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German Pages 779 Year 2009
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 142
Sachsenrecht Studien zur Geschichte des sächsischen Landrechts in Mittelalter und früher Neuzeit
Von
Hiram Kümper
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Hiram Kümper · Sachsenrecht
Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 142
Sachsenrecht Studien zur Geschichte des sächsischen Landrechts in Mittelalter und früher Neuzeit
Von
Hiram Kümper
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Philosophische Fakultät der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-13093-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Prolog „Ich liebe es nicht gerade, meinen Lesern durch Vorreden beschwerlich zu fallen. Leser, wie ich sie mir wünsche, d.h. die Liebe genug mitbringen, mir zuzutrauen, daß ich ein ebenso vernünftiger Mensch sei, wie sie, und die also, wenn ihnen eine Erscheinung in meinen Büchern fremdartig vorkömmt, sich die Mühe nehmen, nachzudenken, was der vernünftige Sinn meiner Meinung sein könne, bedürfen gar kein Vorwort. Flüchtige und mißgünstige Leser, die den Unsinn, den sie in ein Buch hineinzulesen belieben, als wäre er des Autors, bemäkeln, verdienen weder ein Vorwort, noch hilft es bei ihnen etwas.“ (Heinrich Leo: Lehrbuch der Universalgeschichte, Bd. 2, Halle 1836, S. III)
Wie beneidenswert ist doch dieses Selbstvertrauen, das dem Leser zu Beginn von Heinrich Leos fortgesetztem Weltgeschichtslehrbuch entgegenweht! Wer heute die Mühen einer umfangreicheren akademischen Qualifikationsarbeit hinter sich gebracht hat, dem bleibt oft wenig Anlass für solches Selbstvertrauen. Zu gering scheint doch das Ergebnis gegenüber den ursprünglichen, hochfliegenden Plänen; zu Vieles auch, von dem man weiß, dass es noch zu leisten wäre. Trotz all dem möchte ich auf die üblichen und vielleicht auch notwendigen „captationes benevolentiae“ verzichten und mich auf den vielfach geschuldeten Dank für die Unterstützung derer beschränken, ohne die diese Arbeit nicht in dieser Form hätte abgeschlossen werden können. Da steht an erster Stelle zweifellos mein verehrter Doktorvater, Herr Prof. Dr. Karl-Friedrich Krieger (Mannheim), der mich in allen kritischen Phasen mit Rat und Tat begleitet und mir ansonsten die größten Freiheiten bei der Abfassung gelassen hat. Frau Prof. Dr. Annette Kehnel (Mannheim) hat nicht nur ohne Zögern das Koreferat übernommen, sondern auch sonst und über die Dissertation hinaus viel für mich getan. Dass ich bis zu diesem Punkt aber ohne die Unterstützung von Frau Prof. Dr. Christine Reinle (Gießen) während ihrer Bochumer Zeit kaum gekommen wäre, bleibt mir in dankbarer Erinnerung. Nicht weniger in Erinnerung bleiben wird mir auch jenes ebenfalls Bochumer Sachsenspiegel-Seminar von Herrn Prof. Dr.
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Prolog
Stefan Esders (heute Berlin), in das ich während des zweiten Semesters hineinstolperte und das dann lange Zeit nachwirken sollte. Der Abschluss dieser Arbeit wäre aber nicht möglich gewesen, ohne institutionelle Unterstützung: Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hat einen kurzen Studienaufenthalt in Polen bewilligt; das MaxPlanck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte (Frankfurt a. M.) und die RWLE-Möller-Stiftung (Celle) haben mir wichtige, kürzere Forschungsaufenthalte, die Dr. Günther-Findel-Stiftung (Wolfenbüttel) durch ein Forschungsstipendium die weitgehende Fertigstellung dieser Studie an der Herzog-August-Bibliothek und damit in einer Umgebung ermöglicht, die den zügigen Abschluss des Manuskripts ungemein befördert hat. Viele Freunde, die das selbstgewählte Exil mit mir teilten, nicht minder meine Bochumer Kolleginnen und Kollegen, besonders Frau Andrea Berlin, haben auf die eine oder andere Art auf diese Arbeit eingewirkt. In fachlichen Fragen war mir Herr Prof. Bernd Kannowski (Freiburg i. Br.) immer wieder freundschaftlicher Gesprächspartner; für sein großzügiges Engagement und seine Empfehlung dieser Arbeit an den Verlag Duncker & Humblot schulde ich Herrn Prof. Dr. Elmar Wadle (St. Ingbert) meinen aufrichtigen Dank. Kaum aber hätte ich all das in die vorliegende Schriftform gießen können ohne die Rückendeckung, die Geduld und das Verständnis meiner lieben C. C. Ich widme diese Untersuchung jener so gern vergessenen „studentischen Hilfskraft“, die ohne Bezahlung, aber mit nicht enden wollender Geduld so viele Bibliotheksfahrten in die nähere und weitere Umgebung auf sich genommen und mir damit oft genug den trockenen Platz am Schreibtisch gesichert hat: meiner lieben Mutter. Sie hat mir stets die Wichtigkeit zweier Tugenden zu vermitteln versucht, die inner- und außerhalb des wissenschaftlichen Elfenbeinturmes von so großer, vielleicht der größten Bedeutung überhaupt sind: Vernunft und Liebe. Bochum, im Frühjahr 2009
Hiram Kümper
Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Berechtigung und Ziel der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Quellen: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rechtsbuchbegriff in der mediävistischen Forschung. . . . . . . . . 2. Probleme des überkommenen Rechtsbuchbegriffs. . . . . . . . . . . . . . . . a) „rechtsbuch“, „recht-buch“, „speculum“? Die Sprache der Quellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsbücher als spezifisch deutschrechtliches Phänomen? . . . . c) Rechtsbücher als „Privatarbeit“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsbücher und ihre „gesetzesähnliche Geltung“? . . . . . . . . . . 3. Ein alternativer Deutungsvorschlag: Rechtsbücher als autoritative Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsbücher und Rechtswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Forschungsstand und Vorarbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel. . . . . . . . . . . I. Eike von Repgow und Hoyer von Falkenstein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zum so genannten „Mühlhäuser Reichsrechtsbuch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Quellen des Sachsenspiegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die handschriftliche Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kurzformen (Ia bis Ic) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vierte deutsche Fassung (IIa) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Codices picturati (IIb). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachregister- und systematische Handschriften (IIc und IId) . . . . . . 5. Glossenvorlage (IIe) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die lateinischen versiones (III) sowie die lateinisch-polnischen Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Glossenhandschriften (IVa bis IVc) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Die abecedarischen Arbeiten, Remissorien und andere Erschließungshilfen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Vom „Gedankengang des Sachsenspiegels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 13 16 16 22 23 28 35 38 44 49 52 57 68 68 80 91 92 126 134 137 140 142 160 161 161 165 165 180 188
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Inhaltsverzeichnis X. XI.
Die Sächsische Weltchronik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 Der Sachsenspiegel und das sächsische Lehnrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200
C. Grundlinien einer Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels und des Gemeinen Sachsenrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die projizierte Vorzeit: Karl, Otto und der Sachsenspiegel . . . . . . . . . . . II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur. . . . . . . . III. Umfassende Rezeption und erste Fälle von konkreter Rechtsanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die „Articuli reprobati“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die ansteigende Verbreitung der Schöffensprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“ . . . VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts) . . . . . . . . . . . . . VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die sächsischen Juristenfakultäten und das Gemeine Sachsenrecht . . . . XI. Der Prozess „in foro Saxonico“ und die „sächsischen Criminalisten“ . . XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte . . . . . XIII. Historische Rechtsschule und Deutsche Privatrechtswissenschaft . . . . . XIV. Sachsenspiegelforschung im Nationalsozialismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV. Sachsenspiegel- und Rechtsbücherforschung seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . D. Erscheinungsformen der Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Breslauer Landrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der so genannte „Holländische Sachsenspiegel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Berliner Schöffenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Neumarkter Rechtsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Löwenberger Rechtsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Livländische Spiegel Land- und Lehnrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Rezeption in Süddeutschland: Oberdeutscher Sachsenspiegel und Deutschenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht) . . . . . . . . . . . . . 1. Grundzüge von Einfluss und Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die französischen, tschechischen und lateinischen Übersetzungen . 3. Einige Worte zur Editionsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zur Forschungsgeschichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vergleich zwischen Sachsen- und Schwabenspiegel . . . . . . . . . . . . . . 6. Drei Sonderfälle der Schwabenspiegelüberlieferung und -rezeption a) Das Elbinger Rechtsbuch: Schwabenspiegelrecht in Preußen . . . b) Eine welfische Kompilationshandschrift. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
III.
IV.
V. VI.
c) Zwei Kompilationshandschriften aus „Schwabenspiegel“ und Kleinem Kaiserrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das „Kleine Kaiserrecht“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“ . . . . . . . . . . . . . . 1. Texte, Überlieferung, Editionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grundzüge der geographischen Verbreitung des Magdeburger Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schlesien und Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Preußen und das Deutschordensland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ukraine, Litauen und Belorussland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Böhmen, Mähren, Slowakei, Rumänien und Ungarn . . . . . . . . . . 3. Magdeburg als Spruchgremium – ein Aufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einige wichtige Arbeiten des Magdeburger Rechts im ausgehenden Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Magdeburger Fragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die IX Bücher Magdeburger Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nikolaus Wurm und seine Arbeiten über das sächsischmagdeburgische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kaspar Popplau und „Der Rechte Weg“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Erbrechtstraktate und „Arbores sanguinitatis vel consanguinitatis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch . . . . . . . . 1. Zwickauer Rechtsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meißner Rechtsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Editionen, Überlieferung, Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entstehung und Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Verhältnis zum Sachsenspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eisenacher Rechtsbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Das Rechtsbuch des Johannes Purgoldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das „Weißenfelser Rechtsbuch“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausgewählte weitere Rezeptionsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sachsenspiegelrezeption im Saalfelder Rechtsbuch?. . . . . . . . . . . . . . 2. Sächsisches Recht in der Altmark: Salzwedeler Rechtsbuch (15. Jh.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sächsisches Recht in Schlesien: Glogau und Troppau . . . . . . . . . . . . a) Glogauer Rechtsbuch (1386) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Troppauer Rechtsbuch (nach 1382) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sächsisches Recht in Böhmen: Das Prager Rechtsbuch. . . . . . . . . . . 5. Sächsisches Recht in der Slowakei: Das Silleiner Rechtsbuch (1378) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sächsisches Recht in Westfalen: Das Herforder Rechtsbuch (um 1365) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Einige Sachsenspiegelexzerpte in Sammelhandschriften . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen und Einzelbefunde zur Charakteristik und zu einzelnen Rechtsinstituten der sächsischen Rechtsbücher . . . . I. Anlage, Technik, Stil und außerrechtliche Grundgedanken . . . . . . . . . . . 1. Rahmentexte: Vor- und Nachreden in deutschen Rechtsbüchern . . . 2. Religiöse Vorstellungen, Weltalterlehre und Geschichtsbild . . . . . . . a) Zwei-Schwerter-Lehre und Stratordienst (Ssp. Ldr. I 1). . . . . . . . b) Die Quaestio vom Ursprung der Unfreiheit (Ssp. Ldr III 42 §§ 3–6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Terra iuris Saxonici? Der Raum „Sachsen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Alles, was Recht ist.“ – Einige Grundideen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Verhältnis von Rechtsgewohnheit und geschriebenem Recht . . 2. Rechtsfähigkeit und Rechtsminderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld . . . . . . . . . . . . 1. Die Gewere als Schlüsselbegriff des mittelalterlichen Güterrechts . 2. Der Grundsatz „Hand wahre Hand“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die eheliche Gütergemeinschaft – eine Beobachtung . . . . . . . . . . . . . 4. Erben und Vererben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erbenlaub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sondervermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entwicklung der Sondervermögen im Gemeinen Sachsenrecht. . d) Erbfolgeordnung(en) und konkurrierende Erbansprüche. . . . . . . . 5. Der Grundsatz „Der Ältere teilt und der Jüngere soll kiesen“ . . . . . IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konzepte: Unrecht, Verbrechen, Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tier- und Scheinbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Von den Bußen zu Schadensersatz und Schmerzensgeld . . . . . . . . . . 4. Einige häufige Straffälle und Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Diebstahl, Wegnahme, Raub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Körperverletzung, Totschlag, Mord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sexualdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gottesurteile und „irrationales Beweisrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schuldknechtschaft und Einlager – einige Zusätze zum 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die „Sächsische Frist“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Urteilsschelte und Appellation – eine Notiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Regelungsansprüche gegenüber Reich, Kirche, Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kurfürsten und Königswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitteis’ drei Säulen des deutschen Sonderwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtshilfe oder Widerstandsrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Königliche Gerichtsbarkeit und Königsprivilegien. . . . . . . . . . . . . . . . 5. Papsttum, Kirche und Kirchenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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F. Zusammenfassende, aber nicht abschließende Betrachtungen . . . . . . . . . . . 568
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Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsbücherkonkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materialien und Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Summa des ganzen Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Informatio ex speculo Saxonum: Historisierende Vorrede . . . . . . . . . . . . . . 3. Die dem Sachsenspiegel fremden Artikel des Löwenberger Rechtsbuches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Textprobe aus dem Weißenfelser Rechtsbuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Konstitution Christians VI. über die sächsische Gerade in Holstein (1742) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. August Geyder an Carl Gustav Homeyer, 5. Januar 1836 . . . . . . . . . . . . . .
571 571 618 618 619
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Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgekürzt zitierte Werke, Zeitschriften und Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Editionen, Quellensammlungen, Faksimiles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Druckschriften der Frühneuzeit (bis 1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Hilfsmittel und Handschriftenkataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628 628 629 632 632 648 659 769
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Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772
A. Einleitung I. Berechtigung und Ziel der Untersuchung „Eine Arbeit über den Sachsenspiegel zu schreiben, heißt das nicht: Eulen nach Athen tragen?“ – das hat bereits Alexander Ignor vor rund einem Vierteljahrhundert im Vorwort seiner Zürcher Dissertation gefragt.1 Entsprechend der kaum zu bezweifelnden Bedeutung des Sachsenspiegels für die europäische Rechts-, Sprach- und Kulturgeschichte2 hat der Umfang der wissenschaftlichen Fachliteratur heute gigantische Ausmaße angenommen,3 so dass sich durchaus die Frage stellt: Ist nicht schon alles gesagt? Ich glaube nicht und will versuchen, das in den folgenden Absätzen noch näher zu begründen. Besonders die tiefgreifende Wirkung des Sachsenspiegels über die Jahrhunderte hinweg scheint mir noch einer eingehenderen Betrachtung wert. Inwieweit diese Einschätzung zutrifft, wird man allerdings am Ende der Untersuchung dem Leser überlassen müssen. Karl Kroeschell hat in einem viel beachteten Beitrag von 1977 zum Verhältnis von Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit4 drei Zugänge zur Erforschung des Einflusses und der Wirkung des Sachsenspiegels aufgezeigt, die große Anerkennung in der Rechtsbücherforschung gefunden haben: Den Zugang über die handschriftliche Überlieferung, den über die Rezeption in anderen Rechtsaufzeichnungen und den über die Anwendung in konkreten Rechtsstreitigkeiten. Den (1.) Weg der Handschriftenüberlieferung ist bereits Elisabeth Nowak in ihrer leider ungedruckt gebliebenen Hamburger Dissertation nachgegangen. Man kann zwar berechtigt Kritik an dieser Arbeit üben,5 durchaus aber 1
Ignor, Rechtsdenken, S. 13. Die entsprechenden Würdigungen sind zahlreiche. Statt aller verweise ich auf Schneider, Daz ein Recht mac vromen, und Händl, Il diritto nel Sachsenspiegel di Eike von Repgow. 3 Jüngere bibliographische Annäherungen an das ausladende Schrifttum finden sich bei Kisch, Sachsenspiegel-Bibliographie, Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 87–94 und Hüpper, Neuere Literatur zum „Sachsenspiegel“, S. 280; zuletzt noch Kümper, Sachsenspiegel – eine Bibliographie. Keine dieser Arbeiten kann auch nur annähernde Vollständigkeit für sich beanspruchen. 4 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit, S. 440 f. (dort auch die folgenden Zitate). 5 Siehe dazu unten, S. 29. 2
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bleibt es ihr Verdienst, die großen Linien der weiten handschriftlichen Verbreitung des Rechtsbuches angemessen skizziert zu haben. Zum anderen (2.) könne die „praktische Wirkung des Sachsenspiegels [. . .] über seine Benutzung in anderen Rechtsaufzeichnungen“ untersucht werden. Wenn Kroeschell dabei darauf hinweist, dass im „deutschen Osten [. . .] der Sachsenspiegel in einer Vielzahl literarischer Rechtsschriften mit dem nahe verwandten Magdeburgischen Recht zusammengearbeitet“ worden ist, die weitgehend noch nicht oder nur unzureichend ediert vorliegen, so ist damit zwar treffend das Dilemma einer solchen Untersuchung, nicht aber ihre prinzipielle Unmöglichkeit formuliert. Schließlich, so Kroeschell, sei (3.) die unmittelbare Anwendung des Sachsenspiegels auf die Praxis in Schöffensprüchen und anderen Gerichtsaufzeichnungen ein, wenn auch mühsamer, Weg, sich der Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels anzunähern. Eine größer angelegte Studie auf diesem Gebiet ist von Eckhardt Freise angekündigt worden, jedoch noch nicht erschienen.6 Diese drei Herangehensweisen müssen ferner auch aufeinanderbezogen gedacht werden, denn Schnittmengen ergeben sich vor allem im historischen Material selbst. Immer wieder warnte Hans Fehr, dem wir wohl die leidenschaftlichsten Plädoyers für eine kulturgeschichtliche Erweiterung der Rechtsgeschichte verdanken,7 davor, das Fach werde „einen immer kleineren Kreis von Menschen beschäftigen; zuletzt nur noch den Rechtshistoriker selbst“.8 Diese Gefahr besteht heute mit steigender Spezialisierung und Fragmentierung der historischen Wissenschaften mehr denn je. Deshalb setzt sich diese Studie zweierlei zum Ziel: Zum einen und vor allem möchte sie Grundlagenarbeit zur Erschließung des reichen Quellenmaterials leisten, das durch die Rechtsbücher auf uns gekommen ist. Das so erschlossene Material soll nicht nur dem Rechtshistoriker, sondern allen dienlich sein, die auf der Suche nach dem Numinosum „Recht“ im Sinngeflecht mittelalterlicher Handlungsräume sind. Zum anderen wird versucht werden, die auf der Grundlage dieses relativ geschlossenen Korpus von Normtexten gewonnenen Ergebnisse in weitere Kreise einzubinden. Das betrifft sowohl Überlieferungen der Rechtspraxis als auch Überlieferungen, die anderen Rechtskreisen9 angehören oder über6
Freise, Welfen und Sachsenspiegel, S. 480 Fn. 170. Über Fehr vgl. Busch, Germanenbild, S. 108–110 u. ö. sowie Bader, Nachruf Fehr. Bemerkenswert auch Fehrs autobiographische Skizze (Fehr, Lebenswerk). 8 Fehr, Gottesurteil und Folter, S. 231. 9 Unter einem „Rechtskreis“ wird hier und im Folgenden ein an eine gewisse personell oder topographisch begrenzte Gruppe gebundenes Bündel von Rechten und Pflichten verstanden (z. B. Hofrecht, Stadtrecht, Dienstrecht, Lehnrecht etc.), 7
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haupt nicht-rechtlicher Art sind. Denn Sprechen über Recht findet nicht nur vor Gericht und unter rechtsgebildeten Fachleuten, sondern auch in zahlreichen anderen Ausdrucksformen des mittelalterlichen Lebens statt. Gezeigt werden soll dabei in größtmöglicher Konkretisierung die tatsächliche Verbreitung des Sachsenspiegels als Textkorpus. Voraussetzung dafür ist die Einsicht, dass der Spiegel kein in sich geschlossenes Opus, sondern ein Konvolut aus seinerseits rezipierten Rechtsgewohnheiten und -quellen sowie offenkundigen Rechtsneuerungen Eikes darstellt, die auch nicht geschlossen, sondern nur selektiv, wenn auch oftmals wörtlich in andere Rechtsquellen eingehen. Die Aussage, dieser oder jener Rechtstext sei vom Sachsenspiegel beeinflusst hat also für sich genommen nur einen begrenzten Aussagewert. Dagegen möchte ich einen Schritt tiefer ansetzen, nämlich auf Ebene der einzelnen Paragraphen des Landrechts. Die Beschränkung auf das Landrecht ist nicht nur eine arbeitsökonomisch gebotene, sondern kann sich darüber hinaus auf die eigene und im Vergleich zum Landrecht weit geringere Überlieferungsgeschichte des Lehnrechts berufen:10 Einzelne Textstufen bis zur Entwicklung einer vulgaten Fassung, wie sie das Landrecht durchaus kennt, können beim Lehnrecht in dieser Form nicht ausgemacht werden.11 Auch die Aufnahme in andere Lehnrechte ist bislang nur zu einem sehr geringen Grad nachgewiesen. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass eine Untersuchung des sächsischen Lehnrechts und seiner Rezeption wünschenswert, ja sogar dringend notwendig wäre,12 sondern soll eine unabdingbare und mit Blick auf den ungleich größeren Einfluss des sächsischen Landrechts auf spätere Rechtstexte auch probate Einschränkung begründet werden. die sich wiederum überschneiden oder vernetzten können, oft auch mit „denselben Rechtsbegriffen und Rechtsinstituten arbeiten“ – vgl. dazu noch immer Heusler, Institutionen, Bd. 1, S. 23–44 (Zitat S. 41); vgl. ferner Thieme, Ständeordnung – Rechtskreis – Landrecht, S. 16–20. Für das Verbreitungsgebiet einzelner konkreter Rechtsaufzeichnungen wie des Magdeburger Rechts, die oft auch als „Rechtskreise“ bezeichnet werden, bevorzuge ich den Begriff „Rechtsbereich“ oder „Rechtsgebiet“. Beide bleiben unglücklich, weil eine Lückenlosigkeit suggeriert wird, die in der historischen Realität keinen Rückhalt findet, bleiben aber als heuristische Begriffe zunächst ohne Alternative. 10 Mehr zur Geschichte des sächsischen Lehnrechts unten, S. 199 ff. 11 Schon Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 120 hat darauf hingewiesen, dass die aus immerhin 56 Lehnrechtstexten berücksichtigten Lesarten im Apparat seiner Edition „in einem nach der Verbreitung des Rechtsbuches unerwartet geringen Grade, namentlich weniger als die Landrechtstexte, voneinander abweichen“. 12 Einzelne Hinweise zu dessen Anwendung aus galizischen Lehngerichten z. B. bei Kaindl, Deutsches Recht in Gallizien, und für Ungarn bei ders., Deutsches Recht in Ungarn; Ergänzungen aus dem 16. Jahrhundert auch bei ders., Geschichte, S. 276 f.
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II. Die Quellen: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters 1. Der Rechtsbuchbegriff in der mediävistischen Forschung Zunächst muss festgestellt werden: Der Begriff „Rechtsbuch“ ist, so wie ihn die Forschungsliteratur verwendet, ein wissenschaftsgeschichtlich gewachsener. Er unterliegt als solcher in vollem Umfang der kontrafaktischen Idealisierung wissenschaftlicher Ordnungsbegriffe.13 Dass er zugleich auch Quellenbegriff ist, schafft neue Probleme, mit denen sich das folgende Unterkapitel auseinandersetzen wird. Eine auf den ersten Blick recht klar umrissene Definition legte 1934 Karl August Eckhardt bei der Neubearbeitung des Homeyerschen Rechtsbuchverzeichnisses vor: „Als ‚Spiegel des Rechts‘ oder ‚Rechtsbücher‘ bezeichnen sich Darstellungen deutscher Rechtssätze von etwa 1200 bis 1500, die nicht der rechtsetzenden Tätigkeit von Reich, Ländern oder Gemeinden, sondern schriftstellerischer Arbeit rechtskundiger Männer ihr Dasein verdanken.“14
Alle späteren und auch die meisten vorhergehenden Definitionsversuche stimmen in den wesentlichen Punkten mit diesem Vorschlag überein.15 Ferner bilden die drei respektive vier großen Spiegelrechte (Sachsen-, Schwaben-, Deutschen- und ggf. der so genannte „Frankenspiegel“, also das Kleine Kaiserrecht) zumindest die Schnittmenge zur Gruppe der „Spiegel des Rechts“ (speculum iuris bzw. iudiciale)16 bzw. „Rechtsspiegel“,17 deren Abgrenzung gegenüber den Rechtsbüchern aber keineswegs deutlich ist. Deshalb ist auch jüngst noch Conrad Heyens „Klagspiegel“ mit einigem Recht als ein „Rechtsbuch“ tituliert worden,18 obwohl sich dessen Anlage doch in so vielem von den mittelalterlichen Rechtsbüchern unterscheidet. 13 Statt aller vgl. nur die grundlegenden Überlegungen zum Problem juristischer Ordnungsmodelle und -begriffe bei Bühler, Rechtsquellenlehre, Bd. 1, bes. S. 8–13 und vor allem Fikentscher, Synepëik, bes. S. 85–94, der von einer „Anführungszeichenmethode“ als „scheinbar höfliche, aber sicherlich egoistische Methode [. . .], die eigenen Systeme und Begriffe zur Hand zu nehmen und sie auszudehnen“ spricht (S. 85). Zur Problematik der strukturierenden Eigendynamik rechtsrelevanter Textsorten hat vor kurzem noch Lötscher, Gesetze als Texte, S. 183–207 einige instruktive Überlegungen angestellt. 14 Eckardt/Gierke/Borchling Rechtsbücher, S. *1. 15 Vgl. etwa Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 286–288; Brunner, Grundzüge, S. 94–133; Munzel, Rechtsbücher; Johanek, Rechtsbücher. 16 Munzel, Spiegel des Rechts. 17 Droege, Landrecht und Lehnrecht, S. 21. 18 Deutsch, Klagspiegel. Im Übrigen spricht man bereits um 1530 von „des Tenglers layenspiegel, der sächssisch spigl u. ander dergleichen teutsche rechtbücher“; zit. nach Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 144 Fn. 5 – auch hier also keine gedankliche Trennung.
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Wir haben es also entweder tatsächlich mit einer ausgesprochen heterogenen Quellengruppe oder aber einem in hohem Maße unscharfen Begriffsgebrauch zu tun.19 Betrachten wir zunächst noch einmal die gegebene Definition: Ein Rechtsbuch sei demnach (1.) eine Sammlung von deutschen Rechtssätzen, die (2.) aus keinem hoheitlichem Rechtsetzungsakt, sondern aus schriftstellerischer Betätigung erwachsen sei. Für letzteres hat sich der – seinerseits wieder problematische – Begriff „Privatarbeit“ durchgesetzt.20 Deshalb ist auch verschiedentlich schon auf die zentrale Rolle der Verfasserpersönlichkeit hingewiesen worden;21 die „Quellengattung Rechtsbuch“ sei geradehin „wesensnotwendig mit der Persönlichkeit des jeweiligen Verfassers verbunden“.22 Gegenüber der juristischen Fachliteratur wurde sodann (3.) in der rechtspraktischen Wirkung der Sammlungen, die „gleich Gesetzen anerkannt“23 wurden, eine Abgrenzung gefunden. Die Quelle jener in den Rechtsbüchern verschriftlichten Rechtssätze ist vielfach (4.) mit dem nicht minder schillernden Begriff des „Gewohnheitsrechts“ umschrieben worden.24 Otto Stobbe spricht weiterhin (5.) von Rechtssammlungen „ohne 19 Gegebenenfalls müsste dann auch die Bezeichnung der Rechtsbücher als „Gattung“ von textlinguistischer Seite her noch einmal überdacht werden. Da aber die rechtshistorische Forschung sich zumindest insoweit einig zu sein scheint, dass „Rechtsbücher“ sich aus einem Bündel gemeinsamer Charakteristika bestimmen, die nicht nur textimmanent bzw. produktionstechnisch (= Textsorte), sondern auch beispielsweise mit Bezug auf die Rezeptionspraxis zu bestimmen sind (= Gattung), wollen wir auch im Folgenden vorbehaltlich grundsätzlicherer Auseinandersetzungen mit der germanistisch-rechtshistorischen Quellenkunde weiterhin von der „Gattung Rechtsbücher“ sprechen. Die Unschärfe des Begriffspaares Gattung < > Textsorte näher zu diskutieren, ist hier auch nicht der Ort. Eine Entscheidung vermeidet selbst Schmidt-Wiegand, Schöffenspruch, die von der „Rechtsquellengattung oder ‚Textsorte‘ Schöffenspruch“ und gleich darauf von „den Rechtsaufzeichnungen Stammesrecht, Rechtsbuch, Weistum u. a. m.“ (S. 53), in dies., Pragmatische Schriftlichkeit, S. 436 dann explizit von der „literarischen Gattung ‚Rechtsbücher‘ “ und ebd., S. 457–460 von recht unterschiedlichen „Textsorten“, S. 458 schließlich vom Magdeburger Dienstmannenrecht und Judeneid sowohl als „Textsorten“ als auch als „Gattungen“ spricht. Zum Problem vgl. ferner auch Hüpper, Buoh und scrift, S. 103 ff. und Schmidt-Wiegand, Textsorte und Rechtsquellentyp. 20 Bereits bei Ludovici, Sachsen-Spiegel, Vorrede § 12): „Es ist auch sonst der Sachsen-Spiegel von keinem Kayser ausdrücklich bestättiget, sondern von Ecken von Repchow bloß privata autoritate und auf des Graffen Hoyers von Falckenstein zureden zu papier gebracht worden.“ (Hervorhebung von Ludovici). Kritische Überlegungen zum Begriff der Privatarbeit im Übrigen bereits bei Fischer, Entwurf, § 11. 21 Kroeschell, Rechtsgeschichte, S. 248. 22 Dollmann, Sachsenspiegel und Coutumes, S. 19. 23 Eckhardt/Gierke/Borchling, Rechtsbücher, S. *2. 24 Johanek, Rechtsbücher, Sp. 519.
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Rücksicht auf die Verhältnisse eines bestimmten Orts oder Gerichts“ und betont damit den geographisch, aber auch den sachlich weiter ausgreifenden Anspruch der Rechtsbücher gegenüber Stadtrechten, Rechtsgangbüchern und ähnlich gelagerten Arbeiten. Es sei nicht beabsichtigt worden, „bloss dem Schöffen, welcher sich in Ungewissheit über das anzuwendene Recht befand, mit ihrem Buch zu Hülfe zu kommen, sondern das gesammte Recht darzustellen.“25 Dieses Kriterium ist ebenfalls weithin aufgenommen worden. Gegen Stobbes Ansicht hingegen, die Rechtsbücher seien „die ersten wissenschaftlichen Arbeiten über das deutsche Recht“,26 sind bereits verschiedentlich Zweifel angemeldet worden, wobei überhaupt in Frage gestellt wurde, ob und inwieweit man mit Kategorien der Wissenschaftlichkeit an solche Arbeiten herantreten könne. Das trifft sowohl die formale als auch die inhaltliche Ausgestaltung der Rechtsbücher. Im Gegensatz dazu wird mehrheitlich gerade das Weiterleben oraler Rechtstraditionen, vor allem die öffentliche Kundgabe und kasuistische Einzelfallgebundenheit des Rechts, mithin also gerade die noch nicht wissenschaftlich ausgeprägte und systematisch überformte Rechtsfindung, betont.27 Die Verwendung des Rechtsbuchbegriffs im Wissenschaftsjargon ist in der Regel ausgesprochen unspezifisch; nur selten wird die Problematik der Begriffsbildung überhaupt reflektiert. Sekundär, aber nicht vollständig zu vernachlässigen, ist hier der seit der Frühgeschichte des Buchdrucks immer wieder nachzuweisende weite Begriffsumfang, nach dem ein „Rechtsbuch“ schlicht ein Buch bezeichnet, das Recht – also auch Gesetze, Fach- und 25 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 286 f. – zu Stobbes Standardwerk ist, vor allem in Hinblick auf die sächsische Rechtsgeschichte, unbedingt auch der Beitrag von Muther, Quellengeschichte, hinzuzuziehen. 26 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 287. Auch Scherer, Geschichte, S. 267 lässt mit dem Sachsenspiegel die „wissenschaftliche deutsche Prosa“ beginnen. Scherer freilich ist ausgesprochen großzügig mit dem Etikett der Wissenschaftlichkeit und gesteht auch Otfried von Weißenburg zu, er habe „auf Bitten von Vornehmen, mit Gottes Hilfe in deutscher Zunge Wissenschaft gedichtet“ (S. 48). Den Zusammenhang zwischen Prosa und Wissenschaftlichkeit in der frühen deutschen Literatur zieht auch noch Rosenstock, Verdeutschung, S. 501. 27 Beispielsweise bei Kolb, Quaestio, S. 289 f., der feststellt, das „alte Recht“ weise eine Reihe von Eigenarten auf, „die es mit der alten Dichtung teilt: Mündlichkeit des öffentlichen Vortrages und der Weitergabe sowie Bezogenheit auf den einzelnen konkreten Fall, der anzuhören und abzuwägen, über den schließlich zu befinden und zu urteilen ist.“ Diese beiden Eigenarten „bleiben auch unter den Bedingungen der Literarisierung bestehen, doch sie werden eingeschränkt: Die öffentliche Kundgabe und Anwendung stützt sich von nun an auf das Rechtsbuch, aus dem vorgelesen wird, und die Bezogenheit auf den konkreten Einzelfall sieht sich zumindest eingebettet und umschlossen von einem Streben nach größerer Allgemeinheit und nach einer das Ganze des Rechts umfassen wollenden Systematik.“ In dieser vorsichtigen Formulierung wird man Kolb weitgehend Recht geben dürfen.
II. Die Quellen: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters
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Sachliteratur etc. – enthält. In diesem Sinne benutzen den Begriff von rechtshistorischer Seite aus beispielsweise Mommsen,28 Klaus von See in seiner Ausgabe des Jütschen Recht29 oder auch die in mehreren Auflagen weit verbreitete, bibliophile Rechtsgeschichte „Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon“ von Heinrich Kaspers.30 So kann ferner Riederer von den „Rechtsbüchern Ludwigs des Bayern“ und also von zwar deutschen und mittelalterlichen, aber dezidiert nicht-privaten Rechtsaufzeichnungen als von „Rechtsbüchern“ sprechen.31 In einer Regestensammlung des Bozener Stadtarchivs bezeichnet „Rechtsbuch“ bzw. „liber jurium“ kein in sich geschlossenes Werk, sondern eine Sammelhandschrift verschiedener Ordnungen und vor allem positiver Rechte.32 Nach moderner Wortbildung müsste man also eigentlich von einem „Rechte-Buch“, nicht von einem „RechtsBuch“, sprechen. Allerdings sind dieser Unschärfe offenbar bereits die Zeitgenossen aufgesessen, die ebenso nicht von „privilegia“, sondern von einem „liber jurium“ sprechen. So ließen sich die Beispiele endlos weiter reihen. Im fachlich engeren Kreis der mittelalterlichen deutschen Rechtsgeschichte unterscheidet aber beispielsweise auch Eckhardt einen „prägnanten“ von einem eher weiteren, unspezifischen Rechtsbuchbegriff, wenn er die Ergänzungsartikel des „Codex Peutinger“ auf ein nicht mehr erhaltenes „Tochterrechtsbuch des Ssp.“ zurückzuführen sucht. Wenn man diese These an sich einmal dahingestellt lässt, bleibt Eckhardt sich jedenfalls bewusst, dass er über den Charakter dieses angenommenen Rechtsbuches als Privatarbeit ebenso wenig auszusagen vermag, wie über dessen spätere „Geltung und Anwendung [. . .] in der Praxis, die erst eine Privatarbeit zu einem Rechtsbuch macht“.33 Insofern bezeichnet „Rechtsbuch“ auch hier nicht mehr als ein Buch, das Recht enthält. Einen solchen weiten Begriff hat jüngst noch Franziska Prinz in ihrer Bochumer Dissertation über die gedruckten Rechtsbücher des 15. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts zu ihrer Quellengrundlage gemacht.34 Dieser unspezifischen Materialbestimmung erliegt die Arbeit dann auch in gewisser Weise, da der systematische, phänomenologisch ordnende Anspruch der Untersuchung nicht eingelöst werden kann. 28
Mommsen, Zeitfolge. See, Jütsches Recht, S. 4 weist darauf hin, es sei „überhaupt das erste Rechtsbuch des Nordens, das einen wesentlichen Anteil des Königtums an der Gesetzgebung bezeugt“, also gerade keine private Rechtsaufzeichnung mehr ist. Vgl. dazu auch unten, S. 30. 30 Kaspers, Rechtsgeschichte. 31 Riederer, Rechtsbücher. 32 Obermair, Urbar. 33 Alle Zitate dieses Absatzes bei Eckhardt, Deutschenspiegel, S. 71, bes. Fn. 1. 34 Prinz, Bildgebrauch. 29
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Einen bewusst quellenkundlich angelegten Beitrag zur Frage, was ein Rechtsbuch ausmache, hat dagegen Kai Uwe Jacobs in seiner von Adalbert Erler angeregten Dissertation über „Die Regula Benedicti als Rechtsbuch“ geleistet. Dabei sucht Jacobs sich explizit von den bisherigen „eher untechnisch verstandenen Wendungen“ der Benediktforschung („Gesetzbuch“, „Quellenbuch juristischen Charakters“ etc.) abzuheben, mit denen bislang „grundsätzlich keine juristische Qualifizierung verbunden“ gewesen sei – so Jacobs. Der Rechtsbuchbegriff vermeide dabei den Anschein, „es handle sich um staatliche oder kirchenhoheitliche Rechtsetzung“, bezeichne aber dennoch ein „ ‚book of authority‘ “, das „gesetzesähnliche Anwendung“ genoss. Allerdings stelle der Verfasser der Regel, sei es nun tatsächlich Benedikt gewesen oder nicht, explizit neue Regeln auf und habe nicht, wie beispielsweise Eike, die Aufzeichnung überkommenen Rechts im Sinn. Dabei seien ja, wie Jacobs mit Recht betont, die rechtsschöpferischen Tendenzen des Sachsenspiegels hinlänglich bekannt. Gemeinsam seien „den deutschen Rechtsbüchern und der Benediktsregel ihre weite Anerkennung und Verbreitung sowie ihre häufige Rezeption; in beiden Fällen gehen die Werke auf eine private Arbeit zurück; in beiden Fällen ist diese private Arbeit deutlich von einem inhaltlichen Vollständigkeitsstreben gekennzeichnet“. Außerdem nennt Jacobs die Vorreden, Bezüge auf Bibel, römisches und kanonische Recht sowie insgesamt die enge Verbindung von Weltlichem und Religiösem, schließlich die Entstehung des Werkes aus unterschiedlichen Textstufen als Gemeinsamkeiten. Die Regula erscheine „mithin nicht nur als geschlossenes juristisches Werk, also als Rechtsbuch im weiteren Sinn, das sie mit Gewißheit ist, sondern sie weist in mancher Hinsicht Parallelen zur deutschen Rechtsbücherliteratur des Mittelalters auf. Somit verdient die Regula Benedicti die Bezeichnung als Rechtsbuch (in einem engeren Sinne), ohne daß der damit aufscheinende Bezug zur Rechtsbücherliteratur bar jeder Berechtigung wäre“.35 Wieder also finden wir die Unterscheidung eines engeren von einem weiteren Rechtsbuchbegriff. Zu den Spezifika des engeren Begriffes werden (1.) die private Anlage, (2.) das Streben nach inhaltlicher Vollständigkeit und (3.) die Aufnahme des Werkes in die tatsächliche Übung, eine gewisse zu unterstellende Wirkung also, gerechnet. Ersteres und letzteres können als Konsens auch mit Blick auf die mittelalterlichen deutschen Rechtsbücher betrachtet werden. Das Bestreben, nicht nur einzelne, sondern zumindest tendenziell sämtliche Rechtsbereiche des täglichen Lebens normativ zu durchdringen, wird häufig nicht genannt, dürfte aber kaum als ein weiteres Charakteristikum der deutschen Rechtsbücherliteratur angezweifelt werden.
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Jacobs, Regula Benedicti, S. 4 f. und S. 191 f.
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Zuletzt hat sich noch Ruth Schmidt-Wiegand an einer dem heterogenen Material angemessenen Adaption des überkommenen Rechtsbuchbegriffes versucht.36 Sie begreift – deutlich weiter – die „Rechtsbücher des Mittelalters“ als „Sammlungen des angewandten Rechts, die zwischen 1200 und 1500 aufgezeichnet worden sind, und zwar in Bindung an einen bestimmten Anwendungsraum wie ein Land, eine Region oder eine Stadt, gelegentlich [. . .] auch mit universalem Anspruch“. Dazu zählt sie „Land- und Lehnrechtsbücher, Stadtrechtsbücher, Rechtsgangbücher, Glossen und andere Sammelwerke wie Abecedarien und Remissorien, die den Rechtsstoff, abgezogen vom konkreten Einzelfall, in abstrakter oder allgemeingültiger Form“ darstellen. „Meist von Privatpersonen bestellt, oft von Persönlichkeiten des politischen Lebens [. . .] angeregt oder in Auftrag geben“ spiegelten „diese Niederschriften des Rechts [. . .] den Verschriftlichungsprozeß wider, der sich im späten Mittelalter auf allen Lebensgebieten durchgesetzt hat und zur Verbreitung einer pragmatischen (d.h. zweckgerichteten) Schriftlichkeit führte.“ Eine so gefasste Definition der „literarischen Gattung ‚Rechtsbücher‘ “ unterscheide sich, so Schmidt-Wiegand weiter, „von früheren Definitionen insofern, als im Katalog der Kriterien nicht mehr die private Herkunft der Rechtsbücher, ihr deutschrechtlicher Ursprung wie ihre deutsche Sprachform im Vordergrund“ stünden. Das ist sicher richtig. Die „Privatheit“ der Verfasser aber ist damit durchaus nicht aufgegeben, lediglich durch externe Einflüsse, wie gegebenenfalls herrschaftliche Anregung oder sogar Auftrag, erweitert worden. Wichtig ist, wie weiter unten auch noch ausführlicher darzulegen sein wird,37 die Lösung von der Auffassung, die Rechtsbücher stellten ein spezifisch deutsches oder doch zumindest deutschrechtliches Phänomen dar. An neuen Elementen bringt der hier formulierte Rechtsbuchbegriff die Entstehungszeit von etwa 1200 bis 1500, die schon von Eckhardt in seiner oben angeführten Definition eingebracht und andernorts unter dem Etikett „Rechtsbücherzeit“ bemüht wird, wieder ins Spiel. Dazu kommt die Abstraktion vom konkreten Einzelfall, die Ausformulierung abstrakter Normen also. Eine wirkliche Neudefinition bietet ein dergestalt „erweiterter Quellenbegriff“ nicht; darüber hinaus bringt er eigene Probleme mit sich. Die vollkommene Ausklammerung der Frage herrschaftlicher Legitimation beispielsweise lässt Quellen in das Blickfeld rücken, die man bislang nicht zu den Rechtsbüchern gezählt hat. Andererseits fielen aus der oben formulierten Definition beispielsweise die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 nur aus dem Grunde heraus, weil sie nach 1500 entstanden sind, obwohl 36 Schmidt-Wiegand, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 435–475, das Folgende nach S. 435 f. 37 Siehe unten, S. 28 ff.
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alle anderen Kriterien durchaus erfüllt zu sein scheinen, ist doch die Konstitutionengesetzgebung zwar herrschaftlich inspiriert und später auch legitimiert worden, in ihrer Abfassung aber zunächst einmal „privater“, weil wissenschaftlicher Natur.38 Bemerkenswerterweise unterscheidet übrigens auch Schmidt-Wiegand noch einen weiten Begriff, der vor allem die Werke der so genannten „Popularjurisprudenz“ mit einschließt, von „Rechtsbüchern im engeren Sinn“.39 2. Probleme des überkommenen Rechtsbuchbegriffs Die im vorhergenden Abschnitt skizzierte, traditionelle Definition der Gattung „Rechtsbuch“, die noch immer auch die neuere und neueste Literatur bestimmt, bringt eine Reihe von Problemen mit sich. So lassen sich einzelne der auf den ersten Blick sehr klar formulierten Charakteristika in der Praxis nur schwach belegen. Gerade über die gerichtspraktische Autorität der selten oder gar singulär überlieferten Rechtsbücher wissen wir kaum etwas, teilweise auch gar nichts. Ebenso liegt ihre Entstehung häufig dergestalt im Dunkeln, so dass die „privaten“ Entstehungsumstände des Werkes oft mehr unterstellt als nachgewiesen werden können. Die konkreten Gebrauchssituationen der einzelnen Rechtsbücher, wie sie uns in den Handschriften entgegentreten, können wir – das hat Ruth Schmidt-Wiegand in einem gedankenreichen Aufsatz ausführlich dargelegt – oft bestenfalls erahnen.40 Sehr klar hat diese Probleme der gängigen Rechtsbuchdefinition auch Christine Magin in ihrer Göttinger Dissertation gesehen und ausführlich besprochen, ohne allerdings Alternativen anbieten zu können.41 Sollte am Ende gar grundsätzlicher Pessimismus gegenüber der Lösbarkeit dieses Problems angezeigt sein? Bevor wir uns aber mit einzelnen Problemfeldern des überkommenen Rechtsbuchbegriffes auseinandersetzen, sollte der Hinweis nicht unterblei38 Über den Amtscharakter der Beratschlagungen zwischen den die strittigen Einzelfragen behandelnden Juristenfakultäten wird man zwar trefflich streiten können, müsste in diesem Falle aber genauso über den Amtscharakter stadtschreiberlicher Tätigkeit nachdenken, wie sie etwa beim Eisenacher Rechtsbuch vorliegt. Wir bewegen uns hier in einer Grauzone, die umso evidenter wird, wenn wir uns der stadtrechtlichen Überlieferung zuwenden. Denn die Grenze zwischen Stadtrecht und Stadtrechtsbuch ist im Einzelfall nur sehr schwierig zu ziehen. Darauf näher einzugehen, wird aber in den folgenden Kapiteln noch Gelegenheit sein. Zu den Einzelheiten der Publikation der Kursächsischen Konstitution vgl. unten, S. 285 ff. 39 Schmidt-Wiegand, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 442. 40 Schmidt-Wiegand, Gebrauchssituation. Einen exemplarischen Beitrag zur Gebrauchssituation eines städtischen Rechtsbuches (Oldenburg) hat Hüpper, Städtische Rechtsbücher vorgelegt. 41 Magin, Juden, S. 42–49.
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ben, dass sich solcherlei quellenkundliche Fallstricke durchaus nicht nur für die mediävistische Rechtsgeschichte stellen. Es kann der Disziplin nur helfen und wird leider gar zu selten geübt, einmal in fremden Gefielden wildern zu gehen. So hat Ortrun Riha sich in ihrer einschlägigen Studie zur Organisation medizinischen Wissens in Sammelhandschriften mit dem in der medizinhistorischen Forschung nicht minder gängigen Etikett „Arzneibuch“ auseinandergesetzt.42 Das Problem ist hier ein ähnlich gelagertes: In der Regel werden als „Arzneibücher“ einzelne Codices oder aber auch mehrfach überlieferte Kompendien bzw. Kompilationen bezeichnet, die eine Reihe von Kurz- und Kleinsttexten medizinischen Inhalts zusammenstellen. Auch diese Bezeichnung ist zunächst einmal bereits eine mittelalterliche („liber medicinalis“, „arzenîbuoch“), wird im 19. Jahrhundert von der Mediävistik als Gattungsbegriff eingeführt und ist heute neben dieser engeren, historischen Bedeutung auch mit anderen Bedeutungsinhalten, z. B. amtlichoffiziösen (wie dem „Europäischen Arznei-Buch“), aufgeladen. Im Gegensatz zu der vorliegenden Studie hat die Arbeit von Riha diese begriffliche Vielschichtigkeit nicht auflösen müssen, da ihre Untersuchungsgegenstände expressis verbis „Sammelhandschriften“ und eben nicht „Arzneibücher“ sind. Waffenhilfe im heuristischen Kampf mit der Quellenkunde ist von dieser Seite also nicht zu erwarten. Aber es bereitet doch eine gewisse, vielleicht ein wenig spitzbübische Genugtuung und schärft vor allem den Blick für die verallgemeinerbaren, nicht-akzidentiellen Schichten der Problemlage, wenn man sieht, dass nicht nur die Rechtshistorie sich mit derlei Fragen zu plagen hat. a) „rechtsbuch“, „recht-buch“, „speculum“? Die Sprache der Quellen Zunächst ist festzustellen, dass der Blick auf die Sprache der Quellen selbst weitestgehend unergiebig ist, wenn man mit dem Bedürfnis moderner Typen- oder Gattungsbildung an das fragliche Material herantritt. Zwar kennt bereits das Mittelalter die Vokabel an sich. Auch werden unterschiedlichste, heute als Rechtsbücher bezeichnete Texte bereits in den Handschriften als solche tituliert. Diese Titulatur bleibt aber keineswegs einheitlich, blickt man zum Beispiel auf die verwirrende Namensvielfalt, die dem Meißner Rechtsbuch bereits in den Handschriften zugeschrieben wird.43 Ebenso bezeichnen sich eine Reihe von Übersetzungen einzelner lateinischer Rechtsschriften, die wir heute geneigt sind, dem Bereich der so genannten „gelehrten Rechte“, vor allem auch dem Kirchenrecht, zuzuordnen, 42 43
Riha, Wissensorganisation. Einzelnachweise dazu unten, S. 438 ff.
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als „Rechtsbücher“. Und schließlich spricht bekanntlich auch Karl IV. die berühmte Goldene Bulle des Jahres 1356 als ein kaiserliches „recht-puch“ an.44 Es handelt sich also um ein durchaus heterogenes Korpus von mittelalterlichen Texten, die von den Zeitgenossen als Rechtsbücher bezeichnet werden – genau so, wie wir dies bereits für den allgemeinen und den wissenschaftlichen Sprachgebrauch unserer Tage festgestellt haben. Wir finden aber den Begriff auch außerhalb oder doch zumindest an der Peripherie des gemeinhin transportierten Verständnisses von Rechtstexten, wenn beispielsweise einzelne Handschriften die Verdeutschung des „Belial“ Jacobs von Theramo als „rechtbuch“ bezeichnen.45 Spätestens seit Stintzing ist es üblich, die Schrift als „prozessualisches Lehrbuch“ aufzufassen.46 Das hat auch eine gewisse Berechtigung. Norbert Ott hat auf einige Codices hingewiesen, die „[d]ezidierten Rechtsbuch-Gebrauch signalisier[en]“.47 In der Tat legen die Textkonfigurationen einzelner Handschriften den Schluss nahe, dass hier juristische Kompendien geschaffen werden, in die sich auch der literarische Text des „Belial“ ohne weiteres einfügen ließ. In einer Baseler Handschrift heißt es ganz plastisch: „Hie hept sich an ein rechtbuch und ist uß den juristenbüchern gezogen und seit von Jhesu und Belials gericht.“48 Der „Belial“ ist aber zunächst und vor allem einmal ein literarischer Text und durchaus auch nicht stets nur als juristisches Lehrstück wahrgenommen worden. Ebenso lassen sich Kontexte aufzeigen, in denen die Schrift in geistliche und heilsgeschichtliche Zusammenhänge eingeschrieben wird. Es ist das große Verdienst der genannten Studie von Ott, diese mehrfache Inanspruchnahme eingehend beleuchtet zu haben. Auch die zunächst nahe liegende Vermutung, die jeweilige Titulatur könne Hinweise auf die Wahrnehmung des Textes als das eine oder andere vermitteln, läuft bemerkenswerterweise fehl. Mit Blick auf die Verwendung des Begriffes „rechtsbuch“ bzw. „rechtbuch“ in den mittelalterlichen Quellen lässt sich also zusammenfassend sagen, dass er in der Regel dem weiten Begriff eines Buches, das Recht enthält, entspricht, diesen aber teils noch auf solche Bücher ausdehnt, die nicht selbst Recht enthalten, sondern lediglich Recht thematisieren. Dieser Vielfalt mittelalterlicher Bezeichnungen für Rechtstexte unterschiedlichster, durchaus zum Teil aber auch eng verwandter Art ist jüngst 44
Sudendorf, Registrum, Bd. 2, Nr. 102; vgl. dazu auch Kümper, Goldene Bulle. Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte, S. 289, 291 u. ö. 46 Stintzing, Populäre Literatur, S. 259. 47 Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte, S. 184–188. 48 Basel, UB, C III 25, fol. 1r – die Handschriften der C-Signaturen-Gruppe sind bislang noch nicht eingehender beschrieben worden; vgl. bis dahin Ott, Rechtspraxis und Heilsgeschichte, S. 291. 45
II. Die Quellen: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters
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noch Dagmar Hüpper am Beispiel verschiedener Rechtsbücher, vor allem aber des Sachsenspiegels selbst, nachgegangen.49 Gattungstheoretische Erkenntnisse hat sie auf diesem Weg aber leider nicht gewinnen können. Ihre Fragestellung zielt vielmehr auf die dem Sammelband übergeordnete Suche nach Inhalten des Wortfeldes „textus“ ab. Ich möchte aber ihren Beitrag zum Anlass nehmen, einen anderen, dort formulierten Gedanken aufzugreifen. Hüpper nämlich zieht zur Beschreibung des Sachsenspiegels das von Jan und Aleida Assmann entwickelte Konzept eines „kulturellen Textes“ heran:50 Er sei „überhistorisch verbindlich“, in gewisser Weise „kanonisiert“ und er besitze – vor allem mit der Glosse, aber natürlich auch durch die späteren deutschen Rechtsbücher und eine Fülle von Einzelarbeiten – „das Privileg einer Form von Exegese, die den Text durch anreichernde Leseerfahrung auffüllt und auratisiert“.51 Diesen anregenden Gedanken kann man aufnehmen und sich fragen, in wieweit er sich auf die späteren deutschen Rechtsbücher übertragen ließe. Hüpper selbst wendet das Konzept beispielsweise auch auf die Glosse an. Die Frage nach einer möglichen Übertragbarkeit des Konzeptes vom „kulturellen Text“ auf andere Rechtsbücher als den Sachsenspiegel berüht unmittelbar Fragen nach der Gattung selbst. Verneint man nämlich eine solche Möglichkeit – und das wird man nach einem kurzen Blick auf die spätere Rechtsbücherüberlieferung mit wenigen Ausnnahmen (vor allem bezüglich des Schwabenspiegels) wohl tun –, so deutet sich damit ein qualitativer Bruch an, der die Homogenität der Gattung „Rechtsbücher“ grundlegend in Frage stellt.52 Bereits seit dem 19. Jahrhundert hat sich eingebürgert, vom Sachsen-, Deutschen- und Schwabenspiegel, manchmal auch einschließlich des Kleinen Kaiserrechts (sog. „Frankenspiegel“) von „Spiegelrechten“, „Rechtsspiegeln“ oder „Spiegeln des Rechts“ als einer Untergattung der Rechtsbücher zu sprechen.53 Bei den beiden Erstgenannten fußt das bekanntlich auf der tatsächlichen Werkbezeichnung, während die anderen beiden sich selbst nicht als Spiegel, sondern als Kaiserrecht bezeichneten. Das macht in gewisser Weise das gesamte Konzept des Begriffes „Spiegelrechte“ zunichte, weil die Gruppe damit im Falle einer quellenimmanenten Konzep49
Hüpper, Wort und Begriff, bes. S. 232 f. und S. 249 f. Grundlegenden Überblick zum Konzept vermittelt Assmann, Kulturelle Texte – vgl. auch den Beitrag von Jan Assmann im selben Band (S. 270–292). Die kommunikations- und erinnerungstheoretischen Grundlagen, die hinter dem Konzept vom „kulturellen Text“ stehen, sind sehr klar erläutert bei dems., Kulturelles Gedächtnis, S. 29–162. 51 Hüpper, Wort und Begriff, S. 232 f.; vgl. dazu Assmann, Kulturelle Texte, S. 237. 52 Siehe dazu auch unten, S. 38 ff. 53 Munzel, Spiegel des Rechts; Kroeschell, Rechtsspiegel. 50
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tualisierung nur noch aus zwei Werken, dem Sachsen- und dem Deutschenspiegel, bestünde. In der Tat ist die Spiegelmetapher ein gern genutztes Bild vor allem des Hoch- und Spätmittelalters;54 in den allermeisten Fällen handelt sich bei Texten, die sie sich als Titulatur zu eigenen machen, um geistliche oder didaktisch-erbauliche Literatur.55 Bereits Kind führte in seiner Untersuchung über die Rechtsspiegel an, dass „medio aevo mos ferebat, libris nomen speculi dabatur“, und konnte eine Reihe Beispiele dafür aufführen.56 Ob freilich der Begriff „speculatio“ tatsächlich „dazugehörig“ sei, wie Kolb es behauptet,57 und damit auch die Nähe zwischen „speculatio“ und „contemplatio“ im weitesten Sinne auf die Rechtsbücher übertragbar wäre,58 scheint doch fraglich. Noch immer aktuell bleibt jedenfalls Kolbs Klage, ein Versuch, „dem Charakter der mittelalterlichen deutschen Rechtsbücher, die sich diesen Namen [scil. Spiegel] geben, gerecht“ zu werden, sei „bisher nur wenig oder auch gar nicht geschehen. Weder von seiten der germanistischen Rechts- noch von seiten der Literaturgeschichte hat man den Gattungscharakter der sich ‚Spiegel‘ nennenden deutschen Rechtsbücher des hohen Mittelalters in gebührendem Maße berücksichtigt, und so ist man bisher auch wenig zur Einsicht in ihre von der Gattung vorgegebene besondere Struktur und in den Sinn bestimmter Elemente, die sich dem bloß rechtshistorischen Verständnis verschließen, gelangt.“59 Dem ist auch Theuerkauf nur zu einem gewissen Teil gerecht geworden, wenn er versuchte, die Spiegelrechte an einen die gesamte Breite der mittelalterlichen „specula“-Literatur umfassenden Begriff von „speculum“ anzubinden.60 54
Grundlegend Dubreucq, Specula, S. 17–39; für das Spätmittelalter vgl. Bange, Speculum-literatuur sowie dies., Spiegelliteratur. 55 Für ein begrenztes, für unsere Arbeit aber besonders interessantes Sprachgebiet Roth, Spiegelliteratur. Dieser Befund lässt sich aber m. E. generalisieren – vgl. dazu auch die umfassende Studie von Jónsson, Le miroir, die jedoch hauptsächlich die lateinische „specula“-Literatur betrachtet und damit notwendig die Betrachtung auf die literarische Produktion gewisser gesellschaftlicher Eliten, vor allem eben Geistlicher, einengt. 56 Kind, De usu et auctoritate, S. 11. 57 Kolb, Quaestio, S. 291 Fn. 5. 58 Vgl. dazu die Ausführungen bei Chenu, Théologie, S. 306 f. Zur Geschichte der „speculatio“ im Allgemeinen vgl. Largier, Spiegelungen. 59 Kolb, Quaestio, S. 292 f. 60 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 334: „Ein speculum faßt, nach Vollständigkeit strebend, verstreute Texte unter einem Gesichtspunkt, freilich nicht notwendig systematisch, zusammen. Doch regelmäßig wird speculum auch verstanden als Spiegel, der einem anderen vorgehalten wird, als Vor-Bild. Deshalb haben Werke mit dem Titel speculum regelmäßig einen engen Bezug zur Moral und meistens zugleich zum religiös-theologischen Bereich. Die Gemeinschaft, die soziale Schichte, welcher der Spiegel vorgehalten werden soll, kann im Titel dem
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Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass die Spiegelmetapher nicht nur im geistlich-didaktischen, sondern auch im Fachschrifttum des deutschen Mittelalters häuftig als Werktitel genutzt worden ist,61 von den Fürsten- und Ratsspiegeln62 bis hin zu Reuchlins „Augenspiegel“ (1511) bzw. Pfefferkorns „Handspiegel“, auf den ja Reuchlins Schrift erst reagiert.63 In viel größerem Maße aber ist der Titel ein Phänomen der lateinischen und damit der europäischen Rechtsliteratur des Mittelalters: Zu den bekanntesten dieser Rechtsspiegel zählt sicher Durantis’ berühmtes „Speculum iudiciale“.64 Vor allem in der französischen und iberischen Romania entstehen eine Reihe von „specula“ rechtlichen Inhalts,65 so beispielsweise das um 1180 entstandene „Speculum iuris canonici“ des Peter von Blois,66 aber auch der kastilianische, gelegentlich König Alfons X. zugeschriebene „Espéculo“67 oder der anglonormannische „Mireur a Justices“.68 Von hier aus fällt der Wort speculum als Genitiv beigefügt werden. An diesen Typ des Titels schließt sich auch das Speculum Saxonum an.“ – vgl. auch die abgrenzende Beschreibung der Gattungen lex und compendium iuris, ebd., S. 104–106 und S. 335–338. 61 Das VerfLex2 9 (1995), Sp. 92–138 weist alleine knapp fünfzig Einträge deutschsprachiger Schriften unterschiedlichster Couleur nach, die unter dem Titel „Spiegel“ firmieren. Dazu zählt bemerkenswerterweise auch der so genannte Schwaben-, nicht aber der so genannte Frankenspiegel (Kleines Kaiserrecht). 62 Die einschlägige Literatur dazu bei Signori, Schädliche Geschichte(n). 63 Über diese Schriften, ihre Anlage und die einschlägige Literatur informiert Ackermann, Reuchlin, S. 178–199. 64 Eingehend dazu Colli, Speculum iudiciale. 65 Vgl. Gagnér, Ideengeschichte, S. 319 f., S. 324 und S. 347. 66 Darüber vgl. Schulte, Geschichte, Bd. 1, S. 207 f. 67 Eine neuere Edition mit eingehender Einleitung hat MacDonald, Espéculo, vorgelegt. Auf dem „Espéculo“ basiert auch der „Fuero real“, auf diesen beiden wiederum die „Siete Partidas“ – vgl. dazu unten, S. 33. Einen guten Überblick über die Kodifikationsbemühungen Alfons’ X. geben Craddock, Legislative Works, und die Rechtsgeschichte von González, Manual, S. 261–274. 68 Einen guten Überblick vermittelt Seipp, Mirror of Justices. Die ältere Edition von Horn, Mirror of Justices, ist von der zeitgenössischen Kritik aus bemerkenswerten Gründen abgelehnt worden; vgl. nur die Besprechung im Columbia Law Review 9 (1904), S. 309–311, hier S. 309: „[. . .] The Mirror is so discredited that although it might be reprinted in a collection of legal curiosities, it is clearly out of place in a legal classic series, for it is a sheer misuse of words to term that a law book which does not reflect or ‚mirror‘ the law of any one time or place. Its study gives no insight into the origin of English law, nor does it expose or expound the system of English law before or after the Conquest, or in force during the reign of Edward the first, the period of its composition. It did not predict or outline the course of legal development in any way and it has had little or no effect upon bench, bar or legal writers.“ Von Seiten der deutschen Rechtsquellenlehre ist der Bezug zur Rechtswirklichkeit m. W. nie explizit als Charakteristikum eines Rechtsbuches diskutiert worden, schwingt aber in der Frage nach deren „gesetzesähnlicher Geltung“ (vgl. S. 38 ff.) natürlich mit.
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Übergang zu unserem nächsten Problemfeld umso leichter: Der in der älteren Literatur vertretenen Auffassung von den Rechtsbüchern als spezifisch germanisch-deutsches Phänomen. b) Rechtsbücher als spezifisch deutschrechtliches Phänomen? Wir haben bereits oben festgestellt: Der Begriff „Rechtsbuch“ ist keineswegs für die rechtshistorische Germanistik reserviert. Den Romanisten bekannt ist beispielsweise das wohl der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstammende so genannte „Tübinger Rechtsbuch“, das an einzelne „sedes materiae“ des Corpus Iuris Civilis anknüpft und diese durch weitere Argumente und Kommentare erweitert, auch die einschlägigen Belegstellen dazu zusammenstellt.69 Tatsächlich handelt es sich auch hierbei um eine „Privatarbeit“, die für das Rechtsleben und wohl auch aus dem Rechtsleben Südfrankreichs heraus verfasst worden ist und den Anspruch erhebt, praktiziertes Recht darzustellen, ohne dass sich ein Autor durch Namensnennung für die Darstellung als verantwortlich und seine Arbeit damit zur juristischen Fachliteratur erklärte. Wir könnten also in diesem Fall mit gewissem Recht von einem „romanistischen Rechtsbuch“ sprechen. Mitunter ist aber die überkommene, strenge Dreiteilung der Rechtshistorie in einen germanistischen, einen romanistischen und einen kanonistischen Zweig nur sehr bedingt geeignet, klassifizierend an mittelalterliches, zumal volkssprachliches Material heranzutreten.70 Dass diese Dreiteilung 69
Zur Arbeitsweise des Verfassers vgl. eingehend Weimar, Tübinger Rechtsbuches, S. 16–19 und Conrat, Geschichte, S. 420–549, bes. S. 437–448. Zum auf dem Tübinger aufbauenden, singulär überlieferten „Grazer Rechtsbuch“ vgl. Zotter/ Sutter, Rechtsbücher, S. 7. Hier scheint die Namensgebung lediglich auf Analogieschluss aus dem zugrunde liegenden Werk zu beruhen. 70 Klare Worte hat hier bereits Moeller, Trennung, S. 68 gefunden: „Die Rechtsgeschichte nimmt für sich so gut wie jede andere Disziplin das Recht in Anspruch und hält es zugleich für ihre Pflicht, ihr Forschungsgebiet aus eigener Machtvollkommenheit abzustecken, ihre Methoden in ihrem eigenen Interesse auszugestalten, ohne danach zu fragen, ob das dem Dogmatiker des Privatrechts oder des Staatsrechts oder sonst wem passt oder genehm ist oder nicht. Der alte immer wieder von den Dogmatikern geführte Streit, ob man Rechtsgeschichte um ihrer selbst oder nur um ihres praktischen Nutzens willen erfroschen, lehren und lernen dürfte, sollte endlich zur Ruhe kommen.“ – Moellers schmales Bändchen, ein eindringliches Plädoyer für die Erweiterung zur „Universalrechtsgeschichte“, ist leider bislang kaum zur Kenntnis genommen worden. Landsberg spottete in seiner Besprechung [in: ZRG GA 27 (1906), S. 334 f.], es werde wohl nur in seltensten Fällen ein Einzelner beide Stoffgebiete hinreichend durchdringen; das „braucht aber Verf., wenn er sich so stark umspannende Leistungskraft zutraut, nicht von einem Versuch abzuhalten; andere werden sicherer gehen, indem sie sich auf eines der beiden so verschiedenen Forschungsgebiete beschränken.“
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oftmals mehr hinder- als förderlich sein kann, ist bereits verschiedentlich angemerkt worden und gehört derzeit beinahe zum guten Ton der untereinander kooperativ gestimmten Subdisziplinen. Dennoch bleibt man im konkreten Einzelfall, bei der Untersuchung des konkreten Textes also, noch immer auf der Suche nach „gelehrt-rechtlichen“, nach „römisch-rechtlichen“ oder nach „deutsch-rechtlichen“ Elementen, um das jeweilige Objekt der Untersuchung klassifizieren zu können. Wenn es aber um die Klassifikation und Typologie von Rechtstexten geht, so handelt sich die rechtsgeschichtliche Quellenkunde unüberbrückbare Schwierigkeiten ein, geht sie weiterhin nicht von einem Text-, sondern von einem solchen „Sphärenbegriff“ aus, der versucht, einzelne Objekte den jeweiligen Rechtsspähren oder jeweils angenommenen, als solche wieder reichlich numinosen Zwischenbereichen und Schnittmengen zuzuordnen.71 Ein gangbares Gegenmodell freilich bleibt noch immer Desiderat. Wichtig dabei wäre jedoch, aus dem Material und aus den materialimmanenten Charakteristika heraus zu einer Systematik zu kommen und nicht umgekehrt, aus einer idealtypischen Zuordnung weiter ins Detail – und damit in vor allem an den Peripherien kaum mehr entstrickbare Widersprüche – fort zu schreiten. Für derlei Plädoyers aber ist dies nicht der Ort. Womit sich dieses Unterkapitel zu beschäftigen hat, ist die Frage nach dem vermeintlich typisch deutschrechtlichen Charakter der Rechtsbücher, der ihnen von der älteren Forschung noch unterstellt worden ist. In den letzten Jahren ist es zu einem gern gehörten Wort geworden, den Sachsenspiegel als ein „europäisches Rechtsbuch“ zu bezeichnen.72 Das hat – zumal, wenn man, wie das dann in der Regel auch geschieht, dessen Verbindung mit dem Magdeburger Recht ebenso mit betrachtet – natürlich einiges für sich.73 Das allein stellt aber dessen „deutschrechtlichen“ Charakter oder den seiner Derivate, Bearbeitungen und Nachfolger noch nicht zur Disposition. Zu fragen wäre vielmehr, ob sich außerhalb des deutschen Sprach- und jenes idealtypisch angenommenen deutschen Rechtsbereiches Texte finden lassen, die vergleichbare Strukturen zu den von uns als „Rechtsbücher“ bezeichneten Denkmälern aufweisen. Dabei wäre vor allem die Autorität der jeweiligen Aufzeichnung und die Quellen dieser Autorität, sodann das Verhältnis zur herrschaftlichen, in der Regel also königlichen, Rechtsetzung, und schließlich, soweit erschließbar, der Einfluss des jeweiligen Werkes zu unter71
Vgl. dazu auch Kümper, Legal Texts. Schneider, Daz ein Recht mac vromen. 73 Jüngst noch Müller, Sachsenspiegel sowie die lehrreiche Filmdokumentation „Das Magdeburger Stadtrecht und seine Ausbreitung in Osteuropa“, herausgegeben von der Fachhochschule Magdeburg-Stendal und der Bundeszentrale für politische Bildung, Magdeburg 2006, an der sich namhafte Forscher wie Danuta Janicka und Heiner Lück beteiligt haben. Grundlegend ansonsten bereits früh Timm, Magdeburger Recht. 72
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suchen. Eine solche Sichtung systematisch durchzuführen und einmal nach vergleichbaren Elementen in der Literaturgeschichte der mittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen zu fragen, trüge sicherlich manches zu unserem Verständnis der vormodernen europäischen Rechtskultur bei, ist hier aber weder möglich noch angemessen. So beschränken wir uns auf einige mehr oder minder willkürlich ausgewählte Beispiele.74 Unser erster Schritt führt uns dabei räumlich und zeitlich nicht sehr weit: Wohl wenig vor oder sogar zeitgleich zu Eikes Rechtsbuch entstand zwischen 1215 und 1227 im Friesländischen das Rudolfsbuch, ein „wonderlijk amalgama van rechtsbepalingen en historische of quasi-historische beschouwingen over het onstaan en de heiligheid van het recht in’t algemeen“.75 Der unbekannte Verfasser wohl geistlichen Stands bezieht sich hier, ganz ähnlich wie beispielsweise das Kleine Kaiserrecht, auf die Autorität des Königs; in diesem Fall bemerkenswerterweise auf diejenige des zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehr als einem Jahrhundert verstorbenen Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden († 1080). Das Buch birgt eine Reihe bemerkenswerter Gedankengänge und wäre sicher einmal einer näheren Untersuchung wert, ist aber bisher kaum von der jüngeren Forschung, zumal der rechtshistorischen, in den Blick genommen worden. Nicht einmal die gängigen Nachschlagewerke verzeichnen es. So ist auch über die Wirkung des Rechtsbuches, sei es auf die Rechtspraxis, sei es in literaturgeschichtlicher Hinsicht, nichts Näheres bekannt. Die autoritativen Quellen aber gibt der Redaktor des Rechtsbuches selber an: „ic habbe in dera keisara boekum ende in des paus boeke langhe socht“.76 Im seeländischen Bereich des dänischen Reichs gehen dem 1241 auf dem Vordingborger Reichstag durch Waldemar II. erlassenen „Jyske Lov“77 zwei von der Rechtsgeschichte vergleichsweise stiefmütterlich behandelte Privataufzeichnungen, nämlich Eriks „Sjaellandske Lov“78 und Waldemars 74
Weitere Beispiele bei Schott, Sachsenspiegel als Rechtsbuch, S. 27 f.; Gagnér, Ideengeschichte, S. 302–307 und Dobozy, Saxon Mirror, S. 29 f., die aber alle im Wesentlichen dieselben Werke behandeln. Zu fragen bliebe auch, ob es opportun sei, bei einer solchen Betrachtung die lateinischen Aufzeichnungen, beispielsweise Glanvilles „Tractatus de legibus et consuetudinibus regni Angliae“ (um 1187/90), einzubeziehen. 75 Bos-van der Heide, Rudolfsboek, S. 11. Der Text ist zusammen mit einer hochdeutschen Übertragung leichter greifbar bei Ebel/Buma, Westerlauwerssches Recht, S. 350–384 (cap. 17). 76 Bos-van der Heide, Rudolfsboek, S. 90. 77 Skautrup et al., Danmarks gamle landskabslove, Bd. 2 (dt. Übersetzung: See, Jütsches Recht). Neuere Literatur bei Strauch, Jydsk Lov. 78 Skautrup et al., Danmarks gamle landskabslove, Bd. 5 (dt. Übersetzung: Schwerin, Dänisches Recht, S. 1–156). Grundlegend zu den dänischen Landschaftsrechten Wührer, Dänische Landschaftsrechte.
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„Sjaellandske Lov, Arvebog og Obrodemål“ („Seeländisches Recht von Erbe und unbüßbaren Sachen“),79 voran. Im Schonischen dagegen kannte man das „Skånske Lov“ in dänischer Sprache sowie eine bemerkenswerte lateinische Paraphrase („Liber Scaniae“) aus der Feder des Lunder Erzbischofs Andreas Suneson.80 In den 1290er Jahren werden ferner auch die schwedischen Landschaftsrechte Westgötalagh, Ostgötalagh und Upplandslagh aufgezeichnet. Wie es um die Quelle der Autorität dieser und vieler anderer nordischer Rechtsaufzeichnungen und die Verbindung zur königlichen Gesetzgebung bestellt ist, kann oft nicht mehr ganz eindeutig gesagt werden; vielfach bleibt auch der Verfasser unbekannt. Einige sind wohl aus dem Vortrag des Gesetzessprechers heraus aufgezeichnet worden.81 Der Upplandslagh aber beispielsweise ist noch 1296 nachträglich von König Birger Magnusson redigiert und bestätigt worden.82 Aus dem Norden zurück blicken wir in die Romania, zunächst nach Frankreich, wo in den unterschiedlichen Regionen während des 13. Jahrhunderts Rechtsbücher in rascher Folge entstehen: Die Reihe der Aufzeichnungen von Rechtsgewohnheiten („coutumes“) beginnt hier wohl wenige Jahre bevor Eike die Feder zu seiner lateinischen Urfassung des Sachsenspiegels ansetzt. Zwischen 1218 und 1222 entsteht der „Très Ancien Coutumier“, der ebenso wie Eikes Arbeit beinahe unmittelbar nach seiner Entstehung in die Volkssprache übertragen wird.83 Um 1260, während der Regierungszeit Ludwigs des Heiligen also, entstand aus unbekannter Hand der „Livre de Jostice et de Plet“.84 Fragt man hier nach dem Bezug zu königlicher Autorität, so lässt sich ein seltsamer Umstand feststellen: Der anonyme Verfasser nämlich versucht, die „Verwendung des römischen Rechts zu verheimlichen [. . .]. So werden Konstitutionen römischer Kaiser als solche französischer Könige, Fragmente römischer Juristen unter dem Namen bekannter französischer Baillis zitiert.“85 Nur wenige Jahre jünger sind 79 Skautrup et al., Danmarks gamle landskabslove, Bd. 7 (dt. Übersetzung Schwerin, Dänisches Recht, S. 157–194). 80 Skautrup et al., Danmarks gamle landskabslove, Bd. 1, 2 (dt. Übersetzung der lateinischen Paraphrase bei Begerow, Paraphrase, Teil C, S. 1–108). In Teil A seiner Dissertation, S. 11–15, kündigt Begerow unter der Überschrift „Andreas Sunesons Paraphrase als germanisches Rechtsbuch“ auch einige grundlegende Gedanken zu typologischen Fragen an, die er dann jedoch schuldig bleibt. Man wird aber sowohl die Vorlage als auch die Paraphrase durchaus als ein Rechtsbuch ansehen dürfen. Bemerkenswert ist Sunesons Arbeit im Übrigen vor allem dadurch, dass sie in vielen Fällen die Gewohnheiten und Rechte Schonens nicht nur aufzeichnet, sondern auch ihre Motivation, Begründung oder Notwendigkeit darzulegen sucht. 81 Vgl. dazu Strauch, Rechtsfortbildung. 82 Erhardt, Upplandslagh, Sp. 1276. 83 Besnier, Coutume, S. 53 f.; Gagnér, Ideengeschichte, S. 303. 84 Rapetti, Livres – zur Sache vgl. Bühler, Rechtsquellenlehre, Bd. 1, S. 101 f.
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schließlich die berühmten „Coutumes de Beauvaisis“ (1283)86 des Philippe de Beaumanoir († 1296).87 Zwischen diesem und Eikes Rechtsbuch hat Bernd Dollmann einen umfassenden, wenn auch in manchen Details diskutablen Vergleich unternommen.88 Interessant ist im Vergleich mit den deutschen Quellen das Rechtsfindungsverfahren der Coutumes, die „enquête par turbe“.89 Denn zunächst einmal handelt es sich dabei um ein Beweismittel innerhalb des Verfahrens, das der Feststellung einer Rechtsgewohnheit dient. Vom Zeugenbeweis unterscheidet es sich maßgeblich dadurch, dass seine Anwendung nicht in der Hand der Parteien lag, sondern seine Anordnung Privileg des Königs bzw. seiner Amtsträger war. So ergibt sich im Verfahren der „enquête“ eine Brücke zwischen Rechtsgewohnheit und hoheitlicher Machtbefugnis, die sich bei den deutschen Rechtsbüchern so nicht finden lässt. Mit Blick auf diesen Umstand ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn sich unter den Verfassern der französischen Rechtsaufzeichnungen immer wieder „baillis“ (so auch Philippe de Beaumanoir), königliche Richter also, und auch gelehrte Juristen finden, die zumindest im Umfeld des Königshofes zu verorten sind.90 Das macht die Trennung zwischen hoheitlich inspirierter Arbeit und vollständig aus eigenem Antrieb verfasster „Privatarbeit“ oft schwierig. Wohl aus ähnlichen Gründen kontrastiert beispielsweise Johanek in seinem Artikel im „Lexikon des Mittelalters“ auch die „echten“ Rechtsbücher,91 wie den „Fuero Vieja de Castilla“92 oder den erst seit einigen Jahren in einer kritischen Edition greifbaren katalanischen „Llibre de 85
Odenheimer, Verdrängung, S. 162. Die heute einschlägige Ausgabe hat Salmon, Coutumes vorgelegt; eine englische Übersetzung bei Akehurst, Coutumes. 87 Kümper, Beaumanoir; Stein, Conjectures hat im Übrigen versucht, Philippes Vater, Philippe de Rémi, als den Verfasser des „Livre de Jostice et de Plet“ zu identifizieren, hat sich mit dieser Ansicht aber nicht durchsetzen können; dagegen vgl. Mitteis, Germanische Grundlagen, S. 163. 88 Dollmann, Coutumes de Beauvaisis und Sachsenspiegel. Es ist jedenfalls sicher weder Anliegen noch Ertrag dieser Studie, nach „den Grundkräften von Vernetzungsprozessen durch Migration, Handel, Umwelt und Kulturtransfer fragen“, wie das Schulz, Netzwerke und Normen, S. 6 Fn. 16 behauptet. 89 Waelkens, Enquête par turbe; ausführlich dazu auch Bühler, Rechtsquellenlehre, Bd. 1, S. 34–53. Für Bühler nimmt die Figur der „Enquête“ eine zentrale Rolle in der Entwicklung von der oralen zur schriftlichen Rechtskultur ein. 90 Bühler, Rechtsquellenlehre, Bd. 1, S. 54–64. Bemerkenswert im Vergleich mit dem deutschsprachigen Raum ist in dieser Hinsicht auch die Studie von Vollrath, Ordnungsvorstellungen, die der Frage nachgeht, „ob der Vorsprung Frankreichs in Intellektualität und Wissenschaft eine Entsprechung in der politischen Mentalität hatte“ (S. 33). 91 Johanek, Rechtsbücher, Sp. 519–521. 92 Dazu jetzt Planas/Manso, Fueros; vgl. ferner Meijers, Fueros. 86
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Costums de Tortosa“,93 mit den in königlichem Auftrag erstellten Gesetzbüchern, wie den „Siete Partidas“ König Alfons’ X. von Kastilien (ca. 1256/68), denen allerdings wiederum ein Stadtrechtsbuch („Fuero Real“) von 1252/55 und ein Landrechtsbuch („Libro de las Leyas“) von 1256/58 vorausgehen.94 Juan Beneyto hat die iberische Rechtsentwicklung der Zeit zusammenfassend so beschrieben: „La autoridad publica, ante de establecer el Derecho por una voluntad configurada come ley, se interfiere en los tres anteriores procesos (usus terrae, jurisprudencia, doctrina) mediante mecanismos que pueden sernos utiles, en el cual surge un precepto juridico.“95 In der Tat zeigt sich am Beispiel der iberischen Halbinsel sehr gut: Parallel zu den volkssprachlichen Privataufzeichnungen entsteht gerade in den herrschaftlich stark fragmentierten Gebieten auch eine hoheitlich inspirierte Kodifikationsbewegung, die Gerinot auf eine handliche Formel gebracht hat. Für solche Königreiche und Fürstentümer sei „l’unification juridique [. . .] un élément fondamental de l’unification politique“.96 Das gilt aber nicht nur für die iberische Halbinsel. In Frankreich beispielsweise bemüht sich König Ludwig IX. (der Heilige), so die einschlägige Forschungsmeinung, mit der „Réformation des moeurs“ von 1254 um eine Festigung seiner Position gegenüber Adel und Ritterschaft.97 Und auch in Nordeuropa setzt mit dem „Jyske Lov“ König Waldemars II. von Dänemark (1241), dem „Landslög“ König Magnus Lagaboetirs („der Rechtsbesserer“) von 1274 in Norwegen98 und dem isländisch „Jónsbók“ (1281)99 eine Welle von Kodifikationen ein. Das 13. Jahrhundert ist, wie Hattenhauer sehr treffend festgestellt hat, das europäische „Jahrhundert der Rechtsaufzeichnungen“.100 Wir können aber noch einen Schritt weiter gehen. Offenbar nämlich sind Rechtsbücher, wenn wir uns auf den bisher formulierten Rechtsbuchbegriff einlassen wollen, kein rein europäisches Phänomen: So sind aus der Zeit des kleinarmenischen (kilikischen, also noch nicht byzantinischen) Reiches 93
Fonollosa, Costums de Tortosa. Seit einigen Jahren sind die Siete Partidas auch in englischer Übersetzung von Burns/Scott, Siete partidas, greifbar. Zur Sache vgl. den Überblick von Scheppach, Siete partidas, und die grundlegenden Überlegungen von Martín, Siete partidas, S. 21–34. 95 Beneyto, Clasificación, S. 268. 96 Genicot, La lois, S. 51 – ganz ähnlich übrigens auch Gagnér, Ideengeschichte, S. 319, der von einer „bestimmten unifikatorischen Tendenz“ des Fuero Real spricht. 97 Gagnér, Ideengeschichte, S. 316. 98 Anon., Leges Gula. 99 Fix, Jónsbók. Eine englische Übertragung war bereits für 2007 von Jana K. Schulman angekündigt, ist aber bis zum Frühjahr 2009 noch nicht erschienen. 100 Hattenhauer, Rechtsgeschichte, S. 322–326. 94
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insgesamt drei, aus späterer Zeit eine noch nicht näher bezifferte Zahl von Rechtsbüchern (in dem bisher erarbeiteten, sehr unscharfen Sinne) bekannt, die alle in mehr oder weniger großem Umfang auf die um 1200 entstandene Arbeit des Miht’ar (gest. 1213)101 zurückzuführen sind und dann in zunehmendem Maße vom römischen und byzantinischen Recht durchdrungen werden.102 Äußerlich scheint es sich also um ein der Verbreitung und Adaption des Sachsenspiegels sehr ähnliches Phänomen zu handeln. Wir fassen zusammen: Gagnérs Wort von einem „Drang zur Kodifikation“103 scheint durchaus seine Berechtigung zu haben. Aber eben nicht nur zur Kodifikation, sondern zur Rechtsaufzeichnung insgesamt – ja, man könnte für den deutschen Sprachraum tatsächlich mit Eckhardt den Eindruck gewinnen, es habe gleichsam „in der Luft gelegen“, ein Rechtsbuch in deutscher Sprache zu verfassen.104 Das hat auch in weiterem, europäischem Rahmen als Beobachtung viel für sich, blickt man auf die in der Tat bemerkenswerte Zahl neu entstehender, oft volkssprachlicher Rechtstexte in dieser Zeit. Erklärt ist damit aber noch nichts. Und in der Tat ringt man bis heute mit einer angemessenen Deutung dieses Phänomens. Die Verbindung mit dem Aufleben der Rechtswissenschaft in den italienischen Kommunen, wie Biener sie aufmachte, ist im Einzelfall – und so ja auch mit Blick auf den Sachsenspiegel – kaum überzeugend.105 Einleuchtender, aber für Eikes Rechtsbuch ebenso wenig nachzuweisen, ist das große Vorbild des Decretum Gratiani von 1140, dessen Gedanken vom „ius“ als „consuetudo in scriptis redacta“ durchaus im europäischen Kontext eine Reihe von Rechtsaufzeichnungen beeinflusst haben dürfte.106 Wie man sich das im Einzelnen praktisch vorzustellen haben wird, bliebe zwar vielfach noch zu klären. Eine viel bessere Erklärung hat man aber bis heute nicht gefunden. Auch Horn formuliert noch vorsichtig, die „Ausbreitung der gelehrten Rechte“ habe „vielfach den Anstoß zur Aufzeichnung des einheimischen Rechts“ gegeben, oder doch „oft das begriff-technische Rüstzeug dazu“ gegeben; allerdings könne „jedenfalls nach dem heutigen Kenntnisstand nicht durchweg ein kausaler Zusammenhang konstruiert werden“.107 101
Kritische Edition von T’orosyan, Mhit’ar Goš. Überblick bei Kaufhold, Übersetzer, S. 4 f. (Nrn. 3–6). 103 Gagnér, Ideengeschichte, S. 288 – zu den europäischen Rechtsbüchern S. 302–307. 104 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 35. 105 Biener, Opuscula, Bd. 2, 1, S. 203. 106 Friedberg, Corpus Iuris Canonici, Bd. 1 – eine Neuedition ist seit längerem geplant; vgl. auch Weigand, Edition. Über Entstehung und Struktur des Dekrets vgl. Winroth, Gratian’s Decretum. Eine eindrückliche Würdigung erfährt die breite Wirkung des Dekrets bei Landau, Quellen und Bedeutung. Einen guten Literaturüberblick gibt schließlich Werkmeister, Études. 102
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c) Rechtsbücher als „Privatarbeit“? Am französischen und iberischen Beispiel ist deutlich geworden: Es sind eine Reihe von Konstellationen denkbar, die eine Entscheidung, ob der Abfassungsanlass einer bestimmten Rechtsaufzeichnungen nun privater oder hoheitlich-offiziöser Natur gewesen ist, schwer machen. Das berührt noch nicht einmal den durchaus häufigen Fall, dass über die Entstehung eines fraglichen Werkes überhaupt nichts Näheres bekannt ist. Es ist vielmehr ein schon öfter beklagter Umstand, dass „bislang kein geeignetes Kriterium entwickelt worden“ ist, mittelalterliche „Privatarbeiten vom ‚gesetzten‘ Recht abzugrenzen“.108 Das ist noch immer so. Aus solcher Unsicherheit heraus sind eine Reihe oft seltsam widersprücherlicher Konstruktionen, wie beispielsweise Gunias unglückliches Wort von der „privaten Kodifikation“, geboren worden.109 Mitunter berührt die Frage nach dem „privaten“ Charakter mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen nicht nur den engeren Materialkreis jener Werke des 13. bis 15. Jahrhunderts, die trotz aller definitorischen Probleme die Mehrzahl der Rechtshistoriker geneigt ist, als „Rechtsbücher“ zu bezeichnen. So ist Eva Schumacher unlängst der Frage nachgegangen, ob die Lex Baiuvariorum als Auftrags- oder Privatarbeit anzusehen sei,110 und spricht dabei im Übrigen wie selbstverständlich auch von dem Volksrecht als von einem „Rechtsbuch“.111 Entgegen der These Eckhardts,112 die kürzlich auch Landau wieder aufgegriffen hat,113 derzufolge die Lex Baiuvariorum als der Versuch einer umfassenden Rechtsreform des Bayernherzogs Odilo zu werten sei, hat sie sich wieder Beyerles Ansicht von einer Privatarbeit aus klerikalem Umfeld angeschlossen.114 In der Tat müsste, will man am Begriff der „Privatarbeit“ als fixes Charakteristikum eines Rechtsbuches festhalten, der Rechtsbuchbegriff selbst wohl um eine große Zahl weiterer Arbeiten ganz unterschiedlicher Provenienz und ganz unterschiedlichen Alters erweitert werden. 107
Horn, Legistische Literatur, S. 346. Oppitz, Meißner Rechtsbuch, S. 104. 109 Gunia, Leihezwang, S. 1. 110 Schumann, Lex Baiuvariorum, S. 307–314. 111 Das ist keine ganz ungewöhnliche Terminologie für die Volksrechte. So bemerkt beispielsweise auch Hartmann, Recht, S. 266, das „bairische[.] Rechtsbuch[.]“ zeige „einen fortgeschrittenen Stand des juristischen Denkens“. Siehe auch unten, S. 35 Anm. 114. 112 Eckhardt, Lex Baiuvariorum, S. 57 f. und S. 68. 113 Landau, Lex Baiuvariorum, S. 51 u. ö. 114 Beyerle, Lex Baiuvariorum, S. LXIV f., der im Übrigen feststellt, die Lex sei „kein Volksrecht“, kein „Herzogsgesetz“ und „kein fränkisches Königsgesetz“, sondern ein „kirchlich inauguriertes Rechtsbuch“. 108
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Will man das nicht in Kauf nehmen, so scheint kaum ein Weg daran vorbeizuführen, sich vom Begriff „Privatarbeit“ als solchem zu verabschieden. Das trifft in gewisser Weise den Kern einer Diskussion, die in den letzten Jahrzehnten in großer Breite und unter Beteiligung vieler historischer Fachrichtungen geführt worden ist: die Frage, was man sich eigentlich im Mittelalter unter „Öffentlichkeit“ vorzustellen habe.115 An sich scheint es hinlänglich dargelegt und weitgehend akzeptiert, dass die strenge Unterscheidung zwischen „öffentlich“ und „privat“ für die mittelalterliche Geschichte eher hinder- denn förderlich sei.116 Dabei hat man sich vor allem an der Habermasschen Habilitationsschrift abgearbeitet, jener „meistzitierte[n] Negativfolie für Revisionsversuche in den historischen Kulturwissenschaften“ und zugleich „wirkmächtigste[n] Konstruktion zur Beschreibung von Öffentlichkeit in der Vormoderne“.117 Habermas zufolge lässt sich Öffentlichkeit „als ein eigener, von einer privaten Sphäre geschiedener Bereich [. . .] für die feudale Gesellschaft des hohen Mittelalter soziologisch, nämlich anhand institutioneller Kriterien nicht nachweisen“; vielmehr bestehe „eine öffentliche Öffentlichkeit“ als Repräsentation von Herrschaft, die „nicht als ein sozialer Bereich, als eine Sphäre von Öffentlichkeit“ bestehe, sondern „so etwas wie ein Statusmerkmal“ sei.118 In Weiterentwicklung dieses Ansatzes hat Lucian Hölscher Ende der 1970er Jahre eine Theorie der „Öffentlichkeit als soziales Ordnungsprinzip“ entwickelt. Obwohl seine Studie, die der Mediävistik Öffentlichkeit als historische Kategorie grundsätzlich zu entreißen scheint, oftmals nur stark verkürzt rezipiert und entsprechend zu vorschnell und mit fehlgeleiteten Argumenten abgelehnt worden ist,119 bleibt die klare Feststellung Hölschers kaum mißzuverstehen, dass diese Form der Öffentlichkeit „erst zur Zeit der Aufklärung entdeckt“ worden sei.120 Ganz ähnliche Ideen 115 Einen guten Einstieg aus mediävistischer Sicht bietet Haverkamp, Öffentlichkeit. Ausgiebig und auf breiter Literaturbasis steckt das Feld in viele Richtungen Moos, Das Öffentliche, ab. 116 Alle wesentlichen Argumente bereits bei Brunner, Land und Herrschaft, S. 122–133, der die Diskussion aus der für das Mittelalter anachronistischen Trennung von öffentlichem und Privatrecht heraus entwickelt. 117 Freise, Raumsemantik, S. 9. 118 Habermas, Strukturwandel, S. 18 f. (§ 2). 119 Vorschnell (wenn auch nicht von mediävistischer Seite) auch die Kritik an Hölscher bei Liesegang, Öffentlichkeit; vgl. dazu meine Besprechung im VormärzJahrbuch 10 (2004), S. 520–522. In den weiteren Kontext von Hölschers Überlegungen müsste man an sich auch seine Arbeit über die Entstehung begrifflich fixierter Zukunftskonzepte (Hölscher, Entdeckung) einbeziehen, in der er feststellt, dass der Begriff Zukunft überhaupt erst seit dem 18. Jahrhundert von den Quellen in dem uns vertrauten Sinne verwandt wird (S. 36 f.). Diese Zeit begreift er insgesamt als eine bedeutsame mentalitätsgeschichtliche Umbruchsepoche, deren einzelne Dimensionen nur sehr schwer getrennt betrachtet werden können. 120 Hölscher, Öffentlichkeit und Geheimnis, S. 11; vgl. auch ders., Öffentlichkeit.
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finden sich allerdings bereits in den Studien Georg Ludwig von Maurers über die Entwicklung der genossenschaftlichen Rechtsbildung hin zur hoheitlich-öffentlichen Gewalt,121 die im Wesentlichen einen Prozess sozialer Ausdifferenzierung im öffentlichen Raum, der durch Recht strukturiert wird, beschreiben. Dem Rechtshistoriker ist die Publizität des Verfahrens, die von der Germanistik des 19. Jahrhunderts wie so Vieles zum System („Publizitätsprinzip“) erhoben wurde,122 natürlich gut bekannt.123 Hier zeigt sich dann aber das grundsätzliche Problem, das sich gerade der deutschsprachigen Forschung mit dem Öffentlichkeitsbegriff stellt: „Publizität“ nämlich verweist nicht umsonst auf eine engere Bindung an das lateinische Stammwort „publicus“, aus dem letztlich auch der deutsche Begriff „Öffentlichkeit“ sich ableitet. Im deutschen Begriff überlagert sich diese Bedeutung im Sinne von „amtlich“ oder „offiziell“, die auch von den Entsprechungen anderer europäischer Sprachen durchweg betont wird, ferner mit der spezifisch deutschsprachigen Konnotation ex negativo, eine Sache oder ein Umstand sei gerade nicht „heimlich“ oder „verborgen“ – eben „privat“. Größere Probleme noch als der Begriff der Öffentlichkeit gibt also der Begriff der Privatheit der Mediävistik auf; gerade, wenn man sich über die Charakterisierung eines bestimmten literarischen Werkes als „Privatarbeit“ versichern möchte. Hier hat vor allem der Literaturwissenschaftler Rüdiger Brandt in seiner Essener Habilitationsschrift Grundlegendes geleistet, in der er sich auf breiter Quellengrundlage bemüht hat, „ein gewisses Spektrum an Zwischenwerten und Differenzierung“ mittelalterlicher Erscheinungen von Nicht-Öffentlichkeit, nämlich unter anderem „halböffentlich, gegenöffentlich, heimlich, vertraulich, vertraut, intim, privat, legitim, illegitim, ehrlich, unehrlich usw.“, aufzuzeigen.124 Solche Etikettenvielfalt täte der Erkenntnisfindung natürlich vor allem in Gattungsfragen, die ja notwendig zur Verallgemeinerung, oder doch zumindest zur Verallgemeinerbarkeit, drängen, nicht viel Gutes. Als oft geübter Ausweg aus dem Dschungel solcher Feinskalierungen bleibt dann nur die modellhafte Unterscheidung dichotomer Grundkategorien (bspw. „offen < > „verborgen“), die für unsere Frage nach der spezifischen Charakteristik eines Rechtsbuches, das offenbar nicht in hoheitlichem Auftrag entstanden ist, wenig beizutragen haben.
121 Vgl. dazu eingehend Böckenförde, Verfassungsgeschichtliche Forschung, S. 134–147. 122 Einflussreich noch Meyer, Publizitätsprinzip; vgl. dazu die Besprechung von Adolf Schultze in der ZRG GA 31 (1910), S. 641–651. Dort schon einige wesentliche Kritikpunkte. 123 Vgl. nur Cordes, Publizität. 124 Brandt, Enklaven – Exklaven, S. 303 – zur Spezifik mittelalterlicher Nichtöffentlichkeiten gegenüber modernen Modellen vgl. ebd., S. 14 f.
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Letztlich führt also wohl kaum ein Weg an der für gattungstheoretische Bedürfnisse resignierenden Einsicht vorbei, dass mittelalterliche Öffentlichkeit und Privatheit ebenso segmentiert begriffen werden muss, wie es die mittelalterliche Gesellschaft seit langem wird. Für unsere Belange bliebe dann festzuhalten: In dem so skizzierten Sinne ist gesellschaftliches Handeln immer „öffentlich“, eine „Privatarbeit“, die weitergehenden Einfluss auf das Rechtsleben entfaltet also strictu sensu auch nicht denkbar. Anders sähe es aus, verbliebe der jeweilige Text nach seiner Abfassung in der eigenen Spähre oder doch zumindest im näheren Umfeld seines Verfassers, bliebe ihm also eine Öffentlichkeit, eine Einbindung in einen weitergreifenden, wie immer konkret ausgestalteten sozialen, literarischen oder rechtlichen Kontext, versagt. Das ist bei keinem der gemeinhin als „Rechtsbücher“ bezeichneten deutschen Rechtsaufzeichnungen der Fall. Selbst dem Deutschenspiegel, der in lediglich einer einzigen Handschrift auf uns gekommen ist, ist ausweislich einer Reihe von Fragmenten und einiger Exzerpte in Schwabenspiegelhandschriften offenbar eine weitere Verbreitung vergönnt gewesen. Vom Löwenberger Rechtsbuch, von dem wir neben der erhaltenen Handschrift keine weiteren Textzeugen besitzen, kann mit gutem Grund behauptet werden, dass es in Löwenberg selbst zu Rechtsfindungszwecken benutzt wurde. Die Beispiele ließen sich vielfach weiter führen. Wir halten daher programmatisch fest: Der Begriff der Privatarbeit ist als Gattungskriterium unbrauchbar und daher aufzugeben. d) Rechtsbücher und ihre „gesetzesähnliche Geltung“? „Sind die Rechtsbücher auch keine Gesetze, so sind sie doch ein Bestandteil der deutschen Gesetzgebungsgeschichte: Einmal erklärt ihr Dasein, daß eine landrechtliche Gesetzgebung, zumal im Bereich des Privat-, Prozess- und Lehnrechts, vielerorts grossenteils oder ganz unterblieben ist. Zugleich bezeugt ihre Verbreitung, daß die Zeit vorüber war, in der das einfache Rechtsgewissen der Schöffen ausreichte, die Probleme eines immer vielfältiger werdenden Rechtslebens durch Urteilsfindung ohne ‚Gesetzbuch‘ zu bewältigen. Darum besaßen die Rechtsbücher auch ohne die Verbindlichkeit des Rechtsgebots oder der Satzung eine praktisch bindende Autorität.“125
So paradox wie dieses einleitende Zitat aus Ebels einflussreicher Geschichte der deutschen Gesetzgebung stellt sich die Bewertung der Rechtsbücher und ihrer Position im Kontext mittelalterlicher Rechtsüberlieferung im Grunde bis heute dar. Die ältere Forschung war sich noch einig, der Sachsenspiegel sei „in den sächsischen Gerichten gleich einem Gesetzbuch angewendet“126 respektive „als Gesetz rezipiert“127 worden. Etwas zurück125 126
Ebel, Gesetzgebung, S. 56. Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 111.
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haltender blieb noch Seibertz, der immerhin feststellte, der Spiegel sei „zuerst als bloßes Rechtsbuch, woraus man sich über rechtliche Fragen Belehrung holte, dann aber allgemach auch als wirklich Gesetzbuch“ angesehen worden.128 Eine befriedigende Formel für die seltsame Wirkkraft der Rechtsbücher haben auch spätere Generationen nicht finden können. Unbestritten hat der Sachsenspiegel große rechtliche Relevanz entfaltet und für lange Zeit normgebend auf die Rechtspraxis sowie auf das umgelagerte Schrifttum gewirkt. Gleiches kann für die späteren Rechtsbücher manchmal nur vermutet, für eine Anzahl derselben aber durchaus in einem gewissen Maße praktisch festgestellt werden. „Allerdings sind die Rechtsbücher“, so Bernhard Diestelkamp in einem Nebensastz seiner Ausführungen zum Leihezwang, „wie wir wissen, keine normativen Texte“.129 Wissen wir das? Und wenn dem so sein sollte: Was wären sie dann? An anderer Stelle ist Diestelkamp hier eindeutiger gewesen. Am Beispiel der Reichsweistümer zeigt er auf, dass das Mittelalter offenbar durchaus „Rechtsquellen“ kennt, „die zwar nicht Gesetzgebung sind, aber funktional in die unmittelbare Nähe der Gesetze gehören“.130 Auch hier aber spricht er sich gegen die Charakterisierung dieser Quellen als „normative“ Texte aus, denn nach eingehender Prüfung ließe sich nicht zeigen, dass die weitaus meisten der Reichsweistümer einen über den jeweils konkreten Rechtsfall hinausgehende Allgemeinverbindlichkeit der Regelung beanspruchten. Diese Argumentation, so nachvollziehbar sie ist, lässt sich freilich kaum auf den Sachsenspiegel oder andere Rechtsbücher beziehen, die doch ganz sicher einen Regelungsanspruch, der über einen konkreten Rechtsfall hinausgeht, aufstellen. Bei aller Kasuistik der Rechtsbücher lässt sich bei den frühen in keinem und bei den späteren nur in sehr wenigen Beispielen so ohne weiteres ein konkreter Rechtsstreit hinter den Rechtssätzen ausmachen. Blickt man dagegen nicht auf den Anspruch, sondern auf die Wirkung, scheint kaum mehr gewonnen. Denn es ist längst bekannt, dass die hoheitlichen Rechtsetzungsakte vor allem des frühen, aber ebenso auch noch des späteren Mittelalters höchst unterschiedliche Chancen hatten, befolgt zu werden. Man kann diesen Gedanken weiterspinnen: So hat etwa vor einem halben Jahrhundert Simon Stein die Zunft mit der These überrascht, die Lex 127
Schröder/Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 724. Seibertz, Westfälische Landes- und Rechtsgeschichte, Bd. 1, 3, S. 331. Ganz ähnlich hat im Übrigen auch Schmidt-Wiegand, Bilderhandschriften als Zeugen pragmatischer Schriftlichkeit, S. 461 f. von dem „Weg des Rechtsbuches von einer ‚Privatarbeit‘ zu einem Text ‚mit Gesetzeskraft‘ “ gesprochen. 129 Diestelkamp, Mitteis, S. 215. 130 Diestelkamp, Reichsweistümer, S. 282. Über den von Eckhardt konstruierten Zusammenhang zwischen Reichsweistümern und einzelnen Rechtsbüchern (Mühlhausener Rechtsbuch und Deutschenspiegel) vgl. ebd., S. 305–309 sowie unten, S. 91 ff. und S. 362 ff. 128
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Salica, über deren tatsächliche Wirkkraft im merowingisch-karolingischen Rechtsleben man ohnehin schon in Zweifel war, sei in allen ihren Fassungen, auch in der bis dahin den letzten Regierungsjahren Chlodwigs zugeschriebenen 65-Titel-Fassung, rundweg eine Fälschung aus der Zeit Karls des Kahlen.131 Ist sie deshalb kein normativer Text? Bis hierhin könnten wir festhalten: Der Sachsenspiegel ist der Entstehung nach kein normativer Text, wohl aber in seiner Wirkung und ganz sicher auch in seiner Absicht. Das kann man anders sehen, wenn man – was ich für verfehlt halte – die Aussage Eikes in der Reimvorrede, er wolle nur das überkommene Recht der Ahnen spiegeln, überbewertet. Ansonsten aber wird man die normative Wirkung des Sachsenspiegels erst für die spätere Zeit feststellen und den Regelungsanspruch des Rechtsbuches gegenüber bestimmten Rechtsproblemen, ganz gleich, ob es reale oder bloß imaginierte sein mögen, zugestehen müssen. Auf die sächsischen Rechtsbücher trifft durchaus zu, was Korte für die angelsächsischen Rechtsbücher des Mittelalters festgestellt hat: dass nämlich der „Entstehungsgrund der Rechtsbücher, der sich von dem der Gesetze grundlegend unterscheidet, [. . .] sich zwar auf ihre Darstellungsweise, aber nur wenig auf ihren Inhalt“ auswirkt.132 Der Entstehungsgrund aber wird in den sächsischen Rechtsbüchern entweder gar nicht reflektiert oder aber mit dem expliziten Anspruch verknüpft, geübtes Recht – sei es göttlich, herrschaftlich oder schlicht von Alters her legitimiert – darzustellen. Arnold Esch hat einmal davon gesprochen, es gebe grundsätzlich zwei Typen von Mediävisten, den eher zu normativen und den eher zu nicht-normativen Quellen neigenden Forscher. Diese wiederum schieden sich in der Annahme, ob sie „die mehrfache Überlieferung einer Norm als mehrmaligen Beleg für bestehende Wirklichkeit [verstünden] oder gerade umgekehrt als Indiz dafür, daß die Wirklichkeit dem nicht entsprach und die Norm eben deshalb wiederholt 131 Stein, Lex Salica. Heinrich Mitteis bemerkte dazu in einer Besprechung von Wilhelm Levions „Ausgewählten Aufsätzen“ – ZRG GA 66 (1948), S. 569–573 –, obschon er „keine Prophezeihung“ wage, inwieweit sich „Steins grundstürzende Theorie durchsetzen“ werde, habe „die Lektüre einen gewissen Schock verursacht, da schon die Tatsache, daß eine solche Behauptung aufgestellt und mit einem großen wissenschaftlichen Apparat verteidigt werden kann, gezeigt hat, wie unsicher noch immer unsre Grundlagen sind.“ (S. 572) Im Grund hat sich das bis heute nicht geändert – vgl. nur Nehlsen, Aktualität, bes S. 452 f. –, obwohl man nicht verschweigen darf, dass namhafte Forscher (u. a. Karl August Eckhardt in einer Reihe von Einzelbeiträge und Ruth Schmidt-Wiegand in ihrer Greifswalder Dissertation des Jahres 1951, die sich grundsätzlich mit Stein auseinandersetzt) sich wieder für die ältere Auffassung ausgesprochen haben. Die Frage nach der mangelnden rechtlichen Wirkkraft der Lex Salica bleibt. Ähnliche Überlegung für die Lex Alemmanica hat auch Schott, Pactus, bes. S. 161–167, formuliert. Zur Sache jüngst noch Seebold, Lex Salica. 132 Korte, Untersuchung, S. 105.
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eingeschärft werden mußte“.133 Gleiches ließe sich auch auf die Interpretation der Rechtsbücher durch die rechtshistorische Forschung für lange Zeiten seiner Disziplinengeschichte sagen. Will man zu verlässlichen Aussagen über den Normcharakter der mittelalterlichen Rechtsbücher gelangen, ist es daher unerlässlich, die immanenten Befunde mit denen der aus anderen Quellen erschlossenene Rechtswirklichkeit, mit Ergebnissen der Rechtstatsachenforschung also, zu verknüpfen. Dazu ist aber nötig, den Anspruch der Rechtsbücher auf einen solchen Normcharakter gegenüber verallgemeinerbaren Konfliktfällen zunächst prinzipiell anzuerkennen. Die Anerkennung dieses Anspruches durch die Zeitgenossen und folgende Generationen und die damit verbundene erhöhte Chance einer Befolgung ermöglicht ja geradehin erst die Rezeption des jeweiligen Rechtsbuches. Für den Sachsenspiegel geschieht das in geradezu kongenialer Weise: Die nachträgliche Verklärung der „Privat“-Arbeit als kaiserliches Privileg schiebt dem Text die normative Grundlage, die er de facto längst entfaltet hat, auch de iure unter. Weniger kunstvoll, in der Praxis aber kaum dem Wesen nach anders wird man sich die Aufnahme anderer Rechtsbücher im Rechtsleben ihrer Zeit vorstellen dürfen. Das einmal gemachte Regelungsangebot wird akzeptiert, gegebenenfalls nach den lokalen oder zeitgemäßen Notwendigkeiten adaptiert und damit de facto zur Norm erhoben. Die gedankliche Trennung zwischen Entstehung und Wirkung mit Blick auf den normativen Charakter eines Rechtsbuches wäre damit eine rein künstliche. Man wird vielmehr fragen dürfen, ob die Rede vom „normativen Text“ nicht insgesamt für die mittelalterliche Rechtsgeschichte eine anachronistische ist.134 Auch hier hat Karl Kroeschell die entscheidende Frage gestellt, indem er überlegt, „wie man sich die Anwendung eines Gesetzes im deutschen Gerichtsverfahren zur Zeit des Sachsenspiegels überhaupt vorzustellen hat“.135 Die Antwort dazu hat er an anderer Stelle selbst formuliert, wenn er für weite Bereiche der mittelalterlichen Rechts- und Verfassungsgeschichte von „nicht normativem Recht“ spricht.136 Aus dieser Paradoxie hat Weitzel dann später ein Modell der „unvollkommenen Rechtsgeltung“ entwickelt, denn natürlich kann sich der Mediävist „von der Geltungsfrage nicht einfach verabschieden, muss also eigene Vorstellungen von Rechtsgeltung, seinen eigenen Geltungsbegriff entwickeln. Dies freilich in einer Relation zum heutigen Grundbegriff – wie sonst sollten wir die Sache verstehen kön133
Esch, Beobachtungen, S. 9 f. Einige grundlegende Betrachtungen zum Funktionsgehalt des Sprechens über „normative Texte“ im Mittelalter bei Wadle, Entstehung. 135 Kroeschell, Rechtswirklichkeit und Rechtsbücherüberlieferung, S. 1. 136 Kroeschell, Verfassungsgeschichte; vgl. dazu auch die Diskussionsbeiträge ebd. und von Hans K. Schulze in Der Staat 24 (1985), S. 589–596 sowie Simon, Suche. Im Grundsatz zustimmend auch Fried, Überlegungen. 134
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nen.“137 In Weitzels Modell ist die Pluralität der Normbildungszentren von besonderer Bedeutung, vor allem aber sind es zwei dieser Orte rechtlicher Bindung: Vertrag (bzw. rechtsgeschäftliche Praxis) und Prozess.138 Beide Elemente sind zunächst auch normfrei vorstellbar und verdichten sich erst durch konstante Übung in Einzelfällen zu Rechtsgewohnheiten. Als ein solches „Gewebe“ einzelner Akte von Verwillkürung und Rechtsbildung aus der vertraglichen Praxis heraus hat Kroeschell das Landrecht des 12. Jahrhunderts, das sich „zu einer neuen Art von objektivem Recht verdichtet“, gesehen.139 Dieser neue Typus der Rechtsaufzeichnung kann dann erstmalig so etwas wie Regelungsexklusivität für zumindest einzelne Bereiche der Konfliktregelung für sich beanspruchen und muss sich damit auch erstmalig mit dem Problem der „Geltung“ auseinandersetzen.140 Zugleich bleibt eine Konkurrenz mit den ja nicht einfach verschwindenen, alternativen Normangeboten immer bestehen und macht dieses Problem überhaupt erst zu einem. An anderer Stelle hat Weitzel überzeugend dargelegt, dass sich die Vorstellung aufeinander aufbauender Normenhierarchien, mit der sich zwingend die Vorstellung von einer Verbindlichkeit der Rechtsnorm verknüpft, in Deutschland wahrscheinlich erst im Verlaufe des 14. Jahrhunderts und auch nur sehr langsam bahn bricht.141 Wie kann man in den Kontext dieser sehr grundlegenden Überlegungen nun das Phänomen der Rechtsbücher einordnen? Zunächst einmal kann festgetellt werden: (1.) Ein Recht, das „Geltung“ beansprucht, muss überhaupt als „Recht“ und eben nicht als reine Sitte, Übung o. ä. erkennbar sein. Es ist also bereits verallgemeinert oder zumindest verallgemeinerbar und damit im Grundsatz kontrafaktisch. Das ist für die Rechtsbücher sicherlich der Fall. Zum anderen: (2.) Rechtstexte, die „Geltung“ beanspruchen wollen, müssen eine gewisse Kommunizierbarkeit innerhalb des Rahmens erreichen, in denen sich diese Geltung entfalten soll. Deshalb ist es sicher sprachlich nicht gerechtfertigt, aber gedanklich unmittelbar nachvollziehbar, was Elisabeth Nowak meint (und die Zunft der Rechtshistoriker ja auch ganz richtig versteht), wenn sie die „Geltung“ des 137
Weitzel, Relatives Recht, S. 46 f. Weitzel wendet sich dabei auch explizit gegen einen funktionalen Rechtsbegriff, wie er namentlich von Gerd Althoff und seinen Schülern in den letzten Jahren stark gemacht worden ist, und der an zentraler Stelle die außergerichtliche Konfliktregelung in den Rechtsbegriff implementiert. Zur Kritik an diesem Ansatz vgl. auch Weitzels Besprechung in der ZRG GA 117 (2000), S. 689–702. 138 Darin folgt Weitzel im Wesentlichen Joachim Rückert – vgl. ders., Rechtswerte. 139 Kroeschell, Rechtsbegriff der Rechtsgeschichte, S. 313 f. 140 Vgl. dazu auch Herchert, Recht und Geltung. 141 Weitzel, Gewohnheiten, bes. S. 338 f.
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Sachsenspiegels anhand seiner handschriftlichen Verbreitung aufzeigen will.142 Wenig verbreitete Rechtsbücher müssen immerhin Anhalt für die Vermutung bieten, dass sie im kleinen Benutzerkreis einer Handschrift eine gewisse „Geltung“ entfalten konnten. Das wird man in der Regel nur im Umfeld einer mit hoheitlichen oder doch zumindest administrativen Befugnissen ausgestatteten Elite, beispielsweise einem städtischen Rat oder einem Schöffenkollegium, unterstellen. Wenn nicht einmal das gegeben ist, handelt es sich bei dem jeweiligen Werk tatsächlich um eine „Privatarbeit“ und kann von einer wie immer gearteten normativen oder rechtspraktischen Wirkung nicht mehr ausgegangen werden. Schließlich (3.) bleibt „Geltung“ nicht nur an seinen Anspruch, sondern auch an seine Wirkung gekoppelt, letzten Endes also immer bis zu einem gewissen Grad Konsens. Das macht gerade die „Unvollkommenheit“ des mittelalterlichen Rechts gegenüber unserem, am Souveränitätsgedanken geschulten Recht des modernen Staates aus. Die Bindung an Herrschaft ist ein gutes Mittel, aber noch lange kein Garant für die Verlässlichkeit, einen solchen Konsens erwarten zu können. Es kann sogar dazu kommen, dass im Gegenteil aus der konsensual angenommenen, d.h. durch praktische Übung vereinbarten „Geltung“ die hoheitliche Legitimation erst geschlossen wird. Im Prinzip ist es das, was Johann von Buch tut, wenn er den Sachsenspiegel als ein Privileg Kaiser Karls deutet. Auch im Mainzer Reichslandfrieden von 1235143 haben wir dafür ein gutes Beispiel: Mittlerweile ist die jüngere Forschung übereingekommen, den lateinischen als den Urtext anzuerkennen.144 Anders aber die Zeitgenossen. Denn welcher der beiden Texte auch immer die Vorlage des andern gewesen sein mag, vor den deutschen Fürsten verlesen und von ihnen beschworen wurde die deutsche Fassung.145 So wird dann aber auch einsichtig, warum alle späteren Bestätigungen von Rudolf I. (1281) bis zu Ludwig dem Bayern (1316) den deutschen und eben nicht den ursprünglichen, lateinischen Text zugrunde legen.146 Johanek zieht daraus den nachvollziehbaren Schluss: „König Rudolf und vor ihm die deutschen Fürsten betrachteten 142
Nowak, Verbreitung, S. 11. MGH Const. II, S. 241–263 (Nr. 196); zu Sache vgl. auch unten, S. 111 f. 144 Csendes, Urkundenwesen, S. 115: „Die Frage der Überlieferung des Mainzer Reichslandfiedens und die Problematik um die Priorität der lateinischen oder der deutschen Fassung zählt zu den wohl intensivst beackerten Feldern der Erforschung mittelalterliche Rechtsdenkmale [. . .]“. Die vorangehende Diskussion wird bündig referiert bei Schulze, Parallelurkunden, S. 33–103. 145 Das berichtet beispielsweise die Kölner Königschronik: „[. . .] pax iuratur, vetera iura stabiliuntur, nova statuuntur et Teutonico sermone in membrana scripta omnibus publicantur“ (Waitz, Chronica, S. 267, Hervorhebung von mir). 146 Die Bestätigungen Rudolfs I. in MGH Const. III, S. 275–287, S. 370–377 und S. 443–448 (Nrn. 279, 280, 390 und Nr. 459); Adolfs ebd., S. 474 f. (Nr. 488) sowie Albrechts I. in MGH Const. IV, S. 26–31 (Nr. 33). 143
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den deutschen Text als authentisch und verbindlich, die Verwendung der deutschen Sprache als beispielhaft, wie immer die Rechtsquellenlehre dazu stehen mag. Der deutsche Text erlangte Authentizität durch Rezeption.“147 Eine solche Form der „Authentizität durch Rezeption“ haben wir beim Sachsenspiegel und wohl auch bei den anderen Rechtsbüchern in der einen oder anderen Schattierung ebenfalls vor uns. 3. Ein alternativer Deutungsvorschlag: Rechtsbücher als autoritative Lehrbücher Das vorhergehende Kapitel wurde weitgehend von kritischen Bemerkungen geprägt. Wer viel zu kritisieren hat, steht aber zugleich in der Pflicht, auch Alternativen anzubieten. Wie also, bleibt zu fragen, können wir Rechtsbücher in ihren vielseitigen Facetten begreifen, wenn wir damit eben nicht auf „jene gesetzesgleiche normative Ordnung“ abzielen wollen, „die die älteren Lehrbücher und Monographien der Rechtsgeschichte zu entwerfen versuchen, sondern gerade das Zustandekommen im dingförmlichen Verfahren“ bedienen?148 Rekapitulieren wir dazu zunächst die aus der Kritik gewonnenen Anforderungen, die wir an einen erneuerten Rechtsbuchbegriff zu stellen haben: Unstrittig dürfte zunächst (1.) die inhaltliche Grundlage eines Rechtsbuches in der Gewohnheit im Sinne von wiederholt praktiziertem und als ein solches weitgehend anerkanntem Recht begründet sein. Das schließt nicht nur die überkommene Rechtsgewohnheit, die wir in der Regel mit Formen oraler Rechtskultur zu verbinden geneigt sind, mit ein, sondern auch jede Art von regelmäßig zum Zwecke rechtlicher Begründung herangezogener, monographischer Schriftquellen, wie eben beispielsweise den Sachsenspiegel oder andere Vorgänger des jeweiligen Rechtsbuches, in späterer Zeit auch die gelehrten Rechte, mit ein. Ferner ist für ein Rechtsbuch charakteristisch, dass es (2.) in umfassender Weise das Rechtsleben einer geographisch oder personell bestimmten Ge147 Vgl. Johanek, Rechtsschrifttum, S. 400. Im Übrigen hat das noch in der frühen Neuzeit die gelehrten beschäftigt. Eine in der frühneuzeitlichen Reichschronistik und auch noch bei späteren Publizisten viel zitierte Stelle bei Lehman, Chronica, S. 554 f. besagt, dass „König Rudolph schafft den Brauch der Lateinischen Sprach auff den Reichs-Versamblungen/und vor den Gerichten in Städten und Landen deß Reichs ab/und bringt an deren Statt die Teutsche Schrifften in Ubung und Auffnehmen. [. . .] Ob wol aber auff berührtem Reichstag [scilt. dem Mainzer Reichstag von 1235] ein offentlicher Versuch und Anfang Teutscher Schrifft gemacht/so ist doch nicht zu finden/daß in Regiments-Geschäfften/vor Obrigkeiten/Gerichten/oder auch in privat-Händeln solchem Exempel jemand nachgefolgt.“ (II 107). 148 Dilcher, Rechtsgewohnheit, S. 27.
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meinschaft normbildend zu durchdringen sucht und eine gewisse Aussicht auf die Befolgung dieser Normen (oder doch eines nennenswerten Teils derselben) besteht. Es soll aber dennoch (3.) klar abgrenzbar sein von Rechtsetzungsakten herrschaftlicher oder kollektiv-autoritativer Natur, wie dem Gesetz oder dem Privileg, aber auch von der Willkür oder statuarischen Satzungen. Das schließt weder die Verarbeitung entsprechender Rechtsakte als Quelle noch eine tatsächliche oder vorgebliche Verbindung zu herrschaftlichen Institutionen, beispielsweise Stadtschreiber ohne städtischen Auftrag, aus. Ansatzpunkt für eine Erfassung der Rechtsbücher als rechtshistorische Quellengattung kann, so scheint mir, damit nur jene „Verbindung von persönlicher Anschauung und abgebildeter Rechtswirklichkeit“ sein, „die den deutschen Begriff des Rechtsbuches bis in die heutige wissenschaftliche Literatur hinein bestimmt“,149 und die die seltsame Zwischenstellung dieser Schriften zwischen Rechtsquelle und -literatur begründet. Ein Sinnangebot in dieser Richtung hat Roderich Stintzing in seiner „Geschichte der populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts in Deutschland“ geprägt, wenn er von „populärer Rechtsliteratur“ spricht.150 Diese Schriften vermittelten, teils in Latein, teils in der Volkssprache, die Grundsätze des gelehrten Ius commune einer breiten Gruppe von Interessierten, hauptsächlich wohl Rechtspraktikern und denen, die regelmäßig in Rechtsgeschäfte involviert waren, und denen eine grundlegende Rechtskenntnis von Nutzem sein konnte. Gegen die damit verbundenen Vorstellung von einer Dichotomie zwischen einer ungelehrten (bei Stintzing auch „populär“, „halbgebildet“ u. ä.) und einer gelehrten, elitären Rechtskultur ausgebildeter Juristen, die sich um die Mitte des 15. Jahrhunderts ja noch keineswegs in Deutschland etabliert hatten, ist bereits verschiedentlich Widerspruch erhoben worden.151 Dennoch hat einen solchen Begriff vom „Rechtsbuch“ als „Volksbuch“ jüngst noch Prinz angewandt, wobei sie dazu das in höchstem Maße heterogene Material zusammenfasst.152 149
Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 246. Stintzing, Populäre Literatur, S. L–LII. 151 Wesener/Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 114; vgl. auch Trusen, Anfänge, S. 128–134, der sich gegen Stintzings Annahme einer „Rezeption von unten nach oben“ ausspricht: „Wenn wir schon jene Literaturgattung summarisch charakterisieren wollen, dann gehört sie zum Bereich der auch heute noch gebräuchlichen Einführungen, Grundrisse und Kompendien, die intensiver wirken – leider auch in ihren Verallgemeinerungen und Fehlern – als dicke Lehrbücher.“ (S. 131). Eine Reihe beachtenswerter Gründe hat Hagemann, Rechtswissenschaft, S. 287 hinzugefügt. 152 Prinz, Bildgebrauch, S. 122 will „Rechtsspiegel, Stadtrechtsbücher, Formelbücher, prozessuale[.] Schriften, Lehrbücher, Sammlungen und Vokabularien, die im 150
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Man muss dieses Konzept also modifizieren und in anderer Richtung weiterdenken, um es für die Literatur des deutschen Rechts fruchtbar zu machen. Ruth Schmidt-Wiegand beispielsweise hat einmal treffend von einer „konsiliaren“ Funktion der Rechtsbücher gesprochen.153 Diese Funktion lässt sich sehr gut aus deren Eigenbeschreibungen ableiten: Die Spiegelmetapher und Eikes nachdrücklicher Hinweis, er habe das von ihm verzeichnete Recht „selve nicht underdacht“ (Praef. rhythm., Z. 151), bietet hierzu ein plastisches Beispiel. Aber auch das Meißner Rechtsbuch bezeichnet sich gerade nicht als „Meißner“ oder als „Magdeburgisches Recht“, sondern als ein Werk „geczogen unde gesichert usz keyserlichen buchern, usz deme lantrechte spigels der sachsen, wichbildern buchern und usz geystlichen buchern“.154 Auch das Berliner Schöffenrecht vermittelt „utgetogen recht“;155 und der Schwabenspiegel spricht wiederholt von einer „lere“, die er vermitteln will. In der Tat scheint mir die Belehrung („lere“) das zentrale Element der mittelalterlichen deutschen Rechtsbücher zu sein. Als solche gekennzeichnete Rechtsetzung findet in diesen Arbeiten nicht nur nicht statt, sie wird sogar ausdrücklich mit den bekannten Rekursen auf (meist alte) Herkunft ausgeschlossen. Das Recht soll gegeben werden, wie es eben ist. Die Spiegelmetapher ist da nur ein besonders eloquentes Bild. Auch die späteren Rechtsbücher wollen zunächst einmal nichts anderes und kennzeichnen eigene Rechtsinnovationen, so sie denn welche einführen, in der Regel nicht als solche. Wir können also sagen: Rechtsbücher sind autoritative Lehrbücher. Eigentlich ist es erstaunlich, dass diese alternative Beschreibung des Phänomens erst so spät weitere Konturen entwickelt hat, drängt sich doch die Nähe zu Gratians Dekret, das zunächst auch als Lehrbuch für die Bologneser Juristenausbildung konzipiert wurde, geradezu auf und ist auch mit Blick auf dessen Definition vom „ius“ als „consuetudo in scriptis redacta“ schon des Öfteren betont worden.156 Vereinzelt ist der Gedanke schon angeklungen.157 So weist beispielsweise Munzel-Everling darauf hin, dem Verfasser des „Kleinen Kaiserrechts“ sei „weniger an der Aufzeichnung von Gesetzen“ gelegen „als vielmehr daran, eine Art Lehrbuch zu verfassen“.158 täglichen Gebrauch den halbgelehrten Laienpraktikern (Richtern und Gerichtsschreibern) zur Vermittlung des geltenden Rechts dienten“ untersuchen. 153 Schmidt/Wiegand, Bedeutung und Wirkung, S. 35; ebenso dies., Gebrauchssituation, S. 86. 154 Siehe unten, S. 437 ff. 155 Fidicin, Beiträge, S. 77. 156 Vgl. nur die in S. 30, Anm. 74 angeführten, immer wieder zitierten Arbeiten. 157 Das hat im Übrigen jüngst auch noch Schumann, Rezeption, S. 361–366 en passant angemerkt. 158 Munzel, Innsbrucker Handschrift, S. 37.
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Warum diese Erkenntnis nie weitergedacht worden ist, kann ich mir nur durch die übergroße Wirkmacht der tradierten Definition einer „deutschrechtlichen Privatarbeit“ von „gesetzesähnlicher Geltung“ erklären. So gedacht entsprechen die deutschen Rechtsbücher bemerkenswerterweise ziemlich genau den „books of authority“159 im heutigen englischen Common Law (Glanvil, Bracton, Littleton, Coke, Blackstone). Gleiches gilt für die Berufung auf die niederländischen Autoren des 17. Jahrhunderts (Grotius, Voet, Pothier) im südlichen Afrika, wenn es um die wenigen Fälle geht, in denen dort noch heute das Ius commune als Rechtsquelle herangezogen wird.160 So wird uns das sonst so fremde Phänomen „Rechtsbücher“ doch aus der eigenen Gegenwart heraus noch gut vorstellbar. Wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Rechtsbücher von diesen gemeinrechtlichen Autoritäten ist dabei aber das Zurücktreten des Verfassers, der sich als intellektuelle Quelle des Textes in der Regel entweder gar nicht nennt oder aber, wie im Falle Eikes von Repgow, sich durch umfangreiche Bescheidenheitsrhetorik vollkommen zurücknimmt, so dass kaum mehr von einem Autor gesprochen werden kann, der Text vielmehr für sich steht und lediglich durch den Verfasser gleichsam in die Schriftform gegossen wurde.161 Das kann entweder durch einen direkten Verweis auf eine legendenhafte (zum Beispiel das „Kaiserrecht“) oder bereits als Recht akzeptierte Quelle (z. B. das Magdeburger Recht) gelöst werden oder aber dazu einladen, eine solche Lösung im Nachhinein an das Werk heranzutragen. Der wiederholte Verweis auf die Buchsche Glossierung muss hier genügen. Mit diesem Zurücktreten des Verfassers ist zugleich die Abgrenzung von der juristischen Fachliteratur einschließlich Stintzings „populärer“ Literatur gegeben. Denn hier schreiben Juristen mit Bezug auf ihre wissenschaftliche Autorität und die ihrer Kollegen. Es ist eine anregende Frage, inwieweit so verstandene Rechtsbücher als Ausdruck einer spezifischen, zeitlich und vielleicht auch topographisch begrenzten „Rechtskultur“ gelten können, die deutlich mehr ist als lediglich normativ-materielles Skelett. Vielmehr müsste man sich eine solche Rechtskultur als eine mehr oder minder institutionell, vor allem aber mental strukturierte Gesamtheit vorstellen, innerhalb derer Recht gedacht und gesprochen wird. In diesem Sinne hat der norwegische Rechtshistoriker Jørn Øyrehagen Sunde vor kurzem seiner „Einleitung in die nordischen Rechtskulturen“ den Titel „Speculum legale“ bzw. „rettsspegelen“ gegeben.162 159 Vgl. Schwarz, Englisches Recht, S. 62–68 – Diesen dem englischen Common Law entlehnten Begriff nutzt auch Koschaker, Europa, S. 99–105. 160 Dolezalek, Krokodilfluß. 161 Diese Formulierung erinnert nicht zu Unrecht an die „Auratisierung“ kultureller Texte, wie sie oben (S. 25) diskutiert wurde. 162 Sunde, Speculum legale. Das Folgende nach den S. 12–22.
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Sein Buch beginnt mit einem interessanten Beispiel: Gegenübergestellt werden zwei Fälle vor dem Thinggericht aus den Jahren 1744 und 1777. In beiden Fällen handelt es sich um eine Schlägerei, die zu verhandeln ist. Für beide Fälle ist als Rechtsgrundlage das norwegische Gesetzbuch Christians V. aus dem Jahre 1687 einschlägig. Ansonsten sind die Prozesse nicht aufeinander bezogen, sondern mehr oder minder willkürlich ausgewählt. Der spätere der beiden Fälle endet – man möchte sagen: erwartungsgemäß – mit einer Verurteilung wegen Schlägerei zu einer Buße von neun Talern. In dem nur wenige Jahrzehnte früheren Fall aber werden eine Reihe einzelner Vergehen, vom Haareraufen bis hin zur Blutwunde, aufgezählt und jeweils mit einer Buße in gleicher Höhe belegt. Zwei durchaus vergleichbare Delikte werden also unter identischen materiell-rechtlichen Umständen dennoch unterschiedlich beurteilt. Was sich in den etwas mehr als dreißig Jahren zwischen beiden Fällen verändert habe, so Sunde, sei zwar nicht die Rechtslage in Norwegen, wohl aber die Rechtskultur. Für ihn bricht sich das dann letztlich sehr unspektakulär in der Person des Richters bahn: Im Gegensatz zum älteren war der jüngere examiniert und in der juristischen Literatur bewandert. Das Beispiel steht für viele und ist damit durchaus übertragbar: Denn den Gerichtsschöffen und Rechtsprechern im Einflussgebiet des sächsischen Rechts standen ja eine Vielzahl von Normangeboten, von unterschiedlichen Rechtsbüchern oder rechtsbuchartigen Texten, von Präjudizien und von lokalen Gewohnheiten zur Verfügung, aus denen sie das ihrer Ansicht nach geeignete für den jeweils konkreten Konfliktfall wählen konnten. Diese Auswahl wiederum konnte von lokalen Usancen, persönlichen Beziehungen, dem sozial-kulturelle Umfeld oder anderen, kaum abwägbaren Faktoren beeinflusst werden. Lässt sich in solchen Usancen der Auswahl eine gewisse Regelhaftigkeit erkennen, so scheint der Begriff von der „Rechtskultur“ zumindest bedenkenswert, weil er den Spielraum offen lässt, sich in gewissen, jeweils situativ unterschiedlichen Grenzen eben auch abseits der gewohnten und vielleicht erwarteten Wege zu entscheiden.163 In Anbetracht der zahlreichen Normangebote stellt sich aber die Frage: Welche dieser Angebote wurden von Zeit zu Zeit, regelmäßig oder sogar auf Dauer mit grundsätzlicher Rechtsüberzeugung angenommen? Wir fragen also nach dem Verhältnis von überliefertem schriftlichen Recht und historisch praktizierter Rechtswirklichkeit.
163 Das von Hannes Obermair und Carlo Romeo herausgegebene Themenheft der Storia e regione 16 (2007) beschäftigt sich mit regionalen Rechtskulturen.
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4. Rechtsbücher und Rechtswirklichkeit „Habe ich ein Gesetz, so weiß ich noch nicht, ob es durchgeführt wurde; habe ich ein Rechtsbuch, so weiß ich noch nicht, inwieweit es lebendiges Recht spiegelt.“164
Mit dieser klassischen Formulierung von Heinrich Mitteis ist das zugrunde liegende Problem bereits umrissen. Sie berührt eines der zentralen Gebiete der Rechtsgeschichte vor allem des frühen und hohen Mittelalters: das Gewohnheitsrecht.165 Gegen diesen „nicht ganz passende[n] Sprachgebrauch“166 hat vor rund einem Vierteljahrhundert Karl Kroeschell im Rückgriff auf Wilhelm Arnold167 den Begriff der (bewusst plural verwendeten) „Rechtsgewohnheiten“ eingeführt,168 der sich mittlerweile im rechtsgeschichtlichen Sprachgebrauch weitgehend durchgesetzt hat.169 Im Zuge seiner Überlegungen über die „Karriere“ des Begriffs hat freilich Albrecht Cordes eingewandt, das neue Konzept habe „vor allem destruktive Potenz entwickelt“, so dass „sich die Diskussion um die Inhalte des Begriffs ‚Rechtsgewohnheit‘ in einer Sackgasse“ befinde.170 Durch die Umdrehung der Beziehung zwischen Recht und Gewohnheit wird nicht mehr letztere in eine als bestehend angenommene normative Ordnung eingeschrieben, sondern eine traditionale Ordnung unter rechtsrelevanten Aspekten mit Hinblick auf Formen und Funktionen der Konfliktregulation betrachtet. Es handelt sich also „nicht um eine juristische Geltungstheorie, wie wir sie hinter dem modernen Gewohnheitsrecht gefunden haben, sondern um eine Theorie für einen Problembereich empirischer Rechtssoziologie.“171 Wäre „Gewohnheitsrecht“ 164
Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 12. Dilcher, Rechtsgewohnheit. 166 So bereits Savigny, Beruf, S. 15. 167 Arnold, Cultur und Rechtsleben, S. 270: „Erst allmählich wurde aus der Sitte eine Rechtsgewonheit und daraus ein Recht.“ – über Arnold und sein Werk vgl. auch Kroeschell, Arnold. 168 Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 86: „Das mittelalterliche deutsche Recht kennt also Rechtsgewohnheiten, aber kein Gewohnheitsrecht.“ – Diese Auffassung hat Kroeschell auch an anderer Stelle immer wieder zum Ausdruck gebracht; vgl. vor allem ders., Rechtsbegriff. Im Übrigen ist der Begriff älter als die Ausführungen von Arnold. Bereits bei Dreyer, Beyträge, S. 162 heißt es, die Codices picturati des Sachsenspiegels vermöchten Auskunft über „die Sitten und RechtsGewohnheiten in einer anschauenden Kenntniß“ zu vermitteln. Wie sich der Weg von der Gewohnheit zur schriftlich fixiertern normativen Ordnung vorzustellen sein wird, hat Karl Kroeschell an anderer Stelle (Kroeschell, Gewohnheit) eingehend dargelegt. 169 Vollrath, Typik, S. 583. 170 Cordes, Rechtsgewohnheiten, S. 34. 171 Dilcher, Rechtsgewohnheit, S. 30. 165
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eine selbständige, stabile Größe eigener normativer Strahlkraft, die sich in Einklang mit oder im Zweifelsfall auch gegen den Befund des geschriebenen Rechts stellte, so wäre deren Abstand oder Deckungsgleichheit mit einer gewissen Exaktheit bestimmtbar. Dass durch Gewohnheit tradiertes Recht das nicht ist, dürfte außer Frage stehen. Diese Einsicht ist an sich nicht neu. Bereits Theodor Gaupp hat betont, der einzelne Rechtssatz gewinne erst „Leben und Bedeutung, wenn wir ihn auf einen besonderen Fall angewendet sehen“.172 Die Schwierigkeiten eines solches Anspruchs werden sich im zweiten Kapitel zeigen. Eine der wichtigsten Quellen, in denen solche Verbindungen der Rechtsbücher mit der Rechtspraxis der Zeit greifbar werden, sind die zahlreich überlieferten Schöffensprüche, in denen oftmals auf der Grundlage der beim jeweiligen Schöffengremium vorhandenen und akzeptierten Rechtsbücher entschieden wurde. Freilich kann wiederum auch „das mittelalterliche Schöffenrecht“, wie Gunter Gudian zu Recht festgestellt hat, kaum „ohne seine Einbettung in die vorhandenen außerrechtlichen Verhältnisse“ verstanden werden.173 Aber: Bereits mit den „innerrechtlichen“ (wenn eine solche Trennung denn überhaupt mit Sinn gemacht werden kann) wird sich der Rechtshistoriker oft schwer genug tun. Nicht nur die konkreten Hintergründe des jeweiligen Rechtsstreites, auch die lokalen Herrschaftsverhältnisse, das Repertoire zur Verfügung stehender Rechtsquellen und Normangebote, personale Verflechtungen der unterschiedlichsten Sozialgefüge und die Beziehung der streitenden Parteien untereinander müssen neben vielen anderen Punkten in Betracht gezogen werden, um ein umfassendes Bild von dem Sitz der Quelle im Rechtsleben nachzuzeichnen.174 Die bloße Anführung eines Rechtssatzes in einem Schöffenspruch oder einer Schlichtungsurkunde schafft also unter Umständen nicht sehr viel mehr Bezug zu einer über den konkreten Fall hinausgehenden Rechtswirklichkeit als die schriftliche Fixierung im Rechtsbuch selber. Ohne eine umfassende Analyse der Gesamtsituation, in der sich die einzelne Rechtsanwendung einbettet, wäre also diesem Problem im 172
Gaupp, Magdeburg-hallisches Recht, S. 167. Gudian, Schöffenrecht, S. 121. 174 Einen solchen Ansatz – mit vielen Einschränkungen im Hinblick auf den Umfang des verwendeten Materials – versucht Janin, Medieval Justice, die Grundzüge mittelalterlicher Rechtsprechung (nicht, wie der Titel verspricht, mittelalterlicher Gerechtigkeit!) in England, dem Reich und Frankreich aus der Zusammenstellung und Kommentierung einzelner Streitfälle und Auszügen aus normativen Texten („Illustrative Cases and Laws“) zu vermitteln sucht, also mehr auf die Bildkraft der historischen Individualität, als auf ein verallgemeinertes, notwendig unhistorisches System setzt, allerdings an der Verbindung m. E. scheitert. Vgl. dazu auch die kritische Besprechung von Petra Schulte via HSozKult vom 01.03.2006, die zwar den Anspruch von Janins Arbeit überschätzt und entsprechend hart urteilt, deren Sachkritik aber in allen Punkten gerechtfertigt ist. 173
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streng methodischen Sinne nicht beizukommen. „Solche Desiderate sind“ allerdings – das hat Hans-Georg Krause sehr klar auf den Punkt gebracht – „leicht zu formulieren, bei der Dürftigkeit unserer Überlieferung, zumindest was das Mittelalter anbetrifft, jedoch in der Regel kaum zu erfüllen.“175 Das ist in zweierlei Hinsicht richtig: Zum einen entspricht Gerhard Buchdas Feststellung, nicht einmal die bisher gedruckten Schöffensprüche seien in angemessener Weise aufgearbeitet, leider noch immer dem Stand der Dinge.176 Auch aus diesem Grund sollen zumindest die gedruckt vorliegenden Sprüche, soweit sie durch ausreichende Register arbeitsökonomisch einsetzbar werden, für die Einzelstudien im vierten Kapitel der Untersuchung mit einbezogen werden. Zum anderen aber scheint Vorsicht vor naiv-positivischer Verwendung des reichen Materials geboten, dass uns die Schöffensprüche und ähnliche Quellen des Rechtslebens überliefern, und von dem wir annehmen, es spiegelte uns die mittelalterliche Rechtswirklichkeit. Vielmehr wird man sich fragen dürfen, ob überhaupt der bestimmte Artikel einer rechtlich dergestalt plural verfassten Zeit angemessen erscheint, ob nicht vielmehr auch Schöffensprüche, Fehdesühnen und andere aus unmittelbaren Rechtsakten entstandene Dokumente nicht die, sondern bestenfalls eine Rechtswirklichkeit spiegeln, mitunter in manchen Fällen gar erst schaffen. Gegenüber Buchdas historistisch anmutenden Optimismus, Schöffensprüche vermittelten den Zugang darauf, „wie es wirklich zugegangen ist“, scheint jedenfalls eine gewisse vorsichtige Reserve nicht verfehlt.177 Noch ein Weiteres gilt es zu bedenken. Geblendet von der rechtsschöpferischen Kraft eines Eike von Repgow, der dann hier und da einmal über die Stränge schlägt und Recht spiegelt, das er eben doch „selve underdacht“ (Praef. rhythm., V. 151) hat, wird häufig ein typisches Moment mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen übersehen, das gerade bei den zahlreichen Abschriften des Sachsenspiegels und anderer Rechtsbücher durchaus ins Gewicht fällt: die anachronistisch-retardierende Tendenz solcher Aufzeichnungen. Denn es ist durchaus nicht so, als gäbe Eike in allen Teilen Recht auf dem neuesten Stand seiner Zeit. Ähnlich verhält es sich mit den späteren Umarbeitungen, sehen wir einmal vom umfänglichen Novellenmaterial ab, das sich bis zur Vulgatfassung des Spiegels an Eikes Text anlagert. Oft schlägt vielmehr bei Rechtstexten, wie Marita Blattmann einmal in einem sehr inspirierenden Aufsatz aufgezeigt hat, ihre Materialität dergestalt durch, dass „weniger der Textgehalt fortwirkt als vielmehr die Textgestalt“ und „die Neuschrift zu einem Vexier- oder gar Zerrbild der Rechtswirklichkeit gerät“.178 Blattmann bringt dazu Beispiele aus dem Bereich 175 176 177
Krause, Schöffensprüche für Zerbst, S. 264 f. Buchda, Schöffenspruchsammlung, Bd. 3, S. 5. Buchda, Schöffenspruchsammlung, Bd. 3, S. 5.
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des Stadtrechts. „Kein Textredakteur“, so stellt sie überzeugend fest, „ist frei in seinen Gedankenkombinationen und Assoziationen, diese werden immer wieder durch das bereits Geschriebene angezogen, inspiriert, unter Umständen auch abgelenkt“. Das lässt sich so ohne weiteres auch auf die Redaktoren des Sachsenspiegels und anderer Rechtsbücher übertragen. Die Ordnung des Stoffes war ihnen vorgegeben, ebenso die einzelnen Themen, die anzusprechen sie durch die Existenz der vorhergehenden Niederschrift gehalten waren. So ist die Wahrscheinlichkeit groß, anachronistische Rechtsnormen, die ihren Bezug zur Rechtswirklichkeit bereits verloren haben, durch die materielle Sogkraft des Geschriebenen weiterzutradieren.179 Diesen Umstand gilt es zumindest zu bedenken, wenn wir uns mit den späteren, auf dem Sachsenspiegel fussenden Rechtsaufzeichnungen zu beschäftigen haben.
III. Forschungsstand und Vorarbeiten Umfänglichere Ausführungen zum Stand der Rechtsbücherforschung sollen nicht an dieser Stelle, sondern jeweils themengebunden in den einzelnen Kapiteln behandelt werden. Vorweggestellt seien nur einige allgemeine Bemerkungen zur Einbettung des Forschungshabens in den Kontext der vorliegenden rechtshistorischen Literatur. Im Großen und Ganzen bleibt festzustellen: Eine vergleichende Studie zur Rezeption des sächsischen Landrechts in den späteren deutschen Rechtsbüchern ist bislang nicht unternommen worden. Zu einzelnen Rechtsinstituten jedoch liegen zum Teil sehr tiefgehende Studien älteren wie jüngeren Datums vor.180 Auf viele davon kann im Folgenden zurückgegriffen werden. Welchen Gewinn eine solche vergleichende Rechtsbücherforschung erbringen kann, möchte ich anhand dreier neuerer und neuester Untersuchungen aus unterschiedlichen Bereichen der sächsischen Rechtsgeschichte exemplarisch vorstellen. Auf diese Weise bietet sich auch Gelegenheit zu einer notwendigen Reflexion des Erkenntnisinteresses und des methodischen Ansatzes, die sich in gewisser Nähe zu Fragestellungen und Methoden der germanistischen Rechtsgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts bewegen werden und sich also auch mit der Kritik an den Konzeptio178
Blattmann, Materialität, S. 339 f. Ein gutes Beispiel dafür bietet das trotz veränderter Rechtslage durch alle Handschriften hindurch weitertradierte Fehlen des braunschweigisch-lüneburgischen Herzogtums unter den sächsischen Fahnlehen in Ssp. Ldr. III 62; vgl. unten, S. 498 ff. 180 Auf die von Coing, Aufgaben, S. 177 als Kritik am überkommenen Konzept der Dogmengeschichte aufgeworfene Unterscheidung zwischen „Rechtsregel“ und „Rechtsinstitut“ möchte ich mich an dieser Stelle nicht näher einlassen. 179
III. Forschungsstand und Vorarbeiten
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nen dieser Forschungsrichtungen aueinandersetzen muss. Denn selbstverständlich greift es zu kurz, die Grundannahmen mehrerer Generationen von namhaften Rechtshistorikern mit dem Verweis auf juristische Vereinheitlichungsträumereien und romantische Deutschtümelei fortzuwischen. Dies ist in den vergangenen Jahrzehnten oft genug der Fall gewesen. Stellt man aber deren Überzeugung von der Existenz eines „gemeindeutschen Rechts des Mittelalters“ grundsätzlich in Frage, so verbleibt beim Kritiker die Pflicht, alternative Deutungsmodelle aufzuzeigen. Eva Schumann hat unlängst noch zu Recht darauf hingewiesen, dass „neue Erklärungsansätze dafür, warum sich in den mittelalterlichen Rechten trotz großer zeitlicher und räumlicher Distanzen deutliche Parallelen“, ja sogar „überraschende[.] Gemeinsamkeiten“, ausmachen lassen, vollständig fehlen.181 Das ist in den letzten Jahren so oder ähnlich immer wieder bemerkt worden, vor allem von Seiten der Privatrechtswissenschaft. Will man jedoch nicht zurück zu den in ihrer Ausprägung ja zu Recht heute als nicht mehr tragfähig erkannten Arbeiten gemeindeutscher Germanistik, so bleibt eine solche Untersuchung auch ein Problem der Darstellung, vielleicht sogar der Darstellbarkeit; mithin also der Frage, „ob und in welcher Form eine zusammenfassende und sinnvoll gegliederte Darstellung dieses Stoffkreises möglich ist“. Eine solche Form zu finden, bleibt aber unerlässlich, „solange es Aufgabe der Rechtsgeschichte ist, neben der Darstellung der Rechtsentwicklung das Recht der Vergangenheit als in sich konsistentes, sinnvolles und wohl auch funktionierendes Gebilde verständlich zu machen“.182 Auch nach dem Zweiten Weltkrieg hat es noch Versuche gegeben, solche Darstellungen vorzulegen. Vor allem das „Deutsche Privatrecht“ von Heinrich Mitteis ist in der Bearbeitung durch Lieberich noch bis in die jüngere Zeit immer wieder neu aufgelegt worden.183 Letztlich gelang es aber nicht, sich vom Pandektenschema „personae“ – „res“ – „actiones“ vollständig zu lösen. Dieses Festhalten an einer der Sache selbst fremden Systematik war schon lange und bleibt noch immer der Kardinalvorwurf gegenüber der älteren deutschen Privatrechtswissenschaft. Allerdings fehlt es an Alternativen, selbst wenn Mitteis versucht hat, als grundlegende Zweigliederung seiner Darstellung die Munt als Herrschaft über Personen gegenüber der Gewere als Herrschaft über Sachen zu verankern.184 Dagegen sind aber auch die Vorschläge Hans Thiemes, im Bereich der ständischen Ordnung auf die Suche 181
Schumann, Rezeption, S. 338. Scherner, Darstellbarkeit, S. 346. 183 Mitteis, Privatrecht – die neunte und letzte Auflage der behutsamen Neubearbeitung durch Heinz Lieberich erschien München 1981. 184 Mitteis, Privatrecht, S. 3 – So auch schon Heusler, Institutionen, Bd. 1, S. 95–99, der Munt und Gewere als „Ausdruck der Scheidung von Rechtssubject und Rechtsobject“ (S. 95) auffasst; zur Kritik vgl. Scherner, Darstellbarkeit, S. 348. 182
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nach Strukturmerkmalen spezifisch Deutschen Privatrechts zu gehen, zwar zur Kenntnis genommen, bislang aber noch nicht praktisch überprüft worden.185 Letztlich bleibt das zentrale Problem einer germanistischen Dogmengeschichtsschreibung die Aufgabe, angesichts des Fehlens einer gemeinrechtlichen Quelle wie eben der Pandekten eine angemessene Form zu finden, die partikularen Rechtsquellen in Beziehung zueinander zu setzen.186 Dass die modernen Kodifikationen und der Rückschritt zu ihren vermeintlichen Wurzeln dazu keinen Ersatz bieten, dürfte heute Konsens sein. Diese Problemlage stellt sich in weniger dramatischer Form, wendet sich der Betrachter lediglich einem isolierten Rechtsinstitut der deutschen Rechtsgeschichte zu. Um zu wissenschaftlich verlässlichen und zugleich auch aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen, bleibt freilich das Gebot, eine möglichst breit und voraussetzungslos ausgewählte Anzahl von Quellen sowohl aus dem Bereich normativer Texte (Rechtsbücher) als auch aus der Rechtspraxis (z. B. Schöffensprüche) und später auch der Rechtswissenschaft zu berücksichtigen.187 Nur so kann, wenn auch vielleicht im Einzelfall keine absolute Evidenz, so doch zumindest eine hinreichend verlässliche Aussage über die Verallgemeinerbarkeit einer einzelnen Rechtsregel oder eines einzelnen Rechtsinstituts getroffen und können deren historische Morphologien angemessen berücksichtigt werden. Eine Reihe beispielhafter Untersuchungen sind so durchgeführt worden, von denen ich zumindest einige im Folgenden kurz nennen möchte. Ich beginne mit der Bonner Dissertation von Dieter Sellner über das Eindringen der Lehre vom Verbrechensversuch in das sächsische Recht im Verlaufe der Rezeption.188 Sie ist von der Rechtsbücherforschung bislang nicht weiter zur Kenntnis genommen worden, obwohl doch der Verbrechensversuch bereits mit der Buchschen Landrechtsglosse Eingang in die sächsische Rechtsliteratur fand.189 Die Methodik der Arbeit wird an keiner Stelle ausführlicher entfaltet. Angelegt ist sie zunächst als systematische Zusammenstellung von Lesefrüchten sowohl der grundlegenden römisch-rechtlichen als auch der sächsischen Rechtsquellen, sodann der großen vor allem sächsischen Kriminalisten des 16. Jahrhunderts. In diesem Zusammenhang hat Sellner im Übrigen als erster nicht nur gesehen, sondern mit Blick auf die Arbeit am und über den Sachsenspiegel auch konsequent reflektiert, dass 185
Thieme, Ständeordnung; vgl. auch die Überlegungen von Leiser, Privatrecht. Im Grundsatz hat dieses methodische Problem bereits Heusler, Institutionen, S. 6–10 gesehen, dessen „Institutionen“ nicht umsonst noch immer von großem Wert für die germanistische Rechtsgeschichte sind. 187 So auch jüngst noch Seif, Erbrecht, S. 87. 188 Sellner, Verbrechensversuch. 189 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 443 f. und Bd. 2, S. 607 f. und S. 753–757, bes. S. 755 (zu Ssp. Ldr. I 62 § 2; Ldr. II 13 § 5; Ldr. II 37). 186
III. Forschungsstand und Vorarbeiten
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der in den Zobelschen Editionen gegebene Glossenapparat keineswegs schlicht der Buchschen oder einer anderen der bekannten vier Glossierungen des Mittelalters entspricht, sondern eine eigenständige Bearbeitung Zobels mit teils umfangreichen Zusätzen darstellt, die nicht, wie beispielsweise bei Melchior Kling, als solche gekennzeichnet werden.190 Die Rechtsbücherliteratur jenseits des Sachsenspiegels hat Sellner nicht untersucht, kann sich aber auch mit Blick auf sein Erkenntnisinteresse – die Durchsetzung der Lehre vom Verbrechensversuch in der Rechtsliteratur und des 16. Jahrhunderts nämlich – mit Recht darauf berufen, dass diese Rechtsbücher für den Bereich des sächsischen Kernlandes und den juristischen Fachdiskurs keine Rolle spielten. Die Arbeit hat mit dem Wirken Carpzovs einen klar definierten, historischen Endpunkt und bleibt damit vor den Fallstricken der älteren, gemeinrechtlichen Germanistik gefeit; die Materialbasis ist dabei breit genug, um mit Blick auf die sächsische Rechtswissenschaft verallgemeinbare Ergebnisse für sich reklamieren zu können. Von der Vorgehensweise her ähnlich, aber methodisch ausführlich reflektierend ist die Freiburger Dissertation von Steffen Breßler angelegt.191 Er unterscheidet sein Material nach drei Quellengruppen: normative Quellen, Literatur und Rechtspraxis. Der Befund der Einzelanalysen wird sodann gebündelt, um die Verknüpfungen der einzelnen Quellengruppen untereinander deutlich zu machen. Auch vor den Redundanzen einer rezeptionsgeschichtlichen Betrachtung, wie sie sich gerade bei den vielfältigen Übernahmen aus dem Sachsenspiegel in spätere Rechtsbücher notwendig ergibt, scheut Breßler nicht zurück. Darüberhinaus wird versucht, die gewonnenen Befunde mit der sozialen Wirklichkeit rückzubinden und damit die Forderung nach einer Überwindung der „genetischen Isolierung des Rechts“ (Gierke) einzulösen, die in jüngerer Zeit immer häufiger laut geworden ist. Dass eine solche Aufgabe oft die Möglichkeiten der Darstellung übersteigt, liegt auf der Hand und ist dem Verfasser nicht vorzuwerfen. So berechtigt diese Forderung nämlich ist, so groß ist die Zumutung, beides, rechts- und sozialbzw. kulturhistorische Analyse, zugleich zu leisten. Eines geht dabei fast notwendig auf die Kosten des anderen. Umso wichtiger erscheint es – und das führt Breßlers klar strukturierte und sehr nachvollziehbare Studie in beispielshafter Weise vor –, dass die Rechtshistorie in steigendem Maße Wert auf die Anbindungsfähigkeit ihrer Ergebnisse wird legen müssen, um weitergehenden Forschungen an ihrem Material auch und gerade von anderen historischen Fachdisziplinen den Weg zu ebnen. Nur so ist das eingangs zitierte Fehrsche Orakulum von einer Rechtsgeschichte, die zuletzt nur noch den Rechtshistoriker interessiert, zukünftig abzuwenden. 190 191
Sellner, Verbrechensversuch, S. 67–71. Breßler, Schuldknechtschaft, S. 49–58.
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Wie die Arbeit von Breßler ist auch die jüngst erschienene Dissertation von Margret Obladen am Freiburger Institut für Deutsche Rechtsgeschichte entstanden und von Karin Nehlsen-van Stryk betreut worden. Darin mögen die methodischen Parallelen begründet sein, mit denen beide ihre Materialauswahl treffen. Obladen stellt ihrer Arbeit keine umfassenden methodischen Betrachtungen voran, greift aber bei der Untersuchung der drei unterschiedlichen von ihr untersuchten Versorgungsinstitute für die hinterbliebene Witwe (Gerade, dotalicium und Dritteilsrecht) neben den Krakauer Schöffensprüchen, die als Quellen der Rechtspraxis im Mittelpunkt ihrer Untersuchung stehen, auch auf normative Text zurück. Dazu zählen der Sachsenspiegel, die Weichbildvulgata, die sogenannten „Magdeburger Fraugen“ und die Blume von Magdeburg, das Meißner, Eisenacher, Zwickauer und das Posener Rechtsbuch, der Alte Kulm und schließlich der Rechte Weg. Jene Texte des Sachsenrechts also, die in Mittelosteuropa Normangebote zu den von ihr bearbeiteten Rechtsinstituten bereithalten. Ziel war es, „die Krakauer Sprüche auf breiter Basis mit weiteren Quellen des sächsisch-magdeburgischen Rechts“ zu vergleichen, „damit der Umfang der Rezeption des deutschen Rechts im kleinpolnischen Raum herausgearbeitet werden kann“.192 Dabei ist sich die Verfasserin durchaus bewusst „wissenschaftliches Neuland“ zu betreten, wenn sie „nach dem tatsächlichen Verlauf und dem Ausmaß der Rezeption des deutschen Rechts in Osteuropa“ fragt.193 Die eng an den Texten orientierte Einzelanalyse führt zu einem erstaunlich geschlossenen Bild Krakauer Spruchpraxis, das sich sehr gut an die zeitgenössische Rechtsbücherliteratur rückbinden lässt. Zugleich stellt Obladens souveräne Literaturarbeit die eigenen Ergebnisse in weitere Kontexte der vorliegenden älteren Forschung und entfaltet so hohen Anbindungswert über die eigentliche Studie hinaus. Allen drei vorgestellten Untersuchungen ist gemeinsam, dass sie versuchen aus den jeweiligen Einzelquellen heraus induktiv und auf vergleichende Weise Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten suchen, dabei ihr Material möglichst voraussetzunglos und breit sammeln, um nicht die Vielfältigkeit der Ausprägungen dem vorgedachten Systemdenken zu opfern. Das kann, wie bei Obladen, auf die Konturierung eines von seiner Provenienz her an sich sehr geschlossenen Quellenbestandes, auf den aber externe Normeinflüsse einwirken, hinauslaufen, oder aber, wie bei Breßler und Sellner, helfen, die vielfältigen Ein- und Zuflüsse in den Entwicklungslinien einer einzelnen Rechtsfigur deutlich zu machen. Was diese Studien an einzelnen Rechtsinstituten beispielhaft durchführen, wäre ein dringendes Desiderat für die Stoffmasse des sächsischen Land192 193
Obladen, Magdeburger Recht, S. 25. Obladen, Magdeburger Recht, S. 15 (Hervorhebung von mir).
IV. Der Gang der Untersuchung
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rechts als Ganzes. Dass dies innerhalb einer einzigen Monographie nicht in der gleichen Tiefe, in der die genannten Forscher ihre Themen behandeln, geschehen kann, liegt auf der Hand. Die durch die Preisgabe an Tiefe gewonnene Breite aber kann notwendige Grundlagen für eine detaillierte Erforschung des bedeutenden Phänomenes „sächsisches Recht“ schaffen, die Einzelstudien nicht nur um ein Vielfaches erleichern, sondern vor allem anbindungsfähiger machen.
IV. Der Gang der Untersuchung Aus den vorhergehenden Überlegungen ergibt sich der gewählte Gang der Studie. Zunächst lege ich eine Gliederung in vier übergreifende Kapitel zugrunde, die (I.)
den Sachsenspiegel gleichermaßen als Grundtext der Untersuchung eingehend, vor allem im Blick auf die bisherige Forschungsgeschichte, vorstellen,
(II.) die Grundlinien einer Wirkungsgeschichte des sächsischen Landrechts sowohl im Rechtsleben und in der Jurisprudenz als auch in der historischen Forschung der Neuzeit nachzeichnen, (III.) eine genaue Analyse der Rezeption desselben in späteren deutschen Rechtsbüchern vornehmen sowie schließlich (IV.) anhand einzelner Themenkomplexe und Rechtsinstitute den Rezeptionsprozess konkret bündeln und darstellen will. Der erste Teil muss sich notwendig dem Sachsenspiegel selbst und seiner Überlieferung als Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung widmen. Dabei werde ich besonders auf die Entfaltung der Forschungslage legen, die von den vielen schätzbaren Darstellungen geringeren Umfangs oft nur allzu kursorisch zusammengefasst werden (müssen). Auf diesem Wege ist Manches zum Faktum erhoben worden, was durchaus nicht unhinterfragt bleiben muss. Das betrifft vor allem die Fragen nach den Quellen des Rechtsbuches, die von den meisten vorliegenden Arbeiten nur bündelnd und mit dem Verweis auf die Nachweise Eckhardts in seiner Schulausgabe des Sachsenspiegel-Landrechts behandelt worden sind. Dabei wird übergangen, dass das Eckhardtsche Appart nicht nur auf tatsächliche Quellen des Spieglers, sondern zum ganz überwiegenden Teil auf Ähnlichkeiten und ideengeschichtliche Bezüge hinweist, die nicht als Quellennachweise zu verstehen sind. Ausgiebige Gegenüberstellungen einschlägiger Textpassagen und der Nachweis der älteren Forschungsliteratur sollen dem Leser eine größtmögliche Nachvollziehbarkeit der Problemlage ermöglichen, die oftmals gar nicht eindeutig zu entscheiden ist. Ferner soll dieses eingehend
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forschungsgeschichtlich orientierte Kapitel einen Überblick über wichtige Persönlichkeiten und Fragestellung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Sachsenspiegel und den ihm folgenden Rechtsbüchern vermitteln, der sich im folgenden, zweiten Teil noch vertiefen wird. Dieser zweite Teil der Untersuchung will versuchen, eine zumindest den wichtigsten Zügen nach umfassende Geschichte des sächsischen Rechts von der Entstehung des Grundlagentextes bis in die wissenschaftliche Aufnahme der Gegenwart vorzulegen, die bislang noch nicht geschrieben worden ist. Zwar finden sich in der neueren Literatur immer wieder Verweise auf die lange Wirkmacht des sächsischen Rechts in einzelnen Territorien des Alten Reiches und werden auch die darum mittlerweile berühmten Urteile des Reichsgerichtshofes in Zivilsachen aus den 1930er Jahren regelmäßig bemüht, die vorgeblich letztmalig in der Geschichte der deutschen Justiz den Sachsenspiegel in einer Urteilsbegründung zitiert hätten.194 Die großen Linien, die zu dieser longue durée195 beigetragen haben, hat aber bislang keiner versucht, zu bündeln, obwohl durchaus ein reicher Schatz vor allem älterer Einzelstudien vorliegt. Sich einen zumindest grundlegenden Überblick über die Rechtsgeschichte des sächsischen Rechts zu verschaffen erscheint mir aber insbesondere daher gewinnbringender als ein reiner Forschungsüberblick, weil sich – vor allem im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert – durchaus auch noch Schnittmengen zwischen juristischpraktischer und rechtshistorischer Beschäftigung mit dem Sachsenspiegel und seinen Nachfolgetexten ausmachen lassen, mithin eine klare Grenzen zwischen Wirkungs- und Forschungsgeschichte so ohne weiteres also gar nicht zu ziehen ist. Solche Formen der Rechtsgeschichtsschreibung können auf wenige, vor allem kaum auf modernere Vorgänger zurückgreifen, um sich methodisch zu vergewissern. Kroeschell beispielsweise hat es mit seiner jüngst erschie194
Siehe dazu unten, S. 321 f. Von einer „longue durée“ zu sprechen, scheint mir auch im Blick auf die sehr dezidierte Besetzung des Begriffes durch die Annales-Schule angemessen, denn in der Tat handelt es sich beim sächsischen Recht ja nicht um einen monolithischen Textblock, der als geschlossenes Normenkorpus unverändert seine Wirkung entfaltete, nicht um ein Datum der Ereignis- oder Literaturgeschichte, sondern vielmehr um Strukturen, die sich in rechtlich und literarisch teils ausgesprochen vielfältiger, dennoch aber charakteristischer Ausprägung über eine lange Zeit relativ stabil halten konnten. Wenn man diese Charakterisierung zugesteht, wird – auch und gerade im Sinne des Braudelschen Modells – die longitudinale Erforschung des Sachsenrechts entscheidend für das grundlegende Verständnis der Einzelquellen. In diesem Fall muss man sich aber hüten, diese grundlegenden Strukturen mit einem umfassenden, materiellen, am Ende gar „gemeindeutschen“ Recht des Mittelalters zu verwechseln. Zum Konzept der „longue durée“ vgl. Braudel, Histoire [dt. Übersetzung bei Honegger, Schrift und Materie, S. 47–85]. 195
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nenen Rechtsgeschichte Niedersachsens als Erster nach langer Zeit unternommen, eine solche diachron weit ausgreifende Rechtsgeschichte eines – in diesem Fall regional begrenzten – Raumes zu versuchen.196 Stellt sich für ihn in erster Linie das Problem, die Rechtsgeschichte eines durch die Zeiten sich ständig verändernden, geographischen Raumes zu schreiben, so haben wir es bei einer historischen Untersuchung des magdeburgisch-sächsischen Rechts mit einem Problem der Rechtsgeographie zu tun, das bereits im synchronen Schnitt ausgesprochen komplexe, oft fragmentierte Strukturen erkennen lässt und darüber hinaus auf zwei Ebenen, einer ausladend transeuropäischen und zugleich einer betont regionalen, stattfindet. Gerade letzteres wird die vorliegende Arbeit, so steht zu hoffen, zu einem guten Stück weiter erhellen. Werkstattberichte aus der Arbeit rechtshistorischer Kartenwerke geben uns aber bereits jetzt beredten Einblick in diese grundlegende und durchaus nicht nur auf die Untersuchung des sächsisch-magdeburgischen Rechts beschränkte Problemlage.197 Denn die „terra iuris Saxonici“ ist eben nicht so eindeutig zu begrenzen, wie es die Darstellungsmöglichkeiten der traditionellen Kartographie notwendig suggerieren müssen. Eine vollständige und runde Geschichte des „gemeinen Sachsenrechtes“198 zwischen Sachsenspiegel und BGB ist also nicht zu erwarten, dürfte auch selbst in monographischem Umfang in mancherlei Hinsicht die Kräfte eines Einzelnen überschreiten. Es soll aber ein Rahmen geschaffen werden, mittels dessen sich rezeptionsgeschichtliche Einzelstudien, ganz gleich, ob anhand eines Rechtsbuchs, eines juristischen Werken oder eines konkreten Rechtsfalles, kontextualisieren lassen. Der dritte Teil der Untersuchung wendet sich dann den auf Eikes Arbeit aufbauenden deutschen Rechtsbüchern, ihrer Entstehung, Quellenkunde, 196 Kroeschell, recht unde; vgl. dazu die einhellig positiven Besprechungen von Joachim Rückert [Rechtsgeschichte 8 (2006), S. 162–166], Gerhard Köbler [ZRG GA 123 (2006), S. 401–403], Dieter Pötschke [Harz-Zeitschrift 58 (2006), S. 192 f.] und mir [Niederdeutsche Familienkunde 88 (2006), S. 35 f.]. 197 Vgl. nur Herberger/Ranieri, Rechtshistorische Kartographie, S. 134 f. Das rechtshistorische Verhältnis von Europäismus und Regionalismus hat auch der jüngst erschienene Tagungsband des „Europäischen Forums junger Rechtshistoriker 2002“ von Bauer/Welker, Europa aufgegriffen. Zu eine konzeptionellen Grundlegung trägt der inhaltlich sehr zerklüftete Band trotz bemerkenswerter Einzelbeiträge freilich leider wenig bei. Instruktiv in dieser Hinsicht allerdings Depping, Bedeutung. Grundlegende methodische Erwägungen zu einer Regionalgeschichte in europäischer Perspektive, die auch die Rechtsgeschichte befruchten könnten, hat Schmale, Historische Komparatistik, angestellt. 198 Buchda, Gemeines Sachsenrecht. Zur Idee des „Gemeinen Rechts“ insgesamt vgl. die instruktive Studie von Daniel, Gemeines Recht. Dort auch Einiges zur Rezeption des Sachsenspiegels im Rahmen des Gemeinen Sachsenrechts (vgl. das Register, S. 314).
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Verbreitung und ihrem Verhältnis zum Sachsenspiegel zu. Im Wesentlichen beschränke ich mich dabei auf Landrechtsbücher und solche Rechtsbücher, deren Entstehungskontext zwar im städtischen Raum vermutet werden darf oder sogar bekannt ist, die aber dem Anspruch nach nicht Stadt-, sondern umfassend sächsisches Recht bieten. Dass eine klare Unterscheidung zwischen Land- und Stadtrecht, schon gar zwischen Stadt- und Landrechtsbuch mithin nicht immer möglich ist, ist bereits verschiedentlich angemerkt worden, zeigt sich aber auch in der praktischen Forschungsarbeit immer wieder als Problem.199 Außerdem beschränke ich mich von vornherein auf die Zeugnisse des sächsischen Rechts, jene Rechtsbücher also, bei denen die Rezeption des Sachsenspiegels im Grundsatz bekannt ist oder mit guten Gründen vermutet werden darf. Das schließt die kleine Zahl der fränkischen und süddeutschen, in der Nachfolge des Schwabenspiegels entstandenen und die große Zahl der österreichischen Rechtsbücher aus.200 Ebenso aus der systematischen Erschließung ausgeschlossen werden soll die reiche und überaus vielschichtige Rezeption des sächsischen Rechts im engeren stadtrechtlichen Kontext, vor allem in Mittel- und Osteuropa.201 Hierzu liegen bereits eine Vielzahl von kleineren Einzelstudien sowie die umfassende Untersuchung von Gertrud Schubart-Fikentscher vor.202 Vor allem aber beschäftigt sich mit diesem Raum bereits ein umfangreiches Forschungsprojekt unter dem Titel „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ost- und Mitteleuropas“ an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig.203 Auf die ersten Ergebnisse dieser fruchtbaren Neubeschäftigung mit dem sächsisch-magdeburgischen Recht sowie auf die zahlreichen älteren Arbeiten wird mit Gewinn immer wieder zurückzugreifen sein. Eine eigenständige Untersuchung dieser Vielzahl von Rechtszeugnissen im Sinne der in den folgenden Absätzen noch zu formulierenden Methodik scheint aber für die stadtrechtliche Überlieferung weder 199 So unterscheidet beispielsweise Korte, Hand wahre Hand, zwischen der Untersuchung der Rechtsbücher (S. 27–47) und der Stadtrechte (S. 48–117), fasst dann aber das Meißner Rechtsbuch oder den Alten Kulm unter die Stadtrechte, so dass in diesem Fall – trotz aller stadtrechtlichen Elemente der beiden Rechtsbücher – eine so klare Unterscheidung mehr Probleme schafft als sie löst. 200 Zu letzteren vgl. den Überblick bei Floßmann, Landrechte, S. 26–48 sowie zur mittelalterlichen österreichischen Rechtsliteratur allgemein Furtenbach/Kalb, Rechtsliteratur (dort auch Nachweis älterer Arbeiten). Die komplizierte Geschichte des – hoheitlich inspirierten – österreichischen Landrechts im 13. Jahrhundert und seiner beiden Aufzeichnungen umreißt Ganal, Versuch. 201 Dilcher, Einheit und Vielfalt gibt an, dass es bereits um 1300 etwa 500 Stadtrechtsbücher im deutschen Sprachraum gegeben habe. 202 Siehe dazu unten, S. 398 ff. 203 Vgl. nur die Skizze von Bily, Projekt.
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sinnvoll noch überhaupt möglich. Zu groß sind allein die sprachlichen Barrieren, die es zu überwinden gelte.204 Diejenigen ausgewählten Rechtsbücher, die in explizit stadtrechtlichem Kontext entstanden sind und zu rechtsvergleichenden Zwecken für die Einzelanalysen im vierten Kapitel herangezogen werden, sollen am Ende des dritten Kapitels ausführlich vorgestellt werden.205 Bei der Untersuchung der einzelnen Rechtsbücher als Rezeptionsträger des sächischen Landrechts verfolge ich zweierlei Zielsetzungen: Zum einen möchte ich eine möglichst runde, grundlegende Charakterisierung des jeweiligen Rechtsbuches auf Grundlage sowohl der vorliegenden Forschungsliteratur als auch, wo nötig, eigener Überprüfung der handschriftlichen Überlieferung geben. Für eine Reihe dieser Rechtsbücher liegen bislang lediglich verstreute Einzelarbeiten und knappe, gleichsam lexikalische Charakterisierungen vor, die in der Regel nicht über das von Oppitz neu bearbeitete Verzeichnis hinausgehen. Diese vorliegenden Einzelarbeiten möchte ich bündeln und gegebenenfalls ergänzen. Umfangreichere Studien aber, vor allem solche mit Blick auf die oft durchaus angezeigte Editionskritik, können in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Die meisten der deutschen Rechtsbücher liegen in Editionen oder auf einzelnen Textzeugen basierenden Ersteditionen vor, die heutigen Ansprüchen an eine moderne Ausgabe nicht mehr genügen können. Wo mir Handschriften ohne zusätzliche Bibliotheksreisen greifbar waren, sind daher die im Text gegebenen Auszüge aus den Editionen gegebenenfalls mit diesen, also mit einzelnen konkret-historischen Textzeugen, abgeglichen worden. Dass ein solches, eher stichprobenartiges Verfahren keine Textkritik ersetzt, steht außer Frage. Textkritik aber kann auch nicht vordringliche Aufgabe der vorliegenden Studie sein. Zum zweiten wird das Verhältnis des jeweiligen Textzeugens zum Grundtext, also zum Landrecht des Sachsenspiegels selbst, zu bestimmen sein. Der gewählte Weg eines solches Vergleiches ist in aller Regel derjenige der Konkordanz, die ein jedes Unterkapitel, das sich einzelnen Rechtsbüchern zuwendet, beschließen soll. Nicht eingeschlossen in die Konkordanzarbeit werden die Vorreden des Sachsenspiegels. Manchen der älteren Rechtsbüchereditionen, beispielsweise der Schwabenspiegelausgabe von Lassberg oder derjenigen des Meißner Rechtsbuches durch Ortloff, sind solche Konkordanzen bereits beigegeben. Sie können allerdings bestensfalls eine Ausgangsbasis für die eigene Arbeit sein, ging es ihren Bearbeitern doch nicht in erster Linie, teils wohl auch gar nicht, um 204 Bei der Arbeit mit mittelosteuropäischer Forschungsliteratur habe ich oft Hilfe in Anspruch nehmen müssen und stets in großzügiger Weise erhalten – dafür möchten ich den zahlreichen Kolleginnen und Kollegen danken. 205 Siehe unten, S. 460 ff.
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Rezeptionsfragen, sondern vielmehr um ausgesprochen handfeste Belange. Die auf diesem Weg erschlossene Rechtsvergleichung zwischen den Materien der Rechtsbücher diente vor allem der ideengeschichtlichen Auswertung, die letztlich aus dem Interesse an einem gemeindeutschen Recht floß, das sich so aus den vielfachen inhaltlichen Parallelen und offensichtlichen wörtlichen Referenzen der Rechtsbücher untereinander zu offenbaren schien. So unterscheidet kaum eine dieser älteren Vergleichstabellen zwischen wörtlichen Übernahmen und teils auch nur der Sache nach gegebenen Ähnlichkeiten, keine berücksichtigt die oft bedeutsamen Umarbeitungen, selbst wenn eine Stelle zunächst aus einem anderen Rechtsbuch übernommen wird. Für die Frage nach der Rezeption des Sachsenspiegels ist ein solches Vorgehen nur bedingt gewinnbringend, weil in jedem Fall nur das Faktum selbst, nicht aber seine Ausprägungen, beschrieben werden kann. Nicht umsonst ist man deshalb über diese reine Zustandsbeschreibung nicht weiter hinausgekommen und konnte die Frage nach dem genauen Umfang der Rezeption so zum Ausgangspunkt dieser Arbeit werden. Auf welche Weise also bekommen wir Rezeption zu greifen? Stefan Dusil und Bernd Kannowski, die sich mit dieser Fragestellung eingehend beschäftigt haben und so die Abhängigkeit des lange Zeit als älteste Rezeptionsstufe des Sachsenspiegels angesehenen Hallenser Schöffenbrief vom Rechtsbuch überzeugend widerlegen konnten, haben das Problem auf den Punkt gebracht: „Wie groß müssen Ähnlichkeiten zwischen zwei Texten sein, um den Standpunkt, der eine basiere auf dem anderen, plausibel zu machen?“206 Eine gedankliche Ähnlichkeit jedenfalls, das haben bereits die vehementen Auseinandersetzungen um die Quellenkunde des Sachsenspiegels selbst ergeben, wird kaum ausreichen.207 Ich betrachte also die einzelnen Rechtssätze des sächsischen Landrechts zunächst als separate Einheiten und unterscheide dabei 1. wörtliche Übernahmen mit lediglich mundartlichen Abweichungen oder Füllworten bzw. Weglassungen, die keine inhaltlichen Konsequenzen haben; 2. Konkretisierungen und Interpretationen, die grundsätzlich ein Mehr an Information gegenüber der Vorlage enthalten; 3. Umdeutungen, Auslassungen und sinnändernde Eingriffe, die Passagen der Vorlage durch Eigenes ersetzen. Auch diese Kategorien sind letztendlich weiche, denn der Interpretationsrahmen wird vom Betrachter gezogen. Sie dürfen aber einen hinlänglichen 206 207
Dusil/Kannowski, Hallensischer Schöffenbrief, S. 64. Schmidt, Studien, S. 50.
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Rückhalt im Alltagsverständnis durchaus für sich reklamieren, der überdies eine gezielte und rasche Überprüfung durch den Leser im zweifelhaften Einzelfall ja keineswegs ausschließt. Der horizontale Textvergleich kann aber nur dann mit Sinn erfolgen, wenn neben der Ebene der einzelnen Rechtssätze auch deren Kontexte mit berücksichtigt werden. Jenseits der Ebene des einzelnen Paragraphens bzw. Rechtssatzes gilt es also ferner auch, durch unmittelbare Folge aufeinander konstituierte Gruppen solcher Sätze zu betrachten, die im Sachsenspiegel noch aufeinander bezogen auftauchen und in Folge der Rezeption in späteren Rechtsbüchern auseinandergerissen, reduziert oder durch neue Materien aufgefüllt werden. Das ist nicht in allen, wohl aber in einer Vielzahl von Fällen der Fall. Weitgehend isolierte Rechtssätze finden sich im Landrecht des Sachsenspiegels ebenso wie größere Gruppen von einzelnen Bestimmungen und Ausführungen, die einen Rechtsbereich eingehender durchdringen. Beides muss gleichermaßen berücksichtigt werden. So gelangen wir schrittweise zu einer konkreteren Vorstellung davon, in welcher Form sich die unzweifelhaft breite Rezeption des Sachsenspiegels ereignet hat, welche Sätze und Materien ein größeres Rezeptionspotential als andere entfalteten und welche kaum oder möglicherweise gar nicht fortgetragen wurden. Fruchtbar wird ein solches Wissen aber erst in der konkreten Anwendung, wenn nach den Auswirkungen der Rezeption bzw. Nicht-Rezeption und gegebenenfalls auch nach deren möglichen Gründen gefragt wird. Das soll im vierten und letzten Teil der Untersuchung geschehen. Hier wird das aufbereitete Material in querschnittsartigen Einzelstudien gebündelt und im Hinblick auf seinen normativen Gehalt bzw. die Entwicklung einzelner Institute und Materien betrachtet werden. Dabei soll nicht ein wie immer geartetes System oder gar eine Dogmatik des sächsischen Rechts entworfen werden; nicht nur, weil, wie Gunter Gudian völlig zu Recht feststellt, eine „lediglich institutions-(dogmen-)geschichtliche Betrachtungswiese [. . .] beim mittelalterlichen Schöffenrecht“ – mit dem wir es bei den Rechtsbüchern ja im Wesentlichen zu tun haben –208 „schon wegen seiner örtlichen und regionalen Unterschiedlichkeit“ versagt, sondern vor allem, weil eine solche, auf ein Gesamtsystem gerichtete Betrachtung auch nur sehr bedingt einen Erkenntnisgewinn für die rechtshistorische Forschung erbrächte. Das muss zumindest dann eingestanden werden, sollte sich nicht dabei herausstellen, dass sich tatsächlich hinter den Rechtssätzen eine Art „materielles Sachsenrecht“ verberge, das auch dem zeitgenössischen Rechtsempfinden als solches zu Gebote stand.209 Das ist nicht nur von 208
Weitzel, Rechtsbegriff, S. 68.
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vornherein unwahrscheinlich, sondern lässt sich nach der Untersuchung der einzelnen Rechtsbücher so gut wie ausschließen. Gudian räumt aber weiter ein, es könne von „einer grundsätzlichen Einheitlichkeit der mittelalterlichen deutschen Rechte [. . .] vielleicht in funktioneller Hinsicht gesprochen werden“, wenn sich nachweisen ließe, „daß man für die gleichen konkreten Probleme überall eine ähnliche Lösung fand.“ Das scheint ihm zu „einem gewissen Grade in der Tat der Fall gewesen zu sein“, könne aber „[r]echtstechnisch [. . .] mitunter auf durchaus verschiedenen Wegen erreicht werden.“210 Dieser „gewisse Grad“, der innerhalb der Gebiete des sächsischmagdeburgischen Rechts durch die gemeinsame Quelle der Rechtsbücher besonders ausgeprägt scheint,211 ist nun zugleich Frucht und Dilemma des gesamten Ansatzes. Wer ein einzelnes Rechtsbuch untersucht, hat es da einfacher. Mit gutem Recht kann man sich hier auf die Diskussion der letzten Jahrzehnte berufen, die vor allem Karl Kroeschell ausgelöst und über weite Strecken auch maßgeblich beeinflusst hat. Kenno Zimmer beispielsweise, ein Schüler Kroeschells, hat in seiner Freiburger Dissertation zum Burger Landrecht sein Vorgehen sehr knapp und treffend skizziert: „Um möglichst nicht der Gefahr zu erliegen, durch Übertragung moderner systematischer Begriffe und dogmatischer Figuren auf Erscheinungen des mittelalterlichen Rechtslebens deren eigentliches Wesen zu verzeichnen oder zu verkennen, wurde bewusst nicht der letztlich zum Scheitern verurteilte Versuch unternommen, die einzelnen Gewohnheiten des Burger Landrechts aus ihrem jeweiligen Textzusammenhang heraus heutigen Ordnungskategorien wie Schuldrecht, Sachenrecht oder Strafrecht zuzuordnen. Vielmehr folgt die Untersuchung der durch das Burger Rechtsbuch selbst vorgegebenen Textabfolge, wobei die einzelnen Rechtsgewohnheiten im jeweiligen Normkontext besprochen werden. Durch dieses Vorgehen scheint zunächst einmal gewährleistet zu werden, daß keine vom Land209 Ansätzen materiellrechtlichen Denkens, vor allem im Ehegüter- und Erbrecht, sind allerdings bereits verschiedentlich vermutet worden, so für den Ingelheimer Schöffenstuhl von Gudian, Ingelheimer Recht, S. 8; für Krakau von Obladen, Magdeburger Recht, S. 203 f. und von Weitzel, Rechtsbegriff, andeutungsweise für Magdeburg – ähnliches vermutet auch Willoweit, Gleichzeitigkeit, S. 370. Dass auch der Sachsenspiegel selbst bereits in manchen Teilen solche materiellrechtlichen Züge trage, hat Nehlsen-von Stryk, Rechtsdenken, dargelegt. 210 Gudian, Charakterisierung, S. 122 f. 211 Deshalb hat auch bereits Eichhorn, Studium, S. 126 f., bemerkt, dass das einzige deutsche Partikularrecht, „welches bis auf einen gewissen Grad“ in einem „wissenschaftlichen“, das meint wohl: dogmatischen Zusammenhang darstellbar sei, „und auch bei weitem am meisten wissenschaftliche Cultur“ habe, das Sächsische Recht sei. „Man darf aber auch nicht vergessen“, so Eichhorn weiter, „daß gerade diese mit den Rechtsbüchern des Mittelalters, also mit den geschriebenen Quellen des älteren gemeinen Rechts unmittelbar zusammenhängt, und dadurch einer viel selbständigeren Fortbildung fähig geworden ist, als irgend ein anderes Particularrecht.“
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rechtsautor geschaffenen Textzusammenhänge willkürlich zerrissen und andere, gar nicht vorhandene, konstruiert werden.“212
Das ist zunächst einmal einleuchtend. Selbst die verglichen mit dem Burger Landrecht deutlich komplexere Struktur des Sächsischen Landrechts ließe ein solches Vorgehen durchaus zu. Für eine Rezeptionsgeschichte auf Grundlage der einzelnen Sätze des Spiegels, die die vorliegende Untersuchung sich zur Aufgabe stellt, drängt sich ein solches Vorgehen sogar auf den ersten Blick geradehin auf. Damit aber säße man nicht minder einem übergeordneten, der Sache fremden Ordnungsdenken, diesmal allerdings dem eigen, dem des Untersuchenden, auf. Denn die Verfasser, Redaktoren und Kompilatoren der untersuchten Rechtsbücher taten ja genau das: Sie zerrissen die im Sachsenspiegel teils durch Eike selbst gelegten, teils durch spätere Eingriffe bereits veränderten Textzusammenhänge, stellten die einzelnen Materien in neue Kontexte und schufen dadurch überhaupt erst Neues. Diesem Dilemma kann man auf zweierlei Arten begegnen: Zum einen in der direkten Gegenüberstellung eines einzelnen Rechtsbuches mit dem Sachsenspiegel. Der konkrete, historische Text, das einzelne Rechtsbuch, stünde dabei im Mittelpunkt der Betrachtung und würde auf durchaus traditionelle Weise quellenkritisch untersucht. Die Vielzahl der in der vorliegenden Studie untersuchten Rechtsbücher verbietet es aber ganz ohne Frage, eines darunter als strukturgebendes hervorzuheben. Es wird also unvermeidbar, ein Strukturprinzip außerhalb des einzelnen der untersuchten Texte zu generieren, das als gedankliches Konstrukt des Forschers sämtliche erkenntnistheoretischen Probleme mit sich bringt, die Typologisierungen grundsätzlich immanent sind. Bereits das vorhergehende Kapitel, das nach dem gattungstheoretischen Inhalt der Bezeichnung „Rechtsbuch“ fragte, hat diese Problematik genügsam illustriert. Ohne Dogmatik, so will es scheinen, geht es also nicht. In der Tat und auch mit gutem Recht dürfte sich dagegen die Abwendung von einer Systematisierung mittelalterlichen Rechts in den Entwürfen moderner Rechtsdogmatik mittlerweile durchgesetzt haben. Es gilt also, eine alternative Systematik zu entwickeln, die den unumgänglichen Filter wissenschaftlicher Ordnungskategorien und die damit verbundenen Eingriffe gegenüber dem betrachteten historischen Subjekt möglichst gering hält. In der vorliegenden Untersuchung sollen anstelle dogmatischer, am modernen Recht orientierter Systementwürfe zentrale, immer wiederkehrende Regelungsbedürfnisse des mittelalterlichen Rechtslebens, wie die Fragen nach den Modalitäten von Erben und Vererben, nach Pfand- und Verkaufsgeschäften, oder häufig zu verhandelnde Strafdelikte, als jeweils gesonderte Komplexe betrachtet werden. Auch von der Terminologie gegenwärtiger 212
Zimmer, Burger Landrecht, S. 22.
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Rechtssprache werde ich mich dabei soweit als möglich bewusst fernhalten; auch, wenn das nicht in jedem Fall möglich sein wird.213 Auf der systematischen Seite gewinne ich die Auswahl dieser Komplexe aus der Sichtung sowohl der in gedruckter Form vorliegenden Schöffensprüche des sächsisch-magdeburgischen Rechtsraumes als auch einer Reihe von städtischen Urkundenbüchern, die recht schnell einen Eindruck davon vermitteln, welche Probleme immer wieder rechtlichen Regelungsbedarf hervorriefen,214 und bei der mittlerweile sehr fortgeschrittenen Editionslage durchaus einen Anspruch auf Exemplarität erheben dürfen. Da das Schöffenrecht sich gerade im Bereich des sächsisch-magdeburgischen Rechts in vielem mit der Sphäre der Rechtsbücher überschneiden dürfte, scheint mir diese Vorgehensweise gerechtfertigt. Das schließt selbstverständlich nicht aus, dass sich auch eine Reihe weiterer Fragen an das Material stellen ließen und durch die im dritten Teil der Untersuchung vorgenommene Aufbereitung sich zukünftig hoffentlich mit weit geringerem Aufwand stellen lassen. Neben jenen ausgewählten Untersuchungsschwerpunkten gleichsam „alltäglichen“ Rechtslebens sollen in zwei weiteren Komplexen vorweg die Ausführungen der untersuchten Rechtsbücher zu „König, Kaiser und Reich“ sowie die „Literarischen Rahmentexte“, also Reimvorreden, geschichtliche Exkurse und ähnliches, Beachtung finden, weil sie einen gewissen Eigenwert entwickeln, der in der Regel jenseits der Ordnungsfunktion im konkreten Rechtsstreit liegen dürfte. Gerade das macht sie aber für die Untersuchung interessant, weil zu fragen sein wird, welche andere Funktion sie in der Komposition des Werkes möglicherweise zu erfüllen haben. Um sich dabei nicht im Detail der einzelnen Rezeptionsträger zu verlieren, wird im vierten Kapitel der Stand der Rezeption oft gebündelt erfasst. Die im Anhang (S. 571 ff.) beigefügte Gesamtkonkordanz sichert die Überprüfbarkeit dieser Ergebnisse und soll dem Leser gezielte Lektüre ermöglichen. Besondere Beachtung soll schließlich in allen Teilen der Untersuchung auch die Behandlung der jeweiligen Quellen und Rechtsinstitute in der juristischen Literatur und Forschung bis zurück in die frühe Neuzeit finden. Der Rückgriff auf das gesamte Spektrum der Forschungsgeschichte ist dabei keineswegs Selbstzweck. Auch ohne sich notwendigerweise auf die 213 Dass das nicht immer möglich sein wird, bedarf keiner umfänglichen, sprachphilosophischen Ausführungen. Ich verweise nur auf die Diskussion, die Otto Brunners Forderung, über das Mittelalter nach Möglichkeit vermittels zeitgenössischer Terminologien zu sprechen, ausgelöst, und die bis heute noch keine befriedigende Lösung gefunden hat – vor allem wohl auch deshalb, weil auch die mittlerweile neuen Diskutanten wenig von der Dichotomie der gegensätzlichen Extrempositionen aufzugeben bereit waren. 214 Grundlegende Überlegungen dazu bei Kisch, Schöffensprüche.
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weite Diskussion um die gegenwärtige geistes- und sozialwissenschaftliche Publikationskultur einzulassen, schuldet sich dieser Rückgriff vielmehr der Überlegung, dass die Sichtung, Erfassung und Auswertung nicht nur der aktuellen und damit per se vermeintlich einschlägige(re)n, sondern auch der zurückliegenden Forschungsliteratur durchaus einen wissenschaftlichen Eigenwert entfaltet.215 Es wäre naiv, zu glauben, jüngere Forschung entwickle stets das bis dahin sichere Fundament der älteren fort, bilde gleichsam die Spitze einer sich durch ständige Neubearbeitung sicher nach oben entwickelnden Erkenntnispyramide. Viele wichtige Werke vor allem des 19. Jahrhunderts und damit auch viele Fragestellungen (und Antworten) sind von den Grundlagenforschungen Homeyers, Eckhardts und anderer großer Wissenschaftler überdeckt worden, so dass Manches heute neu wirkt, was zuvor schon einmal gedacht, von jenen Nestoren aber für irrelevant oder selbstverständlich befunden und daher nicht mehr vermerkt wurde. Oft genug werden auch alte Forschungsmeinungen auf diesem Weg immer weiter tradiert, ohne die kritischen und von den damaligen Autoritäten negierten Stimmen überhaupt noch wahrzunehmen.216 Es gilt noch immer, was Hermann Heimpel einmal spitz bemerkte: Literaturkenntnis schützt vor Neuentdeckungen.
215
Den Diskussionsstand bündelt griffig Kirsch, Hindernisse. Ein gutes Beispiel dafür ist die (nicht mehr stattfindende) Diskussion um den Vorlagencharakter des sog „Auctor vetus de beneficiis“ gegenüber dem Sächsischen Lehnrecht – vgl. unten, S. 88–91. 216
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel I. Eike von Repgow und Hoyer von Falkenstein Eike von Repgow tritt uns in der Reimvorrede selbst als Verfasser des Sachsenspiegels gegenüber. Wenn auch Art und Umfang der Bearbeitung durchaus unterschiedlich beurteilt wurden, so ist diese Verfasserschaft zumindest am deutschen Landrechttext des Sachsenspiegels doch zu keiner Zeit ernstlich angezweifelt worden.1 Schon für die ältere Forschung stand widerspruchslos fest, dass „nobilem Saxonem Epkonem a Repkow, auctoritate comitits Hoyeri a Falckenstein impulsum, initio seculi XIII. consuetudines patrias, quae ad omne genus iuris tum publici tum privati veluti feudalis, criminalis et civil spectent, in codicem, qui nomine Speculi Saxonici venire solet, redegisse.“2 Lediglich die Notiz einer Soester Handschrift („greve Hoyger van Valkenstene composuit textum, Eyke van Repgouwe fecit glossam“)3 hat einige Aufmerksamkeit erregt und Dreyer sogar zu der Frage gereizt, „ob nicht der erste lateinische nunmehr unsichtbar gewordene Text aus der Fabrik des Falkenstein gekommen? und ob derselbe nicht diese seine lateinische Compilation dem Repkau, um selbe ins teutsche zu übersetzen hingegeben habe“.4 Er selbst ist aber dieser Frage in späteren Arbeiten nicht mehr nachgegangen und auch sonst hat sich die Forschung der Ansicht angeschlossen, dass hier „unzweifelhaft nur die willkürliche Auffassung des Abschreibers“ zu tage trete. Nur eine abweichende Deutung hat später zwar keine Anhänger, aber doch einiges an Aufmerksamkeit für sich reklamieren können: „Aller Boden sicherer Forschung wird verlassen“, so kritisierte Stobbe zu Recht, wenn Alexander von Daniels behauptete, 1
Zum Lehnrecht vgl. unten, S. 199 ff. Kind, De usu et auctoritate, S. 8 f. 3 Soest, StdA, Cod. 25/2 (Oppitz Nr. 1357) – vgl. die gründliche Beschreibung der Handschrift bei Michael, Handschriften, S. 161–164. Weiteres zu dieser Handschrift auch unten, S. 241, Anm. 141. 4 Dreyer, Beyträge, S. 159. Dieser interessante Band des zu Unrecht etwas in Vergessenheit geratenen großen Gelehrten enthält drei einzelne Abhandlungen, von denen vor allem die zweite von Interesse sein wird: Versuch eines Versuchs zur Kenntniß der Gesetzbücher Helvetiens (S. 4–94), Abhandlung von den Ausgaben des Sachsen-Spiegels (S. 95–172), Von einigen seltenen gedruckten teutschen und nordischen Rechts- und Gesetz-Büchern (S. 173–188). 2
I. Eike von Repgow und Hoyer von Falkenstein
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„der süddeutsche Schwabenspiegel sei in Schlesien mit dem Magdeburger Weichbild zusammengetroffen und aus beiden Quellen sei der Sachsenspiegel, wahrscheinlich von einem städtischen Schöffen Schlesiens verfasst worden“.5 Durchgesetzt hat sich diese Deutung nicht. Als zweite historisch belegte Person begegnet in der Vorrede des Sachsenspiegels Graf Hoyer von Falkenstein, den Eike im Zusammenhang mit der deutschen Übersetzung des Rechtsbuches nennt.6 Seine Rolle ist, auch abseits von der oben herangezogenen Soester Notiz, von der Forschung stets unterschiedlich beurteilt worden. Coler beispielsweise stellt sich den Vorgang dergestalt vor, dass Hoyer von Falkenstein, „tunc temporis unus ex Tetrachis Saxoniae“, den Sachsenspiegel bestätigt („aprobavit“) und erst daraufhin Eike gebeten habe, ihn „in linguam Germanicam“ zu übersetzen. Er konnte sogar anführen, dass „cuius familia usque ad nostra tempora in Electoratu Saxoniae superstes fuit“.7 Im Verlauf des 19. Jahrhunderts aber spitzte sich das Interesse an Hoyer auf die Frage zu, in welchem konkreten Verhältnis er zu Eike gestanden haben mag, wohingegen ein etwaiger eigenständiger Anteil an der Entstehung des Rechtsbuches keinen Diskussionspunkt mehr darstellte. Obwohl kaum Gesichertes über seine Person bekannt ist, hat das 20. Jahrhundert eine Fülle von Arbeiten über Eike von Repgow hervorgebracht:8 Zu nennen wären nur die einschlägigeren von ihnen, namentlich Kurt Mülller,9 Walter Möllenberg10 und Karl August Eckhardt,11 in jünge5
Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 297 f. Auch Hoyer hat schon früh das Interesse der Forschung geweckt. Homeyer, Ueber eine alte Handschrift, Sp. 306–308 berichtet von einer Nürnberger Handschrift (Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Nr. 5449a = Oppitz Nr. 1166), in die eine Hand des 16. Jahrhunderts Notizen über „Graff Hoier von Falkenstin, ein Saxe von Quedlinburgh seßhaftigh“ (Innendeckel, Vorderseite) enthalte. Aus der älteren Literatur zu Hoyer vgl. vor allem Dreyer, Beyträge, S. 125 f. und Kopp, Bilder und Schriften, Bd. 1, S. 138–143; Baumann, Eike von Repgow; Remmler, Graf Hoyer sowie die noch heute maßgebliche Studie von Eckhardt, Eike und Hoyer. Zu den Falkensteinern jüngst noch Schymalla, Falkenstein. Zur Topik der Beschreibung von Hoyers Bitte vgl. Bumke, Mäzene, S. 268 f. 7 Coler, Oratio, Vorrede (unpag.). 8 Ich nenne nur die Arbeiten von Wolf, Rechtsdenker, S. 1–29; Häberlein, Eike von Repgow; Eckhardt, Eike von Repgow; Thieme, Eike von Repgow; Pahlmann, Eike von Repgow – weitere Literatur bei Kümper, Eike von Repgow, und in den folgenden Anmerkungen. 9 Müller, Wahrheit und Dichtung. 10 Möllenberg, Eike von Repgow; vgl. dazu auch die Besprechung von Karl August Eckhardt in der ZRG GA 55 (1935), S. 376–378, der eine Reihe von Korrekturen anbringt. 11 Eckhardt, Eike und Hoyer. 6
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
rer Zeit dann Rolf Lieberwirth,12 Peter Johanek13 und Alexander Ignor.14 Die letzte bündige Zusammenschau des bis dahin Bekannten hat, angereichert mit einer Reihe kundiger Beobachtungen zur Kontinuität des älteren, ungeschriebenen Sachsenrechts im Sachsenspiegel, Brigitte Janz vorgelegt.15 Seitdem ist es rund fünfzehn Jahre lang verhältnismäßig ruhig um Eike geblieben. Was zur Person des Spieglers erschien, war in der Regel Zusammenfassung vorliegender Erkenntnisse.16 Erst mit Peter Landaus Vortrag auf dem Bonner 35. Deutschen Rechtshistorikertag im Herbst 2004 hat sich das geändert.17 Eikes Herkunftsort wird in der Vorrede des Sachsenspiegels und auch in den wenigen auf uns gekommenen Urkundenzeugnissen als das kleine Dorf Reppichau (Ribichowe, Repechowe, Ripchowe, Ribecowe, Repchowe), einige Kilometer westlich von Dessau, angegeben, das heute zum Landkreis Köthen, damals zum Sorbengau Serimunt (d.i. in etwa das Gebiet zwischen Saale, Elbe, Mulde und Fuhne) zählte.18 Vermutlich kam seine Familie im 12. Jahrhundert als Kolonisten aus dem Altsiedelland.19 Nachweisen lässt sich aber auch das letztendlich nicht, ebenso wenig der Wohnsitz der Familie, der hinter der Kirche vermutet worden ist.20 Lediglich in Magdeburg ist familiärer Hausbesitz zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit nachweisbar.21 Woher Kaller, der auch sonst mit seinen Anmerkungen sparsam und seinen Ausführungen nicht immer treffsicher ist, die von ihm behauptete Forschungsthese von einer jüdischen Verwandtschaft genommen hat,22 ist mir nicht erkennbar. Sie wird sich aber auf die eine oder andere Weise aus der oben erwähnten Urkunde gespeist haben, in der Erzbischof Albrecht dem Erzstift einen Hof, den bisher eine 12
Lieberwirth, Eike von Repchow; ders., Entstehung. Johanek, Eike von Repgow. 14 Ignor, Rechtsdenken. 15 Janz, Eike von Repgow. 16 Beispielsweise Solms-Weinert, Eike von Repgow. 17 Dazu unten, S. 84 f. 18 Schwineköper, Reppichau. Zum Gau Serimunt vgl. Hessler, Mitteldeutsche Gaue, S. 32 (dort auch eine Karte); zur Siedlungsgeschichte vgl. Hoppe/Stock, Nachbarschaft. 19 Lieberwirth, Eike von Repchow, S. 23; vgl. auch Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 9–15 (Stammtafel auf S. 25). 20 Janz, Eike von Repgow, S. 28; Schwineköper, Reppichau, S. 389. 21 Hertel, Magdeburger UrkB, Bd. 1, S. 44 (Nr. 88); vgl. dazu Lieberwirth, Eike von Repchow, S. 23 sowie unten, Anm. 78, Anm. 72. 22 Kaller, Sachsenspiegel. S. 1 – Derschka, Schwabenspiegel, S. 9 schreibt das den „Erfordernissen gegenwärtiger ‚political correctness‘ “ zu. Zur Kritik an Kallers unzulänglicher Ausgabe vgl. die Besprechung von Rolf Lieberwirth in der ZRG GA 121 (2004), S. 638 f. 13
I. Eike von Repgow und Hoyer von Falkenstein
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„domina Salome“ von Reppichau zusammen mit ihrem Sohn Albrecht vom Domprobst zu Lehen gehabt hatte, zur Erstattung für den Hof des Ritters Helwig von Rothensee, der wiederum dem Predigerkloster „ad amplicationem ipsorum conventualis“ zur Verfügung gestellt worden ist, zuweist.23 Die Verbindung zwischen Name und Religionszugehörigkeit ist jedenfalls, ganz gleich wie man Kischs These von einer Beeinflussung Eikes an manchen Stellen des Rechtsbuches durch eine „oral jewish tradition“ bewerten mag,24 nicht haltbar. Wahrscheinlich gehörten vielmehr Teile der Familie der erzbischöflichmagdeburgischen Ministerialität an; Eikes Vater und Großvater waren möglicherweise Burgmannen auf dem Giebichenstein bei Halle.25 Die dortigen Burggrafen waren Träger von Verwaltung und Gerichtsbarkeit im Dienste des Erzbischofs,26 so dass es selbstverständlich möglich, aber durch nichts weiter belegt ist, dass auch Eikes Vorgängergeneration mit Aufgaben im Umfeld der Rechtspflege betraut gewesen sein mögen. Im Grunde aber spiegelt sich in diesen Bindungen der Familie, selbst wenn sie letztlich nur Vermutung bleiben, das gleiche regionale Umfeld ab, das uns auch aus den wenigen im Folgenden vorzustellenden Urkunden, in denen Eike selbst genannt wird, vermittelt wird. Die vermeintliche „Eike-von-Repgow-Glocke“ im Reppichauer Kirchturm schließlich, auf der Richard Schröder „durch scharfes Zusehen“ die Inschrift „EIKEvR“ erkannt haben will,27 war bereits einige Jahre zuvor auf das 14. Jahrhundert datiert worden.28 Auch die anlässlich der Gedenkfeier von 1934 vorgenommene Suche nach Eikes Grab blieb erfolglos.29 Als historisch gesicherte Persönlichkeit ist Eike letztlich lediglich durch sechs Urkunden aus den Jahren 1209 bis 1233 belegt. Friedrich Winter hat sie erstmals sämtlich zusammengestellt,30 in den Anlangen zu Alexander Ignors Arbeit über das „Allgemeine Rechtsdenken“ des Spieglers sind sie bequem greifbar31 und im Oldenburger Ausstellungskatalog von 1995 ausführlich beschrieben.32 Sie zeigen uns Eike als Zeugen gemeinsam mit den 23
Siehe oben, S. 70, Anm. 21. Kisch, Jewish Thought, S. 179; vgl. dazu unten, S. 103 f. 25 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 10–16 mit Einzelnachweisen; vgl. ferner Johanek, Eike von Repgow, S. 724. 26 Mülverstedt, Giebichenstein. 27 Schröder, Eike-von-Repgow-Glocke. 28 Büttner, Bau- und Kunstdenkmäler, S. 389 f. 29 Janz, Eike von Repgow, S. 28 f. – Der Grabungsbericht konnte nach freundlicher Mitteilung des Landesmuseums für Vorgeschichte (Halle a. d. Saale) im dortigen Archiv der Boden- und Denkmalpflege nicht mehr aufgefunden werden. 30 Winter, Eiko von Repgow S. 307–312. 31 Ignor, Rechtsdenken, S. 325–330. 24
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
wichtigsten sächsischen Großen seiner Zeit, unter denen „zweifellos Eikes Gewährsmänner für die großen Ereignisse der Reichspolitik jener Zeit“ zu suchen sein werden.33 Zunächst tritt „Eicke de Ribichowe“ 1209 als Zeuge „in loco qui dicitur Mettine“ auf,34 einer Dingstätte, die sich „auf dem Metterberg, oberhalb des Zörbiger Strengbaches bei Quetzdölsdorf“ und also nicht mehr im Gau Serimund, sondern in der Grafschaft Brehna befand.35 Friedrich von Krosig bestätigt als Vertreter des Grafen36 die Übertragung der Burg Spören mit 170 Hufen Land, des Erbgutes der Burggrafen Johannes und Walter von Giebichenstein,37 „de consensu matris et heredum suorum“ an die „ecclesia Nuenburgensi“.38 Hier liegt also genau ein solcher Vergabefall im echten Ding und mit Erlaubnis der Erben („Erbenlaub“) vor, wie ihn Eike selbst später in seinem Rechtsbuch als verbindliche Form beschreiben sollte.39 Erst Jahre später erscheint Eike erneut als Zeuge, diesmal als „Heico de Repechowe“ am 21. Februar 1215 in Lippene („Lopene“)40 bei der Schenkung des Dorfes Lotschke als Eigen an das neu gegründete Kollegiatsstift bei der Marienkirche zu Coswig durch Graf Heinrich von Ascharien, Fürst von Anhalt. Dieses Dorf hatte zuvor Hoyer von Falkenstein zu Lehen. Auch hier wird besonders der freie Wille des Schenkers und seiner Erben, 32 Kolmann et al., Sassen speyghel, S. 435–437 (Nrn. StM1–StM5). Die Urkunde von 1219 (o. O.) wurde nicht ausgestellt. 33 Kroeschell, recht unde unrecht, S. 80. 34 Druck in Cod. dipl. Anhalt., Bd. 1 (1876), S. 576 f. (Nr. 779); Cod. dipl. Sax. reg., Bd. 1, 3 (1898), S. 110 (Nr. 140); Bierbach, UrkB Halle, S. 125 f. (Nr. 131) – Regest bei Dobenecker, Regesta, Bd. 2, S. 268 f. (Nr. 1450). Zur Urkunde vgl. Janz, Eike von Repgow, S. 30 f.; Johanek, Eike von Repgow, S. 722–724 sowie Möllenberg, Eike von Repgow, S. 22 f. 35 Lieberwirth, Eike von Repchow, S. 22 – vgl. ferner auch Neuss, Mettine. Zur Lokalisierung ausführlich Reischel, Wüstungskunde, S. 287–289. 36 Gemeint ist Dietrich von Brehna – vgl. Schlesinger, Gerichtsverfassung, S. 83 f. 37 Zu ihnen vgl. Johanek, Eike von Repgow, S. 724. 38 Ignor, Rechtsdenken, S. 325 sieht darin mit Schwineköper, Spören, die Stadt Nienburg; dagegen spricht sich Janz, Eike von Repgow, S. 30 für Naumburg aus. In der Tat spricht der Aufbewahrungsort (Naumburg, Stiftsarchiv, Urk. Nr. 50) für diese Deutung. Aus den Ortsnamen allein lässt sich die Entscheidung nicht treffen, denn tatsächlich erscheint auch Naumburg bspw. 1144 als „Nuenburg“; vgl. Eichler/ Walther, Städtenamenbuch, S. 194 und Schmidt-Thilbeer, Naumburg. 39 Vgl. dazu auch ausführlich Janz, Eike von Repgow, S. 42–46. 40 Druck in Cod. dipl. Anhalt., Bd. 2 (1875), S. 13 (Nr. 14). Zur Urkunde vgl. Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 19; Janz, Eike von Repgow, S. 31 f.; Lück, Askanier, S. 108 und Johanek, Eike von Repgow, S. 735 f. und S. 740–743 mit ausführlichen Nachweisen zu den beteiligten Zeugen. Diese Urkunde ist im Übrigen auch die erste Erwähnung des Schlosses Lippehna, das zeitweise als Residenz der anhaltischen Fürsten fungierte; vgl. Büttner, Bau- und Kunstdenkmäler, S. 373.
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in diesem Fall aber auch die Zustimmung des Lehnsinhabers betont. Interessant ist dabei vor allem die – für die Zeit durchaus nicht unübliche –41 Zweiteilung der Zeugenreihe: Zunächst werden acht „nobiles viri“ genannt, unter ihnen auch Eike. Darauf folgen achtzehn „ministeriales“. Diese Beobachtung wird wichtig, wenn wir zur nächsten Urkunde fortschreiten: Wir treffen Eike wie bereits 1209 wieder gemeinsam mit Markgraf Dietrich von Meißen, diesmal am 21. Mai 1218 in Grimma (Grimme).42 Die bezeugte Übertragung des Markgrafen von insgesamt 30 Hufen Landes in den Dörfern Glasan und Miltitz „cum consensu sub dicti comitis“, genauer der „markgräflichen Lehnleute Hertwich von Ranstädt, Hertwich von Halle und Theoderich von Litelaw“,43 geschieht an jenes Kloster Altzelle, das Landau als Abfassungsort des Sachsenspiegels in die Diskussion eingebracht hat. In der Zeugenreihe dieser Urkunde taucht Eike zum ersten Mal unter den Ministerialen auf. Daraus hat Otto von Zallinger in seiner noch immer wertvollen Arbeit über die „Schöffenbarfreien des Sachsenspiegels“ gefolgert, er habe sich zwischen 1215 und 1218 in eine Sonderform von Ministerialität („Vorbehalts-Ministerialität“) begeben, die er mit dem Rechtsstatus der Schöffenbarfreien identifiziert.44 Die These, Eike sei selbst Schöffenbarfreier gewesen, gilt heute, obwohl streng genommen nicht nachweisbar, als allgemein akzeptiert. Zumindest würde so erklärlich, warum dieser im Sachsenspiegel überhaupt erstmals auftauchende Stand vom Spiegler mit so vielen Rechten bedacht worden ist. Das hat wohl auch Johann von Buch schon so gesehen, der in der Glosse zu Ssp. Ldr. III 26 § 2 feststellt, Eike sei „zuluen en schepenbare vrye“ gewesen.45 Auch die Übertrittsthese scheint angesichts der urkundlichen Überlieferung durchaus plausibel. Während Zallinger es aber ablehnte, Eikes Lehnsherrn aus den spärlichen Indizien zweier gemeinsamer Nennungen und der Anrede in der Reimvorrede („herre“) identifizieren zu wollen,46 hat Richard Schröder in 41 Über die Auswertung von Zeugenreihen zur Feststellung sozialer Rangordnungen vgl. beispielsweise die Arbeiten von Gerlach, Thesen, und Wegener, Zeugenreihen. Zuletzt hat noch Hillen, Curia Regis, Zeugenreihen zur Grundlage seiner Untersuchung gewählt. 42 Bericht in einer Urkunde Markgraf Dietrichs von Meißen vom 29. Okotober 1218, gedruckt im Cod. dipl. Sax. reg., Bd. 1, 3 (1898), S. 186 f. (Nr. 254); Regesten bei Dobenecker, Regesta, Bd. 2, S. 326 (Nr. 1789) und S. 328 (Nr. 1804); Abb. der Urkunde bei Janz, Eike von Repgow, S. 33. Zur Urkunde vgl. eingehend Lück, Eike in Grimma, S. 85. 43 Lück, Eike in Grimma, S. 85. 44 Zallinger, Schöffenbarfreie, S. 202–219; vgl. dazu auch Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 26–33. 45 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 2, S. 1085. 46 Zallinger, Schöffenbarfreie, S. 219. Für möglich hält er, dass Eike Dienstmann „der Grafen von Ascharien oder des Markgrafen von Meißen oder eines anderen
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Hoyer von Falkenstein jenen neuen Dienstherrn gesehen.47 Damit war nicht nur ein neuer terminus post quem für die Entstehung der deutschen Urfassung, sondern auch die so lange gesuchte, nun endlich einleuchtende Verbindung zwischen Eike und Hoyer gefunden. Nur kurzzeitig ist diese Auffassung aufgegeben und Eike (wieder) als Edelfreier bezeichnet worden.48 Dieser Meinung hat sich zunächst auch Eckhardt angeschlossen,49 sie später aber zugunsten eines Lehnsverhältnisses zwischen Eike und Hoyer aufgegeben und damit die communis opinio der nächsten Jahrzehnte begründet, was umso mehr verwundert, als seine grundlegende Studie über „Eike von Repchow und Hoyer von Valkenstein“ zwar einige neue Thesen und einiges Material über Hoyer, letztlich aber keine neuen Argumente enthält, die nicht bereits vorher bekannt gewesen wären. Lediglich Voltelini hat ohne großen Widerhall, aber doch eigentlich zu Recht, eingewandt, dass die bloße Titulatur „herre“ in der Reimvorrede nicht hinreiche, ein Lehnsverhältnis annehmen zu wollen, vielmehr jedem Edelfreien zukomme.50 Diesen Einwand hat Eckhardt freilich – obwohl er auch Zallingers Übertrittsthese für „gewiß nicht zwingend“ hielt – nicht gelten lassen, und damit für lange Zeit die Meinung zementiert, es sei unzweifelhaft, „daß Eike den Grafen Hoyer als seinen Herrn betrachtete“, jedoch nicht im Rahmen einer standesmindernden Dienstmannschaft gegenüber dem landrechtlich gleichgestellten Grafen; es habe vielmehr ein „freies Vasallitätsverhältnis“ bestanden.51 Dem Grafen Heinrich von Anhalt dagegen sei Eike als Dienstmann verbunden gewesen.52 Eckhardt konnte auch mittelalterliche Quellen anführen, die seine Ansicht über das vermutete Lehnsverhältnis teilten: So hätten „[v]erschiedene Abschreiber des Sachsenspiegels [. . .] auch kein Bedenken getragen, die Worte ‚des herren gere‘ [= Praef. rhythm., Z. 278] in ‚seinz herren Fürsten“ geworden sei. An einen Übertritt in die Dienstmannschaft eines landrechtlich Standesgleichen, wie es Hoyer gewesen wäre, glaubt er offenbar nicht; ebenso auch Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 8. 47 Schröder, Kunde, S. 60 bejaht zwar Zallingers Argumentation, folgert aber dann in ders., Lehrbuch, Bd. 1, S. 721 das Vasallitätsverhältnis der beiden. 48 Möllenberg, Versuch, S. 403 f. 49 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 3–5. 50 Voltelini, Sachsenspiegel und Zeitgeschichte, S. 66 f.; ebenso Hirsch, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 10. 51 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 6–8. Was unter einem solchen „freien Vasallitätsverhältnis“ konkret zu verstehen sei, ist mir nicht klar geworden. Dem Argument, ein heerschildminderndes Lehensverhältnis zwischen landrechtlich Gleichgestellten sei kaum denkbar (vgl. Ssp. Ldr. III 65 § 2: „Wirt en man sines genoten man, sine bord noch sin lantrecht ne hevet he nicht gekrenket dar mede, sinen herschilt hevet he aver genederet.“), hat sich die Literatur bereits früh angeschlossen. 52 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 21–23. Dagegen nimmt Thieme, Eike von Repgow, S. 191 an, Eike sei über ein Lehnsverhältnis zu Hoyer Aftervasall der Anhalter gewesen.
I. Eike von Repgow und Hoyer von Falkenstein
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gere‘ umzuändern“.53 Ferner begründet die Vorrede zum „Holländischen Sachsenspiegel“, in der vom Verfasser nicht in der ersten, sondern in der dritten Person gesprochen wird, Eikes Entschluss zur Übertragung des Rechtsbuches in die deutsche Sprache nicht auf „des herren liebe“, sondern schnöde auf „des herren leen“.54 Eckhardt hat das zweifellos richtig als einen Lesefehler („lene“ statt „leue“), wenn auch als ein „immerhin [. . .] nicht unbeachtliches“ Missverständnis, erkannt.55 Was daran „beachtlich“ sein soll, und warum die Schreibfehler in der Görlitzer Handschrift nicht auf gleiche Weise zu erklären sein sollten, vielmehr ein „mittelalterlicher Abschreiber [. . .] die Stelle eben nur so“ hätte verstehen können,56 ist mir durch nichts ersichtlich. Damit bleiben auch Eckhardt letztlich nicht mehr als die wenigen Zeilen der Reimvorrede, um ein Lehnsverhältnis zwischen Eike und Hoyer anzunehmen. Dennoch konnte von diesem Stand der Dinge Kroeschell noch 1977 feststellen, er sei „heute nicht mehr umstritten“.57 Verhaltener war die Forschung gegenüber den weitergehenden Annahmen Eckhardts, der Eike als Mitstreiter des Grafen bei der Vertreibung der Quedlinburger Äbtissin Sophia 1223 sah, wo er als Mitglied der Besatzungsmannschaft auf der Burg in den Jahren 1224 bis 1226 unter Nutzung der dortigen Stiftsbibliothek den Sachsenspiegel übersetzt (und wohl auch umgearbeitet) habe.58 Ähnlich muss es sich auch Molitor vorgestellt haben, wenn er feststellt, es läge nahe, „den unmittelbaren Anlaß“ der in der Tat auffällig ausführlichen Regelungen in Ssp. Ldr. II 71 § 5 über Gerüft, Friedebruch und das Brechen einer Burg, die des Friedebruches verdächtig ist, „in den sog. Quedlinburger Wirren zu suchen, in deren Verlauf Graf Hoyer unter dem Vorwande eines Friedebruchs der in II 72 § 1 geschilderten Art im Jahre 1224 die Burg in Quedlinburg einnahm und ihre Mauern brach.“59 Diese vorsichtige Annahme mag noch einiges für sich haben; die Vorstellung Eckhardts bleibt reine Spekulation. Ferner glaubte dieser, zwei Hufen des Quedlinburger Vogteigutes als eines von Eikes Lehen identifizieren zu 53
Eckhardt, Entstehungszeit, S. 6 – die von Eckhardt angesprochene Görlitzer Handschrift findet sich heute in Krakau, Universitätsbibliothek, Przyb. 42/60, olim Görlitz, Ratsarchiv, Varia 1 (Oppitz Nr. 861); vgl. dazu Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 107–111. 54 Geer, Saksenspiegel, Bd. 1, S. 10 f. 55 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 8. 56 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 6. 57 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 425. 58 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 64–68. Für diese Annahme argumentiert Eckhardt hauptsächlich mit der Sächsischen Weltchronik (cap. 364, ed. Weiland, S. 243). Über die Übersetzung in Quedlinburg vgl. auch ders., Auctor vetus, S. 42–47. Von der Vertreibung der Äbtissin berichtet auch die Weichbildchronik; vgl. Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 43. 59 Molitor, Gedankengang, S. 41.
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können.60 Erst in jüngerer Zeit ist die lehnsmäßige Beziehung zwischen Eike und Hoyer vor allem von Johanek wieder bestritten worden. Der zentrale Ertrag seiner überzeugenden Studie war es, Eike ebenso wie Hoyer von Falkenstein in den Umkreis Heinrichs. I. († 1252), Graf von Ascharien und Fürst von Anhalt, einzureihen.61 Ob er jedoch geradezu in dessen Diensten gestanden hat, wie Johanek vermutet, muss offen bleiben. Dagegen hat sehr deutlich Ignor, dessen Studie beinahe zeitgleich erschien, plädiert, letztlich aber auch nur vermutet, dass Eike „vielleicht in irgendeiner Beziehung zu den Askaniern (Anhalt) oder Wettinern (Meissen) stand“.62 Heiner Lück, der vor wenigen Jahren noch über die Beziehung zwischen Askaniern und Sachsenspiegel gehandelt hat, umgeht eine Stellungnahme in dieser Sache.63 Es wird sich aber auch vorbehaltlich neuer Quellenfunde nichts Definitives dazu sagen lassen. Kehren wir also zurück zu den Urkunden. Bereits ein knappes Jahr nach der zumindest wissenschaftsgeschichtlich so wichtigen Beurkundung von Grimma, am 2. April 1219, treffen wir Eike erneut gemeinsam mit Graf Hoyer bei einem Rechtsgeschäft.64 Der Ausstellungsort bleibt ungenannt. Mit einem Vergleich endet hier der Rechtsstreit zwischen Heinrich von Anhalt und dem Goslarer Stift St. Simonis et Judae: Fürderhin dürfen die Stiftsherren ihre „officia“ loslösen und auch die Meierhöfe, die Heinrichs Rechtsprechung unterstellt sind, frei verpachten. Diesmal findet sich Eike „mitten unter den Ministerialen des Anhalters“.65 Am 2. Mai 1224 erhält das Kloster Altzelle erneut eine Schenkung, diesmal jedoch beurkundet durch Landgraf Ludwig von Thüringen (den Ehemann der heiligen Elisabeth), der als Vormund für den unmündigen Heinrich, den Sohn Dietrichs von Meißen, auftritt. Die Übertragung von sieben Hufen Land im Dorf Weissig an das Kloster durch Volrad von Landsberg 60
Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 66 f. Ohne das prosopographische Rüstzeug und eher mit allgemeinen und daher wenig tragfähigen Erwägungen hatte das bereits Mann, De origine et auctoritate, getan, dessen kleine Untersuchung aber von der rechtshistorischen Forschung nicht weiter zur Kenntnis genommen worden ist. 62 Ignor, Rechtsdenken, S. 59. 63 Lück, Askanier. 64 Druck in Cod. dipl. Anhalt., Bd. 2 (1875), S. 30 f. (Nr. 32) und Bode, UrkB Goslar, Tl. 1, S. 407 (Nr. 400). Zur Urkunde vgl. Janz, Eike von Repgow, S. 33 f.; Möllenberg, Eike von Repgow, S. 25; Lück, Askanier, S. 108 f. sowie ausführlich ders., Eike und der Saalkreis. Diese Urkunde gilt neben der in Lippene (21.II.1215) ausgestellten als Hauptargument einer Zuordnung Eikes zum Umfeld der anhaltischen Fürsten. 65 Johanek, Eike von Repgow, S. 736. Inwieweit es hier eine Rolle spielen könnte, dass es sich bei der Urkunde um eine Abschrift handelt, möglicherweise eine Empfängerausfertigung (S. 740), muss offen bleiben. Vgl. dazu auch Ignor, Rechtsdenken, S. 56. 61
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und seinen Sohn Konrad findet auf dem Landding zu Delitzsch („Dels“) statt.66 Hier tritt der Grundsatz des „Erbenlaub“, der bei der ersten urkundlichen Nennung Eikes explizit angesprochen wurde und uns später noch zu beschäftigen haben wird, in einer besonderen Form hervor: Der Erbe Konrad ist nicht nur Mitschenker, sondern zugleich auch Zeuge des Rechtsgeschäftes; in der Zeugenreihe taucht er gleich hinter Eike an neunter Stelle auf. Zum letzten Mal ist „Eico de Repchowe“ beinahe zehn Jahre später, am 15. Oktober 1233 in Salbke („Salbcke iuxta pontem“), heute ein Stadtteil von Magdeburg, belegt.67 Zu dieser Zeit dürfte er also die erste Redaktion des Sachsenspiegels bereits abgeschlossen oder doch zumindest zu einem großen Teil vollendet haben. Die Urkunde lässt keinen Hinweis auf die Schriftstellerlorbeeren zu, die sich der relativ weit hinten in der Zeugenliste, hinter den Schöffen und dem Fronboten der Grafschaft Mühlingen und vor den brandenburgischen Dienstmannen aufgeführte Eike verdient hatte. Angeführt wird die Zeugenliste von Graf Heinrich von Anhalt und seinen beiden Söhnen. Die Urkunde vereint zwei Rechtsgeschäfte, die beide die Übertragung von Eigen der brandenburgischen Markgrafen Johann I. und Otto III. an das Kloster Berge bei Magdeburg beinhalten. Zunächst wird das gesamte markgräfliche Eigen in Billingsdorf gegen die Summe von 40 Mark Silber verkauft, darüber hinaus werden aber auch dem Kloster zusätzlich drei Güter in Eggersdorf geschenkt. Homeyer war der Ansicht, in Salbke Eikes Schöffenstuhl lokalisieren zu können; dass ferner die Richtstätte der Grafschaft Billingshohe angehört habe und Graf Hoyer von Falkenstein dort Richter gewesen sei.68 Möllenberg hat es auf eine knappe und wohl treffende Formel gebracht: „Hieran ist so ziemlich alles falsch.“69 Neben diesen sechs gesicherten sind eine Reihe mehr oder minder wahrscheinlicher Aufenthaltsorte des Spieglers, nämlich in Verbindung mit seiner Ausbildung Halle70 und Halberstadt,71 ansonsten auch Magdeburg,72 66 Druck in Cod. dipl. Sax. reg., Bd. 1, 3 (1898), S. 342 (Nr. 325) – Regest bei Dobenecker, Regesta, Bd. 2, S. 383 (Nr. 2138); Abb. der Urkunde bei Janz, Eike von Repgow, S. 35 – zur Sache vgl. auch Möllenberg, Eike von Repgow, S. 25 f. und Johanek, Eike von Repgow, S. 723. Die Dingstätte Delitzsch ist als Landding der Grafschaft Eilenburg zwar belegt, die genaue Lage aber heute unbekannt – vgl. Neuss, Delitzsch. 67 Druck in Cod. dipl. Anhalt., Bd. 2 (1875), S. 94 (Nr. 116); Holstein, UrkB Berge, S. 64 (Nr. 88). Zur Urkunde vgl. Janz, Eike von Repgow, S. 35 f.; Lück, Askanier, S. 109 f. und Möllenberg, Eike von Repgow, S. 26–31 (dort auch zur Dornburger Dingstätte Salbke). 68 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 8 f. 69 Möllenberg, Eike von Repgow, S. 27. 70 Lieberwirth, Eike und Halle. 71 Siehe unten, S. 78. Zu Halberstadt um 1200 vgl. Siebrecht, Halberstadt.
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Quedlinburg,73 und natürlich der Stammsitz Hoyas von Falkenstein, die Burg Falkenstein im Selketal,74 genannt worden. Für keine dieser Städte ist ein Aufenthalt Eikes oder eine direkte Verbindung zu Stadt oder Einwohnern nachweisbar. Auch sind in jüngerer Zeit Beziehungen zur Harzregion in Frage gestellt worden.75 Es hat aber selbstverständlich einige Plausibilität, dass Eike auch die großen Städte seines weiteren Wirkungskreises76 gekannt haben dürfte. Wo Eike seine Schulbildung erhielt, ist ungewiss. Eugen Rosenstock hat die These vorgebracht, Eike sei Schüler des berühmten Kanonisten Johannes Teutonicus (Zemeke) gewesen.77 Kritiker dieser Annahme führen als schlagendes Argument zu Felde, dass Zemeke als Domherr (wenn überhaupt) 1212 und 1214/15 und als Scholaster 1220–1234, 1235 als Dekan und schließlich 1241 als Dompropst in Halberstadt belegt ist, wo er 1245 starb, also kaum zu der Zeit gewirkt haben dürfte, als Eike die Schule besuchte.78 Diese Argumentation steht und fällt selbstverständlich mit den angenommenen Lebensdaten des Spieglers. Eine bemerkenswerte These über Eikes Ausbildung hat dagegen Zeumer geäußert.79 Ihm war die Ausführlichkeit aufgefallen, mit der das Rechtsbuch 72 Vgl. dazu ausführlich Johanek, Eike von Repgow, S. 723 f. sowie oben (S. 70, Anm. 21) zum Magdeburger Hausbesitz seiner Familie. Auch Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 13 scheint „ein Schulbesuch in Halberstadt fast ausgeschlossen und der in Magdeburg nahe liegend“. Unentschieden Lück, Magdeburg, S. 157 f., der völlig zu Recht feststellt, dass die Urkunde des Jahres 1233 aus Salbke „als sicherer Beleg dafür gelten“ kann, „dass sich Eike von Repgow zumindest in der Nähe der damaligen Stadt Magdeburg aufgehalten hat. Weitere Beziehungen seiner Person zur Elbmetropole lassen sich daraus allerdings nicht ableiten.“ (S. 158). Zur Magdeburger Domschule vgl. Pätzold, Magdeburg, bes. S. 50–58. 73 Heinzle, Modelle, S. 21 vermutet, Eike könnte die „Hilfsmittel, die er für seine Arbeit benötigte, in der Bibliothek der bedeutenden Reichsabtei Quedlinburg gefunden“ haben; vgl. auch die Thesen von Eckhardt und Molitor, oben, S. 75. 74 Dazu unten, S. 80 ff. Über die Burg vgl. Korf/Korf, Falkenstein. 75 Johanek, Eike von Repgow, S. 723; Landau, Entstehungsort, S. 79 – allerdings sieht noch Händl, Sachsenspiegel, S. 120 die „fonte primaria del Sachsenspiegel“ in den „realtà guiridica delle corti nel territori degli arcivescovadi di Sassonia ai margini dello Harz“. 76 Lück, Eike und der Saalkreis, passim. 77 Rosenstock, Ostfalens Rechtsliteratur, S. 115–124. 78 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 354; Lieberwirth, Eike von Repchow, S. 25; Johanek, Eike von Repgow, S. 728; Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 13. Die Identität Zemeckes mit dem Halberstädter Domherr ist in den letzten Jahren wiederholt angezweifelt worden, wird aber mit guten Gründen bejaht von Landau, Johann Teutonicus, S. 18–29. Eine Ausbildung Eikes durch Zemecke hält aber auch er für unwahrscheinlich. Über den Kirchenrechtler insgesamt vgl. noch immer Schulte, Johannes Teutonicus. 79 Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 139.
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die Folgen des Klostereintritts für den Rechtsstatus eines Mannes nach Land- und Lehnrecht behandelt; deshalb könne auch ein Novize „alse grawer monecke recht stat“ binnen eines Jahres wieder austreten (Ssp. Ldr. I 25 § 3). In diesen „grauen Mönchen“ hat Zeumer ganz zu Recht die Zisterzienser erblickt und auf persönliche Kontakte Eikes zu diesem Orden rückgeschlossen.80 Möglicherweise sei ein solcher Austritt binnen eines Jahres sogar Teil von dessen eigener Biographie gewesen. Dagegen wetterte Möllenberg, der auch sonst mit sprachlich hübsch gezeichneten Historienbildern Eikes und seiner Zeit nicht gegeizt hat, ein „verpfuschter Theologe“ sei Eike unter keinen Umständen gewesen, habe er sich doch mit seinen Ansichten „geradezu im Gegensatz zu der kirchlichen Anschauung des Mittelalters“ befunden.81 Das ist so nicht richtig, täte aber auch sonst zur Sache nichts. Zeumers Überlegungen sind von der späteren Forschung wohlwollend zur Kenntnis genommen, aber nicht mehr näher aufgegriffen worden.82 Nur Johanek ist ihnen noch einmal nachgegangen, ohne aber zu neuen Ergebnissen zu kommen.83 Das liegt auch in dem Umstand begründet, dass Zeumer über sein Ziel hinaus geschossen hat: Mögen seine Überlegungen zu möglichen Kontakten Eikes zu Zisterzienserkreisen noch einiges für sich haben, so wirkt seine sich im Gedankengang des Aufsatzes anschließende These, dieser sei „nach Vollendung des Sachsenspiegels in der einen oder anderen Weise in den geistlichen Stand getreten“,84 allzu künstlich. Andererseits bleibt, wie wir im Kapitel über die Quellen des Sachsenspiegels sehen werden, auffällig, dass Eike durchaus Zugang zu geistlicher Literatur und vielleicht sogar zu den Quellen des Kirchenrechts gehabt zu haben scheint. Die Frage nach einer möglichen Verbindung zum Zisterzienserorden gewinnt nun allerdings durch die im folgenden Kapitel zu erörternden neuen Thesen von Landau wieder an Gewicht. Dazu mehr an gegebenem Ort.85 Wohl mit Recht von der zeitgenössischen Kritik nicht der weiteren Diskussion für Wert befunden worden ist schließlich der Vorschlag Emil Gut80 Sachsse, Alter, S. 62 hält die „grauen Mönche“ irrig für Franziskaner, was ihm so zu einem Argument für seine Datierung der Erstfassung des Sachsenspiegels auf das Jahr 1226 wird, in dem der Orden nach Sachsen verpflanzt wurde. Dagegen allerdings bereits Gaupp, Germanistische Abhandlungen, S. 96. 81 Möllenberg, Eike von Repgow, S. 394. 82 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 62 hält Zeumers „feine Beobachtung“ allerdings durchaus für denkbar; Thieme, Eike von Repgow, S. 193 f. mahnt eine erneute Überprüfung an. 83 Johanek, Eike von Repgow, S. 725–727; vgl. zur Sache auch Landau, Entstehungsort, S. 76 f. 84 Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 142. 85 Siehe unten, S. 84 f. – Der Frage nach dem „Prozeß der Rezeption des Sachsenspiegels in den Klöstern im Raum des sächischen Rechts“ ist Pötschke, Zisterzienserklöster, nachgegangen.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
jahrs, der in Eike einen Stadtbürger, namentlich einen „Patrizier in der Bergstadt zu Halle a. d. Saale“ sehen wollte.86 Richtig ist, dass sich die Verbindungen von Eikes Familie an die Burggrafen von Giebichenstein in Halle sehr gut nachweisen lassen.87 So nimmt auch Johanek an, dass Eike bei den Urkundengeschäften in den Jahren 1218 und 1224 als Interessenvertreter der Hallenser Bürger fungiert habe.88 Damit ist es aber an Indizien für eine Bindung des Spieglers an Halle aber auch schon getan.
II. Der Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage Die Entstehungszeit des Sachenspiegels ist von jeher in der Literatur breit diskutiert worden. Dabei hat man vornehmlich versucht, die Entstehung der deutschen Fassung näher zeitlich einzugrenzen, während zur lateinischen Vorlage nur mit einer Reihe weiterer Hilfsannahme fortgeschritten werden konnte. Ich widme mich daher zunächst der Debatte um die Datierung der deutschen Fassung. Spätestens seit Bekanntwerden der urkundlichen Belege für die Historizität Eikes von Repgow konnte eine Entstehung in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts als sicher angenommen werden. Genaueres blieb aber, und bleibt im Grund auch bis heute, umstritten. Einen bemerkenswerten Weg, sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, hat Ficker gewählt, der vom weitest denkbaren Rahmen – das ist zum einen die lateinische Übersetzung von 1283 und zum anderen 1198 der Erwähnung des böhmische Königtitels wegen – in immer enger greifenden Schalen argumentativ voranschreitet.89 Auf diese Weise grenzt er die Entstehungszeit auf den Zeitrahmen zwischen 1224 und 1235 ein, der noch heute den weitgehenden Konsens darstellt. Der terminus ad quem speist sich dabei im Wesentlichen aus der im August vollzogenen Gründung des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg, das Eike bei der Nennung der sächsischen Fahnlehen in Ssp. Ldr. III 62 § 2 noch nicht aufführt.90 Das passt in gewisser Weise zu der Annahme, dass Eike vom eine Woche zuvor in Mainz promulgierten kaiserlichen Landfrieden 86 Gutjahr, Schriftsprache Eykes von Repghowe. Diese Arbeit hat allerdings Lieberwirth, Eike und Halle, milder beurteilt – obwohl er sich deren Thesen nicht anschließt – und damit zum Ausgangspunkt seiner Ausführungen gewählt. Er bleibt m.W. der einzige, der Stellung zu den weitgehend kruden und kaum oder gar nicht belegten Thesen Gutjahrs genommen hat. 87 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 11–15. 88 Johanek, Eike von Repgow, S. 726. 89 Ficker, Entstehungszeit. 90 MGH Const. II, S. 263–265 (Nr. 197); dt. Übertragung bei Weinrich, Quellen, S. 484–491 (Nr. 120a). Zur Sache vgl. Boshof, Entstehung.
II. Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage
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keine Nachricht mehr erreicht hat.91 Die bis vor kurzem noch akzeptierte Rezeption des Landrechts im Hallenser Schöffenbrief an das schlesische Neumarkt, die freilich auch auf den lateinischen Text hätte zurück greifen können, wurde als weiteres Argument herangezogen. In Verbindung mit den letzten urkundlichen Nennungen des Spieglers und seinem vermutlichen Lebensalter zu dieser Zeit, hat die Annahme, das Rechtsbuch sei in diesem oder den Jahren zuvor vollendet worden und Eike wohl auch nicht wesentlich später verstorben, einige Plausibilität. Dennoch kann die fehlende Nachricht vom braunschweigischen Fahnlehen kaum als Beweis, sondern bestenfalls als Indiz für den terminus ad quem 1235 dienen. Jenseits der zweifelhaften Prämisse, aus dem Fehlen einer Aussage auf die Unkenntnis des dahinterstehenden Sachverhaltes schließen zu wollen,92 bleibt der an dieser Stelle vorwegzunehmende Befund, dass keines der betrachteten Rechtsbücher, die den fraglichen Artikel Ssp. Ldr. III 62 § 2 übernehmen, Braunschweig-Lüneburg in der Aufzählung der sächsischen Fahnlehen ergänzen, obschon doch dieser Status zur Zeit der jeweiligen Bearbeitung längst bestand und auch zumindest den Redaktoren der geographisch näherliegenden Bearbeitungsstätten, beispielsweise dem oder den Bearbeiter(n) des Berliner Schöffenrechts aus dem 14. Jahrhundert, hätte bekannt sein müssen. Warum also sollte man von Eike mehr Akuratesse erwarten als von seinen Nachfolgern? Die verschiedenen Ansatzpunkte Sachsses, über die Nichtnennung des Bistums Kamin und der Grafschaft Holstein in Ldr. III 62 auf eine Entstehung vor 1228 zu schließen,93 sind zu Recht bald in Vergessenheit geraten, denn weder war das eine ein sächsisches Bistum noch das andere ein sächsisches Fahnlehen. Auch der terminus post quem ist aus quellenimmanenten Erwägungen heraus erschlossen worden. So soll 1224 der Scheiterhaufen als Strafe für das Vergehen der Ketzerei (Ssp. Ldr. II 13 § 7) eingeführt worden sein. Tatsächlich findet sich in einem Erlass Friedrichs II. vom März 1224 eine solche Bestimmung.94 In den Konstitutionen vom November 1220 und der Treuga seines Sohnes Heinrich hingegen, die sich beide ausführlich mit der Ketzerei beschäftigen, wird nicht einmal die Todesstrafe über Ketzer verhängt.95 Letzteres wird noch durch den Umstand untermauert, dass besagte Treuga, 91
Siehe dazu unten, S. 111 ff. Frensdorff, Alter, S. 102 – zu dieser Arbeit vgl. auch die Würdigung von Konrad von Maurer in der Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, N. F. 2 (1879), S. 97 f. Frensdorffs Einwand hat Eckhardt, Entstehungszeit, S. 40 f. mit sehr allgemeinen Argumenten nicht gelten lassen. 93 Sachsse, Alter; vgl. dagegen nur Ficker, Entstehungszeit, S. 84 f. 94 MGH LL II, S. 262. 95 MGH LL II, S. 243 und S. 267; vgl. Ficker, Entstehungszeit, S. 95. 92
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
wie später noch ausführlich dargelegt werden wird, zu den wenigen klar nachweisbaren Quellen des Sachsenspiegels gezählt werden darf.96 Dagegen hat Frensdorff überzeugend eingewandt, dass sich das Gebot des Feuertods für Ketzer durchaus auch zeitlich früher feststellen lässt.97 Fraglich bleibt, wie Eike von diesen oft abseits publizierten Bestimmungen hätte Kenntnis erlangen sollen. Auch die eingehenden, jüngsten Forschungen von Sascha Ragg haben in dieser Frage leider nichts Neues beibringen können.98 Sicher bliebe damit im Grunde nur das Jahr 1198, weil erst seit diesem Jahr Ottokar I. als erster Böhmenherzog wieder den Königstitel führte, den der böhmische Kurfürst in Ssp. Ldr. III 57 § 2 bereits trägt.99 Eckhardt hat versucht, aus dieser wichtigen Stelle und aus der Benutzung der königlichen Landfrieden weitere Hinweise für eine engere Datierung des Rechtsbuches auf den Zeitraum zwischen September 1221 und Juli 1224 zu gewinnen.100 Den Eckhardtschen Überlegungen ist allerdings von etwas unerwarteter Seite der Germanist Friedrich Mess beigetreten, der seine frühe Datierung eines der wohl in verschiedenen Stufen entstandenen Teile des berühmten „Sängerkrieges“ auf der Wartburg, die auch der sieben Kurfürsten und ihrer Wahlfunktion gedenkt, in Deckung mit dieser angenommen Schöpfungszeit des Sachsenspiegels sieht.101 Seine stellenweise zirkuläre Argumentation, die mit allzu vielen Hilfsannahmen arbeiten muss, ist von der Rechtsgeschichte nicht weiter aufgegriffen worden. An den Artikel zur Königswahl hat sich eine lange und in jüngster Zeit immer heftiger geführte Diskussion entzündet, die sich aber nicht mehr mit Datierungsfragen des Spiegels selbst, sondern vielmehr mit der Frage beschäftigt, ob nicht die fraglichen Artikel als spätere Interpolationen anzu96
Siehe unten, S. 92 ff. Frensdorff, Alter, S. 105–109. Zu fragen bliebe weiterhin, inwieweit und ggf. wann die für die Lombardei ausgestellte Konstitution von 1224 überhaupt in Deutschland bekannt wurde. Sachsse, Alter, S. 106 weist darauf hin, dass Bischof Albert II. von Magdeburg seit 1220 kaiserlicher Legat für die Lombardei war. Weiterverfolgt ist dieser Hinweis aber m. W. nicht mehr worden. 98 Ragg, Ketzer, S. 166–168. Zu den sizilianischen Konstitution Friedrichs II. vgl. eingehender Nishikawa, Inquisitio. 99 So einhellig bereits Ficker, Entstehungszeit, S. 85 f.; Frensdorff, Alter, S. 197 und Rosenstock, Königshaus, S. 367. Ottokar taucht auch 1198 bei der Wahl Philipps dann zum ersten Mal unter den Wählern auf, übrigens – wie dann 1211 noch einmal – als erster unter den Laienfürsten; vgl. MGH Const. II, S. 3 f. (Nr. 3) und S. 54 f. (Nr. 43). 100 Eckhardt, Entstehungszeit; zu dieser Arbeit vgl. auch die kritische Rezension von Voltelini in der ZRG GA 52 (1932), S. 388–404. Eckhardt hat an seiner Datierung auch später festgehalten und sie weiter zu untermauern gesucht; vgl. besonders ders., Auctor vetus Bd. 1, S. 42–47. 101 Mess, Wartburgkrieg. 97
II. Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage
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sehen seien. Von dieser Debatte wird daher an anderer Stelle mehr zu berichten sein.102 Auch von anderer Seite her ist verschiedentlich versucht worden, den Entstehungszeitraum 1224 bis 1235 näher einzugrenzen. An den angenommen Abschluss der Sächsischen Weltchronik um 1230/32 anknüpfend ist eine Fertigstellung des Sachsenspiegels, der in der Chronik bereits Verwendung findet, entsprechend früher vorgeschlagen worden.103 Die Datierung der Weltchronik ist heute zwar noch immer strittig, von einem so frühen Zeitpunkt jedoch hat man sich einhellig verabschiedet, weshalb auch eine Autorschaft Eikes weitgehend ausgeschlossen wird.104 Daher wird man auch die Weltchronik (zumindest bis auf Weiteres) nicht mehr für Datierungsfragen heranziehen können. Was den Abfassungsort des Sachsenspiegels angeht, so wurde lange Zeit die Märe von einer Entstehung auf der Burg Falkenstein105 selbst „als verbürgte Wahrheit ausgegeben“.106 Julius Wolff hat die Szene in seinem beliebten Historienroman „Der Sachsenspiegel“ eindrucksvoll ausgemalt.107 Die an sich durchaus mögliche Vorstellung, Eike habe den Spiegel auf der Burg seines Gönners verfasst, ist aber keineswegs neu: Schon als 1661 der Brandenburger Kurfürst Friedrich Willhelm einen Sachsenspiegelcodex für seine soeben der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Hofbibliothek anschaffte, erhielt die Handschrift den Vermerk, sie sei „das wahrhafte Autographum des Sachsenspiegelß, wie solches auf dem Hause Falkenstein zu allererste zusammengeschrieben“.108 Dieser Mythos hat sich immer wieder aus anderen Quellen genährt und lange gehalten. Dennoch hat es immer auch andere Vorschläge gegeben: Von der Eckhardtschen Vorstellung, Eike habe den Spiegel während seiner Zeit als Mitglied der Quedlinburger Besat102
Siehe unten, S. 549 ff. Ficker, Entstehungszeit, S. 71–80. Das haben in der Folge viele Handbücher übernommen, Einzelnachweise bei Frensdorff, Alter, S. 103. Homeyer, Abfassung, S. 630 hielt eine Entstehung vor 1230 für „ziemlich wahrscheinlich“, ohne sich letztendlich festlegen zu wollen. Zeitgenössischen Widerspruch hat diese These bereits von Waitz und Weiland, Sächsischen Weltchronik, S. 48 erhalten. 104 Vgl. dazu unten, S. 194 ff. 105 Vgl. Schymalla, Falkenstein, und Korf/Korf, Burg Falkenstein. Ältere Literatur auch bei Johanek, Eike von Repgow, S. 718. Erwartungsgemäß unergiebig bleibt Trippenbach, Falkenstein. 106 Heinzle, Modelle literarischer Interessenbildung, S. 17. 107 Wolff, Sachsenspiegel, S. 46 u. ö. 108 Trippenbach, Asseburger Familiengeschichte, S. 458 – zur Sache vgl. auch Michael, Rechtshandschriften, S. 324 f. mit einer Abbildung der bewussten Seite (fol. 299v) aus dem nun in Berlin, StPBK, Ms. germ. fol. 12 (Oppitz Nr. 112) verwahrten Handschrift (Katalog-Nr. 157). Die Notiz ist trotz der starken Verkleinerung der Abbildung auch im Katalog recht gut lesbar. 103
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zungstruppe verfasst, ist bereits gesprochen worden.109 Grupen brachte Magdeburg in die Diskussion ein.110 Das ist möglich, aber durch keine materiellen Gründe besonders wahrscheinlich.111 Schließlich hat jüngst Peter Landau versucht, das Kloster Altzelle in der Mark Meißen als Abfassungsort des Sachsenspiegels plausibel zu machen.112 Wir haben Eike in den oben erwähnten Urkunden bereits mehrfach im Zusammenhang mit Güterzuwendungen an Zisterzienserklöster angetroffen, unter anderem auch für Altzelle, ein Tochterkloster von Pforta.113 Auch geographisch liegt das Kloster durchaus im Wirkungsbereich Eikes. Als weiteres Indiz ließe sich die ausgesprochen gut ausgestattete Bibliothek anführen,114 denn zweifellos muss Eike selbst für die wenigen schlüssig nachweisbaren Quellen Zugriff auf einen gewissen Büchervorrat gehabt haben. Landau schreitet nun die Reihe derjenigen Werke ab, die bislang als Quellen des Spiegels zur Debatte gestellt wurden, und findet eine bemerkenswerte Anzahl von ihnen in der Altzeller Bibliothek wieder. Insgesamt hat er in der Tat „mit Hilfe einer Indizienkette so plausible Vorschläge gemacht, daß man geneigt ist, das Rätsel für gelöst zu halten“.115 Es bleibt aber – das muss festgehalten werden – zunächst ein Deutungsvorschlag unter anderen. Dass man nämlich „überhaupt mit Thesen über Eikes Verbindung zum städtischen Milieu von Halle zurückhaltener“ sein sollte, ist gerade im Blick auf die bereits erwähnten neueren Forschungen von Dusil und Kannowski, richtig und nachvollziehbar. Warum es aber im Umkehrschluss zugleich „[v]iel wahrscheinlicher“ sein soll, dass Eike „beide Male als Vertrauensmann des begünstigten Klosters Altzelle herangezogen wurde“,116 ist nicht einzusehen. Bemerkenswert bleibt ferner, dass sich für zwei der von Landau fest gemachten Quellen Eikes zwar zeitgenössische 109
Siehe oben, S. 75. Spangenberg, Beyträge, S. 57. 111 Siehe oben, S. 78, Anm. 72. 112 Landau, Entstehungsort. Eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse seiner Forschungen gibt auch ders., Wo entstand der Sachsenspiegel? Dort stellt Landau, deutlich weniger vorsichtig als in der Langfassung, fest, er sei „zu dem Ergebnis [ge]kommen, dass Eike zumindest den lateinischen Urtext des Sachsenspiegels im mitteldeutschen Zisterzienserkloster Altzelle geschrieben haben muss“ (S. 176), ja sogar: „Nur die Zisterzienserabteil Altzelle kann als Ursprungsort in Frage kommen.“ (S. 177). 113 Coblenz, Alt-Zelle. 114 Vgl. Krapp, Bibliothek, S. 193–236. Neue Erkenntnisse stehen in näherer Zukunft zu erwarten; vgl. den Tagungsbericht „Die Zisterzienser und ihre Bibliotheken. Buchbesitz und Schriftgebrauch im Kloster Altzelle“ von André Thieme auf HSozKult vom 23. Juni 2006. 115 So das Urteil von Stolleis, Anglonormannische Kanonistik. 116 Landau, Entstehungsort, S. 80. 110
II. Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage
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und teils ausgesprochen seltene Handschriften im Benediktinerkloster Pegau, nicht aber unmittelbar in Altzelle finden.117 Wenn man also mit Blick auf die ansonsten eher dürftigen Handschriftenbestände Pegau nicht als Abfassungsort selbst annehmen möchte,118 so hält doch immer noch nichts davon zurück, sich Eike wie Möllenberg oder der Romancier Wolff in den hübschesten Farben als Wandergelehrten vorzustellen, der die Bildungsstätten des Umlandes bereiste und hier und dort in sich aufnahm, was er zu lesen bekam – sei es in Pegau, sei es in Quedlinburg oder sei es eben auch in Altzelle. Schließlich wird man auch erklären müssen, woher Eike von den benutzten Landfriedenstexten Kenntnis erhalten haben sollte, die allzu nah am Text in Ssp. Ldr. II 66 bis II 70 eingang gefunden haben, um nur vom Hörensagen übernommen worden zu sein. In Magdeburg hätte ihm vielleicht eine Handschrift zur Verfügung gestanden, die sowohl die Treuga Heinrici als auch den Text des sächsischen Landfriedens enthielt, denn zumindest im 15. Jahrhundert haben beide Text Eingang in das Kopialbuch des Domkapitels gefunden.119 Allzu schnell scheint mir auch die Frage nach der direkten Benutzung biblischer Vorlagen, der wir im Kapitel über die Quellen des Sachsenspiegels noch näher nachgehen werden, zugunsten von Kisch entschieden worden zu sein, denn abgesehen von einem kurzen Verweis auf das „Speculum ecclesiae“ wird die Diskussion um mögliche Mittler der biblischen Erzählungen mit keinem Wort angerissen.120 So aber kann eine – überdies nur angenommene! – Bibelhandschrift im Kloster Altzelle als weiteres Indiz auf Eikes Arbeit vor Ort dienen. Trotz aller Kritik im Einzelnen: Landaus anregender Beitrag ist seit den Arbeiten Eckhardts der erste, der sich wieder intensiver mit der Quellenkunde des Sachsenspiegels auseinandergesetzt hat. Er sollte daher nicht in der apodiktischen Bestimmtheit, die der Verfasser selbst im Laufe seiner Ausführungen immer weiter – von „Thesen zu Eikes Biographie“ hin zum unstrittigen „Benutzer der Bibliothek der Zisterzienserabtei Altzelle“ –121 entwickelt, sondern als wichtiger Ansatz für neuere Untersuchungen aufgenommen werden. Ebenso unsicher wie der Abfassungsort des Sachsenspiegels bleibt die Sprache der Urfassung.122 Das betrifft zum einen die vor allem sprach117
Landau, Entstehungsort, S. 84 f. Zu den Beständen vgl. Krämer, Handschriftenerbe, S. 652 f. 119 Weiland, Sächsischer Landfriede (dort auch Textabdruck, S. 120); zur Sache vgl. unten, S. 104–113. 120 Landau, Entstehungsort, S. 82 f. 121 Landau, Entstehungsort, S. 78 und S. 98. 118
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geschichtlich interessante Frage nach der dialektologischen Einordnung des verlorenen deutschen Autographen, zum anderen die Frage nach einer möglichen lateinischen Vorlage. Untersuchungen zur Sprachheimat des Sachsenspieglers mit explizitem Bezug auf das Rechtsbuch sind in jüngerer Zeit nicht mehr angestellt worden.123 Die einschlägigen Arbeiten über die Sprache der Heimatregion des Sachsenspiegels und der möglicherweise dem verlorenen Autograph noch am nächsten stehenden, freilich sprachlich dem Thüringer Becken entstammenden Quedlinburger Handschrift haben bereits um die Mitte des 20. Jahrhunderts Karl Bischoff124 und sein Schüler Wolfgang Spiewok vorgelegt.125 Das Fehlen einer Urschrift und die mittlerweile konsensfähige Erkenntnis, dass Rekonstruktionsversuche wie Eckhardts Ausgabe der Quedlinburger Handschrift nur sehr zweifelhafte Früchte tragen, haben zu einer Interessensverlagerung auf Seiten der Sprachgeschichte geführt, die sich nunmehr vor allem Fragen der Rechtssprachgeographie126 und der Fachsprachenforschung,127 besonders im Hinblick auf das gerade im rechtlichen 122 Das Wesentliche geben in geraffter Form auch Eckhardt, Textentwicklung, S. 44–48 und Müller, Berliner Sammelhandschrift, S. 102–104. 123 Vgl. allerdings noch Weinert, Onomastik. An älteren Arbeiten ist besonders auf Walther, Schatrowe, gegen Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 314 und Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. XXXIV f. und Menne, Perfektive Verben, hinzuweisen. Allgemeinere Erwägungen bei Frensdorff, Alter, S. 110–115. 124 Bischoff, Sprache des Sachsenspiegels; vgl. auch ders., Sprache und Geschichte, und ders., Sprache der Magdeburger Schöffen. Neuere Forschungen zum Elbostfälischen des Hoch- und Spätmittelalters bei Rooth et al., Studien, bes. S. 132–138 (zur Gothaer Handschrift der Sächsischen Weltchronik) und S. 151–155 (zu Homeyers Leithandschrift Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 10). 125 Spiewok, Quedlingburger Handschrift (kurze Zusammenfassung in Aufsatzform unter demselben Titel, s. Literaturverzeichnis). 126 Zu diesem Forschungsgebiet vgl. statt aller den Sammelband von SchmidtWiegand, dort vor allem den wissenschaftsgeschichtlichen Überblick der Einleitung (S. 9–19). 127 Grundlegender Überblick bei Schmidt-Wiegand, Rechtswortschatz, sowie dies., Deutsche Sprachgeschichte. Reiches Material für sprachgeschichtliche Untersuchungen bieten auch die Prosopographien der thüringisch-obersächsischen Schreiber bei Schmitt, Untersuchungen. Eine, wenn ich es richtig sehe, bislang übersehene, frühe Arbeit auf diesem Gebiet stellt die eingehende Dissertation von Hoffmann, De verborum, dar, der sich sowohl dem Rechtswortschatz als auch den Rechtssprichwörtern des sächsischen Rechts zuwendet. Dabei ist das Problembewusstsein des Vf.s bemerkenswert: „Et ita persuasi sumus, nos aliquam utilitatem in doctrinam juris germanici istiusque juris Regulas colligamus earumque interpretationi studeamus uberrimam nobis praebebut occasionem jurium antiquorum collectiones, inprimis JURIS SAXONICI ANTIQUI volumina, quorum quidem autoritatem hodie non magnam esse novimus, interim fateri cogimur principia multorum adhuc hodierno die observandorum jurium illis continineri. Equidem nullo hic adstricti erimus ordini: prout nostram incurrent mentem observationes juris patrii verba regulasque
II. Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage
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Bereich stark ausgeprägte Spannungsverhältnis von gelehrten (lateinischen) und volkssprachlichen Rechtstermini,128 zugewandt hat. In neuerer Zeit ist auf diesem Forschungsfeld das Material der Rechtsbücher in der Hauptsache von Ruth Schmidt-Wiegand und ihren Schülern bestellt worden.129 Jüngst noch ist Jörn Wickerts Studie zur Schreibsprache der Dresdner Bilderhandschrift erschienen.130 Es gibt aber durchaus auch wortgeschichtliche Studien anderer Provenienz.131 So hat Brigitte Uhlig sich den „verba dicendi“ im Schwabenspiegel, bei denen es sich in der überwiegenden Zahl um Rechtswörter handelt, sowohl in ihrer Leipziger Dissertation als auch in einem kürzeren, daraus erwachsenen Aufsatz zugewandt.132 Sie kommt zu dem Schluss, dass trotz der „beobachteten Ansätze zu Ausbildung einer Rechtssprache im Rechtsbuch des Mittelalters [. . .] von einer Fachsprache im heutigen Sinne nicht die Rede sein“ könne, die vielmehr „erst durch die Übernahme des römischen Rechts“ entstanden sei „als die mit dem Eindringen des Latein und fremder Rechtsgedanken und -verfahren die Identifizierung des Menschen mit der Rechtsordnung zerstört wurde, weil das Recht und seine Sprache nur noch juristisch geschulten Personen verständlich war“.133 Das würde man heute wohl anders sehen. Hinzuweisen wäre auch auf die lexikographischen Arbeiten von Beate Hennig (Mittelhochdeutsches Wörterbuch)134 und Heino Speer (Deutsches Rechtswörterbuch).135 All diese Studien aber beschäftigten sich nicht mehr mit Eikes Mutterdialekt, sondern mit weitgreifenderen Fragen, in die durchaus auch die spätere Überlieferung des Rechtsbuches und zum Teil auch dessen Rezeptionsstufen integriert werden. Übergreifende Analysen, wie die von Rudolf Große, zeigen, dass die Rechtsbücher als weit verbreitete und häufig gelesene Zeugnisse pragmatischer Schriftlichkeit auch für die allgemeine deutsche Sprachgeschichte – und die Fachsprachen des ostmitteleuropäischen Rezeptionsgebietes –,136 einen hohen Wert haben können.137 illustrantes communicabimus, in praesenti vero, antequam ad has disquisitiones progrediamur, operae pretium erit, generalia quaedam de Verborum juris Germanici imprimis Saxonici significatione, nec non horum jurium regulis proponere.“ (S. 13 f.). 128 Hattenhauer, Lingua vernacula; vgl. ferner die S. 126 ff. genannte Literatur. 129 Ich verweise nur auf Peters, Sprache des Kalkarer Sachsenspiegels; ders., Rechtswortschatz, sowie die Einzelbeiträge in den Kommentarbänden zu den drei unter der Ägide von Schmidt-Wiegand entstandenen Faksimile-Editionen. 130 Wickert, Schreibsprache. 131 Vgl. auch Schulz, Varianz. 132 Uhlig, Verba dicendi – unter gleichem Titel ist auch ein Aufsatz erschienen, s. Literaturverzeichnis. 133 Uhlig, Verba dicendi, Bd. 1, S. 34 – Uhlig beruft sich dabei auch auf die Feststellungen von Seibicke, Fachsprache. 134 Hennig, Sachsenspiegel. 135 Speer, Rechtswörterbuch.
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Heftiger noch als die Diskussion um den Mutterdialekt Eikes von Repgow wurde aber ohnehin jene um die Existenz der lateinischen Vorlage geführt, von der er selbst in der Reimvorrede berichtet. Angezweifelt wurde die Existenz einer solchen Urfassung beispielsweise noch von Schulz138 und später noch einmal von Philippi.139 Dagegen hat sich vor allem Zeumer nachdrücklich gewandt.140 In jüngerer Zeit hat Theuerkauf dann noch einmal die Vermutung gewagt, „daß es eine ausgearbeitete mittellateinische Vorstufe des Landrechtes des mittelniederdeutschen Sachsenspiegels nicht gegeben hat“.141 In der Reimvorrede gibt Eike an, er habe den Sachsenspiegel „ane helphe unde ane lere“ aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen (V. 274 f.). Die Interpunktion dieser Zeilen hat zu einigen Kontroversen geführt, nachdem noch Erdmann euphorisch festgestellt hatte: „Eckhardts Ausgabe [scil. die Landrechtsausgabe von 1933] hat endlich die richtige Interpunktion eingeführt und dadurch den Text erst voll verständlich gemacht. Denn in der Ausgabe Homeyers waren die Worte ‚ane helphe unde ane lere‘ zum Vorhergehenden gezogen, während sie nach dem gedanklichen Zusammenhang zweifellos zum Folgenden gehören.“142 Gegen die vorherrschende Meinung der Rechtshistoriker hat der Germanist Willy Krogmann eine Reihe von Einwänden geltend gemacht:143 Zum einen bestreitet er Eikes Lateinkenntnisse, will also den Punkt bereits hinter V. 273 („des ime was vil ungedacht“) und eben nicht hinter V. 274 („do her’z an latin hatte gebracht“) gesetzt wissen. Im Zuge dessen stellt er auch als einer der ersten die Autorschaft Eikes an der Sächsischen Weltchronik, die ja „fast ganz aus lateinischen Vorlagen gearbeitet ist“,144 in Frage, bleibt aber den Nachweis, den Herkommer später angetreten ist, schuldig.145 Auf die ebenfalls als Übersetzungsproblem diskutierte Frage nach dem Umfang der weiblichen Gerade in Ssp. Ldr. I 24 § 3, die sowohl Krogmann als auch Eckhardt in diesem Zusammenhang wieder aufgegriffen haben, wird weiter unten noch einzugehen sein.146 136
Vgl. nur Zajda, Einflüsse. Große, Hypotaxe. Das hat er jüngst noch in Große/Uhlig, Bedeutung, betont. 138 Schulz, Speculum. Obwohl Schulz scheinbar als Erster die Existenz einer lateinischen Vorlage nachdrücklich bezweifelt, kann er nicht als Auslöser der rund 30 Jahre später erbittert geführten Debatte gelten. Er ist auch später kaum mehr zur Kenntnis genommen worden. 139 Philippi, Ursprünglich. 140 Zeumer, Urtext; zustimmend Rosenstock, Verdeutschung. 141 Theuerkauf, Geschichte in Rechtsaufzeichnungen, S. 205. 142 Erdmann, Entschluß, S. 190. 143 Krogmann, Verderbnisse. 144 Eckhardt, Sachsenspiegel Landrecht [Ausg. 1955], S. 13. 145 Krogmann, Verderbnisse, S. 313. 137
II. Streit um Ort und Zeit der Abfassung sowie die lateinische Vorlage
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Bleibt also die Frage nach der lateinischen Vorlage des Landrechts zumindest offen, so hat es sich derzeit weitestgehend durchgesetzt, den so genannten „Auctor vetus de beneficiis“, eine nur fragmentarisch erhaltene Schrift in holpriger Reimprosa, als lateinische Vorlage des Lehnrechts anzusprechen. Diese Ansicht ist bereits von Homeyer begründet,147 dann aber von Walter Ernst mit bedenkenswerten Argumenten in Zweifel gezogen worden,148 denen einige Jahre später sowohl sein akademischer Lehrer Zeumer149 als auch Richard Moeller mit jeweils neuen Überlegungen beitraten.150 Erst Eckhardt,151 der zwischenzeitlich im Übrigen dieser Ansicht auch gefolgt war,152 und zuletzt noch einmal Hans-Georg Krause griffen diesen Gedanken wieder auf, erklärten den „Auctor vetus“ wieder zur Vorlage des sächsischen Lehnrechts, und begründeten damit die derzeitige communis opinio.153 Lediglich Kroeschell und Ishikawa haben seitdem Zweifel daran angemeldet.154 Anhand der bei Homeyer gegebenen Konkordanz ist es verhältnismäßig einfach, einen unmittelbaren Textvergleich vorzunehmen.155 Zur Meinungsbildung kann das aber nur bedingt beitragen, da die schnell offensichtlich werdenden Berührungspunkte zwischen beiden Quellen noch keine Aussage über das Abhängigkeitsverhältnis beider Texte zueinander zulassen und wir auf die ihrerseits nur mit einer Reihe von Hilfsannahmen arbeitenden Datierungsversuche angewiesen bleiben. Über die Ansätze zur Datierung des Spiegels – die sich aber sämtlich auf Argumente aus dem Landrecht stüt146
Siehe unten, S. 514 ff. Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 55–60. 148 Ernst, Verhältnis. 149 Siehe S. 88, Anm. 140. 150 Moeller, Noch einmal Vetus acutor. 151 Die einschlägige Edition von Eckhardt, Auctor vetus, ersetzt die Ausgabe bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 2, S. 73–158. Eine Übersetzung liegt bislang nicht vor; allerdings verwahrt das Archiv der MGH (München) im Nachlass Eckhardts, Kasten 31, Nr. 80, eine Übersetzung ins Hochdeutsche durch seine Assistenin Marianne Ullrich. 152 In der von ihm 1934 bearbeitete Einleitung zu Borchling/Eckardt/Gierke, Rechtsbücher, S. *10 heißt es, der Auctor vetus sei „vermutlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden und [habe] dem Görlitzer Rechtsbuch als Vorbild gedient“; vgl. auch Eckhardt, Textentwicklung, S. 45. Eckhardts Beitrag „Sächsischer Landfriede und Auctor vetus de Beneficiis“ zu der nicht im Buchhandel erschienenen Festschrift für Franz Beyerle (1945), der von Schlosser, Auctor vetus, angeführt wird, ist mir leider nicht zugänglich geworden. Dem Thema widmet sich aber ders., Auctor vetus, Bd. 1, S. 22–27 noch einmal ausführlicher. 153 Krause, Leihezwang, S. 49 ff. 154 Kroeschell, Lehnrecht und Verfassung, Rnr. 34 – Kroeschell verweist dort auf die auch jetzt noch nicht in deutscher Sprache erschienenen Darlegungen Ishikawas. 155 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 2, S. 164–171. 147
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
zen! – ist bereits gesprochen worden. Zu einer näheren Datierung des „Auctor vetus“ zu gelangen, stellt sich als ähnlich schwierig, insgesamt wohl sogar als noch schwieriger heraus. Nähme man den Vorlagencharakter des „Auctor vetus“ für gegeben, so verlöre damit das Argument der intertextuellen Bezüge zwischen Land- und Lehnrecht seine Beweiskraft.156 Insofern ist die Frage nicht uninteressant; sie bleibt aber schwierig zu beantworten. Eckhardt gründet seine These von einer zeitlichen Vorrangstellung des „Auctor vetus“ maßgeblich auf zwei Annahmen: Zum einen seien Landund Lehnrecht als eine Einheit konzipiert und abgefasst worden. Das hält er durch seine Ausgabe von 1933 für „hinreichend dargetan“.157 Zum anderen fragt Eckhardt nach dem Verhältnis zwischen Ssp. Lnr. 26 § 1 und „Auctor vetus“ I 64 und 65, die sich mit der Frage der Volljährigkeitsgrenze befassen: Das sächsische Lehnrecht gibt hier 21, der „Auctor vetus“ 24 Jahre an.158 Schon Homeyer hatte darauf hingewiesen, dass genau an dieser Stelle die zur Datierung wichtige Frage akut werde, welche von beiden Quellen „die alterthümlichere Bestimmung habe“.159 Letztlich gründen sich alle Annahmen, ganz gleich, zu welcher Bewertung in dieser Frage man kommen mag, also maßgeblich auf der bereits die älteren Arbeiten und später auch noch Krause anleitenden Überzeugung, durch Abtragung älterer Textschichten zu einem immer klarer strukturierten Text vordringen zu können.160 Diesen Optimismus muss man durchaus nicht teilen. Die durchweg gescheiterten Versuche, auf ähnlichem Weg zum „Gedankengang“ des Landrechts vorstoßen zu wollen, lassen vielmehr Zweifel berechtigt erscheinen. Besonders Moellers Ausführungen über die Reimbearbeitung, über die Eckhardt im Gegensatz zu den schwächeren Argumenten großzügig hinweggegangen ist, scheinen mir dagegen ausgesprochen einleuchtend.161 So verkehrt beispielsweise der „Auctor vetus“ I 34 („Si domus villam vel vineam / iudicium vel decimam / vel huiusmodi aliquid / integrum concesserit / [. . .]“) die Reihenfolge von Ssp. Lnr. 11 § 2 („Of die herre sinen manne liet en gantz dorp oder wingarden oder tegeden oder gerichte oder süsgedanes dinges icht [. . .]) zugunsten der Versendung. Es ist sehr nachvollziehbar, warum der Redaktor zugunsten des Reimes hier die Reihenfolge der Lehnsobjekte umkehren musste, aber kein Grund ersichtlich, warum Eike das hätte tun sollen. Moeller 156 157 158 159 160 161
Kroeschell, Sachsenspiegel als Land- und Lehnrechtsbuch, S. 15. Eckhardt, Auctor vetus, Bd. 1, S. 27. Eckhardt, Volljährigkeitsgrenze; ders., Auctor vetus, Bd. 1, S. 9–17. Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 41. Krause, Leihezwang, S. 74. Moeller, Noch einmal der Vetus auctor, S. 313.
III. Zum so genannten „Mühlhäuser Reichsrechtsbuch“
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nennt noch eine Reihe weiterer Beispiele. Mir scheint jedenfalls, dass die in den letzten Jahren ohne neue Untersuchungen und ohne Rekurs auf die kritischen Stimmen immer wieder mit dem Pauschalverweis auf Eckhardt und Krause weitergeschriebene These von der lateinischen Urfassung im so genannten „Auctor vetus de beneficiis“ durchaus noch einmal des Überdenkens wert wäre.162
III. Zum so genannten „Mühlhäuser Reichsrechtsbuch“ Lange Zeit strittig war das zeitliche Primat der Entstehung des Sachsenspiegels gegenüber dem durch seinen Herausgeber Herbert Meyer, einem der Göttinger Lehrer Eckhardts, so genannten „Reichsrechtsbuch“ aus dem thüringischen Mühlhausen.163 Obschon auch dieses Rechtsbuch eine gewisse Strahlkraft in das mitteldeutsche Umland entfalten sollte,164 lässt sich sein Einfluss nicht mit dem des Sachsenspiegels oder anderer deutscher Rechtsbücher vergleichen, so dass es nicht verwundern mag, wenn auch die jüngeren Arbeiten165 sich in der Regel mit dem Verweis auf die letzten umfänglicheren Erörterungen der Sachlage durch Eckhardt166 und Patze167 begnügen und insgesamt die Forschung dem ungefähr zeitgleich entstandenen Rechtsbuch nur sehr wenig Interesse entgegen gebracht hat. Nur Dieter Pötschke hat es in jüngerer Zeit noch einmal unternommen, der Sache einen Beitrag zu widmen, der m. E. aber kaum zu einer Entscheidung der Sache beitragen dürfte.168 162
Aus sprachlichen Gründen nicht zugänglich war mir der japanische Beitrag zur Diskussion von Ishikawa, Aukutoru vetwusu. 163 Meyer, Reichsrechtsbuch. Zum Verfasser vgl. Scheithauer, Swigger; dagegen Patze, Rechtsbuch, S. 96 f. 164 Vgl. Eckhardt, Rechtsgeschichte Eschweges, Bd. 1, S. 263–332. 165 Lingelbach, Rechtsschöpfungen, S. XI. 166 Eckhardt, Reichsrechtsbuch, relativert auch seine früheren Datierungen in ders., Muntübergang, S. 175 und Borchling/Eckhardt/Gierke, Rechtsbücher, S. 30*, in denen er sich der Deutung seines Göttinger Lehrers Meyer anschließt. Ferner versucht Eckhardt, der sich auch sonst ausführlich mit der eigenen Familiengeschichte auseinandergesetzt hat – vgl. nur die Bündelungen von Eckhardt, Festgabe, S. 21–30 –, den um 1252 in Mühlhausen nachgewiesenen „Eckhardus villicus“ in die eigene Ahnenreihe zu setzen (S. 448). Zweifel hat daran Patze, Rechtsbuch, S. 72 angemeldet. 167 Patze, Rechtsbuch. 168 Pötschke, Neues zu einem alten Streit. Seine Einwand gegenüber der Datierung Eckhardts mag man noch gelten lassen; sein alternativer Vorschlag einer Datierung auf „um 1200“, wie sie schon Meyer einmal aufs Tapet gebracht hatte, stützt sich jedoch durch keinerlei neue Argumente. Eine Stellungnahme in dieser Sache vermeidet der jüngste Beitrag von Lingelbach, Stadtrechtsstatuten, S. 210 Fn. 6.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Insgesamt bleibt in der Frage der Datierung wohl festzuhalten: Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist das Rechtsbuch vor 1251169 und nach 1224 entstanden.170 Für den Rang des „ältesten deutschen Rechtsbuches“ ist diese Feststellung also mit Blick auf die noch immer umstrittene Datierung sowohl der möglichen lateinischen wie auch der deutschen Fassung des Sachsenspiegels nutzlos.171 Ebenso erscheint die früher so vehement diskutierte Frage nach diesem Rang selbst mit Blick auf ein offenbar nicht bestehendes Verhältnis zwischen beiden Rechtsbüchern als hinlänglich obsolet, da ihre Beantwortung im Grunde nur höchst diffuse lokalpatriotische Bedürfnisse zu befriedigen, aber keinerlei Beitrag rechtsgeschichtlicher oder anderer wie immer wissenschaftlicher Art zu leisten vermöchte.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels Die Frage nach den Quellen des Sachsenspiegels dagegen gehört von jeher zu den zentralen Feldern der Rechtsbücherforschung. „Überall nur Vermutungen oder Wahrscheinlichkeiten!“ – so resigniert fasste Hans Fehr 1916 die Forschungslage zur Quellenkunde des Sachsenspiegels zusammen.172 In der Tat kann nur wenig Gesichertes über die Quellen gesagt werden, aus denen Eike bei der Abfassung seines Spiegels schöpfte. Die zahlreichen Querverweise, die Eckhardt seinen heute weit verbreiteten Textausgaben beigab, sind in den weitesten Teilen nicht als Quellennachweise, sondern vielmehr als Vergleichsangebote zu verstehen, die oft eine nur vage Ähnlichkeit mit den Aussagen des Spiegels aufweisen. Dennoch ist die Suche nach dessen Quellen von immanenter Wichtigkeit; sie ist darüber hinaus auch eng verbunden mit der Datierungsfrage des Rechtsbuches. Einen knappen Überblick über die bisherigen Forschungen nebst einigen eigenen, neuen Beobachtungen legte noch kurz vor seinem Tod Hans von Voltelini vor.173 Der kleine Beitrag hat lange Zeit seine Gültigkeit bewahrt und tut es in manchen Zügen noch heute.174 Das Wichtigste fasst auch 169
Patze, Rechtsbuch, S. 94; dagegen haben noch Meyer, Reichsrechtsbuch, S. 71 und Eckhardt, Entstehungszeit, S. 442 eine Entstehung vor 1230 für wahrscheinlich gehalten. 170 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 459 – dagegen aber Patze, Rechtsbuch, S. 94, der den Reichsspruch von 1224 als Quelle nicht für wahrscheinlich hält, das Königsgericht habe wohl vielmehr „einen allenthalben angewandten Rechtsgrundsatz als gültig anerkannt“. 171 Patze, Rechtsbuch, S. 94 hält allerdings, obwohl er nur sehr vorsichtig datiert, den „Prioriätetenstreit mit dem Sachsenspiegel“ zu dessen Gunsten für entschieden. 172 Fehr, Staatsauffassung, S. 134. 173 Voltelini, Quellenkunde.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Reincke noch einmal zusammen.175 Neuere Überblicke fassen in der Regel nur das Altbekannte zusammen. Kritisch reflektierend gegenüber diesen älteren Erkenntnissen sind dagegen nur wenige, beispielsweise von Kroeschell176 und Ignor.177 Jüngst hat dann noch einmal Landau anlässlich seiner Thesen zum Abfassungsort des Sachsenspiegels auch die älteren Ansichten zur Quellenkunde noch einmal revue passieren lassen.178 Zu den Meilensteinen der Erforschung dieser Quellen zählt jedoch noch immer die leider ungedruckte Greifswalder Dissertation von Roderich Schmidt.179 Sie ist von bleibendem Wert für die Rechtsbücherforschung und ihre schlechte Greifbarkeit sehr zu bedauern.180 Das gilt vor allem für die Auseinandersetzung mit Eikes theologischen und (möglicherweise) biblischen Quellen. Auch wenn man, wie das heute wohl für die Mehrzahl der Rechtsbuchforscher gelten dürfte, die oben dargelegten, früheren Ansichten von einer klerikalen Ausbildung Eikes nicht teilt,181 bleibt doch dessen auffällige Kenntnis theologisch-religiöser Inhalte zu erklären.182 Auf eine Quelle weist Eike selbst hin, aber so kryptisch, dass sich Generationen von Gelehrten darüber verzankt haben: Es handelt sich dabei um Ssp. Ldr. I 3 § 1 („Origenis wiessagede hir bevoren, dat ses werlde solden wesen [. . .]“). Lange Zeit hat man den Verweis auf den Kir174
Vgl. die Würdigungen bei Eckhardt, Sachsenspiegel. Landrecht [Ausg. 1933], S. XIII; Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 13 und Gagnér, Speculum Ecclesiae, S. 84. 175 Reincke, Frühe Spuren, S. 174–176. 176 Kroeschell, Sachsenspiegel in neuem Licht. 177 Ignor, Rechtsdenken, S. 196–226. 178 Landau, Entstehungsort, S. 82–98. 179 Diese seltene Arbeit ist regulär nicht über den Fernleihverkehr zu bekommen. Mir standen ein Maschinendurchschlag aus dem Nachlass von Guido Kisch, Frankfurt, MPIER, NL Kisch 3:69 und das Korrekturexemplar der Universität Greifswald zur Verfügung. Ansonsten sind über den Karlsruher Verbundkatalog fünf weitere Exemplare in öffentlichen Bibliotheken nachgewiesen. Ob eine Mikroverfilmnung bereits vorliegt, war nicht zu eruieren. Das steht nachdrücklich zu hoffen, denn andernfalls wird mit Blick auf die mangelnde Qualität des Durchschlagpapieres diese wichtige Arbeit bereits sehr bald künftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung stehen. 180 Betrachtet man den wissenschaftlichen Publikationsmarkt unserer Tage, so nehmen sich die im Briefwechsel Kisch-Schmidt nachvollziehbaren Bemühungen um die letztendlich gescheiterte Drucklegung eines so wichtigen Werkes umso bitterer aus. So ist die Arbeit beispielsweise auch Gagnér nicht zugänglich geworden – vgl. Gagnér, Ideengeschichte, S. 305. 181 Lück: Magdeburg und Eike, S. 159 spricht von einer „relativ umfassende[n] theologische[n] Allgemeinbildung“. Diese Formulierung dürfte vorsichtig genug sein und trifft den Kern der Sache. 182 Das Wichtigste dazu auch bei Lück, Eike und Gott.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
chenvater für ein irriges Zitat gehalten, bis Ulrich Stutz in einer aus einer Seminararbeit hervorgegangenen, kleinen Studie die umstürzlerische These vertrat, der Spiegler habe hier Verfasser und Werktitel verwechselt, habe also vielmehr die auch unter dem Titel „Origines“ überlieferten Etymologien des Isidor von Sevilla gemeint.183 Diese Deutung hat breite Aufnahme gefunden.184 Ausführliche und überzeugende Kritik hat sie erst durch Schmidts Dissertation erfahren,185 deren hier einschlägiger Teil glücklicherweise dann an anderer Stelle in zwei eingehenderen Aufsätzen in den Druck gelangt ist.186 Er geht vielmehr davon aus, dass Eike die Weltalterlehre aus einem Florilegium oder eine Exzerptensammlung aus Origines benutzt habe.187 Dem hat sich auch Landau angeschlossen, der durch die Feststellung, die Etymologiae Isidors seien im Gegensatz zu einer Reihe von Schriften des Origines in Altzelle nicht vorhanden, einen „weiteren guten Grund“ sieht, „bei Origines an den Kirchenvater zu denken“, und so die Annahme, „daß Eike Isidors Etymologiae für den Sachsenspiegel wahrscheinlich nicht herangezogen hat“, zu „[s]ein[em] Ergebnis“ machen kann.188 Man muss aber erwähnen, dass Isidor gerade das Bild von den Frauen, die im Spiegel ihr Anlitz beschauen, bringt, das auch Eike in seiner Reimvorrede heranzieht.189 Ich selbst halte Schmidts Argumentation für dennoch überzeugend. Von einer allgemein akzeptierten Ansicht kann aber nicht die Rede sein.190 An zwei Stellen der Reimvorrede jedenfalls könnte Eike, wie Kisch aufgezeigt hat, auf ein anderes Werk Isidors, die „Syntagmata de lamentatione animae peccatricis“,191 zurückgegriffen haben:192 183
Stutz, Verwandtschaftsbild, S. 24. Vgl. nur Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 139 und noch immer Kaufmann/ Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 143: „Das ‚Origines sive Etymologiae‘ betitelte Werk des Isidor von Sevilla hat der Spiegler hier mit dem Kirchenvater Origines verwechselt.“ 185 Schmidt, Studien, S. 114–140, zusammenfassend S. 139 f. 186 Schmidt, Origines; vgl. auch ders., Aetates mundi. So gelingt es Schmidt nachzuweisen, dass der Titel „Origines“ für die Etymologien Isidors im Mittelalter noch ungebräuchlich gewesen ist – vgl. dazu auch ders., Studien, S. 277–280. 187 Schmidt, Studien, S. 265 f. 188 Landau, Entstehungsort, S. 87 f. 189 Kolb, Quaestio, S. 294; auch Schmidt-Wiegand, Autorenbild, S. 401 ist noch unentschlossen. Die einschlägige Stelle in den Etymologien XIX 31, 18 lautet: „Specula sunt in quibus feminae vultus suos intuuntur. Dictum autem speculum vel quod ex splendore reddatur, vel quod ibi feminae intuentes considerent speciem sui vultus et, quidquid ornamenti deesse viderint, adiciant.“ 190 Für die ältere Deutung hat beispielsweise sehr nachdrücklich Schadt, Verwandtschaftsbild, S. 422 argumentiert. 191 PL 83, Sp. 860–933. 184
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Syntagmata de lamentatione animae peccatricis
Sachsenspiegel, Praef. rhythm.
Quod habes, habeto ad misericordiam [. . .] Omnibus comunica, omnibus tribune, omnibus praebe
Von gotes halven de gnade min sol al der werlt gemeine sin. (V. 157 f.)
Sapientiam cum caeteris impertiris, tibi magis hanc auges; doctrinaquanto amplius data fuerit, tanto magis abundant. Sapientia dando largior fit, retiendo miseratur.
So ist uns wizzenlich, daz der man künsten rich, So her andere lüte leret, daz sin kunst dar abe gemeret, Unde der girige behalt ir kleine, der se haben wil al eine. (V. 168–174)
Zweimal verweist der Spiegel selbst auf die „hilge scrift“ (Ssp. Ldr. I 3 und Ldr. III 42 § 3). Ob Eike aber die Bibel in der Tat selbst kannte, ist von der quellenkritischen Forschung schon recht bald in Zweifel gezogen worden.193 Die wohl einflussreichsten Studien auf diesem Gebiet legte Guido Kisch während der Zeit in der New Yorker Emigration unter dem Titel „Sachsenspiegel and Bible“194 und in einigen kleineren Arbeiten 192 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 64 f. (Nrn. 5 und 7); zustimmend Landau, Entstehungsort, S. 88 f. 193 Ignor, Rechtsdenken, S. 198 f. 194 Kisch, Sachsenspiegel and Bible. Die Studie war – trotz übrigens verhaltener Rezension, die Kisch in einem Brief vom 4. Juni 1956 auch moniert („[. . .] auch sonst ist mir keine Besprechung bekannt geworden, die mit Sachkenntnis geschrieben wäre.“) – erfolgreich genug, dass bereits zu Beginn der 1950er vom Verlag eine Zweitauflage geplant wurde, die Kisch aber mit Hinblick auf eine von ihm angedachte deutsche Überarbeitung ablehnte; vgl. Frankfurt a. M., MPIER, NL Guido Kisch, Nr. 3:69, Brief an Roderich Schmidt, 8. Februar 1955: „Ich war kürzlich vor die Frage gestellt, einen photomechanischen Neudruck zu genehmigen. Ich habe mich dagegen ausgesprochen und so wird dieser Neudruck unterbleiben. Übrigens ist die University of Notre Dame Press spontan wegen des Neudrucks an mich herangetreten, woraus zu schliessen ist, dass Interesse vorhanden sein muss. Ich ziehe aber eine deutsche Neubearbeitung vor, über die die Verhandlungen noch schweben.“ Wahrscheinlich der umfangreichen, parallelen Arbeiten für die dreibändige Festschrift zum Jubiläum der Universität Basel wegen ist diese Ausgabe nie fertig gestellt worden, obschon die Vorverhandlungen für den Druck bereits wenig später abgeschlossen waren. In einem weiteren Brief an Roderich Schmidt, 8. November 1955: „Obwohl mein Arbeitsprogramm für die nächsten Jahre ganz mit der Vorbereitung zum 500jährigen Jubiläum der Baseler Universität ausgefüllt ist, hoffe ich doch, endlich im nächsten Jahre die deutsche Ausgabe meines Sachsenspiegelbuches einschalten zu können.“ Diese Hoffnung hat Kisch getrogen, so dass der Nachdruck der Erstauflage 1960 schließlich doch – und Angesichts der wenigen in öffentlichen Bibliotheken noch greifbaren Exemplare der ersten Ausgabe: zum Glück! – erscheinen konnte. Bedauerlicherweise ist Kischs Handexemplar zusammen mit dessen nach der Emigration neu aufgebauter Gelehrtenbibliothek (ausschließlich der Ju-
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
vor,195 in denen er nachdrücklich die unmittelbare Bibelkenntnis Eikes verteidigte.196 Zu dem gleichen Ergebnis sind auch Schmidts Studien gelangt.197 Ausdrücklich als Ergänzung zu Kischs Studie verstehen sich die auf den Sachsenspiegel bezogenen Passagen der Studie von Jörg Mielke, der auch die späteren Rechtsbücher und die Buchsche Landrechtsglosse in seine Betrachtungen über die Rolle des Dekalogs in den Rechtstexten des abendländischen Mittelalters mit einbezieht, dabei aber nicht an die souveräne Belesenheit seiner Vorgänger heranreicht.198 Für die Quellenfrage kann auch seine Arbeit nichts Neues beitragen. Man wird allerdings Theuerkauf Recht geben, dass die breit diskutierte Frage, „ob Eike seine Kenntnis unmittelbar aus der Bibel, wieweit er sie aus Predigten und aus theologischen Werken“ entnommen habe, „zwar wichtig, aber sekundär“ bleibt.199 Sie bleibt aber vorerst vor allem eines: unbeantwortbar. Größere Hoffnungen machte sich die Forschung in dieser Hinsicht bei der Suche nach theologischen Vorbildern. Einschlägige Erfolge waren aber auch dieser Suche nicht beschieden. Die mögliche Benutzung der „Gemma animae“200 des Honorius Augustodunensis, die bereits Voltelini zur Diskussion gestellt hatte,201 hat Sten Gagnér nur noch eingeschränkt gelten lassen,202 die spätere Forschung dann mehrheitlich gänzlich abgelehnt.203 Ein kurzer Blick auf die fraglichen Vergleichstexte soll genügen:
daica, die am Leo-Baeck-Institut New York verwahrt werden) in den Antiquariatshandel gelangt und damit verloren. Kisch vermerkt nämlich, er habe „in meinem eigenen Exemplar des Buches in New York [. . .] mancherlei Notizen, auch zu der von Ihnen jetzt mit so überlegenem Material durchgeführten Widerlegung von Ganer [!].“ (Brief an R. Schmidt, 4. Juni 1956). 195 Kisch, Biblische Einflüsse; ders., Sachsenspiegel and its Sources; ders., Biblical Spirit; ders., Reimvorreden, S. 74–82. 196 Vgl. nur Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 76–83 mit vielen Nachweisen. Auch für Rost, Bibel, S. 293 unterliegt es „nach allen diesen Tatsachen keinem Zweifel, dass Eicke von Repgow [. . .] in und aus der Bibel gelebt und geschöpft hat“. Diese Arbeit hat Kisch nicht mehr verwenden können. 197 Schmidt, Studien, S. 40. 198 Mielke, Dekalog, S. 25 und S. 180–186 – mehr zu diesem Thema unten, S. 487 ff. 199 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 106. 200 PL 172, Sp. 542–738. 201 Voltelini, Quellenkunde, S. 557–559. 202 Gagnér, Speculum ecclesiae. 203 Vgl. die Argumentation von Schmidt, Studien, S. 10, S. 41–43, S. 137–140 und S. 282, die von Eckhardt und anderen aufgegriffen worden ist.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Gemma animae de divinis officiis, lib. II
Sachsenspiegel Ldr. II 66 § 2
[80.] Hodie etiam chrisma, quod unctio dicitur consecratur, per quod fideles a Christo Christiani id est uncti denominatur. [81.] Haec dies et coena Domini vocatur, quia hodie Dominus cum discipulis suis coenasse traditur quando legalem agnum ipse verus Dei agnus comedit et sic finem legi imposuit. [. . .] [89.] Sexta namque die Deus hominem creavit, sexta aetate sexta feria sexta hora eum redemit. Sabbato Deus ab operibus mundi quievit;
[. . .] Des donredages wiet man den kresemen, dar man uns allen mede tekenet to der cristenheit in der döpe. Des donredages merede unse herre got mit sinen jüngeren in’me kelke, dar began unse e. Des donredages vorde got unse minscheit to himele, unde opende uns den wech dar hen, de uns er besloten was. Des vridages makede got den man, unde wart des vridages gemarteret durch den man. Des sunavendes rowede he, do de himmel unde erde gemaket hadde, unde allet dat dar inne was.
hac eadem die Christus in sepulcro quievit. [. . .]
He rowede ok des sunavendes in deme grave na siner martere. [. . .]
[203.] Deus hunc visibilem mundum creavit [. . .] hac eadem die [. . .] erit ecclesia resurrectura et in gaudium Domini sponsi sui intratura.
Die sundach was die irste dach, die ie gewart, unde wirt die leste, alse wie upirstan solen von deme dode, unde solen varen to ganden mit live unde mit selen, die’t weder got verdient hebben. [. . .]
In der Tat scheinen diese sehr allgemeinen Ähnlichkeiten kaum hinreichend, die Gemma als Quelle des Sachsenspiegels identifizieren zu wollen. Freilich ist der Weg, den Voltelini einschlägt, ein bedenkenswerter. Dem ist Gagnér weiter gefolgt, der es für eine „voreilige Schlussfolgerung“ hielt, Eike habe „die Bibel als unmittelbare Vorlage gehabt“.204 Er sieht in der Gemma zwar auch keine Quelle des Spieglers, bringt aber im zugleich mit dem „Speculum ecclesiae“205 ein weiteres Werk des Honorius in die Diskussion ein, das er zusammen mit einer frühmittelhochdeutschen Benediktbeurener Predigtensammlung gleichen Titels aus dem 12. Jahrhundert206 auf ihr Verhältnis zum Landrecht des Sachsenspiegels prüft, und zu dem Ergebnis kommt, dass „beide bedeutende Teile eines wohl verlorenen Speculum ecclesiae“ enthielten, „dem Eike von Repgow sowohl den Namen als auch das biblische Material des Sachsenspiegels entnommen hat“.207 Gegen den 204
Gagnér, Speculum Ecclesiae, S. 84. PL 172, Sp. 811–1102 – vgl. dazu Freytag, Speculum Ecclesiae, und die Ergänzungen in VerfLex2 11 (2004), Sp. 693 sowie Jónsson, Le miroir, S. 161–170. 206 Melboum, Speculum ecclesiae. 207 Gagnér, Speculum Ecclesiae, S. 87–103, Zitat auf S. 102. 205
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
– in seinen Worten – „oberflächlichen Aperc¸u Gagners“208 hat Kisch zwar in Briefen gewettert, seine angekündigte, ausführlichere Auseinandersetzung mit dessen Thesen ist aber nie erschienen;209 vielleicht auch, weil er sich mit der eingehenden Widerlegung durch Schmidt zufrieden gab. Reincke dagegen gestand, obschon er die Gleichstellung Eikes mit den Florilegienautoren seiner Zeit als Herabwürdigung empfand, Gagnérs Gegenüberstellung eine gewisse Überzeugungskraft zu,210 die man ihr auch nicht wird absprechen können. Fraglich bleibt, ob es tatsächlich eines der von Gagnér identifizierten Werke oder eine ihnen eng verwandte Quelle war, auf die bei der Abfassung des Sachsenspiegels zurückgegriffen wurde. Überzeugend ist die Widerlegung durch Schmidt, der durch akribischen Textvergleich eine Verwendung des Speculum ecclesiae211 zu dem Schluss kommt, dass „oftmals da, wo Bibelstellen zum Ssp. in Parallele gestellt werden konnten, diese meist enger und treffender waren als die aus dem Speculum ecclesiae des Honorius Augustodunensis oder aus dem Speculum ecclesiae altdeutsch angeführten Zitate“.212 Damit ist aber nur Gagnérs Annahme bezüglich des Speculum widerlegt, seine Grundthese, Eike habe auf theologische Summen oder andere Schriften der Kirchenväter oder Frühscholastik zurückgegriffen, eher noch untermauert. Auch widerspricht diese Grundannahme nicht notwendig Eikes eigener Bibelkenntnis. Auf die Benutzung einer solchen Sekundärquelle, die wir bislang nicht näher bestimmen können, weist dieser sogar selbst hin, wenn er in Ssp. Ldr. II 66 § 3 die Meinung der „summe lude“ anführt, die sagten, „egenscap queme von ismahele“. „Gagnér wird auf dem richtigen Weg sein“, so fährt dann auch Schmidt fort, „wenn er vermutet, es sei ein florilegienartiges Werk gewesen, dem Eike seine Kenntnisse entnommen hat“. Die Möglichkeit solcher Quellen hatte im Übrigen auch Kisch nie bestritten, aber in seiner Bedeutung stark eingeschränkt: „In time to come, research in patristic sources may broaden and supplement the results attained here for the elucidation of the source history of the Sachsenspiegel. That the historical picture of the sources as a whole would thereby undergo substantial transformation, however, seems improbable to the present writer. In the last analysis, the whole of patristic literature has the Bible for its foundation and core.“213 Den Rückgriff auf ein Lehrgedicht Wernhers von Elmendorf in der Reimvorrede des Sachsenspiegels hat Gustav Roethe angenommen.214 Dieser Hin208 Frankfurt a. M., MPIER, NL Guido Kisch, Nr. 3:69, Konvolut 3, Brief 2 (Basel, 1. Juni 1956). 209 Kisch, Reimvorreden, S. 81. 210 Reincke, Frühe Spuren, S. 174 f. 211 Schmidt, Studien, S. 41–113 und S. 137–190. 212 Schmidt, Studien, S. 112. 213 Kisch, Sachsenspiegel and Bibel, S. 61.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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weis ist anfangs mit großer Zustimmung aufgenommen,215 später dann aber wieder verworfen worden. Nachdem bereits Frensdorff Zweifel angemeldet hatte,216 ist Kisch zu dem Schluss gekommen, das Gedicht sei „aus den Quellen des Sachsenspiegels zu streichen“.217 Schmidt hat zwar sogar noch eine weitere Parallele auffinden können, die weder Kisch noch Eckhardt gesehen haben, und die folglich auch von den Späteren zumeist übersehen worden sein dürfte,218 neigt aber insgesamt auch zu der Auffassung, nicht das Lehrgedicht selbst, sondern wohl eher eine gemeinsame dritte Quelle annehmen zu dürfen.219 Man wird beim derzeitigen Kenntnisstand nicht über die vorsichtige Feststellung hinauskommen, dass sich in der Reimvorrede „Anklänge“ an Wernher von Elmendorf durchaus finden.220 Dennoch stellt auch der einschlägige Beitrag Joachim Bumkes im „Verfasserlexikon“ fest, die „Anklänge an sein Gedicht [. . .] in der Reimvorrede zum ‚Sachsenspiegel‘ Eikes von Repgow [. . .] bezeugten keine direkte Bezugnahme“.221 Wollte man sich dieser Frage erneut annehmen, so müsste wahrscheinlich auch der Betrachtungsrahmen deutlich erweitert werden. So hat Richard Schröder beispielsweise sowohl auf eine Görlitzer Marienlegende aus dem Ende des 13. Jahrhunderts222 als auch auf gewisse Parallelen zum „Rainaert“, der literarischen Vorlage des „Reinecke Fuchs“, hingewiesen.223 Außerdem will er 214
Roethe, Reimvorreden, S. 29 f. Das Gedicht ist erstmals gedruckt von Hoffmann von Fallersleben, Wernher von Elmendorf, nach der Handschrift Wernher von Elmendorf Klosterneuburg (StiftsB, Cod. 1056, fol. 65r–74r) und unter Heranziehung eines neu entdeckten, Berliner Fragments (StBPK, Ms. germ. oct. 226), das Randbemerkungen aus Wernhers lateinsicher Vorlage – Holmberg, Moralium – enthält, neu ediert von Bumke, Wernher von Elmendorf. Interessante Gedanken über die Quellen Wernhers bei Rocker, Wernher von Elmendorf. Über den Einfluss von Roethes breit rezipierter Studie auf die Germanistik des Niederdeutschen vgl. im Übrigen auch Beckers, Mittelniederdeutsche Literatur II, S. 3 f. 215 Ballschmiede, Sächsische Weltchronik, S. 52. 216 Frensdorff, Sachsenspiegel-Vorreden, S. 143. 217 Kisch, Reimvorrede, S. 36; ausführliche Auseinandersetzung damit auch bei dems., Sachsenspiegel and Bible, S. 44–57. 218 Schmidt, Studien, S. 33: Ssp. Praef. rhythm. V. 201–204
Werner, V. 229–234
Unde ervrage sich mit wisen lüten, de die warheit künnen bedüten Unde ouch haven die siete, daz se recht sin da mite
Nv merke an disme gedichte Wedir man mit mereme rechte Volge zu den rin Dan valschin lugenerin Oder den stetin luten Di di warheit wol kunnen beduten
219 220 221 222
Schmidt, Studien, S. 15–36. Gagnér, Speculum Ecclesiae, S. 90. Bumke, (Art.) Wernher von Elmendorf, Sp. 926. Schröder, Praefatio rhythmica.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
sprachliche Nähe zu einer Reihe von höfischen Romanen und Versdichtungen gefunden haben.224 Kisch hat, obwohl er einen direkte Abhängigkeit entschieden verneint, gemeint, dass zwischen Eike und und dem Spruchdichter Freidank225 eine „schöne Seelenverwandtschaft“ bestünde, „die vielleicht näher ist, als wir festzustellen vermögen“.226 Schließlich weist auch die Reimvorrede auffällige Ähnlichkeit mit derjenigen eines Ritterspiegels aus dem 14. Jahrhundert auf.227 Dagegen lässt sich m. E. die von Roethe228 aufgeworfene und von Rosenstock229 nochmals adaptierte Annahme, das lateinische Elucidarium oder gar seine Verdeutschung, der Lucidarius, seien von Eike in der Reimvorrede herangezogen worden, durch eine Gegenüberstellung der Textpassagen recht schnell entkräften:230 223 Schröder, Kunde des Sachsenspiegels, S. 52–54. Schröder erarbeitet im Grunde eher rechtshistorisch interessante Florilegien, die nicht zu vergleichen sind beispielsweise mit den späteren Arbeiten Fehrs zum Themenkreis „Recht und Dichtung“; vgl. in dieser Hinsicht auch ders., Konrad von Würzburg, und ders., Deutsche Dichter. 224 Siehe dazu unten, S. 123. 225 Das meint mitunter nicht nur die historisch greifbare(n) Person(en) Freidank, sondern die vielen Sprüche, die sich unter diesem berühmten Namen subsumieren und teils an dessen Autorität anknüpfen; vgl. dazu noch Kümper, Freidank, S. 167 mit der Frage, „ob nicht schlicht Freidank all das sei, was sich selbst Freidank nennt“ (S. 163). Einen solchen Ansatz verfolgt jüngst auch Heiser, Freidank, S. 289–291. 226 Kisch, Reimvorreden, S. 34. Ähnliches hatte zuvor auch schon in dem ihm eigenen Überschwank Möllenberg, Eike und seine Zeit, S. 52–55 ausgeführt. Schmidt, Studien, S. 36–38 vertagt nach kurzem Vergleich einschlägiger Passagen eine Entscheidung auf spätere, von ihm aber als sowohl für die Sachsenspiegel- als auch (vielleicht sogar mehr noch) für die Freidank-Forschung durchaus fruchtbar reklamierte Untersuchungen. Einschlägige Vergleichsstellen wären:
Ssp. Praef. rhythm.
Freidanks Bescheidenheit
V. 119 f.
Nr. 65, V. 22 f.
V. 136–138
Nr. 14, V. 25–Nr. 175, V. 1
V. 154–173
Nr. 147, V. 9 f.; Nr. 78. V. 15 f.; Nr. 79, V. 3 f.
V. 175 f.
Nr. 85, V. 17 f.
V. 249–252
Nr. 125, V. 19–24
Die Freidank-Angaben folgen der Ausgabe Bezzenberger, Fridank. Gewisse Ähnlichkeit haben auch Ssp. Ldr. I § 1 mit Freidank Nr. 152, V. 12–15 und Ssp. Ldr. III 42 § 5 mit Nr. 25, V. 9–12. 227 Kopp, Bilder und Schriften, Bd. 1, S. 4: „Dit is nu der Ritter spygil/Darinne si sich sullin beschowin/Befestint mit der toginde sygil/God lasze en des wol gezcowin.“ 228 Roethe, Reimvorreden, S. 30. 229 Rosenstock, Verdeutschung, S. 500 f.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Lucidarius II 97
Sachsenspiegel Ldr. II 66 § 2
Do sprach der iunger: Durch waz heize wir den sibenden dac sunnen dac? Der meister sprach: Der sunne butet den amlehtigen got. Durch daz heize wir den dac nach dem sunnen, wen in got selbe gewihet hat. Do got den menschen vnde die weltallererst gescu˚f, do firet der den sunnen dac. Dez sunnendages wart daz israhelische lut erlideget uzer egipten lande. Dez sunnendages wart die e gegeben. Dez sunnendagis wart der heilige crist vnser herre geboren. Dez sunnendagis comen die drie kunege fur unsern herren mit irme opfere. Des sunnendages maht er wasser zu˚ wine. Des sunnetages versu˚ht in der tiuel. Des sunnetages erquicquet er lazarum uon dem tode. Des sunnetages com er geriten ze ierusalem an dem balmedage.
Des sundages würde wie besünt mit gode umme adames missedat. Die sundach was die irste dach, die ie gewart, unde wirt die leste, alse wie upirstan solen von deme dode, unde solen varen to ganden mit live unde mit selen, die’t weder got verdient hebben.
Solche Ausführungen über die Bedeutung des Sonntages sind häufig überliefert und eine genauere Überprüfung mag hier noch einiges Material für die Diskussion über Eikes Quellen ans Licht bringen. Ich verweise nur auf Rupert von Deutz,231 der in seiner knappen Abhandlung über den Sonntag die „resurrectio a mortuis“ betont ebenso wie dies der Sachsenspiegel tut und sie andere, wie der Lucidarius oder die Predigtsammlung Priester Konrads,232 entweder gar nicht oder nur als einen unter vielen Punkten nennen. Nur diese drei kleinen Beispiele zeigen aber bereits, dass es wahrscheinlich durchaus möglich sein dürfte, bei entsprechend breiter Sichtung, den zunächst riesigen Kreis möglicher Quellen deutlich einzuschränken. Spezialisten der Theologiegeschichte könnten hier eine dankbare Aufgabe finden. Über die Reimvorreden sind wir weit von den theologischen Quellen abund breits zu einigen möglichen, letztlich aber kaum nachweisbaren literarischen Vorlagen hingekommen. Es bleibt aber eine letzte theologisch in230
Der Text zit. nach der neueren, überlieferungskritischen Edition von Gottschall, Lucidarius, S. 119 f.; vgl. dazu auch Gottschalls Kommentar, Bd. 3, S. 410–414. Im Übrigen weist der Lucidarius in dieser Hinsicht einige Parallelen zu dem weiter oben besprochenen Speculum ecclesie auf, in dem Gagnér, Speculum ecclesie, als Vorlage des Sachsenspiegel-Landrechts erblicken wollte. Vgl. nur Melbourn, Speculum ecclesie, S. 33 und S. 147. 231 Deutz/Deutz, Rupert von Deutz, S. 970–975 (VII 19). 232 Kritische Edition der Predigt bei Mertens, Predigtbuch, S. 185–187.
102
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
spirierte Quelle, deren Benutzung der sonst so kritische Kisch gar als „a well establish fact“233 bezeichnete: die „Historia Scholastica“ des Petrus Comestor.234 Das war noch verhältnismäßig nahe liegend, solange man Eike auch als den Verfasser der Sächsischen Weltchronik ansah, die ihn an einer Stelle – allerdings irrig und auch nur in der Redaktion der Fassung C – explizit zitiert.235 Aber auch nachdem man sich von dieser Annahme verabschiedet hat, bleiben eine Reihe von Parallelen zwischen Historia und Sachsenspiegel: Historia Scholastica
Sachsenspiegel Landrecht
Maledixit autem non filio, sed filio filii, quia sciebat in spiritu filium non serviturum fratribus, sed semen eius, nec omnes de semine, sed eos, qui in de Chanaan descenderant. [. . .] (Hist. Schol., XXXVI)
[. . .] Noe segende tvene sine sone unde an’me dridden ne wuch he nene egenscap;
[. . .] Sem Asiam, Cham Africam, Japhet Europam sortitus est. [. . .] (Hist. Schol., XXXVII)
kam besatte affricam mit sime geslechte, sem bleif in asia, japhet unse vordere besatte europam; süs ne bleif ir nen des anderen. So secgen summe lude, egenscap queme von ismahele; die hilge scrift het ismahele der dernen sone, anderes ne ludet se nener egenscap umme ine. [. . .] (Ssp. Ldr. III 42 § 3)
[. . .] Et sich quinquagesimo die dedit eis legem, verbo tantum, in figura, quod daturus erat per Spiritum sanctum die quinquagesimo. (Hist. Schol., XXXIX)
Ok hebbe wie orkünde des mer. Got ruwede den sevenden dach. Die seveden weken gebot he ok to haldene, als he den joden die e gaf unde uns den hilgen geist [. . .] (Ssp. Ldr. III 42 § 4)
233 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 97; vgl. auch ebd., S. 77–79 und S. 100–103. Erste Bemerkungen dazu bei Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 151; zuletzt noch Landau, Entstehungsort, S. 83 f. 234 Gedruckt in der PL 198, Sp. 1053–1722. Über die Rezeption der Historia im deutschsprachigen Mittelalter informiert eingehend Sherwood-Smith, Studies. 235 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 279 (Anhang VII): „Darna het sente Jeronimus unde mester Peter Manducator in der Scolastiken Hystorien dat jar des gelovedes goddes.“ – Andere Handschriften (vor allem C, cap. 3 und 85) nutzen diese Quelle ausgiebiger; vgl. ebd., S. 22 und Herkommer, Sächsische Weltchronik, S. 4, S. 94 Fn. 16 und S. 265. Der bei Weiland, Sächsische Weltchronik, als Anhang VII gegebene Kaiserkatalog (S. 278 f.) kam zumindest in der bis auf das Jahr 1130 reichenden Fassung auch als selbständiges Exzerpt vor; vgl. Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 23 f. – gedruckt nach einer Hamburger Handschrift auch bei Pertz, Historici, S. 365 f. in den Anmerkungen.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
103
Petrus Comestor könnte aber auch aus ganz anderem Blickwinkel für die Quellenkunde des Sachsenspiegels interessant werden. Bereits früh nämlich ist bemerkt worden, dass gewisses jüdisches Gedankengut sich in dem Rechtsbuch wiederfindet. Ausführlich hat sich dem Guido Kisch gewidmet.236 Besonders auffällig ist die Erwähnung des Jubeljahres in Ssp. Ldr. III 42 § 4, denn entgegen der einschlägigen Bibelstelle (Ex. 21, 5) wird ein Knecht im fünfzigsten Jahr frei, ob „he wolde oder newolde“. Das findet sich so in den „Antiquitates Judaicae“237 des Flavius Josephus, die damit mit einiger Wahrscheinlich als Eikes (vielleicht nur mittelbare) Quelle anzusprechen sein dürften.238 Schwieriger sieht es bei anderen Parallelen aus. Bereits Emanuel Leiser, dessen Studie 1870 in der Tat „in an obscure publication“239 erschien und daher auch kaum zur Kenntnis genommen worden war,240 hatte festgestellt, dass einige von Eikes Bibelinterpretationen auf spezifisch jüdische Deutungsmuster zurückzuführen seien. Allerdings haben spätere Sachsenspiegelforscher in der Regel nicht das nötige „modicum of knowledge of Jewish Bible interpretation and late Jewish literature“ mitgebracht,241 so dass man darauf angewiesen blieb und vorerst auch bleibt, sich auf Kischs Ausführungen zu verlassen. Ein erneuter Blick auf die möglichen Parallelstellen durch einen erfahrenen Judaisten wären, zumal angesichts des in den letzten Jahrzehnten deutlich erweiterten Wissens um die Verbreitung mittelalterlicher jüdischer Schriften, sicherlich der Quellenkunde des Sachsenspiegels ausgesprochen zuträglich. Ein solches Unterfangen ist allerdings, wie bereits Kisch eingestehen musste, mit einer Reihe von Widerständen behaftet,242 wie überhaupt über die Juden in Sachsen und Thüringen zu Eikes Zeit nicht sonderlich viel bekannt ist.243 Dass allerdings bei Petrus Comestor eine Reihe jüdischer Quellen verarbeitet worden sind, hatte schon Kisch angeführt,244 und ist nach ihm noch näher untersucht worden.245 Aber auch dieser Verweis kann nicht alles erklären. Man 236 Kisch, Jewish Thought; vgl. ferner ders., Sachsenspiegel and Bible, S. 155–179. 237 Deutsche Übersetzung von Clementz, Flavius Josephus, S. 241 (IV 8, 28). 238 Kisch, Talmudic Legend; vgl. auch ders., Sachsenspiegel and Bible, S. 157 f. u. ö. 239 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 156; vgl. dazu auch ders., Jewry-Law, S. 117. 240 Leiser, Juden. 241 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 156. 242 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 171–179. 243 Das Mühlhäuser Rechtsbuch z. B. führt keinerlei Bestimmungen zum Judenrecht mit Ausnahme eines bemerkenswerten Artikels über das „Schadennehmen“ (Art. 45 § 8) – vgl. dazu Kisch, Schadennehmen. 244 Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 158 f. 245 Shereshevsky, Hebrew Traditions; Lachs, Sources.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
wird auch nach ganz allgemeinen Denkmustern fragen müssen, wie das beispielsweise Kisch für die talionsartige Strafe getan hat.246 Zu den wichtigsten Quellen des Sachsenspiegels sind seit jeher eine Reihe von Landfrieden, allen vorweg die so genannte „Treuga Heinrici“,247 gezählt worden.248 Während für die Passagen Ssp. Ldr. II 66 bis II 70 eine auffällige textliche Übereinstimmung besteht, ist man sich über die weitergehende Benutzung des Landfriedens, vor allem in den sich bis Ssp. Ldr. III 3 anschließenden, ebenfalls die Landfriedensordnung betreffende Artikeln, uneinig. Eckhardt führt in seinen Ausgaben „eine Reihe von Stellen“ auf, „bei denen die deutsche Sachsenspiegel-Fassung auf die Treuga Heinrici zurückgehen kann, aber nicht zurückgehen muss“.249 Einige Ähnlichkeiten sind in der Tat auffällig. Zur Verdeutlichung gebe ich eine synoptische Gegenüberstellung der Treuga mit dem Landrechtstext des Sachsenspiegels auf Grundlage der von Eckhardt benannten Vergleichsstellen (S. 105–108). Lose Anklänge der capp. 3 und 4 könnte man darüber hinaus in Ssp. Ldr. II 13 § 5, II 16 §§ 2, 8, II 66 § 2, II 71 § 1 und III 37 § 1 sehen; eindeutig ist das aber nicht. Offensichtlicher scheint dagegen die Benutzung des fünften Kapitels („Si aliquem percusserit cum sanguinis effusione, LX solidos iudici componet et secundum condicionem suam leso satisfaciet.“), die sich als Extravagante einer Krakauer Handschrift findet.250 Sie ist aber anderweitig bisher nicht beleget. Nun hat Frensdorff überzeugend darlegen können, dass nur an einer einzigen Stelle (Ssp. Ldr. II 13 § 7) unmittelbar und an einer anderen wahrscheinlich (Ssp. Ldr. II 70) auf die Treuga (cap. 13, 12) zurückgegriffen, ansonsten aber viel eher der Sächsische Landfrieden Heinrichs (VII.) aus
246
Kisch, Talion. MGH Const. II, S. 398–401 (Nr. 284); dt. Übersetzung bei Weinrich, Quellen, S. 396–403 (Nr. 102). 248 Grundlegend dazu noch immer Frensdorff, Sachsenspiegel II 66; vor wenigen Jahren dann noch Gergen, Paix éternelle, in ausgeweiterter Perspektive. Erwähnenswert für die Landfriedensbestimmungen des Sachsenspiegels, wenn auch nicht unmittelbar für die Quellenfrage, bleibt auch der für den Schulunterricht aufbereitete Beitrag von Boockmann, Landfriedensbestimmungen, der auf eine Kontextualisierung der Bestimmungen hinarbeitet. 249 Eckhardt, Auctor vetus, S. 43 – vgl. dazu auch die Angaben im Apparat von Eckhardts Sachsenspiegel-Ausgaben. Seine Studie „Sächsischer Landfrieden und auctor vetus de beneficiis“ teilt mit den anderen, dort versammelten Beiträgen das Schicksal der Festschrift, die 1945 für Franz Beyerle erscheinen sollte, aber nie den Buchhandel erreicht hat. 250 Homeyer, Extravaganten, S. 257. Diese Handschrift (ehemals Krakau, UB, Cod. 387) muss als Kriegsverlust gelten. 247
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels Treuga Heinrici 9. Qui alium clam occiderit, quod mord dicitur, in rota punietur. Si aufugit, et fama publica que vulgo loimunt dicitur exstiterit, et reus proprietates et feoda habuerit, primi sui domini, a quibus feoda tenuit, se de illis infra XIIII dies intromittent, et sic a primis usque ad secundos et tercios dominos usque ad dominum inperii; [qui] feoda predicta, si per negligenciam ad ipsum devenerint, retinebit. Proprietates autem ipsorum heredes proximi recipient. Quod si neglexerint infra XIIII dies, dominus provincie ea recipiet, et sic iterum usque ad dominum inperii producentur. Is autem, qui reum receperit et foverit, a die certe sciencie cum reo pari pene et sentencie subiacebit.
13. Quincunque pacem in se ledi proclamabit, nisi in proclamacione ante iudicem perseveraverit.*
15. Quincunque predam que reraup et predam que strazraup et crimen quo scach dicitur commiserit, si flagrante maleficio iudici presentatus fuerit, capite plectetur.
Si autem aufugerit et ad iudicium vocatus infra XV dies non comparuerit, ut reus, ut infamis iudicabitur. Si quis autem talium quemquam a iudice postulatum contra ius manutenere et defendere presumpserit, tam ipse detentor quam locus quilibet, in quo manutenetur, proscribatur. Quod si detentor post pro-
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Sachsenspiegel Landrecht
Sve herberget oder spiset wetenlike enen vervesten man, he mut dar umme gewedden. Ne weit he’s aver nicht, he untredet dat gewedde mit siner unscult. (Ldr. III 23) Lame lüde soln ok antwerden unde klagen ane vormünden; it ne si dat de klage to kampe ga, dar si ire vormünde ein ir evenbürdige svert mach, sve he si, de’t dun wille. Ne mach die lame man, of man ine to kampe grot, sines rechten vormunden nicht hebben, unde darn he dar sin recht to dun, he gewint to vormunden, sve’t vor ine dun wille, oder svene he mit penningen gemeden mach, al moge man sinen rechten vormünden bewisen. (Ldr. I 48 § 2)
Wert aver die vredebrekere gevangen in der verschen dat, man richtet over ine na vredes rechte. (Ldr. III 36 § 2) Svelk man enen beklageden man um ungerichte geweldichlike deme gerichte untvort, wert he gevangen mit gerüchte, he sal gelike pine jeneme liden. Kumt aver he enwech, man vervestet ine altohant, of man ine in der hanthaften dat gesen hevet unde bescriet mit deme gerüchte, unde man dat getügen mach. (Ldr. III 9 § 5)
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Treuga Heinrici
Sachsenspiegel Landrecht
scriptionem suam bis et tertio a iudice commonitus non resipuerit, cum reo pari infamie ac sentencie subiacebit. Si autem reus ad vocacionem iudicis iudicio se presentaverit et factum negare voluerit, actor vel per se vel per alium in monomachia convincere potest, et reus in person propria se defendet. Quod si actor facere noluerit, concedetur reo expurgatio manu VIIma, eorum tamen qui ad hoc in singulis provinciis sunt electi. 17. Si aliquis in eadem iurisdictione a iudice sibi iusticiam de aliquo postulaverit, iudex infra XV dies sibi iusticiam faciet. Quod si ille non satisfecerit, ex tunc dabit iudex actori auctoritatem pignorandi, et illud pignus salvum tenebitur per XV dies; quod si redemptum non fuerit, iudicis auctoritas destruetur, et pignorator suo recepto residuum restituet.
Klaget man aver umme scult over den, die dar nicht dingplichtig n’is, noch dar to antworde nicht n’is, man sal ime gebieden von gerichtes halven, dat he gelde over virteinnacht, oder die scult mit rechte untrede. Ne dut he des nicht, man sal ine dar vore panden, unde dat pant sal man to borge dun dries, immer over virteinnacht, of man is to borge geret. Negert man’s nicht to borge, man sal it halden doch ses weken unverdan; ne untredet jene die scult dar binnen nicht, sint ne mach he se nicht untreden, it ne neme ime echt not. So sal man dat pant vor de scult utsetten, oder verkopen, of man’t dar vore nicht gesetten ne mach; wirt dar icht over, dat sal man jeneme weder geven. Brict dar ichtes an, man sal ine aver panden also lange, wente jene sin gelt hebbe. (Ldr. I 70 § 2) Sve so unrechten wech sleit over gewunnen land, vor iewelk rat sal he geven enen penning, die ridene man enen halven, unde solen den scaden gelden, of dar sat uppe stat; dar vore mut man Si quis pignorationem a iudice licentia- se wol panden. Weret se dat pand wetem prohibuerit, tanquam predo a iudce der recht, man bestedeget se mit deme proscribetur. rüchte; so muten se beteren dat rucht mit dren schillingen unde muten doch pandes recht dun. (Ldr. II 27 § 4) 19. Si quis proscriptus fuerit, absolvi a proscriptione non aliter poterit, nisi datis duobus vel tribus fideiussoribus, qui tantum habeant in eadem iurisdictione
Sve sik ut der vestinge tien wel, deme sal die richtere vrede werken vore to komen, of man’s von sinent halven geret. Svenne he sik uppe’n hilgen ut ge-
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Treuga Heinrici
Sachsenspiegel Landrecht
feodi vel proprietatis, unde possint dampnum restituere cum debita pena et iudicis composicione. Reus autem si infra XV dies non composuerit, fideiussores ad eundem terminum pro reo satisfacere tenebuntur.
tiüt, so sal ine die richtere unde dat lant ut laten mit vingere unde mit tungen, als man ine in die vestinge dede. Weigeret man ime des mit unrechte, unde tiüt he sik ut uppe’n hilgen, he is en unvervest man. So sal man ime ok vrede werken, unde he sal bürgen setten vore to komene to dren dingen, of man’t von ime eschet, dar sal he sik to antwerde bieden, of ieman over ine klagen wille. Ne klaget nieman over ine binnen den dren dingen, so sal man ine ledich delen von der klage. (Ldr. II 4 § 1)** Svene die rechte gogreve vervest, die siner goscap an dat gerichte tiüt, getüget he sine vestinge vor deme greven, he irwirft des greven vestinge over jenen altohant. Süs irwirft ok die greve mit siner vestunge des koninges achte. (Ldr. I 71)***
Proscriptus autem si infra XVI dies neglexerit absolvi, a iudice terre curie regie tradetur proscribendus; in qua si per annum et diem permanserit, exlex iudicabitur. Si quis atem vel in castro vel alio quolibet modo proscriptum mantenere presumpserit, et a iudice commonitus ipsum non reliquerit, eidem dampnationi una cum castro vel minicione qua et reus subiacebit. Si autem fideiussores cum reo infra XIII dies non composuerint, iudex eos pro reo facies pignorari.
21. Quicunque alium extra manifestam guerram ceperit, de quo querimoniam coram iudice non fecit, si captivatus a iudice postulatus restitutus non fuerit, tam detentores quam loca in quibus captivatus fuerit proscribantur.
Svenne die koning oc alrest in dat lant kumt, so solen ime ledich sin alle vangene uppe recht, unde man sal sie vor ine bringen unde mit rechte verwinnen oder mit rechte laten, so man sie irst besenden mach, seder der tiet dat sie de koning eschet to rechte oder sine boden, to dem manne selven oder to’me hove oder to’me huse, dar sie gevangen sin oder hebbet gewesen. Weigeret man sie vore to bringene, sint man sie to rechte geeschet hevet, unde man des getüch an des koninges boden hevet, man dut to hant in de achte alle die sie vengen, unde hus unde lüde, die sie weder recht halden. (Ldr. III 60 § 3) Tvei svert lit got in ertrike to bescermene de kristenheit. Deme pavese is gesat dat geistlike, deme keisere dat wertlike. Deme pavese is ok gesat to ridene to bescedener tiet up eneme blanken perde unde de keiser sal ime den
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Treuga Heinrici
Sachsenspiegel Landrecht
24. Quemcunque episcopus excommunicaverit et eum inperatori vel regi per litteras suas vel viva voce excommunicatum denunciaverit, illum et inperator et rex proscribent, et ab ea proscriptione, non nisi prius parti lese satisfecerit, absolvetur.
stegerep halden, dur dat de sadel nicht ne winde. Dit is de beteknisse, svat deme pavese widersta, dat he mit geistlikeme rechte nicht gedvingen ne mach, dat it de keiser mit wertlikem rechte dvinge deme pavese gehorsam to wesene. So sal ok de geistlike gewalt helpen deme wertlikem rechte, of it is bedarf. (Ldr. I 1)
*
Entspricht wörtlich dem Sächsischen Landfrieden von 1221 (c. 12). Lediglich statt „perseveraverit“ gibt der Landfrieden „permanserit“. ** Vgl. aber auch Ldr. III 17 § 2: „En vervest man mut sik wol uttien in allen steden binnen dem gerichte, dar he vervest is. To geliker wis als man die klage erheven mut in allen steden, also mut sik en man wol uttien in allen steden.“ *** Vgl. auch Ldr. I 38 § 2: „Die ok jar unde dach in des rikes achte sin, die delt man rechtlos, unde verdelt in egen unde len, [. . .].“
dem Jahre 1221/23251 zugrunde gelegt worden ist, den die Treuga in erheblichen Teilen fast wörtlich nachbildet.252 So ist dann Eckhardt nach langem Hin und Her zu dem Schluss gekommen, der Sachsenspiegel greife in der Tat auf beide zurück, und zwar wahrscheinlich in der lateinischen Urfassung noch auf den alten, sächsischen Frieden von 1221/23, in der ersten deutschen Fassung (Ordnung Ib) aber bereits auch auf den jüngern Text, die Treuga von 1224.253 Die von Eckhardt vorgebracht Argumente haben manches für sich, reichen aber in keinem Fall aus, den Sachverhalt in dieser Form als Fakt darzustellen. Unsicherheit bleibt. Die Stellen aus den beiden Landfrieden Heinrichs (VII.) lassen aber sehr klar deutlich werden, wie frei Eike mit seinen Vorlagen umgegangen ist.254 Zwar schließt er sich zunächst inhaltlich eng an seine Vorlagen an, adaptiert diese dann aber im Blick auf seine eigene Konzeption. So übergeht er sämtliche Hinweise auf die zeitliche Begrenzung, mit der die Vorlage, der Landfriede also, beschworen wird; seine Sätze werden dadurch aus dem Kontext der Schwureinigung heraus und auf die Ebene des „allgemein und immer geltenden Rechts“ gehoben.255 251 MGH Const. II, S. 394 f. (Nr. 280); dt. Übersetzung bei Weinrich, Quellen, S. 384–391 (Nr. 97). 252 Frensdorff, Sachsenspiegel II 66, S. 21. 253 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 56–71. 254 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 437; Frensdorff, Sachsenspiegel II 66, S. 22 f. und S. 147 f. 255 Frensdorff, Sachsenspiegel II 66, S. 21.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Auf bemerkenswerte Zusammenhänge zwischen dem Landrecht des Sachsenspiegels und einem Landfrieden Friedrichs I., die so genannte „Constitutio de pace tenenda“ von 1152,256 hat vor wenigen Jahren noch Karin Nehlsen-von Stryk hingewiesen:257 Constitutio de pace tenenda
Sachsenspiegel Landrecht
5. Quicumque iudici suo pro excessu viginti libras invadiaverit, predium suum pro pignore illi tradat et infra quatuor septimanas invadiatam pecuniam persolvat. Quodsi infra quatuor septimanas predium suum solvere neglexerit, heredes sui si voluerit, hereditatem recipiant et comiti infra sex septimanas viginti libras persolvent. Sie autem comes eandem hereditatem regie potestate consignet, proclamatori etiam damnum restituat et predium a rege beneficiali iure obtineat. [. . .]
§ 1. Svar die richtere sin gewedde nicht ut panden ne mach up enes mannes egene, dat also klene gilt, dat sal die vrone bode vronen mit eme crüce, dat he up dat dor steken sal na scepenen ordele. § 2. Ne tiüt he’t nicht ut jene des it dar is binnen jar unde dage, man verdelt ime sin recht dar an. Dar na kome sin erve vor gerichte binnen jar unde dage, unde tie sik to sime erve alse recht is uppe’n hilgen, unde gelde die schult de die richtere dar up getügen mach gewunnen binnen dinge selve dridde. Nene hogere schult ne mach he dar up getügen denne drü gewedde oder en weregelt. (Ldr. II 41 §§ 1, 2)
8. Si duo homines pro uno beneficio contendunt et unus super eodem beneficio investitorum producit illius testimonium, cum investitor donum investiture recognoscit, comes primo recipiat. Et si idem provare poterit idoneis testibus, quod absque rapina hoc idem beneficium habuit, remota controversie materia illud obtineat. Quodsi de rapina presente iudice convictus fuerit, rapinam dupliciter solvat, beneficio vero careat, nisi iustitia et iudicio dictante illud in posterum requirat.
Sve so klaget up enen anderen, he neme ime gut, dat ir ieweder ime to lene seget; secget se’t in von tven herren, ir ieweder sal sinen geweren to dinge bringen; sve gewerd werd de behalt; sves gewere nicht ne kumt die verlüset[, of se’t beide sunder gewere anspreket unde to like mit deme gude belent sin].* (Ldr. II 44 § 1)
9. Si tres vel plures contendunt de eodem beneficio producentes uterque diversos investitores, iudex, in cuius presentia causa ventilatur, a duobus requirat boni testimonii hominibus in provincia eorundem litigatorum commorantibus per sacramentum, quod iuraverint, quis illorum absque rapina
Secget aver se in dat gut to beide de dar umme tveiet von enem manne, vor den solen sie komen to rechte over ses weken, unde die richtere sal tvene boden mede senden, die dar horen, wie behalde oder wie verliese. Sve verluset de geweddet dem richtere unde gift dem anderen sine bute. (Ldr. II 44 § 2)
256 MGH DD X, 2, S. 39–44 (Nr. 25) – zu diesem Landfrieden und seiner Datierung vgl. auch Wadle, Frühe deutsche Landfrieden, S. 83–86. 257 Nehlsen-von Stryk, Reichslandfriede.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Constitutio de pace tenenda
Sachsenspiegel Landrecht
eius beneficii possessor extiterit, et cognita ex ipsorum testimonio rei veritate possessor beneficium suum quiete obtineat, nisi iudicio et iustitia dictante alter de manu sua illud eripiat. * Der Nachsatz in eckigen Klammern ist eine Novelle der vierten deutschen Fassung (IIa) aus der Zeit um 1270 – zur Deutung vgl. Nehlsen-von Stryk, Reichslandfriede, S. 29 f.
Diese Belegstellen sind insoweit bemerkenswert, als sie nur hier und im Sachsenspiegel, jedoch in keinem anderen Landfrieden jener Zeit zu finden sind. Zwar entsprechen sich Landfriede und Rechtsbuch nicht durchweg, dennoch bleibt die inhaltliche Nähe frappant.258 Parallelen lassen sich schließlich aus dem Landrecht des Sachsenspiegels heraus durchaus auch zu anderen Landfrieden ziehen. In der rechtshistorischen Literatur finden sich dabei regelmäßig die folgenden Vergleichsstellen: Landfriede Friedrichs I. von 1156
Ssp. Ldr. I 51 § 4; Ldr. I 64; Ldr. II 13 § 1; Ldr. II 14 § 2; Ldr. II 41; Ldr. II 42; Ldr. II 61 § 2; Ldr. II 68; Ldr. II 72259
Landfriede Friedrichs I. von 1187
Ssp. Ldr. I 38 § 2; Ldr. I 40; Ldr. II 13 § 4; Ldr. II 72; Ldr. III 63
De iuribus principum ecclesiasticorum (Friedrich II, 1220) Sententia de iure statuum terrae (Heinrich [VII.], 1231)
Ssp. Ldr. I 1; Ldr. II 63
Sententia de cambiis (Friedrich II., 1231) Constitutiones contra heretcios (Friedrich II., 1224 und 1232) und/oder „Sententia de bonis hereticorum“ (Heinrich, 1231)
Ssp. Ldr. II 26 § 5
Ssp. Ldr. III 91 a. E.
Ssp. Ldr. II 13 § 7
258 Losere, inhaltliche Anklänge auch in Ssp. Ldr. I 64 ⁄ cap. 1; Ldr. II 16 §§ 2, 8 ⁄ cap. 3 und 4; Ldr. II 41 §§ 1, 2 ⁄ cap. 5; Ldr. II 72 § 1 ⁄ cap. 7; Ldr. II 42 § 4 ⁄ cap. 8; Ldr. II 42 § 1 ⁄ cap. 9; Ldr. II 61 § 2 ⁄ cap. 14; Ldr. II 68 ⁄ cap. 20. Außerdem finden sich wahrscheinlich gewohnheitsrechtlich verankerte Grundsätze, die sich in Landfriede und Rechtsbuch entsprechen, so z. B. Ssp. Ldr. I 51 § 4 bzw. Ldr. III 29 § 1 ⁄ cap. 10 und Ssp. Ldr. II 13 § 1 ⁄ cap. 18 – vgl. dazu Nehlsen-von Stryk, Reichslandfriede, S. 22. 259 Zu Ldr. II 68 und II 72 vgl. entsprechend auch die Libri feudorum II, 27 (Vulgatfassung) bei Lehmann, Langobardisches Lehnrecht, S. 154–158.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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Dass Eike auch den so genannten „Mainzer Reichslandfrieden“260 von 1235 noch benutzt haben soll,261 hat bereits Stobbe mit guten Gründen bestritten.262 Dennoch taucht der Landfriede immer wieder im Zusammenhang mit Studien über den Sachsenspiegel auf – nicht nur, weil beide in den Handschriften häufig miteinander überliefert werden, sondern vor allem wohl auch deshalb, weil der Landfriede die „erste in lateinischer und deutscher Sprache überlieferte kaiserliche Urkunde“ ist,263 und damit wie der Spiegel in den illustren Kreis der frühen deutschen Rechtsdenkmäler gehört. Welche der beiden Fassungen auf der jeweils anderen beruht, hat allerdings lange Zeit die Gemüter beschäftigt; heute ist man sich weitgehend einig, dass der lateinischen Fassung der zeitliche Vorrang gebührt. Über die Verbindung beider Rechtstexte hat in vergleichender, literaturwissenschaftlicher Perspektive am Beispiel der Prologe Ruth Schmidt-Wiegand264 und mit Blick auf die Mitüberlieferung in den Handschriften ihre Schülerin Brigitte Janz265 gehandelt. Letztere kommt dabei zu dem bemerkenswerten Schluss, dass eine „gezielte Zusammenstellung zweier sich teilweise widersprechender Rechtsquellen [. . .] für die Rechtspraxis, z. B. als ‚Nachschlagewerk‘ im Zweifelsfall bei der Rechtsprechung, mehr verwirrend denn hilfreich gewesen sein“ dürfte, vielmehr „denkbar und sinnvoll“ scheine, dass die Handschriften „für die theoretische Auseinandersetzung mit der Materie“, sei es in einem wissenschaftlichen oder einem unterrichtenden Kontext, ihren Zweck erfüllten.266 Diese Schlussfolgerung passt für die Überlieferung der Codices picturati recht gut zu den Annahmen und Ergebnissen der neueren Sachsenspiegelforschung.267 Sie ließe sich aber aller Vermutung nach auch durch die Erweiterung des Blicks auf andere Sammelhandschriften deutschsprachiger Rechtstexte erhärten. Auf ein Beispiel eines „didaktischen Anliegens“ der Textkompilation hat beispielsweise Schott hingewiesen;268 eine 260 MGH Const. II, S. 241–263 (Nr. 196) sowie Weinrich, Quellen, S. 462–485 (Nr. 119) mit hochdt. Übertragung. Die Bezeichnung als „Reichslandfriede“ hat bereits Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 310 mit gutem Grund kritisiert, bleibt aber weiterhin üblich. 261 Möglich wurde diese Annahme aus dem Vergleich von Ssp. Ldr. III 23 und cap. 13 (MGH, Leges II, S. 317) heraus. Dem schließt sich beispielsweise noch Zoepfel, Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1, S. 143 an. 262 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 304. Über den Zusammenhang des späteren, vulgaten Zusatzes Ssp. Ldr. III 84 mit dem Reichslandfrieden vgl. Böhlau, Nove constitutiones, S. XV. 263 Schulze, Parallelurkunden, S. 33. 264 Schmidt-Wiegand, Sprache. 265 Janz, Mainzer Reichslandfriede; vgl. dazu auch Nowak, Verbreitung, S. 218–284. 266 Janz, Mainzer Reichslandfriede, S. 262. 267 Siehe dazu unten, S. 142 ff.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
weitere Handschrift, die u. a. auch den Mainzer Landfriede mit dem Schwabenspiegel und anderen deutschen Rechtstexten zusammenstellt, habe ich selbst eingehender untersucht.269 Zu den weithin akzeptierten Quellen des Sachsenspiegels zählen auch die berühmten „Fürstengesetze“, die „Confoederatio cum principibus ecclesiasticis“ (1220)270 und das „Statutum in favorem principum“ (1232).271 Für die Benutzung der Confoederatio hat Eckhardt die wichtigsten Belegstellen zusammengestellt:272 Confoederatio cum principibus ecclesiaticis
Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht
6. Item, sicut iustum est, excommunicatos eorum, dum tamen ab ipsis viva voce per litteras eorum vel per honestos nuntios fide dignos nobis denuntiati fuerint, vitabimus; et nisi prius absolvantur, non concedemus eis personam standi iuditio, sic distinguentes, quod excommunicatio non eximat eos a respondendo impetentibus, sed sine advocatis; perimat autem in eis ius et potestatem ferendi sententias et testimonia et alios impetendi.
Des verbannenen mannes oder des verachten mannes oder vervesten mannes tüch mach men wol verlecgen binnen deme gerichte, dar he gebannen is oder in achte gedan is oder vervest is. Vorspreken ne mogen sie nicht wesen. Klagen sie uppe jemanne, he ne darf nicht in antwerden, of he den ban oder die vestinge oder die achte getügen mach. Doch muten sie antwerden hir in binnen alle den die uppe sie klagen. (Lnr. 273 12 § 2)
7. Et quia gladius materialis constitutus est in subsidium gladii spiritualis, excommunicationem, si excommunicatos in ea ultra sex septimanas perstitisse predictorum modorum aliquo nobis constiterit, nostra proscriptio subsequatur, non revocanda, nisi prius excommunicatio revocetur.
Tvei svert lit got in ertrike to bescermene de kristenheit. Deme pavese is gesat dat geistlike, deme keisere dat wertlike. Deme pavese is ok gesat to ridene to bescedener tiet up eneme blanken perde unde de keiser sal ime den stegerep halden, dur dat de sadel nicht ne winde. Dit is de beteknisse, svat deme pavese widersta, dat he mit geistlikeme rechte nicht gedvingen ne mach, dat it de keiser mit wertlikem rechte dvinge deme pavese gehorsam to we-
268
Schott, Codex Lüzelnheimeri, S. 811. Kümper, Regimen, S. 39–42. 270 MGH Const. II, S. 86–91 (Nr. 73); dt. Übersetzung bei Weinrich, Quellen, S. 376–383 (Nr. 95). 271 MGH Const. II, S. 211–213 (Nr. 171); dt. Übersetzung bei Weinrich, Quellen, S. 434–438 (Nr. 114) – zum Kontext dieser beiden wichtigen Reichsgesetzte vgl. Nishikawa, Entwicklung, bes. S. 106 f. 272 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 24 f. 273 Vgl. auch Ssp. Ldr. II 63 § 2. 269
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels Confoederatio cum principibus ecclesiaticis
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Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht sene. So sal ok de geistlike gewalt helpen deme wertlikem rechte, of it is bedarf. (Ldr. I 1)
9. Item inhibemus ad imitationem avi nostri, felicis memorie imperatoris Friderici, ne quis officialium nostrorum in civitatibus eorundem principum jurisdictionnem aliquam sive in theloneis sive in monetis seu aliis officiis quibuscumque sibi vendicet, nisi per octo dies ante curiam nostram ibidem publice indictam et per octo dies post eam finitam. Nec etiam per eosdem dies in aliquo excedere presumant jurisdictionem principis et consuetudines civitatis. Quotienscumque autem ad aliquam civitatum eorum accesserimus sine nomine publice curie, nichil in ea juris habeant, sed princeps et dominus ejus plena in ea gaudeat potestate.
In svelke stat des rikes de koning kumt binnen deme rike, dar is ime ledich monte unde toln, unde in svelke lant he kumt, dar is ime ledich dat gerichte, dat he wol richten mut alle die klage, die vor gerichte nicht begunt, noch nicht gelent ne sin. (Ldr. III 60 § 2)
Dagegen vertrat Kallen die Meinung, Eike werde die Confoederatio „sicher gekannt haben“, es sei aber „für ihn gerade bezeichnend, daß er sich nicht darauf beruft, sondern daß er sogar manchmal eine gegensätzliche Ansicht vertritt“.274 Tatsächlich ist zumindest die Deutung des neunten Kapitels, das die Königswahl behandelt, durchaus nicht eindeutig.275 Um die Existenz des Gesetzes wird der Spiegler jedenfalls wohl gewusst haben: Sein vermutlicher Dienstherr Heinrich von Anhalt war 1220 selbst bei der Frankfurter Wahl Heinrichs (VII.) zugegen, im Rahmen derer auch die Confoederatio vollzogen wurde.276 Ganz ähnlich können wir uns wohl auch jene „Spuren“277 vorstellen, die das Statutum, unter dessen Zeugen sich im Übrigen auch Herzog Albrecht von Sachsen wiederfindet, im Sachsenspiegel hinterlassen haben soll:
274 275 276 277
Kallen, Verfassungsreform, S. 574. Mitteis, Königswahl, bes. S. 152–182. Blume, Heinrich I., S. 141. Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 423.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Statutum in favorem principum
Sachsenspiegel Landrecht
19. Item in civitatibus nostris actor forum rei sequatur, nisi reus vel debitor principalis ibidem fuerit inventus; quo casu respondeat ibidem.
Binnen markede noch binnen utwendigen gerichte ne darf neman antwerden, he ne hebbe dar wonunge oder gut binnen, oder he ne verwerke sik mit ungerichte dar inne, oder he ne verborge sik dar binnen. (Ldr. III 25 § 2)
Auch hier ist der wörtliche Abstand so groß, die inhaltliche Berührung aber zugleich so offensichtlich, dass man einerseits Schwierigkeiten hat, sich vorzustellen, Eike habe der Text des Statutum selbst vorgelegen, andererseits sich aber die Vermutung aufdrängt, er habe den Inhalt des Fürstengesetzes gekannt. Festzuhalten bleibt, dass er offenbar Zugang zu oder doch zumindest Kenntnisse von einer Reihe königlicher Gesetzgebungsakte278 hatte. Inwieweit sie ihm bei der Abfassung seines Rechtsbuches unmittelbar vorlagen, kann jedoch im Einzelfall kaum beantwortet werden. Wie ist es dagegen mit dem Recht seiner engeren, ostfälischen Heimat bestellt, das getreulich zu spiegeln sich Eike in der Reimvorrede vorgenommen hat? Diese Frage zielt auf zweierlei: Zum einen meint sie den Rückgriff auf frühere sächsische Rechtsaufzeichungen, namentlich also die Lex Salica, zum anderen die Frage nach der Verarbeitung oraler sächsischer Rechtsgewohnheiten und notwendig auch nach dem rechtshistorischen Zugriff auf dieselben.279 Letztere wollen wir ein wenig hintan stehen lassen. Hinweise gibt es zwar zu genüge: Einige davon hat, wie wir bereits oben sahen, Janz in den Urkunden gefunden, in denen uns Eike selbst als Zeuge entgegen tritt.280 Solche Beispiele ließen sich ohne größere Mühen um wahrscheinlich ein vielfaches mehren, kreisen aber oft um dieselben Sachverhalte, namentlich Grundstücks- und ähnliche Besitzübertragungen – jene Sachverhalte eben, über die die Zeitgenossen schriftliches Zeugnis in Form von Urkunden abzulegen mehr oder minder gewohnt waren. So ist es nicht verwunderlich, eine Reihe von Belegen für die Denkfigur des „Erbenlaub“ zu finden, wird man sich aber umso schwerer tun, einen urkundlichen Beleg für die in Ssp. Ldr. II 51 § 1 ausgedrückte Bestimmung zu finden, „oven unde gang unde swinekoven“ sollten „dre vote van me tune stan“. Das eigentliche Quantum rechtsspiegelender, rechtsschöpfender und vielleicht 278
Auf die Diskussion um den Geltungsgrund der Landfrieden müssen wir uns an dieser Stelle nicht einlassen. Ganz gleich, aus welchem Grund diese akzeptiert wurden und wie sie zustande kamen: Promulgiert wurden sie jedenfalls in der Fassung königlicher Rechtsetzung. Zur Diskussion vgl. Vollrath, Landfrieden. 279 Dobozy, Oral custom. In diesem Sinne auch Spiewok, Volksrecht. 280 Siehe oben, S. 70 ff.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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auch „rechtsretardierender“ bzw. konservativer Qualität in Eikes Werk ist also nur sehr schwer zu bemessen, da nur für eine kleine Zahl immer wiederkehrender Konflikt- und Regelungssituationen überhaupt schriftliche Parallelquellen vorliegen, die mit dem Rechtsbuch auf Übereinstimmung hin kontrastiert werden können.281 Ist die Frage nach der Oralität mittelalterlicher Rechtskulturen eine in den letzten Jahrzehnten ganz besonders virulente, die sich im deutschen Sprachraum vor allem mit der viel rezipierten und zitierten Kölner Antrittsvorlesung von Hanna Vollrath verbindet,282 so ist die Suche nach schriftlichen Rechtsaufzeichnungen, die Eike bei der Abfassung seines Rechtsbuches vorgelegen haben könnten, ein altes Unterfangen: Noch im 18. Jahrhundert wird beispielweise in Meckbachs Kommentar die Ansicht vertreten, der Sachsenspiegel sei in seinen wesentlichen Teilen fränkischen Kapitularien entnommen.283 Im Grunde wurde damit also der von Johann von Buch initiierte Karls-Mythos nur historisierend weitergesponnen. Auch die Lex Salica taucht als möglicher Verwandter des Rechtsbuches wenige Jahrzehnte nach ihrer (Wieder-)Entdeckung auf.284 Als sich jedoch keine direkten, wörtlichen Übereinstimmungen fanden, nahm man zumindest nicht erhaltene Zwischenstufen an.285 Diese Hypothese ist selbstverständlich kaum mehr zu falsifizieren; Hinweise auf solche Vermittlertexte fehlen aber gänzlich. Heute haben wir weniger Probleme, uns vorzustellen, Eike habe die alte Schrifttradition des Sachsenrechts gar nicht gekannt. Gerhard Theuerkauf, der Volksrecht und Rechtsbuch in einigen allgemeinen Zügen miteinander verglichen hat, stellt eine gleichsam „fragmentarische Kontinuität“ fest.286 Unmittelbar auffällig sind die unterschiedlichen Gewichtungen in den Rechtsmaterien: Während der Sachsenspiegel sich quantitativ hauptsächlich, nämlich in beinahe der Hälfte aller Artikel, der Gerichtsverfassung zuwendet, enthalten über zwei Drittel der Lex Saxonum Bestimmungen aus dem strafrechtlichen Bereich. Auch rechtstheoretische Erörterungen sind dem Volksrecht fremd. Es gibt aber durchaus inhaltliche Berührungspunkte.287 281 Den Ansatz, über die Gerichtsverfassung Relikte alten Sachsenrechts in Eikes Rechtsbuch auszumachen hat Philippi, Sachsenrecht, verfolgt. 282 Vollrath, Typik; dies., Rechtstexte. 283 Meckbach, Beweiß. 284 Zu Wiederentdeckung und früher Forschungsgeschichte vgl. Roll, Geschichte, bes. S. 3–13. 285 Gaupp, Recht und Verfassung, S. 70 und S. 72. 286 Theuerkauf, Sachsenrecht, S. 423. 287 Eine gute Zusammenstellung bietet Zoepfl, Rechtsgeschichte, Bd. 1, 1, S. 145. Im Einzelnen: Ldr. I 12 Edictus Rothari, c. 167 Ldr. I 30 MGH, Leges I, S. 84 (Cap. Carol. a. 810, c. 1) Ldr. I 39 MGH, Leges I, S. 155 (Cap. Carol. a. 809, c. 1)
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Die direkte Nutzung der Leges barbarorum ebenso wie der karolingischen Kapitularien ist trotz mancher solcher Ähnlichkeiten in der jüngeren Forschung praktisch ausgeschlossen werden. Auch Eva Schumann, die diese Frage vor kurzem noch einmal sehr gründlich aufgerollt hat, kann letztendlich nicht mehr als solche Ähnlichkeiten feststellen.288 Unmöglich ist eine Rezeption der alten Volksrechte aber durchaus nicht. Auch der handschriftliche Befund spricht nicht dagegen: Vor allem die Lex Baiuvariorum ist zwischem dem 11. und 15. Jahrhundert noch mehrfach abgeschrieben worden,289 so dass Mordek geradehin von einer „Attraktivität des alten Rechts noch im Hochmittelalter“ sprechen konnte.290 Ob aber Eike selbst unmittelbar auf schriftliche Quellen der Volksrechte hat zurückgreifen können, ist bei der momentanen Kenntnislage von deren Überlieferung nicht feststellbar. Vielleicht wird man auch eher vermuten dürfen, dass sich hier in der Tat das Recht der „gute[n] vore varen“ (Praef. rhythm., Z. 153) bahn bricht. Sicherer schien für einige Zeit immerhin die Kenntnis des römischen Rechts. Zwar nur eine einzige Stelle des Sachsenspiegels deutet, dafür aber vermeintlich umso eindeutiger, auf Eikes Kenntnisse des Corpus Iuris Civilis hin. Es handelt sich dabei um die Anekdote über den historischen Verlust der weiblichen Gerichtsfähigkeit durch die unbotmäßige Calefurnia (Ssp. Ldr. II 63 § 1).291 Ihr „Missebaren“ hat in den Darstellungen der BilLdr. I 40 MGH, Leges I, S. 83 f. (Cap. Carol. a. 801 § 3) Ldr. I 50 MGH, Leges I, S. 118 und S. 124 Ldr. II 26 MGH, Leges I, S. 213 (Cap. Lud. a. 817, c. 29) Ldr. II 27 MGH, Leges I, S. 228 (Cap. Lud. a. 820, c. 1) Ldr. II 66 MGH, Leges I, S. 34 f. (Cap. Sax. a. 797, c. 1) Ldr. III 10 Lex. Baiuvar., tit. 14, c. 1 Ldr. III 45 § 3 Legg. Langob. Lothar., c. 14 Ldr. III 47 § 1 und Lex Bajuv., tit. 19; Lex Alam., tit. 82 Ldr. 51 § 1 Ldr. III 61 MGH, Leges I, S. 217 (Cap. Lud. a. 817, c. 14) Ldr. III 90 § MGH, Leges II, 1, S. 67 (Capp. Ben. Lev., c. 361) Die Bestimmung über den Bann (Ssp. Ldr. II 66) ist wohl nicht aus den sächsischen Kapitularien, sondern aus der Treuga Heinrici übernommen; vgl. dazu auch Schumann, Rezeption, S. 354 f. Auf Berühungspunkte mit dem langobardischen Recht (Ssp. Ldr. I 12; Ldr. I 16 § 2; Ldr. II 46 §§ 2, 4 und Ldr. III 72 § ) hat vor kurzem noch Meyer, Langobardisches Recht, S. 406 f. hingewiesen. 288 Schumann, Rezeption, S. 349–357. 289 Vgl. dazu Köbler, Vorstufen. 290 Mordek, Bibliotheca, S. 309. 291 Dig. 3.1.1.5: „[. . .] feminas prohibet pro aliis postulare. Et ratio quidem prohibendi, ne contra pudicitiam sexui congruentem alienis causis se immisceant, ne virilibus officiis fungantur mulieres: origo vero introducta est a carfania improbissima femina, quae inverecunde postulans et magistratum inquietans causam dedit edicto.“ – vgl. dazu Feldner, Ausschluss, bes. S. 390–393; Benke, Women, bes. S. 203–211 und Westphal, Calefurnia’s Rage.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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derhandschriften sehr plastischen Niederschlag.292 Als erster hat das Sachsse anzusprechen gewagt und deutete sichtlich pikiert an, man brauche „blos die Falte, die das Kleid unterhalb der weit niederwärts gestreckten linken Hand nach vornheraus schlägt, zu beobachten, und man [werde] sich bald überzeugen, daß der Maler über die Theorie des Faltenwurfs ganz gelungene Studien gemacht hatte, um das Missebaren hierdurch anzudeuten.“293 Es ist aber schon früh vermutet worden, dass Eike diese Anekdote nicht aus dem römischen Recht selbst, sondern nur mittelbar über andere Quellen kennengelernt hat. So stellte Reincke bei der Suche nach frühen Spuren römischen Rechts in niedersächsischen Rechtsaufzeichnungen fest, die Stelle könne, „wenn man nach dem reinen Textbefund ginge, [. . .] durchaus auch unmittelbar der L. 1 § 5 Dig. De postulando 3,1 entstammen, obwohl das sachlich höchst unwahrscheinlich bleibt“.294 Auch Voltelini bezweifelte die Heranziehung der Digesten und vermutete vielmehr eine kanonistische Prozess-Summa als Quelle des Spieglers.295 Einem Hinweis Rosenstock-Husseys folgend verwies Eckhardt in seiner 1933 erschienenen Sachsenspiegel-Ausgabe auf einen anonymen „Tractaturi de iudiciis“, den Carl Gross entdeckt und ediert hatte.296 Vor kurzem ist es dann auch gelungen, den Verfasser als einen Magister Walter zu identifizieren, der im Umfeld der angelsächsischen Kanonistik anzusiedeln ist.297 Dagegen hat Hermersdorf eingewandt, der Ordo, dessen (ihm noch) „onbekende auteur [. . .] blijkbaar de Digesten voor zich“, aber nicht minder „blijkbaar [. . .] zijn aandacht [. . .] op de glosse, niet op de oorspronkelijke tekst van Ulpianus“ gehabt habe, erkenne den Frauen die Postulationsfähigkeit eben nicht generaliter („sed non ex toto“) ab wie Eike das tut.298 Auch die von Eckhardt angenomme „Zwischenquelle“ hält er mit diesem Argument für unwahrscheinlich, denn „deze laatste moet de uitzondering van de glossator dan ook al hebben verwaarloosd“. Schließlich hat Hermersdorf auch die „Facta et dicta memorabilia“ des Valerius Maximus in die Diskussion eingebracht, 292
Kopp, Bilder und Schriften, fol. 85v, der das „Missebaren“ lediglich in der Erhebung der rechten Hand sehen will. 293 Sachsse, Bemerkungen, S. 44. 294 Reincke, Frühe Spuren, S. 175. 295 Voltelini, Quellenkunde, S. 549. 296 Eckhardt, Sachsenspiegel. Landrecht [Ausg. 1933], S. 83; Gross, Ordo, S. 95: „Item mulieres postulare non debent, cuius edicti occasionem dedit Calphurnia indisciplinatissima, quae cum coram iudice convicia contumeliose iudici fecisset, praeceptum est, ne amplius in causa postularet, sed non ex toto. Post enim quandoque pro se et pro suius postulare.“ (I 4 § 2) – zur Sache vgl. Fowler-Magerl, Ordo, S. 58–65. 297 Gourun, École. 298 Hermesdorf, Calefurnia, bes. S. 311 f. Indifferent dazu Coing, Römisches Recht, S. 109 f., der die Benutzung des Ordo zwar für möglich hält, ansonsten aber auf Hermesdorf verweist.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
die verwunderlicherweise bislang nicht in Betracht gezogen worden waren, obschon das Werk doch zum gängigen Schulstoff des frühen 13. Jahrhunderts gehörte. Eine flüchtige Prüfung lässt aber diesen Weg schnell als Sackgasse erscheinen, denn Valerius erzählt die Geschichte nicht nur dem Wortlaut nach anders, sondern vor allem deutlich ausführlicher als dies die Digesten tun.299 Auch Hermersdorf hält es für „erg onwaarschijnlijk“, dass Eike „de tekst van Valierus Maximus bij de hand“ gehabt haben soll, kann also letztlich keine alternativen Quellen anbieten.300 Jüngst hat dann Landau wieder den Ordo „für Eikes unmittelbar oder zumindest mittelbare Quelle“ gehalten und Hermersdorfs Beitrag mit dem Hinweis, er sei „wohl nicht überzeugend“, allzu leicht abgetan. Eine Begründung bleibt Landau schuldig; freilich geht die neu erschlosse Identität des Verfassers ausgezeichnet in seine dichte Argumentation ein, so dass man der Passgenauigkeit der Einzelteile eine gewisse Suggestivkraft nicht absprechen kann. Schlösse man sich dagegen Hermersdorfs ja durchaus nicht von der Hand zu weisendem Argument an, wäre die Frage nach Eikes Vorlage in diesem Punkt wieder offen. Dass es nicht die Digesten selbst waren, kann aber weiterhin als gesichert gelten. Erst mit der vierten deutschen Fassung (Ordnung IIa) wird eindeutig römisches Recht in den Sachsenspiegel eingearbeitet. Eine in weiten Teil unmittelbar wörtliche Übernahme aus den Digesten (D 43, 12, 1) stellt die Passage Ssp. Ldr. II 56 §§ 2, 3 dar. Zweifelhafter dagegen ist das Verhältnis von Ssp. Ldr. I 12 zu Dig. 17, 2.301 Kann also auch das römische Recht mit einiger Wahrscheinlichkeit aus dem Kreise möglicher Quellen des Ursachsenspiegels ausgeschlossen werden, so gilt dies nicht zugleich auch für das kanonische Recht. Karl Gottfried Hugelmann hat dessen Einfluss auf den Sachsenspiegel in einer Reihe akribischer Studien herausgearbeitet.302 Einig war man sich lange Zeit, dass Eike das Decretum Gratiani und wohl auch die Compilationes Antiquae, zumindest die Compilatio prima und die Compilatio quarta, auf die eine oder 299 Kempf, Valerius Maximus: „Carfania vero Licini Buccionis senatoris uxor prompta ad lites contrahendas pro se semper apud praetorem verba fecit, non quod advocatis deficiebatur, sed quod impudentia abundabat. Itaque inusitatis foro latratibus adsidue tribunalia exercendo muliebris calumniae notissimum exemplum evasit, adeo ut pro crimine improbis feminarum moribus Carfania nomen obiciatur. Prorogavit autem spiritum suum ad C. Caesarem iterum P. Servilium consules: tale enim monstrum magis quo tempore extinctum quam quo sit ortum memoriae tradendum est.“ (VIII 3, 2). 300 Jüngst dazu Landau, Entstehungsort, S. 97. 301 Vgl. dazu auch Reincke, Frühe Spuren, S. 175 f. 302 Hugelmann, Wirkung; ders., ban; ders., Laterankonzil; vgl. ferner Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 119–122, der allerdings – vgl. oben, S. 78 – der These einer Ausbildung Eikes durch Johannes Zemecke anhängt.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
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andere Weise gekannt hat.303 Voltelini vermutete gar, er habe sich dadurch „die Anregung zu einer strafferen Gliederung des Stoffes im Sachsenspiegel empfangen“.304 Ob er das Dekret aber bei der Arbeit an seinem Rechtsbuch selbst vor Augen gehabt und herangezogen hat, will er damit nicht entscheiden. Vielleicht habe Eike die Anregungen „nicht durch eigene Einsicht, sondern durch Mitteilung eines Dritten“ erhalten. Die Frage nach der Benutzung des Decretum Gratiani ist allerdings eng verbunden mit der lange Zeit als unstrittig hingenommenen Annahme einer Autorschaft Eikes an der Sächsischen Weltchronik und vor allem mit Streitigkeiten um mittlerweile als spätere Interpolationen erkannte Novellen, in denen sich das Dekret als Quelle problemloser nachweisen lässt.305 Für den Sachsenspiegel hat man unter diesen Prämisse dann recht zwanglos ebenfalls eine Reihe von Parallelen gefunden:306 Sachsenspiegel
Decretum Gratiani
Ldr. I 3 § 3
C. XXXIV 4
Ldr. I 3 § 3
C. XXXV 5 c. 1307
Ldr. I 25 §§ 2–3
C. XX 1 c. 10
Ldr. I 37
C. XXXI 1 c. 3
Ldr. II 22 § 3
C. XX 3 c. 3
Ldr. II 23
C. XXXI c. 11 §§ 1, 2
Wörtliche Übereinstimmungen lassen sich nicht feststellen; dennoch findet sich eine Benutzung des Dekrets und der älteren Dekretalensammlungen auch in der jüngeren Literatur immer wieder als Tatsache hingestellt.308 303 Vgl. nur Voltelini, Sächsische Weltchronik, S. 58 f.; Frensdorff, Sachsenspiegel-Vorreden, S. 147; Kisch, Sachsenspiegel and its Sources, S. 13; ders., Sachsenspiegel and Bible, S. 19; Schmidt, Studien, S. 6 – die neuere Literatur in der Regel mit Verweis auf einen der Genannten oder die Parallelverweise in den Eckhardtschen Landrechts-Ausgaben. 304 Voltelini, Quellenkunde, S. 549. 305 Voltelini, Sächsische Weltchronik, S. 58. 306 Wegen des großen Umfangs der einzelnen Zitate und mangelnder wörtlicher Entsprechungen gebe ich nur eine Gegenüberstellung der einzelnen Stellen. Ausführlich zum Verhältnis von Sachsenspiegel und Dekret auch Shinn, Text and Illuminations, S. 115–149. 307 Vgl. dazu die früher Eike zugeschriebene Darstellung der Sächsischen Weltchronik bei Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 241: „Bi des keiser Otten tidden hadde de paves Innocencius en grot concilium to Rome [. . .] da worden verleget twi sibbe, dat men in der viften wol bruden mot, alse men er dede in der seveden.“ 308 Beispielsweise bei Schmidt-Wiegand, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 448.
120
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Innovative, aber nicht unstrittige Forschungen auf diesem Gebiet hat vor allem Theuerkauf unternommen, der nach umfänglichen Vergleichen zu der These gelangt ist, Eike habe die Compilationes antiquae nicht nur gekannt, sondern längs ihrer Titelrubriken die Struktur des Landrechts konstruiert.309 Einen anderen Ansatz hat Kroeschell aufgebracht: Zu den wichtigen auctoritates des Decretum Gratiani zählt Isidor von Sevilla, der unmittelbar in den einleitenden Canones mehrfach bemüht wird.310 Hier ergibt sich ein interessaner Ansatzpunkt, denn Isidor war Eike offenbar bekannt, hat aber, wie vor einigen Jahrzehnten Carl Gerold Fürst nachweisen konnte, eine Rechtslehre entwickelt, die sich von der gratianischen in einigen wichtigen Punkten unterscheidet.311 Bei Isidor kann die auf die „mores“ begründete „consuetudo“ an die Stelle einer mangelnden „lex“ treten, wohingegen Gratian ganz im Gegenteil gerade die „mores“ betont und so zu seinem vielzitierten Wort gelangt, das „ius“ sei nichts anderes als „consuetudo in scriptis redacta“. Vor allem aber dürfte eine solche „consuetudo“ nicht gegen „veritas“ und „ratio“ verstossen. Hierin hat man einhellig das Denkmuster erblickt, das auch Eikes Rechtsbegriff zu Grunde liege.312 Ob die Nutzung des Dekrets über diesen Grundgedanken, der ja durchaus auch durch andere Quellen hätte vermittelt werden können, hinausgeht, muss offen bleiben. Als weitere kanonistische Quelle des Rechtsbuches sind verschiedene Dekretalensammlungen diskutiert worden. Sicher hat Eike, wie Hugelmann ausführlich nachgeweisen hat, von den Beschlüsse des Vierten Laterankonzils von 1215 Kenntnis erlangt.313 Ansonsten herrscht Unklarheit. Möglich wäre die Heranziehung der Sammlung „Appendix“.314 Ein Textvergleich zeigt die Parallelen auf: Dekretalensammlung
Sachsenspiegel Landrecht
Treuguas [!] a quarta feria post occasum Solis usque ad secundam feriam in ortum Solis, & ab adventu Domini usque ad octavas Paschae, ab omnibus inviolabiliter observari praecipimus. Si
Hilge dage unde gebundene dage die sin allen lüden to vrede dagen gesat, dar to in iewelker weken vier dage: die dunresdach unde die vridach unde die sunavent unde die sundach. Des donreda-
309 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 117–182 – vgl. dazu unten, S. 188 ff. 310 Arnold, Rechtslehre. 311 Fürst, Rechtslehre. 312 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 437–440; vgl. auch ders., Von der Gewohnheit zum Recht, S. 76 f. 313 Hugelmann, Laterankonzil. 314 Mansi, Collectio, Sp. 248–454 – zur Sache vgl. Friedberg, Canones-Sammlung.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
121
Dekretalensammlung
Sachsenspiegel Landrecht
quis autem treuguam frangere tentaverit: post tertiam commonitionem, si non satisfecerit, episcopus suus sententiam excommunicationis dictet in eum, & scriptam vicinis episcopis annunciet: quorum nullus excommunicatum in communionem suscipiat: immo scriptam susceptam sententiam quisque confirmet. Si quis autem hoc violare praesumpserit, ordinis sui periculo subjaceat. Et quondam funiculus triplex non facile runpitur: precipimus, ut episcopus solum Dei & salutis populi habentes respectum, omni tepiditate sepostia, ad pacem firmiter tenendam mutuum sibi consilium & auxilium praestent: neque hoc alicujus amore vel odio praetermittant. Quod si quis in opere Dei tepidus fuerit inventus, damnum dignitatis suae incurrat. (Conc. Lat. III, c. 21)*
ges wiet man den kresemen, dar man uns allen mede tekenet to der cristenheit in der döpe. Des donredages merede unse herre got mit sinen jüngeren in’me kelke, dar began unse e. Des donredages vorde got unse minscheit to himele, unde opende uns den wech dar hen, de uns er besloten was. – Des vridages makede got den man, unde wart des vridages gemarteret durch den man. – Des sunavendes rowede he, do de himmel unde erde gemaket hadde, unde allet dat dar inne was. He rowede ok des sunavendes in deme grave na siner martere. Des sunavendes wiet man die papen to godes denste, die der cristenheit meistere sin. – Des sundages würde wie besünt mit gode umme adames missedat. Die sundach was die irste dach, die ie gewart, unde wirt die leste, alse wie upirstan solen von deme dode, unde solen varen to ganden mit live unde mit selen, die’t weder got verdient hebben. Dar umme sin disse vier dage gemene vrededage allen lüden, ane den, die in der hanthaften dat gevangen werden, oder in des rikes achte sin, oder vervest in deme gerichte. (Ldr. II 66 § 2)
Verum post consensum illum legitimum de prasenti, licitum est alteri, altero etiam repudiante, monasterium eligere, sicut quidam sancti de nuptiis vocati fuerunt: dummode inter eos carnis commixtio non intervenerit. Et alteri remanenti, si commonitus servare noluerit contientiam, licitum esse videtur, ut ad secunda vota transire possit. Quia cum non fuissent una caro effecti, potest unus ad Dominum transire, & alter in saeculo remanere. (App. 5. 1)
Hevet aver he sik begeven ane sines echten wives willen, unde irvorderet se ine to senet rechte ut deme levende, sin lantrecht hevet he behalden unde nicht sine len, dere he af gestan is; wende en man mut wol sinen herschilt neder legen ane sines wives gelof. (Ldr. I 25 § 4)
Cum inter I. veterem concivem nostrum & T. mulierem, divortii sit sententia canonice prolata: filii eorum, qui ante sententiam nati fuerunt, & ille qui tunc conceptus erat, non debent exinde sustinere jacturam, cum parentes eorum pu-
Sve wif to echte nimt unwetene, der he nicht hebben ne mut, unde kindere bi ere gewint, werdet sie seder gesceiden mit rechte, it ne scadet den kinderen to irme rechte nicht, die er der scedunge geboren sin, noch deme dat die muder
122
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Dekretalensammlung
Sachsenspiegel Landrecht
blice sine contradictione ecclesiae matrimonium inter se contraxerint. Inde est quod auctoritate apostolica statuimus, ut filii eorum, quos ipsi ante divortium habuerunt, & qui conceptus fuerat ante latam sententiam, nihilo minus legitimi habeantur, & quod in bona paterna jura haereditario scucedant, & de bonis parentum suorum natriantur. Quocirca venerabilitati vestrae, &c. quatenus praefatos filios memorati I. & praedictae mulieris, succedere in paterna bona, & exinde nutriri non prohibeatis: nec occasione divertii in parentes eorum celebrati, eis a quoquam mloestiam vel gravamina sustineatis inferii. (App. 33.5)
dreget. (Ldr. III 27)
* Mansi, Collectio, Sp. 229.
Damit sind die bislang als Quellen des Spieglers vorgeschlagenen Werke im Wesentlichen erschöpft. Verwunderlich bleibt, dass sich keinerlei Hinweise auf oder Betrachtungen über die ausgesprochen bewegte Zeit seiner (vermutlichen) Abfassung finden. Voltelini hielt diese vollständige Ausblendung der Zeitgeschichte für einen bewusste Entscheidung Eikes, der lediglich „das vierte Laterankonzil, und das nur in einem Nachtrage“ ausdrücklich erwähne.315 Hans Fehr und mit ihm später auch Trusen wollten in der bewussten Ausblendung der Zerrissenheit, zumal zwischen Kaiser- und Papstum, einen Ausdruck von Eikes Einheitsstreben, das er „durch historische Ereignisse nicht trüben lassen“ wollte,316 seiner Bemühung um „Konkordierung der Diskordanz“317 sehen. Dennoch bleibt es erstaunlich, dass Eike so wenig über seine eigene Zeit, so wenig auch über das Aufblühen der Literatur in seiner eigenen Heimat zu berichten weiß.318 Natürlich ist es nicht unwahrscheinlich, dass Eike den Hoftag Philipps von Schwaben in Magdeburg 1199 selbst miterlebt, und grundsätzlich möglich, dass er dabei auch in Kontakt zur höfischen Literatur beispielsweise eines Walther von der Vogelweide gekommen ist, der diesen Hoftag besun315 Voltelini, Sachsenspiegel und Zeitgeschichte S. 75 – vgl. dazu auch die Besprechung von K. A. Eckhardt in der ZRG GA 51 (1931), S. 565. 316 Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 17. 317 Fehr, Staatsauffassung, S. 243. 318 Vgl. dazu den etwas emphatischen Überblick bei Karg, Erwachen.
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
123
gen hat.319 Von Friedrichs II. Fürstentag zu Goslar im Juli 1219 muss er gewusst haben und es ist nur schwer vorstellbar, dass er nicht auch selbst in jenen Tagen zugegen war, auch wenn jegliche Zeugnisse davon fehlen. Immerhin aber treffen wir Eike wenige Monate zuvor unter den Zeugen einer Urkunde Heinrichs von Anhalt für das Goslarer Stift St. Simonis und Judae.320 All das muss aber Spekulation bleiben. Ähnlich ist es um die Frage nach Eikes Kenntnissen in der schönen Literatur seiner Zeit bestellt. „Ecke von Repkow, der den Sachsen-Spiegel in eine Ordnung gebracht und Glossen darüber geschrieben, ist auch ein MeisterSinger gewesen“, meinte noch 1658 Enoch Hanmann.321 Offenbar trug die gegen Ende des 16. Jahrhunderts als ein vorgebliches Werk des Sachsenspieglers wieder entdeckte Sächsische Weltchronik dazu bei, in Eike auch einen Literaten sehen zu wollen. Das hat sich in gewisser Weise lange gehalten. Auf die Ähnlichkeit mancher Wendungen in Eikes Vorrede mit Versen der zeitgenössischen höfischen Dichtung, mit dem „Iwein“ Hartmanns von Aue,322 Gottfrieds „Tristan“,323 der biographischen Versdichtung des Mauritius (Moritz) von Craûn324 und vor allem Hartmanns „Eric“,325 hat Richard Schröder hingewiesen:326 Manich schinet gerne gut, sve wandelbare daz er si; Nu nekan man leider valschen mut (Ssp., Praef. rhythm., 25–27)
In der werlde ist manec man valsch und wandelbaere, der gerne biderbe waere, wan daz in sîn herze enlât (Iwein, 198–200)
daz den lüten allen künne wol gevallen (Ssp., Praef. rhythm., 123 f.)
daz er den liuten alle muoste missevallen (Erec, 4660 f.); umbe daz stuont er ze prîse und muose wol gevallen durch reht den liuten allen (Mauritius von Craûn, 286–288)
des ime was vil ungedacht, do her’z an latin hatte gebracht (Ssp., Praef. rhythm., 273 f.)
daz es im gâr was ungedâht, daz es immer wurde z’ende brâht (Tristan, 8525 f.); des was mir vil ungedâht (Erec, 5050)
319 Cormeau, Walther von der Vogelweide, S. 36–38 (Nr. 9) – vgl. dazu auch Konietzko, Darstellung, mit weiterer Literatur. Keinen materiellen Beitrag zur Frage, ob Eike den Magdeburger Hoftaf miterlebt hat oder welche Bedeutung dieser für das sächsische Recht der Zeit gehabt haben mag, leistet trotz des in dieser Hinsicht suggestiven Titels, unter dem der Sammelband erschien, der Beitrag von Springer, Dienstleute. 320 Siehe oben, S. 72. 321 Hanmann, Anmerckungen, S. 164. 322 Zitiert nach der Edition von Cramer, Iwein. 323 Ranke, Gottfried von Straßburg. 324 Reinitzer, Mauritius. 325 Scholz, Erec. 326 Schröder, Bemerkungen, S. 247.
124
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
des arbeites, unde tete greven Hoyeres bete (Ssp., Praef. rhythm., 279 f.)
zehant reit er unde tete allez nâch sîner bete (Erec, 5016 f.); Cadoc fuor hin unde tete allez nâch Êreckes bete (Erec, 5700 f.)
Des heiligen geistes minne di sterke mîne sinne (Ssp., Textus prolog., 1)
wan iuwer guot minne die sterkent mine sinne (Erec, 8870 f.); so starken im ir minne sîn herze und ouch die sinne (Erec, 9184 f.)
Ob diese teils doch sehr vagen Ähnlichkeiten freilich für die Behauptung ausreichen, dass Eike „in der schönen Literatur seiner Zeit wohlbewandert war“,327 bliebe einer umgreifenderen, phraseologischen Untersuchung der fraglichen Literatur vorbehalten. Bislang scheinen mir solche Referenzen sehr wenig überzeugend. Einen interessanten Hinweis, der aber auch noch näherer Prüfung bedarf, hat Landau gegeben, der aufgrund der bemerkenswert passgenauen Inzidenz, dass ausgerechnet in Altzelle 1220 die einzige ursprüngliche Fassung der Widukindschen Sachsenchronik geschrieben wurde, noch einmal eine mögliche Verarbeitung dieser wichtigen Geschichtsquelle in Eikes Rechtsbuch (Ssp. Ldr. III 44 § 2)328 in die Diskussion eingebracht hat.329 Vor al327 328
Schröder, Bemerkungen, S. 247. Vgl. mit Lohmann/Hirsch, Widukund, S. 4 f. (lib. 1, cap. 2):
Widukind: Res gestae Saxonicae I 2
Sachsenspiegel Ldr. III 44 § 2
Et primum quidem de origine statuque gentis pauca expediam, solam pene famam sequens in hac parte, nimia vetustate omnem fere certidudinem obscurante. Nam super hac re varia opinio est, aliis arbitrantibus de Danis Northmannisque originem duxisse Saxones, aliis autem aestimantibus, ut ipse adolescentulus audivi quendam predicantem, de Graecis, quia ipsis dicerent Saxones reliquias fuisse Macedonici exercitus, qui secutus Magnum Alexandrum immatura morte ipsius per totum orbem sit dispersus. Caeterum gentem antiquam et nobilem fuisse non ambigitur; de quibus et in contione Agrippae ad Iudaeos in Iosepho ortatio contexitur, et Lucani poetae sententia probatur.
Unse vorderen die her to lande quamen unde die doringe verdreven, die hadden in allexandres here gewesen, mit erer helpe hadde he bedvungen al asiam. Do alexander starf, do ne dorsten sie sik nicht to dun in’me lande durch des landes hat, unde scepeden mit dren hundert kelen; die verdorven alle up vier unde veftich. Der selven quamen achteine to prutzen unde besaten dat; tvelve besaten rujan; vier unde tvintich quamen her to lande.
Eine deutsche Übersetzung der Stelle bei Bauer/Rau, Fontes, S. 20–23 (lib. 1, cap. 2). Zur Darstellung der Quedlinburger Annalen vgl. Haubrichs, Heldensage, bes. S. 187 f. Schließlich findet sich die Passage auch im Annolied; vgl. Bulst, Anno-Lied, S. 25 (Str. 21, Z. 5–24).
IV. Die Quellen des Sachsenspiegels
125
lem Landaus Hilfsargument scheint mir sehr einleuchtend, nach dem Eike die bei Widukind (II 10) erzählte Anekdote über den Gerichtstag Ottos des Großen zu Steele im Jahre 938 gekannt haben und mit dieser Erzählung im Hintergrund unmittelbar an den Abschnitt über die Erbunfähigkeit das Eintrittsrecht der Enkel in den Erbteils eines verstorbenen Sohnes beim Tod des Großvaters (Ssp. Ldr. I 5 § 1) angeschlossen hat. Genau das passiert auch in der Schilderung bei Widukund.330 Ob nun Widukind oder aber eine der viel strapazierten, verlorenen Zwischenquellen, vielleicht sogar eher noch eine mündliche Überlieferung, Vermittler gewesen sein mögen, muss dahingestellt bleiben. Wenn über den Einfluss und mögliche Verbindungen der Literatur auf Eikes Werk gesprochen wird, bleibt schließlich noch zu erwähnen, dass Ignor sich in seiner Studie über dessen Rechtsdenken vielfach der alten, aber ausgesprochen materialreichen und feinfühligen Studie Anton E. Schönbachs über die Bildung Hartmanns von Aue bedient.331 Dieser Umstand liegt zunächst nicht sonderlich nahe und ist daher der Bemerkung wert. Unmittelbar wendet Ignor beispielsweise Schönbachs Ergebnisse an, wenn er die Rekonstruktion des möglichen Bildungsganges unseres Spieglers unternimmt.332 Für die Vorstellung einer solchen denkbaren, aber natürlich keineswegs notwendig so verlaufenen Schulbildung ist die Herannahme des bekannten literarischen Vorbilds aus dem „Gregorius“ nicht unstrittig, wohl aber eine rhetorisch geschickte Darstellungsform. Wir enden also, wie wir begonnen haben, mit kaum mehr Euphorie, was die bisherige Erforschung der Quellen des Sachsenspiegels angeht, und wieder dem Zitat eines großen Kenners: „Überall finden wir Ankläge, kaum irgendwo eine wissenschaftlich exakt nachweisbare größere Übernahme.“333 Einigergemaßen gesichert lässt sich nur die (vielleicht auch nur mittelbare) 329
Landau, Entstehungsort, S. 85 f. Lohmann/Hirsch, Widukund, S. 73 f.: „De legum quoque varietate facta est et contentio, fueruntque qui dicerent, quia filii filiorum non deberent computari inter filios hereditatemque legitime cum filiis sortiri, si forte patres eorum obissent avis superstitibus. Unde exiit edictum a rege, ut universalis populi conventio fieret apud villam quae dicitur Stela; factumque es tut causa inter arbitros iudicaretur debere examinari. Rex autem meliori consilio usus noluit viros nobiles ac senes populi inhonesste tractari, sed magis rem inter gladiatores discerni iussit. Vicit igitur pars, qui filios filiorum computabant inter filios, et firmatum es tut aequaliter cum patruis hereditatem dividerent pacto sempiterno.“ (lib. 2, cap. 10). Deutsche Übersetzung und kurzer Kommentar auch bei Kroeschell, Rechtsgeschichte, S. 143 f. (Nr. 35). Der Fall wird auch besprochen bei Hübner, Grundzüge, S. 766–768. 331 Schönbach, Hartmann. 332 Ignor, Rechtsdenken, S. 202–210. 333 Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 16. 330
126
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Kenntnis der Bibel, einiger Sätzen des kanonischen Rechts sowie einer Reihe von Königsgesetzen, hauptsächlich Landfrieden, aufzeigen. Darüber hinaus sind lediglich Vermutungen möglich, obschon deutlich wird, dass dies nicht die einzigen Quellen des Spieglers gewesen sind. Landau hat aber gezeigt, dass allzu großer Pessimismus nur hinderlich sein kann.334 Hier wäre sicher noch einiges zu tun.
V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel Eine besondere Form der Verdeutlichung rechtlicher Inhalte stellen die vor allem im Landrecht des Sachsenspiegels häufigen Rechtssprichwörter dar.335 Dabei ist es in den allermeisten Fällen kaum zu entscheiden, ob man diese als Quellen des Spieglers wird auffassen können, oder ob nicht vielmehr Eike als Schöpfer einzelner später dann gegebenenfalls auch in anderen Kontexten auftauchender Sprichworte gelten darf. Das begründet sich vor allem in dem Umstand, dass der Sachsenspiegel überhaupt zu den frühesten umfänglichen Werken deutscher Sprache zählt, mithin es also kaum verwunderlich sein wird, wenn keine früheren, wohl aber spätere Quellenbelege für ein Sprichwort nachzuweisen sind. Allerdings ist verschiedentlich auf lateinische Quellen einzelner Rechtssprichworte des Sachsenspiegels hingewiesen worden. Tatsächlich ist das Rechtssprichwort der lateinischen Rechtskultur als Stilmittel durchaus bekannt,336 wohingehend die deutsche Entsprechung in der Regel von Seiten der Rechtsgeschichte als reine Memorialverse aufgefasst wurden.337 Der Frage nach der Parallelität zwischen beiden Erscheinungsformen ist, ausgehend von der lateinischen Regel „Qui prior est tempore potior est iure“338 vor einigen Jahren noch Schmidt-Wiegand nachgegangen.339 Im Zuge dessen hat sie in der Tat auch konkrete Hinweise auf die explizite Empfehlung des Rechtssprichwortes als Memorierhilfe in deutschsprachigen Rechtshandschriften aufgezeigt.340 Ei334 Die bei Landau, Entstehungsort, S. 73 gegen den Pessimismus von Kümper, Bibliographie, S. 28, Kroeschell, Sachsenspiegel in neuem Licht, S. 237 und anderen gerichtete Spitze ist – das hat Landau elegant bewiesen, selbst wenn man seinen Ergebnissen nicht in vollem Maße beitreten mag – vollkommen berechtigt. 335 Grundlegend dazu der Überblick bei Schmidt-Wiegand, Wissensvermittlung. 336 Elsener, Regula iuris; vgl. im Übrigen auch ders., Ausnahme, und Carlen, Humor, S. 13–15. 337 Dieser Auffasung ist auch die Literaturwissenschaft gefolgt; vgl. Bausinger, Volkspoesie, S. 151–156. 338 Vgl. dazu Liebs, Rechtsregeln, S. 192 (Nr. 72) und S. 178 (Nr. 98, „Prior tempore potior iure“). 339 Schmidt-Wiegand, Qui prior est. Zu einzelnen Rechtssprichworten vgl. ferner Weizsäcker, Rechtssprichwort.
V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel
127
nen wichtigen Hinweis auf diese praktische Bedeutung der Rechtssprichwörter hat auch Brigitte Janz in einem Mühlhäuser Prozesshandbuch des 14. Jahrhundert aufgetan: „Wan dieselben mennen [scil. die Schöffen] auffgestanden, so sage ihnen, worauf deyne sache stehet. Und wan du kanst ein sprichwort anhengen, so thue eß, dan nach sprichwortten pflegen die bauren gerne zu sprechen.“341 Der Schatz wahrscheinlich alter, aber wohl zu einem gewissen Teil auch neuer Rechtssprichworte im Sachsenspiegel hat bereits früh, beispielsweise durch den Pionier der rechtlichen Volkskunde, Eberhard von Künßberg, Beachtung gefunden.342 Eine umfassende und tiefgreifende Untersuchung des Sprichwortmaterials hat dann aber erst Janz vorgelegt.343 Die folgende Tabelle umfasst die von ihr identifizierten Sprichwörter. Die Querverweise auf deren Rezeption in späteren Rechtsbüchern werden ebenfalls übernommen und bereits an dieser Stelle gegebenenfalls und ohne systematischen Anspruch durch einige Ergebnisse der rezeptionsgeschichtlichen Studien aus dem dritten Teil der vorliegenden Untersuchung ergänzt. Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Mit welchem Gut der Mann erstirbt, das heißt man alles Erbe
Ldr. I 6 § 1
Dsp. 9 § 1; Swsp. 5b; FrRb. 156; LivlSp. I 3 § 4; SilRb. 106; TroppRb. III 13; HerfRb. 13; OfnRb. 162
Morgengabe mag eine Frau wohl behalten auf den Heiligen ohne Zeugen
Ldr. I 20 § 9
LivlSp. I 11; ZwRb. II 21; SilRb. 111
Man soll den Erben gelten, was man dem Toten schuldig war.
Ldr. I 6 § 4
LivlSp. I 4 § 3; ZwRb. II 13 § 2; SilRb. 194; TroppRb. III 13
Wer auf Gnade dient, dem lohnt man mit Barmherzigkeit
Ldr. I 22 § 2
Swsp. 25a; LivlSp. I 15; ZwRb. II 23; SilRb. 115; TroppRb. III 27; Purgold
Auf Altvile und Zwerge erstirbt weder Lehen noch Erbe.
Ldr. I 4
LöwRb. 12; LivlSp. I 1; ZwRb. II 3; TroppRb. II 32
340 So beispielsweise durch Marginalverweise („merk dat“) in der Handschrift Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 10 (Oppitz Nr. 110), fol. 110v (Ssp. Lnr. 76 § 6); vgl. Schmidt-Wiegand, Rechtsregeln, S. 574 und dies., Wissensvermittlung, S. 262. 341 Leipzig, UB, Rep. V 25, fol. 176r–184r, hier fol. 183r – vgl. dazu Janz, Sprichwortten. 342 Künßberg, Rechtsverse. 343 Janz, Rechtssprichwörter; zur Verarbeitung in den Bilderhandschriften vgl. auch Schmidt-Wiegand, Rechtssprichtwörter in den Bilderhandschriften.
128
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Der Mann ist des Weibes Vormund zu Hand, da sie im angetrauet wird.
Ldr. III 45 § 3
Dsp. 238 § 3; MansfBergR 19; Swsp. 67b
Was der Hirt in seiner Hut verliert, das soll er gelten.
Ldr. II 58 § 1
Dsp. 161 § 1; Swsp. 213
Wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Ldr. II 59 § 4
Swsp. 221; ZwRb. I 5 § 2; AltprStR 170; MeißRb V 32; SilRb. 198
Wer zäunet, kehret die Äste in seinen Hof.
Ldr. II 50
Dsp. 160 § 3; AltprStR 167; LöwRb 34 § 3; OfnRb. 164
Is enmus nimant sine obese hengen in eins andern mannes hof . . .
Ldr. II 49 § 1
Dsp. 162 § 1; SilRb. 222
Aller Schatz unter der Erde begraben, tiefer denn ein Pflug gehet, gehöret zur königlichen Gewalt.
Ldr. I 35 § 1
LöwRb. 15 § 1; SilRb. 408; TroppRb. III 33
Wer den Zehnt nach rechter Gewohnheit gibt, der hat in recht gegeben.
Ldr. II 48 § 10
LöwRb. 94 § 1; SilRb. 143
Der König ist gemeiner Richter überall.
Ldr. III 26 § 1
Dsp. 238; Swsp. 286a; SilRb. 294; WimpfRb.
Königsbann kann niemand leihen, als der König selber.
Ldr. III 64 § 5
Dsp. 319 § 3
Bann leiht man ohne Mannschaft.
Ldr. III 64 § 5
Dsp. 319 § 4
Binnen gebundenen Tagen soll man nicht richten.
Ldr. II 11 § 4
MeißRb. IV 25 § 5; LöwRb. 28 § 4
Welches urteils man von erst vraget, das sal man von erst vinden.
Ldr. I 62 § 8
Dsp. 86 § 4; Swsp. 97b; TroppRb. III 51; SalzwRb. 59
Wo einer Recht fordert, da soll er Recht pflegen.
Ldr. I 60 § 3
Dsp. 84; Swsp. 95; SalzwRb. 52
Pfennige erneuert man, wenn neue Herren kommen.
Ldr. III 26 § 1
Dsp. 131 § 1; Swsp. 192a; SilRb. 294
Wer Leib und Leben wagen will, ist zollfrei.
Ldr. II 27 § 2
Dsp. 134 § 1; Swsp. 194; LöwRb. 30; SilRb. 275; BerlSchR. II 13 § 2
V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel
129
Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Is enerbit nimant kein len wen der vater uf den son.
Lnr. 21 § 3
Dsp. Lnr. 58 § 1; Swsp. Lnr. 42a
Bischofgut und Fahnlehn muß der König ganz leihen und nicht zweien.
Lnr. 20 § 5
Dsp. Lnr. 56; Swsp. Lnr. 41a
Am Gedinge ist keine Folge.
Lnr. 5 § 1
Dsp. Lnr. 14
Musteil und Morgengabe nimmt kein Weib bei ihres Mannes Leib.
Ldr. III 38 § 3
SilRb. 118
Halbgeburt tritt ein Glied weiter.
Ldr. I 3 § 3
Dsp. 6 § 1; Swsp. 3a; SilRb. 25; TroppRb. III 8
Am siebenten Grad endet die Sippe.
Ldr. I 3 § 3
SilRb. 25
Der Pfaff teilt mit dem Bruder, aber nicht der Mönch.
Ldr. I 25 § 1
ZwRb. II 25 § 1
Der Sohn antwortet dem Vater nicht.
Ldr. II 17 § 1
Dsp. 118 § 1; Swsp. 178a; SilRb. 265; LöwRb. 83 § 1; LivlSp. II 13
Ist das Bett beschritten, so ist das Recht erstritten.
Ldr. I 45 § 1; Ldr. III 45 § 3
Dsp. 59 § 8, 283 § 3; Swsp. 67b
Eine Frau mag ihr Gut nicht hingeben ohne ihres Mannes Willen.
Ldr. I 31 § 1; Ldr. I 45 § 2
Dsp. 34, 66 § 1; Swsp. 34, 74
Eine Frau mag ihre Ehre wohl kränken.
Ldr. I 5 § 2
Swsp. 15; LöwRb. 6 § 4; MeißRb. I 18 § 3; TroppRb. III 11; HerfRb. 47
Die Saat verzehntet man auf dem Felde, das Vieh im Dorfe.
Ldr. II 48 § 4
Des Mannes Saat ist verdient, sobald die Egge darüberfährt.
Ldr. II 58 § 2
Dsp. 171; Swsp. 218b; LivlSp. II 45
Stehend soll man Urteil schelten. Sitzend muss man Urteil finden.
Ldr. II 12 § 13
Dsp. 109 § 2; Swsp. 117b, 286b
Man kann niemand mit Verfestung in einem andern Gericht gewinnen.
Ldr. III 24 § 1
Dsp. 235 § 1; LivlSp. III 22 § 2; WimpfRb.
130
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Wer mehr Zeugen hat, behält.
Lnr. 70; Ldr. III 21 § 1; Lnr. 40 §1
Dsp. 232 § 1; Swsp. 282
Bann schadet der Seele und nimmt doch niemand den Leib.
Ldr. III 63 § 2
Dsp. 317 § 1
Buße und Wette gibt man nicht, da man Leib und Leben verwirkt.
Ldr. III 50
LöwRb. 69 § 1
Kein Vieh verbüßt Gewette.
Ldr. II 40 § 3
Dsp. 151 § 3; SilRb. 161
Unrechter Leute Buße gibt immer wenig Frommen.
Ldr. III 45 § 10
SilRb. 63
Der Sohn behält des Vaters Recht, die Tochter das der Mutter.
Ldr. III 73 § 2
Freie Geburt gewinnt nimmer eigen Kind.
Ldr. III 73 § 2
Wb. III 4
Leerer Wagen gibt halben Zoll. Halber Wagen gibt halben Zoll.
Ldr. II 27 § 3
Dsp. 134 § 2
Es erhöhet nichts des Mannes Schild, denn Fahnlehn.
Lnr. 21 § 2
Dsp. Lnr. 58 § 1; Swsp. Lnr. 42a
Das Kind kann dem Kinde Gut leihen.
Lnr. 58 § 1
Dsp. Lnr. 162
Angefälle ist kein Lehen.
Lnr. 26 § 7
Dsp. Lnr. 81 § 1; Swsp. Lnr. 51a
Von des Pfaffen Gut nimmt man keine Gerade.
Lnr. I 5 § 3
An Eigen ist die rechte Leibzucht der Frauen.
Ldr. III 75 § 1
BerlSchR. V 11 § 2; SilRb. 465
Is ist manch man rechtelos, der nicht enis echtelos . . .
Ldr. I 51 § 1
ZwRb. II 45; SilRb. 203; LöwRb. 5 § 1
menlich sal ouch bewaren sinen oven unde sine muren . . .
Ldr. II 51 § 2
Dsp. 162 § 5; BerlSchR. II 24 § 2; LöwRb. 34 § 4
Von jedem Vieh gibt man Zehnt außer von Hühnern.
Ldr. II 48 § 5
V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Kampf verlegt alles Zeugnis.
Ldr. I 64
Wb. 85; BerlinSchR. IV 8 § 1;TroppRb. III 52
Das Kind bricht alle Gedinge.
Ldr. I 33
Dsp. 38
Das Erbe geht nicht aus dem Busen.
Ldr. I 17 § 1
Wer nicht ebenbürtig ist, der mag kein Erbe nehmen.
Ldr. I 17 § 1
Die Mutter ist Gast in des Ldr. I 20 § 7 Sohnes Geweren und der Sohn in der Mutter.
Meißner Rb. I 13 § 2
Es ist oft einer der Kinder Vor- Ldr. I 23 § 2 mund, ein anderer ihr Erbe.
SilRb. 472; TroppRb. II 32
Wenn das Kind sich selber kann verstehen, so kann es auch seine Mündel wohl verstehen.
Ldr. I 42 § 2
LöwRb. 4 § 11; SilRb. 411; TroppRb. III 39
Jedes weltliche Gericht beginnt von Wahl.
Ldr. I 55 § 1
Dsp. 77 § 1; Swsp. 86a
Gaugerichtsbarkeit ist der Landleute freie Wahl.
Ldr. I 56
Der Richter muss allen Leuten ein gleicher Richter sein.
Ldr. III 30 § 2
MeißRb. IV 45 § 1
Wo der König hinkommt, ist das Gericht ledig.
Ldr. III 60 § 2
Dsp. 310; Swsp. 133
Das Gerüfte ist der Klage Anfang.
Ldr. I 62 § 1
Meißner Rb. IV 31 § 1; Richtsteig Ldr. 33; Wb. Glosse 38
Kein Richter kann Richter und Kläger zugleich sein.
Ldr. III 53 § 2
Dsp. 289; Swsp. 121a
Der Tote erbt den Lebendigen. Lnr. 6 § 1 Es ist nicht recht, dass man jemand niedere mit seinem Gute.
Lnr. 25 § 1
Lehn ohne Gewere entbehrt der Folge. Gewere ohne Lehen ist unrecht.
Lnr. 59 § 3
Dsp. Lnr. 16 § 1
Dsp. Lnr. 167
131
132
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Herren und Mannes falscher Rat, gleicht wohl ungetreuer Tat.
Lnr. 76 § 6
Gott ist selber Recht/gerecht, drum ist ihm lieb das Recht.
Textus prol.
Leibzucht kann den Frauen niemand brechen
Ldr. I 21 § 2
Der miselsüchtige Mann empfängt weder Lehen noch Erbe.
Ldr. I 4
Niemand kann sich anderes Recht erwerben, als ihm angeboren ist.
Ldr. I 16 § 1
Dsp. 16 § 1; Swsp. 12
Welches Kind ist frei und echt, das behält des Vaters Recht.
Ldr. I 16 § 2
Dsp. 16 § 2; Swsp. 12
Mann und Weib haben kein verschieden Gut.
Ldr. I 31 § 1
Dsp. 34; Swsp. 34
Den Stuhl vererbt der Vater auf den Sohn.
Ldr. III 26 § 3
Dsp. 240; Swsp. 286b
Es mag einer seine Sache verschweigen, wenn er will.
Ldr. I 62 § 1
Dsp. 86 § 1; Swsp. 97a; MeißRb. IV 31 § 1
Um eine Wunde mag man nicht mehr denn einen Mann beklagen.
Ldr. III 46 § 2
Dsp. 284 § 2; MeißRb. IV 5 § 9; ZwRb. III 2.7 § 1
Wer nachts Korn stiehlt, verschuldet den Galgen.
Ldr. II 39 § 1
Dsp. 149 § 1; Swsp. 202
Ein jedes Weib hat ihres Mannes halbe Buß- und Wergeld.
Ldr. III 45 § 2
Dsp. 283 § 2; Swsp. 310
Der nächste zur Sippe, der nächste zur Erbschaft.
Ldr. I 3 § 3
Dsp. 6 § 1; Swsp. 3a; Freis. Rb. 154
Die Gerade an die nächste Niftel, das Heergewäte an den nächsten Schwertmag.
Ldr. I 27 §§ 1, 2
Stirbt der Mann ohne Kind, sein Vater sein Erbe nimmt.
Ldr. I 17 § 1
Dsp. 18 § 1; Swsp. 14
Wer das Erbe nimmt, soll die Schulden entgelten.
Ldr. I 6 § 2
Dsp. 9 § 2; Swsp. 5b; FreisRb. 156
Dsp. 24 § 1; Swsp. 21
V. Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Der Ältere teilt, der Jüngere kieset (wählt).
Ldr. III 29 § 2
Dsp. 28 § 2; Swsp. 26; FreisRb. 171, 189
Niemand darf seinen eigenen Hirten haben.
Ldr. II 54 § 2
Dsp. 164 § 2; Swsp. 213; EisRb. III 54
Wer die Wurzeln im Hofe hat, greift zum Zaun.
Ldr. II 52 § 1
Dsp. 162 § 7; AltpragStR 169; EisRb. III 23
Festung nimmt dem Manne den Leib und nicht sein Recht.
Ldr. III 63 § 3
Wb. V § 3; MeißRb. IV 17 §2
Der Stammler darf sich wohl erholen.
Ldr. I 61 § 3
Der Richter kann niemand zur Klage zwingen.
Ldr. I 62 § 1
Meißner Rb. IV 31 § 1
Wer dingflüchtig wird, ist der Klage gewonnen.
Ldr. II 45
Dsp. 157; Swsp. 210
Binnen gebundenen Tagen darf man nicht schwören.
Ldr. II 10 § 3
Dsp. 105 § 1; Swsp. 113a; LivlSp. I 76 § 1
Den Dieb soll man hengen.
Ldr. II 13 § 1
Dsp. 110 § 1; Swsp. 174a; LöwRb. 95 § 4; SilRb. 237; MansfBergR 10
Niemand wettet um eine Sache zweimal.
Ldr. I 53 § 4
In die vierte Hand kann kein Lehen kommen.
Ldr. III 52 § 3
Ehelich Mann und ehelich Weib nehmen unehelichen Mannes Erbe nicht.
Ldr. I 51 § 1
Dsp. 287; Swsp. Lnr. 132b
Welche Wagen zuerst zur Brü- Ldr. II 59 § 3 cke kommt, der fährt zuerst hinüber.
Dsp. 175 § 1; Swsp. 221; FreisRb. 148; LöwRb. 39 §§ 1,2
Was geschocket ist, daran ist der Zehnt verdient.
Ldr. II 58 § 2
LivlSp. II 45
Allen Tieren ist Frieden gesetzt, außer Bären und Wölfen.
Ldr. II 61 § 2
Dsp. 177 § 2; Swsp. 236
133
134
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Sprichwort
Sachsenspiegel
andere Rechtsbücher
Wapen mus man ouch wol vuren, wen man deme gerufte volget . . .
Ldr. II 71 § 3
Dsp. 193 § 1; Swsp. 253a
Dienstmannes Eigen kann in die köngliche Gewalt nicht kommen.
Ldr. I 38 § 2
Dsp. 44; Swsp. 46; MeißRb. IV 21 § 39
Kein Kind ist seiner Mutter Kebskind.
Ldr. I 51 § 2
MeißRb. I 21 § 6; Wb. IV § 7
Fürsten sind ohne Buße.
Ldr. III 53 § 2
Burgen und Fürsten haben keinen Frieden.
Ldr. III 8
Dsp. 210; Swsp. 264
alle Wendinnen [sint] vri . . .
Ldr. III 73 § 3
MeißRb. I 6 § 3
kein gedinge [mus man lien] ane iens bete, der das gut in geweren hat . . .
Lnr. 10 § 1
Dsp. Lnr. 28 § 1; Swsp. Lnr. 19
VI. Die handschriftliche Überlieferung Unerlässliches Hilfsmittel für die Arbeit mit den deutschen Rechtsbüchern ist eine Verzeichnung ihrer handschriftlichen Überlieferung. Eine solche hatte zuerst 1836 Homeyer vorgelegt und dann während der Arbeit an seinen großen Ausgaben noch einmal um ein Vielfaches erweitert. Die vielen Fehler, Ungenauigkeiten und vor allem die Veränderungen durch den zu dieser Zeit noch regen Verkauf von Handschrift sowie durch den ersten Weltkrieg machten eine Neubearbeitung zu Beginn des 20. Jahrhundert immer dringlicher; sie ist auf Anregung von Heinrich Brunner mit einiger Verzögerung in zwei Abteilungen 1931 und 1934 von Eckhardt, Borchling und Gierke besorgt worden. Schon damals schrieb Eckhardt an den Herausgeber der Germanistischen Abteilung der Zeitschrift für Rechtsgeschichte Ulrich Stutz: „Ueberhaupt Fehler sind in dem Verzeichnis! Zum Totlachen. Meist keine neuen Fehler von Borchling/Gierke, sondern weitergeschleppte aus früheren Auflagen und sonstigen literarischen Notizen. Wenn ich die alle berichtigen will, können Sie das Verzeichnis gleich neu drucken lassen (natürlich scherzhaft gemeint).“344 In der Tat kann keine der neuen Auflagen 344
Zit. nach Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. IX.
VI. Die handschriftliche Überlieferung
135
behaupten, einen gültigen Stand der Dinge zu geben; bei jeder ist die Zahl der Korrekturen und Nachträge, die in verschiedensten Fachorganen, vor allem in besagter Germanistischer Abteilung der Zeitschrift für Rechtsgeschichte, veröffentlich worden ist, immens. Das gilt in gleichem Maße auch für die Neubearbeitung des Verzeichnisses durch Ulrich-Dieter Oppitz, die seit 1990 vorliegt und vor allem mit dem unglücklichen Umstand zu kämpfen hat, in einer Zeit der politischen Umbrüche erschienen zu sein, die für viele Handschriften auch eine Veränderung ihres Aufbewahrungsortes, beispielsweise im Zuge von Rückgabeverhandlungen zwischen den ehemaligen Gegnerstaaten des zweiten Weltkrieges, mit sich gebracht hat.345 Zudem wird man berechtigt Kritik an den Verzeichnungskriterien üben können, vor allem, was die Beigabe von Literaturverweisen angeht, die oft genug nicht auf die Handschrift selbst, sondern nur auf einen oder mehrere der enthaltenen Texte abzielen und so viel Frust bei der Arbeit mit einzelnen Textzeugen bescheren können. Dieser Befund kann aber seinen ebenso wie das Verdienst der anderen Bearbeiter nur bedingt schmälern, denn die unglaubliche Breite und Vielschichtigkeit der Überlieferung – Oppitz verzeichnet immerhin beinahe 1.700 Handschriften aus aller Welt – macht die persönliche Autopsie sämtlicher verzeichneter Textzeugen natürlich unmöglich. Die Veränderungen vor allem der letzten zehn Jahre auf dem Gebiet der Technik und in der wissenschaftlichen Vernetzung können aber immerhin optimistisch stimmen, dass eine (vielleicht datenbankgestützte) Überarbeitung, die dem Ziel einer möglichst umfassenden und korrekten Beschreibung sowie den Anforderungen laufender Ergänzung und Korrektur immer näher kommt, in Zukunft möglich sein wird. Wenn wir uns nun zunächst den Handschriften des Sachsenspiegel-Landrechts zuwenden, so ist es unumgänglich, sich die Klassifizierung der Handschriften in einzelnen Entwicklungstufen zu vergegenwärtigen. Eine solche 345 Oppitz, Rechtsbücher – vgl. dazu die Ergänzungen von dems. in der ZRG GA 113 (1996), S. 345–361; 114 (1997), S. 444–454; 117 (2000), S. 640–651 und 120 (2003), S. 371–375 und der TjvR 64 (1996), S. 191–199 sowie von Ralf G. Päsler in der ZRG GA 117 (2000), S. 652–653, außerdem die Ergänzungen und Besprechungen einzelner Handschriftenfunde von Oppitz, Fragmente im StA Wolfenbüttel; ders., Fragmente in Goslar; ders., Fragmente in Utrecht; ders., Fragmente im Harzgebiet; ders., Fragmente in Schwäbisch Hall; ders., Johann Susenbrot; ders., Zwei neue Fragmente aus Goslar; ders., Stolberg-Wernigerodischen Handschriftensammlung [die Rechtsbücherhandschriften liegen heute alle in Hamburg, SUB, und Karlsruhe, BLB]; ders., Fürsten Dietrichstein; ders., Fragmente deutscher Rechtsbücher; ders./Fasbender/Munzel-Everling, Stift Wetter. Außerdem Kaufmann, Handschriftenfragmente. Zur niedersächsischen Rechtsliteratur noch immer dankbar ist der älteren Überblick von Jellinghaus, Rechtsaufzeichnungen, der auch stadtrechtliche Überlieferungen mit einschließt.
136
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Zuordnung hatte bereits Homeyer versucht und im Verlauf seiner Arbeiten immer weiter verfeinert.346 Zu Recht werden dabei auch die Frühdrucke als Überlieferungszeugen mit einbezogen, die in der späteren Klassifizierung durch Eckhardt nicht mehr berücksichtigt worden sind. Homeyer hat auch die Unterteilung in eine Grob- (Textklassen) und eine Feingliederung (Textordnungen) eingeführt, wobei letztere die Untereinheit der ersten darstellen. Unterhalb dieser Ebene verweist er noch auf eine Reihe von Handschriftenfamilien. Unterschieden werden insgesamt nur drei Textklassen: Die Texte ohne Büchereinteilung, diejenigen mit Büchereinteilung und Glosse und schließlich die Handschriften, die zwar eine Büchereinteilung, aber keine Glosse besitzen. Einzelne Ordnungen werden zur Bildung von Handschriftensiglen mit Großbuchstaben bezeichnet oder unter solchen zusammengefasst. Dabei gilt: A = 1. Klasse, 1. Ordnung; B = 1. Klasse, 2. Ordnung; C = 2. Klasse, 1. Ordnung; D = 2. Klasse, 2. und 3. Ordnung und E = 3. Klasse, 1. bis 3. Ordnung. Diese Großbuchstaben bilden den ersten Teil der zweistelligen, etwas umständlichen Homeyerschen Handschriftensiglen, mit denen die jeweils konkrete Handschrift bezeichnet wird; komplettiert werden sie durch einen Kleinbuchstaben. Lateinische Buchstaben weisen dabei auf Handschriften hin, die durchweg für den Variantenappart in Betracht gezogen worden sind, griechische Kleinbuchstaben hingegen signalisieren, dass diese Handschriften nur in gezielten Fällen auszugsweise herangezogen worden sind. Die für die Edition nicht berücksichtigen Handschriften sind auch für die Klassifikation der Überlieferungsträger nicht herangezogen worden. Homeyers Siglen, die in der älteren Forschung noch häufig verwendet werden, sind heute außer Gebrauch geraten. Leider fehlt unter den beigefügten Konkordanzen des Oppitzschen Verzeichnisses eine Gegenüberstellung dieser Siglen mit denen Eckhardts und den fortlaufenden Nummern der Handschriftenverzeichnisse. Gegen Homeyers Versuch spricht die rein äußerliche, auf die Textkomposition gerichtete Betrachtung, die erst in den einzelnen Ordnungen dem unterschiedlichen Textgehalt der einzelnen Überlieferungsträger Beachtung schenkt. Dagegen hat Karl August Eckhardt auf Arbeiten seines Schülers Wilhelm Mahmens347 aufbauend eine neue Systematik der Sachsenspiegelüberlieferung entwickelt,348 die im Wesentlichen noch heute gültig ist und der sich auch das Verzeichnis von Oppitz anschließt.349 Auch dieser Entwurf ist nicht ohne berechtigte Kritik geblieben, bleibt aber bislang das 346
Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 24–60. Mahmens, Handschriften. Vorarbeiten zu einer solchen Arbeit hatte bereits Homeyer, Die Genealogie, unternommen. 348 Eckhardt, Textentwicklung; zur Kritk an Homeyers Systematik vgl. ebd., S. 2–5. 349 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 22–27. 347
VI. Die handschriftliche Überlieferung
137
Beste, was wir haben. In Anbetracht der Gültigkeit, auf die sich die Systematik bis auf Weiteres noch berufen kann, soll sie im Folgenden auch das Rahmengerüst für die Darstellung der handschrfitlichen Überlieferung und ihrer Entwicklung abgeben. 1. Kurzformen (Ia bis Ic) Die erste Klasse, die so genannten Kurzformen, haben vor allem das Fehlen der ersten („jüngeren“) Reimvorrede, der Verse 1 bis 96 der Praefatio rhythmica also, sowie der Vorrede „Von der Herren Geburt“ gemeinsam. Ferner weisen sie alle gegenüber den vulgaten Fassungen, wie sie uns in den Editionen entgegen treten, eine Reihe von Fehlstellen auf, deren Sätze nicht auf Eike von Repgow zurückgehen und erst durch spätere Novellen und Interpolationen dem Text hinzugefügt wurden. Dabei handelt es sich um die Artikel Ldr. I 4, Ldr. I 9 bis Ldr. I 15, Ldr. I 26, Ldr. 49, Ldr. I 58, Ldr. I 68 § 2 bis Ldr. I 69, Ldr. II 1, Ldr. II 29, Ldr. II 33, Ldr. III 11, Ldr. III 47 bis Ldr. III 51, Ldr. III 72 und 73, Ldr. III 84 und 85 und schließlich Ldr. III 87 bis 91. Ferner ist allen Handschriften dieser ersten Textklasse die Einteilung des Landrechts in Bücher noch unbekannt. Diesen äußerlichen Gemeinsamkeiten, die die insgesamt etwa zwei Dutzend Handschriften der Klasse I miteinander teilen, tritt die Annahme gegenüber, dass die ersten beiden Ordnungen dieser Klasse, Ia und Ib, noch aus Eikes eigener Feder stammen sollen, die dritte (Ic) aber bereites „zweifellos nacheikesch“ sein soll.350 Die älteste erhaltene Textstufe des Sachsenspiegels (Ia) weist gegenüber der vulgaten Form über die der Klasse I gemeinsamen Lücken hinaus folgende Fehlstellen auf: Ldr. I 3 § 3 (Schluss), Ldr. I 51 §§ 1 (Schluss), 2, Ldr. I 64 § 4, Ldr. II 4 § 3; Ldr. II 9 § 3 (Schluss) bis Ldr. II 10 § 1; Ldr. II 58 § 3; Ldr. III 71 § 2; Ldr. III 82 § 2 bis Ldr. III 86. Außerdem fehlen eine Reihe von Paragraphen des Lehnrechts: Lnr. 7 § 2, Lnr. 13 § 2, Lnr. § 26 §§ 9, 10, Lnr. 33 § 3, Lnr. 43 § 3, Lnr. 50 § 4, Lnr. 71 § 16, Lnr. 75 § 2, Lnr. 76 § 6.351 Prominenter Vertreter dieser Ordnung ist die ursprünglich Quedlinburger Handschrift 81, die heute in Halle verwahrt wird und möglicherweise die älteste erhaltene, noch vollständige Handschrift des Sachsenspiegels darstellt.352 Sie gehört wohl noch dem Ende des 13. Jahrhunderts an, ist aller350
Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 430. Diese Lehnrechtfassung findet sich beispielsweise noch im Löwenberger Rechtsbuch, dessen Landrecht freilich bereits der Ordnung IIa folgt – vgl. unten, S. 140 ff. und S. 352 ff. 352 Halle, ULB, Cod. Quedl. 81 (Oppitz Nr. 657). 351
138
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
dings nicht explizit datiert und tritt daher in dieser Hinsicht in Konkurrenz mit einem auf 1295 datierten Harffer Codex.353 Die Handschrift ist mehrfach ediert worden,354 erstmals bereits 1732 von Gärtner. Über lange Zeit hat man vermutet, sie stehe Eikes Urtext auch sprachlich besonders nahe; selbst Borchling hatte noch die niederdeutsche Provenienz der Quedlinburger Handschrift angenommen. Das hat Eckhardt dazu veranlasst, auf Grundlage dieser Handschrift eine Edition zu erstellen, die durch ein künstliches Rekonstruktionsverfahren einen Text bieten sollte, der besonders nah an die zeitgenössische Mundart des Urtextes heran gelangen sollte.355 Dagegen konnte aber Wolfgang Spiewok durch seine eingehende sprachliche Untersuchung zeigen, dass „der Schreiber von Q[uedlinburg, Cod. 81] mit einiger Wahrscheinlichkeit in den ostmitteldeutschen Westen zu versetzen“ sei.356 Eine andere, wichtige Handschrift dieser Ordnung hat Borchling in einer noch immer wertvollen Edition abgedruckt.357 Die zweite deutsche Fassung (Ib) wird allgemein ebenfalls noch Eikes eigener, redigierender Hand zugeschrieben. Ihre Datierung hängt maßgeblich mit der Benutzung in der Sächsischen Weltchronik zusammen, als deren Verfasser der Reppichauer nach den Ergebnissen der jüngeren Forschung mit größter Wahrscheinlichkeit nicht mehr gelten kann.358 Sie tritt uns in lediglich einem Braunschweiger Landrechtsfragment359 sowie dem ebenfalls nur fragmentarischen Lehnrecht eines Havelberger, heute Berliner Codex aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts direkt entgegen.360 Erschlossen ist dagegen, dass eine Handschrift dieser Ordnung der Magdeburg-Breslauer Weisung von 1261 und mittelbar auch dem Deutschenspiegel vorgelegen haben muss.361 Die Ordnung Ib füllt die in Ia noch vorhandenen Sonderlücken auf; außer den der Textklasse I abgehenden Stücken fehlt nur der Artikel Ldr. III 86 vollständig. In der Eckhardtschen Ausgabe kann man das Novellenmaterial von Ib daran erkennen, dass es zwar wie die Ordnung Ia in Antiqua gesetzt, aber in eckige Klammern eingeschlossen worden ist. 353
Dazu siehe unten, S. 141. Göschen, Sächsisches Landrecht; Eckhardt, Quedlinburger Handschrift. Das Lehnrecht der Quedlinburger Handschrift gibt Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1 als Nebentext. 355 Eckhardt, Quedlinburger Handschrift. – zur Kritik vgl. unten, S. 319 f. 356 Spiewok, Quedlinburger Handschrift. 357 Borchling, Landrecht; vgl. dazu die Besprechung von Hermann Teuchert in der Zeitschrift für Mundartforschung 3 (1926/27), S. 225 f. Zugrunde liegt dieser Edition die Handschrift Bremen, UB, Ms. A. 30 a1 (Oppitz Nr. 248). 358 Siehe unten, S. 194 ff. 359 Braunschweig, StdB, Fr. 1 (Oppitz Nr. 237) – der Text dieses wichtigen Fragments ist zur Illustration der Ordnung Ia im Anhang dieser Studie beigegeben. 360 Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 390 (Oppitz Nr. 119), fol. 100r–105r. 361 Eckhardt, Textentwicklung, S. 25–27. 354
VI. Die handschriftliche Überlieferung
139
Nach allgemeiner Auffassung stammt die dritte deutsche Fassung (Ordnung Ic) nicht mehr aus der Feder Eikes. Tatsächlich fehlen ausgerechnet die Verse 261–280 der Reimvorrede, in denen er seine Verfasserschaft und die von Graf Hoyer angeregte Übertragung anführt, in diesen Handschriften. Dafür spricht aber vor allem, dass diesem Text sämtliche Zusätze von Ib gegenüber Ia fremd sind. Allerdings fügt diese Ordnung den Artikel Ldr. III 86 hinzu, ansonsten aber nur – wie auch schon Ib – kleinere Novellen innerhalb der Paragraphen; meist nur einzelne Wörter oder Wendungen.362 Eckhardt druckt die Zusätze dieser Ordnung in spitzen Klammern. Ein wichtiges Zeugnis für die frühzeitige Verbreitung des Sachsenspiegels bereits kurz nach seiner Entstehung auch außerhalb seines engeren, elbostfälischen Entstehungsraumes muss nach neueren Erkenntnissen ein bis dahin verschollen geglaubtes Helmstedter Lehnrechtsfragment (Ssp. Lnr. 65 § 20 bis 66 § 4 und 68 § 5 bis 69 § 2) darstellen, das Oppitz nach Fertigstellung des Rechtsbücherverzeichnisses in der Universitätsbibliothek Utrecht wiederentdeckt hatte.363 Erst Heike Burmeister und Jürgen Wolf jedoch ist es gelungen, dieses bis dahin ungefähr auf die Wende vom 13. auf das 14. Jahrhundert gesetzte Fragment mit überzeugenden Argumenten um rund 50 Jahre, also auf die Mitte des 13. Jahrhunderts, vorzudatieren.364 Ein häufiges Phänomen der Sachsenspiegelüberlieferung stellen die „Trabanten“365 der Textklasse I unter den Lang- (Klasse II) und Glossenhandschriften (IV) dar. Ob sich Ähnliches auch für die lateinischen Handschriften der Textklasse III sagen lässt, ist noch unsicher. Solche überarbeiteten oder ergänzten Handschriften der Kurzformen arbeiten das Novellenmaterial nur unvollständig ein366 oder decouvrieren sich trotz verhältnismäßig gleichmäßiger Einarbeitung der Novellen durch Rückgriffe auf den Wortlaut der ersten Textklasse.367 Um eine solche Mischform scheint es sich – bei aller Vorsicht gegenüber den noch nicht gänzlich abgeschlossenen Untersuchungen – bei einer von mir näher betrachteten westfälischen Handschriftengruppe zu handeln, deren 362
Eckhardt, Textentwicklung, S. 31–43 und S. 56 f. Utrecht, UB, Ms. 1883, Bl. 1–12, hier Bl. 5 und 6 – vgl. Oppitz, Fragmente in Utrecht. 364 Burmeister/Wolf, Marburger Fund- und Reiseberichte S. 51–54. 365 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 23. 366 Beispielsweise Breslau, UB, II Q 3 (Oppitz Nr. 267) oder Gnesen, Diözesanarchiv, Ms. 70 (Oppitz Nr. 572). 367 Hamburg, StUB, Cod. 89 in scrinio (Oppitz Nr. 671) und andere. Dieses Phänomen lässt sich auch bei den Drucken Köln 1480 und Heidelberg 1614 beobachten. Nähere Untersuchungen bedürfte es in dieser Hinsicht noch für die Handschrift Werne, StdA I A 19 (Oppitz Nr. 1489, vgl. S. 263, Anm. 271), die mir auch in diese Gruppe zu gehören scheint. 363
140
B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Textzeugen aus dem Gräflichen Archiv zu Harff-Mirbach,368 von Schloss Bladenhorst (heute zu Castrop-Rauxel gehörig),369 aus Duisburg370 und Blomberg (bei Detmold)371 stammen. Eine Münsteraner Handschrift dieser Gruppe, die Homeyer noch vorlag, ist bei einem Bombenangriff im zweiten Weltkrieg zerstört worden,372 die ebenfalls lange Zeit verloren geglaubte Meininger Handschrift vor kurzem wieder aufgetaucht und von der Bayerischen Staatsbibliothek zu München erworben worden.373 Einzelne Nachweise lassen sich gut aus Homeyers Lesapparat rekonstruieren.374 2. Vierte deutsche Fassung (IIa) Die wichtige vierte deutsche Fassung des Sachsenspiegels, die vermutlich kurz vor 1270 in Magdeburg entstanden ist,375 eröffnet die Klasse der so genannten Langformen (II). Eckhardt macht in seiner Ausgabe die Zusätze durch Kursiva deutlich. Die Klasse zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht nur die umfangreicheren Fehlstellen der Klasse I ergänzt, sondern sowohl die Novellen aus Ib wie auch Ic (vor allem den fehlenden Artikel Ldr. III 86) 368 369 370
Siehe dazu unten, S. 141 f. Fischer, Bonner Handschrift; Hartung/Becker, Bladenhorster Sachsenspiegel. Kümper, Duisburger Sachsenspiegel; ders., Neues von einem alten Rechts-
buch. 371 Wehlt, Blomberger Sachsenspiegelhandschrfit; Eggert, Blomberger Handschrift. Für die Bergung der letzteren Schrift aus den Tiefen der Detmolder Stadtbibliothek habe ich Herrn Stefan Schauf (Lage i. Wf.) herzlich zu danken. 372 Münster, UB, Ms. 232 (Oppitz Nr. 1148); vgl Staender, Chirographorum, S. 136 f. (Nr. 626): „626 (232). Cod. membran. saec. XV, foliorum 115, cm. 29 et 22, binis columnis scriptus. Libri iuris Germanici. Insunt: 1. Dat speghel van zassen, loco libri quarti fol. 53v additur liber iuris Saxonici feudalis; 2. dat bock van den keyer rechte (fol. 75r); 3. fragmentum libri qui dicitur Richtsteig Landrechts (fol. 115r). Teste Homeyero (vid. infra) liber olim habuit 161 folia, quorum ex furto 115 supersunt; integri sunt libri speculi et iuris feudalis, relicua mutilata. Litterae initales et inscriptiones rubrae sunt. [. . .]“ Im Homeyerschen Nachlass ließ sich keine Abschrift der Handschrift finden. 373 Ehedem Meiningen, LB, Nr. 91 (Oppitz Nr. 1016) nun München, BSB, Cgm 9298 – ein kurzer Hinweis darauf bereits bei den Ergänzungen von Ulrich-Dieter Oppitz in der ZRG GA 120 (2003), S. 372. 374 Zum Beispiel Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 250 (Ssp. Ldr. II 22 § 1): Die Münsteraner Handschrift gibt hier wie die Textzeugen der Ordnung Ia „den richtere“ an Stelle von „den anderen ofte den richtere“ (Harff) bzw. „den anderen vor deme richtere“ (Meiningen). Ebenfalls auf die Textordnung Ia greift an dieser Stelle das Herforder Rechtsbuch (Art. 5) zurück; vgl. Hüpper, Herforder Rechtsbuch, S. 177. 375 Eckhardt, Textentwicklung, S. 60–82. Heck, Zusätze, hat eine ganz Monographie darauf verwendet, nachzuweisen, dass auch die Novellen der Ordnung IIa noch von Eike selbst stammten. Die Forschung ist ihm in dieser Ansicht nicht gefolgt.
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aufnimmt. In manchen Handschriften allerdings fehlt noch die jüngere Reimvorrede (Vers 1 bis 96)376 oder fehlen auch die Reimvorreden ganz. Die Vorrede „Von der Herren Geburt“ und Ldr. I 26 fehlen in einer Reihe von Handschriften, was die Homogenität der Klasse zu einem gewissen Grad in Frage stellen muss. Das Lehnrecht scheint nur marginal bearbeitet worden zu sein. Hier fehlt es aber auch noch an einschlägigeren Forschungen, denn die Textkritik hat sich weitgehend auf die Landrechtstexte beschränkt. Mit dem so genannten Harffer Sachsenspiegel liegt uns eine vorbildliche Edition einer Handschrift dieser Ordnung vor. Sie ist die älteste datierte, vielleicht auch die älteste erhaltene Handschrift des Sachsenspiegels überhaupt und ist ausweislich ihres Kolophons im Jahre 1295, mit großer Sicherheit in Köln, entstanden.377 Erstmals 1873 durch Hugo Loersch378 bekannt gemacht, ist das Landrecht dieses Codex’ schließlich von Märta Åsdahl-Holmberg ediert worden.379 Eine Ausgabe des Lehnrechts dieser Textklasse liegt bislang noch nicht vor, könnte aber beispielsweise auf Grundlage dieser oder der Duisburger Handschrift, die einen insgesamt guten Text bietet, besorgt werden.380 Die Ordnung IIa lässt gewisse Handschriftengruppen erkennen, die die Vermutung zulassen, dass eine Feingliederung möglich ist, die im Rahmen umfänglicherer textkritischer Studien vielleicht auch zu der notwendigen Revision der Eckhardtschen Klassifizierung beitragen könnte. Eine Besonderheit stellen dabei eine ursprünglich westfälische Handschrift des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg und der bereits erwähnte, ehemals Münsteraner Textzeuge dar, die beide eine Einteilung in sechs Bücher vornehmen.381 Ferner weisen eine stattliche Reihe von schlesisch-preußischen Handschriften enge Gemeinsamkeiten auf.382 Die bereits von Oppitz genannte westfälische Gruppe (Meinigen/Berlin, Harff, ehem. Münster) ist oben schon näher besprochen und um drei weitere Handschriften (Duisburg, Bonn, Detmold) erweitert worden.383 376 Breslau, UB, II Q 3 (Oppitz Nr. 267) und Münster, UB, Ms. 81 (Oppitz Nr. 1146). Die letztere Handschrift ist 1945 verbrannt; es befindet sich aber eine Abschrift in Berlin, StBPK, Nachlaß Homeyer, Ms. 55. 377 Mirbach-Harff, Hausarchiv der Grafen, o. Sig. (Oppitz Nr. 1036), fol. 66v: „Amen. Anno dni MCCLXXXXV f’ia sexta pt philippi et iacobi apl’or“ [= 1295.VII.7]. 378 Loersch, Älteste Handschrift. 379 Åsdahl-Holmberg, Harffer Sachsenspiegel. 380 Duisburg, StdB, o. Sig. (Oppitz Nr. 466) – vgl. S. 140, Anm. 370. 381 Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 5449a (Oppitz Nr. 1166) und Münster, UB, Ms. 81 (Nr. 1146, s. S. 141, Anm. 376). 382 Oppitz Nrn. 261, 266, 267, 268, 287, 337, 354, 372, 447, 572, 671, 844, 845 und 846.
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3. Die Codices picturati (IIb) Die sicherlich bekanntesten Textzeugen des Sachsenspiegels sind und bleiben die vier berühmten Bilderhandschriften.384 Sie sind schon früh als kulturhistorische Quelle ersten Ranges erkannt und seitdem mehrfach als solche gewürdigt worden,385 stehen aber auch textgeschichtlich an einem zentralen Scheidepunkt: Hier nämlich tritt erstmals die Einteilung in einzelne Bücher und Artikel auf, die den vorhergehenden Handschriften, die lediglich fortlaufende Artikel zählen, noch fremd ist. Gerade in jüngerer Zeit kann man geradehin von einem Boom der Beschäftigung mit dem Sachsenspiegel insgesamt und den Bilderhandschrift im Besonderen sprechen, zu dem der Münsteraner SFB in den 1980er und -90er Jahren erheblich beitragen hat.386 Als Schlüsselereignis kann dabei sicherlich der Ankauf der Oldenburger Handschrift im Jahre 1991 durch die Sparkassenstiftung und die im Zuge dessen veranstaltete Ausstellung aller vier Codices picturati gelten. Diese erneute eingehende Beschäftigung liegt aber auch in gewisser Weise auf einer Linie mit dem überhaupt neu erwachten Interesse der rechtshistorischen Mediävistik an Bildquellen.387 Hier spielen die Codices Picturati insofern eine herausragende Rolle als sie Bild und Text miteinander kombinieren und so ganz andere Zugriffsmöglichkeiten und -schwierigkeiten als reine Bildquellen eröffnen.388 Bemerkenswert ist zugleich der Rückgang des Interesses realiengeschichtlich orientierter Forschung an den Illustrationen der Bilderhandschriften, die zwar nie einen ausgeprägten Stellenwert in der Rechtsbücherforschung eingenommen, jedoch über Jahrzehnte recht konstant betrieben worden ist. Lediglich im Umfeld des Oldenburgischen Landesmuseums hat sich in jüngerer Zeit ein kleiner Kreis von Wissenschaftlern etabliert, der sich wiederholt Fragen der Verbindung zwischen Realien- und Bildkunde anhand der Codices picturati zuwendet.389 383
Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 24 – vgl. oben, S. 140. Über die Codices picturati als Handschriftenklasse vgl. Schmidt-Wiegand, Wirkungsgeschichte. 385 Schmidt-Wiegand, Quelle der Kulturgeschichte; vgl. ferner Hüpper, Illustrated Manuscripts. 386 Dazu mehr unten, S. 328 ff. 387 Anstelle einer Auflistung der wichtigen Werke der letzten Jahre verweise ich nur auf bündigen den Überblick von Andermann, Recht im Bild. Über das Bochumer Forschungsprojekt „Visuelle Rechtskommunikation“ vgl. Prinz, Bildgebrauch, S. 11–14 sowie grundlegend Röhl/Ullbrich, Rechtskommunikation. 388 Schild, Gedanken. 389 Vgl. nur Scheele, Wirklichkeitsgehalt; Pieken, Deichrecht, sowie die zahlreichen Beiträge in Fansa, Sassen speyghel, Bd. 2. Grundlegend dort der Beitrag von Capelle, Bildquellen. 384
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In der Klasse der Bilderhandschriften taucht erstmals die später vulgate Einteilung in drei Bücher auf; nur die Oldenburger Handschrift ist in sechs Bücher unterteilt.390 Über den Ursprung dieser Einteilung herrscht weitgehende Unsicherheit. Homeyer war der Auffasung, es sei „doch höchst wahrscheinlich, daß der Glossator die Eintheilung in drei Bücher eingeführt habe“.391 Das hat Brunner in seine „Grundzüge“ aufgenommen und damit zum Handbuchfaktum werden lassen,392 das sich als solches bis heute weiterträgt. So stellt beispielsweise noch Dobozy apodiktisch fest, Johann sei „also responsible for the bipartite division into the general territorial and feudal law that we know from all later manuscripts“.393 Das ist keineswegs sicher.394 Insgesamt sind vier durchgängig bebilderte Handschriften des Sachsenspiegels auf uns gekommen.395 Sie alle gehen auf eine gemeinsame, heute nicht mehr erhaltene Stammhandschrift (X) zurück, die wohl im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts im östlichen Harzvorland in niederdeutscher Sprache verfasst worden ist.396 Amira hat die Entstehung dieses Hyparchetypus noch in der Mark Meißen, vielleicht sogar der Stadt selbst, vermutet.397 Bis auf die Oldenburger Handschrift und die ihr vorausgegangene, verlorene Zwischenstufe N seien auch die erhaltenen Codices picturati in diesem Raum entstanden. Dagegen hat Rudolf Kötzschke eine Entstehung im nordöstlichen Harzvorland plausibel machen können.398 Dem ist in jüngerer Zeit Naß aufgrund eingehender Untersuchungen der in den Bilderhandschriften wiedergegebenen Wappen beigetreten.399 Seine in gewisser Weise bahnbrechenden Ergebnisse haben bislang keinen Widerspruch gefunden.400 In den letzten Jahren hat allerdings Dieter Pötschke 390 Diese Einteilung findet sich noch in zwei weiteren Handschriften; siehe S. 141, Anm. 381. 391 Homeyer, Prolog, S. 20; ähnlich, aber weniger bestimmt auch ders., Genealogie, S. 158 f. und ders., Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 46: „Und wenn einige Handschriften [. . .] das Lehnrecht als 4tes Buch, oder wie Nr. 5 als 4tes und 5tes Stück, den drey Büchern Landrechts anschließen, so spricht auch dieser Umstand dafür, dass der Ritter v. Buch oder wer sonst das Landrecht vor der Mitte des 14ten Jahrh. In Bücher theilte, beide Arbeiten als ein Zusammenhängendes betrachtete.“ 392 Brunner/Schwerin, Grundzüge, S. 110. 393 Dobozy, Saxon Mirror, S. 33; ebenfalls Schlosser, Johann von Buch, Sp. 526 f.: „[. . .] von ihm stammt auch die Einteilung des Ssp.-Ldr. In drei Bücher.“ 394 Vgl. auch Kannowski, Umgestaltung, S. 515–517, der die Frage ebenfalls für nicht entscheidbar hält. 395 Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 135 f. 396 Schmidt-Wiegand, Stammhandschrift. 397 Amira, Genealogie, S. 378. 398 Kötzschke, Heimat. 399 Naß, Wappen; ders., Wappen der Wolfenbütteler Bilderhandschrift.
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mehrfach versucht, das Kloster Ilsenburg als Abfassungsort der Stammhandschrift X zu identifizeren.401 Bislang hat sich diese Ansicht aber nicht durchsetzen können. Die älteste erhaltene Bilderhandschrift des Sachsenspiegels ist die Heidelberger (H).402 Sie ist als erste der Bilderhandschriften bereits 1819 von Kopp in seinen „Bildern und Schriften der Vorzeit“ durch kommentierte Handnachzeichnungen bekannt gemacht worden,403 liegt aber seit längerem auch in zwei Voll- und einigen Auszugsausgaben vor404 und ist seit einigen Jahren überdies kostenfrei im Internet verfügbar.405 Eine CD-ROM-Ausgabe mit umfangreichem Beimaterial ist seit längerem in Vorbereitung, aber bislang noch nicht erschienen.406 Die Handschrift ist nur noch sehr schlecht erhalten: Vom Landrecht fehlt das gesamte erste Buch, vom zweiten sind nur noch sechs Blätter erhalten. Das dritte Landrechtsbuch dagegen ist bis auf zwei Blätter beinahe vollständig. Auf den insgesamt nur noch 30 erhaltenen Blättern Pergaments findet sich aber immer noch die stolze Zahl von immerhin 310 Bildstreifen. Die Entstehungszeit von H bleibt umstrittten: Während Amira noch eine Entstehung zwischen 1300 und 1315 annahm,407 dachte Koschorreck eher an die Zeit um 1325.408 Zuletzt hat dann Werner wieder für eine Vordatie400 Für die Heidelberger Handschrift vgl. die Untersuchungen der Wappen von Pötschke, Wappen, S. 90–103; vgl. auch ders., Kloster Ilsenburg, S. 142–174, bes. S. 164–174, wo im Wesentlichen noch einmal die Ergebnisse des Beitrages aus der Harz-Zeitschrift wiedergegeben werden. Zum fünften Heerschild von H (Herren von Heimburg) vgl. überdies Hübbe, Heerschild, und schließlich Schmidt-Wiegand, Bedeutung, S. 13. 401 Vgl. nur Pötschke, Forschungsergebnisse; ders., Produktionsort; ders., Gedanken zur Herkunft, und jüngst noch ders., Kloster Ilsenburg, S. 175–182 – vgl. dazu auch meine Besprechung im Neuen Archiv für Sächsische Geschichte 76 (2005), S. 354 f. 402 Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 164 (Oppitz Nr. 697) – zur Handschrift vgl. das neue Katalogisat von Zimmermann, Codices Palatini, S. 383 f. mit reichen Literaturverweisen. Ansonsten grundlegend Werner, Heidelberger Bilderhandschrift, und Koschorreck, Eine Bilderhandschrift. Zum Bildprogramm jüngst noch Munzel-Everling, Rechtssymbole. 403 Kopp, Bilder und Schriften. Auszüge aus H veröffentlichten auch ein Jahr später Batt/Babo, Teutsche Denkmäler, allerdings ohne systematische Bildbesprechung. 404 Koschorreck, Heidelberger Bilderhandschrift (mit einer neuen Einleitung in einem Bande hrsg. von Willfried Werner, Frankfurt a. M. 1989). Kommentierte Auszüge aus der Bilderhandschrift hat Koschorreck, Sachsenspiegel in Bildern, und vor ihm auch Künßberg, Sachsenspiegel, herausgegeben. 405 http://digi.ub.uni-heidelberg.de/cpg164. 406 Munzel-Everling/Feuerstake, Digitale Erschließung. 407 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 16 f.
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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rung auf den Beginn des 14. Jahrunderts plädiert.409 Das ist im Wesentlichen auch heute noch der Diskussionsstand. Erwähnt wird die Handschrift erstmals in dem 1571 angelegten Inventar der Fuggerschen Bibliothek, die von Augsburg nach Heidelberg verbracht wurde, dann 1584 nach dem Tode Ulrich Fuggers an die Bibliotheca Palatina fiel: „Ein altt uff Perent geschrieben buchlin von Lehenrechten und andern, mit altfranckischen figuren.“410 Nach der Eroberung Heidelbergs kam der Codex dann 1623 als Geschenk des Bayernherzogs nach Rom und wurde der vatikanischen Bibliothek einverleibt, von wo er 1816 mit den anderen deutschsprachigen Handschriften der Bibliotheca Palatina wieder zurück nach Heidelberg gelangte.411 Seitdem wird er dort verwahrt. Als die „schönste und wohl auch künstlerisch wertvollste“412 der erhaltenen Bilderhandschriften gilt der Dresdner Codex (D) aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.413 Er enthält mit 924 Bildstreifen auf 92 Pergamentblättern auch die weitaus meisten Illustrationen; auf fast jeder Seite des einstmals prachtvollen Codex ist Blattgold, vor allem gegen Ende dann auch in größerem Maße Silber verwendet worden ist. Die Handschrift, die 1945 nach der Dresdner Bombennacht längere Zeit feucht gelegen und größere Wasserschäden erlitten hatte,414 ist vor wenigen Jahren in einem aufwendigen Projekt restauriert und neu faksimiliert worden, so dass die ursprüngliche Pracht des kostbaren Codex wieder sichtbar wird.415 Bis dahin war die Forschung auf das von lediglich fünf Farbtafeln begleitete Voll-Faksimile Karl von Amiras angewiesen, das bei Erscheinen eine wissenschaftliche Glanzleistung, vor allem aber auch eine kleine technische Sensation darstellte.416 408
Koschorreck, Heidelberger Bilderhandschrift, Kommentarband, S. 15. Werner, Anmerkungen, S. 217. 410 Zit. nach Koschorreck, Heidelberger Bilderhandschrift, Kommentarband, S. 15. 411 Die Einzelheiten, wenn auch natürlich in parteiischer Darstellung, noch immer am detailreichsten bei Wilken, Geschichte. 412 Lück, Dresdner Bilderhandschrift; ders., Zum Stand der Faksimilierung, S. 162. 413 Dresden, SULB, Mscr. Dr. M 32 (Oppitz Nr. 450). 414 Petersen, Erhaltungszustand, S. 80 f. 415 Lück, Dresdner Bilderhandschrift. Außer dem soeben genannten weitere Projektberichte bei Bürger, Dresdner Sachsenspiegel, und Hering, 924 Bildstreifen. 416 Amira, Dresdener Bilderhandschrift; vgl. zum Kommentarband auch die Besprechung von Ulrich Stutz in der ZRG GA 47 (1927), S. 685–706. Über die Bedeutung dieser Ausgabe vgl. Punschart, Karl von Amira, S. 56–61 und SchmidtWiegand, Szenen vor Gericht. Wie von der Heidelberger ist auch von der Dresdner Bilderhandschrift ein Bändchen mit Auszügen für den Kunstfreund hergestellt worden: Reichel, Dresdener Bilderhandschrift. Einzelne Abbildungen aus D auch bei Batt/Babo, Teutsche Denkmäler. In gewisser Weise in den Wirkungskreis der Amiraschen Edition kann auch der Beitrag von Letts, Sachsenspiegel, gerechnet werden, 409
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Ersteres ist vor allem der Kommentarband Amiras noch immer; die Phototechnik aber ist in den ziemlich genau einhundert in der Zwischenzeit vergangenen Jahren merkbar fortgeschritten und ebenso sind es die Anforderungen der Nutzer an moderne Faksimiles. Entstanden ist D mit Sicherheit in der Zeit zwischen 1295 und 1371 – so weit hat Amira die Abfassungszeit bereits eingrenzen können.417 Die jüngeren Untersuchungen von Klaus Naß, die sich auf eine eingehende Analyse der in der Handschrift vertretenen Wappen stützen, haben eine Engführung auf die Jahre 1347 bis 1363 wahrscheinlich gemacht.418 Das ist vor allem deshalb möglich, weil D im Vergleich mit den anderen Codices picturati deutlich mehr Wappen enthält, die überdies auch in einer Vielzahl der Fälle zugeordnet werden können. Sprachstand und Schriftbefund sprechen ebenfalls für die Jahrhundertmitte. Die Entstehung wird im Umfeld des markgräflich-meißnischen Hofes vermutet; vielleicht war Markgraf Friedrich III. („der Strenge“, † 1381) oder sein Bruder Wilhelm I. († 1407) Auftraggeber der Handschrift. Ihr Wappen, der schwarze Löwe auf goldenem Grund, taucht gemeinsam mit denjenigen der Meinheringer, der Burggrafen von Meißen also,419 und der Herren von Colditz auf.420 Im ältesten markgräflichen bzw. seit 1423 dann kurfürstlichen Bibliotheksverzeichnis, das aus dem Jahre 1574 stammt, ist die Handschrift jedenfalls bereits als „Ein gar alter Sachsenspigel auf pergament geschrieben und mit altväterischen Figuren gemalt, welcher noch Eck von Repchens gewest sein solle“ verzeichnet. Damals noch in Annaburg, gelangte die Bibliothek bereits 1586 in die Dresdner Residenz und von dort aus 1786 an die Landesbibliothek im Japanischen Palais. Verglichen mit den anderen Bilderhandschriften, vor allem mit dem Heidelberger Codex, ist der Textverlust von D mit insgesamt acht Blatt relativ gering. Vollständig erhalten sind neun Quaternionen und ein Sexternio, hinzu kommt ein Ternio (inneres Doppelblatt fehlt) und ein Doppelblatt (die inneren drei Doppelbältter fehlen).421 Dadurch fehlen Teile des Mainzer Reichslandfriedens sowie wahrscheinlich die Vorrede „Von der Herren Geburt“ und ein Kapitelverzeichnis. Beide sind in der Tochterhandschrift W (fol. 2r–7v) erhalten, so dass wir davon ausgehen können, dass sie auch der maßgeblich auf ihm aufbaut und damit kaum über den Charakter einer eingehenderen Buchanzeige hinaus kommt. 417 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 14 f. 418 Naß, Wappen, S. 255. 419 Sie ersetzen im Übrigen das in H (fol. 1r) und O (fol. 7v) zu findene Wappen der Grafen von Wernigerode; vgl. dazu Pötschke, Kloster Ilsenburg, S. 145. 420 Helbig, Ständestaat, S. 213–219 und S. 307–311. 421 Dazu ausführlich Janz, Dresdener Bilderhandschrift, und Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 7–13.
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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in D vorhanden waren. Die zweite, kleinere Lücke in D (zwischen fol. 29v und 30r) lässt Ssp. Ldr. II 32 § 2 bis Ldr. 40 § 5 vermissen und kann ggf. durch die fol. 34r–35v der Wolfenbütteler Handschrift ergänzt werden. Unmittelbar auf D geht der Wolfenbütteler Bildercodex (W) zurück,422 der sogar „eine für seine Zeit nicht einmal besonders freie Kopie“ der Mutterhandschrift darstellen soll.423 Die älteste Reproduktion der Bilder geht auch hier auf Nachzeichnungen von Kopp zurück.424 Vor einigen Jahren ist die Handschriften aber in einer Kooperation des Münsteraner Sonderforschungsbereichs und der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek faksimiliert worden,425 seit kurzem ebenso sowohl kostenfrei online als auch auf CD-ROM verfügbar.426 Erhalten sind noch 86 Pergamentblätter in zwölf Lagen (sieben vollständige und vier unvollständige Quaternionen und ein Binio am Schluss); die geringen Blattverluste können aus der Mutterhandschrift D ergänzt werden:427 Nach W fol. 27v ergänze D fol. 22r–23v (Ssp. Ldr. I 71 § 1 – Ldr. II 1 § 3), nach W fol. 45v ergänze D fol. 40r–41v (Ldr. III 25 § 3 – Ldr. III 39 § 2), nach W fol. 55v ergänze D fol. 52r–53v (Ldr. III 77 § 2 – Ldr. III 84 § 2) und nach W fol. 74v ergänze D fol. 73r–80v (Lnr. 48 § 2 – Lnr. 65 § 21). Gern vergessen wird, dass W nicht nur einen angesichts der Textverluste dieser Handschrift ohnehin vollständigeren, sondern auch einen deutlich besseren Text des Mainzer Reichslandfriedens von 1235 (fol. 1r–3v) als D (fol. 1r–1v) gibt.428 Auch für den Reichslandfrieden ist W als Textzeuge daher nicht zu unterschätzen und es bleibt nicht nachvollziehbar, warum Schulze von einem „bruchstückhaften Text“ spricht.429 Wahrscheinlich liegt eine Verwechselung mit der Mutterhandschrift D vor. Entstanden ist die Handschrift wohl im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts im Ostmitteldeutschen. Dieser Befund geht im Wesentlichen auf paläographische und sprachgeographische Bestimmungen zurück. Klaus Naß hat durch die Identifizierung des Balken-Rauten-Wappens auf fol. 52r mit Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 3.1. Aug. 2o (Oppitz Nr. 1566). Grundlegend vgl. Schmidt-Wiegand, Im Kreis der Codices picturati; dies., Verhältnis zum Text. 423 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 13. 424 Kopp, Bilder und Schriften, Bd. 2. 425 Schmidt-Wiegand, Wolfenbütteler Bilderhandschrift. 426 http://www.sachsenspiegel-online.de/ – Die CD-ROM kann über die HAB Wolfenbüttel bezogen werden. 427 Schmidt-Wiegand, Wolfenbütteler Bilderhandschrift, Kommentarband, S. 358– 413 jeweils mit Abb. und Transkript. 428 Vgl. Schmidt-Wiegand, Sprache zwischen Recht und Gesetz, S. 139 f. Der Text ist gedruckt im Textband zur Faksimile-Ausgabe und nach dieser Handschrift ins Englische übersetzt von Dobozy, Saxon Mirror, S. 43–49. 429 Schulze, Parallelurkunden, S. 34. 422
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
dem Burggrafen Heinrich von Leisning die Datierung schlüssig auf den Zeitraum zwischen 1348 und 1362/71 eingrenzen können, in dem Heinrich dieses Wappen führte.430 1651, vielleicht auch 1652, wurde der Codex von Herzog August († 1666) für seine Bibliothek erworben, wo er seitdem verwahrt wird. Eine Besonderheit in mehrfacher Hinsicht stellt unter den Codices picturati die Oldenburger Handschrift (O) dar.431 Vor allem informiert uns ein Kolophon über Abfassungszeit und -ort, Auftraggeber und Schreiber:432 „Anno domini MCCCXXX sexto completus est liber iste, qui dicitur speculum saxonum, per manum hinrici monachi de rastede dicti gloyesten, quem librum iohannes comes in oldenborch scribi fecit non pro quod vellet suis militaribus nova introducere iura civilia vel statuta, sed pro eo tantummodo, quia suis temporibus fere omnes milites et militares sui dominii seniores moriebantur, ita quod per absenciam illorum iura parentum suorum fuerunt inve- -nibus militarbius tunc existentibus multum incognita et in ipsis iuribus sepius claudicabant; item pro eo, ut si aliqui militares super quacumque re fierent discordantes, ita quod sibi ius saxonum eligerent propter presenciam istius libri huius modi rei et cause, pro quibus fuerunt discordantes, parcere possent suis laboribus et expensis. Iste iohannes comes erat filius iohannis comitis de oldenborch et domine elizabeth filie illustris principis iohannis ducis de luneborch, cuius comitis honorem deus in terris amplificet eumque in celis collocet post mortem inter agmina beatorum. Amen.“433
Bemerkenswert ist an diesem Kolophon auch, dass es eine Begründung für die Abfassung der Handschrift enthält. Tatsächlich weist auch die Illustration, die häufiger als die anderen Bilderhandschriften Lehrer-SchülerSzenen zeigt, auf eine besondere Lehrfunktion des Sachsenspiegels hin.434 Ob der Codex aber jemals die dort intendierte Gebrauchssituation erfahren hat, darf bezweifelt werden. Spuren häufigen Gebrauchs, wie sie in W durchaus zu finden sind, lassen sich hier nicht nachweisen. O ist jedenfalls – und auch das mag für eine eher behütete Verwahrsituation sprechen – als 430
Naß, Wappen der Wolfenbütteler Bilderhandschrift, S. 255 f. Vgl. vor allem den wertvollen Beitrag von Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, und Sodmann, Oldenburger Bilderhandschrift. Für eine mögliche Schwesterhandschrift von O hält Beckers, Desse boke, S. 129 einen im Bücherverzeichnis der Grafen von Hoya vermerkten Codex des Sachsenspiegels „de vormalt ist“. Diese Handschrift ist heute verloren. Dazu vgl. auch Meyer, Helt von der hoye, S. 42–55 mit vollständigem Textabdruck des 1943 zerstörten Bibliotheksverzeichnisses S. 101 f. (nach einem älteren Abdruck). 432 Hüpper, Kolophon. Zu Johannes Gloyesten vgl. Hüpper, Auftraggeber, S. 57–61 und Sodmann, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 219 f. Wahrscheinlich lässt er sich mit einer im Oldenburger Raum (Bümmerstede, Edewecht) begüterten Familie in Verbindung bringen. Zum Kloster Rastede vgl. Kusch, Rastede. 433 Lübben, Oldenburger Sachsenspiegel, S. 148. 434 Schmidt-Wiegand, Bilderhandschriften und Wirkungsgeschichte, S. 12. 431
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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einzige der uns erhaltenen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels ohne Textverlust geblieben.435 Allerdings ist sie nicht fertiggestellt worden: Auf fol. 88r (mit Ldr. III 81 § 1) bricht die Illustration mit einem „überaus wichtigen“ Bild zur Freilassung eines Dienstmannen plötzlich ab,436 koloriert sind die vorhandenen Illustrationen nur auf einzelnen Blättern (6, 7, 14 und 15) bzw. Seiten (fol. 10r, 16r, 17v, 18r, 19v und 20v); hinzu kommen einige spätere Ausmalungen, wie die reich verzierten Initialen zu Beginn des vierten und fünften Buches (fol. 94v und 113r), und Detailkolorierungen (vor allem Gesichter), die aber zum Teil unvollständig bleiben.437 Eine Anzahl von seitenverkehrten Illustrationen weisen darauf hin, dass der Illustrator von O mit Pausen gearbeitet hat.438 Auch in ihrer äußeren und inneren Textgestaltung hebt sich O von den anderen Codices picturati ab: Sie ist als einzige in niederdeutscher Sprache verfasst439 und weicht als einzige von der Drei-Bücher-Einteilung des Landrechts ab, teilt vielmehr Land- und Lehnrecht in insgesamt fünf Bücher.440 Eine solche Gliederung findet sich ansonsten nur in der von Borchling edierten Bremer Handschrift des Jahres 1342.441 O geht aber nicht direkt auf die Stammhandschrift X zurück; vielmehr sind mindestens eine, wohl eher aber zwei Zwischenstufen (N und N1) wahrscheinlich. Die Herkunft dieser Zwischenstufen ist noch immer umstritten, auch wenn die ältere Ansicht Amiras, N sei „bald nach 1313 [. . .] im Magdeburgischen oder Halberstädtischen“ entstanden, heute als widerlegt gelten darf:442 Während nämlich Timothy Sodmann aufgrund sprachlicher Kriterien an eine westfälische Vorlage, vielleicht aus Dortmund oder Soest, glaubt,443 hat Naß aufgrund seiner eingehenden Analyse der dargestellten Wappen für eine Entstehung von N in Lüneburg votiert.444 435
Zur Kodikologie der Handschrift vgl. Scheele, Kodikologische Anmerkungen; Milde, Kodikologische Einführung. 436 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 2, 2, S. 121. 437 Einzelheiten zu den nur teilweise ausgeführten Kolorierungen bei Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 27 f. 438 Amira, Genealogie, S. 367 f. 439 Lübben, Oldenburger Sachsenspiegel, S. IV – vgl. dazu ausführlich Peters, Sprache. 440 Buch I (fol. 6r–43v) = Ssp. Ldr. I 1 bis Ldr. II 12 § 15; Buch II (fol. 43v–61v) = Ssp. Ldr. II 13 § 1 bis II 65 § 2; Buch III (fol. 61v–91r) = Ssp. Ldr. II 66 § 1 bis Ldr. III 91 § 3; Buch IV (fol. 94v–111v) = Lnr. 1 bis Lnr. 55 § 3; Buch V (fol. 111v–134r) = Lnr. 55 § 4 bis Lnr. 80 § 4. 441 Siehe oben, S. 138. 442 Amira, Genealogie, S. 384; vgl. auch Kötzschke, Heimat, S. 42 und S. 45. 443 Sodmann, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 221 und S. 224 f. 444 Naß, Wappen, S. 263.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Goydke schließlich konnte diesen Kreis noch um das Kloster Wienhausen (nahe Celle) und dessen Verbindungen, vor allem nach Braunschweig, erweitern:445 So hat Doris Fouquet aus der Darstellung des Kommendationsgestus und dem Gestus der Aneignung, den Tristan in der Schwalbenepisode vor König Marke zeigt, geschlossen, dass derjenigen Person, die den Teppich entworfen hat, auch die entsprechenden Sachsenspiegelillustrationen oder zumindest ihr Stil beziehungsweise mögliche gemeinsame Vorlagen oder Anregungen bekannt gewesen sein müssen.446 In dieser allgemeinen Form hat diese Annahme viel für sich. In der Tat lässt der 1572 von der Wolfenbütteler Herzog-August-Bibliothek übernommene Bestand von 85 Handschriften des Klosters, unter denen sich auch einige Bilderhandschriften, freilich in der Hauptsache religiösen Inhalts, befunden haben, die Vorstellung durchaus zu, dass im Umfeld des Klosters auch eine bebilderte Rechtshandschrift entstanden sein könnte. Bislang können das aber nur Spekulationen sein. Der Oldenburger Codex picturatus fiel 1667 mit dem Tod des Grafen Anthon Günther von Oldenburg an dessen illegitimen Sohn, Graf Anton von Aldenburg447 und von dort an dessen Erben, die Grafen von Bentinck in Varel. Er ist aber nie in Vergessenheit geraten, vor allem Grupen448 und nach ihm Runde449 haben die Handschrift eingesehen und darüber geschrieben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts interessierte sich Goethe für die Handschrift und ließ 30 Bögen von Durchpausen anfertigen, aus denen der befreundete Büsching in seiner Zeitschrift „für Freunde der Geschichte, Kunst und Gelahrtheit des Mittelalters“ einige Abbildung mitteilte, die von Janicke kommentiert wurden.450 1877 erwarb dann Großherzog Nikolaus Fried445
Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 49–51. Fouquet, Wort und Bild, S. 101 und S. 151 f. Vgl. auch besonders Abb. 2, wo die Figurengestaltung frappierende Ähnlichkeit zu den Illustrationen der Großen Willehalm-Bilderhandschrift aufweisen. 447 In dessen Bücherverzeichnis ist die Handschrift ausdrücklich aufgeführt: „Noch ein ander Sachsen Spiegel so Johannes Gloystein ao. 1336 uff Pergamen abgeschrieben; roth in Breter.“ – zit. nach Lübben, Oldenburger Sachsenspiegel, S. II. 448 Celle, OLG, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr. 7 besteht aus einem Folianten mit der Aufschrft „Figurae depictae ex codice picturato Oldenburgico Nri. 1–164“, der Nachzeichnungen aus O enthält. 449 Runde, Phantasien, S. 209–228 („Die Oldenburgischen Handschriften des Sachsen- und Schwabenspiegels“). 450 Büsching/Jarick, Deutsches Recht in Bildern (mit zwei Faltbeilagen). Über Goethe und seine Studien zum Sachsenspiegel gibt es noch keine umfassende Arbeit, aber einige Notizen bei Hübner, Goethe, S. 22–26; Samuel, Rezeption; Schmidt, Goethe-Kreis, S. 5–7; nur einen spärlichen Hinweis auf die Entdeckung der Handschrift gibt Haustein, Goethe, S. 156. Kaum ergiebiger ist der immer wieder zum Thema „Goethe und der Sachsenspiegel“ angemerkte, aber lediglich die mittlerweile ediert vorliegende Korrespondenz anzeigende Beitrag im Goethe-Jahrbuch 1 446
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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rich Peter von Oldenburg († 1900) die Handschrift zusammen mit einem glossierten Sachsenspiegel451 und einer Delmenhorster Schwabenspiegelhandschrift452 für die Großfürstliche Privatbibliothek.453 Kurz darauf hat dann August Lübben eine Edition der Handschrift mit einigen wenigen Reproduktionen einzelner Bilder veröffentlicht.454 Aus der großfürstlichen Privatbibliothek ist die Handschrift erst 1991 an die Niedersächsische Sparkassenstiftung Hannover verkauft worden und wird seitdem als Leihgabe in der Oldenburgischen Landesbibliothek verwahrt.455 Nach dem Erwerb sind einmalig alle vier Bilderhandschriften gemeinsam ausgestellt worden und im Zuge dessen eine Reihe von Publikationen erschienen. So konnte 1995/96 auch die letzte der vier Bilderhandschriften durch ein Vollfaksimile der Wissenschaft dauerhaft zugänglich gemacht werden.456 Die wohl charakteristischsten und am meisten diskutierten graphischen Elemente der Codices picturati bleiben aber die Handgebärden der dargestellten Figuren. Ihre Aufarbeitung verdankt sich der noch immer grundlegenden und nicht überholten Studie Amiras, die dieser als Vorarbeit für seinen rund zwei Jahrzehnte später erschienenen Kommentarband zur Dresdner Bilderhandschrift anfertigte.457 Vor allem Ruth Schmidt-Wiegand selbst, aber auch einige ihrer Schüler, haben sich in einer Reihe von Einzelbeiträgen mit der Gestensprache der Bilderhandschriften auseinandergesetzt, die das Bild zu konturieren helfen und manche Korrektur zu dem ansonsten überraschend stimmigen Bild Amiras hinzufügen müssen.458 So weichen (1880), S. 252–256. Zur Kritik an den oberflächlichen Bilderklärungen Büschings und Jaricks vgl. Batt/Babo, Teutsche Denkmäler, S. XXVI. 451 Rastede, Großfürstliche Privatbibliothek, A. 2 (Oppitz Nr. 1303). 452 Rastede, Großfürstliche Privatbibliothek, A. 3 (Oppitz Nr. 1304). 453 Vgl. dazu Koolman, Friedrich von Alten. 454 Lübben, Sachsenspiegel. 455 Oldenburg, LB, Cim I 410 (Oppitz Nr. 1302) – zur Handschrift vgl. Scheele, Kodikologische Anmerkungen. 456 Schmidt-Wiegand, Oldenburger Bilderhandschrift. Eine kommentierte Bildauswahl gibt Knollmann, Bilder. Vor dem Erscheinen der Faksimile-Ausgabe war die Forschung auf eine Reihe von Diapositiven angewiesen, die kurz nach dem zweiten Weltkrieg angefertigt worden waren; vgl. dazu Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 19 f. 457 Amira, Handgebärden – vgl. dazu die Besprechung von Ulrich Stutz in der ZRG GA 26 (1905), S. 377 f. Stutz wählt im Übrigen ein hübsches Bild, um die Leistung Amiras zu würdigen: „[. . .] man vergegenwärtige sich etwa die Aufgabe, für ein lateinisches Wörterbuch den Artikel: a, ab zu schreiben, und man wird verstehen, was ich meine [. . .]“. 458 Schmidt-Wiegand, Gebärdensprache; dies., Mit Hand und Mund; dies., Sprachgebärden; vgl. aber auch dies., Decretum Gratiani, die sich in diesem Beitrag eher am Rande mit der Handschrift des Decretum und eigentlich auch nur am Rande mit dem Bremer Stadtrecht, wohl aber ausführlich mit den Codices picturati
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
namentlich H und O, ausgerechnet die beiden Bilderhandschriften also, die er nicht in seine Untersuchung mit einschloss, in teils erheblichem Maße von seinen aus der Illustration von D und W erschlossenen Mustern ab.459 Ein dankbares Hilfsmittel, um die Illustrationen untereinander zu vergleichen, ist die von Lieberwirth bearbeitete Bildkonkordanz.460 Charakteristisch für H beispielsweise ist die überproportionale Darstellung der Hände;461 Dreiarm- und Doppelköpfigkeit finden sich zwar auch in den anderen Codices picturati, dort allerdings in weit geringem Maße.462 Auch Lade-Messerschmied konnte bei der Untersuchung der Gebärden in den Illustrationen von W noch manche überzeugende Korrektur an Amira anbringen, die hier aber nicht im Einzelnen besprochen werden soll.463 Amira war es auch, der auf die bemerkenswerten Gemeinsamkeiten zwischen den Codices picturati und einer bruchstückhaft erhaltenen Bilderhandschrift des „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach aufmerksam gemacht hat, deren Fragmente heute in München und Nürnberg verwahrt werden.464 Sie ist seit rund zwanzig Jahren als Vollfaksimile greifbar.465 Wie die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels ist auch dieser Codex durchweg mit einer Bildleiste versehen,466 die auch in Stil und Gestaltung eine Reihe von Gemeinsamkeiten oder doch sehr nahen Ähnlichkeiten nicht leugnen kann. Allerdings ist der Zusammenhang von Bild und Text hier weniger eng als es in den Codices picturati der Fall ist.467 Amiras Ansicht nach sei davon auszugehen, dass diese Handschrift auf eine mit der verlorebeschäftigt. Vgl. ferner Lade-Messerschmied, Gebärdensprache. Kaum beachtet worden ist auch die kleine Miszelle von Reincke, Gelöbnisgebärde. 459 Schmidt-Wiegand, Varianten. 460 Lieberwirth, Synopse. 461 Koschorreck, Sachsenspiegel in Bildern, S. 21. 462 Zum Beispiel bei H fol. 7r (Ssp. Ldr. II 20 §§ 1, 2) – an entsprechender Stelle in W fol. 31r wird keine doppelköpfige Darstellung verwendet. 463 Lade-Messerschmied, Gebärdensprache. 464 Amira, Willehalm, S. 214–240. Amira hat auch die erste Ausgabe mit 20 Faksimile-Tafeln besorgt (München 1921), die noch immer auch gegenüber der neueren Ausgabe manche Vorzüge hat. Zu „Großen Bilderhandschrift“ und der Eigengesetzlichkeit ihres Bildprogramms vgl. auch Manuwald, Große Bilderhandschrift, bes. S. 382 ff. 465 Montag, Willehalm. Zu den illustrierten Willehalm-Handschriften vgl. Schmidt, Handschriftenillustrationen. 466 Zum strukturellen Element des Seitenlayouts in diesen und anderen Bilderhandschriften vgl. Ott, Mise en page. 467 Schmidt-Wiegand, Wolfenbütteler Cimelien, S. 198. Vergleichende Bildstudien zwischen den Codices picturati und anderen spätmittelalterlichen Bilderhandschriften werden auch sonst häufig durchgeführt. Ich nenne nur aus der letzten Zeit noch Keller, Kampf, die Zweikampfszenen aus den Codices picturati mit einem Bildsegment des Ywain-Freskos auf Rodenegg neben einander stellt.
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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Abbildung 1: Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels (nach Karl von Amira)
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
nen Stammhandschrift X gemeinsame, obersächsische Bildtradition des späteren 13. Jahrhunderts zurückgehe. Fraglich bleibt, ob man tatsächlich von einer „Malerschule“ sprechen kann, aus der beide Kunstwerke hervorgegangen sind.468 Die spätere Sachsenspiegelforschung hat sich längere Zeit schwer getan, eine eindeutige Position zu dieser Feststellung zu beziehen.469 Lediglich Norbert H. Ott hat festgestellt, dass die gemeinsame Bildgrammatik den Schluss nahelege, die Willehalm-Fragmente entstammten „der gleichen Werkstatt“, in der „auch der Archetyp jener vier zweispaltigen ‚Sachsenspiegel‘-Codices“ entstanden sei.470 Und auch Germanist Werner Schröder stellt fest: Die „bildlichen Konkretisierungen abstrakter und die Exemplifizierung allgemeiner Rechtssätze“ dürften einem Publikum gebildeter, adeliger Laien „durchaus willkommen“ gewesen sein, auch wenn sie den Text selbst nicht ersetzen konnten.471 Auch Dagmar Hüpper hat das Münchner Willhelam-Fragment, das auch Amira untersucht hatte, einem genauen Vergleich mit den Illustrationen der Wolfenbütteler Bilderhandschrift unterzogen, kommt aber letztlich auch nicht über die Feststellung einer Ähnlichkeit in Bildprogramm und -struktur hinaus.472 Heute neigt der größere Teil der Forschung aus überlieferungskritischen Gründen zu der Annahme, nicht der Illustrator des Sachsenspiegels habe vom Künstler der Willlehalm-Handschrift gelernt, sondern dieser habe sich vielmehr von jenem inspirieren lassen.473 Gesichert ist das keineswegs; die uns überlieferten Codices picturati jedenfalls sind durchweg jünger als der vermutliche Entstehungszeitpunkt der Großen Willehalm-Bilderhandschrift (um 1270/75), so dass als Vorlage nur noch die verlorene Stammhandschrift X oder etwaige Zwischenstufen blieben. Die Frage nach einem möglichen Werkzusammenhang der „Großen Willehalm-Bilderhandschrift“ mit dem Archetypus der Codices picturati des Sachsenspiegels bleibt also trotz einhundert Jahren Forschung weiterhin ungeklärt.474 468
Haselhof, Malerschule. Vgl. bspw. Schmidt-Wiegand, Verhältnis, S. 34; einen guten Überblick gewährt auch Montag, Willehalm, S. 21–24. 470 Ott, Mündlichkeit und Schriftlichkeit, S. 120. 471 Schröder, Text und Bild, S. 267. 472 Hüpper, Willehalm. 473 Hoek, Rechtsboek in Beeld, S. 134 und S. 184 f.; Ott, Rechtsikonographie, S. 119 f. und S. 128; Schmidt-Wiegand, Bilderhandschriften und Wirkungsgeschichte, S. 15–22. 474 Jüngst hat nun Manuwald, Autor als Erzähler?, S. 82 und S. 86 f. wieder die These vertreten, dass der Archetypus der Codices picturati „vermutlich in derselben Werkstatt entstand wie die ‚Große Bilderhandschrift‘ des Willehalm“. Neue Argumente kann sie dabei, soweit ich es sehe, nicht vorweisen, wohl aber feststellen, dass die Ikonographie der Autorenbilder beider Handschriften – wenn denn eine solche Interpretation als Autorenbild sich überhaupt als statthaft erweisen sollte – 469
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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Abseits jener fraglichen sächsisch-thüringischen Malerschule und abseits des gegenseitigen Verhältnisses zwischen Epen- und Rechtshandschrift hat man nur sehr verhalten nach Quellen der Darstellung für die Illustrationen der Codices picturati gesucht. So vermutete bereits Amira, dass folgendes Siegel König Adolfs von Nassau Vorbild für die Darstellung des Königthrons (Ssp. Ldr. III 63 § 1) gewesen sein möge:475
Abbildung 2: Thronsiegel König Adolfs von 1293 (nach Rudolf Kötzschke)
Dagegen hat Kötzschke eingewandt, dass der „Darstellung des Thrones nach solchem Vorbild“ zumindest „nicht entscheidende Bedeutung in der Ursprungsfrage“ beigemessen werden könne, mitunter die Identität, die ohnehin nur in H besonders frappant ausfalle, überhaupt in Frage zu stellen sei.476 Wichtigstes Feld der Untersuchung der Codices picturati bleibt damit die Analyse des Bildprogrammes und seines Verhältnisses zum Text. Das Verdienst, erst Schritte in diese Richtung unternommen zu haben, muss zweifellos dem gerne vergessenen Ulrich Friedrich Kopp zukommen, der bereits durchaus mit dieser These in Einklang zu bringen wäre. Ein Indiz ist diese Übereinstimmung also allemal; über dessen Gewichtung kann man geteilter Meinung sein. Daher möchte ich die Bewertung den zweifellos versierteren Fachkollegen der Kunstgeschichte überlassen. Zu Autorenbildern in Sachsenspiegelhandschriften vgl. Schmidt-Wiegand, Autorenbild. 475 Amira, Genealogie, S. 382; ders., Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 17. 476 Kötzschke, Heimat, S. 8.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
1819 im ersten Band seiner „Bilder und Schriften der Vorzeit“ eine Klassifikation der Illustrationen in drei Gruppen entwickelte:477 1. Darstellungen der Zeitumstände, d.h. realiengeschichtliche Bilder; 2. Darstellungen der Symbole und Riten jener Zeit; 3. Darstellungen, die der Phantasie des Illuminators entsprungen seien. Heute wird man diese Dreiteilung so nicht mehr anwenden wollen. Sie muss aber als der erste Ansatz einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit den Illustrationen des Sachsenspiegels gewürdigt werden. Mehr als anderthalb Jahrhunderte später hat dann Dagmar Hüpper einen Entwurf zu Klassifikation der einzelnen Bildfunktionstypen vorgelegt, der bis heute ohne Widerspruch geblieben ist.478 Sie unterscheidet: 1. Begriffserläuterung, 2. Präzisierung alternativer Rechtsaussagen, 3. Erläuterung von Konsequenzen, 4. Indizierung und 5. Handlungsanweisung. In der Tat lassen sich in dieses bewusst allgemeine Schema alle Bildstreifen einordnen. Allerdings wird man häufig mehrere dieser Funktionsdimensionen in einer einzigen Illustration erblicken. Von den Funktionstypen einzelner Szenen ist es ein kurzer Weg zu der globaleren und immer wieder neu diskutierten Frage zur Funktion der Bebilderung in den Codices picturati des Sachsenpiegels. Das führt uns zunächst zu einer generellen Bewertung des Bildinhalts und der Motivauswahl. Gerald H. Shinn, der in seinen Studien allerdings nur die Handschrift D berücksichtigt, und sich mit den Verhältnissen der Illustration zu „Weltanschauung“ und „Zeitgeist“ auseinandersetzt, hat besonders die heilsgeschichtlich-eschatologischen Dimensionen der Illustration betont.479 Dagegen hat Hoek eingewandt, Shinn „negeert steeds opnieuw de ‚droog‘-juridische essentie van de zaak“.480 Die Kritik ist durchaus berechtigt; allerdings fällt Hoek zugleich ins genaue Gegenteil und erliegt nicht 477
Kopp, Bilder und Schriften, Bd. 1, S. 49. Hüpper, Funktionstypen; am Beispiel von W auch dies., Bildersprache, sowie an unterschiedlichen Beispielen auch Schmidt-Wiegand, Praktische Bedeutung, S. 208–210. 479 Shinn, Text and illuminations; ders., Eschatological function. Der Aufsatz bietet eine bündige Zusammenfassung von Shinns Thesen; dennoch lohnt es, die in Deutschland nur selten greifbare Dissertation zu beschaffen, die ein breites Spektrum theologischer Referenzen zur eigenen Beurteilung durch den Leser auffächert. 480 Hoek, Rechtsboek, S. 7. 478
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minder der heute für das mittelalterliche Verständnis als inadäquat erkannten Dichotomie zwischen Recht und Religion. Sehr klar hat das Ulrich Drescher gesehen, der in seiner Münsteraner Dissertation den Begriff der „geistlichen Denkformen“ geprägt hat, um auf die Verarbeitung eines gewissen Bodensatzes christlicher Wissensinhalte und Traditionen zu verweisen, der ganz unterschiedliche Ausprägungen annehmen kann.481 Drescher hat das in seiner Dissertation vor allem anhand der Dresdner und der Wolfenbütteler Bilderhandschrift untersucht, später dann auch die Oldenburger Handschrift noch einmal in den Blick genommen. Am Beispiel der Landfriedensbestimmungen aus Ssp. Ldr. II 66 zeigt er sehr detailiert auf, welche Referenzen die Illustration, sich auf den Text Eikes stützend, zu allfällig bekannten christlichen Wissensinhalten zieht, um abstrakte Normen, z. B. die Befriedung des Donnerstages, zu verdeutlichen.482 Nach diesem eher allgemeinen Eindruck von der Art der Illustration kann fortgeschritten werden zur Frage nach deren konkreter Funktion.483 Darüber scheiden sich schon seit langem die Geister. Die nur mäßige Qualität des Pergaments, die starken Gebrauchsspuren und die teils nachlässige Kolorierung sprechen jedenfalls gegen den Repräsentativcharakter von reinen Prachthandschriften.484 Auch die früher vereinzelt geäußerte Annahme, die Bildstreifen hätten, ähnlich den Illustrationen der Biblia pauperum, Leseunkundigen zum Verständnis des Rechtstextes gedient,485 wird heute nicht mehr vertreten. Schon Amira stellte zu Recht fest, die meisten Bildstreifen seien „ohne Kunde des Textes zu keiner Zeit verständlich gewesen“ und es werde auch kein Bestreben sichtbar, den Text „auch nur mit annähernder Vollständigkeit zu verbildlichen“.486 Überhaupt stellt man heute diese Funktion auch für die Bilderbibeln in Frage.487 Man wird sich aber auch kaum mehr mit Amiras Annahme zufrieden geben, die Bilder der Codices picturati seien zur „Befriedigung des Anschauungstriebes“ beigefügt worden.488 481 Drescher, Geistliche Denkformen, S. 56–68. Hinter diesem Begriff steht die Tradition der Bedeutungsforschung, wie sie vor allem Friedrich Ohly betrieben hat. Zum Begriff der „Denkformen“ vgl. ders., Kaiserchronik, S. 26–29. Diesem Konzept hat sich auch der Münsteraner Tagungsband Grubmüller et al., Geistliche Denkformen, verpflichtet. 482 Drescher, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 27–34. 483 Grundlegend Schmidt-Wiegand, Text und Bild; dies., Praktische Bedeutung. 484 Ott, Weltchronik-Ikonographie. Auch Milde, Kodikologische Einführung (Wolfenbüttel), bes. S. 28–31 spricht von einer Zwischenstellung zwischen Gebrauchsund Prachthandschrift. 485 Lamprecht, Bildercyklen, S. 408. 486 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 20 f. 487 Ott,Text und Bild, bes. S. 65–74. 488 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 1, Einleitung, S. 21; Puntschart, Amira, S. 59; Lübben, Oldenburger Sachsenspiegel. S. X–XVI.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Koschorreck hat dagegen die These aufgebracht, die Bilder seien als mnemotechnische Hilfsmittel konzipiert, die das Gelesene schneller zu memorien und gegebenenfalls auch schneller wiederzufinden helfen sollten.489 Diese Deutung mag als eine Dimension der Funktionalität durchaus denkbar sein, löst man sie von der bei Koschorreck damit verbundenen, allzu strikten Vorstellung von einem Literatus, der als Vorleser ein illiterates Publikum mit Hilfe der Bilder belehrt. Eine andere Dimension führt SchmidtWiegand an: Sie hebt auf die Konkretisierung der abstrakten Rechtsfälle durch die Illustrationen ab. Im Grunde wird also der Prozess der Verschriftlichung, von der konkreten Kasuistik des tradierten Rechts zur vom Einzelfall abgelösten, der Details entkleideten Regelung der Schriftform, wieder einen Schritt zurückgenommen. Der Text bietet die abstrakte Norm, die Bilder bieten die Anschauungen. So werde also den nutzenden Schöffen und Richtern, die sich Schmidt-Wiegand als Adressaten der Bildercodices denkt, „indessen den Text verständlicher“ und seien die Illustrationen „insofern der jüngeren Glosse zum Sachsenspiegel durchaus zu vergleichen“.490 Diesen Gedanken hat dann Timothy Sodmann konsequent weitergeführt und die These entwickelt, die Bilder hätten für die Zeitgenossen ähnliche Funktionen wie die späteren Glossen erfüllt, seien daher auch durch die zweckmäßigere Form der Glossierung bald wieder verdrängt worden.491 Bemerkenswert in dieser Hinsicht ist, dass der heute gängige Gedanke, die Bilder erläuterten und konkretisierten den Text, ohne ihn aber ersetzen zu wollen, bereits deutlich älter ist als es die seit den späteren 1980er Jahren geführte Diskussion zunächst glauben lässt. Denn bereits Grupen hatte in dieser Richtung gedacht und Dreyer führte über die Bilderhandschriften aus: „Uebrigens dürfte auch der Nutzen solcher Figuren, welche das Gepräge des Alterthums haben, und die Sitten und Rechts-Gewohnheiten in einer anschauenden Kenntniß darstellen, außer Widerspruch seyn. In der That, so hat Grupen in seinen teutschen und sächsischen Altertümern, wie auch in uxore theotisca manche dunkle Stelle des Textes aus denselben erläutert, und über die symbolische Rechtsgelehrsamkeit der Teutschen ins Licht verbreitet.“492 489
Koschorreck, Sachsenspiegel in Bildern, S. 13. Schmidt-Wiegand, Text und Bild, S. 30 f. – vgl. zu diesen Überlegungen auch Ott, Rechtsikonographie, der besonders die Tradition solcher (volkssprachlichen) Bilderhandschriften herausarbeitet. Auch Caviness, Putting the Judge, argumentiert in diese Richtung, wenn sie ausführt: „The thirteenth century, when Eike worked, has been called the age of the law book because so many collections were being written down. Yet well into the fourteenth century, in France as well as in Germany, there were no detailed written records of actual casus; such actual events were still part of local memory, whereas the abstract code had the dubious statuts of being textualized.“ (S. 316). 491 Sodmann, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 277. 490
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Vor allem seine Bemerkung über die „symbolische Rechtsgelehrsamkeit“ des Mittelalters, die Dreyer leider, soweit ich es sehe, an keiner Stelle näher konkretisiert oder weiterverfolgt hat, scheint mir bereits viel von der heutigen Diskussion vorweg zunehmen. Sämtliche oben formulierten Überlegungen zur Funktion der Sachsenspiegel-Ikonographie jedenfalls haben im Einzelnen viel für sich. Goydke hat aber zu Recht bezweifelt, „ob sich die Frage nach der Funktion der Bilder überhaupt allgemein für alle Sachsenspiegel-Illustrationen beantworten läßt“.493 Im Grunde kann man als gesichert nur ansehen, was bereits Amira vor fast hundert Jahren feststellte, dass nämlich die Illustration „ergänzt, kommentiert und präzisiert“.494 Einen ganz neuartigen Ansatz zur Fruchtbarmachung der Codices picturati hat noch kurz vor seinem Tod 2008 der Germanist Charles G. Nelson vorgelegt, der das triangulare Modell Madeline Caviness’ mit Sprechakttheorien (Searle, Austin) verknüpft.495 Abseits der berühmten Bilderhandschriften haben nur die Illustrationen der prächtigen, teililluminierten Görlitzer Ratshandschriften496 und die Braunschweiger Stadtrechtshandschrift497 noch einige Beachtung erfahren. Die ansonsten in den Handschriften des Sachsenspiegels verstreuten, einzelnen Miniaturen und Illuminationen haben bis vor kurzem kaum Beachtung erfahren.498 Ähnliches gilt auch für die Illuminationen anderer deutscher Rechtshandschriften, obwohl mit den Arbeiten von Köbler,499 Kocher500 492
Dreyer/Grupen, Beyträge, S. 162. Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 48. 494 Amira, Dresdener Bilderhandschrift, Bd. 2, 2, S. 346 f. 495 Nelson, Innocents abroad. 496 Jecht, Görlitzer Handschriften. Das Handexemplar des Verfassers ist übrigens, wie der größte Teil der Jechtschen Gelehrtenbibliothek, in die Bestände der Universitäts- respektive der Bereichsbibliothek am Historischen Institut der Ruhr-Universität Bochum übergegangen. Die ansonsten ausgesprochen häufig zu findenden Korrekturen, Ergänzungen und Hinweise auf spätere Literatur, die Jecht offenbar fortlaufend in den Werken seiner Bibliothek nachtrug, finden sich nur im ersten Teil des Heftes, nicht aber in der Abhandlung über die Sachsenspiegelhandschriften. Zu den Görlitzer Handschriften (z. T. heute in Berlin, StBPK) vgl. auch Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 106–113. 497 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. A. d. Extravagantes (Oppitz Nr. 1601) – vgl. Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 129–131. Diese Handschrift ist auch als Parallelhandschrift in der Glossenausgabe von Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, herangezogen wurde. Sie hat wohl vor allem deshalb noch einige Beachtung auf sich ziehen können, weil in ihr der erste Beleg des Braunschweiger Stadtwappens zu finden ist. 498 Vgl. dazu jetzt den Überblick bei Kümper, Bilder und Miniaturen. 499 Köbler, Bilder, bes. S. 125–129. 493
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und anderen natürlich die rechtliche Bildkunde des Mittelalters an sich ein ausgesprochen vitaler Forschungszweig ist,501 der die Tradition der rechtshistorischen Bildkunde, wie sie vor allen anderen Hans Fehr begründet hat,502 in den letzten Jahren sehr vorangetrieben hat. Für die illustrierten Schwabenspiegelhandschriften hat Derschka einen verlässlichen Katalog mit zahlreichen Abbildungen und der vollständigen Wiedergabe der Brüsseler Bilderhandschrift,503 der einzigen durchweg bebilderten Schwabenspiegelhandschrift überhaupt, vorgelegt.504 Doch gehört dieser kleine Exkurs nicht in die Textgeschichte des Sachsenspiegels. Wir fahren also fort mit:
4. Sachregister- und systematische Handschriften (IIc und IId) Die Sachregister- und die systematischen Handschriften der Ordnungen IIc und IId haben zu Unrecht bisher wenig Beachtung seitens der Forschung erfahren, weshalb auch bislang kaum etwas Näheres über sie zu sagen ist. Dabei zeugen gerade diese Texte vom praktischen Gebrauch des Sachsenspiegels und den offenbar aus Gebrauchsschwierigkeiten erwachsenen Ansätzen, sich seine Inhalte greifbar zu machen. Eine Edition dieser in nur wenigen verwandten Handschriften überlieferten, verhältnismäßig homogenen Gruppe von Texten könnte manchen Aufschluss über zeitgenössische Herangehensweisen an den Sachsenspiegel erbringen. Bemerkenswert ist dabei Oppitz’ wohl von Eckhardt übernommenes Verdikt, die systematischen Handschriften hätten eine Einteilung unter Sachrubriken vorgenommen, „ohne daß eine wirkliche systematische Anordnung angestrebt, geschweige denn erreicht“ worden sei.505 Sollte dem so sein, drängt sich die Frage geradehin auf, warum eine solche Bearbeitung dann hätte durchgeführt werden sollen. Eine flüchtige Durchsicht einer ursprünglich Hildesheimer, heute in Halle verwahrten Handschrift scheint mir Zweifel an solch hartem Urteil jedenfalls zu rechtfertigen.506 500 Aus seinen zahlreichen Beiträgen, die oft auch die Rechtsbücher mit einschließen, nenne ich nur Kocher, Sachsenspiegel, Institutionen, Digesten, Codex. 501 Siehe oben, S. 142, Anm. 387. 502 Lauf, Bildersammlung. 503 Brüssel, Bibliothèque Royale de Belgique, Ms. 14689–91 (Oppitz Nr. 324) – vgl. Gaspar/Lyna, Principaux manuscrits, S. 81–85; Abdruck bei Derschka, Schwabenspiegel, S. 309–386 (Abb. 1–69). 504 Derschka, Schwabenspiegel, S. 387–430; einzelnes auch bei Rockinger, Berichte XVI, S. 53–56 und Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 122 f., S. 132 f. und S. 139 f. 505 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 25. 506 Halle, ULB, Stolb.-Wern. Zb 2o 37, fol. 1r–36r (Oppitz Nr. 660) – zu dieser Handschrift vgl. auch Herricht, Handschriftenabteilung, S. 30.
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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Den Codices picturati stehen die Sachregisterhandschriften (IIc) noch sehr nahe, während die systematischen (IId) zwar deren Drei-Bücher-Einteilung übernehmen, dann aber die einzelnen Artikel nach Sachgesichtspunkten umzugruppieren suchen. Während man die Entstehung der ersten mit einiger Sicherheit im Herzogtum Lüneburg annehmen kann, wird als Heimat der systematischen Handschriften das Bistum Hildesheim vermutet; mit Sicherheit jedoch „kann nur festgestellt werden, daß er [scil. der systematische Sachsenspiegel] ausschließlich im niederdeutschen Sprachgebiet benutzt worden ist“.507 Die Ordnung IId scheint dabei – in der Überlieferung ein eher seltener Fall – unmittelbar aus IIc zu entstehen. Umso interessanter schiene mir eine genauere Untersuchung dieser beiden Ordnungen. Vom Erschließungsbedürfnis der Sachregister- und systematischen Handschriften der Textklassen IIc und IId ist es ein kleiner Schritt zu supplementären Arbeiten, die den Sachsenspiegel erschließen helfen, ohne in den Grundtext selbst einzugreifen.508 5. Glossenvorlage (IIe) Wohl um 1300 herum entstand in der Mark Brandenburg die Textordnung, die Johann von Buch zur Vorlage für seine Glossierung wurde.509 Eine wichtige Stellung für diese Ordnung nimmt eine Soester Handschrift der vierten deutschen Fassung (IIa) aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts ein, die möglicherweise die Vorlage der Mutterhandschrift aller Zeugen dieser Handschriftenordnung gewesen ist.510 Charakteristisch für die Handschriften dieser Ordnung ist das Fehlen der Reimvorrede und des Artikels Ldr. I 36. Dagegen findet sich in dieser Form erstmalig Artikel I 26, jedoch noch nicht an vulgater Stelle, sondern unmittelbar hinter Artikel Ldr. I 32. Johann von Buch freilich zog nicht nur eine Handschrift der Ordnung IIe, sondern auch einen Textzeugen der ältesten Fassung (Ia) heran. Dazu wird im folgenden Kapitel noch einiges zu sagen sein. 6. Die lateinischen versiones (III) sowie die lateinisch-polnischen Drucke Auf der Grundlage der vierten deutschen Fassung, jener einflussreichen Verkehrsfassung IIa also, fertigte der deutsche Notar Magister Konrad von Oppeln im Auftrag des Breslauer Bischofs Thomas II. (1272–1292) bereits 507 508 509 510
Nowak, Verbreitung, S. 40. Siehe unten, S. 180 ff. Zur Glosse vgl. S. 165 ff. Soest, StdA, Cod. 25/3 (Oppitz Nr. 1358).
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
im ausgehenden 13. Jahrhundert eine Übersetzung des Sachsenspiegels in das Lateinische, die nach ihrem Entstehungsort so genannte „Versio Vratislaviensis“ an. Die Vorlage dazu hatte sein Auftraggeber möglicherweise direkt von den Magdeburger Schöffen erbeten.511 Dass Übersetzungen aus der Volkssprache ins Lateinische im 12. bis 14. Jahrhundert keineswegs so unüblich waren, wie lange Zeit angenommen wurde, hat Konrad Kunze mit seinem umfassenden Katalog solcher Übersetzungen eingehend dargelegt.512 Gerade für das osteuropäische Verbreitungsgebiet der lateinischen Versiones des Sachsenspiegels wird das plausibel, wenn man den hohen transregionalen Kommunikationswert der lateinischen Sprache bedenkt. Die Sprachbarrieren verstärken sich im Verlaufe des ausgehenden Mittelalters und vor allem der frühen Neuzeit noch, wodurch ja ebenso die aus Polen stammenden lateinischen und später dann auch polnischen Drucke des sächsischen Landrechts erklärlich werden. In der Tat entstammen alle dreizehn bekannten Handschriften der Versio Vratislaviensis aus den schlesischen Herzogtümern und den daran angrenzenden Teilen des polnischen Königsreiches. Friedrich Ebel und Renate Schilling haben darüber hinaus feststellen können, dass auch das von beiden edierte lateinische lübische Recht „offenbar mit der lateinischen versio Vratislaviensis des Sachsenspiegels zusammenhängt“,513 was vor allem über eine bereits in der älteren Literatur mehrfach erwähnte Krakauer Handschrift deutlich wird.514 Die lateinischen Sachsenspiegeltexte – wie übrigens auch die des Schwabenspiegels, von denen später noch zu sprechen sein wird – haben in der Forschung nur sehr wenig Beachtung gefunden. Große Verdienste um ihre Erforschung hat sich aber der polnische Historiker Zygfryd Rymaszewski erworben, der 1975 eine umfassende, aber leider nur in polnischer Sprache erschienene Studie zur Textkritik der lateinischen Sachsenspiegel vorgelegt hat.515 Um die Mitte des 14. Jahrhunderts, spätestens aber 1359,516 fertigte der Sandomirner Notar Konrad im Auftrag eines nicht näher zu identifizieren511 Nowak, Verbreitung, S. 49; wahrscheinlich handelt es sich um eine Handschrift, die mit Oppitz Nr. 261 (Breslau) oder Nr. 845 (Krakau) verwandt gewesen ist. Textproben bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 59 f. Zu Konrad von Oppeln vgl. auch Piirainen, Conrad von Oppeln. 512 Kunze, Adaptionen, zu den „versiones“ des Sachsenspiegels bes. S. 60–64. 513 Textabdruck bei Ebel/Schelling, Lateinisches lübisches Recht, S. 93. 514 Bischoff, Rechtscodex, S. 269–297 – dort auch die ältere Literatur (Homeyer, Gaupp etc.). 515 Rymaszewski, Łacin ´ skie teksty Landrechtu; vgl. dazu auch die Rezension von Menzel in der ZRG GA 93 (1976), S. 382 f. 516 Gnesen, Archidiözesan-Bibliothek, Ms. 104 (Oppitz Nr. 573), fol. 121r: „Hec autem peracta sunt sub anno incarnationis domini milesimo quinquagesimo non sabbato in vigilia benedicte trinitatis ac in festo sancti viti gloriosi martiris. Scriptum per manus Nicolai de Thesyn.“
VI. Die handschriftliche Überlieferung
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den „vir famosus Nycolai“ eine zweite lateinische Übersetzung des Landrechts, die so genannte Versio Sandormiensis, an.517 Ihre Syntax lehnt sich enger als die anderen beiden Übersetzungen an die deutsche Vorlage, wohl eine schlesische Handschrift der Ordnung IIa, an.518 Konrads Versio hat wenig später eine Bearbeitung durch einen unbekannten Redaktor erfahren,519 in der das Magdeburger mit dem Kulmer Recht verglichen wird. Sie ist im Vergleich zur ersten Fassung, die nur in zwei Handschriften auf uns gekommen ist,520 deutlich häufiger überliefert.521 Die dritte lateinische Übersetzung des Sachsenspiegels, die so genannte Versio vulgata, umfasst nur den Landrechtstext. Sie ist wohl ungefähr zeitgleich oder wenig früher als die Buchsche Glosse in der Mark Brandenburg entstanden und beruht auf einer Handschrift der Ordnung IIe, die eng verwandt mit der uns noch heute in der Berliner Staatsbibliothek erhaltenen Havelberger Handschrift gewesen sein dürfte.522 Oft ist sie zusammen mit dem niederdeutschen Vorlagentext überliefert.523 Innerhalb der Gruppe der Textzeugen lassen sich eine Reihe von Unterschieden ausmachen. So ist der zusätzliche, gereimte Prolog „Sancti spiritus gratia“ nicht in allen Handschriften enthalten.524 Einschneidender ist dagegen das Fehlen der Artikelgruppe Ldr. I 7 bis Ldr. I 14 in einer Reihe von Handschriften,525 das durch zwei voneinander unabhängige Neuübersetzungen ausgeglichen worden ist. Die erste ergänzt auch die Artikel Ldr. I36 und III 74, versetzt außerdem Ldr. I 26 und Ldr. III 51 an ihren vulgaten Platz.526 Die andere ergänzt lediglich das Fehlende.527 Dabei ist bei einer ebenfalls ursprünglich Havelberger Handschrift mit dem Ausfall der Artikel Ldr. I 19 bis Ldr. I 58 ein neuer Fehler unterlaufen,528 der wiederum zu ergänzenden Neuübersetzun517 Rymaszewski, Łacin ´ skie teksty Landrechtu, S. 69–142; Textproben bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 59 f. 518 Nowak, Verbreitung, S. 49. 519 Sandomir wird dabei weiter als Verfasser geführt, zum Beispiel in Leipzig, UB, Hs. 951b, fol. 1r: „Hic incipit ius municipale de theutonico translatum in latinum per Conradum notarium Sandormiriensem [. . .]“. Dieser Handschrift fehlt im Übrigen die Drei-Bücher-Einteilung. 520 Oppitz Nr. 573 und Nr. 837. 521 Man kann hier zwei Überlieferungsstränge ausmachen: Verwandt sind Oppitz Nr. und 836 und Nr. 1481 zum einen sowie Oppitz Nrn. 268, 835, 890, 1296 und 1459 zum anderen. 522 Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 390 (Oppitz Nr. 1179). Textproben der Versio vulgata bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 59 f. 523 Nowak, Verbreitung, S. 50. 524 Zu finden ist er in Oppitz Nrn. 120, 133, 612, 861, 938, 991 und 1576. 525 Oppitz Nrn. 119, 339, 668, 734, 735, 888, 1590 und 1618. 526 Oppitz Nrn. 212, 245, 259, 612, 889, 1327, 1576 und 1585. 527 Oppitz Nrn. 120, 133, 861, 938.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
gen führte.529 Eine Besonderheit in der Gruppe der Versiones vulgatae stellt eine Northeimer Handschrift aus dem 15. Jahrhundert dar, der die Drei-Bücher-Einteilung abgeht.530 Alle drei Übersetzungen des Sachsenspiegels weisen keine unmittelbaren verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander auf. Eine Verquickung mehrerer Texte geschieht erst mit dem 1506 vom Gnesener Erzbischof und königliche Kanzler Jan Łaski im Auftrag König Alexanders in Krakau besorgten Druckausgabe („Commune inclyti Polonie Regnis privilegium constitutionum et indultuum publicitus decretorum“), der wahrscheinlich die Versio Vratislaviensis und beide Redaktionen der Sandormischen Übersetzung zu Grunde liegen.531 Aus diesem Druck fertigte um die Mitte des 16. Jahrhunderts Bartolomäus Groicki († 1605) seine erfolgreiche polnische Übersetzung („Artikuly Práwá Máydeburskiego ktore zowa Speculum Saxonum“, erstmals: Krakau 1560), die noch innerhalb der folgenden zwei Jahrzehnte zweimal (1565, 1573) und dann noch einmal 1616 und 1629 nachgedruckt wurde.532 Łaskis Ausgabe hat dagegen keinen Neudruck erfahren; wohl vor allem, weil bereits wenige Jahrzehnte später Nikolaus Jaskier seine „Iuris provincialis quod Speculum Saxonum vulgo nuncupatur libri tres“ (Krakau 1535) vorlegte. Die Redaktion dieses Druckes hat Rymaszewski kleinschrittig nachzeichnen können.533 Offenbar schuf Jaskier durch umfangreiche Bearbeitung der Versio vulgata, die ihm im Leipziger Druck von 1528 vorlag, eine von der Vorlage so weit abweichende Neukompilation, dass man in der Tat berechtigt sein wird, von einer „Versio Vulgata in der Redaktion von Jaskier“ zu sprechen.534 Gelegentlich hat der Redaktor dafür wohl auch auf handschriftliche Überlieferung und den Baseler Primärdruck von 1474 zurückgegriffen. 528
Berlin, StBPK, Ms. Germ. fol. 391 (Oppitz Nrn. 120), fol. 127r–153r. Das dritte Buch bricht in dieser Handschrift mit Ssp. Ldr. III 51 ab. Die Handschrift beinhaltet fol. 63r–105r auch die deutsche Fassung des Landrechts und einige Glosseauszüge (fol. 45v–62v). Der dazugehörige Glossentext findet sich aber in der Handschrift Berlin, StBPK, Ms. Germ. qu. 453 (Oppitz Nr. 202). 529 Oppitz Nrn. 133, 861 und 938. 530 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 208 Helmst. (Oppitz Nr. 1590), fol. 50r–67v. Das ist auch der Fall für die auf S. 163, Anm. 519 genannte Leipziger Handschrift der Versio Sandormiensis. 531 Rymaszewski, Łacin ´ skie teksty Landrechtu, S. 154–164; zu Łaski Ausgabe insgesamt vgl. ebd. S. 142–209. Nowak, Entstehung, S. 49 f. hatte noch angenommen, dass lediglich die Versio Sandormiensis zugrunde liege. 532 Nach der letzten Ausgabe ediert von Sawickiego, Artykuly prawa majdeburskiego. 533 Rymaszewski, Jaskier. 534 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 27.
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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7. Die Glossenhandschriften (IVa bis IVc) Die Glossenhandschriften unterscheidet Eckhardt in drei Ordnungen: Die Kurzhandschriften (IVa), Epiloghandschriften (IVb) und die Vulgata (IVc). Wichtig für die Textgeschichte sind vor allem Epiloghandschriften, dennen, teils am Ende des Landrechts, teils bereits hinter Ldr. III 82 § 1, ein kurzer, gereimter Epilog beigefügt ist: „Wi sint des lantrechtes to ende komen, Dat hebbe gi alle wal vernomen, Daran so denket helede got, Nement et vast in iuwen moet Unde danket alle gemene Dem von valkenstene Ok heren Eyken dar mede. Want he dorch sine bede dede Dat het an dudesch kerde Unde alle lude lerde, Wu se rechte moten leven. Got mote en beiden sin rike geven Unde al den genen mit sament in, De dar to keren eren sin, Dat se recht hebben lef, De sal men scriven an den bref, Dar al seligen sin ingescreven, To senden in dat ewige leven Vil vroliken sunder sunde Mit rechter orkunde. Des helpe uns got alsamen, We rechte mynne de segge amen.“535
Dieser Epilog findet sich auch im Baseler Primärdruck von 1474 und den aus ihm abgeleiteten sieben Drucken des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Die Epiloghandschriften tragen die in den älteren Glossenhandschriften fehlenden Artikel in der Regel nach, halten aber Ssp. Ldr. I 26, Ldr. I 61 §§ 2–4, Ldr. I 65 § 2, Ldr. II 32 und Ldr. II 33 noch an ihren alten, nicht bereits den vulgaten Positionen.
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts Die Land- und Lehnrechtsglossen und die sich daran anschließenden Rechtsgangbücher, die so genannten Richtsteige, verdienen ihrer Bedeutung wegen ein eigenes Kapitel, das sich etwas eingehender mit ihnen beschäf535
Zit. nach Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 379.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
tigt. Im Folgenden werde ich mich aber im Wesentlichen auf die Bearbeitungen des Landrechts beschränken. Die erste und wichtigste der Glossierungen ist ohne Frage die Landrechtsglosse des markgräflich-brandenburgischen „capitaneus“ Johann von Buch,536 die wohl um 1325, jedenfalls vor dem Richtsteig Landrechts (wahrscheinlich vor 1333/34), der von der Glosse bereits angekündigt wird, entstanden ist. Nur Pötschke, dem in dieser Hinsicht bislang aber niemand gefolgt ist, hat wiederholt für eine Vordatierung auf den Beginn des 14. Jahrhunderts plädiert.537 Die älteste datierbare Handschrift, die in der MGH-Edition als Paralleltext fortlaufend abgedruckt ist, entstand zwischen 1365 und 1367.538 Johann (genauer müsste man sagen: Johann der Jüngere) ist der Sproß einer ritterbürtigen Familie,539 die aus dem Örtchen gleichen Namens nahe Tangermünde in der Altmark stammte und wohl bereits seit einigen Generationen im Dienst der Askanier stand.540 Sein Geburtsjahr ist nur zu erschließen und wird um 1290 anzusiedeln sein. Die Frage der Immatrikulation Buchs in Bologna ist lange Zeit und unlängst auch noch von mir zwar nicht grundsätzlich in Frage gestellt, aber doch als nicht sicher bewertet worden.541 Zwar nennen die Bologneser Matrikel für das Jahr 1305 unter den „Recepta domini Theoderici“ einen „Iohannes de Buch“;542 zeitgleich aber ist noch ein Havelberger Domprobst des Namens Johann von Buch belegt, der ausweislich seiner Grabplatte am 3. Oktober 1323 verstarb und also ebenfalls als der Immatrikulierte in Betracht käme. Dagegen hat nun jüngst Kannnowski überzeugend argumentiert, der Bologneser Student könne nur der Glossator gewesen sein, denn unmittelbar in der vorhergehenden Zeile des Immatrikulationsverzeichnisses wird ein „Iohannes de 536
Kümper, Johann von Buch, mit der einschlägigen Literatur bis 2005; seitdem sind noch eine Reihe von Beiträgen von Bernd Kannowski erschienen, die im Folgenden Erwähnung finden werden. Die urkundliche Überlieferung zur Biographie Johanns hat nun erstmals wieder ausführlich Lück, Johann von Buch, besprochen. 537 Pötschke, Glossen. 538 Wolfenbüttel, HAB, Cod, Guelf. A. d. Extravagentes (Oppitz Nr. 1601) – vgl. auch oben, S. 159, Anm. 497. 539 Ausführlich dazu Schmidt, Geschlecht von Buch. 540 Vgl. Schwineköper, Buch, sowie ausführlich Felke, Chronik; ders., Anhang [mit ergänzendem Material aus dem Preußischen Staatsarchiv, Berlin]. Den Stammsitz der Familie, der heute nicht mehr erhalten ist, beschreibt ausführlich Schmidt, Geschlecht von Buch, Bd. 1, S. 38 f. Jüngst hat dann Frau Ruth Richter-Rönnburg (Buch) eine reich bebilderte Dokumentation von Geschichte und Geschichten der Ortschaft zusammengestellt, die sie mir freundlicherweise im Manuskript zukommen ließ. 541 Kümper, Johann von Buch, Sp. 371. Diese Auffassungen vertraten auch Knod, Studenten, S. 72 (Nr. 504) und Schmutz, Juristen, Bd. 2, S. 558 (Nr. 1889). 542 Friedländer/Malagola, Acta, S. 58: „Item Iohannes de Buch XVI solidos.“
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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Kircoywe“,543 Johann von Kerkowe also, genannt, der auch in späteren Jahren eindeutig gemeinsam mit diesem belegt ist.544 Schon Klöden konnte Verbindungen beider Familien nachweisen, die wohl schon vor Johanns Geburt bestanden.545 1319 jedenfalls treffen wir Johann wieder in der Mark an, wo er die Interessen der Markgrafenwitwe Agnes wahrnahm.546 Wahrscheinlich ist er schon eine ungewisse Zeit zuvor zurück in die Heimat gekehrt und in markgräfliche Dienste getreten. Von nun an begegnet uns Johann von Buch in einer Reihe von Urkunden, in denen er als „consiliarius“, „secretarius“ oder „iudex generalis curiae“ genannt wird. Nachdem er 1333 in die Dienste des Markgrafen Ludwig († 1351) getreten war, wurde er 1336 von dessen kaiserlichem Vater zum „capitaneus generalis“ der Mark Brandenburg, und damit zur Spitze des markgräflichen Herrschaftsapparates erhoben. Man wird vermuten dürfen, dass damit auch die Standeserhöhung zum „nobilis vir“ und „dominus in Garzedow“ (d.i. Garsedow in der Nähe von Wittenberge in Brandenburg) zusammenhängt, als der er später in den Urkunden auftaucht.547 Nach 1340 aber wird Johann nicht mehr in höheren Funktionen erwähnt, woraus geschlossen worden ist, dass es zu einer Entzweiung zwischen ihm und seinem Dienstherrn gekommen sein mag. Über Johann von Buch und seine Glosse ist vor allem in jüngster Zeit wieder viel gearbeitet worden. Hier hat sich besonders Bernd Kannowski als profunder Kenner der Materie profiliert, dessen Frankfurter Habilitationsschrift im Großen und Ganzen als derzeitiger Stand der Dinge betrachtet werden kann.548 Johann von Buch als den ersten der Glossatoren identifiziert zu haben, bleibt das Verdienst Grupens,549 dem wir auch die ersten, grundlegenden Informationen über die Biographie des Glossators verdanken. Noch Burgermeister nannte 1711 die „älteren Glossatoree“ sämtlich „vornehme StandsPersohnen u. sonst von Adel/als Burckart Bischoff von Magdenburg/Grav Heinrich oder vilmehr Hoyens von Falckenstein/Burckard von Mangelfeld/ Vollrath von Dunleben/Conrad von Rußlau/Niclaß von Back/Heinrich von Bertesleben/Dietericus von Leumwenden/Gercke von Kertaw, (welcher su543 Friedländer/Malgola, Acta, S. 21; verzeichnet bei Knod, Studenten, S. 72 (Nr. 504); Schmutz, Juristen, Bd. 2, S. 558 (Nr. 1889). 544 Kannowski, Umgestaltung, S. 73 ff. 545 Klöden, Verfasser, S. 243–245. 546 Das Folgende nach Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. XXIV–XXVIII. 547 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. XXVII. 548 Kannowski, Umgestaltung. Herr Prof. Dr. Kannnowski (Freiburg i. Br.) war so großzügig, mir sein Manuskript vor Drucklegung noch zur Verfügung zu stellen – dafür bin ich sehr dankbar. 549 Grupen, Holländischer Sachsenspiegel, Vorrede.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
cundam Glossam deß Weichsbilds/deß Burckadts von Mangelfeld gesetzten Richtsteig vollwortet/id est vollbracht haben solle etc.) hernach Tamno [!] von Buxdorff.“550 Die Aufzählung, in der Johann von Buch selbst noch fehlt, mutet seltsam an: Neben im Umfeld der Rechtsbücher Bekannten wie Burkhard von Mangelfeld, Gerke von Kerkowe, Tammo von Bocksdorf und sogar Hoyer von Falkenstein, nennt Burgermeister eine Reihe von Persönlichkeiten, die nur mit einiger Mühe überhaupt nachweisbar werden und für die die Gründe, warum sie als Glossatoren angenommen werden sollten, sich nicht mehr ohne weiteres nachvollziehen lassen. Grupen war es auch, der erste Ansätze für eine kritische Ausgabe der Landrechtsglosse unternahm.551 Sein Großprojekt eines „Corpus iuris Saxonici“ kam aber nie zum Abschluss.552 Ähnlich war es um die nicht weniger hochfliegenden Pläne Nietzsches bestellt,553 der in den 1830er Jahren mit der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde in Verhandlungen wegen einer Edition der deutschen Rechtsbücher getreten war, die auch die Glosse mit einschließen sollte.554 Über seine Berufung nach Leipzig 1831 blieb das Projekt wohl eine zeitlang liegen und wurde dann durch seinen frühen Tod 1834 gänzlich vereitelt. Einige einschlägige Zitate aus der Glosse fügte Homeyer seiner Ausgabe bei. Eine vollständige Edition hat er meines Wissens nicht geplant, zumal er mit seiner Verärgerung über das „unersprießlichen Streben“ der Glosse, „den Sachsenspiegel durch römisches und kanonisches Recht zu erläutern“ nicht hinter dem Berg hielt.555 So aber blieb man weiterhin auf die alten Drucke bzw. den Nachdruck in der Gärtnerschen Ausgabe von 1732 angewiesen. Erst gegen Ende des Jahrhunderts hat dann Emil Steffenhagen das Projekt einer Glossenedition wieder aufgenommen.556 Im Jahre 1919 ist allerdings auch er über seinen umfangreichen Arbeiten verstorben. Hinterlassen hat er vierzehn Einzelstudien in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften, die von Eckhardt dankenswerterweise in einem Sammelband nachgedruckt worden sind.557 Sie sind noch immer von allergrößtem Wert für die Glos550
Burgermeister, Teutsches Corpus Juris, S. 9 (Nr. 15). Sinauer, Schlüssel, S. 2 sowie dies., Studien, S. 478 f. und Eckhardt im Vorwort des Nachdruckes Sassenspiegel 1516, S. VI. 552 Siehe dazu unten, S. 309 ff. Die wichtigsten Ergebnisse sind veröffentlicht worden von Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 29–43. 553 Siehe unten, S. 321 f. 554 Homeyer, Prolog, S. 82 f.; ders., Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 112 zweifelte, ob es sich überhaupt verlohne, „ausgedehnte kritischen Mühen dem ganzen, für das Verständnis des Ssp. oft so unfruchtbaren Inhalt“ der Glosse zuzuwenden. 555 Homeyer, Prolog, S. 156 – Bemerkenswerterweise sprach wenige Jahre später ders., Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 32 f. von einem „Bollwerk[.] des heimischen Rechts“; dagegen zu Recht Breßler, Schuldknechtschaft, S. 104. 556 Steffenhagen, Plan. 551
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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senforschung, vor allem im Hinblick auf die jüngeren Glossen, die noch ungleich schlechter erforscht sind als das Buchsche Werk. 1921 fasste die Zentraldirektion der MGH den offiziellen Beschluss, „jene alte Verantwortung, vor der die früheren Generationen zurückgeschreckt sind, nämlich die Herausgabe der späteren Rechtsbücher“, wieder aufzunehmen,558 und nahm zunächst Kontakt zu Guido Kisch auf, der aber nach „sorgfältigen Überlegungen und Sitzungen mit den leitenden Gelehrten der Monumenta“ dieses „ungemein ehrenvolle Anerbieten“ ablehnte, denn ein solches Vorhaben hätte ihn „von der eingeschlagenen Arbeitsrichtung“, vor allem der Arbeit am preußisch-kulmischen Recht und den sächsischen Schöffenspruchsammlungen, „abgelenkt und lebenslang auf eine Quellenedition festgelegt“.559 So hat, aufbauend auf dem Wiener Nachlass Steffenhagens, erst Claudius von Schwerin gemeinsam mit seiner Freiburger Assistentin Erika Sinauer,560 nach seinem Wechsel nach München dann mit Helene Bindewald,561 wieder textkritischen Studien an der Landrechtsglosse aufgenommen. Letztere hat ihre nach dem Krieg veröffentlichten Studien maßgeblich auf die Auswertung von Schwerins Nachlass im Münchner Archiv der MGH gestützt.562 Über die von beiden veröffentlichten zwei Aufsätze sind aber auch diese Ansätze nie hinausgekommen. Das mag an der überaus komplexen Überlieferungssituation liegen, deretwegen Bindewalds Fortsetzungsaufsatz vom Deutschen Archiv gar als „zu schwer verständlich [. . .], um sich für die Veröffentlichung im DA. zu eignen“ abgelehnt wurde.563 Ob Eckhardt tatsächlich, wie Coing am Rande bemerkt,564 an einer Ausgabe gearbeitet hat, ist mir nicht ersichtlich geworden; man wird aber den 557
Steffenhagen, Landrechtsglosse. Nach dieser Ausgabe wird im Folgenden zitiert, die von Steffenhagen eingeführte römische Bezifferung der Einzelstudien aber jeweils beigefügt werden, um die Referenz in den Sitzungsberichten selbst zu ermöglichen. 558 Kehr, MGH-Bericht 1928, S. V. 559 Kisch, Lebensweg, S. 94 f. 560 Sinauer, Studien; Kehr, MGH-Bericht 1932, S. VII. Sinauer ist 1940 ihres jüdischen Glaubens wegen deportiert worden; vgl. Kümper, Erika Sinauer. 561 Bindewald, Studien. Bindewalds Arbeitsmaterialien werden im Archiv der MGH (München), Kasten 22 bis 24, verwahrt; Arbeitsberichte für die Jahre 1954–1962 und 1960–1965 in Kasen 24, Nr. 6. 562 München, Archiv der MGH, Kasten 23, Nrn. 24 und 25 verwahrt zwei ungedruckte Manuskripte Schwerins über die Landrechtsglosse, offenbar den Entwurf einer (Teil-?)Edition sowie allgemeine methodische Ausführungen über die Analyse der Glosse. Schwerin hat noch zu Lebzeiten Steffenhages Kritik an dessen Methode geübt; z. B. anlässlich der Besprechung von Jecht, Görlitzer Handschriften, in der Historische Vierteljahrsschrift 10 (1907), S. 236–244. 563 München, Archiv der MGH, Kasten 24, Nr. 2 – dort auch Bindewalds Manuskript „Studien zur Entstehung der Landrechtsglosse. Die Glossenfassungen der Artikel I 26 und II 37/38 des Sachsenspiegel-Landrechts“ (24 S., masch.).
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
von ihm besorgten Nachdruck der Steffenhagenschen Studien vielleicht als eine Vorarbeit dazu werten dürfen.565 Seit 1994 ist bei der MGH in Zusammenarbeit mit der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig erneut ein großes Editionsvorhaben anhängig, im Rahmen dessen sämtliche Land- und Lehnrechtsglossen des Sachsenspiegels in kritischen Editionen zugänglich gemacht werden sollen.566 Im Rahmen dieses Projektes ist zunächst die viel beachtete Ausgabe der Buchschen Landrechtsglosse,567 vor kurzem auch die kürzere Form der Lehnrechtsglosse erschienen.568 Sie stützt sich bewusst auf lediglich drei der insgesamt etwa 70 vollständig überlieferten Handschriften. Zwei werden im Volltext übereinander gedruckt, eine dritte für die Varianten berücksichtigt.569 Was auf der einen Seite eine massive Beschränkung der Überlieferungsvielfalt darstellt, hat auf der anderen Seite zu dem positiven Effekt geführt, dass nach dem Scheitern aller bisherigen Anläufe zu einer kritischen Edition das Kaufmannsche Projekt zu einem (im Übrigen ausgesprochen zügigen) Ende gebracht werden konnte und so nach beinahe 300 Jahren endlich wieder eine neue und verlässliche Edition der Landrechtsglosse vorliegt. Eine ausführliche kritische Würdigung der Ausgabe hat Kannowski unternommen, so dass hiervon nichts weiter auszuführen ist.570 Im Rahmen seiner Ausführungen greift er auch die von Schwerin entworfene „Schichtentheorie“ auf, die davon ausgeht, dass die Glosse in ihren überlieferten Formen aus mehreren Einzeltexten gleichzeitig und nacheinander kompiliert und möglicherweise von mehreren Verfassern zusammengestellt wurde. Diese Idee hat in leicht abgewandelter Form in jüngerer Zeit auch Dieter Pötschke wieder aufgegriffen, der dem Problem der einzelnen Entstehungsschichten mit informatischen Mittel beizukommen sucht.571 Dagegen argumentiert Kannowski überzeugend, dass eine solche Annahme weder erklä564 Coing, Römisches Recht in Deutschland, S. 178: „Die dringend erwünschte moderne Textausgabe wird von K. A. Eckhardt vorbereitet.“ 565 In diesem Sinne Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. LVI. 566 Dazu sind von Rolf Lieberwirth und Frank-Michael Kaufmann eine Reihe von Berichten veröffentlicht worden; vgl. nur: Jahrbuch der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig 1993/94, S. 175–179, 1995/96, S. 193–197 und 1997/98, S. 182–184; dies., Probleme. Außerdem Lieberwirth, Geplante Editionen; ders., MGH und Glossen; Kaufmann, Bemerkungen. 567 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse – ausweislich des Jahresberichtes der MGH 2005/06, S. IX hat Peter Neumeister mit der Erstellung eines Glossars zu dieser Edition begonnen. 568 Siehe dazu unten, S. 203 f. 569 Zu den Editionskriterien vgl. Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. LV. 570 Kannowski, Umgestaltung, S. 40–50. 571 Vgl. die auf den S. 334 f., Anm. 671 genannten Titel.
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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ren könne, warum sämtliche Überlieferungsträger einen im Großen und Ganzen doch einheitlichen Text geben, noch sich auf auch nur eine einzige Handschrift als Stütze berufen könne, in der diese einzelnen Bearbeitungsstufen auf uns gekommen wären. Gewichtiger aber noch scheint mir sein Argument, dass selbst wenn sich solche Textschichten annehmen ließen, doch die Problematik angesichts ihrer Nichtüberlieferung eine strikt textimmanente bliebe, die kaum eine Antwort auf die wirklich wichtigen Fragen nach dem Platz und der Wirkung der Glosse in der deutschen Rechtsgeschichte zu geben vermöchte. Auf eine ausführliche Darlegung der handschriftlichen Überlieferung verzichte ich an dieser Stelle. Ihre Klassifizierung ist in der Einleitung zur MGH-Edition im Einzelnen nachgewiesen und für die vorliegenden Studien nicht bedeutsam.572 Auch hier kann im Großen und Ganzen auf die Detailstudien von Kannowski verwiesen werden, der für seine Untersuchung nahezu alle zugänglichen Handschriften herangezogen hat.573 Er hat auch in den letzten Jahren in mehreren kürzeren Einzelstudien Grundlegendes über die Arbeitsweise des Glossators ausgeführt.574 Charakteristisch ist die von Johann entwickelte Theorie über die Entstehung des Sachsenspiegels, die großen Einfluss auf die späteren Jahrhunderte entfalten sollte. Vermutlich lagen ihm zwei deutsche und ein lateinischer Text vor, aus denen er die Einsicht entwickeln konnte, dass der Sachsenspiegel selbst kein einheitlicher, sondern ein in verschiedenen Stufen gewachsener Text sei. Offenbar lag ihm ein Text der ersten deutschen Fassung (Ordnung Ia) vor, in dem er – wie wir das heute auch noch zu tun geneigt sind – den Urtext Eikes erblickte. Grundlage seiner Glossierung aber wurde ein Text der Glosse IIe (Glossenvorlagen) aus dem Brandenburgischen. Aus dieser Form war, wahrscheinlich kurz bevor Johann die Arbeit an seiner Glosse aufnahm, die lateinische Versio vulgata entstanden, so dass man annimmt, dass auch diese Form dem Glossator vorlag.575 So schloß Johann, dass der lateinische Text ein Privileg Karls des Großen aus dem Jahre 810 darstelle und den besonderen Rechtsvorbehalt der Sachsen gegenüber dem Ius commune sichere.576 572
Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. LVII–LX. Siehe oben, S. 167, Anm. 548. 574 Kannowski, Kontext; ders., Begegnung; ders., Appellation und Urteilsschelte; ders., Sachsenspiegel and Its Gloss; ders., Europäisches Rechtsdenken. 575 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. XXVII. Als verfehlt wird man den Versuch von Schilling, Objektives Recht, S. 66 ff. betrachten müssen, den Rückgriff des Glossators auf die lateinische Urfassung des Landrechts nachzuweisen. 576 Die Glossenhandschriften der Ordnung Ia (Oppitz Nrn. 161, 536, 602, 698, 754, 951, 993, 1037 und 1601) geben hinter der Glossierung von Ldr. III 81 § 1 eine kurze Erläuterung, dass durch diesen besonderen „Bescheid“ gemeines Recht gebrochen werde. 573
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
So kann er dann auch recht freimütig Eike in das 9. Jahrhundert versetzen, was ungefähr einhundert Jahre später der Illuminator der prachtvollen Lüneburger Ratshandschrift auch in einem Bild umgesetzt hat, das Eike, Karl und Widukund zusammen darstellt.577 Den Mehrbestand des lateinischen gegenüber dem älteren deutschen Text hielt Johann für spätere Zusätze der Kaiser Otto I. (Ldr. III 82 § 2 bis Ldr. III 84), Otto II. (Ldr. III 85 und 86) und Friedrich I. (Ldr. I 26 und Ldr. III 87 bis Ldr. III 91), die er unglossiert beließ, während er die Novellen des jüngeren deutschen Textes (die Reimvorrede, der Textus prologi, Ldr. I 7 bis Ldr. I 14; Ldr. I 36 und Ldr. III 74) als redaktionelle Nachträge Eikes betrachtete und in seine Glossierung mit einschloß. Daraus hat sich in der Rechtsbücherforschung der auch in jüngerer Zeit noch immer wieder formulierte Umkehrschluss entwickelt, Johann habe jene Artikel, die er nicht auf die Autorität Karls des Großen zurückführen konnte, bei der Glossierung ausgelassen.578 Das ist so nicht richtig. Der Verweis auf die umfängliche Bearbeitung der „Freiheits-Quaestio“ in Ssp. Ldr. III 42 genügt, um diese Ansicht zu entkräften.579 In einer zweiten Rezension soll Johann dann die Glosse bis Ldr. III 87 fortgeführt haben, so dass nur noch die Artikelgruppe Ldr. III 88 bis Ldr. III 91 sowie Ldr. I 36 und Ldr. III 51 der nachträglichen Bearbeitung späterer Glossatoren vorbehalten wurden.580 Der in 278 Versen gereimte Prolog, der nur in sechs der insgesamt rund 70 Handschriften der Landrechtsglosse überliefert ist,581 ist in deutscher wie lateinischer Sprache abgefasst.582 Insgesamt acht Handschriften enthalten den kurzen Epilog der Ordnung IVb („Wi sint des lantrechts to ende komen . . .“).583 Neben den Lang- und Kurzformen der Buchschen Landrechtsglosse sind drei weitere Landrechts- und zwei bzw. drei weitere Lehnrechtsglossen (Langform, Kurzform und Wurmsche Bearbeitung)584 im Anschluss an den 577
Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 123. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 72 – so auch noch Lieberwirth in der Einleitung zu Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. XXVIII. 579 Kannowski, Appellation und Urteilsschelte, S. 120 – über die Glossierung von Ssp. Ldr. III 42 auch ausführlich ders., Umgestaltung, S. 286 ff. 580 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. XXVIII – vgl. Kannowski, Umgestaltung, S. 65–68. 581 Oppitz Nrn. 15, 111, 339 (nur lateinisch!), 436, 886, 1484. Mir stand die Handschrift Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 11 (Oppitz Nr. 111) zur Verfügung. Da der Prolog den der Edition zugrunde liegenden Handschriften fehlt, ist er bei Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 91–108 nach Steffenhagen, Amsterdamer Handschrift, S. 39–58 nachgedruckt worden. 582 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 7; außerdem Homeyer, Prolog. 583 Oppitz Nrn. 139, 145, 186, 393, 874, 972, 1489 und 1624 – siehe oben, S. 161 ff. 584 Vgl. Kaufmann, Lehnrechtsglosse, Bd. 1, S. LVII–LIX. 578
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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Sachsenspiegel und zum Teil aufbauend auf die Arbeit Johanns von Buch verfasst worden. Sie alle sind in der Hauptsache durch die eingehenden Studien Steffenhagens zur „Entstehung der Landrechtsglosse“, kaum aber durch spätere Forschungen erschlossen. Die sukzessive Edition ist in das auf die nächsten zwei Jahrzehnte angelegte Projekt der MGH eingeschlossen; bis dahin bleibt der Rückgriff auf die handschriftliche Überlieferung notwendig.585 Keine wirklich eigenständige Glossierung, sondern lediglich eine Bearbeitung der Buchschen Landrechtsglosse stellt die Arbeit des Görlitzer Rates Nikolaus Wurm († nach 1401) dar (Ordnung IIIa), der auch das Lehnrecht glossiert hat und uns später noch einmal mit eigenständigen Werken zum sächsisch-magdeburgischen Recht wiederbegegnen wird.586 Das dritte Landrechtsbuch wird dabei in die Form von Fragen und Urteile umgearbeitet, die Glosse der ersten beiden Landrechtsbücher bleibt soweit unverändert. Die Glossierung der Artikel Ssp. Ldr. III 82 § 2 bis Ldr. III 87 wird unverändert übernommen, dagegen hat Wurm zu Ldr. III 88 bis Ldr. III 91 eine eigenständige Glosse verfasst. Seine ausführliche und oft weitschweifige Arbeit ist in Auszügen gedruckt bei Böhlau (Landrechtsglosse)587 und Homeyer (Lehnrechtsglosse),588 in ihrer Gänze aber bislang nicht der Edition für Wert befunden worden; nach Verlusten dreier weiterer Überlieferungszeugen ist nunmehr nur noch eine einzige, ehemals Görlitzer Handschrift bekannt.589 Zum mangelnden Interesse der Forschung an Wurms Wirken insgesamt und seiner Glossierung im Besonderen mag Stobbes Einschätzung beigetragen haben, die Schriften seien „Arbeiten großen Fleißes, aber ohne besonders praktische Brauchbarkeit, in welchen ebenso wie in den Vorbildern Wurms, den romanistischen Schriften, Breite, Unbestimmtheit und Spielerei in der Diktion herrscht“.590 So wird es erklärlich, dass auch Steffenhagen Wurms Bearbeitung keine eigene Abhandlung widmet. Die jüngste der bekannten Landrechtsglossen (Ordnung IIIb) verfasste 1442 der Lüneburger Ratsherr Brand (III.) von Tzerstede († 1451).591 Am Ende seines Glossenkommentars zur Vorrede „Von der Herren Geburt“ (fol. 585 Hilfreich dazu Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 73–75 sowie die z. T. ergänzenden Angaben bei Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. LVIII f. 586 Leuchte, Liegnitzer Stadtrechtsbuch, S. XXVII – zu Wurm vgl. unten, S. 420 ff. 587 Böhlau, Nove Constiutiones, S. 57 f. (Beilage II). 588 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 343–363; vgl. auch Kaufmann, Lehnrechtsglosse, Bd. 1, S. XXI f. Die Wurmsche Lehnrechtsglosse ist in lediglich einer Handschrift vollständig [Berlin, StBPK, Hs. 39] und einer weiteren fragmentarisch [Prag, Nationalmuseum, I E a. 17 (Oppitz Nr. 1234)] erhalten. 589 Krakau, UB, Przyb. 42/60 (Oppitz Nr. 861), fol. 24v–324r. 590 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 417.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
8r), den nur zwei der insgesamt neun überlieferten Handschriften enthalten,592 weist er auf die Unzulänglichkeit der vorhandenen glossierten Sachsenspiegeltexte hin und umreißt damit sogleich sein eigenes Arbeitsvorhaben: „[. . .] dorch dat so hebbe ick Brand von tzerstede na myner moghelicheyd mit rade, hulpe vnd erkandnisse ichtwelker rechtes ervarenen manne mit vlyte gesammeld vnde to hope gebracht dat sassenlanderecht, na den olden vnde gemenesten talewysen de delinge vnde beghin der artikele, vnde de gebreke der glosen ouer etlike artikele, de hir to Lande vor desser tijd noch nicht gewesen hadden to hope geschicket vnde vorsammeld, vnde de richtestige des suluen rechtes alle to samende in eyn bok gebracht. Gode to loue vnde dem gemenen gude, vnde besundergen deme rade to luneborch to eren vnde to nutticheyd vuppe dat recht werde gevorderd vnd sterket vnd vnrecht gekrenket, vnde dat eynem isliken recht gesche, vnde dat meine gud gebeterd vnd gevorderd werde to allen tijden. [. . .]“593
Ferner finden wir in Brands aufschlussreicher Vorrede Hinweise auf den vetus glossator, hier allerdings fälschlich als „Nicolaus van boek“, der das Sachsenrecht „besprenget, beghoten, vthglecht vnd gedudet“ habe,594 und den kaiserlichen Ursprung des Rechtsbuches: Das Landrecht wird Kaiser Karl, das Lehnrecht Friedrich I. zugeschrieben. Charakteristisch für die Tzerdinische Arbeit ist vor allem die eigenständige Glossierung der Artikel Ldr. III 88 bis Ldr. III 91, die ebenfalls in Bezug zu deutschen Kaisern des früheren Mittelalters gesetzt werden. Im Einzelnen lauten die Artikelüberschriften nach der Lüneburger Handschrift: Ldr. III 82 § 2; III 83 §§ 1, 2 Ldr. III 83 § 3 Ldr. III 84
Prima constiucio Ottonis magni Sequitur secunda constitucio Ottonis magni imperatoris Constiucio tercia Ottonis magni imperatoris
Ldr. III 85
Sequitur constitucio Ottonis rubei imperatoris
Ldr. III 86
Secunda constitucio Ottonis rubei imperatoris
Ldr. III 87
Constitucio Frederici imperatoris prima
Ldr. III 88
Constitucio a Ffrederico imperatore
591 Reinhard, Brand von Tzerstede. Zur Glossierung vgl. eingehend Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 4. 592 Lüneburg, StdA, Dep. Ratsbibliothek Ms. Jurid. 1 (Oppitz Nr. 975), fol. 6r–282r und Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 421 Helmst. (Oppitz Nr. 1597). 593 Zit. nach Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 4, S. 228 f. 594 Dazu Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 4, S. 198; Drescher, Lüneburger Ratshandschriften [1991], S. 128 wirft die Überlegung auf, ob es sich dabei nicht unbeabsichtigt um eine Verwechslung mit Nikolaus Wurm und dessen „Blumen“ gehandelt haben mag.
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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Bemerkenswert bleibt auch, dass Brand für seine Arbeit sowohl den Richtsteig Landrechts als auch die Lüneburger Rezension des Schlüssels des Landrechts595 vorlagen, er sie aber offenbar nur für die Glossierung der Vorrede heranzog.596 In insgesamt drei Handschriften überliefert sind die Zusatzglossen des Petrus de Posena (Ordnung IIIc).597 Als Bearbeiter genannt wird er nur in einer heute Breslauer, vermutlich aus dem Brandenburgischen stammenden Handschrift, dem so genannten „Codex Petrinus“.598 Auch hier werden die Artikel Ldr. III 88 bis Ldr. III 91 einer neuen, eigenständigen Glossierung unterzogen, hinzu treten eine eigentümliche Glossierung von Ssp. Ldr. I 36 sowie einige Vermehrungen und Erweiterungen (zu Ssp. Ldr. I 54 § 2; Ldr. II 24 § 2; Ldr. II 66 § 1 und III 51), die sie mit der Bockdorfschen Redaktion (Ordnung IIIe) teilt. Der Zeit zwischen 1374 und 1434 entstammt die nach ihrem Entstehungsort so genannte „Stendaler“, manchmal auch „Altmärkische Glosse“ Land- und Lehnrechts (Ordnung IIId),599 die in lediglich einer fragmentarisch erhaltenen Handschrift überliefert ist und auf die Petrinischen Vorarbeiten aufbaut, diese aber sehr selbständig weiterentwickelt.600 Sie hat gemeinsam mit ihrer Vorlagenhandschrift die Grundlage für den Augsburger Sachsenspiegel-Druck aus dem Jahre 1516 geliefert, der damit zur erstrangigen Quelle für die Stendaler Glosse wird. Daneben gibt der Druck noch die Buchsche (erst hinter der Stendaler) und die lateinische Glosse des Landrechts, insgesamt also drei und nicht, wie Eckhardt im Titel des Nachdruckes angibt, zwei Glossen. Die Stendaler Glosse ist nicht durchweg in deutscher Sprache geschrieben, sondern enthält weite lateinische Passagen; dennoch ist sich Steffenhagen sicher, nur einen Verfasser für die kompositorisch ausgesprochen geschlossene Glosse annehmen zu dürfen.601 Zu den 595
Siehe unten, S. 180 f. Dieser Eindruck vorbehaltlich des Erscheinens der Edition. 597 Oppitz Nrn. 260, 399 und 1590 – ich nutze die letztere, Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 208 Helmst. (Oppitz Nr. 1590), fol. 90r–327r. Die Glosse wird hier durch ein doppeltes Register (fol. 68r–89v: alphabetisch, fol. 324v–327r: nach Büchern und Artikel) erschlossen. Oppitz Nr. 1590 ist aber wie Nr. 399 nur eine Ableitung aus Nr. 260; vgl. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 74. 598 Breslau, UB, II F 7 (Oppitz Nr. 260), fol. 2r–165v – die Handschrift enthält nur die Glosse mit Interlinear- und Marginalglossen des Stendaler Glossators; der Text dazu findet sich in Breslau, UB, II F 6 (Oppitz Nr. 259). Zu dieser wichtigen Handschrift vgl. auch unten, S. 485. 599 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2 und 10, passim. In der ersteren Abhandlung, S. 908–911 und Abh. 3, S. 755 nahm Steffenhagen noch den terminus ante quem 1410 an, hat diesen aber in Abh. 10, S. 6 selbst revidiert. 600 Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 284 (Oppitz Nr. 116), fol. 7r–236v. 596
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
auch von den anderen Landrechtsglossen benutzten Quellen des gelehrten Rechts tritt als eine wichtige Quelle die Lombarda.602 Aber auch die deutschrechtlichen Quellen werden unter den Allegaten deutlich vermehrt, hinzu treten vor allem die Buchsche Glosse (zitiert meist als „secundum g.“) und die Spruchpraxis der Magdeburger Schöffen („secundum m.“).603 Bemerkenswert sind aber vor allem die Hinweise auf märkische und speziell Stendaler Rechtsgewohnheiten.604 Die jüngste Bearbeitung der Buchschen Landrechtsglosse wird auf den Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf († 1466) zurückgeführt, der uns später noch einmal begegnen wird.605 Ob er wirklich als Verfasser der gesamten oder auch nur von Teilen dieser Redaktion angesprochen werden darf, muss offen bleiben. Oppitz ist der Auffasung, „eine Zurückführung der ganzen Redaktion auf ihn“ komme „aus Zeitgründen nicht in Frage“.606 Das hat einiges für sich. Bezeugt ist Dietrichs Autorschaft jedenfalls nur durch die Nennung in den älteren Drucken, die in diesen Zuschreibungen nicht immer zuverlässig sind. Dieser Bearbeitung, der so genannten „Bocksdorfschen Vulgta“, bedienen sich jedenfalls auch die späteren Übersetzungen der Glossen ins Lateinische, wie sie die polnischen Ausgaben geben. Durch die Übertragung der Buchschen Glosse aus dem Nieder- ins Hochdeutsche haben sich allerdings zahlreiche Fehler eingeschlichen, die dadurch übernommen werden. An verschiedenen Stellen wird auf die Petrinische Glosse zurückgegriffen.607 Oft treten neben die Bocksdorfsche Vulgata auch die „Additiones“ seines Bruders Tammo, die aus anderen Glossenüberlieferungen (unter anderem der Stendaler) sowie der Spruchpraxis der Magdeburger und Leipziger Schöffen schöpfen.608 Einen verhältnismäßig guten Text bietet der Baseler Primärdruck von 1474. Allerdings hat Steffenhagen nachweisen können, dass nicht alle Additionen tatsächlich in den Druck gelangt sind und eine größere Zahl von ihnen ungedruckt geblieben ist.609 601 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 895 u. ö.; vgl. auch Buchda, Altmärkische Glosse. 602 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 899 und vor allem S. 912–914 mit entsprechenden Nachweisen; vgl. auch Meyer, Langobardisches Recht, S. 404 f. 603 Nachweise bei Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 914–929. 604 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 930–934 – so z. B. die Glosse zu Ldr. I 22 § 4 über Gerade und Heergewäte nach Stendaler Gewohnheit (ebd., S. 930); vgl. dazu auch Heydemann, Joachimische Constitution, S. 89 f. und S. 94. 605 Siehe unten, S. 258. 606 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 74. 607 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 5, S. 241 u. ö. 608 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 5 und Abh. 10, passim. 609 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 5, S. 236 f. und S. 249–301.
VII. Die Landrechtsglossen und der Richtsteig Landrechts
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Soweit die eigenständigen und umfänglichen Glossierungen. Dass schließlich aber auch die Herausgeber der frühen Druckausgaben des Sachsenspiegels neben den als solche kenntlich gemachten „Additionen“ teilsweise auch in die Glossentexte eingegriffen haben, ist bislang kaum beachtet worden. Bis zum Erscheinen der kritischen MGH-Ausgabe im Jahre 2002 war man weitgehend auf solche ältere Drucke angewiesen, wobei die Augsburger Ausgabe der Offizin Silvanus Otmar von 1516, die auch die Bockdorffschen Additionen enthielt und seit 1978 in einem (allerdings in verhältnismäßig kleiner Auflage erschienenen) Nachdruck erhältlich ist,610 wohl die weiteste Verwendung fand. Diese einzige niederdeutsche Druckausgabe des 16. Jahrhunderts enthält neben der Buchschen auch die Stendaler Glosse. Die im Eigendruck des Editors erschienene Ausgabe eines zwar nicht textgeschichtlich irgendwie bedeutsamen, aber doch immerhin historischen, „vorbocksdorffischen“ Glossentextes durch Otto zu Hoene nach dem so genannten Codex Quakenbrugensis aus dem Jahre 1422611 ist dagegen weitgehend außer Acht gelassen worden. Im Übrigen ist auch die Buchsche Glosse im Augsburger Druck bereits von fremden Glossenstücken kontaminiert.612 Neben der ältesten Landrechtsglosse stammt noch eine zweites Werk aus der Feder Johanns von Buch: der so genannte „Richtsteig Landrechts“, der sich in der handschriftlichen Überlieferung häufiger auch als „Schevecloit“ oder „Scheppenclot“ findet.613 Der Richtsteig ist bereits in den frühen Inku610
Eckhardt, Sassenspegel. Hoene, Codex Quakenbrugensis. Die zugrunde liegende Handschrift wird heute in Osnabrück, StA, StdA Quakenbrück Dep. 50b I Nr. 620 (Oppitz Nr. 1201) verzeichnet, befindet sich aber als Dauerleihgabe im Rathaus von Quakenbrück. 612 Das hat bereits Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 6 angemerkt, ist aber später nicht mehr beachtet worden. Beispielsweise weist Eckardt, Sassenspegel, fol. 6r im Vergleich mit der Buchschen Glosse nach Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 139 (zu Ssp. Ldr. I 1) noch einen Absatz über die Richtgewalt des geistlichen Richters über Angelegenheiten der Sünde auf. 613 Als „Scheveklot“ (und lautverwandte Formen) bezeichnen den Richtsteig m. W. die Handschriften Oppitz Nrn. 15, 18, 139, 157, 322, 401, 508, 537, 568, 770, 775, 828, 1146, 1149 und 1489, die Mehrzahl verwendet aber die Bezeichnung „Richtsteig“. Darüber hinaus finden sich häufiger auch umschreibende Titulaturen, beispielsweise Augsburg, StadtB, 2o Cod. 161 (Oppitz Nr. 27), fol. 1r: „Dis is das Register oder Tafel diss buchs unnd underweist dich wie ein Richter der heimlichen gericht sein soll [. . .]“; Breslau, StA, Akta miasta Swidnic. No. 57 (Oppitz Nr. 287), fol. 111r: „Hier hebt sich an das begin des gerichtis von deme richter [. . .]“; Darmstadt, HLB, Hs. 730 (Oppitz Nr. 388), fol. 267r: „Dyss puch das hayst von dem richt vnd von dem calger.“; Halle, ULB, Ye 2o 62 fol. (Oppitz Nr. 665), fol. 239: „Vie iuris“ oder Waltershausen, Heimatmuseum Schloss Tenneberg, o. Sign. (Oppitz Nr. 1446), fol. 123: „Hie beginnet die lere und der wegk des gerichtes [. . .]“ – Die Handschrift Dresden, SLB, M. 27 (Oppitz Nr. 446), fol. 294v–337r lässt den Richtsteig als viertes Buch den drei Büchern Landrechts folgen. 611
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nabeldrucken des Landrechts (Basel 1474, Köln 1480, Leipzig 1488 sowie allen Augsburger Wiegendrucken) enthalten, ebenso in vielen Ausgaben des 16. Jahrhunderts, nicht aber den Zobel-Drucken. Einen ersten textkritischen Textabdruck nach einer Göttinger Handschrift614 und Varianten aus vier unterschiedlichen älteren Druckausgaben sowie der Cautela, Premis und eines kurzen Stückes über Zehnten, Mühlen und Höfe aus einer anderen, ebenfalls Göttinger Handschrift615 besorgte 1842 Friedrich Wilhelm Unger,616 der aber bereits wenige Jahre später durch die auf breiterer Handschriftenbasis erstellte Edition Homeyers ersetzt worden ist.617 Sie bietet bis heute die einschlägige Ausgabe des Textes. Wie das Lehnrecht so ist bemerkenswerterweise auch der Richtsteig hier und da der rechtsetzenden Tätigkeit des Stauferkaisers Friedrich [I.?] zugeschrieben worden, beispielsweise in einer Eislebener Handschrift618 oder auch noch von Senckenberg, der annahm, dass die Urform selbst auf Friedrich I., die überarbeitete Verkehrsform des Richtsteigs aber auf Hermann von Oesfeld zurückginge.619 Grupen schließlich ist der Nachweis gelungen, dass der vetus glossator Johann von Buch auch Verfasser des Richtsteigs ist.620 Auf eine genaue Darlegung der Überlieferungssituation des in fünf unterschiedlichen Textklassen auf uns gekommenen Richtsteigs verzichte ich, da er in dieser Studie nicht zu den Primärquellen der Untersuchung zählt.621 Erwähnenswert bleibt in dieser Hinicht, dass von der dritten Fassung (Textklasse D) ein alter Textabdruck durch Gustav Koenig von Koenigsthal in Senckenbergs „Corpus iuris Germanici“ vorliegt.622 Diese Fassung lässt Prolog und Epilog vermissen, enthält aber 25 zusätzliche Artikel, für die Schwerin die Bezeichnung „Eisenacher Rechtsfälle“ eingeführt hat, und die 614
Göttingen, SUB, Ms. jurid. 391 (Oppitz Nr. 599), fol. 93r–114r. Göttingen, SUB, Ms. jurid. 390 (Oppitz Nr. 598), fol. 189r–189v – ansonsten enthält diese Handschrift nur den Schwabenspiegel (Land- und Lehnrecht in 361 und 155 Artikeln), so dass sich keine Verbindung mit Richtsteig feststellen lässt. 616 Unger, Richtes Stig. Noch keine eingehende Verarbeitung erfährt der Richtsteig bei dems., Gerichts-Verfassung. 617 Homeyer, Richtsteig Landrechts. 618 Eisleben, St. Andreas Bibl., Ms. 127 (Oppitz Nr. 476), fol. 1: „Desse setzinge und vor ende dy hyr na volgen, dy satzte keiser ffrederich van Stuff [. . .]“ 619 Senckenberg, Corpus iuris Germanici, Bd. 1, Vorrede, S. 76. 620 Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 30–34 und S. 66–69 (dort auch zum Richtsteig Landrechts) sowie ders., Holländischer Sachsenspiegel, S. 5–7 und S. 13–16; Weiteres dazu auch in Celle, OLG, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr. 4, § 3 („De vetere glossatore marchico Johan de Buch“). 621 Vgl. stattdessen Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 64 f. 622 Senckenberg, Corpus iuris Germanici, Bd. 1, S. 199–248 – besorgt von Gustav Georg Koenig von Koenigsthal nach der Handschrift Darmstadt, HLB, Hs. 730 (Oppitz Nr. 388), fol. 283–295v. 615
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neben dem Sachsenspiegel selbst auch dessen Glosse auch den Schwabenspiegel und das Eisenacher Rechtsbuch zu ihren Quellen zählen.623 In einer Göttweiger Handschrift findet sich ein sonst offenbar nicht überliefertes Register über die einzelnen Materien des Richtsteigs („registrum richtstick“) in 32 Kapiteln.624 Eine herausragende Handschrift des Richtsteigs ist uns aus Lüneburg überliefert.625 Sie wird heute in Berlin verwahrt, lag aber mit großer Sicherheit Brand von Tzerstede bei der Glossierung der Vorrede „Von der Herren Geburt“ vor.626 Sie enthält überdies ein interessantes kleines Textstück über Gerade und Heergewäte nach Lüneburger Gewohnheit, das später noch vollständig wiedergegeben wird.627 Dem Richtsteig Landrechts, vor allen den Handschriften der Ordnung Cb, eng verbunden sind die kurzen Prozessbelehrungen „Cautela“ und „Premis“, die in den vorangesetzten Reimsprüchen Hermann von Oesfeld zugeschrieben werden. Sie finden sich bei Homeyer628 und in einer älteren Ausgabe von Friedrich Wilhelm Unger gedruckt,629 außerdem existiert ein anonymer Sonderdruck aus der Oschatzer Handschrift vom Jahre 1939, der nur die Cautela abdruckt und in keiner öffentlichen deutschen Bibliothek mehr nachweisbar ist.630 Während die Cautela mit Zitaten aus der Bibel, dem Kaiserrecht und dem Landrecht des Sachsenspiegels und nur wenigen, eher allgemeinen Belehrungen über Klageformen und -vortrag mehr mahnenden als wirklich belehrenden Charakter zeigt, will die Premis aufzeigen, wie man den Prozessgegner zwingen könne, anstelle von „equivoken krusen worten“631 klare Antworten zu wählen. Auch hier ist der Stil trotz der insgesamt sehr kurzen Schrift erstaunlich weitschweifig. Inwieweit man beiden Schriften praktische Bedeutung oder auch nur einen solchen Anspruch unterstellen will, oder ob wir es nicht vielmehr mit den intellektuellen Spiegelfechtereien eines Rechtspraktikers zu tun haben, mag dahin gestellt bleiben.
623 624 625 626 627 628 629 630 631
Schwerin, Zweiter Theil, mit eingehenden Nachweisen. Göttweig, StiftsB, Cod. 364 rot (Oppitz Nr. 612), fol. 525v–527v. Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 900 (Oppitz Nr. 157). Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 4, S. 228 f. Siehe unten, S. 426 ff. Homeyer, Richtsteig Landrechts, S. 390–398. Unger, Des Richtes Stig, S. 1–6. Anon., Cautela. Homeyer, Richtsteig Landrechts, S. 398.
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VIII. Die abecedarischen Arbeiten, Remissorien und andere Erschließungshilfen Der Siegeszug des Schriftrechts brachte seit dem 13. und verstärkt dann im 14. und 15. Jahrhundert das Bedürfnis nach Hand- und Lehrbuchliteratur mit sich, um die neuen und rasch wachsenden Stoffmengen bewältigen zu können.632 Das gilt natürlich in besonderem Maße für die Sphäre der gelehrten Rechte, durchaus aber auch für das Sächsische Recht, das von demjenigen, der sich seines gekonnt bedienen wollte, bereits im 14. Jahrhundert die Kenntnis von mindestens drei großen Werken, des Sachsenspiegels selbst, seiner Glossierung und der Magdeburger Weichbildvulgata, voraussetzte. Hinzu mochten die Richtsteige, lokale Rechtsaufzeichnungen oder auch in steigendem Maße das Bewusstsein der Differenzen zum römischkanonischen Recht treten. Auch mag sich die Ausdrucksform des Rechts selbst durch die Schriftform verändert haben.633 Friedrich Ebel hat in seiner von der mediävistischen Rechtsgeschichte im Vergleich zu seinen Forschungen über das Magdeburger Recht kaum zur Kenntnis genommenen Dissertation über die historische Entwicklung der Legaldefinitionen viel Grundlagenarbeit in dieser Richtung geleistet.634 Er war es auch, der immer wieder nachdrücklich auf den eigenständigen Quellenwert der Remissorien und anderen Erschließungshilfen zu den Rechtsbüchern des Mittelalters hingewiesen hat.635 Unstrittig dürfte der Wert der sehr eigenständigen Bearbeitung des Sachsenrechts im „Schlüssel des Landrechts“ sein, über den Erika Sinauer mit ihrer Freiburger Dissertation eine eingehende Untersuchung vorgelegt hat.636 Er ist die prominenteste Arbeit unter den so genannten „Abecedarien“, den alphabetischen Exzerptkompilationen mehrerer Rechtstexte,637 und in der bemerkenswerten Zahl von immerhin 22 Handschriften auf uns gekommen.638 Die ursprüngliche, vor 1421 wohl von einem Geistlichen, vielleicht im Kloster Lehnin, verfasste Textgestalt639 hat noch zwei Überarbeitungen erfahren. Zum einen in einer lediglich von zwei erhaltenen Handschriften ver632 Vgl. hierzu besonders Coing, Römisches Recht in Deutschland, S. 162–171 und die Ergänzungen bei Horn, Legistische Literatur, S. 351–354. 633 Kannowski, Aufzeichnungen. 634 Ebel, Legaldefinitionen, bes. S. 39–59. 635 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 1, S. XIII. 636 Sinauer, Schlüssel. 637 Zur ersten Orientierung vgl. Benna, Abecedarien, Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 443–446; Ulmschneider, Rechtsabecedarien; Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 77 f. 638 Neben den Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 77 genannten noch ein neu entdecktes Fragment, beschrieben von dems., Perleberg.
VIII. Abecedarische Arbeiten, Remissorien, andere Erschließungshilfen
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tretenen schlesischen Gruppe, der eine sonst nicht überlieferte, lateinische Vorrede vorgeschaltet wurde;640 zum anderen eine Lüneburger Rezension, die in drei Handschriften auf uns gekommen ist, und im Gegensatz zu allen anderen Handschriften des Schlüssels auch die Glosse der Landrechtsartikel III 88 bis III 91 mit verwertet.641 Alle Fassungen verarbeiten das Sachsenspiegel-Landrecht samt Glosse und den Schwabenspiegel in einer Vier-Bücher-Fassung (Ordnung IId). Der Schlüssel ist von späteren Forschern nicht mehr eingehender betrachtet worden. Nur Pötschke hat anhand der Lehniner Handschrift noch einmal dieser Arbeit gedacht.642 Ihm ist es aber weniger um den Schlüssel des Landrechts selbst, sondern vielmehr um ein Plädoyer für die Auswertung mittelalterlicher Buchkataloge der Klöster Nordostdeutschlands bestellt, die in der Tat noch manche Einsicht in einzelne Nutzungszusammenhänge der sächsischen Rechtsbücher erbringen könnten. Inhaltliche Auswertungen sind seit Sinauer nicht mehr unternommen worden. Die gemessen an der handschriftlichen Überlieferung nach dem Schlüssel des Landrechts bedeutendste abecedarische Arbeit ist das so genannte „Rechtsabecedar der 2.200 Artikel“. Steffenhagen hat im Rahmen seiner Ausführungen über die Fuldaer Glossenhandschrift darüber gehandelt und wenig gute Worte dafür gefunden.643 Dabei sprechen die immerhin zehn heute noch bekannten Überlieferungszeugen für eine stattliche Verbreitung des ziemlich umfangreichen Rechtsbuches.644 Der unbekannte Kompilator645 hat eine beeindruckende Quellenvielfalt verarbeitet: Neben die drei 639
Als Originalhandschrift darf Zwickau, Ratsschulbibliothek, XIII, XI, 6 (Oppitz Nr. 1634) gelten, die noch vom Verfasser selbst zweimal redigiert worden ist; vgl. Sinauer, Schlüssel, S. 49–65. Die Handschrift Gießen, UB, Hs. 970 (Oppitz Nr. 547), fol. 13r–420v ist eine getreue Kopie davon. Die Überlieferungsträger der jüngeren Fassung (Oppitz Nrn. 22, 155, 157, 437, 715 und 1568) ebenso wie die eigenständige Handschrift Halle, ULB, Quedl. Cod. 88 (Oppitz Nr. 658), fol. 1r–168r gehen allerdings auf eine nicht mehr erhaltene, noch vor der zweiten Redaktion des Verfassers Abschrift zurück. 640 Oppitz Nrn. 246 und 307 – vgl. Sinauer, Schlüssel, S. 119–126. 641 Oppitz Nrn. 520, 971 und 1596 – vgl. Sinauer, Schlüssel, S. 126–129. 642 Pötschke, Zisterzienserklöster und Rechtsbücher, S. 149–152. 643 Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 4, S. 603–642, bes. S. 611–613. Auch Laßberg, Schwabenspiegel, S. LI konnte über eine Konstanzer Handschrift des Abecedariums (Oppitz Nr. 820) nur feststellen, alles sei ganz „ohne System und Ordnung“ aus den unterschiedlichsten Quellen „zusammen geworfen“. 644 Oppitz Nrn. 339, 531, 551, 702, 820, 1068, 1177, 1385, 1518 und 1557 – zu letzterer vgl. auch Laufs et al., Wimpfener Rechtsbuch. 645 Irrig ist die bei Stanka, Summa, S. 18 f. geäußerte Ansicht, der Konstanzer Johannes Frawenlob, ein „keineswegs hervorragender Kopf“, sei als Verfasser dieses Rechtsbuches anzusehen. Zur Bedeutung der Summa vgl. Weck, Rechtssumme, so-
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großen Rechtsbücher des Mittelalters, Sachsenspiegel samt Glosse, Schwabenspiegel und Meißner Rechtsbuch, treten Quellen der gelehrten Rechte einschließlich der Libri Feudorum, Exzerpte aus Kirchenschriftstellern und Kanonisten und eine beachtliche Zahl von Entlehnungen aus der Rechtssumme des Dominikaners Bruder Berthold (244 Kapitel, d.i. rund ein Drittel) sowie der didaktischen Sammlung „Der tugenden buch“ (63 Kapitel). Dennoch wird man den anonymen Verfasser wahrscheinlich nicht in klerikalem Umfeld suchen dürfen, denn es sind ausschließlich Texte mit laikalem Bezug eingearbeitet und sämtliche theologischen Lemmata vermieden worden. Helmgard Ulmschneider hat das Abecedar eingehend untersucht und nicht nur sämtliche bekannten Handschriften, sondern auch anhand exemplarischer Lemmata die Quellen der Arbeit dargelegt.646 Er hat auch die Mitüberlieferung eingehend untersucht und aufgezeigt, dass auffallend häufig die großen Landfrieden (vor allem Friedrich I. 1158, Friedrich II. 1235), der Richtsteig Landrechts und die Goldene Bulle Karls IV. in deutschen Übersetzungen darunter zu finden sind. Dabei ist allein der Umstand, dass eine Konfiguration mehrerer Texte uns Auskunft über mögliche Gebrauchskontexte des Abecedariums der 2.200 Artikel geben kann, bemerkenswert. Vergleichbare Arbeiten nämlich, wie das unten zu besprechende Erlanger Promptuarium, finden sich regelmäßig als Monographien ohne jegliche Mitüberlieferung in den Handschriften. In jedem Falle älter als das „Abecedar der 2.200 Artikel“ und vielleicht der älteste Text unter den abecedarischen Arbeiten ist das so genannte „Greifswalder Abecedarium“, das ebenfalls Steffenhagen erstmals eingehender bekannt gemacht hat.647 Über seine Entstehung in Greifswald im Jahre 1400 gibt die Arbeit selbst in der lateinischen Vorrede Auskunft. Die insgesamt sieben überlieferten Handschriften sprechen für eine gewisse Bedeutung. Ziel der Arbeit ist es, „per faciliorem modum inveniendi materias“ die Inhalte des Sachsenspiegels und seiner Landrechtsglosse zusammenzuführen. Ein ähnlich schmales Quellenkorpus bearbeitet auch das nach dem Umfang seiner Lemmata bezeichnete „Abecedarium von Achte bis Wunden“,648 das spätestens 1414, wohl in der Gegend zwischen Hildesheim und Northeim, entstanden und von dort auch in vier Handschriften überliefert wie (auch zur Datierungsfrage) Koller, Entstehungszeit, S. 117–133, der die Summe als das „neben dem Schwabenspiegel am meisten verwendete deutschsprachige Rechtsbuch des 15. Jahrhunderts“ bezeichnet. 646 Ulmschneider, Rezeption. 647 Steffenhagen, Preetzer Abecedarium. Auch Benna, Abecedarien, Sp. 6 nennt die Arbeit noch „Preetzer Abecedarium“. 648 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 77 f.
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ist.649 Auch in dieser Arbeit werden lediglich der Sachsenspiegel und die Landrechtsglosse verarbeitet. In lediglich drei Handschriften (Oppitz Nrn. 209, 490 und 1486)650 überliefert ist eine alphabetische Arbeit in circa 1.400 Artikeln, die seit ihrer Bekanntmachung durch Gengler das „Erlanger Promptuarium“ genannt wird. Ähnlich dem „Rechtsabecedar der 2.200 Artikel“ beweist der anonyme Kompilator breite Quellenkenntnis: Neben Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht samt Landrechtsglosse wird die Magdeburger Weichbildvulgata, der Schwabenspiegel in seiner 4-Bücher-Fassung sowie in großem Umfang römisch-kanonisches Recht allegiert, dazu Kanonisten wie Hostiensis, Panormitanus und Raimundus de Peniaforte sowie Azos „Summa codicis“ und prozessualistische Schriften wie Andrea und Durantis.651 Besonders bemerkenswert aber sind die historischen Einflechtungen, die sich im Promptuarium finden; zum Beispiel: „Grave Hans von Bichelingen, der was graven Friderichs von Bichelingen son, den die ketczere erschossen in Bhemen. Und der genante grave Hans hatte czwo swestern in deme clostere zcu Frangkenhusen, die hatte mit yme geborn frawe Agnese, von Honsteyn geborn. Noch graven Friderichs tode, graven Hansens vatere, nam syne muter eynen andern man, genant grave Adolff von Glichin. Mit deme czugitte sie eyne tochter, die nam zcu der ee der eddile herre Brun, herre zcu Quernfort. Do die genante frawe Agnese gestarp, do teilte grave Hans mit syner swester, der von Quernfort, das erbe syner mute runde her behilt das lehingut, das syne muter von yme zcu lehin gekoufft hatte. Adir die gerade nam syne swester, die von Quernfort. Der gebortis sie noch sachsem lantrechte. Abir noch geistlichem und keyserrechte geborit der gerade eyn teil der von Quernfort und czwey teil deme clostere zcu Frangkenhusen. Von deme erbe moste grave Hans und die von Quernfort die schult beczalen. Dorumme, das die swester nicht lehingut nym, dorumme nympt sie die gerade und ungehouete spise.“652
Wir haben hier in der Tat mit großer Wahrscheinlichkeit einen historischen Fall vor uns; zumindest die genannten Personen lassen sich nachweisen.653 Gengler gibt ausführliche Auszüge und zahlreiche Quellenverweise; darüber hinaus aber ist das Erlanger Promptuarium keiner weiteren Betrach649
Oppitz Nrn. 159, 197, 342 und 1038. Über die Berliner Handschrift, StBPK, Ms. germ. qu. 2004 (Oppitz Nr. 209), fol. 1r–143r, die Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 78 nicht aufführt, im Katalogteil (Bd. 2, S. 394) aber richtig identifiziert hat, vgl. nun Kümper, Höllenbrief. 651 Dagegen der Prolog, zit. nach Gengler, Promtuarium, S. 4: „Disse noch geschrebene artickele vnd punckte die sint geczogin uzs der glosen vnd texte des sachsen spigils. vnd dormete sint ingebrocht concordancie wichbile vnd lenrechts. vnd ouch ettliche allegaten vsz den buchern decretalium institutarum vnd feudorum. die alle hir obir eyn tragen etc.“ 652 Zit. nach Gengler, Promtuarium, S. 12 f. mit geringfügiger Normalisierung des Lautstandes und der Zeichensetzung. 653 Hesse, Rothenburg, S. 14 ff.; Schöttgen, Inventarium, Sp. 416 und Sp. 432. 650
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tung gewürdigt worden. Wie für alle anderen abecedarischen Arbeiten des sächsischen Rechts steht auch hier eine Edition noch aus. Wollten die Abecedarien die unsystematischen Rechtsbücher durch Wiedergabe des vollständigen oder doch noch die wichtigsten Sätze enthaltenen Textes letztlich ersetzen, so sind die Remissorien des 15. Jahrhunderts eine Erschließungshilfe im engeren Sinne.654 Ihre Entstehung dürfte daher aus der Registerarbeit heraus zu erklären sein. Die Magdeburger Schöppenchronik berichtet, Hermann von Oesfeld habe bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts den Sachsenspiegel „geregistreret“.655 Ein anderes kurzes, jedoch nur singulär überliefertes Register nennt seinen Verfasser, einen Nikolaus von Amelung aus Werben.656 Das sicherlich berühmteste und wirkmächtigste Remissorium der sächsischen Rechtsbücher verfasste um die Mitte des 15. Jahrhunderts der Naumburger Bischof Dietrich von Bocksdorf, von dem später noch mehr zu berichten sein wird.657 Unter den Stichworten „Abbt“ bis „Wund“ werden Sachsenspiegel und Weichbildvulgata, nicht aber die Landrechtsglosse verarbeitet. Die Arbeit ist handschriftlich mit fast zwei Dutzend Textzeugen ausgesprochen weit verbreitet und auch in den Primärdruck Augsburg 1482 eingegangen. Für eine dringend wünschenswerte Edition scheint mir die Zwickauer Handschrift besonders geeignet,658 die neben dem bekannten auch ein weiteres, nur in dieser Handschrift überliefertes Remissorium über das Meißner Rechtsbuch enthält.659 Auch ein zweites, nur in einer Handschrift, zusammen mit dem Register des Nikolaus von Amelung überliefertes Remissorium soll von einem Bocksdorf stammen.660 Brotuffs Chronicon Magdeburgense allerdings will Tammo von Bocksdorf als den Autor sehen.661 Zumindest unterscheiden sich beide Remissorien im Textbestand; offenbar auch in den verarbeiteten Quellen, denn letztere verarbeitet nicht das Weichbild, wohl aber die Landrechtsglosse. 654 Dennoch bereitet eine exakte, terminologische Abgrenzung – vor allem der miserablen Editions- und Forschungslage wegen – noch immer Schwierigkeiten; vgl. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 79. 655 Janicke, Magdeburger Schöppenchronik, S. 226. 656 Halle, ULB, Ye 2o 62 fol. (Oppitz Nr. 665). 657 Siehe unten, S. 258. 658 Zwickau, Ratsschulbibliothek, II, VIII, 28 (Oppitz Nr. 1633). 659 Eine Edition beider Arbeiten würde sich nach diesen Handschriften anbieten. Sie wurde ausweislich des Kolophons (fol. 241r: „Finivi hoc in domo mei, compatris d. Joh. Konigis, apotecarii et civis in Liptzik a. d. 1464 feria quarta p. f. scti Lamperti.“) noch zu Lebzeiten Bocksdorfs in Leipzig geschrieben und enthält fast ausschließlich Texte aus dessen Feder. Zu Johann König vgl. auch unten, S. 261. 660 Siehe Anm. 656. 661 Meibom, Scriptores, Bd. 2, S. 47.
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Ebenfalls singulär überliefert ist das dem Breslauer Ratsherrn Kaspar Popplau († 1499) zugeschriebene Remissorium zum „Rechten Weg“. Über beide Schriften wird in einem gesonderten Kapitel zu sprechen sein.662 Eine alphabetische Sammlung von Rechtsregeln unter dem Titel „Ad decus et decorem“ aus der Feder des Vielschreibers Nikolaus Wurm, dem wir bereits zuvor begegnet sind und später auch wieder begegnen werden,663 ist vor wenigen Jahren noch als eine lateinische Entsprechung seiner „Blume des Sachsenspiegels“ identifiziert worden.664 Sie ist auch in den „Rechten Weg“ Kaspar Popplaus eingegangen.665 Einige Verbreitung haben noch die Remissorien „Zu fromen und bequemikeit“666 und die so genannte „Summa totius Brodii“667 erreicht. Während erstere wie das Bocksdorffsche Remissorium nur Sachsenspiegel und Weichbildvulgata verarbeitet, schöpft die „Summa“, deren Name freilich etwas irre führt, aus Sachsenspiegel, Glosse und den gelehrten Rechten. Schließlich müsste eine umfassende Sichtung der Rechtsremissorien auch die Arbeiten des 16. Jahrhunderts mit einschließen, von denen die Poelmannschen Dinstinktionen immerhin mäßiges Interesse der rechtshistorischen Forschung haben auf sich ziehen können.668 Dagegen ist die bemerkenswerte Arbeit des herzoglichen Rats Ambrosius Adler aus Königsberg (1539), die nicht nur Sachsenspiegel und Weichbildvulgata, sondern auch den so genannten Alten Kulm, die IX Bücher Magdeburger Rechts und das Meißner Rechtsbuch verarbeitet, weder ediert noch bisher näher untersucht worden.669 Gleiches gilt für die tschechischen Abecedarien des Jacobus Kozeny670 und Martin von Wyskyttna, die beide den Sachsenspiegel, die 662
Siehe unten, S. 422 ff. Siehe unten, S. 420 ff. 664 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 1, S. XIV; noch Leuchte, Liegnitzer Stadtrechtsbuch, S. XXVII führt die Sammlung als eigenständiges Werk auf. 665 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 2, S. 1033–1098 (Buch S und T), incipit: „Sequentes hec regulae legum signate sunt super literis uidelice S, T, quas ex libro in pretori siot incipientes ‚Ad decus et decorem sacri ymperii et ad laudem romani principis etc.‘ extraxi ac in form concripsi.“ (S. 1033). Bei der genannten Handschrift handelt es sich vermutlich um Breslau, UB, a.m. Wrocławia I 3 (Oppitz Nr. 293), fol. 68r–194v. 666 Oppitz Nrn. 255, 612, 665, 991 und 992. 667 Oppitz Nrn. 508, 589, 973, 1164, 1415 und 1511. 668 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 427–430 mit entsprechenden Nachweisen. 669 Berlin, GStA PK, XX. HA Mscr. Fol. A 26 (Oppitz Nr. 794), fol. 35r–773r – vgl. dazu Päsler, Sachliteratur, S. 261. Die fälschliche Verzeichnung bei Oppitz (Königsberg) geht auf den ursprünglichen Verwahrungsort der Handschrift zurück. 670 Leitmeritz, StdA, Arch. M. Litome ˇ rˇic IV A 1 (Oppitz Nr. 922), fol. 1r–86v. Diese Handschrift enthält noch eine Reihe weiterer, für die Geschichte des Sachsenrechts in Böhmen und Mähren interessante Texte in tschechischer Sprache, u. a. 663
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Weichbildvulgata und das Meißner Rechtsbuch verarbeiten, letzteres in Form wechselseitiger Frage und Antwort.671 Das lediglich singulär in einer Zipser Handschrift überlieferte, abecedarische Handbuch „allerlay nutzlicher unnd nothwendiger Regeln des Rechtens [. . .] so in den XIII Städten im Zips ublichen“ des Kirchdraufer Notars Balthasar Apel aus dem Jahre 1628, zu dessen vornehmlichsten Quellen der Sachsenspiegel zählt, hat vor einigen Jahren Piirainen zusammen mit seinem damaligen Mitarbeiter Ziegler herausgeben.672 Bis in das 18. Jahrhundert hinein hat sich der Literaturtypus „Remissorium“ als gängige Erschließungshilfe gehalten;673 im 19. Jahrhundert finden sich dann fast nur noch Repertorien, die sich auf die einzelne, zu erschließene Quelle konzentrieren. Eine im späteren 15. Jahrhundert aufkommende Erschließungs- und Verständnishilfe für Rechtstexte sind die verhältnismäßig zahlreich und in verschiedensten Ausprägungen überlieferten Vokabularien, die einzelnen Rechtsworten zumeist lateinische Entsprechungen gegenüber stellen. Ob diese Textform auch in größerem Maße das Sachsenrecht erschließen half, ist noch ungewiss. Zwei solche Vokabularien hat Kisch aus Frühdrucken (Basel 1474, Augsburg 1517) nochmals nachgedruckt;674 weitere finden sich in der handschriftlichen Überlieferung. Hier ist die Identifizierung oft nicht ohne persönliche Autopsie der Handschrift möglich, da in der Regel die Verzeichnungen und Kataloge nicht hinreichend genau sind, sondern mit Sammelbegriffen wie „Vokabularium“, „Glossarium“, „Regulae iuris“ etc. arbeiten. Solche Vokabularien kommen aber nicht nur in der Literatur des sächsischen Rechts, sondern weit häufiger noch mit Bezug auf die gelehrten Rechte, vor allem das Kirchenrecht vor. Hier freilich scheint die Nutzungsrichtung die gegensätzliche zu sein: Während die sächsischen Vokabularien offenbar den Anschluss der veralteten oder spezifisch sächsischen Rechtsausdrücke an die veränderte, vom gelehrten Prozess eingeholte Übersetzungen sowohl der Weichbildvulgata samt Glosse als auch des Meißner Rechtsbuches und einige tschechische (d.h. wohl übersetzte) Magdeburger Schöffensprüche für Leitmeritz. Vgl. dazu auch Weizsäcker, Schöffensprüche für Leitmeritz, S. 7 f. 671 Prag, Nationalmuseum, II F 3 (Oppitz Nr. 1243), fol. 199r–408r. 672 Piirainen/Ziegler, Collectanea; vgl. auch Piirainen, Kirchdrauf. Leider hat es Pirrainen – wie stets bei seinen philologisch akribischen Editionen – unterlassen, die Quellen des Rechtsbuches auszuweisen, sodass diese Aufgabe dem Nutzer der Edition überlassen bleibt. Zusammenfassendes zu Apel jüngst noch Piirainen, Auswirkungen, S. 198–200. 673 So beispielsweise Wehner, Obervationum. Dabei handelt es sich um ein umfangreiches Remissorium, das unter hauptsächlich deutschen Lemmata Rechtsquellen und Literatur zusammenstellt. Hier wird die Nähe der Remissorien zur Enzyklopädie besonders sinnfällig. 674 Kisch, Vokabularien.
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Gerichtspraxis befördern sollen, darf man bei den Arbeiten, die termini technici der gelehrten Rechte mit volkssprachlichen Umschreibungen gegenüberstellen, vermuten,675 dass diese vor allem eine Orientierungshilfe für im Gelehrtenlatein wenig Geübte darstellen sollten.676 Kału erwähnt im Übrigen auch polnische Vokabularien des sächsisch-magdeburgischen Rechts.677 Dabei ist eine ähnliche Funktion anzunehmen. Die Erscheinungsformen der deutsch-lateinischen Vokabularien des Sachsenrechts sind entsprechend des konkreten Benutzungs- und wohl auch Entstehungszusammenhanges ausgesprochen bunt. In einer Wolfenbütteler Handschrift beispielsweise findet sich zunächst auf den Blättern 103r bis 113v ein deutsches Glossarium, das nur vereinzelt lateinische Entsprechungen beigibt (z. B. „palantzgrafe“ – „palatinus“, fol. 110r). Dem folgt auf fol. 115r–124r ein nach 99 Materien sauber gegliedertes zweites Glossar, das streng deutsch-lateinisch angelegt worden ist.678 Bemerkenswert dabei ist, dass nicht nur juristische Fachtermini aufgenommen worden sind, sondern offenbar annähernd der gesamte Stoff durchdrungen und nach einem nicht mehr ganz nachvollziehbaren Auswahlsystem verzeichnet worden ist. Die Handschrift ist auch insofern etwas besonderes, als sie keinen eigenständigen Sachsenspiegeltext, sondern nur die beiden Glossare, darüber hinaus einige kirchenrechtliche Texte, einen Processus iudiciarius des Johannes von Urbach (fol. 127r–179v), die thomasischen „Conclusiones de fide“ (fol. 187r–213v) und dergleichen mehr enthält. Mit Blick auf diese Überlieferungskonfiguration und die Besitzergeschichte der Handschrift (Gandersheim, Wildershausen, Northeim) wäre an einen Gebrauchskontext vielleicht in einem geistlichen Gericht im westlichen Harzvorland zu denken.679 Die Vokabularien vermengen sich oft mit den Funktionen eines (dann in der Regel nicht auf Vollständigkeit ausgelegten) Registers, manchmal stehen aber auch nur die Rechtsworte gegenüber. Eine genauere Untersuchung der Systematisierungsversuche und der Erschließungshilfen des Sachsenrechts müsste neben Remissorien und Abecedarien also auf relativ breiter handschriftlicher Basis auch diese Arbeiten mit einschließen. Das ist freilich mühsam und undankbar – und wohl vor allem deshalb bislang unterblieben. 675
Wichtige Überlegungen bei Olberg, Übersetzungsprobleme. Vgl. nur Kisch, Juridical Lexicography. Dort auch, S. 224–235, einige Beispiele, die bei der Klassifizierung des Materials helfen können. 677 Kałuz˙niacki, Rezension, S. 222. In dieser Richtung wäre aber insgesamt noch einiges zu tun; vgl. Spácilová, Vokabular. 678 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 270 Helmst. (Oppitz Nr. 1592). 679 Zur germanistischen Vokabularien-Forschung vgl. das Themenheft der Zeitschrift Niederdeutsches Wort 32 (1992), dort vor allem den Beitrag von Bernhard Schnell (S. 29–44) über die Gebrauchsfunktion spätmittelalterlicher Texte sowie Schnell, Vokabularienlandschaften. Grundlegend auch Kirchert, Ausbildung. 676
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IX. Vom „Gedankengang des Sachsenspiegels“ Von den Erschließungsbedürfnissen mittelalterlicher Nutzer ist es ein kurzer Weg zu einer Erkenntnis, die regelmäßig am Anfang einer ersten Beschäftigung mit dem Sachsenspiegel stehen dürfte: Der moderne Leser wird es nämlich schwer haben, im Landrecht ein vertrautes Ordnungsdenken vorzufinden. Zwar sind weite Passagen auch klar inhaltlich aufeinander bezogen, häufig sogar aufeinander aufbauend, jedoch finden sich immer wieder gedankliche Sprünge, inhaltliche Brüche oder Einsprengsel, deren Zusammenhang mit dem Vorgehenden oder Nachfolgenden sich dem gegenwärtigen Leser nur schwer erschließen mag. Das ist auch früheren Generationen schon so gegangen. Wenn es um die vorgeblich mangelnde Systematik des Sachsenspiegels geht, wird gern auf die Eingabe der sächsischen Landstände aus dem Jahre 1565 verwiesen, die ihren Landesherrn um eine Revision des so „dunklen“ Buches baten.680 In der Tat, das Ganze sei „so unordentlich geschrieben, das darinnen kein stücke schier ist, wie es sol, in sonderheit vorgenommen, sondern hin und herwider von diesen und von jenen rechtsfällen“ gehandelt werde – so beschwerte sich noch Ende des 16. Jahrhunderts, als Abhilfe in Form systematisierender Drucke bereits geschaffen war,681 der Zwickauer Rechtsgelehrte Konrad Lagus.682 Im Grunde ist die Problematisierung aber schon älter: Schon der Richtsteig Landrechts setzt es sich ja zur Aufgabe, all das, was im Sachsenspiegel über das gerichtliche Verfahren so verstreut („to stouwet“) zu finden sei, in eine systematische Form zu bringen.683 Und letztendlich zeugt natürlich die Existenz der unterschiedlichen Erschließungsansätze – von den teils monographisch teils mit dem Text selbst (Klasse IIc) verbundenen Registern über die systematisierten Fassungen des Landrechts (Klasse IId) bis hin zu den Abecedarien und Remissorien des 15. Jahrhunderts – ja vor allem von einem ordnenden Bedürfnis gegenüber dem überlieferten Text, das auch noch im 16. Jahrhundert reiche Blüten trägt. Mithin ist die Feststellung mangelnder oder undurchsichtiger Systematik auch keine, die nur auf das sächsische Landrecht beschränkt bliebe: Auch als 1857 der Oberpfarrer der Getrudiskirche zu Graba, Christian Wagner, über das alte Recht der Stadt Saalfeld handelte,684 bemerkte er, den Bestimmungen des Rechtsbuchs fehle „unter sich jeder innere Zusammenhang. Wie der Zufall und 680
Siehe unten, S. 285 ff. Zu diesen Drucken siehe unten, S. 283 f. 682 Lagus, Compendium, S. 4 – über ihn und sein „Compendium“ vgl. Theuerkauf, Lex, Speculum, compendium iuris, S. 183–216 und unten, S. 283 ff. 683 Homeyer, Richtsteig Landrechts, S. 83 (Prolog). 684 Dazu siehe unten, S. 460 ff. 681
IX. Vom „Gedankengang des Sachsenspiegels“
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das Bedürfniß nach einer gesetzlichen Norm es mit sich brachten, sind dieselben aneinandergereiht“ und insgesamt sei überhaupt alles „bunt durch einandergeworfen“.685 Im Grunde galt das gleiche Verdikt lange Zeit auch für den Sachsenspiegel. Erst das 20. Jahrhundert hat begonnen, zu fragen, inwieweit hinter der vermeintlich mangelnden Systematik der äußeren Erscheinung ein grundsätzlich anderes Ordnungsdenken hervortritt, das sich uns zunächst entzieht und erst durch eingehendere Analysen sichtbar gemacht werden kann. Wie seltsam nimmt es sich gegenüber einer solchen Einschätzung aus, wenn Thüring über Bractons „Tractatus“ schreibt, gegenüber dem Sachsenspiegel, „dessen Aufgabe es ist, rein deutsches Stammesrecht wiederzugeben“, fehle „dem englischen Werk Übersicht und Klarheit“.686 Solche Kuriosa sind aber die Ausnahme. Im Grundsatz war sich die ältere Forschung mit den Rechtspraktikern der Frühneuzeit durchaus einig: Der Sachsenspiegel sei eine Zumutung für das Ordnungsdenken des Juristen ebenso wie des rechtsinteressierten Laien.687 Etwas gütiger gegenüber den offenbar andersartigen Denkweisen des Spieglers zeigte man sich erst nach der Jahrhundertwende. Hans Thieme beispielsweise stellte fest, im Spiegel ringe das „Streben nach einem System [. . .] noch mit anderen Ordnungsprinzipien, mit Zahlenmystik, mit der Verwendung von Reimen und Rechtssprichwörter, vor allem aber mit assoziativen Denken, bei dem die Leitlinie verlassen wird, um etwas nur äußerlich Passendes anzuschließen, und dann vielleicht abermals mit einem jähen Abbruch der ursprünglichere Gedankengang wieder aufgenommen wird.“688 Diese Auffasung dürfte gegenwärtig kaum Widerspruch finden. Früh ist man auch bereits darauf verfallen, das Fehlen der im Empfinden des späteren Lesers so empfindlich vermissten Struktur nicht mehr Eike selbst, sondern späteren Interpolatoren anzulasten. Die Idee war zunächst eine durchaus einfache: Ließe man die „oft an unpassenden Stellen eingeschobenen späteren Zusätze“ beiseite, so sei „doch eine gewisse Ordnung in der Abhandlung der Materien unverkennbar“.689 Tatsächlich hat Nietzsche dieses Verfahren am Beispiel des ersten Landrechtsbuches vorgeführt, 685
Wagner, Saalfeld, S. 14. Thüring, Für und wider, S. 21, der fortfährt: „Der Engländer vermischt englisches Recht mit dem römischen und gibt einer Arbeit nach scholastischer Weise Begriffsbestimmungen und Distunktionen [!]. Der Ssp. dagegen ist frei von jedem fremden Einschlag; er ist ein rein deutsches Rechtsbuch, von einem kerndeutschen Mann verfasst.“ 687 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 303. 688 Thieme, Eike von Repgow, S. 193. 689 Seibertz, Landes- und Rechtsgeschichte, Bd. 1, 3. Abt., S. 326; ebenso Thöl, Einleitung, S. 25. 686
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
„denn unverkennbar weht ein ganz anderer Geist in den Stellen, die wir als spätere Zusätze zu betrachten haben“.690 Zu einem Ende geführt hat der zugleich große und fast gänzlich übersehene Rechtsbücherforscher diese wie so viele seiner anderen Arbeiten nicht; auch die von Voltelini angekündigten Ausführungen sind nie erschienen.691 Den ersten großen Entwurf, die Systematik des Sachsenspiegels aus ihm selbst heraus zu erschließen, hat in einem viel beachteten Aufsatz Erich Molitor versucht. Ihm ging es aber nicht nur, vielleicht nicht einmal primär um die Untersuchung des inneren Aufbaus und der Entstehung des Sachsenspiegels als Text, sondern vor allem um den Nachweis von (ggf. Eikes eigenen) Interpolationen, letztlich also noch immer, wie bereits der älteren Textkritik, um die Rekonstruktion eines „Ursachsenspiegels“. Überlegungen zur Struktur und zum gedanklichen Aufbau des Werkes, mithin zu seinem „ursprünglichen System“,692 waren dabei notwendiges Mittel zum Zweck. Die Problematik dieser Methode, die „keine absolut sicheren Ergebnisse bieten“ könne, hat Molitor freilich selbst gesehen,693 so dass es nicht wunder nimmt, wenn sich sein Ansatz trotz einer gewissen Breitenwirkung im Hinblick auf die häufige Zitation in späteren Arbeiten nicht hat durchsetzen können.694 Molitor unterscheidet: 1. Einleitungsgruppe (Vorreden bis Ldr. I 3) 2. erbrechtliche Gruppe (Ldr. I 4 bis Ldr. I 20) 3. familienrechtliche Gruppe (Ldr. I 31 bis Ldr. I 54) 4. prozessrechtliche Gruppe (Ldr. I 55 bis Ldr. II 12) 5. strafrechtliche Gruppe (Ldr. II 13 bis Ldr. II 65) 6. Landfriedensgruppe (Ldr. II 66 bis Ldr. III 3) 7. Nachträge zur prozessrechtlichen Gruppe (Ldr. III 3 bis Ldr. III 41) 8. öffentlich-rechtliche Gruppe (Ldr. III 43 bis III 82)
Den Grundgedanken Molitors, der vermeintlich ungeordnete Sachsenspiegel folge einer lediglich dem neuzeitlichen Leser nicht mehr unmittelbar einsichtigen Systematik, hat Käthe Ingeborg Beier später in ihrer unge690
Nietzsche, Rez. Homeyer, Sp. 737–739. Voltelini, Quellenkunde, S. 550. 692 Molitor, Gedankengang, S. 69. 693 Molitor, Gedankengang, S. 17. 694 Unter den vielen Kritikern vgl. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 107–110; Reincke, Ordeelbook, S. 85 und Schmidt, Studien, S. 1. An Molitors Gliederung angeknüpft hat Droege, Landrecht und Lehnrecht, S. 23 f. – vgl. ferner auch Gerbenzon, Excerpta legum, S. 340 f. 691
IX. Vom „Gedankengang des Sachsenspiegels“
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druckten Kieler Dissertation wieder aufgegriffen. Sie gibt die Frage nach möglichen Interpolationen auf, will vielmehr „nach Betrachtung der damaligen Situation [. . .] sich in den vermutlichen Gedankengang des Spieglers hinein“ versetzen und die Komposition des Rechtsbuches daraus „als durchaus folgerichtig erklären“.695 Allerdings kann auch Beier nicht umhin, gewisse Sprünge im gedanklichen Zusammenhang festzustellen, die sie freilich nicht zu erklären versucht, sondern sich darauf zurückzieht, sie seien wohl auf die „Ungeschicklichkeit eines Schreibers oder Abschreibers zurückzuführen“.696 So führt die Untersuchung durch die Hintertür zurück zur Textkritik und in zwei Fällen gar zu einem Widerspruch zur Rekonstruktion der Ordnung Ia: Ssp. Ldr. II 4 § 3 und Ldr. II 10 § bis II 11 § 4, die Eckhardt der Textordnung Ib zugewiesen hat,697 muss Beier zu Eikes vermeintlichem Urtext (Ordnung Ia) ziehen, um ihre Systematik zu sichern.698 Schließlich ist Gerhard Theuerkauf auf den verlockenen Gedanken verfallen, Eike könne sein Werk am Grundgerüst der Compilationes antiquae entlang strukturiert haben.699 Die Großgliederung scheine dabei durch die immer wieder im Text auftauchende Wendung „Nu vernement . . .“ (Ssp. Ldr. I 20; Ldr. I 33; Ldr. II 13; Ldr. II 58; Ldr. II 66; Ldr. III 45; Ldr. III 51) und die Berufung auf Gott (Praef. rhythm., V. 97; Textus prologi; Ldr. III 42 § 1; Lnr. 78 § 2) gegeben. Letzteres hat manches für sich,700 der Gedanke aber, Eike könne den Spiegel mühsam entlang der Dekretalensammlungen konstruiert haben, scheint wenig überzeugend; zumal auch Theuerkauf für seinen Entwurf nicht umhin kommt, gewisse Interpolationen und Sprünge an- und hinzunehmen. Insofern ist die Kritik Kroeschells an dieser Studie in jeder Hinsicht nachvollziehbar.701 Die Theuerkaufsche Systematik zeigt sich wie folgt:
695
Beier, Systematik, S. 1. Beier, Systematik, S. 107. 697 Eckhardt, Textentwicklung, S. 21–26. 698 Beier, Systematik, S. 53–55 und S. 58–60. 699 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 107–165. 700 Bemerkenswert ist beispielsweise, dass die singuläre Fünf-Buch-Einteilung des Oldenburger Codex picturatus gerade an diesen Stellen (Ldr. II 13; Ldr. II 66) die Bucheinschnitte setzt; vgl. dazu Goydke, Oldenburger Bilderhandschrift, S. 33. 701 Vgl. Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 439 f. und dessen eingehende und oft in diesem Zusammenhang zitierte Besprechung im Niedersächsischen Jahrbuch für Landesgeschichte 41/42 (1970), S. 249–251. Zustimmend jedoch hat sich Kroeschell gegenüber Theuerkaufs Anregung geäußert, aus der Analyse jenes „Gedankensganges“ eine Gliederung des Sachsenspiegels zu entwickeln; vgl. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 107–133. 696
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Vorreden Erster Teil: Sippe, Ehe, Gericht 1. Göttliche und ständische Ordnung (Textus prologi bis Ldr. I 3 § 2) 2. Sippe und Erbrecht (Ldr. I 3 § 3 bis I 19) 3. Ehefrau, Sippe, Eheliches Güterrecht (Ldr. I 20 bis I 32) 4. Gericht, Gerichtsverfassung, Prozessrecht (Ldr. I 33 bis II 12) 5. Unrecht im allgemeinen (Ldr. II 13 bis II 65) 6. Unrecht vor Gericht, Strafprozessrecht (Ldr. II 66 bis III 41) Zweiter Teil: Gesellschaftliche Ordnung im Reich und in Sachsen 1. Göttliche Schöpfung und menschliche Unfreiheit (Ldr. III 42 § 1 bis Ldr. III 44) 2. Ständische Ordnung im Reich und in Sachsen (Ldr. III 45 bis III 82 § 1) 3. Lehnrechtlich Ordnung im Reich und in Sachsen (Lnr. 1 bis 78 § 1)
Ignor hat im Übrigen in den Raum gestellt, ob nicht jenes „Nu vernemet“ dem „Audite!“ der lateinischen Rhetorik nachgeformt sein könne.702 Das berührt nicht die Frage nach der Struktur, ist aber interessant im Hinblick auf den eingangs formulierten Vergleich der Rechts- mit Lehrbüchern.703 Theuerkaufs Deutung hat sich zwar nicht durchsetzen können, ist jedoch breit rezipiert worden, wodurch viele andere Überlegungen in seiner gedankenreichen Studie überdeckt worden zu sein scheinen, jedenfalls von der späteren Literatur nicht mehr aufgegriffen worden sind. Einen – wohlmöglich über die Aufsehen erregenden Thesen Theuerkaufs – kaum bemerkten Versuch zur Systematik des Sachenspiegels hat beinahe zeitgleich Georg Droege vorgelegt.704 Sein Ansatz, in Eikes Rechtsbuch ein „landrechtliches System“ nachzuweisen, ist weit weniger spektakulär, kann aber insgesamt auch kaum überzeugen, da seinem Entwurf lediglich der vulgate Text zugrunde liegt und die historischen Entwicklungsstufen des Textes ebenso wie dessen Quellen, beispielsweise die königlichen Landfrieden, nicht genügend beachtet werden.705 Den letzten Versuch, eine Tiefenstruktur des Landrechts nachzuweisen, hat dann wenige Jahre später Ignor in expliziter Anlehnung an Theuerkauf unternommen.706 Er sieht mit gutem Grund das Verfahren als Mittelpunkt 702 Ignor, Rechtsdenken, S. 206. Zum „Audite“ vgl. Arbusow, Colores rhetorici, S. 102 f. 703 Siehe oben, S. 44 ff. 704 Droege, Landrecht und Lehnrecht, S. 54–56 und S. 76–79. 705 Kroeschell, Von der Gewohnheit zum Recht, S. 74. 706 Ignor, Rechtsdenken, S. 260–281; vor allem auch ders., Indiz und Integrität.
IX. Vom „Gedankengang des Sachsenspiegels“
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und Ordnungsprinzip des Rechtsbuches, das ja in der Tat bereits quantitativ einen beachtlichen Raum einnimmt. Tatsächlich sind seine Überlegungen ausgesprochen kohärent und nachvollziehbar, können aber bestenfalls den großen Textabschnitt zwischen Ldr. I 33 und Ldr. III 41 erklären und kommen auch nicht umhin, mit Ldr. III 73 bis III 77 einen gedanklichen Sprung hinzunehmen. Seine Systematik stellt sich wie folgt dar:707 I. Reimvorrede: Sachliche und persönliche Abfassungsgründe 1. Gruppe (Stichwort „wol“), Praef. rhythm., V. 97–124 2. Gruppe (Stichwort „recht“), Praef. rhythm., V. 125–150 3. Gruppe (Stichwort „dit recht“), Praef. rhyhtm, V. 151–178 4. Gruppe (Stichwort „dit buk“), Praef. rhyhtm, V. 179–220 5. Gruppe (Stichwort „G[r]ot“), Praef. rhyhtm, V. 221–260 6. Gruppe (Widmung), Praef. rhyhtm, V. 261–280 II. Prologus: Gebet und Ermahnungen (insgesamt 6 Sätze) Erster Teil: Das Landrechts als Ordnung der Freiheit I. Die göttliche Weltordnung und das Recht der Güterordnung 1. Die göttliche Weltordnung (Textus prologi bis Ldr. I 3 § 3) 2. Die Güterordnung: das Erbrecht a) Eingrenzung der Erben und des Erbgutes (Ldr. I 3 § 3 bis I 19) b) Der Erbfall (Ldr. I 20 bis I 32 und Ldr. III 74 bis III 77) II. Das Recht als Weg, die gestörte Ordnung wiederherzustellen 3. Das Gericht allgemein (Ldr. I 33 bis II 12) 4. Das Verbrechensunrecht und das Gericht, das darüber zu ergehen hat (Ldr. II 13 bis III 41) Zweiter Teil: Die rechtmäßige Gewalt 5. Die rechtmäßige Gewalt als Bewahrerin und Vollstreckerin des Rechts und der Freiheit (Ldr. III 42 bis III 82, ohne Ldr. III 74 bis III 77) 6. Die lehnrechtliche Ordnung (Lnr. 1 bis 78 § 1) Schluss: Ermahnungen (Lnr. 78 §§ 1, 2, insgesamt 6 Sätze)
Einige bedenkenswerte Ansätze zum Problem der Systematik hat schließlich an etwas entlegener Stelle Johannes-Michael Scholz eingebracht,708 der darauf hinweist, dass das zeitgenössische Ordnungsdenken des 16. Jahrhun707 708
Ignor, Rechtsdenken, S. 280 f. Scholz, Landrechtsentwurf, S. 145–151.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
derts durchaus befriedigt sei, wenn die einzelnen Sätze „in certos locos certaque capita“709 gebracht seien und sehr gekonnt die Verbindung zu Melchior Klings systematischer Bearbeitung von 1571/72 zieht.710 Ganz Ähnliches hat auch Heine bereits über System und Methode bei Carpzov festgestellt.711 Will man diese Idee weiterdenken, wäre eine Betrachtung nicht nur der Sachregister- und der systematischen Handschriften, sondern insgesamt aller Erschließungshilfen angezeigt, die zur Benutzung des Sachsenspiegels von den Zeitgenossen erarbeitet worden sind, also auch Remissorien, Abecedarien und nicht zuletzt die Inhaltsregister einzelner Landrechtshandschriften. Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, dass das Inhaltsverzeichnis einer solchen Handschrift tatsächlich getreu die Kapitel des folgenden Textes wiedergibt und in keinem Fall durchweg auf das Unvermögen des Schreibers zu schieben, dass dem so ist. Gerade an den Herangehensweisen an einen Text wie den Sachsenspiegel, ließe sich so sicher einiges über das Ordnungsdenken des späteren Mittelalters in Erfahrung bringen und so die Rechtsbücherforschung auch außerhalb ihres engeren Fachzirkels für übergeordnete und wichtige Fragen der Mediävistik fruchtbar machen. Dafür kann hier freilich nicht der Ort sein. Wir halten fest, dass die bisherigen Ansätze zu einer Erklärung der Sachsenspiegel-Systematik nicht befriedigen können und stimmen – ein wenig resigniert – Kroeschell zu, dass der Sachsenspiegel, „selbst wenn man ihn sich mehr assoziativ als systematisch aufgebaut denkt, doch ein recht zyklopisches Gefüge darstellt“.712
X. Die Sächsische Weltchronik Lange Zeit galt auch die weit verbreitete Sächsische Weltchronik aus dem 13. Jahrhundert als ein Werk Eikes von Repgow.713 Das hat man schon früh aus der Zeile „dat is des van Repegowe rât“714 schließen wollen. So nennt ihn beispielsweise noch Enoch Hanmann715 als Chronisten, während die frühen Teilausgaben des 18. Jahrhunderts keinen Namen nennen.716 Ausführlich hat diese Auffassung dann aber erst Hans Ferdinand Massmann 709 Gribaldi, Tractatuum, fol. 406r – der Hinweis darauf bei Scholz, Brandenburgischer Landrechtsentwurf, S. 151. 710 Dazu unten, S. 283 ff. 711 Heine, Methode. 712 Kroeschell in der S. 191, Anm. 701 genannten Rezension zu Theuerkauf, dort S. 250. 713 Die einschlägige Ausgabe bietet trotz aller Kritik noch immer Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 1–384 (einschließlich Fortsetzungen). 714 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 66 (Z. 88 f.). 715 Hanmann, Prosodie, S. 164.
X. Die Sächsische Weltchronik
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begründet.717 Als Chronisten allerdings führt auch Mencke uns den Reppichauer vor: Allerdings nicht als Autor der Weltchronik, sondern als Verfasser der lateinischen Fassung der Magdeburger Weichbildchronik („breve Chronicon Magdeburgsense, ab Anonymo Germanice versum“).718 Unstrittig blieb, dass die Sächsische Chronik auf das Rechtsbuch zurückgegriffen habe und nicht umgekehrt. Weddige hat die Weltchronik gar – etwas überspitzt – als „historisch-narrativen Kommentar zum Rechtsbuch“ bezeichnet.719 Die neueren Forschungen, auf die weiter unten noch einzugehen sein wird, lassen aber im Grunde auch keinen Zweifel, dass die Welt716 Eckard, Corpus, Bd. 1, Sp. 1315–1412 („Chronicon Luneburgicum vernacula lingua conscriptum ad Wilhelmum Regem Germanie extensum“) und Mencken, Scriptores, Bd. 3, Sp. 63–128 („Anonymi Saxonis Historia Imperatorum a Carolo M. usque ad Fridericum II. et quidem ad an. MCCXXXV“). 717 Massmann, Zeitbuch, S. 651–658. Beinahe zeitgleich auch Schoene, Repgauische Chronik. 718 Mencke, Scriptores, Bd. 3, unpag. Vorrede: „Nobilissimum inter veteres Germaniae & praesertim Saxoniae Jureconsultos est Viri gerneis splendore & Juris nostri scientia clarissimi Epkonis seu, ut quidam interpretantur, Eccardi de Repkau, quem Seculo XIII sub Friderico II floruisse, illud indicio est, quod coaevum habuit Hoyerum Comitem de Falckenstein, cujus jussu vel certe monitu Speculum Saxonicum, quod Latino primum idiomate componere tentaverat, Germanico exaravit, & cum quo subscripisse, sed jussu Comitis illius Falkensteinii idem a Monacho quodam eodem aevo Germanice versum fuisse, ipsa Praefatio rhythmica in nostro Codice Chronico immediate praemissa, docet: ita enim pro nomine Falkensteinii; ut scriba scripserat imprudens, legendum esse Falkensteinii, nullum omnino mihi dubium est: & vidit quoque Cl. Jac. Frid. Ludovici, qui in editione sua Halensi Juris Weichbildici de A. 1721 Praestionem quidem nostram dedit, quasi eidem Juri praemissam, Chronicon vero, ad quo ea re vera spectat, omisit. Etsi autem non sim nescius, idem Chronicon Juri Weichbildico alias praemitti sub titulo: Chronica de tempore creationis mundi, non aliam ob causam, ut videtur, quam quia Glossa semel vel bis ad illud provocat; operae tamen pretium visum est, idem hoc loco, quippe magis opportuno, quo & alia quaedam, quae ad res Magdeburgicas pertinent, referre constitutum erat, repetere, maxime cum Bibliotheca nostra Academica Codicem nobis suppeditaret, qui praeter Epkonis de Repkau Speculum Saxonicum continebat etiam hoc ejusdem Chronicon Magdeburgicum, quod eidem deberi Editores ignorarunt: quanoquidem ex editione de A. 1537 plane exulat illa praefatio, & quamvis Zobelius in sua de A. 1589 illam afferat, non tamen justo loco, sed demum post Chronica posuit, quasi Codici Juris Weichbildici, quod sequitur, fuerit praemissa, ut itaque, qui exinde eidem Repkavio, Speculi Saxonici autori, Juris Weichbildici compilationem tribuere etiam velint, oppido fallantur. Progreditur in eo Autor usque ad Wilhelmum Hollandiae Comitem, ad Germaniae sceptra evocatum, & Rupertum Archiep. Magdeburgensem, quibs adeo temporibus Nostrum ad senium vergentem, (si, ut dximus, jam A. 1215 testis adhibitus fuit idoneus) haud multum, superstitem fuisse proclive est. [. . .]“ – die Weichbildchronik ist gedruckt ebd., Sp. 349–360. 719 Weddige, Heldensage, S. 126; zur Darstellung des Sachsenspiegels insgesamt vgl. S. 126–130 sowie S. 190 f. mit Abb. 5–7 u. ö. – zu dieser Studie auch die gründliche Besprechung von Klaus Graf in der Germanisch-Romanische Monatsschrift, N. F. 41 (1991), S. 101–103.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
chronik erst nach dem Spiegel verfasst worden ist und also in der Tat diese sich auf jenen beruft. Die handschriftliche Überlieferung der Chronik wird in drei große Rezensionen (A, B und C) unterschieden, als deren älteste man seit Weiland A annahm. Diese These übernahm auch Hermann Ballschmiede, der in seiner unter der Ägide von Roethe entstandenen Dissertation einen umfangreichen Versuch unternahm, Eike als den Verfasser dieser Rezension schlussendlich nachzuweisen.720 Er nutzte dazu freilich nur die Weilandsche MGH-Ausgabe und deren Variantenapparat, ohne handschriftliches Material hinzu zu ziehen. Von seinen Ergebnissen ist dann später Karl August Eckhardt ausgegangen: Auch er ging von einer Rezension A (bis auf das Jahr 1230) aus, die noch auf Eike von Repgow selbst zurückginge, sodann eine Rezension B (bis 1235) und eine Rezension C, die auf einen Redaktor „im Michaeliskloster zu Lüneburg“ zurückgehe, der „den überkommenen Bestand der Weltchronik zur höheren Ehre des welfischen Herzogshauses, aber sehr zum Schaden des Textes überarbeitete“.721 Die Fortsetzung der Jahre 1235 bis 1248, die sich in allen Handschriften der C-Rezension findet, gehe hingegen nicht auf jenen Lüneburger Interpolator, sondern auf einen Halberstädter Geistlichen zurück.722 Neben der expliziten Nennung des „van Repegowe“ können auch inhaltliche Referenzen ausgemacht werden, die nur schwerlich als zufällig interpretiert werden können. Die erste behandelt die Ächtung Heinrichs des Löwen: Ssp. Ldr. I 38 § 2
Sächsische Weltchronik, cap. 329
Die ok jar unde dach in des rikes achte sin, die delt man rechtlos, unde verdelt in egen unde len, dat len den herren ledich, dat egen in die koningliken gewalt. Ne tiet de erven nicht ut ut der koningliken gewalt binnen jar unde dage mit irme ede, se verleset it mit sament jeneme [. . .]
[. . .] In der achte belef he ja runde dach, darumbe ward eme verdelet echt unde recht unde egen unde len; dat len al sinen herren ledich, date gen in de koniglike walt. Des verloren sine kindere date gen, dat se in tu der koningliken walt nicht ne togen binnen jare unde dage.
Die zweite offensichtliche Parallele bezieht sich auf das vierte Lateranum von 1215. Hier hat der Chronist offenbar sein Wissen allein aus dem Rechtsbuch bezogen. Denn er weiß nichts von den großen reichspolitisch 720
Ballschmiede, Sächsische Weltchronik. Eckhardt, Entstehungszeit, S. 105; vgl. ferner auch ders., Sächsischen Weltchronik. 722 Eckhardt, Entstehungszeit, S. 106 f. 721
X. Die Sächsische Weltchronik
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bedeutsamen Beschlüssen zur Kaiserfrage, nichts von der Vorbereitung zum fünften Kreuzzug, über die andere Chroniken länglich berichten, sondern bringt lediglich „das, was einzig für ein weltliches Rechtsbuch von Wichtigkeit ist, die Neuregelgung des Eherechts“.723 Das ist in der Tat auffallend und nur nachvollziehbar, wenn der Chronist entweder den Sachsenspiegel selbst oder dessen Quelle genutzt hat.724 Letzteres übrigens ist bisher scheinbar noch nicht in Betracht gezogen worden. Eine größere Zahl weiterer Ähnlichkeiten sind weniger eindeutig.725 Fraglich bliebe zum Beispiel ein möglicher Rückgriff der Chronik auf das Rechtsbuch für den Bericht über die Übergabe der Grafschaft Stade an Erzbischof Gerhard II. von Bremen durch Pfalzgraf Heinrich bei Rhein im Jahre 1219, der anmerkt, dass nur ein Schwabe dies ohne Erbenlaub tun dürfe.726 Herkommer und mit ihm auch Menzel haben argumentiert, es handle sich dabei um keinen Rückgriff auf Ssp. Ldr. I 52 § 1, denn in Ldr. I 19 § 1 werde ja ausdrücklich bestimmt, das schwäbische Recht „tveiet von sessischeme nicht, wende an erve to nemene unde ordel to scelden“.727 Da es sich aber bei der Übergabe weder um eine Erbnahme noch natürlich um eine Urteilsschelte handelte, müsse das Rechtsbuch als Quelle dieses Satzes ausfallen, der ja „gleichsam im Widerspruch“ zum Sachsenspiegel stünde.728 Das scheint mir zu kurz argumentiert, setzt es doch voraus, dass entweder die Sätze des Sachsenspiegels bezüglich des Sonderrechts der Schwaben tatsächlich allgemein bekannte Rechtsgewohnheit der Zeit gewesen seien, oder aber, dass der Chronist, wenn er sich schon des Sachsenspiegels als Quelle bediente, diesen vollständig zur Kenntnis genommen und dessen Inhalt stets in seiner Gänze präsent gehabt haben müsse. Beides dürfte nicht zwingend der Fall gewesen sein. 723
Menzel, Sächsische Weltchronik, S. 98. Eckhardt, Entstehungszeit, S. 12 f. 725 Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 147–155, Ballschmiede, Sächsische Weltchronik, S. 29 f. und Eckhardt, Entstehungszeit, S. 14 f. nennen noch: 724
Sächsische Weltchronik
Sachsenspiegel
S. 67, Z. 1, 10, 21 f., 26 f.
Textus prologi
S. 68, Z. 30 bis S. 69, Z. 2
Ldr. II 66 § 2
S. 78, Z. 10 ff. und Z. 26 ff.
Ldr. III 44 §§ 3, 4; III 44 §§ 1–3
Die Angaben richten sich dabei jweils nach der Edition Weiland, Sächsische Weltchronik. 726 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 242, Z. 25–33. 727 Herkommer, Prolegomena, S. 24. 728 Menzel, Sächsische Weltchronik, S. 98.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Natürlich sagen etwaige Parallelen noch gar nichts über einen gemeinsamen Verfasser aus.729 Gegen die Verfasserschaft Eikes spricht dagegen vor allem die so genannte „Predigt“, die in cap. 76 mitten in die Geschichte Kaiser Konstantins eingeschaltet worden ist,730 denn dort rechnet der Verfasser sich und sein Publikum zu den Geistlichen („we geistliken lude, de geistliken leven sollen“).731 Wie ließe sich das mit dem Laien Eike von Repgow verbinden? Daran anknüpfend konnte Zeumer annehmen, dieser sei „nach Vollendung des Sachsenspiegels in der einen oder anderen Weise in den geistlichen Stand getreten“ und habe dieser neuen Geistlichkeit in seiner Chronik Ausdruck verliehen.732 Wollte man das nicht annehmen, so blieb, wie beispielsweise für Ballschmiede, die Notwendigkeit, diese Passage als Interpolation hinzustellen.733 Gerade letzteres steht aber in erkennbarem Widerspruch zum gesamten Grundton der Chronik.734 Den Wendepunkt in der Forschungsgeschichte der Sächsischen Weltchronik markiert die bei Stackmann entstandene Bonner Dissertation von Hubert Herkommer, die erstmals und mit überzeugenden Argumenten eine Verfasserschaft Eikes vollständig ablehnte. Diese Studie hat heftige Diskussionen ausgelöst.735 Bemerkenswerterweise war dabei nicht die bestrittene Autorschaft Eikes Mittelpunkt der Diskussion, sondern stand vielmehr die von Herkommer vorgenommene Umkehrung der bisher angenommenen Abfolge der unterschiedlichen Textrezensionen zur Debatte. Vor allem Michael Menzel hat ein anderes, ausgearbeitetes Modell der Überlieferungsgeschichte plausibel zu machen gesucht; nachdrücklich plädiert er für eine frühere Entstehung der Ursprungsfassung (1225–1229), die damit auch wieder in die Abfassungszeit des Sachsenspiegels rückt.736 Die Verneinung einer Autorschaft Eikes an der Weltchronik hingegen scheint mittlerweile und 729 Unsinnig sind, wie Menzel, Sächsische Weltchronik, S. 97 zu Recht feststellt, Vergleiche von (unspezifischem, also nicht Fach-)Wortschatz und Wortverwendungen, wie sie vor allem Ballschmiede, Sächsische Weltchronik, S. 117–122 anstellt. 730 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 115–117 (cap. 76). 731 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 116 (Z. 32 f.). 732 Zeumer, Sächsische Weltchronik, S. 142. 733 Ballschmiede, Sächsische Weltchronik, S 98–101. 734 Herkommer, Prolegomena, S. 20 und S. 27 f.; Menzel, Sächsische Weltchronik, S. 87 f. – bei beiden auch der Hinweis auf die minoritischen Züge dieser Predigt. 735 Vgl. nur die Besprechung von Gerhard Cordes im Niederdeutschen Jahrbuch 96 (1973), S. 181–190 und Geith, Überlieferungsgeschichte, sowie dazu Herkommer, Prolegomena, dort vor allem den Absatz zur Diskussion der letzten Jahre (S. 33–42). 736 Menzel, Sächsische Weltchronik, S. 176–182. Zu Verfasserfrage ebd., S. 16: „Das Verfasserproblem wird auch weiterhin eine Frage bleiben, zu deren Beantwortung das bisherige Überlieferungsgut letztlich nicht ausreicht.“
X. Die Sächsische Weltchronik
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scheint auch schon bei Erscheinen der Herkommerschen Studie weitgehend akzeptiert.737 Tatsächlich sind besonders von Seiten der Germanistik immer wieder Zweifel angemeldet worden,738 ohne aber, dass eine umfassende Untersuchung angestrengt worden wäre, die diese Zweifel bünden und zu einer überzeugenden Gesamtaussage verhärten hätte können. Aus der jüngeren Literatur hat, soweit ich es übersehe, lediglich van Hoek an Eikes Verfasserschaft festgehalten.739 Vor einigen Jahren hat dann Jürgen Wolf, der sich in der Diskussion der Rezensions- und Datierungsfrage sehr zurückhält, in seiner Marburger Dissertation den Katalog der bekannten Handschriften von 34 (Herkommer) auf 58 erweitern können.740 Seine umfangreiche Arbeit betrachtet vor allem Überlieferungs- und Gebrauchskonfigurationen und hat damit den Blick auf die Weltchronik sehr erweitert. Zuletzt hat schließlich Thomas Ertl sich näher mit der Sächsischen Weltchronik auseinandergesetzt und zwar nichts Neues zur Diskussion um Datierung und Überlieferungsgeschichte, wohl aber einige neue Argumente für eine Entstehung der Chronik im franziskanischen Umfeld beibringen können.741 Unter den Handschriften der Sächsischen Weltchronik finden sich auch eine Reihe lateinischer Bearbeitungen, unter anderen auch eine, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Altzelle entstand,742 ferner auch einige Bilderhandschriften.743 Besonders verbreitet sind die Handschriften der Prosabearbeitung. Diese Prosaform hat Gisela Kornrumpf als einen der zentralen Gründe für die dann aber ausnehmend breite Rezeption erst im 14. Jahrhundert identifiziert – diese Form chronikalischer Darstellung werde sozusagen „jetzt erst ‚zeitgemäß‘ “.744
737 Vor allem Zips, Bemerkungen, der im Übrigen auch auf eine Reihe inhaltlicher Gegensätze zwischen Chronik und Rechtsbuch hingewiesen hat; vgl. ferner Johanek, Eike von Repgow, S. 717; Schmidt, Bilderhandschriften, S. 748 f.; Schmidt-Wiegand, Von der autornahen zur überlieferungskritischen Ausgabe, S. 18–20; dies., (Art.) Sächsische Weltchronik. 738 Krogmann, Verderbnisse, S. 313. 739 Hoek, Untersuchung. Zweifel an Herkommers Argumentation hatte allerdings auch Cordes in seiner Besprechung (vgl. Anm. 735, S. 198) angemeldet. 740 Wolf, Sächsische Weltchronik, S. 18–120. 741 Ertl, Religion und Disziplin, bes. S. 330 ff. und S. 344 ff. 742 Vgl. dazu besonders Marquis, Meißnische Geschichtsschreibung, S. 43–48. 743 Schmidt, Bilderhandschriften; vgl. auch die Einzelstudie von Scheele, Sächsische Weltchronik. 744 Kornrumpf, Handschriftenkataloge, S. 5–7.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
XI. Der Sachsenspiegel und das sächsische Lehnrecht Wenn vom „Lehnrecht des Sachsenspiegels“ gesprochen wird, wird damit eine Grundhypothese übernommen, die in der rechtshistorischen Forschung seit langem als akzeptiert gilt: Die genuine Verbindung des Land- und Lehnrechts zu einem Werk, dem Sachsenspiegel. Karl Kroeschell zählt es geradehin „zu den charakteristischen Merkmalen des Sachsenspiegels, daß er das Landrecht und das Lehnrecht umfaßt.“745 Die Annahme, Eike auch als Autor des Lehnrechts anzusprechen, ist vor allem inhaltlich begründet. Theuerkauf und andere haben wiederholt auf die enge Verbindung des dritten Landrechtsbuches mit dem Lehnrecht hingewiesen,746 und wenig später hat dann Ignor dies mit Blick auf den Gerichtsgang noch einmal bestätigt.747 Dabei ist die Autorschaft Eikes am Lehnrecht, was selbstverständlich auch Kroeschell nicht unbekannt und von ihm zumindest kurz berührt worden ist, letztlich keineswegs zwingend nachweisbar und auch nicht zu allen Zeiten unwidersprochen geblieben: Vehement gegen diese Annahme ist Grupen eingetreten.748 Er sah den Gleichklang vieler Formulierungen nur „als dero Zeit übliche terminos forenses“, die „kein andringl[ich]es argument“ (fol. 157r) für einen gemeinsamen Verfasser darstellten. Vielmehr vermutete er, „daß der Verfaßer des Sächsischen Lehnrechts ein Mann gewesen, der sonderlich des Märkischen Rechts kundig gewesen“ (fol. 160v), da dieser die Bestimmung über die Sondergerichte des Auctor vetus de beneficiis (II 65) mit dem zusätzlichen Hinweis auf die Mark versah. Eike könne dieser Verfasser jedenfalls nicht gewesen sein, denn: „Wäre der Verfaßer des Sächsischen Lehn-Rechts Ecco von Repchow, so würde er alhier von sich angeführet haben, daß er solches in Land-Rechte schon gesaget habe.“ (fol. 158v) Ferner sei „merklich, daß der Vetus Glossator Marchicus, Herr von Buch, Ecconem von Repchow allenthalben, wo er mit seiner Compilation zu thun hat, sorgfältig nenne. Allein so oft er das Sächsische Lehnrecht anziehet, welches er ofte thut, macht er Ecconem von Repchow nirgends zum Verfaßer des Lehnrechts.“ (fol. 159r) Auch das Mittelalter hat, soweit ich es überblicke, Eike nicht als Verfasser des Lehnrechts angesehen. Die enge Verbindung mit dem oft gemeinsam überlieferten Landrecht aber haben offenbar auch schon die Zeitgenossen gesehen und das Lehnrecht recht zwanglos an dessen legendarischen Ursprung im Kaiser745
Kroeschell, Sachsenspiegel als Land- und Lehnrechtsbuch, S. 13. Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 341: „Der Sachsenspiegel besteht aus zwei Teilen, die sich nicht mit seinem Landrecht und seinem Lehnrecht decken. [. . .]“ Vielmehr sieht er Ssp. Ldr. III 42 ff. und Lnr. als eine Einheit, den zweiten Teil des Sachsenspiegels – siehe auch oben, S. 188 ff. 747 Ignor, Rechtsdenken, S. 255–281. 748 Celle, StdA, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr 2, fol. 157r–161r. 746
XI. Der Sachsenspiegel und das sächsische Lehnrecht
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recht angebunden. So heißt es in einer Hallenser Handschrift am Ende des Lehnrechts: „Hir endet id lenrecht, dat deme lande to Sassen alse eyn besunder privilegium van deme Keyser Frederik van Stouffe ok ghegeven is, alse vorfaren steyt.“749 Diese Auffassung treffen wir bis weit in die frühe Neuzeit hinein immer wieder an. Nimmt man die Autorschaft Eikes dagegen einmal als gegeben an, so lässt sich das Lehnrecht sowohl für exegetische Argumentationen auf das Landrecht beziehen als auch sogar für biographische Spekulationen heranziehen. So hat beispielsweise aus der scharfsinnigen Beobachtung, dass neben dem „gemenen lenrechte“ (Ssp. Lnr. 71 § 1) auch dem „borchrecht“ (Ssp. Lnr. 71 § 8 bis Lnr. 72 § 10) bemerkenswert viel Beachtung zuteil wird,750 Eckhardt die spezifische Verbindung Eikes zu dieser Rechtsform als wohlmöglich Enkel eines Giebichensteiner Burgmannen ableiten wollen.751 Was die zeitliche Abfolge anbelangt, so scheint die Ansicht, das Lehnrecht sei erst nach dem Landrecht entstanden, vorzuherrschen. Schon die ältere Forschung nahm an, das Lehnrecht sei „wahrscheinlich der zweyte Theil des Sachsenspiegels aus den ersten Decennien des folgenden [scilit. des 13.] Jahrhunderts“.752 Die zur Begründung herangezogenen und im Grunde auch zutreffenden Einschätzungen, das Lehnrecht sei „rationaler bestimmt und auch knapper formuliert“753 oder „thematisch geschlossener als das Landrecht“754 sind dürftige Indizen für eine solche Annahme, die aber dennoch für sich reklamieren kann, gegenwärtig communis opinio zu sein. Eckhardt argumentiert für den zeitlichen Vorrang des Landrechts reichlich schal mit „der üblichen Anordnung der beiden Teile und der Lebenserfahrung, daß die letzten Partien eines Werkes in der Regel auch zuletzt niedergeschrieben werden“.755 Unter den neueren Arbeiten haben lediglich Theuerkauf und Krause die Ansicht vertreten, das Lehnrecht gehe in seiner Abfassung dem Landrecht voraus.756 Als weiteres Indiz könnte freilich der Halle, ULB, Ye 2o 61 (Oppitz Nr. 664), fol. 424v – weitere Beispiele wären Grimma, StdA, II.4 Nr. 1 (Oppitz Nr. 635), fol. 1r: „Constitutiones Imperatoris Friderici super librum feudorum“ und Soest, StdA, Cod. 25/2 (Oppitz Nr. 1357), fol. 159r: „[. . .] completa sunt he iura per Cearem edita populoque per instructionem pronunciata in vigilia omium sanctorum.“ sowie das Incipit der Lehnrechtsglosse in Darmstadt, HLB, Hs. 3762 (Oppitz Nr. 394), fol. 3r: „Hie hebith sich an das lenrecht, des keisir Friderich gesatzth hat.“ 750 Kroeschell, Sachsenspiegel als Land- und Lehnrechtsbuch, S. 14. 751 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 14. 752 Paetz, Lehrbuch, S. 67. 753 Scheele, Todeswürdige Delikte, Bd. 1, S. 23. 754 Kroeschell, recht unde unrecht der sassen, S. 84. 755 Eckhardt, Textentwicklung, S. 50. 756 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 115 f.; Krause, Leihezwang, S. 72 f. – für möglich hält das scheinbar auch Kroeschell, Von der Gewohn749
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Umstand angeführt werden, dass das Landrecht eine ganze Reihe von eindeutig lehnrechtlichen Artikeln beinhaltet.757 Schließlich verweist das Lehnrecht an zwei Stellen (Lnr. 68 § 9; Lnr. 70) auf das Landrecht. Wir wollen diese Frage offen lassen, weil ihre Beantwortung im Großen und Ganzen kaum einschlagende Konsequenzen für die Sachsenspiegelforschung hätte. Bereits in den ältesten uns überlieferten Handschriften, dem Harffer und dem Quedlinburger Codex, tauchen Land- und Lehnrecht gemeinsam auf, so dass eine genuine Verbindung zumindest schon sehr früh belegt ist. Ein von Rosenstock aufgefundener Textzeuge aus der Zeit um 1300 zählt Landund Lehnrecht gar in fortlaufender Kapitelnummerierung, ohne zwischen den beiden Materien zu unterschieden.758 Ob das als Indiz für eine solche enge Verbindung in der oder den autornahen Handschrift(en) ausreichen mag, scheint mir fraglich. Jedenfalls hat es durchaus Berechtigung, sich mit Dieck auf den Standpunkt zu stellen, man könne „ganz davon absehen, ob das sächsische Lehnrecht von dem nämlichen Verfasser herrühre, als das sächsische Landrecht, immer findet es sich hinter dem letztern doch in den meisten Handschriften des Sachsenspiegels.“759 Als integraler Bestand des Sachsenspiegels wahrgenommen und genutzt wurde das Lehnrecht also wohl mit einiger Regelmäßigkeit. Dagegen scheint mir die Frage, ob es das tatsächlich auch gewesen ist, von zweitrangiger Bedeutung. Auch das Lehnrecht hat wohl noch im Verlauf des 14. Jahrhunderts eine Glossierung (erhalten in einer Kurz- und einer Langform) erfahren, die aber heit zum Recht, S. 74. Theuerkaufs Weg, anhand eines Vergleiches einschlägiger Parallelstellen, die präziseren und damit vermutlich jüngeren Sätze festzustellen, wäre in der Frage der Textabfolge immerhin ein Anfang. Er nennt zu Vergleichszwecken: Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. 757
19 38 65 67 67 67 68
§2 §4 §7 §5 §§ 6–7 §8 §8
Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr.
I 18 § 2 II 70 I 54 § 1 III 30 § 1 I 62 § 7 I 62 § 11 III 64 § 2
Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr. Lnr.
69 69 69 69 71 71 71
§3 §5 §6 § 11 §2 §3 §§ 21
Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr. Ldr.
II 12 § 10 II 12 § 11 II 12 § 4 II 12 § 5 III 52 § 3 III 53 § 3 III 58 §§ 1, 2
Deshalb fügt Senckenberg, Corpus iuris feudalis, S. 590–599 seiner Lehnrechtsausgabe auch zwanglos die lehnrechtlichen Artikel des Sachsenspiegel-Landrechts als Anhang bei: Ldr. I 3; Ldr. I 4; Ldr. I 9; Ldr. I 14; Ldr. I25; Ldr. I 26; Ldr. I 34; Ldr. I 40; Ldr. I 55; Ldr. I 56; Ldr. II 3; Ldr. II 21; Ldr. II 24; Ldr. II 42; Ldr. II 43; Ldr. II 44; Ldr. III 3; Ldr. III 42; Ldr. III 53; Ldr. III 53; Ldr. III 54; Ldr. III 58; Ldr. III 59; Ldr. III 60; Ldr. III 65; Ldr. III 76 und Ldr. III 84. 758 Rosenstock, Bruchstücke. 759 Dieck, Verbindung, S. 160.
XI. Der Sachsenspiegel und das sächsische Lehnrecht
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nach gegenwärtig herrschender und wohl begründeter Meinung nicht aus der Feder des Johann von Buch stammt. Lediglich Eckhardt hat, nachdem er noch in der Überarbeitung des Homeyerschen Rechtsbücherverzeichnisses ebenfalls diese Auffasung vertreten hatte,760 später angenommen, es spräche „alles dafür, daß Johann von Buch auch die Lehnrechtsglosse des Sachsenspiegels verfasst“ hat.761 Dem hat sich zwar Oppitz,762 sonst aber soweit ersichtlich niemand mehr angeschlossen. Auch Frank Michael Kaufmann, der jüngst die kürzere Verkehrsform in einer kritischen Edition auf Grundlage sämtlicher überlieferter Handschriften, der ersten modernen Ausgabe einer sächsischen Lehnsrechtsglosse überhaupt, vorgelegt hat, hat Zweifel an der Verfasserschaft Buchs angemeldet,763 die also weiterhin zweifelhaft bleiben muss. Das Erscheinen dieser Edition ist von großer Wichtigkeit für die Erforschung der sächsischen Rechtsbücher: Bis dahin nämlich war man auf den von Eckhardt besorgten Nachdruck der niederdeutschen Sachsenspiegelausgabe Augsburg 1516 angewiesen, die unter anderem auch einen Text der kürzeren Lehnrechtsglosse enthielt. Die Langform der Glosse soll bald ebenfalls in kritischer Edition zugänglich gemacht werden.764 Dann wird sich vermutlich auch Genaueres über den Gang der Glossierung sagen lassen, zu dem Kaufmann bisher nur begründete Vermutungen anstellen konnte: Demnach erscheint es wahrscheinlich, dass nicht, wie bisher angenommen,765 die kürzere Glosse der ältere Text und aus diesem die Langform erwachsen, sondern vielmehr die kürzere aus der längeren und damit älteren Fassung entstanden sei.766 Über das Erscheinen der jüngsten und längsten Form der Lehnrechtsglosse, der umfänglichen Bearbeitung durch den Görlitzer Nikolaus Wurm, die allerdings wieder direkt auf die Langform zurückgreift, ist bislang nichts bekannt. Neben der Glossierung begleitet das Lehnrecht auch ein eigenes Rechtsgangbuch, der Richtsteig Lehnrechts. In der handschriftlichen Überlieferung wie in den frühen Drucken findet er sich im Gegensatz zu seinem landrechtlichen Pendant nur gemeinsam mit dem Lehnrecht; monographische Überlieferungen sind nicht bekannt. Die von Melchior Lotter besorgte Leipziger Ausgabe des Jahres 1528 bemerkt auf fol. 21r: „Hie hebt an der Richtsteig des selbigen laehenrechts, den auch der vorgeschrieben keyser Friderich gegeben hat.“ Der Richtsteig kann sich also an die Legende der 760
Borchling/Eckhardt/Gierke, Rechtsbücher, Abt. 1, S. *53. Eckhardt, Sassenspegel, S. XXI. 762 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 75. 763 Kaufmann, Lehnrechtsglosse, Bd. 1, XXXII–XXXIV. 764 Kaufmann, Lehnrechtsglosse, Bd. 1, S. VI; zum Editionsplan vgl. auch ders., Glossen zum Sachsenspiegel-Lehnrecht. 765 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 74. 766 Kaufmann, Lehnrechtglosse, Bd. 1, S. XXIII f. 761
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Promulgation oder wenigstens doch Bestätigung des sächsischen Lehnrechts durch Friedrich I. anknüpfen. In neuerer Zeit hat den Richtsteig erstmals Ludovici767 nach dem Augsburger Druck von 1516 und kurz danach noch einmal Senckenberg768 samt dem hochdeutschen Texte der im Folgejahr erschienenen Augsburger Ausgabe gedruckt. Danach kommt nur noch die Edition von Homeyer, der den Richtsteig seiner Lehnrechtsausgabe im ersten Teilband beifügte.769 Die einleitende Untersuchung des Editors ist auch mit Blick auf die Erforschung des Richtsteigs Lehnrechts noch immer das Beste. Eine moderne Ausgabe liegt, genauso wie für den Richtsteig Landrechts, noch nicht vor. Damit sind wir auf die Druckausgaben zu sprechen gekommen. Das sächsische Lehnrecht ist erheblich seltener gedruckt worden als das Landrecht.770 Unter den Inkunabeldrucken finden sich lediglich drei Ausgaben (1482, 1495 und 1499), alle aus der Augsburger Offizin Anton Sorg. Die letzten beiden Ausgaben scheinen dabei weitgehend identisch, von der ersten zur zweiten Auflage ist ein Register hinzugekommen. Verbreitet ist das Lehnrecht vornehmlich in den von Zobel (1537, 1555, 1589 und 1598), Loos (1547, 1556 und 1557; auf Zobel aufbauend) und Wolrab (1551, 1553, 1554) besorgten Ausgaben des 16. Jahrhunderts, die noch heute in relativ großer Zahl vorhanden sind. Auch der bereits erwähnte, aber seltenere niederdeutsche Augsburger Druck des Jahres 1516 enthält das Lehnrecht, die hochdeutsche Nachfolgeauflage von 1517 aber nicht mehr. Nachdem im 17. Jahrhundert nur Schilter noch einmal eine neue Edition besorgte,771 wurden im folgenden Jahrhundert eine Reihe von Ausgaben besorgt, so von Burgermeister,772 Ludovici773 und Lüning,774 die neben einer hochdeutschen Übersetzung auch Kapitelsummarien oder Querverweise sowohl innerhalb des Lehn- als auch auf das Landrecht des Sachsenspiegels hinzufügte. Weite Verbreitung fand auch die verglichen mit dem Lüningschen Folianten weitaus handlichere Ausgabe Senckenbergs,775 die das partikulare Lehnrecht 767
Ludovici, Einleitung. Senckenberg, Corpus iuris feudalis, S. 391–491. 769 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 369–540. 770 Verzeichnis der Drucke bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 41–45. 771 Schilter, Codex, S. 3–16 (in der 2. überarb. Aufl. hrsg. von Johann Georg Scherz, Straßburg 1728, S. 95–116). 772 Burgermeister, Teutsches Corpus Juris, Bd. 1, S. 241–298 (deutsch) und S. 299–324 (lateinisch). 773 Ludovici, Sächsisches Lehnrecht. 774 Lüning, Corpus juris feudalis Germanici, Sp. 275–328. Diese Ausgabe wird von Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 44 f. nicht verzeichnet. 775 Senckenberg-Eisenberg, Corpus iuris feudalis Germanici, S. 265–314 (dt.) und S. 314–368 (lat.). 768
XI. Der Sachsenspiegel und das sächsische Lehnrecht
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weitgehend aussparte, vielmehr den Bodensatz eines genuin deutschen Lehnrechts und die wichtigsten Auszüge aus der kaiserlichen Gesetzgebung sowie den „Reichs Grund-Gesetzen“ zusammenzustellen beanspruchte. Gegenüber dem Landrecht des Sachsenspiegels hat das Lehnrecht in der jüngeren Forschung ein Schattendasein geführt, wie insgesamt dem Lehnrecht vor allem des späteren Mittelalters, lange Zeit von der rechts- und verfassungshistorischen Forschung verhältnismäßig wenig Beachtung geschenkt worden ist.776 Zu den wenigen wichtigen Arbeiten, die zu lehnrechtlichen Fragen in den ersten Jahrzehnten nach dem zweiten Weltkrieg erschienen sind, und auch für die Rechtsbücherforschung eine größere Relevanz reklamieren können, gehören Grabscheids Arbeit über die Bürgerlehen777 und die Dissertation von Georg Droege,778 der nach dem praktischen Niederschlag der vor allem im Sachsenspiegel theoretisch durchgeführten Trennung zwischen Land- und Lehnrecht in der westfälischen und rheinländischen Verfassungswirklichkeit fragt. Daneben wurden weiterhin die großen drei Säulen der Verfassungsentwicklung im Reich bearbeitet, deren Lehre Mitteis nachhaltig begründet hatte, und für die auch die Grundierung durch die Rechtsbücher eine gewichtige Rolle spielte.779 Eine Zäsur bedeutete in dieser Hinsicht die Regensburger Habilitationsschrift über das Reichslehnrecht von Karl-Friedrich Krieger. Er begreift die verfassungsgeschichtliche Entwicklung von Territorien und Reich nicht als „zwei voneinander isolierte Vorgänge“, sondern als ineinandergreifende und „nur in diesem gegenseitigen Dualismus“ überhaupt fassbare Prozesse.780 Das wird für die Rechtsbücherforschung insofern interessant, als es Krieger gelungen ist, die hergebrachte und auch von Mitteis verfestigte Ansicht zu korrigieren, die im Sachsenspiegel ausformulierte Heerschildordnung habe dazu geführt, dass letztlich nur noch die Fürsten dem König gegenüber unmittelbar lehnsabhängig gewesen seien, was zu einer Mediatisierung der Vasallen auf der vierten Heerschildstufe, des nichtfürstlichen Adels also, geführt habe. Krieger hat in der Heerschildordnung „lediglich Regeln für die aktive Lehnsfähigkeit der Reichsvasallenschaft“ gesehen,781 darüber hinaus aber bereits für die Stauferzeit zahlreiche Einzelfälle unmittelbarer Lehnsbeziehungen zu nichtfürstlichen Grafen und freien Herren, ja sogar zu Stadtbürgern, die von der älteren Forschung traditionell außerhalb der Heerschildordnung angesiedelt wurden, nachweisen können.782 776 Einen knappen Überblick über die wichtigsten Forschungen seit Mitteis vermittelt Kwiatkowski, Lehnswesen. 777 Grabscheid, Bürgerlehen. 778 Droege, Landrecht und Lehnrecht. 779 Dazu unten, S. 551 ff. 780 Krieger, Lehnshoheit, S. 5. 781 Krieger, Lehnshoheit, S. 126.
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B. Die Ausgangslage: Eike von Repgow und der Sachsenspiegel
Das muss als grundlegender Abriss zum sächsischen Lehnrecht genügen. Wir werden im vierten Kapitel noch einmal auf einzelne an sich lehnrechtliche Rechtsinstitute zurückzukommen haben, insofern es sich dabei um Rechtssätze handelt, die das sächsische Landrecht aufstellt.
782 Zu nichtfürstlichen Kronvasallen der Stauferzeit vgl. auch Hauser, Lehnspolitik, bes. S. 157–165.
C. Grundlinien einer Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels und des Gemeinen Sachsenrechts Nachdem wir uns ausgiebig mit dem Grundtext der Untersuchung beschäftigt haben, wollen wir uns im Folgenden der Verbreitung und Aufnahme des Sachsenspiegels, seinem Verschmelzen mit und seiner Umformung in das Gemeine Sachsenrecht, mithin also der Wirkungsgeschichte des Rechtsbuches zuwenden. Diese wird weit abgesteckt: Von seiner Abfassung und der relativ raschen Transformation einer privaten Niederschrift in eine Rechtsquelle mit hoher normativer Zugkraft über die Karriere eines weithin anerkannten Subsidiärrechts hin zum nunmehr vorrangig (rechts-)historischen Forschungsgegenstand, insgesamt also vom 13. bis in das 20. Jahrhundert, wird der Bogen zu spannen sein. Dabei wäre an sich auch näher auf die Verbreitung des Magdeburger Rechts einzugehen. Nicht nur, weil „die Verbreitung des Magdeburger Weichbildrechtes nicht zu erklären ist, ohne das Ansehen des Sachsenspiegels zu bedenken“,1 sondern weil auch im Umkehrschluss der Sachsenspiegel erst in dieser so erfolgreichen Verbindung mit den Quellen des Magdeburger Rechts, vor allem den Rechtsauskünften der dortigen Schöffen, jene Bedeutung entfalten konnte, die ihn zu einem in der Tat „europäischen Rechtsbuch“2 machte. Dass dieser Einschluss die Darstellung und auch die Kraft des Darstellers überfordern muss, habe ich eingangs bereits dargelegt. Es muss genügen, darauf zu verweisen, dass in Verbindung mit dem Magdeburger Recht der Sachsenspiegel als integrativer Bestand des Ius Saxonum ein Verbreitungsgebiet zwischen Schleswig und der Schweiz, zwischen Utrecht und der Ukraine erreicht hat.3 Für das geographische Ausgreifen der handschriftlichen Verbreitung des Sachsenspiegels bietet die leider ungedruckte Hamburger Dissertation von Elisabeth Nowak das nötige Grundlagenmaterial,4 das sich durch das Op1 2 3
Theuerkauf, Geschichte in Rechtsaufzeichnungen, S. 203. Schneider, Daz ein Recht mac vromen, S. 3. Die Grundzüge der geographischen Verbreitung werden unten, S. 398 ff., umris-
sen. 4
Nowak, Verbreitung, bes. S. 285–338. Es war mir nicht möglich, ein Exemplar dieser Dissertation aufzufinden, das die im Inhaltsverzeichnis angekündigten drei Karten (geographische Verbreitung, zeitliche Anwendung und Wanderung der Sach-
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
pitzsche Handschriftenverzeichnis sowie die vielen seither erschienenen Studien und Editionen, vor allem zum mittelosteuropäischen und norddeutschen Recht, in vielerlei Hinsicht präzisieren und korrigieren lässt.5 Neben diese Betrachtungsweise soll nun auch der Blick auf die Wirkungsgeschichte, die Anwendung, die wissenschaftliche und außerwissenschaftliche Diskussion, mithin also eine Geschichte der Wahrnehmung des Sachsenspiegels und des sächsischen Rechts durch die Zeiten hindurch treten. Das berührt vor allem die Entwicklung von den einzelnen Rechtsquellen hin zu einem Bodensatz von Grund- und Rechtssätzen, der schon von den Zeitgenossen als „Gemeines Sachsenrecht“ bezeichnet und dann über Jahrhunderte hinweg wissenschaftlich diskutiert, aus- und umgeformt wurde. Über den genauen Umfang dieses wichtigen Subsidiärrechts freilich waren sich bereits die juristischen Praktiker bis zum Ende seiner Geltung im 19. bzw. in manchem Gebieten erst im 20. Jahrhundert durchaus nicht einig.6 Die geschichtliche Entwicklung des Gemeinen Sachsenrecht ungefähr von der Mitte des 15. Jahrhunderts bis in die Zeit der Privatrechtskodifikationen im Detail zu verfolgen, wäre eine eigene, freilich dringend notwendige Aufgabe. Wir werden dagegen an dieser Stelle nur die wichtigsten Grundzüge dieser Geschichte durchschreiten, die für eine Kontextualisierung sowohl der lange andauernden Bedeutung des Sachsenrechts, vor allem aber des Werdens der rechtshistorischen Forschung auf dem Gebiet der Rechtsbücher und ihrer Geburt aus dem Geist der Praxis heraus von großer senspiegelhandschriften) beinhaltet. In den meisten Exemplaren ist dieser Absatz im Inhaltsverzeichnis gestrichen. 5 Übertrieben scharf gegenüber Nowak die Rezension von Wilhelm Alfred Eckhardt in der HZ 206 (1968), S. 197 f., der Nowak „nicht nur ganz unzureichende[.] Literaturkenntnisse[.]“ bescheinigt, sondern insgesamt zu dem Schluss kommt, die Arbeit könne „trotz anerkennenswerten Fleißes nur als unbrauchbar bezeichnet werden“. Die von ihm genannten Kritikpunkte sind richtig, mit Blick auf das Anliegen der Arbeit aber marginal, weil sie nicht die Untersuchung, sondern lediglich den einleitenden Überblick betreffen; ausgewogener dagegen die Besprechung von Hans Schlosser im DA 23 (1967), S. 199. 6 Haubold, Lehrbuch, S. 7 (§ 8): „Das in den erwähnten Rechtsbüchern enthaltene Recht wird, weil das Ansehen desselben nicht auf die heutigen Sächsischen Provinzen sich beschränkt, sondern auch außerhalb derselben über einen großen Theil des nördlichen Deutschlands sich erstreckt, gewöhnlich das gemeine Sachsenrecht genannt, in der Sprache der Gesetze aber unter den landüblichen Sächsischen Rechten verstanden.“ Abweichend dagegen aber Hellbach, Bearbeitung, S. 133–136 (cap. 2 §§ 2–8), wo als „gemeines Sachsenrecht“ lediglich die Gemeinsamkeiten zwischen königlich- und herzoglich-sächsischem Partikularrecht angesprochen werden: „Sodann heißt gemeines Sachsenrecht, zum Unterschied zum particulären, oder neuern Sächsischen Rechts, welches in das Chur-Sächsische und Herzogliche abgetheilet wird, dasjenige, welches in so weit, als es nicht durch neuere Gesetze abgeändert ist, allen Sächs. Landen gemein ist. [. . .]“
C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
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Bedeutung sind. Es geht also um Rechtsbücherforschung im Rahmen der allgemeinen deutschen Rechtsgeschichte. Auf diese Weise hoffe ich, zur Anbindbarkeit dieses Spezialgebietes an die Breite des Faches ein kleines Stück beitragen zu können. Wir werden dabei zunächst chronologisch, innerhalb dieses Rahmens dann regional respektive sachlich differenziert voranschreiten. Da also die Darstellung mehreren Achsen gleichzeitig zu folgen hat – chronologisch wie geographisch, institutions- wie auch literaturgeschichtlich – werden gewisse Sprünge und chronologische Vor- oder Rückgriffe sich nicht immer vermeiden lassen. Die Alternative wären ermüdende Redundanzen und zahlreiche Querverweise, die ich auf diese Weise auf ein Minimum zu reduzieren hoffe. Dabei kann nur bedingt auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden. Den ersten Versuch einer „sächsischen Rechtsgeschichte“ stellt wohl der knappe Abriss „Vom Inhalt und kurtzer Historie der Sächsischen Gesetze“ dar, den Christian Gottlob Wabst seinem staatsrechtlichen Kompendium voranstellte.7 Im Grunde ist Wabsts Darstellung bereits einem modernen Gesetzesbegriff verhaftet und behandelt in der Hauptsache die landesherrliche Legislatur seit den Kursächsischen Konstitutionen. Das „alte Sächsische Land-Recht, oder Sachsenspiegel, item das Weichbild und Lehn-Recht, welches ebenfalls beybehalten“ sind ihm lediglich „überdiß“, eben nur noch subsidiär in Geltung und daher auch nur eines kurzen Absatzes wert, der in der Hauptsache um die Feststellung dieser subsidiären Geltung anhand der kurfürstlichen Gerichts- und Appellations-Ordnungen bemüht ist.8 Ähnlich behandeln auch die historischen Einleitungen der Handbücher für die juristische Praxis des Königreichs Sachsen im 19. Jahrhundert die Thematik. Wichtige Arbeiten für die Geschichte des Sachsenrechts entstehen im Umfeld der gemeinrechtlichen Germanistik. Hier ist aber die Zielsetzung eine diametral andere: Eben nicht um die Geschichte eines zunächst einmal regionalen, nämlich des sächsichen, Rechts ist es diesen Darstellungen bestellt, sondern gerade um die Verknüpfung geographisch und teilweise auch zeitlich weit auseinanderliegender Quellen zu einem vorgeblich gemeinrechtlichen Ganzen. So bleiben die wenigen Absätze bei Wabst meines Wissens erst einmal ohne Nachfolger. 7 Wabst, Historische Nachricht, S. 47–58. Nicht als sächsische Rechtsgeschichte im engeren Sinne begreife ich die älteren Schriften Colers oder Schreiters (siehe unten, S. 289 f.), die Struve-Buder, Bibliotheca, S. 74 unter „Historiae Iuris Saxonici ineruiunt singulares scriptiones . . .“ verzeichnen, da diese Arbeiten sich ausschließlich unter dem praxisorientierten Gesichtspunkt von Gebrauch und Geltung (usu et auctoritate) mit dem Sachsenrecht beschäftigen und daher um keine stringente historische Darstellung bemüht sind. 8 Wabst, Historische Nachricht, S. 57 f.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
In neuerer Zeit bildet den Anfang einer übergreifenderen Wirkungsgeschichtsschreibung eine immer wieder zitierte, aber nur selten verarbeitete Festrede Georg Cohns zur Eröffnung der Neubauten an der Züricher Universität 1914.9 Was Ignor einen „flotten Überblick“10 nennt, waren im Großen und Ganzen aber schon nach dem damaligen Kenntnisstand nur Allgemeinplätze, die Cohn in teils durchaus fragliche ideengeschichtliche Gesamtzusammenhänge, unter anderem auch Exkurse in die höfische Literatur, wie sie beispielsweise auch Hirsch wohl in kulturhistorischer Absicht unternimmt,11 einzuordnen sucht. Nur schwer zugänglich und daher in der Literatur bislang unbeachtet geblieben ist die Erlanger Dissertation von Ludwig Thüring, der es unternimmt, die zeitgenössischen Stimmen „für und wider den Sachsenspiegel“ zwischen dem 14. und dem 19. Jahrhundert zu verfolgen.12 Seine Studie folgt einer ausgesprochen klaren inneren Struktur, insofern als jedem Einzelkapitel neben der gängigen Handbuchliteratur eine zugrunde liegende Vorarbeit zugewiesen werden kann, die lediglich zusammengefasst wird. Entsprechend klein ist dabei der Erkenntnisgewinn. Die zu unterstellenden Arbeitsbedingungen, unter denen Thuerings Dissertation während des Krieges außerhalb eines der großen Forschungsinstitute entstanden ist, verbieten eine allzu strenge Beurteilung. Für die Frage nach der Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels aber entfaltet sie nur einen geringen Eigen- und gewiss keinen Mehrwert. Die bereits erwähnte Hamburger Dissertation Elisabeth Nowaks behandelt die „geographische und zeitliche Anwendung des Sachsenspiegels nach den überlieferten Handschriften“.13 Aus der Entstehung neuer und Verbreitung alter Handschriften des Rechtsbuches will sie also auf die Anwendung schließen. Das ist insgesamt in gewissem Rahmen berechtigt, kann aber im Einzelfall nur indizienhaft verwendet werden, denn ein durch Abschrift oder Ankauf artikuliertes Interesse am Text sagt natürlich noch nicht zwingend etwas über dessen praktischen Gebrauch aus, selbst dann nicht, wenn es sich um einen pragmatischen (Fach-)Text handelt. Die frühen Handschriften der „Epitoma rei militaris“ des Vegez im deutschen Sprachraum beispielsweise, die ohne Zweifel einen für den Gebrauch konzipierten, pragmatischen Fachtext transportieren, lassen sich fast ausschließlich auf klös9
Cohn, Kampf. Ignor, Rechtsdenken, S. 26 Fn. 3 – fraglich ist auch die dort vorgenommene Einordnung der Arbeiten von Kroeschell und Nowak, die sich im Grunde keineswegs „ergänzen“. 11 Hirsch, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 10, S. 43–45 u. ö. 12 Thuering, Für und wider. 13 Nowak, Verbreitung, S. 339–354. 10
C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
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terliche Abschreiber zurückführen, wo eine praktische Nutzung mehr als fraglich erscheint.14 Reiner Besitz also kann nur sehr bedingt etwas über praktischen Gebrauch aussagen. Erst Kroeschell15 und kurz nach ihm vor allem Ignor, der seiner Arbeit anstelle eines Forschungsüberblicks im engeren Sinne ein Kapitel über das „allgemeine Rechtsdenken Eikes von Repgow im Spiegel der Zeiten“ vorangestellt hat,16 haben dann wieder an die Idee angeknüpft, eine – wenn auch thematisch begrenzte – epochal übergreifende Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels zu schreiben. Nachdem er bereits in seiner einschlägigen Arbeit über Eike von Repgow einige knappe Ausblicke auf die Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels gegeben hatte,17 wendet sich auch Rolf Lieberwirth dann im Kommentarband zur Faksimileausgabe der Wolfenbütteler Bilderhandschrift dieser Thematik näher zu.18 Behandelt werden dabei nach den Grundlagen der handschriftlichen Verbreitung vor allem die Rezeption in späteren Rechtsbüchern und die enge Verbindung mit den Magdeburger Rechtsquellen, im Großen und Ganzen also Fragen der mittelalterlichen Wirkungsgeschichte. Aber auch auf der Geschichte des Gemeinen Sachsenrechts widmet Lieberwirth zumindest einige knappe Spalten, die sich allerdings auf die Institutionenund Editionsgeschichte beschränken.19 Mangelt es für die mittelalterliche Zeit durchaus nicht an Einzelstudien, wohl aber an größeren, synthetischen Arbeiten, so erschöpfen sich die neueren Darstellungen zur Literaturgeschichte des frühneuzeitlichen sächsischen Rechts im Wesentlichen in einem zwar konzisen, aber doch mit Blick auf die notwendige Kürze eines Tagungsbeitrages hauptsächlich bibliographisch reihenden Überblick von Harry Schilp,20 sowie zwei kleineren Beiträgen über die polnische juristische Literatur vor allem des 16. Jahrhunderts im selben Tagungsband.21 14
Kümper, Regimen, S. 52 f. mit weiteren Nachweisen. Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 440–456. Kroeschells Beitrag ist auch in dieser Hinsicht bahnbrechend und bislang nicht erreicht (vgl. S. 14, Anm. 6), weil hier erstmals versucht wird, die Wirkung des Sachsenspiegels in der konkreten, urkundlichen Überlieferung nachzuvollziehen. Diesen Gedanken hat Kroeschell, Von der Gewohnheit zum Recht, S. 82–92 noch einmal mit weiterem Material aufgegriffen. 16 Ignor, Rechtsdenken, S. 26–53. 17 Lieberwirth, Eike von Repchow, S. 19. 18 Lieberwirth, Wirkungsgeschichte. 19 Lieberwirth, Wirkungsgeschichte, S. 83–86. 20 Schilp, Literatur. 21 Kwiatkowska, Stellung; Pauli, Polnische Literatur. 15
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Eine Literatur- und Wirkungsgeschichte, die sich einen Zeitraum von rund einem halben Jahrtausend zu durchschreiten vornimmt, braucht Epochen. Dass es sich dabei immer um durchaus diskutable Setzungen handelt, die keinen konkreten Niederschlag in der historischen Realität für sich beanspruchen können, ist mittlerweile ein geschichtswissenschaftlicher Allgemeinplatz und muss nicht näher problematisiert werden.22 Das Auftreten, Wirken und Verschwinden der Rechtsbücher ist der deutschen Rechtsgeschichte selbst seit langem eine feststehende Epoche. So widmete Richard Schröder den zweiten Teil seiner einflussreichen Studie über das eheliche Güterrecht der „Zeit der Rechtsbücher“ und auch Helmut Coing sprach von einer „Epoche privater Rechtsaufzeichnungen“, die mit dem Sachsenspiegel am Anfang des 13. Jahrhunderts beginne.23 Und nur nebenher, weil von der Rechtsgeschichte, die doch sonst vergleichsweise wenig Berührungsängste mit den Literaturwissenschaften hat, bislang übersehen, sei auf Joachim Heinzles fulminanten Beitrag „Wann beginnt das Spätmittelalter“ hingewiesen, der im Anschluss an Hanns Fischer gerade mit dem Einsetzen der Rechtsbücherzeit, die in auffälliger Weise mit anderen Wandlungen und Neuerungen in der deutschen Literatur- und damit vor allem: Gattungslandschaft, zusammenfällt, den Beginn des (deutschen) Spätmittelalters ansetzt.24 Meine Schwerpunktsetzung ist eine andere. Ich unterscheide daher fünf Zeitabschnitte in der Entwicklung des sächsischen Rechts von der Aufzeichnung des Grundtextes durch Eike von Repgow hin zum historischen Forschungsobjekt. Dabei ist bemerkenswert, dass sich die ersten drei dieser Epochen auffallend genau mit den Jahrhundertgrenzen berühren. Das 13. Jahrhundert kann zunächst als eine Epoche der Konsolidierung und der Ausbreitung des Sachsenspiegels beschrieben werden. In der Tat scheint der Spiegel in dieser Zeit in gewisser Weise ein „living-text“ zu sein,25 der noch nicht die kanonisierte Autorität erlangt hat, die ihn später auszeichnen sollte. In diesem Jahrhundert entwickelt sich der Text nicht nur bis zu seiner vielleicht wichtigsten und einflussreichsten Form, der vierten deutschen Fassung (IIa), sondern wird auch schon bis in die zentralen Eckpunkte seiner Verbreitung, im Westen bis an den Niederrhein und wohl auch schon in das Gebiet der heutigen Niederlande hinein, im Osten vor allem nach Schlesien verbreitet. Mit dem gegen Ende des Jahrhunderts ent22 Ich verweise nur auf die gedankenreichen Ausführungen von Esch, Zeitalter, bes. S. 9–38. 23 Coing, Epochen, S. 26. 24 Heinzle, Spätmittelalter, bes. S. 213 ff.; vgl. ferner Fischer, Neue Forschungen. 25 Ignor, Rechtsdenken, S. 28.
C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
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standenen Schwabenspiegel erlangt in den folgenden Jahrzehnten ein unmittelbares Tochterrechtsbuch größten Einfluss, sowohl, was die handschriftliche Verbreitung angeht, als auch im Blick auf die Entwicklung eigener Derivate, die nun manche Ideen und Sätze des ostfälischen Sachsenspiegels gewissermaßen in der dritten Generation weiterreichen, andere umformen oder weglassen. Diese Entwicklung gehört aber im Wesentlichen bereits dem 14. Jahrhundert an, das ich als zweite Epoche der sächsischen Rechtsgeschichte ansprechen möchte. In diesem Jahrhundert entsteht die Mehrzahl der Tochterrechtsbücher, die eben nicht mehr Spiegelrechte, sondern in der Regel bereits klar regional begrenzte Rechtsaufzeichnungen mit praktischem Anspruch sind, der sich im Rezeptionsgang zum Teil in der pragmatischen Ausscheidung der außerrechtlichen Betrachtungen Eikes ausdrückt. Recht ist hier nicht mehr Weltordnung im Kontext der Heilsgeschichte, sondern etwas sehr Greifbares mit Sitz im Leben. Zugleich hat das 14. Jahrhundert den Sachsenspiegel als Autorität bereits akzeptiert, ist das Rechtsbuch also nicht mehr „living-text“, sondern „kultureller Text“.26 Das zeigt beispielsweise die Anwendung in Rechtsfällen, die ohne die entsprechende Autorität nur schwer denkbar wäre. Nicht von ungefähr fällt daher die Bearbeitung unter Gesichtspunkten des praktischen Gebrauchs in diese Zeit. Dazu zähle ich nicht nur die frühen Systematisierungsansätze und Erschließungshilfen, sondern im weitesten Sinne auch die Glosse(n) und Richtsteige. Die im 14. Jahrhundert durch Johanns Glossierung beginnende (proto-) wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sachsenspiegel gewinnt im 15. Jahrhundert durch die explizite Konfrontation mit den gelehrten Rechten, aber auch statuarischen Aufzeichnungen, eine deutlich andere Qualität, weshalb ich auch das 15. Jahrhundert als eigenständige Epoche in der Entwicklung des Sachsenrechts betrachte. Denn nun ist Johann von Buch nicht mehr allein auf der weiten Flur der Bearbeiter und Kommentatoren. Vor allem aber scheint sich ein erstes Verständnis für Normenkonflikte unterschiedlicher Rechtsaufzeichungen Bahn zu brechen, wie es in der unten noch näher zu besprechenden, berühmten Lüneburger Satzung von der Hierarchie der anzuwendenen Rechtstexte aus dem Jahre 1401 deutlich wird. Zugleich entstehen im 15. Jahrhundert immer noch neue Rechtsbücher, die aber größtenteils bereits deutlich das neue Gepräge der Rezeption tragen. Hier tun sich neue Konflikte auf, beispielsweise bei der unterschiedlichen Bewertung der Erbfolge, auf die es zu reagieren gilt. Die Normenkonkurrenz, durchaus nicht nur zwischen gelehrtem und traditionalem, sondern auch zwischen übergreifendem und lokalem Recht scheint mir das zentrale Charakteristikum dieser Epoche der nord- und ostdeutschen Rechts26
Dazu oben, S. 25 f.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
geschichte zu sein. Für den Süden und Westen des Reiches mag das anders aussehen – nicht umsonst spricht man von einem „Rezeptionsgefälle“ und meint damit, dass sich hier Formen vor allem des gelehrten Prozesses deutlich früher durchgesetzt haben. Ungefähr mit der Wende zum 16. Jahrhundert kann man die „Rechtsbücherzeit“ als abgeschlossen betrachten.27 Das heißt zunächst einmal, dass – mit Ausnahme des „Weißenfelser Rechtsbuches“, das im dritten Kapitel besprochen werden wird – keine weiteren, im strengeren Sinne vergleichbaren Arbeiten mehr hinzutreten. Der fortgesetzte Gebrauch „in foro Saxonico“ sichert aber weiterhin die Kontinuität. Wie die Spiegelliteratur selbst, so ist auch ihre wissenschaftliche Bearbeitung noch bis weit in das 16. Jahrhundert hinein beides, nicht nur Rückgriff auf das, sondern zugleich auch aktive Ausformung und Weiterentwicklung des Gemeinen Sachsenrechts. Es folgt eine Periode engsten Ineinandergreifens von Rechtswissenschaft und Rechtsgeschichte, wenn es um Fragen der Anwendbarkeit und der Auslegung der Rechtsbücher gegenüber dem gelehrten Ius Commune und den Territorialgesetzgebungen geht. Dieses Ineinandergreifen ist prägend für die Auseinandersetzung mit dem sächsischen Recht vor allem im 17. und 18. Jahrhundert. Es ist schwierig, den genauen Übergang vom juristisch-praktischen hin zum primär historischen Interesse an den Rechtsbüchern eindeutig zu verorten, der die letzte Epoche in der Geschichte des Sachsenrechts einläutet. Homeyer konnte das bemerkenswerterweise: „Die Veröffentlichungen [des Sachsenspiegeltextes] haben entweder vorwiegend dem practischen Bedürfnisse, dem Gebrauche des Ssp. in den Gerichten dienen sollen, oder sind nur aus wissenschaftlichem Streben hervorgegangen. Beide Richtungen scheiden sich sehr bestimmt auch der Zeit nach. Jene reicht bis zum J. 1614, diese beginnt erst im J. 1717. Also ein volles Jahrhundert liegt dazwischen.“28 Es ist richtig, dass über einhundert Jahre hinweg keine neue Ausgabe des Sachsenspiegels veranstaltet worden ist. Wie aber sonst diese „dark ages“ der Rechtsbücherrezeption zu fassen sind, darüber schweigt sich Homeyer aus. In der Tat wird man die Übergangszeit von der juristisch-praktischen zur historischen Herangehensweise an den Sachsenspiegel und die sich ihm anlagernden Texte im Verlaufe des 17. Jahrhunderts ansiedeln dürfen. Dabei treten im Wesentlichen zwei Prozesse zusammen, die die praktische Relevanz des Spiegels stetig minimieren und ihn zum immer seltener noch direkt konsultierten Subsidiärrecht machen. Das ist zum einen die Ausweitung hoheitlicher Gesetzgebung, die in der gesamten terra iuris Saxonicis, in den kurfürstlich-sächsischen Kernlanden ebenso wie in Preu27 28
Siehe unten, S. 253 ff. Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 73.
I. Die projizierte Vorzeit: Karl, Otto und der Sachsenspiegel
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ßen oder Polen, bemerkbar ist. Zum anderen hat sich in akademischem Umfeld eine autoritative juristische Literatur gebildet, die – vergleichbar mit der Aneignung des Corpus iuris civilis durch die Kommentatoren – an die Stelle des eigentlichen Grundtextes tritt und diesen sowohl weitertransportiert als auch gehörig adaptiert. Carpzov wäre als besonders berühmte Leitfigur eines solchen Transformationsprozesses zu nennen. Mit dem Beginn der rechtshistorischen Erforschung ist die Weiterbildung des Sachsenrechts als Rechtsquelle im Wesentlichen abgeschlossen und eine neue, die letzte Großepoche in dessen Geschichte eingeleitet. Diese ließe sich in weitere Teilepochen, beispielsweise die Hochphase der gemeinrechtlichen Germanistik, die Indienstnahme des vermeintlich vaterländischen Rechts durch den Nationalsozialismus oder aber die kulturgeschichtliche Wende der Rechtsbücherforschung zu Beginn der 1980er Jahre, weiter untergliedern. Wir wollen aber in dieser Hinsicht keinen unnötigen Ballast aufbauen, sondern direkt zu den Quellen hinabsteigen und nunmehr Fleisch um das Gerippe der Epochenbildung hüllen.
I. Die projizierte Vorzeit: Karl, Otto und der Sachsenspiegel Es ist in jüngerer Zeit mehrfach betont worden, welche grundlegende legitimatorische Bedeutung der legendarische Ursprung und die Rückführung auf große historische Autoritäten für mittelalterliche deutsche Rechtsaufzeichnungen im Allgemeinen und für den Sachsenspiegel im Besonderen gehabt haben.29 Für Eikes Rechtsbuch spielt dabei die Rückführung auf die rechtsetzende Tätigkeit Karls des Großen eine besondere Reihe, für den engeren Kreis der Magdeburger Rechtsquellen haben dann die Ottonen als legendarische Begünstiger ähnliche Wichtigkeit erlangt; Rekurse auf den spätrömischen Kaiser Konstantin teilen beide Legenden. Sie bedienen und konturieren zugleich einen offenbar grundlegenden Gedanken hoch- und spätmittelalterlicher Rechtslegitimation: die Rückführung auf das Kaiserrecht. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert sind vier wichtige Arbeiten zu diesem Themenkomplex erschienen: Zwei von ihnen erschienen unabhängig voneinander im Jahre 1899.30 Die Aufbereitung des Quellengrundes leistete vor allem Karl Siegel als Teil einer größeren Studie, die auch das reiche Material abseits der Rechtsbücher in Betracht ziehen sollte, durch seinen 29 Vgl. dazu besonders Dilcher, Kaisergedanke; ders., Mythischer Ursprung, bes. S. 150–154. 30 Vgl. zu beiden die Besprechung von Alfred von Wretschko in der ZRG GA 21 (1900), S. 273–278.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
plötzlichen Tod aber unvollendet blieb.31 Dezidiert der Verarbeitung der Karlssage im Sachsenspiegel wandte sich zeitgleich Wilhelm Gundlach zu.32 Karl tritt im Sachsenrecht in einer bestimmten Funktion, nicht als mythisch verklärtes Kaiserideal, wie beispielsweise in den Chanson des gestes und ihren deutschen Bearbeitungen,33 sondern als konkreter Rechtsetzer auf. Daneben gesellt sich Konstantin als zweiter großer Gesetzgeber. Wir haben es also bei den Rekursen auf historische Kaisergestalten zunächst nicht mit Geschichtserzählung, sondern mit einer legitimierenden Auffassung vom Ursprung des aufgezeichneten Rechts zu tun, die seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert mit dem Begriff „Kaiserrecht“ belegt werden. Dabei betrifft die Rückführung auf kaiserliche Privilegierung durchaus nicht nur den Bereich des sächsisch-magdeburgischen Rechts; auch die westfälische Feme sucht ihren Ursprung in karolingischer Zeit.34 Uns soll jedoch nur die Ausformung dieses Gedankens in den sächsischen Rechtsbüchern interessieren. Die lange Zeit maßgebliche und noch immer wichtige Untersuchung über die Idee des Kaiserrechts hat Hermann Krause vorgelegt. Seine Studie erweist sich für den vorliegenden Zweck, eine längsschnittartige Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels zu schreiben, als besonders ertragreich, da der Betrachtungsrahmen ähnlich weit, von den späten Staufern bis zum Bauernkrieg, gespannt ist. So hat Krause sehr genau den Umdeutungsprozess der Kaiserrechts-Idee auf das römische Recht innerhalb der Rechtsbücher-Literatur nachvollzogen, der mit deren Glossierungen und romanisierenden Bearbeitungen einherging.35 Mit Blick auf die Rechtsspiegel und das Magdeburger Umfeld des Sachsenspiegels hat an diese Ergebnisse Winfried Trusen angeknüpft. Er hat die bereits bei Kroeschell problematisierte These näher ausgeführt, dass Eikes Spiegel überhaupt erst durch die Anbindung an die Kaiserrechtsidee eine solch hohe Akzeptanz und damit Verbreitung erlangen konnte, die – zumindest in diesem Punkt wird man da heute nicht mehr widersprechen – maßgeblich mit der Verbreitung des Magdeburger Rechts und Magdeburger Schöffensprüche einherging.36 Eine, wenn auch bedenkenswerte Hypothese muss dagegen der Schluss bleiben, den 31
Siegel, Karls-Sage. Gundlach, Karl der Grosse. 33 Dazu eingehend die Beiträge in Bastert, Karl der Große; zur literarischen Verarbeitung im Niederdeutschen besonders ders., Verus apostolus. 34 Vgl. beispielsweise die „Alte Westphalische Gerichts-Ordnung“ bei Hahn, Collectio, Bd. 2, S. 598–665, hier S. 598: „Hie hebt sich an Konig Karols Gericht, das man nennt das heimlich Gericht zu Westualn, oder die Faim [. . .]“ 35 Vgl. bes. Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 94–97. 36 Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 36–38; vgl. dazu Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 452 f. 32
I. Die projizierte Vorzeit: Karl, Otto und der Sachsenspiegel
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Trusen aus dieser engen Verbindung zieht. Denn es sei durchaus verwunderlich, dass die Magdeburger Schöffen, „die sonst so empfindlich gegenüber äußeren Interpretationen und Einwirkungen waren“, den Sachsenspiegel so bald und ohne größere Widerstände „als ihr eigenes Recht akzeptiert“ hätten. Dies sei „eigentlich nicht zu erklären, wenn Eike von Repgow nicht irgendwie mit ihnen in Verbindung gestanden, wenn seine Rechtssammlung nicht ihr volles Einverständnis erhalten hätten, vielleicht sogar auf ihre Mitinitiative entstanden oder auf der Grundlage der eigenen Rechtsaufzeichnungen nicht des Schöffenstuhls formuliert worden wäre“.37 Das hat als Überlegung einiges für sich, kann aber auf keine greifbaren Hinweise in überlieferten Quellen aufbauen. In den letzten zwanzig Jahren sind einige kleinere Arbeiten erschienen, die sich an die Ausführungen von Trusen anbinden lassen. So ist Dietlinde Munzel-Everling noch einmal eingehender dem legendarischen Rekurs auf Karl im Kleinen Kaiserrecht nachgegangen; vor allem aber hat sie die Verbindung zu den Rolandsfiguren näher ausgeleuchtet, auf die Trusen nur am Rande eingegangen ist.38 Zu einer sicheren Deutung ist man allerdings bislang nicht gelangt. Jüngst hat schließlich Lück den gegenwärtigen Kenntnisstand noch einmal bündig zusammengefasst, der ebenfalls die besondere Rolle Magdeburgs in der Ausbreitung und Ausformung der Kaiserrechtstheorie im Umfeld der Rechtsbücher betont.39 Im Wesentlichen aber wird man sagen können, dass Trusens Ergebnisse in Bezug auf die Rechtsbücher und ihr unmittelbares Umfeld noch immer Gültigkeit und Aktualität beanspruchen können.40 Zu den Quellen. Es ist oben gesagt worden, die Rechtslegenden des Sachsenspiegels und des Magdeburger Weichbildrechts konsturierten eine Idee vom Kaiserrecht, die bereits zuvor bestanden hatte. In der Tat nennt schon die um 1150 wahrscheinlich in Regensburg entstandene Kaiserchronik Konstantin und Karl als mythisch verklärte, christliche Gesetzgeber.41 Ein eindrucksvolles Zeugnis außerhalb der textlichen Überlieferung stellt in 37
Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 35 – das träfe sich im Übrigen wieder mit der Annahme Homeyers, in Salbke Eikes Schöffenstuhl sehen zu wollen; vgl. oben, S. 77, Anm. 68. 38 Munzel-Everling, Sachsenspiegel, Kaiserrecht, König Karls Recht?; dies., Stellung. An anderer Stelle hat sich auch Trusen noch einmal mit dieser Thematik eingehender beschräftigt; vgl. Trusen, Roland. Dazu nun auch Pötschke, Magdeburger Reiter, bes. S. 54 ff. 39 Lück, Sachsenspiegel als Kaiserrecht. 40 Für die weitere Untersuchung der Idee vom Kaiserrecht könnten auch andere europäische Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters fruchtbar gemacht werden. Das hat beispielsweise die Studie von Berges, Kaiserrecht, gezeigt. 41 Schröder, Kaiserchronik, bes. S. 349 f. (V. 14814–14873) – vgl. dazu auch Ohly, Kaiserchronik, S. 224–233.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
diesem Zusammenhang der Halberstädter Karlsteppich dar, der ungefähr um dieselbe Zeit wie Eikes Rechtsbuch entstanden sein dürfte und den Stifter des Bistums umgeben von antiken Philosophen zeigt, die auf Spruchbändern seine Tugenden rühmen.42 Auch Eikes Rechtsbuch bleibt beim Anschluss an die kaiserliche Rechtsetzungstätigkeit zunächst noch ausgesprochen verhalten; betont der Prolog sogar ganz ausdrücklich das alte Herkommen des im Folgenden aufgezeichneten Rechtes. Ebenso findet sich, ganz im Gegenteil zu seinem süddeutschen Tochterbuch, dem Schwabenspiegel, die Bezeichnung des Sachsenspiegels als „Kaiserrecht“ in den Handschriften selbst nur sehr selten.43 Trusen hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass man den im Textus prologi (Z. 5 ff.) gegebenen Verweis auf Karl und Konstantin nicht einfach übergehen kann.44 Die lateinische Übersetzung des Sachsenspiegels aus dem letzten Viertel des 13. Jahrhunderts, die so genannte Versio Vratislaviensis, sagt über Eike: „Non enim hoc Jus Saxonicum invenisse vel statuisse sibi vindicat urspudando, ab Imperatoribus Constantino et Karulo editum et statutum.“45 Und der Deutschenspiegel, der seine Vorlage, den oberdeutschen Sachsenspiegel, unter anderem auch um eine Reihe von Rekursen auf die gelehrten Rechte erweitert, bemerkt in offenbarer Anlehnung an die Reimvorrede seines Vorbildes: „Ditz recht han ich nicht erdacht, ez habent die chunige an vns pracht mit weiser maister lere.“46 Diese Auffassung wurde prägend für die süddeutschen Rechtsbücher im Anschluss an den Schwabenspiegel. Das schließt sowohl den gesetzgeberischen Ursprung als auch die Vermittlung durch „weiser maister lere“ mit ein.47 Ganz gleich also, ob dies der ursprünglichen Intention Eikes entsprach, so haben offenbar bereits die unmittelbar nachfolgenden Generationen das sächsische Recht auf Konstantin und Karl zurückgeführt. Eine greifbare Betonung der 42
Dazu vgl. Bastert, Karlsteppich. Siehe unten, S. 230 (Gandersheimer Urkunde d. J. 1361). Auch der Holländische Sachsenspiegel bezeichnet sich als „dat boec der keyserrechten gheheten die spieghel van sassen“ (unten, S. 335 ff.), die weiter unten, S. 383 ff., näher zu besprechende, welfische Kompilationshandschrift als „keyseres lantrecht“; vgl. ferner auch Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 87–89. Das Rechtsbuch des Alten Landes bei Stade allerdings zieht noch 1517 offenbar den Sachsenspiegel als Kaiserrecht heran; vgl. Krause, Ordeninge: „Hemelicke mörders, kerkenbrekers, roers, nodtögers, deve und andere missdeders scholen greven und lantschwaren mit der menheit upjagen und beharren und in dat högeste richten nach dem kayserliken beschreven olden landes rechte.“ (Art. 11). 44 Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 18. 45 Zit. nach Siegel, Kaiser Karls-Sage, S. 3. 46 Eckhardt, Deutschenspiegel, S. 224 (V. 60–63, in der Ed. Ficker, S. 32 f.). 47 Zum „Buch der Könige alter und neuer Ê“ eingehend Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 38–47. 43
I. Die projizierte Vorzeit: Karl, Otto und der Sachsenspiegel
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Verbindung Eikescher Rechtsaufzeichnungen mit kaiserlicher Satzungsautorität führen uns auch die Bilderhandschriften vor Augen. So zeigt der Wolfenbütteler Codex picturatus Eike kniend vor den Gesetzgebern Karl und Konstantin auf einem gemeinsamen Thron, über ihm der heilige Geist, der durch eine Taube symbolisiert wird. Ein anderes, bemerkenswertes Bildzeugnis dieser Art stellt eine ganzseitige Miniatur in der jüngeren der beiden prominenten Lüneburger Ratshandschriften des Sachsenspiegels dar, die Widukind kniend vor dem siegreichen Karl zeigt, der diesem das „privilegium Saxonum“ überreicht. Im Hintergrund sehen wir, durch eine kurze Beischrift als solcher ausgewiesen, Eike von Repgow.48 Diese Lüneburger Handschrift aus dem Beginn des 15. Jahrhunderts konnte aber bereits auf eine wichtige Ausdeutung der Lehre von der Verbindung von Kaiserrecht und Sachsenspiegel zurückgreifen: diejenige der Buchschen Landrechtsglosse.49 Von seiner Auffassung bezüglich der unterschiedlichen Schichten kaiserlicher Gesetzgebung ist bereits oben genauer die Rede gewesen:50 Im Wesentlichen fasste Johann den Texte bis Ssp. Ldr. III 82 § 1 als karolingisches Privileg, die folgenden Artikel als Zusätze späterer Kaiser auf. So heißt es nach Ldr. III 82 § 1: „Dit privilegium der Sassen is gegeuen tho Sassenborch van koninge Karle na godes bort teyn yar vnde achtehundert yar, in deme seuenden yare synes keyserrykes, jn deme teynden dage des horninges.“51 In dieser Denktradition steht wohl schließlich auch das Lob auf den „sterbenden Karl“ in der Halterner Handschrift des Sachsenspiegels („Et sic est finis. Karolo morienti fiat laus.“),52 das eigentlich mit Sinn nur als Schreibfehler zu verstehen ist. Wahrscheinlich hat hier ein unkundiger Abschreiber die Abbreviatur falsch interpretiert und darum an Stelle von „magni“ das an sich unsinnge „morienti“ gesetzt. Eine wichtige Ausformung, die in vielen Teilen mit der Darstellung Johanns von Buch harmoniert, hatte die Kaiserrechts-Legende auf der anderen Seite durch die Quellen des Magdeburger Rechts erfahren. Es mag daher in der Tat gut möglich sein, dass „Johann von Buch auf eine Sichtweise Magdeburger Provenienz zurückgegriffen hat“.53 Die Weichbildchronik schreibt den eigentlichen Gesetzgebungsakt Kaiser Konstantin zu, denn er „bekart auch die Sachsen, und gabe in ir privilegium, daz wir den sachsenspigel heisen, den sint Ecke von Repchow diuz machte, alz er in in latino vant“ und „sazte vil recht“, während Karl „den Sachsin ir recht und ir privile48 49 50 51 52 53
Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 124–126. Dazu auch Kannowski, Umgestaltung, S. 471 ff. Siehe oben, S. 165 ff. Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 3, S. 1491. Schmitt, Halterner Sachsenspiegel, S. 385. Lück, Sachsenspiegel als Kaiserrecht, S. 271.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
gium“ lediglich bestätigt habe. Otto schließlich „sterkete ouch Karoles recht den Sachsen zu deme hove zu Goslere“, während Otto II. „den statherren wichbilde recht nach koning Karlos rechte“ gab.54 Hier tritt also neben die beiden legendarischen Gesetzgeber Konstantin und Karl das für die Elbmetropole so wichtige Geschlecht der Ottonen.55 Aufgegriffen wird diese Erzählung auch im Magdeburger Weichbildrecht: „Do wurden sie zu rate, wie gethan recht sie den landen seczten, vnd saczten den landen sogethan recht als noch Sachsenlant czewhit an kunig Constantinen vnd an kunig Karlen.“ Am Ende des Rechtsbuches findet sich dann das vorgebliche Privileg, in dem Kaiser Otto den Magdeburgern „bestetiget zu wichbilderechte [. . .] alle ire alde recht, dy sy von Constantino und Karolo habin“.56 Schließlich greift den Gedanken einer ottonischen Bestätigung auch die 1442 in Lüneburg entstandene Tzerdinische Glosse auf, die an Johanns Verweis auf das vorgebliche Privileg von Sachsenburg aus dem Jahre 807 ergänzt: „Unde tho ener sterkinge des sulven rechtes unde privilegii hefft keiser Otto de grote darto gesat de nascreven negesten der artikele, unde de anderen twe, de denne darnegest volgen, hefft gesat keiser Otto de rode, des groten keisers Otten sone. Aver alle de andern artikeln wente an deme ende des ergenanten privilegii het vorbat darto gesagt keiser Frederick van Stoufe, uppe dat de sulven koninge unde keisere de bekerden Sassen bi dem christenloven behelden.“57 Kroeschell hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Sachsenspiegel auch als vorgeblich kaiserliches Privileg bei einer möglichen Anwendung vor Gericht auf die gleichen Schwierigkeiten stoßen musste wie eine behauptete Darstellung sächsischen Gewohnheitsrechtes. Beide Deutungen hätten, um vor Gericht berücksichtigt zu werden, erst bewiesen werden müssen.58 Soweit wir über die spätmittelalterliche Gerichtsrealität informiert sind, ist das ein gewichtiger Einwand gegenüber der Bedeutung der Kaiserrechtsidee. Der Sachsenspiegel aber hat ohnedies nur in geringem Maße unmittelbar, sondern in viel größerem Maße über die Rezeption in 54
Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 32–37. So auch bei Mencke, Scriptores, Bd. 3, Sp. 353. Dass diese Ansicht noch im 18. Jahrhundert durchaus Boden finden konnte, zeigt der Einband der Handschrift Berlin, StPBK, Ms. germ. fol. 1427 (Oppitz Nr. 198), auf dem eine Hand des 18. Jahrhunderts vermerkt hat: „Kayser Otto zu Magdeburg A. 980 gegebenns sogenandte Weichbild-Recht. Item, die sogenandte Blume von Magdeburg, geschrieben von Conrad Lichtenfels 1470.“ 55 Waitz, Privilegien. Die vorgebliche Stiftungsurkunde Ottos des Großen bei Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 57–62; die angebliche Bestätigung Ottos II. in der Glosse ebd., Sp. 229 f. 56 Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 75 f. (cap. 7 § 5) und Sp. 175 f. (cap. 134). 57 Lüneburg, StdA, Dep. Ratsbibliothek Ms. Jurid. 1 (Oppitz Nr. 975), fol. 282r. 58 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 452 f.
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur
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späteren land- und stadtrechtlichen Aufzeichnungen seine Wirkung entfaltet. Hier dürfte das Verständnis, direkt auf Kaiserrecht zurückzugreifen, ein entscheidener Motor gewesen sein. Als Legitimationsargument jedenfalls tauchen die kaiserliche Privilegierung und der vorgeblich Jahrhunderte lange Gerichtsbrauch des Sachsenrechts auch in den späteren Jahrhunderten, beispielsweise in der Verteidigungsschrift der Magdeburger gegenüber Johannes Klenkok (1370)59 oder im Rahmen des kurfürstlich-sächsischen Protestes gegen die Einführung der Constitutio criminalis Karls V. (1530),60 auf. In der Magdeburger Stiftschronik des Wolmirstedter Pastors Andreas Werner aus dem Jahre 1584 dagegen findet sich nichts mehr von der sagenhafte Privilegierung der Sachsen mit dem Eikeschen Rechtsbuch, sondern wird lediglich von Karls Installation der Feme-Gerichtsbarkeit zwischen Rhein und Weser nach der Niederlage Widukinds bei Dessau berichtet.61
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur Bis vor kurzem galt es als ausgemacht, die Rezeptionsgeschichte des Sachsenspiegels mit einer Rechtsmitteilung der Hallenser Schöffen an das schlesische Neumarkt aus dem Jahre 1235 zu beginnen.62 Zwar war bereits 59
Siehe unten, S. 242. Vgl. S. 273, Anm. 330. 61 Werner, Chronica, S. 55; vgl. ferner S. 58 f.: „Es verordnete auch Carolus Pfaltzstedte/gab Leges und Rechte [. . .]“ Auch an dieser Stelle finden wir nichts über den Sachsenspiegel. 62 Eine ausführliche Darlegung auch der älteren Neumarkter Rechtsgeschichte bei Meinardus, Neumarkter Rechtsbuch, S. 1–71. Meinardus vertritt die These einer Hallenser Rechtsmitteilung bereits aus dem Jahre 1181 – vgl. dazu ausführlich ders., Halle-Neumarkter Recht [vgl. auch die Rez. von Ferdinand Frensdorff, in den GGA (1907), S. 977–1001 und Karl Zeumer im NA 37 (1911), S. 355–357]. Kritisch dazu auch Rietschel, Hallenser Schöffenbrief, und Sandow, Halle-Neumarkter Recht, S. 116 – Der Text des Schöffenbriefes selbst ist mehrfach gedruckt, u. a. bei Tzschoppe/Stenzel, Urkundensammlung, S. 294–299 (Nr. 16) und Gaupp, Magdeburgisches und hallisches Recht, S. 223–229. Der rekonstruierte Urtext bei Sandow stellt dagegen keine überzeugende Alternative dar. Meiner Untersuchung liegt der Text bei Tschoppe und Stenzel zugrunde. Die abweichende Texteinteilung der anderen verbreiteteren Drucktexte lässt sich demgegenüber wie folgt vergleichen: 60
Tschoppe, Stenzel
Kamptz
Gaupp
§§ 1, 2 §3 §§ 4, 5 §§ 6–10 §§ 11, 12
§1 §2 §3 §§ 4–8 §9
Pr., § 1 §2 §3 §§ 4–8 §§ 9–11
222
C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Gaupp zu dem Schluss gekommen, in der Frage des Verhältnisses zum Sachsenspiegel ließe sich auf Grundlage des „Hallischen Schöffenbreife freilich nichts Gewisses mehr aussagen“,63 und auch Eckhardt war sehr zurückhaltend mit seinem sonst so bestimmten Urteil.64 Dennoch ist der enge Zusammenhang beider Rechtstexte immer wieder betont worden und eine Abhängigkeit des einen vom anderen zum Fakt verbrämt dann auch in die Handbuchliteratur eingegangen. Diese frühe Rezeption des Sachsenspiegels, die dem ohnehin schon vermuteten terminus ante quem für die Entstehung des ersten deutschen Textes65 weiteres Gewicht verlieh, haben allerdings Stefan Dusil und Bernd Kannowski mit überzeugenden Gründen für unwahrscheinlich erklärt. Vielmehr taten die Hallenser Schöffen es Eike wohl in gewisser Weise gleich: Sie verzeichneten das Recht, so wie sie es kannten oder doch so wie sie es für richtig hielten. Dabei schufen sie eine interessante Verbindung zwischen Magdeburger und Hallischem Recht. Darauf hatte bereits Stobbe hingewiesen, war aber offenbar weithin ungehört geblieben.66 Tschoppe, Stenzel
Kamptz
Gaupp
§§ 13, 14 § 15 § 16 §§ 17, 18 §§ 19–28 §§ 29, 30 §§ 31–34 §§ 35 §§ 36–38 §§ 39, 40 §§ 41, 42 § 43 §§ 44, 45 § 46
§§ 10, 11 §§ 12, 13 § 14 § 15 §§ 16–25 § 26 §§ 27–30 §§ 31, 32 §§ 33–35 § 36 § 37 § 38 § 39 § 40
§§ 12, 13 §§ 14, 15 § 16 §§ 17, 18 §§ 19–28 §§ 29, 30 §§ 31–34 §§ 35, 36 §§ 37–39 §§ 40, 41 §§ 42, 43 § 44 §§ 45, 46 § 47
Eine deutsche Übersetzung des Schöffenbriefes findet sich bei Zmarzly, Festschrift, S. 7–12. 63 Gaupp, Magdeburgisches und hallisches Recht, S. 109 f. 64 Eckhardt, Textentwicklung, S. 65 f. spricht einerseits von dessen „Abhängigkeit vom Sachsenspiegel“, gesteht aber ein, dass der „genetische Zusammenhang“ Hypothese bleiben muss: „Sicherheit läßt sich freilich nicht gewinnen.“ – Entsprechend scheint das Urteil von Dusil/Kannowski, Hallensischer Schöffenbrief, S. 88 f. zu hart. 65 Eine Rezeption so rasch nach der Entstehung für nicht wahrscheinlich halten Gaupp, Magdeburger und Hallisches Recht, S. 109 f. und Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 258, die aber daraus vielmehr den Schluss ziehen, dass den Hallenser Schöffen die lateinische Urform vorgelegen haben könnte. 66 Stobbe, Rechtsmittheilung, S. 404 f. Bei der hier von Stobbe in vorbildlicher Weise besprochenen Rechtsmitteilung von Neustadt nach Oppeln aus dem Jahre
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur
223
Wenige Jahre später aber, vielleicht schon um 1240, finden sich bei Albrecht von Stade dann bereits eindeutige Rückgriffe auf den Text des Landrechts:67 Albert von Stade
Sachsenspiegel Ldr. III 44
[. . .] Invenitur etiam, quod reliquiae fuerint Macedonum et mortuo Alexandro per totum orbem sint dispersi. Quia enim Alexander virtute eorum devicerat Asiam, eo defundcto se illi terae amplis committere non audebant, sed cum 300 navibus recesserunt, quae omnes perierunt, exceptis 54, quarum 18 Pruciam occuparunt, 12 Rugiam, 24 applicuerunt ad Albiam, quarum una trans Albiam sylvam incoluit et succidit, in qua postmodum sunt inventi et Holzati appellati. [. . .] Invadunt deinde reliquam provinciam, Thuringos sine differentia occidentes. Plures autem se eis dederunt proprios, et quia ab eis vivere sunt permissi, litones sunt ab eodem vocabulo nuncupati. Inde litones in provincia Saxonum sunt 68 exorti.
§ 2. Unse vorderen die her to lande quamen unde die doringe verdreven, die hadden in allexandres here gewesen, mit erer helpe hadde he bedvungen al asiam. Do alexander starf, do ne dorsten sie sik nicht to dun in’me lande durch des landes hat, unde scepeden mit dren hundert kelen; die verdorven alle up vier unde veftich. Der selven quamen achteine to prutzen unde besaten dat; tvelve besaten rujan; vier unde tvintich quamen her to lande. § 3. Do irer so vele nicht newas, dat sie den acker buwen mochten, do sie die dorinschen herren slugen unde verdreven, do lieten sie die bure sitten ungeslagen, unde bestadeden in den acker to alsogedaneme rechte, als in noch die late hebbet; dar af quamen die late. Von den laten die sik verwarchten an irme rechte sint komen dagewerchten. (Ssp. Ldr. III 44 §§ 2, 3)
[. . .] Ex praetaxatione principum et consensu eligunt imperatorem Treverensis, Moguntinus et Coloniensis. Trevirensis enim, licet de Alemannia non sit, ratione antiquitatis eligit [. . .] Palatinus eligit, quia dapifer est, dux Saxoniae quia marscalcus, et margravius de Brandenburg quia camerarius. Rex Boemiae, qui pincerna est, non eligit, 69 quia Teutonicus non est.
In des keiseres kore sal die erste sin die bischop von megenze; die andere die von trere; die dridde die von kolne. Under den leien is die erste an’me kore die palenzgreve von’me rine des rikes druzte; die andere die herthoge van sassen die marschalk; die dridde die marcgreve von brandeburch die kemerere. Die schenke des rikes die koning von behemen, die ne hevet nenen kore, umme dat he nicht düdesch n’is. [. . .] (Ssp. Ldr. III 57 § 2)
1557 (Textabdruck ebd., S. 406–408) handelt es mit Ausnahme zweier Nachsätze über die Kompetenzen der „consules“ um eine Bearbeitung des Schöffenbriefes von 1235. 67 Ficker, Entstehungszeit, S. 66–70. Zur Alexandersage vgl. Blaese, Sachsen. 68 Peertz, Annales, S. 311. 69 Peertz, Annales, S. 367.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Zeumer hielt es sogar für wahrscheinlich, dass der Annalist noch aus dem lateinischen Urtext des Sachsenspiegels geschöpft habe.70 Das ist eigentlich nicht wahrscheinlich; der Rückgriff auf das Rechtsbuch (oder die wie stets mögliche dritte, uns nicht überlieferte, gemeinsame Quelle) aber evident. Der Stader Benediktinerabt Albert schloss sich später den Minoriten an und könnte den Spiegel über die Magdeburger Franziskaner, die auch als Vermittler des Sachsenspiegels in den oberdeutschen Sprachraum als Vorlage für den Deutschen- und später den Schwabenspiegel, in Frage kommen, kennengelernt haben.71 Wenige Jahre später, im so genannten „Braunschweiger Fürstenweistum“ des Jahres 1252, wird noch einmal ausführlich über Königswahl und Kaiserkrönung gehandelt:72 Braunschweiger Fürstenweistum von 1252 Rex autem Romanorum ex quo electus est in concordia eandem potestatem habet quam et imperator nec date i iniunctio imperialis nisi nomen.
[. . .] Moguntino, Coloniensi, Trevirensi archiepiscopis, comiti Rheni, duci Saxonie, marchioni Brandenburgensi. Et septimus est dux Bohemie, qui modo est rex. Sed iste secundum quosdam non est necessarius, nisi quando alii discordant; nec istud ius habuit ab antiquo, sed de facto hoc hodie tenet.
Sachsenspiegel Landrecht Die düdeschen solen durch recht den koning kiesen. Svenne die gewiet wert von den bischopen die dar to gesat sin, unde uppe den stul to aken kumt, so hevet he koninglike walt unde koningliken namen. Svenne in die paves wiet, so hevet he des rikes gewalt unde keiserliken namen. (Ldr. III 52 § 1) In des keiseres kore sal die erste sin die bischop von megenze; die andere die von trere; die dridde die von kolne. Under den leien is die erste an’me kore die palenzgreve von’me rine des rikes druzte; die andere die herthoge van sassen die marschalk; die dridde die marcgreve von brandeburch die kemerere. Die schenke des rikes die koning von behemen, die ne hevet nenen kore, umme dat he nicht düdesch n’is. [. . .] (Ldr. III 57 § 2)
70 Zeumer, Lateinischer Urtext; dagegen Eckhardt, Textentwicklung, S. 45–47 und S. 65, der annimmt, Albert habe auf die erste oder dritte deutsche Fassung zurückgegriffen, da er noch den Trierer, nicht wie die späteren den Mainzer Erzbischof an die Spitze der Kurfürsten stellt. 71 Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 443. 72 Zeumer, Reichsweistum; vgl. ferner Eckhardt, Textentwicklung, S. 30 f. und Berges, Kaiserrecht, S. 149 f. Auf die Nähe mit dem Mandat „Licet iuris“ Ludwigs IV. von 1338 ist an dieser Stelle nicht einzugehen; vgl. dazu nur Zeumer, Königwahlgesetz.
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur
225
Diese Stelle hat in jüngerer Zeit noch einmal sehr die Gemüter bewegt. Auf die zum Teil recht hitzige Diskussion über die Königswahlparagraphen werden wir aber im Kap. III. E. V. 1. in aller nötigen Kürze noch einmal einzugehen haben. An dieser Stelle hier genügt die Feststellung, dass die ohne bekannte schriftliche Vorgänger im Sachsenspiegel zum ersten Mal formulierte Lehre der Königswahl durch die Kurfürsten bereits um die Mitte des 13. Jahrhunderts einige Verbreitung in Norddeutschland gefunden hat. Neben Albert von Stade und dem Braunschweiger Fürstenweistum erwähnt auch Hostiensis, allerdings wohl nicht im Rückgriff auf den Sachsenspiegel selbst, sondern auf das letztgenannte Weistum, in den 1260er Jahren diese Lehre noch einmal.73 Schon um die Jahrhundertmitte lassen sich explizite Rekurse auf das „ius Saxonicum“ belegen, deren Interpretation jedoch oft zweifelhaft bleibt. So beurkunden im Jahre 1256 Äbtissin Margareta und der Konvent von Gandersheim, Graf Bigo habe dem Kloster 60 Hufen Landes und seine Burg zu Gieboldhausen geschenkt, aus den Steinen derselben Burg eine Kirche erbaut und diese zugleich auch ausgestattet – das alles „pro remedio animarum suarum et omnium parentum suorum cum omni utilitate et iustitia, sicut oportuit et ius Saxonicum obtinuit“.74 Bei diesem und anderen Belegen freilich ist noch Vorsicht geboten. Die späteren Rekurse auf das Sachsenrecht beziehen sich in der Tat durchweg auf den Sachsenspiegel und ihm verwandte Quellen.75 Den Begriff eines „ius Saxonicum“ jedoch gibt es durchaus auch schon bevor Eike sein Rechtsbuch niederschrieb. So berichtet der Chronist Helmhold in seiner „Chronica Slavorum“, 1156 habe der Slawe Pribislaw gegenüber Bischof Gerold von Oldenburg mit der ungleichen Rechtsstellung der Slawen gegenüber den Holsten die mangelnden Missionserfolge im Osten begründet: „Et ait Pribizlavus: Si domino duci et tibi placet, ut nobis cum comite eadem sit culturae ratio, dentur nobis iura Saxonum in prediis et reditibus, 73
Zeumer, Reichsweistum, S. 411–413. Schmidt, UrkB Eichsfeld, Bd. 1, S. 221 f. (Nr. 380). 75 Eine genaue Sichtung der Belegstellen steht noch aus. Dabei ließen sich gerade auf diesem Wege zumindest einzelne Schlaglichter auf das Verhältnis des Sachsenspiegels zum sächsischen Rechtsbrauch vor seiner Abfassung erhoffen. Besonders aufschlussreich scheint mir beispielsweise eine Urkunde Liemars von Hamburg-Bremen aus dem Jahre 1091 über Güter bei Stumpenhusen, die feststellt: „Mater donationem eius ore laudavit et digito confirmavit; confirmationem digito, ut mos est Saxonibus, fecit, matre eius confirmante sicut iustum erat; frater laudavit, quamquam ad eum laudare non pertineret; per digitorum extensionum promissionem confirmationis accepit.“; zit. nach Johann Lappenberg, Hamburgisches UrkB, Bd. 1, S. 111 ff. (Nr. 118). Zu den Gesten der Codices Picturati vgl. oben, S. 142 ff., zum Konfirmationsgestus speziell Amira, Handgebärden, S. 219 ff. und Reincke, Gelöbnisgebärde, S. 281 f. 74
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
et libenter erimus Christiani, edificabimus ecclesias et dabimus decimas nostras.“76 An dieser Stelle kann nur das vorteilhafte Recht der deutschen Siedler insgesamt gemeint sein, die der Slawe Pribislaw mit den ihm benachbarten und bekannten Sachsen gleichsetzte, ähnlich wie muslimische Quellen aus der Zeit der Kreuzzüge oftmals generalisierend von Mitteleuropäern als von „Franken“ sprechen. Auch in der Gandersheimer Urkunde scheint es kaum möglich, einen Bezugspunkt im Sachsenspiegel aufzuzeigen, denn dort wird über die Rechte („utilitas et iustitia“) von Kirchen nichts ausgesagt. Es muss sich also wohl in der Tat um einen Verweis auf allgemeinen sächsischen Rechtsbrauch handeln. Bemerkenswert dabei bleibt, dass es ein solches Bewusstsein dafür gibt, an das sich ja letztendlich auch Eike bei der Abfassung seines Rechtsbuches anschloss. Insofern sind diese und ähnliche Belege auch für die Rechtsbücherforschung interessant, weil sie helfen, die Entstehung des Spiegels in den geistigen Horizont der Zeit und der Region einzubetten. Mit der Magdeburger Rechtsweisung für Breslau aus dem Jahre 1261 tritt erstmals Sachsenspiegelrecht in größerem Umfang als schriftliche und Verbindlichkeit beanspruchende Norm auf.77 Es enthält Auszüge aus dem ersten Buch des Sachsenspiegels, die auf einer Handschrift der zweiten deutschen Fassung (Ib) beruhen.78 Ruth Schmidt-Wiegand hat diese Rechtsmitteilung eingehend sprachlich untersucht und auf die besondere Stellung dieses unter Rückgriff auf mittelniederdeutsche Vorlagen verfassten ostmitteldeutschen Textes in der Frühüberlieferung des Sachsenspiegels hingewiesen.79 Bereits 1270 finden dann eine größere Zahl einzelner Rechtssätze des Spiegels Eingang in das selbst wieder weit verbreitete Hamburger Ordelbook;80 beinahe ein Drittel der 168 Artikel sind aus dem Sachsenspiegel übernommen:81 76 Schmeidler, Helmold von Bosau, S. 161 f. (cap. 84); vgl. dazu auch Hill, Konfrontation, S. 92 f. 77 Text u. a. bei Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 1, S. 1–16 (Nr. 1). 78 Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 14–26 mit entsprechenden Nachweisen. 79 Schmidt-Wiegand, Magdeburger Weistum. 80 Der ältere, ausgesprochen gründliche Edition von Lappenberg, Stadt-, Schiffsund Landrechte, steht nun die Neuausgabe von Eichler, Hamburger Ordeelbook, zur Seite. Diese Ausgabe zeichnet sich besonders durch eine hochdeutsche Übersetzung und einen ausführlichen Kommentar aus. Zum Verfasser des Ordeelbook ausführlich Reincke, Ordeelbook. 81 Erstellt nach Lappenberg, Stadt-, Schiffs- und Landrechte, S. LXIII–LXVI und S. 1–71 sowie Eichler, Hamburger Ordeelbook, S. 450–452. Zu den Quellen des Hamburger Stadtrechts und der Bedeutung des sächsischen Rechts für die hamburgische Rechtsgeschichte vgl. jüngst auch Eichler, Quellen.
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur Ssp. Ldr.
Ordeelbook
Ssp. Ldr.
Ordeelbook
I6§2 I 12 I 17 I 22 § 1 I 22 § 2 I 23 § 1 I 25 §§ 1, 2 I 46 I 52 § 1 I 53 § 1 I 53 § 3 I 54 § 4 I 60 § 1 I 61 § 1 I 62 § 2 I 62 § 6 I 62 §§ 7, 9 I 67 I 70 § 2 II 6 § 4 II 10 §§ 3, 6 II 11 § 1 II 11 § 2 II 13 §§ 1, 3–5 II 13 § 5 II 13 § 7 II 16 § 2 II 24 § 1 II 32 §§ 2, 3 II 33
I 19 III 16 III 12 III 14 VIII 2 V2 IV, 1 V3 I 8; IV 2 IX 24 I 11; IV 3 II 3 IX 26 IX 8 (Anf.) IX 3 VII 13 (Anf.) IX 25 XII 11 IX 14 I 12; I 13 VII 5 (Anf.) VII 7 VII 6 XII 7 X3 XII 8 IX 2 (Anf.) I 11 VIII 1 V 4; VIII 3
II 35 II 36 § 4 II 37 § 1 II 37 §§ 1–3 II 40 § 1 II 40 § 4 II 45 II 60 §§ 1, 2 II 62 § 1 II 63 § 1 III 5 §§ 3–5 III 6 §§ 1, 2 III 9 § 3 III 9 § 5 III 10 III 11 III 12 § 1 III 23 III 36 §§ 1, 3–5 III 38 § 2 III 39 §§ 1, 2 III 39 § 3 III 41 § 4 III 46 § 2 III 85 §§ 1, 2 III 87 § 1 III 87 § 4 III 89 III 91 § 1
XII 4 VII 9 XII 4 XII 6 (Anf.) VI 19 VI 20 IX 4 IX 21 VI 19 V3 XII 12 IX 18 (Anf.) VI 24 X1 VI 25 VI 26 IX 20 X2 XII 5 IV 8 IX 13 IX 5 (Anf.) VI 333 XII 3 VII 8 IX 15 XII 11 IX 23 XII 2
227
Aus der Verwendung der Artikelgruppe 87 bis 91 aus dem dritten Landrechtsbuch wird deutlich, dass zur Redaktion des Ordeelbooks bereits eine Landrechtshandschrift der zweiten Textklasse vorgelegen haben muss. Näher bestimmen lässt sich diese nicht. Erst für das Jahr 1356/57, also rund 60 Jahre nach Abfassung des Ordeelbook, haben wir Nachricht von einem Auftrag des Rates, eine Sachsenspiegelhandschrift anzufertigen.82 Das Hamburger Ordeelbook wurde an eine Reihe nordwestdeutscher, später auch nordosteuropäischer Städte und Ortschaften mitgeteilt83, zunächst 82 Koppmann, Kämmereirechnungen, Bd. 1, S. 54: „Ad speculum Saxonum: 6 Fl. 5 ß 4“. 83 Lappenberg, Stadt-, Schiffs- und Landrechte, S. LXXVI–LXXXIII; zur Rezeption im Baltikum besonders Angermann, Hamburgisches Recht.
228
C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
an Stade,84 dann an Riga85 und Bremen. Alle drei Städte bilden selbst wieder kleinere Stadtrechtsfamilien, wovon besonders die Bremer jüngst noch durch das siebenhundertjährige Stadtrechtsjubiläum wieder einige Beachtung erfahren hat.86 Dabei ist besonders auf einen Beitrag von Dagmar Hüpper hinzuweisen, in dem sie sich explizit mit der Rezeption des sächsischen Landrechts im Bremer Stadtrecht auseinandersetzt.87 Eine Rezeptionsarbeit besonderen Charakters stellt eine Kompilationsarbeit des Jahres 1454 dar, die Sätze des Ordeelbooks mit Stücken des Lübischen Rechts verbindet und darüber hinaus auch zwei Stellen des Sachsenspiegel-Landrechts, sonst aber keine anderen Quellen einflicht.88 1497 schließlich ist das Ordeelbook durch den Bürgermeister Dr. Hermann Langenbeck († 1517) einer grundlegenden Revision unterzogen sowie von selbigem auch glossiert worden.89 Diese Revision ist auch in einer berühmten Bilderhandschrift überliefert, die als Faksimile bequem greifbar ist.90 Im Vergleich mit anderen Stadtrechtsreformationen, vor allem des 16. Jahrhunderts stellt sie sich als nur sehr verhalten romanisierend dar. Auffällig wenig wird auf das gelehrte Recht auch in der leider noch immer ungedruckten Langenbeckschen Glosse rekurriert. Allerdings werden nun die „rechte der keyser“ als Subsidiärrecht ausdrücklich anerkannt.91 Die vielfachen Verweise auf die Quellen des sächsichen Rechts, vor allem das Landrecht des Sachsenspiegels, machen die Glosse zu einem eigenständigen, wichtigen Rezeptionsträger, der allerdings dem Umfang nach hier nicht die verdiente Beachtung finden kann. Umso dringlicher schiene mir eine Edition, die durch die überschaubare Handschriftenlage sehr begünstigt würde. 84 Korlén, Norddeutsche Stadtrechte, Bd. 1, S. 16–22; vgl. auch Bohmbach, Stader Stadtrecht. Zur Rezeption des Stader Rechts – und damit auch des Sachsenspiegels – im lauenburgischen Ottendorf vgl. Dettmer, Ottendorfer Stadtrecht, S. 45. 85 Napiersky, Quellen, S. XXIII–XXX und S. 51–130 (Text). 86 Schmidt-Wiegand, Geschriebenes Recht in der Stadt; Rinken, Bremer Recht; Barkhausen, Entwicklung. 87 Hüpper, Bremer Rechtsbuch, Hamburger Recht und Sachsenspiegel; knapp auch bereits dies., Rechtsbuch der Stadt Bremen. Hinzuweisen bleibt noch auf die mittelbare Rezeption des sächischen Landrechts in Verden durch die Übertragung der bremischen Statuten; vgl. den Abdruck bei Pufendorf, Observationes, Bd. 1, Appendix, S. 77–81. 88 Reincke, Hamburgisch-lübeckisches Recht. Bei den hinzutretenden Sachsenspiegelstellen handelt es sich um Ssp. Ldr. I 3 § 3 (cap. 257) und Ldr. III 57 (cap. 258). 89 Textabdruck bei Lappenberg, Stadt-, Schiffs- und Landrechte, S. 163–320; jüngst ist auch die Glosse von Eichler, Langenbeck’sche Glosse, ediert worden. 90 Reincke, Bilderhandschrift – zu dieser Handschrift vgl. auch Binder, Miniaturen. 91 Lappenberg, Stadt-, Schiffs- und Landrechte, S. 170.
II. Frühe Verbreitung und erste Rezeption in Recht und Literatur
229
Bereits früh, wahrscheinlich schon um 1260,92 kommt der Sachsenspiegel auch an den Niederrhein. Greifbares Zeugnis der Rezeption im Westen ist uns allerdings erst die Harffer Handschrift des Jahres 1295.93 Bereits zuvor aber muss der Spiegel auf die eine oder andere Art bereits bekannt gewesen sein: „Dat duutsce loy vertelt,/dat von onrechter gewelt/eygendom is comen.“, heißt es bei Jacob van Maerlant im „Wapene Martijn“, der damit offensichtlich auf Eikes berühmte Unfreiheitsquestio (Ssp. Ldr. III 42 §§ 3–6) anspielt.94 Maerlant ist 1291 verstorben und viel gereist; außerdem pflegte er Beziehungen zu bibliothekarisch gut ausgestatteten Klöstern wie Ter Duinen und Ter Doest. Man kann also trefflich darüber spekulieren, auf welche Weise er das Landrecht kennenlernte oder möglicherweise auch nur davon hat reden hören. Kontakte nach Hamburg sind jedenfalls ebenso wenig bekannt wie in das Ostfälische, so dass man Jacob mit gutem Grund als Beleg für die Kenntnis des Sachsenspiegels im Nordwesten des Reiches bald nach der Jahrhundertmitte wird werten dürfen. Ob diese bereits wenige Jahrzehnte nach seiner Abfassung weite Verbreitung des Textes bereits bis zum königlichen Hof reicht, kann zumindest gefragt werden: Denn als 1282 Graf Adolf von Berg eine Entscheidung über die Frage erbat, welchem Stand das Kind aus einer Ehe angehören solle, die zwischen freien Bauern („rustice que liberi dicuntur“) und Schutzhörigen („homines advocaticis“) oder anderen Angehörigen niedriger oder höhere Stände geschlossen werde, setzte König Rudolf in einem Spruch zu Gemersheim mit Zustimmung („applaudentibus“) der Anwesenden fest, dass das Kind immer dem im Stand schlechter gestellten Ehepartner in sein Recht folgen solle.95 Dieser Spruch stellt sich gegen die einschlägigen Bestimmungen in Ssp. Ldr. III 73 § 1, wonach sich das Recht der Kinder in ungleicher Ehe nach dem Vater richten solle.96 Dass aber überhaupt eine Entscheidung über diese Frage notwendig wurde, kann man als Hinweis auf die Existenz zweier gegensätzlicher Ansichten werten. Es wäre also durchaus möglich, dass der später nachweislich im Herzogtum Berg rezipierte 92
Nowak, Verbreitung, S. 94–98. Siehe oben, S. 141 f. 94 Textabdruck und weitere Einzelheiten zu den Lehrgedichten bei Jonckbloet, Geschiedenis, Bd. 2, S. 121–145; zum „Martijn“ vgl. ferner Biesheuvel/Palmer, Jacob von Maerlant. 95 MGH Leges II, S. 439 sowie Const. III, S. 300 (Nr. 306) – Regesten in RI VI, 1 (1898), S. 362 (Nr. 1621) und Diestelkamp/Rödl, Zeit Rudolfs von Habsburg, S. 244 (Nr. 343). 96 Ssp. Ldr. III 72 § 2 schränkt diese generelle Regel dahingehend ein, dass durch das Wichmannsche Privileg von 1180 die Kinder der Magdeburger Dienstmannen der deutschen Mutter folgen, „die vader sie düdisch oder wenidsch; unde der wendinne kindere horet na deme vaders, of he en went is; is he aver düdisch, so horet sie na der muder“. Dieses Sonderrecht betrifft aber den genannten Fall nicht. 93
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Sachsenspiegel schon zu jener Zeit dort bekannt war und nun durch die Existenz eines der bisherigen Übung entgegenstehenden Normangebotes Zweifel über die Rechtslage entstanden waren. Diese Überlegungen müssen vorerst Spekulation bleiben; sie ließen sich im günstigsten Falle durch die breite Sichtung der bergischen Überlieferung erhärten, wenn sich hinreichend Belege für entsprechende Ehen vor und nach 1282 fänden. Kehren wir aber zurück zu den greifbaren Punkten der Sachsenspiegelrezeption am Ende des 13. Jahrhunderts. Noch in der zweiten Hälfte, wahrscheinlich im letzten Viertel des Jahrhunderts erfolgt die erste Übersetzung des Sachsenspiegels in die lateinische Sprache. Von ihr und ihren Nachfolgern ist bereits die Rede gewesen.97 Gleiches gilt für die wohl ebenfalls noch in den letzten Jahren des 13. Jahrhunderts entstandene Urhandschrift X der Codices picturati.98 Beide Bearbeitungsprojekte sind mit erheblichem Aufwand verbunden und zeugen damit von dem hohen Stellenwert, den ihre Auftraggeber dem Spiegel einräumten. An der Wende zum 14. Jahrhundert schließlich finden wir, nach der Grundlegung der Hamburger Stadtrechtsfamilie durch das Ordeelbook dreißig Jahre zuvor, nun einen weiteren, eigenständigen stadtrechtlichen Rezeptionsträger in Norddeutschland: Das erste deutsche Stadtrecht von Hildesheim wurde im Jahre 130099 von einer Kommission aus vier Ratsherren und vier Vertretern der Handwerksämter mit dem Auftrag ausgearbeitet, „dat se der stat recht bescriven laten, also alse dat et en dunke, dat et der stat evene kome, beide den armen unde de riken“.100 Dabei ist der erste der insgesamt 178 Artikel – ob direkt oder mittelbar lässt sich hier kaum entscheiden – wörtlich dem Sachsenspiegel (Ldr. I 5 § 2) entlehnt: „Ein wif mach mit unkuscheit eres lives ere wipliken ere krenken, ere recht ne vorlust se darmede nicht noch ere erve.“101 Inwieweit das älteste Braunschwei97
Siehe oben, S. 161 ff. Siehe oben, S. 142 ff. 99 Irrig ist die Annahme bei Pufendorf, Observationes, Bd. 4, Appendix, S. 287, der die Entstehung ins Jahr 1422, also kurz vor die große städtische Statutensammlung (1428), setzt. Ihm folgen aber noch Gengler, Stadtrechte, S. 197 f. und Grefe, Hannoversches Recht, S. 154. Letzterer Band gibt aber abseits davon wertvolle Informationen zur Geschichte der Rechtsquellen in Niedersachsen und etwaigen Druckorten. 100 Doebner, UrkB Hildesheim, Bd. 1, S. 279 f. (Nr. 547); das Stadtrecht selbst ebd., S. 280–279–299 (Nr. 548). Zur Sache vgl. Lockert, Niedersächsische Stadtrechte, S. 166–168. 101 Doebner, UrkB Hildesheim, Bd. 1, S. 280 (noch nicht in den Statuten von 1249). Diese Quelle entgeht leider Lockert, Niedersächsische Stadtrechte, S. 168, der auch ansonsten annimmt, das Stadtrecht habe sich „weitestgehend selbständig entwickelt“, was zumindest für mögliche Beziehungen zum Ssp. wohl auch zutrifft. Frensdorff, Braunschweiger Stadtrecht, S. 198 stellt fest, es kehre „nicht nur kein 98
III. Umfassende Rezeption und Fälle von konkreter Rechtsanwendung
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ger Recht schon vom Sachsenspiegel beeinflusst worden ist, muss offen bleiben, weil direkte wörtliche Referenzen fehlen und nur einige inhaltliche Parallelen auszumachen sind, die durchaus auch auf überkommene Rechtsgewohnheiten zurückzuführen sein könnten. Seit dem 14. Jahrhundert aber ist die bis in das 16. Jahrhundert hinein tiefgehende Verwurzelung des Sachsenspiegelrechtes im Rechtsleben der Stadt Braunschweig und des braunschweigisch-lüneburgischen Herzogtums nachweisbar.102 Umso erstaunlicher ist es, dass gerade dort bereits Ende des 16. Jahrhunderts das Sachsenrecht auf landesherrliche Initiative zurückgedrängt wird. In einem Göttinger Prozessbericht des Jahres 1590 wird eigens darauf hingewiesen, dass als Subsidiärrecht zwar das Kaiser-, nicht aber das Sachsenrecht in Betracht komme, weil das Hofgericht zu Wolfenbüttel nicht nach Sachsenrecht spreche und sich danach auch die Untergerichte zu halten haben.103 Im Rezess von 1582 zwischen der Stadt und Herzog Erich II. von BraunschweigLüneburg, der die Grundlagen der niederen Gerichtsbarkeit vor allem im Umland der Stadt regelte, ist zwar davon noch nicht die Rede.104 Andererseits trifft sich mit dieser Feststellung der Umstand, dass nach den späten 1580er Jahren keine Anfragen des Wolfenbütteler Hofes an die Schöffen zu Magdeburg mehr überliefert sind.105 Im Calenbergischen Landesteil jedenfalls wurde durch Herzog Friedrich Ulrich am 8. Juli 1618 die subsidiäre Geltung des Sachsenrechts per Verordnung vollständig abgeschafft.106
III. Umfassende Rezeption und erste Fälle von konkreter Rechtsanwendung Im Verlaufe des 14. Jahrhunderts entstehen nicht nur eine Reihe wichtiger, auf den Sachsenspiegel gründender Rechtsbücher, es finden sich auch – teils schon sehr zeitnah zu ihrer Entstehung – Rezeption und Weiterverarbeitung auch dieser und der älteren Tochterrechtsbücher, namentlich des Schwabenspiegels. Gleiches gilt für die ersten, bereits vereinzelt erwähnten Stadtrechte, die noch unmittelbar auf den Spiegel zurückgreifen und nun eigenständige Stadtrechtsfamilien entwickeln. Von beiden Phänomenen soll jedoch an entsprechender Stelle gehandelt werden. Um die Jahrhundertmitte lassen sich aber auch im norddeutschen Raum die ersten Zeugnisse einer Beispiel wieder“, sondern es fehle „auch jede Spur der Einwirkung des Rechtsbuches“. Vgl. ferner Vogtherr, Stadtrechte. 102 Frensdorff, Braunschweigsches Stadtrecht, bes. S. 199–201. 103 Göttingen, StdA, Altes Aktenarchiv, Recht, Jurisdiktionalia Nr. 30. 104 Wittram, Gerichtsverfassung, S. 50 f. 105 Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 1, S. 163. 106 Hannover, StA, Cal. C. O. T. 28 § 4.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
konkreten Berufung auf den Sachsenspiegel in Rechtsstreitigkeiten und -entscheidungen nachweisen. So spricht im Jahr 1361 Abt Luitgard von Gandersheim „vor recht na rechtene hove lene, vnd na der denstman rechte alse we dat bescreven vindet in deme Keyserrechte, in dem Capitele dat sick beginnet: Got heft den Menschen ghebildet, na ome sulven etc. [= Ssp. Ldr. III 42 § 1]. In dem sulven Capitele steit gescreven, dat de denstman neyn recht en hebben, wenne alse de Herre one gift, dar se vnder gheboren sin.“107 Eckhardt Freise gebührt das Verdienst, auf einen nur zwei Jahre jüngeren Bremer Rotulus hingewiesen zu haben, der das Schiedsurteil Erzbischof Albrechts II. von Bremen im Konflikt zwischen den Grafen von Hoya und der Bremer Stadtgemeinde enthält.108 Wenn auch Freises These, dem welfischen Erzbischof habe ein Codex vorgelegen, „dessen Text im Konnex mit Bilderleisten konzipiert worden ist“, ja sogar „evident auf die Kapiteleinteilung des Hyparchetyps X der Bilderhandschriften (um 1300, Vorlage des Dresdner Codex) zurückgegriffen“ worden sei,109 keineswegs dergestalt zwingend scheint,110 so bleibt bemerkenswert, dass insgesamt neun Land107
Harenberg, Historia, S. 1169 f. (Nr. 13). Ich setzte hier zumindest den ersten Teil dieser interessanten Urkunde in vollem Text, wie er bei Harenberg gedruckt ist, weil er in modernen Ausgaben nicht greifbar scheint; lediglich die Orthographie wird angeglichen: „Von der Gnade Godes wy Lutghard Ebdissche des Stichtes to Gandersem. Na schulden Hanses van Gytere, unde von siner moder weghen, na antworde Bertoldes Spaden van siner echten vrowen wegen, der rechte vormunde he is, sprecke we vor rechte, na rechtene hovelene, und na der denstman rechte, alse we dat bescreven vindet in deme keyserrechte, in deme capitele, dat sek beghinnet: God heft den mynschen ghebildet na ome sulven etc. Nu hebbet unse vorwaren, den God nade, unsen denstmannen recht ghegeven, und ghesad, dat ludet van worde tau worde: Alse der denstman recht van Hildensem deyt, wenne dat unse namen darane ghewandelt sint, alle seck dat van rechte boret. In unser denstmanrecht steit ghescreven, dat der ammethe neyn dem herren moghe ledich werden, de wile iement is, de seck to deme boestmede teyn moghe, et sy wiff eder man. Hirumme heft Bertoldes Spaden vrowe recht to unsen drosten ammethe, unde Hans van Gyter unde syn moder nicht, darumme dat Bertoldes vrowe de negeste bösme is Dyderikes van Tastvorde seligher, des rechte süster se was van vader unde van moder, und Dyderick was unse und unses stichtes rechte ervegheborne droste wente in sinen dot. Wente dat dorst ammeht nicht hinder sik ervenen mach, darum dat Dyderick eyne rechte erve suster levendich nagehlaten hefft; unde dyt is recht na utwisinge unser und unses stichtes denstman recht, dat unse vorwaren van older her one ghegeven und ghesad hebbet, alse we in unsen olden privilegien vindet.“ Auf diese Urkunde verweist auch Kind, De usu et auctoritate, S. 15. 108 Freise, Welfen und Sachsenspiegel, bes. S. 466 ff. – Der Text des Rotulus bei Ehmck/Bippen, Bremisches UrkB, Bd. 3, S. 161–174 (Nr. 199). Zu Recht korrigiert Freise (S. 466 f., Fn. 108) die falsche Datierung der Edition. 109 Freise, Welfen und Sachsenspiegel, S. 469 f. 110 Kümper, „. . . als dat utwiset unser lantrecht“.
III. Umfassende Rezeption und Fälle von konkreter Rechtsanwendung
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rechts- und eine Lehnrechtsstelle vom Bremer „superior arbiter“ angeführt werden.111 Einiges Aufsehen erregte 1358 ein Streitfall zwischen der Gernroder Äbtissin Adelheid von Anhalt und der Stadt Magdeburg. Die Schöppenchronik widmet den Umständen einen ausführlicheren Bericht – vor allem wohl deshalb, weil der Verfasser in jenen Tagen selbst von den Schöffen „to orem deinere und schrivere“ in Dienst genommen wurde.112 Wegen eines bereits einige Jahre zuvor von der Stadt gekauften Gutes in Neu-Gatersleben hatte es Streit mit der Äbtissin Adelheid von Gernrode gegeben, die einen Teil des Gutes als von ihr zu Lehen gegeben beanspruchte. Dagegen wandte man in Magdeburg ein, sie habe es „doch bi vertich jaren in weren nue gehad“, wollte aber „dorch vredes willen“ ihr neunzig Mark zur Entschädigung zahlen. Das Angebot wurde abgelehnt und die Magdeburger vor das kaiserliche Hofgericht geladen – „des gleik was nue vornomen to voren“.113 Als Kläger trat Herzog Rudolf II. von Sachsen-Wittenberg auf, der Ansprüche in Höhe von zehntausend Mark Silbers stellte. Als Frist wurden sechs Wochen und drei Tage gesetzt. „Des antworden de borgere, men dede on unrecht“, und wiesen den als Überbringer der Forderungen fungierenden Gero von Byern, „dat he nemande an or gud wisede“. Man holte sich Rat bei „de witzigesten der stad, de sik rechtes vorwusten“ und kam zu dem Schluß, „ed were nutte dat men dat recht to hulpe neme und vorantworde sik: wente schege des nicht, de hertoch mochte se besweren also lange dat men se vorachtede vor dem rike, und dat worde swerlik, als in dem rechte steit: we jar und dach in des rikes achte steit, de vorlust sin recht und sin gud.“ Letzteres ist ein beinahe wörtliches Zitat von Ssp. Ldr. I 38 § 2. Tatsächlich beschlossen nun die Bürger, „se wolden sik mit recht weren und wolden dar to senden, und leten de borgere, de sich rechtes vorstunden, dar over sitten. de begunden de ladebreve overwegen und to metenden na dem rechte und sochten winkele in dem Sassenrechte, de men vor vor nicht hadde vorslagen, und vunden dat me on unrechte na ging.“ Der Chronist protokolliert uns hier aus eigener Anschauung die Beratung eines Rechtsfalles, die gleichsam mit dem Text des Sachsenspiegels in der Hand stattfindet. Dabei tritt ein Mann auf, der der Rechtsbücherforschung nicht unbekannt ist: Ausgerechnet Hermann von Oesfeld, der sich als Verfasser der 111
Ssp. Ldr. I 7; Ldr. I 8; Ldr. II 16 § 1; Ldr. II 18 § 1; Ldr. II 24 § 1; Ldr. II 70; Ldr. II 72 § 1; Ldr. III 9 § 2; Ldr. III 39 § 1; Lnr. 38 § 4 – tabellarische Gegenüberstellung zwischen allegierten Kapiteln und Vulgata-Einteilung bei Kümper: „. . . als dat utwiset unser lantrecht“, S. 178. 112 Janicke, Schöppenchronik, S. 219 und S. 224–232. Danach die folgenden Zitate. 113 Zum Verfahren am königlichen Hofgericht zu jener Zeit vgl. Diestelkamp, Rechtsgutachten.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
kleinen Prozessschriften Cautela und Premis nennt,114 wurde von den Bürgern beauftragt, „went he sik rechtes wol vorstunt und dat lantrecht geregistreret, als vor geschreven steit“. Der letzte Nachsatz bereitet Kopfzerbrechen, denn weder Hermann noch ein Register des sächsischen Landrechts werden in der gesamten vorhergehenden Chronik erwähnt. Ob und gegebenenfalls welche Rückschlüsse sich daraus für deren Überlieferungsgeschichte zumindest vermutungsweise ziehen ließen, bliebe näheren Untersuchungen auf diesem Feld vorbehalten. Hermann jedenfalls „satte sik dar over [. . .] und he makede dissen processum na dem rechte dem unrechten wedder to stande, also dat men scholde senden in des keisers hof und vragen umme gemeine ordele“. Unterstützt wurde er dabei im Auftrag der Schöffen vom Chronisten selbst. Die bemerkenswerte Einrede gegen die Klage der Gernroder Äbtissin wird vollständig eingeschaltet: „to dem ersten alsus, eft jennich richter moge richten over besetene lude in dem lande to Sassen wenn de richtere, de over se den ban heft, unde de keisere, wenn he in dat gerichte kumpt. dat dit alsus schulle sin, dat vint men wol beschreven in dem dridden boke in der 52 R., dat is rubriken. dar steit geschreven „De keiser mach in allen landen nicht wesen und dar richten: dar umme heft he in den landen richtere gesat.“ aver in der 60 rubriken, dar steit „in welkem gerichte de keiser kumpt“ etc. echt eft imand moge de Sassen laden ut dem gerichte, dar se inne beseten sind, de wile de richtere rechtes dem clegere helpen mach und des nicht enwegert, disses vint men bewisinge in dem anderen boke in der 25 R. echt eft de keiser edder sin hoverichter over den Sassen richten moge buten Sassenlande, wente men nein ordel over de Sassen halten schal wenn in sassliker art, dit vint men in dem ersten boke in der 34 R., dar steit „erret der richter“ etc. echt in dem anderen boke, R. 12, dar steit „wenn se ersten ervaren dat de kaiser“ etc. echt in dem anderen boke, R. 25, dar steit „wor de richter nicht richten wil“ etc. ut dissen reden is openbare dat den borgeren unrecht schach an der ladinge. ok Constantinus de keiser und Silvester de pawes setteden dat recht, dat men umme eigene schal nergen antwerden wenn in dem gerichte, dar ed lit, umm lehn vor dem lehnheren: dar umme scholde de hertoch bilken hir to lande erst richte socht hebben.“
Die Magdeburger wiesen also unter Hinweis auf eine Reihe einschlägiger Stellen des Sachsenspiegel-Landrechts (Ldr. III 52 § 2; Ldr. III 60 § 2; Ldr. II 25 § 2; Ldr. I 34 § 3 und Ldr. II 14) äußerst geschickt die Klage des Sachsenherzogs aus verfahrenstechnischen Mängeln heraus von sich. Als Überbringer fungierte Hermann selbst, der gemeinsam mit dem Chronisten („des wart ik om to eim kumpane geven“) nach Mainz an den kaiserlichen Hof geschickt wurde, wo beide um Pfingsten 1359 herum tatsächlich mit Karl IV. sprechen konnten. Die Szene vor dem Kaiser selbst, mit dem im Übrigen Hermann bereits aus Wittenberger Tagen, „dar de sulve Herman vele mit dem keiser hadde geredet und he ordele dar vant, dar on de 114
Siehe oben, S. 179.
III. Umfassende Rezeption und Fälle von konkreter Rechtsanwendung
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keiser umme vragede“, bekannt gewesen sein soll, schildert der Chronist als (vielleicht vorgeblicher) Augenzeuge ausführlich und mit Einflechtung vieler Zitate des Wortgefechts zwischen den Magdeburger Boten dem Sachsenherzog: Zunächst wird man nicht vorgelassen, dann gibt der Kaiser vor, die Gesandten nicht zu verstehen, worauf man versucht, sich auf Latein zu verständigen. Immer wieder interveniert auch der Sachsenherzog und versucht, den Kaiser zu überzeugen, die Magdeburger nicht anzuhören. Karl besteht darauf, „he kerde sik an nein recht, wenn wat sine vorsten in sinem hove vunden [. . .] des hadde wi under enander vele wesselwort, und de hertoch van Sassen und de hoverichter hertoch Bolk unde de van Swarzeborch velen mit reden dar in“. Am folgenden Tag wurde die Sache vor dem Fürstengericht beraten und letztlich abgewiesen. Bereits ein Jahr später wurde die Stadt wieder vor das Hofgericht zitiert. Diesmal ging es um den Streit um das Burggrafenamt, das 1359 von Erzbischof Otto an den Grafen Johann von Retz – im Übrigen ein Schwager Rudolfs – verliehen worden war, ohne den Konsens der Bürgerschaft einzuholen. Auf dieses Recht jedoch bestand die Stadt nachdrücklich mit Verweis auf den Kauf des Burggrafenamts im Jahre 1294; Lammspringe berichtet in seiner Chronik ausführlich davon.115 Retz dagegen reklamierte das Amt als väterliches Erbe. Nach einigen Vorverhandlungen wurde die Sache in Prag vor Karl gebracht. Auch Herzog Rudolf war wieder anwesend, weshalb die Magdeburger Gesandten baten, dass der Kaiser „se bi orem recht leite, dar se sine vorvaren bi laten hadden, wente de hertoch van Sassen vorvolgede se und heilde se an clage, alse he on unrecht dede“. Wie bereits im Vorjahr zu Mainz sehen wir, dass das Verhältnis zwischen Kaiser und Stadt in diesen Jahren durch die Auseinandersetzung mit Rudolf deutlich getrübt war. So sah man sich bemüßigt, festzustellen, dass „darumme [. . .] nen borger mer juwen [d.i. den kaiserlichen] hof soken; sunder wan men se ladet, als men to rechte schal, und dar ladet, dar men se to rechte laden schal, dar se so velich komen mogen als de hertoch van Sassen, und men se horen will also wol as men den hertogen: dar willen de borgere geren komen und schullen der Sassen recht to hulpe nemen“. Bezüglich der strittigen Burggrafenschaft antwortete Lammspringe als Vertreter der Magdeburger Boten, „de borchgreveschop horde des godeshus to Magdeborch, ed behorde den bischop to vorantwordende; konde he [d.i. Graf Johann von Retz] mit rechte dat borchgrevenammecht erwerven, wat denne den borgeren behorde to donde, dar setten se sik nicht wedder.“ Der erboste Graf Johannn berief sich noch einmal auf sein „veterliches erve“. Lammspringes Antwort ist ein geschickter Schachzug: Den Graf als Burggraf anzunehmen, sei wider Recht, denn „des hertogen eldervader van Sas115
Janicke, Schöppenchronik, S. 176 f.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
sen, de hir steit, heft de herschop vorkoft, und de bischof heft de in lehne und weren, und de schepen hebben om gesworen und mogen on nicht vorlaten und ju nehmen, ed ensi dat gi ed mit recht verwerven: went ed is der Sassen recht, dat men nimande schal ut weren wissen, men breke erst de were mit recht“. Der geschickte Rekurs auf den Handel mit Herzog Rudolf I. aus dem Jahre 1294 und die Treueverpflichtung der Magdeburger gegenüber dem Bischof, der mit einem Allegat aus Ssp. Ldr. II 70 unterlegt wird, zeitigte aber nur mäßigen Erfolg. Man verglich sich um eine Zahlung von vierhundert Mark. Die Selbstverständlichkeit aber, mit der die Magdeburger in diesen beiden wichtigen Fällen mit dem in Eikes Rechtsbuch Schrift gewordenen „Sassen recht“ argumentieren, bleibt bemerkenswert. Ein Vierteljahrhundert später findet sich im Magdeburger Urkundenbuch wieder ein Fall konkreter Rechtsanwendung der im Sachsenspiegel gelegten Grundlagen: Als vier „gekorn schidelude“, darunter die Bischöfe von Halberstadt und Brandenburg, im September 1387 den Streit zwischen dem Rat der Stadt Magdeburg und Erzbischof Albrecht über den Solebrunnen Bethman in Wieliczka (Groß-Salze)116 schlichten, paraphrasieren sie auch die Klage der Magdeburger, „dy hebben unsen erwirdigen heren angewisit, dat he sek des bornen heft undirwunden und unse borgen mit den andirn papen und leyen entweret wedder dat capittel des gemeynen lantrechtis, dare stey: ‚men schal nymande ute sinen weren wissen, alsi hy mit unrechte dar yn kommen, men breke sy ome mit rechter klage‘ etc. libro secundo capitulo XXIIII . . .“ [= Ssp. Ldr. II 24].117 Dass es sich bei den bisher genannten Fällen durchgängig um Überlieferungen aus der näheren Umgebung des Entstehungsgebietes des Sachsenspiegels handelt, gibt keinen unmittelbaren Anlass zur Interpretation. Denn es ist ja bereits oben dargelegt worden, dass der Spiegel schon gegen Ende des 13. Jahrhunderts auch nach Westfalen und in den Süden Deutschlands gelangt ist. Zudem ist lediglich gedrucktes Material herangezogen worden; die Ergebnisse sind also zu einem gewissen Grad der Willkür des Zufalls unterworfen. Sie zeigen aber exemplarisch, dass der Sachsenspiegel durchaus nicht nur als literarisches Werk, beispielsweise als Lehrbuch oder Kompilation einschlägiger Texte rechtlichen Inhalts, sondern auch als eigenständiger Rechtstext mit unmittelbar praktischem Bezug und der Möglichkeit, sich darauf zu berufen, wahrgenommen wird. 116 Die Stadt war erst kurz zuvor, im Jahre 1361, von Kasimir dem Großen mit Magdeburger Recht, ursprünglich 1289/90 „de jure polonico in jus theotonicum sc. Franconicum“ bewidmet worden; vgl. Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 257, 289 und S. 293 f. Wieliczka ist bisher die einzige Stadt in Polen, für die eine explizite Gründungsbewidmung mit fränkischem Recht überliefert ist. 117 Hertel, UrkB Magdeburg, S. 399–403 (Nr. 629).
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Dazu fügt sich der Umstand, dass in der ersten Jahrhunderthälfte auch die oben bereits ausführlicher besprochene Landrechtsglosse des märkischen Hofrichters Johann von Buch und dessen Richtsteig Landrechts, jene ersten rechtswissenschaftlichen Arbeiten über den Sachsenspiegel, entstehen.118 Ob Johann dabei auf eine bereits bestehende Legende vom kaiserlichen Ursprung des Sachsenspiegels zurückgriff oder diese Legende erst selbst in die Welt gesetzt hat, muss offen bleiben.119 Jedenfalls greifen die durch die praktische Anwendung im Rechtsleben implizit akzeptierte und die explizite Zuschreibung Johanns dann theoretisch-historisch fundierte Anerkennung des Spiegels als Quelle geltenden Rechts zeitlich ineinander. Man könnte sagen: Im 14. Jahrhundert wird der Sachsenspiegel (spätestens) nachweisbar zur Rechtsquelle. Was er davor war, ist kaum mehr zu entscheiden. Im Zusammenhang damit ist auch auf eine bedeutsame Urkunde Markgraf Ludwigs I. von Brandenburg († 1351) vom Mai 1336 hinzuweisen. Bernd Kannowski und Frank-Michael Kaufmann haben sie vor wenigen Jahren wieder aufgefunden, ediert und eingehend besprochen.120 Es handelt sich dabei um die einzige bislang bekannte Bewidmung, die einem Ort explizit das „privilegium Saxonie“, also den Sachsenspiegel und nicht ein allgemeines „ius Saxonum“ oder „Magdeburgense“, als neue Rechtsgrundlage zuweist, zugleich alle bisherigen Gewohnheiten, „quod iure imperali et privilegio Saxonico contrarium“ sei, für abgeschafft und nichtig erklärte. Der Fall wird umso bemerkenswerter als es sich bei dem so bewidmeten Ort um die Stadt Jerichow nahe Tangermünde im heutigen Bundesland Sachsen-Anhalt handelt, die der „vetus glossator“ Johann von Buch als brandenburgisches Lehen innehatte. So berichtet denn auch die Urkunde davon, dass Markgraf Ludwig das Privileg auf inniges Bitten Johanns ausgestellt habe, der damit die im Frühjahr 1336 von einer Elbeflut zerstörte und just wieder errichtete Stadt neu ausstatten wollte. Die Urkunde an sich war Klöden und Homeyer zwar bereits bekannt,121 allerdings nur aus später und mangelhafter Kopialüberlieferung greifbar. Es ist das Verdienst Kannowskis und Kaufmanns, die Originalurkunde wiederentdeckt zu haben, die in einer Reihe von Details von den gedruckten Ausgaben der Kopialüberlieferung abweicht. Ein letztes bleibt bei dieser Urkunde bemerkenswert:122 Während die Urkunde nämlich Töchtern und Söhnen gleiches Erbrecht zugesteht, nimmt der Sachsenspiegel die weiblichen Nachkommen aus der Erbfolge 118
Siehe oben, S. 165 ff. Vgl. auch Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 22 f. 120 Kannowski/Kaufmann, Brief – Textabdruck ebd., S. 555–557. Die Urkunde war bereits Dreyer, Beyträge, S. 139 bekannt, der aber bemerkenswerterweise Johann von Buch nicht erwähnt. 121 Klöden, Verfasser, S. 261 f.; Homeyer, Prolog, S. 23 f. 122 Kannowski/Kaufmann, Brief, S. 551 f. 119
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ausdrücklich aus (Ssp. Ldr. I 17 § 1). Dieser Unterschied aber stellt die Urkunde noch näher an den dadurch Begünstigen, den Glossator Johann von Buch. Denn dessen Glosse erklärt gerade diese Bestimmung des Sachsenspiegels explizit für veraltert und nicht mehr in Übung: „Wo is dat, dat de dochter nen erue nympt, of dar en sone is? Na desseme rechte so weren alle dochtere eruelos, also hire vnd in deme negesten artikele. Segge, dat were by oldeme recht vnd sy affgelecht.“123 Im selben Jahr, in dem Markgraf Ludwig Johann diese wichtige Urkunde ausstellt, vollendet im Kloster Rastede, wenige hundert Kilometer westlich, der Mönch Hinrik Gloyesten die Oldenburger Bilderhandschrift.124 Sie verdient auch daher noch einmal explizit Erwähnung, weil das Kolophon, wie oben bereits einmal kurz angeklungen ist, Auskunft über die Wahrnehmung des Rechtsbuches gibt: Graf Johann III. nämlich war es darum bestellt, den jüngeren Rittern und Dienstleuten das Recht der Vorväter bekannt zu machen. Dieses Recht getreu wiederzugeben, scheint er dem Sachsenspiegel zugemutet zu haben.125 Zugleich ist die unvollendete Oldenburger Bilderhandschrift der letzte uns heute noch bekannte Zeuge einer Tradition von bebilderten Sachsenspiegelhandschriften, die noch in das 13. Jahrhundert zurückreicht. Auch die späteren, teililluminierten oder -illustrierten Handschriften greifen diesen Traditionsstrang nicht mehr auf, so dass man wird sagen können, dass auch hier etwas zu Ende geht und ein neuer Abschnitt des Umganges mit dem Eikeschen Rechtsbuch beginnt. Im Februar 1400 schließlich stellt die Äbtissin Lutgarda III. von Gandersheim in einer von ihr ausgestellten Urkunde fest, sie spreche Recht „na rechtene hovelene vnnd na der denstman rechte, alse we dat bescreven vindet in deme keyserrechte, in deme Capitele, dat sek beghinnet: Got heft den Menschen ghebildet, na ome suluen etc.“126 Zwar ist die Auslegung der Äbtissin durchaus eigenwillig; der Rückgriff auf Ssp. Ldr. III 42 § 1 aber ist offensichtlich. Ich fasse diese ersten Eindrücke zusammen. Vor einigen Jahren hat Michael Vollmuth-Lindenthal in einem Beitrag über die Landfriedenspolitik der Magdeburger Erzbischöfe geklagt, dass die „im 14. Jahrhundert einsetzende weite Verbreitung des Sachsenspiegels in mitteldeutschen Städten und Fürstenhöfen [. . .] in deutlichem Gegensatz zu den spärlichen Sachsen123
Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 221. Siehe oben, S. 148 ff. 125 Vgl. dazu die Überlegungen von Hüpper, Kolophon, S. 79. 126 Der Text ist gedruckt bei Harenberg, Historia, S. 1169 f. – zu dieser Urkunde vgl. auch Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 88 f. und Kannowski, Umgestaltung, S. 289–292. 124
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spiegel-Zitaten und Sachsenspiegel-Verweisen in Urkunden des 14. Jahrhunderts“ stehe,127 und beruft sich dabei auf die wenigen von Kroeschell genannten Belege.128 Dem kann ich nicht beipflichten. Zum einen sind bereits die bei Kroeschell genannten Bezüge zwar objektiv wenige, aber durch ihre schiere Existenz ausgesprochen bemerkenswert, wenn wir uns ins Gedächtnis rufen, dass überhaupt Zitate und Verweise auf schriftliche Rechtsquellen in den Urkunden dieser Zeit und dieses Raumes so gut wie gar nicht vorkommen. Zum anderen lassen sich, wie ich hoffe, gezeigt zu haben, noch weitere, nicht minder bemerkenswerte Beispiele beibringen, die dafür sprechen, dass der Sachsenspiegel im 14. Jahrhundert als Quelle sächsischen Rechts durchaus anerkannt wurde und mehr oder minder bekannt war.129 Wie auch sonst hätten die Magdeburger sich mit ihrer Einrede einen Erfolg erhoffen können, hätten sie nicht voraussetzen dürfen, dass Karl zumindest diffuse Kenntnisse darüber gehabt haben könnte, dass es ein spezifisch sächsisches Recht gab und wo man es im Zweifel hätte auffinden können? Oder wird man der Schilderung Lammspringes so weit misstrauen müssen, dass die gesamte Episode einschließlich des eingeschalteten Schreibens frei erfunden gewesen sein soll? Es fällt mir schwer, das zu anzunehmen, obwohl es natürlich prinzipiell möglich ist, denn urkundliche Zeugnisse für die Verhandlungen in Mainz und Prag habe ich nicht finden können.130 Weit nahe liegender aber scheint mir, zumal, wenn man die Hinweise in der Sächsischen Weltchronik, bei Jacob von Maerlant und in anderen, zu dieser Zeit ja bereits reichlich vorhandenen Derivaten des Sachsenspiegels bedenkt, die Vermutung, dass der Spiegel bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts weit über die Grenzen der „terra iuris Saxonici“ hinaus zumindest als solches bekannt war. Während wir in Norddeutschland im 14. Jahrhundert bereits eine durchaus feste Verwurzelung des Sachsenspiegels im zeit127
Vollmuth-Lindenthal, Erzbischöfe, S. 218. Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 443–453. 129 Für das 15. Jahrhundert ließen sich ebenfalls manche Berufungen auf das Sachsenrecht in Privaturkunden nachweisen. Bislang ist dieser Aspekt wohl deshalb nicht untersucht worden, weil mit den zahlreichen Schöffensprüchen dieses Jahrhunderts hinreichend Belege für den gerichtspraktischen Einfluss des sächsischen Landrechts vorliegen. Ich verzichte daher auch auf ausführliche Referate solcher Urkunden, verweise allerdings exemplarisch auf Schmidt, UrkB Halberstadt, Bd. 2, S. 225–231 (Nr. 943) und S. 368–374 (Nr. 1131). 130 Auch Battenberg, Zeit Karls IV., S. 242 f. (Nr. 355) und S. 262 f. (Nr. 383) nennt lediglich die Schöppenchronik als Überlieferungsträger, ist sich aber sicher, dass obwohl „in einer Chronik überliefert, [die] vorliegende Quelle nicht als eine historiographische eingestuft werden“ könne; vielmehr handle es sich dabei um „eine frühe abschriftliche Wiedergabe eines damals noch im Original vorhanden gewesenen Urkundentextes“ (S. 243). Diese Annahme ist zumindest höchst wahrscheinlich. Buder, Symmikta, S. 85 gibt die Urkunde mit leichtem Abweichungen, bezieht sich aber wohl ebenfalls auf die Schöppenchronik. 128
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genössischen Rechtsleben und -bewusstsein feststellen können, hat das Rechtsbuch auf der anderen Seite sowohl in der handschriftlichen Überlieferung131 als auch mit Blick auf die Rezeption in anderen Rechtsbüchern, die sich an das elbostfälische Vorbild anlehnen, schon eine bemerkenswerte Verbreitung gefunden. Besonders in Mittel- und Osteuropa hat das Sachsenrecht einen festen Platz. Wir denken an das Meißner Rechtsbuch, die schlesischen Stadtrechtsbücher oder den Livländischen Spiegel Land- und Lehnrechts, aber auch an das Herforder Rechtsbuch als einen besonderen Rezeptionsträger im westlichen Reichsgebiet, die alle in unmittelbarem Rückgriff auf den Sachsenspiegel entstanden sind.
IV. Die „Articuli reprobati“ Von dieser bereits um die Mitte des 14. Jahrhunderts großen rechtlichen Relevanz des Spiegels spricht aber kaum ein Umstand deutlicher als eine Auseinandersetzung, die sich bis vor die päpstliche Kurie ziehen sollte. Sie soll uns ihrer Bedeutung wegen eines eigenen Kapitels wert sein. Diese Episode der Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels hat früh das Interesse der Gelehrten gefunden.132 Insgesamt wird man aber trotzdem feststellen müssen, dass die wertvollsten Beiträge zur Biographie und zum Wirken des thüringisch-sächsichen Augustinerprovinzials Johannes Klenkok († 1374) bemerkenswerterweise nicht von der Rechtsgeschichte, sondern von historisch forschenden Theologen erbracht worden und in der rechtshistorischen Forschung kaum oder gar nicht zur Kenntnis genommen worden sind: Das gilt für die im Hinblick auf die Kontextualisierung Klenkoks im intellektuellen Horizont seiner Zeit wichtigen Studien des Augustinerpaters Damasius Trapp133 ebenso wie für die profunde Arbeit des amerikanischen Theologen Christopher Ocker.134 Herangezogen werden dagegen in der Regel die stellenweise gar zu positivistische Frankfurter Dissertation von Hans Josef Kullmann,135 die schätzbaren Textanalysen von Lade-Messerschmied136 oder Adolar Zumkellers lexikalischer Abriss der Klenkokschen 131
Dazu Nowak, Verbreitung, S. 341–348. Neben der im Folgenden noch zu nennenden Literatur haben sich Steffenhagen, Articuli reprobati; ders., Johann Klenkok; Wattenach, Johannes Klenkok; Bütow, Lebensgeschichte, mit den Auseinandersetzungen um Klenkok und den Sachsenspiegel beschäftigt; besonders breiten Raum widmet der Sache auch Cohn, Kampf, S. 35–42. 133 Trapp, Teólogos, S. 283–291; ders., Augustinian Theology, S. 223–239; ders., Notes. 134 Ocker, Johann Klenkok, bes. S. 42–69. 135 Kullmann, Klenkok. 136 Lade-Messerschmied, Articuli reprobati. 132
IV. Die „Articuli reprobati“
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Biographie.137 Ereignisgeschichtlich gehen diese neueren Arbeiten kaum über die älteren Beiträge von Homeyer138 und Böhlau139 hinaus. Als Theologe ist der streitbare Augustinermönch dagegen von den Rechtshistorikern bislang nicht ernst genommen worden, so dass das alte und wenig erkenntnisfördernde Bild vom fanatisch-verbohrten, ja vielleicht sogar korrupten Gegner des sonst so positiv belegten sächsischen Rechts sich immer weiter fortpflanzt. In der Tat lässt sich Klenkok historisch in einem Erbrechtsstreit fassen, in dem sich die fünf Brüder von Klencke mit ihren beiden Vettern, dem Ritter Dietrich und dem Kleriker Johannes vergleichen „super omnibus querimoniis, quas movebant ex diversis capitibus statutorum et iuris Saxonum contra superius iam praedictos Tidericum et Johannem, fratres dictos Klenkok, renunciantes praeterea omnibus exceptionibus iuris canonici et civilis, si quid iuris ipsis quocunque titulo conpetere posset in bonos modo dictorum fratrum hereditariis“.140 Johannes hatte ererbte Güter einem Kloster übereignen wollen, dazu auch die Zustimmung seines Bruders Dietrich, nicht aber offenbar seiner fünf Vettern eingeholt, die sich nun unter Berufung auf das in Ssp. Ldr. I 52 § 1 formulierte Prinzip des Erbenlaubs zu dem Erbe ziehen wollten. Möglicherweise waren diese Ereignisse ihm der Auslöser für sein Vorgehen gegen den Sachsenspiegel. Zumindest finden wir auch Ldr. I 52 § 1 später unter den Artikeln, gegen die Klenkok vorzugehen versuchte. Greifbar wird uns dieses Bemühen jedenfalls erstmals 1369 mit seinem auf Betreiben des wenig zuvor noch in Magdeburg belegten Inquisitors Walter Kerlinger († 1373) verfassten Dekadikon,141 einer Streitschrift gegen insgesamt zehn Artikel des Sachsenspiegels, die als der kirchlichen Lehre widersprechend verworfen und zu diesem Zwecke der päpstlichen Kurie zur Prüfung vorgelegt werden sollten. Kerlinger aber leitete die Schrift nicht, wie angedacht, an die Kurie nach Avignon, sondern an den Magdeburger Rat weiter, der sich nun bemüßigt fühlte, zur Ehrenrettung des Schrift gewordenen Sachsenrechts einzuschreiten und eine Verteidigungsschrift („Re137
Zumkeller, Johannes Klenkok – wenig Beachtung hat dagegen die Studien ders., Erbsündelehre, und ders., Erbsünde, S. 17–135 und S. 507–543 gefunden, die eingehend Klenkoks theologisches Verständnis ausleuchtet. 138 Homeyer, Johannes Klenkok. 139 Böhlau, Chronologie. 140 Die entsprechenden Urkunden finden sich im Anhang von Scheidt, Bibliotheca, S. 112 f. (Nrn. 3 und 4), das Zitat ebd., S. 113; vgl. dazu auch Kroeschell, Rechtsaufzeichnung, S. 447. 141 Bislang ohne Ausgabe. Mir lag die Handschrift Wolfenbüttel, HAB, Cod. Nov. 314, fol. 1r–7v vor; vgl. dazu Zumkeller, Manuskripte, S. 601 f. (Nrn. 525b–d).
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probationes“) verfasste.142 Dazu wurden – so zumindest berichtet es Klenkok –143 ein Schreiben an rund 400 Städte, Fürsten und Herren versandt, das massive Anschuldigungen gegenüber Klenkok erhob und auch bereits den Verdacht äußerte, persönliche Vorteile mögen bei seinem Vorgehen eine Rolle gespielt haben.144 Klenkok selbst erhielt, so berichtet der Oldenburger Augustinerpater Johannes Schiphower († 1521/1525) in seiner rund 150 Jahre später verfassten Chronik, ein Drohschreiben des Magdeburger Rates, das ihm in Aussicht stellte, man sei noch erbitterter über ihn als über den 1325 ermordeten Magdeburger Bischof Burchard.145 Er floh daraufhin, wie Schiphower berichtet, „ad instar apostoli Pauli sporta per muram submissus“ aus der Stadt. Später treffen wir ihn in Halberstadt wieder. Dort treten mit Rudolf Block146 und dem berühmten Lektor Jordanus von Quedlinburg († um 1370/80)147 zwei neue Diskutanten auf, die sich gegen die Klenkoksche Schrift stellen. Bekannt gemacht hatte sie damit wohl Bischof Albert von Halberstadt, bei dem der Vertriebene Zuflucht gesucht hatte. Über ihre Einwände sind wir sowohl durch eine nun um zwei weitere Artikel erweiterte und Bischof Albrecht gewidmete Fassung des Dekadikon148 als auch durch eine zweite Schrift Klenkoks, eine Art Flugschrift des Jahres 1370, die sich an „universi christi fidelis“ wendet, unterrichtet.149 So erklärte Jordanus, „quod haec statuta [scil. der Sachsenspie142 Gedruckt nach einer im Zweiten Weltkrieg verbrannten Münsteraner Handschrift (UB, cod. 366, fol. 132r–161v, Oppitz Nr. 1149) bei Homeyer, Klenkok, S. 416–422 (Anhang B); zum Vorgang vgl. ebd., S. 383–386. 143 Homeyer, Klenkok, S. 416. 144 Das Schreiben ist gedruckt bei Steffenhagen, Catalogus, Bd. 1 S. 72 f. (Nr. 161). 145 Meibom, Scriptores, Bd. 2, S. 144 – der Abdruck bei Meibom (Bd. 2, S. 121–191) ist bis heute die einzige Edition der Schiphowerschen Chronik. Die in Gotha, Forschungs- und Landesbibliothek, Chart B 60 autograph erhaltene Übertragung in das Niederdeutsche durch Johann von Haren aus dem Jahre 1506 konnte noch nicht auf etwaige Bearbeitungen des Berichtes über die Verfolgung Klenkoks überprüft werden. 146 Zu Block vgl. Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 97. Homeyer, Klenkok, S. 395 stellt sich diese Disputation im Übrigen in Paris vor, wo sowohl Block (bis 1360) als auch Bischof Albert (1353 Rektor der Sorbonne) und Jordanus (allerdings bereits um1320) wirkten. Dagegen hat überzeugend Böhlau, Chronologie, argumentiert. 147 Über ihn Hackett, Augustinian Mysticism; ders., Reception. 148 Gedruckt von Jutphaas, Klenkok’s Decadicon, S. 386–409 nach der Handschrift Uetrecht, UB, cod. 1375 (Oppitz Nr. 1443), fol. 120r–125v, die mir als Vergleich vorlag. Die interessante Handschrift scheint vom Niederrhein zu stammen. Darauf weist ein Auszug aus Essener Satzungen hin, der sich fol. 126r–135r findet. 149 Exzerpte daraus druckt Homeyer, Klenkok, S. 432a–432c nach der Handschrift Breslau, UB, IV F 57 (Oppitz Nr. 269), fol. 81r–84r. Über die Datierung der
IV. Die „Articuli reprobati“
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gel] non essent contra fidem, licet essent contra evangelia, quodsi morieris pro dictorum articolorum [scil. Klenkoks Dekadikon] veritate, non morieris pro fide ecclesiae“, denn „quod in evangelio quaedam ponunter ut consilia, quaedam ut praecepta“.150 Noch härter urteilte wohl Block.151 Auch die Flugschrift von 1370 übersandte Klenkok an Kerlinger, diesmal wahrscheinlich bereits aus Erfurt. Offenbar war er noch in Unkenntnis über den Kontakt Kerlingers zum Magdeburger Rat, denn erst in seiner wenige Monate später verfassten Prager Verteidigungsschrift gegen den Magdeburger Rat, erwähnt er die Umstände, die ihm als Vertrauensbruch Kerlingers gelten mussten.152 In Erfurt jedenfalls übergab Klenkok seine Schrift auch dem Propst des dortigen Severinstiftes, Herbord, der sich aber ebenso gegen dessen Vorwürfe wandte.153 Eine weitere Gegenschrift („Relatio“) eines unbekannten Verfassers ist uns in einer Bremer Handschrift erhalten.154 Um Pfingsten 1371 reiste Klenkok zum Generalkapitel seines Ordens nach Florenz,155 danach ist er bis zu seinem Tode 1374 als päpstlicher Pönitentiar in Avignon belegt. Dort erstellte eine stark erweiterte Fassung des Dekadikon, die insgesamt 21 Artikel umfasste und Kardinal Petrus de Vergne, einem seiner ehemaligen Schüler, sowie Papst Gregor XI. selbst gewidmet war.156 Obschon, wie wir bisher gesehen haben, Klenkoks Vorwürfe gegenüber dem Sachsenspiegel auf breite Ablehnung auch in theologischen Kreisen stießen, konnte er jenen offenbar dennoch von seinem Ansinnen überzeugen. Denn 1372 erließ Gregor XI. die Bulle „Salvator humani generis“, in der immerhin 14 der 21 von Klenkok angegriffenen Artikel als der kirchlichen Lehre zuwider verworfen wurden. Die einschlägige Passage lautet: Schrift ist man uneins gewesen. Böhlau, Chronologie, S. 123 hat im Anschluss an de Geer das Jahr 1370 angenommen; ältere Auffassungen geht auf 1369. 150 Homeyer, Klenkok, S. 393. 151 Über den Disput mit Block in Anwesenheit des Bischofs vgl. Böhlau, Chronologie, S. 123 mit entsprechenden Nachweisen aus dem Dekadikon. 152 Homeyer, Klenkok, S. 416: „Dar na nam de selbe mester dat bok dat ich eme schreven hadde unde ghaf dat den erborn Ratluden to Maydeborch.“ Zu Klenkoks Aufenthalt in Prag vgl. Wattenbach, Klenkok, S. 80 mit der Edition einer Urkunde aus Berlin, StPBK, Cod. lat. fol. 208, fol. 230v, die ihn als „inquisitor haereticae pravitatis“ im Bistum Olmütz belegt. 153 Wolfenbüttel, HAB, cod. Nov. 314, fol. 7v–21r – siehe oben, S. 241, Anm. 141. 154 Bremen, StdB, cod. a. 30, fol. (Oppitz Nr. 247), fol. 194r–195r – gedruckt bei Homeyer, Klenkok, S. 427–431. 155 Vgl. dazu den bei Piur, Briefe, S. 334 f. (Nr. 251) gedruckten Geleitbrief des Olmützer Bischofs Johann von Neumarkt. 156 Gedruckt bei Scheidt, Bibliotheca Historica Goettingensis, Bd. 1, S. 63–102.
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„Primus articulus continent: Quod quicquid homo fecerit extra iudicium, quantumcunque hoc fit notorium, se liberare poterit per suum iuramentum, nec contra talem valet aliquod testimonium. Secundus articulus: Papa non potest, nec aliquis alius, Dominum Imperatorem excommunicare, postquam consecratus est, et unctus, nisi solum in tribus casibus, si dubius sit in fide, si repudiat uxorem suam legitimam, si destruat Ecclesiam. Teritus articulus, quod excommunicatio neminem debilitat in iure terrae seu feudi, nisi sequatur regularis proscriptio. Quartus articulus, quod Papa non potest aliquo modo eius condere vel statuere, per quod valeat ius nostrum, hoc est, statutum terrae vel feudi Saxonicum, deteriorari. Quintus articulus, quod nulla sententia tam iusta dari potest in Saxonem coram Rege vel iudicio Regali, quin si velit Saxo talem sententiam repraehendit, testans in manum suam dextram, et maiorem communitatem metseptimus pugnare volens, contra septem alios pro dicta sententia, tunc ubi maior pars triumphaverit, talis sententiam obtinebit. Sextus articulus, quod si quis fuerit interfectus spolio vel furto, pro quo consanguineus interfecti se praebeat ad duellum, talis per duellum repellit omne testimonium, nectalis mortuus sine duello poterit vinci seu convinci. Septimus articulus, quod si duo dictant in iudicio simul contrarias sententias, tunc quncunque talium habuerit maiorem sequelam, talis sententiam obtinebit. Octavus articulus, quod quincunque fuerit appellatus ad duellum secundum istius libri formam, talis non potest denegare duellum, nisi appellans eum sit minus bene natus, quam appellatus. Nonus articulus, quod quincunque perdit ius suum ratione furti vel spolii, talis accusatus secundo de furto vel spolio non potest se liberare iuramento suo, sed dilationem habet ad ferrum ignitum aut aquam bulientem, vel ad duellum, huius quidem articuli pars ultima, quae ad ferrum ignitum et caetera electionem concedit, est erronea. Decimus articulus, quod quicunque cognoverit aliquam foeminam, si postea ducat eam in matrimonium, numquam ex ea poterit prolem legitimam generare. Undecimus articulus, quicunque cognoverit publice uxorem alicuius vivente marito, si post mortem mariti illius talis eam ducat in uxorem, nunquam ex ea prolem legitimam generabit. Duodecimus articulus, quod heres non tenetur de furto vel spolito perpetrato per illum, cui succedit in haereditate, respondere, quod erroneum est saltem in foro conscientiae. Tredecimus articulus, quod quicunque succinctus cum gladio, clypeum tenens non potest de ligno vel lapide pollicis ulnam quantum ad altitudinem habentem supra dextrarium scandere, talis non potest cedere, dimittere, vel infeudare, vel etiam mobilia bona aalicidare, sic quod iste custoditus sit, qui talia post mortem dantis expectat. Iste articulus est erroneus, in quantum eleemosinas, testamenta et alia pietatis opera prohibet.
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Quartus decimus articulus est, quod nullus sine licentia suorum haeredum sine sudicio bannito, quod Saxonico dicitur ‚gheget Ding‘ potest dare proprietatem suam vel suos homines. Et si talia daret alicui, haeredes acquirenti sta per iudicium, ac si dans illa mortuus esset, isti duo articoli sunt erronei, in quantum eleemosinas et alia pietatis opera prohibent.“157
Die Bulle wurde nicht nur an die Erzbischöfe von Mainz, Köln, Bremen, Magdeburg, Prag und Riga, sondern auch an Kaiser Karl IV. übersandt, um eine zügige Umsetzung der Reprobation zu garantieren. Unklar blieb in diesem Zusammenhang zunächst die Stellung eines nur als Regest bekannten Schreiben Innozenz’ IV. an Karl IV., das bereits dem Jahre 1356, seinem vierten Pontifikatsjahr („de dato Avinione octobris anni IV.“), also entstammen soll: „Idem eidem Karolo notificat excommunicationem et prohibitionem scriptorum, quae leges seu Speculum Saxonicum appellantur, et rogat, ut huic mandato invigilet. dto. Avin. Idib. Octob. an. IV.“158
Bereits De Geer kam es „twijfelachtig voor, of werkelijk dit schrijven met Klenkok’s bestrijding in verband stond“.159 Denn es ist nur schwer vorstellbar, dass Klenkok eine solche Bulle, wenn es sie denn bereits gegeben hätte, in seinen Schriften gegen den Sachsenspiegel nicht erwähnt hätte. Böhlau hat dann überzeugend die Verlässlichkeit der päpstlichen Regestenbücher gerade des Jahres 1356, die erst rund ein Jahrzehnt später angelegt wurden, in Zweifel gezogen,160 so dass guter Grund besteht, davon auszugehen, dass es sich bei dem regestierten Schriftstück um jenes Schreiben Gregors XI. aus dem Jahre 1374 handelt. Die Erforschung der verbannten Artikel kam stockend im Laufe des 16. Jahrhunderts in Gang. Gryphiander glaubte noch, der Aussteller der Bulle sei Gregor IX. († 1241) gewesen.161 Conring dagegen wusste schon, dass es sich um Gregor XI. († 1378) handelte.162 Noch Gärtner konnte sich aber nur auf Conring berufen und keine näheren Hinweise zur Geschichte der Articuli reprobati geben.163 Die Authentizität der päpstlichen Bulle ist 157 Die Bulle findet sich im Anhang fast aller frühneuzeitlichen SachsenspiegelDrucke und ist gut greifbar in einem Abdruck bei Eichmann, Kirche und Staat, Bd. 2, S. 159–163 (Nr. 46). Dort laufen allerdings die vom Editor hinzugefügten Verweise auf den Sachsenspiegel an zwei Stellen (im siebten und dreizehnten Paragraph) fehl. Zum Abgleich lag mir ferner die Handschrift Karlsruhe, BLB, Karlsr. 380 (Oppitz Nr. 745), fol. 203r–204r vor. 158 Dudik, Iter Romanum, S. 125 (Nr. 332). 159 Geer, Klenkok’s Decadicon, S. 373. 160 Böhlau, Chronologie, S. 127–129. 161 Gryphiander, De Weichbildis, S. 120 (cap. 47 n. 6). 162 Conring, De origine iuris, S. 189–197 (cap. 31), hier S. 192 f. 163 Gärtner, Sachsenspiegel, Vorrede, § 14.
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dann auch von der älteren Forschung, beispielsweise von Johann Heinrich Summerman, noch hier und da in Frage gestellt worden.164 Auf ein bemerkenswertes Zeugnis für die Geschichte der repobierten Artikel hat Gaupp aufmerksam gemacht.165 Demnach berichtet der „Catalogus abbatum Saganensium“, ein wichtiges Werk der schlesischen Chronistik, dass Abt Ludolf I. von Sagan (im Amt 1394 bis 1422) eine eigene Widerlegungsschrift gegen die von Gregor XI. reprobierten verfasst haben soll. Im Katalog seiner zahlreichen Schriften heißt es: „Scripsit eciam quandam reprobacionem 14 articulorum speculi Saxonici dudum reprobatos et dampnatos per dominum Gregorium papam XI. et postea anno domini 1407 renovata et execucioni data est eadem dampnacio per reverendum patrem, dominum Wentzczeslaum, episcopum Wratislaviensem. Factum est enim tempore Gregorii XI. quod quidam sollemnis doctor, Johannes Cleynkoch nuncupatus, sedi apostolice obtulit 14 articulos ex speculo Saxonico, eos improbando ex sacra scriptura et obtinuit, quod dominus Gregorius XI. hujusmodi articulos ut flores temerarios et in quibusdam hereticales et scismaticales reprobavit, dampnavit decrevitque irritos et inanes ac omni robore carere. Scipsit proinde pro execucione dampnacionis predictorum articulorum venerabilibus partibus, dominis archiepiscopis Maguntinensi, Coloniensi, Bremensi, Magdeburgensi et Pragensi. Requisivit nichilominus pro forciori robarcione sui mandati dominum Karolum quartum, imperatorem Romanorum et regem Bohemie, ut hujusmodi execucioni favorem efficacem prebere vellet.“166
Zugleich erfahren wir also, dass der Breslauer Bischof Wenzel sich 1407 um die Durchsetzung der Reprobation bemühte. Insgesamt scheinen diese Bemühungen nur in Ostmitteleuropa und auch nur in geistlichen Territorien wirklich Fuß gefasst zu haben. So verfügte auch der Ermländische Bischof Heinrich III. 1410 im Rahmen einer Gebietsveräußerung, „quod quatuordecim mansos et decem jugera, quos in bonis, Schröythe nominatis, pro utilitate ecclesie et mense nostre utilitate rite et legitime vendidimus honestis viris Merten Beckers de Kagenow et Mewes Lundemanne jure Culmensi, per eos et eorum heredes ac successores legittimos perpetuo possidendos; sic tamen quod hujiusmodi juris Culmensis pretextu legibus seu scriptis detestabilibus, leges seu speculum Saxonum vulgariter appellatis, nullus ibidem uti debeat, et possessores dictorum mansorum quemquam uti non permittant. Quod si secus actum fuerit, omnes et singulos processus et sentencias, quos vel quas pretextu hujus modi legum seu scriptorum reprobatorum ibidem fieri contingat, volumu penitus non valere.“167 Er war also als Landesherr bemüht darum, die Aufnahme der reprobierten Artikel im 164 165 166 167
Summermann, Conjecturarum, S. 64. Gaupp, Germanistische Abhandlungen, S. 134–136. Stenzel, Scriptores, Bd. 1, 1, S. 260. Zit. nach Brünneck, Articuli reprobati im Ermlande, S. 137 f.
IV. Die „Articuli reprobati“
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Rechtsbrauch nicht zuzulassen. Solches musste ihm durchaus angezeigt erscheinen, denn sowohl das Magdeburg-Breslauer Schöffenrecht als auch der daraus erwachsene „Alte Kulm“ trugen die päpstliche verbannten Artikel in die preußischen Gebiete weiter. Immer wieder liest man in der ältesten Literatur auch von einer Erneuerung der Reprobation durch das Baseler Konzil 1431. Seitdem aber Homeyer das bestritten hat,168 begnügt sich die Forschung mit eben demselben Hinweis darauf, dass eine solche Aussage aus Konzilskreisen uns an keiner Stelle bekannt geworden ist. In der Tat ist in den Konzilsakten selbst bislang nichts gefunden worden. Wie konnte dann aber eine solche Ansicht entstehen, die immerhin mit einiger Hartnäckigkeit rund zweihundert Jahre lang Bestand hatte? Es lohnt sich, das in der älteren Literatur einmal zurückzuverfolgen. Regelmäßig belegt wird diese Behauptung mit dem Verweis auf Gryphiander, der sich seinerseits wiederum auf die „Saxonia“ des Albert Krantz und Colers „Oratio“ beruft.169 Der berühmte Hamburger Chronist – dem im Übrigen Andermann bescheinigt hat, er sei „auch in juristischer Hinsicht ein Mann der Wende“170 gewesen – hatte in seiner einflussreichen „Saxonia“ diesen „puerilibus fabulis“ widersprochen, „nam diu ante ea tempora in sua provincia demorati sunt Saxones: Testis est Ptolemaeus, qui scripsit sub Imperatore Adriano“.171 Er kam ferner zu dem Schluss, der Sachsenspiegel sei kein Kaiserrecht, sondern lediglich eine schriftliche Sammlung von Normen, „quae per tempora sunt usu approbata“.172 Diese Einsicht ist nach heutigen Maßstäben schon sehr modern. Das bei Gryphiander (im Übrigen fälschlich als cap. 20) allegierte Kapitel bei Krantz jedenfalls enthält zwar dessen einschlägige Ausführungen über den Sachsenspiegel,173 aber 168
Homeyer, Klenkok, S. 408. Gryphiander, De Weichbildis, S. 120 (cap. 47 n. 7): „[. . .] Approbavit censuram postea Eugenius IV. in Concilio † Basiliensi Anno 1431.“ mit Verweis auf Krantz, Saxonia, S. 43–45 (II, 21) und Coler, Oratio. 170 Andermann, Albert Krantz, S. 115. 171 Krantz, Saxonia, S. 2. Ausführlicher hat dieses „Identifikationsproblem“ bei Krantz jüngst noch Bollbuck, Geschichts- und Raummodelle, S. 108–112 beleuchtet. 172 Krantz, Saxonia, S. 43 (II 21): „Quum enim per aetatem in gente creuit civilitas, creuit etiam legum observantia. Inde factum est, ut quae per tempora sunt usu approbata, demum sunt in codicem redacta: cui ad authoritatem consciscendam falso est nomen Karoli ascriptum: Idque ut credam facit multorum in textu, plurimum autem in glossa puerilis & indocta narratio: nam temporum fuit uterque, & Speculator, & Glossator imperitus.“ 173 Über die juristische Tätigkeit Krantz’ ist nicht viel bekannt; vgl. dazu Andermann, Albert Krantz, S. 110–121. Immerhin tritt 1497 zusammen mit dem berühmten Hermann Langenbeck bei der Neukodifizierung des Hamburger Stadtrechts auf. Er dürfte also durchaus über eine gewisse Kenntnis des sächsischen Rechts und sei169
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nichts über das Konzil. Wahrscheinlich hat Gryphiander das Zitat ungeprüft von Coler übernommen, den er selbst zwar nur passim anführt, der aber an einer Stelle wiederum ausführt: „Supervenit deinceps Eugenius quartus, qui in concilio Basiliensi contra Hussitarum praecipue dogma sub annum 1431 ibidem congregata, si credimus Alberto Krantzio in ipsius Saxonia lib. 2. c. 19. & 20. viginti duob. Articulis in iure Saxonico contentis, in quorum numero etiam illi de quibus articulus 18. libri primi dispoinit, comprehensi sunt, legis vim, abrogavit, additis rationibus huius abrogationis satis specios, prout videre est in additamento Zobelii ex typo doctoris Bocksdorffs extracti, ad finem Landrecht sub. Tit. Isti sunt articuli reprobati in concilio Basiliensi.“174
So lässt sich also das Märlein von der Reprobation des Sachsenspiegels auf dem Baseler Konzil recht leicht auf einen der beiden Bocksdorfs zurückführen. Auch von der bei Gryphiander erwähnten Kontroverse zwischen Tammo von Bocksdorf und dem Pariser Theologen Rudolf Block über diese Sache fehlt im Übrigen jede weitere Spur.175 Erstmals findet sich ein Hinweis auf die vorgebliche Baseler Reprobation im (hochdeutschen) Augsburger Druck von 1517, der im Anschluss an die Bulle bemerkt: „Isti sunt articuli speculi Saxonum reprobati in concilio Basilensi.“ Gärtner hat diese vorgeblichen Konzilsdekrete seine Landrechtsausgabe beigefügt,176 womit die Annahme einer erneuten Verdammung einzelner Sätze des Rechtsbuches noch bis weit in das 19. Jahrhundert hineingetragen wurde.177 Noch in der wahrscheinlich 1495 erlassenen sächsischen Oberhofgerichtsordnung wurden als dessen Spruchgrundlage die Sächsischen Rechte bestätigt, „wy dy außgedruckt zcu halten, ausgeschloßen dy artigkell von der heiligen kirchen abgethann unnd reprobiret“.178 Ein bemerkenswertes, in dieser Form allerdings bislang singuläres Zeugnis hat bereits die handschriftliche Überlieferung zu bieten: In einer leider seit einigen Jahrzehnten vermissten Handschrift des Meißner Rechtsbuches sind ausgerechnet die reprobierten Artikel sämtlich ausgelassen.179 Daraus hat Weizsäcker den terminus ante ner Literatur verfügt haben. Sein Neffe Johann Oldendorp († 1567) kann im Übrigen zu den bekanntesten deutschen Juristen seiner Zeit gezählt werden. 174 Coler, Oratio, Vorrede (unpag.). 175 Gryphiander, De Weichbildis, S. 120 (cap. 47 n. 8): „D. Tammo Buxtorfius, additis rationibus, sed cui respondit D. Rudolphus Block Professor S. Theologiae Praisiensis, cujus utriusque scripta extant.“ Die Diskussion hat, wie wir oben gesehen haben, möglicherweise stattgefunden, nicht aber mit Bocksdorf. 176 Gärtner, Sachsenspiegel, S. 528; vgl. ebd., Vorbericht, § 14 (unpag.). 177 Gaupp, Germanistische Abhandlungen, S. 134. 178 Zit. nach Kreschmann, Churfürstlich-Sächsisches Oberhofgericht, S. 54; vgl. auch Muther, Kleiner Beitrag, S. 169. 179 Olim Breslau, StdB, R 2623 (Oppitz Nr. 254) – zu dieser Handschrift vgl. Goerlitz, Unbekanntes Rechtsbuch.
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quem für die Entstehung des Rechtsbuches „um 1375“ ableiten wollen.180 Auch die Stendaler Glosse markiert alle reprobierten Artikel als solche.181 Bei Gryphianer heißt es, „ut ubi jus Canonicum a jure Saxonico dissentit, illud ad terras Ecclesiae remittatur, isto in terris Saxonicis retento, per ea quae habeat Honded. part. 2, consult. 72, num. 13 vide addit. Zobel ad art. 36 lib. 2 in Landrecht in fin.“.182 Zur tatsächlich Wirkungsgeschichte der Articuli reprobati, die sonst nur schlaglichtartig bekannt ist, wird auch das vierte, rezeptionsgeschichtliche Kapitel beizutragen haben. Soviel kann vorweg genommen werden, dass in der Folgezeit insgesamt kein nachdrückliches Interesse in geistlichen Kreisen festgestellt werden kann, gegen den Sachsenspiegel vorzugehen. Aufschlussreiche Beispiele für die Aneignung des sächsischen Rechts in Handschriften geistlicher Provenienz hat dagegen Theuerkauf zusammengetragen.183 Eine Sammelhandschrift der Sydonalstatuten von Gnesen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bemerkt in den Marginalglossen gar, in welchen Teilen (beispielsweise bei der Eidesleistung) das Geschriebene „contra speculum saxonum“ sei.184
V. Die ansteigende Verbreitung der Schöffensprüche Als die Magdeburger 1370 gegen die Verunglimpfungen Klenkoks gegenüber dem von ihnen so gehüteten Sachsenspiegel vorgingen, hatte sich bereits ein regens Auskunftswesen der dortigen Schöffen an andere Städte entwickelt, die über einzelne Rechtsfragen und ihre Entscheidung nach dem sächsischen Landrecht und Magdeburger Weichbildrecht Auskunft erteilten. Wir wollen diesem Phänomen später ein eigenes Kapitel widmen.185 An dieser Stelle genügt daher der Hinweis, dass seit dem ersten Viertel des 14. Jahrhunderts Schöffensprüche aus Magdeburg belegt sind,186 die Tätigkeit des Gremiums aber weit in das 13. Jahrhundert, vielleicht sogar noch darüber hinaus zurückreicht. Die Weistümer für Breslau aus der Mitte des 180
Weizsäcker, Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs, S. 31. Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 2, S. 893. 182 Gryphiander, De Weichbildis, S. 120 (cap. 47 n. 10) – Der Verweis zielt auf die sehr allgemeine Bemerkung von Hondedeus, Decisivarum, S. 524 (II, 5, 72 n. 13): „[. . .] Nam quando ius Canonicum contradicit civili in terris Imperii servatur ius civile in foro laicali in mere temporalibus et ius canonicum servatur in terris Ecclesiae.“ 183 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 166–182. 184 Erdö, Unterricht. 185 Siehe unten, S. 410 ff. 186 Eine wichtige Sammlung stellt Behrend, Stendaler Urtheilsbuch, dar, in der 31 Magdeburger Sprüche versammelt sind, die – soweit datierbar – in die Zeit zwischen 1329 bis 1335 fallen. 181
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
13. Jahrhunderts zeugen von dieser Bedeutung.187 Im 14. Jahrhundert finden sich eine ganze Reihe größerer Rechtsauskünfte („Weistümer“), beispielsweise für Görlitz (1304),188 Schweidnitz (1363)189 und Jüterbog (1367).190 Der zweite wichtige Schöffenstuhl des sächsischen Kernlandes war im 14. Jahrhundert Halle. Er ist uns wegen der berühmten Rechtsauskunft an das schlesische Neumarkt aus dem Jahre 1235 bereits weiter oben begegnet. Während der Hallenser Stuhl in älterer Zeit den Magdeburger wohl an Bedeutung noch überragt hat, ist sein Glanz rasch im Schatten des aufsteigenden Magdeburger Gremiums verblasst.191 Die überlieferten Schöffenbücher zeugen von seiner einstmaligen Bedeutung.192 Ebenfalls noch in das 14. Jahrhundert fällt die Tätigkeit der Schöffen zu Calbe,193 deren Schöffenbuch („Wetebuch“) verhältnismäßig gut erschlossen ist,194 und des später eng mit Leipzig verbundenen Stuhls zu Dohna.195 Die erste Nachricht über die Rechtsaufskunft gebende Tätigkeit der Schöffen von Geithain, einer kleinen Ortschaft im Leipziger Land, entstammt dem Stadtbuch der Ortschaft Mittweida aus dem 15. Jahrhundert, und ist von Theodor Distel bekannt gemacht worden.196 Dort fand er zwei Schöffensprüche, der eine beginnend „Wir scheppin und burger czu Gythen syn gefragt umb recht . . .“, der anderen überschrieben mit „Githanisch recht“. Distel hatte beide Sprüche vollständig abgedruckt. Der erste, datiert auf das Jahr 1377, informiert den nicht genannten Anfragesteller, dass die Buße „eynes gebures adir dorffmannes“, der „do sitzet yn eynem dorffe uf dem lande“ 15 Schillinge betrage, „alzo verre alz er elich geborn ist, noch keyn spelman noch kemphe ist“. Die Buße der Spielleute und Kempen wird leider nicht genannt. Hier darf wohl an die entsprechenden Ausführungen des Sachsenspiegels (Ssp. Ldr. I 38 § 1) gedacht werden, obschon die Scheinbußen (Ssp. Ldr. III 45 § 9) nicht erwähnt werden. Ungewöhnlich an diesem ersten Spruch ist das frühe Datum. Aus dieser Zeit ist beispielsweise aus Leipzig noch keine Spruchtätigkeit belegt. 187
Siehe S. 418 ff. Neumann, Magdeburger Weisthümer, S. 1–3. 189 Siehe unten, S. 418, Anm. 441. 190 Goerlitz, Rechtsweisung. 191 Buchda, Hallischer Schöppenstuhl. 192 Siehe unten, S. 417. 193 Reccius, Starger und Ältestgericht; vgl. ferner Schwachenwalde, Roland von Calbe. 194 Hertel, Wetebuch; dazu auch Möllenberg, Neu entdecktes Blatt. Vgl. ferner Waltsgott, Untersuchungen. 195 Siehe dazu unten, S. 256 f. 196 Distel, Schöffenstuhl zu Geithain. 188
V. Die ansteigende Verbreitung der Schöffensprüche
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Die zweite Rechtsauskunft der Geithainer beantwortet einen ganzen Fragenkatalog bezüglich der richterlichen Buße und des Gewettes. Solche Angaben lassen sich sehr gut zum Vergleich mit dem Sachsenspiegel heranziehen: Um offene Wunden beispielsweise wettet der Friedebrecher ausweislich der Geithainer Auskunft dem Burggrafen drei Pfund Pfennige, aber nur acht Schillinge, wenn die Klage vor dem Schultheiß angestrengt wurde. Letzteres entspricht dem Sachsenspiegel. Der Burggraf ist dem Rechtsbuch zwar fremd, jedoch sind 60 Schillinge, also das Äquivalent zu drei Pfund Pfennige, das Gewette eines jeden Grafen oder Vogts, der unter Königsbann dingt (Ssp. Ldr. III 64 § 4); gleiches gilt für Pfalz- und Landgrafen (Ssp. Ldr. III 64 § 6), nicht aber für belehnte Vögte (das dürfte auf Burggrafen in der Regel zutreffen), die ohne Königsbann Recht sprechen und nicht mehr als drei Schillinge Gewette erhalten (Ssp. Ldr. III 64 § 9). Die Rechtsauskunft entspricht also, das lässt sich zunächst einmal feststellen, im Groben dem Recht des Sachsenspiegels. Es lohnt sich aber, der Sache weiter nachzugehen, und zu fragen, woher die Geithainer ihre Auskunft über das Gewette des Burggrafen gezogen haben könnten. Die knappe Feststellung „Des Burchgreve Wette sint driu Phunt.“ findet sich jedenfalls in der Magdeburger Rechtsweisung für Breslau aus dem Jahre 1261.197 Der Schöffenbank zu Geithain wird 1432 in einer Urkunde Kurfürst Friedrichs II. ausdrücklich neben Leipzig, Dresden und Grimma unter den Stühlen Mark Meißen genannt.198 Mittlerweile ist auch das Geithainer Stadtbuch bekannt geworden, in dem sich Aufstellung der Schöffen für die Jahre 1381 bis 1385 finden.199 Offenbar ist das Gremium dort jährlich neu von jeweils fünf Personen besetzt worden, von denen eine immer der Bürgermeister war. Das erklärt auch die Eingangsformel des oben besprochenen, ältesten Spruchs („Wir scheppin und burger czu Gythen . . .“), denn der Bürgermeister wird hier als Repräsentant der Gemeinde, eben der „burger“, genannt. Wir sehen an diesem Beispiel, dass nicht nur in Magdeburg als dem damaligen Zentralort des sächsischen Rechts, sondern auch in den kleineren Gremien der sächsischen Lande bereits das Sachsenspiegelrecht Einzug gehalten hatte. Aber auch außerhalb derselben finden sich Schöffenstühle, die einige Bedeutung für die Rezeptionsgeschichte des Sachsenspiegels erlangt haben; vor allem derjenige der Stadt Brandenburg, der erst als einer der letzten, im Jahre 1812, aufgehoben wurde.200 197
Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 1, S. 2 (§ 8). Buchda, Rechtsmittel, S. 328. 199 Wagner, Geithainer Stadtbuch. Für freundliche Mitteilungen zur Geithainer Stadtgeschichte danke ich Herrn Dr. Wolfgang Reuter (Geithain). 200 Stölzel, Entwicklung; vgl. auch ders., Brandenburger Schöppenstuhl; Heydemann, Joachimische Constitution, S. 403–411 und Ebel, Schöffenstuhl zu Brandenburg. 198
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Das durch die Spruchpraxis sich ausbildende Schöffenrecht wirkte vielfach als Integrationsfaktor einzelner Gedanken und Rechtssätze des sächsischen Landrechts in bereits bestehende stadtrechtliche Kontexte. Ganz offenbar wird das in der engen Verwobenheit des Magdeburger Weichbildes mit dem Sachsenspiegel. Für manche Städte Niedersachsens wird man ähnliche, wenn auch nicht so tiefgreifend durchdringende Prozesse vermuten dürfen. In dieser Integrationswirkung mag auch der Umstand begründet sein, dass der Einflussbereich des sächsisch-magdeburgischen Rechts weit weniger anfällig für die von Hagemann attestierte „Krise der mittelalterlichen Schöffengerichtsbarkeit“ gewesen zu sein scheint, die sich im Südwesten des deutschen Sprachraums deutlich abzeichnet.201 Ein bemerkenswertes und frühes Beispiel für den Eintritt des Rechtsbuches als Subsidiärrecht in das Rechtsleben einer mittelalterlichen Stadt stammt nun ausgerechnet nicht aus Mitteldeutschland, sondern aus Westfalen: Denn am 31. Oktober 1391 wird der Sachsenspiegel in Soest öffentlich verlesen, worüber uns noch heute eine Notiz in einer später, wohl im Ratsauftrag entstandenen Handschrift Auskunft gibt.202 Die öffentliche Verlesung des in der Stadt verbindlichen Rechts hatte in Soest längere Tradition. Man legte offenbar sogar solchen Wert darauf, dass es 1531 gar zu einem Bürgeraufstand kommen konnte, weil die Verlesung längere Zeit unterblieben war.203 Bereits das älteste Stadtrecht aus der Zeit vor 1140 lässt auf öffentlichen Vortrag schließen204 und auch die jüngere Schrae in deutscher Sprache aus dem 14. Jahrhundert beginnt: „Nu sal horen dey ghemeynheyt der borghere dat alde ghekorne unde ghepruvede recht . . .“205 Auf diesen Umstand hat bereits Wilhelm Ebel am Rande hingewiesen und Soest in eine lange Reihe ähnlicher Beispiele eingereiht, die allesamt Verlesungen ihrer Stadtrechte vornahmen.206 In dieser Hinsicht ist die Stadt also kein Sonderfall. Bemerkenswert aber ist, wie selbstverständlich sich offenbar das Eikesche Rechtsbuch in diesen Kontext städtischen Willkürrechts einschreiben ließ. Diese Handschrift aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist uns bereits früher begegnet, denn dort findet sich der Hinweis auf die Verfasser201
Hagemann, Krise. Soest, StdA, Cod. 25/2 (Oppitz Nr. 1357), fol. 159r–160r – vgl. dazu auch Nowak, Verbreitung, S. 95–97. Ausführlichere Abhandlungen über diese für die Sachsenspiegelüberlieferung ausgesprochen bemerkenswerte Handschrift plant der Vf. an anderer Stelle vorzulegen. 203 Ebel, Soester Schrae, S. 107. 204 Keutgen, UrkB, S. 139: „Audiat universitas antiquam et electam Susatiensis oppidi justiciam [. . .]“. 205 Seibertz, UrkB, Bd. 2, Nr. 719. 206 Ebel, Bürgereid, S. 22–37, bes. S. 33. 202
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“
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schaft Hoyers von Falkenstein am Sachsenspiegel und wird Eike als bloßer Glossator genannt.207 Besonders ist sie auch in anderer Hinsicht: So findet sich auf fol. 141r, mitten im Landrecht des Sachsenspiegels, ein Einschub aus dem Schwabenspiegel.208 Der Text des Dekadikon weicht in vielem von der bei Scheidt gedruckten Form ab,209 weist aber vor allem deutliche Gebrauchsspuren auf: So werden für die Artikel 16 bis 21 die Klenkokschen Reprobationen erst von einer anderen Hand nachgetragen; stellenweise finden sich auch Erweiterungen gegenüber der uns im Druck vorliegenden Form. So ist der Codex auf verschiedene Weise von einiger Bedeutung für die Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels. Soest ist ein frühes Beispiel für die Integration des sächsischen Landrechts als Rechtsquelle in den Kontext bereits bestehender Stadtrechtsaufzeichnungen. Wir kommen nun zu einem wenig jüngeren, aber ungleich prominenteren.
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“ Im Juli 1401 vermachte der Lüneburger Rats- und Richteherr Johannes Hoyemann in seinem Testament seine „twe boke van dem sassenspeygele“ an Albert van der Molen.210 Die Handschrift(en) sind heute nicht mehr nachweisbar,211 der Besitz solcher Rechtsbücherhandschriften durch einen norddeutschen Ratsherrn nicht weiter ungewöhnlich. Dennoch gehört Lüneburg zu Beginn des 15. Jahrhundert dank einer gut überlieferten Quellenlage neben Magdeburg und einigen anderen zu den bemerkenswertesten Orten des Sachsenrechts im Reichsgebiet. Wenige Monate später, im Dezember 1401, ergeht der vielzitierte Ratsbeschluss, nach dem, was „men in dessem boke [d.i. der Lüneburger Donat, also das Stadtrecht] edder in den priuilegien nicht en vind, dar willet de rat vnd borghere in allen saken vnd schelingen na desser tyd sik mer richten an mene sassech lantrecht“.212 207
Siehe oben, S. 68. Als Extravagante zu Ssp. Ldr. I 36 gedruckt bei Homeyer, Extravaganten, S. 240 f. – der Text entspricht Swsp. L 377. 209 Steffenhagen, Johannes Klenkok, Sp. 288–291 weist auf Parallelen zur Handschrift Göttigen, SUB, Ms. jurid. 90 (Oppitz Nr. 592), fol. 13v–17r hin. 210 Reinecke, Lüneburger Buchmalereien, S. 31. Ob es sich dabei tatsächlich um zwei Handschriften oder nicht vielmehr um das Land- und das Lehnrecht, verstanden als zwei Bücher des Sachsenspiegels, handelte, muss dahingestellt bleiben. 211 Thurich, Lüneburger Stadtrecht, S. 63. 212 Kraut, Stadtrecht von Lüneburg, S. 2 – über diese Subsidiaritätsregel, die immer wieder in der Literatur erwähnt wird, vgl. nur Merkel, Kampf, S. 26 f.; Ebel, 208
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Diese Bedeutung des Sachsenrechts für Lüneburg tritt uns sinnfällig in den beiden prachtvollen Sachsenspiegel- und der nicht minder reich verzierten Schwabenspiegelhandschrift entgegen, die noch heute in der Stadt bewundert werden können.213 Auf den ganzseitigen Miniaturen finden wir Szenen aus der Stadtgeschichte, eine eindrucksvolle Darstellung der ZweiSchwerter-Lehre, schließlich eine bemerkenswert anachronistische Szene zwischen Kaiser Karl dem Großen, dem Sachsenherzog Widukind und Eike von Regpow, die bereits zuvor Erwähnung gefunden hat. Auch vom möglichen Auftraggeber der jüngeren Sachsenspiegelhandschrift, Brand von Tzerstede, und seinem Glossenwerk haben wir bereits in einem anderen Kapitel gehört.214 Irgendwann zu dieser Zeit, wohl noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wenden sich die Hannoveraner Ratsherren nach Lübeck, um dort Rechtsauskunft einzuholen, worauf die Lübecker zu antworten wissen, „dat unser stadrecht, dar wy mede bewedemet sin unde dat recht dar nach gy jw riechten sek nicht allens vorlopen wente alze vornemen so richten gy na deme Sasseschen Speygele darumme est yd jowe beschedenheyt behagede, so möchte gy jw des rechtes von unsen Vründen den van Lüneborgh beceghen laten“.215 In der Tat deutet die 1430, diesmal von Hannover erteilte Rechtsauskunft an einen nicht näher identifizierten Herrn von Münchhausen, ein ertappter Dieb könne sich nur durch Eisenprobe oder Kesselfang vom Vorwurf des Diebstahl reinigen, auf zumindest die ungefähre Kenntnis des Sachsenspiegel (Ldr. I 39).216 Kehren wir aber zurück nach Lüneburg. In einem Spottgedicht über das Ende des so genannten Lüneburger „Prälentenkrieges“ 1456 heißt es: „Rubow kann uns den sassenspeigel darto dat land wol recht duden.“217 Wie ist das zu verstehen? Hans Rubow gehörte zu jenen Ratsherren, die 1455/56 auf der Seite des neuen Rates gestanden hatten, hatte sich aber 1457 mit dem alten Rat ausgesöhnt. Offenbar hatte er als Sohn einer angesehenen Lüneburger Familie eine entsprechende, vielleicht gar eine juristische Ausbildung genossen, die ihn in den Stand setzte, den Sachsenspiegel „wol recht [zu] duden“. Statutum, S. 135 und ders., Spruchtätigkeit, S. 41 f.; eingehend auch Thurich, Geschichte, S. 59–61. 213 Aus der reichen Literatur über diese Handschriften nenne ich nur Drescher, Lüneburger Ratshandschriften – weiteres dort und bei Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 122–126. 214 Siehe oben, S. 176 f. 215 Der Fall ist geschildert bei Ebel, Statutum, S. 123, und wird ebenso erwähnt bei Kannowski, Wille S. 26, bei letzterem allerdings mit leicht abweichendem Wortlaut der Urkunde. 216 Hoppe, Geschichte, S. 89. 217 Reinecke, Chroniken, S. 406.
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“
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Im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg ist der Sachsenspiegel noch rund hundert Jahre, jedenfalls bis 1549, als eine der Hauptrechtsquellen anerkannt worden.218 Aus jener Zeit stammt auch das „Compendium Juris“ des Lüneburger Kanzlers Balthasar Klammer († 1577), das Albrecht Eckhardt ediert und ausführlich besprochen hat. Unter den Quellen nehmen das sächsische Land- und auch Lehnrecht, aber auch die Magdeburger Weichbildvulgata, einen bedeutenden Teil ein.219 Daneben treten die gelehrten Rechte und in geringem Maße auch deren Literatur, aber auch bereits landesherrliche Gesetze und Verordnungen wie die Celler Polizei- und Hofgerichtsordnungen des Jahres 1564. Dieses Kompendium ist in gewisser Weise ein typisches Produkt sächsischer Jurisprudenz des späteren 16. Jahrhunderts. Doch noch sind wir nicht soweit. Blicken wir noch einmal zurück in das 15. Jahrhundert. Die oben angeführten Zeilen aus einem politischen Gedicht aus der Zeit Lüneburger Stadtunruhen führen uns weiter zu einem anderen innerstädtischen Konflikt, bei dem ebenfalls das Sachsenrecht Erwähnung findet. War das Lüneburger Spottgedicht der rechtshistorischen Forschung schon länger bekannt, so ist diese Schilderung bislang unbeachtet geblieben und auch mir nur durch zufällige Lektüre bekannt geworden. Eine nähere Auswertung dieser bemerkenswerten Quelle an anderer Stelle wäre daher sicher wünschenswert. Es handelt sich dabei um einen Bericht über die Hallenser Wirren der Jahre 1474 bis 1480,220 der uns in den „Denkwürdigkeiten“ des Ratsmeisters Markus Spittendorff zwar aus dem Blickwinkel einer beteiligten Partei, ja sogar eines an exponierter Stelle Mitwirkenden, vor allem aber sehr plastisch unterrichtet. Mehrfach erwähnt dieser das sächsischmagdeburgische Recht. Als beispielsweise Bischof Ruprecht 1478 der Stadt ein Privileg erteilt, kommt es bei der Verlesung der Urkunde zu einem Eklat: „Bischoff Ruprecht hatte das vorgeschriebene und vorgenante privilegium gegeben, unde ist gar ein schon privilegium, wie uber die talgutter binnen der stadtmauer erkant unde gerichtet werden sol, und wie man die von Halle bynnen einer meyl weges nicht bebauen sol. Und dasselbige privilegium solde man uns uff den vorgeschriebenen tagk [= 16. Okt.], da die schöppen und die rethe uffs rathaus geheischet waren, lassen lesen, es wardt auch gelesen Geyseler von Dieskaw, das 218
Pufendorf, Observationes, Bd. 4, S. 512 (Nr. 244). Eckhardt, Balthasar Klammer, S. 140 f. – Wichtige neue Erkenntnisse hat Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 245–264 erzielt, der auf eine Reihe weiterer Materialien aus dem Hannoveraner Staatsarchiv hinweisen konnte, u. a. einen Katalog über die erbrechtlichen Sondervermögen „vermog des sechsischen rechten“ (Hannover, StA, Celle Br. Des. 110, Nr. 8, fol. 12r–14v und fol. 18r–20v) und ein Gutachten in dieser Sache, das in enger Verbindung mit einem Leipziger Schöffenspruch des Jahres 1563/64 steht. 220 Zur Sache vgl. Freitag, Rückblick. 219
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
man das solde lesen in der vierherren dörntze; aber Geysler verhilte das und lass das nicht, besondern ein stucke in den privilegien lass er, das die von Halle gebrauchen sollten des sechsischen rechts als die von Magdeburg, und nicht mehr; sondern das uns alle angehet und unser stadt und freyheit, dis wardt verschwiegen unde nicht gelesen. Es wardt auch von den obersten keines nicht gesprochen, das man mehr in den privilegien, oder das man alles lesen sollte, wiewol ane zweiffel Walttheim, Schaffstedt, die darbey sasen, das wol wusten, wie das privilegium innehilt, noch dann verschwegen sie das, wie oder worumb, das ist gotte bekannt. Sondern fromme leute, die gerne sehen, das die stadt und die alle darinne wol furen, dachten mancherley darauff. Da gingen wir wider vor den sitzenden rath unde liessen berichten, wir weren des mit dem rethe wol ein, das wir des rechten gebrauchen sollten, als die von Magdeburg. Do sprache darumb und etzliche im rathe, die wolden, das man das privilegium uberalle lesen sollte. Das geschach, aber etzlichen, die uff die zeit assen, was es nicht allzu lieb, als ich mich verduncken liesse. Do wardt gelesen uberal, was das privilegium innen hielte, etzliche hörten das gerne, etzliche aber nicht etc.“221
Daraufhin regte man eine Anfrage nach Magdeburg an, „so die von Magdeburg doch bey viel und manchen handeln und dedingen gewesen sindt und vieleichte mehr wissen umb unser freyheit, denn wir selber“.222 Wie es mit dieser Anfrage zuende ging, ist bei Spittendorf nicht überliefert. Allerdings findet sich an anderer Stelle in der Hallenser Handschrift der „Denkwürdigkeiten“ der Magdeburger Schöffenbrief vom Jahre 1363 vollständig eingeschaltet.223 Die Wichtigkeit des sächsisch-magdeburgischen Rechts für Halle und dessen Verständnis als Privilegierung tritt jedenfalls in den Aufzeichnungen des Chronisten deutlich zu Tage. Die Überlieferung der Schöffensprüche, von deren Frühgeschichte wir im vorhergehenden Kapitel einiges gehört haben, nimmt im Verlaufe des 15. Jahrhunderts große Ausmaße an; nur ein Bruchteil davon ist bislang erschlossen, geschweige denn von der Forschung verarbeitet worden. War der Magdeburger Schöffenstuhl lange Zeit wichtigste Anlaufstelle in Fragen des Sachsenrechts, so trat mit dem aufstrebenden Leipziger Schöffenstuhl ein zweites Spruchgremium hinzu, das langfristig dem Magdeburger Stuhl die Bedeutung ablaufen sollte.224 1432 versuchte Kurfürst Friedrich II. – allerdings vergebens –, den Rechtszug außerhalb seines Territoriums, und damit vor allem nach Magdeburg, zu verbieten.225 Erst 1547 wurde mit der Vollstreckung der Reichsacht gegen Magdeburg auch der Tätigkeit des Schöffenkollegiums226 ein Ende und damit zugleich für Leipzig der Weg bereitet, zur wichtigsten Stadt für die Pflege und Weiterentwicklung des 221 222 223 224 225
Opel, Spittendorffs Denkwürdigkeiten, S. 467 f. Opel, Spittendorffs Denkwürdigkeiten, S. 322 f. Opel, Spittendorffs Denkwürdigkeiten, S. 481–483. Zur Gründung vgl. Wabst, Historische Nachricht, S. 291–296. Diestel, Beiträge, S. 110 f.
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“
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sächsischen Rechts zu werden, nachdem einzelne Wiederbelebungsversuche aus Magdeburg scheiterten.227 Eingehend hat uns über die Institutionengeschichte des Leipziger Stuhls Theodor Distel228 und über dessen Bedeutung für die Entwicklung des sächsischen Strafprozessrechtes Ernst Boehm229 unterrichtet. Er ist erst im Zuge der Justizreform von 1835,230 gemeinsam mit der Spruchtätigkeit der Juristenfakultät, aufgehoben worden.231 Nachdem der Schöffenstuhl erst 1574 von Kurfürst August eine reformierte Ordnung zur Neugründung verliehen bekommen hatte,232 verlangte bereits Christian II. 1609 von „allen Unsern Schöffen (ausserhalb des Chur-Creises)“ per kurfürstlichem Befehl, „forthin alle peinlichen Sachsen in den Schöppen-Stuel zu Leipzig zu schicken, und daselbst sich des Rechtens belernen, und derer Urthel erholen, demselben auch unwiegerlichen und gehorsamlich nachkommen, und, sonderlich ausserhalb Landes, als nach Jena oder anderswo, die Sachen zu schicken, sich gäntzlich enthalten; Bey Vermeidung Unsers ernsten Einsehens“.233 Offenbar konnte dieser Befehl aber nur mit einigen Widerständen durchgesetzt werden.234 Unbestreitbar jedoch blieb der Leipziger der wichtigste unter den sächsischen Schöffenstühlen bis zum Ende der 18. Jahrhunderts. Eng verbunden mit der Geschichte des Leipziger Schöffenstuhls ist auch diejenige des Spruchkollegiums in der kleinen Stadt Dohna nahe Pirna.235 226 Lück, Magdeburger Schöffenstuhl, S. 147. Einige wichtige Relativierungen bei Ebel, Spruchtätigkeit für Niedersachsen, S. 33. 227 Dittmar, Wiedererrichtung. 228 Distel, Beiträge. 229 Boehm, Schöppenstuhl. 230 Schmidt, Gerichtsreform; knapper Überblick auch bei Blaschke, Königreich Sachsen und thüringische Staaten, S. 618 f. 231 Schwarze, Sachsen, S. 511; Boehm, Schöppenstuhl, S. 409. 232 Textabdruck bei Distel, Schöppenstuhl, Tl. 2, S. 86–93 – zur Sache vgl. Lück, Carpzov, S. 60 f.; ders., Wittenberger Spruchtätigkeit, S. 92 f. 233 Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, Sp. 1053–1056, hier Sp. 1056. 234 Sein Bruder Johann Georg I. erinnerte die Leipziger Juristenfakultät 1622 und 1638 noch einmal nachdrücklich an diesen Befehl; vgl. ebd., Sp. 1067 f. und Sp. 1131 f., wo noch einmal festgestellt wird, dass „unsere Schöffen und Beampte (auser denen in Chur-Kreiß, die sich, wie bißhero der peinlichen Urtheil auch zu Wittenberg erholen mögen) denen wir unsern, in anbefohlenen Aemtern, die Administration der Justiz in peinlichen Sachen aufgetragen, sich in denselben allein bey unserm Schöppenstuel zu Leipzig Rechtens erholen [. . .] sollen“ (Sp. 1132). 235 Vgl. ferner die ältere Darstellung von Schlauch, Der Schöppenstuhl zu Dohna, vor allem aber ders., Dohnische Schöppensprüche. Dass auch der Dohnaer Schöffenstuhl nach Sachsenrecht Auskunft erteilte, zeigt beispielsweise der folgende, bei Lilge gedruckte Spruch: „Von lantlewten gerade. Zu gerad gehören alle schafe und gänse, kasten mit aufgehöbenem leden, garn, kissen, leuchter, leinen, flachs und
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Vogel weiß von dieser Beziehung folgendes zu berichten: „[. . .] den Leipziger Schöppenstuhl betreffende, so ist Leipzig, wie deren Annales besagen, erst nach anno 1174 zu eine Stadt erbawet, der Schöppenstul aber dahin erst anno 1420 gebracht worden, [. . .] und zwar nicht von Magdeburgk, sondern von Dohna bey Pirna, in welchem Ort die Könige in Böhmen, als Vicarii S. Romani Imperii, einen Schöppenstul haben, welcher nach Zerstörung in anno 1401 der Stadt und Vestung Dohna abgenommen, und entlich gäntzlich cassiert, und anno 1572 von Churfürst Augusto zu Sachsen zu dem Leipziger Schöppenstul geschlagen worden.“236 Darin ist manches richtig, vieles aber auch falsch. Von einer Auflösung des Schöffenstuhls im Jahre 1401 ist nichts zu erkennen – im Gegenteil: alle überhaupt bekannten Sprüche stammen erst aus späterer Zeit. Erst in der Sächsischen Kanzleiordnung vom August 1547 lassen sich klare Tendenzen ausmachen, die Spruchtätigketi der Dohnaer Schöffen zu begrenzen, wenn es heißt: „Aber zu den Donischen urteille, wollen wir dem cantzlern zwene zuordenen, die sollen die acta neben ime zugleich anhören unnd urteil stellen helffen, und sollen di ezwene zugeordnete rethe von idem Donischen urteil zehen groschen haben.“237 In der Kanzleiordnung von 1553 findet sich dieser Absatz dann nicht mehr. Lilge schließt daraus, dass die nach der Aufhebung von 1547 bis 1553 noch nicht aufgearbeiteten Fälle dem Leipziger Schöffenstuhl übertragen wurden.238 Dafür spricht, dass aus dem Jahr 1561 zwei Sprüche unter dem Namen der Schöffen zu Dohna ergehen, als deren Verfasser sich der Leipziger Ordinarius Simon Pistoris († 1562) identifizieren lässt.239 Mit der Leipziger Neugründung von 1574 jedenfalls wurde der Dohnaer Schöffenstuhl endgültig dem Leipziger inkorporiert.240 Wir verbleiben zunächst noch in Leipzig und blicken wieder zurück in das 15. Jahrhundert. Dort wirkte als Rechtsordinarius auch der für die Geschichte der sächsischen Rechtsbücher sehr bedeutsame Dietrich von Bocksdorf († 1466).241 Aus seiner Feder stammen die so genannten „Inforweibliche kleider, bücher, dorannen die frouwen pflegin czu lesin.“ (S. 12, Nr. 126), der beinahe wörtlich mit Ssp. Ldr. I 24 § 3 übereinstimmt. 236 Vogel, Leipzigisches Geschicht-Buch, S. 226; vgl. auch die Schilderung bei Heydenreich, Leipzigische Chronik, S. 62. 237 Die Kanzleiordnung ist gedruckt bei Posse, Privaturkunden, S. 213–219 (Anhang B, Nr. 3). 238 Lilge, Schöppenstuhl zu Dohna, S. 31. 239 Haltaus, Glossarium, Sp. 140; Bartsch, Dohna, S. 141 (Textabdruck). 240 Wabst, Historische Nachricht, S. 292 zu den genaueren Umständen. Er wie auch andere Autoren des 18. Jahrhunderts nennen freilich das Jahr 1572; Nachweise und Korrektur bei Lilge, Schöppenstuhl zu Dohna, S. 32, dem allerdings die Arbeit von Wabst unbekannt geblieben ist. 241 Schirmer, Dietrich von Bocksdorf; Ulmschneider, Dietrich von Bocksdorff; Coing, Römisches Recht in Deutschland, S. 185 f.; Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1,
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“
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maciones“, das erste, größere Zeugnis juristischer Sachsenspiegelexegese abseits der Glossen.242 1454 und wahrscheinlich wohl auch öfter hat Bocksdorf für Kurfürst Friedrich II. gegutachtet.243 Eine Reihe anderer Gutachten, deren Empfänger unbekannt bleiben, sind in Buch R des „Rechten Wegs“ eingegangen.244 Schließlich führt Conrad Wimpina noch eine Arbeit „in jura municipalia“ sowie eine Sammlung von Konsilien und eine „lectura“, die wie immer geartete Schriftform einer Vorlesung also, an.245 Die Konsiliensammlung konnte Hugo Böhlau schließlich 1861 auffinden.246 Die stadtrechtliche Arbeit ebenso wie die „lectura“ hingegen ist bis heute nicht nachweisbar. Ebenfalls von Böhlau bekannt gemacht wurde jedoch eine Anzahl von Gerichtsformeln aus einer Zeitzer Handschrift, die auf Bocksdorf zurückgeführt werden.247 Seine für die Rechtsbücherliteratur bedeutsamste Arbeit aber stellen seine Zusätze zur Landrechtsglosse des Sachsenspiegels dar, die als „additiones Buxdorfii“ auch Aufnahme unter die Allegate der juristischen Literatur gefunden haben. Selbst ein von Kisch edierter Leipziger Schöffenspruch zieht sie heran.248 Entsprechend sind die Bocksdorfschen Additionen auch rasch in den Druck gelangt; bereits die Baseler Ausgabe der Offizin Richel vom Jahr 1474 gibt sie dem Landrechtstext bei und der Leipziger Druck des Jahres 1488 nennt mit „Theodericus von Bockssdorff“ auch den Verfasser. Bei einigen wenigen kleineren Arbeiten wird regelmäßig auch Dietrichs Onkel Tammo von Bocksdorf († nach 1460)249 als Verfasser angeführt, so bei einigen kurzen „notata quae posuit ad arborem consanguinitatis vulgariter“250 und den ReS. 384 f. (das dort angegebene Todesjahr 1461 ist falsch); vgl. ferner auch Muther, Quellengeschichte, S. 388–392. Jetzt ausführlicher Meyer, Dietrich von Bocksdorf. 242 Kisch, Informaciones. Der einzige bislang bekannte Textzeuge – Görlitz, Ratsarchiv, Varia 4 – ist seit 1945 verschollen; zu dieser Handschrift vgl. Jecht, Görlitzer Handschriften, S. 259–261 (Nr. 15) und ders., Quellen, S. 75–77. 243 Textabdruck durch Distel, Rechtsunterweisung. Der eigentliche Rechtsstreit lässt sich nicht mehr rekonstruieren. 244 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 1, S. 1028–1032 (R 93–100); vgl. ebd., Bd. 1, S. XV und ausführlicher Böhlau, Summa, S. 173 f. 245 Wimpina, Scriptorum insignium, S. 35 (Nr. 21). Zur Literaturgattung „Lectura“ vgl. Horn, Legistische Literatur, S. 87–94. 246 Böhlau, Kopialbuch (mit Abdruck zweier Konsilia). Das „consilium pro domino Marchione Brandenburgico iunior“ findet sich auch in den „Informaciones“ (Nrn. 90–93) unter dem Titel „Von totslag und von bruch“; vgl. Kisch, Informaciones, S. 13. 247 Böhlau, Bocksdorff’s Gerichts-Formeln. 248 Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, S. 76–78 (Nr. 10). 249 ADB 2 (1876), S. 790 f.; Ulmschneider, Tammo von Bocksdorff. 250 Gedruckt bei Wasserschleben, Successionsordnung, S. 124–134 (Anhang A) – die Lesarten einer Leipziger Handschrift bei Kisch, Informaciones, S. 28.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
geln von der Sukzession in das Erbe, die noch Kilian König seinen „Gerichtsleufften“ beidruckt.251 Es ist aber keineswegs sicher, wer von beiden oder ob nicht gar beide gemeinsam die genannten Arbeiten geschaffen haben. Jedenfalls hat Kisch eine Reihe von Erbschaftsregeln aus einer Görlitzer Handschrift gedruckt, die Dietrich als ihren Verfasser nennen.252 Auch in der handschriftlichen Überlieferung finden sich unterschiedliche Zuschreibungen.253 Eine gewisse Rolle für das Wirken des Brüderpaares mit Bezug auf die sächsischen Rechtsbücher mag eine zweiteilige Hallenser Sammelhandschrift spielen, die nicht nur beide Remissorien und Dietrichs Klagformeln, sondern auch den Richtsteig Landrechts, ein alphabetisches Register und ein Landrechtsregister aus der Feder des Halberstädter Kanonikers Nikolaus Amelung („patrem dominum Nicolaum Amelungh in Werben“, † 1560),254 außerdem einige kleine biographische Notizen, enthält.255 Im Übrigen stellt diese Handschrift auch kodikologisch einen Glücksfall für die rechtshistorische Forschung dar: Sowohl in dieser wie auch in einer ebenfalls in Leipzig verwahrten Sachsenspiegelhandschrift finden sich Marginalnotizen zweier identischer Schreiberhände, so dass sich eine praktische Verwendung beider Handschrift in gemeinsamem Kontext erschließen lässt.256 Von einer dieser Hände stammen auch die biographischen Notizen über Bocksdorf, von der anderen einige flüchtige, erbrechtliche Notizen. Dieser Teil der Sammelhandschrift ist wohl in den 1470er Jahren entstanden, die Randnotizen sind wahrscheinlich noch in das 15. Jahrhundert zu setzen. Der zweite Teil der Handschrift (fol. 171r–270v) entstammt dagegen wohl noch 251
König, Gerichtsleuffte, Tl. 2, Nr. 6 (unpag.). Kisch, Informaciones, S. 29–31. 253 Muther, Quellengeschichte, S. 390 f. 254 Ulmschneider, Nikolaus Amelung. 255 Halle, ULB, Ye 2o 62 (Oppitz Nr. 665), fol. 167r: „Sequitur post quatuor folia registrum compilatum per magistrum Thomam de Buckestorpp ante compilationem registri huius predicti quia tempore domini Guntheri de Swartzeborch archiepiscopi Magdeburgensis erat in cursu et regimine magister Thomas de Buckestorpp de tempore domini Frederici de Bichlinge archiepiscopi Magdeburgensis erat in cursu magister Theodericus de Buckestorpp ordinarius in Liptzk qui fecit tunc hiusmodi perscriptum registrum. Et postea electus fuit in episcopum Nuenburgensem post dominum Petrum et post eum fuit electus dominus Hinricus Stamerus canonicus Halberstadensis in episcopum Nuenburgensem.“ 256 Halle, ULB, Ye 2o 61 (Oppitz Nr. 664). Diese Handschrift enthält Randverweise auf das Stadtrecht von Halberstadt (fol. 10v u. ö.) sowie einige (nachträglich eingefügte) Halberstädter Urkunden (fol. 391), so dass eine Benutzung ebendort wahrscheinlich sein dürfte. Ein Kolophon (fol. 430r), das allerdings nicht von der Haupthand stammt, gibt als Entstehungsort und -zeit: „Stendal anno domini MCCCCLo ipso die Sancte Elisabet“ [= 1450.XI.19]. 252
VI. Das 15. Jahrhundert: Höhepunkt und Ende der „Rechtsbücherzeit“
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den 1450er Jahren und ist damit noch zu Lebzeiten der beiden Bocksdorfs beschrieben worden.257 Aus dem Umfeld Dietrichs von Bocksdorf scheint schließlich eine heute in Zwickau verwahrte Handschrift zu stammen,258 die ausweislich des Kolophons auf fol. 241r für einen Johannes König, „apotecarii et civis in Liptzik“ im Jahre 1464, ebenfalls also noch zu Lebzeiten Dietrichs, abgeschrieben wurde. Das wird umso bemerkenswerter als eine heute Wolfenbütteler Handschrift ebenfalls angibt, im Jahre 1464 für denselben „civis nec non apotecarius Lipczensis“, geschrieben worden zu sein.259 Während in Nordostdeutschland der Sachsenspiegel fest im Rechtsleben verwurzelt scheint, entsteht in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts in Westfalen, vielleicht in oder in der Nähe von Soest, eine Streitschrift, die etwas irrig als „Informatio ex Speculo Saxonum“ betitelt ist. Lindner260 hat ihr einige Zeilen und Homeyer261 immerhin eine eigene Akademieabhandlung gewidmet; ansonsten ist sie kaum einer Betrachtung gewürdigt worden.262 Eine Ausgabe fehlt.263 Für den unmittelbaren Rezeptionsvergleich auf Ebene der einzelnen Rechtssätze, wie er in der vorliegenden Studie geplant ist, lässt sich dieses Werk nur mit großen Hindernissen verwenden, denn zwar allegiert es regelmäßig Sachsenspiegel und Landrechtsglosse nach einer Drei-Bücher-Einteilung, jedoch scheinen die einzelnen Artikel 257 Eine ausführliche neue Beschreibung dieser und der anderen Hallenser Handschriften bereitet Dr. Brigitte Pfeil (Erfurt) vor, deren Neuverzeichnung ich einsehen durfte. Dafür und für manch anderen Hinweis bin ich sehr dankbar. 258 Zwickau, Ratsschulbibliothek, Hs. II, VII, 28 (Oppitz Nr. 1633) – die abweichenden Lesarten dieser Handschrift hat Böhlau, Bocksdorff’s Gerichts-Formeln, in seiner Edition berücksichtigt. Ansonsten ist sie in der Literatur nicht eingehender untersucht worden. 259 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 1.6.6. Aug. fol. (Oppitz Nr. 1565), fol. 274r – vgl. dazu Hüpper, Auftraggeber, S. 77 f., der allerdings die Zwickauer Handschrift dafür entgeht. 260 Lindner, Veme, S. 278–280. Die Soester Handschrift, die Lindner und auch noch Johanek, Informatio, Sp. 378 als verschollen betrachteten, ist heute wieder in Soest, StdA, Abt. A Nr. 10922 (Oppitz Nr. 1355) vorhanden. Sie enthält, fol. 1r–24v, nur einen fragmentarischen, aber, wie mir scheint, ansonsten besseren Text gegenüber dem zweiten Textzeugen Osnabrück, StA, Dep. 3a1 VIII Nr. 53 (Oppitz Nr. 1200), fol. 13v–22r. 261 Homeyer, Informatio. 262 Einige rechtswortgeographische Untersuchungen bei Hyldgaard-Jensen, Verbreitung, der allerdings lediglich Homeyers Wortregister auswertet. Ansonsten vgl. nur die wenigen, sich ebenfalls auf Homeyer beziehenden Hinweise bei Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 401 f.; Duncker, Besprechung, S. 119 f.; Stüve, Wesen und Verfassung, S. 109 und Nehlsen-von Stryk, Reinigungseid, S. 625. 263 Eine solche ist aber im Vorfeld dieser Studie von mir begonnen worden und wird hoffentlich in absehbarer Zeit fertig gestellt werden können.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
gegenüber der vulgaten Form verschoben und sind nur zum Teil IncipitWorte mit angeführt, die eine eindeutige Identifikation erleichern. Beispielsweise allegiert fol. 2r: „ut in codem privilegio sive speculo li. i c. i, dat sick beginet: des hyligen geistes etc.“ und weist also den Landrechts-Prolog als erstes Kapitel des ersten Landrechtsbuches in der allegierten Vorlagehandschrift aus. So bleibt, solange sich diese nicht identifizieren lässt, oft nur der Weg, aus dem Kontext zu schließen, welche Referenzstelle gemeint ist. Ferner finden sich eindeutige Übernahmen aus dem Landrecht, die nicht durch Allegate gekennzeichnet sind, beispielsweise: „Nu vornemet was ys de landerichter und wat he richten mach. De Romessche konick offte keyser enmach nicht wesen in allen steden do he dan eyn richter is over al over egen, over leen und over enes iuweliken mannes liff off guet, so en kann eff mach he yn allen steden nycht syn und enkan alle ungerichte nicht richten tho aller tys. Darumme belent he de vo[r]sten und heren de lande, de vorsten und heren belent vort de gogreven, dat sint de lantrichter offte heten de belenden richter. Doch enmach nein gerichte komen an de yerden hant, dat over hals und haut gaen moge.“264
Ganz offenbar liegt hier ein Konglomerat von Textversatzstücken aus Ssp. Ldr. III 26 § 1, Ldr. III 52 §§ 2, 3 und Ldr. III 60 § 2 zugrunde. Auf späteren Blättern der Handschrift sind Allegate zum Teil als Marginalien beigefügt worden; meist finden sich am Rande aber Summarien der einzelnen Kapitel. Großen Raum nehmen Erörterungen zum Femewesen ein. In diesen Zusammenhang fällt auch der bislang einzige bekannte Fall einer Anwendung der Informatio: Im Jahre 1433 nämlich beriefen sich die Dortmunder in dem berühmten Femerechtsfall gegen Cord von Langen auf eine „Informatio ex speculo Saxonum“.265 Winterfeld hat das als eine Belehrung (informatio) aus dem Spiegel selbst gedeutet. Mir aber scheint ein direkter Rekurs auf die vorliegende Streitschrift, die sich im Rückkehrschluss zeitlich näher bestimmen ließe, viel wahrscheinlicher. Nach etwaigen Bezugnahmen auf den Sachsenspiegel im Rahmen der westfälischen Feme bliebe im Übrigen auch noch zu fragen, selbst wenn „weder in ihm noch in den Glossen bis zum 15. Jh. [. . .] eine Beziehung zur Veme“ zu finden sein mag.266 Das oben Gesagte muss zur Charakteristik der Informatio zunächst genügen. Wir werden später noch Gelegenheit haben, einzelne Passagen in Zusammenhang mit anderen sächsischen Rechtsbüchern zu stellen. Die wenigen Zeilen machen aber bereits deutlich, dass diesem wichtigen Zeugnis westfälischen Rechtslebens an gegebener Stelle eine eigenständige Untersuchung gewidmet werden muss. Näherer Untersuchung mag unter Umständen auch noch das Wirken des Johannes Stalberg im Umfeld des sächsi264 265 266
Soest, StdA, Abt. A Nr. 10922 (Oppitz Nr. 1355), fol. 3v. Winterfeld, Bernhard Thiersch, S. 76. Thiersch, Hauptstuhl, S. 3.
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schen Rechts wert sein – wenn es denn eines gegeben hat. Bekannt ist bislang nichts, allerdings liefert Dietrich von Nieheim in einen Brief an Stalberg ein gewichtiges Indiz, indem er dessen Leistungen auf diesem Gebiet rühmt und sich zukünftig von ihm eine end- und mustgültige Erklärung und Verbessung sowohl des Sachsenspiegels als auch – bemerkenswerterweise – des Richtsteig Landsrechts erwarte.267 Das 15. Jahrhundert ist auch die Hochzeit der handschriftlichen Verbreitung des Sachsenspiegels.268 Das ist mit Blick auf die explosionsartig anwachsende Zahl von Handschriften aus dieser Zeit zunächst einmal nicht ungewöhnlich. Ein genaueres Hinschauen aber lässt die Bedeutung des Sachsenspiegels auf dem Handschriftenmarkt des 15. Jahrhunderts erahnen: So verzeichnet das in der zweiten Jahrhunderthälfte entstandene Bücherverzeichnis der Grafen von Hoya unter den insgesamt 31 Titeln der gräflichen Bibliothek immerhin fünf Sachsenspiegelhandschriften.269 Hinzu kommen zwei Handschriften des „Keiser recht“, von denen wir annehmen dürfen, dass es sich um den Schwabenspiegel handelt, da in einer dritten „en Speigel van Sassen und Keiser recht und der Glosen“ verzeichnet ist. Im Übrigen finden wir im gräflichen Inventar hauptsächlich chronikalische und schöngeistig-höfische Literatur, quantitativ an dritter Stelle schließlich einige einschlägige geistliche Werke für den Hausgebrauch. Rechtshandschriften sind neben den genannten keine verzeichnet. Für eine norddeutsche Adelsbibliothek ist dieser Befund vermutlich weniger ungewöhnlich als es zunächst scheinen mag. Es fehlen uns aber noch breitere Untersuchungen, an die man anknüpfen könnte. Das Urteil des anonymen Verfassers der „Informatio ex speculo Saxonum“, demzufolge „boeven viff dusent“ Handschriften allein „in deme lande to sassen ind to westfalen“ verbreitet gewesen sein sollen,270 wird sicher übertrieben sein. Es zeigt aber, dass die außergewöhnlich weite handschriftliche Verbreitung des Rechtsbuches durchaus auch von den Zeitgenossen als solche wahrgenommen wurde. Von den Zeugnissen dieser Verbreitung im Westfälischen sind heute nur noch eine Handvoll erhalten, so etwa die Werner Handschrift des Jahres 1444271 oder die kurz nach Erscheinen des Oppitzschen Verzeichnisses im Halterner Stadtarchiv aufgefundene, glossierte Handschrift, die wiederum enge Bezie267
Einen knappen Hinweis auf diesen Brief gibt – in anderem Kontext – Colberg, Überlieferer. Beide Briefe sind gedruckt bei Heimpel, Dietrich von Niem, S. 313 f. (Anhang 2, Nr. 1) und S. 317 (Anhang 2, Nr. 2). 268 Nowak, Verbreitung, S. 66–70. 269 Meyer, Der helt von der hoye Gerhart, S. 101. 270 Soest, StdA, Abt. A Nr. 10922 (Oppitz Nr. 1355), fol. 24r; vgl. dazu auch Homeyer, Informatio, S. 632. 271 Müller, Sachsenspiegelhandschrift. Bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 2, S. 831 (Nr. 1489) ist die Handschrift fälschlich auf 1494 datiert.
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hungen zu einer Lüneburger Handschrift (Oppitz Nr. 972) und der Textgrundlage des Zobelschen Druck von 1614 aufweist.272 Eine ganz besondere Kurzform des Sachsenspiegels geht der ältesten, um 1430 geschriebenen Handschrift des Klever Stadtrechts voran, die sich heute in Kalkar befindet.273 Und tatsächlich finden sich sowohl im Klever als auch im Kalkarer Stadtrecht Bezüge auf und Zitate aus dem Sachsenspiegel, allerdings auch der Buchschen Landrechtsglosse.274 Der „Duisburger Sachsenspiegel“ des Jahres 1385 lässt sich auf den Besitz der Familie Schlegtendal zurückführen, die im 16. Jahrhundert Gerichtsschreiber und Rentenmeister der Werdener Abtei stellten und durch die zu eben jener Zeit wohl auch die Handschrift von Werden nach Duisburg gelangt sein könnte, als sich ein Zweig der Familie dort (u. a. als Bürgermeister) etablierte.275 Von einigen westfälischen Handschriften des Sachsenspiegels können wir also plausibel annehmen, dass sie in einem Gebrauchszusammenhang mit einem Gericht oder gerichtsnahen Personen standen und nicht schlicht Büchersammlungen füllten.276 1465 beurkunden Bernd und Lambert von Soghausen „myt dissem open breue vor uns unde unsen rechten erven unde allen den, den dusse breff vorkompt en seen, horen effte lesen, dat wij hebben vorsat unde vorferten in dussem selven breve unse rechtbouk, dat Spegel van Sassen geheheten ys, den ersamen hern, prior, proueste vnde gantßen capittele effte eren nakomen des ffrigen stifft Corveye vor achte guder ghemener, kuscher, vulwichter gulden.“277 Diese Handschrift ist heute nicht mehr nachweisbar, so dass eine Zuordnung zu einer der bekannten Textklassen nicht möglich ist. Zumindest aber lassen solche Verweise hypothetische Rückschlüsse auf die Gebrauchskontexte von Handschriften sächsischen Rechts im spätmittelalterlichen Westfalen zu, das in dieser Hinsicht bislang noch viele weiße Flecken für die Forschung bereithält. Den Soghausenern jedenfalls lag der Wiedererwerb des verpfändeten Rechtsbuches offenbar ausgesprochen am Herzen, denn sie ließen sich eigens verbriefen, man möge ihnen oder ihren 272 Haltern, StdA, o. Sig. – vgl. Schmitt, Halterner Sachsenspiegel, zur Textklasse S. 391–393. 273 Das Stadtrecht hat nach dieser Handschrift Schleidgen, Klever Stadtrechtshandschriften, herausgegeben. Die Edition der Sachsenspiegelkurzform steht jedoch noch aus; vgl. dazu Peters, Kalkarer Sachsenspiegel; ders., Sprache des Kalkarer Sachsenspiegels; ders., Notizen. 274 Lieberwirth, Stadtrecht von Kleve. 275 Kümper, Duisburger Sachsenspiegel. 276 Fink, Rechts- und Verfassungsentwicklung. 277 Münster, Staatsarchiv, Urkunden Corvey, Nr. 433 – Abb. bei Schmidt-Wiegand, Text – Bild – Interpretation., Bd. 1, S. 440 (Abb. 10); vgl. dazu Hüpper, Auftraggeber, S. 99–104 mit Transkript und hochdt. Übertragung.
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Erben bei Auslösung der Pfandsumme „dat vorgescreven bouk sunder insage wedder antworden“.278 Aber nicht nur in der handschriftlichen Überlieferung und der Rezeption durch einzelne Rechtsaufzeichungen, auch im aktiven Rechtsleben Westfalens hat der Sachsenspiegel Spuren hinterlassen: Recht gut dokumentiert und von Timothy Sodmann eingehend besprochen ist ein Rechtsstreit des Jahres 1447.279 Zur Disposition stand dabei die Anwendung des Erbenlaubs des „beschreven lantrecht“ (Ssp. Ldr. I 52 § 1) gegenüber der Erbfolge des (römischen) „utwendich recht“, auf das sich die Gegenpartei berief. Ebenfalls um das Erbrecht, diesmal allerdings um dasjenige eines ungeborenen Kindes, ging es in einem Mindener Rechtsstreit, den Reinhard PilkmannPohl vorgestellt hat.280 Hier deutet sich bereits an, dass die erbrechtlichen Bestimmungen des Sachsenrechts eine wichtige Rolle bei der Rezeption des Spiegels gespielt haben dürften. Überblickt man die weite Verbreitung auf allen drei Rezeptionsebenen, der handschriftlichen, der rechtsfortschreibenden und der rechtspraktischen, im Verlaufe des 15. Jahrhunderts, so vermag es nicht mehr so sehr zu überraschen, wenn die Mühlhäuser Gesandten auf dem Reichstag von 1498 voller Überzeugung feststellen konnten, dass „beynahe das Drittel deutscher Nation“ sich des Sachsenspiegels bediene. Damit einher geht die fortschreitende Institutionalisierung der beiden wettinischen Territorialstaaten um die Jahrhundertwende.281 Für die Geschichte des sächsischen Rechts von zentraler Bedeutung zeigt sich dabei die Einrichtung (1483)282 und Neuordnung (1495)283 des Leipziger Oberhofgerichtes, die jeweils ausdrücklich die Anwendung des sächsischen Rechts festschreiben.284 Daneben existierte auch nach 1483 noch der kur278
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf den Fall des Perleberger Bürger Otto Brizcke verweisen, der 1408 dem Rat der Stadt „myn recht buck des keyserrechtes, lenrechtes vnde ander rechtes“ für sechs Marrk Silber verkauft, dabei aber explizit jederlei Recht auf „losinghe edder wedderkop“ ausschließt – Textabdruck der Urkunde bei Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis, Bd. 1, S. 172. 279 Sodmann, Goswyn van Ghemen. 280 Pilkmann-Pohl, Anwendung. 281 Vgl. die aufschlussreiche Analyse von Schirmer, Herrschaftspraxis, sowie die klassische Studie von Blaschke, Ausbreitung. 282 Abdruck bei Günther, Privilegium de non appellando, Beilage Nr. 5; vgl. auch Biener, Originum, S. 28–40. 283 Kretschmann, Oberhofgericht, S. 45 f. 284 Zur Geschichte des Leipziger Oberhofgerichts vgl. neben Kretschmar, Oberhofgericht, auch Lobe, Ursprung und Entwicklung, S. 28–49 und Goerlitz, Staat und Stände, S. 182–193.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
fürstliche Hofrat, der zugleich auch als Appellationsinstanz gegen Urteile des Obergerichtshofs fungierte. 1559, nachdem sich Kurfürst August das durch die Goldene Bulle verliehene sächsische „privilegium de non appellando et de non evocando“ nochmals hatte bestätigen lassen,285 wurde mit der Einrichtung des kurfürstlichen Appellationsgerichts schließlich ein förmliches Appellationsverfahren institutionalisiert,286 wobei eine entsprechende Gerichtsordnung erst 1605 festgelegt wurde.287 Im Zusammenhang mit der territorialen Entwicklung Sachsens an der Schwelle zur Neuzeit verdient noch ein weiterer, wenn auch nur kurzlebiger Aspekt im Hinblick auf unsere Fragestellung Beachtung: die Rezeption des sächsischen Rechts in Friesland.288 Mit dem Fall an Sachsen versuchten seit 1498 Herzog Albrecht († 1500) und seine Nachfolger, das friesische Rechtswesen und die Verwaltung nach dem Vorbild der sächsischen Hofkanzlei umzustrukturieren.289 In der friesischen Geschichtsschreibung hat sich für diese Zeit zwischen als 1498 und 1515, deren Beginn also auch in regionalgeschichtlicher Sicht zugleich den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markiert, der Begriff „sächsische Periode“ eingebürgert. Die Ergebnisse der kurfürstlich-sächsischen Bemühungen werden in den ersten 41 Kapiteln der Friesisch-Sächsischen Gerichtsordnung von 1504 deutlich, die eine Kompilation der Sächsischen Ordnungen von 1488 und 1493 darstellen.290 Damit galt für wenige Jahre in Friesland sächsisches Recht einschließlich der Möglichkeit des Instanzenzuges an die landesherrlichen Gremien und der Rechtsfrage an die sächsischen Schöffenstühle. Die sächsische Periode allerdings war nur von kurzer Dauer. Unter habsburgischer Regierung wurde ein eigenständiger friesischer Gerichtshof geschaffen, dessen Rechtssprechung jene besondere Form der Rezeption, jene „amalgamation 285 Nachweis der Drucke bei Eisenhardt/Markert, Privilegia de non appellando, S. 114 (Nr. 60.1) – vgl. zur Sache auch Eisenhardt, Rechtswirkung. 286 Blaschke, Appellationsgericht. 287 Text bei Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, Sp. 1225–1242. Auch hier wird festgestellt, man solle „in unsern Appellation-Gericht vornemlich die ausgegangene Landes-Ordnung und publicirte Constitutiones, auch was Wir hierüber ferner verordnen werden, und dann das Land-übliche Sächs. Recht, in acht nehmen; was aber in denselben nicht ausdrücklich versehen, Soll man nach des Heil. Reichs-Constitutionen und Abschieden, und nach gemeinen beschriebenen Rechten, urtheilen und erkennen“ (Sp. 1235). 288 Ein Gesamtverzeichnis sämtlicher Quellen und der einschlägigen Literatur zur friesischen Rechtsgeschichte stellen die beiden gewichtigen Bände von Gerbenzon, Apparaat, dar. 289 Dazu ausführlich Bauer, Friesische Freiheit. Zur Frage der Rezeption des römischen Rechts vgl. auch Oestmann, Budjadingen. Zur Einwirkung des so genannten Holländischen Sachsenspiegels auf die südfriesische Jurisprudentia frisica siehe unten, S. 343 f. 290 Gerbenzon, Nieuwe gegevens, S. 144–146.
VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts)
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of indigenous law and Roman law, canonical law and feudal law“ prägte, die in sehr ähnlicher Form auch in den Niederlanden als solche erkannt und universitär weitergebildet wurde (ius hodiernum).291
VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts) Eine engere Verbindung des sächsischen mit den gelehrten Rechten wird zum ersten Mal zu Beginn des 14. Jahrhunderts in der Buchschen Landrechtsglosse gestiftet. In den folgenden Jahrzehnten hat sich diese Verbindung durch die wachsende Kenntnis der gelehrten Rechte auch diesseits der Alpen und die steigende Zahl studierter Juristen im Reich weiter intensiviert. Nikolaus Wurm hat die Idee vom sächsischen Auswuchs aus dem Kaiserrecht in einem schönen Bild sinnfällig zum Ausdruck gebracht hat: „Der blumen stam ist her Ecke von repchow, dy wurczil abir sint leges, daz sint kaiserrecht, und canones, daz sint geistliche recht. Wen worum? sy sint unsirs rechtis wurczil.“292 Beinahe fünfhundert Jahre nach Wurm hat das gleiche Bild, aber mit gänzlich anderen Konnotationen, dann auch Fehr herangezogen, wenn er von der Rezeption als von der „der Kraft eines Wasserfalls“ spricht, die auf das zarte Pflänzlein des deutschen Rechts herabgestürzt sei.293 Die mittelalterliche Rezeption des römischen Rechts war in der Zwischenzeit in weiten Kreisen der deutschsprachigen rechtshistorischen Literatur zu einer Art nationalem Unglücksereignis avanciert. In der Tat hat wohl kaum ein Phänomen der spätmittelalterlichen deutschen Rechtsgeschichte die Gemüter mehr bewegt als die so genannte „Rezeption“ des römischen Rechts, jener „in der Forschung etablierte, nicht unumstrittene, aber derzeit nicht ersetzbare Ausdruck“,294 der seit seiner Prägung nicht nur wissenschaftliches Hilfskonstrukt zur Beschreibung eines letztlich noch immer nicht ganz greifbaren, aber unzweifelhaft in höchstem Maße wirkmächtigen Prozesses, sondern auch als Kampfbegriff in Dienst genommen worden ist.295 Die Titulatur dieses Prozesses als „die Rezeption“ (mit bestimmtem Artikel!) ist seit der Frühzeit der rechtshistorischen Forschung, jedenfalls seit Conring296 in Gebrauch. Über die Wahrnehmung 291
Einen guten Überblick gewähren Lokin/Brandsma/Jansen, Roman-Frisian Law, S. 15–32 (Zitat S. 22). Zur Rolle des römischen Rechts in den frühneuzeitlichen Niederlanden vgl. den wichtigen Band von Feenstra-Zimmermann, Römischholländisches Recht. Vgl. auch Ebel, Ende des friesischen Rechts. 292 Böhlau, Blume, S. 28. 293 Fehr, Recht und Wirklichkeit, S. 90. 294 Isenmann, Rezeption, S. 207. 295 Einen kompakten Überblick über die Forschung der letzten Jahrzehnte bietet Sellert, Rezeption; zur Sache einführend Wacke, Rezeption.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
dieses Vorgangs avant la lettre in der juristischen Literatur ist dagegen deutlich weniger bekannt, obschon es durchaus eine Vielzahl von Indizien dafür gibt, dass bereits im ausgehenden 16. Jahrhundert die Durchsetzung des römischen Rechts im deutschen Rechtsgebiet als ein historischer Vorgang begriffen wird. Lediglich Peter Bender, der bereits 1955 einen belesenen, dankenswerterweise zwanzig Jahre später dann doch noch im Druck erschienenen Überblick vorgelegt hatte, hat auch einige Stimmen aus der Zeit vor Conring zusammengestellt.297 Auf der Grundlage seiner Ergebnisse lässt sich feststellen, dass bereits seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert vereinzelt Vorbehalte gegenüber den gelehrten Rechten geäußert werden, die Diskussion sich dann im ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhundert, beispielsweise bei Schilter oder Senckenberg, verdichtet und schließlich mit der Historischen Rechtsschule, über die wir später noch näher zu berichten haben,298 das Phänomen „Rezeption“ jenen pejorativen Beiklang erhält, den es bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein in immer weiteren Teilen der deutschsprachigen Rechtswissenschaften behalten sollte. Franz Wieacker war es schließlich, der dieses alte Paradigma von einer solchen „Über-“ beziehungsweise „Aufnahme“ letztlich fremder Kulturund Rechtselemente durch den Begriff der „Verwissenschaftlichung“ des Rechts in Deutschland durch die Einflüsse der gelehrten Rechte ersetzte, verstanden als eine „intellektuelle Rationalisierung des öffentlichen Lebens: den Austrag politischer und privater Konflikte nicht mehr durch Gewalt, Emotionen oder unreflektierte Lebenstradition, sondern durch logische Erörterung der autonomen juristischen Sachproblematik“.299 In diesem Sinne hatte auch Helmut Coing argumentiert, der in seiner eingehenden Studie zu den Wandlungen des spätmittelalterlichen Frankfurter Rechts die These formuliert, das Eindringen des römischen Rechts in die deutsche Rechtspraxis sei in weiten Zügen kulturgeschichtlich in „jener allgemeinen Hinwendung des deutschen Volkes und besonders des Bürgertums zur wissenschaftlich gelehrten Laienbildung überhaupt“ begründet.300 Diese These hat von Seiten der Rechtsbücherforschung Peter Johanek im Grundsatz bestätigen können, der am Beispiel der so genannten „Rechtssumme“ Bruder Bertholds auf das wachsene Bedürfnis weiterer Kreise nach Zugang zu den Texten des vor allem kanonischen Rechts aufgezeigt hat.301 Letztlich aber wird 296 Conring, De origine iuris, S. 209–222 (cap. 33): „Quomodo et inquantum Leges Romanae, ut et Feudales Langobardicae, in Germaniae scholas et fora sint receptae.“ 297 Bender, Rezeption, S. 15–27. 298 Siehe unten, S. 316 ff. 299 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 131. 300 Coing, Rezeption in Frankfurt, S. 190. 301 Johanek, Literaturgattung und Wirkungsgeschichte, S. 362 f.
VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts)
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man nicht umhin können, das gleichzeitige Neben- und Miteinander beider Denkformen, einer rationalistischen ebenso wie einer traditionalen, im mittelalterlichen Rechtsleben anzuerkennen.302 Das dürfte derzeit auch weitgehender Konsens sein. In der jüngeren deutschen Literatur der Rechtsbücherforschung hat die Rezeption des römischen Rechts im Rahmen der Ausgestaltung des Gemeinen Sachsenrechts kaum eine Rolle gespielt. Etwas eingehender hat sich die Literatur in den östlichen Nachbarstaaten, in Polen, der Tschechoslowakei bzw. ihren Folgestaaten und auch in Ungarn mit der Thematik beschäftigt, wo die Rezeption teils später, oft aber durch landesherrliche Gesetzgebung noch gründlicher durchgriff, teils das bis dahin geübte sächsische Recht durch einen legislatorischen Akt außer Kraft gesetzt wurde. Besonders im Norddeutschen scheint es größere Widerstände gegen die gelehrten Rechte gegeben zu haben; so spiegelt sich im Reich das gleiche Nord-Süd-Gefälle bezüglich der Rezeption wie überhaupt in Mitteleuropa. Diese Widerstände zeigen sich aber nicht nur in der Analyse von Rechtsaufzeichnungen und Zeugnissen des Gerichtsbrauches, sondern sprechen manchmal auch aus den Stimmen der Zeit zu uns. So stellte der Lübecker Bürgermeister Heinrich von Wahrendorff fest, dass „nemant möt der Stades Rechte krenken mit Kaiserliche Rechte, dat sulvest na des Kaiers Worde ewig stede und vast bliven schal, wen de Latienische Rechte unse Stades Wesen unnuette und gantz unteemlick sin“.303 Ähnlich sah es wohl in den Städten sächsischen Rechts aus. Die Magdeburger Schöffen haben erst seit dem beginnenden 16. Jahrhundert und auch dann noch sehr verhalten römisches Recht in ihren Sprüchen allegiert.304 Für Leipzig würde man zwar einen stärkeren Einfluss der gelehrten Rechte durch die bereits im frühen 15. Jahrhundert gegründete Universität erwarten, lassen sich in den bislang bekannten Sprüchen jedoch kaum entsprechende Quellen nachweisen.305 Allerdings steht der wissenschaftliche Bearbeitungsstand der Leipziger Spruchpraxis auch deutlich hinter dem der Magdeburger Schöffensprüche zurück, so dass uns abseits der in den zeitgenössischen Druckausgaben versammelten und oftmals noch dem späten Mittelalter entstammenden Sprüche kaum Material aus der Zeit nach 1500 in gedruckter Form vorliegt. Insgesamt aber wird man vorbehaltlich näherer Prüfung die These aufstellen dürfen, dass die sächsischen Schöffenstuhle eher zum tradierten sächsischen Recht neigten, wohl auch, um eine eindeutige Position gegen302 303 304 305
Willoweit, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Zit. nach Dreyer, Einleitung, S. 311. Ziekow, Recht und Rechtsgang, S. 18. Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, S. 637.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
über den seit Beginn des 16. Jahrhunderts langsam zur Konkurrenz aufsteigenden Juristenfakultäten einzunehmen. Schließlich darf auch die zweifellos bestehende und von den Zeitgenossen wahrgenommene Konkurrenzsitaution zwischen den beiden Rechtskreisen nicht immer übertrieben werden, denn es bestand durchaus die Möglichkeit, mittels doppelter Belege aus beiden Rechten eine Verstärkung der eigenen Position anzustreben – so beispielsweise in einem Magdeburger Spruch für Breslau aus dem Jahre 1492, bei dem der Anwalt der Klagepartei neben Sachsenspiegel und Glosse auch Codex, Digesten und Baldus in einer Reihe zum selben Sachverhalt anführt.306 Ein solches Taktieren verstärkt sich dann im 16. und 17. Jahrhundert, dem Eindruck nach, eher noch als dass es zurückginge. Zu den markantesten Phänomenen der Rezeption werden die so genannten „Stadtrechtsreformationen“ gezählt, die vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überall im römisch-deutsche Reich entstehen.307 Diese Bearbeitungen der überkommenen, mittelalterlichen Stadtrechte gehören neben den territorialen Kodifikationen der Zeit zu den bevorzugten Arbeitsgebieten desjenigen rechtshistorischen Zweiges, der als „Neuere deutsche Privatrechtsgeschichte“ firmiert. Über die Reformationen einer Reihe von süddeutschen Städten sind wir daher ausgesprochen gut informiert. Im Niedersächsischen liegen vor allem für Lüneburg einschlägige Studien vor.308 Im Bereich des sächsischen Kurfürstentums herrschte – vermutlich gerade wegen der breiten und vielfach gleichförmigen Rezeption des sächsischen Landrechts und der Magdeburger Weichbildvulgata – ein verhältnismäßig einheitliches Bild. Lokale Besonderheiten dürften sich im Einzelfall häufig auf überkommene Siedlungsvorrechte zurückführen lassen, wie das beispielsweise beim „flämischen“ Dritteilsrecht möglich ist. So lautet auch die Expertise Schletters, eines ausgewiesenen Kenners der frühneuzeitlichen sächsischen Rechtsgeschichte: „Die Zahl der statuarischen Rechte, und mithin die Getrenntheit der Rechtszustände innerhalb des sächsischen Territoriums, war nur eine geringe und auch, insoweit sie vorhanden war, fast nur auf einige Punkte des Erbrechts und ehelichen Güterrechts bezüglich; daher lag eine Ungleichheit der vorgedachten [scil. württembergischen] Art nicht vor, und von dieser Seite war kein Implus zu einer Gesetzreform gegeben, wie sich denn auch nirgends eine Spur findet, daß diese statuarischen Nüancen in der Vorbereitungszeit der neuen Gesetzgebung [scil. der 306
Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 2, S. 463–467 (Nr. 648). Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 189–195; Thieme, Privatrecht. 308 Rabe, Lüneburger Stadtrechtsreformation; vgl. ferner Merkel, Kampf, S. 72–77. Für das bis 1344/45 ebenfalls zum braunschweigisch-lüneburgischen Herzogtum gehörige Göttingen vgl. Wittram, Gerichtsverfassung, S. 50 f. 307
VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts)
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Kursächsischen Konstitutionen] als nachtheilig bezeichnet und aus diesem Grunde solche Reformen verlangt worden wären.“309
Die flüchtige Prüfung des durch Riccius,310 Schott311 und Hoffmann312 überlieferten Materials bestätigt diese Feststellung. So beließen auch die Konstitutionen von 1572 an unterschiedlichen Stellen (z. B. III 12 § 22) die städtischen „Statuten und Gewohnheiten“ ausdrücklich als Subsidiärquelle bestehen, so dass die von Schletter skizzierte Situation sich durch die kursächsische Konstitutionengesetzgebung zumindest im Bereich des statuarischen Privatrechts kaum durchgreifend änderte. Ebenso behielten bereits bestehende Hausverträge und so genannten „Geschlechter Statuten“, beispielsweise für Bünau ihre Geltung,313 die neben lehnrechtlichen vor allem auch Belange der Vormundschaften, des Ehegüterrechts und der Erbangelegenheiten regeln.314 Viele dieser gesonderten Willküren, Statuten und Privilegien entstammen den Jahren und Jahrzehnten unmittelbar vor Erlass der Konstitutionen. So ließen sich beispielsweise die Bitterfelder noch 1565 ihre Erbrechtswillkür bestätigen;315 im gleichen Jahr gibt sich auch das Städtchen Löbau in der Oberlausitz,316 wenige Jahre zuvor noch das anhaltische Zeitz eine solche.317 Zahlreiche Beispiele aus dieser Zeit ließen sich hinzufügen. Die breite Überlieferung solcher Sonderstatuten zeigt zum einen das dringende Regelungsbedürfnis, aus dem die Konstitutionen letztlich erwachsen sind, macht zum anderen aber auch deutlich, warum es durchaus nahe lag, die soeben erst errungenden Bestimmungen und Privilegien nicht durch die Konstitutionsgesetzgebung wieder aufzuheben. Die Kollision des spezifisch sächsischen Erbrechts mit den Bestimmungen anderer Rechtsgebiete und den beginnenden reichsrechtlichen Verein309
Schletter, Constitutionen, S. 29. Festhalten lassen sich: Chemnitz (Rechtsbrief von 1414, für das Privatrecht einflusslos); Dresden (Privileg nach 1300 bestätigt Magdeburger Recht; Statuten für Privatrecht einflusslos); Frauenstein (Freiheitsbrief von 1439); Freiberg (Statuten von 1294, einzelne Teile fürs Privatrecht wichtig); Grimma (Willkür über Gerade von 1397, übertragen auf Eilenburg 1487); Laucha (Statuten von 1409); Pirna (Rechtsbestätigung von 1325); Roßwein (Willküren von 1377 und 1464); Werdau (Rechtsbestätigung von 1464); Wittenberg (Rechtsbestätigung von 1424). 310 Riccius, Entwurff von Stadt-Gesezen. 311 Schott, Sammlungen; vgl. außerdem zu Geithain, Rochlitz und Großenhain Walch, Beyträge, Bd. 2, S. 183, Bd. 3, S. 277 und Bd. 7, S. 9. 312 Hoffmann, Statuta localia. 313 Gedruckt Weißenfeld 1708 und Merseburg 1729 – vgl. auch Müller, Commentario. 314 Haubold, Lehrbuch, S. 29 f. (§ 35). Eine ausführliche Darstellung bei Watzdorff, De statutis. 315 Kümper, Bitterfelder Erbrechtswillkür. 316 Staudinger, Dritteilsrecht. 317 Schott, Sammlungen, Bd. 1, S. 278–288.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
heitlichungsbemühungen führte bereits seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts zu Konflikten.318 Gut greifbar wird das auf dem Nürnberger Reichstag von 1521, als eine reichsweite Regelung des umstrittenen Repräsentationsrechts der Seitenlinien beschlossen wurde.319 Die Umsetzung dieses Beschlusses scheint allerdings in manchen, vor allem den östlichen Teilen des Reiches wenig durchschlagend gewesen zu sein: So erging 1522 ein Reskript Herzog Georgs an den Leipziger Rat, folge dessen bezüglich eines unlängst zuvor übersandten kaiserlichen Ediktes – ganz offenbar jenem von 1521 nämlich – „ein Ubersehen bescheen“ sei, insofern als „sollich Edict in dem letzten Artickel meldende, das Pruder und Schwester Kinder nuhe hinfuer, mit yres abgestorben Vatter ader Mutter, Pruder oder Schwester, die andern abgestorben yres Vattern ader Mutter Pruder ader Schwestern, nach laut gemeiner beschriebener Keyserlicher Recht, Auch in dye Stemme zu erbenn tzugelassen werden sollen“, was freilich „den landtleuffigen unsern Sechßsischen Rechten enkegen“ gehe. So erging die Anweisung, dass „in angezeigtem Falle, wy es tzuvorn unnd ehe dasselbige Außschreyben außgegangen, nach vermöge der Sechßischen Rechte gehalten“ werden solle.320 Ähnlich widerspenstig zeigte sich das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg;321 weitere Beispiele finden sich durch das gesamte Reich.322 So erging auf dem Speyerer Reichstag von 1529 erneut eine entsprechende kaiserliche Weisung.323 Aber auch die Geltung dieses neuerlichen Edikts (hier als „Konstitution“ bezeichnet) wurde für die Länder sächsischen Rechts zum Teil noch bestritten: In einem Spruch des Jahre 1569 spricht der Leipziger Schöffenstuhl der Frau des Wolmerstadter Amtmann Valentin von Angern die Hälfte der Gerade ihrer verstorbenen Schwester zu, da diese „zu Othleben im Stifft Halberstadt ohne Leibs Erben verstorben“ und „im Stiffte Halberstadt/da sie gewohnet unnd verstorben die Keyserliche Constitution wie Brüder oder Schwester Kinder mit ihres verstorbenen Vaters oder Mutter Brüdern oder Schwestern Erben unnd derselben 318
Gaupp, Germanistische Abhandlungen, S. 136–139. Gedruckt u. a. bei Senckenberg, Reichs-Abschiede, Bd. 2, S. 206 f. (§ 19). Die Reaktionen auf diese knappen Zeilen kaiserlicher Rechtssetzung scheinen bereits bei einem flüchtigen Blick in die Territorialgesetzgebung und die juristische Literatur der Zeit einer eigenen, kleinen Studie wert; vgl. zunächst das Wenige bei Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 203 f. Die Verhandlungssache selbst geht zurück bis auf den Augsburger Reichstag von 1500. In Brandenburg wurde das Repräsentationsrecht der Enkel 1511 vom Landtag zu Berlin-Neukölln angenommen; vgl. Stölzel, Rechtsprechung, S. 294. 320 Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, Sp. 1043–1046. 321 Merkel, Kampf, S. 59–61. 322 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 204 mit Fn. 97 – vgl. auch Stölzel, Rechtsprechung, Bd. 1, S. 294. 323 Senckenberg, Reichs-Abschiede, Bd. 2, 1747, S. 301 f. 319
VII. Das Phänomen „der Rezeption“ (des römischen Rechts)
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Verlassenschaft unter sich theilen sollen/angenommen/und hierinnen von der hohen Obrigkeit darwieder keine Enderung gemacht worden“.324 Es entstünde aber ein falscher Eindruck, nähme man eine geschlossene Gegnerschaft zwischen innovativem, von den gelehrten Rechten beeinflusstem Reichsrecht und betontem Konservativismus des Sachsenrechts an. Vielmehr existierte schon vor den Erlässen der 1520er Jahre eine große Vielfalt von Rechtsübungen, was das Repräsentationsrecht der Enkel und der Seitenlinien angeht – vor allem in den Städten. Das zeigt schon ein Blick in eines der kleineren Territorien sächsischen Rechts, nach Braunschweig-Lüneburg: So hatte Duderstadt bereits 1434 das generelle Repräsentationsrecht der Enkel anerkannt,325 das der Sachsenspiegel (Ldr. I 5 § 1) bislang nur den Sohneskindern vorbehalten hatte. Braunschweig kannte bereits im Stadtrecht von 1401 die Repräsentation der Geschwisterkinder zumindest im Falle einer noch nicht erfolgten Abteilung,326 was Merckel mit Recht „nicht auf fremdrechtliche Einwirkungen“ zurückführen möchte.327 In Lüneburg dagegen war zur selben Zeit die Teilung nach Anzahl der Häupter in Übung.328 In Anhalt erklärten sich die Fürsten erst 1545 auf Bitten des Rates von Zerbst bereit, nach der kaiserlichen Verordnung anstelle des Sachsenspiegels Recht zu sprechen.329 Als zweiter Kollisionspunkt zwischen Reichs- und Sachsenrecht wurde zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Straf- und Prozessrecht diskutiert. Dieses Problem entstand vor allem durch die sich verdichtenden Pläne einer reichsweiten peinlichen Halsgerichtsordnung, die später unter dem Namen „Constitutio Criminalis Carolina“ bekannt werden sollte, und auf dem Augsburger Reichstag von 1530 verhandelt wurde. Gegen diesen Plan protestierten, wie der Mainzer Domizellar Valentin von Tetleben in seinem Protokoll des Reichstages berichtet, vor allem die Großen der Länder sächsischen Rechts, die in diesen Sachen „by dem Saxenspigel“ bleiben wollten:330 „Von wegen der churfursten und fursten von Saczen, auch dem churfursten zu Brandeburg“ werde eingewandt, „das se von oeren seczichen 324
Grosse, S. 25–27. Jäger, UrkB Duderstadt, S. 400. 326 Hänselmann, UrkB Braunschweig, Bd. 1, S. 112 (§ 126). 327 Merkel, Kampf, S. 59 und S. 19–23 – dort auch weitere Nachweise aus der Braunschweiger Rechtspraxis, die sich im Verlaufe des 15. Jahrhunderts wandelte. 328 Merkel, Kampf, S. 23 f. 329 Friese/Liesegang, Schöffensprüche, Bd. 1, S. 242. 330 Grundmann, Valentin von Tetleben, S. 97 – Über die sächsische Proteste auch Kress, Commentatio, Vorrede, S. XXI, der – leider ohne Quellenangabe – berichtet, Kurfürst Johann habe sich darauf berufen, das Sachsenrecht sei „beschrieben und von den vorigen kaysern privilegiret und vordem 700 Jahre in Gebrauch gehalten“ worden. Zur Rezeption der Carolina vgl. auch Wächter, Rezeption. 325
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
rechten, welge uber menschengedencken by oene gehalten, nicht abstehen wolln, soltn by denselbigen verharren und deysse nuwe halzsgerichts ordenungh nicht annemen noch in deyselbige bewilligen haben.“331 Als Kompromisslösung solcher und anderer Proteste muss daher die berühmte „Salvatorische Klausel“ der Constitutio gelten, die unter gewissen, leicht ausdehnbaren Umständen die Übung der Landesrechte weiterhin zuließ.332 Kursachen, die thürinigschen Länder und Anhalt machten davon offenbar ausgiebig Gebrauch. In Brandenburg wurde dagegen 1540 die Einführung der Carolina kurfürstlich veordnet.333 Effektiv jedoch konnte Karls peinliche Halsgerichtsordnung erst im 18. Jahrhundert reichsweite Bedeutung für das materielle Straf- und das Prozessrecht beanspruchen.334 Diese Entwicklung verband sich während des 17. Jahrhunderts in den Ländern sächsischen Rechts mit einer eigenständigen Entwicklung vor allem des Prozessrechts, die bereits von den Zeitgenossen als spezifisch sächsisch wahrgenommen wurde. Davon soll später berichtet werden.335
VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“ Das 16. Jahrhundert hat in Mitteleuropa zwei große Umbruchssituationen erlebt, die beide auf ihre Art als revolutionär bezeichnet und im Übrigen auch aufeinander bezogen worden sind: Das ist zum einen die Reformation, zum anderen die Durchsetzung des Buchdrucks. Ersteres scheint zunächst für uns von geringer Bedeutung. Zumindest hat die Frage nach den Einwirkungen der Reformation auf das sächsische Recht im Allgemeinen und auf die Rechtsbücherliteratur im Besonderen in der rechtshistorischen Literatur bislang keine Beachtung gefunden. Sie wird auch an dieser Stelle nicht eingehender erörtert werden können, scheint aber durchaus einmal der näheren Betrachtung wert, was sich beispielsweise an den (freilich zaghaften) Umarbeitungen des Frankenberger Rechts bei seiner Übernahme im benachbarten Alsfeld, der ersten hessischen Stadt, 331
Grundmann, Valentin von Tetleben, S. 89. Schmidt, Sinn und Bedeutung, S. 252–254. 333 Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum, Bd. 6, Anhang zum 1. Register, Sp. 54–56. 334 Döhring, Geschichte, S. 317 f. mit Nachweis der einzelner Kommentatoren zwischen Gobler (1543) und Böhmer (1770). Eine gesonderte Betrachtung verdient der Einfluss der Carolina auf die Spruchpraxis; vgl. dazu Dreisbach, Einfluß, bes. S. 11–14. Dreisbach interessiert allerdings in diesem Zusammenhang nur die Übernahme der peinlichen Befragung in die Prozesspraxis des magdeburgischen und lübischen Rechtsgebiets. Seine Einschätzungen über die damit einhergehende Willkür im Strafverfahren kann ich aus meiner Sichtung des Materials so nicht bestätigen. 335 Siehe unten, S. 295 ff. 332
VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“
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die zum reformierten Glauben übertrat, zeigt.336 Besonders deutlich wird das bei den Beschränkungen der Aussagefähigkeit von Priester für Laien vor Gericht. Während im Frankenberger Stadtrechtsbuch der Priester zugelassen wird, wenn die Sache eines Armen oder die „sachen seyner kirchen“ betroffen sind,337 durfte der reformierte Pfarrer in Alsfeld auch „in sachen seine ehelichen hausfrawen“ aussagen.338 Eine weitere, allerdings nicht konsequent durchgeführte Änderung betraf das Schwören auf die Heiligen.339 Eine solche Umschrift wäre entsprechend auch in Rechtsbüchern sächsischer Provenienz aus nachreformatorischer Zeit durchaus denkbar. Was hier an einem Beispiel aus dem Rezeptionsfeld des Schwabenspiegels nur sehr oberflächlich angerissen worden ist, sollte einmal im Bereich der sächsisch-magdeburgischen Rechtsbücher, die sich ja schon in Frage der gemeinrechtlichen Rezeption als eher konservativ herausgestellt haben, untersucht werden.340 Während die geistesgeschichtlichen Umbrüche der Reformation keine Beachtung innerhalb der Rechtsbücherforschung gefunden haben, ist die grundsätzliche Bedeutung des Eintritts in die „Gutenberg-Galaxis“ (Marshall McLuhan) nie in Frage gestellt worden. Überhaupt gehört die Rechtsliteratur zu den wichtigsten Themenfeldern des jungen Buchmarktes, das im Verlaufe des Jahrhunderts gewaltig expandiert. Allein das Corpus iuris civilis ist Spangenberg zufolge zwischen 1468 und 1816 in 529 Ausgaben erschienen, davon ein gutes Drittel noch aus der Zeit vor 1600.341 Mit Erstausgaben in den 1470er bzw. -80er Jahren gehören der Sachsen- und Schwabenspiegel in die Reihe der frühesten Druckwerke deutscher Offizinen.342 Der erste Sachsenspiegeldruck ist bereits kurz erwähnt worden, denn er hat bereits die so genannten „additiones Buxdorfii“ mit aufgenommen. Es handelt sich dabei um den 1474 in der Baseler Offizin Bernhard 336
Gebhardt, Alsfelder Stadtrechtsbuch, S. 27 f. Schmincke, Monimenta Hassiaca, Bd. 1, S. 729. 338 Gebhardt, Alsfelder Stadtrechtsbuch, S. 194. 339 Schmincke, Monimenta Hassiaca, Bd. 1, S. 727, 729 und S. 749; dagegen Gebhardt, Alsfelder Stadtrechtsbuch, S. 190, 194 und S. 218. 340 Eine interessante Persönlichkeit dürfte in diesem Zusammenhang der Kirchenrechtler Melchior Kling spielen, dem wir eine systematisierende Ausgabe des Landund Lehnrechts verdanken – s. unten, S. 283 f. 341 Spangenberg, Einleitung, S. 650–929; vgl. dazu auch Kaspers, Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon, S. 108 f. 342 Zu den Frühdrücken vgl. Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 68–85; Nietzsche, Rez. Homeyer, Sp. 697–713; Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 16–18; Kümper, Secundum iura Saxonica, S. 106–111 (nur Zobel); Kaspers, Vom Sachsenspiegel zum Code Napoléon, S. 31–42 (mit mehreren Abb.). Zuletzt noch ausführlicher Hertel, Orientierungshilfen; vgl. ferner auch Müller, Ältere SachsenspiegelDrucke. 337
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Richel erschienenen (GW 9256).343 Noch im 15. Jahrhundert folgen zwölf, im 16. dann mindestens siebzehn weitere bekannte Druckausgaben des Landrechts. Hervorzuheben ist unter ihnen der niederdeutsche (!) Augsburger Primärdruck von 1516 aus Offizin Sylvanus Othmer, weil er als einziger die so genannte Stendaler Glosse mit abdruckt.344 Über eine nie fertiggestellte Lübecker, also wohl ebenfalls niederdeutsche Ausgabe des Sachsenspiegels weiß Dreyer zu berichten.345 343 Dazu Hagemann, Rechtswissenschaft, S. 244 f. Holzborn, Gesetzespublikation, S. 22 erklärt, es stelle „sich das Basler Recht von 1474 als Druck der Bruchschen [!] Sachsenspiegelglosse dar“. Was das bedeuten soll, ist mir nicht einsichtig geworden, ein Baseler Recht von 1474 jedenfalls bislang nicht bekannt. 344 Siehe oben, S. 176 f. 345 Dreyer, Beyträge, S. 137 f.: „[. . .] Die ganze Sache beruhet auf den Glauben eines Mannes, der seine mehresten Jahre in der Forschung der Geschichte seines Vaterlandes zugebracht, und in seinen Handschriften und Collectaneen ganz redende Zeugnisse eines unermüdeten Fleisses nachgelassen hat. Herr Ulrich Peters, der unverdrossene Antiquarius in Schleswich, der sich die Mühe gegeben, die Hofstaat der Herzöge Johann und Adolfen von Schleswich-Holstein aufzuzeichnen, und die Namen der bey diesen Prinzen in Diensten gestandenen Personen fast bis auf die Mund-Köche, Sattel-Knechte und Büchsen-Spänner ausfündig zu machen, gedenket eines Fürstlichen Kammer-Schreibers Johann Baße, eines verständigen und gelehrten Mannes, welcher sich damit beschäftiget habe, eine Ausgabe des Sachsen-Spiegels, zu gemeinen Holsteinischen Landes-Gebrauch auf seine Kosten zu veranstalten, wie er denn solches Werk dem fleißigen Buchdrucker Ludewig Diez in Lübeck aufgetragen. Herr Petersen, der sich auf ein von Diezen an Johann Baßen aus Lübeck am 12. Oct. 1533 dieserwegen erlassenes Schreiben beziehet, will hieraus schließen, daß der Buchdrucker nicht so wohl mit dem Drucke angefangen, als denselben bis auf das erste Buch, wovon er Bassen die abgedruckten Bogen zugeschickt, fortgesetzt, der Tod aber, oder ein anderer Umstand die Vollziehung behindert habe, weil man niemalen von einem zu Lübeck gedruckten Sachsen-Spiegel etwas gehört noch gesehen. Es mag also mit Bassens Verhalten seine gute Richtigkeit haben, und die Veranlassung dazu dürfte sich vielleicht errathen lassen. Zwölf Jahre zuvor, oder im Jahr 1522 hatte man in dem bekannten Holstenischen Land-GrundGesetz auch in dem Bordesholmischen Vergleich den Sachsen-Spiegel als das ordentliche Regulativ zur Entscheidung aller Rechts-Streitigkeiten in Holstein bestimmet, oder vielmehr den uralten Gebrauch dieses Rechts-Buchs bestätiget und, wie ich denke, so mogte die Erfahrung, daß doch von diesem corpore iuris Holsato-Saxonici so wenig geschriebene Codices, und gedruckte Exemplare in Holstein vorhanden waren, (denn die Zobelschen waren damals noch nicht zum Vorschein gekommen, und die vorigen auswärts gedruckten hatten sich um so seltener gemacht, als bekanntlich in den ersten Zeiten der Typographie nur wenig Exemplare abgedrucket wurden) den patriotisch denkenden Bassen veranlasst haben, diesen Mangel durch einen in der Nähe zu veranstaltenden Abdruck abzuhelfen und dadurch seine Landsleute mit dem Buche bekannter zu machen. In der That, glaube ich, würde die Ausführung des Bassens Entwurf wider jene nach siebenzig Jahren in Holstein geschehene Anfrage, welche durch ein landesherrliches Rescript erst beantwortet werden müssen, on nemlich unter dem Sachsen-Rechte, auch die Churfürstlich-Sächsische Constitutionen zu verstehen, vorgebeuget haben. Wer hätte sich doch träumen
VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“
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Die wohl einflussreichsten und am weistesten verbreiteten Ausgaben aber sind eng verbunden mit dem Namen des Leipziger Rechtsordinarius Christoph Zobel († 1560).346 Er verstand es, mit seiner erstmals 1535 in der Offizin Melchior Lotter erschienenen Landrechtsausgabe „eine Art Kompendium des sächsischen Rechts vorzulegen, wobei verkaufsstrategische Überlegungen sicherlich auch eine Rolle gespielt haben“.347 Tatsächlich sprechen die sechs weit verbreiteten Auflagen für den durchschlagenden Erfolg dieser Strategie.348 Neben einem vollständigen Text des Landrechts in deutscher und lateinischer Sprache samt einleitender Summarien und einer behutsam bearbeiteten Buchschen Glosse druckte Zobel auch die so genannten „Magdeburger Fragen“ sowie eine Reihe einschlägiger Leipziger Schöffensprüche und einige möglicherweise aus seiner Feder stammende, anonyme Trakate prozessrechtlichen Inhalts bei, so dass dem Käufer eine umfangreiche Darstellung sämtlicher Facetten des sächsischen Rechts zur Verfügung stand. Erschlossen wurde die Edition durch ein Repertorium, das in den späteren Ausgaben noch erweitert und bearbeitet wurde. Auch traten seit der zweiten Auflage von 1560 die Bulle „Salvator humanis generis“ und das vorgebliche Ottonische Privileg für Magdeburg sowie ein eigenes Register über die Magdeburger Fragen hinzu. Diese späteren Ausgaben wurden nicht von Zobels Sohn Johann, der bereits früh die militärische Laufbahn eingeschlagen hatte, sondern von seinem Schwiegersohn Georg Menius besorgt.349 Die Bibliothek und auch einen Großteil des wissenschaftlichen Nachlasses ging dagegen an den Leipziger Juristen Franz Romanus († 1636). Aus diesen Papieren gab dieser 1589 unter dem Namen des Verstorbenen auch das sächsische Lehnrecht heraus.350 Die reine Aneinanderreihung der zahlreichen Druckausgaben des 15. und 16. Jahrhunderts bedürfte, wollten wir ihre Bedeutung für die Geschichte des sächsischen Rechts wirklich greifbar werden lassen, näherer Untersuchung der konkreten Verbreitung dieser Werke, die in vielerlei Hinsicht lassen, daß solche in Holstein von einem Menschen-Kopfe hätte ausgeworfen seyn können? Doch es fällt mir die Parallel der Begebenheit ein, welche der ehemalige würdigste Director der Oberschlesischen Ober-Regierungs-Herr von Kessenbrinck erzählet, zum Beweiß, daß Salomo immer Recht behlalte, daß nichts neues unter der Sonne geschehe.“ 346 Über Zobel vgl. Kümper, Secundum iura Saxonica, S. XI–XX. Dort, S. 1–90, auch Abdruck von sechs Traktaten, die zuletzt noch von Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, S. 71 Zobel zugeschrieben worden sind. Materielle Anhaltspunkte abseits des Abdrucks in seinen Sachsenspiegelausgaben gibt es für diese Hypothese nicht (S. XIII f.). 347 Kannowski, Von hülff und exekution, S. 54. 348 Kümper, Secundum iura Saxonica, S. 106–111 (Übersicht der Ausgaben). 349 Kümper, Secundum iura Saxonica, S. XII. 350 Zobel, Sechsisch Lehnrecht.
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kaum oder nur mit größter Mühe ermittelt werden können. Das betrifft Auflagenhöhen, Preise und Besitzer solcher Werke. Interessante Überlegungen hat im Anschluss an jüngere Arbeiten auf dem Gebiet der allgemeinen Buchgeschichte vor kurzem noch Alexander Rogatschewski dazu angestellt, der einiges Material zum Preis einzelner Rechtsbücherhandschriften und -drucke zusammengetragen und mit der preußischen Lohn- und Preisgeschichte in Beziehung gesetzt hat.351 In dieser Richtung wäre noch anzuknüpfen. Bis dahin müssen wir uns mit der wohl auch berechtigten Annahme bescheiden, dass die zahlreichen Ausgaben und die relativ hohe Zahl noch erhaltener Exemplare, vor allem der Zobelschen Editionen, ein hinreichendes Indiz für die große Verbreitung der Sachsenspiegeldrucke sei. Im 16. Jahrhundert steigt Leipzig aber nicht nur zu einem der größten Zentren sächsischer Buchdruckerei, sondern auch zum Zentralort des sächsischen Rechts auf. Der Wegfall der Konkurrenz aus Magdeburg im Jahre 1547 tut dazu ein Übriges.352 In Leipzig konzentrieren sich nun sowohl die landesherrlichen Gerichte als auch der von kurfürstlicher Seite privilegierte Schöffenstuhl.353 Welche Autorität aber die Magdeburger noch um die Jahrhundertmitte in Sachen des Sachsenrechts besessen haben, mag eine Anfrage der kurfürstlichen Kanzlei an den Magdeburger Rat vom Dezember 1554 verdeutlichen: „Nachdem itzo im werck, das wir die sipschafft des hauses zu Sachsen beschreiben lassen, dartzu zuwissen vonnoten, bei welches kaisers zeiten herr Eck von Repkau, welcher den Sachsenspiegel geschrieben, am leben gewesen, und ir solchs ane zweivel am besten wisset oder euch leichtlich erkunden konnet, als ist unser gnedigs begehren, ir wollet euch dessen, wo ir wisset, erkunden und uns solchs bei zeigern ditz briefes durch ewer schreiben vorstendigen.“354
Wenn also die Erinnerung an die althergekommene Verbindung der Elbmetropole zum Sachsenrecht offenbar noch immer lebendig war, so war es doch die florierende Universitätsstadt Leipzig, aus der von nun an die wesentlichen Impulse zur Fortbildung des sächsischen Rechts kommen sollten. Die Rezeption der gelehrten Rechte und die daraus entstehenden Normenkonflikte machten die Entwicklung einer ausgearbeiten Rechtsanwendungslehre, vor allem für die Gerichtspraxis, notwendig.355 Wichtige prozessrechtliche Werke der Rezeptionszeit in Sachsen sind der „Processus 351
Rogatschewski, Alter Kulm, S. 202–207. Lück, Magdeburger Schöffenstuhl, S. 147. 353 Zum Leipziger Schöffenstuhl siehe oben, S. 257 ff. 354 Zit. nach Weber, Aus vier Jahrhunderten, Bd. 2, S. 462 f. Das Magdeburger Antwortschreiben hat Distel, Kleine Nachrichten, S. 192 vergeblich gesucht. 352
VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“
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und Practica der Gerichtsleuffte“ des Kilian König (1503/04)356 und Georg von Rotschitz’ „Gerichtsläufte“ (1529).357 Breßler hat beide für seine Studien zum sächsichen Einlager mit herangezogen;358 auf König hat sich auch Kannowski in seiner Arbeit über den Fronboten bezogen.359 Ansonsten aber sind diese beiden wichtigen und viel rezipierten Werke in der jüngeren rechtshistorischen Literatur sehr vernachlässigt worden.360 Die ähnlich klingenden Titel weisen auch auf ähnliche Gebrauchsansätze hin:361 Ihnen war es nicht oder zumindest nicht nur um das gemeinrechtliche Verfahren, sondern um den praktischen Prozessablauf vor Gericht bestellt, den beide als praktisch tätige Juristen bestens kannten. Da beide im Gebiet des sächsischen Rechts praktizierten – König in Zwickau, Rotschitz in Freiberg –, stellten sie so vor allem den sächsischen Prozess dar, der durch diese Schriften seine erste, grundlegende schriftliche Ausgestaltung erhalten sollte. In die Reihe dieser Werke gehören auch eine Anzahl bereits erwähnter anonymer Kurztraktate zum sächsischen Prozessrecht, die sich den Zobelschen Sachsenspiegelausgaben beigedruckt finden.362 Behandelt werden der Lehnsprozess, der Prozess in bürgerlichen und peinlichen Sachen, Acht, Verfestung und Appellation, außerdem werden umfassende Ausführungen über Gewette und Bußen angestellt. Diese in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts entstandenen Arbeiten haben Lehrbuchcharakter. Mit Ausnahme des Verfestungstraktats allegieren sie äußerst sparsam und beschränken sich dagegen in der Regel auf das Zusammenstellen handlicher Regeln,363 wie beispielsweise: 355 Grundlegend dazu Wiegand, Rechtsanwendungslehre – weiterentwickelt von dems., Prozessuale Bedeutung; vgl. außerdem ders., Herkunft; Trusen, Römisches und partikuläres Recht; Oestmann, Grenzen. 356 Mir lag die Ausgabe König, Practica und Proceß, von 1588 vor; erschienen ist das Werk erstmalig 1541. 357 Rotschitz, Gerichstsleuffte. Als „Gerichtsleuffte“ bezeichnet sich im Übrigen auch eine Eisenacher Gerichtsordnung ungefähr derselben Zeit, gedruckt bei Ortloff, Sammlung, Bd. 2, S. 360–377. 358 Breßler, Schuldknechtschaft, S. 168–180. 359 Kannowski, Von hülff und execution. 360 Zu Recht beklagt Breßler, Schuldknechtschaft, S. 169 Fn. 111, dass im „Bereich der sächsischen [Prozessrecht-]Literatur vor Carpzov [. . .] sich erhebliche Forschungslücken“ zeigten. Sellert, Sächsischer Prozeß, weist einen Wesentlichen Einfluss Prozess- und Gerichtsordnung von 1622, aber auch den Konstitutionen von 1572 zu. 361 Zum Begriff „Gerichtslauf“ vgl. auch Weitzel, Gewohnheiten, S. 328. 362 Siehe dazu oben, S. 277, Anm. 346. 363 Ich bin daher geneigt, zumindest für den Verfestungstraktat einen anderen Verfasser als für die übrigen anzunehmen; vgl. Kümper, Secundum iura Saxonica, S. XIII.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
„VON WETTEN VND BUSSEN, AUCH ALLERLEY BRÜCHEN VND STRAFFEN / NACH SÄCHSICHEM RECHT / VND DESSELBIGEN GEBRAUCH. Erstlich ist zu wissen / daß der Sachsenspiegel Busse heist / was man dem part / als ein straff für sein erlitten schmachheit vnd vnrecht verpflicht / Vnd Wette / damit man den Gerichten bessert / oder abtrag thut. Vnd ist das erstlich ein gemeine Regel Sächsisches Rechtens / so offt dem part Busse verwirckt wirdt / so offt ist dem Richter das Gewette auch verwirckt.“364
Dieses kurze Beispiel zeigt in durchaus exemplarischer Weise die Argumentationsweise sächsischer Juristen im 16. Jahrhundert. Der Sachsenspiegel gilt als selbstverständliche Quelle gültigen Rechts, wird aber in diesem Fall nur genannt und nicht mit einer konkreten Belegstelle allegiert. Daneben wird eine allgemein bekannt vorausgesetzte „gemeine Regel Sächsisches Rechtens“ angeführt. Der Grundatz, dass der Richter so oft ein Gewette erhält wie die klagende Partei ihre Buße, wird dabei wahrscheinlich aus dem Sachsenspiegel, wohl aus Ssp. Ldr. III 32 § 10 und vielleicht Ldr. III 53 § 2, deduziert. Der Verfasser fährt fort: „Vnd auß krafft dieser Regel wirdt eingeführt / ob wol der Sachsenspiegel vnterweilen deß parts abtrag / wie hoch der geschehen soll / nicht außdrückt / so gebürt doch dißfalls dem Richter sein gewette gleichwol / auß dem grund das der Sachsenspiegel ordnet / woran der part zu Sachsenrecht bußfellig wirdt dem parte / daran wirdt er auch wetthafftig vnd schuldig abtrag zuthun dem Richter [. . .]“
Nun wird also der normsetzenden Autorität des Sachsenrechts ein Kommentar zur Beseitigung einer Unklarheit beigegeben. Die allgemeine Regel setzt das Rechtsbuch, die konkrete Ausformung aber bleibt, wo etwas „nicht außdrückt“ ist, der Jurisprudenz überlassen. Das ist insofern bemerkenswert als der Spiegel eigentlich ausgesprochen sparsam mit allgemeinen Regeln und Setzungen umgeht, vielmehr oft genug gerade auf den Einzelfall abhebt. Dass eine solche Deduktion möglich sei, unterstellt dennoch der anonyme Verfasser des Traktats. Denn gerade die Fortführung seiner Exegese unterstellt ja, dass aus dem Sachsenspiegel allgemeine Prinzipien ableitbar seien, nach denen einzelne, unklare Stellen erhellt werden könnten. Ebenfalls exegetisch, aber mit anderer Zielsetzung stellt sich eine bemerkenswerte Erscheinungsform der wissenschaftlichen Auseinandersetzung zwischen tradierten und gelehrten Rechten, die bislang nur wenig erforschte Differentien- oder Konkordanzenliteratur der Frühneuzeit, dar.365 In der besonderen, das gemeine dem sächsischen Recht gegenüberstellenden Ausprä364
Zit. nach Kümper, Secundum iura Saxonica, S. 69. Kümper, Secundum iura Saxonica, S. XVI–XVIII; Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 155–157; Stintzing/Landsberg, Geschichte, S. 549–551; Schilp, Literatur, S. 172 f.; zu den Wurzeln der frühneuzeitlichen Differentienliteratur in der Glossatorenzeit vgl. Dolezalek, Differentienliteratur. 365
VIII. Aus der Wiege der „sächsischen Rechtswissenschaft“
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gung ist sie ein Phänomen der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts; das Genre selbst aber kann auf zum Teil weit in das Mittelalter zurück reichende Vorgänger aufbauen.366 Dem gelehrten Einschlag dieser Arbeiten entspricht es, dass sie auch gegen Ende des 16. Jahrhunderts noch immer durchgängig in lateinischer Sprache verfasst worden sind. Zu den frühen Vertretern der gemeinrechtlich-sächsischen Differentienliteratur gehört der insgesamt nur wenig beachtete Sebastian Stelbagius, aus dessen „Epitomes“ ich folgende Gegenüberstellung als Beispiel gebe:367 „Res comodata surrepta sive alienata utrum a possessore vel comodatario est repentenda? IVRE CIVILI, Si res fuerit comodatario surrepta, vel quovis modo alienata, Dominus rei habet electionem, utrum velit agere contra furem, vel alium in quem est facta alienatio rei commodatae, vel ipsum commodaturium, l. fin: §. tales, C. de furtis, §. Qui fulloni, Insti: de obligationibus quae ex delicto nascuntur. Estque ratio, quia iure civili posseßio & dominium rei commodatae non transfertur, sed utrumque penes ipsum commodantem manet, l. rei commodatae, ff. comodati, sicut & eodem iure rei depositae, & pignor atae posseßionem retinemus, l. 3. §. rei, ff. depositi. STATV: vero SAXO: contrarium statuitur, ut apparaet ex tex: Landtr. lib: 2. art: 60. Ubi traditur, Si commodatarius rem sibi commodatam terbio alici vendat, aut quovis modo alienet, ipsum dominum commodantem nullam habere actionem contra illum in quem commodatae rei alienatio facta est, sed oportere eum agere contra commodatarium, Unde liquet, eo iure & dominium & posseßionem transferri in commodataruim, Ex quo ipsi domino non datur vendicatio rei suae in alium translatae, Quod cum sit valde durum atque odiosum, non extenditur ultra, neque ad depositum neque ad pignus, neque similia, Licet vigore illius tex: generaliter loquentis, videatur id fieri posse, imo restingitur modo dictum statutum iuris Saxo: Adeo ut si tertius ille in quem comodata res alienata est, non fuerit in bona feude, puta si sciverit rem istam in se alienatam, suisse comodato datam alienanti, Quod tunc liceat domino commodanti rem suam a terbio isto possessore vendicare, Et merito quidam, ne cui suus dolus per occasionem iuris contra naturalem aequitatem profit, iux: tex: in L. 1 ff. de doli mali except: & l. verum est, §. Tempus, ff. pro socio, c. sedes apostolica in fin: extra de rescript: cum similibus.“
Die ersten und berühmtesten Differentiensammlungen der sächsischen Rechtswissenschaft gehen allerdings auf Benedikt Reinhardt und Ludwig Fachs zurück. Beide entstehen etwa zeitgleich in den Jahren um 1550 und werden später miteinander verbunden.368 Sie haben, gemessen an der Zitier366
Vgl. Coing, Römisches Recht in Deutschland, S. 41 f. Stelbagius, Epitomes, fol. 194v–195v – warum Schletter, Constitutionen, S. 8 die Sammlung als Vorläufer der Fachsschen Differentien erwähnt, ist mir nicht nachvollziehbar. Beide Werke unterscheiden sich in Aufbau, Grundtendenz und Bearbeitung erheblich. Außerdem dürfte Fachs’ Arbeit bereits deutlich vor derjenigen von Stelbag fertiggestellt worden sein. 368 Erstmals in der Ausgabe Köln 1569. 367
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
häufigkeit, bis in das 17. Jahrhundert hinein außerordentlich großen Einfluss auf die sächsische Jurisprudenz genommen und spielen auch bei den Beratungen im Vorfeld der Kursächsischen Konstitutionen eine gewisse Rolle.369 Die zahlreichen Neuausgaben wurden stetig überarbeitet und vermehrt. Auch Franciscus Romanus, von dem wir bereits hörten, gab aus dem Zobelschen Nachlass nicht nur die erwähnte Lehnrechtsausgabe, sondern auch eine umfangreiche Differentiensammlung heraus, die sich explizit als Ergänzungen zu den „jurisconsulti praeclarissimi“ Fachs und Reinhard verstand, ausführliche Konkordanzen mit den vorhergehenden Differentien beigab (S. 4–42) und erstmals auch die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 in die Darstellung mit einbezog.370 Außerdem gab Zobel seiner geplanten und durch Romanus publizierten Ausgabe, wie schon den Sachsenspiegeleditionen, eine Zusammenstellung von für die jeweiligen Differentien einschlägigen Schöffensprüchen des Leipziger Schöffenstuhls (S. 728–818) und ein ausführliches, alphabetisches Repertorium bei. Auch dieses Werk zeigt deutlich Zobels ausgeprägtes Gespür für verkaufsträchtige, praxisnahe Aufarbeitung, das seinen Sachsenspiegelausgaben so nachhaltigen Erfolg sicherte.371 Während das 17. Jahrhundert, wohl auch wegen der alles überstrahlenden Wirkmacht der weiter unten noch näher zu besprechenden sächsischen Kriminalwissenschaft um Carpzov, keine neuen Arbeiten in dieser Richtung gesehen hat, erschienen bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts wieder eine ganze Reihe von Arbeiten – zumeist Dissertationen –, die sich mit den spezifischen Differentien zwischen partikulärem, nicht nur sächsischem Rechtsbrauchs und Ius commune auseinandersetzen, ohne aber, dass sie in Umfang und Form wieder an die Tradition der Differentienliteratur anknüpfen würden.372 Der Grundton der Differentien ist romanisierend; nur in Einzelfällen versuchen die Verfasser, die fortgeltende Wirkung sächsischer Rechtssätze gegenüber dem Ius commune durchzusetzen, streben meist eine Harmonisierung an. Es heißt aber, ihren Einfluss überschätzen, wenn man wie Rietsch behauptet, die Differentienliteratur habe endgültig „dem römischen Rechte die Bahn“ gebrochen.373 Unzweifelhaft reagiert diese Literatur gerade erst auf die Ubiquisierung des römischen Rechts in der Rechtspraxis, zum Teil gar eher mit konservativen Tenden369
Schletter, Constitutionen, S. 111. Zobel, Differentiae. 371 Kannowski, Von Hülff und exekution, S. 54; Kümper, Secundum iura Saxonica, S. XIX f. 372 Beispielsweise Nehring, Jus Saxonicum discrepano. In gewisser Weise in dieser Tradition steht auch noch Hedluf, De Successione. Außerhalb des sächsischen Rechtsgebietes wären etwa Johann Dietz, Dissertatio, oder Lippe, Differentiae, zu nennen. 373 Rietsch, Stadtbuch von Falkenau, S. 5. 370
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zen, die den Platz des sächsischen gegenüber den gelehrten Rechten zu verteidigen suchen. Ob darin aber zugleich die „Anfänge der germanistischen Wissenschaft“ im Sinne der deutschen Privatrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts zu sehen sein werden, wie Stobbe ausdrücklich behauptet,374 scheint nicht minder überschätzt. Über die prozessrechtlichen Literatur darf aber, wie Heiner Lück gezeigt hat, auch die große Bedeutung der Rechtsgewohnheit für die zeitgenössische Gerichtspraxis nicht übersehen werden.375 Besondere Beachtung unter den Bearbeitern des sächsichen Recht im ausgehenden 16. Jahrhundert verdient schließlich der Wittenberger Kanonist Melchior Kling († 1571), der wegen seiner Reibereien mit Luther zwar von der Reformationsgeschichte einigermaßen, von der jüngeren Rechtsgeschichte aber bis vor kurzem trotz eines weit verbreiteten Institutionenkommentars und einer wichtigen Schrift über das Eherecht so gut wie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden ist.376 Neben kanonistischen Schriften sind von ihm eine Reihe von Konsilia,377 vor allem aber seine Bearbeitungen des sächsischen Land- und Lehnrechts bekannt. Nachdem Kling sich bereits zuvor brieflich gegenüber dem Kurfürsten anerboten hatte,378 die dringend notwendige Überarbeitung des Sachsenspiegels vorzunehmen, erschien 1571379 sein „gantzes sechsisch Landrecht“. In der Vorrede an Herzog August entschuldigt er sich, er könne der Bitte, „ich sollte mit hinein bringen / Was im brauch oder nicht im brauch were“ nicht nachkommen, denn „in Stedten haben sie sonderliche Statuta / auff dem Lande sonderliche gewonheit die nicht gleich sein / welche ich auch nicht weis.“ Neben solchen statuarischen und gewohnheitsmäßigen Besonderheiten, un374
Stobbe, Handbuch, S. 24. Lück, Gewohnheitsrecht; ders., Herkommen. 376 Über ihn vgl. Kümper, Melchior Kling; einschlägig ansonsten noch immer Wieacker, Gründer und Bewahrer, S. 95–104 sowie Stintzing/Landsberg, Geschichte, Bd. 1, S. 274–278 (Text) und S. 304–310 (Noten). Eingehend jetzt auch Lieberwirth, Melchior Kling; ders., Reformations- und Reformjurist. Zu Klings eherechtlichen Schriften vgl. vor allem Mejer, Geschichte, und Lück, Anfänge des Eherechts. 377 Goeden, Consilia. Ein weiteres Konsilium findet sich gedruckt bei Pistoris, Consilia, Bd. 1, S. 770–780, obwohl Kling weder im Titel noch in der Vorrede erwähnt wird. Über Goeden und Pistoris vgl. im Übrigen Pauly, Staatsrechtslehrer. In den in diesem Beitrag besprochenen Gutachten zur Königswahl von 1519 beruft sich offenbar keiner der beiden auf die einschlägigen Passagen des Sachsenspiegels, sondern stehen – im Grunde wenig verwunderlich – die Bestimmungen der Goldenen Bulle von 1356 im Mittelpunkt. 378 Teilweise gedruckt bei Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 148 Fn. 20. 379 Stintzin/Landsberg, Geschichte, Bd. 2, S. 549 nennt 1572 als Erscheinungsjahr; dagegen mit gutem Grund Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 1, S. 3. 375
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
ter denen Kling vor allem „Erbe / Gerade / Mustheil / Heergewette“ verstand, fiel sein Urteil über die Gültigkeit des Sachsenrechts insgesamt recht pauschal aus: „Etliche stücke weis man / die nicht gehalten werden / Erstlich was von Ehesachen / Ehescheidung / und vom Kampff gesatzt / darinnen das Sechsisch recht nicht zu ordnen hat / der Kampff ist gar aus dem brauch kommen / sonst heisset es Lex semper loquit, & est in viridi observantia, nisi sit sublata per statuta vel consuetudines speziales. Die kan kein gelerter wissen / wie es hin und wider auffm lande gehalten wird. Was die Wahl eines Römischen Königs betrifft / und anders mehr / achtet man nicht / was im Sachssenspiegel davon gesagt / Sondern man hat die güldene Bulle / Doch weil ich es also gefunden / habe ich es auch gesetzt / denn es nicht viel wider die güldene Bulle ist.“380
Was nun die letztgenannte Bulle von 1356 angeht, so zeigt sich Kling in der Tat durchaus freigiebig in der Behandlung der Materie, begnügt sich in der Regel mit einem „Dieses alles gehöret in die güldene Bullam Caroli Quarti / die wird gehalten.“ sobald die Bestimmungen auch nur entfernte Verbindungen aufweisen, ohne sich um die Abweichungen im Detail weiter zu bekümmern. Im Hinblick auf die Sondervermögen und das Eherecht enthält er sich, wie angekündigt, weitgehend einer eigenen Kommentierung. Die meisten seiner Einfügungen, die durchweg mit „KLING.]“ als solche gekennzeichnet sind, bleiben ausgesprochen knapp, oft nicht mehr als ein kurzer Satz. Selten schiebt Kling ausführlichere eigene Kommentierungen ein, so beispielsweise bei der gelobten Gewere (Ssp. Ldr. II 15),381 bei den Deichbestimmungen (Ssp. Ld.r I 56)382 oder zur Frage der Schuldentilgung aus einer Erbmasse (Ssp. Ldr. III 31).383 Auch bei diesen Stellen ist es zumeist der Wunsch nach Systematisierung und nach Konkordanz mit den Begrifflichkeiten der gelehrten Juristenausbildung und nicht eine notwendige Korrektur, der die Feder führt, beispielsweise wenn Kling bei der Besprechung des Vormundschaftsrechts (Ssp. Ldr. I 42) ausführt: „Nach Sachssenrecht sind dreierley Vormünden / Erstlich die Agnaten oder Schwerdmagen / die heist man legitimos tutores, denn mus die Administration durch den Richter decerniert werden. Zum andern / Eheliche Vormünden. Zum dritten / Vormünden die der Richter gibet / das ist / dativa tutela. Von den Vormünden die in Testamenten gegeben werden / ist nichts im Sechsischen Rechten.“384 380 381 382 383 384
Kling, Kling, Kling, Kling, Kling,
Sechsisch Sechsisch Sechsisch Sechsisch Sechsisch
Landrecht, Landrecht, Landrecht, Landrecht, Landrecht,
fol. fol. fol. fol. fol.
9v. 52r. 98r. 126v. 88v und 89r.
IX. Die Kursächsischen Konstitutionen von 1572
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Klings Systematisierung gibt zwar die meisten, aber nicht alle Artikel des Landrechts. Ob das als bewusster Akt zu werten sein wird, muss offen bleiben. Jedenfalls fehlt beispielsweise der später noch eingehender zu erörtende Paragraph Ssp. Ldr. III 78 § 2 (nach herrschender Lesart das „Widerstandsrecht“)385 vollständig, obwohl der darauf bezügliche, vorgehende § 1 in den zweiten, prozessrechtlichen Teil gesetzt wird.386 Gegen eine bewusste Kürzung um einzelne Paragraphen spricht, dass Kling durchaus auch Materien und einzelne Sätze zusammenstellt, die er ausdrücklich als nicht mehr in Übung oder gar der Rechtspraxis zuwider bezeichnet, beispielsweise zu Fragen der Urteilsschelte.387 Durchschlagender Erfolg ist der Klingschen Bearbeitung versagt geblieben. Man wird vermuten dürfen, dass das Erscheinen der Kursächsischen Konstitutionen nur wenig später seinem Werk einiges an Marktwert geraubt haben dürfte.388
IX. Die Kursächsischen Konstitutionen von 1572 Es ist bereits in den Einleitungskapiteln angeklungen, dass die Struktur des Sachsenspiegels bereits im 14. und nachdrückerlicher dann im 15. Jahrhundert als mühsam, oft dunkel betrachtet wurde.389 Entsprechend groß musste das Bedürfnis nach einer Klärung der widersprüchlichen Rechtslage sein. So wandten sich 1565 die sächsischen Stände an den Kurfürsten: „Es werden in den Schöppenstühlen in Ew. Churf. Gn. Landen in vielen Fällen ungleiche und widerwärtige Urthel gesprochen, daraus nicht kleine Unrichtigkeiten erfolgen; bitten deshalb Ew. Churf. Gn. geruhen gnädigst etzliche fürnehme Juristen beneben etzlichen der Landschaft, so der Landesbräuche kundig, zu verordnen, die solcher streitigen Fälle halber sich nothdürftig unterreden wie hinfüro darin gesprochen werden soll, vergleichen.“390
In der Tat sah sich Kurfürst August († 1586) veranlasst, dem Drängen der Stände, das durchaus nur Ausdruck einer schon länger schwelenden und wohlmöglich auch zuvor bereits diskutierten Unzufriedenheit mit der unsicheren Rechtslage zwischen Sachsenspiegel und Rezeptionsrecht war, nachzugeben und eine grundlegende Beantwortung jener zahlreichen Streitfälle in die Wege zu leiten.391 Am Schluss dieser Bemühungen stehen die Kur385
Siehe dazu unten, S. 555 ff. Kling, Sechsisch Landrecht, fol. 41r. 387 Siehe unten, S. 547 ff. 388 Freilich zieht beispielsweise Goldbeck, De Successione, durchweg die Klingsche Ausgabe und ausgiebig auch dessen Kommentierung heran. 389 Siehe oben, S. 188 ff. 390 Zit. nach Schletter, Constitutionen, S. 38 f. 391 Eingehend dazu Muther, Kleiner Beitrag. 386
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
sächsischen Konstitutionen,392 jene „hervorragendste[.] Landesgesetzgebung des 16. Jahrhunderts“,393 die sich – so das Urteil Kunkels – „in ihrem ganzen Wesen durchaus von den auf Laien berechneten und darum möglichst elementaren Rechtsaufzeichnungen der anderen Territorien“ unterscheide, sich „eher der gelehrten Entscheidungs- und Konsilienliteratur“ annähere.394 In der Tat handelt es dabei nicht um eine Landrechtskodifikation oder Malefizordnung, wie wir sie aus anderen Territorien der Zeit kennen, sondern um eine umfangreiche Sammlung von Einzelentscheidungen strittiger Rechtsfälle, die kurfürstlich legitimiert und damit zum Gesetz erhoben wurden. In dieser Hinsicht sind die Kursächsischen Konstitutionen einzigartig. Entgegen der großen Bedeutung und des einhellig positiven Urteils über ihre gesetzgeberische Qualität sind die Konstitutionen von der Rechtsgeschichte aber auffallend stiefmütterlich behandelt worden. Kaum liegen monographische Schriften oder umfänglichere Aufsätze vor.395 So bleibt nur die noch immer grundlegende, seitdem nicht erreichte Darstellung zu Inhalt, Quellen und Einfluss der Konstitutionen, aber bereits 1857 von Hermann Theodor Schletter vorgelegte Studie.396 Die Vorgeschichte der Kursächischen Konstitutionen ist durch reiches, aber sehr verworren auf uns gekommenes und kaum bearbeitetes Material überliefert. Am Anfang stehen eine Reihe Gutachten der beiden beteiligten Juristenfakultäten, die in der älteren Literatur oft auch jeweils nach ihren Verfassern benannt werden, obwohl sie nicht als eigenständige Gutachten einer einzelnen Person, sondern wohl mehr als Ergebnisprotokoll der Beratungen anzusehen sind. Das erste Wittenberger Gutachten (casus Teuberi) verfasste der dortige Ordinarius und Hofgerichtsassessor Michael Teuber, der später auch noch eine private Zusammenstellung von 28 weiteren Rechtsfragen (casus speciales Teuberi) in die Diskussion einbrachte. Es enthielt zunächst 136 Einzelfragen, die „sich vast teglichen begeben und in Rechten ungewiß, auch uf mancherlei Opinion und Maynung von den Rechtsgelehrten gezogen werden“.397 Dagegen enthielt das Leipziger Gut392 Für die privatrechtlichen Sätze findet sich ein leicht greifbarer Textabdruck bei Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. 243–319. Ich nutze ferner die Ausgabe in Haubold, Handbuch, S. 1–142. 393 Gierke, Privatrecht, S. 68. 394 Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXV. 395 So hat sich nur eine einzige Dissertation – Eberle, Probleme – in den letzten fünfzig Jahren explizit mit den Kursächsischen Konstitutionen beschäftigt. Einige Beachtung haben die Konstitutionen noch im Umfeld der Carpzov-Forschung, hier vor allem in Fragen der Folter und der Hexenverfolgung gefunden; vgl. Schmidt, Hexereidelikt. 396 Schletter, Constitutionen; vgl. ferner auch Meißner, Bemerkungen. Unbrauchbar ist die Darstellung bei Holzborn, Gesetzespublikation S. 80–84.
IX. Die Kursächsischen Konstitutionen von 1572
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achten aus der Feder des Jacob Thoming (causus Thomingi) zunächst nur neun, erst in einem nachträglich eingereichten Anhang 86 weitere strittige Punkte. Diese beiden Schriften wurden wiederum der Wittenberger Fakultät vorgelegt, woraus eine dritte Stellungnahme, abgefasst von Matthäus Wesenbeck (casus Wesenbecii), entstand.398 Auf der Grundlage von diesen knapp 300 Einzelfragen wurde der erste Entwurf der Konstitutionen auf mehreren Versammlungen von Vertretern der beiden Juristenfakultäten, der Hofräte, später auch der ritterschaftlichen Landtagsausschüsse, aber ohne Zuziehung der Städte, erarbeitet, deren Abschluss ein Treffen in Meißen zu Beginn des Jahres 1572 bildete. Die letzte Redaktion erfolgte durch den kurfürstlichen Rat Dr. Georg Cracau († 1575), der an den Beratungen zu Meißen selbst nicht teilgenommen hatte.399 Darauf folgte die Publikation durch kurfürstliches Reskript vom 21. April 1572, zunächst mit handschriftlichen Exemplaren für Hofgerichte und Schöffenstühle,400 im Juli des Jahres dann auch im Druck.401 Neben dem weit verbreiteten Hauptwerk der Konstitutionen wurden ebenfalls bereits 1572 neun „constitutiones separatae“ zu einzelnen lehenund strafrechtlichen Fragen erlassen und in kleiner Auflage für den Amtsgebrauch publiziert.402 Nicht als Gesetze publiziert und auch nicht in Form der übrigen Konstitutionen redigiert, sondern weitgehend in Form der Leipziger Beratungen verblieben sind die so genannten „constitutiones ineditae“,403 die zwar erst im 19. Jahrhundert in den Druck gelangten,404 jedoch 397 Zu den Gutachten vgl. Schletter, Constitutionen, S. 43–49. Mir lag die Sammlung Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 468 vor, die auch Teile der Wesenbeckschen Additiones beinhaltet. 398 Schönwetter, Conclusiones, Bd. 1. Über Wesenbeck vgl. Lück, Wesenbeck. 399 Über ihn vgl. noch immer anon., Versuch. Diese Arbeit ist nicht nur die einzige ausführliche Quelle zu dessen Lebensgeschichte, sondern auch eine wichtiges und oft herangezogene Darstellung zu den Konstitutionen von 1572. 400 Zu den erhaltenen Exemplaren vgl. Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXVII. 401 Zu den frühen Ausgaben vgl. Schletter, Bibliographie. 402 Vgl. dazu Schletter, Constitutionen, S. 88. 403 Darüber vgl. Schletter, Constitutionen, S. 91–111 sowie noch immer Günther, De origine. Gegen diese Schrift ließ Christian Friedrich Göschel 1781 in Dresden einen offenen Brief publizieren, dessen einzig nachweisbares Exemplar in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden (Sig. Hist.Sax.K.112.m, misc.4) verwahrt wird. Dort finden sich im Übrigen auch die mit reichen handschriftlichen Notizen versehenen Handexemplare der „Commentatio“ sowohl des Verfassers selbst (Sig. Hist.Sax.K.504) als auch seines vehementen Gegners Friedrich Rudolf Lauhn (Sig. Hist.Sax.K.112.m, misc. 1) verwahrt. Lauhn vertrat im Gegensatz zu Günther die uneingeschränkte Geltung aller Constitutiones ineditae; vgl. Schletter, Constitutionen, S. 26 (dort auch Literaturnachweise). 404 Teilabdruck bei Haubold, Handbuch, S. 125–164; vollständig nach einer Dresdner Handschrift dann bei Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. 304–318.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
eine vergleichsweise weite handschriftliche Verbreitung gefunden haben.405 Die Einführung der Konstitutionen ist nicht allerorts ohne Widerstände verlaufen. Besonders das sächsische Freiberg bemühte sich vehement und über Jahre hinweg um die Beibehaltung ihres gewillkürten Ehegüterrechts und des herkömmlichen Rechtsganges.406 Auch andernorts scheint es zu Beschwerden gekommen zu sein,407 so dass in den Jahren 1604/05 eine Revision vorbereitet wurde, die aber nicht zum Abschluss kam.408 Erst mit den 91 „Decisiones electorales Saxonicae“ von 1661, die nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung der Konstitutionen von 1572, als „erledigung derer zweifelhafter rechtsfelle“, firmierten, wurde wieder ein größeres Werk kurfürstlicher Gesetzgebung publiziert,409 dem 1746 dann 40 weitere „decisiones novae“ folgten.410 Von großer Bedeutung für die Entstehungsgeschichte der Konstitutionen, nicht minder also für die Geschichte der wissenschaftlichen Diskussion um das Gemeine Sachsenrecht, sind die so genannten „Consultationes constitutionum Saxonicarum“,411 weil sie trotz „Lücken und zahlreicher Fehler, namentlich in den Zitaten [. . .] in fast allen Punkten ein hinreichendes, in vielen Fällen ein geradezu überreiches Material für die Erläuterung und geschichtliche Einordnung der Konstitutionen“ zur Verfügung stellen.412 Dabei handelt es sich um eine zunächst recht willkürliche Zusammenstellung unterschiedlichster Schriften, die teils nicht einmal mit der Konstitutionsgesetzgebung zu tun haben. Das Werk geht auf eine Handschrift zurück, die der Frankfurter Buchhändler Johann Theobald Schönwetter vom Kammergerichtsadvokaten Anton Columbinus erwarb. So finden sich im ersten Band die drei „casus“, die eigentlich als nicht öffentliche Absprachen zwischen den Schöffenstühlen beschlossenen „constitutiones ineditae“ und die 405
Schletter, Constitutionen, S. 91–128; Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXVI. Darüber informiert ausführlich mit Abdruck zahlreicher Aktenstücke Klotzsch, Geschichte, S. 59–72 und S. 102–140. Zum Freiberger Rechtsgang vgl. Retzlaff, Entwicklung. Der Text des Stadtrechtsbuches ist gut greifbar im Cod. dipl. Sax. reg. II, 14, S. 1–153. 407 Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXVIII. 408 Vgl. Schletter, Constitutionen, S. 346–349. 409 Gedruckt bei Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, Sp. 294–340. 410 Gedruckt bei Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, S. 349–362 – zur Sache vgl. Haubold-Günther, Sächsisches Privatrecht, S. 20 (§ 23). 411 Schönwetter, Illustres aureae; ders., Variarum. Dieses Werk wird gemäß dem derzeitgen wissenschaftlichen Sprachgebrauch als „Conclusiones“ mit Angabe der Bandzahl (1: Decisiones, 1599, 2: Resolutiones, 1600) zitiert. Der Titel leitet sich von der allerdings erst 1616 in Frankfurt a. M. erschienenen Ausgabe des dortigen Stadtsyndikus Peter Frider (Mindanus) her, die den Titel „Consulationum Saxonicarum [. . .] libri qunique“ trägt. 412 Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXVIII–XLI, hier S. XL. 406
IX. Die Kursächsischen Konstitutionen von 1572
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„constitutiones separatae“. Der Abdruck der einzelnen Gutachten und Stellungnahmen geht aber mitunter so durcheinander, dass das Studium der „Consultationes“ ein schwieriges und undankbares Unterfangen bleibt, das durch die hilfreichen Studien von Schletter nur zum Teil vereinfacht wird.413 Die Konstitutionen haben bis in das 17. Jahrhundert hinein vor allem durch Moller, Berlich und Carpzov einflussreiche und mehrfach nachgedruckte Kommentierungen erfahren. Eine bemerkenswerte Bearbeitung nach dem System der Institutionen, die sich an „ceterum non viris doctis, sed tironibus, qui in iure patrio erudiri cupiunt“ wandte und einigen buchhändlerischen Erfolg für sich verbuchen konnte, legte der rechtshistorisch bereits einschlägig profilierte August Friedrich Schott († 1792) vor.414 Der handliche Band gibt sparsame Verweise auf die älteren sächsischen Rechtsquellen, durchweg aber Hinweise auf wichtige Rechtsfälle und die Stellungnahmen der großen sächsischen Rechtsgelehrten sowie die neuere kursächsische Gesetzgebung. Die Konstitutionen haben aber nicht nur zahlreiche Nachdrucke erfahren und die sächsische Rechtspraxis nachhaltig geprägt,415 sondern auch einen gewissen Einfluss auf die außersächsische Rechtsentwicklung entfaltet. Spuren der Rezeption sind in der Frankfurter Reformation von 1578,416 im Hamburger Stadtrecht von 1603417 und in den preußischen Landrechten von 1620 und 1721418 nachgewiesen, für das Lüneburger Stadtrecht von 1577/83419 immerhin mit gutem Grund vermutet worden. Noch ganz unter dem Eindruck der wenige Jahre zuvor erlassenen Konstitutionen sprach 1579 Matthias Coler († 1587),420 ein Schüler sowohl von Pistorius als auch von Zobel, in Jena „de origine, progressu et utilitate juris 413 Schletter, Constitutionen, S. 131–192; vgl. dazu auch Schmidt, Hexereidelikt, S. 131 Fn. 28, dessen Urteil ich im Großen und Ganzen teile. 414 Schott, Institutiones, S. VI. 415 Schletter, Constitutionen, S. 78–83 zählt allein bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts 20 unterschiedliche Neuausgaben. 416 Coing, Frankfurter Reformation, S. 5. 417 Vgl. Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 314 und Kunkel, Quellen, Bd. 1, 2, S. XXXV. Daraus hat wiederum Holzborn, Gesetzespublikation, S. 55 gemacht, das Hamburger Stadtrecht „basierte auf den Kursächsischen Konstitutionen“. 418 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 355. 419 Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 192 f. – zur Sache vgl. Rabe, Lüneburger Stadtrechtsreformation, S. 131 f. Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 328–331 weiß nichts davon. Der Entscheidung wird dadurch erschwert, dass Lüneburg selbst viele Hamburger und Frankfurter Grundsätze übernahm. 420 Über Coler vgl. Breßler, Schuldknechtschaft, S. 189–202 und Bar, Privatrecht, S. 10–13 – dort auch Nachweise der schmalen biographische Literatur.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Saxonici“.421 Inhaltlich erfüllt Colers historisch ausgerichtete Arbeit die durch den Titel in Aussicht gestellten Ansprüche in keiner Weise, liegt sie doch im Informationsgehalt bestenfalls auf dem durchschnittlichen Kenntnisstand der Zeit, ohne dabei auf Detailprobleme, Textgeschichte oder Editionslage einzugehen. Sie gehört aber dennoch zu denjenigen Schriften, die immer wieder in den Anmerkungen späterer Generationen auftauchen. Von der Verwendung bei Gryphiander, der nun freilich selbst in Jena lehrte und sie wohl in der Bibliothek vor Ort vorfand, war bereits die Rede.422 In der Tat hatte sich Coler als Kenner der Materie auch einschlägig profiliert. Von großem Interesse für die vorliegende Untersuchung werden dabei zwei andere, freilich erst posthum erschienene Werke aus seinen nachgelassenen Materialien sein. Zum einen die „Decisiones Germaniae“, in denen Coler eine Reihe von konkreten Rechtsfällen mit ihren Entscheidungen vor allem durch den Leipziger Schöffenstuhl zusammenstellt und unter Rückgriff auf die Bandbreite der sächsischen Rechtsquellen und Literatur, einschließlich der Zobel-Fachsschen Differentien, kommentiert;423 zum anderen eine Konsiliensammlung, die sein Schüler Friedrich Pensold († 1613) ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Lehrers besorgte und auch Gutachten anderer Rechtsgelehrten und einzelner Spruchkollegien, beispielsweise der Universität Heidelberg, beinhaltet.424 Ein wichtiges Werk für die Geschichte des sächsischen Prozesses im 16. und 17. Jahrhundert ist schließlich Colers „Tractatus de processibus executivis“ von 1586,425 den Wiegand zu den „bemerkenswertesten Leistungen sächsischer Jurisprudenz im 16. Jahrhundert“ zählt,426 und von dessen großer Bedeutung die insgesamt sieben Folgeauflagen zeugen, die noch bis in das erste Viertel des 18. Jahrhunderts erschienen.427 Wenn wir sehen, wie oft Coler auf Krantz rekurriert, so darf nicht die 1612 erschienene „Chronica der Freyen Reichs Statt Speyer“ des dortigen Stadtschreibers Christoph Lehmann († 1638) übergangen werden; ein Werk, das bis weit in das 18. Jahrhundert hinein die Ansichten über die deutsche Reichs- und Rechtsgeschichte entscheidend mitgeprägt hat.428 Bemerkens421
Coler, Oratio. Siehe oben, S. 247. 423 Coler, Decisiones. Coler arbeitet hier vor allem mit den Fachsschen Differentien, Zobels Sachsenspiegelkommentaren und zeitgenössischer Literatur – auffällig ist aber auch die häufige Verwendung romanistischer Autoren. 424 Coler, Consilia – vgl. dazu Gehrke, Entscheidungsliteratur, S. 194 f. (Nr. 248). 425 Coler, De processibus – Auszüge in Übersetzung auch bei Bar, Privatrecht, Bd. 2, S. 14–53 (n. 171–188, 191–195, 229–257 und 262–273). 426 Wiegand, Habere fundatam intentionem, S. 159. 427 Nachweis der Auflagen bei Coing, Handbuch, S. 608 und Breßler, Schuldknechtschaft, S. 190. 422
X. Die sächsischen Juristenfakultäten und das Gemeine Sachsenrecht
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wert bleibt, wie mit dem Beginn des rechtshistorischen Interesses auch der Rekurs auf die Reichsgeschichte wieder rechtliche Relevanz beansprucht, der im 16. Jahrhundert kaum mehr ein Rolle gespielt zu haben scheint. Dabei beruft man sich durchaus nicht nur zur Begründung herrschaftlicher Ansprüche,429 sondern auch in konkreten Privatrechtsstreitigkeiten auf geschichtliche Argumentationen, wenn beispielsweise im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts die Vertreter des (Schwäbisch-)Haller Bürgers Caspar Eberhardt in einem Erbschaftsprozess vielfach Bezüge auf die Kaisergeschichte nehmen, um die Zuständigkeit des kaiserlichen Landgerichts im Herzogtum Würzburg zu belegen.430
X. Die sächsischen Juristenfakultäten und das Gemeine Sachsenrecht Mit Coler haben wir bereits einen frühen Vertreter einer sich in der Folgezeit etablierenden, wichtigen Größe für die Fortentwicklung des Ius Saxonicum kennengelernt. Seit dem beginnenden 17. Jahrhundert drängten sich neben die Schöffenstühle als neue Kompetenzzentren für Rechtsaukünfte immer stärker die Juristenfakultäten,431 die mittels des neu entwickelten Instruments der Aktenversendung432 Fernentscheidungen trafen. Formell waren die akdemischen Auskünfte von denen der Schöffenkollegien nicht unterschieden: Auch sie waren nur „ratschlege“, „consilia“, „consultationes“ bzw. „responsa“, die ihre Geltungskraft erst durch die Publikation des um Auskunft nachsuchenden Gerichts erhielten: „Consilium [. . .] per se non habet vim sententiae.“433 Die Urteile, die auf peinliche Strafen erkannten, unterlagen ohnehin noch der Genehmigung durch den Landesherrn.434 Hegler weist aber zu Recht darauf hin, dass die Fragesteller gerade wegen ihrer mangelnden Befähigung zur Entscheidung des Rechtsfalles nur im seltens428
Vgl. dazu Studt, Speyrer Chronik. Hierzu fänden sich wohl eine Reihe von Beispielen, durchaus auch schon aus früherer Zeit. Interessante Verbindungen von juristischer und historischer Argumentation stellt Moeglin, L’utilisation, vor. 430 Auf diesen Fall hat Johanek, Weltchronistik, S. 289, aufmerksam gemacht. 431 Vgl. dazu noch immer die eingehende Studie von Hegler, Praktische Thätigkeit. Eingehendere Studien zur Gutachtenpraxis im Allgemeinen hat in jüngerer Zeit vor allem Falk, Wald von Konsilien; ders., Fallstudie, und vor allem ders., Consilia, vorgelegt. Zum Gemeinen Sachsenrecht dort bes. S. 315 ff., S. 327 ff. und S. 366 ff. 432 Buchda, Aktenversendung – einen konzisen Aufriss zur Entwicklung der Aktenversendung bietet, wenn auch am württembergischen Beispiel, Geipel, Konsiliarpraxis, S. 3–11. 433 Lauterbach, Commentatio, S. 52. 434 Hälschner, Geschichte, S. 141. 429
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ten Fall gegen die Annahme des erteilten Konsiliums entschieden haben dürften.435 Den Grund ihres Erfolges wird man gegenüber den Schöffenkollegien und den Gremien der Oberhöfe vor allem in der akademischen Ausbildung der Mitglieder des Spruchkollegiums erblicken.436 Zwar waren auch die Mitglieder der Schöffenstühle im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts immer häufiger studierte Juristen.437 Der Etabilierung der Juristenfakultäten als Spruchgremien in zweifelhaften Rechtsfragen konnte das aber nicht mehr entgegenwirken. Durch die steigende personale Verquickung wurden dann im Laufe vor allem des 18. Jahrhunderts auch die Gegensätze zwischen beiden Gremien immer weiter nivelliert. In Kursachsen war die Aktenversendung landesherrlich auf die Universitäten des eigenen Territoriums beschränkt,438 obschon manche die Auffassung vertraten, „dass es ausserhalb Lands am sichersten sey, da die Person die es trifft, niemand mit Lieb oder Leid verwandt sey“.439 Als Spruchgremien, die maßgeblich an der Weiterentwicklung des Gemeinen Sachsenrechts beteiligt waren, fungierten damit die Fakultäten der großen „sächsischen Universitäten“,440 zunächst also Leipzig,441 Jena442 und Wittenberg,443 ab 1694 dann auch Halle.444 Aus Halle sind eine Vielzahl von 435
Hegler, Juristenfakultäten, S. 6. Zur Bezeichnung „Oberhof“ vgl. unten, S. 412. 437 Im Gegensatz beispielsweise zum Reichskammergericht und zu einzelnen Juristenfakultäten stehen Untersuchungen zum Personal der frühneuzeitlichen Schöffenkollegien noch aus. Die Zunahme akademischer Mitglieder an dem Stühlen lässt sich aber durch die vermehrt verzeichneten Doktortitel unter den Respondenten, die oftmals auch zum Lehrpersonal der dortigen Universität gehörten, ersehen. 438 Lück, Carpzov, S. 61 f. 439 Ludewig, Consilia Hallensium, S. 36. 440 Mühlpfordt, Sächsischen Universitäten. 441 Friedberg, Leipziger Juristenfakultät. 442 Grochowina, Besonderes Verhältnis; dies., Höchste Gerichtsbarkeit, bes. S. 83–85 und S. 90 f. – Weitere Studien über die Jenaer Spruchpraxis von Frau Dr. Grochowina (Jena), der ich für manchen freundlichen Hinweise Dank schulde, sind im Erscheinen begriffen. Zum Jenaer Schöppenstuhl vgl. ferner auch Falk, Consilia, der einen dort anhängigen Fall zum roten Faden seiner Darstellung wählt. Jüngst schließlich Kriebisch, Spruchkörper, die sich in der Hauptsache mit der institutionellen Entwicklung beschäftigt; zum materiellen Gehalt der ergangenen Sprüch vgl. lediglich S. 213–229. Fraglich muss im Übrigen noch bleiben, welche Rolle der Schöffenstuhl zu Coburg für das sächsische Recht der Frühneuzeit gespielt hat, der sich in manchem eng an die Jenaer Spruchtätigkeit anlehnte, aber bislang nur wenig erforscht ist; vgl. Kretz, Schöppenstuhl. Die Schöffenordnung von 1598 sah in Art. 6 vor, dass in Fällen, in denen „nicht außdrucklich gefraget oder [. . .] gewiß befunden wirdett, nach welchem Rechte zuvrtheilen“, man „nach gemeinen beschriebenen Rechten“, also nach dem Ius commune, antworten solle. Die Ordnung ist gedruckt ebd., S. 101–111. 443 Lück, Wittenberg als Zentrum; ders., Spruchtätigkeit, bes. S. 55–114. 436
X. Die sächsischen Juristenfakultäten und das Gemeine Sachsenrecht
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Sprüchen auch in drei voluminösen Bänden in den Druck gelangt, die durch den berühmten und ausgesprochen strittigen Johann Peter von Ludewig (1668–1743)445 herausgegeben wurden.446 Werner Kellner hat auf Grundlage dieser Sammlung die Grundzüge der Hallenser Spruchpraxis zu Beginn des 18. Jahrhunderts herausgearbeitet.447 Ihm ist später auf breiterer Materialbasis, dafür allerdings in der Hauptsache beschränkt auf die Spruchpraxis in Fragen des Eherechts, Schubart-Fikentscher gefolgt.448 Für die sächsischen Universitäten darf die Konkurrenz der Juristenfakultäten zu den Schöffenstühlen im Übrigen nicht überbewertet werden: In Leipzig gehörten seit dem späteren 15. Jahrhundert einzelne Mitglieder der juristischen Fakultät auch dem Schöffenstuhl an, in Jena und Wittenberg waren beide Kollegien sogar grundsätzlich identisch.449. Die Konsilien der sächsischen Juristenfakultäten unterscheiden sich auf auffällige Art von denen anderer Territorien, beispielsweise der Heidelberger,450 Marburger451 oder der Tübinger Universität.452 Hier sind die Unterschiede besonders auffällig: Während die Konsilien eines Christoph Besold (1577–1638)453 oder – ausgeprägter noch – eines Ferdinand Christoph Harpprecht (1650–1714) in weiten Strecken in lateinischer Sprache verfasst oder doch mit einer Vielzahl lateinischer Wendungen und wahren Häufungen von Allegationen versehen sind, den Fall ausführlich wissenschaftlich erörtern und neben Gesetzen und Präjudizien auch eine große Anzahl von juristischen Autoren anführen,454 fallen die durchgängig in Deutsch verfassten Hallenser Konsilien beispielsweise Böhmers oder Ludovicis, ebenso wie die Wittenberger Caspar Heinrich Horns (1646–1728) oder die von Johann Rudolph Engau (1718–1755) in Jena verfassten, durch ihre betont knappe Form auf.455 Hier 444
Hammerstein, Jus und Historie, S. 148–168. Kümper, Goldene Bulle, S. 179–182 – zur wissenschaftlichen Bedeutung Ludewigs vgl. ausführlich Hammerstein, Jus und Historie, S. 169–204. 446 Ludewig, Consilia Hallensium. 447 Kellner, Consilia Hallensium. 448 Schubart-Fikentscher, Hallesche Spruchpraxis. 449 Hegler, Juristenfakultäten, S. 3. 450 Jammers, Heidelberger Juristenfakultät, S. 13–19 (zur Organisation und Spruchpraxis bis zum Beginn des 19. Jahrunderts). 451 Pätzold, Marburger Juristenfakultät, bes. S. 72–99. 452 Vgl. dazu Geipel, Konsiliarpraxis, bes. S. 71–80 („Gliederung und Stil“). 453 Lange, Ius commune. 454 Bezeichnenderweise fühlte sich 1732 der Württemberger Herzog Eberhard Ludwig in der neuen Kriminalordnung bemüßigt, der Tübinger Fakultät „ernstlich“ zu befehlen, „dass dieselbe [. . .] von unnöthigen und überhaupt von gehäufften [. . .] allegationen der [. . .] doctorum abstrahiere“ – vgl. Hochstetter, Extract, Bd. 2, S. 361. 455 Hegler, Juristenfakultäten, S. 8–11 mit vielen Beispielen. 445
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ging es nicht um wissenschaftliche Erörterung, sondern darum, die „exspectationi illorum, qui informari petierunt“, zu befriedigen (satisfacere).456 Die ausführlichen und oft umständlichen Erörterungen der älteren Rechtsliteratur wurden daher als Ballast empfunden: „Die alten Rechtsgelehrten“, so heißt es in der Einleitung einer Hallenser Konsiliensammlung, „sind von überflüssigen Allegaten reich und folgen darinnen kaum ein oder zwey Zeilen, so stehen leges und doctores durcheinander [. . .], dergleichen Unrath man doch bey den Neuen nicht so häufig findet“.457 Unter den Rechtsquellen, die in den Konsilien der sächsischen Universitäten allegiert werden, steht nach einer ersten Sichtung das ius commune an erster Stelle. Dabei wird aber kaum das Corpus Iuris Civilis selbst, sondern wird in der Regel die gemeinrechtliche Literatur herangezogen. Deutsche Autoren überwiegen vor allem in den Hallenser Konsilien. Die Rechtsbücher spielen in den Bereichen, die wir heute dem Privatrecht zuordnen würden, eine untergeordnete Rolle. Daneben werden in der Hauptsache territoriale Gesetzgebungen, Statuarrechte und Polizeiordnungen herangezogen. Bemerkenswert ist aber die häufige Verwendung vor allem des Sachsen-, aber auch des Schwabenspiegels („Kaiserrechts“) in lehnrechtlichen Fragen. Wo Gewohnheitsrecht und altes Herkommen begründet werden sollen, zieht man sich eher auf lokale Gewohnheiten als auf die Rechtsbücher zurück. Seltener, bei einzelnen Vertretern der antiquarisch-eleganten Jurisprudenz wie beispielsweise Ludewig dann umso ausgiebiger, wird in diesem Zusammenhang auch zur Geschichtserzählung und damit zu klassischen Historikern wie Tacitus gegriffen, um vermeintlich urgermanische Rechtsgewohnheiten zu untermauern. Schließlich wird auch zu im weitesten Sinne „öffentlich-rechtlichen“ Fragen gegutachtet, wobei vor allem reichsrechtliche Quellen wie die Goldene Bulle oder einzelne Reichsabschiede verwendet werden. Kellner ist in seiner eingehenderen Untersuchung der Hallenser Spruchpraxis zu Ergebnissen gekommen, die sich mit dieser ersten flüchtigen Durchsicht im Wesentlichen decken.458 Eine sich dezidiert der Behandlung besonders „merckwürdiger und dubiöser Casus“ durch die sächsischen Schöffenstühle, Fakultäten und Rechtsgelehrten verschreibene Sammlung, erschien zwischen 1720 und 1727 in Leipzig unter dem Pseudonym „Putoneo“ in 24 Bänden.459 Im Münsteraner Exemplar, das mir für meine Studien vorlag, hat ein zeitgenössischer Nutzer auf dem Schmutzblatt des ersten Bandes vermerkt: „Der Collector und Editor dieser Consiliorum ist Joh. Henr. Rother, des sächsischen Commisso456
Wildvogel, Consilia et responsa, Vorrede (unpag.). Ludewig, Consilia Hallensium, S. 36. 458 Vgl. Kellner, Consilia Hallensium, S. 13–15 und die reichen Zitate in den Anmerkungen. 459 Anon., Enunciata. 457
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ris Rath in Leipzig. Er ist auch ein Gehilfe am allgemeinen Juristischen Oraculo gewesen.“460 Ob dieser Zuschreibung Glauben zu schenken ist, vermag ich nicht zu sagen. Gut möglich ist es allemal. Die zusammengestellten Gutachten entstammen, soweit nachgewiesen, sämtlich der sächsischen Rechtswissenschaft des späten 17. und des 18. Jahrhunderts. Regelmäßig wird aus der Spruchpraxis des Leipziger Schöffenstuhls zitiert. Die erste Stelle unter den Allegaten nehmen hier bereits das Ius commune und die gemeinrechtliche Literatur ein; es finden sich aber immer noch eine Vielzahl von Rekursen auf die älteren Quellen des Sachsenrechts, vor allem das Landrecht des Sachsenspiegels. Regelmäßig handelt es sich bei diesen Rekursen um die Feststellung von Grundsätzen; seltener werden spezifische Rechtsfragen daran angebunden. In gewisser Weise entspricht das einem weit verbreiteten Trend in der juristischen Literatur der Zeit.
XI. Der Prozess „in foro Saxonico“ und die „sächsischen Criminalisten“ Was Rotschitz und König zu Beginn des 16. Jahrhunderts begonnen hatten, wurde im 17. Jahrhundert fortgeführt von einer Gruppe einflussreicher sächsischer Juristen, die als „sächsische Criminalisten“ in die Literatur eingegangen sind.461 Ihre Wirkung entfaltete diese neue Schule der Strafrechtspflege weit über die sächsischen Kernlande, ja sogar weit über das Einflussgebiet des sächsisch-magdeburgischen Rechts hinaus, so dass man sogar mit einigem Grund von einer „saxonisierenden Richtung in der gemeinrechtlichen Prozesstheorie“ dieser Zeit sprechen kann.462 Diese hegemoniale Stellung des sächsischen Prozessrechtes hat dann, vor allem vermittels des Jüngsten Reichsabschiedes von 1654,463 maßgeblich zur Ver460 Zu Johann Heinrich Rother († 1756) vgl. ADB 29, S. 361 und ADB 30, S. 792 (Korrektur). Beim „Juristischen Oraculo“ handelt es sich um eine der ersten juristischen Fachzeitschriften, erschienen in 16 Bänden zu Leipzig, 1746–1756. Rother war kurfürstlich-sächsischer und königlich-polnischer Comissions-Rath und tat sich auch als Autor, vor allem strafrechtswissenschaftlicher Schriften zum sächsischen Recht hervor. Von den über die großen Verbundkataloge abrufbaren deutschen Bibliothekskatalogen hat, soweit ich es sehe, niemand die „Enunciata et Consilia“ Rother, sondern manche sie dem weitestgehend unbekannten Thomasius-Schüler Johann Christoph Meining zugeschrieben. Jener ist, das zumindest kann man feststellen, auf dem Gebiet des sächsischen Rechts nicht weiter aktiv gewesen, so dass ich die Zuschreibung an Rother für plausibler halte. Welche Anhaltspunkte für Meining sprechen, ist mir allerdings auch nicht transparent geworden. 461 Dazu noch immer lesenswert Hälschner, Preußisches Strafrecht, Bd. 1, S. 126–131. 462 Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 79. 463 Laufs, Jüngster Reichsabschied von 1654.
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änderung des Verfahrensrechts am Reichskammergericht (sog. Kameralprozess) beigetragen,464 indem die zeitraubende Praxis des Artikelprozesses durch den effektiveren, summarischen Prozess (sog. „einfaches Libell“), der die Bündelung prozessual gleichförmiger Klagen bereits in der Narratio vorsah, ersetzt wurde.465 Auch die strenge Befolgung der Eventualmaxime ist rasch in der Praxis des Reichskammergerichts rezipiert worden. Deutlich wird in diesen bisher genannten Punkten, dass sie nur zu einem verhältnismäßig geringen Teil oder vielleicht auch gar nicht im altsächsischen bzw. altdeutschen Verfahren, sondern durchaus genauso wie der Kameralprozess des Reichskammergerichts ebenfalls im gelehrten Recht begründet waren. Als traditionell sächsisches Element darf dagegen das „Kontumazialprinzip“ gelten, demzufolge der säumige Beklagte, wenn Klage und Ladung ordnungsgemäß erfolgt waren, sofort und ohne ein gesondertes Säumnisverfahren, wie es der Kameralprozess kannte (Eremodizialprinzip), verurteilt werden (poena confessi).466 Dieses Kontumazialprinzip geht auf die dreimalige Ladung des Sachsenspiegels in peinlichen Sachen zurück (Ssp. Ldr. I 67 § 2)467 und zieht sich durch die gesamte prozessrechtliche Literatur des sächsischen Rechts468 bis in den 19. Jahrhundert hinein. Als zumindest dem altsächsischen Recht gedanklich deutlich näher als dem Ius commune wird man die starke Reduzierung der Litis contestatio sehen können, ohne aber diesen Grundsatz auf die älteren Quellen des Gemeinen Sachsenrechts zurückführen zu können. Eine letzte Besonderheit des sächsischen Verfahrens lag schließlich im Beweisrecht, das streng zwischen Behauptungs- und Beweisverfahren unterschied. Diese scharfe Trennung ist dem Kameralprozess gänzlich fremd geblieben.469 Das Beweisverfahren, über das uns eine eingehende Studie Gerhard Buchdas vorliegt,470 endete in einem selbständig anfechtbaren Beweisinterlokut (sententia interlocutoria),471 das im Grundsatz 464 Sellert, Prozeßgrundsätze, S. 145–152; vgl. dazu ferner Schulte, Entwicklung, bes. S. 3–8, der mit der „Eventualmaxime“ (Zusammenfassung sämtlicher Klagetatsachen gleicher prozessualer Art bei Klageerhebung) ein wichtiges Institut des neuen Verfahrens bespricht. 465 Oestmann, Artikelprozess. 466 Zu den Contumacia des altsächsischen Verfahrens vgl. Planck, Gerichtsverfahren, Bd. 2, S. 268–313. 467 Zu den Folgen des Ausbleibens des Beklagten vgl. auch Ssp. Ldr. I 41; Ldr. I 65 § 1; Ldr. I 68 § 2; Ld. I 70 § 2; Ldr. II 9 § 1; Ldr. II 24 §§ 1, 2; Ldr. III 5 § 1. 468 Vgl. nur den bei Kümper, Secundum iura Saxonica, S. 44 f. gedruckten Traktat aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. 469 In gewisser Weise wird man von einem Intermezzo in den Reichskammergerichts-Ordnungen von 1521 und 1523 sprechen können, die aber durch die Ordnung von 1555 wieder aufgehoben wurden. Nähere Ausführungen führen zu weit von eigentlichem Thema fort; vgl. daher nur Laufs, Reichskammergerichtsordnung, mit eingehenderen Untersuchungen. 470 Buchda, Rechtsmittel.
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mit der Verfahrensentscheidung des altsächsischen Prozesses durchaus zu vergleichen ist. Vor allem aber kennt das römische Recht keine Anfechtung von Zwischenbescheiden jeglicher Art (interlocutiones, praejudicia, articuli), so dass man mit Recht wird sagen können, hier haben sich deutschrechtliche Grundsätze erhalten. Auch die Umformung der Urteilsschelte in die Appellation hat ihre Spuren im sächsischen Prozess hinterlassen, insofern Läuterung und Appellation nur auf Grundlage des erstinstanzlich vorgebrachten Sachverhaltes möglich waren und keine weiteren Tatsachen oder Beweis beigebracht werden konnten. Prägend für die Entwicklung dieses spezifischen Verfahrens „in foro Saxonico“ waren weniger die Hofgerichtsordnungen des ausgehenden 15. und des 16. Jahrhunderts, sondern vor allem der erste Teil der Kursächsischen Konstitutitonen und die „Process- und Gerichts-Ordnungen Churf. Johann Georgens des I. zu Sachsen, darnach man sich in dero Landen bey Oberund Unter-Gerichten gleichförmig zu achten“ von 1622. Von entscheidender Bedeutung für die weitere Ausformung aber war vor allem der juristische Diskurs. Nach allgemeiner Auffasung hat diesen Diskurs und vor allem die Theorie des sächsischen Prozesses kein zeitgenössischer Jurist so geprägt wie Benedikt Carpzov († 1626), dem die Wissenschaft bescheinigt, für seine Zeit der „praktisch wie wissenschaftlich vielleicht einflußreichste deutsche Jurist überhaupt“,472 ja sogar der „Begründer des deutschen Strafrechts“473 zu sein, „der im Ansehen in Deutschland hinter Bartolus nicht zurückstand“.474 In der Tat kann sein Einfluss auf die Strafrechtswissenschaft der frühen Neuzeit kaum überschätzt werden,475 den er als Mitglied des Leipziger Schöffenstuhls, mit Unterbrechungen elf Jahre lang als dessen Senior, als Besitzer des dortigen Oberhofgerichts, Appelations- und dann Geheimer Rat in Dresden, und nicht zuletzt als Ordinarius der Leipziger Juristenfakultät entfaltete.476 In drei wichtigen Werken hat er die Ausformung des sächsischen Prozesses entscheidend beeinflusst: der seit der Aufklärung vor allem 471
Buchda, Beweisinterlokut. Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 87. 473 Sellert, Carpzov, S. 326. 474 Koschaker, Europa und das römische Recht, S. 101. Zu Carpzovs Beweistheorie vgl. Heitsch, Beweis und Verurteilung, bes. S. 26–50. 475 Conrad, Rechtsgeschichte, S. 419; so auch Döhring, Rechtspflege, S. 318: „In sachlicher Beziehung kam [das 18. Jahrhundert] bis zur Jahrhundertmitte über die Ergebnisse von Carpzov und Brunnemann kaum hinaus“. Für die Geschichte des sächsischen Strafrechts von größter Wichtigkeit wird dann Böhmer, Observationes; vgl. dazu Boldt, Böhmer. 476 Vgl. dazu Lück, Carpzov. Nicht weiter eingehend können wir an dieser Stelle auf die weiteren Leistungen Carpzovs, vor allem seine „Jurisprudentia ecclesiastia seu consistorialis“ von 1649, die erste systematische Darstellung des protestantischen Kirchenrechts. 472
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wegen der Folterpassagen berühmt-berüchtigten „Practica nova imperialis Saxonica rerum criminalium“ (1635), der „Jurisprudentia forensis RomanoSaxonica“ (1638) und dem „Processus iuris in foro Saxonico“ von 1657. Die große Wirkung dieser Werke bis weit in das 19. Jahrhundert hinein und das große Interesse, das ihnen die Wissenschaft in den letzten Jahren entgegen bringt, macht es eigentlich erstaunlich, dass keines davon bisher noch einmal nachgedruckt worden ist. Wichtig für unsere Frage nach der Fortwirkung der älteren sächsischen Rechtsaufzeichnungen sind die Quellen, derer sich Carpzov bedient. Diese sind ausgesprochen breit gefächert und schließen die umfangreiche Verwendung zeitgenössischer und früherer juristischer Literatur sowohl deutscher wie auch ausländischer Gelehrter mit ein. Daneben zeigt sich eine deutliche Bevorzugung sächsischer Rechtsquellen, was sowohl Sachsenspiegel, Glosse und Weichbildvulgata als auch die neuere kursächsische Gesetzgebung, vor allem die Konstitutionen von 1572, mit einschließt. In größerem Umfang wird auch die Constitutio criminalis Carolina herangezogen. Dennoch kann man Carpzov guten Gewissens einen spezifisch sächsischen Juristen nennen, der damit eine zentrale Rolle für die fortdauernde Bedeutung der älteren sächsischen Rechtsquellen spielte. Der sächsiche Prozess hat seine Wirkung bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts entfaltet, beispielsweise in Ernst Friedrich Pfotenhauers weit verbreiteter „Doctrina processus“477 oder Carl Eichels für das rechtswissenschaftliche Studium entworfenen „Tabulas processus Saxonici“.478 Noch die juristische Germanistik der Jahrhundertwende schätzte seine Vorzüge gegenüber dem gemeinrechtlichen Kameralprozess. Freilich unterlag auch der sächsische Prozess in den rund zweieinhalb Jahrhunderten seiner praktischen Wirksamkeit ständigen Veränderungen im Blick auf das Bedürfnis der Zeitgenossen, „die unnöthigen Weitläufftigkeiten derer Processe“ und die „bey dem Justiz-Wesen eingerissenen grossen Mißbräuche“ zu vermeiden oder doch einzudämmen.479 Das drückte sich nicht nur in der breit überlieferten juristischen Literatur, sondern auch in einer Reihe sächsischen Prozessordnungen aus, als deren wichtigste die 1724 von Kurfürst Friedrich August publizierte „Erläuterung und Verbesserung der bißherigen Processund Gerichts-Ordnung“ gelten darf.480 Carpzov hat in unserer Zeit traurige Berühmtheit vor allem als Theoretiker des Hexenprozesses und der Folter erlangt.481 So mag es vielleicht er477 Pfotenhauer, Doctrina – Neubearbeitung durch Johann F. A. Diedemann (Leipzig 1826/27). 478 Eichel, Tabulas; vgl. dazu auch die Besprechung in den Kritische Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft 2 (1837), S. 718–722 mit wichtigen Korrekturen. 479 Lüning, Codex Augusteus, Bd. 1, Sp. 2381. 480 Haubold, Lehrbuch, S. 18–20.
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klärlich werden, dass Stölzel keine Probleme hatte, anzunehmen, dass in folgenden beiden Berichten das Eikesche Rechtsbuch tatsächlich eine Rolle spielen sollte:482 1656 bekannte eine wegen Zauberei beklagte Frau aus Cedynia (dt. Zehden), einem kleinen Städtchen in der polnischen Neumark, unter der Folter, der Teufel habe ihr versprochen, ihr alles zu beantworten, was sie ihn „aus dem Spiegel“ fragen werde. Sie bekannte, aus diesem Grunde „in den kristallenstein oder sachsenspiegel“ gesehen zu haben. Später wollte sie den Sachsenspiegel ihrer Tochter gegeben haben. Bereits runde hundert Jahre zuvor hatte eine Frau im westpommerschen Mys´libórz (Soldin) erklärt, sie habe sich „dem weissen Peter“, dem Teufel also, vertraut und besäße einen Sachsenspiegel und einen Kristall, mit deren Hilfe sie den Teufel bannen können, so dass dieser tun müsse, was sie von ihm wolle. Stölzel versucht, den Zusammenhang zwischen Kristall, Sachsenspiegel und Hexerei über die berühmten Worte der Praefatio rhythmica, wonach Eike das Recht spiegeln wolle, so wie Frauen ihr Anlitz im Spiegel beschauen (V. 178–182), herzuleiten, denn er glaubt, mit der Abschaffung des Sachsenrechts in Brandenburg sei der Sachsenspiegel „in das Reich der Träume und Wunder“ gerückt. Dagegen scheint mir recht offensichtlich, dass hier nicht das Rechtsbuch, sondern ein tatsächlicher Spiegel gemeint sein wird. Die Volkskunde kann eine Vielzahl von Verwendungsmöglichkeiten von Spiegeln in magischen Schadensritualen nachweisen, in deren Kontext man auch diese Erzählungen wird setzen müssen.483 Die dürftigen überlieferten Angaben lassen eine genaue Identifizierung allerdings nicht zu; möglicherweise wäre auch angesichts der geographischen Nähe der beiden Belegstellen eine Untersuchung regionaler Erzählungen und Märchen fruchtbringend. Auf eine Entwicklung bleibt noch hinzuweisen, da sie für die juristische Literaturgeschichte des 17. und 18. Jahrhundert einige Bedeutung hat und diese Werke durch ihren speziellen Sammelcharakter ein Übriges für den hohen Bekanntheitsgrad des älteren sächsischen Rechts und seiner Institute unter Juristen im ganzen Reich, nicht nur in den sächsischen Kernlanden, beitrugen.484 Etwa in die Wirkungszeit Carpzovs nämlich fällt das Erscheinen der ersten, großen juristischen Kompendien wie Christoph Besolds 481 Sellert, Carpzov. Zur Prozessrechtsgeschichte der Folter in Sachsen vgl. Falk, La torture. 482 Stölzel, Rechtsprechung, Bd. 1, S. 294 f.; danach auch noch Thüring, Für und wider, S. 42–44. 483 Vgl. nur Bieler, Spiegel, mit ausführlichen Literaturhinweisen. 484 Zu den juristischen Kompendien der Frühneuzeit vgl. auch Buschmann, Enzyklopädie und Recht, und die dort angegebene Literatur.
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„Thesaurus Practicus“ (1621).485 Tatsächlich war jener Band, wie es der Untertitel versprach, ein „opus omnibus tam in aula, foro quam schola versantibus“ – wovon die zahlreichen, schon wenige Jahre nach der Erstauflage erscheinen Neudrucke und die beiden Bearbeitung durch den BesoldSchüler Jakob Speidel (1641) und den Nürnberger Stadtadvokaten Christoph Ludwig Dietherr von Anwanden (1679) beredtes Zeugnis ablegen. Obschon im südostdeutschen Rechtsbereich entstanden und bearbeitet, behandelte Besold beinahe sämtliche Stichworte auch gemäß sächsischen Rechts und ließ die großen Gelehrten der sächsischen Juristen nicht unberücksichtigt. So blieb sein Werk im ganzen Reich einsetzbar und entfaltete, zumal wegen seiner zahlreichen historischen Exkurse, die von den Bearbeitern noch vermehrt wurden, vor allem in der frühen Entwicklung der politischen Wissenschaften große Wirkung. Für unser Frageinteresse ist es vor allem als Vermittler der Quellen sächsischen Rechts in die Gelehrtenstuben außerhalb der „terra iuris Saxonicis“ von Bedeutung.
XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte Nicht von ungefähr fällt in die Blütezeit der sächsischen Prozess- und Strafrechtswissenschaft auch der Beginn der tieferen, rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte. Vor allem aber wird man den Einfluss Hermann Conrings († 1681)486 und dessen „De origine iuris Germanici“487 nicht unterschätzen dürfen. Seine Breitenwirkung war bemerkenswert. Historische Anmerkungen über die Entstehung des sächsischen Rechts, über Autoren und Glossatoren, über Privilegien und vorgebliche Bestätigungen hat es schon zuvor gegeben. Im Grunde hat Eike selbst mit der Historisierung des sächischen Rechts begonnen und haben die Ausführungen Johanns von Buch dies noch befördert. Umfangreichere wissenschaftliche Arbeiten, die sich bewusst der Entstehung und Entwicklung des sächsischen Rechtes und seiner Quellen zuwandten und sich kritisch mit der überlieferten Ent485 Im Folgenden wird die Ausgabe Besold, Thesaurus Practicus, von 1643 herangezogen, die von der Universität Mannheim im Projekt MATEO als online-Digitalisat zur Verfügung gestellt wird. 486 Noch immer lesenswert ist Moeller, Conring. Aus der reichen Literatur über Conring nenne ich ansonsten nur Stolleis, Conring, und den sehr gut lesbaren, bibliographischen Überblick bei Fasolt, Hermann Conring, S. 85–94. Eher eine Lobschrift auf als eine Auseinandersetzung mit Conring und seinem Werk ist der neue Band von Jori, Conring. 487 Conring, De origine – Ich nutze die noch von Conring selbst besorgte dritte Ausgabe („plurimus locis aucta“, Helmstedt 1665) sowie die gründliche, deutsche Übersetzung bei Stolleis, Ursprung.
XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte
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stehungsgeschichte auseinandersetzten, lagen aber bis in das 17. Jahrhundert noch nicht vor. Am Anfang dieser Erforschung steht ein zu Unrecht bereits von den Zeitgenossen offenbar wenig beachtetes und später kaum mehr herangezogenes Werk des „vergessenen Kameralisten“488 Benjamin Leuber († 1675),489 das schon Ludovici 1721 als äußerst rar bezeichnete.490 In der Tat muss die Auflage dergestalt klein bzw. die Zahl der erhaltenen Exemplare dergestalt gering gewesen sein, dass es zeitweise vollständig vergessen war.491 Leuber setzt sich sehr kritisch mit den überkommenen Ansichten über die Entstehung, Verbreitung und Fortgeltung der sächsisch-magdeburgischen Rechtsbücher auseinander. Keine zwanzig Jahre später (und offenbar in Unkenntnis des Leuberschen Werkes) legte der Jenaer Rechtsordinarius Johann Gryphiander († 1652) eine größere Monographie über die Entstehung und Entwicklung des Sächsischen (d.i. Magdeburgischen) Weichbildrechts vor.492 Er konstatierte wohl auch als erster den Zusammenhang zwischen den Rolandsstatuten, dem Rechtskreis des Weichbildes („Statua Rulandi jus fori denotat.“) und der Reichweite des Königsbannes („Statua Rulandi banni regii index.“), damit auch als ein Zeichen eines öffentlichen Friedensbereichs („Statua Rulandi pacis publicae signum.“).493 Diese Thesen sind im Einzelnen später mehrfach bestritten worden; heute tut man sich schwer, sich auf eine eindeutige Deutung festzulegen.494 Die Rolandsforschung soll aber im Rahmen dieser Untersuchung auch nicht weiter interessieren. Die zentrale Bedeutung von Gryphianders Werk für die rechtshistorische Forschung zumindest der nächsten einhundert Jahre jedenfalls zeigt sich deutlich in der hohen Zitationsdichte, die es bei Autoren wie Schilter oder Senckenberg bis hin zu Ludovici und Gärtner genießt, deren Schriften und Edition selbst wiederum große Breitenwirkung entfaltet haben. Zugleich beginnt um die Mitte des 17. Jahrhunderts auch das Interesse an einem verlässlichen Text, vorzugsweise an der Urschrift des Eikeschen 488
So Rachel, Wirtschaftsgeschichte, S. 294 über Wessely, Leuber. Leuber, Discurs. 490 Ludovici, Sächsisches Weichbild, S. 7 f. 491 Wessely, Leuber, kannte sogar als „einzig erhaltene Schrift“ Leubers nur sein Werk „Von der Müntze“. Diese Aussage ist insofern zu relativieren, als die Abhandlung über die sächsischen Rechtsbücher nicht die einzige Arbeit Leubers war, die Wessely übersehen hat. Tatsächlich habe ich allerdings nur rund ein Dutzend Exemplare des Druckes in öffentlichen Bibliotheken nachweisen können. 492 Über Gryphiander ist nicht viel bekannt; vgl. Stolleis, Lipsius-Rezeption. 493 Gryphiander, De Weichbildis, S. 185–196 (cap. 74–77). 494 Vgl. die Beiträge von Pötschke, Munzel-Everling und Wittek in Pötschke, Rolande, S. 44–187 zur Orientierung über den Stand der Forschung. 489
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Rechtsbuches selbst. So schrieb Kurfürst Friedrich Wilhelm im März 1661 den Brüdern Ludwig und Johann Bernhard von Asseburg, er habe vernommen, „daß in eurer Bibliothec das erste Original des alten Sachßenrechts [. . .] vorhanden“ und erbat mit einigem Nachdruck, ihm „solche[s] zu überlassen“, wofür er großzügig in Aussicht stellte, „einige gnade zu erweißen“.495 Zwar erhielt der Große Kurfürst besagten Codex, doch handelte es sich mitnichten um Eikes Autograph, vielmehr um eine bereits glossierte Papierhandschrift, die überdies in gleich zwei Kolophonen versicherte, sie sei „scriptum anno domini MCCCCLXXIII“ (fol. 261v und fol. 299v). Sie ist noch heute als Ms. germ. fol. 12 (Oppitz Nr. 112) der Berliner Staatsbibliothek erhalten.496 Aber auch die ersten Ansätze textkritischer Editionsarbeit an den deutschen Rechtsbüchern durch Schilter fallen in diese Jahrzehnte.497 Mit der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte geht die rechtspraktische Frage einher, ob diese als Sammlungen älteren Sachsenrechts und landläufiger Gewohnheit per se fortgesetzte Gültigkeit oder nur diese teilweise zu beanspruchen hätten, insofern sie durch spätere Landesgesetzgebung oder gewohnheitsrechtliche Übung („Observanz“) bestätigt seien.498 Als eine landesherrliche Bestätigung zumindest einzelner Sätze des Spiegels konnten die Kursächsischen Konstitutionen aufgefasst werden; gleiches gilt in geringerem Maße auch für die anhaltinische Landesordnung von 1665.499 Die im folgenden Jahr durch Herzog Ernst den Frommen erlassene Gothaschen Landesordnung berief sich hingegen explizit auf den landesüblichen Rechtsbrauch, indem sie bestimmte,500 dass „die Sachsen-Rechte, sofern solche landüblich seynd, auch durch diese unsere Verordnung nichts benommen unsern Orthen in Francken, sowohl Sächs. als Hennebergischen Theils, sofern bei ihnen in meritis causae die Kayserlichen Rechte sonderbar herkömmlich, zur Richtschnur des Rechtssprechens gebraucht werden“.501 495
Trippenbach, Asseburger Familiengeschichte, S. 458. Johanek, Eike von Repgow, S. 716. 497 Mit der Handschrift Gießen, UB, Hs. 996 (Oppitz Nr. 565) liegt eine interessante Vorlage einer solchen Schilterschen Editionsarbeit mit zahlreichen Randbemerkungen des Editors vor; vgl. dazu Kümper, Regimen, S. 19 f. 498 Viele Einzelnachweise bietet Kori, Gültigkeit. 499 Siehe nur Tit. 16, 35, 36 und 37, besonders Tit. 40; vgl. auch die Ausführungen von Mann, Origine et auctoriate, §§ 4, 5 und § 12. 500 Zu diesen und den vorhergehenden Landesordnung von 1580 und 1653 vgl. Klinger, Gothaer Fürstenstaat, S. 107–116. 501 Fürstliche Sächsische abermals verbesserte Landes-Ordnung [. . .], Gotha 1667 (II, 1, 12). – Gerade im Hennebergischen blieb dieser Umstand noch einige Jahrzehnte Anknüpfungspunkt der juristischen Auseinandersetzung; vgl. nur Struve, Archiv, Bd. 7, S. 82–91 („Ob in Hennebergischen in Erbfällen nach denen Kayserlichen oder Sächsischen Rechten solle gegangen werden“). 496
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Gleiches wie auf landesherrlicher lässt sich auch auf stadtrechtlicher Ebene feststellen. In Soest beispielsweise war 1691 ein „Attestatum judiciale de autoritate et usu Statuti Susatensi, quod vulgao Schraa vocatur“ eingeholt worden, das zu dem Schluss kam, man habe in jüngerer Zeit „sich immer auf das gemeine beschriebene Recht, autoritatem Doctorum und sonsten, wo nicht demselben per contrariam observantiam & consuetudinem hieselbsten derogiret wird, fundirt und bezogen“, weshalb des tradierte Rechts „keine Reflexion genommen“ werde, „es sey denn, das ein oder anderer Articul mit der Observantz übereinstimmet, und selbige a parte allegante erwiesen werde“.502 Dieser Nachweis fortgeltender Übung wurde noch in den nächsten einhundert Jahren immer wieder Streitpunkt vor Gericht, denn es ist durchaus noch versucht worden, vorgeblich „germanische“ Rechtsaltertümer, darunter vor allem die beiden großen Spiegelrechte, für prozessuale Ziele vor Gericht geltend zu machen. Einen praktischen Fall solcher Berufung auf älteres deutsches Recht, der zunächst 1751 vor dem Lübecker Obergericht anhängig wurde,503 später dann ans Reichskammergericht ging, hat Peter Oestmann vor einigen Jahren in einem Vortrag vorgestellt. Den verzwickten und für unsere Untersuchung nicht weiter relevanten, aber ausgesprochen farbenfrohen Sachverhalt eines offenbar an seinem ausschweifenden Lebensstil gescheiterten Lübecker Handelsunternehmers und seiner nicht minder gescheiterten Ehe hier noch einmal zu rekapitulieren, tut keine Not. Interessant ist an dieser Stelle lediglich die Argumentation des Anwalts der zurückgelassenen und auf Tilgung der ausstehenden Schulden ihres flüchtigen Gatten verklagten Ehefrau, die auch das Erbe ihrer jüngst verstorbenen Mutter mit in die Konkursmasse einbringen sollte. Die Klagepartei berief sich dazu auf das Lübecker Stadtrecht in seiner revidierten Form von 1586, das – ich überspringe einen freilich gewichtigen Wechsel von Schriftsätzen im Umfang von über 100 Seiten – „nicht sowohl dem Juri Romani, als vielmehr dem alten Soestischen Rechte den Ursprung schuldig sei, mithin nicht nach den alten Römischen Gesetzen, sondern nach den principiis juris germanici, als woraus solches lediglich genommen, dijudicirt werden müße“.504 Der Prozess schwenkte also spätestens an dieser Stelle auf eine rechtshistorische Argumentationsebene. Zentrales Anliegen der Klagepartei war es, die Erbansprüche der in Lübeck verbliebenen Ehefrau des Prassers an der Hinterlassenschaft ihrer reichen Mutter als Teil der ehelichen Gütergemeinschaft und also auch als Teil der beanspruchten Konkursmasse zu erweisen. Zwar sei es durchaus 502 503
Gedruckt bei Emminghaus, Memorabilia, Anhang III, S. 253 f. (Nr. 7). Zur Lübischen Rechts- und Gerichtspraxis der Zeit vgl. Landwehr, Rechtspra-
xis. 504
Oestmann, Rechtsaltertümer, S. 14 f.
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möglich, die Teilvermögen einzelner Ehegatten aus der Gütergemeinschaft, die zu den „generalia principia juris germanici“ gehöre, zu lösen, denn „die alten Teütschen“ hätten es – und zwar ausweislich gewisser Stadtrechte, aber vor allem auch des Sachsen- und Schwabenspiegels – „an Einführung gewisser Solennitäten nicht ermangeln lassen“.505 Diese höchst förmlichen „Solennitäten“ aber seien mit dem höchst unförmlichen Verschwinden des Ehemannes keineswegs erfüllt; das lübische Recht erfordere vielmehr den Auftrag vor dem Bergen und Dachding, ein Rechtsinstitut, dessen genaue Bedeutung offenbar selbst der klagenden Partei, die es als Argument zu Felde führte, nicht recht bekannt war. Wir können an dieser Stelle aber den Prozess, der sich noch weitere zehn Jahre bis zum Endurteil des Reichskammergerichts im September 1762 hinstrecken sollte und wohl für keine der beiden Parteien wirklich zufrieden stellend endete, bereits wieder verlassen. Deutlich wird, wie der Normenwiderstreit zwischen Ius Commune und Partikularrechten zu prozessualen Zwecken genutzt werden konnte, indem lübisches Stadtrecht, sächsischen und süddeutsche Rechtsbücher zu einem einzigen Konglomerat verbunden und einem Ganzen der „alten teütschen Rechte“ überhöht wurden, aus denen – in diesem Fall bedarfsgerecht nach den deutlichen Intentionen der Kläger – die „generalia principia juris germanici“ geschöpft werden könnten. Wir stehen also gleichsam an einer der vielen Wiegen der Forschung vom Deutschen Privatrecht, die nach eben solchen generellen, gemeinsamen Prinzipien fragte. Bemerkenswert an dem oben geschilderten Fall bleibt, neben vielen schillernden Einzeldetails, die im Grundsatz unbestrittene Weitergeltung der alten Rechte. Das konnte im Einzelfall heftige Debatten verursachen,506 denn es gab durchaus Juristen, die die Auffassung vertraten, die alten Spiegelrechte seien „nicht nur an und vor sich dunckel / und in einer barbarischen Sprache abgefasset / sondern auch mit so vielen seltsamen und viehischen Strafen / und andern dergleichen wunderlichen Dingen angefüllet / daß sie gegen die Römische Rechte nicht einmal in die allergeringste Vergleichung zu stellen / und noch weniger heut zu Tage von einigem weitern Nutzen seyen.“507 Dennoch spielten die Rechtsaltertümer auch in der 505 Oestmann, Rechtsaltertümer, S. 17. Im Übrigen hat Frage nach der Haftung von Schulden des Mannes durch Erbe der Frau in Lübeck noch länger die Gemüter bewegt, wie die Schrift von Binder, Grundlinien, illustriert. 506 Wilhelm August Rudloff (Herzogl. Univ. Bützow) in einem Entwurf für ein Kollegium „über das teutsche Privat-Recht und dem [!] Reichsproceß“ von 1769, zit. nach Böhlau, Literärgeschichte, S. 539: „so gewis es, kurtz zu sagen, ist, daß das Römische Recht den ehrwürdigen Nahmen des gemeinen Rechtes in Teutschland führet: so gewis ist es auf der andern Seite, und durch die Meinung aller wahrer Rechtsgelehrten, (mit Idioten rede ich nicht,) bekräftiget, daß wir Rechte und Verbindlichkeiten in iure priuato übrig haben, die dem Römischen Rechte unbekannt und bloß einheimisch teutsch sind.“
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Praxis des 18. Jahrhunderts weiterhin eine Rolle für die Rechtsfindung. Durchaus konnte es aber im Einzelnen notwendig sein, zu klären, ob jene Rechte überhaupt in Übung gewesen („recipiret“) seien. Die alte Fragefigur, ob ein Institut des römischen Rechts in Deutschland rezipiert worden sei oder nicht, wird also umgekehrt, die grundsätzliche Geltung des Ius commune anerkannt und die Geltung deutscher Rechtsquellen zur Überprüfung anheim gestellt.508 Von einem solchen Fall hat wiederum Lobethan im ersten Band seines „Gerichtssaals“, einer Sammlung von lediglich summarisch rekapitulierten und von ihm selbst kommentierten Rechtsfällen, berichtet:509 Ein Landadeliger hatte gegen eine Reihe von wertvollen Pfandstücken Geld an einen Mediziner verliehen. Nachdem nun der Adelige ausgeraubt und die Pfandgegenstände ihm gestohlen worden waren, versuchte er gerichtlich, das geliehene Geld wieder zu erlangen. Der beklagte Mediziner berief sich auf Ssp. Ldr. III 5 § 5, nach dem der Gläubiger durch Verlust des Pfandes seinen Anspruch auf die Pfandsumme verloren habe. Der Einwand des Beklagten wurde aber von der Gießener Juristenfakultät abschlägig beschieden, weil (was angesichts der fürstlichen Landesordnung von 1666 Lobethan zu Recht für unhaltbar erklärt wurde) die Rezeption des sächsischen Landrechts in Anhalt und damit die Rechtsgrundlage der Einwendung erst noch zu beweisen sei. Die Frage nach dem Geltungsgrund eines Rechtssatzes im Rechtsbuch (= Rezeption) war der zentrale Ankünpfungspunkt einer einflussreichen Schule europäischer, vor allem deutscher Jurisprudenz, die nach einem Werktitel ihres Begründers Samuel Strycks († 1710)510 als „usus modernus pandectarum“ bezeichnet wird.511 Auch Carpzov kann dieser Strömung zugerechnet werden.512 Die Untersuchung der Bedeutung und des Umfanges der Rezeption des römischen Rechts, die sich der „usus modernus“ zu Aufgabe gemacht hatte, befruchtete damit ohne Zweifel auch die partikularrechtlich oder germanistisch orientierte Rechtswissenschaft. 1702 wurde der erste Lehrstuhl für Sächsisches Recht („ordinarius iuris saxonici et cursoriae tractationis Pandectarum“) in Leipzig eingerichtet,513 an dem noch bis ins 19. Jahrhundert „dissertationes iuris saxonici“ anhängig waren. Vom ersten 507
Kopp, Proben, Bd. 1, S. 5. Vgl. dazu auch Wabst, Historische Nachricht, S. 57. 509 Lobethan, Anhalts Gerichtssaal, Bd. 1, S. 17–21 (Nr. 6). 510 Statt aller vgl. Gross, Stryk. 511 Zur allgemeinen Einführung in die Denk- und Argumentationsmuster vgl. Schott, Gesetzesinterpretation, und Willoweit, Usus modernus. 512 Eingehend dazu Lipp, Recht und Rechtswissenschaft. 513 Friedberg, Leipziger Juristenfakultät, S. 78. 508
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Vertreter dieses neuen Faches, Lüder Mencke († 1726), ist allerdings nur wenig und nichts Einschlägiges zur Geschichte des Gemeinen Sachsenrechts überliefert.514 Erst sein Nachfolger Georg Beyer († 1714) hat sich auf diesem Feld einen Namen gemacht. Er hatte zu Strycks Leipziger Studenten gehörte, aber auch bei Christian Thomasius († 1728)515 gehört, und hielt später in Wittenberg neben diesem als erster Vorlesungen über deutsches Privatrecht.516 Sein Schüler Michael Heinrich Griebner († 1734), der sich seinerseits in einer Reihe kleinerer Schriften um das sächsische Recht verdient gemacht hat,517 gab 1718 den ersten Teil von Beyers „Delineatio juris Germanici“ (bis zu Buch II, Kapitel 14) posthum heraus.518 Dieses nach Personen-, Sachen- und Obligationenrecht systematisch strukturierte Werk kann als einer der ersten Vertreter dessen, was im 19. Jahrhundert als Wissenschaft vom „Deutschen Privatrecht“ in großem Umfang akademischen Boden gewinnt, gewertet werden. Es ist als Handbuch konzipiert und verzichtet (mit wenigen Ausnahmen beim Obligationenrecht) gänzlich auf die Gegenüberstellung mit dem römisch-kanonischen Recht, umfängliche Zitationen oder historische Herleitungen, sondern beschränkt sich auf die knappe Feststellung einzelner Rechtssätze mit ausgewählten, ebenso knapp gehaltenen Verweisen auf Quellen und Literatur. Hauptquelle der Darstellung ist der Sachsenspiegel; daneben werden vor allem das sächsische Weichbildrecht und das schwäbische Landrecht herangezogen. Ein ausführliches Register nicht nur der Sachen und Institute, sondern auch der Allegate machen eine leichte Orientierung über den aufgearbeiteten Stoff möglich.519 Solche und ähnliche Handbücher sind in den folgenden Jahrzehnten in großer Zahl erschienen. Zu erwähnen wäre beispielsweise Dietrich Gotthard 514 Vgl. das Schriftenverzeichnis in Jöcher’s Allgemeinen Gelehrten-Lexicon, Bd. 3, S. 416 f. – Menckes Bruder Johann Burckhard war Herausgeber der erfolgreich „Scriptores rerum Germanicarum praecipue Saxonicarum“ (3 Bde., Leipzig 1728–1730, s. oben, S. 220, Anm. 54), deren Drucklegung aber Lüde nicht mehr erlebte. 515 Aus der reichen Literatur zu Thomasius und seinem Wirken nenne ich nur die eingehende, neuere Monographie von Tomasoni, Thomasius – dort auch umfangreiche Nachweise der älteren Literatur (S. 281–294). 516 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 428. 517 Friedberg, Leipziger Juristenfakultät, S. 76 f. und S. 119 (Nr. 27). 518 Beyer, Delineatio – ich benutzte die dritte, von Christian Gottfried Hoffmann bearbeitete und bis Buch III, Kap. 24 aus dem Nachlass Beyers ergänzte Ausgabe (Leipzig 1729). 519 Über die Bedeutung des deutschen, d.h. vor allem des sächsischen, Rechts für die juristische Ausbildung hat Beyer, De utilitate, selbst eine kleine Schrift hinterlassen.
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Eckard, dessen „Erklärung der jurisprudentiae civilis“ auskünftlich des Titelblattes eben nicht nur „die gantze Römische Rechts-Gelahrheit“, sondern auch die „gemeinen Sächsischen Rechte“ und das „Jure Saxonico Electorali“, die kursächsische Gesetzgebung also, enthielt und nach der Ordnung der Digesten eingerichtet war. Die sächsische Rechtsliteratur wird in der Tat breit verwendet, Verweise in die Konstitutionengesetzgebung aber sind selten, jene auf den Sachsenspiegel in der Regel rein historisch motiviert, beispielsweise wenn das pfälzische Wildfangrecht520 mit der Entstehung des geminderten Rechtsstatuts der Landsassen während der Thüringerkriege (Ssp. Ldr. III 44) parallelisiert wird.521 Mit der Neugründung der Hallenser Juristenfakultät trat nicht nur ein neues Spruchgremium in Konkurrenz zu den bereits bestehenden, sondern wurde auch das Studium der deutschen, speziell der sächsischen Rechte erneut befruchtet. Vor allem die Privatrechtswissenschaft hat von dort wichtige Impulse erfahren.522 Wichtige Namen sind bereits genannt worden.523 Schon der Hallenser Fischer bemerkte in seinem „Entwurf einer Geschichte des teutschen Rechts“, die „hiesige Universität machte mit Hülfe eines Thomasens, Ludwigs und Gundlings sein Studium in Teutschland vollends allgemein.“524 Zu ergänzen bliebe Johann Gottlieb Heineccius († 1741),525 der mit seinen 1735/36 erschienenen „Elementa iuris Germanici“ die „erste geschlossene Darstellung des deutschen Privatrechts“ vorlegte.526 Trotz vereinzelter Kritik hat dieses Werk noch die Privatrechtsdarstellungen des 19. Jahrhunderts nachhaltig beeinflusst.527 Bereits um die Mitte des 18. Jahrhunderts 520 Vgl. Dotzauer, Wildfangrecht. Zu diesem in jüngerer Zeit kaum mehr behandelten Thema vgl. noch immer Kolde, Wildfänge. 521 Eckhard, Erklärung der jurisprudentiae civilis, Bd. 1, S. 126: „[. . .] Vielmehr liegt uns ob, daß wir bey uns Sachsen, auf die Leute, welche Lassen gennent werden, sehen. Dieses sind Personen, so in Kriegs-Zeiten gefangen, in der Provintz aber, welche der Victor eingenommen, gelassen worden seyn, damit sie die Aecker bauen, und von denenselben invito Domino nicht abweichen möchten. Landr. L. 3. art. 44. Wehner. Observ. Pract. Voce. Lassen. Schilter. Exerc. §. 4. Diese Lassen sind freye Leute, alleine nur quoad personam, und so lange sie leben, nicht aber quoad actiones, weil sie nicht de bonis allewege disponiren können, denn nach ihrem Tode müssen die hinterlassenen Kinder die Väterlichen Güther mit dem Herrn theilen.“ 522 Vgl. dazu eingehend Jelowik, Deutsches Privatrecht. 523 Siehe oben, S. 291 ff. 524 Fischer, Entwurf, S. 96. 525 Zu Ludewig und Gundling vgl. S. 293, Anm. 445; zu Heineccius vgl. mein Nachwort im Reprint seiner Historia Iuris Romani ac Germanici, Halle 1740 (Nordhausen 2005, Bd. 2), dort bes. S. XIV f. 526 Kleinheyer/Schröder, Juristen, S. 331; ähnlich auch die Bewertung von Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 3, S. 108. 527 Besonders kritisch Gerber, Wissenschaftliches Princip, S. 29 f.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
aber trat Halle seinen „unbestrittenen Vorrang“528 als erste Adresse der Juristenausbildung an die neugegründete Universität Göttingen ab.529 Der dort lehrende Johann Stephan Pütter († 1807), von dem Ebel einmal bemerkt hat, beinahe „alle bedeutenden Männer, die im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts eine führende Stellung im deutschen politischen und Staatsleben einnahmen“, seien seine Schüler gewesen,530 hat sich den Fragen der älteren deutschen Partikularrechte vergleichsweise wenig gewidmet.531 Erst Jacob Grimm († 1863) sollte in seiner kurzen Göttinger Amtszeit wieder die Erforschung der älteren deutschen Rechtsgeschichte zu einem wenigstens zeitweise wichtigen Schwerpunkt dort machen. In Frankfurt schließlich lehrte mit Heinrich Christian von Senckenberg († 1768)532 einer der nachdrücklichsten Vertreter der juristischen Germanistik jener Zeit.533 Obwohl er nie einen universitären Posten bekleidete, hat Johann Christian Lüning († 1740) die sächsische Rechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts nachhaltig geprägt.534 Diesen Einfluss entfaltete er nicht in seiner eigentlichen beruflichen Tätigkeit als Amtmann von Eilenburg und später Leipziger Stadtschreiber, sondern vor allem als Editor: Sein „Corpus Juris Saxonici“, das 1724 als „neuvermehrte“ Auflage unter dem Titel „Codex Augusteus“ erschien, ist bis in das 19. Jahrhundert hinein die einschlägige Sammlung der sächsischen Gesetzgebung geblieben; für viele kleinere Verordnungen und Reskripte ist sie das bis heute.535 Ähnliche Vorarbeiten, die sich wohl selbst wiederum an einschlägigen Arbeiten aus dem Bereich des römisch-kanonischen Rechts orientierten, lagen im Übrigen durchaus bereits vor: So hatte 1632, kurz nach dem Erscheinen des ersten, älteren „Corpus“ also, Bernhard Melchior Husan seinen „Nucleus Saxonicus“,536 eine kleine Zusammenstellung der einschlägigen Belegstellen einzelner Sätze des Sächsischen Rechts vor, die innerhalb von zwei Jahrzehnten vier Neuauflagen erfuhr. Nach Erscheinen des überarbeiteten „Corpus“, dem so genannten „Corpus Augusteus“ wurde sein „Nucleus“ natürlich unbrauchbar, so dass 1732 der Leipziger Ordinarius 528
Schrader, Geschichte, Bd. 1, S. 167. Schröder, Entwicklung. 530 Ebel, Pütter, S. 53. 531 Das habe ich am Beispiel der Goldenen Bulle bereits angedeutet; vgl. Kümper, Goldene Bulle, S. 181–184. Hier bliebe aber noch einiges zu tun. 532 Dölemeyer, Senckenberg. 533 Bemerkenswert in diesem Zusammenhang Senckenberg, Gedanken. 534 Über ihn vgl. Pütter, Litteratur, Bd. 1, S. 308–315 und ABD 19 (1884), S. 641. 535 Lüning, Codex Augusteus – vgl. dazu eingehend Lingelbach, Codex Augusteus. 536 Husan, Nucleus. 529
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Thomas Haymen sein „Lexicon Juris Saxonici Portatile“,537 ein kleines Duodez-Bändchen von etwas über 250 Seiten publizierte, das nun handlich Auskunft über sämtliche kursächsischen Verordnungen und Konstitutionen erteilte. Die alten sächsischen Rechte wurden dabei allerdings nicht mehr allegiert. Als einen der besten Kenner der deutschen Rechtsbücher seiner Zeit lobte man um die Mitte des Jahrhunderts bemerkenswerteweise ebenfalls keinen Praktiker an den Fakultäten oder Schöffenstühlen des sächsischen Kernlandes, sondern den Celler Juristen und späteren Hannoveraner Bürgermeister Christian Ulrich Grupen (1692–1767).538 Seine Forschungen sind zum allergrößten Teil nicht mehr publiziert worden, jedoch in seinem Nachlass vollständig erhalten.539 Dort findet sich auch eines der wenigen bereits bis zur Seite 192 ausgedruckten, aber nie fertiggestellten und in den Buchhandel gelangten Exemplare der Studie „Tractat von den Sächsischen Rechtsbüchern“.540 Diesen reichen Schatz hat in den wichtigsten Zügen, aber leider ohne längere Textauszüge, Dietrich Hoppenstedt in seiner Göttinger Dissertation ausgewertet.541 Alles Weitere ergänze ich unmittelbar aus dem Nachlass. Grupen hatte den ehrgeizigen Bland eines zweibändigen „Corpus Juris Saxonici Provincialis, Feudalis et Weichbildici cum Jure Allemannico“ gefasst, der jedoch letztlich nicht verwirklicht werden konnte. Bereits die Anlage war so umfassend, dass man geneigt wäre, ein Scheitern als beinahe notwendig anzusehen. Allein im ersten Band plante Grupen folgende Einzelausgaben:542 1. Lex Saxonum samt angelsächsischen und altdeutschen Glossen; 2. Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht nach der Wolfenbütteler Bilderhandschrift einschließlich sämtlicher Abbildungen und Ergänzung der fehlenden Stelle aus der Dresdner Handschrift; 3. Sachsenspiegel Land- und Lehnrecht nach der Oldenburger Bilderhandschrift (Abschrift im Nachlass, Bestand B, Nr. 14); 4. lateinischer Landrechtstext nach einer eigenen (Oppitz Nr. 339, Original noch im OLG Celle, Sig. C 3) und einer Salzwedeler Handschrift (Oppitz Nr. 1327, Abschrift im Nachlass, Bestand B, Nr. 9); 537
Haymen, Lexicon. Dreyer, Beyträge, S. 142; Nietzsche, Rez. Homeyer, Sp. 695. 539 Celle, OLG, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr. 2, fol. 156r–166r. 540 Zu den Umständen vgl. Grupen, Vorläufige Antwort, S. 900 f. 541 Hoppenstedt, Grupen, zu den Rechtsbüchern, bes. S. 55–64. 542 Das Folgende nach den Skizzen Celle, OLG, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr. 7; vgl. auch Hoppenstedt, Grupen, S. 57 f. 538
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
5. lateinischer Lehnrechtstext nach dem Krakauer Druck von 1506; 6. deutscher Lehnrechtstext nach einer Bremer (Oppitz Nr. 248, Abschrift im Nachlass, Bestand B, Nr. 8)543 und einer Lüneburger Handschrift (Oppitz Nr. 976), die auch eine Reihe von Remissionen auf das Lehnrecht des Schwabenspiegels enthält; 7. Auctor vetus de beneficiis nach der Ausgabe durch Thomasius (1708) und einer Kölner Handschrift, die sich nicht näher bestimmen lässt; 8. Magdeburg-Görlitzer Recht von 1304 nach einer (seit 1989 wieder) Görlitzer Handschrift (Oppitz Nr. 580a);544 9. das Magdeburger Weichbildrecht nach einer Handschrift aus dem Besitz des Hamburger Stadtsyndikus Surland (Oppitz Nr. 337, Abschrift im Nachlass, Bestand B, Nrn. 1 und 7);545 10. den Richtsteig Landrechts nach einer dann 1793 verbrannten Mainzer (Oppitz Nr. 991, Abschrift im Nachlass, Bestand B, Nr. 5) und der bereits für den deutschen Lehnrechtstext verwandten Lüneburger (vgl. oben, Nr. 6) Handschrift; 11. den Richtsteig Lehnrechts nach derselben Mainzer, der bereits erwähnten Salzwedeler (vgl. oben, Nr. 4) und einer Berliner Handschrift (Oppitz Nr. 109); sowie schließlich 12. Schwabenspiegel Land- und Lehnrecht.
Die Weichbildvulgata war offenbar nicht für eine Edition vorgesehen. Der zweite Band jedenfalls sollte eine ausführliche, textkritische Ausgabe der Landrechtsglosse enthalten.546 Ein Problem für die Durchführung des Grupenschen Planes war sicher nicht nur dessen ausladende Anlage, sondern auch der hohe Preis, den vor allem die aufwendigen Reproduktionen aus den Codices picturati bedingten: 12 Reichstaler sollte allein die Subskription der beiden gewichtigen Bände kosten.547 Während Grupen noch an seiner monumentalen Ausgabe arbeitete, erschienen jene beiden monographischen Editionen des Landrechts, die das Bindeglied zwischen der letzten Neubearbeitung der Zobelschen Ausgabe (Heidelberg 1614) und der Homeyerschen Edition bilden. Sie wurden von Seiten der germanistisch orientierten Jurisprudenz bereits seit langem erwartet. So klagte noch Thomasius in seinen Anmerkungen über das Ossesche Testament: 543
Ebenfalls in Berlin, StBPK, Nachlass Homeyer, Ms. 18 KV und 57, 4 KV. Keine Abschrift im Grupenschen Nachlass, wohl aber in Berlin, StBPK, Nachlass Homeyer Ms. 58 KV. 545 Auch in Berlin, StBPK, Nachlass Homeyer, Ms. 8a und 33 KV. 546 Celle, OLG, Nachlass Grupen, Bestand A, Nr. 7; vgl. auch Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 99 f. 547 Nietzsche, Rez. Homeyer, Sp. 695. 544
XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte
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„Ich habe nun albereit über 10 Jahre gerathen, daß man doch den Sachsen- und Schwabenspiegel, oder doch zum wenigstens jenen, ohne Glossen drucken und auflegen möchte, damit jemand, dem der Schade des Justizwesens zu Herzen gehet, Gelegenheit nehmen könnte, darüber entweder publice oder privatim zu lesen, und das deutsche Recht wieder bekannt zu machen. – Und ich glaube gewiß, es möge nun solches denen Legisten und Canonisten lieb oder leide seyn, daß nicht zwanzig, auch vielleicht nicht zehen Jahre vergehen sollen, daß nicht deren in Deutschland, cum Applausu werde docirt werden.“548
Diese ersehnte erste Neuausgabe legte 1720 der Hallenser Rechtsordinarius und Hofrat Jacob Friedrich Ludovici vor.549 Sie enthielt erstmals auch eine Übertragung in das zeitgenössische Hochdeutsch. Diese so „vortreffliche Übersetzung“ hat dann später Curt Müller noch für die erste ReclamAusgabe des Landrechts übernommen.550 Müllers Einschätzung ist aber insofern nicht weiter maßgeblich, da dieser nicht zwischen der überlieferten Rückübersetzung ins Lateinische und dem lateinischen Urtext unterschied und daher beinahe zwangsläufig Ludovicis Übersetzung aus dem Lateinischen für überzeugender als den überlieferten niederdeutschen Text halten musste. Bereits 1732 erschien dann eine Folio-Ausgabe aus der Feder Carl Wilhem Gärtners, dem Kisch nicht weniger bescheinigt, als dass er die „critical investigation of the Sachsenspiegel“ überhaupt erst begonnen („inaugurated“!) habe.551 In der Tat hat sich Gärtner im Gegensatz zu Ludovici bemüht, seine Ausgabe auf handschriftlicher Grundlage anstelle der überkommenen Zobel-Drucke einzurichten. Problematisch wird seine Ausgabe, wenn man sich die Kriterien der Textherstellung vor Augen führt. Bei der Einrichtung des Glossentextes beispielsweise habe er sich, so Gärtner, „zu Emendierung derselben des berührten Codicis Lipsiensis III. und meines eignen Manuscripts, de Anno 1324. ingleichen der Baselischen Edition, von Anno 1474. bedienet, daraus nicht nur verschiedenes, so sich in den gedruckten Auflagen falsch befunden, geändert, sondern auch die neuerlichen Zusätze, die nur bey denen impressis Editionibus durch die Herausgeber, hin und wieder de proprio eingeflicket worden, weggestrichen“. Ferner habe er, „was die Allegata Juris anlanget, theils solche nach der heutigen Art zu citiren eingerichtet, theils verschiedene, weil sie immer nach und nach durch Editores erst darzu gebracht worden, weggelassen“, wozu er vor allem „die in den neueren Editionibus vielfältige Allegirung des Weichbilds und Sächsischen Lehn-Rechts rechne, als an die in den Codicibus Manuscriptis auch nicht ein eintziges mahl gedacht worden.“552 Letzteres zu548 549 550 551
Thomasius, Testament, S. 389 N. 177. Ludovici, Sachsen-Spiegel. Müller, Sachsenspiegel oder das Sächsische Landrecht, S. 3. Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 38.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
nächst ist unrichtig, wird doch das Lehnrecht vom Glossator an die siebzig Mal allegiert.553 Viel entscheidender als dieser aus der Zahl der Gärtner bekannten fünfzehn Codices vielleicht noch verhältnismäßig leicht erklärliche Irrtum aber bleibt die Tatsache, dass durch dieses Verfahren nicht nur ein vollständig unhistorischer, sondern auch bei allem guten Willlen des Editors nicht minder willkürlicher Text entstanden ist, der strictu sensu unbrauchbar für jede textkritische Beschäftigung wird. Das hat im Übrigen auch bereits Grupen gesehen, der darüber hinaus darauf hinwies, dass der „Hochteutsche Text [. . .] an nicht wenigen Orten, durch Gaertners unternommene Ausbesserungen, ubel verdorben“ sei, und „in dem aus dem Quedlinburgischen Codice von ihm edirten Landrecht gantze Reihen ubersehen und vorüber gelassen“ worden seien.554 Dennoch ist Gärtners Ausgabe die wohl am meisten benutzte während des 18. und frühen 19. Jahrhunderts und wurde erst durch die Editionen von Homeyer verdrängt.555 Danach bleibt sie für die Landrechtsglosse praktisch bis auf das Erscheinen der MGH-Edition im Jahre 2002 oft genutzt. Erwähnenswert in der Editionsgeschichte des Sachsenspiegels bleibt freilich auch die in der Regel übersehene Textausgabe von Johann Stephan Burgermeister, die noch kurz vor Ludovicis Neusgabe erschien. Textkritisch und damit editionsgeschichtlich von geringem bis keinem Wert, war sie dennoch nicht wirkungslos. Im Gegenteil: Denn sein Publikum war keineswegs ein rein juristisches, auch politici, stasti und historische Interesse sollten die Sammlung mit Gewinn nutzen können. Dem „Justiz-Rath / Consulent und Advocat“ legte er zunächst die „Peinlichen Hals-Gerichts- und [. . .] ProceßOrdnungen am Kayserl. Reichs- Hof- Rath- / und Cammer-Gericht“ nahe, während der „Liebhaber der Teutschen alten Staats-, Lehen und anderer Burgerlichen Rechte und Gewohnheiten / wie auch der Teutschen Reichs-History“ in seinem Corpus „nicht nur theils viel curioses, sondern auch theils viel noch heut zu Tag nutzliches und practicirliches in denen alten Allemannischen Rechten / Sachsen- und Schwaben-Spiegel / ältisten und alten Lands- und Lehenrechten und Gebräuchen / Kampff-Rechten und Gerichten / See-Rechten und Schiff-Ordnungen / dessen allen beedes sich ein Statisti und Politicus, sodann ein JCtus und Advocat, sich sonders casu congruo praevaliren und dadurch von andern Pseudo-Politicis, Statistis & Leguleiis sich wird distinguiren können.“556 Man wird die Zweckmäßigkeit der Einrich552
Gärtner, Sachsenspiegel, Vorrede, § 13. Kaufmann/Lieberwirth, Glossen, Bd. 3, S. 1695 f. (Register) mit einer Reihe von Nachwiesen aus dem Lehnrecht. 554 Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 91. Auch Sydow, Erbrecht, S. 5 kritisiert Gärtners Abdruck als „unvollständig und mangelhaft“. 555 Meckbach, Commentar, druckt seinem Kommentar durchweg den Text der Gärtnerschen Ausgabe vorweg. 553
XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte
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tung dieser Druckausgabe nicht unterschätzen dürfen, denn der Quartband, der „nach eines jeden Convenienz auch bequem in 2 kleine Band gebunden werden kan“557, war weitaus handlicher als die schweren Folio-Bände, in denen der Sachsenspiegel bislang zur Verfügung stand und bot ein Kompendium sämtlicher einschlägigen deutschen Rechtsdenkmäler. Indem Burgermeister die immer weiter angeschwollenen Ausgaben wieder vom (in seinem Sinne) Ballast der Glossen, Allegationen, Paralleltexte und Quellenbeigaben befreite, konnte er eine Ausgabe schaffen, die einen sprachlich zeitgemäßen, übersichtlich gesetzten Landrechtstext auf gerade einmal 76 Seiten bereitstellte – übrigens nicht einmal die Hälfte der gegenwärtigen Reclam-Ausgabe.558 Das Interesse der juristisch-historischen Wissenschaft an den deutschen Rechtsbüchern entwickelte sich im 18. Jahrhundert zu reicher Blüte. Die historische Betrachtung diente dabei der Quellenkritik, die aber wiederum das Eingeständnis in sich einschloß, das jeweilige Rechtsdenkmal könne unter Umständen durchaus noch eine rechtliche Relevanz für die Gegenwart entfalten. 1755 beispielsweise stellte der patriotische Theodor Emminghaus († 1758), zu dieser Zeit bereits Doktor der Rechte zu Jena, fest, das Soester Recht bestehe neben alt hergebrachten städtischen Gewohnheiten vor allem „partim ex universalibus quondam Saxoniae moribus, quorum reliquias, licet corruptas, adhucdum nobis sistunt famosum illud Saxonicum Speculum & ius Weichbildicum Magdeburgense.“ Diese Feststellung ist eher ungewöhnlich für seine Zeit, mag aber als mehr oder minder explziter Versuch gewertet werden, die westfälische Rechtsgeschichte als eigenständigen Entwicklungszweig des alten, sächsischen Stammesrechts von dem Anspruch der Deutungshegemonie der Jurisprudenz aus den kurfürstlich-sächsischen Gebieten zu befreien. „Nil quicquam“, so fährt er fort, „vero Romani aut canonici juris admixtum habet, sed pura prisci juris Germanici, praesertim Saxonici, praecepta continet, adeoque ad illustrandam jurisprudentiam germanicam haud parum prodesse illud, nemo non intelligit. Utut autem genuina veteris Saxonici juris vestigia in statuto nostro reperiri fatendum sit, nequaquam tamen ex supradicto Specula Sax. aut Weichbildo Magdeburgensi excerptum illud esse, inde concludi debet. Utriusque enim aetatem jus Susastense procul dubio excedit“.559 Auch wenn also das alte Sachsenrecht in Eikes Rechtsbuch und im Magdebuger Weichbildrecht noch in verderbter Form erhalten sei, so enthalte das Soester Recht keinerlei römische oder kanonische Einflüsse, sondern reines Sachsenrecht, das weder dem Spiegel 556 557 558 559
Burgermeister, Teutsches Corpus Juris, S. *4 f. (Vorrede). Burgermeister, Teutsches Corpus Juris, S. *3 (Vorrede). Ebel, Sachsenspiegel. Land- und Lehnrecht, S. 15–169 (Ldr. und Vorreden). Emminghaus, Commentarius, S. 16 f.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
noch dem Weichbildrecht entnommen sei. In der Tat nahm sich der gelehrte Mann daher vor, „praeprimis autem id peragendum intendi, ut convenientiam statuti nostri, non cum Speculo Saxonico solum, verum & cum antiquissimis maxime illis, juris Lubecensis atque Hamburgensis, codicibus [. . .] eruerem.“560 Seine gesamte Untersuchung ist getragen von der Überzeugung, mittels der Spiegelrechte auf ein universales deutsches Recht des Mittelalters zugreifen zu könne. („[. . .] per universam fere Germaniam usu invaluisse, luculenter utriusque Speculi perdocemur textibus.“).561 So kommt er in weitläufigen Zusammenstellungen zu einer beinahe vollständigen Privat- und Strafrechtsdogmatik, innerhalb derer die Sätze des Soester Rechts mit solchen des Sachsenspiegels, des Magdeburger Weichbildrechtes, des Schwabenspiegels und einer Reihe von Stadtrechten nicht nur verglichen, sondern auch historisch ergänzt werden. So setzt er dem Recht des Fronboten hinzu: „Potestatem insuper habeat, decimum quemque ad mortem damnatum dimittendi, also das er ihn zu lösen geben mogte. Idem [Ssp. Ldr.] Lib. III. Art. LVI. Ius Suev. Cap. XXVI. sq.“562 Eine besondere Vorliebe scheint er dabei für nicht mehr gebräuchliche Rechtssätze, wie eben auch diesen über das Lösungsrecht des zehnten Mannes, zu entwickeln. Über die Gerichtskämpfe heißt es: „Nec medio, quo Specula condebantur, ac subsequente aevo, quidquam hic immutatum, sed certamina illa, in criminalibus maxime causis, adhucdum usitata, novasque solum de reformandis eis leges promulgata fuisse, praeter Ius Saxon. Lib. I. Art. XVI. LXIII. seqq. & Ius Suev. Cap. CXIV. passimque alibi, abunde testatur ‚Die Kampfgerichtsordnung des Burggrafthums Nürnberg‘ de anno 1410 nec non ‚Die Ordnung des Kampfrechts am Landgericht zu Franken‘ de anno 1512 ap. Goldastum P. II. ‚der Reichssatzungen‘ & Burgermeisterum ‚Im teutschen Corp. Jur. Publ. & Priv.‘ P. I. p. 707.718. quibus add. Du Fresne ‚Glossar‘ Tom. II. p. 193. seqq. Ubi certaminum forensium, ex ipso judicum decreto, seculo adhuc XVI. in Gallia quoque initorum, exempla reperies.“563
Aber auch mit Kritik an den Rechtsbüchern spart Emminghaus nicht. So wettert er anlässlich der Beschreibung des tripartiten Gerichts in Soest (Art. 2: „So sint drey Gherichte binnen der Stat. Dat eyne unses Heren van Colne, dat andere des Provestes von Sust, unde dat derde des Raydes.“) gegen die Zwei-Schwerter-Lehre des Sachsen- und Schwabenspiegels: „Suprema omnis jurisdictionis diviso est, quod vel sacra sive ecclesiastica sit, vel secularis. Thomasius in diss. de jurisd. & magistr. diff. sec. mor. germ., Th. L. Utriusque in Germania nostra fontem solum imperatorem ab antiquissimis inde temporibus fuisse constat. Quas enim in contrarium de protestate Papae compila560 561 562 563
Emminghaus, Emminghaus, Emminghaus, Emminghaus,
Commentarius, Commentarius, Commentarius, Commentarius,
Praef. (unpag.), fol. 5r. S. 154 f. S. 46 f. (§ 11). S. 146 f. (§ 41).
XII. Der Beginn der rechtshistorischen Erforschung der Spiegelrechte
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tores Speculi Suevici in praef. Art. X. Saxonici Lib. I. Art. I. iurisque Weichbildici Art. VIII. admiscuerunt nugas, fundamento suo destitui, solaque illorum temporum superstitione niti, neminem fugiet, qui vel aliquam saltim summae quondam imperatorum per Germaniam potestatis, in causis ecclesiasticis pariter ac secularibus, notitiam ex historia patria sibi adquisivit.“564
Bemerkenswert an dieser Äußerung ist, dass Emminghaus nicht nur das Soester Recht, sondern auch die sächsischen Rechtsbücher historisiert, wenn er die Quelle der Zwei-Schwerter-Lehre in einer „historia patria sibi“, einem Märlein aus Eikes Heimat, sieht. Ein durchaus zeittypisches Produkt der Mitte des 18. Jahrhunderts stellt schließlich der „Commentar über den Sachsen-Spiegel“ Hieronymus Christoph Meckbachs dar.565 Er ist bis heute die einzige durchgängige Kommentierung des Rechtsbuches. Solche Kommentarwerke sind zu allen reichsrechtlich bedeutsamen Texten, beispielsweise auch zur Carolina566 oder zur Goldenen Bulle,567 verfasst worden. Insofern sagt Meckbachs über eintausend Druckseiten starke Arbeit durchaus auch etwas über die Bedeutung des sächsischen Landrechts für die Jurisprudenz seiner Zeit aus. Der Band gibt durchweg in zweispaltigem Druck einen niederdeutschen Text des Landrechts samt der hochdeutschen Übertragung Ludovicis, dem sich eine eingehende Besprechung anschließt. Besonderen Wert legt Meckbach dabei auf die Erklärung antiquierter Rechtsbegriffe und -institute. Hin und wieder gibt er auch Vergleichsquellen aus dem Bereich des sächsischen Rechts, vor allem aus der Weichbildvulgata und dem Görlitzer Rechtsbuch, an. Ein Vergleich mit den Quellen des gelehrten Rechts findet dagegen seltener statt. Auch die Verweise in die juristische Literatur sind im Vergleich mit den spätbarocken Literaturhäufungen anderer zeitgenössischer Werke eher sparsam. Dennoch ist der vor wenigen Jahren im Nachdruck erschienene Band ein dankbares Hilfsmittel für den Einstieg in die Behandlung des sächsischen Landrechts durch die Rechtswissenschaft der Aufklärung.
564 565 566 567
Emminghaus, Commentarius, S. 19 f. Meckbach, Commentar. Malblank, Geschichte. Kümper, Goldene Bulle, S. 179–182.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
XIII. Historische Rechtsschule und Deutsche Privatrechtswissenschaft Noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts herrschte keinesfalls Einigkeit über die Existenz eines gemeindeutschen mittelalterlichen Rechts, geschweige denn über die Methoden seiner Erforschung.568 Während beispielsweise Hufeland hinter den einzelnen lokalen und territorialen Rechtsaufzeichnungen keine Einheit erkennen wollte,569 gingen manche, wie Danz, so weit, daraus die Prinzipien zumindest der allgemeinen Institute des Privatrechts ziemlich unmittelbar geltenden Rechts ableiten zu wollen („ius germanicum in thesi“).570 Ungebrochen bleibt aber die hohe Bedeutung, die man den mittelalterlichen Rechtsbüchern, selbst in der allgemeinen, außer-juristischen Wahrnehmung, für die deutsche Rechtsentwicklung beimisst. So wird der Sachsenspiegel beispielsweise regelmäßig als eine der grundlegenden deutschen Rechtsaufzeichnungen bereits im Elementarunterricht eingeführt.571 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts verdichteten sich dann die Tendenzen aus dem breiten Feld der juristischen Germanistik zu einem eigenständigen, methodisch reflektierenden Zweig der deutschen Rechtswissenschaft, den man in Anlehnung an eigene Bezüge, vor allem in den Titeln der aus ihre hervorgegangenen Werke, als „Deutsche Privatrechtswissenschaft“ bezeichnet. Die Frühzeit dieser Strömung wird vom Paradigma der Historischen 568 Grundliegend zum Folgenden Kroeschell, Zielsetzung; Luig, Anfänge; Gudian, Gemeindeutsches Recht. 569 Hufeland, Beyträge, Abh. 3 („Giebt es ein allgemeines deutsches Privatrecht im juristischen Sinne?“). 570 Danz, Handbuch, Bd. 1, bes. S. 297 ff. Danz’ zehnbändiges Handbuch schließt sich methodisch an die außerordentlich erfolgreichen „Grundsätze des gemeinen deutschen Privatrechts“ Justus Friedrich Rundes (2. überarb. Aufl. 1795) an. Darüber bemerkte noch 1846 Carl Friedrich Gerber, das Werk sei „fast bis auf unsere Tage von der Zeit seines Erscheinens an das hauptsächlichste Organ des deutschen Privatrechts in der Praxis gewesen“, man habe es gar so zitiert „wie man sich sonst etwa auf Stellen des Corpus Juris zu berufen pflegt“; zit. nach Kroeschell, Germanischer Eigentumsbegriff, S. 47. Noch gute hundert Jahre zuvor war eine solche Praxis übrigens so ungewöhnlich nicht, denkt man beispielsweise an die hohe Autorität, die den Schriften Carpzovs zukam. Zur Diskussion um den deutschrechtlichen Eigentumsbegriff vgl. in Anschluss an Kroeschell nun auch Kleensang, Konzept, S. 104 ff. 571 Reccard, Lehr-Buch, S. 349 f.: „Im 13ten Jahrhundert verfertigte Ecko von Repkau den Sachsenspiegel oder das Sächsische Gesetz, woraus hernach das Sächsische und Magdeburgische Weichbild verfertigt wurde.“ (im Kapitel „131. Was ist von der Geschichte der Rechtsgelahrtheit zu bemerken?“, S. 349– 351). Bei Reccards „Lehr-Buch“ handelt es sich nicht um irgend eine beliebige, für den Schulgebrauch konzipierte Schrift, sondern um ein hoheitlich initiiertes Schulwerk für Preußen, das im Zuge der Bildungsreform entstand.
XIII. Historische Rechtsschule und Deutsche Privatrechtswissenschaft
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Rechtsschule befruchtet und zugleich beherrscht, die untrennbar mit dem Namen Friedrich Carl von Savignys († 1861)572 verbunden ist. 1815 gründete er zusammen mit Eichhorn und dem etwas im Schatten dieser beider Ausnahmepersönlichkeiten verschwindenen Johann Friedrich Göschen († 1837) die „Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft“, die als Organ der so genannten „historischen Rechtsschule“ gilt. Die insgesamt fünfzehn bis 1850 erschienenen Bände werden allerdings durchweg von den romanistischen Vertetern der historischen Rechtsschule (vor allem Savigny, Huschke, Rudorff) dominiert, so dass sich – abgesehen von einigen grundlegenden Beiträgen Eichhorns – darin kaum etwas zur Geschichte der mittelalterlichen deutschen Rechtsquellen findet. Dagegen hat Göschens Sohn Otto († 1865), vor allem durch die Herausgabe der „Goslarischen Statuten“ und deren Vergleichung mit dem Meißner Rechtsbuch,573 die Rechtsbücherforschung vorangebracht.574 Der Fehleinschätzung Eichhorns, der aufgrund der Gegenüberstellung von sächsischem und schwäbischem Recht in Ssp. Ldr. I 19 davon ausging, Eikes Rechtsbuch gebe nicht spezifisch sächsisches, sondern gemeindeutsches Recht wieder,575 hat man den Umstand angelastet, man habe sich in den Folgejahrzehnten „in Ermangelung nährer Erforschung der nichtsächsischen Rechte“ daran gewöhnt, „das Recht des Ssp. als das gemeine Recht des Mittelalters zu betrachten und zu behandeln“.576 Zu dieser Beobachtung will recht gut passen, dass gerade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sich auch die eindeutige Bevorzugung des Sachsenspiegels gegenüber dem Schwabenspiegel als Forschungsfeld der Rechtsgeschichte und der geschichtlichen Privatrechtswissenschaft etabliert.577 Noch Otto von Gierke konnte sich durchaus auf Seiten der herrschenden Meinung wissen, wenn er euphorisch von jenem „gemeinen Sachsenrecht, das fort und fort deutsche Rechtsgedanken wahrte und sie schließlich wieder dem gemeinen deutschen Recht zuführte“ sprach.578 572 Aus dem reichen Schrifttum über Savigny bleibt für unsere Belange einschlägig Coing, Savigny. 573 Siehe unten, S. 437 ff. 574 Im Nachlass Savignys (UB Marburg) werden eine Reihe von Briefen an und von Otto Göschen, den Savigny offenbar sehr förderte, verwahrt, die bislang noch nicht gedruckt worden sind. 575 Eichhorn, Geschichtliches Studium, S. 143; ders., Staats- und Rechtsgeschichte, S. 273 (§ 279). 576 Roth, Rechtsgeschichtliche Forschung, S. 26. 577 Diesen Prozess hat sehr knapp und treffend Derschka, Schwabenspiegel, S. 8 f. und etwas ausführlicher Gudian, Gemeines deutsches Recht, S. 34–37 skizziert. 578 Gierke, Historische Rechtsschule, S. 15.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Tatsächlich ist der Sachsenspiegel bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts die erstrangige Quellengrundlage der gemeinrechtlichen Germanistik geblieben. Zu den Axiomen der Historischen Rechtsschule gehörte allerdings die Annahme, dass über alle phänomenologischen Unterschiede hinweg, das Recht eines Volkes (einer „Nation“) als Ergebnis eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses aus dem Wesen des Volkes selbst entstanden sei und daher – gleich wie die unterschiedlichen Dialekte einer Sprache – einen gemeinsamen, wesenhaften Kern besäßen. Als zentrale Arbeitsmethode der gemeinrechtlichen Germanistik muss daher auch die Rechtsvergleichung gesehen werden. Auch diese Ansicht war an sich nicht neu. Schon Dreyer war überzeugt vom „usu genuino iuris Anglo-Saxonici in explicando iure Cimbrico et Saxonico“.579 Berühmte und noch immer wertvolle Arbeiten der gemeinrechtlichen Germanistik sind beispielsweise Plancks Darstellung des mittelalterlichen deutschen Gerichtsverfahrens auf der Grundlage des Sachsenspiegels580 oder Weiskes „Grundzüge des teutschen Privatrechts“.581 Für die privatrechtliche Literatur, auf die sich die gemeinrechtliche Germanistik im Verlaufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr verengte, waren das Andreas Heuslers zweibändige „Institutionen des Deutschen Privatrechts“.582 Alle späteren Darstellungen des Deutschen Privatrechts bis hin zu Mitteis583 bauen darauf auf.584 Neben solchen Standardwerken mit langer Nachwirkung ist aber auch eine Fülle kleinerer und größerer Arbeiten auf diesem Gebiet von sehr unterschiedlicher Qualität entstanden. Überdies lässt sich feststellen, dass viele Herausgeber deutscher Rechtsbücher und einschlägige Forscher auf diesem Gebiet (zum Beispiel Karl Willhelm Kraut, Richard Schröder, Otto Stobbe oder Friedrich Ortloff) auch mit eigenen Überblicksdarstellungen zum deutschen Privatrecht hervorgetreten sind. 579 Dreyer, De usu genuino, S. 239 betont, es sei unerlässlich, „auf den Nutzen der Studirenden und Excolirung einer gründlichen und practischen Rechtsgelehrsamkeit das Absehen zu richten, insonderheit das Ius Germanicum privatorum e genuinis fundamentis et fontibus domesticis consuetudinariis et legalibus mit allem Fleiße vorzutragen, und zu dem Endzweck die Historie des teutschen Civil-Rechts so wohl alter, als mittlerer und neuere Zeit, und die damit verknüffte Erkänntniß des Status et indolis civils Germanorum [. . .] so wohl communium, als particularium et singularium Germaniae zum Grunde zu legen, wie auch desto mehrern gründlichen Erklährung und Erläuterung der teutschen Gewohnheiten und Gesetze die Antiquitates iuris patriis, chartas, diplomata, Scriptores et scripta rerum germanicarum und übrige adiumenta iursprudentiae fleisig und wohl anzuwenden.“ 580 Planck, Deutsches Gerichtsverfahren. 581 Weiske, Grundsätze. 582 Heusler, Institutionen – über Heusler vgl. Bühler, Andreas Heusler. 583 Mitteis, Deutsches Privatrecht. 584 Gudian, Gemeindeutsches Recht, S. 36.
XIII. Historische Rechtsschule und Deutsche Privatrechtswissenschaft
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Ein unschätzbares Hilfsmittel für die Erschließung des reichen Schrifttums dieser Zeit über die Gemeinsamkeiten des sächsischen Rechts und zugleich ein bemerkenswertes Zeugnis der zeitgenössischen Rechtswissenschaft bieten die 1851 erschienenen „Pandekten des gemeinen Sächsischen Rechts“ des Weimarer Staatsarchivars Gustav Emminghaus († 1859),585 eines Nachfahrens des oben bereits erwähnten Soester Gelehrten.586 In 32 jeweils in mehrere Tituli unterteilten Büchern unternahm er es, dem Vorbild der Pandekten folgend, einzelne Quellenpassagen und vor allem Lehrmeinungen einschlägiger Juristen unter Sachgesichtspunkten in Langzitaten zusammenzustellen. Der Bearbeiter selbst trat dabei weitestgehend zurück und beschränkte eigene Kommentierungen auf einige sparsame Fußnoten. So finden sich Schöffensprüche und Auszüge aus den Kursächsischen Konstitutionen, der Weichbildglosse oder einzelnen Gerichtsordnungen des 19. Jahrhunderts neben Exzerpten aus Arbeiten Carpzovs, Schotts oder Weiskes. Neben der Blüte der gemeinrechtlichen Germanistik ist für die Geschichte der Rechtsbücherforschung im 19. Jahrhundert vor allem das Wirken Carl Gustav Homeyers († 1874)587 von allergrößter Bedeutung. Auf dem Feld des Deutschen Privatrechts hat er sich nicht nachhaltig bewegt, aber als akademischer Lehrer einigen Einfluss entfaltet; zu seinen Schülern gehörte unter anderen auch Otto von Gierke. Berühmt ist Homeyer jedoch der Nachwelt vor allem durch das von ihm begründete und selbst noch zweimal bearbeitete Handschriftenverzeichnis der deutschen Rechtsbücher sowie seine textkritischen Editionen des Sachsenspiegels geworden. Die dritte und letztmalig vermehrte Ausgabe des Landrechts aus dem Jahre 1861 wird für die vorliegende Untersuchung zur Textgrundlage gewählt. Alle Zitate aus dem Sachsenspiegeltext beziehen sich, soweit nicht anders angegeben, auf diese Ausgabe. In einem Brief vom Juni 1826 an Savigny betont er, dass sein „Verdienst dabei eigentlich nur der“ sei, „einen wohlfeilen, jederman zugänglichen Abdruck einer vorzüglichen Handschrift besorgt zu haben“.588 Besonders letzteres ist nachdrücklich zu unterstreichen. Auf den besonderen Wert von Homeyers Ausgabe hat mehrfach Ruth SchmidtWiegand mit überzeugenden Argumenten hingewiesen.589 In der Tat erfüllt die zugrunde liegende Berliner Handschrift alle Bedingungen, die man an eine gute Leithandschrift zu stellen geneigt sein wird.590 Auch die aktuelle 585
Emminghaus, Pandekten. Siehe oben, S. 313 f. 587 Über ihn vgl. Löning, Homeyer, und den Nachruf von Alfred Broetius in der ZfdPH 6 (1875), S. 217–221. 588 Marburg, UB, Ms. 925/1198. 589 Schmidt-Wiegand, Überlieferungs- und Editionsprobleme; dies., Überlieferungskritische Ausgabe; dies., Von der autornahen zur überlieferungskritischen Ausgabe; Dobozy, Saxon Mirror, S. 35. 586
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Tischvorlage für die Erarbeitung der DFG-Richtlinien zur Beschreibung mittelalterlicher deutscher Rechtshandschriften schlägt die Homeyersche statt einer der von Eckhardt besorgten Ausgaben vor.591 Die Pläne einer kritischen Ausgabe des Eikeschen Rechtsbuches reichen bis in die erste Hälfte des Jahrhunderts zurück. Auf Anregung Friedrich August Nietzsches († 1834) wuchs der Plan einer Edition des Spiegels für die MGH,592 die aber erst runde einhundert Jahre später durch Eckhardt abgeschlossen werden sollte. Die von Nietzsche angestrebte und noch 1910 bei Müller als dringendes Desiderat angemahnte „auf Heranziehung des gesamten Stoffs zu begründene Neuausgabe“593 ist allerdings schon bald aufgegeben worden. So bleibt Homeyers letzte Ausgabe bis heute im Grunde das Beste, was wir haben – und ganz zu Recht hat vor wenigen Jahren noch Nadine Wallmeier in einer Rezension von Kallers weniger hilfreicher Neuübertragung des Landrechts in das Hochdeutsche angemerkt: „Es bleibt jedoch zu erhoffen, dass es irgendwann zu einer Kooperation von Rechtsund Sprachwissenschaft kommt, die mit einer neuen kritischen Edition und einer kommentierten Übersetzung die Sachsenspiegelforschung bereichert.“594 Sehr günstig sieht es damit momentan freilich nicht aus. Mit dem Ausgang des Jahrhunderts und seit der Reichsgründung von 1871 verdichtete sich die Diskussion um eine einheitliche, reichsweite Privatrechtsordnung wie sie in einzelnen Territorien seit etwa der Jahrhundertmitte eingeführt worden war. Diese Gesetzgebungen bedeuteten in aller Regel das formale Ende des sächsischen Rechts als subsidiäre Rechtsquelle, so beispielsweise 1863/65 in Sachsen.595 In Preußen löst das Allgemeine Landrecht von 1794 zwar das Landrecht des Sachsenspiegels ab, das Lehnrecht behielt aber seine Gültigkeit als Subsidiärrecht bis zur Promulgation der preußischen Verfassung im Jahre 1850.596 In Thüringen und Anhalt behielt das Gemeine Sachsenrecht und damit der Sachsenspiegel sogar noch
590
Die Handschrift hat Müller, Berliner Sammelhandschrift, eingehend unter-
sucht. 591 Brigitte Pfeil, Schema zur Beschreibung deutschsprachiger Rechtshandschriften (insbesondere Sachsenspiegel und Weichbildrecht). Ergebnisse des Expertengesprächs zur Katalogisierung deutschsprachiger Rechtshandschriften (Handschriftenzentrum Leipzig, 20. Juni 2003), online unter , S. *4 (unpag.). 592 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 83. 593 Müller, Westfälische Sachsenspiegelhandschrift, S. 329 f. 594 Nadine Wallmeier in ihrer Besprechung von Paul Kallers Sachsenspiegel-Ausgabe (2002) im Niederdeutschen Jahrbuch 128 (2005), S. 185–187, hier S. 187. 595 Einzelheiten bei Ahcin, Entstehung. 596 Lieberwirth, Wirkungsgeschichte, S. 85.
XIII. Historische Rechtsschule und Deutsche Privatrechtswissenschaft
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durch das gesamte 19. Jahrhundert seinen Status bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich.597 Es fehlt aber in diesen Jahren nicht an höchstrichterlicher Bestätigungen der subsidiären Geltungskraft des Sachsenspiegels.598 Nach der Einführung des BGB am 1. Januar 1900 hat es nur noch eine einzige solche Bezugnahme, jenes Urteil des Reichsgerichtshofs in Zivilsachsen,599 gegeben, das allerdings immer wieder als Kuriosum durch die Literatur geistert. Jürgen Goydke hat diesen und andere Fälle zusammengestellt und ausführlich besprochen, so dass an dieser Stelle darauf verzichtet werden kann.600 Allerdings befasste sich noch 1989 der Bundesgerichtshof in einem Rechtsstreit zwischen der Bundesrepublik und dem Land Schleswig-Holstein mit der Frage der Sachsenspiegelrezeption in Holstein.601 Strittig war die Zugehörigkeit einiger Grundstücke in der Hohwachter Bucht, die durch die Versandung des Großen Binnensees in den vorhergehenden Jahrzehnten zu Meeresstrand geworden waren. Dabei stellte der Bundesgerichtshof fest, dass für die fraglichen Gebiete nicht das Jütsche Low von 1240 oder das Preußische Allgemeine Landrecht, sondern zuvorderst der Sachsenspiegel zur Anwendung zu kommen habe, dieser aber keine einschlägige Regelung für den vorliegenden Sachverhalt enthalte, auch Ssp. Ldr. III 56 §§ 2, 3 nicht entsprechend ausgelegt werden könne, so dass als subsidiäres Recht nur das Ius commune in Frage käme.602
597
Lück, Sachsenspiegel, S. 75 f. Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Bd. 7, S. 133 (15. April 1882) mit Bezug auf Ssp. I 17 § 1; ebd., Bd. 29, S. 1351 (17. Mai 1892) mit Bezug auf Ssp. I 31 § 2; ein vager Hinweis auch in Bd. 4 (1881), S. 128 – vgl. auch Gierke, Privatrecht, Bd. 1, S. 62 Fn. 6 und Cohn, Kampf, S. 43. 599 Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen, Bd. 137, S. 324–344 (9. Juli 1932) mit Bezug auf Ssp. Ldr. I 52 § 1. In einer Streitfrage zwischen dem Freistaat Sachsen-Anhalt bzw. dessen Rechtsnachfolger Thüringen mit dem ehemaligen Herzog von Sachsenanhalt stellte der Gerichtshof fest, „daß der Sachsenspiegel, die Grundlage des gemeinen Sachsenrechts, in Buch I. Art. 52 § 1 die Bestimmung enthält, niemand dürfe ohne der Erben Erlaubnis sein ‚Eigen‘ (ererbten Grundbesitz) vergaben, tue er es dennoch, so könnten die Erben das Gut mittels Klage von dem Besitzer herausverlangen“ (S. 343). 600 Goydke, Spuren. 601 Über diesen Fall vgl. auch Goydke, Spuren, S. 133 sowie Harders, Seewasserstraße. 602 BGHZ 108 (1989), S. 110–127, hier S. 122. Zum Weiterleben einzelner Rechtssätze des Sachsenspiegels im modernen deutschen Recht vgl. Riedl, Geltendes Recht und ders., Bürgerliches Gesetzbuch; vgl. im Übrigen auch den älteren Beitrag von Krause, Deutschrechtlicher Anteil, und die Studie von Wilderink, Hand muß Hand wahren. 598
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
XIV. Sachsenspiegelforschung im Nationalsozialismus Sieht man die Homeyerschen Editionen mit gutem Grund als epochalen Einschnitt in der Forschungsgeschichte der deutschen Rechtsbücher, so wird man mit dem außergewöhnlich produktiven Wirken Karl August Eckhardts († 1979) sicherlich einen weiteren solchen Einschnitt ansetzen müssen. Auch er hat, obwohl als Wissenschaftler nicht durchweg unumstritten wie auch als politische Persönlichkeit problematisch, als Editor ebenso wie als Forscher Bahnbrechendes geleistet. Ich möchte daher die Gelegenheit nutzen, diesem wichtigen, vielleicht sogar wichtigsten Vertreter der Rechtsbücherforschung einige Zeilen mehr als anderen zu widmen, um auch seine Biographie wenigstens in den gröbsten Zügen vorzustellen. Hermann Nehlsen hat Eckhardt einen späten, dafür aber ungewöhnlich ausführlichen, vielfach auf Quellenmaterial gestützten Nachruf gewidmet.603 Sein Wirken ist von Beginn an eng mit den deutschen Rechtsbücher verwoben: Nach einer Dissertation über die Witzenhausener Schwabenspiegelhandschrift bei Walther Merck (1922)604 und Habilitation bei Herbert Meyer in Göttingen über den Deutschenspiegel (1924)605 hat Eckhardt bereits in den 1920er Jahren rasch Karriere gemacht. Gerade einmal 23 Jahre alt, wurde er 1924 zum Privatdozent für Deutsche Rechtsgeschichte in Göttingen ernannt, bereits 1928 als Ordinarius nach Kiel und 1930 an die Berliner Handelshochschule berufen. Einem Ruf nach München wollte, konnte er aber nicht folgen, weil ihn das Ministerium nicht aus Kiel gehen lassen wollte, da die „neugebildete Fakultät einen ersten Versuch darstelle, mit einer Gruppe junger Dozenten die neuen Aufgaben an der Hochschule zu lösen“.606 In der Tat hatte sich die junge Juristenfakultät bereits in besonderem Maße im neuen System profiliert.607 Nach zeitweiser Lehrtätigkeit in Bonn wurde Eckhardt wieder nach Berlin und im September 1935 auf die Nachfolge von Ulrich Stutz berufen. Seit Ende des Jahres war er dann als Herausgeber der Vierteljahreszeitschrift „Deutsche Rechtswissenschaft“ tätig, die auf Initiative der nationalsozialistischen Minister Frank und Rust ins Leben gerufen worden war, bald aber in Kollegenkreisen als „Eckhardts 603
Vgl. vor allem Nehlsen, Nachruf K.A. Eckhardt, und Niemann, Eckhardt. Marburg, StA, Salbücher-Depositum der Stadt Witzenhausen (Oppitz Nr. 1007) – vgl. Eckhardt, Witzenhäuser Schwabenspiegelhandschrift. 605 Siehe unten, S. 362 f. 606 Briefliche Mitteilung des Preußischen Wissenschaftsministeriums an das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kuluts vom 16. September 1933 (GStA, Rep. 76 V a Sekt. 9 Tit. 4 Nr. 4 Bd. VIII); zit. nach Niemann, Eckhardt, S. 162. 607 Zur Kieler juristischen Fakultät vgl. im Übrigen auch Eckert, Juristische Fakultät. 604
XIV. Sachsenspiegelforschung im Nationalsozialismus
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Zeitschrift“ bekannt war.608 Als durchaus unrühmlich wird man seine Rolle während des nationalsozialistischen Regimes bezeichnen müssen. Obwohl Eckhardt nur für drei Semester zwischen 1936 und 1938 in Berlin lehrte, findet sich das Meiste und Beste über seine Biographie und seine Position als Referent im Staatsministerium in der gründlichen Studie zur juristischen Fakultät der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität von Anna-Maria von Lösch.609 Von Berlin wechselte er bereits im Wintersemester 1937/38 an die Universität Bonn. Eckhardt war „einer der wenigen Hochschullehrer, die bereits vor dem Machtwechsel in der braunen Bewegung aktiv wurden“.610 Einige Rahmendaten mögen hier genügen: Seit 1931 war er Mitglied der SA, trat nach seiner Berufung nach Kiel im Oktober 1933 dann in die SS ein. Als Untersturmführer gehörte er seit Januar 1935 dem persönlichen Stab Himmlers an. Im Frühjahr 1937 scheiterte Eckhardts Ernennung zum Leiter der Preußischen Staatsarchive an der persönlichen Entscheidung Hitlers, weil jener eine „völlig unzulängliche Einstellung in der Judenfrage“ habe.611 Im Entnazifizierungsverfahren wurde Eckhardt als „Mitläufer ohne Berufsbeschränkung“ eingestuft,612 jedoch nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Mai 1947 nicht wieder in ein Anstellungsverhältnis übernommen. In den Vorbemerkungen seiner letzten großen Sachsenspiegelarbeit, die sich Eike und Hoyer von Falkenstein widmet, hat er bitter beklagt, „als Wissenschaftler auf ein totes Geleis [!]“ abgedrängt worden zu sein.613 608
Nehlsen, Eckhardt, S. 505. Lösch, Der nackte Geist, S. 405–426 (Biographie) u. ö. 610 Lösch, Der nackte Geist, S. 408. 611 Niemann, Eckhardt, S. 170 f. Anlass war ein in der Tat bemerkenswert ambivalenter Nachruf Eckhardts auf Max Pappenheim [in: ZRG GA 55 (1935), S. XIII f.], in dem heißt: „Max Pappenheim hatte so gar nichts gemein mit dem unerfreulichen jüdischen Literatentyp, der ein Menschalter lang unsere Hochschulen überflutet hat. Er litt schwer an dem Pariagefühl des Rassefremden, da er mit allen Fasern an deutschem Wesen hing und zum Deutschtum strebte, während er seinen eigenen Rassegenossen zumeist mit tiefinnerlicher Ablehnung gegenüberstand. Nie hat er seine jüdische Abkunft zu verleugnen gesucht, wie er es auch verschmäht hat, aus äußeren Gründen ‚einen Unglauben mit dem anderen zu vertauschen‘, eine Äußerung, die allerdings mehr in Form als dem Inhalt galt. Seinen Kindern aber gab er das Wort mit auf den Weg: ‚Ich habe schon als Kind versucht, den Juden in mir abzutöten; Euch wird der Kampf einmal leichter werden.‘ Ein Ausspruch, der die tiefe Tragik seines Lebens aufdeckt und auch den, der mit grundsätzlich anderer Einstellung zu Rassefrage gegenübertritt, mit warmen, menschlichen Mitgefühl erfüllen muss.“ 612 Niemann, Eckhardt, S. 165 mit Verweis auf die Personalakte Eckhardt, Universitätsarchiv Bonn. 613 Eckhardt, Eike und Hoyer, S. 7. Den in diesem Vorwort stilisierten märtyrerhaften Selbstverzicht, für ihm verwehrte, vorgebliche Rechte nicht einzutreten, hat 609
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
Seit dem Oktober 1934 freilich hatte Eckhardt als Referent des Reichs- und Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung für die Fächer Recht, Staat, Politik, Wirtschaft und Geschichte maßgeblich an der nationalsozialistischen Reform des juristischen Studiums mitgewirkt614 und darüber hinaus entscheidenden Einfluss auf die Besetzung der Lehrstühle in den genannten Fächern entfaltet. Auch an der Verdrängung und später dann expliziten Entlassung jüdischer Gelehrten aus dem deutschen Hochschuldienst war er maßgeblich beteiligt, was nicht zuletzt Himmler selbst betont.615 In diesen Jahren erschienen Eckhardts Land- und Lehnrechtsausgabe für die MGH, die er 1955/56 noch einmal in überarbeiteter Form vorgelegt hat; außerdem auch die Edition der Quedlinburger Handschrift. Bereits Borchling hatte in der Besprechung der letzteren auf die „reizvolle und dringliche Aufgabe“ hingewiesen, nun „dem Werk auch das ursprüngliche Sprachgewand wiederzugeben“.616 Ähnliches hatte Eckhardt bereits in seiner Schulausgabe für die MGH unternommen: Er strebte darin allerdings nicht an, den Text „in eine hypothetische Reppichauer Mundart von 1220/1230“ zurück zu übertragen, sondern unternahm es, durch Übertrag der mittelniederdeutschen Reliktwörter auf vergleichbare Stellen der Handschrift eine normalisierte Textform in einheitlichem Formen- und Lautstand herzustellen.617 Von philologischer Seite ist dieses Verfahren sehr kritisch aufgenommen worden.618 Seine Textausgaben haben dennoch bis in die jüngste Zeit die Homeyerschen Editionen verdrängen können. In der Nachkriegszeit hat sich Eckhardt, der keine universitären Ämter mehr bekleiden konnte, in weiten Teilen von der rechtshistorischen GrundEckhardt im Übrigen auch an anderer Stelle nicht fehlen lassen. So schrieb er in Reaktion auf die ihm verwehrte Emeritierung: „Jedenfalls will es mir scheinen, daß wir, die wir in einer Zeit geschwiegen haben, in der es uns als damalige überzeugte Nationalsozialisten vor anderen oblegen hätte, für wohl erworbene Rechte einzutreten, nicht mehr aktiv legitimiert sind, im Namen des Rechts Forderungen zu stellen.“ – zit. nach Niemann, Eckhardt, S. 165. 614 Lösch, Der nackte Geist, S. – vgl. dazu auch Frassek, Steter Tropfen, bes. S. 300 ff. und ders., Reformbestrebungen. 615 Nehlsen, Eckhardt, S. 510 mit entsprechenden Zitaten. 616 ZRG GA 54 (1934), S. 344. 617 Eckhardt, Sachsenspiegel. Landrecht [1955], S. 28 f. legt die Prinzipien seiner Vorgehensweise offen. 618 Vgl. die Besprechungen von Karl Bischoff im AfdA 69 (1956/57), S. 153–160 (Ldr.) und 71 (1958/59), S. 22–26 (Lnr.) sowie Schmidt-Wiegand, Überlieferungskritische Ausgabe, S. 7. Einige interessante Bemerkungen zur Einrichtung der Edition, vor allem im Hinblick auf die stark erweiterten Quellenverweise, in Kischs Briefwechsel mit Roderich Schmidt (Frankfurt a. M., MPIER, NL Guido Kisch, Nr. 3:69).
XIV. Sachsenspiegelforschung im Nationalsozialismus
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lagenforschung zurückgezogen, sich aber unter anderem als Herausgeber der für die Rechtsbücherforschung verdienstvollen Reihen „Corpus Iuris Europenensis“ und „Bibliotheca rerum historicarum“ im Aalener ScientiaVerlag betätigt, die teilweise neu bearbeitete, eingeleitete oder ergänzte Nachdrucke wichtiger Quellen oder Forschungsarbeiten umfasste. In wissenschaftlicher Hinsicht war Eckhardt – das wird man wohl sagen dürfen – durch und durch Rechtshistoriker. Davon zeugt nicht nur sein umfangreiches Oeuvre:619 „Die Rechtsdogmatik habe ich schon als Student nicht geschätzt“, schrieb er 1940 beim Antrag auf die Erweiterung seiner Venia legendi um das Fach Religionsgeschichte, dem er sich im Übrigen später nie größerem Maße publizistisch gewidmet hat. „Promoviert habe ich rein historisch. Ich habilitierte mich zunächst nur für Deutsche RG und habe erst nachträglich die venia für Bürgerliches- und Handelsrecht erworben, weil diese Kombination für die meisten Lehrstühle Voraussetzung war. [. . .] Seit Jahren habe ich nur aushilfsweise dogmatische Vorlesungen gehalten.“620 Eckhardts wissenschaftlicher Nachlass, der im Rahmen dieser Studie zu interessieren hat, wird zu einem großen Teil im Archiv der MGH (München) verwahrt; private und berufliche Akten liegen vor allem in Marburg (Staatsarchiv), Bonn (Universitätsarchiv) und München (Institut für Zeitgeschichte). Karl August Eckhardt ist sowohl in personen- wie auch in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht ein ausgesprochen schwieriger und vielschichtiger Charakter.621 Seine unrühmliche Rolle im Nationalsozialismus dürfte ebenso unbestritten sein wie die Tatsache, dass sein wissenschaftliches Fortkommen durch die neuen Machthaber möglicherweise befördert worden ist, der 1933 gerade einmal 31-jährige Eckhardt aber bereits vor Hitlers Regierungsantritt auf eine beachtliche Karriere und eine beeindruckendes wissenschaftliches Oeuvre zurückblickte. Er war sicher keiner derjenigen wissenschaftlich wie auch sonst zweifelhaften Gestalten, die auf den Wellen der neuen Geisteshaltung nach oben gespült wurden. Umso bedenklicher scheint dann aber seine so euphorische Haltung gegenüber dem Gedankengut des Nationalsozialismus und seine umfangreiche Beteiligung am neuen System. Unzweifelhaft dürften jedenfalls insgesamt seine wissenschaftlichen Leistungen sein, wenn auch, wie sich bereits in den Einleitungskapiteln gezeigt haben dürfte, viele seiner Bewertungen allzu sehr vom Renomée des Wissenschaftlers zehren und daher vielleicht zu Unrecht unhinterfragt bleiben. Denn eine breite (und in wissenschaftlichen Fragen dann auch oft 619
Zusammengestellt und erläutert von seinem Sohn Albrecht Eckhardt, Werkverzeichnis. 620 Zit. nach Lösch, Der nackte Geist, S. 407. 621 Das hat jüngst auch noch Landau, Entstehungsort, S. 74 betont.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
unsachliche) Auseinandersetzung wie etwa mit dem Werk Otto Brunners hat es in Bezug auf Eckhardt erstaunlicherweise nie gegeben, obschon seine Rolle im Universitätssystem des Nationalsozialismus ja gerade den juristisch ausgebildeten Rechtshistoriker der Nachkriegsgeneration(en) allgemein bekannt gewesen sein dürfte. So unrühmlich Eckhardts Rolle im Nationalsozialismus gewesen ist, so war sein Wirken im Bereich der Rechtsbücherforscher das des Wissenschaftlers, nicht das eines Rechtspolitikers. Flammende Worte über die Wurzeln des Deutschtums in der Rechts- und Rassengemeinschaft wie viele seiner Kollegen hat er in seinen zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht gefunden. In weiten Teilen der Fachwelt, vor allem der nachrückenden jungen Generation, die sich von der neuen Geistesart an deutschen Universitäten ein Karrieresprungbrett erhoffen konnten, setzte sich die Ansicht durch, seit dem ausgehenden Mittelalter sei das deutsche Recht umfassend „verwelscht“ worden.622 Man konnte dabei auf gewisse Vorurteile gegenüber der spätmittelalterlichen Rezeption des gelehrten Rechts zurückgreifen, die von jeher im Umfeld der gemeinrechtlichen Germanistik vorhanden waren, überformte und pervertierte diese aber hin zu einem nationalsozialistisch-völkischen Begriff vom „Volksrecht“.623 So forderte bereits Punkt 19 des berühmten Münchner Parteiprogramms vom Februar 1920 als „Ersatz für das der materialistischen Weltordnung dienende römische Recht [. . .] ein deutsches Gemeinrecht“.624 Der Sachsenspiegel und das Magdeburger Recht nahmen in dieser völkischen Rückbesinnung eine Schlüsselrolle ein:625 „Zwischen Eike von Repgow und Adolf Hitler befindet sich für das Recht die Krisis.“626 Diese besondere Rolle des Spieglers ist heute noch in einer Reihe von erhaltenen Denkmälern jener Zeit sichtbar.627 Das 700-jährige Jubliäum des vermuteten Geburtsdatums Eikes von Repgow wurde in Reppichau mit einem großen Festakt begangen, der uns durch zwei kleinere, im Umfeld dessen entstandene Schriften gut dokumentiert ist.628 622
Merk, Vom Werden und Wesen, S. 41. Willoweit, Weltanschauung S. 30–32. 624 Hier zitiert nach Hofer, Nationalsozialismus, S. 28–31. Vgl. dazu die eingehende Analyse von Landau, Rechtspolitische Zielsetzung. 625 Grundlegend dazu Lück, Mummenschanz; ders., Magdeburger Forschungen. 626 Frank, Kamp, S. 283. 627 Zusammengestellt und eingehend besprochen von Lück, Eike und die Moderne. 628 Die Feier der 700. Wiederkehr des Todesjahres Eikes von Repgow, des Schöpfers des Sachsenspiegels und der Sächsischen Weltchronik, in Dessau und Reppichau am 23. Juni 1934, Dessau 1934. Im Zusammenhang mit diesem Jubi623
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Im Kontext der florierenden nationalsozialistischen Ostforschung629 ist die Gründung des „Instituts zur Erforschung des Magdeburger Stadtrechts e. V.“ im Jahre 1940 zu verorten.630 Hier war vor allem der damalige Magdeburger Bürgermeister Fritz Markmann († 1949),631 wenn auch mit teils höchst zweifelhaftem Erfolg, sehr aktiv.632 Überblickt man die Rechtsbücherforschung der Zeit vor und während des Nationalsozialismus, so bleibt festzustellen, dass im Grunde keine neuen Forscherpersönlichkeiten Renomée auf diesem Feld erlangen konnten, die es nicht vorher bereits gehabt hätten. Rechtshistoriker wie Goerlitz, Weizsäcker oder Schwerin setzten ihre Forschungen auch unter den Vorzeichen des neuen Regimes und während des Krieges fort. Mancher, wie beispielsweise Hans Fehr oder Philipp Heck, erlag auch allzu offensichtlich dem neu erwachten Deutschtum. Dezidiert nationalsozialistisch orientierte Verfasser, wie Markmann oder Frank, die erst mit der Welle der nationalsozialistischen Geisteshaltung auf der akademischen Karriereleiter nach oben gespült wurden, konnten sich aber nicht nachhaltig profilieren. Im Nachlass von Guido Kisch († 1985),633 der seit einigen Jahren am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte (Frankfurt a. M.) verwahrt wird, finden sich eindrucksvolle Briefwechsel aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bis in die frühen 1960er Jahren hinein über diese Frage, vor allem mit dem zu jener Zeit bereits seit einigen Jahren in Freiburg tätigen Hans Thieme.634 Den ungeheuren Schatz, der mit dem sorgsam sortierten Material – von einigen privaten Dokumenten ließ Kisch offenbar sogar Reinschriften mit der Schreibmaschine anfertigen – vorliegt, gilt es erst noch, für die rechtsgeschichtliche Disziplinengeschichte zu heben. Da sie läum sind auch Grosse, Eike von Repgow, und Möllenberg, Eike von Repgow, entstanden. 629 Aus dem umfangreichen Schrifttum über die nationalsozialistische Ostforschung verweise ich nur auf die neuere Studie von Mühle, Deutscher Osten – dort auch die einschlägige ältere Literatur im Forschungsüberblick, S. 466 ff. 630 Lück, Neuland. Anliegen und Organisation des Instituts werden in groben Zügen bereits von Goerlitz, Institut, und Markmann, Magdeburger stadtrechtliche Forschungen, skizziert. Tiefere Einblicke in die Struktur des Instituts, dessen Überlieferung bei der Zerstörung der Geschäftszimmer im Januar 1945 vernichtet worden ist, gewährt allerdings erst der Beitrag von Lück. 631 Über ihn vgl. Lück, Fritz Markmann; nun auch ders., Größtmögliche Förderung. 632 Markmann, Geschichte; Markmann, Geopolitik. Die ungenaue und tendentiöse Arbeitsweise Markmanns bemängelte bereits Günther Ullrich in der Besprechung des erstgenannten Werkes in der ZRG GA 59 (1939), S. 567 f. 633 Kisch hat eine aufschlussreiche Autobiographie hinterlassen: Kisch, Lebensweg – vgl. über ihn und sein Werk ansonsten Lück, Guido Kisch. 634 Frankfurt a. M., MPIER, NL Guido Kisch, Nr. 3:51.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
zwar viele große Namen der Sachsenspiegelforschung wie der rechtshistorischen Germanistik insgesamt berühren, aber nicht immer in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand stehen, muss es freilich bei diesem Hinweis bleiben.
XV. Sachsenspiegel- und Rechtsbücherforschung seit 1945 Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind weite Teile der deutschen Rechtsbücherforschung, vor allem jene, die sich der Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Ostmitteleuorpa widmeten, zum Erliegen gekommen. Nur vereinzelte Arbeiten entstanden noch, in der Hauptsache auf Grundlage von bereits vor oder während des Krieges gesammelter Materialien oder älterer Druckwerke. Die Überhöhung Eikes und seines Rechtsbuches durch die Nationalsozialisten und die Indienstnahme der Forschungen zum Magdeburger Recht für die Legitimierung des Eroberungskrieges im Osten hatten dieses Forschungsfeld zu sehr vorbelastet, um für die nachrückenden jüngeren Wissenschaftler noch attraktiv zu sein. Was in dieser Zeit erschienen ist, ist in der Regel von der älteren Generation der deutschen Rechtshistoriker, wie Goerlitz oder Schlesinger, verfasst worden und oft Ergebnis einer bereits Jahre vor dem Krieg begonnenen Arbeit. Zudem wurde durch die zunehmende gegenseitige Abschottung der ehemaligen Alliierten der Zugang zu den Archiven Ostmitteleuropas erheblich erschwert, die sich nach dem Krieg oftmals in einem desolaten Zustand befanden. So ist es nicht verwunderlich, dass die Arbeiten der 1950er und -60er Jahre, die auf dem Gebiet der Rechtsbücherforschung entstanden sind, sich vornehmlich aus exegetischer oder kulturhistorischer Perspektive mit den bereits ediert vorliegenden Texten beschäftigten.635 Ein Blick durch die Inhaltsverzeichnisse der Zeitschrift für Rechtsgeschichte aus den Jahrgängen zwischen 1946 und 1966 vermittelt ein durchaus exemplarisches Bild von der deutschsprachigen Rechtsbücherforschung jener Zeit. Wichtige Impulse kommen in diesen Jahren aus der Deutschen Demokratischen Republik, vornehmlich aus der Feder oder dem Umfeld von Gerhard Buchda († 1977), der sich nicht nur ausführlich mit dem Sachsenspiegel selbst und den mittelalterlichen Quellen des Sachsenrechts, sondern als einer der wenigen Forscher des 20. Jahrhunderts auch eingehend mit der Geschichte des Gemeinen Sachsenrechts der Frühneuzeit auseinandergesetzt hat.636 Seine 635 Eine Ausnahme bilden die wiederaufgenommenen Arbeiten an den Editionen der Landrechtsglosse (vgl. oben, S. 165 ff.) und des Schwabenspiegels (unten, S. 370 ff.) für die MGH, die weitgehend auf bereits vorhandenes Material zurückgreifen konnten. 636 Über ihn vgl. die erste Sektion der Aufsätze in Krahner/Lingelbach, Gedächtnisschrift.
XV. Sachsenspiegel- und Rechtsbücherforschung seit 1945
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Arbeit über das Dorfrecht des Sachsenspiegels637 tritt der kurz zuvor erschienenen, großen Studie Karl Siegfried Baders über die mittelalterliche Dorfgemeinschaft an die Seite, die selbst vielfach Bezug auf den Sachsenspiegel nimmt.638 Diese verstärkte Beachtung dörflicher Strukturen geht in gewisser Weise einher mit dem neuerlichen Interesse der rechtshistorischen Forschung für bäuerliche Rechtsfindung in den Weistümern, das dann in den 1970er Jahren kulminiert.639 Bereits in den 1960er Jahren befasste sich auch die Verfassungsgeschichte wieder stärker mit dem Sachsenspiegel. So entstanden in diesen Jahren Goez’ Habilitationsschrift über den Leihezwang,640 Droeges Entwurf über Land- und Lehnrecht641 sowie Scheyhings eingehende Studie über „Eide, Amtsgewalt und Bannleihe“.642 Mit den Arbeiten von Egon Boshof wurde auch die Diskussion über den Zusammenhang von Kurfürstenwürde und Erzämtern wieder aufgenommen, die im Grunde immer noch anhält.643 In den 1970er und frühen 80er-Jahren entstanden eine Reihe juristischer Dissertationen zur Institutionen- und Domgengeschichte des Sachsenspiegels. Historiker und Germanisten haben das Rechtsbuch in dieser Zeit eher wenig beachtet. Das ändert sich im Grunde erst im Vorfeld des Münsteraner Sonderforschungsbereichs. Ein gewisses Interesse konnte der Sachsenspiegel allerdings im Zuge der vor allem in Schweden seit den 1940er Jahren sehr rege betriebenen sprachgeschichtlichen Erforschung des Niederdeutschen auf sich ziehen. Vor allem im Umfeld der Universitäten Lund und Uppsala konnte erst Erik Rooth und dann Gustav Korlén einen großen Schülerkreis für die Untersuchung niederdeutscher mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen gewinnen. Auch im Umfeld der germanistischen FachprosaForschung hat der Sachsenspiegel zumindest am Rande noch Beachtung gefunden – vielleicht auch deshalb, weil zu ihren herausragenden Vertretern Wissenschaftler wie Gerhard Eis zählten, die zuvor auch auf dem Gebiet der Rechtsbücherforschung gearbeitet hatten.644 637
Buchda, Dorfgemeinde. Bader, Mittelalterliches Dorf; ders., Dorfgenossenschaft. 639 Forschungsgeschichtlicher Überblick bei Werkmüller, Weistümer, S. 115–141. Neuere Literatur bei Schmitt, Herrschaft. Einen bemerkenswerten Beitrag zur Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Weistümer liefert jetzt, obwohl regional stark beschränkt, Teuscher, Erzähltes Recht, der sich anhand von Weistümern und Kundschaften aus dem Gebiet der heutigen Schweiz mit dem „administrativ-rechtliches Geschichtsbild des ausgehenden Mittelalters“ (S. 313) auseinandersetzt. 640 Siehe S. 554, Anm. 356. 641 Siehe S. 205, Anm. 778. 642 Siehe S. 375, Anm. 165. 643 Dazu siehe unten, S. 549 ff. 638
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Ungefähr zeitgleich erlebte allerdings auch die bereits im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ausgesprochen rege, beispielsweise von Künssberg und Fehr vertretene rechtliche Volkskunde einen neuen Aufschwung, die nun eng mit der ebenfalls seit den 1970er Jahren eingehender betriebenen rechtlichen Bildkunde zusammenarbeitete. Wichtige Impulse kamen hier vor allem aus der Schweiz, so vom Begründer der „Zeitschrift für Rechtsarchäologie und Rechtliche Volkskunde“ Louis Carlen,645 und aus Österreich, beispielsweise durch die Arbeiten von Gernot Kocher und später Gerhard Köbler.646 Diese Impulse sind in Deutschland sowohl von der Rechtsgeschichte, beispielsweise durch Wolfgang Schild,647 als auch von der Kunstgeschichte648 und der Germanistik mit großem Interesse aufgenommen und verarbeitet worden. Im Zuge der sukzessiven Erschließung der vier Codices picturati in modernen Faksimileausgaben seit Anfang der 1990er Jahre hat diese Öffnung der Rechtsgeschichte gegenüber anderen Disziplinen reiche und sehr vielfältige Früchte getragen. Bemerkenswert ist auch das sich in den letzten vierzig Jahren langsam wieder belebende Interesse am Sachsenspiegel außerhalb des deutschen Sprachraums.649 Nachdem das Rechtsbuch bereits 1937 erstmalig in die japanische Sprache übertragen worden ist,650 folgte 1977 eine Neuübersetzung durch Ishikawa,651 1985 eine russische,652 aber erst 1999 eine englische Übersetzung (auf Grundlage der Wolfenbütteler Bilderhandschrift).653 Vor kurzem ist schließlich eine Übertragung in das Belorussische unternommen worden.654 Übersetzungen in die großen mitteleuropäischen Sprachen (Französisch, Italienisch, Spanisch) liegen dagegen bislang noch nicht vor. 644 An die germanistische Fachprosaforschung knüpft auch der frühe Beitrag von Schmidt-Wiegand, Fachliteratur, an. 645 Seine wichtigsten Beiträge zum Thema sind in zwei Aufsatzsammlungen bequem greifbar: Carlen, Sinnenfälliges Recht; ders., Recht, Geschichte und Symbol. 646 Siehe die Angaben in S. 159, Anm. 499, S. 160, Anm. 500 und S. 458, Anm. 617. 647 Schild, Alte Gerichtsbarkeit; ders., Bilder von Recht und Gerechtigkeit. 648 Vor allem durch die rechtsikonographischen Arbeiten Norbert H. Otts – vgl. nur die in den S. 152, Anm. 466, S. 157, Anm. 487 und S. 158, Anm. 490 genannten. 649 Vgl. dazu auch Kümper, Bibliographie, S. 13–15. 650 Angekündigt von Künßberg, Sachsenspiegel in Japan. 651 M. Kanazawa in einer Extraausgabe des Waseda Law Review, Bd. 8, Tokio 1937 – diese ältere Ausgabe war mir nicht zugänglich. Die neuere: Kubo/Ishikawa/ Naoi, Zakusenshupigeru. 652 Korezki, Saksonskoje serzalo. Diese Ausgabe des Land- und Lehnrechts, die sich nicht, wie andere, an Eckhardt, sondern an den Homeyerschen Editionen orientiert, zeichnet sich durch ein vorbildliches Register und viele Querverweise in den Noten aus, ohne dabei den Apparat zu überfrachten. 653 Dobozy, Saxon Mirror. Bereits in den 1960er Jahren hatte es offenbar Pläne für eine solche Übersetzung gegeben; vgl. nur Bergen, Preliminary study.
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Trotz der allgemeinen Zurückdrängung historischer Inhalte in der Juristenausbildung hat der Sachsenspiegel noch immer einen festen Platz an den juristischen Fakultäten Deutschlands. Das zeigt sich deutlich beispielsweise in den klassischen Studienhandreichungen zur deutschrechtlichen Exegese von Schott,655 Hattenhauer656 und Schlosser.657 Auch das neue, dreibändige Werk von Marcel Senn und Andreas Thier, das sich explizit von den älteren Ansätzen solcher Lehr- und Studienbücher ablöst, kommt nicht ohne den Sachsenspiegel aus.658 In den letzten drei Jahrzehnten haben sich gewisse akdemische Zentren der Beschäftigung mit den deutschen Rechtsbücher des Mittelalters im Allgemeinen und dem sächsisch-magdeburgischen Recht im Besonderen herausgebildet, die in produktivem Austausch miteinander stehen. Nicht zuletzt deshalb kann auch in dieser Zeit wieder von einer ansteigenden Literaturproduktion gesprochen werden. Die Rede über Schulen und Gruppierungen in der Forschungslandschaft hat immer etwas Idealtypisches, das den Verästelungen der alltäglichen Realität wissenschaftlichen Arbeitens nicht gerecht wird. Es ist aber dennoch hilfreich, sich diese Zentren der expandiere Forschungslandschaft gedanklich zu kartieren. Ich beschränke mich dabei auf einige markante Punkte.659 654 Keller, Saksonskae Ljustra. Der Ausgabe ist eine vollständige, allerdings qualitativ ungenügene Reproduktion der Heidelberger Bilderhandschrift beigegeben, ferner ein Glossar und einige sparsame Anmerkungen. Das Titelblatt gibt die Reproduktion einer der Farbtafeln aus den sehr seltenen „Teutschen Denkmälern“ von Batt/Babo (1820). Zur Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Belorussland vgl. Keller, Geschichte, Quellen und Literatur – weitere Literatur auch in S. 405, Anm. 355. 655 Schott, Rechtsgeschichte. 656 Hattenhauer, Deutschrechtliche Exegese. 657 Schlosser, Deutschrechtliche Exegese, S. 75–109 (zu Ssp. Ldr. I 20 §§ 1–5). Zu Recht bedauert Schlosser, dass „im Schatten der geradezu klassisch gewordenen ‚Sachsenspiegelexegese‘ “ die deutschen Rechtsquellen des 16.–18. Jahrhunderts weitestgehend unbeachtet geblieben sind und die „Bevorzugung der mittelalterlichen deutschen Rechtsbücher (Rechtsspiegel) oder Stadtrechte als Vorlage für deutschrechtliches exegetisches Arbeiten [. . .] lange Zeit den Blick auf weitere Text der nationalen Rechtsgeschichte“ verstellte (S. 78). „Dennoch“, so Schlosser weiter, „haben die mittelalterlichen Rechtstexte ihre Qualität als typische Vorlagen für eine deutschrechtliche Exegese nicht eingebüßt. Die bei ihrer Interpretation bevorzugte Methode und der für die Darstellung selbst üblich gewordene Aufbau sind durchaus verallgemeinerungsfähig.“ (S. 79). 658 Senn-Thier, Rechtsgeschichte, Bd. 3, S. 31–41 (Auszüge aus Reimvorrede und Prolog); vgl. auch Senn, Kulturhistorischer Grundriss, S. 118 ff. Dass freilich „das eigene Landrecht [des Sachsenspiegels] mit den Standards von Kirchenpraxis, Stadtverwaltung und Universitätslehre [!] konkurrieren“ wollte, scheint mir angesichts der noch sehr rudimentären Ausbildung vor allem letzterer im Entstehungsgebiet des Sachsenspiegels überschätzt. Das ist eine Sache des Rezeptionsprozesses.
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In Halle besteht seit dem 18. Jahrhundert und bis in die Gegenwart eine wohl gepflegte Tradition der historischen Beschäftigung mit dem sächischmagdeburgischen Recht.660 Die Reihe der großen Namen von Böhlau über Göschen bis Kisch kann nach dem zweiten Weltkrieg fortgeführt werden durch Schubart-Fikentscher, Lieberwirth und nun Lück. Eng verbunden mit den Halle-Wittenberger Forschungen ist seit langem die Leipziger Akademie der Wissenschaften, seit einiger Zeit nun auch die 2004 neu gegründete Magdeburger „Forschungsstelle Magdeburger Recht“.661 An der Erforschung des Magdeburger Rechts war in den letzten Jahren auch der Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Deutsche Rechtsgeschichte der Freien Universität Berlin unter der Leitung von Friedrich Ebel beteiligt, der einen sehr aktiven Stamm von Mitarbeitern und Schülern um sich gruppiert hat. Durch den frühen Tod Ebels im Dezember 2005 scheint die Weiterführung nun aber ungewiss. Eine ähnliche, nicht ganz so weit, aber doch zumindest bis in die Vorkriegszeit zurückreichende Tradition kann in Freiburg festgestellt werden: Dort haben mit Claudius von Schwerin und seinem Nachfolger Hans Thieme bereits vor, während und auch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wichtige Rechtsbuchforscher gewirkt. Seit seiner Berufung nach Freiburg 1975 hat dort Kroeschell diese Tradition fortgeführt und wie bereits zuvor in Göttingen eine Reihe wichtiger Dissertationen zu Themen der sächsischen Rechtsgeschichte betreut.662 Aus dem Umfeld des Freiburger Instituts für Deutsche Rechtsgeschichte sind wichtige Beiträge zu genuin rechtshistorischen Fragestellungen, das heißt zur Quellenkunde, zur Institutionen- und Dogmengeschichte und zur Exegese der mittelalterlichen Rechtsaufzeichnungen, entstanden. Zu nennen wären neben Kroeschells eigenen, einflussreichen Arbeiten etwa diejenigen Takeshi Ishikawas663 oder Karin Nehlsen-von Stryks, die Kroeschell 1995 auf den Freiburger Lehrstuhl gefolgt ist.664 Seit Jahresbeginn 2008 wird das Freiburger Institut für deutsche Rechtsgeschichte von Kannowski geleitet, dessen Arbeiten nahtlos an die dortige Tradition intensiver Rechtsbücherforschung anschließen. In den vergangenen zwanzig Jahren hat aber besonders das Teilprojekt E („Rechtsbücher als Zeugen pragmatischer Schriftlichkeit“) des Münsteraner 659 Man könnte und müsste das noch verfeinern. An ausländischen Instituten wären beispielsweise das Institut für Geschichte des Deutschen Rechts an der Nikolaus-Kopernikus-Universität Thorn oder die Rechtshistorische Bildstellen der Universitäten Zürich und Graz zu nennen. 660 Historisch eingehend Jelowik, Sachsenspiegel. 661 Siehe dazu unten, S. 410 ff. 662 In Göttingen wirkte zuvor auch Wilhelm Ebel. 663 Ishikawa, Struktur; ders., Gericht; ders., Gewere; ders., Besitz. 664 Vgl. die Nachweise in den S. 64, Anm. 209, S. 109, Anm. 257 und S. 542, Anm. 284.
XV. Sachsenspiegel- und Rechtsbücherforschung seit 1945
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Sonderforschungsbereiches 231 („Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter“) zwischen 1988 (probeweise seit 1986) und 1999 unter der Leitung von Ruth Schmidt-Wiegand Wegweisendes – und Öffentlichkeitswirksames – geleistet.665 Die im Rahmen des SFBs entstandenen Faksimiles der Wolfenbütteler und der Oldenburger Bilderhandschriften haben erstmals alle vier bekannten Codices picturati der Wissenschaft zugänglich gemacht. Neuartig war aber auch der Forschungsansatz, Rechtsbücher als Zeugnisse „pragmatischer Schriftlichkeit“ zu begreifen. Als „pragmatisch“ wurden dabei all jene Formen von Schriftlichkeit verstanden, „die unmittelbar zweckhaftem Handeln dienen oder die menschliches Tun und Verhalten durch die Bereitstellung von Wissen anleiten sollen“.666 Diese pragmatische Dimension wurde ebenfalls für die Bilderhandschriften reklamiert.667 So stehen in der reichen Literatur, die aus der Arbeit des Sonderforschungsbereichs erwachsen ist, auch die Codices picturati merkbar im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, während andere sächsisch-magdeburgische Rechtsaufzeichnungen in der Regel eher am Rande untersucht wurden. Die betont interdisziplinäre Ausrichtung der Münsteraner Forschungen und die große wissenschaftliche Aktivität, die von den Mitgliedern des Projektes ausging, hat aber vor allem nachhaltig zur Vernetzung der Rechtsbücherforschung im deutschen Sprachraum beigetragen. Um die Jahrtausendwende hat sich ein kleiner, aber vitaler Kreis von Forschern gebildet, der über die Nutzbarmachung digitaler Medien in der Rechtsbücherforschung nachdenkt. Hier hat sich unter anderen Dietlinde Munzel-Everling profiliert,668 deren ambitionierte Edition der Heidelberger Bilderhandschrift auf CD-ROM in Kürze erscheinen dürfte.669 Als Digitalisat ist diese Handschrift bereits im Rahmen des Projektes „Digitale Bibliothek“ der Universitätsbibliothek Heidelberg zur Verfügung gestellt worden. Der Wolfenbütteler Codex picturatus steht ebenfalls seit einiger Zeit in einer aufwendig bearbeiteten Internet-Edition und seit kurzem auch auf CDROM zur Verfügung.670 Nicht minder rege hat auch Dieter Pötschke wiederholt auf Möglichkeiten und Probleme computergestützter Editionstechnik 665 Zur Konzeption des SFB vgl. den Aufriss Keller et al., SFB 231, zur Arbeit die laufenden Jahresberichten in den FrMSt 1990–1998 sowie Ruth Schmidt-Wiegand, Rechtsbücher als Zeugen pragmatischer Schriftlichkeit. 666 Keller et al., SFB 231, S. 389. 667 Schmidt-Wiegand, Bilderhandschriften als Zeugen pragmatischer Schriftlichkeit. 668 Munzel-Everling, Computergestüzte Methoden; Munzel-Everling/Feuerstake, Computergestützte Erschließung; Munzel-Everling/Andree, Probleme; Munzel-Everling/Feuerstake/Schnaubelt, Vorteile; Munzel-Everling/Pötschke/Feuerstake, Computerarbeitsplatz. 669 Vgl. bis dahin noch Munzel-Everling/Feuerstake, Digitale Erschließung. 670 Siehe dazu oben, S. 142 ff.
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C. Wirkungs- und Literaturgeschichte des Sachsenspiegels
anhand unterschiedlicher Beispiele aus dem Gebiet der Rechtsbücherforschung hingewiesen.671 Dabei verfolgt Pötschke insbesondere das Ziel, mittels digitaler Vergleichsmethoden Textschichten in gewachsenen Texten, wie sie das Landrecht, die Landrechtsglossen und viele andere Rechtstexte des Mittelalters darstellen, identifizieren zu können.672 Auf diese neuen Impulse hat die Forschung bisher nur verhalten optimistisch reagiert. Zumindest was die bisher auf diese Weise vorgebrachten Ergebnisse – vor allem die Vordatierung sowohl der Buchschen Landrechtsglosse als auch des Berliner Schöffenrechts und schließlich auch des so genannten Mühlhäuser „Reichsrechtsbuches“ – angeht, die bisher keinen Boden gewinnen konnten, ist diese Zurückhaltung durchaus nachvollziehbar.673 Die Frage nach dem möglichen Potential der vorgestellten Methoden für die mediävistische Editionswissenschaft wird im gleichen Zuge aber über die nach allem bisher Bekannten durchaus zweifelhaften Ergebnisse möglicherweise zu vorschnell übergangen. Die für den Nicht-Mathematiker nur schwer nachvollziehbaren Ausführungen mögen dazu ein Übrigens tun. Eine kritische Würdigung dieses Ansatzes muss daher anderer Stelle vorbehalten bleiben.674 Soviel kann bisher gesagt werden, dass die Voraussetzung für den Vergleich mehrerer Handschrift oder der Textschichten einer Handschrift untereinander mittels der von Pötschke vorgeschlagenen Codierungsmethode ein vielfach normalisierender Eingriff in die Textmasse darstellt, der mir für verlässliche Aussagen über den auf diese Weise seiner spezifischen Gestalt gerade entkleideten Text nicht statthaft erscheint. In den letzten Jahren ist das sächsisch-magdeburgische Recht wieder spürbar in das Interesse auch der allgemeinen deutschen Rechtsgeschichte des Mittelalters gerückt. Zugleich hat die nie ganz erloschene, seit den politischen Umbrüchen der 1990er Jahre aber unter völlig neuen Bedingungen verstärkt betriebene Erforschung der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters in und aus Osteuropa auch der Rechtsbücherforschung neue Potentiale eröffnet.675 In diesem Dialog der Fächer, in dem die Geschichtswissenschaften im Vergleich zu anderen Disziplinen noch ein gewisses Soll auszugleichen haben, liegt die Zukunft der Rechtsbücherforschung. Er kann die kulturgeschichtliche Erweiterung der Rechtsgeschichte leisten, die Fehrs eingangs zitierter Mahnung begegnen mag. Einen dienlichen Platz in dieser Zukunft einzunehmen, wäre höchstes Ziel der vorliegenden Studie. 671
Pötschke, Glosse in Loccum; ders., Polychrome Edition. Pötschke, Textschichtungen; ders., Computergestützte Methoden. 673 Vgl. dazu oben, S. 91 ff. und S. 165 ff. sowie unten, S. 344 ff. 674 Herrn Dipl.-Phys. Tobias Teckentrup (Bochum) danke ich für manche klärende Ausführungen. 675 Instruktiv dazu die neuen Tagungsbände von Päsler/Schmidtke, Deutschsprachige Literatur, und Eichler/Lück, Rechts- und Sprachtransfer. 672
D. Erscheinungsformen der Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels 1. Das Breslauer Landrecht Die wohl größte Nähe zum sächsischen Landrecht unter den späteren Bearbeitungen weist das so genannte Breslauer oder – etwas irreführend – „schlesische“ Landrecht auf.1 Kaum kann man hier von einem eigenständigen Rechtsbuch sprechen, wird doch der Text des Sachsenspiegels beinahe vollständig übernommen. Jedoch ist die Bearbeitung eine durchaus eigenständige, vor allem eine explizit gewollte und als solche vermerkte, die in einigen markanten Punkten von der Vorlage abweicht und eine Reihe zusätzlicher Regelungen einflicht. Sie wurde zwischen 1346 und 1356 von einer von König Johann von Böhmen eingesetzten Kommission, den so genannten „Sechsern“, durchgeführt.2 Als vollständig konsequent wird man diese Bearbeitung jedoch nicht betrachten, denn während beispielsweise das Breslauer Landrecht in cap. 3 die drei unterschiedlichen Gerichte nicht an die drei unterschiedlichen Arten der Freiheit rückkoppelt, wie Ssp. Ldr. I 2 das tut, taucht diese ständische Gliederung im Folgenden (z. B. cap. 331 „Von freyer geburt“) durchaus noch in sehr enger Anlehnung an den Sachsenspiegel auf. Gaupp hat das Verhältnis beider Landrechte ausführlich kommentierend dargestellt,3 jedoch als Betrachtungsebene die Artikel, nicht die Paragraphen des Landrechts gewählt, so dass für unsere Zwecke eine erneute Vergleichung notwendig wurde, gleichwohl Gaupp gehofft hatte, „durch eine genaue Collation zwischen dem Sächs. und dem Schles. Landrechte“ einen „besonderen Abdruck dieses letzeren überflüssig“ zu machen.4 Eine Ausgabe fehlt in der Tat noch immer. 1 Für einen ersten Überblick vgl. Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 369–371; Oppitz, Breslauer Landrecht. 2 Über dieses Gremium, das im Fürstentum Breslau seine Wirkung noch bis zur Amtsinstruktion von 1645 entfalten sollte vgl. Goerlitz, Breslauer Rechtsbücher, bes. S. 157 und Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 62–83 – dort (S. 63–65) auch das Privileg Johanns für die „Sechser“. 3 Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 138–193.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Der Text des Breslauer Landrechts ist, wie Goerlitz herausgearbeitet hat, in vier unterschiedlichen Fassungen überliefert.5 Eine vollständige, textkritische Untersuchung der insgesamt fünf noch erhaltenen Handschriften6 kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Ich stütze mich daher auf eine schlesische Handschrift des Jahres 1405, die die Textfassung enthält, die bei der Breslauer Bearbeitung von 1356 vorlag. Sie ist in Dresden erhalten,7 aber durch kriegsbedingte Wasserschäden weder reproduzier- noch einsehbar. Glücklicherweise existiert im Nachlass Homeyers eine Abschrift, die ich stattdessen heranziehe.8 Alle anderen Handschriften werden in unterschiedlichen mittelosteuropäischen Archiven verwahrt, so dass dieses, wenngleich textkritisch unzulängliche Verfahren vor allem arbeitspraktisch eine spürbare Erleichterung darstellt. Für den Vergleich der Übernahmen aus dem Sachsenspiegel mag es auch hinlangen, denn es ist nach allem Dafürhalten höchst unwahrscheinlich, dass die Breslauer einzelne Teile des Sachsenspiegels, die bei der ersten Redaktion des Breslauer Landrechts herausgekürzt wurden, im Nachhinein wieder eingepflegt haben sollen. Der Befund lässt eine summarische Beschreibung gegenüber einer tabellarischen Konkordanz angemessener erscheinen, denn es sind die Umarbeitungen und Zusätze, die den bedingt eigenständigen Charakter des Landrechtes ausmachen. Größere Auslassungen gegenüber der Vorlage kommen dagegen nicht vor, so dass sich das Breslauer Landrecht in gewisser Weise dem gewählten Zugang der vorliegenden Studie entzieht, die ja gerade über die im Einzelnen übernommenen bzw. nicht übernommenen Stoffmengen zu argumentieren sucht. Besonders charakteristisch sind die dreizehn an das Rechtsbuch angefügten Zusatzartikel der so genannten „Sechser“, die sich vor allem dem ehelichen Güterrecht zuwenden.9 Darüber hinaus ist hinter cap. 36 (= Ssp. Ldr. I 20) ein der Vorlage fremdes Kapitel eingefügt und durch die Überschrift „speciale capitulum“ auch als solches gekennzeichnet worden:10 4
Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 137. Goerlitz, Breslauer Rechtsbücher, S. 155–157; übernommen bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 30 f. 6 Oppitz Nrn. 250, 297, 399, 447 und 761 – die Handschrift Oppitz Nr. 1645 des Breslau Stadtarchivs, die vielleicht Kaspar Popplau aus Grundlage für den „Rechten Weg“ gedient hat, muss als verschollen gelten. 7 Dresden, SLB, M. 28 (Oppitz Nr. 447), fol. 158v–212r. Eine ausführliche Beschreibung der Handschrift findet sich bei Böhme, Diplomatische Beyträge, Bd. 4, S. 1–26. 8 Berlin, StPBK, Nachlass Homeyer, Ms. 59a KV. 9 Gedruckt bei Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 193–199. 10 Vgl. dazu die Ausführungen von Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 118–124. 5
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
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„Stirbet ein man und lesst ein weib, die unbegobet ist, das weib nimbt alles das, das zw der morgenngobe gehöret unnd zw der gerade. Ist sie aber begobet, so nimbt sie nicht mehr dann die gerade. Stirbet aber einem manne sein weib, so hat ire tochter oder ire neste spillmoginn, ob die tochter nicht ist, recht zw der gerade unnd nit zw der morgengobe, inn allenn leenguternn unnd nicht inn erbenn noch inn eigenn. Sturbe aber ein weib nach ires mannes tode, die do morgenngobe und gerade genohmenn hete, so nimbt die tochter oder ire nehste spillmoginn nit mer dann die gerad unnd die morgenngobe sol bleibenn bey dem erbe.“
Die spezifischen Abweichungen in der Bearbeitung der Landrechtsartikel sind hauptsächlich erbrechtlicher Natur. Das betrifft zunächst die Erbnahme selbst. Zum einen wird die Tochter dem Sohne und die Enkelin dem Enkel erbrechtlich gleichgestellt, zum anderen das Repräsentationsrecht auch auf die Enkel der vorverstorbenen, aber noch nicht abgesonderten Tochter erweitert. Die Kursiva der folgenden Gegenüberstellung machen die Bearbeitung unmittelbar deutlich: Sachsenspiegel Ldr. I 5 § 1
Schlesisches Landrecht, cap. 9
Nimt de sone wif bi des vader live de eme evenburdich is, unde wint sone bi ire, unde stirft he dar na er sineme vadere umbedelet von dem erve, sine sone nemet dele in ires eldervader erve, gelike irme veddern in ires vader stat. Alle nemet se aver enes mannes deil. Disses ne mach den dochter kinderen nicht geschin, dat se gelike dele nemen der dochter in des eldervader oder in der eldermuder erve.
Nymt der son eyn weip bey des vatir leibe, di em ebinburtik ist und gewinnet her kinder bey ir, stirbet her dornoch ee sin vatir sterbe umbeteilet von dem erbe, syne kint nehmen teil in eres eldirvatir erbe gleiche irem vettern in ihres vatir stat. Alle nehmen sy abir eynes vatir teil. Gleycher weyze nemen der töchtir kinder teil in ires eldirvatir gut in erbe und in eigen als des sones kinder, do ir vatir und ir mutir nicht abegesundirt werdin.
Diese Gleichstellung kann geradezu als ein Charakteristikum der schlesischen Ausprägung des sächsischen Erbrechts gelten.11 Eine weitere wichtige Abweichung von der Vorlage des sächsischen Landrechts stellt die Einschränkung des Erbenlaubs auf die ehelichen Kinder und der Ausschluss sämtlicher anderer Verwandter von diesem Recht dar: Sachsenspiegel Ldr. I 52 §§ 1, 2
Schlesisches Landrecht, cap. 77 und 78
§ 1. Ane erven gelof unde an echt ding ne mut nieman sin egen noch sine lüde geven. Doch weslet die herren ire dinstman wol ane gerichte, of man de
77. Ane erbin gelob und ane echt dink enmak nymant seyn eygin noch syne leute vorgebin. Das ist also czu vornemen, das keyn man mak vorgebin
11 Dazu mit zahlreichen Nachweisen bis in das 17. Jahrhundert Vocke, Güter- und Erbrecht, Bd. 1, S. 114–120.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Sachsenspiegel Ldr. I 52 §§ 1, 2
Schlesisches Landrecht, cap. 77 und 78
wederwesle bewisen unde getügen mach. Gift he’t weder rechte sunder erven gelof, die erve underwinde’s sik mit ordelen, als of he dot si jene de’t dar gaf, so he’s nicht geven ne mochte.
syn anirstorben gut ane syner elichen kinder wille. Hette abir eyn man nicht eliche kinder und hette geswisteree adir andir mogen und mogynne mit den her gesundirt unde geteilet werde, dy mogin im nicht geweren, syn erbe noch syn gut czu vorgebin.
§ 2. Alle varende have gift de man ane erven gelof in allen steden, unde let unde liet gut, al de wile he sik so vermach, dat he begort mit eme sverde unde mit eme scilde up en ors komen mach, von enem stene oder stocke ener dum elne ho, sunder mannes helpe, deste man ime dat ors unde den stegerep halde. Svenne he disses nicht dun ne mach, so ne mach he geven noch laten noch lien, dar he’t jeneme mede geverne, de is na sineme dode wardende is.
78. Alle varnde habe gibit der man ane erbin gelob in allen stetin und lesit und leyet gut, dyweile her sich vormak, das her begurtet mit eyme swerte und mit eynem scilde uff eyns ors komen mak von eyme steyne adir von eyme stocke, eyner düm elyn hoch ane hulfe, das man im das ors in deme stegereif halde. Wenne her das nicht getun mak, so enmak her gegebin noch geleyen noch lasen, das her is geme bevele, der is noch seyme tode vartinde ist.
Das musste sich als sehr funktional gegenüber dem weiten Interpretationsrahmen darstellen, den der Sachsenspiegel bot und der oft genug zu Konflikten führte. Ein berühmter Konfliktfall um das Erbenlaub veranlasste, so ist bereits von den Zeitgenossen und auch später noch von der Forschung hier und da vermutet worden, ja auch den Augustinermönch Johannes Klenkok zu seinen berühmten Streitschriften gegen den Sachsenspiegel.12 Schließlich verkürzt das Breslauer Landrecht in cap. 110 die Frist, innerhalb derer man das Wergeld zu stellen habe, von zwölf (Ssp. Ldr. I 65) auf sechs Wochen. Hier zeigt sich der Einfluss des hallisch-magdeburgischen Rechts auf das Breslauer Rechtsbuch. Denn bereits im Hallenser Schöffenbrief von 1235 finden wir, dass „wergelt vel buze [. . .] infra sex septimanas“ entrichtet werden solle,13 womit auch das Magdeburg-Breslauer Reichsweistum von 1261 übereinstimmt.14 Diese Unterscheidung zwischen schlesischen Land- und Stadtrecht und Sachsenspiegel registriert im Übrigen bereits der Verfasser des Meißner Rechtsbuches: „Wenne wergelt irvordit ist das sal man leysten obir VI. wochen in lantrechte vnd in wichb. In 12 13 14
Siehe dazu oben, S. 240 ff. Tzschoppe/Stenzel, Urkundensammlung, S. 296 (§ 31). Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 1, S. 4 (Nr. 1, § 19).
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
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keyserrecht obir XII. wochen.“ Der Einfluss des Magdeburger Rechts endet erst 1547, als Prag zum böhmischen Appellationshof bestellt wurde.15 2. Der so genannte „Holländische Sachsenspiegel“ Unter dem etwas irre führenden Namen „Holländischer Sachsenspiegel“ ist eine Umarbeitung des sächsischen Landrechts bekannt, die neben den sächsischen auch rheinfränkische und andere Rechtsgrundsätze verarbeitet.16 Der älteste bekannte Textzeuge erschien 1479 in Gouda unter dem Titel „Spiegel van Sassen“ im Druck (GW 9296); Grupen hat ihn um die Mitte des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt und herausgegeben.17 Diese heute sehr seltene Ausgabe ist auch insofern bedeutsam, als Grupen im Vorwort derselben erstmals Johann von Buch als ersten Glossator des Sachsenspiegels identifizierte und Manches noch heute Grundlegende über ihn mitteilte.18 Dieser Goudaer Erstdruck ist in den Jahren 1480 bis 1488 sowohl in Gouda selbst als auch in Delft (unter dem Titel „Spieghel van Sassen van alle keyserlike rechten“)19 nachgedruckt worden.20 Die Drucke sind für die Textgeschichte des Holländischen Sachsenspiegel von größter Bedeutung, weil frühere Handschriften uns nicht vorliegen. Die einzige Handschrift, die der ursprünglichen Form wohl zumindest sehr nahe kommt, stammt aus dem Jahre 1484 und weist größere Blattverluste auf.21 Das Rechtsbuch ist uns in einem vermutlich in Overijssel oder Geldern entstandenen älteren und einem jüngeren, vor allem um die Landrechts15 Prasek, Breslauer Schöffensprüche, S. 324 – vermutlich handelt es sich beim Verfasser um Vincenc Prasek (1843–1912), ein tschechischer Heimatforscher und Journalist, der um die Jahrhundertwende den „Codex Diplomaticus et epistolaris Moraviae“ (2 Bde., Brünn 1903/04) bearbeitet und ein umfangreiches Oeuvre an Aufsätzen zur schlesisch-mährischen Geschichte hinterlassen hat. Ich vermute daher, dass er auch diesen Beitrag verfasst hat. 16 Überblick bei Gerbenzon/Algra, Voortgangh des rechtes, S. 106–110 sowie einige in die Gesamtüberlieferung einordnende Worte bei Lieberwirth, Sonderformen. Im weiteren Kontext der Rechtgeschichte zwischen Rhein und Maas nun auch Tervooren, Handbuch, S. 299–314, bes. S. 304–308. 17 Grupen, Holländischer Sachsenspiegel. 18 Siehe oben, S. 165 ff. 19 Der erweiterte Titel spiegelt sich auch im Holzschnitt der Delfter Ausgabe wider, der den anderen Drucken fremd ist und einen Kaiser mit Zepter auf einem gothischen Thron darstellt. Juntke, Jacobus van der Meer, hat den Drucke der Ausgabe und die Vorlage dieses Holzschnittes identifiziert. 20 GW 9720, 9271 und 9272 – spätere Ausgaben erschienen in Delft und Antwerpen 1505, 1512, 1550 und 1556. Die zahlreichen Drucke zeugen m. E. von der Bedeutung des Rechtsbuches. 21 Den Haag, KB, Ms. 133 H 4 (Oppitz Nr. 404); vgl. dazu Jutphaas, Saksenspiegel in ons Vaderland.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
glosse und den Richtsteig Landrechts vermehrten Text überliefert, der wahrscheinlich in oder um Groningen verfasst worden ist. Dem Textabdruck der Haager Handschrift von 1484 durch Smits22 folgte bald die noch heute maßgebliche Edition beider Texte von Barthold de Geer van Jutphaas.23 Leider sind zahlreiche Textverderbnisse in diese Ausgabe hineingelangt, von denen ohne umfängliche Prüfung der zugrundeliegenden Überlieferung nicht gesagt werden kann, inwieweit sie auch den Text betreffen. Für den unmittelbaren Vergleich des Textes mit dem Landrecht des Sachsenspiegels aber mag die Ausgabe zunächst ausreichen. Während Grupens Arbeit erstaunlich wenig Resonanz fand, erlangte der Spiegel in der rechtshistorischen Forschung breitere Bekanntheit erst durch einen Beitrag von Smits, der im Überschwang feststellte, der unbekannte Redaktor habe es unternommen, „om het groote duitsche Rechtsboek en de uitvoerige Glossen hier te lande [scil. in den Niederlanden] tot één geheel te verwerken en saam te smelten met ons gewoonterecht, tot een geheel dat ons wellicht meer dan eenige andere compilatie uit die tijden een getrouw beeld kann geven van de innige verwantschap van ons land met het groote duitsche vaderland“.24 In der Tat scheinen Erwägung des Praxisgebrauches die Bearbeitung beeinflusst zu haben. Die damit einhergehenden Kürzungen betreffen aber bemerkenswerterweise gerade nicht die historischen und rechtsphilosophischen Ausführungen Eikes, die bei einer solchen Bearbeitungsweise abzustoßen wir wohl am ehesten erwartet hätten. Der unbekannte Redaktor muss also über das gerichtspraktische Bedürfnis hinaus auch ein gewisses Interesse an solchen Grundsatzerörterungen gehabt haben. Das stützt in gewisser Weise Hoeks Feststellung, das Rechtsbuch „heeft wel de pretentie een wetenschappelijk werk te zijn“.25 Genauere Arbeiten zur Charakteristik des Rechtsbuches liegen nicht vor. Zu der angedachten näheren Untersuchungen des Rechtsbuchs des Münsteraner SFB 231 ist es wohl nicht mehr gekommen;26 veröffentlicht worden ist jedenfalls nichts. Die nachfolgende Konkordanz vergleicht den älteren Text mit dem Landrecht des Sachsenspiegels. Der neuere Text arbeitet mehr oder minder gleichmäßig auch die Buchsche Landrechtsglosse mit ein, nimmt aber nichts von den bereits verarbeiteten Landrechts-Passagen hinfort, so dass in Hinsicht auf deren Rezeption beide Texte sich nur insofern unterscheiden, als der jüngere konsequent zusammen mit der Glosse auch die späteren Artikel Ssp. Ldr. III 82 bis III 91 mit hinzunimmt. 22 23 24 25 26
Smits, Spiegel van Sassen. Jutphaas, Saksenspiegel. Das Lehnrecht hat Iterson, Leenrecht, ediert. Smits, Spiegel van Sassen, S. 6 f. Hoek, Rechtsboek, S. 10. Schmidt-Wiegand, Pragmatische Schriftlichkeit, S. 7.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels Ssp. Ldr.
Holl. Ssp.
Ssp. Ldr.
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4 5 6 7 8 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 20 23 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39 41 42 43 44 46 47 49 50 51 52 53 54 55 56 57
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
58 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76
1 2 §§ 1, 2 2§3 3 §§ 1, 2 3§3 5§1 5§2 5§3 6§2 8 16 17 § 2 18 19 20 §§ 1, 2 20 § 8 21 § 2 22 § 1 22 § 2 22 § 5 24 25 27 § 1 27 § 2 28 31 § 1 31 § 2 33 34 § 1 34 § 2 35 36 37 38 39 40 41 42 § 1 42 § 1 43 45 46 48 §§ 1–3 48 § 3 (Forts.) 51 §§ 1, 2 51 § 3 51 § 4 52 §§ 1, 3 52 § 4
53 53 54 55 56 59 60 61 61 62 62 63 63 63 64 65 66 67 70
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
§1 §2
§2 §2 §3 §5 §2 §7 §§ 1, 2 §3 §4 §2 §3
2 3§2 4 5 6§3 7 9§3 10 § 3 11 § 3 12 § 4 12 § 5 12 § 11 13 §§ 1–3 13 § 4 14 15 16 § 3 16 § 8 17 20 21 § 3 21 § 5 22 § 2 22 § 3 23 24 26 § 1 26 § 2 26 § 4
77 78 79 80 81 82 83 84 85 86 87 88 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Holl. Ssp.
Ssp. Ldr.
Holl. Ssp.
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
107 108 109 110 116 111 112 113 114 115 117 118 119 120 121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136 137 138 139
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
156 157 158 159 160 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 172 173 174 175 176 177 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188 189 190 191 192 193 194 195 196 197 198 199 200 201 202 203 204 205
27 27 27 28 32 34 35 37 38 39 40 42 43 44 46 47 48 52 54 55 57 59 59 60 61 62 63 64 65 67 69 70 72
III III III III III III III III III III III III III III III
§1 §2 §4
§3
§§ 1, 2 §3
2 3 5§1 5§2 6 7 8 12 14 15 §§ 1, 2 15 § 3 16 17 18 20
140 141 142 143 144 145 146 147; 148 149 150 151 152 153 154 155
21 22 23 26 27 31 32 32 33 34 34 35 36 37 38 39 40 41 41 42 43 44 45 45 52 53 54 54 56 57 59 60 61 62 62 63 64 64 65 66 67 69 70 74 76 77 78 79 80
§2 §9 §1 §2 §1 §3
§§ 1–3 §4 §1 §§ 1–3 §4 §2 §§ 1, 2 §3 §3 §2
§1 §2 §§ 1, 2 §3
§2
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
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Wir sehen, dass im älteren Text des Holländischen Sachsenspiegels das Eikesche Rechtsbuch verhältnismäßig gleichmäßig und ohne größere Sprünge in der Artikelfolge umgearbeitet worden ist.27 Besonders aussagekräftig für die Analyse müssen daher die Auslassungen sein. Es handelt sich dabei im Wesentlichen um: Zum einen eine größere Gruppe erb- und güterrechtlicher Artikel (z. B. Ldr. I 4; Ldr. I 9 bis I 15; Ldr. I 32), wobei offenbar besonders das Recht der Frau und ihrer Kinder betroffen ist (so auch Ssp. Ldr. I 47 zur Geschlechtsvormundschaft). Zum anderen betrifft es die Gerichtsverfassung (z. B. Ssp. Ldr. I 68 und 69). Einzelne Auslassungen ließen sich funktional erklären. So werden wir noch häufiger (gegen Ssp. Ldr. I 37) das Bestreben finden, eheliche Kinder auch aus Ehen anzuerkennen, die auf unehrliche Umstände zurückzuführen sind. Andere Fehlstellen, wie beispielsweise die Auslassung des generellen Gebotes, Eide, Bürgschaften und Versprechen einzuhalten (Ssp. Ldr. I 7), lassen sich nicht so weiteres funktional erklären. Wir wollen es zunächst bei diesen wenigen ersten Beobachtungen belassen. Jede einzelne dieser merkbaren Eingriffe in den Vorlagentext könnte Gegenstand ausführlicher Interpretation und oft genug auch reiner Spekulation werden. Aussagekräftig werden sie, so steht zu hoffen, im Gesamtbild, wenn wir eine Reihe von sächsischen Rechtsbüchern untersucht haben. Die Rechtsentwicklung im Gebiet der heutigen Niederlande jedenfalls ist auch im 15. und 16. Jahrhundert noch nachhaltig vom Sachsenspiegel beeinflusst. Ein besonders interessantes und bislang nur wenig untersuchtes Rechtsdenkmal ist die südfriesische „Jurisprudentia frisica“,28 ein „mozaïek van fragmenten uit allerlei bronnen: canonistische handboeken in Friese vertaling – daaronder de Processus judicii – de geglosseerde Saksenspiegel, juridische adviezen, processtukken, inheems-Friese rechtsteksten“.29 Aber auch in den vom Ius commune beeinflussten Rechtsaufzeichnungen der Frühneuzeit findet sich noch der breite Einfluss des Sachsenspiegels, bei27 Die Position von Ssp. Ldr. II 32 zwischen Ldr. II 39 und II 40 in der Umarbeitung capp. 116–118 lässt Rückschlüsse auf die Vorlagenhandschrift zu. Die Nachweise bei Geer, Saksenspiegel, Bd. 1, S. 92 f. markieren keine Sprünge, sondern sind (Druck-)Fehler. 28 Hettema, Jurisprudentia Frisica. Auch die Materialsammlung des Verfassers, die so genannten „Excerpta Legum“, sind auf uns gekommen (Groningen, UB, Hs. 253); vgl. Gerbenzon, Excerpta legum, bes. S. 328–349. Im Einzelnen übernommen wird vor allem Material aus der Buchschen Landrechtsglosse, nämlich zu: Ssp. Ldr. I 3 § 3; Ldr. I 4; Ldr. I 5 § 3; Ldr. I 6; Ldr I 50; Ldr I 51; Ldr. I 52; Ldr. II 1; Ldr. II 13; Ldr. II 14; Ldr. II 25; Ldr. III2; Ldr. III 10; Ldr. III 61; Ldr. III 63; Ldr. III 64; Ldr. III 66 und Ldr. III 67. Besonders umfangreich sind die Übernahmen aus der Glosse zu Ldr. I 6, Ldr. I 51, Ldr. I 52 und Ldr. II 13. Größere Zitate aus dem Landrechtstext selbst werden nur aus Ssp. Ldr. I 4 aufgenommen. 29 Gerbenzon/Algra, Voortgangh des rechtes, S. 110.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
spielsweise im glossierten Overijsseler Landrecht von 1630. Dort heißt es unter dem Titulus „Von der Citation de Clage der vördering zu bestimmen“: „Item in den Ladingsbrieffen / sollen die sachen darumb yemands gefordert edder geheischen wirt bestimpt werden / dermas das der antworter auf gesatzen tag bericht sei / oder seinen Anwalt mit vnderrichting schicken möge / lengering der saken vnnde kosten / der auff das bedencken vnnde hinderbringen gehen wardt / damit ab zuschneiden. Dith seluige machstu wider sehen in der Cammer gerichtes ordeninge / gemaket vnnde verniet / Anno dusent viffhundert acht und viertich / in den derden deele / vnder den Titel von dem erstenn Termin / wie vnd was in dem selben gehandelt werden soll.“30
Allegiert werden dabei in den Marginalen neben gelehrten Rechtsquellen „Sp. Sax. L. 2 art. 7. & glossa; LdR II 10, LdR II 11“. Wirkmächtiger vielleicht noch als die Aufnahme in einzelne spätere Rechtsquellen dürfte die Verarbeitung des Holländischen Sachsenspiegels in der berühmten „Inleeding tot de hollandsche rechts-geleerdheid“ des Hugo Grotius († 1645) gewesen sein.31 3. Das Berliner Schöffenrecht Wohl in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstand in Berlin selbst oder in der Umgebung ein Rechtsbuch, das den Sachsenspiegel im Hinblick auf die brandenburgische Gerichtspraxis umarbeitete. Es liegt in einer durch Nachdruck gut greifbaren Ausgabe von Fidicin,32 die aber weder Kapitelzählungen noch Quellenachweise bietet, und einem sorgsam bearbeiteten, aber in nur kleiner Auflage verbreiteten, bibliophilen Druck von Clauswitz vor.33 Neben dem Sachsenspiegel und seiner Glosse verarbeitet das Rechtsbuch auch erstmals den Richtsteig Landrechts.34 Auf die wichtige Rolle, die das Schöffenrecht für die Geschichte der brandenburgischen Gerichtsverfassung hatte, hat erstmals und in bislang nicht erreichter Tiefe Georg Sello hingewiesen;35 Heydemann hat dessen Arbeiten bis zum Erlass der so genannten „Joachimischen Constitution“ im Jahre 1527 weitergeführt, mit 30 Witthoff, Landtrecht, fol. 47r–48v (Lib. 1, Cap. 20 § 3). Das Landrecht von Overijssel ist in vier Bücher nach Vorbild der Institutionen geteilt. Es will betont nicht das ganze geltende Recht, sondern primär die Besonderheiten des Rechtsbrauches im Overijsseler Land wiedergeben, „wante anders solden wy wal dat gantze Keserlyke recht in vnse Landrecht schryuen / dat eyn vergeuelick dinck / vnde vnnutte arbeyt were“ (fol. 96v, Vorrede des 4. Buches). 31 Groot, Inleidinge, S. 308–313. 32 Fidicin, Beiträge S. 77–175. 33 Clauswitz, Berlinisches Stadtbuch, S. 93–192. 34 Nachweise bereits bei Homeyer, Richtsteig, S. 69. 35 Sello, Gerichtsverfassung. Über Sello (1850–1926) vgl. im Übrigen Pötschke, Georg Sellos Beitrag.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
345
denen von kurfürstlicher Seite „das Sachsenrecht aufgehoben und niedergeschlagen“ wurde.36 Zuletzt hat dann noch Pötschke sich der Quellenkunde des Schöffenrechts zugewandt.37 Nur Clauswitz aber hat sich in den Noten zu seiner Ausgabe des Schöffenbuches um nähere Quellennachweise bemüht. Es folgt eine vollständige Konkordanz:38 Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
I1§2 I7§2 III 1 §§ 1–3; III 2 § 1 III 4 V3§1 III 23 III 5 §§ 1, 2 III 5 §§ 4, 5 II 1 § 1 I 10 § 3 IV 4 § 2 II 1 § 3; II 6 II 7 III 6 § 1 III 6 § 4 III 7 III 6 § 2 II 8 III 2 §§ 3, 5; III 26 I 14 § 2 I 14 §§ 1, 2 I 14 §§ 3–5 V 11 § 1 V 11 §§ 4, 5 V 11 § 3 V6 III 13 III 14 III 21 § 3; III 22 § 3 III 21 § 4 III 21 § 5
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
III 20 §§ 1, 3 III 22 §§ 1, 2 III 15 § 1 III 15 § 2 III 15 § 3 III 15 § 4 III 24 §§ 1, 2 V1§1 V1§2 V5§1 II 9 V7 V3§4 IV 25 IV 4 § 3 IV 4 § 4 V8§2 III 20 §§ 4, 6, 7 III 20 §§ 6, 7 V 1 §§ 1–4 V 2 §§ 1, 3 V2§1 IV 3 IV 4 § 1 V4 I 12 § 2 III 16 §§ 1, 2 III 16 § 3 III 16 §§ 4, 5 II 10 II 3 § 3
1 3§1 3§3 4 5§2 5§3 6 §§ 1, 2 6 §§ 3, 4 7 8§2 8§3 9§1 9 §§ 2–6 10 11 12 13 §§ 1, 2 15 §§ 1, 2 17 § 1 17 § 2 18 § 1 18 § 2 20 § 1 20 §§ 2, 3 20 § 6 21 § 2 22 § 1 22 § 2 22 § 4 22 § 5 23 § 1 36
23 24 25 25 25 26 27 31 31 33 35 36 37 38 39 40 41 42 42 45 46 47 50 50 51 51 52 52 52 53 53
§2 §1 §§ 2–4 §5 §1 §2 §1 §1 §1
§1 §2 §1 §1 §2 §§ 1, 2 §3 §1 §§ 2, 3 §4 §2 §3
Heydemann, Elemente, S. 169–173. Pötschke, Sachsenspiegel und Glosse; vgl. auch ders., Rezeption in der Mark Brandenburg. 38 Clauswitz’ Ausgabe nummeriert die einzelnen Bücher nicht, sondern vergibt lediglich Titel. Daher soll für die Konkordanz gelten: I = Einleitung (S. 94–106), II = Von Schuldforderungen (S. 107–127), III = Erbrecht (S. 128–140), IV = Von der handhaften Tat (S. 141–157), V = Frauen- und Judenrecht (S. 158–168). Die Nachträge (S. 169–192), die in der Hauptsache aus der Magdeburger Weichbildvulgata und dem Richtsteig schöpfen, lasse ich bei der Konkordanz unbeachtet. 37
346
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
II 11 I9§2 I 9 §§ 2–4 I9§4 I9§5 I9§6 I 9 § 10 I 11 § 1 I 11 § 2 I 11 §§ 5, 6 I 11 § 7 I 11 § 8 I 11 § 9 IV 7 I 11 § 3 I 12 § 1 I 11 § 4 IV 29 §§ 1, 2 IV 29 §§ 3–5 IV 29 §§ 6–9 IV 8 § 1 IV 8 § 2 II 3 § 2 IV 8 § 3 IV 9 IV 8 § 4 IV 8 § 5 II 12 § 1 II 12 § 2 IV 20 §§ 1, 2
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
IV 22 § 2; IV 28 § 1 IV 27 IV 22 § 1 IV 22 § 1 III 3 III 2 § 6 II 13 § 1 II 13 §§ 2, 3 II 13 § 2 II 14 § 1 II 14 §§ 2, 3 II 15 § 1 II 15 § 2 III 18 § 1 III 17 II 16 § 1 II 16 § 2 IV 1 II 27; IV 2 II 27; IV 2 II 17 II 18 II 19 II 20 § 1 II 20 § 2 II 21 II 22 §§ 1, 2 II 22 §§ 3–5 II 22 §§ 6–8 II 23 § 1 II 23 § 2 II 24 § 3 II 24 § 1 II 24 § 2 II 24 § 4 II 24 § 5 II 25 §§ 2, 3 II 25 § 1 II 26 § 1 II 28 I 18 § 1 IV 5; V 13 § 1 IV 5 IV 6 V 16 §§ 2, 3 IV 17 II 29
54 55 55 56 57 58 59 59 60 60 61 61 61 62 62 62 62 63 63 63 64 65 65 66 68 68 69 70 70 70
II II II II II II II II II II II II II II II II II II
§1 §2 §1 §1 §2 §1 §2 §2 §3 §5 §§ 1–5 §7 § 10 § 11 §1 §§ 2, 3 §§ 4, 5 §1 §4 §§ 2–4 §5 §1 §2 §3
4 §§ 1, 2 4§3 5§2 6§2 6§3 7 10 § 1 10 §§ 3–6 11 §§ 1, 2 11 § 3 12 13 § 1 13 §§ 3–7 13 § 8 14 15 § 1 16 § 1 16 § 2
IV 20 §§ 3, 4 II 5 § 4; IV 20 § 5 II 1 § 4; II 3 § 2 II 4 § 1 II 2 § 1 II 2 § 2 II 5 § 4 II 5 §§ 1–3 II 4 §§ 2, 3 II 12 § 3 I 15 § 2 IV 25 IV 25 IV 19 I 15 § 2; IV 18 IV 21 IV 22 § 3 IV 22 § 1
16 16 16 16 19 20 27 27 27 27 28 28 29 30 31 32 33 35 36 36 37 38 39 40 40 45 46 47 48 48 48 49 50 51 52 53 54 54 60 62 63 64 64 65 66 67 68
§3 §4 §5 §§ 8, 9 §1 §1 §1 §2 §3 §4 §§ 1–3 §4 §1 §§ 1–3 §1 §3
§§ 1, 2 §§ 4, 5
§§ 1–3 §§ 4, 5 §§ 7, 9 §2
§§ 1–3 §§ 4–6 §1 §1 §§ 2–5
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
Ssp. Ldr.
Schöffenrecht
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
V 16 § 1 V9 II 26 §§ 2, 3 V 15 §§ 1–3 II 31 § 1 II 31 § 2 II 31 § 4 II 31 § 5 II 26 § 4 II 32 I 11 § 3 III 21 § 2 II 30 III 20 § 4 II 26 § 5 II 33 I9§7 V 10 § 1 V 10 § 2 III 12 § 1 I 11 § 10 I9§1 III 18 § 2 II 36 II 42 § 2 III 24 § 3 II 34 II 35 II 37 II 1 § 2 I 12 § 4 I7§1 IV 28 § 4 IV 28 §§ 5, 6 IV 28 §§ 7, 8
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
V3§2 IV 28 § 9 IV 28 § 2 IV 13 II 41 §§ 1–3 II 41 § 4 I5§1 I5§5 I6 I9§8 I 10 § 3 I 10 § 3 I5§2 I 15 § 3 I 4 §§ 1–3 I 1 §§ 3–5 I 2 §§ 1–3 I2§4 I2§5 I 15 § 1 V 10 § 3 V 11 § 2 V 12 IV 10 § 5 IV 10 §§ 1–4 II 38 § 1 IV 11 II 39 II 40 I9§9 IV 14 II 42 § 1 IV 15 IV 16
2 3 5 §§ 3–5 7 §§ 1–4 9 §§ 1, 2 9 §§ 3, 4 9§5 10 §§ 1, 2 10 § 3 12 §§ 1, 2 14 § 1 15 § 2 15 § 3 15 § 4 22 23 25 § 1 27 28 § 1 29 § 2 30 § 1 30 § 2 31 §§ 1, 2 31 § 3 37 § 4 38 § 5 39 §§ 1, 2 39 §§ 3, 4 41 §§ 1–3 41 § 4 42 § 2 44 § 1 45 § 1 45 §§ 4–8 45 §§ 9–11
45 46 46 47 48 49 52 52 53 53 55 56 60 61 62 63 64 64 65 69 74 75 76 78 78 83 84 86 87 87 88 89 90 91
§ § § §
11 1 2 1
§§ 1, 2 §3 §1 §2 §2 §1 §1 §4 §§ 1–8 § 11 §2 §1 §§ 2–5 §5 §§ 6–9 § 2, 3 §§ 1,2 §§ 3,4 §§ 2–5 §1
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Außerdem entspricht II 2 § 3 dem Ssp. Lnr. 24 § 8 und I 8 § 2 dem Ssp. Lnr. 78 § 3. Charakteristisch ist die Vermengung von Ldr. I 22 §§ 4, 5 mit III 15 §§ 2, 4 in Schöffenrecht III 21. Und noch ein weiteres ist charakteristisch: Von besonderem Interesse mussten für den Redaktor des Schöffenrechtes die Ausführungen des Richtsteigs über das Recht in der brandenburgischen Mark (cap. 50) sein, die in der Tat das Berliner Schöffenbuch einer umfänglichen Umarbeitung unterzieht. Ich gebe nur die besonders auffälligen Parallelen:
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Richtsteig Landrechts
Berliner Schöffenbuch*
50 § 1. Wo men ordel scilt in der marke. Scilstu en ordel in der marke, so du als hir vor geleret is, mer des, dat du nicht dorvest des stules bidden, unde des dat en islik bedderve man mach bode sin, unde oc des dat we it scilt nicht darf tu hant vor den koning tien, wenme tüt is in eine hogere dingstat.
§ 15. Scheldet ymant eyn ordel in der Marke, so du he alse hir vorgeschreven is. Des stules bidde he, wen sittende sal man jo ordel geven und stande schelden. Eyn isliker vromer man mach wol in der Marke ordel schelden und derf des sich nicht tu hantz tyen vor den koningh. Wen he sal sich des tyn tu der hogesten dingestad na borger und burrechte tu Brandenborch, dar scolen voran tyn di dat ordel vant und ok schalt. Dy dat ordel vant, sal vor deme dinge seggen, wu he des wart gevraget und wu he dat vant. Und di dat ordel schalt, sal seggen, wu he dat geschulden hebbe und wat he dar vant vor recht, des he vulkomen wolde werden. [. . .]
50 § 2. We in der nien marke en ordel scilt, unde biddet ens rechtes war hes tien scole, so vintme tur kleinken bi brandeborch. So bidde der boden unde ens rechtens, oft men se mit di senden sole. Dat vintme. So vrag watterleie lude se sin scolen. So vintme, vulkomene lude in erme rechte. Weigert di des de richter, dat clage sime richter, de scal em biden dat het du. En deit he denne des nicht, so vordeilt men em sin richte, unde richtede he vort in pinliker clage, it ginge em an den hals.
§ 16. [. . .] Tu lantrechte und to borgerrechte vint man: tu Brandenborch, dat nu is di hogeste dingestat, dat hir vormals was tu der Klinke by Brandenborch. Wen eyner quam tu der Klinke, vant man dar dan noch unrecht, so schalt man aver dat ordel alse hir vorsteit geschreven. Sodan wisede man eynen tu Creppin in der olden Marke. Von Creppin viset man eynen tu der Linden. Schalt man dan noch aldar, so bidde he der boden und tye sich dar he sich tu rechte tyn scole, alse vor is geleret.
50 § 3. Kumpstu tur klinken, vintme di den noch unrecht, so du als er, so wiset man di tur krepen in der alden marke. Van denne wisetme di tur linden. Scilt met dar ok, so bidde der boden unde ties war dus van rechte tien scalt. So vintme di in de hogeste dingstat, dat is in des kemereres kamere, dat is tu tangermünde. Itlikes richtes boden unde kost kert dar dut anderwerve scilst. Vor deme dut denne scilst, de nimpt wisheit unde dut vort boden unde kost. So vrage we de bode scole sin. So vintme it gehegede ding. Wan du denne dar kumpst, so heget de marggreve odder
Sodann vant man vor recht und wised en tu der allerhogesten dingestat, dat was in der heren kamer tu Angermunde up der Elve. Dar wendet sich dat recht, und nemmet ende dar eynes isliken richters boden und koste. Wen tu Angermunde plach von older der herren kamer tu wesen, dar man ordel up schalt und ok alsus recht halede umme
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
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Richtsteig Landrechts
Berliner Schöffenbuch*
de dar sit in siner stede ein ding. So vrage mit weme he dat dingen scole, so vintme mit vulkomen luden an herscilde.
lehn und lehnerve. Dat makede dat di stat lecht tuschen der olden und nyen Marke ist.
50 § 8. Scilt het aver mer, men wiset en vor dat rike und dut als hir vor geleret is. Ne is des nicht, oder wert he vor dem rike nedervellich, he mut al den richteren wedde und kost geven, in der richte he ordel scilt, unde bute geven deme de it ordel vint.
§ 18. Will he aver mer und dan noch vort schelden, so wise man an dat rike und du, alse vor geleret ist. Und wert he aver vor dem rike vellich, so mut he alle den richteren geven gewedde in deme gerichte, dar he dat ordel schalt, und mut vorbuten deme di dat ordel ghevan.
* Nach der Edition von Clauswitz, Berlinisches Stadtbuch, S. 179–182 (E §§ 15–18); bei Fidicin, Beiträge, Bd. 1, S. 163–166.
Die gewichtigeren Abweichungen der Fassung im Schöffenbuch gegenüber dem Richtsteig – fast durchgängig ein Mehr gegenüber der Vorlage – sind durch Kursiva verdeutlicht. 4. Das Neumarkter Rechtsbuch Auch wenn man mit Dusil und Kannowski im Hallenser Schöffenbrief aus dem Jahre 1235 keine direkte Rezeption des Sachsenspiegels mehr erblicken mag, so können wir doch sicher sein, dass der Spiegel selbst bereits im 13. Jahrhundert in die schlesischen Herzogtümer kam.39 Davon gibt uns auch das Neumarkter Rechtsbuch, eine sich eng an den Sachsenspiegel anlehnende Arbeit des 14. Jahrhunderts Zeugnis,40 die bislang nur nach einer einzigen Handschrift bekannt ist.41 Es liegt in einer älteren, aber insgesamt verlässlichen Edition durch Otto Meinardus vor.42 Wichtig ist die Feststellung, dass das Rechtsbuch nichts zu tun hat mit dem „ius Theotonicum Noviforense“, das bereits 1237 an Oppeln mitgeteilt worden war43 und zu den wichtigsten schlesischen Siedlungsrechten gehört.44 Später begegnet uns 39
Nowak, Verbreitung, S. 109–113 und S. 313–320. Oppitz, Neumarkter Rechtsbuch; Munzel-Everling, Neumarkter Rechtsbuch. 41 Breslau, StA, Rep. 135 V 67 (Oppitz Nr. 308). 42 Meinardus, Neumarkter Rechtsbuch, S. 95–203; vgl. dazu die Besprechung von Ferdinand Frensdorff in den GGA 1907, Sp. 977–1001. 43 Stobbe, Rechtsmittheilung; gedruckt bei Meinardus, Neumarkter Rechtsbuch, S. 229–231 (Nr. 22). 44 Goerlitz, Was ist Neumarkter Recht? 40
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
das Neumarkter Recht in insgesamt 64 schlesischen Städten und in über 400 polnischen Städten und Dörfern.45 So erklärt sich auch die Funktion von Neumarkt als wichtiger Oberhof des späteren Mittelalters.46 Das Rechtsbuch aber entstand eigenständig, wahrscheinlich um 1330 in Neumarkt selbst. Eine tabellarische Konkordanz der Artikel des Neumarkter Rechts und des Sachsenspiegel-Landrechts erübrigt sich, da das eine über weite, zusammenhänge Passagen die getreue Nachbildung des anderen ist, die weder durch größere Auslassung noch durch häufige Umstellung von seiner Vorlage abweicht.47 Die wenigen Auslassungen und Einschübe lassen sich angemessener wie folgt zusammenfassen: – Ssp. Ldr. I 60 und Ldr. I 61 werden im Neumarkter Rb. capp. 172–181 in der Reihenfolge gegeneinander und in der Reihenfolge der Paragraphen vertauscht; – Neumarkter Rb. cap. 183 („Von dem, der sine clage globit czu halten.“) hat keine Entsprechung im Sachsenspiegel; – in den capp. 218 bis 222 des Neumarkter Rb. finden die die Artikel Ssp. Ldr. III 18 §§ 1, 2, Ldr. III 19 und Ldr. III 24 §§ 1, 2 untmittelbar hinter cap. 217 (= Ssp. Ldr. I 68 § 5) eingeschaltet; – danach folgt mit cap. 223 („Von dem wergelde“) ein Kapitel, das dem Sachsenspiegel fremd ist; – mit cap. 24 setzt wieder die Übernahme aus Ssp. Ldr. I 69 ff. ein; – Ssp. Ldr. II 4 § 3 wird hinter Ldr. II 7 (cap. 247, „Von burgen seczen“) verschoben; – die capp. 297–300 (zur handhaften Tat) des Neumarkter Rb. haben keine Entsprechung im Sachsenspiegel; – Ssp. Ldr. II 21 § 4 wird mit cap. 301 vor Ldr. II 20 ff. (= cap. 302 ff.) gezogen; – Ssp. Ldr. II 30, Ldr. II 34 § 2 und Ldr. II 36 §§ 1–7 werden nicht in das Neumarkter Rb. übernommen; – an deren Stelle treten zwei Kapitel (capp. 339 und 340), die „Von molner recht“ und „Von enelende swern“ behandeln; – Ssp. Ldr. II 32 und Ldr. II 33 (capp. 348–350) treten hinter Ldr. II 39 (cap. 347); 45
Lück, Verbreitung, S. 42. Eine Aufstellung findet sich bei Zmarzly, Festschrift, S. 17–24. 46 Goerlitz, Oberhöfe in Schlesien, S. 20–24. 47 Eine solche Konkordanz bei Meinardus, Neumarkter Rechtsbuch, S. 95–118.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
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– Ssp. Ldr. II 40 § 3 wird nicht in das Neumarkter Rb. übernommen; – die Artikelgruppe Ssp. Ldr. 56 bis Ldr. II 58 wird ebenfalls nicht übernommen; – Ssp. Ldr. II 70 (= cap. 409) wandert hinter Ssp. Ldr. II 72; – Ssp. Ldr. III 8 wird nicht in das Neumarkter Rb. übernommen; – die Artikelgruppe Ssp. Ldr. III 17 bis Ldr. III 19 wird ebenfalls nicht übernommen; – im Neumarkter Rb. cap. 454 („Von urteil“) fehlt gegenüber Ssp. Ldr. III 30 § 1 der erste Satz („Vorspreken sal he darven, die selve geantwerdet hevet.“) – nicht übernommen werden Ssp. Ldr. III 42 §§ 1, 2, 4, wohingegen Ssp. Ldr. III 42 §§ 3, 5 cap. 479 des Neumarkter Rb.s entspricht; – Ssp. Ldr. III 45 § 10, Ldr. III 47 § 1 und Ldr. III 50 werden nicht in das Neumarkter Rb. übernommen; – mit cap. 495–499 (keine Entsprechung im Ssp.) beginnt ein neues Buch des Neumarkter Rb.s unter der Rubrik „Hi hebit sich an lenrecht unde von dem keysir unde sprichit.“ – cap. 500 entspricht dann wieder Ssp. Ldr. III 54 § 1, d.h. die Artikel Ldr. III 52 und 53 sind nicht in das Neumarkter Rb. übernommen worden; – die Artikelgruppe Ldr. III 61 bis Ldr. III 63 § 1 wird ebenfalls nicht übernommen; – nach cap. 509 (= Ssp. Ldr. III 63 §§ 2, 3) wird ein längeres Stück aus dem Lehnrecht eingeschaltet: – cap. 542 des Neumarkter Rb.s entspricht wieder Ldr. III 64 §§ 1–5, 7, 8 mit Kürzungen in § 7 – Ssp. Ldr. III 65 § 1 wird nicht ins Neumarkter Rb. übernommen; – Ssp. Ldr. III 73 wird nicht ins Neumarkter Rb. übernommen; – die letzten Kapitel (capp. 561–606) des Neumarkter Rb.s stehen unter der Rubrik „Nu vornemt von gebuir rechte und dorfir rechte“ – capp. 561 bis 579 entsprechen dabei der Artikelgruppe Ssp. Ldr. III 79 bis III 91; lediglich Ldr. III 85 (= cap. 568) ist stark verkürzt, von Ldr. III 88 (= cap. 571) werden nur die §§ 2 und 5 übernommen; – die restlichen Kapitel des Neumarkter Rb.s entstammen unter anderem der Weichbildvulgata und deren Glosse, den Magdeburger Fragen (cap. 586 = I 9 § 6) und vor allem dem Görlitzer Recht.
352
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
In diesen späteren Teilen finden sich noch vereinzelt Anklänge an den Spiegel, aber keine nachweislichen Übernahmen; so in cap. 591, das im Wesentlichen Ssp. Ldr. II 3 § 2 oder cap. 593, das Ldr. I § 2 entspricht. Neben den Sachsenspiegel in einem Text der Ordnung IIa als Hauptquelle treten das Wichmannsche Privileg für Magdeburg vom Jahre 1188 und der Magdeburg-Breslauer Schöffenbrief (1261). Das Neumarkter Rechtsbuch nimmt aber weniger durch seine Stoffauswahl, sondern vielmehr durch die relativ konsequente und weitreichende Bearbeitung des Übernommenen eine Sonderstellung unter den Rezeptionsträgern des sächsischen Landrechts ein. Der unbekannte Redaktor hat große Mühe aufgewandt, die Sätze des Sachsenspiegels äußerlich an die Neumarkter Umstände anzupassen. So ist nicht nur aus dem „lande to sassen“ das „land czu dem Nuwenmarkte“ geworden, sondern auch aus dem König der (schlesische) Herzog, aus dem Grafen der Richter und aus dem Burmeister ein Ratsmann. Entsprechend wird die Grafschaft zur Stadt und die Mark zum Dorf. Diese Anpassungen sind so schematisch durchgeführt worden, dass kaum angenommen werden darf, sie spiegelten in jeder Hinsicht Neumarkter Verhältnisse wider. Bemerkenswert ist aber das überhaupt vorhandene und dann auch redaktionell wirksam werdende Bewusstsein für die weitreichenden Unterschiede in der Gerichtsverfassung des rezipierten elbostfälischen Landrechtsbuches gegenüber der schlesischen Stadt. Über die mögliche Gebrauchssituation oder Verbreitung des Neumarkter Rechtsbuches ist nichts bekannt. Der Umstand aber, dass die einzige erhaltene Handschrift aus Görlitz und damit aus einer der Städte Schlesiens, die nicht mit Neumarkter Recht bewidmet waren, stammt, mag für eine zumindest gewisse Verbreitung auch außerhalb Neumarkts sprechen. 5. Löwenberger Rechtsbuch Bereits wenige Jahrzehnte zuvor, zwischen 1311 und 1323, entstand im schlesischen Löwenberg ein Stadtrechtsbuch („Rotes Buch“), das in lediglich einer einzigen Handschrift auf uns gekommen ist.48 Es stellt sich in weiten Teilen als eine geringfügige Umarbeitung sowohl des Land- als auch des Lehnrechts des Sachsenspiegels dar, wird aber durch eine Reihe von Sonderrechten, die möglicherweise fränkischer Herkunft sein könnten, erweitert. Ebenfalls in der Handschrift enthalten sind die Weichbildchronik sowie ein besonderer Judeneid, der dem der Magdeburger Weichbildvulgata ähnelt.49 Eine vollständige Ausgabe des Rechtsbuches fehlt noch immer, le48 Breslau, UB, Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1 (Oppitz Nr. 304) – zum Rechtsbuch an sich vgl. auch Johanek, Löwenberger Rechtsbuch.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
353
diglich das Kampfrecht (fol. 73r–77r) ist in einem älteren, aber insgesamt sauberen Abdruck zugänglich. Gewisse Ähnlichkeiten sind bisher zu Ssp. Ldr. I 63 § 4, vor allem aber zu einem um 1350 entstandenen Weistum, dem so genannten „Baracher Blutrecht“ (Hunsrück), festgestellt worden.50 Hier wäre durchaus noch Arbeit zu leisten, denn die von Korn und Geike genannten charakteristischen Ritualhandlungen, vor allem aus dem Baracher Text (ein Fürsprecher tritt auf, der Kläger zieht sein Schwert, der Name des Mörders wird dreimal ausgerufen), haben Brunner und Scherer ohne den Löwenberger Text zu kennen auch in einer Reihe anderer, bemerkenswerterweise auch schlesischer Texte feststellen können.51 Das rituelle Ziehen des Schwertes und die dreimalige Anrufung des Mörders bei der Klage auf den toten Mann lässt sich im Übrigen auch im Meißner Rechtsbuch (IV 6 § 7) und in der Blume von Magdeburg (cap. 77)52 wiederfinden. Von der rechtshistorischen Forschung ist das Löwenberger Rechtsbuch bislang nicht weiter zur Kenntnis genommen worden; nicht einmal die neueren lokalhistorischen Arbeiten ziehen es heran.53 Unverständlich bleibt mir daher auch, warum Gaupp an einer Stelle vom „berühmten Löwenberger Stadtbuch“ spricht.54 Offenbar hat es im 19. Jahrhundert zumindest noch einmal eine Rolle in einem vor dem Oberlandesgericht zu Groß-Glogau anhängigen Rechtsstreit gespielt. Näheres war darüber aber nicht in Erfahrung zu bringen. Eine gewisse Bedeutung hat ohne Zweifel allerdings das Löwenberger Recht als solches, d.h. in der Form, wie es die dortigen Schöffen sprachen, für die schlesische Rechtsgeschichte erlangt. Denn die Stadt war Oberhof einer Reihe von Städten des näheren und weiteren Umlandes, das nah an die Laustiz und damit an den Einflussbereich des sächsisch-magdeburgischen Güter- und Erbrechtes grenzte.55 Zumindest bis in das letzte Viertel des 17. Jahrhunderts ist die Spruchtätigkeit des dortigen Schöffenstuhls nachgewiesen. 49 Geike, Löwenberger Rechtsbuch, S. 40–43. Zum Magdeburger Judeneid vgl. Zimmermann, Entwicklung des Judeneids, S. 135–151, der aber auf die Ähnlichkeit mit dem Löwenberger nicht eingeht. Hayek, Juden, S. 315 erwähnt den Judeneid im Stadtbuch, ohne aber auf dessen Inhalt oder auch nur die Arbeit von Geike einzugehen. 50 Korn, Löwenberger Kampfrecht, S. 173; Geike, Löwenberger Rechtsbuch, S. 60 f. Das Weistum ist gedruckt bei Grimm, Weisthümer, Bd. 2, S. 211–216 (vgl. bes. S. 213). 51 Brunner, Klage, und Scherer, Klage, S. 95–109. 52 Böhlau, Blume, S. 43. 53 Vgl. nur Irgang, Stadtbuch, und Hayke, Juden. 54 Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. V. 55 Goerlitz, Oberhöfe in Schlesien, S. 24–31.
354
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Die einzige eingehendere Studie des Rechtsbuches bleibt die 1942 unter der Ägide von Theodor Goerlitz abgeschlossene Dissertation von Waldemar Geike.56 Diese nur sehr schlecht greifbare, ungedruckte Arbeit erschließt das Verhältnis zwischen dem Rechtsbuch und seiner Vorlage durch eine akribische, synoptische Gegenüberstellung sowohl mit dem Sachsenspiegel als auch mit dem Görlitzer Rechtsbuch und den magdeburgisch-schlesischen Rechtsquellen. Bei erneuter Prüfung muss allerdings der von Geike nachgewiesene Bestand von Referenzen erweitert werden. So gibt cap. 98 § 3 des Löwenberger Rechtsbuch mitnichten ein „sonst unbekannte[s] Kapitel [. . .] fränkischer Herkunft“,57 sondern übernimmt in weiten Teilen Ssp. Ldr. I 5 § 3, weitet das Repräsentationsrecht der Enkel aber auch auf die Töchter aus: Nimet der sun wip bi des vatir libe, di ime ebinburtic ist, unde gewinnet her kindir bi ir unde stirbit her e sinem vatir umbeteilet von deme erbe und stirbit sin vatir darnach, sine kint nemin teil an ihres eldirvatir erbe glich irn vetirn unde iren wasen an irs vatir stat. Si nemint aber alle eines mannes teil. Also tunt ouch der tochter kint, daz selbe haben sie an ir eldirmuter erbe. (Löwenberger Rb. 98 § 3)58
Nimt de sone wif bi des vader live de eme evenburdich is, unde wint sone bi ire, unde stirft he dar na er sineme vadere umbedelet von dem erve, sine sone nemet dele in ires eldervader erve, gelike irme veddern in ires vader stat. Alle nemet se aver enes mannes deil. Disses ne mach den dochter kinderen nicht geschin, dat se gelike dele nemen der dochter in des eldervader oder in der eldermuder erve. (Ssp. Ldr. I 5 § 3)
Damit ist das Rechtsbuch auf einer Linie mit anderen schlesisch-sächsischen Rechtsaufzeichnungen, beispielsweise dem Breslauer Landrecht, und nimmt zwar fränkische Rechtsgewohnheiten auf, verarbeitet sie aber gemeinsam mit Sachsenspiegelrecht. Zu diesen charakteristischen Eigenschaften gehört auch das in Löwenberg angewandte Drittteilsrecht der Witwe am Erbgut ihres verstorbenen Mannes.59 Sicherlich zumindest mittelbar vom Sachsenspiegel inspiriert ist ferner folgender Artikel: 56 Hinzuweisen bleibt ansonsten noch auf den allerdings dem Publikationsorgan entsprechend eher oberflächlichen Beitrag von Jäkel, Rotes Rechtsbuch, der aber noch deutlich hinter die Ergebnisse der Studie von Geike zurückfällt, die offenbar von Jäkel auch gar nicht zur Kenntnis genommen worden ist. 57 Geike, Löwenberger Rechtsbuch, S. 75. 58 Breslau, UB, Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1, fol. 136v. 59 Breslau, UB, Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1, fol. 137r: „OB EIN MAN STIRBIT UND LEZIT GUT. Stirbit ein man unde hat her gut unvergebin, sin gut erbit daz dritte teil uffe sin wip, di zwei teil uff di kindere, ob si ebinburtic sin. Unde di mutir mac mit deme gute nicht getun ane der erbin willen, ob daz kint stirbit nach der teilunge. Blibit aber di mutir mit den kindirn in deme gute umbeteilet unde stirbit der kindir einez odir me, ir teil vellit uf di muter unde uf di kindir, di in deme gute blibin.“ (cap. 98 § 7).
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels Man sal nimande wissen von sime gute, daz her in giwer hat, ime werde denne di giwer mit rechte angewunnen. (Löwenberger Rb. 97 § 4)60
355
Man ne sal niemanne ut sinen geweren wisen von gerichtes halven, al si he dar mit unrechte an komen, man ne breke sie eme mit rechter klage, dar he selve to jegenwarde si, oder man lade ine vore von gerichtes halven to sinen rechten degedingen, unde he denne nicht vore ne kome, so verdelt man ime die gewere mit rechte. (Ssp. Ldr. II 24 § 1)
Hier handelt es sich lediglich um eine knappere Formulierung des angesprochenen Sachverhalts, die sich aber sprachlich noch eng an die Vorlage hält. Insgesamt ergibt sich folgende, allerdings nur leicht abweichende Konkordanz: Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
98 §§ 1, 2 12 98 § 3 6§4 98 § 3 13 § 1 13 § 2 13 § 2 13 § 3 13 § 4 13 § 5 13 § 6 13 § 7 13 § 8 13 § 9 14 § 1 14 § 2 14 §§ 3–6 6 §§ 1, 2 34 § 1 8§3 8§5 8§6 8§4 6§3 7§1 15 § 1 16 § 2 7§2
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
7§3 4§4 4 §§ 3, 9, 10; 5 § 4 4 § 11 4§2 4 § 12 4 § 13 4§1 4 §§ 5, 7 4 §§ 5, 6 5§1 5§2 5§3 3; 16 § 1 16 § 2 17 § 1 17 § 2 17 § 3 38 § 3 18 §§ 1, 2 18 § 3 2 § 6; 20 §§ 1, 2 2§6 2 § 6; 20 § 4 2 § 6; 21 §§ 1, 2 2§6 2§6 2§6 2 § 6; 21 § 3
3§3 4 5§1 5§2 5§3 6 §§ 2, 3 6 §§ 4, 5 7 8 9§1 9§2 9 §§ 3, 4 9 §§ 5, 6 12 15 16 § 1 16 § 2 17 § 1 21 § 2 22 §§ 1–3 25 § 2 25 § 3 25 § 4 25 § 5 32 33 35 § 1 35 § 2 36 § 1 60
36 41 42 42 43 45 45 46 47 47 48 48 48 49 50 51 51 51 52 52 54 60 60 60 61 61 61 61 61
§2 §1 §2 §1 §2 § § § § §
1 2 1 2 3
§ § § § §
1 2 3 2 4
§ § § § § § § §
1 2 3 1 2 3 4 5
Breslau, UB, Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1, fol. 135v.
356
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
I I I I I I I I I I I I I
2§6 2 § 6; 21 § 5 18 § 4 19 § 1 19 §§ 1, 2 22 §§ 1, 3 22 §§ 4, 5 22 § 5 22 § 5 23 § 1 23 § 2 24 § 2 24 § 3
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
32 89 89 89 33 22 33 87 87 88 88 90 90 90 91 92 92 92 93 93 93 93 94 95 34 34 34 34 35 94 94 94 94 94 94 95 35 39 39 40 40 40 40 40 41 41 42 42 42 42
62 62 65 65 65 66 67 67 68 68 68 69 70
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
§ § § §
7 2 3 4
§ § § § §
1 2 1 2 4
§1
4§1 4§3 5§1 6§2 6§3 6§4 7 8 9 10 § 1 10 §§ 3–6 11 §§ 1, 2 11 § 3 11 § 4 12 § 1 12 § 5 12 § 7 12 §§ 9, 10 13 § 1 13 §§ 5–8 14 15 16 § 1 16 § 2 16 §§ 5–9 17 18 19 § 1 20 § 2 22 § 2 22 § 5 26 27 28 29 30
25 26 25 25 26 26 26 27 27 27 28 28 28 28 28 29 29 29 95 80 81 81 81 82 82 83 83 83 84 84 29 30 30 31 31 32
§1 §3 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §4 §4 §1 §2 §3 §4 §§ 1–3 §1 §2 §3 §1 §2 §1 §2 §3 §1 §2 §5
§1
31 32 32 33 34 35 36 37 38 39 39 40 40 40 41 43 44 45 46 47 47 47 48 48 49 50 51 52 53 54 54 54 54 54 54 55 59 59 60 61 61 62 62 62 63 63 64 64 64 64
§§ 1, 2 §3 §1
§1 §2 §§ 1–3 §4 §5 §§ 1, 2 §§ 1–3 §4 §5 §1 §§ 2, 3
§ § § § § §
1 2 3 4 5 6
§§ 1, 2 §3 § § § § § § § § § § §
1 5 1 2 3 1 2 1 2 3 4
§§ 2, 3 §1 §2 §3 §1 §2 §2 §2 §3 §1 §2 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §4 §1 §2 §2 §3 §4 §5 §1 §2 §7 §3 §4 §5 §6 §1 §2 §§ 1, 2 §3 §1 §2 §3 §4 §5 §1 §2 §1 §2 §3 §4
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
357
Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
Ssp. Ldr.
Löwenb. Rb.
II II II II II II II II II II II II II II II
§1 §2 §§ 3–5 §1 §2 §3 §4 §5
43 43 44 44 44 44 44 44 44 45 45 45 45 45 45
§1 §§ 2, 3 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §7 §1 §2 §§ 3, 4 §4 §5 §6
1§1 1§2 2 3 4§1 4§2 5 §§ 1, 2 5 §§ 3, 5 6 §§ 1, 2 6§3 7§1 7 §§ 2, 3 7§4 9§1 9§2 9§3 9§4 9§5 10 11 12 § 1 12 § 2 13 14 § 1 14 § 2 15 § 1 15 § 3 16 § 1 16 §§ 2, 3 20 21 22 §§ 1, 2 23 25 § 1
46 46 46 47 48 48 49 49 49 49 50 50 50 51 51 51 51 51 51 52 52 52 52 52 52 53 53 37 54 55 56 56 56 37
§1 §2 §3 §§ 1, 2 §1 §2 §1 §2 §3 §4 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §1 §2 §3 §4 §5 §6 §1 §2 §4 §§ 1, 2
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
57 59 59 58 59 60 60 60 60 61 62 62 63 67 66 63 64 64 65 66 65 67 67 68 68 68 69 69 70 71 71 71 72 72 73 73 74 74 75 75 75 76 76 76 77 77 77 78 78
65 65 66 66 68 69 70 71 71 71 72 72 72 72 72
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
§ § § §
1 2 1 2
§ § § §
1 2 3 3
27 28 29 30 31 31 35 36 37 37 37 37 38 38 39 39 40 40 41 41 42 43 47 47 48 49 50 78 79 79 82 82 85 85 85 85 86 86 87 87 87 88 88 89 90 90 90 91 91
§§ 1, 2 §2 §1 §§ 1, 2 §3 §1 §2 §3 §4 §1 §2 §§ 1, 2 §§ 3, 4 §1 §§ 2–4 §1 §4 §§ 2, 3 §1 §2
§7 §§ 1, 2 §3 §1 §2 §1 §2 §3 §4 §1 §2 §§ 1, 2 §3 §4 §§ 2–4 §5 §1 §2 §3 §1 §§ 2, 3
§1 §2 § § § § §
3 1 2 3 4
§1 §2 §1 §1 §2 §2 §1 §2 §1 §1 §2 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2 §§ 1, 2 §1 §2 §3 §1 §2 §1 §2 §1 §2 § 1; 85 § 5 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2 §3 §1 §2
358
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
6. Der Livländische Spiegel Land- und Lehnrechts Zwischen 1322 und 1337 entstand der so genannte „Livländische Spiegel Land- und Lehnrechts“.61 Sein Titel ist nicht aus der Überlieferung geschöpft, sondern soll seine enge Verwandtschaft mit den sächsischen Vorgängerrechten signalisieren. Wie über die altlivländischen Rechtsbücher deutscher Sprache insgesamt ist auch über diese Arbeit nur wenig bekannt.62 Unersetzt ist daher noch immer Bunges Inauguraldissertation des Jahres 1827.63 Der Spiegel und die mit ihm verwandten Rechtsbücher weisen eine außergewöhnliche Komposition auf, die sie deutlich von anderen des deutschen Sprachraumes abhebt, denn in keinem anderen der deutschen Rechtsbücher ist „eine so innige Durchdringung lehnrechtlicher mit landrechtlichen Grundsätzen vor sich gegangen“.64 Die ältere und unzureichende Ausgabe von Ewers65 hat Bunge in seiner Sammlung mittelalterlicher livländischer Rechtsquellen ersetzt.66 Auch der ältere „Versuch einer Geschichte der liefländischen Ritter- und Landrechte“ eines anonymen Rigaer Verfassers, den Hupel 1794 herausgegeben hat,67 ist durch seine Einleitung weitgehend überholt worden. Die Verarbeitung des Sachsenspiegels stellt sich wie folgt dar: Ssp. Ldr.
Livl. Spiegel
Ssp. Ldr.
Livl. Spiegel
I I I I I I I I I I I
I I I I I I I I I I I
I I I I I I I I I I I
I I I I I I I I I I I
4 (Ende) 5 §§ 1, 2 5§3 6§1 6§2 6§4 7 12 13 § 1 14 15 § 1
1 2 3 3 4 4 5 6 6 7 8
§§ 1–3 §4 §2 §3 §§ 1, 3 §2
15 20 20 21 22 22 22 22 23 23 24
§2 §3 §§ 6, 9 §2 §1 §2 §§ 3, 4 §5 §1 §2
9 10 § 2 11 12; I 13 14 §§ 1, 2 15 16 18 20 21 22
61 Bündige Zusammenfassung zur Rezeption des sächsischen Rechts in Livland bietet der posthum erschienene Aufsatz von Ebel, Sachsenrecht in Livland. Zu den hamburgischen Einflüssen vgl. Angermann, Hamburgisches Recht. 62 Das Wenige bei Lieberwirth, Sonderformen, und Blaese, Livländischer Spiegel. 63 Bunge, Sachsenspiegel als Quelle. Wichtige Ergänzungen bei Leesment, Abweichungen. 64 Freytagh- Loringhoven, Schuldenhaftung, S. 92. 65 Ewers, Ritter- und Land-Rechte, S. 99–139. 66 Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 95–158. 67 Hupel, Nordische Miscellaneen, Tl. 5 und 6. Beigegeben ist eine hochdeutsche Übersetzung des ältesten Ritterrechts.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels Ssp. Ldr. I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
25 34 34 36 38 39 40 41 42 45 46 47 50 52 53 53 54 54 59 60 61 61 61 62 62 65 65 66 67 68 68 69 70 70
II II II II II II II II II II II II II II II
Livl. Spiegel
§§ 1, 2, 4, 5 I 23 §1 I 25 §2 I 26 I 27 §2 I 28 I 29 I 30 I 32 §1 I 31 §2 I 33 §§ 1, 2 I 33 § 3 §1 I 33 § 4 I 34 §§ 1–4 I 35, 36 §§ 1, 2 I 37, 38 §3 I 39 §1 I 40 § 1 §§ 3, 4 I 40 § 3; I 41 §1 I 42 I 43–45; I 49 §1 I 50; I 52 §2 I 46 §4 I 47; I 48 §§ 1, 2 I 53; I 54 §7 I 55 §3 I 57 § 1 §4 I 58 §1 I 59 §1 I 60 §§ 1, 4 I 61 §5 I 62 I 63 § 1 §1 I 63 § 2 §2 I 64
3§1 4§1 4§2 4§3 5§1 6 7 8 9 §§ 1, 2 9§3 10 § 1 10 § 2 10 § 3 10 §§ 5, 6 11 §§ 1, 2
I I I I I I I I I I I I I I I
65 66 § 1, 2 66 § 3 72 § 3 67 68–71 72 §§ 1, 2 73 §§ 1, 2 73 § 3; I 74 75 76 § 2 75 76 § 1 76 §§ 3,4 77
Ssp. Ldr.
Livl. Spiegel
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
I 78 I 79; I 80 I 81 I 82 II 1–8 II 9 II 11 §§ 1, 2 II 12 § 2 II 13; II 14 II 15 II 16 II 17 II 18 II 19; II 20 II 28 II 29 II 21; II 22 II 23 II 24; II 25 II 26 II 27 II 30; II 31 II 32 II 33 II 35 II 36; II 37 II 38–40 II 41 II 42 II 43; II 44 II 45 II 48; II 49 II 50 II 51; II 52 II 53; II 54 II 55; II 56 II 57 II 58 II 59 II 60 II 61 II 62 II 63 II 64
12 12 12 12 13 14 16 16 17 27 28 28 29 31 32 33 34 35 36 37 38 40 43 44 46 47 48 51 52 54 58 59 60 62 63 64 65 67 68 69 70 71 72 71
III III III III III
§1 §§ 4, 5 §7 §9 §§ 4, 6 §9 §4 §§ 1, 2 §4
§1 §1 §§ 1, 3 §§ 1–4 §§ 1–4, 7 §§ 4–6 §2 §§ 3, 4 §§ 1, 2 §§ 1–3, 5
§1 §§ 2, 3 §1
1§1 2 3 4 5§1
II 65 II 66 II 67; II 68 II 69, II 70 III 1
359
360
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Livl. Spiegel
Ssp. Ldr.
Livl. Spiegel
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
III 27 III 28 III 29; III 30 III 31 III 32 III 33; III 34 III 35 III 36–38 III 39; III 40 III 41; III 42 III 43 III 44 § 1 III 44 § 2 III 45 III 46 III 47 III 48–55 III 56 II 46 II 47
5 §§ 3–5 6§1 6§3 9 §§ 1, 3, 4 9§2 9§5 10 12 15 §§ 1–3 16 17 18 § 1 20 §§ 1, 2 21 22 § 1 22 § 3 23 24 25 §§ 1, 2 27 28 § 1
2; III 3 4 5 6 7 8 9 10 11–13 14; III 15 16 17 18 19 20 21 22 § 1 22 §§ 2–5 23; III 24 25 26
29 30 31 32 37 39 40 41 47 48 49 67 68 74 76 76 78 79 82 83
§2 §2 §§ 7, 8 §3 §1 §§ 1–3
§1 §§ 1, 2 §§ 3–5 §1 §§ 2, 3
Außerdem stellen die Artikel III 57 bis III 68 des Livländischen Spiegels einen umfänglichen Einschub aus dem sächsischen Lehnrecht dar. Im Einzelnen: Ssp. Lnr.
Livl. Spiegel
2§4 3 4 9§1 9§2 12 §§ 1, 2 13 § 1 14 § 2 14 § 4 18 19 § 2
III III III III III III III III III III III
57 58 59 60 61 62, 63 64 65 66 67 68
Bemerkenswert sind hier vor allem die Auslassungen aus der ansonsten ja recht geschlossen übernommenen Gruppe der Lehnrechts-Artikel 2 bis 19, denn ausgerechnet die strittige Frage der Lehnanwartschaft (Ssp. Lnr. 10) und der Lehnsneuerung (Ssp. Ldr. 11 und 15–17) hat der Redaktor hier ausgeklammert. Hier zeigt sich die durchaus planvolle Durchführung der Bearbeitung, denn für diese Fragen stand mit dem älteren Ritterrecht bereits ein Regelungswerk zur Verfügung.
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
361
Als funktional in vielen Teilen sehr gut nachvollziehbar stellt sich auch die Bearbeitung der landrechtlichen Teile des Sachsenspiegels dar, die alle historischen, die meisten „staatsrechtlichen“ und eine Reihe anderer, für die livländische Rechtspraxis offenbar nicht relevanter Artikel auslässt, insgesamt 95 vollständig und 72 zum Teil. So fehlen die Bestimmungen zum Judenrecht, die in der Tat keinen Bezug zur Praxis hatten, weil es in Livland keine Juden gab.68 Unverändert übernommen wurden lediglich 34 Artikel. Nicht näher eingehen wollen wir auf das so genannte „Waldemar-Erichsche Lehnrecht“ von 1315, ein Lehnrechtsbuch, das im Auftrage des Dänenkönigs Erich das Recht seines Vorgängers Waldemar II. aufzeichnete,69 und auf das daran anknüpfende Ältere Livländische Ritterrecht, das wohl auch noch im 14. Jahrhundert entstanden ist.70 Zwar hat man lange Zeit angenommen, dass bereits in dem Rechtsbuch von 1315 auch Bestimmungen des sächsischen Lehnrechts zu finden seien, jedoch scheint die größere Nähe zum Dienstmannenrecht des Stiftes Hildesheim zu bestehen.71 Letztlich bedürften diese beiden interessanten Lehnrechtsbücher, die in den letzten hundert Jahren kaum Beachtung gefunden haben, noch eingehenderer, neuerer Forschung.72 Das Lehnrecht aber ist eingangs aus der Betrachtung dieser Studie ausgeschlossen worden und soll daher auch an dieser Stelle nicht näher behandelt werden. Wir begnügen uns mit der Feststellung, dass zum einen niederdeutsches, zumal sächsisches Recht im Livland des 14. Jahrhunderts bekannt war und breit rezipiert wurde, zum anderen offenbar auch ein großes Bedürfnis an Rechtsaufzeichungen bestand, da eine ganze Reihe von Rechtsbüchern in relativ kurzer Folge entstanden sind. Über die praktische Wirkung des Sachsenspiegels und der mit ihm verwandten Quellen, vor allem also dem Spiegel Land- und Lehnrechts, hat ausführlich Hermann Blaese gearbeitet.73
68
Lieberwirth, Sonderformen, S. 133. Text bei Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 55–70. 70 Ebenfalls gedruckt bei Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 71–94. 71 Lieberwirth, Sonderformen, S. 134; zur Sache vgl. Stech, Dienstrechte. 72 Gleiches gilt für die späteren Bearbeitungen wie das wohl noch im 14. Jahrhundert im Stif Ösel entstandene Wiek-Öselsche Lehnrecht und die beiden späteren livländische Ritterrechte, die sämtlich noch ohne Ausgabe sind – vgl. dazu die Ausführungen bei Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, und Blaese, Einflüsse, S. 43 f. 73 Blaese, Wirkungskraft – vgl. auch ders., Einflüsse, S. 42–44. 69
362
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
7. Die Rezeption in Süddeutschland: Oberdeutscher Sachsenspiegel und Deutschenspiegel Die Sachsenspiegelrezeption im oberdeutschen Sprachraum verläuft zum allergrößten Teil nicht direkt, sondern über sein berühmtestes Tochterrechtsbuch, den so genannten „Schwabenspiegel“. Diesem wichtigen deutschen Spiegelrecht des Mittelalters gehen jedoch zwei Vorstufen voraus, aus denen sich der Prozess der Umarbeitung des Sachsenspiegels ablesen lässt. Das ist zunächst eine wahrscheinlich wiederum in zwei Stufen entstandene Übertragung des Rechtsbuches in das Oberdeutsche auf der Grundlage einer Handschrift der Ordnung Ib. Es ist vermutet worden, dass über das Magdeburger Generalstudium der Franziskaner eine Handschrift nach Augsburg gelangte, die dort zur Vorlage der Bearbeitung werden konnte.74 Erst aus diesem oberdeutschen Sachsenspiegeltext ist dann der Deutschenspiegel entstanden. Eng damit verbunden ist das so genannte „Buch der Könige“, das unter überlieferungsgeschichtlichen Gesichtspunkten Alfred Hübner ausführlich untersucht hat.75 Verglichen mit den anderen Spiegelrechten ist die Geschichte des Deutschenspiegels eine ausgesprochen junge: Er ist erst im Herbst des Jahres 1856 durch den Ficker-Schüler Hammerle in der Innsbrucker Universitätsbibliothek aufgefunden worden. Als Ganzes ist das Rechtsbuch nur in dieser Handschrift überliefert.76 Dort bezeichnet sich der Text selbst als „Spiegel allr tæutzhe læute“ (fol. 13r). Daneben finden sich Auszüge in zwei Schwabenspiegelhandschriften77 sowie in einer größeren, zusammengehörigen Gruppe von insgesamt 16 Handschriften, die durch eine Reihe von Zusatzartikel gekennzeichnet ist.78 Der auf den Handschriftenfund folgenden ersten 74
Das Grundlegende bei Johanek, Spiegel aller deutschen Leute, und bei Schwerin, Deutschenspiegel. 75 Siehe unten, S. 363, Anm. 85. 76 Innsbruck, UB, Hs. 922 (Oppitz Nr. 731). 77 Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 1097 (Oppitz Nr. 177), fol. 73r–90v; München, BSB, Cgm 5823 (Oppitz Nr. 1102), fol. 149v–151v. 78 Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 1019 (Oppitz Nr. 168); Brüssel, BR, Ms 3809–3812 (Oppitz Nr. 323); Fulda, HLB, Hs. D 32 (Oppitz Nr. 530); Halle, UB, Stolberg-Wernigerode Zb 40 (Oppitz Nr. 661); Heidelberg, UB, Cod. Pal. Germ. 89 (Oppitz Nr. 693); Herisau, StdA, Ms. 1 (Oppitz Nr. 712); Königsberg, StdA, Mscr. Fol. A 32 (Oppitz Nr. 799); München, BSB, Cgm 553 (Oppitz Nr. 1073); ebd., Cgm 2148 (Oppitz Nr. 1084); ebd., Cgm 3967 (Oppitz Nr. 1087); ebd., Cgm 4929 (Oppitz Nr. 1088); New York, Jewish Theological Seminary of America, Mscr. 24/719 (Oppitz Nr. 1161); Stuttgart, WLB, Cod. jur. fol. N 114 (Oppitz Nr. 1400); ebd., Cod. jur. fol. N. 136 (Oppitz Nr. 1401). Hinzu treten für diese Handschriftengruppe noch eine aus dem Besitz von Helmut Tenner († 1985), deren Verbleib unbekannt ist, die aber verfilmt in der HAB Wolfenbüttel vorliegt (Oppitz Nr. 1411),
I. Unmittelbare Umarbeitungen des Sachsenspiegels
363
Vermutung gegenüber, es möge sich bei der Neuentdeckung um eine Kompilationsarbeit aus Sachsen- und Schwabenspiegel handeln, konnte Ficker, auf den auch der Name „Deutschenspiegel“ zurückgeht, bald die Auffassung entgegensetzen, es handle sich bei der aufgefundenen Handschrift vielmehr um eine Zwischenstufe zwischen den beiden Rechtsbüchern79. Homeyer trat mit lediglich marginaler Detailkritik in allen wesentlichen Punkten dessen Untersuchung bei.80 Die Einwände Alexander von Daniels, der dagegen den Kompilationscharakter der Handschrift nachzuweisen suchte,81 konnten von Ficker entkräftet werden,82 dessen Auffassung als communis opinio Eingang in Rechtsbücherforschung und Handbücher fand.83 Noch im selben Jahr erschien die von Ficker besorgte Erstedition,84 die erst rund hundert Jahre später durch die Ausgabe Eckhardts und Hübners ersetzt wurde.85 Der neu entdeckte Spiegel hat dann schnell das Interesse der Forschung auf sich ziehen können, das allerdings nach anfänglicher Euphorie auch beinahe genauso schnell wieder erlahmte. Die wichtigen Arbeiten über den Deutschenspiegel, wie diejenigen von Anton Pfalz,86 Eugen Freiherr von Müller87 und Hans von Voltelini,88 sind sämtlich im eigentlichen Umfeld der Schwabenspiegel-Philologie angesiedelt. Gleiches gilt für die von Voltelini angekündigte Abhandlung über „Die Anordnung des Sachsenspiegels und die Ableitung des Deutschen- vom Sachsenspiegel“,89 die allerdings nie erschienen ist. Mit den in verschiedenen Schwabenspiegelhandschriften erhaltenen Relikten des Deutschenspiegels, auf die bereits Ficker in seinen Artikelkonkordanzen zum Teil hingewiesen hatte,90 haben sich Haiser,91 sowie eine weitere aus dem Besitz von Guido Kisch (Oppitz Nr. 767), deren Verbleib unklar ist und die bis auf weiteres als verloren gelten muss. 79 Ficker, Stellung zum Sachsenspiegel. 80 Homeyer, Spiegel deutscher Leuter. 81 Daniels, Handschriftfund. 82 Ficker, Entstehungszeit; vgl. auch ders., Entstehungszeit. 83 Vgl. nur Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 327–333. 84 Ficker, Spiegel deutscher Leute. 85 Eckhardt/Hübner, Deutschenspiegel mit Augsburger Sachsenspiegel. Diese ältere Edition ersetzt die Neuausgabe von Eckhardt, Studia iuris Teutonici. In das Vorfeld der MGH-Edition von 1930 fallen die textkritischen Studien von Hübner, Vorstudien; Eckhardt, Heimat und Alter; ders., Vorarbeiten. 86 Pfalz, Überlieferung – diese Studie ist von in der vorhergehenden Anmerkung genannten Untersuchungen von Hübner und Eckhardt überholt worden. 87 Müller, Deutschenspiegel. 88 Voltelini, Bericht. 89 Voltelini, Bericht, S. 4 – die Suche nach einem etwaigen Manuskript dieser Studie im Nachlass des Gelehrten war bislang ohne Erfolg. 90 Ficker, Spiegel deutscher Leute, S. 191–203. 91 Haiser, Genealogie, S. 7 f.
364
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Laband92 und natürlich auch Rockinger eingehender befasst. Letzterer vertrat die These, dass die von Ficker edierte Innsbrucker Handschrift bereits erheblich von der Urfassung des Deutschenspiegels abweiche, die dem Redaktor des Schwabenspiegels entweder selbst oder in einer näheren Abschrift vorgelegen habe.93 Die von ihm zur Begründung angeführten Artikel der systematischen Schwabenspiegelhandschriften scheinen nicht dem Deutschen-, sondern vielmehr direkt dem Sachsenspiegel zu entstammen, auch wenn man eine dem Sachsenspiegel nähere Urform des Deutschenspiegels annehmen will.94 Zuletzt hat Karl August Eckhardt in seiner Göttinger Habilitationsschrift eine Reihe von weiteren Belegen für diesen Befund geliefert, ohne dass er an dessen Richtigkeit gezweifelt hätte. Seine Arbeit muss insgesamt als status quo der Forschungen bezüglich des Deutschenspiegels angesehen werden, ist doch nach dem Weltkrieg nicht mehr eigenständig über das Rechtsbuch gearbeitet worden. Der Deutschenspiegel selbst hat ausweislich der geringen Überlieferung wohl kaum einen eigenen Einfluss abseits seiner Verarbeitung im Kaiserlichen Land- und Lehnrecht (sog. „Schwabenspiegel“) entfalten können. Auch die Verbreitung in Ostmitteleuropa, die Kaindl anhand Krakauer Buchhändlerinventare behauptet hat, scheint nicht wahrscheinlich.95 Bei dem dort erwähnten „Speculum germanicum“ wird es sich um einen Sachsenspiegel oder vielleicht eine Sammelhandschrift mehrerer deutscher Rechtsbücher (wahrscheinlich auch der magdeburgischen), also des „ius teutonicum“ oder eben „germanicum“, handeln.
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht) Die letzte Stufe der oberdeutschen Sachsenspiegelrezeption stellt das Land- und Lehnrechtsbuch dar, das in die Literatur unter dem Namen „Schwabenspiegel“ eingegangen ist. Es steht seinem Mutterrechtsbuch in der handschriftlichen Verbreitung um nichts nach und hat seinerseits zahlreiche Rechtsaufzeichnungen im Süden des deutschen Sprachraumes beeinflusst. Im Lichte dieses Befundes klingt es absonderlich, wenn Münster den Schwabenspiegel als bibliographische Seltenheit erwähnt, denn auch im 16. Jahrhundert kann die Greifbarkeit des in mehr als 300 vollständigen (Landrechts-)Handschriften auf uns gekommenen Rechtsbuches nicht deutlich schlechter gewesen sein.96 Nur eine einzige dieser Handschrift ist voll92
Laband, Freiburger Schwabenspiegel-Handschrift, S. 143–146. Rockinger, Handschriften jüngerer Gestalt, S. 654. 94 Eckhardt, Deutschenspiegel, S. 4. 95 Kaindl, Geschichte, S. 276. 96 Münster, Cosmographie, S. 18: „Diß Buich wird selten gefunden / ist mir auch nie zusehen worden / biß auff den letsten Monat des jars Christi 1543. da hat es 93
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
365
ständig bebildert;97 sie entstammt der berühmten Lauberschen Werkstatt zu Hagenau.98 Ihr Bildprogramm ist vollständig im Bildteil der Schwabenspiegelausgabe von Rainer Derschka faksimiliert, der sich auch im Hinblick auf die weitere Bildüberlieferung verdient gemacht und beinahe sämtliche bekannten, rechtsrelevanten Illustrationen in Schwabenspiegelhandschriften zusammengetragen und kommentiert hat.99 Durch die inhaltlichen Bezüge der Vorlagen, des Deutschenspiegels und der oberdeutschen Sachsenspiegel-Übertragung also, auf die 1276 in der Stadtrechtsaufzeichnung mündenden Umbrüche in den Ausgburger Verfassungsverhältnissen lässt sich der vermutliche Entstehungszeitraum wahrscheinlich zwischen 1265 und 1276 eingrenzen.100 Diese mittlerweile weithin akzeptierte Datierung war lange Zeit umstritten; die Debatte reicht zurück bis in das 18. Jahrhundert und ist eng verbunden mit der Frage nach dem Verhältnis des Schwaben- zum Sachsenspiegel.101 Der oder die Redaktor(en) des Schwabenspiegels sind unbekannt.102 Die ältere Forschung hatte noch auf Grund einzelner Quellennachweise David von Augsburg103 oder Berthold von Regensburg104 als den Verfasser angemir zugestelt Herr Adelberg Meyer / der Löblichen Statt Basel Burgermeister / ein sunderlicher Liebhaber der Historien und Antiquiteten [. . .]“ Vgl. dazu Erler, Kosmographie, S. 88–90. Möglicherweise handelt es sich bei dieser nicht nur mit Blick auf die breite Handschriftenüberliefeurng, sondern gerade auch auf die 1543 bereits greifbaren vier Druckausgaben kaum nachvollziehbaren Feststellung um einen besonderen Ehrerweis (sog. „Beiträgerehrung“) für Meyer; vgl. dazu Burmeister, Neue Forschungen, S. 20 f. 97 Brüssel, Bibliothèque Royale, Ms 14689–91 (Oppitz Nr. 324) – ausführliche Beschreibung und Abdruck des vollständigen Bildprogramms bei Derschka, Schwabenspiegel, S. 309–386. 98 Kautzsch, Diebolt Lauber, S. 71. 99 Derschka, Schwabenspiegel, S. 387–430. Zu ergänzen bleibt zumindest Amsterdam, Universitätsbibliothek, I A 22 (Oppitz Nr. 15), fol. 204v: In einer H-Inititale wird der Kaiser mit Reichsapfel dargestellt. 100 Eckhardt, Heimat und Alter, S. 38 f. Über das Verhältnis von Schwabenspiegel und Augsburger Stadtrecht liegt eine aufschlussreiche, aber nur in Wien (Österreichische Nationalbibliothek) einsehbare Seminararbeit von Janovsky, Augsburger Recht vor. 101 Näheres dazu unten, S. 373 ff. Zu den Quellen des Schwabenspiegels insgesamt vgl. Klebel, Quellen. 102 Für die Beteiligung mehrerer Bearbeiter spricht Swsp. Ldr. L73a: „Die meister sprechent also die ditz lantreht bvch gemachet habent, dvrch der kvnege liebe, vnd den livten zenvtze [. . .]“. 103 Pfeiffer, Bruder David von Augsburg, S. 3–5. Dieser Ansicht hat sich noch Wackernagel, Geschichte, 372 f. mit einigen Einschränkungen angeschlossen. 104 Laband, Kunde, S. 7; vgl. dazu auch Rockinger, Deutschenspiegel Zu ergänzen bliebe noch, dass Haiminsfeld, Collectio, praef., berichtet, es sei ihm mitgeteilt worden, ein Berthold Frhr. von Grimmenstein sei Verfasser des Schwabenspiegels
366
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
nommen; durchgesetzt hat sich aber keine dieser Deutungen. Ansonsten treten als neue Quellen des Rechtsbuches neben David und Berthold eine Reihe von Verweise auf die justinianischen Institutionen, die „Summa de casibus penitentie“ des Raymundus de Peñafort105 und der Brachylogus.106 Unrichtig ist die Vermutung Theuerkaufs, der nicht nur die in der Tat offenbar unterbliebene Rezeption der Lex Saxonum im Sachsenspiegel verneint,107 sondern darüber hinaus feststellt, dass auch der Schwabenspiegel „wahrscheinlich nicht an Rechtsaufzeichnungen der karolingischen (oder merowingischen) Zeit angeknüpft“ habe.108 Im Gegenteil hat der süddeutsche Spiegel aus der Lex Baiuvariorum und der Lex Alamannorum rund dreißig Bestimmungen übernommen, was im Großen und Ganzen auch bereits vorher bekannt war,109 und jüngst noch einmal von Schumann zusammengestellt worden ist.110 Auf der kompositorischen Seite übernimmt der Schwabenspiegel oft über lange Passagen hinweg die Artikel des Sachsenspiegels, formt diese aber in umfangreicher Weise um und ergänzt Eigenes. Die Einteilung in Bücher wird wieder zugunsten einer durchgehenden Kapiteleinteilung aufgegeben; dafür treten hier erstmals Kapitelüberschriften hinzu, die der Sachsenspiegelüberlieferung in der Regel fremd sind. 1. Grundzüge von Einfluss und Verbreitung Die überkommene Bezeichnung des Rechtsbuches als „Schwabenspiegel“ ist schon seit längerem immer wieder als nicht nur unbegründet, sondern vor allem irreführend heftig kritisert worden.111 Tatsächlich fehlt dem in gewesen. Dies bezieht sich vermutlich auf einen Besitzer oder Auftraggeber einer Handschrift. 105 Rockinger, Berthold von Regensburg. 106 Rockinger, Brachylogus. 107 Vgl. dazu oben, S. 92 ff. 108 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 99. 109 Vgl. Conrad, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 535; Bühler, Rechtsquellenlehre, Bd. 1, S. 100; später dann noch Kroeschell, Recht und Rechtsbegriff, S. 279. Den umfassendsten Beitrag zum Verhältnis von Schwabenspiegel und Lex Baiuvariorum hat Zeller,´Verhältnis, in seiner unter der Ägide von Claudius Frhr. von Schwerin entstandenen Münchner Dissertation geleistet. Zeller vergleicht unter systematischen Gesichtspunkten diese und andere süddeutsche Rechtstexte auf Gemeinsamkeiten. Im Einzelnen müssen die Vergleiche an den jeweiligen Texten überprüft werden, da Zeller auch eher vage Ähnlichkeiten verzeichnet, die nicht notwendig auf eine Beeinflussung des einen durch den anderen Text schließen lassen. Als Grundlage aber ist seine leider kaum rezipierte Arbeit von allergrößtem Wert. 110 Schumann, Rezeption, S. 338 f. Zur Lex Baiuvariorum jetzt auch dies., Lex Baiuvariorum. 111 Schon Siegel, Kaiser Karls-Sage, S. 20 trat vehement gegen die Bezeichnung „Schwabenspiegel“ ein, Rockinger bezeichnet das Rechtsbuch (mit Ausnahme seiner
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
367
der Handschrift ausgesprochen vielfältig bezeichneten Land- und Lehnrechtsbuch zunächst jeglicher gewollter oder sich durch die Rezeption entwickelter Bezug auf Schwaben. Als advocatus diaboli gilt dabei Melchior „Goldast“ von Haiminsfeld († 1635),112 der mit einer Randnote in seiner Edition der „Reichs-Satzungen“ aus dem Jahre 1609 jene Bezeichnung für die wissenschaftliche Nachwelt zementiert habe.113 Freilich war diese Benennung keine willkürliche Schöpfung Haiminsfelds. In der Tat gibt es eine kleine Gruppe von bairischen Handschriften der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, die bereits die Bezeichnung „Schwabenspiegel oder Landund Lehenrechtbuch“ tragen.114 Und so konnte auch Sebastian Münster in seiner „Cosmographia“ (1544)115 von „gar viel und seltzame Landtrecht“ berichten, die „endlichen zusammen in ein Buch gesetzt / unnd ordentlichen mit ihren Titeln beschrieben“, dabei „besunder der Schwäbischen Nation vorgeschrieben“ worden.116 Der Schwabenspiegel hat eine bemerkenswerte handschriftliche Verbreitung und Verarbeitung in späteren Rechtsaufzeichnungen gefunden, die sich durchaus mit derjenigen seines sächsischen Vorgängers messen kann.117 Bekannt ist dieser Einfluss dagegeben aber nur in Schlaglichtern: Einer der bekannteren Rezeptionsträger ist das Freisinger Rechtsbuch,118 das selbst frühesten Schriften) durchgängig als „ ‚sogenannten‘ Schwabenspiegel“ und Hasenöhrl, Rechtsbildung, S. 281 konnte 1904 feststellen, es habe sich „in neuerer Zeit eine Opposition gegen diese Bezeichnung gebildet“. 112 Über ihn ist in den letzten Jahren wieder verstärkt gearbeitet worden; vgl. nur die profunde Gießener Dissertation von Caspary, Späthumanismus, S. 13–19 mit Hinweis auf alle jüngeren und die einschlägigen älteren Arbeiten; zu Recht weist sie dabei auch auf das Fehlen einer wissenschaftlichen Biographie nach heutigen Ansprüchen hin (S. 15). Ein kommentiertes Werkverzeichnis findet sich schließlich bei Dünnhaupt, Personalbibliographien, Bd. 3, S. 1653–1679. 113 Haiminsfeld, Reichs-Satzungen, S. 31. 114 München, BSB, Cgm 223, 228 und 261 (Oppitz Nr. 1049–1051) – zu dieser Handschriftengruppe vgl. Rockinger, Berichte, Tl. XII; ders., Wurmbrandtscher Codex, und Kümper, Regimen, S. 46 f. 115 Münster, Cosmographia, S. 132 (lib. 5, cap. 26) – zur Sache vgl. Erler, Kosmographie, der im Anhang S. 96–100 auch noch einmal einen vollständigen Textabdruck mit einigen Wortanmerkungen nach der Baseler Ausgabe 1588 beigibt. Ansonsten enthalten, soweit ich sehe, auch alle anderen Ausgaben (mit Ausnahme der Baseler von 1564!) das bewusste Kapitel „Von Landtrechten“. 116 Die Annahme, das „Kaiserrecht“ des Schwabenspiegels setze sich aus einer Reihe kaiserlicher Konstitutionen zusammen, lehnt sich durchaus auch an den Spiegel selbst an, der von der „Epistola divi Hadriani“ (Inst. 3, 21, 4) als von einem „maister“ berichtet, „der heizet Adrianus, der hat der landrehte vil gemachet“ (Swsp. L6) – vgl. dazu auch Erler, Kosmographie, S. 87. 117 Hasenöhrl, Beiträge, S. 278–285; Belling, Strafrecht, S. 7–12. 118 Claußen, Freisinger Rechtsbuch – diese Ausgabe ersetzt den älteren Text von Maurer, Stadt- und Landrechtsbuch.
368
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
wiederum, blickt man auf die breite handschriftliche Überlieferung, eine gewisse Ausstrahlung im südostdeutschen Raum gehabt haben dürfte,119 aber mit der Abfassung des Oberbayerischen Landrechts (wohl um 1335/36) und des Münchner Stadtrechtsbuches (1342) in mancher Hinsicht obsolet wurde.120 Kaum ansatzweise bekannt ist die breite Verarbeitung in anderen Stadtrechtsbüchern und Statuten des süddeutschen Sprachraumes, so beispielsweise im Frankenberger121 und dem von diesem abhängigen Alsfelder Stadtrechtsbuch,122 den Statuten von Kassel (1384),123 Sigmaringen (1460) und Nördlingen (1488)124 Stintzing schließlich hat auch in Ulrich Tenglers Layenspiegel (1509),125 vor allem in den Passagen zum ehelichen Güterrecht, Anleihen aus dem Schwabenspiegel erblickt.126 Zumindest wird der Nördlinger Stadtschreiber Tengler sowohl den Schwabenspiegel als auch vermittels des eigenen, städtischen Rechtes Rezeptionsformen desselben gekannt haben. 2. Die französischen, tschechischen und lateinischen Übersetzungen Bereits früh hat der Schwabenspiegel im Westen und Osten die Sprachgrenze überschritten. Nach dem einzig erhaltenen Textzeugen der französischen Übersetzung (rubriziert als „li livres dou droit de la cort lo rois dalamngnie“), einer Berner Handschrift des 14. Jahrhunderts,127 hatte bereits 119
Vgl. Claußen, Handschriftliche Entwicklung. Zum Verhältnis zum Schwabenspiegel insgesamt vgl. Knapp, Rechtsbuch, bes. S. 11–13 und S. 143. 120 Zu beiden vgl. Kümper, Regimen, S. 33–39 mit Nachweis der entsprechenden Ausgaben und Forschungsliteratur. 121 Shmincke, Monimenta Hassiaca, S. 669–756. 122 Gerhardt, Alsfelder Stadtrechtsbuch, S. 34–37. Ich fasse die Ergebnisse kurz zusammen: Demnach ist in Vergleichung des Stadtrechtsbuches mit dem Landrecht des Schwabenspiegel (Ed. Laßberg) c. 12 = Vorrede d; c. 27 = 13; c. 34 = 34; c. 35 = 36; c. 41 = 55; c. 53+54 = 93; c. 56 = 95; c. 58 = 98b 100; c. 62 = 111; c. 65 = 114a+116; c. 67 = 143; c. 69 = 145; c. 75 = 159; c. 85 = 174; c. 99 = 195; c. 103 = 202; c. 109 = 213; c. 110 = 221; c. 128 = 265; c. 136 = 279+280; c. 137 = 284; c. 144 = 302; c. 149 = 308 und c. 186 = 371–373. 123 Kopp, Ausführliche Nachricht, S. 44. 124 Senckenberg, Visiones, §§ 11, 12 (unpag. Vorrede). 125 Tengler, Layenspiegel – vgl. dazu Erler, Tengler. Tengler war Stadtschreiber zu Nördlingen, insofern mag der rechtliche Einfluss des Schwabenspiegels oder zumindest die Kenntnis desselben auch auf diese Weise vermittelt worden sein. Einflüsse des Schwabenspiegels finden sich vor allem im Nördlinger Eherecht – vgl. dazu auch die bislang ungedruckte Eheordnung von 1578, Wolfenbüttel, HAB, 33.18. Aug. 4o, fol. 90r–99v. 126 Stintzing, Populäre Literatur, S. 440. 127 Bern, Burgerbibliothek, Cod. A 37 (Oppitz Nr. 217) – vgl. dazu ausführlich Löw, Manuscript.
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
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1843 George Auguste Matile einen offenbar weitgehend getreuen Textabdruck vorgelegt.128 Nachdem allerdings die letzten Exemplare dieser heute kaum mehr im Erstdruck nachweisbaren Arbeit im Kampf um Neufchâtel „mit der Druckerei von Petitpierre neuerlichst ein Raub der Flammen“ geworden waren,129 gaben Alexander von Daniels und Friedrich von Gruben den französischen Text nach Matiles Edition ihrer eigenen Schwabenspiegelausgabe in der linken Spalte bei. Freilich ist der Text dort nicht getreu seiner Vorlage wiedergegeben, sondern zur Erleichterung für den zeitgenössischen Leser in ein normalisiertes Französisch übertragen worden. Er muss mithin also als eigenständige Textausgabe angesehen werden, die viele Hindernisse sprachlicher Natur aus dem Weg räumt, allerdings für wissenschaftliche Zwecke nur sehr bedingt herangezogen werden kann. Der fotomechanische Nachdruck der Matileschen Ausgabe in Eckhardts „Bibliotheca Rerum Historicarum“ (1973) hat diesem Mangel abgeholfen. Für die wohl ebenfalls noch dem 14. Jahrhundert entstammenden tschechischen Übersetzungen des Schwabenspiegels hingegen fehlt bislang eine moderene Druckausgabe. Neben zahlreichen Handschriften130 sind lediglich zwei Druckausgaben des Jahres 1538 bekannt.131 Die Handschriften teilen das Land- und Lehnrecht in drei Teile: Die erste Gruppe „Práva ciesarˇská gichž wžiwaše rytierˇstwo i meˇsta po wšem krˇestianstwi“ (= „Kaiserrechte, die von der Ritterschaft sowie von den Städten benutzt wurden“ [sic!])132 umfasst die Landrechtsartikel 1–159 (L), endet also an der gleichen Stelle wie das Landrecht des Sachsenspiegels in seiner ältesten Form (Ssp. Ldr. III 82 § 1). Es folgen die Art. 160–377 (L) als „Práva velikého meˇsta Pražského“ (= „Recht der großen Stadt Prag“), denen gelegentlich auch Art. 377 II (L) beigestellt ist, und schließlich das so genannte „Práva manská“ (= „Lehnsmannrechte“), das die Lehnrechtsartikel 1–24 (L) umfasst.133 Die breite Überlieferung des tschechischen Schwabenspiegels und seine zumindest in den rudimentärsten Zügen schlaglichtartig bekannte Bedeutung für die tschechische Rechtsgeschichte steht in bedauernswertem Widerspruch zu der praktisch vollständigen Ausblendung dieses Phänomens 128
Matile, Miroir de Souabe. Daniels/Gruben, Land- und Lehenrechtbuch. 130 Zusammenstellung bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 42 f. 131 Práwa manská, letha Pana našeho [. . .], Leitomischl 1538; Práwa Zemská, na kteráž se Práwa manská wztahugij, Olmütz 1538. 132 Eben nicht (!) schlicht „Kaiserrecht“, wie die neueren lexikalischen Einträge, z. B. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 41 oder Johanek, Schwabenspiegel, Sp. 906 angeben. Für Hilfestellungen bei der Arbeit am tschechischen Text – und auch sonst in allen Lebenslagen – danke ich Herrn Dipl.-Bibl. Richard Šipek (Prag). 133 Lediglich die Handschrift Prag, KNM, OV E 28 (Oppitz Nr. 1250), fol. 84v–88r stellt außerdem Swsp. Lnr. 24 § 2–33 (L) zwischen zwei Abschriften des „Práva manská zemeˇ cˇeské“ (fol. 76r–84v und fol. 88r–102v). 129
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aus der jüngeren Forschung. Hier fehlt es nicht nur an einer Edition, sondern auch an den grundlegendsten Untersuchungen zu Textkritik und Wirkungsgeschichte. Die Erforschung einzelner, vom Schwabenspiegel beeinflusster böhmischer Rechtsaufzeichnungen ist dagegen in den letzten Jahren wieder etwas reger betrieben worden. So ist mit der Arbeit von Miroslav Flodr auch 1990 endlich die bereits von Schubart-Fikentscher und danach immer wieder vom Brünner Stadtarchiv geplante und wieder verworfene Neuausgabe des wichtigen Brünner Rechtsbuches erschienen.134 Dieses Rechtsdenkmal, das sowohl als Quelle für das alte Brünner Rechts als auch für die Rezeption des römischen Rechts in Böhmen ein Zeugnis ersten Ranges darstellt, weist zahlreiche Ergänzungen aus Land- und Lehnrecht des Schwabenspiegels auf. Eine lateinische Übersetzung des Schwabenspiegels nach einer heute verschollenen Handschrift der Langform M wurde 1356 durch den Benediktiner Oswald von Anhausen135 im Auftrag der Gräfin Agnes von Helfenstein erstellt. Eine Ausgabe dieser Übersetzung sollte bereits in den Nachkriegsjahren durch Klebel besorgt werden,136 kam aber nie zustande. Auch die jüngst erneut aufgenommenen Bemühungen seitens der MGH sind wieder ins Stocken geraten,137 so dass eine zukünftige Edition unsicher bleibt.138 3. Einige Worte zur Editionsgeschichte Der Schwabenspiegel ist noch in der Frühzeit der Buchdruckkunst in erste Druckausgaben gegossen worden.139 Ihnen folgten die namensgebende Goldastsche Edition sowie einzelne Abdrucke, teils des Land-, teils des Lehnrechts bei Schilter, Senckenberg und anderen.140 Bereits kurz nach der Mitte des 18. Jahrhunderts trug sich auch die Churbaierische Akademie der 134
Flodr, Právni kniha meˇsta Brna; vgl. dazu die Rezension von František Hoffmann in der Historica. Historical Sciences in the Czech Republic, N.S. 1 (1994), S. 94–98. Zur Sache vgl. Schubart-Fikentscher, Brünner Schöffenbuch, und dies., Römisches Recht. 135 Setz, Oswald von Anhausen (vgl. auch den Nachtrag in VerfLex2, Bd. 11 [2004], Sp. 1112) unterrichtet ferner, dass er auch identisch sein dürfte mit dem Verfasser der lateinischen Redaktionm des Traktates „Schwester Katrei“. 136 München, Archiv der MGH, Kasten 77, Nr. 1: Brief vom 8. Dezember 1949 an Friedrich Baetghen über die Zusage Klebels, die Ausgabe zu bearbeiten. 137 Freundliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. Rudolf Schieffer (MGH, München) vom 20. März 2007. 138 Bis dahin vgl. Schmeller, Lateinische Bearbeitung. Einiges zur lateinischen Fassung auch bei Uhlig, Verba dicendi. 139 Eine Übersicht bei Laßberg, Schwabenspiegel. 140 Gänzlich unbeachtet geblieben ist scheinbar der Abdruck der heute verlorenen Meiningischen Handschrift bei Walch, Schwäbisches Lehenrecht.
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Wissenschaften mit dem Plan einer Ausgabe,141 die aber nie in die Tat umgesetzt wurde. Seit dem erneuten Beginn der textkritischen Bemühungen um eine Schwabenspiegel-Ausgabe in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich die Editionsphilologie dann ausgesprochen schwer mit der Vielfältigkeit der Textgestaltung getan, in der uns der Schwabenspiegel entgegen tritt.142 Eine kritische, auf dieser Breite der handschriftlichen Erscheinungsformen basierende Edition liegt bis heute nicht vor; ja, es ist sogar die Möglichkeit einer solchen grundsätzlich verneint143 oder doch in Zweifel gezogen worden.144 Es bleibt bemerkenswert, dass ausgerechnet die von Laßberg besorgte Ausgabe aus dem Jahre 1840 noch immer die einschlägige und von den meisten Arbeiten zitiert bleibt. Zwar bietet diese Ausgabe den Text nach der ältesten datierten Handschrift aus dem Jahre 1287. Die umfangreichen Fehlstellen aber sind ohne genügende Kennzeichnungen aus einer zweiten, Zürcher Handschrift in den Text montiert worden. Herausgekommen ist also ein in dieser Form unhistorischer Text, der zudem viele Widerstände sowohl in der mit spärlichsten Varianten ausgestatteten Druckform, als auch in seiner Sprachgestalt mit sich bringt. Die Problematik dieser Vermengung zweier Handschrifen, die Derschka zu Recht moniert,145 wird durch die Konkordanz („Synopsis“) im Anhang (S. 225–256d) von Laßberg, die Ergänzungen aus der Züricher Handschrift in Klammern setzt, nur bedingt gelindert. Im gleichen Jahr 1840 war auch Wackernagels Landrechts-Ausabe, ganz unabhängig vom Laßbergschen Projekt, erschienen, die einen verglichen damit reichen Apparat von Lesarten und auch eine Reihe von Hinweisen auf Quellen des Schwabenpiegelers enthielt.146 Eckhardt hat dazu ein wertvolles Quellenbuch beigesteuert.147 Die übersichtlichste Handausgabe des schwäbischen Landrechts, die reiche Quellennachweise bietet, bleibt aber noch immer die für den Vorlesungsgebrauch besorgte Ausgabe von Gengler.148 Waren die Editionen von Laßberg und Wackernagel noch bemüht, den ältesten und damit vermeintlich besten Text wiederzugeben, so hat sich 141 Davon berichtet Pfeffel von Kriegelstein, Akademische Rede – der Universitätsbibliothek München habe ich die großzügig zur Verfügung gestellte Kopie dieser seltenen Rede zu danken. 142 Im Einzelnen hat das Steer, Textkritik, sehr prägnant zusammengefasst. 143 Johanek, Rechtsschrifttum, S. 417 f. 144 Laßberg, Schwabenspiegel – dieses Ausgabe ist in zwei Auflagen (Aalen 1961 und 1972) in Eckhardt „Bibliotheca Rerum Historicarum, Neudrucke“ als Bd. 2 nachgedruckt worden. 145 Derschka, Schwabenspiegel, S. 14. 146 Wackernagel, Schwabenspiegel. 147 Eckhardt, Schwabenspiegel in der ältesten Gestalt, S. 409–444. 148 Gengler, Landrechtsbuch.
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durch die breiten Forschungen Ludwig von Rockingers die Einsicht durchgesetzt, dass die überaus varianten- und formenreiche Überlieferung des Schwabenspiegels kaum in ein einheitliches Stemma, geschweige denn eine einzige, die gesamte Textgeschichte abbildende Edition zu gießen sei.149 So ist man darauf verfallen, Editionen der einzelnen Überlieferungsklassen zu erarbeiten, die seit Ernst Klebel im Groben nach (I.) Kurz-, (II.) Lang-, (III.) Normal- und (IV.) systematisierten Fassungen unterschieden werden.150 Als Zeuge der Normalfassung tritt uns die Laßbergsche Leithandschrift aus dem Jahre 1287 entgegen. Die Kurz- und Langformen scheinen ältere Bearbeitungsstufen darzustellen; erste entstanden wohl bereits zwischen 1276 und 1282, letztere vollendet um 1280. Die jüngste Textklasse stellen die systematisierten Handschriften dar, die nach unterschiedlichen Bearbeitungsgesichtspunkten sowohl auf die Lang- als auch auf die Normalfassungen zurückgreifen.151 Die in allen ihren Ausgliederungen trotz umfangreichster Forschungen auf diesem Gebiet durchaus noch nicht vollständig erfasste Feingliederung der handschriftlichen Überlieferung zeigt darüber hinaus eine Vielzahl von Ordnungen unterhalb der vier großen Textklassen.152 Eine Besonderheit in der Editionsgeschichte des Schwabenspiegels stellt die nach dem zweiten Weltkrieg von Hans Planitz und seiner Assistentin Anna Hedwig Benna für die Großfolio-Reihe der MGH Leges besorgte Ausgabe der Kurzformen, die zwar vollständig fertiggestellt wurde, nach „sehr unangenehmen Verhandlungen und Streitigkeiten“153 aber nie in den Buchhandel gelangt ist.154 Die Druckfahnen allerdings waren bereits gesetzt, so dass drei Exemplare dieser wertvollen Editionsarbeit noch heute in öffentlichen Bibliotheken (Rostock, Trier und Leipzig) greifbar sind. Drei Ausgaben einzelner Ordnungen der Kurzformen-Klasse haben später Eckhardt und Grosse für die MGH besorgt.155 Editionen der anderen Hand149
Anstelle von Einzelnennungen verweise ich auf das Literaturverzeichnis. Klebel, Studien. Irreführend in dieser Hinsicht sind freilich die Verweise bei Meier/Piirainen, Kaschauer Schwabenspiegel, S. 18, die eine Reihe von Editionsplänen aufführen, die auch verwirklich worden sind, aber keine textkritische Edition, sondern bewusst Teilausgaben (beispielsweise Eckhardts „Urschwabenspiegel“) im Sinn hatten. 151 Dagegen allerdings Klebel, Quellen, S. 275. 152 Übersicht bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 36–41. 153 Klebel, Quellen, S. 273. Zu diesen Auseinandersetzungen um dem „streitbaren Mann“ Planitz, mit dem eine Zusammenarbeit „aus sachlichen und persönlichen Gründen unmöglich geworden“ sei, findet sich in München, Archiv der MGH, Kasten 77 reiches Material. 154 Planitz/Benna, Schwabenspiegel. 155 Vgl. das Literaturverzeichnis unter Eckhardt, Schwabenspiegel, sowie Große, Schwabenspiegel. 150
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schriftenklassen hat Eckhardt selbständig veröffentlicht,156 außerdem die angesichts der Editionslage noch immer wichtigen älteren Ausgaben zum größten Teil in der Reihe „Bibliotheca Rerum Historicarum“ nachdrucken lassen.157 Lediglich für die systematierten Handschriften (Klasse IV) fehlt es bislang an einer Edition. Jüngst hat dann Ilpo Tapani Piirainen, der sich bereits verschiedentlich um die Herausgabe deutscher Rechtshandschriften verdient gemacht hat, zusammen mit Jörg Meier eine slowakische Schwabenspiegelhandschrift des 15. Jahrhunderts in einem diplomatischen Textabdruck vorgelegt,158 der sich wie die anderen Ausgaben Piirainens durch philologische Akribie, leider aber nicht durch hohe Benutzerfreundlichkeit auszeichnet, da der vorgelegte Text in keinerlei Beziehung zu anderen gesetzt wird. Nicht einmal eine Konkordanz zu einer der einschlägigen Editionen ist dem Abdruck beigefügt, so dass der Text nur sehr mühsam für vergleichende Studien herangezogen werden kann. 4. Zur Forschungsgeschichte Trotz seiner großen räumlichen Verbreitung und seiner zahlreichen Einflussnahme auf Stadtrechte hat der Schwabenspiegel in weit geringerem Maße das Interesse der Forschung auf sich ziehen können. Solange man noch von einer gesetzesmäßigen Geltung des Schwabenspiegels in den südlichen Ländern des deutschen Sprachraumes ausging, teilsweise gar noch den Schwabenspiegel für das ältere der beiden großen Rechtsbücher hielt, konnte ein reiches rechtspraktisches Schrifttum entstehen. Im 18. Jahrhundert erschien eine Reihe von Arbeiten, die sich dezidiert mit einzelnen Materien des Spiegels auseinandersetzten oder praktische Rechtsfragen mittels der dort enthaltenen Bestimmungen entscheiden wollten. Vor allem das schwäbische Lehnrecht konnte im Anschluss an Schilter einige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.159 So ist es auch nicht verwunderlich, dass der süddeutsche Spiegel beinahe gleichberechtigte Aufmerksamkeit in den Handbüchern und Untersuchungen der gemeindeutschen Privatrechtswissen156 Alle als Bände der Unterreihe „Studia iuris Suevici“ zu seiner „Bibliotheca Rerum Historicarum“; im Einzelnen: Urschwabenspiegel, Aalen 1975 (= Studia iuris Suevici, Bd. 1); Langform M. Fassungen Mw, Mh, Mp, Wr, Aalen 1971 (= Bd. 2); Langform E, Aalen 1976 (= Bd. 3); Langform H, Aalen 1979 (= Bd. 4); Normalform, Aalen 1972 (= Bd. 5). 157 Eine übersichtliche, kommentierte Zusammenstellung bei Eckhardt, Werkverzeichnis, S. 54–73. 158 Meier/Piirainen, Kaschauer Schwabenspiegel – dazu bereits vorher dies., Schwabenspiegel aus Košice/Kaschau. 159 Vgl. nur Harpprecht, Non usus modernus, mit weiterer Literatur.
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schaft des 19. Jahrhunderts gefunden hat. Umfängliche Einzelstudien zu den Institutionen des Schwabenspiegels oder der eigenständigen Bearbeitung größerer Kreise von Rechtsmaterien dagegen sind – ganz im Gegensatz zum sächsischen Mutterrechtsbuch – nur wenige angestellt worden. Das liegt sicher auch in der Sache begründet, ist es doch kaum möglich, das Recht des Schwabenspiegels unabhängig von seinen Quellen zu betrachten. So ist man bald wieder bei einer komparativen Untersuchung mindestens zweier Rechtsbücher. Eine gewisse Ausnahme stellt hier Dieter Bellings Tübinger Dissertation über das Strafrecht des Schwabenspiegels dar. Der Verfasser enthält sich – mit Ausnahme einige Referenzen auf Frieses Arbeit über das Strafrecht des Sachsenspiegels – beinahe vollständig des Vergleiches mit dem Mutterrechtsbuch und strebt eine rein immanente, dogmatische Darstellung des unterstellten, materiellen Strafrechts des Schwabenspiegels an. Dagegen werden „teils zur Interpretation des Vorhandenen teils zur Ergänzung des Fehlenden“ zu einem gewissen Maße die Rezeptionsrechte des Schwabenspiegels, namentlich das Stadtrechtsbuch Ruprechts von Freising und das Augsburger Stadtrecht, herangezogen.160 Bereits an dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass eine Reihe von strafrechtlichen Lehren des Schwabenspiegels im Freisinger Rechtsbuch weitere Konturierung erfahren, was Knapp sehr ausführlich nachgewiesen hat.161 Ingesamt hat aber das Interesse der Forschung spätestens mit dem vollständig vollzogenen Paradigmenwechsel der Rechtsgeschichte von der applikativen zur primär historischen Wissenschaft merklich nachgelassen. Selbst die Vertreter der juristischen Germanistik maßen ihm auf ihrem Weg zu einem gemeindeutschen Recht des Mittelalters vergleichsweise wenig Bedeutung bei und zogen ihn in der Hauptsache vergleichend heran. Im Mittelpunkt blieb stets der Sachsenspiegel. Das mag auch an der Einschätzung des südlichen Tochterrechtsbuches als ein wenig selbständiges, rechtsschöpferisch kaum tätig werdendes Werk zu tun haben. Vielmehr sah man den Schwabenspiegel als eine oftmals qualitativ ausgesprochen mangelhafte, zudem papistisch überformte Zusammenschrift unterschiedlicher, oft nicht zueinander passender Quellen. Planitz beispielsweise nannte ihn „eine wenig zuverlässige, unkritische Kompilation eines im praktischen Rechtsleben kaum bewanderten Mannes“.162 Besonders gering schätzte die Wissenschaft vom gemeindeutschen Recht und später dann auch die völkische Perversion dieser Forschungsrichtung das süddeutsche Rechtsbuch. Wurde 160
Belling, Strafrecht, S. 1. Eine ähnliche Untersuchung legte bereits Caspar, Darstellung, vor. Meyer, Stadtbuch von Augsburg, S. 163 weist allerdings darauf hin, dass die Abweichung von Art. 83 gegenüber dem Deutschen- und dem Schwabenspiegel einen direkten Rückgriff auf Ssp. Ldr. II 28 § 2 erkennen lässt. 161 Knapp, Rechtsbuch von Freising. 162 Planitz/Eckhardt, Rechtsgeschichte, S. 140.
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Eike als selbständiger Verzeichner genuin deutschen Rechtsgefühls, so wetterte Bogislav von Selchwos, hier habe „die Wollust Freude an Verstümmelung und an Quälerei“.163 Im Grunde war man sich einig: der Spiegel sei „weitschweifig, unkritisch, unklar“.164 Das 20. Jahrhundert hat dieses Verdikt zwar nicht wieder aufgegriffen, sonderlich aktiver in der Erforschung des Rechtsbuches ist man aber auch nicht geworden. Immerhin wird der Spiegel wieder als eigenständige Rezeptionsstufe mit weitreichender Wirkung wahrgenommen, beispielsweise in der Habilitationsschrift von Scheyhing165 oder Colbergs Untersuchung über den Königseid.166 An eigenständigen Arbeiten aber sind zwischen den 1950er und 1990er Jahren lediglich editionsphilologische Miszellen, in der Regel Hinweise auf neue Handschriften, vorgelegt worden. Eine Ausnahme bilden die bereits erwähnte, sprachgeschichtliche Dissertation von Uhlig167 und die aus Vorarbeiten zu seiner MGH-Edition entstandene Untersuchung von Grosse.168 Erst in den letzten zwanzig Jahren sind wieder vereinzelt Forschungsbeiträge zu inhaltlichen Auswertung des Schwabenspiegels erschienen.169 Dennoch bleibt das Interesse am süddeutschen Rechtsbuch weit hinter dem gegenüber dem sächsischen Vorbild zurück. Einen Vorstoß zur Reaktivierung der rechtshistorischen Forschung hat vor wenigen Jahren Rainer Derschka gewagt. Er unternimmt es in Anlehnung an die Forschungen des Anthropologen Hallpike, den Schwabenspiegel daraufhin zu untersuchen, „ob er Hinweise enthält auf den Stand der individuellen kognitiven Entwicklung seines Verfassers oder auf den Stand der kollektiven kognitiven Entwicklung der Gesellschaft, in der er seinen Ort hatte“.170 Das mag zunächst absonderlich anmuten, muss aber als erster wirklicher Versuch einer makroanalytischen Untersuchung des Rechtsbuches gewürdigt werden, der durchaus inspirierende Einblicke in die Komposition und Ideenwelt des Werkes bietet. Bislang ist dieser Ansatz aber, soweit ich es sehe, ohne Echo geblieben. Einen allerneuesten Beitrag zur Quellenkunde des Schwabenspiegels hat aus ganz anderer Richtung aber jüngst Ines Heiser in ihrer eingehenden Studie über die Autorität Freidank vorgelegt.171 Ausgehend von den in zwei Handschriften überlieferten Einschüben aus der Freidankschen „Bescheidenheit“172 hat sie die Exempel- und Autoritätenverweise des Rechts163 164 165 166 167 168 169 170 171
Selchow, Not unseres Rechts, S. 151. Schröder, Lehrbuch, S. 730. Scheyhing, Eide, S. 111 f. Colberg, Eid des Königs. Uhlig, Verba dicendi. Grosse, Mitteldeutsch-niederdeutschen Handschriften. Lohrmann, Rechtsstellung, S. 73–94; Mayer-Maly, Komponenten. Derschka, Kognitive Entwicklung, S. 104 f. Heiser, Freidank, S. 161–184.
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buches näher untersucht und ist zu dem Schluss gekommen, dass „Freidanks Sprüche [. . .] sich in diesem Kontext als ethische Normen“ charakterisierten, „die in Form eines allgemein akzeptierten Verhaltenskodexes ergänzend und begründend zu den offiziellen Rechtssätzen treten“.173 Das mag für die Erforschung der Autorität Freidank hinreichen, ist aber aus der gegenüberliegenden Perspektive des Schwabenspiegel-Forschers zu vage, um eine zufriedenstellende Begründung für die breite Arbeit des Rechtsbuches mit Autoritätenverweisen und -erzählungen. Hier müsste noch eine genauere Analyse einsetzen, die sich von der strengen Dichotomie zwischen allgemeiner Norm und „offiziellen Rechtssätzen“, die Heiser aufmacht, loslöst. Besonders wertvoll für die Arbeit am Schwabenspiegel aber ist die von ihr erarbeitete Zusammenstellung der Kommentar- und Autoritäteneinschübe des Rechtsbuches.174 Hinzuweisen bliebe schließlich im Zusammenhang mit Extravaganten des Schwabenspiegels, wie sie die Freidank-Zitate darstellen, noch auf zwei Codices, die einen umfänglicheren Einschub über die Inthronisation des Herzogs von Kärnten aufgenommen haben,175 sowie eine größere Gruppe von fünfzehn Handschriften,176 die eine „Herrenlehre“ inkorporiert haben. Diese schließt sich an die pseudo-bernhardinische „Lehre von dem Haushaben“ an.177 172
Nach der Ausgabe Bezzenberger, Freidanks Bescheidenheit, Nr. 27, V. 1–6, 16 f. sowie V. 19 bis Nr. 28, V. 6 und Nr. 28, V. 13 f. mit einer Vorrede in Prosa; gedruckt bei Laßberg, Schwabenspiegel, S. 237 f. (Ldr. 160b) Ferner tritt ein nicht als solches kenntlich gemachtes Freidank-Zitat (Nr. 54, V4 f.) dem Ldr.-Artikel 86a hinzu; vgl. ebd., S. 135. 173 Heiser, Freidank, S. 176 f. 174 Heiser, Freidank, S. 180–184 – unbegründet ist aber der Vorwurf gegenüber Derschka, Kaefurna (= Calefurnia) nicht erkannt und fälschlich den „fiktiven Beispielnamen“ zugeordnet zu haben (S. 183). In der Tat ist Calefurnia nur als literarische Persönlichkeit belegt. 175 St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 725 (Oppitz Nr. 1370), fol. 3r–131v und Gießen, UB, Hs. 973 (Oppitz Nr. 550), fol. 4r–44v. Nach der St. Gallener Handschrift gedruckt bei Laßberg, Schwabenspiegel, S. 133 f.; vgl. dazu vor allem Voltelini, Österreichische Reimchronik, und Torggler, Auslegung. Über die Bilderhandschrift der Österreichischen Reimchronik, die eine Abbildung des von den Einschüben besprochen Rechtsaktes, enthält, vgl. Steiger, Clemens Specker; der Text ist ediert durch Seemüller, Österreichische Chronik. Ob die Illustration von der reichen, vor allem älteren Literatur zur Kärntner Herzogseinsetzung bereits herangezogen worden ist, vermag ich derzeit nicht zu überblicken, gehe aber davon aus. Der Rechtsgeschichte ist sie bislang unbekannt geblieben. 176 Eckhardt, Vorarbeiten, S. 64–70 kannt bereits dreizehn Handschriften; zu ergänzen sind Brüssel, Bibliothèque Royale, Ms 3809–3812 (Oppitz Nr. 323) und Kisch, Verschollene Schwabenspiegelhandschrift (über Oppitz Nr. 767). 177 Textabdruck bei Rockinger, Drei mit einem Anhange vermehrte Handschriften – zur Sache vgl. Cossar, Epistola, und Gaebel, Hausordnung. Dazu ergänze ich die
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Der Rechtsgeschichte – soweit ich es sehe – vollständig entgangen ist die These Hannes Kästners, dass der ausgesprochen erfolgreiche „Fortunatus“ aus dem Jahre 1509, der erste selbständige Prosaroman in deutscher Sprache, auf den Schwabenspiegel zurückgreife.178 Dagegen hat aber Stephanie B. Pafenberg sehr überzeugend argumentiert und stattdessen den „Klagspiegel“ als Quelle dieser Passage plausibel gemacht.179 5. Vergleich zwischen Sachsen- und Schwabenspiegel „Was aber den Unterschied, und die differenz beyder Rechten belangt, steht dieselbige allein in succesione hereditatum, & appellationibus, das ist in Erbschafft, und Urteil-Sprechung. Sachsen-Spiegel l. I. art. 17. 18. & 19. Schwabenspiegel l. I, c. 393, §. 2. In andern Articuln, und Sachsen seynt beyde Recht gleichförmig, und miteinander einig, wie sichs denn finden wird, so mann beyde Spiegel gegen einander haelt, und conferirt.“180
Goldast stand mit diesem Urteil, das sich auf die irrige Auslegung einer Landrechtsstelle (Swsp. L. 17: „Swebisch reht zwaiet sich niht von dem saehschen, wan an erbe ze nemenne und an urtail zu gebenne.“) berufen konnte, durchaus nicht allein: Bereits Münster hatte beispielsweise ähnliches in seiner Kosmographie bemerkt.181 Schon früh ist diese Ansicht aber auch abgelehnt worden.182 Eine differenzierte, wenn auch nicht realitätsnähere Idee über die Ähnlichkeit der beiden Spiegelrechte entwickelte der Helmstedter „Historicus“ Rainer Reineck († 1595), der vermutete, Kaiser Karl habe den Sachsen zwar ihre alten Rechte belassen, aber fränkische und schwäbische Richter über sie gesetzt, wodurch deren Rechte mit der Zeit sich mit den sächsischen verbanden und daraus der Schwabenspiegel entstanden sei.183 Am höheren Alter des Sachsenspiegels zweifelte er nicht. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Primat des Sachsen- gegenHandschrift München, BSB, Cgm 1139, fol. 232r–236v. Die Lagenreihenfolge ist hier vertauscht, sodass der Beginn der Lehre nach hinten, auf fol. 236r, verrückt worden und die Identifizierung erschwert ist. Der Text entspricht der Cossarschen Textklasse H. 178 Kästner, Fortunatus, S. 215 f. mit Bezug auf die Feststellung, es sei „kaisserlich recht das nyemandt kain mord verschweygen soll / wer es aber verschweyget oder hilffet vetrucken und es nit offenbar macht / so er erst kann oder mag der sol und ist in denen banden / als der es selb mit der hand gethon hett“. – hier zit. nach der Ausgabe von Roloff, Fortunatus, S. 38. 179 Pafenberg, Legal mirror, S. 593 f. Auch der neueste Forschungsüberblick von Roth, Negativexempel, S. 206 schließt sich dieser Deutung an. 180 Haiminsfeld, Reichs-Satzungen, praefatio. 181 Erler, Kosmographie, S. 91 f. 182 Ayrer, De aetate Speculi Saxonici, S. 27 f. 183 Reineck, Annalium, S. 58.
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über dem Schwabenspiegel in Frage gestellt und nun jener für das ältere Rechtsbuch befunden.184 Zuerst brachte diese Ansicht der kaiserlicher Bibliothekar Peter Lambeck († 1680) auf,185 die einiges Gewicht durch den Beistand Schilters erhielt.186 Philipp Lambacher versuchte, ausgehend von einer Reihe ihm bekannter Handschriften und der Wortgeschichte des Begriffs „Semperleutte“ eine Festlegung auf das Jahr 1282.187 In der Tat geben auch eine Reihe von Handschriften dieses Datum.188 Eine Handschrift, die bereits Schilter heranzieht, gibt schließlich gar das Jahr 1008 als Entstehungszeit des Textes189 – Schilter emendiert, nach dem, was uns heute bekannt ist, immer noch fälschlich, auf 1208.190 Die älteste datierte Handschrift des Schwabenspiegels bleibt die Freiburger aus dem Jahre 1287.191 Sie ist damit in der Tat älter als die älteste datierte Sachsenspiegelhandschrift. Daraus hat Alexander von Daniels die These entwickelt, nicht der süddeutsche Spiegel beruhe auf dem Eikeschen Vorbild, sondern vielmehr sei dieser das Mutterrechtsbuch des norddeutschen Nachahmers.192 Daniels’ Ansicht ist nur kurz und heftig diskutiert worden, im Ergebnis dann auf breite Ablehnung gestoßen. Anlässlich einer Besprechung von Fickers Arbeit über die Heerschilde193 erblickte Böhlau im Verhältnisse der Heerschildordnungen beider Rechtsspiegel zueinander, einen „weitere[n] Beweis, wenn es noch eines solchen bedarf, wie sich die beiden Rechtsbücher ihrer Entstehung nach verhalten“.194 Die noch immer wichtigste Arbeit zum zeit184
Vgl. Gärtner, Sachsenspiegel, § 6 (unpag. Vorrede). Lambeck, Commentariorum, S. 825 (II 8, Nr. 140). 186 Schilter, Praxis, Bd. 1, S. 400 f. (Exerc. 13 § 9) sowie Bd. 2, S. 120 auf den Punkt: „Argumento hoc esse potest, ius Saxonicum Germanicum Suevico esse posterius.“ (Exerc. 17 § 12); vgl. auch ders., Codex iuris Alemannici feudalis, S. 14 (unpag. Vorrede § 17) – Unter Berufung auf Schilter auch noch Leyser, Collatio, S. 77 f. (§ 18). 187 Lambacher, Dissertatio, S. 8. 188 Bereits Senckenberg, Visiones, S. 83 und 99 bekannt. 189 Straßburg, BNU, Ms 2118 (Oppitz Nr. 1385); vgl. Wickersheimer, Général, Bd. 42, S. 443 f. Ausführliche Textauszüge gibt Siebenkees, Nachricht. 190 Schilter, Codex juris Alemannici feudalis, § 15 (unpag. Vorrede). 191 Freiburg, StdA, B1 Nr. 199 (Oppitz Nr. 516) – ausführliche Literaturhinweise zu dieser oft genannten Handschrift bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 2, S. 495 f. und Hagenmaier, Handschriften der UB Freiburg, S. 188 f. Hier findet sich zugleich der früheste Hinweis auf die Existenz der Burg in Vörstetten, die anderweitig erst seit 1291 nachgewiesen ist; vgl. Obhof, Schwabenspiegel-Handschrift, S. 9. Eingehend zu dieser Handschrift Laband, Freiburger Schwabenspiegelhandschrift, sowie Klebel, Älteste Schwabenspiegelhandschrift. Der Text dieser Handschrift ist unter der Sigle Fu gedruckt bei Eckhardt, Urschwabenspiegel, S. 364–534 und S. 556–567. 192 Daniels, De Saxonici speculi origine; ders., Alter; ders., Handschriftenfund. Eine gute Zusammenfassung der Thesen Daniels’ bietet die aus Vorlesungsmitschriften resümierende Ankündigung seines Schülers von Linde, Nachricht. 193 Vgl. unten, S. 552 ff. 185
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lichen Verhältnis der beiden großen Rechtsbücher hat vor rund einhundertfünfzig Jahren Homeyer vorlegt.195 Spätestens seitdem dürfte die Diskussion als erledigt betrachtet gelten. Genaue, textkritische Vergleiche zwischen beiden Rechtsspiegeln sind angesichts der Vielfalt der handschriftlichen Überlieferung und der verglichen damit mangelnden Editionslage ausgesprochen schwierig. Im Grunde bleibt man weitgehend auf das angewiesen, was bereits die Editoren, vor allem Laßberg und Gengler, nachgewiesen haben. Ich gebe im Folgenden eine Konkordanz mit der Ausgabe des Ersteren, da sie trotz aller Mängel nach wie vor als die einschlägigste gelten muss. Die zahlreichen, oft geringen, teils beträchtlichen Abweichungen in den dennoch auf weiten Strecken eindeutigen Übernahmen aus dem Sachsenspiegel lassen sich nicht sehr gut in eine solche Tabelle zwängen. So verzeichne ich grundsätzliche alle Übernahmen ohne Unterscheidung hinsichtlich des Grades der Bearbeitung. Das macht bei der konkreten Nutzung der Konkordanz einen erneuten Abgleich beider Texte leider unumgänglich, bereitet aber immer noch den geringsten Vergleichsaufwand. Ssp. Ldr.
Swsp. Ldr. (L)
Ssp. Ldr.
Swsp. Ldr. (L)
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
Prolog 1 2 3 4 5a 5b, c 10 11a 11a, c 147, 148 12 14 14 17 18 19, 23 21, 24 25 26 26 27 28
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
29 30 32 33 34 35 37, 88 39 40 41 41 45, 46 46, 47 48 49 50 27, 51, 53 67a 67b, 74 75 75 77 78
1 2§4 3 §§ 1, 2 3§3 5§1 5§3 6 §§ 1–3 6§4 7 8 13 16 17 18 19 § 1 20 §§ 1, 2, 8 21 § 1 21 § 2 22 23 24 25 §§ 1–3 25 § 4 194 195
27 28 29 30 31 32 33 34 36 37 38 38 38 39 40 41 42 44 45 46 47 48 48
Böhlau, Uebersicht [Hervorhebung von mir]. Homeyer, Verhältnis.
§2
§1
§1 §2 §3
§2 §1 §2
380
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
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I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
52 80 81 82 83 84 85 86a 91 92 92 92 92 93 93 94 97b 95 96 268, 270 97a, 98, 99 98, 99 93 97b 100 100 101 102 103a 103b
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
79, 172 173 176a 176b 175 176a 177, 178a 186 187 188 189 27, 190 191a 191b 192a 192b 193 196 197a 197b 198 198 199 200 203 179 180, 315 316 317 318 181, 182 202 204 206 207a 207b 208 209 210 211, 279 212 213 213 214 215 216 217 217, 218a, 219 220
52 53 53 53 54 54 54 55 55 56 57 58 59 59 60 61 60 60 61 61 62 62 62 62 65 66 67 70 70 71
II II II II II II II II II II II II II II II II II II
§2 §1 §2 §4 §1 §§ 2, 3 §4 §1 §2
§1 §2 §3 §2 §3 §§ 1, §2 §2 §3 §§ 7, §§ 8, §§ 2, §1 §1 §2 §3
5
11 9 3
2 3§1 3§2 3§3 4§1 4 §§ 2, 3 5§1 9§2 10 § 1 10 §§ 3, 4, 6 11 §§ 1–3 12 12 § 2 12 §§ 4–6 12 §§ 7–11 12 §§ 12, 13 13 13 § 6
104 105, 269 104 105 107, 108, 277 108 112 112 110 113a 113a 172 278 114a 116 117 172, 174 227
14 15 16 16 16 16 17 19 21 21 21 22 23 24 26 26 27 27 28 28 30 31 31 31 32 34 34 35 36 37 38 39 40 41 42 42 43 44 45 46 47 48 54 55 56 57 58 58 58
§2 §3 §4 §§ 5, 6 §1 §§ 1, 2 §3 §5 §1 §1 §4 §§ 1, 2 §4 §3 §4 §1 §2 §3 §1 §2
§1 §3
§1 §1 §2 §3
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
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II II II II II II II II II II II II II II II II
218b 221 222 236 244 243 245 177, 185, 247 248 250 251 202 252 276b, c 253 253b
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
287 288a 288b 289 290 291 293 294 292 295 296 296 297 285 298 299 300 301 302a 302b 303 304a 306 304c 305 170, 307a 308 309 310 67b 311 311 312 333, 344 343 333–341 118 119 120 121a 122 123a 123b, 124 125 126 127 127–130a 130b, c 130d
59 59 60 61 62 62 63 65 66 66 67 68 69 70 71 71
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
§§ 1, 2 §§ 3, 4 §§ 1, 2 §3 §1 §1 §2
§§ 3, 4 §5
1 2 3 5 §§ 3, 4 5 §§ 5 6 7 8 9§1 9§2 9§5 10 12 13 14 § 1 14 § 2 15 §§ 1, 3 15 §§ 2, 4 16 17 18 19 20 § 1 20 § 2 20 § 3 21 22 23 24 25 § 1 26 §§ 1, 2 26 § 3
254 255 256, 257 258a 258b 259 260–263 264 265 266 267 267 268, 270 271a 271b 272 273 274, 275 276 277 277 278 279 280 281 282 223, 224 137b, 283 137a 284 286a 286b
27 28 29 31 31 32 32 32 32 32 32 33 33 34 35 36 37 37 37 38 38 39 39 40 40 41 42 43 45 45 45 46 46 47 48 51 52 52 53 53 54 54 54 55 55 56 57 58 58
§2 §§ 1, 2 §3 §2 §§ 3–5 §6 §7 §9 § 10 §§ 2, 3 §§ 4, 5 §1 §1 §2 §3 §4 §1 §2 §§ 1, 2 §3 §1 §§ 2–4
§3 § 11 §1 §2 §2 §4 §1 §1 §§ 2, 3 §1 §2 §§ 2, 3 §3 §4 §1 §2 §1 §2
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
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III III III III III III III III III III III III III III III III III III
132a 132b 133 134 135a 135b 136 138 137c 141 142 143 144a 144b 145 319 146 146
III III III III III III III III III III III III III III III III III
147 149 150 151a 151b 151c 152 153 154 155a 33 155 156 156 158 157 6
59 60 60 60 61 61 61 63 64 65 65 66 67 68 69 73 74 75
§1 §2 §3 §1 §§ 2, 3 §4 §2 §1 §2
§§ 1, 2 §1
76 76 77 78 78 78 78 78 78 79 79 80 80 81 81 82 85
§1 §§ 3–5 §1 §§ 2, 3 §6 §7 §8 §9 §1 §2 §1 §2 §1 §2 §1
6. Drei Sonderfälle der Schwabenspiegelüberlieferung und -rezeption a) Das Elbinger Rechtsbuch: Schwabenspiegelrecht in Preußen Mit dem Elbinger Rechtsbuch liegt ein bemerkenswertes und bislang singuläres Zeugnis der Schwabenspiegelrezeption in Preußen vor. Der einzige bekannte Textzeuge ging gegen Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem gesamten Handschriftenbestand der Elbinger Stadtbibliothek verloren.196 Eine Abschrift im Nachlass von Homeyers ließ sich nicht finden. Jedoch hat Józef Matuszewksi, der sich um die Erforschung des sächsischen Rechts in Polen große Verdienste erworben hat, noch 1959, offenbar auf der Grundlage eines noch vor Kriegsende fertiggestellten Manuskripts, das Rechtsbuch unter dem Titel „Najstarszy zwód prawa polskiego“, also als „das älteste Buch des polnischen Rechts“, in einer Edition mit polnischer Übersetzung vorgelegt.197 Bereits kurz zuvor war Grekows Übersetzung des Rechtsbuches ins Russische erschienen, die freilich eine Edition des deutschen Urtextes ausspart.198 Gegen Matuszweksis Annahme, das Elbinger Rechtsbuch sei die 196 Elbing, StdB, Nr. 9 Fol. I (Oppitz Nr. 482), fol. 1r–72r. Darüber zuerst Steffenhagen, De inedito monumento; vgl. auch ders., Altpreußens Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 538–558 und ders., Rechtsquellen, S. 118–137. 197 Matuszweksi, Najstarszy zwód prawa polskiego. 198 Grekow, Polskaja Pravda.
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
383
älteste Aufzeichnung polnischen Gewohnheitsrechtes hat Witold Maisel an verschiedenen Stellen gute, wenn auch keinesfalls zwingende Gründe anführen können.199 Den Entstehungskontext des Rechtsbuches hat Vetulani in der Umgebung deutscher Ordensbeamter in Schlesien vermutet.200 Die Quellen des Rechtsbuches sind vornehmlich der Schwabenspiegel und das Meißner Rechtsbuch;201 daneben ist aber auch der Magdeburger Schöffenbrief an Kulm aus dem Jahre 1338 und eine weitere Quelle Magdeburger Rechts verarbeitet, von der unklar ist, ob es sich um eine Sonderform des Magdeburger Schöffenrechts oder das Magdeburg-Breslauer bzw. Magdeburg-Görlitzer Recht gehandelt hat.202 b) Eine welfische Kompilationshandschrift Zwei unmittelbar zusammengehörige Heidelberger Handschriften verbinden das Landrecht des Sachsen- und Schwabenspiegels rein äußerlich, in wechselnder Folge der Artikel. Dabei enthält die erste lediglich das Landrecht sowie die entsprechenden Register beider Rechtsbücher, die zweite in Fortsetzung das Lehnrecht.203 Sachsse hat diesen Landrechtscodex zwar seiner 1848 erschienenen Edition zugrunde gelegt, jedoch nur den Text des Sachsenspiegels mit Übersetzung, den Schwabenspiegel lediglich als Konkordanz gegeben.204 Leider ist diese Edition sowohl textkritisch als auch im Hinblick auf die Handschriftenbeschreibung weitgehend wertlos. Über die Komposition der Codices aus den beiden Rechtsbüchern verliert Sachsse kaum mehr, als den Hinweis, dass der Sachsenspiegel „in größerer Schrift, der Schwabenspiegel in kleinerer, fast wie eine Glosse zu jenem, geschrieben“ ist205. Diese Beobachtung allerdings hatte den beiden Handschriften bereits zuvor zeitweise einiges an Prominenz eingebracht: Auf ihr fußend hatte nämlich Eichhorn in der letzten, vielfach vermehrten Ausgabe seiner berühmten „Staats- und Rechtsgeschichte“ die Annahme plausibel zu machen versucht, der Schwabenspiegel sei im Grunde eine Glosse des Sachsenspiegels.206 Dem ist aber bereits unmittelbar nach Erscheinen von 199
Zuletzt Maisel, Ksie˛ga Elbla˛ska; ders., Elbinger Rechtsbuch. Vetulani, Polskiego prawa; zustimmend Maisel, Elbinger Rechtsbuch, S. 55. 201 Dazu siehe unten, S. 437 ff. 202 Zu diesen Arbeiten siehe unten, S. 392 ff. 203 Heidelberg, UB, Cod. Pal. Germ. 167 (Oppitz Nr. 700), fol. 15r–158v und Cod. Pal. Germ. 470 (Oppitz Nr. 705), fol. 9r–70r – vgl. Wegener, Verzeichnis, S. 2 f.; Zimmermann, Codices Palatini, S. 386–388. Die Datierung dieser Handschrift bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 2, S. 565 auf das erste Viertel des 14. Jh. ist offensichtlich ein Druckfehler. 204 Sachsse, Sachsenspiegel, S. 318–343. 205 Sachsse, Sachsenspiegel, S. VII. 200
384
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
verschiedener Seite widersprochen worden. Zuletzt hat Laßberg in seinem Handschriftenverzeichnis alle wesentlichen Punkte und eine recht ausführliche Beschreibung der Kapitel Land- und Lehenrechts gegeben.207 Das hohe Ausstattungsniveau beider Pergamentcodices mit zahlreichen, teils goldenen Schmuck- sowie einer Figuralinitiale und einer großen Titelminiatur am Beginn des Landrechts,208 verbunden mit einer Betrachtung der Mitüberlieferung, die außer dem Land- und Lehenrecht lediglich verschiedene Register, die sogenannten Sippzahlregeln und eine Braunschweiger Gerichtsordnung umfasst, sprechen für einen praktischen, aber repräsentativen Benutzerbezug, wahrscheinlich im Umfeld der pfälzischen Kanzlei.209 Die Herkunft der Landrechtshandschrift kann mit guten Gründen in das Braunschweig-Lüneburgische gesetzt werden: Im Anschluss an das dritte Buch findet sich dort unter der Rubrizierung „von hertogen Albrechte“, die Nachricht, dass nach dem Tod Albrechts († 1279) sein Sohn Herzog Heinrich das Landvolk auf dem Leineberg, heute nahe Göttingen,210 versammelt und ihnen ein Sonderrecht bezüglich der Verfestung verliehen habe.211 Vom Leineberger Hochgericht zeugte ansonsten eine Moringer Handschrift des 16. Jahrhunderts, die heute verschollen ist.212 Leittext der Formalkompilation aus welfischem Umfeld ist, wie bereits Sachsses Bemerkung über die unterschiedlichen Schriftgrößen andeutet, der Sachsenspiegel. Der Schwabenspiegel wird in deutlich kleinerer Schrift beigefügt. Bemerkenswert ist dabei der Umstand, dass dem Sachsenspiegeltext, wie es in der Schwabenspiegelüberlieferung bereits üblich ist, mit Überschriften zu den einzelnen Kapiteln versehen wird. Zu untersuchen bleibt noch, ob sich der Schwabenspiegeltext in irgendeiner Weise dem Sachsenspiegel angleicht oder sonst gewichtige Abweichungen von den bekannten Textfassungen zu verzeichnen sind. Ein stichprobenartiger Vergleich ergibt 206
Eichhorn, Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 324 (§ 282, Note e). Laßberg, Schwabenspiegel, S. XLII–XLV (Nr. 58). 208 Zu den Miniaturen (Abb. 3) vgl. Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 132 f. 209 Dafür spricht auch der Einband; vgl. dazu Zimmermann, Codices Palatini, S. 386 mit weiteren Hinweisen. 210 Haubold, Lexicon, S. 702. 211 Heidelberg, UB, Cod. Pal. Germ. 167 (Oppitz Nr. 700), fol. 158v: „Do hertoge Albrecht dot was, do quam Henric sin sone to deme leyneberge mit allen lantlüden unde satten dar recht: We en wüllest worvestet umbenomet, benomet he it des anderen oder dar na, de richtere scal it ene weten late, so is it eme nie, dat he sik ut der vestinge ten mach of he wil binnen ses weken.“; vgl. Sachsse, Sachsenspiegel, S. 316 f. 212 StdA Moringen o. Sign. (Oppitz Nr. 1037). Eine Abschrift soll sich im Nachlass von Claudius Frhr. von Schwerin (Freiburg i. Br., Universitätsarchiv) befinden. Das konnte bislang nicht verifiziert werden, da der Nachlass weder genügend aufbereitet noch verzeichnet ist. 207
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
385
für den Sachsenspiegel eine enge Verbindung zu den norddeutschen Sachregisterhandschriften (IIc), für den Schwabenspiegel die Zuordnung zur niederdeutschen Familie der Klasse IIIb unter den Handschriften der Normalform, als deren Ausgangspunkt Lüneburg vermutet wird.213
Abbildung 3: Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 167, fol. 18r und 70v
Hinzuweisen bliebe schließlich noch auf die kostbaren Miniaturen, die sich auf den Blättern 18 und 70 der Handschrift finden:214 Besonders interessant ist die Illustration der Zwei-Schwerter-Lehre auf fol. 18r. Unsinnig ist die Ansicht Sachsses, der die zweite Person neben dem Papst mit Friedrich Wilken215 für eine Frau, eine Personifizierung des Rechts, hält.216 Vielmehr handelt es sich um das gängige Personenbild der Zwei-Schwerter-Lehre: Papst, Gott oder Jesus und Kaiser. Das Spruchband oberhalb des Kaisers ist getilgt, über dem Haupt des Papstes lesen wir „sanctus petrus papa“. Auch diese Darstellung weist auf den Haupttext der Handschrift, den Sachsenspiegel hin, denn Schwabenspiegelhandschriften illustrieren diese Stelle, die dort nicht am Anfang eines Kapitels, sondern mitten in der Vorrede zu finden ist, nicht. Die einzige bekannte Illustration 213 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 39. Über die enge Verbindung mit Lüneburg ist auch schon verschiedentlich spekuliert worden; vgl. nur Kraut, De codicibus, S. 9 f. und Laßberg, Schwabenspiegel, S. XLII–XLV. 214 Vgl. dazu Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 132 f. 215 Wilken, Heidelbergische Büchersammlungen, S. 126. 216 Sachsse, Sachsenspiegel, S. V.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
dieser Stelle zeigt bemerkenswerterweise nicht die Verleihung der beiden Schwerter, sondern den Stratordienst.217 c) Zwei Kompilationshandschriften aus „Schwabenspiegel“ und Kleinem Kaiserrecht Eine besondere Verschmelzung von Schwabenspiegel und Kleinem Kaiserrecht findet sich in einer mitteldeutschen Papierhandschriften des Jahres 1404 sowie einer ostfränkischen des späten 15. Jahrhundert.218 Das in der Mitüberlieferung enthaltene schwäbische Landrecht der fränkischen Handschrift wiederum gab die Vorlage zu einer nun in Brüssel befindlichen Schrift, die sich selbst ein „landt rechtbuch von Luxembourg“ nennt.219 Weitere Verwandtschaften oder Übernahmen aus dem Kompilationsteil der Mutterhandschrift konnten aber nicht festgestellt werden. Eine genauere Untersuchung des Rechtsbuchtextes hingegen bestätigt die nur vage Datierung der Würzburger Handschrift, die ganz offenbar eine Abschrift der Leipziger darstellt, der nicht nur einige Artikel vollständig fehlen, sondern auch eine Reihe von Verderbnissen und Schreiberfehlern220 im Text eigen sind, die ihn ohne Rückgriff auf die Mutterhandschrift unverständlich machen.221 Viele der einzelnen Sinnabschnitte enden mit einem direkten Allegat aus Schwabenspiegel und Kleinem Kaiserrecht und werden eingeleitet 217 Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 139 – es handelt sich dabei um die Handschrift Gießen, UB, Hs. 996 (Oppitz Nr. 565), fol. 23r; vgl. dazu auch ders., Regimen, S. 216 (Abb. 12). 218 Leipzig, UB, Rep. II. f. 19 (Oppitz Nr. 909), fol. 1r–11v und Würzburg, UB, M. ch. f. 162 (Oppitz Nr. 1613), fol. 12r–47r – vgl. dazu auch Klebel, Studien, S. 153 und 263. 219 Brüssel, BR, Ms 18394 (Oppitz Nr. 325), fol. 1r–111v; vgl. Gheyn, Catalgoue, S. 290 (Nr. 2870). 220 So auf Würzburg, UB, ch. f. 162 (Oppitz Nr. 1613), fol. 42v die Wiederholung „Swiget er aber uber das zil als ym der richter gesatzt hatt und fordert in nit mit des reichs recht fur dem richter zu der zeit, dieweil er claget vor dem gericht, und hett er den keiser selbist mit tawsent getzewgen, es magk nicht geholffen.“ – ähnlich auch fol. 45r („es sey umbe gut oder was sache“). 221 Beispielsweise Art. 9, Würzburg, UB, ch. f. 162 (Oppitz Nr. 1613), fol. 37r – zu ergänzen aus Leipzig, UB, Rep. II. f. 19 (Oppitz Nr. 909), fol. 3r: „Ein [richter] sal sein ein ee kint und ein bescheyden man yn alle weyse und der rechte lieb habe, dem armen thu als dem reichenn. Er sal auch nicht meyneydig sein nach yn der echtte sein nach ein heyden nach ein jude nach ein ketzer sein. Er sal nicht lame sein an henden noch an fusßen noch plind sein. Er sal auch nit ein stumme sein noch ein thore noch uber achtzig jare noch yn dem banne und sol uber ein und zwentzig iare sein. Welcher der dinge eins an einem ist, der magk nicht richter gesein ym rechten. Sindt geschriben stett yn des reiches rechte: Der richter sal sein ein grißgramer lewe und ein man, der nicht wandels an ym habe sol, sein yn allen sachen vollenbracht, der an des keysers stat siten sal.“
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
387
von der Wendung „sint geschribenn stett (in des reiches rechten)“. Eine eindeutige Kapiteleinteilung fällt schwer, da oftmals nur knappe Sinn- und Mahnsprüche als eigenständige Absätze eingeschoben werden, denen man aber den Charakter eines in sich geschlossenen Kapitels abzusprechen geneigt ist; beispielsweise: „Eyn iglich richter, der sich gein Got bessern will, der sal bedencken, wo und wem er gut zu unrecht genomen und verloren habe. Dem sal er es widergebenn.“222 Außerdem weißt die Leipziger Handschrift nicht nur am Anfang, der im Würzburger Textzeugen fragmentiert ist, sondern auch innerhalb des Textes ein kleines Mehr an Sätzen auf.223 Diese beiden interessanten Kompilationshandschriften verdienten an sich eine eingehendere Besprechung samt vollständiger Edition. Das kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. Für die dieser Untersuchung zugrunde liegende Frage der Rezeption des sächischen Landrechts scheinen mir beide nach eingehender Durchsicht nicht unmittelbar relevant. 7. Das „Kleine Kaiserrecht“ Noch ein zweiter Exkurs muss hier erlaubt sein. Denn wer über die deutschen Rechtsbücher des Mittelalters handelt, tut sich schwer, das „Kleine Kaiserrecht“,224 hin und wieder auch etwas unglücklich „Frankenspiegel“ genannt,225 auszulassen. Für die vorliegende Untersuchung ist das „jüngste der deutschen Rechtsbücher“ (Munzel-Everling)226 zwar insofern von untergeordnetem Belang, weil es auf den Sachsenspiegel selbst nicht mehr zurückgreift.227 Unter den Quellen anderer, unmittelbarer Rezeptionsstufen des 222 Würzburg, UB, ch. f. 162 (Oppitz Nr. 1613), fol. 37v – das ist der klassische Grundsatz der „restitutio“, die nicht nur ein Rechts-, sondern vor allem ein grundlegender Gedanke der Katechese ist. 223 Beispielsweise hinter dem achten Absatz der Würzburger Handschrift (fol. 38r). Hier gibt Leipzig, UB, Rep. II. f. 19. (Oppitz Nr. 909), fol. 2v den Einschub „Auch stet anderswo geschriben, der richter sol sein in allen sachen vollenpracht, der an des keysers stat sitzen sol.“ als eigenständigen Absatz. 224 Die ältere aber bis zum Erscheinen der geplanten Neuedition (s. S. 391, Anm. 256) noch immer einschlägige Edition legte Endemann, Keyserrecht, vor. Grundlage dieser Ausgabe ist die Handschrift, Fulda, LB, cod. D 31 (Oppitz Nr. 529). Zur Kritik an dieser Ausgabe vgl. eingehend Schmidt, Studien. 225 In der Neuausgabe des Handwörterbuchs zur deutschen Rechtsgeschichte gibt es entsprechend einen kurzen Verweisartikel von Dietlinde Munzel-Everling im HRG2 2 (2008), Sp. 1663 f. 226 Munzel-Everling, dez keisers recht, Bd. 1, S. 7. Diese Formulierung ist natürlich mit Blick auf den weiter oben (S. 16 ff.) diskutierten Rechtsbuchbegriff irreführend und kann so nur auf das engere, mit der Bezeichnung „Spiegelrechte“ weitgehend deckungsgleiche Verständnis bezogen werden. 227 Johannes Rothe übernimmt ein ganz Kapitel (III 8) in sein Eisenacher Rechtsbuch (III, 118) – vgl. dazu unten, S. 450 ff. –, andere Rechte übernehmen einzelne
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Sachsenspiegels sowie für das Phänomen „deutsche Rechtsbücher des Mittelalters“ insgesamt aber ist die zumindest grundlegende Kenntnis durchaus von Bedeutung. Es sollen also zumindest die wesentlichen älteren und neueren Erkenntnisse über das „Kleine Kaiserrecht“ knapp skizziert werden. Das unmittelbar auffälligste Charakteristikum dieses Rechtsbuches ist der durchweg wiederholte Bezug auf den Kaiser als Quelle des Rechts, der mit Wendung wie „der keiser hat geboten . . .“ oder „der keiser hat virbaden in allem syme rich . . .“ hergestellt wird. So bezeichnen auch die meisten der überlieferten Handschriften228 den Text als „keyerrecht“, drei niederdeutsche Handschrift (Oppitz Nrn. 171, 977 und 1318) gar als „dat lüttigke keyserrecht“, woher das Rechtsbuch seinen Namen trägt.229 Manche Handschriften schreiben den Ursprung der Rechtsetzung auch, wie wir das bereits von den früheren Rechtsspiegeln her kennen, Karl zu.230 Die Selbstbezeichnung als „Kleines“ Kaiserrecht mag wohl den Text vom „Schwabenspiegel“ als (Großes) „Kaiserrecht“ abheben;231 allerdings findet sich das Rechtsbuch auch mehrfach gemeinsam mit dem Sachsenspiegel, wird in manchen Handschriften gar als „Sachsenspiegel“ bezeichnet.232 Der Name „Frankenspiegel“ wird gemeinhin auf Schröder zurückgeführt,233 der als parallele Wortbildung zu den Spiegelrechten auf die fränkische Herkunft Sätze. Die bekannteste Übernahme dürfte das Wort vom Richter sein, der „sal syn eyn grimmender lewe“ (Kleines Kaiserrecht I, 6 – hier zitiert nach der Corveyer Hs.), in die Soester Gerichtsordnung. Weitere Hinweise (Frankenberg, Nördlingen, Elmenhorst etc.) auch bei Munzel, Innsbrucker Handschrift, S. 40. 228 Vgl. dazu Endemann, Keyserrecht, S. XVIII–L und die Ergänzungen von Johanek, Kleines Kaiserrecht – der umfassende Stand ist zusammengestellt bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 42 f. (bearb. von Dietlinde Munzel-Everling). Seitdem ist noch ein Fragment aus dem Stift Wetter aufgetacht, vgl. Fasbender/Munzel-Everling/Oppitz, Fragment aus Wetter. Der aktuelle Stand (derzeit sind 37 Handschriften, 6 Fragmente und 6 Exzerpte bekannt, zwei Handschriften und ein Fragment gelten als Kriegsverluste) ist im Internet verfügbar unter http://www.munzel-everling.de. 229 Zu der (erst ab dem 15. Jahrhundert belegten) Titulatur und ihren Varianten vgl. Munzel-Everling, Sachsenspiegel, Kaiserrecht, König Karls Recht?, S. 103–105. 230 Munzel, Innsbrucker Handschrift, S. 159. Das nur in einigen Handschriften, gemeinsam mit einem Judeneid, überlieferte Kapitel über die Hundebuße endet: „Das rechte satzte der heylig konigk karly, herre uber alle andere herren, under ander rechte die hie var in disem buch beschriben sint.“ 231 So jedenfalls recht eindeutig in der Handschrift Lüneburg, StdA, Ms. jurid. 3 (Oppitz Nr. 977), wo Schwabenspiegel (fol. 14r–116r) und „lutteke keyser recht“ (fol. 121r–157r) in einer Handschrift vereint sind. 232 Johanek, Kleines Kaiserrecht, Sp. 1196 f. – Handschriften, die das Kleine Kaiserrecht als „Sachsenspiegel“ bezeichnen, sind beispielsweise Oppitz Nrn. 17, 563, 593 und 1548. 233 Das scheint mir erst die späteren Auflagen zu betreffen; die 1894 erschienene zweite, wesentlich umgearbeitete Aufl. von Schröder, Lehrbuch, S. 644 spricht jedenfalls noch vom „Kleinen Kaiserrecht“.
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
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deutet, in jüngerer Zeit aber mit Recht zugunsten der quellenmäßigen Titulatur wieder aufgegeben worden ist. Die äußere Form des Rechtsbuches ähnelt in manchem den anderen Rechtsspiegeln,234 weist aber sehr viel deutlicher einige charakteristische Eigenarten auf, die es von ihnen absetzen. Vor allem sind die Rechtsmaterien schon sehr genau geschieden, deutlich ist der Zug zur Systematisierung. Im ersten Buch finden sich in 41 Kapiteln hauptsächlich Prozessordnung und Gerichtsverfassung, im zweiten dann 137 Kapitel in der Hauptsache privatrechtlichen Inhalts, wobei auch das Reichsgut und insbesondere die Reichshöfe (zum Teil in lateinischen Passagen) behandelt werden. Das dritte Buch behandelt in 33 Kapiteln lehnrechtliche Bestimmungen, vor allem die Rechte und Pflichten der Reichsdienstmannen. Im vierten Buch schließlich wird ähnliches auch für die Bürger der Reichsstädte in 16 knappen Kapiteln unternommen. Was die Quellen des Kleinen Kaiserrechts anbelangt, so ließ sich lediglich die Verwendung des Frankfurter Stadtrechts im vierten Buch nachweisen.235 Alle anderen Parallelen und Ähnlichkeiten, vor allem, was die Frage nach dem Umfang der Verarbeitung des Schwabenspiegels betrifft, müssen Vermutung bleiben. Das Rechtsbuch hat verhältnismäßig früh das Interesse der gerade erwachenden, germanistischen Rechtsgeschichte gefunden und ist bereits 1740 von Senckenberg in seinen lehnrechtlichen Teilen und 1760 dann erstmals ganz gedruckt worden.236 Eine von Pieter Bondam und Henrik van Wijn geplante und wohl auch bereits für den Druck vorbereitete Neuausgabe ist nie erschienen.237 Ein erster, immerhin 239 Seiten umfassender Probedruck aus dem Jahre 1769 freilich mit zahlreichen handschriftlichen Kommentaren zur vorgeblichen Geltung des Kleinen Kaiserrechts in den Niederlanden hat sich in der Koninklijke Bibliotheek zu Den Haag erhalten.238 Wörtlich zu Beginn eingefügt ist die 1759 in Erlangen von Johann Christoph Rudolph vorgelegte Dissertation „De vetere legum collectione vulgo Ius Cae234 Das betont noch sehr Gosen, Privatrecht, S. 18 – die neuere Forschung zum Kleinen Kaiserrecht sieht das anders. 235 Eckhardt, Frankenspiegel-Studien, S. 4–7. Scherner, Pacht, hat darüber hinaus auf die Ähnlichkeit der Pachtvorschriften mit Weistümern des Bornheimer Berges von 1303 und Altenhaslaus von 1354 hingewiesen. Über die reihenweise Verleihung von Frankfurter Recht an umliegende Dörfer und Siedlungen durch Ludwig den Bayern und Karl IV. vgl. Uhlhorn, Beobachtungen, und Andernacht, Beiträge. 236 Senckenberg, Corpus Iuris Feudalis, S. 1–64; ders., Corpus Iuris Germanici, S. 1–124 (bearb. durch Georg G. König von Königsthal). Einige Auszüge samt lateinischer Übertragung auch in der Disputatio mit Beneke, De successione. 237 Diese Ausgabe wird erwähnt bei Endemann, Keyserrecht, S. V. 238 Den Haag, KB, HS 74 B 26 Fasc. II.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
sareum dicta succincta commentatio“, die sich ausführlich mit dem Kaiserrecht auseinandersetzte und neben den von Senckenberg erwähnten auch bereits eine heute in Hamburg verwahrte Handschrift, den sog. „Codex Uffenbach“, kannte.239 Das 20. Jahrhundert sah dann eine Reihe von Handschriftenneufunden,240 aber kaum größere Arbeiten über den Inhalt des Rechtsbuches, wie Gosens heute überholte Darlegung der privatrechtlichen Bestimmungen aus dem Jahre 1866.241 In den dogmengeschichtlichen Werken der deutschen Privatrechtswissenschaft und in den Darstellungen zur fränkischen Rechtsgeschichte konnte sich das Kleine Kaiserrecht als vermeintliche Quelle spätmittelalterlich-fränkischer Rechtswirklichkeit allerdings einen zwar schattigen aber festen Platz sichern.242 Einen wesentlichen Einschnitt in der Forschungsgeschichte markiert Eckhardts schmale, aber gehaltvolle Schrift „Frankenspiegel-Studien“.243 Er hat als erster grundlegend die Quellenkunde des Rechtsbuchs behandelt, vor allem seine Abhängigkeit vom (lateinischen) Frankfurter Stadtrecht nachgewiesen. Wenn auch verschiedentlich bereits darauf hingewiesen worden ist, dass Eckhardt leicht mit dem Urteil einer Übereinstimmung bei Hand gewesen ist,244 so scheint in diesem Fall die große syntaktische und begriffliche Nähe in der Tat mehr als hinreichend. Lutz Hatzfeld schließlich konnte erste Zusammenhänge lokaler Auseinandersetzungen in der nahe Frankfurt gelegenen Stadt Friedberg mit Bestimmungen des dritten Buches herstellen.245 So vermutet man heute, dass das Rechtsbuch aus der Feder oder doch zumindest aus dem Umkreis Rudolfs von Sachsenhausen-Praunheim, dem Abkömmling einer ehedem staufischen Ministerialenfamilie, geflossen sein möge, der zwischen 1334 und 1341 das Frankfurter Schultheißenamt und zwischen 1333 bis 1342 die Burggrafschaft in Friedberg innehatte.246 Ferner steht die Entstehung des Rechtsbuches wohl in engem Zusammenhang mit dem Frankfurter Reichstag von 1342, wo Kaiser Ludwig versuchte, durchzusetzen, dass zukünftig im Hofgericht nur „nach unsern vorfarn kunigen und keisern gesetzten und 239
Hamburg, SUB, Cod. 89 in scrinio (Oppitz Nr. 671). Siehe oben, S. 388, Anm. 228. 241 Gosen, Privatrecht. 242 Vgl. die Hinweise bei Munzel, Innsbrucker Handschrift, S. 22 f. 243 Eckhardt, Frankenspiegel-Studien – vgl. dazu die Besprechung von Ulrich Stutz in der ZRG GA 44 (1924), S. 316. Eckhardt trug sich im Übrigen auch mit Plänen für eine Neuedition des Kleinen Kaiserrechts für die MGH. Diese Pläne sind aber nicht verwirklich worden. 244 Dusil/Kannowski, Hallensischer Schöffenbrief. 245 Hatzfeld, Frankenspiegel – nachdrücklich dagegen aber Schwind, Landvogtei, S. 279 f. 246 Zu Rudolf vgl. Schalles-Fischer, Pfalz, S. 418. 240
II. „Schwabenspiegel“ (Kaiserliches Land- und Lehnrecht)
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geschriben rehten“ Recht gesprochen werden sollte.247 Die Datierung bleibt aber weiterhin ungewiss: Schmidt setzte die Entstehung des Rechtsbuches in die Zeit zwischen 1328 und 1338,248 Hatzfeld in die Jahre 1344 bis 1350.249 Abgesehen von dem wichtigen Erkenntnisfortschritt, den Verfasser nun mit einiger Wahrscheinlichkeit identifizieren zu können, ist das Kleine Kaiserrecht auch in den ersten drei Vierteln des 20. Jahrhunderts von der rechtshistorischen Forschung eher stiefmütterlich behandelt worden. Das änderte sich erst mit der Frankfurter Dissertation von Dietlinde Munzel-Everling,250 die sich seitdem in zahlreichen Beiträgen um das Kleine Kaiserrecht verdient gemacht.251 Ihr verdanken sich die Hinweise auf die Anwendung des Rechtsbuches in der Spruchpraxis des Ingelheimer Oberhofes,252 wohingegen sie einen möglichen Einfluss auf das Klever Stadtrecht mit überzeugenden Argumenten verneint hat.253 Auch alle neueren Erkenntnisse zur handschriftlichen Überlieferung gehen im Grunde auf ihre Forschungen zurück oder sind mit diesen verbunden. Erste stemmatologische Untersuchungen hatte zwar bereits Wolfgang Koch vorgelegt, aber später nicht weiter verfolgt.254 Derzeit bereitet Munzel-Everling eine digitale Neuedition des „Kleinen Kaiserrechts“ auf der Grundlage der Corveyer Handschrift vor,255 die im Internet frei zugänglich sein wird.256
247 Vgl. die Besprechung von Winfried Trusen in der ZRG GA 98 (1981), S. 341–345, hier S. 344. 248 Schmidt, Studien. 249 Hatzfeld, Frankenspiegel oder Kaiserrecht. 250 Munzel, Innsbrucker Handschrift. In dieser Ausgabe findet sich ein Paralleldruck der Handschriften Innsbruck, Museum Ferdinandeum, MF F 2036 (Oppitz Nr. 726), Darmstadt, LB, cod. 1426 (Oppitz Nr. 389) und Gießen, UB, Hs. 954 (Oppitz Nr. 537). Einen Textabdruck der Flörsheimer Handschrift (Heimatmuseum, o. Sig., Oppitz Nr. 499) gibt Munzel-Everling, dez keisers recht. Es ist mir eine angenehme Pflicht, Frau Dr. Munzel-Everling (Wiesbaden) für zahlreiche freundliche Hinweise und Anregungen – nicht nur bezüglich des Kleinen Kaiserrechts – zu danken. 251 Munzel-Everling, Bedeutung; dies., Sachsenspiegel, Kaiserrecht, König Karls Recht?; dies., Verfahrensrecht; Munzel/Munzel, Bestimmungen. Von Munzel stammt auch der einschlägige Eintrag im Rechtsbücherverzeichnis von Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 42 f. Einige grundlegende Hinweise auf die enge Verbindung zwischen Kleinem Kaiserrecht und Nijmegener Statuten in den niederländischen Handschriften des Rechtsbuches bei Tervooren, Van der Masen, S. 300. 252 Munzel, Einfluß. 253 Munzel-Everling, Stadtrecht von Kleve. 254 Koch, Stemma. 255 Munzel-Everling/Feuerstake, Computergestützte. Zur Leithandschrift (Oppitz Nr. 717) vgl. dies., Corvey. Über die früher verschiedentlich angekündigten und nie erschienenen Neueditionen vgl. dies., Innsbrucker Handschrift, S. 21. 256 http://www.munzel-everling.de.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“ Die so genannte Magdeburger Stadtrechtsfamilie gehört neben der Lübischen,257 Goslarer258 und der Schweriner259 zu den größten deutschen Rechtsbereichen in Nord- und Mitteldeutschland.260 Sie hat darüber hinaus weit nach Mittel- und Osteuropa ausgestrahlt. Das betrifft zum einen die Stadtverfassung selbst,261 die für die vorliegende Untersuchung von geringerem Interesse, aber nicht immer klar von anderen Rezeptionsträgern zu unterscheiden ist, zum anderen und vor allem aber die Verbreitung der verschiedenen, rechtsbuchartigen Quellen des nie offiziell kodifizierten Stadtrechtes und die in ihrem Einfluss kaum zu überschätzende, rechtsberatende Tätigkeit der Magdeburger Schöffen. Der folgende Abriss fußt maßgeblich auf der vorhandenen deutschsprachigen und polnischen Literatur.262 Über die einschlägige Literatur der Sowjetstaaten in den 1970er und 1980er Jahren hat Alexander Rogatschewski einen dienlichen Überblick vorgelegt.263 Für die jüngere Zeit, in der das Interesse an Fragen des deutschen Rechts in Mittel- und Osteuropa wieder merkbar zugenommen hat, fehlt ein entsprechender Überblick leider, so dass wir auf Fragmentarisches angewiesen sind. Es steht aber zu hoffen, dass im Rahmen des Leipziger Akademieprojekt „Das sächsisch-magdeburgische Recht als kulturelles Bindeglied zwischen den Rechtsordnungen Ostund Mitteleuropas“, an dem zahlreiche internationale Forscher beteiligt sind, viele Lücken geschlossen werden können.264 257 Aus der reichen Literatur vgl. nur die klassische Darstellung von Ebel, Lübisches Recht; ders., Lübisches Recht Neuere Literatur bei Ebel/Schelling, Kulturtransfer. 258 Die von Maik Lehmberg seit 2003 angekündigte Neuedition ist zum Manuskriptschluss noch immer nicht erschienen; zur Sache vgl. auch Ebel, Stadtrecht von Goslar. Zu Verbindung mit dem Harzgebiet vgl. Pötschke, Stadtrecht von Goslar; ders., Wernigerode. 259 Hier fehlt es noch an neueren Studien; vgl. bis dahin Hoffmann, Stadtgründungen, und Böhlau, Schweriner Stadtrecht. 260 Der Begriff der „Stadtrechtsfamilie“ hat in den letzten Jahren immer wieder berechtigte Kritik erfahren. Grundlegendes zu dieser Frage bei Dusil, Soester Stadtrechtsfamilie, sowie ders., Rechtsraum. 261 Dazu eingehend Schranii, Stadtverfassung. 262 Neben den im Folgenden noch zu nennenden Titel ist zur bibliographischen Einführung vor allem Johanek, Magdeburger Rechtsbücher, hilfreich. Für die älteren Literatur Bischoff, Beiträge. 263 Rogatschewski, Übersicht, jetzt ergänzt durch ders., Magdeburger Recht in Russland. Für die polnische Literatur vgl. auch Sójka-Zielin´ska, Liteartur, die sich aber nicht speziell den Arbeiten zum sächsisch-magdeburgischen Recht zuwendet. 264 Vgl. Bily, Projektskizze.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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1. Texte, Überlieferung, Editionen Es gibt kein „Magdeburger Recht“ im Sinne einer fest angebbaren, stadtrechtlichen Kodifikation. Vielmehr gruppiert sich um diesen Begriff eine Anzahl einzelner Texte des 12. bis 14. Jahrhunderts, die teils hoheitlicher, größtenteils aber nicht-hoheitlicher („privater“) Herkunft sind. Viele der kürzeren hat Paul Laband in einer Sammlung für den „akademischen Gebrauch“ zusammengestellt.265 Bereits im 12. Jahrhundert hat es in Magdeburg ein als solches bekanntes Recht und vielleicht auch eine entsprechende Aufzeichnung gegeben266 Das Magdeburger Kaufmannsrecht wird schon in einer wichtigen Urkunden Ottos III. aus dem Jahre 994 für Quedlinburg erwähnt.267 Der erste auf uns gekommene Text jedoch ist das Privileg Erzbischof Wichmanns aus dem Jahre 1188.268 Zwar ist das Privileg weder die älteste schriftliche Aufzeichnung Magdeburger Rechts269 noch mit einer Stadtrechtsverleihung oder ähnlich förmlichen Erhebungen der Stadt vergleichbar,270 aber dennoch ein bereits von Zeitgenossen als von großer Bedeutung wahrgenommener Text magdeburg-sächsischer Rechtsgeschichte. Auch die Sächsische Weltchronik271 und im fast wörtlichen Anschluss daran die Weichbildchronik272 berichten von der Privilegierung. Festzuhalten jedenfalls bleibt, dass es ein Magdeburger Stadtrecht schon vor dessen (nicht-offiziöser) Verschriftlichung gab und dieses auch bereits an andere Städte 265
Laband, Magdeburger Rechtsquellen. Weitzel, Rechtsbegriff, S. 66 f. mit weiteren Nachweisen. 267 MGH DD Otto III., Bd. II/2, S. 566 f. (Nr. 155). 268 Druck bei Israel/Möllenberg, UrkB Erzstift Magdeburg, Nr. 421 und Hertel, UrkB Magdeburg, Bd. 1, S. 30 f. (Nr. 59) – vgl. die ausführliche Besprechung durch Lieberwirth, Privileg (Kurzfassung unter demselben Titel auch in den Magdeburger Blätter, s. Literaturvezreichnis); ferner Barkhausen, Gesetzgebung. Zur Überlieferung des Dienstmannenrechts in Sachsenspiegelhandschriften vgl. Müller, Berliner Sammelhandschrift, S. 44–53. 269 Weitzel, Rechtsbegriff, S. 66 – vgl. ausführlicher Kretzschmar, Entstehung, S. 144–147. Über die Urkundentätigkeit der Magdeburger Erzbischöfe vgl. auch die Dissertation von Rader, Pro remedio, bes. S. 126–131 zum Landesausbau. Eine Kurzfassung seiner Ergebnisse auch bei ders., Urkundenwesen. 270 Maas, Deutschrechtliche Orte, S. 59. 271 Weiland, Sächsische Weltchronik, S. 234: „[. . .] He [scil. Wichmann] verlegede oc dat echt, dat de dienestman bi vrîme wive nene vrie dochter ne machte gewinnen; dat erhof he an here Gumprechtes susterkinderen van Alesleven.“ (cap. 336). 272 Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 41: „[. . .] Bi sinen [scil. König Heinrich (VII.)] citen was bischof Wicman zu Megdeburg [. . .] He vorlegete oych das recht das di dinstmanne bi vrien wiben ni keine vrie tochtere ne mogen gewinnen. Des begunde he an ern Gumprechtes tochterkinderen von Alsleuen.“ (cap. 12). 266
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
verliehen wurde.273 Dieses Phänomen ist durchaus nicht ungewöhnlich. Auch von Goslar hat Willhelm Ebel festgestellt, dass „die sogenannten Tochterrechtsstädte das Goslarer Recht schon übernommen hatten, ehe das Stadtrechtsbuch geschrieben worden ist“.274 Wie lang die Existenz eines Schöffenkollegiums in der Stadt zurückreicht, ist kaum zu sagen. Die Schöppenchronik zumindest weist darauf hin, dass in Magdeburg bereits 1215 Gerichtsbücher vorhanden waren.275 Wenn man diesem Hinweis Glauben schenken kann, so hat es also zumindest in gewissem Maße bereits fallgebundene Rechtsaufzeichnungen, vielleicht sogar bereits eine Art von Präjudiziensammlung, gegeben. Überlieferter Grundtext der Magdeburger Rechtsbücher ist das so genannte „(Ältere) Weichbildrecht“, das auch als „Buch der Gerichtsverfassung“276 bezeichnet worden ist.277 Es umfasst zunächst lediglich 27 Artikel und ist wohl zwischen 1257 und 1261 in Magdeburg oder Halle niedergeschrieben worden.278 Rosenstocks Versuch, Werner oder einen anderen Herren von Schartau als Verfasser und eine Entstehung der Weichbildvulgata in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts nachzuweisen,279 ist dagegen auf keine Akzeptanz gestoßen.280 Bereits in diesem älteren Weichbildrecht finden sich Versatzstücke, die auf eine Kenntnis des Sachsenspiegels hindeuten. So enthalten die Artikel 7 bis 12 längliche Ausführungen über den Ursprung der Unfreiheit, die zwar nicht wörtlich Ssp. Ldr. III 42 ent273 Einen Überblick vermittelt Lieberwirth, Magdeburger Recht; vgl. auch ders., Wirkungsgeschichte, S. 72 f. 274 Ebel, Stadtrecht von Goslar, S. 27. Ähnlich verhält es sich beispielsweise auch mit dem Burger Landrecht; vgl. Zimmer, Burger Landrecht, S. 260 f. 275 Janicke, Schöppenchronik, S. 142 – zur Sache vgl. auch Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 14. Zur Magdeburger Schöppenchronik vgl. Keil, Schöppenchronik, sowie Prutz, Schöffenchronik, und Peters, Literatur, S. 235–237. 276 Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 32 – ebd. auch Textabdruck, S. 50–69. 277 Gedruckt bei Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 53–64 (§§ 6–18) (Grundlage: Oppitz Nr. 261 u. a. – vgl. S. 47); Rosenstock, Ostfalens Rechtsliteratur, S. 44–52 (Grundlage: Oppitz Nr. 261 u. a. – vgl. ebd., S. 31, Weichbildchronik nach Oppitz Nr. 1154). Im Übrigen bezeichnet in den Gebieten östlich der Elbe der Begriff „Weichbild“ im Gegensatz zum komplizierten westfälischen Begriffsfeld sehr klar „das Stadtgebiet, den Bezirk einer Stadt, den Bereich ihres besonderen Gerichts“; vgl. Kroeschell, Weichbildrecht, S. 22. 278 Zur Datierung vgl. Schelling, Schöffensprüche, S. 118–120 mit entsprechenden Nachwiesen der älteren Literatur. 279 Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 114: „Ich persönlich meine es auf alle diese Indizien hin wagen zu dürfen und rede Werner von Schartau, oder mindestens einen Herren von Schartau als Verfasser des Weichbildrechts an. Freilich: Magis in studiis homines timor quam fiducia decet.“ 280 Vgl. die Besprechung von Julius von Gierke in der ZRG GA 47 (1913), S. 541–551, hier S. 546 f.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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sprechen, aber doch in vielen Einzelheiten stark daran erinnern. Möglich bleibt aber eine gemeinsame dritte Quelle, aus der beide Rechtsbücher geschöpft haben. Auch sonst lassen sich zahlreiche Parallelen, aber bemerkenswerterweise keine wörtlichen Übereinstimmugen feststellen.281 Wirkmächtiger geworden ist das Weichbildrecht erst in seiner vulgaten Form, in der das „Rechtsbuch von der Gerichtsverfassung“, die Weichbildchronik282 und Magdeburger Schöffenrecht zusammenfließen. Hier finden sich auch eine Reihe eindeutiger Rückgriffe auf den Sachsenspiegel.283 Es ist dieser Text, die „Weichbildvulgata“, der meist gemeint wird, wenn in der Literatur etwas irreführend vom „Weichbildrecht“ die Rede ist. Von seiner Bedeutung legt die reiche Überlieferung (67 Hss. des unglossierten und 21 des glossierten Textes) ebenso beredtes Zeugnis ab wie die zahlreichen frühneuzeitlichen Ausgaben: Allein drei Inkunabeldrucke sind bekannt,284 ferner insgesamt 19 Ausgaben des 16. Jahrhunderts,285 von denen besonders die Zobelsche von 1537, die das Weichbildrecht mit dem Lehnrecht des Sachsenspiegels verband,286 weite Verbreitung gefunden hat. Aus dem 17. Jahrhundert war keine monographische Ausgabe des Weichbildrechts, auch kein Neudruck in den von mir gesichteten Sammlungen nachzuweisen. Erst 1721 hat Ludovici eine Neuausgabe nach dem Zobelschen deutschen und dem lateinischen Text nach Goldast vorgelegt.287 Um die Mitte des 19. Jahrhunderts erschienen dann innerhalb von knapp 40 Jahren vier Ausgaben auf der Grundlage von vier unterschiedlichen Handschriften.288 Trotzdem 281 Diese Parellelen sind nachgewiesen bei Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 50–52. 282 Auf die Chronik („Chronica de tempore creationis mundi“) möchte ich an dieser Stelle nicht näher eingehen; vgl. dazu Weiland, Weichbildchronik, der im Übrigen seitdem der Einzige geblieben ist, der sich in etwas umfänglicherem Maße mit dieser kurzen Universalgeschichte beschäftigt hat. Auch in Bezug auf die Weichbildchronik ist früher Eike als Verfasser vermutet worden; vgl. noch Kinderling, Anmerkungen. In der besprochenen Ausgabe [Meibom, Scriptores, Bd. 3, S. 349–401] war eine lateinische Übersetzung der Weichbildchronik abgedruckt worden. Der deutsche Text findet sich in den frühen Weichbilddrucken (dort zumeist mit dem lateinischen) sowie – allerdings ohne Angabe der handschriftlichen Grundlage – bei Daniels/Gruben, Weichbildrecht, S. 13–52 und in einem kritischen Abdruck bei Rosenstock, Rechtsliteratur, S. 35–43. Vereinzelt findet sich die Weichbildchronik auch ohne (Oppitz Nrn. 304, 601, 1214 und 1352) in der Regel aber in Verbindung mit dem Weichbildrecht überliefert. 283 Walther, Weichbild-Recht, gibt seiner Ausgabe entsprechende Vergleichsstellen bei. 284 Augsburg: Anton Sorg, 1482 (Hain Nr. 13866, GW Nr. 9266); Augsburg: Johann Schönsperger, 1495, 1499 (Hain Nr. 13867 f., GW Nr. 9268 f.). 285 Verzeichnet bei Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 60 f. 286 Kümper, Secundum iura Saxonica, S. 110 f. 287 Ludovici, Sächsisches Weichbild.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
wird man der Feststellung Steffenhagens, dass „[d]urch Laband’s scharffsinnige Untersuchungen in seinen Magdeburger Rechtsquellen [. . .] die Vorgeschichte der Vulgata des Weichbildrechts genügend festgestellt“ sei,289 heute nicht mehr so ohne weiteres zustimmen. Für die Geschichte des Magdeburger Weichbildrechts ist im Gegenteil noch viel Grundlegendes zu leisten. Schon das Fehlen einer modernen, textkritischen Anforderungen genügenden Edition ist, gemessen an der großen Bedeutung des Magdeburger Weichbildrechts und der verglichsweise überschaubaren Überlieferungslage, mehr als erstaunlich. Dass jemals eine solche Edition durch die MGH oder eine ähnliche Gesellschaft geplant worden wäre, ist mir nicht bekannt geworden. Als Textgrundlage dieser Untersuchung dient für die hauptsächlich zu betrachtende „Weichbildvulgata“ zunächst die ältere Ausgabe von Daniels und Gruben, da sie auf den Berliner Codex Ms. germ. fol. 10 (Oppitz Nr. 110) und damit auf dieselbe Handschrift zurückgeht, die auch der Landrechtsausgabe von Homeyer zugrunde liegt. Die Gründe, die für die Homeyersche Edition sprechen, lassen sich weitgehend übertragen. Lediglich im Hinblick auf die Genauigkeit des Textabdruckes ist mit Blick auf die zeitgenössische Kritik an den Ausgaben von Daniels Vorsicht geboten. Ergänzend werden daher auch die Ausgaben von Zobel, Thüngen und Walther herangezogen. Wie der Sachsenspiegel hat auch die Weichbildvulgata eine gelehrte Glossierung erfahren, die in ihrer kürzeren Form in der Edition durch Daniels und Gruben auf der Grundlage einer Berliner Handschrift (Oppitz Nr. 118) zugänglich, handschriftlich aber mit insgesamt 21 bekannten Textzeugen durchaus weit verbreitet ist.290 Der Anschluss an das Renomée der Buchschen Landrechtsglosse dürfte in diesem Zusammenhang keine kleine Rolle gespielt haben. Über die Langform der Glosse wie überhaupt über Textgeschichte und Inhalt des Werkes sind wir nur sehr ungenügend informiert, da sie von der Forschung bislang bestenfalls als Steinbruch genutzt, nicht aber als eigenständiger Rechtstext näher untersucht worden ist. Als ihren 288
Thüngen, Weichbildrecht (Grundlage: Oppitz Nr. 704); Daniels, Wichbelde Recht (Grundlage: Oppitz Nr. 110); Walther, Weichbild-Recht (Grundlage: Oppitz Nr. 625). 289 Steffenhagen, Unbekannte Form, S. 1. 290 Daniels/Gruben, Weichbildrecht. Unter gleichem Titel und in gleicher Schriftenreihe, aber ohne Bandzahl erschien bereits 1857 eine Ausgabe derselben Herausgeber mit deutschem und lateinischem Weichbildrecht ohne Glosse in 136 Artikeln. Der Untertitel der Ausgabe von 1858 führt insofern in die Irre, als das edierte Weichbildrecht in der Tat nicht 36, sondern 135 Artikel beinhaltet. Die Verwirrung löst sich rasch, wenn man von den Titelblättern absieht, denn im Grunde liegt hier eine zweibändige Ausgabe mit dem lateinischen und dem deutschen Text der Weichbildvulgata samt deutscher Glosse vor.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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Verfasser nennt die Glosse selbst einen Burchard von Mangelfelt, vorgeblich „professor theologiae und doctor decretorum unde legum“,291 über den allerdings abseits dessen nichts weiter bekannt ist.292 Die Niederschrift fällt wohl in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, jedenfalls vor 1387; als Abfassungsort kann Magdeburg „als sicher gelten“.293 Die Glosse selbst gibt dagegen eine höchst dramatische Geschichte von der Abfassung,294 derzufolge Kaiser Otto II. selbst Burchard den Auftrag erteilte, den Sachsenspiegel zu „comentisiren, unde bewisen mit legibus unde mit canonibus“, was dieser in „eynem gefencknis“ in der Tat auch getan, darüber hinaus auch die Weichbildvulgata „gesatz mit dem commento“ habe. Von der erwähnten Sachsenspiegelglosse ist nichts bekannt, obschon die ältere Forschung des 17. und 18. Jahrhunderts verschiedentlich noch Burchard als Glossator gehandelt hat.295 Es scheint nicht wahrscheinlich, dass diese zweite Arbeit Burchards verloren ist, vielmehr dass hier die bereits bestehende Buchsche Glossierung dem Glossator des Weichbildrechtes zugeschrieben worden ist. Von den vielfach in die Glosse eingeschobenen Stücken, die die Form von Schöffensprüchen annehmen, hat Buchda überzeugend nachgewiesen, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um tatsächliche Rechtsauskünfte handelt, sie also vielmehr ebenfalls auf den Glossator zurückzuführen sind.296 Die Glosse wie auch die Weichbildvulgata selbst sind wohl noch im 14. Jahrhundert ins Lateinische, der unglossierte Text später auch ins Polnische und Tschechische übersetzt worden.297 Eine weitere Rezeptionsstufe bildete das von seinem Editor Laband so genannte „Magdeburg-Breslauer Systematische Schöffenrecht“.298 Dabei handelt es sich um die Bearbeitung einer unsystematischen, im Auftrag des Breslauer Rates angefertigten Sammlung Magdeburger Sprüche, die die Tendenz ihrer Vorgänger weiterführt, die Charakteristika der ursprünglichen Rechtsmitteilungen abzustreifen und so allgemeinverbindliche, vom Einzelfall entbundene Rechtssätze aufzustellen. Die Sammlung untergliedert sich in fünf Bücher (1. Rats- und Polizeiangelegenheiten; 2. Gerichtsverfassung; 291 Daniels/Gruben, Weichbildglosse, Sp. 228 f. – in den „Notae diversae de auctore speculi Saxonici“ der Handschrift Wolfenbüttel, HAB, Cod. 17.20. Aug. fol., fol. 313r heißt es: „Glosator speculi Saxonum dicebatur Burchardus de Mangelfelt et fuit doctor theologie, dominus legum et doctor decretorum.“ 292 Johanek, Burchard von Mangelfelt; vgl. auch Munzel, Weichbildglosse. 293 Buchda, Glosse, S. 35. 294 Breßler, Schuldknechtschaft, S. 161 weist auf die „interessante Parallele zum Sachsenspiegel“ hin, da ja auch Eike ausweislich der Vorrede den Sachsenspiegel nur widerwillig verdeutscht habe. 295 Gryphiander, De weichbildis, S. 183–186 mit weiterer Literatur. 296 Buchda, Glosse. 297 Johanek, Magdeburger Rechtsbücher. 298 Laband, Systematisches Schöffenrecht.
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3. Strafrechtliches; 4. Eheliches Güter- und Vormundschaftsrecht; 5. Verschiedenes). Bedeutung gewinnt diese Sammlung vor allem als Vorlage für das wichtigste Rechtsbuch Preußens und des Deutschordenslandes, den so genannten „Alten Kulm“, der noch im 14. Jahrhundert entstanden ist und in Teilen Preußens noch bis in das 19. Jahrhundert Geltung beanspruchen konnte.299 2. Grundzüge der geographischen Verbreitung des Magdeburger Rechts Wenn von der Verbreitung des Magdeburger Rechts die Rede ist, kann das ganz unterschiedliche Verbreitungsträger und -formen meinen:300 Zum einen die Bewidmung einer Stadt mit Magdeburger Recht, die über die eigentlich anzuwendenen Rechtsquellen erst einmal nichts aussagt. Solche Bewidmungen finden wir, wie erwähnt, bereits im 12. Jahrhundert.301 Zum anderen kann damit die handschriftliche Verbreitung der Quellen des Magdeburger Rechts, der Weichbildvulgata und der ihr verwandten Texte also, gemeint sein. Drittens schließlich meint es aber auch die (regelmäßige) Einholung von Rechtsmitteilungen vom Magdeburger Schöffenstuhl. Diese kann, muss aber nicht in Verbindung mit einer Bewidmung der anfragenen Ortschaft mit Magdeburger Recht verbunden sein.302 Eine gewisse Rolle hat in der Ausbreitung des Magdeburger Rechts auch Halle zu spielen: Die Weichbildvulgata selbst verweist alle Rechtssuchenden aus Meißen, der Lausitz, Böhmen und Polen an den Hallenser Schöffenstuhl.303 Realiter allerdings hat man sich aus all diesen Gebieten auch und wahrscheinlich sogar vornehmlich an Magdeburg gewandt. Dieses oft etwas unscharf als „Rechtszug“ bezeichnete Verfahren304 jedenfalls und die kaum überschaubare Menge der auf uns gekommenen Magdeburger Schöffensprü299 Den Stand der Kenntnisse und die bisherige Literatur fasst konzise Rogatschewski, Alter Kulm, zusammen. Ferner sollte der Überblick von Ebel, Kulmer Recht, konsultiert werden. Ich ergänze den oft übersehenen Beitrag Schweikart, Recht, der S. 266 f. eine wertvolle Zusammenstellung der Schwabenspiegel-Einschübe im „Alten Kulm“ bietet. 300 Grundlegend zu diesem Problem Weitzel, Rechtsbegriff. 301 Siehe S. 394, Anm. 273 mit entsprechenden Nachweisen. 302 Einen konzisen Überblick vermittelt Schelling, Schöffensprüche. 303 Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 79 f. (cap. 10 § 1). Zur Sache vgl. auch Gaupp, Magdeburgisches und hallisches Recht, S. 102–118. 304 „Rechtszug“ suggeriert an sich eine Form der Schelte, Appellation oder Urteilsläuterung, die wesentliches Charakteristikum eines Oberhofes, nicht aber notwendig des Magdeburger Schöffenstuhls ist; vgl. Weitzel, Rechtszug, und ders., Oberhöfe, S. 4–19 sowie Seelmann, Rechtszug. Mehr zu diesem Problem auch unten, S. 410 ff.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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che haben von jeher das Interesse der Forschung auf sich gezogen. Nachdem die Erforschung dieser Schöffensprüche mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges zum Erliegen gekommen war, hat sich seit Beginn der 1980er um Friedrich Ebel, der sich auch in einer Reihe von grundlegenden Aufsätzen mit Verbreitung und Einfluss des Magdeburger Schöffenkollegiums auseinandergesetzt hat,305 ein großangelegtes Editionsprojekt der Erschließung der erhaltenen Überlieferung verschrieben.306 Bislang sind nur die ersten beiden Bände, die Schöffensprüche für Niedersachsen (Bd. 1) und Breslau (Bd. 2), erschienen. Ausgegangen wird dabei von der Empfängerüberlieferung, denn die Magdeburger Überlieferung ist während der Einnahme der Stadt durch Tillys Truppen im Mai 1631 vollständig verbrannt307. Diesem Umstand schuldet sich wohl auch die Tatsache, dass es ganz im Gegensatz zu vielen anderen deutschen Schöffenstühlen (z. B. Aachen, Wetzlar oder Trier) so gut wie keine personen- oder familiengeschichtlichen Studien zur Geschichte des Magdeburger Kollegiums gibt.308 Die weite geographische Verbreitung Magdeburger Schöffensprüche darf aber nicht losgelöst von der Verbreitung der Weichbildvulgata, der ihr angelagerten Texte und des sächsischen Landrechts gesehen werden. Gerade im östlichen Rezeptionsgebiet werden Sachsenspiegel und Magdeburger Recht oft als eine gemeinsame Rechtsmasse aufgefasst.309 Das wird sehr deutlich, wenn beispielsweise die Glosse zu Ssp. Ldr. II 31 § 2 von „allin Meydeburgischem rechte“ spricht, „daz wir auch der sachsin spigel und ir privilegium heisin“.310 Das Verhältnis von Land- und (Magdeburger) Stadt- bzw. Weichbildrecht wird in den Magdeburger Rechtsquellen und den von ihnen beeinflussten Arbeiten häufig thematisiert.311 So stellt eine Interpolation der Glosse zu Ssp. Ldr. I 42 § 1 fest, dass das Sachsenrecht „den werden scheppfin zcu maygdeburch beuolen ist zcu beschermen von koning Otten, dez grosin koning Ottin soen“.312 Nach einigen weiteren historisierenden Ausführungen fährt der Interpolator fort: „Nu mochstu lichte vragin nach einer gemeinen rede, ab wichbilderecht, daz wir auch vronrecht heisin,313 ein ander recht sy, wen daz gemeine lantrecht. Ich argu305
Ebel, Spruchtätigkeit; ders., Aufzeichnung; ders., Versuch. Ebel, Magdeburger Recht. 307 Ebel, Aktenfaszikel. 308 Das Wenige hat Hertel, Verzeichnis, zusammengetragen. 309 Lieberwirth, Wirkungsgeschichte, S. 80. 310 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 2, S. 723 f. 311 Einiges dazu auch bei Weitzel, Rechtsbegriff, S. 59 f. 312 Dieses und die folgenden Zitate nach Steffenhagen, Landrechtsglosse, Abh. 1, S. 18–20. 313 Vgl. dazu Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 222: „Ouch heist dis fronerecht; daz bedeutet sich: das heilige recht; wenne frone heist nach dem alden sechs306
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
wire zcu dem irstin vnd will auch probiren, daz vronrecht sy alz ein gemeine lantrecht. wen alle seczungen dez vronrechtis vnd vrteil haben iren vrspring vnd wisin in daz lantrecht. wisit iz denne in daz lantrecht, so ist auch vronrecht lantrecht. Czu dem anderen male daz priuilegium, dat lantrechte genant ist, Daz ist gegebin dem lande, vnd da keinz vzgenomen ist, wider stat noch burgh noch trof, vnd ist iz denne dem lande gegebin vnd keinz uzgenomen, so ist iz auch den steteren gebin. In oppositum: hywider spreche ich vnd arguwire alsus: lantrecht treyt mit wichbilderechte nicht ubirein. wen weren sye eintrechtig, so hette koning Otte keyne seczunge bedorft, dy er gesatzte.“
Es folgen längliche Ausführungen über den dreifachen Ursprung des Rechts (ius naturali, gentium und civile), die an die Ursprungssage des sächsischen Rechts als karolingisches Privileg anknüpfen. Die Argumentation wird wie folgt beschlossen: „Darnach do wolden auch dy vryen lute alzo kouflute wissen, an welchim rechte sy bestehen sulden. do wizete sy der koning mit der Romer rate an dy schifrichin waszer vnd bestetigite sy in dem rechte, alz erz tegelichin in syme hofe hilt, vnd zcoch dez eime koufmanne sinen rechtin hantschuch von siner hant, dar wart ein vrede ubir geworcht. also hat wicbilderecht sine sache. Ad formam. Nu saltu wissin, daz wikbilderecht ein sunderliche wize hat. alleine richtit man nach allir vzwisunge des lantrechten, daz macht ir wilkur, den man getut in einer iclichir stat. zcu dem anderen spreche ich: alz da stet, daz dzi priuilegium dem lande gebin ist, vnd keinz vzgenomen ist, daz ist war. doch so mag man wol eine wilkur tuen, dy wider ein beschrebin recht nicht sye.“
Diese Glosseninterpolation gibt uns sehr gebündelt bemerkenswerte Einsichten in die zeitgenössische Aufassung von der Herkunft des Magdeburger Rechts und seinem Verhältnis zum Sachsenspiegel. Im Verbund mit dem Sachsenspiegel haben die magdeburgischen Rechtsbücher nicht nur die mittelalterliche, sondern auch die neuzeitliche bis hin zur modernen Rechtsentwicklung in Mittel- und Osteuropa nachhaltig beeinflusst.314 Um die Erforschung dieses großen Verbreitungsgebietes haben sich neben Gertrud Schubart-Fikentscher315 vor allem Rolf Lieberwirth316 sischem rechte alzo vil alz heillich; und fronerecht heist alzo vil alz Gotisrecht; wen Gotisrecht ist unvornemlich, und ist anders nicht zu vornemen wenn: zu dem gemeinen gute ist fronerecht angesazt oder usgesazt also, daz dorynne keiner sinen eigin fromen suchen sal sunerlichin. Daz recht sal gemeine sein eyme alz dem anderen, unde darumme spricht Plato: die stat ist ordenlichin unde redelichin uzgesazt, do keiner begert sinen sunderlichin genuz, ut D. VIII. Pars. I. Grat. Differt autem jus naturale.“ 314 In diesem Sinne auch Ebel/Schelling, Bedeutung. 315 Schubart-Fikentscher, Die Verbreitung, S. 57–379 (Magdeburger Rechtskreis). Wenn Weitzel, Rechtsbegriff, S. 63 bemerkt, diese Arbeit könne eher als „ein zusammenfassender, umfänglicher Überblick, denn als Ergebnis eigener Forschung bezeichnet werden“, so ist das einerseits zutreffend, schmälert andererseits aber nicht
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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und Heiner Lück317 mit einschlägigen Arbeiten verdient gemacht, die alle drei jeweils einander auf den Hallenser Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte folgten. Das ist für die jüngste Forschungsgeschichte, wie wir gegen Ende unserer kurzen Wirkungs- und Literaturgeschichte gesehen haben, nicht unbedeutend, wird man doch vor allem für die letzten drei Dekaden von gewissen universitären Zentren der Sachsenspiegel- oder auch ganz allgemein der Rechtsbücherforschung sprechen können. In jüngster Zeit hat sich dann mit dem Ebelschen Editionsprojekt in Berlin, der im April 2004 konstituierten Magdeburger „Forschungsstelle Magdeburger Recht“ und dem bereits zuvor erwähnten Leipziger Akademieprojekt ein dichtes Netzwerk herausgebildet,318 das trotz des ungewissen Fortgangs der Editionsarbeiten in Berlin in naher Zukunft maßgebliche neue Erkenntnisse für die Verbreitung und Wirkung des Magdeburger Rechts erwarten lässt. Im Folgenden sollen die Schwerpunkte dieses Verbreitungsgebietes anhand der einschlägigen Literatur in gebotener Kürze umrissen werden. a) Schlesien und Polen Seit dem 13. Jahrhundert breitet sich in Schlesien das sächsisch-magdeburgische Recht aus; eine besondere Rolle nimmt dabei Breslau ein, das spätestens bei der Neugründung nach dem Mongoleneinfall von 1241 mit Magdeburger Recht bewidmet worden war.319 1261 erfolgte die berühmte Rechtsmitteilung der Magdeburger Schöffen an Breslau, in die nicht nur eine Reihe von Sachsenspiegelexzerpten eingearbeitet, sondern die wohl auch von einem vollständigen Exemplar des Rechtsbuches begleitet wurde.320 Noch vor der Jahrhundertwende folgen weitere wichtige Rechtsmitteilungen.321 Im 14. Jahrhundert finden sich dann eine ganze Reihe von Verleihungen an wichtige schlesische Städte wie Namslau (1359), Strelitz (1362) oder (Ober-)Glogau (1372).322 Eine besondere Position nimmt ferdie angesichts des Fehlens neuerer Werke dieser Art immer noch zentrale Bedeutung dieser Studie. 316 Lieberwirth, Osteuropäischer Rechtsordnungen; ders., Wirkungsgeschichte. 317 Lück, Verbreitung; ders., Wirkungen, und zuletzt noch ders., Kulturelles Bindeglied. 318 Wieland, Rechts- und Sprachtransfer, S. 55 f. 319 Dazu besonders Ebel, Rechtsliteratur, und Menzel, Stadt und Land; Weizsäcker, Deutsches Recht. Wichtige Bewidmungen des 13. Jahrhunderts gingen 1211 an Goldberg, 1235 an Neumarkt und 1263 an Glogau. 320 Lück, Verbreitung, S. 42. 321 Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 14–31. 322 Die entsprechenden Urkunden sind gedruckt bei Gaupp, Magdeburgisches und hallisches Recht, S. 336–350.
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ner das 1266 mit Magdeburg-Breslauer Recht bewidmete Liegnitz ein.323 Dort wirkte auch der bereits mehrfach erwähnte Nikolaus Wurm, der mit einer Reihe von Arbeiten zum sächsisch-magdeburgischen Recht hervorgetreten ist.324 Von Schlesien dürfte die Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts in den anderen polnischen Herzogtümern ausgegangen sein.325 Die handschriftliche Überlieferung lässt vermuten, dass zunächst Kleinpolen als ein Zentrum der Verbreitung des deutschen Rechts, zumindest aber des Sachsenspiegels, gelten kann.326 Vermutlich wird man diesen Befund auch auf das Magdeburger Recht ausdehnen können. Krystyna Kamin´ska hat in ihrer Thorner Dissertation über die Verleihungen Magdeburger Rechts in Polen bis zum Ende der Piastendynastie (1370) insgesamt 224 Bewidmungen von insgesamt 254 Städten nachweisen können.327 Die Verleihung an Stettin 1244 ist anlässlich des 750jährigen Jubiläums der Stadtrechtsverleihung wieder aufgegriffen worden.328 Ähnliches ist jetzt für Krakau zu erwarten, wo die Festlichkeiten im Sommer 2007 beginnen und eine große Ausstellung über das Magdeburger Recht geplant ist.329 Krakau war bereits bei der Neugründung 1257 als erste kleinpolnische Stadt mit MagdeburgBreslauer Recht bewidmet worden; im großpolnischen Posen wurde das Magdeburger Recht 1253 eingeführt.330 Die Spruchtätigkeit der Schöffen 323 Goerlitz, Magdeburger Recht in Liegnitz. Über die Rechtsaufzeichnungen im Umfeld der Liegnitzer Schöffen hat in den vergangenen Jahren aus sprachgeschichtlicher Perspektive Piirainen, Die Schöffenbücher von Legnica; ders., Stadtbuch von Legnica, gearbeitet. In einer bei Gaupp, Magdeburgisches und hallisches Recht, S. 337 f. gedruckten Urkunde aus dem Jahre 1302 verpflichtet sich Liegnitz, das von Breslau erhaltene Magdeburger Recht an keine andere Stadt weiterzugeben und ihrerseits sich in allen zweifelhaften Rechtsfällen nach Breslau zu wenden. 324 Über ihn siehe unten, S. 421 ff. 325 Zur Verbreitung in Polen vgl. neben den genannten Überblickswerken auch Krause, Forschungen; Matuszewski, Aufnahme; Mass, Orte; Kuhn, Stadtgründungen (mit umfangreichen Nachweisen bis ins 17. Jahrhundert und Kartierung). Kuhn geht vor allem der Frage nach, wer die jeweiligen Ortschaften gründet und bewidmet. 326 Nowak, Verbreitung, S. 325. 327 Kamin´ska, Lokacje, mit einer chronologischen Aufstellung einschließlich (Druck-)Nachweis der jeweiligen Verleihungen im Anhang (Zestawienie 1) sowie einem Diagramm der Verleihungszusammenhänge. 328 Wlodarczyk, Naukowy aspekt. 329 Begleitende Veröffentlichungen stehen m. W. noch aus. 330 Text im Gasiorowski/Jasinski, Codex diplomaticus, Bd. 1, S. 285 (Nr. 321) – vgl. dort auch das das Privileg Przemysls II. von 1284, S. 505 (Nr. 546) – sowie bei Kötzschke, Quellen, S. 131 (Nr. 82) – Übersetzung bei Tzschoppe/Stenzel, Urkundensammlung, S. 105. Paralleltext bei Freise, Gründungsurkunde, der auch die Urkunde eingehend bespricht. Vgl. ferner Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 310–312. Die 1308 in Krakau angelegte Sachsenspiegel-Handschrift haben
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auf der Burg zu Krakau als Oberhof für die kleinpolnischen Städte deutschen Rechts haben Karin Nehlsen-von Stryk und Ludwig Lysiak in einer zweibändigen Edition dokumentiert331 und Margret Obladen in ihrer bereits weiter oben besprochenen Dissertation mit Blick auf die güterrechtliche Absicherung der Frau ausführlich untersucht. Für Posen stehen entsprechende Projekte noch aus. Ob die Stadt tatsächlich, wie man aus § 8 des Stadtrechtsprivilegs herauszulesen versucht hat,332 als Oberhof für die großpolnischen Städte deutschen Rechts fungiert hat,333 hat bereits SchubartFikentscher mangels einschlägiger Nachweise nicht entscheiden wollen.334 Es bleibt ein nicht zu unterschätzendes Argument, dass keine konkreten Zeugnisse Posener Oberhoftätigkeit auf uns gekommen sind, wohl aber Posen selbst sich Rechtsauskünfte aus Magdeburg einholte.335 Einige Bedeutung für die Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechtes in Polen hat schließlich das Posener Rechtsbuch erlangt, um dessen Herausgabe sich Witold Maisel verdient gemacht hat.336 Wenige Jahre nach Wiedervereinigung des Königreichs Polen untersagte Kasimir der Große 1365 den Rechtszug nach Magdeburg und führte stattdessen ein Appellationsgericht.337 Zu dieser Zeit war das sächsisch-magdeburgische Recht bereits fest im polnischen Rechtsleben verankert. Die 1505/06 von Łaski besorgte, offizielle Übersetzung des Sachsenspiegels als Piirainen/Waßer: Sachsenspiegel, ediert und mehrfach besprochen; vgl. zu dieser auch Hüpper, Auftraggeber, S. 70–72. 331 Lysiak/Nehlsen-von Stryk, Decreta – vgl. dazu die Besprechung von Friedrich Ebel in der ZRG GA 114 (1997), S. 539 f. (Bd. 1) und 116 (1999), S. 571 f. (zu Bd. 2). Einen guten Einblick gewährt Nehlsen-von Stryk, Spruchtätigkeit. 332 Friese, Gründungsurkunde, S. 94 f.: „Et cives prenominate civitatis ius secundum formam Maydburgensis civitatis [. . .] ex nostra donacione perpetue gaudeant possidere, ea ratione mediante ut [n]ullus Theutonicus in districtu dominii nostri constitutus, ipsa iura, vilipendendo, preter iam dictam civitatem alias requirere non presumat.“ 333 So bereits Friese, Gründungsurkunde, S. 93 (dort auch die einschlägige ältere Literatur) und jüngst mit etwas irreführendem Verweis auf Schubart-Fikentscher noch Lück, Verbreitung, S. 42. 334 Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 311. 335 Estubichr, Nieznane teksty ortyli magdeburskich. 336 Maisel, Poznanska Kniega Prawa – vgl. dazu auch die Besprechung von Hans Schlosser im DA 20 (1964), S. 595. Zur Sache vgl. besonders Goerlitz, und Maisel, Quellen. 337 Die ältere Meinung, die diesen Akt in das Jahr 1356 verlegen wollte, hat überzeugend Roepell, Verbreitung, S. 286 widerlegt. An der Datierung 1356 hält Lück, Verbreitung, S. 42 weiterhin fest. Über die Judikatur der Krakauer Obergerichte in Streitsachen um städtische Liegenschaft im 16. bis 18. Jahrhundert hat Bukowska, Orzecznictwo, gehandelt. Sie stellt (S. 7 ff.) eine fortgesetzte Rezeption des Sachsenspiegels und seiner Glossen in den polnischen Obergerichten fest.
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„Commune inclyti Polonie Regnis privilegium constitutionum et indultuum publicitus decretorum“ zeigt diese Verankerung besonders deutlich.338 Daneben existierten aber noch zahlreiche lokale, regionale und Standesrechte. So musste es beinahe zwangsläufig durch das 15. und 16. Jahrhundert hindurch zu Kollisionen unterschiedlicher Rechtsbereiche und Rechtsaufzeichnungen kommen. Als erster polnischer Autor hat sich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Jan Jelonek („Tucholiensis“, † 1557?) mit den unterschiedlichen polnischen Stadtrechten und ihrem Verhältnis zum Sachsenrecht auseinandergesetzt.339 Über die weitere Auseinandersetzung unter den Zeitgenossen sind wir durch einen Tagungsbeitrag von Lesław Pauli gut informiert.340 Die Unterbindung des Rechtszuges nach Magdeburg ging auch keineswegs mit einer Diskreditierung des Magdeburger Rechts einher. Vielmehr finden sich noch zahlreiche Erneuerungen der alten Bewidmungen im 16. und 17. Jahrhundert.341 Erst im 18. Jahrhundert wuchs, ebenso wie in den sächsischen Kernlanden, ein gewisses Problembewusstsein für die Schwächen des sächsischen Rechts, vor allem in Fragen der von immer breiteren Gesellschaftsschichten als veralterte empfundenen Sondervermögen.342 b) Preußen und das Deutschordensland Für die Geschichte des sächsischen-magdeburgischen Rechts in Preußen und im Deutschordensland liegt mit Steffenhagens Übersicht der mittelalterlichen deutschen Rechtsquellen ein noch immer wertvolles Hilfsmittel vor,343 das in jüngerer Zeit durch die Dissertation von Ralf G. Päsler in vieler Hinsicht ergänzt und aktualisiert worden ist.344 Diese Geschichte beginnt mit der Kulmer Handfest des Hochmeisters Hermann von Salz aus dem Jahr 1233.345 Die empfangenden Städte Kulm und Thorn entwickelten sich als Oberhöfe deutschen Rechts zu den vornehmlichen Trägern der Rezeption 338
Siehe oben, S. 164 f. Vgl. dazu die eingehende Analyse von Bojarski, Speculum Saxonum. 340 Pauli, Polnische Literatur; zur gemeinrechtlichen Literatur der Zeit vgl. ders., Letteratura giuridica. 341 Roepell, Verbreitung, S. 254 f. 342 Siehe dazu unten, S. 519 ff. Die fortgeltende Bedeutung des Sachsenspiegels im Polen des 18. Jahrhunderts zeigt ein Gesetz von 1768, über das eingehender Matuszewski, Angebliche Aufnahme, gehandelt hat. Zu den polnischen Kodifikationsbestrebungen seit dem 16. Jahrhundert vgl. Kern, Polnisches Recht. Dieser Beitrag ist vor allem für die Geschichte des Kulmischen Rechts interessant. 343 Steffenhagen, Rechtsquellen. 344 Päsler, Sachliteratur. 345 Dazu eingehend Kisch, Kulmer Handfeste. Dort auch Textabdruck. Die neueste Edition bei Zielinska-Melkowska, Przywilej chelminski. 339
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und Fortbildung der sächsisch-magdeburgischen Quellen.346 Vor allem von Kulm aus wurden viele Ortschaften und Dörfer Masowiens347 und Podlachiens348 mit Magdeburger Recht ausgestattet. Als herausragendster Rezeptionsträger muss aber der so genannte „Alte Kulm“ angesehen werden.349 In den preußischen Städten entstanden darüber hinaus eine Reihe wichtiger und weit verbreiteter Arbeiten über das sächsisch-magdeburgische Recht die selbst wieder in gewisser Weise den Charakter eines Rechtsbuches annehmen, darunter vor allem die Magdeburger Fragen350 und die IX Bücher Magdeburger Rechts.351 Ein wichtiges Zeugnis für den Einfluss des sächsischen Rechts auf die lokale Gerichtspraxis des 15. Jahrhunderts stellt das Danziger Schöffenbuch dar.352 Auch in der landesherrlichen Landrechtskodifikation für das Herzogtum Preußen aus dem Jahre 1620 finden sich neben Quellen des römischen und des Reichsrechts noch zahlreiche Verweise auf das sächsische Landrecht.353 c) Ukraine,354 Litauen und Belorussland 355 Bis 1654 ist die Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in der Ukraine auch eine polnisch-littauische. Wichtige Entwicklungen, wie bei346
Vgl. Lück, Verbreitung, S. 46 f. Borkienwicz-Celinska, Prawa chelminskiego. 348 Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 256 f. 349 Vgl. S. 398, Anm. 299. 350 Siehe unten, S. 419 f. 351 Unten, S. 420 f. 352 Toeppen, Danziger Schöffenbuch. Zur Geschichte des sächsisch-magdeburgischen Rechts in Danzig wären auch die in den ders., Scriptores, Bd. 4, S. 343–346 gedruckte Schöffenordnung („Ordinancie der herren scheppen“) und Simson, Geschichte, mit dem Textabdruck auf S. 25–65 sowie Günther, Gottfried Lengnich, zu vergleichen. 353 Eingehend dazu Litewski, Landrecht, passim, bes. aber Bd. 1, S. 5–17. 354 Halban, Geschichte; Jakowliv, Deutsches Recht; Lück, Magdeburger Recht in der Ukraine. Über die Geschichte des Magdeburger Rechts in der Ukraine im 14. bis 19. Jahrhundert arbeitet seit einigen Jahren auch Dr. Mykola Kobyletsky (Lemberg/L’viv) – entsprechende Publikationen stehen m. W. noch aus. Es war mir auch nicht in Erfahrung zu bringen, wie weit das bereits seit längerem angekündigte Editionsprojekt der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften gediehen ist, in Zuge dessen die Mehrzahl der auf sächsisch-magdeburgischem Recht beruhenden ukrainischen Rechtsquellen erschlossen werden soll. Zur Geschichte des Magdeburger Rechts in der Ukraine im 16. und 17. Jahrhundert liegt die leider nicht übersetzte Studie von Hoško, Narysy z istoriji, vor; vgl. dazu auch die Besprechung von Inge Bily in der ZRG GA 125 (2008). 355 Karpavicˇiene, Frage; dies., Sächsisch-magdeburgisches Recht. Dies., Magdeburgo, konnte am Beispiel eines Erbrechtsfalles aus Vilnius zeigen, wie sich das 347
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spielsweise die offizielle Sachsenspiegel-Ausgabe von Łaski oder deren Bearbeitungen, vor allem diejengie von Groicki,356 spielen damit auch für die Ukraine eine wichtige Rolle. In die Zeit zwischen der Mitte des 15. und der Mitte des 16. Jahhrunderts fallen zahlreiche Bewidmungen ukrainischer Städte mit Magdeburger Recht, so etwa Kremenez (1442), Tortschin (1450), Kiew (1494/97), Kwasow (1513) oder Olyka (1564).357 Seit 1444 stand den Ortschaften deutschen Rechts in Galizien und Podolien, die der polnischen Krone unterstanden, das Obergericht in Lemberg für den Rechtszug zur Verfügung.358 Als Städte Magdeburger Rechts im heutigen Littauen sind Wilna (1387), Brest-Litowsk (1390), Kowno (1391?) und Grodno (1391)359 bezeugt. Vermittels der mit hamburgischem Recht bewidmenten Städte Riga, Reval und Hapsal entfaltete der Sachsenspiegel auch auf diesem Wege mittelbar seinen Einfluss.360 Über Litauen gelangte das Magdeburger Recht auch nach Belorussland; Spuren davon lassen sich vor allem in der Stadtverfassung von Minsk aus dem Jahre 1496 finden.361 Auch nach der Loslösung der Ukraine von Polen 1654 behielt das sächsische Recht seinen Status.362 1721 wurde eine Sammlung und Übersetzung einschlägiger Rechtsquellen, des Litauischen Statuts von 1614, des (lateinischen) Sachsenspiegels und der Bearbeitungen von Groicki, fertiggestellt, die 1730 zum allgemeinen Gerichtsbrauch befohlen wurde.363 Später erhielt diese Sammlung den Namen „Prawa Malorossiskije s knig Statuta, Saxona i Porjadka wypisannyi“ („Kleinrussische Rechte, herausgeschrieben aus den Büchern Statut, Saxon und Ordnung“). Bereits in den Jahren zwischen 1732 Rechtsinstitut der Gerade erst im frühen 16. Jahrhundert in Litauen durchsetzt – einer Zeit also, in der es in den sächsischen Kernlanden bereits erster Einschränkungserscheinungen unterlag. Karpavicˇiene weist allerdings nach, dass die Gerade nicht durchgängig als festes Institut der lettischen Rechtspraxis rezipiert, sondern nur dort angewandt wurde, wo es nicht gegen den bisherigen Rechtsbrauch stand. Aus der älteren Literatur sei noch auf Jurginis, Sudba magdeburgskogo prawa, hingewiesen. Zum sächsisch-magdeburgischen Recht in Belorussland und im Großfürstentum Litauen vgl. Keller, Geschichte. Vgl. schließlich auch Rogatschewski, Magdeburger Recht. 356 Als „Porjadok praw ziwilnich magdeburskich“ („Ordnung der Magdeburger Zivilrechte“) bzw. „Prawo ziwilnoje Chelminskoje“ („Kulmer Zivilrecht“); vgl. Lück, Verbreitung, S. 44 f. 357 Lück, Magdeburger Recht in der Ukraine, mit Einzelnachweisen. 358 Brünneck, Armenier. 359 Lück, Verbreitung, S. 43. 360 Siehe oben, S. 228 f. sowie Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 399–403. 361 Schubart-Fikentscher, Verbreitung, S. 318. Zum sächsisch-magdeburgischen Recht in Russland vgl. auch Casso, Essende Pfänder. 362 Zum Folgenden eingehend Jakowliv, Deutsches Recht, und Lück, Magdeburger Recht in der Ukraine, S. 124–126. 363 Lück, Verbreitung, S. 45.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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und 1753 wurde eine zweite Sammlung unter dem Titel „Kniga Serzalo Saksonow ili prawo saksonskoje i magdeburgskoje“ („Buch Spiegel der Sachsen oder sächsisches und magdeburgisches Recht“) angefertigt, die neben der Sachsenspiegelausgabe von Jaskier die beiden zivilrechtlichen Werke Groickis beinhaltete. Eine ausschließlich auf diese und verwandte Werke gestützte Sammlung erschien schließlich unter dem Titel „Kniga Projadok praw grashdanskich“ („Das Buch Ordnung der Zivilrechte“). Alle diese Sammlungen stehen in engem Zusammenhang zu den Kodifikationsbestrebungen, die seit den späten 1720er Jahren in der Ukraine betrieben wurden und 1743 in einem ersten umfassenden Kodifikationsentwurf mündeten. Dieser Entwurf ist vom Zaren nicht bestätigt worden, aber in zahlreichen Abschriften verbreitet. Noch das kleinrussische Recht von 1807 („Sobranie Malorossijskich praw“) enthält neben einer Vielzahl von Verweisen auf Kulmer und Magdeburger Recht über 450 Allegate aus dem Sachsenspiegel.364 Wir können also in der Ukraine eine sogar noch sehr viel unmittelbarere und längerfristigere Wirkung des Sachsenspiegels als in den vom Magdeburger Schöffenrecht durchdrungenen Gebieten feststellen. Erst mit der Einführung des „Svod sakonov“ als allgemeine, gesamtrussische Gesetzesgrundlage im Jahre 1835 hat dieser Einfluss in der Ukraine aufgehört.365 d) Böhmen, Mähren, Slowakei,366 Rumänien367 und Ungarn368 Böhmen und Mähren gehören vor allem im Norden zu den bereits früh sehr dichten Verbreitungsgebieten des Magdeburger Rechts. Von dessen großer Bedeutung zeugen auch die zahlreichen Sammlungen von Magdeburger Schöffensprüchen, teils in alttschechischen Übersetzungen, denen sich besonders Wilhelm Weizsäcker in mehreren Veröffentlichungen gewidmet hat.369 Seinen groß angelegten Plan einer Edition sämtlicher für diese 364 Lück, Magdeburger Recht in der Ukraine, S. 125. Aus dieser Zeit stammt auch das Denkmal des Magdeburger Rechts in Kiew, das die Stadt zur Feier der Bestätigung ihrer „alten Rechte“ im Jahre 1802 zu errichten begonnen hatte; vgl. dazu Lück, Denkmal. 365 Lieberwirth, Rechtsordnungen, S. 31. 366 Siehe auch unten, S. 472 ff. 367 Zuletzt von kunsthistorischer Seite auch Agrigoroaei/Gruia, Depiction. 368 Vgl. dazu den Überblick bei El Beheiri, Einfluß, sowie Lück, Verbreitung, S. 45 f. und ders., Rezeption. Einiges zur Sache schließlich auch bei bei Krones, Geschichts- und Rechtsquellen. 369 Neben den bisher genannten noch Weizsäcker, Sammlungen; ders., Schöffenspruchsammlung; ders., Deutsches Recht.
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Gebiete ergangenen Magdeburger Schöffensprüche aber konnte er nicht vollenden; das gesammelte Material muss zum allergrößten Teil als Kriegsverlust gelten. Leitmeritz hatte wohl noch im 13. Jahrhundert Magdeburger Recht erhalten und entwickelte sich im 14. Jahrhundert zu einem Oberhof für die böhmischen Ortschaften Magdeburger Rechts;370 diese Funktion nahm auch Breslau wahr.371 Für Mähren nahm Olmütz, wo über hundert Ortschaften ihr Recht holten, eine ähnliche Stellung ein. 1352 wurden die mährischen Städte per Privileg dazu verpflichtet, ihre Rechtsauskünfte ausschließlich aus Olmütz zu holen.372 Noch aus den Jahren unmittelbar nach der Gründung eines gemeinsamen Appellationsgerichtshofes für Böhmen und Mähren in Prag durch Ferdinand I. (1548) ist uns aus Olmütz eine Gerichtsordnung überliefert, die merkbare Züge sächsisch-magdeburgischen Rechts enthält.373 Die Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts in der Slowkai beginnt in der Zips.374 Die älteste, uns überlieferte Aufzeichnung deutschen Rechts ist die so genannte „Zipser Willkür“ aus dem Jahre 1370,375 die auch eine Reihe von Sachsenspiegel-Artikeln mehr oder minder wortgetreu in sich aufnimmt.376 Über das Rechtsbuch der nordslowakischen Stadt Sillein wird weiter unten noch ausführlicher zu berichten sein.377 Schließlich lässt sich auch eine gewisse Verbreitung der Schriften des Bartolomäus Groicki feststellen,378 die ein Übriges zur Kenntnis des sächsisch-magdeburgischen Rechts in der Slowakei beigetragen haben dürften. Im 14. und 15. Jahrhundert gehörte Sillein ebenso wie die Zips zum Königreich Ungarn. Auf dem Gebiet des heutigen Ungarn beginnt die greifbare Rezeption des sächsisch-magdeburgischen Rechts dagegen mit dem zwischen 1403 und 1439 entstandenen Stadtrechtsbuch von Ofen (Buda), das sich ausweislich der eigenen Vorrede in „etlichen dingen oder stugken“ 370 Eingehend dazu Peterka/Weizsäcker, Beiträge, und Weizsäcker, Leitmeritz; vgl. ferner ders., Schöffensprüche für Leitmeritz. Eine Leitmeritzer Stadtrechtsaufzeichnung sächsisch-magdeburgischer hat Bernt, Stadtrecht, bekannt gemacht. 371 Weizsäcker, Breslau als Oberhof. 372 Lück, Verbreitung, S. 53. 373 Finschel, Gerichtsordnung – vgl. dazu auch Spácilová, Vokabular. 374 Jüngst noch zusammenfassend Blazovich, Sachsenspiegel; vgl. ferner Papsonová, Deutsches Recht. Zu einem Zipser Rechtsbuch des 17. Jahrhunderts siehe auch oben, S. 186 f. 375 Piirainen/Papsonova, Recht der Sips – zur Sache vgl. auch Szabó, Sachsen in Ungarn, S. 105–107. 376 Im Einzelnen die Art. 2, 6, 7, 9, 12, 13, 15, 17, 29, 38, 42, 51, 53 und 64 bis 66. Diese Artikel gehören alle bereits zum Grundbestand der Willkür, die zunächst 1516 um einen, 1599 und 1666 dann um weitere 21 Artikel erweitert wurde. 377 Siehe unten, S. 474 ff. 378 Klein-Bruckschwaiger, Ergebnisse, S. 217 f.
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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nach „Maidpurgerischem rechten“ orientiert.379 Wörtliche Übereinstimmungen lassen sich aber nicht mit der Weichbildvulgata, sondern mit dem sächsischen Landrecht finden.380 Wir haben damit eines von vielen Beispielen vor uns, das die enge Verbindung des sächsischen mit dem Magdeburger Recht bereits in der Wahrnehmung der Zeitgenossen aufzeigt. Magdeburger Recht ist aber offenbar dennoch verarbeitet worden, ebenso vermutlich der Schwabenspiegel. Weitere Quellen sind das Iglauer und das Wiener Recht,381 die Goldbulle Belas IV. sowie eine Reihe königlicher Privilegien. Das Rechtsbuch hat wesentlichen Einfluss auf die ungarischen Obergerichte (so genannte Tavernikalgerichte) und damit auf das Rechtsleben der großen königlichen Freistädte ausgeübt.382 In der ungarischsprachigen Forschung hat sich in den letzten Jahren das Interesse für die Geschichte des deutschen Rechts in Ungarn wieder verstärkt, von dem nicht nur die ungarische Übersetzung des Ofener Stadtrechtsbuches,383 sondern jüngst auch des Sachsenspiegels zeugt.384 Über die spätmittelalterliche Stadtrechtsentwicklung sind wir durch die Frankfurter Dissertation von Katalin Gönczi auch in deutscher Sprache sehr eingehend informiert. Dem Einfluss der deutschen Landund Lehnrechtsbücher widmet die Verfasserin dabei zwar ein eigenes Kapitel, bleibt in ihren Ausführungen über den konkreten Umfang dieses Einflusses aber ausgesprochen vage.385 Der Feststellung, „die im Ofener Stadtrechtsbuch und in den deutschen Rechtsbüchern parallelen Strukturen, wodurch letztere auf Themenwahl, Gedankengang und Stil einwirken konnten“, seien „[v]iel einflußreicher als die [. . .] festgestellten Überein379 Mollay, Ofner Stadtrecht. Zur Datierung vgl. ebd., S. 23 f. und Gönczi, Ungarisches Stadtrecht, S. 83; vgl. auch die Besprechung von Mollays Edition durch Hans Lentze in der ZRG GA 77 (1960), S. 447 f., der sich der eingegrenzten Datierung anschließt. 380 Einen akribischen Textvergleich hat in ihrer Preisschrift Relkovics, Buda város jogkönyve, unternommen. Im Einzelnen finden sich wörtliche Übernahmen aus dem Sachsenspiegel in Art. 162 (= Ssp. Ldr. I 6 § 1), 164 (= Ssp. Ldr. II 49 § 2) und 374 (= Ssp. Ldr. III 3) des Ofener Rechtsbuches. Dass der Sachsenspiegel, wie Relkovics S. 27 behauptet, geradezu Grundlage des Ofener Rechts gewesen sein soll, erhellt sich aus diesen spärlichen Übernahmen und den zwar etwas zahlreicheren inhaltlichen Parallelen m. E. nicht. 381 Weizsäcker, Wien und Brünn. 382 Eingehend dazu Mertanová, Ius Tavernicale. Das Tavernikalrecht ist ediert von Kovachich, Codex. Zur Königsgesetzgebung in Ungarn vgl. Mezey, Gesetzesrecht. 383 Blazovich, Buda város jogkönyve. 384 Blazovich, A Szász tükör. Wertvoll für den deutschen Leser ist die dem Band beigefügte deutschsprachige Zusammenfassung der Einleitung, in der u. a. auch Wesentliches zum Recht der Zipser Sachsen auf neuestem Forschungsstand bündig zusammengefasst wird. Wichtige Textpassagen aus Zipser Willkür und Sachsenspiegel werden zweispaltig nebeneinander gesetzt. 385 Gönczi, Ungarisches Stadtrecht; vgl. ferner Schödl, Städtewesen.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
stimmungen“ zwischen Sachsenspiegel und Stadtrechtsbuch,386 kann ich nicht zustimmen. Denn gerade die Komposition und der Stil, mithin die gesamte Anlage des Ofener Rechtsbuches lassen den geschulten Juristen erkennen als den man den anonymen Verfasser (vielleicht der spätere Stadtrichter Johannes Siebenlindner) annimmt.387 Eine Sonderform des sächsischen Rechts, das so genannte „Eigen-Landrecht“, hat sich schließlich bis in das 19. Jahrhundert bei den Siebenbürger Sachsen erhalten.388 Dort hat allerdings auch der Schwabenspiegel eine gewisse Rolle für das Rechtsleben gespielt.389 Die komplizierte Rechtsgeschichte der „Universitas Saxonum in Transsilvania“ bedürfte in ihrem Verhältnis zu den Quellen des mittelalterlichen Sachsenrechts sicher noch einiger eingehenderer Untersuchungen. 3. Magdeburg als Spruchgremium – ein Aufriss Während die Bewidmungen mit Magdeburger Recht vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausführlich bearbeitet worden sind und die Spruchpraxis des Magdeburger Stuhls für einzelne Städte oder in einzelnen Rechtsgebieten auch in jüngerer Zeit, vor allem im Umfeld des Ebelschen Editionsprojektes, noch einige Beachtung gefunden hat, fallen die wenigen umfassenderen Charakterisierungen seiner Geschichte und seines Wirkens, wie die von Weitzel390 und Ebel,391 auffallend knapp aus. Als umfassendste Grundlage der Institutionengeschichte muss daher noch immer der Beitrag über „Sachsenrecht und Schöffenstuhl“ von Zacke aus dem Jahre 1881 gelten,392 während der Spruchpraxis des 14. und 15. Jahrhundert Böhlau einige materialreiche Beobachtungen gewidmet hat.393 Der konzise Überblicksbeitrag von Lück zur Magdeburger Landesausstellung394 fußt in den institutionengeschichtlichen Teilen weitgehend auf der 1905 von Eugen Schiffer verfassten Festschrift zur Einweihung des neuen Magdeburger Jusitzgebäudes, 386
Gönczi, Ungarisches Stadtrecht, S. 181. Gönczi, Ungarisches Stadtrecht, S. 87. 388 Laufs, Eigen-Landrecht (ungarische Übersetzung: Erdely Orszagának Három Könyvekre osztatott Törvényes Könyve. Melly approbata, compilata constitutiokbol, és novellaris articulusokbol áll, 3 Bde., Clausenburg 1779). Zur Sache vgl. Szabó, Sachsen. 389 Lindner, Schwabenspiegel. 390 Weitzel, Oberhöfe, S. 147–150. 391 Ebel, Magdeburger Schöffenstuhl, S. 330 f. 392 Zacke, Sachsenrecht; vgl. ferner Goerlitz, Anfänge. 393 Böhlau, Praxis. 394 Lück, Stadtverfassung. 387
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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die zwar eine Fülle von Informationen, leider aber keinen einzigen Nachweis derselben bietet. Vor allem aber fehlt es noch an übergreifend vergleichenden Studien zur Geschichte des spätmittelalterlichen Schöffenwesens. Mit dem germanischen und frühmittelalterlichen Schöffengericht hat sich Ernst Hermann auseinandergesetzt und gegen Savignys Theorie von der Entstehung dieser Gerichte aus der Delegation eines grundsätzlich generellen Urteilsrechts der gesamten Stammes- oder Volksgemeinschaft heraus argumentierent.395 Einzelne Gremien der späteren Jahrhunderte, vor allem der Ingelheimer Oberhof, dessen Spruchpraxis Adalbert Erler, Gunter Gudian und andere sehr genau durchleuchtet haben,396 sind verhältnismäßig gut erschlossen. Grundlegenden Arbeiten aber, die das spätmittelalterliche Schöffenwesen als solches in vergleichender Perspektive in den Blick nehmen, fehlen fast vollständig. Eine solche stellt aber ein umso dringlicheres Desiderat dar, als man sich für die Frage nach „objektiv feststellbaren Gemeinsamkeiten im Sinne übereinstimmender Grundvorstellungen in den verschiedenen Rechten“ des deutschen Mittelalters,397 die die Fragestellungen der älteren gemeindeutschen Germanistik heute abgelöst hat, nur auf Grund dieses Materials eine verlässliche Klärung erhoffen darf. Hier bliebe noch viel zu tun. Zu den wenigen grundlegenden Arbeiten auf diesem Gebiet zählt Gudians Studie über die Begründung als Leitprinzip spätmittelalterlicher Schöffensprüche.398 Viele wichtige Erkenntnisse über das Funktionieren mittelalterlicher Schöffengerichte finden sich darübin hinaus in Jürgen Weitzels gewichtiger Studie über die fränkische Dinggenossenschaft.399 Auch dem Oberhofwesen, als einer wichtigen Ausprägung des mittelalterlichen Schöffenwesens, hat sich Weitzel in grundlegender Weise gewidmet,400 so dass wir zumindest über diesen Punkt verhältnismäßig gut informiert sind. Dennoch gehen die Vorstellungen von der Arbeit und Funktion mittelalterlicher Oberhöfe auch in der neueren rechtshistorischen Literatur oft auseinander. Die Bezeichnungen „Oberhof“ und „Schöffenstuhl“ werden dabei sehr oft synonym verwendet, sind allerdings auch in ihrer praktischen Wirkung nicht immer scharf voneinander trennbar, weil beide vielfach ähnliche Funktionen wahrgenommen haben. Es bleibt dennoch festzuhalten, 395 Hermann, Entwicklung; zum weiteren Diskussionsverlauf vgl. auch Brunner, Herkunft, und Sickel, Entwicklung. 396 Das einschlägige Schrifttum wird nachgewiesen bei Fuhrmann, Gesetzgebung, S. 167–172. 397 Weitzel, Oberhöfe, S. 38. 398 Gudian, Begründung. 399 Weitzel, Dinggenossenschaft. 400 Weitzel, Oberhöfe.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
dass Oberhöfe durchaus auch Gerichte sein können (beispielsweise der Lübecker Rat),401 Schöffenstühle aber grundsätzlich beratende Gremien waren. Dem sächischen Recht ist überdies der Begriff „Oberhof“ ohnehin fremd.402 Man darf sich das Spruchwesen auch der Sache nach kaum im Ablauf ähnlich einem formellen Instanzenzug vorstellen, denn der Zug an ein Spruchgremium war keinesfalls so eindeutig geregelt wie der an einen Oberhof. Es ist durchaus kein Einzelfall, wenn Rechtssuchende sich mit ihrer Frage gleich an mehrere Stühle wandten oder einzelne Gruppen und Institutionen mal hierhin, mal dorthin anfragten. Selbst die Anfrage über die Grenzen der in notwendiger Verallgemeinerung zumeist als klar trennbar umschriebenen Stadtrechtsfamilien hinweg lässt sich nachweisen. So fragte beispielsweise Braunschweig sowohl regelmäßig in Lübeck als auch in Magdeburg nach Rechtsbelehrung. In einer bemerkenswerten Auskunft der Lübecker aus dem Jahre 1450 nimmt der dortige Rat als Auskunftsinstanz nicht auf die eigenen Statuten, sondern offenbar auf den Sachsenspiegel (Ldr. II 13 § 7) Bezug. Auf die Frage, wie man mit zwei Frauen verfahren solle, die „tigen den hilgen cristenglouen overfaringe“ begangen hatte,403 wurden die Braunschweiger beschieden, „dat gy na keyserrechte klarliken vinden, wo men sodanne mysdaet scholde unde moge richten“. Wäre solche Untat in Lübeck geschehen, so führen die Ratsherren weiter aus, „so hadde wy se in ere hogeste gerichtet unde bernen laten“.404 Mit der Arbeit von Jan Ziekow liegt eine Fallstudie vor, die interessante Einblicke in die Rechtsfindungs-, Begründungs- und Mitteilungspraxis des Magdeburger Schöffenstuhls im 15. Jahrhundert gewährt.405 Manche seiner Beobachtungen dürften sich bei breiterer Prüfung des jetzt schon deutlich besser erschlossenen Materials als verallgemeinerbar herausstellen. Das betrifft vor allem den Ablauf des Verfahrens. Der Schöffenstuhl war, anders als in anderen Städten,406 personell weitgehend vom Rat getrennt. Auf ihre Eigenständigkeit als Spruchgremium haben die Schöffen auch größten Wert gelegt. Als beispielsweise die Thorner Ratmannen – im Übrigen entgegen der Bestimmung der Kulmer Hand401
Vgl. dazu Ebel, Lübisches Recht, Bd. 1, S. 111 f. Vgl. dazu Gerhard Buchdas Sammelbesprechung in der ZRG GA 71 (1954), S. 484–491, hier S. 489 sowie Lück, Carpzov, S. 58 und ders., Magdeburger Schöffenspruch, S. 244 f. 403 Leverkus, Codex diplomaticus Lubecensis, Abt. 1, Bd. 8, Nr. 677. 404 Leverkus, Codex diplomaticus Lubecense, Abt. 1, Bd. 8, Nr. 681. 405 Ziekow, Rechtsgang. 406 Weitzel, Oberhöfe, S. 148 f.; vgl. dazu auch Battenberg, Dinggenossenschaftliche Wahlen. 402
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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feste –407 beim Magdeburger Rat eine Rechtsauskunft einzuholen versuchten, beschied ihnen das Antwortschreiben der Schöffen: „Wissen sol eur weisheit, das wir scheppen zu Magdeburg pflegen recht auszugebenn anndernn stedten, die das rechte unnd vonn alder Zeit pflegenn und müssen zu unns suchen, unnd nicht zu den rathmannen zu Magdeburg, des habt ir eur brieff geschriebenn ann die rathmanne unnd burgermeister unser stadt, unnd die habenn unns gebeten euren brief euch zu entscheidenn mit rechte.“408
1410 machten die Lüneburger offenbar denselben Fehler.409 Diese Eigenständigkeit des Magdeburger Schöffenstuhls drückte sich sinnfällig nach außen auch in der Führung eines eigenen Siegels aus.410 Das war keineswegs selbstverständlich: Die Breslauer Schöffen beispielswiese versandten ihre Anfragen nach Magdeburg und wohl auch ihre Rechtsauskünfte an andere Städte unter dem vom Rat geführten Stadtsiegel.411 Über die Ausgestaltung des Botenwesens zur Vermittlung der in Magdeburg gefällten Rechtsauskunft an den Empfänger sind wir durch die eingehende Studie von Paul Rehme gut informiert.412 Er hat hauptsächlich Breslauer Material herangezogen, so dass seine Ergebnisse noch durch Überlieferungen anderer Empfänger der Überprüfung bedürften. Ursprünglich erteilten die Schöffen nur nach Magdeburger Recht Auskunft: „uff ewer stat gnode, wilkor und gewonheyt behort uns nicht zu erkennen“, heißt es in einem Spruch des Jahres 1467 für Breslau.413 Ebenfalls im 15. Jahrhundert lässt sich aber auch eine Ausweitung dieses engen Rechtsbegriffes feststellen, indem nun vereinzelt auch nach Land- und Lehnrecht Auskunft erteilt wird.414 Eher ein Kuriosum als der Regelfall dürfte dagegen der von Ebel entdeckte (vermutliche) Bezug auf das Kirchenrecht in einem Spruch für Zerbst auf dem Jahre 1469 darstellen.415 Seit dem späteren 15. Jahrhundert finden sich zwar auch studierte Juristen unter den Schöffen,416 jedoch werden gelehrte Rechte, soweit es bisher zu überblicken ist, ansonsten nicht zur Begründung herangezogen. Als wichtigstes Organ der Rechtsfindung betonen die Schöffen aber durchweg das eigene 407
Weitzel, Rechtsbegriff, S. 73. Behrend, Magdeburger Fragen, S. 235 f. 409 Thurich, Lüneburger Stadtrecht, S. 67. 410 Dazu im Einzelnen Buchda, Schöffenstuhlsiegel, und Goerlitz, Schöffensiegel. 411 Goerlitz, Verfassung, S. 92. 412 Rehme, Schöffen. 413 Zit. nach Böhlau, Praxis, S. 15. Dort auch weitere Beispiele. 414 Ziekow, Rechtsgang, S. 17 f. und Ebel, Halue bord, S. 57; ders., Statutum, S. 134 ff. mit Einzelnachweisen. 415 Ebel, Kirchenrecht. 416 Vgl. dazu auch Winter, Magdeburger Studenten. 408
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Rechtsempfinden, der Sinn für „naturliche rechte“. Das illustriert uns beispielsweise eine Auskunft der Magdeburger Schöffen aus den 1460er Jahren, die Heiner Lück vor einigen Jahren eingehender besprochen hat.417 Sie gewährt zugleich interessante Einblicke auf das Verhältnis zwischen gemeinem Sachsenrecht und lokalem Rechtsbrauch. In der zum Hochstift Meißen gehörenden Pflege Wurzen gab es offenbar eine Gewohnheit, derzufolge „wan eyn totslach geschach [. . .] der schuldigen keynen getotet“ wurden, sondern „sy haben Sechs schillingen gr. und eyn scherf gesant Dem voyte zcu Wurtzen und haben alle zceit den totsleger loße ane lipliche pine gelassen villicht mit ander phennisscher busse Ab Her ouch In Hanthafftiger tad was begriffen“. Diese alte Gewohnheit hatte „etlicher bisschoff gehalden“ und erst Caspar von Schönberg (1451–1463) nicht mehr gelten lassen. Nach dessen Ableben nun wollte sich die Wurzener Erbmannschaft wieder des alten Rechtes vergewissern und verlangten die Bestätigung durch den neuen Bischof, Dietrich III. von Schönberg († 1476). So wurde in Magdeburg um die Rechtmäßigkeit dieser Gewohnheit angefragt. Die Schöffen kamen zu dem Ergebnis, dass „solche gewonheyt wedder alle naturliche und beschrebenn recht ist und ist dye ouch von eynem Hern des Landes der das durch rech[t] zcuthunde mochte gehad haben Als recht ist nicht bestetiget noch Confirmiret So ist solche gewonheyt unbestendig und machteloß mag ouch in Rechte nicht bestehn“. Zur Begründung wird unter anderem auf „Lantrecht li j ar lxvi In glo“, die Glosse zu Ssp. Ldr. I 66 § 1 also, verwiesen, die vorsieht, die handhafte Tat auch ex officio („dar sy en kleger edder nicht“) zu verfolgen.418 In diesem Falle sind die Normgrundlage des Sachsenspiegels und die „naturlichen rechte“ im Einklang. Die Frage, ob „scheppin des beschrebin rechtis gebruchen sullen adir noch yrem synne orteil vinden“, wenn eine Normenkollision zwischen „wichbilde rechte“, „lehinrechte adir landrechte“ eintrete, wird von den Magdeburger Schöffen wie folgt beantwortet: „Alle schrift sin den luten geschreben unde gegeben zu wissenschaft und zu lere. Hirumb, wer ein scheppe ist unde gesworen hat zu dem rechte, der mag noch der redelicheit sines besten sinnes unde noch der wissenheit der schrifte unde des rechten orteil vinden uff sinen eid. Wirt denne dy volge doran sunder wedirsprochen, so hat das orteil macht. Wirt abir das orteil gestroffet, so mus man das czihen czu rechter czocht in hoer dingestat. Was denne leczt in deme hoesten stule vor recht funden wirt unde gegeben, das sal man nemen und halden.“419
417 Lück, Magdeburger Schöffenspruch. Die folgenden Zitate nach dem Textabdruck ebd., S. 241–243. Denselben Fall hat auch Kannowski, Sachsenspiegel and Its Gloss, zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gewählt. 418 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 472. 419 Behrend, Magdeburger Fragen, S. 57 (I 3 § 2).
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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Die Durchsicht des vorliegenden Materials lässt einige allgemeine Beobachtungen über die äußerliche Entwicklung der Magdeburger Spruchpraxis zu. Auffallend ist dabei zunächst die Zunahme des Umfanges der einzelnen Sprüche im Verlauf des 15. Jahrhunderts: Sind die Auskünfte des 14. Jahrhunderts abgesehen von wenigen Ausnahmen in der Regel nur einige Zeilen kurz, so erstrecken sich die Sprüche des 15. und 16. Jahrhunderts über mehrere Absätze, manchmal in den Handschriften gar über mehrere Blätter. Das gilt mit Blick auf das gedruckt vorliegende Material in auffälliger Weise für die Sprüche nach Breslau, in weniger drastischem Kontrast aber auch für die anderen bekannten Mitteilungen. Das hängt selbstverständlich auch mit der steigenden Einzelkasuistik der Rechtsfälle zusammen, die im Zuge des sich verändernden Rechts- und Prozessgebrauches unter dem Eindruck der Rezeption gelehrter Rechtsvorstellungen in immer feingliedrigere Einzelfragen zerfielen, wo man sich zuvor in den allermeisten Fällen auf eine pure Entscheidung des eigentlichen Klagegrundes beschränkt hatte. Die steigende Anzahl der Lemmata in den Regestzeilen der Ebelschen Edition geben ein schönes Bild von dieser wachsenden Zergliederung der Rechtserörterungen. Wir können uns diesen Umstand aber auch anhand zweier willkürlich, nur mit Blick auf einen vergleichbaren Streitgegenstand ausgewählter Sprüche sehr plastisch vor Augen führen: Während bei einer nicht näher datierten Breslauer Anfrage aus den 1360er bis 1380er Jahren einer Klage um kampfbare Wunden wegen lediglich die knappe Auskunft ergeht, dass, wenn „eyme manne synir nazen vorne der vlechteczippil bis an das beyn adir by naz halp abegehouen“ werde, diese Verletzung „eyne kampirdich wunde unde ein lemde“ sei,420 ergeht sich ein kaum einhundert Jahre jüngerer Spruch aus dem Jahre 1448 ausgiebig im Referat der Klageschrift, der Gegenrede und der Durchführung des zu leistenden Beweises.421 Dass im Übrigen im 15. Jahrhundert auch die Fragen nach prozessrechtlichen Einzelheiten, Fristen, Usancen der Gegenklage u. ä., merkbar zunehmen, vermag wohl kaum zu verwundern. Die aus Magdeburg erteilten Sprüche haben eine mit wenigen Ausnahmen immer wiederkehrende Form:422 Sie beginnen regelmäßig mit der Formel „Unseren freundlichen, lieben Gruß zuvor . . .“, referieren dann den angefragten Rechtsgegenstand, und leiten dann mit „Hierauf sprechen wir Schöffen zu Magdeburg für Recht“ zur eigentlichen Entscheidung über. In späteren Sprüchen heißt es dann „. . . sprechen wir Schöffen zu Magdeburg ein Recht“. Ebel hat aus der umfassenden Sichtung Magdeburger Schöffensprüche die These entwickelt, dass die Schöffen um 1433 von der einen zur 420 421 422
Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 1, S. 101 (Nr. 151). Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 2, 1, S. 475–477 (Nr. 428). Vgl. dazu auch Fijal, Vergleich.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
anderen Form umschwenken.423 Für die Breite der Überlieferung scheint das zuzutreffen; einzelne Gegenbeispiele finden sich aber durchaus.424 All diesen Beobachtungen bleibt – das muss nachdrücklich betont werden – eine eingehende Prüfung noch vorenthalten. Die Beschränkung auf das gedruckte Material und die wenigen handschriftlichen Sammlungen, die ich im Verlauf der Arbeit eingesehen habe, kann selbstverständlich nur ein ausschnittsweises und möglicherweise verzerrtes Bild erzeugen. Die durch den Tod Friedrich Ebels nun ungewisse Zukunft des großen Editionsprojektes der Magdeburger Schöffensprüche lässt nur gespannt hoffen, aber nicht absehen, ob und wann uns bald deutlich mehr von diesem wichtigen Material im Druck vorliegen möge. Dann ließe sich dieses Bild gewiss weiter differenzieren und vielleicht auch revidieren. Dem engeren Quellenkreis der Schöffensprüche, der brieflichen Mitteilungen einzelner, konkreter Rechtsgutachten also, treten zwei eng verwandte Traditionsmedien zur Seite, die in diesem Zusammenhang ebenfalls Erwähnung verdienen: Das sind zum einen die Schöffenspruchsammlungen.425 Die Erscheinungsformen solcher Sammlungen sind vielfältige. Oft ist auch unklar, ob lediglich die Zusammenstellung einer ohnehin vorliegenden und damit zunächst einmal aus „externen“ Gründen heraus zusammenstehenden Anzahl von Schöffensprüchen ohne weiterführendes Sammelinteressere, oder aber, ob von vornherein ein systematisierender Anspruch der Sammlung zu Grunde liegt. Ist letzteres der Fall, so ist in der Überlieferung wiederum sowohl die reine Zusammenschrift, ohne Eingriffe in die Einzeltexte, als auch die Überarbeitung durch den Kompilator, beispielsweise durch die Tilung der Namen der Prozessparteien, zu beobachten, wodurch oft eine gewisse Verallgemeinerbarkeit der auf konkrete Rechtssituationen hin abgefassten Sprüche indentiert zu sein scheint. In der Literatur hat sich dafür der etwas unglückliche Begriff „Schöffenrecht“ eingebürgert, der die irrige Vorstellung suggeriert, bei der vorliegenden Sammlung handle es sich um den bewussten Versuch, aus der Spruchpraxis (und damit aus dem Rechtsleben) heraus eine normative Rechtsquelle zu schaffen. Man wird sich diese Bücher vielmehr als strukturierte Kompendien vorzustellen haben, die zu einzelnen, regelmäßig wiederkehrenden Konfliktfällen Präjudizien bereitstellen wollen. 423
Ebel, Halue bord, S. 55. Ziekow, Recht und Rechtsgang, S. 12. 425 Dazu im Allgemeinen Kisch, Schöffenspruchsammlungen, und Johanek, Schöffenspruchsammlungen; weitere Literatur auch bei Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 53 f. Eine Leipziger Spruchsammlung hat Kisch selbst ediert, s. S. 259, Anm. 248. 424
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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Zum zweiten finden sich häufig Stadt-, Schöffen- oder Gerichtsbücher.426 Nachdem die wegweisenden Arbeiten Erlers, Gudians und ihrer Schüler zum Ingelheimer Recht zwar weitgehend positive Aufnahme, aber kaum Nacheiferer gefunden haben, auch die von Gudian betreute Schriftenreihe der „Gerichtsbücherstudien“ keine Weiterführung fand, sind diese „protoamtlichen“ Aufzeichnungen in den letzten dreißig Jahren weitgehend außer Acht gelassen worden und erst in jüngster Zeit wieder öfter in den Blick der Forschung geraten, zumal, nachdem auch die Germanistik sie als sprachhistorische Quellen ersten Ranges für sich entdeckt hatte.427 Von rechtshistorischer Seite zieht beispielsweise Schmidt-Recla in seiner Leipziger Habilitationsschrift über Verfügungen von Todes wegen im fränkischen und sächsischen Recht sie in großer Zahl in seiner Untersuchung als Quellen der Rechtstatsachenforschung heran.428 Regelmäßig enthalten die Stadt-, Schöffen- oder Gerichtsbücher429 Akte außergerichtlicher Einigungen, freiwilliger Gerichtsbarkeit oder Aufzeichnungen vor Gericht getägtiger, privater Rechtsgeschäfte, wie Auflassungen, Grundstücksverpfändungen oder Rentenkäufe. Das unterscheidet sie grundlegend von den Schöffensprüchen und ihren Sammlungen. Sie werden aber regelmäßig vom selben Personal geführt oder mit Material versorgt, namentlich von Schöffen oder Gerichtsschreibern, was sie wiederum in die Nähe der Schöffengerichtsbarkeit rückt. Zudem werden vor allem seit dem 15. Jahrhundert in steigendem Maße auch Gerichtsprotokolle in diesen Büchern verzeichnet. Für die vorliegende Arbeit werden Gerichts- bzw. Stadt- oder Schöffenbücher nur ausnahmsweise zu verwenden sein, da mit den bislang edierten Schöffensprüchen eine hinreichende Zahl von gerichtsanhängigen Nachweisen aus der Rechtspraxis vorliegen dürfte. Es liegen allerdings eine Reihe solcher Arbeiten (zum Beispiel aus Halle,430 Zerbst,431 Aken,432 426 Grundlegenden dazu Schlosser, Gerichtsbücher; vgl. aber auch Schultheiß, Gerichtsbücher. Eingehend mit Entstehung, Verbreitung und Anlage von Schöffenbüchern hat sich am brandenburger Beispiel Heinrich, Schöppenbücher, bes. S. 3–14 und S. 35–42 beschäftigt. 427 Zum Beispiel durch die Studien von Seidel, Ablösung und Verdrängung (dort auch Nachweis ihrer älteren Arbeiten) oder Ilpo Tapani Piirainen – vgl. aus dessen zahlreichen Arbeiten auf diesem Gebiet nur ders., Schöffenbücher von Legnica/ Liegnitz. Stadt- und Gerichtsbücher zählen darüber hinaus traditionell zu den wichtigsten Quellen des DRW. 428 Herr Dr. habil. Schmidt-Recla (Leipzig) war so großzügig, mir das Manuskript seiner Habilitationsschrift „Kalte oder warme Hand? Verfügungen von Todes wegen im fränkischen und sächsischen Recht des Mittelalters“ (Leipzig 2006) zur Verfügung zu stellen. Das Erscheinen ist für 2009 angekündigt. 429 Über die unklare Terminologie, die sich bereits in den Selbstbezeichnungen der Bücher findet, vgl. Winterberg, Gerichtsbücher. 430 Hertel, Hallische Schöffenbücher.
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Calbe433 und Neuhaldensleben434) bereits in Editionen vor, so dass eine weiterführende Sichtung im Anschluss an die und zur Überprüfung der hier gewonnenen Ergebnisse durchaus denkbar und sinnvoll wäre. Eine erste Zusammenstellung älterer gedruckter Sammlungen Magdeburger Schöffensprüche findet sich bei Oppitz,435 die sich an mancher Stelle noch ergänzen lässt.436 Gut greifbar sind damit eine Vielzahl von Sprüche für eine Reihe anhaltischer Städte,437 für Zwickau,438 Eisleben,439 Görlitz,440 Schweitnitz,441 Leitmeritz,442 Brüx,443 Brieg444 sowie für Posen und das Wartheland.445 Eine Reihe einzelner Magdeburger Schöffensprüche findet sich außerdem im zweiten Band von Wasserschlebens „Sammlung deutscher Rechtsquellen“.446 Diese Sprüche werden dann besonders interessant, wenn sie sich mit auch anderweitig, beispielsweise chronistisch, überlieferten Rechtsfällen zusammenbringen lassen.447 4. Einige wichtige Arbeiten des Magdeburger Rechts im ausgehenden Mittelalter Das Phänomen der Ausbreitung und Aneignung des Magdeburger Rechts in weiten Teilen Mittel- und Osteuropas lässt sich abgesondert von einer Reihe auf diese Quellen aufbauenden Werken der Rechtspraxis und -wissenschaft betrachten, die ihm Folgenden in aller gebotenen Kürze charakterisiert werden sollen.448 431
Neubauer-Siebert, Zerbster Schöffenbücher. Neubauer, Akener Schöffenbücher. 433 Hertel, Calber Wetebuch. 434 Sorgenfrey/Pahncke, Neuhaldenslebener Stadtbücher. 435 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 53–55. 436 Weitere Nachweise auch bei Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 282–285 und Gülland, Magdeburger Recht. 437 Friese/Liesegang, Magdeburger Schöffensprüche. 438 Kauffungen, Rechtssprüche. 439 Größler, Sammlung. 440 Neumann, Magdeburger Weisthümer. 441 Goerlitz/Gantzer, Magdeburger Schöffensprüche; dies., Rechtsdenkmäler. 442 Weizsäcker, Magdeburger Schöffensprüche. 443 Schlesinger, Magdeburger Schöffensprüche. 444 Böhme, Diplomatische Beyträge. 445 Goerlitz, Magdeburger Schöffensprüche. 446 Wasserschleben, Sammlung, Bd. 2, S. 1–156. 447 Beispiele hierfür bei Krause, Schöffensprüche für Zerbst, und Kümper, Hochverrat in Hildesheim. 448 Insgesamt dazu grundlegend Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 403–430; Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 46–53. 432
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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a) Die Magdeburger Fragen Mit den so genannten „Magdeburger Fragen“ liegt eine weit verbreitete und ihrerseits wieder rezipierte Präjudiziensammlung Magdeburger Rechts aus dem Ende des 14. Jahrhunderts vor.449 Die systematische Fassung, die sich auch in den älteren Landrechts-Drucken findet, hat Behrend,450 eine alphabetisch umgearbeitete Wasserschleben451 in den Druck gebracht; von den Zeugnissen der unsystematischen Form fehlt noch jede Ausgabe.452 Grundlage der Sammlung ist eine Krakauer Sammlung Magdeburger Schöffensprüche, die vor allem in Polen weite Verbreitung als Ergänzung zur Weichbildvulgata fand. Wohl noch kurz vor 1400 hat dann ein unbekannter Redaktor453 die Fragen um Material aus einer ähnlichen, Thorner Sammlung dem Alten Kulm ergänzt. Dabei wurden auch alle auf die konkreten Entstehungsumstände der einzelnen Sprüche hindeutenden Teile, vor allem Orts- und Personennamen, gestrichen, um den generalisierenden Anspruch des Rechtsbuches zu unterstreichen. Auch sonst finden sich gewisse Generalisierungstendenzen, beispielsweise die Ersetzung des durchgängige „könig“ durch „obriste herrschaft“.454 Erst nach dieser grundlegenden Redaktion sind wohl daraus die systematische (wahrscheinlich in Preußen) und die alphabetische (wohl in Pommern, wahrscheinlich vor 1518 in Stettin) Fassungen entstanden. Die Magdeburger Fragen haben im 15., vor allem aber im 16. Jahrhundert großen Einfluss auf das sächsische Recht Pommerns, Preußens und Schlesiens. Dort werden sie regelmäßig mit den älteren Quellen des Gemeinen Sachsenrechts als Autoritäten allegiert. Das ist zum Beispiel ganz extensiv der Fall bei dem von mir edierten „Buchlein gemeiner Regulen der Angefell“, einem preußischen Erbrechtshandbüchlein der Mitte des 16. Jahrhunderts,455 und den weit verbreiteten „Sippzahlregeln“, die bereits 449 Zur Sache vgl. Martitz, Magdeburger Fragen; Stobbe, Rechtsquellen, S. 421–423; Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 97–100 und Johanek, Magdeburger Fragen. 450 Behrend, Magdeburger Fragen. 451 Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 1–144. 452 Zu den Handschrift vgl. Behrend, Magdeburger Fragen, S. XXV–XXVII. 453 Martitz, Magdebuger Fragen, S. 418 vermutet Walter Ekhardi, den Verfasser der im folgenden Kapitel zu behandelnden IX Bücher Magdeburger Rechts – das ist möglich, wird aber durch nichts gestützt. Kaum vorstellbar ist die Ansicht Stobbes, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 423, Nikolaus Wurm könne auch hier die Feder geführt haben. 454 Johanek, Magdeburger Fragen, Sp. 1128. 455 Kümper, Erbrechtssammlung, Nr. 5 – Gleiches gilt auch für eine kürzere Sammlung von Sippzahlregeln aus derselben Handschrift, einer gleichförmigen, allerdings an den IX Büchern Magdeburger Rechts des Walther Ekkhardi orientierten Zusammenstellung.
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Wasserschleben bekannt gemacht hat,456 der Fall. Die Verbreitung über die Zobelschen Drucke und den Augsburger Druck von 1517 (Sylvan Othmer, oberdt.) taten ein Übriges dazu, die Rezeption des Rechtsbuches noch zu erhöhen.457 Es ist sogar vermutet worden, dass Ulrich Tengler bei der Abfassung seines „Leyenspiegels“ von der Systematik der Magdeburger Fragen beeinflusst worden ist.458 b) Die IX Bücher Magdeburger Rechts Wohl unmittelbar nach 1400 verfasste der seit 1384 in Thorn belegte Stadtschreiber Walther Ekhardi („Waltherus Echardi von dem Bonczlow“)459 ein unter dem Titel „IX Bücher Magdeburger Rechts“ bekannt gewordenes Rechtsbuch.460 Es ist in der 1402 beendeten Originalhandschrift Ekhardis erhalten,461 die aber wohl nicht Grundlage der noch immer einzigen Druckausgabe gewesen ist. Diese erschien 1574462 in der Magdeburger Offizin Matthias Gieseke und wurde von dem Königsberger Notar Albert Poelmann besorgt. Unter seinem Namen erschienen bis 1603 noch acht weitere Drucke des Werkes, so dass es in der älteren Literatur oft auch unter dem Namen „Poelmannsche Distinktionen“ geführt wird. Grundlage dieses Druckes war eine vielleicht noch von Ekhardi selbst vorgenommene Bearbeitung, die vor allem die Allegate aus Sachsenspiegel und Glosse in weiten Teilen herausstrich.463 Eine zweite, auf die Vorlage Poelmanns aufbauende Bearbeitung, die vor allem kanonistische Quellen ergänzte, unternahm 1444 Johannes Lose, wohl ebenfalls in Königsberg.464 Die Quellen der ursprünglichen Fassung Ekhardis von 1402 sind neben dem Sachsenspiegel und seiner Glosse vor allem das Meißner Rechtsbuch, der Schwabenspiegel und der Alte Kulm, aber auch einzelne Magdeburger Schöffensprüche. Eine Edition dieser Urfassung wäre ein dringendes Desi456
Wasserschleben, Princip der Successionsordnung, S. 134–153 (Anhang B). Auf der Grundlage eines dieser Drucke ist vermutlich auch im 16. Jahrhundert die lateinische Übersetzung der Magdeburger Fragen entstanden; vgl. Martitz, Magdeburger Fragen. 458 Martitz, Magdeburger Fragen, S. 420. 459 Über ihn vgl. Arnold, Walther Ekhardi. 460 Steffenhagen, IX Bücher Magdeburger Recht. 461 Königsberg, SUB, Hs. 888 (Oppitz Nr. 782). 462 Auf dem Titel 1547 – zur Richtigstellung vgl. Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 427–430. 463 Zu den Bearbeitungen, zur handschriftlichen Überlieferung und den Druckausgaben vgl. noch immer Steffenhagen, Rechtsquellen, S. 139146. 464 Eingehend dazu Ulmschneider, Kanonistische Literatur. 457
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derat, ist aber, soweit mir bekannt, weder derzeit geplant noch in der Vergangenheit ernstlich geplant worden. Der Grund dafür mag in der mangelnden Rezeption dieser Fassung liegen: Denn Bedeutung erlangt haben die IX Bücher Magdeburger Rechts nur in der Druckfassung der „Poelmannschen Distinktionen“. Diese Bedeutung freilich ist bis weit in das 17. Jahrhundert eine beachtliche: Steffenhagen meint, sie seien „in den Landen zu Preussen neben dem Kölmischen Buche fast für Recht in Uebung und Gebrauch gehalten“.465 Ein Beispiel dafür, das ungefähr aus der Zeit von Poelmanns Wirken und ebenfalls aus Königsberg stammt, habe ich selbst an anderer Stelle eingehender besprochen.466 c) Nikolaus Wurm und seine Arbeiten über das sächsisch-magdeburgische Recht Zu den produktivsten Bearbeitern des sächsisch-magdeburgischen Rechts, die uns aus dem Mittelalter namentlich bekannt sind, zählt ohne Zweifel der „schreibselige“467 Görlitzer Nikolaus Wurm († nach 1401).468 In der rechtshistorischen Forschung hat er von jeher keinen guten Ruf gehabt, galt (und gilt) als langschweifig, oft redundant und wenig eigenständig in seiner Arbeit.469 Weizsäcker dagegen hob die „überaus fruchtbare Tätigkeit“470 Wurms hervor und Goerlitz betonte, dass seine Werke für „manche Angaben über Magdeburger Einrichtungen des 14. Jahrhunderts“ das einzige Zeugnis böten.471 Alle diese Einschätzungen sind richtig. In der Tat bietet Wurm reiches Material und verrät tiefe Kenntnisse des sächsisch-magdeburgischen Rechts. Ebenso stellen seine Werke aber auch eine Herausforderung an den Leser dar, was Umfang und Art der Darstellung angeht. 465 Steffenhagen, Rechtsquellen, S. 168. Eine gewisse Bedeutung muss auch Loses Bearbeitung gehabt haben, denn sie ist in immerhin insgesamt vier Handschrift (Oppitz Nrn. 350, 380, 483 und 807) überliefert. 466 Siehe unten, S. 425, Anm. 490. 467 Martitz, Magdeburger Fragen, S. 416. 468 Über Leben und Werk vgl. Kümper, Nikolaus Wurm; Leuchte, Liegnitzer Stadtrechtsbuch, S. XXIV–XXVIII; Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 417–421 und Coing, Römisches Recht in Deutschland, S. 183 f. sowie die knappen Ausführungen bei Jessen, Nikolaus Wurm. 469 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 417 meint, es seien dies alles „Arbeiten großen Fleißes, aber ohne besonders praktische Brauchbarkeit, in welchen ebenso wie in dn Vorbildern Wurms, den romanistischen Schriften, Breite, Unbestimmtheit und Spielerei in der Diktion“ herrsche. Ein ähnliches Urteil fällt im Übrigen auch Schulte, Quellen und Literatur, S. 259 über den behaupteten Lehrer Wurms in Bologna, Johannes de Lignano. 470 Weizsäcker, Deutsches Recht im Osten, S. 54. 471 Goerlitz, Magdeburger Recht in Liegnitz, S. 29.
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Aus der Biographie Wurms mag für seine Arbeit vor allem entscheidend sein, dass der gebürtige Neu-Ruppiner irgendwann in den 1370er Jahren in Bologna Recht studiert hatte. Er selbst nennt den berühmten Kanonisten Johannes de Lignano († 1383) als seinen Lehrer.472 Nach seiner Rückkehr trat er dann in die Dienste Herzog Ruprechts von Schlesien, der von 1374 bis 1409 regierte. Daneben war er als Rat in Görlitz tätig, wo man 1401 ihm eine Leibrente aussetzte.473 Dies ist zugleich das letzte Lebenszeichen Wurms. Wurms Bearbeitung der Landrecht- und Lehnrechtsglosse des Sachsenspiegels ist bereits erwähnt worden.474 Auch den Mainzer Reichslandfrieden von 1235 glossierte er in einer Fassung von 1298.475 Bemerkenswerter aber sind zwei glossenartige Werke aus Wurms Feder über den Sachsenspiegel und das Magdeburger Recht: Die „Blume von Magdeburg“ ist durch Hugo Böhlau ediert worden,476 von der „Blume des Sachsenspiegels“ liegen lediglich Auszüge im Druck vor.477 d) Kaspar Popplau und „Der Rechte Weg“ Eine einzigartige Sammlung magdeburgisch-sächsisch(-schlesisch)en Rechts stellt das Kompendium „Der Rechte Weg“ des Breslauer Patriziers Kaspar Popplau († 1499) dar.478 Nachdem sich schon die ältere schlesische 472 Einen knappen Vergleich zwischen Wurms Arbeitsweise und derjenigen des Johannes hat Leuchte, Liegnitzer Stadtrechtsbuch, S. XXV f. versucht. Der Vergleich bleibt oberflächlich, zumal eines der gerade für einen solchen wichtigsten Werke, Johannes’ prozessrechtlicher Clementinen-Kommentar, nicht berücksichtigt wird. Die Arbeit ist ediert worden von Wahrmut, Johannes de Lignano. 473 Köhler, Miszellen, S. 171 f. 474 Siehe oben, S. 165 ff. 475 Gedruckt von Böhlau, Nove constitutiones – vgl. dazu auch die eingehende, anonyme Besprechung in der Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 1 (1859), S. 301–306. 476 Böhlau, Blume von Magdeburg – vgl. auch die Besprechung von Otto Stobbe in der Kritischen Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft 11 (1869), S. 150–153, der im Übrigen auch auf der genuinen Werkbezeichung „Blume von Magdeburg“ anstelle der auch heute noch gängigen Bezeichnung „Blume des Magdeburger Rechts“ insistiert (S. 150). 477 Homeyer, Richtsteig Landrechts, S. 355–381 (dort auch, S. 339–354, Auszüge aus der Blume des Magdeburger Rechts); Böhlau, Nova constitutiones, S. 61–63 (Beilage IV). Zur Darstellung Alexanders des Großen in der illuminierten Liegnitzer Handschrift der „Blume des Sachsenspiegels“ vgl. Mitelski, Wyobrazenie Aleksandra Wielkiego. 478 Goerlitz, Verfasser; ders., Neubearbeitung; über Popplau vgl. ferner Klein/ Bruckschwaiger, Kaspar Popplau, und Schelling/Schiewer, Kaspar Popplau. Zu seiner Familie vgl. Petry, Die Popplau. Kaspar Popplau ist auch anderweitig als Bear-
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Rechtsgeschichte immer wieder für den Text interessiert hatte,479 ist eine moderne Edition auf der Grundlage der einzigen, noch heute im Breslauer Stadtarchiv erhaltenen Handschrift im Rahmen des Berliner Editionsprojektes zu den Magdeburger Schöffensprüchen unter der Ägide von Friedrich Ebel entstanden.480 Das Interesse des Berliner Forschungskreises an der Breslauer Rechtshandschrift kommt nicht von ungefähr, denn Schöffensprüche unterschiedlicher Provenienz für Breslau, Liegnitz, Neiße und Dohna stellen eine der zentralen Quellen dieses Werkes dar.481 Daneben finden sich Privilegien für Breslau, meist in regestierter Form, städtische Willküren, Magdeburg-Breslauer Schöffenrecht in systematischer und unsystematischer Form, das Breslauer Landrecht von 1356 sowie die lateinische Regelsammlung „Ad decus et decorem“ des Nikolaus Wurm gemeinsam mit Auszügen aus dessen Liegnitzer Stadtrechtsbuch.482 Eine herausragende der vielen Besonderheiten im „Rechten Weg“ stellt der Teufelsprozess in Buch D, Kapitel 39 bis 42 dar. Das Kompendium ist in 21 Bücher mit jeweils 100 Kapiteln untergliedert; lediglich das letzte Buch (X) enthält nur 34 Kapitel und wird daher oft als Nachtrag, vielleicht aus dem Jahre 1493, bezeichnet.483 Sie werden erschlossen durch ein komplementäres Remissorium, das die gewaltige Stoffmasse über ein alphabetisches Sachregister erschließt. Leider ist die bereits angekündigte Edition des Remissoriums dann nicht mehr erschienen.484 Durch die umfängliche Registerarbeit der Ebelschen Edition kann uns das Werk aber nicht nur als besonderes Zeugnis der schlesischen Rechtsgeschichte, sondern auch für unsere Leitfrage nach der Rezeptionsgeschichte des sächsischen Landrechts dienlich sein, denn die – im Vergleich mit der ausladenden Verarbeitung vor allem der Pandekten nicht mehr so zahlreichen – Verweise auf den Sachsenspiegel sind sämtlich ausgewiesen worden.485 beiter älterer, vor allem lateinischer, Quellen in die zeitgenössische schlesische Mundart belegt; vgl. Pfeiffer, Geistliches Testament. 479 Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 71 f. und S. 211 f.; Laband, MagdeburgBreslauer Schöffenrecht, S. 6; Bobertag, Beiträge, sowie ders., Rechtshandschriften, mit einigen Textauszügen. 480 Ebel, Der Rechte Weg – ediert nach der Handschrift Breslau, StdA, I 7 (Oppitz Nr. 295). 481 Schelling, Vom Schöffenspruch. Vgl. ferner Klein/Bruckschwaiger, Magdeburger Schöffensprüche; ders., Buch der Magdeburgischen Urteile. 482 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 2, S. 1099–1141 (Buch V); incipit: „Notdanum ulterius: Diße hernoch geschreiben hundert regiln des keyserrechtis, geczeichent uf den buchstabin V, habe ich außgeczogin auß dem buchlein, das etwan doctor Nicolaus Worm, herczogen Ruprechten, herrn zu Legnicz, anno Domini tausint dreyhundert ym nunundneunczigisten jare , dorynne denne guthe bescheydenlich recht beschrebin seyn.“ (S. 1099). 483 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 1, S. XIV. 484 Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 1, S. XIII.
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e) Erbrechtstraktate und „Arbores sanguinitatis vel consanguinitatis“ Im 15. und verstärkt noch dann im 16. Jahrhundert entsteht eine Fülle von oft nur singulär überlieferten Exzerptsammlungen und Kurztraktaten erbrechtlichen Inhalts, mehr oder minder ausführlichen, rechtsbuchartigen Regelwerken, ja teils nur Zusammenstellungen einzelner Rechts- und Merksätze, die zum Teil wiederum an Schöffensprüche erinnern können, ohne dass ein expliziter Hinweis auf einen solchen Entstehungskontext gegeben wäre. Allein ein Blick in das Oppitzsche Handschriftenverzeichnis, das solche Erbrechtstraktate in der Regel allerdings nur über die Mitüberlieferung und also nur einen Bruchteil allein der deutschsprachigen Überlieferung erfasst, vermittelt von der großen Zahl und der Vielfalt der Erscheinungsformen einen guten Eindruck.486 Häufiger in den Handschriften zu finden sind vor allem zwei Texte. Das sind zum einen die Sippzahlregeln des bereits oben erwähnten Dietrich von Bocksdorf.487 Sie finden sich ausgesprochen häufig noch bis weit in das 16. Jahrhundert hinein und gelangen auch (wohl mehrfach) in den Druck.488 Allerdings werden die Sippzahlregeln oft bearbeitet, exzerpiert oder um weitere Regeln ergänzt, so dass es angesichts der Vielfalt der handschriftlichen Überlieferung schwer fällt, einen festen Textbestand zu definieren. Auch mit fälschlichen Zuschreibungen an Bocksdorf muss gerechnet wer485
Ebel, Der Rechte Weg, Bd. 2, S. 1289 f. Im Einzeln handelt es sich dabei um: Ssp. Ldr. I 5; Ldr. I 7; Ldr. I 12; Ldr. I 17 § 1; Ldr. I 27 § 2; Ldr. I 39; Ldr. I 42; Ldr. I 52 § 1; Ldr. I 54; Ldr. I 71; Ldr. II 10; Ldr. II 11 § 2; Ldr. II 12 § 2; Ldr. II 13; Ldr. II 16 §§ 2, 5–9; Ldr. II 26 §§ 1, 2; Ldr. II 27 § 4; Ldr. II 28 §§ 1–3; Ldr. II 32; Ldr. II 33; Ldr. III 45 und Ldr. III 87 §§ 1, 2 sowie Allegate der Buchschen Glosse zu Ssp. Ldr. II 10 § 3 und Ldr. III 79 sowie des sächsischen Lehnrechts (Ssp. Lnr. 13 § 3; Lnr. 38 § 1; Lnr. 68 §§ 8, 9). Die Weichbildvulgata gehört bemerkenswerterweise nicht zu Popplaus Quellen, wohl aber findet sich in Buch S, Nr. 14 (Ed. Ebel, Bd. 2, S. 1037) die Allegation „ut wichb. Ar. 58 post. prin. glo.“ – das entspricht der Glosse zu Art. 58 der Weichbildvulgata bei Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 380 f. („Alzo er do spricht ‚universaliter‘ . . .“). 486 Kein erbrechtlicher Kurztext ist freilich der im Innendeckel von Marburg, UB, Ms. 423 (Oppitz Nr. 1009) von Oppitz nachgewiesene Text „Vom Erbgut“. Hierbei handelt es sich vielmehr um einen Text über den Erbgrind, eine hoch infektuöse Kopfhautentzündung, gegen die sich eine Fülle von unterschiedlichsten Rezepten in mittelalterlichen Handschriften finden lassen; vgl. nur die breite Zusammenstellung bei Hieronymus Bock: Kreütterbuch, darin Underscheidt, Namen und Würckung der Kreütter stait [. . .] auffs new mit allem fleiß ubersehen [. . .] durch den hochgelehrten Melchiorem Sebizium, Straßburg 1577, fol. 305r+v. Es folgen im Deckel der Marburger Handschrift eine Reihe weiterer medizinisch-kosmetischer Rezepte („Wie man das Haar waschen macht“, „Von der Memoria“ etc.), aber nichts Juristisches. 487 Siehe oben, S. 165 ff. 488 Siehe oben, S. 260, Anm. 251.
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den. Insgesamt wird man also eher von einer Textsorte der „sächsischen Sippzahlregeln“ als von einem festen Text sprechen können. Neue Texte lagerten sich den Sippzahlregeln offenbar vor allem im Preußischen an.489 Das mag darin begründet liegen, dass gerade dort eine Mehrzahl unterschiedlicher Sukzessionmodelle, nämlich gemeinrechtliches, sächsiches und das durch die Kulmer Handfeste eingeführte flämische Erbrecht, miteinander konkurrierten und dieser Umstand regelmäßig zu Unsicherheit in erbrechtlichen Fragen geführt haben dürfte. Eine in dieser Hinsicht sehr interessante, freilich nur singulär überlieferte Erbrechtssammlung habe ich selbst an anderer Stelle ediert und eingehender besprochen.490 Sie zeigt recht eindrücklich die große Bedeutung des sächsischen Erbrechts im frühneuzeitlichen Nordosteuropa. Diese Erbrechtssammlung entstand in einem Zeitraum der regen juristischen Diskussion. Denn seit längerem schon war man bemüht, das alte kulmische Recht zu überarbeiten und den Bedürfnissen der Gegenwart anzupassen. Bereits 1526 hatte König Sigismund eine Kommission angeordnet, die sich um eine solche Reformation bemühen sollte.491 In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts schließlich kam es im Königreich Preußen zu drei unterschiedlichen Versuchen einer Revision des Kulmer Rechts, nämlich in Heilsberg (Lidzbark, 1566), Neumark (Nowe Miasto Lubawski, 1580) und Thorn (Torffln, 1594), die jedoch allesamt nie in Kraft gesetzt wurden. Diese Revisionen, die einen seltsamen Zwittercharakter zwischen offiziösem Amtsstück und privat erarbeitetem Rechtsbuch einnehmen, hat Danuta Janicka eingehend analysiert. Sie kommt dabei zu dem Ergebnis, dass vor allem im Hinblick auf das Strafrecht das Kulmer Recht des 16. Jahrhunderts grundlegende Umbrüche romanisierender Tendenz erfahren hat. Das gelte vor allem für die letzte, die Thorner Revision des alten kulmischen Rechts.492 Der zweite häufiger belegte Text im Umfeld sächsischer Erbrechtssammlungen des späten Mittelalters ist eine kurze Zusammenstellung über Musteil und Heergewäte, die in sieben Handschriften überliefert ist.493 Die Bezeichnung „Stück vom Musteil“ geht auf Homeyer zurück,494 der Text 489
Kurzer Überblick bei Steffenhagen, Rechtsquellen, S. 206–210. Kümper, Erbrechtssammlung. 491 Abdruck bei Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 2, S. 351. 492 Janicka, Prawo, S. 130–135 und S. 146–148. 493 Arnhem, RA, Archief van Rhemen, Bibl., Cat. Nr. 100 (Oppitz Nr. 18), fol. 328r–329r (als Artikel III 12 bis 16 des Richtsteig Landrechts!); Berlin, StBPK, Ms. germ. fol. 900 (Oppitz Nr. 157), fol. 347r; Braunschweig, StdA, G XII 7 Nr. 39 4o (Oppitz Nr. 235), fol. 157; Frankfurt a. M., StUB, Ms. Germ. Qu. 107 (Oppitz Nr. 508), fol. 142v–143r; Göttingen, SUB, Ms. jurid. 385 (Oppitz Nr. 594), fol. 151; Überlingen, Leopold Sophien Bibliothek, o. Sig. (Oppitz Nr. 1436), fol. 2v; 490
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selbst bleibt ohne Titel und beginnt in den diversen Handschriften recht unterschiedlich. In der Lüneburger (jetzt Berliner) Handschrift des Richtsteig Landrechts, die Brand von Tzerstede bei der Abfassung seiner Glosse vorlag, lautet der Text:495 „Van Herwede. Allerleye gud, dar de man mede bestervet, dat horet alle to deme erve, dat sy eege edder leen eeder varende gud. Nu sal me van dem erve geven tom ersten dat herwede, dat [volget dem] eldesten sone edder dem eldesten swerdmaghe, est dar neen [sone] is. Dar horet to dat beste swerd und dat beste ross edder peerd gesadelt, dat he hadde, und harnsch, dat he hadde to enes mannes lyve, do he starff bynnen synen geweren. Darna schal me eme geve enen heerpol een bedde und kussen und een lynenlaken und ene dielen. Dit is gemeyne herwede to gevende, als settet is de lude menigerhande, dat dartho nicht enhoret. Van Musdele. Na deme hewede schal me musdelen. Des nympt de wedewe den halven deel und de erve beholt den andern halven deel. To musdele horet allerhande spyße, de de dode man in synen weren hadde edder jenich man van syner wegen an hußen edden an haven, by namen alle vlesch, gedodet grone edder dorre, smeer, smalt, oltbacken brot, allerleye drank, alle kokenspyse, alle erweten, bonen grutte, maen, sennep, haring, stokuisch, buckling, bottere, eygere, kese, alle molken, alle cypollen, kniffloss, rove, alle affgebroken svet, alle crude malen edder broken honich, lactuaria, vighen, nossyn, mandelen, vys, und al, dat men meenliken ethen edder drincken mach ro edder gekoket, dat me nicht uthe der erden graven edder van den bomen breken edder doden darff und darto bermen, dat horet to allen mesteswynen. Nicht meer horet to musdele wen dat hyr benomet iss. Van Morgengave. Darna nympt de wedewe morgengave. Acht er de werdt de gegeven heft des morghens, do he erst by eer gelegen hadde und se erst to dissche ghingen vor den luden, do mochte he eer geven ervenloff to nete. Dat sind heve, wyngarden, bomgharden, dede vine bethunet sind. Sind se begraven und nicht bethunet, he enmach ane ervenloff eer des nicht geven. Tymmer, dat is gebuw, edder enen knecht edder dernen bynnen eren jaren, de syn eeghen sind. Ok mach he er geven ane ervenloff alle peerde, alle swyne, alle ryndere, alle tzeghen, de to velde ghan und dede heerde bewaret. Nicht meer horet to morgengave. Van Rade. Darna nympt de wedewe ere rade. Darto horet alle schap und ghantze kisten mit uppehavenen leden, gharne, bedde, kussene, pole lynenlaken, de denm manne vnd der vrouwen horeden. Dischlaken, dwelen, badelaken, dekeneluchter, lyn, wyfflike cledere, umgerlyn, armgold, kappel, saltere, alle boke van godesdenste, de de vrowen pleghen to hebbende und to lesende, alse de sind dar sunderlik beth ane schreven iss, dar enhoret nicht to kerkenboke. Mer ledelen laden, toppede, ummehang, ruggelaken, alle gobende, borste, schere, speygele, sueden, laken to vrouwen cledern und wat se clenades brachte, do se in quam, und wat de man er clenodes gegeven heft. Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 280 Helmst. (Oppitz Nr. 1590), fol. 385. Nach einer Rigaer Handschrift bei Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 159–162. 494 Berlin, StBPK, Ms. lat. fol. 299 (Oppitz Nr. 212), fol. 44r. 495 Berlin, StPBK, Ms. germ. fol. 900 (Oppitz Nr. 157), fol. 347r.
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Wat herwedes, mußdeles, morgengave edder rade vorsat, was by des mannes lyve,496 dat lose he de, dem is bore, eft he will. Von lyffgedinge. Hyr na so is der wedewen lyffgedingk gemaket, an ceghen vor gerichte edder anlehne van dem heren de dat lyet edder an varenderhaue mit ervenlove, dat is ere anders nicht, es wer, se schuldigen darumme den, de se vorsunnet hebbe. Also men den frouwen neen vnrecht don enschal an allen dessen vorbey dingen, also enschal de vrouwe den eruen neen vnrecht don an den dingen, de hyr vore benomet sind. Sunder malk schal sik an syme rechten laten genoghen.“
Bemerkenswert ist dabei, dass sich unmittelbar an das „Stück vom Musteil“ unter der Überschrift „Dit is dat Recht und de ding, de dar oren to deme herwede secundum consuetudinem civitas luneborg“ noch ein weiterer, ausführlicher Katalog findet, der von derselben Hand zu stammen scheint, die auch den Richsteig abgefasst hat: „Syn perd, zadel, coopertur, thom, syn beste harnsch, plate, muze, schild, swerd, syn exe, byl, glavie, den ketelhaken, sinen helm edder ketelhud, einen ketel, dat men ene sculdery inne seden mach, enen gropen, dat men eyn hon inne seden mach, sine besten cledere, syn beste gordel, sine bratzen van dem heinede, sine sulverne schale, eyn bedde negest dem besten, ene kolten, enen pol, eyn kussen, twee lakene negest den besten, eyn kusse uppe den stoel, enen disch, ein dischlaken, darup ene hantdwelen, eyn badelaken, eyn par lynener cledere, hosen, scho, sporen, sine penningkisten. Dit vorgeschriben horet to dem herwede, eft id dar ist, wes dar nicht en is, darf me nicht geven. Vrouwenrade ibidem: Ere beste par cledere, ere besten duck, ere besten koghelen, ehere beste hemede eyn par scho, ere beste bedde mit dem besten houetpole, ere besten twee orkussene, ere beste par laken, ere besten dekene, ere besten kisten, ere besten dokelade, ere beste span, ere beste ungherine negest den handtruwen, ere beste vestich, ere besten wumpel, ere beste tijdebok mit dem bokebudele, ere beste banklaken, ere besten soß stölkussene, enen disch, ere beste dischlaken, de besten handtwelen, eren besten gropen, eren besten ketel, ansneden lenewand, ungewunden gharne, ene katelhaken mit dem ringhe, eyn brandyserne, eren besten luchter, ere beste badelaken und eyn badebecken.“
Mit Ausnahme der letztgenannten Gegenstände der Frauengerade handelt es sich dabei in der Hauptsache um einen durchaus üblichen Umfang städtischer Geradekataloge. Einen bislang nur singulär bekannten, aber durchaus exemplarischen Kurztraktat findet man in einer anderen, heute ebenfalls Berliner Handschrift:497 „Dat kind ist dat negeste, Spe. ar. XVII li. I, soene unde dochtere sint glich an dem erbe to nemen, c. ar. XVII. Wo aver soen odder dochter nicht en sint, alle dye sik darna an de sippe berukken konen, de nemen dat erve gelyk, Spe.498 li. I 496 497 498
Del.: tyden. Berlin, StPBK, Ms. germ. fol. 900 (Oppitz Nr. 157). Del.: ar.
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ar. III et XVII. Ist aver eyn gerade adder hergewede angestorven ymande, dye nymet id to vorn. Vader unde muder nemen erve vor suster unde brudere, li. I ar. XVII. Stervet dye soen unde499 leet hee kinder eh her affgesundert is van synem vadere, dye kinder nemen erve an des eldervaders gude mit der anderen kindern, wen alle nemen see den seyns manesdeyl, Spe. li. I. ar. V. et ar. XIII in glo. in fi. et li. II ar. XIX. Ungetweyde bruder kind sint ok gelyke na dem getweyden brudere an dem erve to nemen, Spe. li. I ar. XX. Nemen twe bruder twe sustern und dye drudde bruder eyn vrommed wiff, ere kindern sint doch gelyke na erve to nemen, eyn islick des anderen, Spe. li. I ar. III. Ungetweyde brudere und susteren, dye nemen erve vor dye, dye getweydet sint van vater und muder. Ungetweyde sustern unde brudere, dye nemen erve vor suster unde brudere unde vor dye eldermuder. Dye Eldervader unde dye eldermuder, dye nemen erve vor suster unde vor bruder, de getweydet sint van vader unde muter. Mynes veddern edder mynes mumen,500 mynes oemen odder mynser wazin.501 Suster kind, dye ungetweydet sin van vader unde van muder, dye sint alle gelyk an deme erve to nemen. Mynes vaddern edder mumen, mynes ohmen odder wasin kindes kind, edder mynes vater edder muter veddern, mumen, wasin addir ohems kind, dye ungetweyget sint van vater unde van muter, dy sint alle glych syppe an erve to nemen. Mynes bruder edder mynser suster kindes kind odder mynes verddern odder mynes aemes edder wazin edder mynes mumen kind, dye sint alle gelyk to nemen, dar keyne tweyunge ane ist van vader unde van muder.“
Ausblicksartig muss auch noch einmal nach Preußen geblickt werden: Im Jahre 1576 nämlich verfasste der Thorner Caspar Schütz († 1594)502 einen „kurtze[n] und gerichtliche[n] bericht von erbfällen“. Er ist noch immer in fünf Handschriften überliefert: Mir lag eine polnische Handschrift vor,503 die von der anhaltenden Bedeutung des Textes für die Rechtsfindung zeugt. Eine weitere Handschrift, die Oppitz nicht mit den anderen beiden indiziert,504 kam 1938 aus Königsberg nach Berlin.505 Die dritte Handschrift des Traktats liegt heute in Tübingen,506 eine vierte, bei Oppitz nicht ver499
Del.: vt. Darüber, ohne Streichung: moddern. 501 Darüber: wesentzijn. 502 Über ihn vgl. Arnold, Zusätze, S. 69 f. – Schütz’ berühmte „Historia rerum Prussicarum“ von 1592 ist jüngst in einem Nachdruck (Hildesheim 2006) wieder aufgelegt worden. 503 Sie ist bei Oppitz (Nr. 771) im Bundesarchiv Koblenz, Dep. StdA Reval A. K. 1 geführt, aber in den 1990er Jahren im Rahmen der Rückgabeverhandlungen von Archivgut wieder an das Staatsarchiv Königsberg überstellt worden. Dem Herder-Institut Marburg habe ich für die leihweise Zurverfügungstellung einer Kopie dieser Handschrift zu danken. 504 Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 254. 505 Berlin, GStAPK, XX. HA. StA Königsberg OP. Fol. 15661 (Oppitz Nr. 105), fol. 429r–451v; rubr.: Extrakt aus Sächsischem Landrecht vnd Weichbild, auch aus Culmischen vnd Gemeinem Keyserlichen Rechte, wie man Erbe nehmen vndt theilen soll. 506 Tübingen, UB, Md 103 (Oppitz Nr. 1432), fol. 171r–289v. 500
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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zeichnete, aber wahrscheinlich noch zu Lebzeiten Schütz’ in Danzig entstandene steht derzeit im Antiquariatshandel zum Verkauf.507 Sie kam in den 1830er Jahren aus Thorn, der Vorderdeckel trägt auf der Innenseite einen polnischen Besitzervermerk des 16. Jahrhunderts. In dieser Handschrift ist dem Traktat auf den fol. 290r–292r ein Register beigegeben, auf fol. 295r–310r folgt ein „Kleiner Bericht wie bey gerichte die bürger vnd bey dinge geheget werden“ (fol. 295r). Eindeutige Quellen dieses Berichtes und des auf den fol. 312v–315r gegebene Formulars „wie das peinliche halssgericht pfleget geheget zu werden“ (fol. 312v) sind aber keine auszumachen; ebenso wenig sind sie einem speziellen Rechtsgebiet wie dem sächsisch-magdeburgischen eindeutig zuzuordnen. Sie scheinen vielmehr aus der unmittelbaren Praxis erwachsen zu sein. Über die Existenz einer fünften Handschrift in der Russischen Nationalbibliothek zu St. Petersburg unterrichtet nun Rogatschewski;508 auch sie ist bei Oppitz nicht verzeichnet. Dass sich zukünftig noch weitere Textzeugen finden werden, ist gerade angesichts der vielfach noch mangelhaften Erschließungssituation der Handschriften des 17. Jahrhunderts und des oft nur fragmentarischen Kenntnisstandes über die Bestände osteuropäischer Bibliotheken und Archive in der westeuropäischen Literatur zu erwarten. In den weiteren Kontext der Erbrechtstraktate gehören auch die Verwandtschafts- und Magschaftsbäume (abores sanguinitatis vel consanguinitatis), eine besondere Form der Visualisierungsschemata, die die Sukzessionsfolge einer Rechtsordnung veranschaulichen wollen. An sich ist diese Bildgattung älter, greift sie doch schon auf antike Vorbilder zurück. Im Bereich des sächsisch-magdeburgischen Rechts findet sie sich aber erstmals in den Bilderhandschriften und wird danach erst im 15. und 16. Jahrhundert, vielleicht auch im Zuge der Rezeption der gelehrten Rechte, wirklich populär. Eine erste Sichtung des Materials hatte bereits in den 1960er Jahren Helko Eis vorgenommen.509 Während er sich auf die Verwandtschaftsbäume Andreaeischer Prägung beschränkt, wählte die materialreiche und besonders für die Rechtsbücherforschung wichtige Tübinger Dissertation Hermann Schadts einen weiteren Betrachtungsrahmen.510 Für die Illustration der Codices picturati konnte er auf eine Reihe möglicher Inspirationsquellen, vor allem die Illustration einer Summa des Bernhard von Pavia, hinweisen. Beide Arbeiten ergänzen sich ansonsten wechselseitig, da Eis 507 Dem Antiquariat Winfried Scholl (Wurnstorf) danke ich für freundliche Information. 508 Rogatschweski, Alter Kulm, S. 205. 509 Eis, Verwandtschaftsbäume, bes. S. 37–43. 510 Schadt, Arbores – zu den Rechtsbüchern vgl. bes. S. 292–306. Einen weiteren Arbor samt Faksimile reproduziert aus einer Handschrift der Dombibliothek zu Bratislava (damals Pressburg) Eis, Schrifftum, S. 58 f.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
hauptsächlich die Texte, Schadt die Bilder in den Blick nimmt. In der Überlieferung der sächsisch-magdeburgischen Rechtsbücher finden sich häufig Verwandtschaftsbäume unterschiedlichen Anspruchs und unterschiedlicher Darstellungsweise. Auch Mischformen sind verbreitet, die kanonistische und sächsische Zählung gegenüberstellen. In der Regel wird solches allerdings in einer Verbindung aus Text und Schema, nicht anhand zweier unterschiedlicher Schemata behandelt. In einer Berliner Handschrift beispielsweise findet sich auf den fol. 216v–218r eine Erklärung des Arbor consanguinitatis nach Andreae, die zugleich mit den erbrechtlichen Bestimmungen des Sachsenspiegels konfrontiert wird.511 Die Auseinandersetzung endet mit den Worten: „Abir nach keyserrechte geth dyß anders zcu.“ Im Grunde sind diese Erscheinungsformen parallel zu den unterschiedlichen Sammlungen von Sippzahlregeln zu begreifen. Ist die Darstellungsform der Arbores ein vom sächsischen Recht lediglich übernommenes Visualisierungskonzept der Kanonistik, das sich aber im 15. und 16. Jahrhundert in großer Überlieferungsbreite nachweisen lässt, so ist auch der deutschsprachige Erbrechtstraktat des späten Mittelalters keine genuine Erscheinungsform des sächsischen Rechts und seiner verwandten Rechtsbereiche. Ebenso haben die gelehrten Rechte früh volkssprachliches Erbrechtsschrifttum hervorgebracht, wobei sich gerade im volkssprachlichen Bereich durchaus auch Wechselwirkung ergeben haben dürften.512 Schließlich sind Erb- und Ehegüterrecht auch die zentralen Rechtsprobleme der statuarischen und landesherrlichen Gesetzesreformationen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts. Ich greife, um noch einmal die Anbindungsfähigkeit einer spezifisch sächsischen an die allgemeine deutsche Rechtsgeschichte zu betonen, zu einem Beispiel außerhalb des sächsischen Rechtsbereichs: In der Oberlandgrafschaft Katzenelnbogen geschah die wohl kurz nach 1580 entworfene, reformierte Landesgesetzgebung expressis verbis in der Absicht, „die mit den Römischen Gesetzen nicht übereinstimmende[n] Gebräuche, in Ansehung der Erbfolge unter Eheleuten“ als „böse Gewohnheiten“ abzuschaffen. Bereits Landgraf Wilhelm II. († 1509) hatte ausweislich des Berichtes, den uns die „Hessische Chronik“ Wiegand Lauzes von der Rechtszersplitterung des Territoriums überliefert, feststellen müssen, „das der Erbfelle halben in seinen Fürstenthumben und Grauenschafften so mancherhand grosse Unordnung und Unrichtigkeit were und gebraucht würde, das auch aus solchen widerwertigen und ungleichen Rechten nichts gutes, sondern ein ewiger zanck und ander Übel folgen muste“, weswegen er von allen Städten Aus511
Eis, Verwandtschaftsbäume, S. 37–43. Ein interessantes Beispiel findet sich Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs. 24042 (Oppitz Nr. 1169), fol. 128r–135v. 512
III. Magdeburger Rechtsbücher und „Magdeburger Recht“
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kunft „von allen iren landbreuchen, alten Gewonheiten, und Statrechten, sonderliche die Erbfelle belangende“ einforderte.513 Diese Initiative ist zu keinem überlieferten Abschluss gelangt; erst unter Wilhelms Enkel, Landgraf Ludwig IV. von Marburg, ist es zu der oben erwähnten Reformation tatsächlich gekommen. Der Fall illustriert aber recht eindrucksvoll, was bereits um die Wende zum 16. Jahrhundert die primären Rechtsprobleme solcher territorialer Rechtsvereinheitlichungen gewesen sind, aus denen das legislatorische Bedürfnis zu einem guten Teil überhaupt erst entstanden sein dürfte. Im Zuge des hessischen Gesetzgebungsprojektes entstand so 1574 aus der Feder des fürstlichen Rates Dr. Johann Clotz († 1610)514 in der Marburger Kanzlei Landgraf Ludwigs ein „Summarischer Auszug der Städt und Landt-Gewohnheit wie es im Ober-Fürstenthumb Hessen und zugehörigen Landschafften in etlichen Erbfällen, Ufrichtung der Einkindschaft und Näherkäuffen gehalten wird“.515 Dieser Auszug ist bereits ein behördlichhoheitliches Aktenstück und nicht wie die früheren Erbrechtstraktat vor allem des 15. Jahrhunderts Privatarbeit. Eine unmittelbare Wirkung im Sinne seines behördlichen Auftrages hat der „Auszug“ wohl dennoch nicht entfaltet. Allen bekannten Nachrichten zufolge ist das Marburger Projekt nach dieser ersten Sichtung zunächst zum Erliegen gekommen und erst nach 1580 die Bestrebung zu einer, diesmal gemeinsamen, hessischen Landesordnung von den brüderlichen Landgrafen wieder aufgenommen worden. Der Rechtshistoriker wird sich also schwer tun, Clotzens „Ausdruck“, über dessen Wirkung auf und Verhältnis zur juristischen Praxis er nichts Genaueres zu sagen vermag, ausschließlich auf Grund seines behördlichen Entstehungsanlasses qualitativ anders zu be- und verwerten als er es mit der Beschreibung der geltenden Rechtsgewohnheiten durch einen Privatmann täte. Letztendlich wird man ihm bestenfalls einen Vorteil in der Informationserhebung zubilligen können. Hier zeigt sich plastisch eines der mannigfaltigen Quellenprobleme rechtshistorischer Forschung, wenn die Wiegenzeit moderner Staatlichkeit in den Blick rückt.
513 Kopp, Ausführliche Nachrichten, Bd. 1, S. 84 f. – zur Sache vgl. auch Löhr, Katzenelnbogen, S. 4 f., der auch die verzweigte Geschichte der Entstehung des Landrechts (S. 3–12) genauer darstellt als es hier möglich und notwendig ist. 514 Über ihn vgl. Gundlach, Zentralbehörden, S. 131. 515 Gießen, UB, Hs. 1020 – der „Auszug“ ist nach dieser Handschrift gedruckt bei Senckenberg, Selecta anecdota, S. 267–300 und kurz erwähnt auch von dems., Commentatio, S. 31.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch 1. Zwickauer Rechtsbuch Unter dem Namen „Zwickauer Rechtsbuch“ ist eine 1348 wahrscheinlich im Auftrage des Rates516 begonnene Handschrift bekannt, die eine Reihe städtischer Aufzeichnungen, Kopien wichtiger Urkunden sowie Auszüge aus der Magdeburger Weichbildvulgata, dem sächsischen Lehnrecht und die Reimvorreden des Sachsenspiegels enthält.517 Im engeren Sinne versteht man darunter jedoch das in der Handschrift enthaltene Stadtrecht in 192 Artikeln. Als der Verfasser des Stadtrechtsbuches, der zugleich den Codex als Ganzes begann, wird allgemein der Zwickauer Stadtschreiber Heinrich der Ältere angenommen.518 In Teilen ediert hat das Stadtrechtsbuch erstmals Hans Planitz,519 dem dann aber erst ein Vierteljahrhundert später eine gemeinsam mit Günther Ullrich besorgte vollständige Ausgabe folgte.520 Einige der Eintragungen aus dem Bereich des städtischen Wirtschafts- und Rechnungswesens sind vereinzelt bekannt gemacht worden.521 Die in der Handschrift enthaltenen Handwerksordnungen schließlich hat Regine Metzler-Schulzke in ihren Beiträgen zu den sozioökonomischen Verhältnissen des Zwickauer Handwerks im Spätmittelalter abgedruckt.522 Das Stadtrecht zerfällt in drei Teile, deren letzterer wiederum in zwei Bücher unterteilt ist, und enthält (I.) Bestimmungen zur Stadtverfassung, zum Bürger- und Zunftrecht, (II.) privatrechtliche Bestimmungen und Sätze zur Gerichtsverfassung, die in der Hauptsache auf dem sächsischen Landrecht und der Weichbildvulgata beruhen, sowie (III.) in weiten Teilen eigenständige Ausführungen über das Strafrecht. Eingestreut finden sich einige bemerkenswerte, jeweils etwa ein Viertel einer Textkolumne einnehmende 516
Planitz, Zwickauer Stadtrechtsbuch, S. 323. Zwickau, StdA, III X 1, Nr. 141b (Oppitz Nr. 1637) – vgl. insgesamt Wolf, Zwickauer Rechtsbuch, sowie Bräuer, Zwickauer Stadtrechtsbuch. 518 Vgl. NDB 8 (1969), S. 423; Bräuer, Zwickauer Stadtrechtsbuch, S. 82 f. 519 Planitz, Zwickauer Stadtrechtsbuch (Edition: S. 339–366). Ausführlicher zuvor lediglich Herzog, Zwickauer Stadtrecht (Textauszüge der Ordnungen für Hochzeit und Kindstaufe von 1361 und 1482 sowie der Absatz „wie man den rat kusit“). 520 Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch – vgl. dazu auch die wichtigen Korrekturen in der Besprechung von Wilhelm Weizsäcker in der ZRG GA 63 (1943), S. 422–426. 521 Nachweise bei Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch, S. X–XV. 522 Metzler-Schulzke, Untersuchungen (dort die Nrn. 1–3, 5–7, 12– 17– 27–29, 33, 40–42 und 47–78), hervorgegangen aus ihrer Leipziger Dissertation: dies., Leistungen (die Texte dort in Bd. 2 und 3). Aus ähnlicher Perspektive vgl. auch dies., Textproduktion. 517
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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Illustrationen, die ähnlich wie in den Codices picturati des Sachsenspiegels einzelne Rechtsakte darstellen, ohne aber gleiches symbolisches Potential zu entfalten.523 Zu den Quellen des Stadtrechtsbuches treten neben den genannten noch einzelne Madgeburger Rechtsweisungen und lokales, städtisches Material. Inwieweit auch der Schwabenspiegel unter die Quellen zu zählen ist, bleibt zweifelhaft. Plantiz formuliert vorsichtig, der Redaktor habe „von dem im sog. Schwabenspiegel niedergelegten Recht Kenntnis gehabt“, jedoch „das Rechtsbuch selbst nicht zur Hand gehabt; denn sein Zitat ist ungenau“.524 Dabei handelt es sich um folgende Bestimmung: Schwabenspiegel
Zwickauer Rechtsbuch
Swer maget oder wip notzoget swie boese si sint, wen sol vber ihn rihten alse ob sie maget ist, wen sol in lebendig begraben. [. . .] (L 311)
Swelich man diser eine notzogit, wirt der mit geschrei vor gericht bracht, und hat di zwene schreiman, die unvorsprochen sin an irme rechte, den sal man lebendic begrabin nach keisers recht. (II 28 § 1)
Unmittelbar wird einsichtig, dass von einem Zitat im Sinne einer wörtlichen Parallele oder gar Übereinstimmung nicht die Rede sein kann. Es bleibt die Frage, wie die Zwickauer Allegation „nach keisers recht“ aufzulösen sei. Eine Parallele im Schwabenspiegel zu suchen, liegt dabei aber durchaus nahe, denn in der Tat zieht auch dort die Notzucht die Strafe des Lebendigbegrabens nach sich. Es folgt die Konkordanz des Sachsenspiegels mit dem Zwickauer Rechtsbuch.525 Die kursiv gesetzten Passagen finden sich sowohl im Spiegel als auch in der Magdeburger Weichbildvulgata, so dass die Quellenfrage nicht eindeutig zu klären ist. Vieles spricht für eine Übernahme aus der letzteren526 – jedoch handelt es sich, ganz gleich, ob mittelbar oder unmittelbar, um eine Rezeption des sächsischen Landrechts, die daher auch mit verzeichnet werden soll. 523 Reproduktionen der in der rechtshistorischen Forschung recht bekannten Illustration zur Strafe des Ehebruches (Pfählung) finden sich z. B. bei Köbler, Bilder, S. 197 sowie – allerdings stark verkleinert – bei Bräuer, Zwickauer Stadtrechtsbuch, S. 82. 524 Planitz, Zwickauer Stadtrechtsbuch, S. 324 geht davon aus, dass der Redaktor des Zwickauer Rechtsbuches den Schwabenspiegel kannte, jedoch „selbst nicht zur Hand“ hatte und deshalb an dieser Stelle ungenau zitiert habe. 525 Der dritte Teil des Rechtsbuches ist in der Ausgabe Ullrich/Planitz gemäß der Vorlage in zwei Bücher geteilt, die ich mit III1 und III2 bezeichne. 526 Vgl. die Ausführungen von Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch, S. XXXIX–XXLII.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Zwickauer Rb.
Ssp. Ldr.
Zwickauer Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
II 30 § 1 II 31 § 1 II 31 § 2 II 32 II 33 II 34 II 35 § 1 II 36 II 37 II 38 II 39 § 1 II 39 § 2; II 40 § 1 II 40 § 3 II 40 § 4 II 41 II 41 II 42 II 43 II 44 § 1 II 44 § 2 II 45 II 46 § 1 II 46 § 2 (Schl.) II 47 (Schl.) II 48 § 1 II 48 § 1 II 48 § 2 II 49 II 50 II 51 III2 25 § 1 III2 25 § 6 III2 25 §§ 10, 13 III2 25 §§ 13, 14 III2 25 §§ 17, 18 III2 25 §§ 19, 20 III2 25 §§ 21–23 III2 25 § 23 (Schl.) III2 19 III2 21 (Anf.) III2 21 (Schl.) III2 20 II 73 III2 22
3§1 3§2 3§3 4 5§1 5§2 5§3 6 §§ 1, 2 6§4 6§5 7 8§1 8§2 12 16 § 1 16 § 2 17 § 1 17 § 2 18 19 § 1 19 § 2 20 § 1 20 § 2 20 § 3 20 § 4 20 § 5 20 §§ 6, 7 20 § 8 20 § 9 21 § 1 21 § 2 22 § 1 22 §§ 2, 3 22 § 4 22 § 5 23; I 24 25 § 1 25 § 2 25 § 3 25 § 4 25 § 5 27 § 1 27 § 2 28 29 30 31 § 1 31 § 2 32
1§1 1§2 2; II 11 § 2 3 11 § 1 11 §§ 3, 4 12 13 § 1 13 § 2 13 § 3 13 § 4 13 § 5 13 § 6 76 13 § 6 14 § 1 14 § 2; II 15 18 § 1 (Schl.) 17 18 § 1 (Anf.) 18 §§ 2, 3 19 § 1 19 § 2 16 § 1 16 § 2 16 § 3 21 20 21 21 22 §§ 1, 2 22 § 3 23 24 § 1 24 § 2 24 § 3 25 § 1 25 § 2; II 72 25 § 3 25 § 4 30 § 2 26 § 1 26 § 2 26 § 3 27; II 28 28 29 § 1 29 § 4 29 § 5
33 34 34 36 37 38 38 38 39 40 41 42 42 43 44 45 45 46 47 47 48 48 48 50 51 51 51 52 52 52 63 63 63 63 63 63 64 65 66 67 68 69 70 70
II II II II
§1 §2 §1 §2 §3
§1 §2 §1 §2 § § § § § § § § § § § § § § § § § §
1 2 1 2 3 2 1 3 4 1 2 4 1 2 3 4 4 5
§1 §1 §1 §3
7 11 § 1 13 § 1 13 § 3
III1 III1 III2 III2
29 27 § 1 34 (Anf.) 34 (Schl.)
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch Ssp. Ldr.
Zwickauer Rb.
Ssp. Ldr.
Zwickauer Rb.
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
III2 35 III2 36 III2 37 III2 38 III1 28 § 1 III2 4 §§ 2, 3 III2 17 § 2 III2 17 § 3 II 71 II 60 II 71 II 72 II 69 II 70 II 68 II 64 II 65 II 66 II 67 II 84 II 85 II 86 II 90 § 1 II 90 § 2 II 90 § 3 II 90 § 4 II 90 § 5
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
II 95 II 96; II 97 II 98 II 99 II 100 II 101 II 87 § 1 II 87 § 2 II 89 § 1 II 89 § 2 II 102 § 1 II 102 § 2 II 102 § 3 II 91 § 1; II 92 II 92; II 93 II 94 § 1 II 94 § 2 I5§2 III1 7 § 3 III1 15 § 7 II 72 II 63
13 13 13 13 13 14 16 16 17 19 20 22 24 25 30 43 44 44 44 46 47 48 48 48 48 48 48
§4 §5 §6 §7 §8 §1 §§ 5, 6 §9 §1 §1 §3 §1 §1 §1 §2 §3 §§ 2–4 §§ 2, 3 §§ 4–7 §§ 8, 9 § 10 § 11 § 12
49 50 51 52 52 53 54 54 54 55 56 56 56 58 58 59 59 59 60 61 65 70
III III III III
§1 §2 §§ 1–4 §5 §6 § § § § § § § § § §
1 2 3 2 3 1 2 4 1 4
5§1 38 §§ 1–3 38 § 4 46 § 2
435
II 63 II 74 II 75 III2 7 § 1
Überblickt man die Einarbeitung des Sachsenspiegel-Landrechts in das Zwickauer Rechtsbuch im Ganzen, so lassen sich einige Auffälligkeiten feststellen. Das betrifft zum einen die Komposition des Rechtsbuches: Während der zweite Teil in weiten Strecken aus dem sächsischen Landrecht und der Magdeburger Weichbildvulgata montiert sind, finden sich im dritten Teil weit weniger Übernahmen; dessen erstes Buch ist offenbar fast völlig selbständig abgefasst worden.527 Gleiches gilt für den ersten Teil des Rechtsbuches, der hauptsächlich städtisches Zunft- und Bürgerrecht sowie die Ratsverfassung regelt. Allerdings sind die Übernahmen im zweiten Teil sehr frei, im zweiten Buch des dritten Teiles dagegen oftmals eng am Text des Landrechts orientiert. Zum anderen ist die Auswahl des SachsenspiegelStoffes bemerkenswert. Das dritte Landrechtsbuch scheint kaum verwendet. Selbst die Stelle III2 7 § 1 aus dem Zwickauer Rechtsbuch könnte im 527 Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch, S. XXXII sprechen von einem „eigenen Rechtsgangbuch“ für Zwickau.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Grunde einer mittelbaren Quelle entstammen, so dass die Hypothese, dem Bearbeiter habe das dritte Landrechtsbuch als Ganzes gar nicht vorgelegen, zumindest möglich wird. Es ist allerdings bislang keine Handschrift bekannt, die einen solchen Vorlagentext beinhalten würde und auch nur sehr schwer vorstellbar, warum ein Abschreiber ausgerechnet das dritte Landrechtsbuch abstoßen sollte. Andererseits ist ein ähnliches Phänomen innerhalb der Schwabenspiegelüberlieferung durchaus bekannt.528 Ullrich und Planitz haben versucht, die Vorlagenhandschriften für das Zwickauer Rechtsbuch zu ermitteln, und konnten deren charakteristischen Lesarten in gewisse Nähe zu den Handschriften der Klasse IVc rücken, die auffällige Ausblendung des dritten Landrechtsbuches aus dem Quellenmaterial aber auch nicht erklären.529 Im Gegensatz zu vielen anderen städtischen Rechtsbüchern haben wir Hinweise auf die konkrete Wirkung des Zwickauer Rechtsbuches. So bewidmete 1398 Markgraf Wilhelm I. von Meißen die Stadt Werdau mit Zwickauer Rechts.530 In der Stadt selbst ist der Codex bis in das 16. Jahrhundert benutzt und durch einzelne Nachträge, beispielsweise zum Erbrecht, ergänzt worden; der letzte Eintrag stammt von 1538.531 Daran schließt sich die etwa drei Jahrzehnte andauernde Phase der Zwickauer Stadtrechtsreformation an.532 Die komplizierte Geschichte der Entwürfe von 1539 und 1569 soll hier nicht en detail wiedergeben werden; sie ist in der Einleitung zur Edition genauestens beschrieben. Für unser Frageinteresse genügt die Feststellung, dass trotz zahlreicher Allegationen vor allem aus den römischen Rechtsquellen, der Carolina und der Reichskammergerichtsordnung von 1495 die Quellen des Sachsenrechts, dabei vor allem das Landrecht und die Buchsche Glosse, noch immer überwogen.533 Es lassen sich aber auch „originelle Neuschöpfungen“, beispielsweise im Bereich der Individualsukzession, feststellen.534
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Rockinger, Dritter Landrechtstheil. Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch, S. XXIX–XXXIII. 530 Wolf, Zwickauer Rechtsbuch, 1712. 531 Ullrich/Planitz, Zwickauer Rechtsbuch, S. IX–XV. 532 Berthold/Hahn/Schultze, Zwickauer Stadtrechtsreformation – vgl. dazu auch Schultze, Zwickauer Stadtrechtsreformation. 533 Einzelnachweise im Register der Edition Berthold/Hahn/Schultze, Zwickauer Stadtrechtsreformation, S. 232–240. 534 Meuten, Erbfolgeordnung, S. 314. 529
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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2. Meißner Rechtsbuch Das Meißner ist mit über 70 vollständigen und fast 30 fragmentarischen Textzeugen nach den beiden großen Spiegelrechten das am weitesten verbreitete deutsche Rechtsbuch des Mittelalters.535 Verglichen mit seiner großen Bedeutung für die Rechtsprechung des 15. und 16. Jahrhunderts in Thüringen, Schlesien, Preußen, Böhmen, Mähren und auch Sachsen ist es erst jedoch verhältnismäßig wenig beachtet worden. Erst in jüngerer Zeit ist er, vor allem durch das Verdienst Ulrich-Dieter Oppitz, wieder verstärkt in den Blick der rechtsgeschichtlichen Forschung gerückt. Das lange Desinteresse an eingehenderen Studien schuldete sich gewiss auch der verbreiteten Ansicht, es handle sich beim Meißner Rechtsbuch im Wesentlichen um einen „vermehrten Sachsenspiegel“.536 Ferner herrschte lange Zeit gleichsam babylonische Namensvielfalt: Als „Schlesisches Landrecht“ in der ersten, höchst mangelhaften Ausgabe von Böhme,537 später dann als „Rechtsbuch nach Distinctionen“ (Ortloff) oder „Buch der Distinktionen“ taucht der Text in der Literatur auf. Noch größer ist die Vielfalt in den Handschriften: Neben den Bezeichnungen, die von den Editoren übernommen wurden, findet sich das Buch in den Handschriften als „Conclusiones legum“, „Buch dez Rechten in Wichbilde in Sechsisszer Art“, „Vunff Bucher Distinctionum Legum Meydeburgisch Recht“, „Optimus liber legum secundum distinctiones“, „Buch der Beweisung“ oder „Buch der Ausscheidung (der Rechte)“ betitelt. 535 Vgl. die neueren Überblicke bei Ulmschneider, Meißner Rechtsbuch, und Oppitz, Meißner Rechtsbuch, sowie ders., Rechtsbücher, Bd. 1, S. 259 zur Handschriftenlage. Dazu bleibt zu aktualisieren: Oppitz Nr. 169, 176 und 1414 enthalten nicht das Meißner Rechtsbuch, sondern die IX Bücher Magdeburger Rechts, Nr. 769 und Nr. 1228 nicht den deutschen, sondern den tschechischen Text des Meißner Rechtsbuches; Nr. 456 und Nr. 958 sind identisch. In die Überlieferungszeugen mit aufzunehmen ist die Handschrift Prag, Nationalbibliothek, VII D 29 (Oppitz Nr. 1259), die Exzerpte aus dem Meißner Rechtsbuch enthält; vgl. Oppitz, Zum Meißner Rechtsbuch, S. 911. 536 Göschen, Goslarische Statuten; John, Strafrecht in Norddeutschland; Weiske, Grundsätze. 537 Böhme, Diplomatische Beyträge, Bd. 1, Tl. 1, S. 34–48, Tl. 2, S. 39–52, Tl. 3, S. 27–41, Tl. 4, S. 1–104 und Bd. 2, Tl. 1, S. 1–61. Großes Lob hat Böhmes Sammlung noch von K. C. Hofacker in der Allgemeinen deutschen Bibliothek 18, 1 (1772), S. 71–77 erhalten. Aus der älteren Forschung verdienen ansonsten noch die Ausführungen von Schott, Unpartheyische Critik, Bd. 4, S. 690–695 und Bd. 6, S. 703–705 Erwähnung. Einzelne Auszüge haben vor Böhme bereits Senckenberg, Gedanken, S. 235–238 und Ludewig (s. unten, S. 444, Anm. 580), vor allem aber Longolius, Vorrath, Tl. 1, S. 62–100, Tl. 2, S. 62–93, Tl. 3, S. 35–50, Tl. 4, S. 92–113, Tl. 5, S. 133–140 und Tl. 5, S. 28–50 bekannt gemacht. Für eine Neuedition heranzuziehen wären ferner die von Klose, Unterhaltungen, Bd. 4, S. 532–545 mitgeteilten Varianten einer Breslauer Handschrift.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
a) Editionen, Überlieferung, Forschung Die noch immer einschlägige Ausgabe des Meißner Rechtsbuches legte 1836 der Jenaer Ordinarius Friedrich Ortloff als ersten Band seiner „Sammlung deutscher Rechtsquellen“ vor.538 Abgesehen von der Wahl der Leitschrift, bei der Ortloff nur zu offensichtlich der guten Greifbarkeit der von ihm genutzten Jenaer Handschrift erlag,539 orientierte sich die Ausgabe weitgehend an den von Homeyer formulierten Grundsätzen. Verglichen mit der reichen Zahl bis heute bekannt gewordener Handschriften ist der Variantenapparat schmal, jedoch werden zumindest Handschriften aller bekannten Textklassen einbezogen. Die frühe Ausgabe Böhmes ist bereits früh als unzureichend erkannt worden. Zu Beginn der 1830er Jahre machte sich daher, offenbar ohne Kenntnis des Ortloffschen Editionsplanes, aber von der Landrechtsausgabe Homeyers ermutigt, der Breslauer Privatdozent August Friedrich Geyder an die dringend notwendige Neuedition des Rechtsbuches.540 Ein Probedruck mit einer kurzen Einleitung und einer Teiledition bis einschließlich Kapitel 4 des ersten Buches ist alles, was von diesem Projekt geblieben ist.541 Wahrscheinlich wegen des Erscheinens der Jenaer Ausgabe hat Geyder sein Vorhaben nie zu Ende geführt. Auch die von Friedrich Nietzsche gemeinsam mit der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde (heute MGH) geplante Ausgabe kam nicht zu stande.542 Seit 1936 arbeiteten in Prag Wilhelm Weizsäcker und Otto Peterka im Auftrag der MGH an einer neuen Edition. Das Projekt ging 1945 gemeinsam mit zahlreichen anderen Unterlagen Weizsäckers, vor allem über die Leipziger und Magde538 Ortloff, Sammlung (hier Bd. 1: Das Rechtsbuch nach Distinctionen. Ein Eisenachisches Rechtsbuch). Mir lag ferner die Handschrift Karlsruhe, BLB, K 2801 (Oppitz Nr. 744) vor, die eine Reihe unterschiedlicher Lesarten aufweist, sich aber in Inhalt und Struktur im Wesentlichen mit der von Ortloff edierten zu decken scheint. 539 August L. Reyschers Rezension zu den Ausgaben Homeyer und Ortloff in den Kritischen Jahrbüchern für deutsche Rechtswissenschaft 1 (1837), S. 23–33, hier S. 32. Ortloffs Leithandschrift befindet sich noch immer in Jena, UB, Ms. Bud. 376 (Oppitz Nr. 374) – zur Handschrift vgl. Pensel, Verzeichnis, S. 165–168. Zudem benutzte Ortloff die Handschrift Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 47.2. Aug. fol. (Oppitz Nr. 1579), die nun Leithandschrift der Oppitzschen Edition werden soll, und eine damals noch Erfurter Handschrift, heute Berlin, StBPK, Ms. Germ fol. 1292 (Oppitz Nr. 188) für die Varianten. 540 Berlin, StBPK, Nachlass Carl G. Homeyer, Kasten 8, Nr. 329, Bl. 2 (Brief Geyder an Homeyer, 5. Januar 1836) – ich füge den Brief wegen der in der gedruckten Einleitung Geyders nicht mehr erwähnten Editionsgrundsätze im Anhang, S. 626 f., vollständig bei. 541 Geyder, Vorrede. Das knappe Vorwort von zwei Seiten gibt Auskunft über die benutzten fünf Handschriften, geht sonst inhaltlich nicht über die im Brief an Homeyer skizzierte Darlegung des Projektes hinaus. Die Editionsproben folgen der Anlage nach dem Vorbild von Homeyers Sachsenspiegelausgaben. 542 Nietzsche, Gesammtausgabe.
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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burger Schöffensprüche, in Flammen auf.543 Etwa zeitgleich (seit 1939) arbeitet an der Universität Bonn Günther Ullrich im Rahmen eines Habilitationsprojektes unter der Ägide von Karl August Eckhardt ebenfalls an der Neuedition. Wie es zum zweiten Mal zu einer parallelen Bearbeitung des Rechtsbuches kommen konnte, ist nicht mehr nachzuvollziehen, zumal Eckhardt in ständigem Kontakt zur MGH stand und über die gleichzeitigen Arbeiten in Prag informiert sein musste. Ullrich fiel 1944; die bislang zusammen getragenen Unterlagen, darunter eine Reihe von Handschriftenfotografien und eine begonnene Konkordanz, sind mit dem wissenschaftlichen Nachlass Eckhardts an das Archiv der MGH in München gelangt.544 Die Probleme einer Neuedition, die sich hauptsächlich der ausgesprochen vielfältig variierenden Überlieferung schulden, hat Oppitz sehr klar dargelegt.545 Bislang ist ein Abschluss des erst vor wenigen Jahren wieder in Angriff genommenen Projekts nicht abzusehen.546 Damit ist die Ausgabe Ortloffs trotz ihrer Mängel noch immer die beste, die wir haben. Übersehen werden dabei allerdings in der Regel die beiden buchstabengetreue Abdrucke zweier schlesischer Handschriften, die mit den Sachsenspiegel-Ausgaben von Piirainen und Wasser (Oppitz Nrn. 846 und 847)547 bzw. Piirainen und ten Venne (Oppitz Nr. 256) vorliegen.548 Die Herausgeber haben sich eingehend um die philologische Untersuchung der edierten Texte verdient gemacht, es aber nicht unternommen, diese inhaltlich näher zu untersuchen.549 Dennoch handelt es sich bei der Krakauer (Oppitz Nr. 847) und der Breslauer Handschrift (Oppitz Nr. 256) eben nicht um Sachsenspiegelhandschriften, sondern um Zeugen der Handschriftengruppe B (Ullrich) bzw. Baa (Weizsäcker) des Meißner Rechtsbuches,550 die im Übrigen auch beide bereits längst als sol543
Zu Weizsäckers Biographie vgl. Hruza, Wilhelm Weizsäcker. München, Archiv der MGH, Kasten 42–45, Nrn. 135–137. Dort findet sich reiches Lesartenmaterial aus den Vorarbeiten Ullrichs sowie der Entwurf einer Klassifikation der Überlieferung. 545 Oppitz, Zum Meißner Rechtsbuch. 546 Als Leithandschrift dieses Editionsprojektes wird Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf 47.2 Aug. fol. (Oppitz Nr. 1579) zu Grunde gelegt; vgl. Oppitz, Zum Meißner Rechtsbuch, S. 909 f. Für eine Neuedition auf Grundlage dieser Handschrift hatte bereits Ullrich, Quellen des Meißner Rechtsbuches, S. 87 f. plädiert. Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 756–766 hat die Rubriken dieser Handschrift im Anhang seiner Ausgabe gedruckt. Auch die Auszüge von Senckenberg stammen aus dieser Handschrift. 547 Piirainen/Waßer, Sachsenspiegel aus Oppeln und Krakau, S. 193–439 – dazu bereits im Vorfeld Waßer, Sachsenspiegel. Vgl. zu dieser Ausgabe auch die Besprechungen von Friedrich Ebel in der ZRG GA 116 (1999) und Anna A. Kozłowska im Biuletyn Biblioteki Jagiellon´skiej 47 (1997), S. 143–155. 548 Piirainen/ten Venne, Sachsenspiegel aus der Dombibliothek Breslau. 549 Piirainen, Conrad von Oppeln, S. 243 betont, dass „es sich bei dieser Ausgabe um eine Edition frühneuhochdeutscher Quellen aus Oberschlesien handelt, die nun von der Rechts- und Landesgeschichte her weiter erforscht werden können.“ 544
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
che identifiziert waren.551 Die bislang vorliegenden Editionsarbeiten sind schließlich jüngst durch den Textabdruck aus dem Codex des wieder entdeckten „Loebschützer Rechtsbuches“ ergänzt worden,552 der als Zeuge der Gruppe C (Ullrich) bzw. Bab (Weizsäcker) zuzuordnen ist.553 Diese Handschrift ist darüber hinaus von besonderem Interesse, weil dem Text des Meißner Rechtsbuches eine Erklärung des Leobschützer Rates, dass „waz man sust yn demselbin [scil. dem Leobschützer] wylkorrecht nicht finden kann, daz sal man suchen yn den nochgeschrebin meydburgischen rechten“.554 Das Meißner Rechtsbuch wird hier also ausdrücklich von offiziöser Seite zur subsidiären Rechtsquelle in Leobschütz erhoben. Darüber hinaus konnte Roth durch Kollation mit einer bereits mehrfach in der Literatur genannten Olmützer Handschrift555 nachweisen, dass diese „mit hoher Wahrscheinlichkeit selbst als Vorlage für L. [scil. die Leobschützer Handschrift] gedient hat“,556 und damit die ältere Ansicht Weizsäckers widerlegen, beide gingen auf eine gemeinsame, verlorene Vorlage zurück.557 In gewisser Weise gewinnt aber mit dieser Feststellung Weizsäckers Annahme einer Verbreitungslinie des Meißner Rechtsbuches von Schlesien nach Mähren hin neues Gewicht.558 Damit sind bereits die verschiedenen Überlieferungszweige des Rechtsbuches angesprochen. Nach den Vorabeiten durch Ullrich und Weizsäcker werden für das Meißner Rechtsbuch vier Textklassen des deutschen Textes 550
Zu dieser Gruppe vgl. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 57. Vgl. nur Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 57; so allerdings auch bereits Piirainen/Waßer, Sachsenspiegel aus Oppeln und Krakau, S. 13. 552 Irgang/Roth, Leobschützer Rechtsbuch. Zum Rechtsbuch vgl. ferner SchmidtWiegand, Siegel, sowie Roth, Meißner Recht; dies., Leobschützer Rechtsbuch; Roth/ Honemann, Alter und Ursprung. 553 Irgang/Roth, Leobschützer Rechtsbuch, S. 208–470. Zur Handschriftengruppe vgl. im Übrigen die Angaben ebd., S. 98–101, die auf der Grundlage von Oppitz und den Korrekturen von Päsler, Sachliteratur, erstellt worden sind und daher den aktuellsten Kenntnisstand bündig zusammenstellen. Die Leobschützer Handschrift ist im Übrigen auch von Böhme, Diplomatische Beyträge, Bd. 2 im Variantenapparat genutzt worden. 554 Gedruckt bei Irgang/Roth, Leobschützer Rechtsbuch, S. 207 und Böhme, Diplomatische Beyträge, Bd. 2, Tl. 2, S. 28. In der Handschrift Breslau, StA, Rep. 135 D 366ab (Oppitz Nr. 305), fol. 28v (fol. ffv nach der mittelalterlichen Foliierung) wird die Erklärung nicht den Ratsmannen von Leobschütz, sondern von Magdeburg zugesprochen. 555 Olmütz, StdA, 167 (Oppitz Nr. 1187) – zur Handschrift vgl. Weizsäcker, Geschichte des Meißner Rechtsbuchs, S. 589–595 und ders., Breslau als Oberhof, S. 32 f. 556 Irgang/Roth, Leobschützer Rechtsbuch, S. 103. 557 Weizsäcker, Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs, S. 31. 558 Weizsäcker, Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs, S. 30–33. 551
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unterschieden, die sich über die Stoffaufteilung (fünf bis acht Bücher; Stellung einzelner Distinktionen), die Stellung des Ephiphonem und einzelne charakteristische Lesarten bestimmen lassen. Zu diesen vier Textklassen tritt als fünfte eine tschechische Übersetzung des Rechtsbuches, die in 20 Handschriften, hauptsächlich des 15. Jahrhunderts, erhalten ist. Dieser Übersetzung ist bislang, soweit es sich ermitteln ließ, nicht wissenschaftlich gewürdigt worden; auch ein Textabdruck, geschweige denn eine kritische Edition liegen noch nicht vor.559 Die Filiation des Reimnachwortes, das erst später, wohl in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts im ostmitteldeutschen Raum entstanden und in 21 Handschriften überliefert ist, hat der Germanist Gerhard Eis herausgearbeitet.560 Insgesamt aber ist die handschriftliche Überlieferung des Meißner Rechtsbuches, zumal gemessen an seiner Verbreitung, noch sehr ungenügend erforscht. Es gilt weiterhin die Feststellung Ulmschneiders, es sei „eine Darstellung der Überlieferungsgeschichte über erste Ansätze [. . .] nicht herausgekommen“.561 Auf eine besondere Handschrift des Rechtsbuchs, in der die Articuli reprobati des Sachsenspiegels ausgespart sind, ist bereits hingewiesen worden.562 In drei erhaltenen Handschriften563 ist im Anschluss an den in diesen Handschriften auf fünf Bücher aufgeteilten, land- und stadtrechtlichen Stoff des Meißner Rechtsbuches ferner ein sechstes, lehnrechtliches Buch überliefert, das unter dem Titel „Lehnrecht nach Distinktionen“ bekannt geworden ist. Nachdem bereits Lauhn auf die Existenz dieser Besonderheit hingewiesen hatte,564 hat es erstmals Homeyer genauer betrachtet und einige Auszüge daraus mitgeteilt.565 Er hat auch bereits dessen Hauptquelle, das Lehnrecht des Sachsenspiegels, identifiziert und auf die mangelnde Selbständigkeit der Schrift hingewiesen. Vollständig gedruckt ist das Lehnrecht nach Distinktionen wohl auch aus diesem Grund bis heute nicht. Walther Ekhardi greift in seinen Neun Büchern Magdeburger Rechts (III, 3 § 6, Nr. IX) bereits darauf zurück, so dass eine Entstehung vielleicht sogar noch kurz vor 1400 angenommen werden darf. Als Entstehungsort wird Preußen vermutet, da sämtliche erhaltenen Handschriften dorther stammen.566 Von der Forschung ist es, wohl wegen seines wenig selbständigen Charakters, bislang so gut wie unbeachtet geblieben. 559
Das Vorwort ist gedruckt bei Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 200 f. Eis, Reimnachwort. 561 Ulmschneider, Meißner Rechtsbuch, Sp. 328. 562 Siehe oben, S. 249. 563 Oppitz Nrn. 358, 451 und 797 – vgl. dazu vor allem die modernen Kurzverzeichnungen (mit Hinweis auf die einschlägige Literatur) bei Päsler, Sachliteratur, S. 90 f. und S. 132–134. 564 Lauhn, Sächsisches Lehnrecht, S. 387. 565 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 101–103 und S. 367 f. 560
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
b) Entstehung und Verbreitung Will man den Entstehungskontext des Meißner Rechtsbuchs verstehen, so reicht der pauschale Verweis auf die Mutterschaft des Zwickauer Rechtsbuches nicht aus, vielmehr ist es unerlässlich, die Rolle des sächsischen Rechts und seiner konkurrierenden Rechte in der Mark Brandenburg zu betrachten.567 Zuvor aber einige Bemerkungen zu den Quellen des Rechtsbuches. Diese gibt der anonyme Verfasser zunächst in der Vorrede selbst an. Demnach sei die Arbeit „geczogen unde gesichert usz keyserlichen buchern, usz deme lantrechte spigels der sachsen, wichbildern buchern und usz geystlichen buchern“. Darüber hinaus habe aber auch er selbst all das, was seine Quellen zu „kurcz gesaczt“ hätten, „zcu vornemen menschlicher vornunft“ versucht, „kuntlicher“ zu fassen.568 Günther Ullrich hat zahlreiche der im Meißner Rechtbuch enthaltenen Sätze auf das Zwickauer Rechtsbuch zurückführen können.569 Noch ausgiebiger aber sind die Goslarer Statuten benutzt worden,570 die hier offenbar als „keyserlich bucher“ angesprochen werden, während die Magdeburger Weichbildvulgata (zusammen mit dem Zwickauer wohl die „wichbildern buchern“) nur selten herangezogen worden ist.571 So beträgt nach Ssp. Ldr. II 13 § 1 die Wertgrenze 566
Steffenhagen, Rechtsquellen, S. 137 f. Vgl. dazu ausführlich Lieberwirth, Markgrafschaft Meißen. 568 Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 15 f.; vgl. auch Oppitz, Meißner Rechtsbuch, S. 105 f. 569 Ullrich, Quellen, der synoptisch allerdings nur „die Sätze beider Rechtsbücher“ gegenüberstellt, „deren Zusammenhang am offensichtlichsten ist und deren Eingang ins Meißner Rechtsbuch deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil es sich bei ihnen um Rechtssätze handelt, die nur in Zwickau selbst entstanden sein können, da ihr Inhalt im Zwickauer Rechtsbuch zunächst durchaus ortsgebunden ist.“ (S. 87). Vgl. ferner ders., Geschichte. 570 Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 770–773 mit Einzelnachweisen. 571 Herdlitschka, Zwickauer Rechtsbuch, S. 5. Unklar ist die Benutzung des Freiberger Stadtrechts, hier zitiert nach dem Text im Cod. dipl. Sax. reg. II, 14, S. 1–53. Es finden sich zwei auffällige inhaltliche Parallelen, die aber nicht zweifelsfrei aufeinander bezogen werden können, da nur im ersten Fall auch eine (vielleicht zu dünne) sprachliche Übereinstimmung festzustellen ist: 567
Meißner Rechtsbuch
Freiberger Stadtrecht
Eyn iczlich unbeschldener man mag sin wort wol selber sprechen, dywile he sich dez schaden getrosten wel, der om selber dovon ensten magk, wenne wandel unde holunge mag he nicht gehabe. (IV 26 § 12)
Unde wenne sich der richter setzet an daz gerichte, alse he dingen wil, so mac ein iklich man wol sin selbis wort sprechen ane buze, der iz kan unde iz tun wil, unde mac ouch wol antwerten durch daz iar ane buze, an alleine in den vardingen, so hat der richter sine buze dran. (31 § 3)
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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für einen kleinen gegenüber einem großen Diebstahl drei Schillinge, im Meißner aber, übereinstimmend mit dem Goslarer Rechtsbuch 37, 15–20 fünf Schillinge.572 Ferner beruft sich der Verfasser vereinzelt auf kanonisches Recht (I 1; I 5 §§ 3, 6; I 21 §§ 2, 3), das er allerdings „schwerlich in seinen ursprünglichen Quellen [. . .] selbst vor Augen gehabt“ haben mag – zu vage sind die Zitationen.573 Wir wissen nicht wann, wo und durch wen das Meißner Rechtsbuch abgefasst worden ist. Die Datierung ist umstritten: Konsens bleibt, dass das Rechtsbuch jedenfalls vor 1387,574 kaum aber noch in der ersten Jahrhunderthälfte entstanden ist.575 Lediglich Johann Daniel von Olenschlager hat in den Ausführungen über die Königswahl auf einem Schiff unter der Frankfurter Mainbrücke (Meißner Rb. VI 9 § 6) einen Hinweis auf eine Entstehung um 1245 sehen wollen,576 da ausweislich der „Flores temporum“ des Matthias von Janov († 1393) ähnliches auch auf dem Konzil zu Lyon im Jahre 1245 geschehen sei.577 Mit dieser auch kaum zu rechtfertigenden Meißner Rechtsbuch
Freiberger Stadtrecht
Bittet ein man eines mannes, der sin wort spreche, wider sinen willen mit Wert sich eyn man vorsproche zcu sine, urteile, der voit gebiete iz im, ienre den mag der richter mid der bussze wol spreche: „Her voit, vreget in, uf wen he twingen, dywile der nicht abelesset, der teidingen wolle“. So spreche he: uf den on mit orteyln heyschet. (IV 26 § 4) man. „Her voit, ich wil syn wort nicht sprechen uff den man“. Ienre vrege einis urteiles: wen he sin mit urteile gebeten habe, ab he sin wort icht sprechen sulle. Dirre spreche aber: „Her voit, ich spreche sines wortes nicht“, also lange daz im der voit die buze zuteidinget, daz sint sechzik schillinge. Ist, daz he blibet in den benken, der kleger mac sin aber bitten mit urteile, daz he sin wort spreche. Alda muz he sin wort sprechen zu rechte, he ist sin darumme nicht ledic, daz he verbuzet hat, di wile he in den benken ist, he muz sin wort sprechen oder muz iz anderweide verbuzen oder muz hinwec gehn. (31 § 15) 572 His, Geschichte, S. 154. 573 Herdlitschka, Zwickauer Rechtsbuch, S. 6. 574 Aus diesem Jahr stammt die älteste, datierbare Handschrift: Wien, ÖNB, Cvp. 2680 (Oppitz Nr. 1501). 575 Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. XXXVIII–XXXLI. 576 Olenschlager, Neue Erläuterung, S. 17. 577 Wats, Historia maior, S. 456.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Frühdatierung hat sich, soweit ich es sehe, die spätere Forschung nicht auseinandergesetzt. Es ist aber versucht worden, den terminus post quem näher zu bestimmen. Eine notwendige Engführung auf die Zeit zwischen 1387 und der Goldenen Bulle von 1356, wie sie Biener und Gaupp vermutet haben,578 ist dabei nicht zwingend anzunehmen, da diese dem böhmischen König zwar eine Reihe von Vorrechten,579 nicht aber die Obmannschaft über die Wahl zuspricht, wie es das Rechtsbuch (VI 9 § 4) tut.580 Als Entstehungsort des Meißner Rechtsbuches ist manchmal Altenburg als die einzige Stadt der Mark Meißen, in der Görlitzer Recht galt, vermutet worden. Oppitz hat dagegen Zwickau ins Gespräch gebracht.581 Dafür spricht die große Zahl literarisch tätiger Stadtschreiber und Ratsmitglieder jener Zeit, die durchaus als Verfasser eines solches Werkes in Frage kämen. Vor allem aber ist, wie oben bereits kurz erwähnt, das Zwickauer Stadtrechtsbuch neben dem Sachsenspiegel als die primäre Quelle des Meißner Rechtsbuches anzusehen. Ausführliche Belege hat bereits Planitz in seiner Untersuchung zum Zwickauer Stadtrechtsbuch dargebracht,582 die Ullrich dann um weitere Stellen ergänzen konnte.583 Obschon an sich nur die Gegenüberstellung mit dem sächsischen Landrecht Erkenntnisinteresse unserer Untersuchung ist, gebe ich wegen der großen Bedeutung des Zwickauer für das Meißner Rechtsbuch im Folgenden eine vollständige Konkordanz der entlehnten Artikel, die die älteren Ergebnisse der Forschung und die späteren Nachträge zusammenfasst. Ich kann mich dabei auf die kurz nach Kriegsende von Marianne Herdlitschka beendete, auf den Variantenapparat von Weizsäcker aufbauende Würzburger Dissertation stützen.584 Das Meißner Rechtsbuch ist benannt nach seinem Entstehungsgebiet. Zugleich ist damit aber auch das Gebiet angesprochen, für das das Rechtsbuch Auskünfte zu erteilten beansprucht. Hierüber gibt uns der mitteilsame und dennoch anonyme Verfasser im Prolog des Rechtsbuches Auskunft: „Dit ist eyn buch dez rechten in wichbilde in sechsisszer art, also is dy von meydeburgk gebruchen, unde dy von halle, unde dy ore volbort do nehmen, unde dy von lipczk zcu halle, dornoch vel stete in der marggreveschaft zcu missen ore volbort nehmen dez rechten.“585 In I 34 § 2 wird darüber hinaus 578
Biener, Commentarii, Bd. 2, S. 111; Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 37–39. Kühne, Geschichte. 580 Darüber ausführlich Weizsäcker, Obermann. Aufgegriffen hatte das Thema bereits Ludewig, Dissertatio. 581 Oppitz, Meißner Rechtsbuch, S. 106; vgl. dazu auch Schmitt, Untersuchungen, Bd. 1, S. 385. 582 Planitz, Zwickauer Stadtrechtsbuch, S. 325–328. 583 Ullrich, Quellen. 584 Herdlitschka, Zwickauer Rechtsbuch, S. 15–45. 585 Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 15. 579
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch Meißner Rechtsbuch
Zwickauer Rechtsbuch
I3 I4 I 4 § 10 I4§9 I 5 § 10 (Anfang) I6§3 I6§5 I7§1 I8§1 I 10 § 2 I 11 § 1 I 14 §§ 1, 2 I 14 § 3 I 16 § 3 I 18 § 3 I 19 § 1 I 20 § 13 I 20 § 14 I 20 § 15 I 20 § 16 I 20 § 17 I 20 § 18 I 21 § 1 I 21 § 2 I 21 § 3 I 21 §§ 4, 7 I 27 § 1 I 32 §§ 1, 2 I 32 § 1 (Schluss) I 32 § 3 I 34 § 3 I 34 § 4 I 34 § 5; I 35 §§ 1, 2 I 49 § 4 I 49 § 11 II 2 § 6 II 2 § 14 II 2 § 15 II 4 § 21 II 5 § 1 II 5 § 1 (Schluss); II 5 § 2 II 5 § 3 II 7 §§ 2–4 II 7 § 5 II 7 § 6 II 7 § 7 II 10 § 2 II 10 § 3 IV 15 §§ 1, 2
II 1 §§ 1, 2 II 2 § 1 I 5 § 15 I 5 § 16 II 3 §§ 1, 2 II 11 § 1 II 11 § 2 II 4 II 5 II 6 §§ 1, 2 II 81 II 9 § 1 II 9 § 2 II 9 § 5 II 11 § 3 II 14 §§ 1, 2 II 25 § 1 II 26 §§ 2, 3 II 29 §§ 1, 2 II 29 § 3 II 22 § 1 II 29 §§ 5, 6 II 30 § 1 II 32 II 33 II 48 § 1 II 71 II 69 II 73 II 68 II 65 II 66 II 74 II 45 bis II 47 II 43; II 44 II 98 II 99 II 97 II 94 §§ 1, 2 II 91 §§ 1–3 II 92 II 93 II 87 § 1 II 87 § 2 II 88 II 89 § 1 II 84 II 86 II 72 (Schluss)
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern Meißner Rechtsbuch
Zwickauer Rechtsbuch
IV 23 § 16 V 1 § 10 V2§2 V2§3 V3§1 V4§1 V 4 §§ 3, 5, 7 V 4 § 4 (Anfang) V4§8 V 4 § 11 V 4 § 12 V 4 §§ 14, 15 V 4 §§ 17, 18 V 5 §§ 1–3, 6 V7§2 V8§1 V 8 §§ 2, 4 V8§3 V8§5 V 27 § 2 V 30 § 1 V 30 § 2
II 48 § 2 I 1 § 27 I 1 § 34 I 1 § 45 I3§1 I 5 § 13 I 5 §§ 11, 12 I 5 §§ 9, 10 I 5 § 14 I5§5 I5§8 I5§1 I5§2 I6§1 I7§2 I2§1 I 2 §§ 4, 5 I 2 § 15 I2§7 I 11 § 1 II 102 § 1 II 102 § 2
näher erläutert, was es heißt, „binnen“ bzw. „buten“ des Meißner Landes zu sein: „Daz heyst in deme lande: zcwuschen bohemschen gemercke unde zcwuschen deme frenckeschen walde, zcwuschen der elbe unde doringeschen gemercke; daz ist missenlanth, ime oster lande, in plisenland unde in der voite land von widow.“ Neben der Markgrafschaft Meißen nennt der Prolog aber auch Polen, Böhmen, Brandenburg, Sachsen, Thüringen, Westfalen. Diese Umschreibung deckt sich auffallend stark mit dem tatsächlichen Verbreitungsgebiet des Rechtsbuches, soweit wir es aus den erhaltenen Handschriften rekonstruieren können.586 Den größten Einfluss jedoch hat es in Mittelosteuropa entfaltet. Einen Überblick über diese Verbreitung hat Wilhelm Weizsäcker zunächst für Böhmen und Mähren,587 einige Jahre später dann in gröberen Zügen für ganz Mittel- und Osteuropa vorgelegt.588 An anderer Stelle konnte er anhand einer Lemberger Schöffenspruchsammlung nachweisen, dass auch die tschechischen Übersetzungen des Rechtsbuches in Böhmen rezipiert worden sind.589 Nicht minder bedeutsam war 586
Oppitz, Meißner Rechtsbuch, S. 104. Weizsäcker, Geschichte des Meißner Rechtsbuchs – vgl. im Übrigen auch Gaupp, Stadtrechte, S. 256–274 (Anhang XVI). 588 Weizsäcker, Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs. 589 Weizsäcker, Böhmische Schöffenspruchsammlung. 587
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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das Meißner Rechtsbuch für die Rechtsentwicklung in Preußen,590 wo es nicht nur zu den wichtigen Quellen der weit verbreiteten „Neun Bücher Magdeburgischen Rechts“ Walther Eckhardis,591 sondern auch in zahlreiche abecedarische Arbeiten und Exzerptschriften eingearbeitet wurde.592 Die Rezeption des Meißner Rechtsbuches beschränkt sich aber durchaus nicht nur auf die Gebiete des deutschen Ostens, sondern strahlt auch in die mitteldeutschen Gebiete des sächsischen Kernlandes zurück. So findet sich Meißner Rb. III 14 §§ 9–11 wörtlich in einem Weistum der Leipziger Schöffen für Dresden inseriert, das im ausgehenden 15. Jahrhundert ergangen und später mehrfach abgeschrieben und gedruckt worden ist.593 Zu den bislang bekannten Rezeptionsträgern im fränkischen Rechtsgebiet zählen das Wimpfener Rechtsbuch594 und die Eschweger Statuten.595 c) Das Verhältnis zum Sachsenspiegel Bereits Ortloff hat die breite Verwendung des Sachsenspiegels bei der Abfassung des Meißner Rechtsbuches nachgewiesen.596 Ich lasse nun noch eine Konkordanz der eindeutigen Übernahmen folgen. Starke inhaltliche Parallelen, bei denen die Rückführung auf den Sachsenspiegel dennoch unsicher bleiben muss, werden kursiv gesetzt. Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
I I I I I
I I I I I
I I I I I
I 18 § 3 I 18 § 4 IV 43 § 1 IV 46 § 9 I 20 § 10
1 3 §§ 1, 2 3§3 4 5§1 590
2 3 4; I 6 § 5 5 § 10 6§3
5§2 5§3 7 8§3 11
Steffenhagen, Rechtsquellen, S. 110 f.; eingehend dazu Hanow, Jus Culmense, Vorbericht, S. 17–26. 591 Siehe dazu Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 427–429. Die „IX Bücher“ sind auch nach dem Namen ihres Herausgebers Albert Poelmann (1557 in Königsberg als Notar belegt) unter dem Titel „Poelmannsche Distinctionen“ (so in der Ortloffschen Ausgabe) bekannt. 592 Päsler, Sachliteratur, S. 256–265. 593 Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, S. 59–67. Zur Überlieferung und dem Nachweis älterer Drucke S. 59 f., das Exzerpt aus dem Meißner Rb. auf S. 66 f. (Nr. 7). Der einem Leipziger Spruch für Plauen beigegebene Verweis von Kisch (S. 77) auf das Meißner Rb. IV 7,7 ist insofern substanzlos, als diese Stelle eine wörtlich mit der im Spruch selbst allegierten Passage [Ssp. Ldr.] „lib. II. art. 16“ [§ 9] übereinstimmt. 594 Laufs et al., Wimpfener Rechtsbuch, S. 184 und S. 205. 595 Siehe unten, S. 480. 596 Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 767–769.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
I 42 § 1 I 20 § 11 I 20 § 12 I 19 § 1 I 19 § 1; I 16 § 3 IV 43 § 1 I 13 §§ 1–3 I 13 § 3 I 20 § 17 I8§1 I9§1 I 19 §§ 2–5 I 20 §§ 13, 14 I 20 § 2 I 20 §§ 15, 16 I 20 § 18 I 21 § 1 I 21 § 2 I 21 § 3; IV 11 § 1 IV 24 IV 21 §§ 37–39 I 49 § 11 I 49 § 11 IV 23 §§ 10–13 IV 23 § 14 IV 23 § 15 I 21 §§ 4–7 IV 23 § 16 III 14 § 7 IV 26 § 12 IV 26 §§ 2, 3 IV 26 § 10 IV 26 § 5 IV 26 § 7 IV 26 §§ 8, 9 IV 26 § 11 IV 31 § 1 IV 35 § 1 IV 31 §§ 2, 3 IV 22 §§ 1–16 IV 22 §§ 17, 18 IV 22 § 19 IV 24 IV 45 § 22 IV 20 § 3 IV 20 § 1 IV 20 § 4 IV 4 § 6 III 14 § 1
I 70 § 3 I 71
IV 28 IV 29
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
IV 30 IV 23 §§ 7–9 IV 21 § 40 IV 45 § 19 III 13 § 1 IV 25 § 20 IV 21 § 34 IV 43 § 9 IV 43 § 6 IV 25 § 5 IV 25 § 5 IV 25 § 4 IV 25 §§ 6–18 IV 21 § 35 IV 9 § 2 IV 13 § 1 IV 10 § 5 IV 9 § 2 IV 14 § 1 IV 7 § 4 IV 7 §§ 1, 4 IV 7 § 6 IV 5 § 20 IV 7 § 7 IV 27 §§ 1–3 IV 27 § 4 I 27 § 1 I 26 § 2; II 4 § 2 I 26 § 3 I 26 § 1 I 27 § 2 I 32 §§ 1, 2 IV 17 IV 42 § 13 I 32 § 3 I 32 § 4 IV 36 §§ 1,2 IV 9 § 3 IV 9 § 4 IV 9 § 5 II 10 § 11 II 9 § 4 II 8 § 4 I 33 § 1 I 33 § 2 I 34 §§ 3, 4
12 13 14 16 17 18 20 21 21 22 24 25 27 28 31 32 33 36 37 38 38 46 47 48 49 50 51 51 54 60 60 61 61 61 61 61 62 62 62 63 64 65 65 65 66 67 68 68 70
§2 §1 §2 §1 §2 §4 §§ 2–5 §1
§1 §§ 2, 3
§1 §§ 1–3 §4 §4 §1 §2 §1 §2 §3 §4 §5 §1 §2 §§ 3–5 § § § §
1 2 4 3
§1 §2 §2
2 3§2 4§2 5§2 6§2 6§4 10 § 1 11 § 1 11 § 2 11 § 4 12 § 1 12 § 2 12 §§ 3–14 12 § 15 13 § 1 13 § 4 13 § 5 13 § 6 13 § 7 16 § 6 16 § 5 16 § 7 16 § 8 16 § 9 17 19 § 2 20 § 1 21 § 1 21 § 4 21 § 5 23 24 26 29 30 31 §§ 1, 2 34 35 36 37 39 § 1 40 §§ 1, 2 40 § 4 42 43 44 §§ 1, 2
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
I 33 § 3 II 10 § 2 II 10 §§ 4, 5 II 10 § 10 II 10 § 3 II 10 § 12 II 10 § 13 II 2 § 15 II 2 § 6 II 2 § 12 II 2 § 7 II 2 § 14 II 7 §§ 1–7 V 30 V 31 § 1 V 31 § 2; II 4 § 22 II 5 II 4 § 21 V 32 V 42 § 14 VI 1 § 1 II 10 § 9 II 9 §§ 1–3 IV 26 §§ 13, 14 IV 15 VI 2 §§ 1–5 VI 3 § 1 VI 3 § 2 VI 6 §§ 1–4 VI 4 §§ 1–8
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
IV 21 § 32 I 33 § 5 IV 42 §§ 15, 16 IV 20 § 2 I 22 § 2 I 33 § 6 IV 40 § 1 IV 20 § 8 IV 20 § 10 IV 9 § 10 IV 23 § 17 IV 40 § 2 I 34 § 5 I 35 III 9 § 3 IV 45 § 18 IV 41 §§ 1–4 IV 41 §§ 5–11 VI 7 VI 8 IV 32 IV 10 § 2 IV 5 § 9 IV 33 (A) IV 33 (B) § 1 IV 33 (B) § 2 IV 34 VI 9 §§ 1, 6 VI 9 §§ 7, 8 VI 11 VI 22 VI 23 VI 10 VI 9 §§ 2, 3 VI 21 §§ 2, 3 VI 21 §§ 4–8 VI 9 §§ 4, 5 VI 12 VI 13 § 1 VI 31 § 2 VI 17 VI 24 VI 15 VI 16 VI 17 VI 18 VI 19 §§ 1–11 VI 19 §§ 12, 13 VI 20 §§ 1–6
44 46 47 47 48 48 48 50 51 51 51 52 54 56 57 58 58 59 59 60 61 61 62 63 65 66 67 69 71 72
III III III III III III III III III III III III III III III III III III
§3 §§ 2–4 §§ 1–4 §5 §§ 2, 3 §7 §§ 10–12 § § § §
1 2 3 1
§1 §§ 2, 3 §§ 1, 2 §§ 3, 4 §§ 1–4 §5
§§ 2–4
2 3 5§3 5 §§ 4, 5 6 7§2 7§3 7§4 8 9§5 10 11 12 13 14 § 1 14 § 2 15 § 1 15 § 3
VI 2 § 6 IV 14 §§ 4, 5 IV 42 § 17 IV 42 §§ 19, 20 IV 36 §§ 4–6 III 17 § 38 III 17 §§ 31–33 III 17 § 3, 4 VI 5 IV 37 IV 38 §§ 1, 3, 4 IV 38 § 2 IV 39 §§ 1–3 IV 39 § 4 IV 26 § 15 IV 39 § 5 I 20 § 1 I 33 § 4
17 21 22 24 27 29 31 34 34 35 36 37 38 38 39 39 41 42 44 44 45 46 46 47 48 49 51 52 52 53 53 54 54 54 55 56 57 58 59 60 60 61 62 63 63 64 64 65 66
§ § § §
2 3 1 3
§1 §1 §§ 2–5 §§ 1, 2 §§ 3, 4 §§ 1–3 §1 §§ 2, 3 §1 §2
§1 §§ 2, 3 §1 §§ 2, 3 §1 §2 §§ 3, 4
§1 §§ 2, 3 §1 §§ 2, 3 §§ 1, 2 §§ 3–11
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
Ssp. Ldr.
Meißner Rb.
III III III III III III III III III III III
VI 20 § 7 VI 20 § 8 VI 25 §§ 1–3 VI 25 § 4 VI 26 I 36 § 1 I 36 §§ 2, 3 I 22 § 2 I 23 § 3 I 23 §§ 1, 2 I 36 § 4
III III III III III III III III III III
I 37 § 1 I 37 §§ 1, 2 I 33 § 1 I 33 § 2 I 39 § 1 I 39 §§ 2–4 III 8 § 2 VI 27 VI 28 VI 29
67 68 69 70 71 72 73 74 75 76 80 § 1
80 81 82 83 83 84 87 90 91 91
§2 §2 §1 §3 §1 §1 §§ 2, 3
3. Eisenacher Rechtsbuch Bereits Ortloff hatte gemeinsam mit dem Meißner auch dessen wichtiges Tochterrechtsbuch, das Eisenacher Rechtsbuch, herausgegeben.597 Es ist nur in einer einzigen, aber wohl nicht autographen Handschrift überliefert.598 Rondi hat für seine neue Ausgabe des Eisenacher Rechtsbuches in den „Germanenrechten“599 die ältere von Ortloff nochmals mit diesem einzigen überlieferten Textzeugen verglichen; viele Verbesserungen haben sich aber nicht ergeben. Die beigefügte hochdeutsche Übersetzung scheint, da das Rechtsbuch keinen besonders ausgefallenen Dialektwortschatz enthält, nicht zwingend notwendig; auch die Einleitung der Neuausgabe bringt nicht viel neues, aber doch einige neuere Details über den Verfasser, Johannes Rothe.600 Um 1350/60 in Creuzburg an der Werra geboren, bekleidete er wohl zwischen 1384 bis 1397 das Amt des Eisenacher Ratsschreibers.601 Rothe ist der mediävistischen Germanistik kein Unbekannter: Vor allem seine drei Chroniken – sie stellen den Beginn der volkssprachlichen Chronistik in Thüringen dar –602 und der derzeit für eine Neuausgabe vorbereitete „Ritterspiegel“ haben vielfaches Interesse auf sich ziehen können.603 Diese Neuausgabe wird sich im Übrigen an derselben Kasseler 597
Ortloff, Sammlung, Bd. 1, S. 625–756. Kassel, GLM, 4o Ms. poet et roman. 8 (Oppitz Nr. 760), fol. 81r–149v. 599 Rondi, Eisenacher Rechtsbuch. 600 Vgl. die Besprechung in der TjvR 19 (1951), S. 352 f. mit dem charmanten Hinweis, dass bereits das „Papier von minderwertiger Qualität“ der Ortloffschen Ausgabe eine neue Edition rechtfertige (S. 352). Dazu bleibt zu bemerken, dass gleiches nun auch für die Neuausgabe von 1950 gilt, die dem Säurefraß anheimzufallen droht. Das Verdienst, Rothe als Verfasser identifiziert zu haben, gebührt wohl Bech, Johannes Rothe. 601 Honemann, Johannes Rothe. 602 Strohschneider, Verslegende. 598
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
451
Handschrift orientieren, die den einzigen Überlieferungsträger des Eisenacher Rechtsbuches darstellt; denn auch der Ritterspiegel ist nur in dieser einen Handschrift auf uns gekommen. Rothe zieht für sein Rechtsbuch eine Vielzahl von Quellen heran. Dazu zählen neben dem Meißner Rechtsbuch, einem glossierten Sachsen- und dem Schwabenspiegel vor allem kanonistische Quellen, neben dem Decretum Gratiani eine Reihe von Dektralen Gregors IX. und Bonifaz VIII., aber auch die Digesten.604 Daneben ist vor allem mit Blick auf die Gerichtsverfassung Eisenacher Recht eingearbeitet. Diese Eisenacher Quellen, von den vor allem die „Gerichtsleuffte“ wichtig erscheinen, sind der Ortloffschen Ausgabe beigegeben. Rondi hat – Ortloff in dieser Hinsicht folgend – als 118. Kapitel des dritten Buches darüber hinaus einen Absatz übernommen, der auf das Kleine Kaiserrecht zurückgreift:605 Eisenacher Rechtsbuch, III 118
Kleines Kaiserrecht, III 8
Lehinschaft des riches ist als vel alz eyn stetekeit der truwe, dovone der lehinber herre adir man daz riche allewege buwin sal; wan dinstmanne des richis sint alzcyt gebundin, des richis schadin zcu warnen mit rechte, darumme en der keysir gegebin hat, des richis gut zcu besitzcen. Ouch had der keysir mit des richis gute der dinstlude kint begnadit; wo di manne zcumale sterbin, do behaldin ez di jungfrouwin. Daz irwarb di keyserynne Justina mit zcwelff jungfrouwin und hundirt dinstmannen, und gingen vor den keysir, und vil em zcu fusse, und sprache: „Herre, wir beten gnade durch des riches armosen willen, unde ouch gedencket, daz dem riche mannig erlich man
[. . .] Auch sal man wiszen, daz der keiser hat begnadet mit des riches gut der dinstlute kinde, die iuncfrowen sint, das sie es behalden von des riches genaden, wan die man zumale sterben oder irstorben sint, die des riches erben solden sin gewesen mit rechte. die genade solt nit sin gewesen von recht, wan das die dinstlude gemeinlich baten den keiser, daz er durch des riches almusen willen ir kint begnadete die iuncfrowen sint,
603
Die wichtigste Literatur über Rothe nennt nun Kalning, Kriegslehren, S. 88–90. 604 Sie sind handlich greifbar im Vollzitat in der Ausgabe von Rondi, Eisenacher Rechtsbuch, S. XLIII–XLVII. Strenge/Devrient, Stadtrechte, S. 28* sind daher der Meinung, Rothe habe „das kanonische Recht am Eisenacher Schöffenstuhl zur Geltung gebracht und bei der Abfassung seiner juristischen Schriften vornehmlich die Verbindung der deutschrechtlichen Grundsätze mit dem römischen Recht erstrebt“. Für keine dieser beiden Annahmen kann ich materielle Gründe finden. 605 Zit. nach Endemann, Kleines Keyserrecht, S. 197–200 und Rondi, Eisenacher Rechtsbuch, S. 244. Der Verweis von Rondi ist ein Druckfehler.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Eisenacher Rechtsbuch, III 118
Kleines Kaiserrecht, III 8
von dinstmannen mag von dessin jungfrouwelin werdin.“ Du gewerte si der keyser, daz die tochter solden lehinschaftig sin, uff daz von en menlich frucht worde geboern.
das sie icht erbelos worden bliben. Da antwort in der keiser: sint der keiser hat bestetiget mit des riches gut den witwen des riches dinstwiben; vn en wolde es nit tun. Do nam die keiserin Justina zwelf iuncfrowen mit ir vnd hundert distman, vn ging fur den keiser, vnd viel im zu fuz vn sprach: wir biden dich gnaden herre durch des riches almusen willen, vn auch gedenke, daz dem riche manig erlich dinstman mag werden von dieser iuncfrowen willen. Do gewert der keiser der edeln keisern. Daz tet er aber also, wo die man irsturben zumale, da solden die tochter lehenhaft sin durch daz von in menlich frucht worde geborn, vn auch daz sie solden sich nit nidern mit den mann wan es solden dinstlude sin durch daz, daz des riches gut icht queme an fremde hant, die es nit zu rechte solde han. [. . .]
Zunächst ist dieses Stück seinem Inhalt nach bemerkenswert: Mit der Anekdote von der um 388 verstorbenen Gattin Valentinians I. tritt zu den bisher bekannten Legenden um das Kaiserrecht eine weitere hinzu.606 Interessanter aber noch scheint die Frage, ob dieses Kapitel tatsächlich integraler Bestandteil des Rechtsbuches sei, oder ob nicht vielmehr ein Exzerpt mit nur mangelhafter äußerer Trennung vom Vortext vorliegt. Der Sache nach scheint mir das sehr nahe liegend. Man wird zwar nur sehr bedingt mit dem mangelnden Bezug zum vorhergehenden Kapitel argumentieren dürfen – solcher Mangel ist eine häufige Erscheinung in den deutschen Rechtsbüchern –, wohl aber ist dieses Kapitel III 18 das letzte des Eisenacher Rechtsbuches, denn das von Rondi ebenfalls (als III 19) mit aufgenommene Stück „Über die sieben freien Künste“ ist doch mit großer Sicherheit kein Bestandteil des Rechtsbuches mehr. So wird man mit gleichem Recht auch das Vorgehende abziehen dürfen und es vielmehr als Exzerpt aus dem Kleinen Kaiserrecht auffassen dürfen. Das Eisenacher Rechtsbuch enthält auch eine kleine Anzahl von Bestimmungen zum Tierrecht aus der Lex Baiuvariorum, die Rondi in seiner Aus606
Merkt, Justinia von Padua.
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch
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gabe irrig als aus dem Schwabenspiegel übernommen gekennzeichnet hat.607 Die Anlehnung an den Text der Lex ist im Eisenacher Rechtsbuch noch stärker als im Schwabenspiegel (L 333–345, 365 und 366), so dass wir einen direkten Rückgriff auf den Text anstelle einer Übernahme vermittels des Schwabenspiegels annehmen dürfen. Vielleicht lässt sich daraus auch der Rekurs auf „konnig Karls recht“ (Eisenacher Rb. III 113 und 115) erklären, der sich im Schwabenspiegel nicht findet. Sicher hat Krause Recht, wenn er den Bezug auf das Kaiserrecht im Eisenacher als ein Erbe des Meißner Rechtsbuches ansieht.608 Eine direkte Gegenüberstellung verdeutlicht die Parallelen: Eisenacher Rechtsbuch (Ed. Rondi)
Lex Baiuvariorum*
Wer eyn leytehunt irslehit adir vorterbit, der sal sime herrin alz eyn guten gebin, alz yener was, und sechz schillinge phennige darzcu. Umme eynen vorleginden hunt ist ez dazselbe. Und ist der man des unschuldig, her mucz sine unschult selbderte fromer luthe davor thun. Irslehit adir vorterbit eyner eyn tribhunt, der sal sime herrin alz eynen guten gebin und dry schilling darzcu; ist her unschuldig, her tud sin recht davor alleyne. Irslehit adir vorterbit eyn man eyn spoerhunt, her sal als eyn gudin davor gebin und sechs schillinge darzcu. Irslehit adir vorterbit eyn man eyn bebirhunt adir dachshunt, her sal als eyn gudin davor gebin und sechs schillinge darzcu. Irslehit adir vorterbit eyner eynen winthunt, der salz alz eyn gudin davor gebin und dry schillinge davor. Irslehit adir vorterbit eyner eyn vahehunt, her sal alz eyn gudin davor gebin unde dry schillinge darczu. Daz ouch die hunde alz gut sin, alz yene warin, daz mucz man bewisen mit eyden. Vile ouch der genanten eyner an eynen man und risse eme sine kleider adir wundete en, und werit sich der man und irslehit adir vorterbit en, her mucz en wol gelden mit eyme alz guten, alz vor geschrebin stet, her endarff abir keyn gelt darzcu gebin. Gildet her
[1.] Si quis canem seucem, quem leitihunt dicunt, furaverit vel occiderit, aut similem sut ipsum reddat et cum VI sol[idis] conponat; et si negare voluerit, cum III sacramentalibus iuret secundum legem suam. [2.] Si autem seucem ductum quem triphunt vocant, furaverit, cum III solidis conponat aut cum sacramentale iuret. [3.] Si autem seucem qui in ligamine vestigium tenet, quem spurihunt dicunt, furaverit, cum VI sol[idis] conponat et similem aut ipsum reddat. [4.] De eo cane quem bibarhunt vocant, qui sub terra venatur, qui occiderit, alium similem reddat et cum VI sol[idis] conponat. [5.] De canibus veltricibus, qui leporem non persecutum sed sua velocitate conprehenderit, cum simili et III sol[idis] conponat. [. . .] [10.] Si autem canis per vestimentum aut per membrum hominem tenuerit et de manu eum percusserit, ut moriatur, similem reddat et amplius non requiratur. Et dominus canis quod canis fecit, conponat medietatem ac si ipse fecisset; si hoc non voluerit, canem non requirat. (XX 1–5, 10)
607 608
Schumann, Entstehung und Fortwirkung, S. 316; dies., Rezeption, S. 345–347. Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 110–113.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Eisenacher Rechtsbuch (Ed. Rondi)
Lex Baiuvariorum*
en danne, so mucz ouch der herre des hundes dessime sinen schadin an wunden adir an den kleidirn, der en her bewiset, wedirgeldin, adir si mussen beide glich slahin, und er yglich habin, alz her hat. Dit ist alliz konnig Karls recht mit den hunden. (III 113) Wer eyn habich irslehit adir vorterbit, der sal dem herrin alz eynen gudin gebin und sechz schillinge phenge darzcu. Irslehit adir vorterbit her eyn blafucz, her gebit alz eyn gudin davor und dry schillinge darzcu. Irslehit her eyn sperwer adir sprinzce, her sal alz eyn gudin davor gebin und eyn schilling darzcu. Irslehit eyner eyn phauwen adir eychorn adir desglichin, adir vorterbit ez, her sal alz eyn gudin davor gebin und eynen schilling darzcu. (III 114)
[1.] Si accipitrem occiderit, quem chranohari dicunt, cum VI sol[idis] et simile componat; et cum I sacramentale iuret, ut ad volare et capere similis sit. [4.] De sparuuariis vero pari sententia subiaceat cum solido et simili restituendi et cum sacramento, ut tales sint, quales interfectione damnavit. (XXI 1, 4)
Est, daz eyner eyme yn sinen wingarten get und eme sine boyme abehouwet, und sin ez boyme, die obez tragen, und obirkommit her en dez, her mucz em daz obez gelden noch der werde, alz ez von yclichim boyme gulde, zcwelff jar, und alz ez der, des der garte ist, gegebin wolde habe, und nicht mer der genanten zcwelff jar, daz her achtid und ez beheldit mit sime eyde, und mucz eme dannoch andere alz machin und alz guderleye propphin und zcugen an di stat, und mucz dem gerichte zcu busse gebin eyn phunt. Dit is konnig Karls recht. (III 115)
[1.] Si quis alienum pomarium exfodierit per invidiam vel excideret arbores fructiferas ubi XII sive amplius fuerint: imprimis XL solidos conponat XX cuius pomarium fuit, et alios XX in publicum, quia contra legem fecit, et alios arbores similes ibi plantet et unamquamque arborem cum solido conponat, et omni tempore pomorum solid[o] donet, usque ille arbores fructum faciunt quas ille plantavit. (XXII 1)
Est, daz eyme eyn swarm bene enphlugit und vallen an eynen boym, und her en in dren tagen nochvolget, so sal her yeme sagin, des der boym ist, daz her mit eme gehe und eme sinen swarm helffe gewinne. Si sullen miteynandir gehin und sullen mit stecken an den boym slahen und mit kulen und womete si mogen, und also, daz si den boym nicht vorserin und nicht vorterbin; und vallen sie uff eynen zcun adir hucz, adir an waz si vallen, so ist ez dazselbe recht alz umme den boym.
[8.] Si apes, id est examen alicuius ex apile elapsus fuerit et in alterius nemoris arborem intraverit et ille consecutus fuerit, tunc interpellat cum cuius arbor est, et cum fumo et percussionibus ternis de traverse secure, si potest, suum eiciat examen; verumtamen ita, ut arborem non laedatur. Et quod remanserint, huius sint, cuius arbor est. (XXII 8)
IV. Das Zwickauer, das Meißner und das Eisenacher Rechtsbuch Eisenacher Rechtsbuch (Ed. Rondi)
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Lex Baiuvariorum*
Wan her di slege daran getud, waz der bene herabe vallen, di sint des, dem si enphlogen sin, und waz er blibit, di sint dez, zcu dem si geflogin sin. Ist ez abir lengir danne dry tage, daz si enphlogen sin, der beheldit si, uffe des boym, huse adir andir sine dinge si geflogen sin. Wer do hene bene macht, darmede her sime nagkebur sine bene vorterbit, mag man en des obirkome, her mucz den schadin geldin und vorlust sine bene mit rechte, der sich der richter undirwindit, alz des gezcuges, do man schadin mede hat gethan. Ist, daz eyn man wilde bene vindit yn dem walde yn eyme boyme, der mag her sich undirwindin adir des honniges; heygit si abir eyn herre yn sime walde, also daz her si zcihen lessit bi dem loche, da sie uzfligin, wer sich danne der undirwindit adir ires honniges, der begheit eyne dube, und gehit eme zcu hut und zcu hare. Sint si abir uff dem evlde uff weysackere, do der boym stet, des sint si. (III 116) * Zit. nach Schwind, Lex Baiwariorum, S. 460–471.
4. Das Rechtsbuch des Johannes Purgoldt Um 1500 verfasste der seit 1490 in der Stadt belegte Stadtschreiber Johann Purgoldt auf der Grundlage des Eisenacher ein eigenes Rechtsbuch in zwölf Büchern,609 das Ortloff ebenfalls in den Druck gebracht hat.610 Dazu sollten durchängig die Korrekturen und weiterführenden Hinweise von Strenge und Devrient konsulitert werden.611 Schon Krause hat festgestellt, dass der „Prozeß der Verallgemeinerung“ der einzelnen Rechtssätze in dieser Arbeit weiter fortschreitet.612 Auch der 609 Die Bücher XI und XII bieten Gothaer Stadtrecht und können daher eigentlich nur bedingt zu Purgoldts Rechtsbuch gezählt werden. 610 Ortloff, Sammlung, Bd. 2 („Das Rechtsbuch Johann Purgoldts“). Zu Purgoldt vgl. auch Honemann, Johannes Purgoldt. 611 Strenge/Devrient, Stadtrechte, S. 29*–33*. 612 Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 111.
456
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Quellenapparat wächst weiter an, wobei vor allem antike Klassiker und Kirchenväter als Autoritäten mit aufgenommen werden. Für uns ist von besonderem Interesse, dass weitere Sachsenspiegelstellen in das Rechtsbuch integriert werden. Im Einzelnen: Ssp. Ldr.
Purgoldt
I 22 § 2 I 54 § 3 II 26 § 4 II 26 § 5 II 28 II 32 §§ 2, 3 II 38 II 39 § 2 II 40 § 3 II 40 § 4 II 53 II 57 II 68 III 4 § 1 III 5 § 1 III 32 III 37 § 2 III 51 III 66 § 1 III 79
III 83; III 84 II 25 III 10 III 11 II 122 III 101 IV 23 III 14 IV 14 IV 15 III 102 III 99 III 14 III 104 III 31 II 103 VI 67 IV 76 III 10 II 138
Hinzu treten einige wenige Übernahmen aus der Buchschen Landrechtsglosse: III 100 (Glosse zu Ssp. Ldr. II 57) und IV 3 und 4 (Glosse zu Ssp. Ldr. III 44). Dabei bezieht sich der im Rechtsbuch regelmäßig beigefügte Verweis „lantrecht“ nicht durchweg auf den Sachsenspiegel, sondern oft auf das Meißner Rechtsbuch (z. B. in II 118), so dass eine Identifizierung der einzelnen Quellen zusätzlich erschwert wird. Wenn schon Rothes Eisenacher Rechtsbuch in der Forschung eher ein Randdasein gefristet hat, so gilt Gleiches in stärkerem Maße noch für Purgoldts Arbeits. Das mag vor allem in der unterstellten, mangelnden Eigenständigkeit des Werkes begründet liegen. Bereits meine sehr auf einzelne Rezeptionsspuren gerichtete und daher notwendig vieles ausblendende Untersuchung bestärkt mich aber in dem Eindruck, dass diese Charakterisierung Purgoldts Rechtsbuch nicht gerecht wird.
V. Das „Weißenfelser Rechtsbuch“
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V. Das „Weißenfelser Rechtsbuch“ Die Österreichische Nationalbibliothek zu Wien verwahrt eine bislang weitgehend unbekannte Handschrift, die interessante Einblicke in das sächsische Rechtsleben der Rezeptionszeit verspricht.613 Sie enthält eine Vielzahl flüchtiger, aber zusammenhängender Aufzeichnungen, die sich selbst auf dem ersten Blatt als „Actionum injuriarum civilium et criminalium excerpta, wye ein itzlicher vorbruche eines menschen, was standes er seye, nach peinlicher ader burglicher arte nach vorordenunge der rechte mege gestrafft, vorbusset unnd abgetragen werden“ betiteln. Diese Titulatur ist aber höchst irreführend, denn weder handelt es sich bei den folgenden Aufzeichnungen um Exzerpte anderer Rechtsquellen noch beschränken sich diese Aufzeichnungen wie angekündigt auf straf- und prozessrechtliche Materien, obschon diese den deutlich größten Raum einnehmen. Daneben treten vor allem die Sippzahlregeln und andere erbrechtliche Bestimmungen als wichtige Inhalte. Dieses letzte näher zu behandelnde Rechtsbuch stellt gewissermaßen einen Trabanten der Rechtsbücherzeit dar, entstammt es doch bereits der Mitte des 16. Jahrhunderts, weist aber dennoch alle Charakteristika der mittelalterlichen Rechtsbücher auf. In der Tat lassen sich Entstehungsraum und -zeit recht gut eingrenzen: Der auf fol. 72v–73r aufgezeichnete Bürgereid wird „dem durchlauchtigen hochgebornen fursten und hern, hern Moricien, hertzogen zu Sachssen, lantgraven in Doringen und Marggraven zu Meichssen, und desselben leybeslehenserben (und so dye nicht mehr sein, seiner furstlichen genaden bruder, hertogen Augusto und seinen leybeslehenserben)“ geschworen. Wir können also die Entstehungszeit zunächst auf die Regierungsjahre Herzog Moritz’ von Sachsen (1541–1553) eingrenzen. Dazu passt sehr gut die Erwähnung der Jahreszahl 1546 in einem Muster für die Bestellung des Gerichts („Wye ein itzlicher herre seine erbgerichte mit rihter und schoppen vorsorgenn und bestellen soll“) auf fol. 23r. Als Abfassungsort kommen entsprechend auch nur die wettinischen Lande in Frage. Das lässt sich zumindest indizienhaft noch näher eingrenzen: Bei der Festsetzung des Meilenmaßes (fol. 70r–72r) wird die Stadt Weißenfels (in der Nähe von Merseburg) erwähnt. Jene ist dort allerdings die beklagte Partei, weshalb kein Anlass besteht, den anonymen Verfasser in der Stadt selbst zu vermuten. Vielmehr muss, da es sich um eine Abschrift des Empfängerschreibens handelt, der Verfasser in der klagenden Ortschaft gesucht werden, die leider ungenannt bleibt. Auch der auf fol. 1r skizzierte Wappenschild ist unausgeführt geblieben. Der Sache nach – es geht um die Verletzung der Bannmeile für das Bierbrauen – muss 613 Wien, ÖNB, Cod. 2938 (Oppitz Nr. 1517); vgl. Menhardt, Verzeichnis S. 640 f. (Nr. 2938, Jur. civ. 274).
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
es sich um aber die unmittelbare Nachbarschaft, vielleicht also um Zorbau, Leißling oder Langendorf, gehandelt haben.614 Wahrscheinlich bleibt damit immerhin eine Entstehung in der Region, im Weißenfelser Land also, weshalb ich die Aufzeichnung bis auf weiteres auch als „Weißenfelser Rechtsbuch“ ansprechen möchte. Das rechtfertigt sich auch dadurch, dass die Vorrede ganz explizit Richter, Schultheißen, Vögte und andere Gerichtspersonen „in disen landen“ anspricht, also gerade nicht auf eine bestimmte Stadt oder ein bestimmtes Gericht, sondern auf landläufigen Rechtsbrauch abhebt: „Etzliche vyl richter, schultes, voytte, gerichtshalder und gerichtsvorwalter seint in disen landen, dye nicht alle wissen, wye ein itzlicher vorbruche eynes menschen, es sey inn peinlichen ader burgklichen sache und fellenn, wie sich die bisweylen zutragenn, nach eines itzlichen geburt und zufallenden geschichten nach vorordenunge der rechte sollen und mögen peinlichen ader burgklichen vorbusset, vorurdeltt und gestrafft werden. Darumbe understehen sy sich bisweylen, hierynne wider ordenunge der rechte, den armen zu ubernehmen, den reichen mit schwerer busse und straffe zu beschweren, als an etzlichen enden dieselbigen geneigte richter nemet. Damit aber ein itzlicher cristglaubiger, vornunfftiger richter inn den fellin und gebrechin seine arme selen unnd den armen noch reichen wyder ordenunge der rechte nicht beschwere, ist dits buchlin, solichs zu verhuettten, loblichen erfunden und zu gemaynem nutze Sechsischer erden gemacht. Gott dem almechtigen zu lobe und erenn. Amen.“615
Der Vorrede folgt eine ganzseitige Federzeichnung von Jesus als Weltenrichter, stehend auf einer TO-Karte, von geringem künstlerischen Anspruch (fol. 3v).616 Ferner findet sich an Bildmaterial die Randzeichnung eines zweistöckigen Hauses (fol. 6r)617 und eine ganzseitige Darstellung des Heiligen Georg als personifizierte Justitia (fol. 22v). Auf der Doppelseite fol. 47v–48r ist ein Arbor consanguinitatis mit deutschen Inschriften skizziert. Das Rechtsbuch allegiert vor allem das sächsische Landrecht und die Magdeburger Weichbildvulgata, teils aber auch das Corpus iuris civilis. Vereinzelt werden offenbar auch Schöffensprüche („rechtsprüche“) eingeschaltet, die sich durch ihre typische Einleitungsformel „Unser freuntlich dinst zuvor. Ersame gutter freundt . . .“ mit gutem Grund als magdeburgische Sprüche vermuten lassen. Ich lasse lediglich eine Aufstellung der landrechtlichen Allegationen folgen. Eine vollständige, kommentierte Edition des pa614 Einen solchen Streit um die Verletzung der Biermeile hatte es auch in Zwickau gegeben, der 1506 durch kurfürstlichen Befehl geschlichtet wurde – vgl. Zwickau, StdA, A x A II 14 nr. 3, fol. 104v. 615 Wien, ÖNB, Cod. 2938, fol. 2r–3r. 616 Abb. bei Kocher, Susanna, S. 60 (Abb. 3), der aber weder Abbildung noch Handschrift näher bespricht. 617 Abb. bei Kocher, Zeichen und Symbole, S. 48.
V. Das „Weißenfelser Rechtsbuch“
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läographisch nicht immer einfachen, aber gerade seiner späten Entstehungszeit wegen bemerkenswerten Rechtsbuches soll zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen. Auszüge finden sich im Anhang; auf einzelne Besonderheit hinzuweisen, wird auch in der Gesamtkonkordanz der untersuchten Rechtsbücher noch Gelegenheit sein.618 Ich gebe hier nur eine Zusammenstellung der allegierten Landrechtsartikel mit jeweiliger Blattangabe der Wiener Handschrift nach erster Sichtung; eine genaue Untersuchung der umfangreichen Quellenallegate (Sächsisches Land- und Lehnrecht jeweils mit Glosse, Weichbild mit Glosse, römisches Recht, Schöffensprüche) muss einer vollständigen Edition vorbehalten bleiben.619 Zunächst finden sich auf den Blättern 4v–14v eine Reihe von Allegationen in Marginalien, was die Möglichkeit offen lässt, dass es sich um Nachträge handeln könnte. Im Einzelnen: 4v: III 45; 9r: II 21; 9v II 16; 12r: II 16, III 38; 13r: II 16, III 18, I 64, I 62, II 8; 14r: I 62, II 8; 14v: III 45
Es folgen eine Reihe von Ausführungen ohne Quellenreferenzen. Ab Blatt 33v sind die Allegate dann unmittelbar in den Text eingewirkt, zunächst in einer Gruppe zum Erbrecht – daher die anfänglich so häufig wiederholten Allegate der immer selben Landrechtsartikel. Im Einzelnen: 33v: I 3; 34v: I 5, I 3; 35r: I 7; 36r: I 7; 36v: I 17; 37r: I 17; 38v: I 3; 41v: II 50v: II 52; 51r: III 83; 51v: I 29, I 83; 52v: I 28, I 70, II 35; 53v: I 30, II 54v: II 6, I 29; 58r: II 50, II 5, II 6, II 41; 58v: III 32, I 16, II 23; 73v: III 74r: I 57, II 36; 75r: III 15, I 22, III 77, I 31, III 35; 75v: II 13, II 34; 76r: III 77r: III 29, II 29; 77v: III 55, II 56; 78r: I 20; 78v: III 29
20; 62; 13, 79;
Von der anstehenden Edition des „Weißenfelser Rechtsbuchs“ sind spannende Einsichten in das sächsische Recht der Rezeptionszeit zu erwarten. Denn nicht nur zeigt sich der oder zeigen sich die Redaktoren streckenweise ausgesprochen bewandert in den unterschiedlichsten Rechtsquellen, sondern ist auch die enge Bindung an Schöffensprüche, Urteile und konkrete Rechtskonflikte und nicht zuletzt das innere Rationale der Komposition dieses Werkes ausgesprochen bemerkenswert. So findet sich beispielsweise auf den Blättern 41v bis 46v ein eigenes Kapitel von „mancherley unredeliche spruch“ (fol. 41v), das offenbar verbreitete, aber von dem oder den Redaktor(en) zurückgewiese erbrechtliche Ansichten zusammenstellt und jeweils mit Verweis auf die vorhergehenden „regelnn“ (siehe Anhang, S. 624 ff.) verwirft. Auch den Glossenallegaten wäre noch nachzugehen, zumal das „Weißenfelser Rechtsbuch“ auch extensiv auf die bislang von der Forschung wenig beachteten Glossen zum Sächsischen Lehnrecht und zum Magdeburger Weichbild zurückgreift. 618 619
Siehe unten, S. 571 ff. Eine solche Edition ist für 2010/11 geplant.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger In diesem letzten quellenkundlichen Kapitel soll eine Reihe von Quellenzeugnissen des sächsisch-magdeburgischen Rechts vorgestellt werden, die im Einzelfall mit Gewinn für die rechtsvergleichenden Studien im dritten Teil zu Vergleichszwecken herangezogen werden können. Ich stütze mich dabei zum einen auf die von Oppitz und seinen Vorgängern im Verzeichnis der deutschen Rechtsbücher in ihrer Überlieferung aufbearbeiteten Werke sowie eine Reihe kleinerer Arbeiten, die mir bei der Archivarbeit bekannt geworden und in der Regel nur singulär überliefert sind. Das umfasst vor allem Ausführungen und Florilegien zum Erb- und Prozessrecht, die zahlreich in der handschriftlichen Überlieferung zu finden sind. Vollständigkeit kann in diesem Kapitel nach keiner Seite hin angestrebt werden. 1. Sachsenspiegelrezeption im Saalfelder Rechtsbuch? Wir eröffnen unsere Auswahl mit dem Rechtsbuch der heute thüringischen, lange Zeit sächsisch-coburgischen Stadt Saalfeld, das in einer einzigen Handschrift überliefert ist. Oppitz hat seinerzeit keine Auskünfte darüber erhalten,620 sie liegt aber noch immer im Saalfelder Stadtarchiv vor.621 Der Plan einer Neuedition, der bereits in den 1930er Jahren von Wilhelm Engel gefasst und nicht zu Ende geführt worden war, ist jüngst zum zweiten Mal bis auf weiteres wieder verworfen worden. Es liegen aber zwei verlässliche Abdrucke vor.622 Durch die missliche Überlieferungslage nimmt es nicht wunder, dass der Forschung das Saalfelder Rechtsbuch bislang nicht weiter bekannt geworden und keine nähere Untersuchung desselben angestrengt worden ist. Erst Hans Becher hat vor wenigen Jahren als Vorarbeit zu seiner geplanten Neuedition einen kurzen Beitrag darüber verfasst, der allerdings nur zur allerersten Orientierung geeignet scheint und ansonsten über die Quellen und Charakteristik des Rechtsbuches nur sehr allgemeine und teils missverständliche Informationen bietet. Dass „von den in deutscher Sprache überlieferten mittelalterlichen Stadtrechten die Saalfelder Statuten das einzige Stadtrecht [seien], das keinerlei Hinweise auf das Römische Recht enthält“,623 ist jedenfalls nicht richtig. Die Datierung des Rechtsbuches ist bis heute 620
Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 63 – daher ohne Nummerierung. Saalfeld, StdA, C III 1. Für freundliche Auskunft in dieser Sache danke ich Herrn Dr. Dirk Henning (StdA Saalfeld). Neuere Untersuchungen sind noch im Gange; vgl. bis dahin Facius, Älteste Statuten. 622 Walch, Beyträge, Bd. 1, S. 13–72; Patze/Stoob, Urkunden. 623 Becher, Bemerkungen, S. 21 – wahrscheinlich handelt es sich hier um eine mißverständliche Auslegung von Walch, Beyträge, Bd. 1, S. 7. 621
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
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nicht geklärt. Walch setzt die Handschrift noch in das 13., Becher will sich nicht festlegen und schwankt zwischen dem 14. und 15. Jahrhundert. Mir selbst scheint vom dürftigen paläographischen Befund einer einzelnen, bei Becher reproduzierten Seite der Handschrift das späte 14. Jahrhundert durchaus noch wahrscheinlich. Dafür spricht auch die Rezeption des Rechtsbuches in den Rudolfstädter Statuten, die ihr Editor Michelsen in das Jahr 1404 setzt.624 Das Saalfelder Recht hat, was die Späteren offenbar übersehen haben, fast vollständig Aufnahme in diese spätere Aufzeichnung gefunden. Die in cap. 74 erwähnten Grafen Heinrich und Günther von Schwarzburg können zur näheren Datierung nichts beitragen. Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass in der erhaltenen Handschrift mindestens zwei Vorgängertexte zusammengeführt worden sind oder, wahrscheinlicher noch, ein Urtext durch laufende Willküren ergänzt worden ist. Denn ab cap. 71 des Rechtsbuches beginnt die Bestimmungen regelmäßig mit einer einleitenden Wendung, die auf ihren Ursprung hindeutet („Es ist eine gemeine willekor . . .“, „Dit ist der stadt recht . . .“, „Daz ist ouch geschen mit rate der stadgemeine . . .“).625 Als eine wichtige Quelle des Saalfelder Rechtsbuches hatte bereits Gengler und hat auch später noch einmal Becher das sächsische Landrecht ausgemacht.626 Keiner der beiden hat die einzelnen Parallelen aber näher spezifiziert. Eine unmittelbare Rezeption, die immer wieder angenommen worden ist, habe ich nicht feststellen können. Vielmehr deuten einzelne Indizien auf eine sehr eigenständige Abfassung der Statuten. Dafür spricht zum einen die Terminologie: So wird beispielsweise die handhafte Tat durchweg als „ware tat“ (cap. 2 u. ö.), der Fronbote als „frybote“ (cap. 44 u. ö.) bezeichnet. Zum anderen finden sich kaum mehr als allgemeine Berührungspunkte, dafür aber eine Reihe von Differenzen beider Rechtstexte in vergleichbaren Regelungsfällen, beispielsweise beim Kauf unrechten Gutes627 oder bei der Bestrafung der Notzucht.628 Die Sondervermögen des sächsischen Rechts (Heergewäte, Gerade etc.) werden mit keinem Wort erwähnt; nur die Leibzucht findet Beachtung. Auffällig sind die vielen ordnungs- und polizeirechtlichen Bestimmungen des Rechtsbuches, so dass, wollte man eine vorhergehende Quelle annehmen, diese eher im stadtrechtlichen Bereich zu suchen sein dürfte. 624
Michelsen, Rechtsdenkmale, S. 199–237. Der Begriff „Stadtgemeinde“ lässt zunächst einen eher noch späteren Zeitpunkt vermuten. Jedoch spricht man ihm nahen Erfurt bereits 1315 von „der stat und der gemeinde zcu Erforte“; vgl. Beyer, UrkB Erfurt, S. 413. Zu Sprachgeschichte und Konzept „Stadtgemeinde“ eingehend Gleba, Gemeinde. 626 Becher, Bemerkungen, S. 20; Gengler, Stadtrechte, S. 393. 627 Vgl. Ssp. Ldr. II 36 mit cap. 110 (Walch, S. 41). 628 Vgl. Ssp. Ldr. II 13 mit cap. 2 (Walch, S. 13). 625
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Nach Ergebnis meiner Untersuchung ist also das Saalfelder Rechtsbuch aus den möglichen Rezeptionsträgern des sächsischen Landrechts zu streichen. 2. Sächsisches Recht in der Altmark: Salzwedeler Rechtsbuch (15. Jh.) Dagegen beinhaltet das Salzwedeler Rechtsbuch eine Reihe von teils wörtlichen Übernahmen aus dem Landrecht des Sachsenspiegels, gilt ansonsten aber als „selbständige Emanation des Sachsenrechts“.629 Es ist in einem insgesamt verlässlichen Abdruck in Genglers „Stadtrechten“ zugänglich.630 In der rechtshistorischen Forschung ist es mit Ausnahme einiger weniger Bemerkungen beispielsweise bei Kamptz, Homeyer, Heydemann und Ebel dennoch auf keinerlei tieferes Interesse gestossen.631 Seit dem Aufsatz von Daniell, der den Codex gleichsam entdeckt und auf die Existenz des Rechtsbuches aufmerksam gemacht hat, ist ansonsten nicht mehr selbständig darüber gehandelt worden.632 Grundlage des Rechtsbuches sind neben dem Landrecht des Sachsenspiegels zwei markgräfliche Privilegien von 1273633 und 1278,634 die nach einigen wenigen Erörterungen bei Daniell dann Heydemann noch einmal ausführlich besprochen hat. Der Einfluss Magdeburger Recht ist bereits früh abgestritten worden, nicht aber eine Verbindung mit dem Lübischen Rechtsbereich. So legte der Lübecker Stadtsyndikus Hermann Georg Frohns dar, die Salzwedeler hätten bereits 1173 in Wismar das Lübecker Recht kennengelernt und sodann „diese daselbsten von Lübeckern gelernte Rechte nach ihrer Heimat, der Stadt Saltzwedel, dergestalten hingeschleppet, daß noch itzo viele und manche Statuta besagter Stadt aus dem Lübeckischen Rechte hergenommen zu seyn befunden werden“.635 Jedoch sind die Parallelen durchaus vage und es lassen 629 Ebel, Spruchtätigkeit für Niedersachsen, S. 49. Heydemann, Joachimische Constitution, S. 116 will das Salzwedeler aus dem Lübisch-Lüneburgischen Recht herleiten. Diese Ansicht scheint mir nur in Bezug auf die Erbteilung begründbar und damit nicht zwingend. 630 Gengler, Stadtrechte, S. 394–407, der im Übrigen – deutlich anders als Ebel – von einer „ziemlich kunstlose[n] Zusammenstellung“ (S. 395) aus zwei Privilegien des 13. Jahrhunderts (s. S. 462 f., Anm. 633) und des Sachsenspiegels spricht. 631 Kamptz, Grundlinien, S. 76–79; Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 33 f.; Heydemann, Joachimische Constitution, S. 96–124 (über die Sondervermogen); Ebel, Brandenburg, S. 243 f. Am ausführlichsten noch Schulze, Brandenburgische Stadtrechte, S. 357–360. 632 Danneil, Salzwedelsches Stadtrecht, S. 83–98. 633 Gedruckt bei Pufendorf, Observationes, Bd. 3, S. 398–405 (Appendix, Nr. 33) nach Lenz, Urkhunden, Bd. 1, S. 66–75 (Nr. 33). 634 Gedruckt im Cod. dipl. Brand., Reihe A, Bd. 14, S. 13–15 und bei Lenz, Urkhunden, Bd. 1, S. 78–82 (Nr. 36).
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
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sich eine Reihe von Unterschieden festmachen. Das Salzwedeler Recht beispielsweise gesteht dem Mann volle Testierfreiheit über die gesamte bewegliche Habe zu, während das Lübische Recht dies nur für erworbene Fahrnisgüter zulässt. Der Magdeburger Archivrat Wenz hat dagegen einige wichtige Parallelen zum älteren Lüneburger Recht herausgearbeitet.636 Auf die subsidiäre Kraft des „gemeinen Sachsenrechts“ in der Mark und explizit auch in Salzwedel hat Pötschke hingewiesen.637 Das ist an sich zwar ohnehin zu erwarten, lässt sich im Salzwedeler Fall aber auch urkundlich nachweisen: So verweist eine durch den späteren Kurfürsten, damals noch Markgrafen Friedrich ausgestellte und von Markgraf Johann ebenso wie Kurfürst Friedrich I. bestätigte Urkunde vom 7. Dezember 1434 alle jene Fälle, die durch das Salzwedeler Recht nicht entschieden werden könnten, an das landläufige Sachsenrecht. Wenige Jahre später wird der städtische Richter noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, in solchen Fällen nach „gemeinen bestendigen Sachsen- und beschriebenen Rechten“ zu richten.638 Schließlich bleibt erwähnenswert, dass das Stadtrecht der mährischen Stadt Znaim aus dem Jahre 1314 fünf Rechtssätze des Salzwedeler Rechtsbuches (nach der Edition bei Gengler die §§ 4, 5, 20, 23 und 32a) wörtlich übernommen hat.639 Ansonsten scheint der Wirkungskreis des Salzwedeler Rechts aber sehr klein gewesen zu sein: Lediglich Perleberg und Lenzen sowie die kleinen Ortschaften Apenburg, Garkow und Wustrow dürften sich demnach nach Salzwedeler Recht gerichtet haben.640 Ich lasse nun noch die Übernahmen des Salzwedeler Rechtsbuches aus dem Sachsenspiegel folgen: Ssp. Ldr.
Salzwedeler Rb.
Ssp. Ldr.
Salzwedeler Rb.
I I I I I I I
49 50 51 52 53 54 55
I 62 § 2 I 62 §§ 3, 4 I 62 § 8 I 62 §§ 9, 11 I 65 § 2 II 13 § 4 II 13 § 5
56 57 58 59 60 61 62
59 60 60 60 61 61 62
§ § § § § § §
1 1 2 3 2 5 1
635 Frohn, Ausführung, S. 34 – Dieser Arbeit war eine umfangreiche Abhandlung von dems., Vorrecht, vorhergegangen, der noch im selben Jahr eine anonyme Widerlegung im selben Verlag (Jonas Schmidt) folgte. 636 Wenz, Altes Recht. 637 Pötschke, Brandenburg-berlinisches Schöffenrecht, S. 91 f. 638 Cod. Dipl. Brand. Cont. II, S. 56 und S. 145. 639 Rößler, Stadtrechte. 409 f.; vgl. dazu Schröder, Eheliches Güterrecht, Bd. 2, 3, S. 221. 640 Danneil, Salzwedelsches Stadtrecht, S. 79; vgl. auch Pohlmann, Geschichte, S. 40.
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D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Salzwedeler Rb.
Ssp. Ldr.
Salzwedeler Rb.
II II II II II II II II II II II
63 64 65 66 67, 68 69 70 71 72 73 74
II 64 §§ 3–5 II 72 § 1 III 2 III 3 III 5 § 3 III 5 § 4 III 6 § 1 III 7 §§ 1, 2 III 27 III 39 §§ 1, 2
75 76 77 78, 79 80 81 82 83 84 85
13 13 13 16 28 28 32 32 40 64 64
§6 §7 §8 §5 §1 §2 §1 §§ 2, 3 §§ 1, 2 §1 §2
Die capp. 49 bis 85 sind also en bloc als Übernahmen aus dem Sachsenspiegel-Landrecht eingeschaltet. Zuvor und danach finden sich keine Streuübernahmen. Die Verarbeitung erfolgt gleichmäßig unter mal kleineren, meist größeren Auslassungen entlang der vulgaten Artikelfolge. Eine umfänglichere Bearbeitung der Vorlageartikel findet nicht statt, in der Regel werden sie wörtlich übernommen. Eine offenbare Übernahme aus dem Sachsenspiegel (Ldr. II 36 §§ 1, 2) stellt auch das 87. und letzte Kapitel dar. Diese beiden Paragraphen aber sind einer Bearbeitung unterzogen worden:641 Salzwedeler Rechtsbuch
Sachsenspiegel Ldr. II 36
87. Wur en mynsche syn vorstalen gud ankumpf efft under enen manne vindet, de dat openbar gekofft hefft, unde unholinge het geholden, unde des getuchhet, deme ne mach me nenerhande schult geven, al vint me de dufte under eme. Is he aver vor en anrochtig man, so schal he mit des richters orlove unde
§ 1. Sve so over den anderen dach sine düve oder sinen rof under enen manne vint, die dat openbare gekoft hevet, unde unhalinge gehalden hevet, unde des getüch hevet, den ne mach man nener hanthaften dat sculdegen, al vinde man die düve under ime, he ne hebbe vor sin recht verloren. Wan mit des
641 Das zwischen den Sachsenspiegel-Übernahmen eingeschaltete Kapitel 86 ist mehr Sinnspruch als Rechtssatz: „We to allen dingen gerne recht sprikt, de wynt dar mede manigen unwilligen man, des schal de vorme man sik trosten dorch god unde dorch syne ere.“; zit. nach Gengler, Deutsche Stadtrechte, S. 407. Eine Quelle konnte schon Gengler und kann auch nicht angeben. Eine Erklärung könnte sein, dass dieser Satz ursprünglich kein Kapitel, sondern der Schlusssatz einer verlorenen Vorgängerhandschrift gewesen ist, die dann abgeschrieben und um Kapitel 87 ergänzt worden ist. So wurde aus dem Schlusssatz ein Kapitel und so würde auch der nachträgliche Einschub eines weiteren Sachsenspiegel-Artikels erklärlich. Diese Deutung muss natürlich Hypothese bleiben, solange sich keine neuen Handschriften finden.
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
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Salzwedeler Rechtsbuch
Sachsenspiegel Ldr. II 36
myt rechte syn vorstalen gud antasten; wil he aver im dat gut weren, so neme he twe borger dar to, unde bidde ene, dat he mit eme vor dat richte ga; unde will he des nicht don, so scrie he eme dat ruchte na unde gripe ene vor synen deef an;
richteres orlove mut he sin gut wol anevangen mit rechte. § 2. Wil aver jene sin gut weren ime, er it vor dat richte kome, so bidde he ine weder keren vor gerichte; weigeret he des, he scrie ine dat gerüchte an unde gripe in an vor sinen dief, also of die dat hanthaft si, wende he sik scüldich hevet gemaket mit der vlucht. Kumt aver jene willes vor gerichte, he sal sik underwinden sines gudes to rechte.
kumpt he aver mit willen vor richte, so wynt he syn vorstalen gud unde nicht mer.
Besonders charakteristisch scheint die Ausschaltung der handhaften Tat, sinnfällig durch die Umdeutung von „nener hanthaften dat“ in „nenerhande schult“; eine Variante, die auch auf eine verderbte Vorlage zurückzuführen sein könnte, aber zumindest in Homeyers Lesartenapparat nicht nachgewiesen ist.642 Auch in der Übernahme von Ldr. II 36 § 2 wird der Passus „also of die dat hanthaft si“ ausgeblendet, so dass man überlegen könnte, ob diese Bearbeitung nicht einem bewussten Anliegen folgt. In der Tat legt die Durchsicht des gesamten Rechtsbuches die Deutung nahe, dass entweder das gesamte Rechtskonstrukt der handhaften Tat in Salzwedel vollkommen unbekannt war, der Kompilator also deshalb die entsprechenden Passagen nicht verstand und also ausblendete, oder aber man bewusst das Handhaftverfahren vermeiden wollte. Jedenfalls kennen auch die einschlägigen, den markgräflichen Privilegien entnommenen Kapitel über Mord, Totschlag und Raub (capp. 24–35) keine handhafte Tat, sogar das Kapitel 34 („We myt duve begrepen wert.“) kommt ohne den entsprechenden Terminus aus. Es wäre sicherlich interessant, ist aber hier nicht der Ort, das einmal weiterzuverfolgen. 3. Sächsisches Recht in Schlesien: Glogau und Troppau a) Glogauer Rechtsbuch (1386) Unter dem Titel „Glogauer Rechtsbuch“ firmiert eine Sammlung sächsisch-magdeburgischer Rechtssätze mit merkbar schlesischen Einflüssen, die Wasserschleben aus der bislang einzigen bekannten Handschrift643 im ersten Band seiner „Sammlungen“ herausgegeben hat.644 Über die Entste642
Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 264.
466
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
hung ist nichts bekannt; lediglich die Abfassung im Jahre 1386 wird durch eine Incipitzeile bezeugt: „Alhy hebe sich an lanthgerichte nach meydeborgischim rechte anno dni. millesimo tricentesimo octuagesimo sexto ante petri et pauli“ (fol. 1r). Ein Verfasser, Anlass oder Benutzerkreis hingegen wird nirgends angesprochen; auch die überlieferte Handschrift, die mit großer Sicherheit nicht mehr dem 14. Jahrhundert entstammt, stellt eine Abschrift und nicht den Autographen des Rechtsbuches dar. Besagte „meydeborgische rechte“ umfassen eine ganze Reihe unterschiedlicher sächsischschlesischer Rechtsquellen, darunter nicht nur in weiten Teilen das Landrecht des Sachsenspiegels645 und die Magdeburger Weichbildvulgata, sondern auch verschiedene Rechtsweisungen aus Magdeburg, wie diejenige für Breslau aus dem Jahr 1261,646 wahrscheinlich auch das so genannte Breslauer Landrecht,647 und schließlich wohl auch Schöffensprüche für Glogau und andere Städte. Darauf weisen für die Quellen typische Formulierungen, z. B. der Abschluss mit „von rechtis wegen“, hin. Kapitel 53 verweist auf eine Willkür, die „in meynes herren rumppolt teile“ gelte. Gemeint ist wohl Heinrich VII. von Glogau, der nach der Erbteilung des Herzogtums von Glogau und Sagan von 1369 bis zu seinem Tode im Jahre 1394 in Glogau herrschte und den Beinamen „Rumpold“ bzw. „Rampold“ führte.648 Auch sonst findet sich im Text mehrfach der Verweis auf die Stadt Glogau (capp. 98, 205, 412, 619 u. ö.), so dass sich eine enge Verbindung, die titelgebend auf das Rechtsdenkmal wirkte, durchaus annehmen 643 Leipzig, UB, Hs. 953 (Oppitz Nr. 892), fol. 1r–18r und fol. 49r–69v. Durch Lagenverschiebungen, die in der Einleitung bei Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. IV näher erläutert werden, sind in das Rechtsbuch eine Reihe von Schöffensprüche aus Dohna, Dresden, Halle etc. eingebunden (fol. 18r–48v und fol. 69v–216v). Diese Sammlung ist gedruckt ebd., S. 355–443. 644 Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 1–79. Diese Ausgabe ist, vor allem im Hinblick auf die beigefügten Quellenhinweise, allerdings ausgesprochen mangelhaft. Zur Überlieferung vgl. auch Goerlitz, Gubener Handschrift. 645 Eine bemerkenswerte gedankliche Nähe zur Buchschen Landrechtsglosse findet sich in cap. 490 („Keyn wert ist pflichtig eynes mannes kint hoer czu phenden vmme toppelspel in seyme haus wenne alzo her vmme vnde an had.“); vgl. dazu Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 2, S. 953–959 (Glosse zu Ssp. Ldr. III 6 § 1). 646 Zum Breslauer Einfluss auf das Glogauer Recht vgl. auch unten, S. 523. Eine weitere Parallele findet sich in cap. 183 (halbes Gewette für den Richter = vier statt acht Schillingen); vgl. ferner auch Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. IX f. 647 Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. VIII vermutet mit gutem Grund, dass auch die Mehrzahl der auf den Sachsenspiegel zurückzuführenden Sätze möglicherweise mittelbar über das Breslauer Landrecht in das Rechtsbuch gekommen sein mögen. Die hier vorliegende Konkordanz kann dazu keine weiteren Argumente beibringen, widerlegt seine Vermutung aber auch durch nichts. 648 Minsberg, Geschichte, Bd. 1, S. 225 f.
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
467
lässt. Weitere Indizien aus der Glogauer Rechtsgeschichte selbst nennt Wasserschleben in seiner Einleitung.649 In der Forschung hat das so genannte „Glogauer Rechtsbuch“ bislang keine Rolle gespielt. Die bei Wasserschleben gegebenen Hinweise sind leider mehr als unzuverlässlig; oft sind die angegebenen Artikel falsch allegiert, teilweise die Ähnlichkeit so vage, dass eine Übernahme praktisch ausgeschlossen werden kann. Ich gebe im Folgenden lediglich die wahrscheinlich aus dem Sachsenspiegel entlehnten Stellen hier als Konkordanz: Ssp.
Glogauer Rb.
Ssp.
Glogauer Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
545–549 552–554 28; 149 29 124 3 195 80 1 398 533 534 578 96 587 181 577 193 66 64 67 65 156 169 337 338 342 345 395 346 569 339
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
538 535 537 536 571 539 584 294 295 409 2 328 329 330 519 525; 526 518 10 543 544 542 182 167; 540 168 234 513 441 431 11 435 436 576 498 499 456
3§3 4 5§2 5§3 9§5 13 16 17 17 § 1 20 § 1 35 § 1 35 § 2 40 41 50 § 2 53 53 § 1 53 § 3 54 § 1 54 § 2 54 § 3 54 § 4 54 § 4 54 § 5 60 § 1 60 § 1 60 § 2 60 § 4 61 § 1 62 § 7 62 § 8 62 § 9
II 2 § 2 II 12 § 9 649
148 465
13 § 4 13 § 5 13 § 6 13 § 7 13 § 8 14 §§ 1, 2 16 § 4 16 § 5 16 § 6 16 § 2 20 27 § 2 27 § 2 27 § 3 28 § 1 28 § 2 28 § 3 30 32 § 1 32 § 2 32 § 3 34 § 1 37 § 1 37 § 2 38 40 41 § 4 41 § 5 45 § 2 48 § 2 48 § 3 49 §§ 4, 5 5§2 5§2 6§4
Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. IV–VII.
468
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp.
Glogauer Rb.
Ssp.
Glogauer Rb.
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
196 567 437 438 452 451 439 442 469 443 444 445 446 447 448 449 450 455 144 454 432 341 461 233
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
484 477 310 311 340 244 146 147 214 527 528 568 433 40 31 391 392 393 394 487 194 238 546 470 213 231 230 511 232 229 517
9§3 9§5 49 § 1 49 § 3 50 § 2 51 § 1 55 § 1 55 § 2 55 § 2 55 § 3 55 § 4 55 § 4 55 § 5 55 § 6 55 § 6 55 § 6 56 60 § 3 61 §§ 1, 2 62 § 5 64 § 1 64 § 3 69 70
III III III III III III
4 5 5 5 6 7
§ § § § § §
1 3 4 5 1 2
425 142 143 155 514 483
7§3 7§4 9§5 9§5 14 § 1 14 § 2 22 § 1 22 § 2 23 28 § 1 28 § 2 30 § 2 37 § 3 38 § 2 38 § 5 41 § 1 41 § 1 41 § 2 41 § 3 41 § 4 45 § 9 47 § 1 55 §§ 1, 2 57 § 1 63 § 2 78 § 2 78 § 6 78 § 7 84 § 2 84 § 3 86 § 1
Es scheint kaum möglich, ein einheitliches Kompositionsdenken hinter der Kompilation der einzelnen Übernahmen aus dem Sachsenspiegel zu erkennen. Betrachten wir beispielsweise die Gruppe der cap. 545–554, so finden wir nicht nur die einzelnen Sätze des umfangreicheren Paragraphen Ssp. Ldr. I 3 § 3 in veränderter Reihenfolge, sonst aber ohne Eingriffe, daraufhin ebenfalls ohne Veränderung die Artikel Ldr. I 4 und 5, sondern auch Ssp. Ldr. III 55 §§ 1,2 als Einschub in cap. 546, die das Gericht über Fürsten und Schöffenbarfreie behandelt und also in keinem ersichtlichen Zusammenhang zu dieser ansonsten durchaus homogenen Gruppe stehen. Ein gewisses Ordnungsdenken aber scheint sich wiederum bahnzubrechen wenn beispielsweise der Paragraph Ssp. Ldr. I 5 § 2 aufgebrochen und die Bestimmung, dass nur die noch nicht ausgestattete Tochter die Gerade der Mutter nehme, als cap. 28 in eine Gruppe von Bestimmungen zum Gerade-
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
469
recht gezogen, der Nachsatz aus Ldr. I 5 § 2, die unkeusche Frau verliere ihre Ehre, nicht aber ihr Erbe, dagegen als cap. 149 in eine Gruppe von Kapiteln gesetzt wird, die sich mit potentiell konfliktträchtigen Sonderfällen im Erbgang auseinandersetzen. In dieser Art lassen sich eine ganze Reihe solcher Beispiele aufzählen, so dass es schwer fällt, ein eindeutiges Urteil zu fällen. Die Tatsache aber, dass zwar die Sätze einzelner Paragraphen des Sachsenspiegellandrechts auseinander gezogen wurden, aber kein Satz doppel auftaucht, auch keine inhaltlichen Redundanzen festzustellen sind, spricht deutlich gegen einen eher florilegienartigen Charakter der Sammlung. b) Troppauer Rechtsbuch (nach 1382) Ein Rechtsbuch von nur geringer Eigenständigkeit ist das in lediglich einer einzigen, heute in Prag verwahrten Handschrift überlieferte Rechtsbuch der mährisch-schlesischen Grenzstadt Troppau.650 Johann Kelle hat den Codex entdeckt und eingehend beschrieben.651 Es handelt sich dabei im Wesentlichen um eine in vier Bücher zu 71, 55, 55 und 72 Artikel unterteilte Kompilation aus einer erweiterten Fassung des älteren Weichbildrechtes,652 dem Sachsenspiegel und zweier Reichssatzungen König Albrechts I. und Kaiser Friedrichs II. Im Anhang (fol. 110) findet sich das Fragment einer Urkunde Herzog Przemylaws von Troppau („Wyr Pczemko von Gotis gnaden herczog und herren czu Troppaw . . .“), vielleicht die bereits bekannte Urkunde des Jahres 1382, die den Troppauern das Magdeburger Recht bestätigte. Das würde eine Entstehung des Rechtsbuches nach 1382 wahrscheinlich machen. Viel mehr lässt sich zur Datierung auch nicht sagen – die Handschrift selbst mag auch gut schon in das 15. Jahrhundert gerechnet werden. Der besondere Charakter der Kompilation, die den jeweiligen Quellen stets größere Passagen entnimmt und kürzt, aber keine größeren Umstellungen oder Einschübe vornimmt, lässt es sinnvoll erscheinen, sich zunächst einen groben Überblick über die Zusammenstellung des Rechtsbuches zu verschaffen:
650
Prag, Staatsarchiv, cod. XVI. F. 5 (Oppitz Nr. 1275) – zur Handschrift vgl. Dolch, Katalog, Bd. 1, S. 63 f.; vgl. ferner den kurzen Eintrag von Oppitz, Troppauer Rechtsbuch. Zur Rechtsgeschichte Troppaus und seiner Umgebung vgl. noch immer Kapras, Verhältnisse. 651 Kelle, Rechtshandschrift. 652 Vgl. dazu Eckhardt, Textentwicklung, S. 66–69.
470
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Buch und Artikel
Quelle
I 8 bis I 23
Weichbildrecht, Art. 1 bis 20 (mit Auslassungen)
I 24 bis I 71 und II 1 bis II 16
Weichbildrecht, Art. 22 bis 110
II 17 bis II 31
Sachsenspiegel Ldr. III 72 bis III 91 (mit geringen Umstellungen)
II 32 und 33
– unbekannt –
II 34
erneuerter Landfriede Albrechts I.
II 35 bis II 38
– unbekannt –
II 39 bis II 54
Mainzer Reichslandfrieden Friedrichs II. (1235)
III
„Von der Herren Geburt“, Prolog („Ich cymere by dem wege . . .“, Z. 1–96), Textus prologi, Ldr. I bis 70 (mit Auslassungen)
IV
Ssp. Lnr. 1 bis 76 (mit Auslassungen)
Für unsere Fragestellung interessant sind die Übernahmen bzw. Auslassungen aus dem Sachsenspiegel-Landrecht in Buch II und III des Troppauer Rechtsbuches. Diese verlangen also eine genauere Aufschlüsselung. Im Einzelnen finden wir: Ssp. Ldr.
Troppauer Rb.
Ssp. Ldr.
Troppauer Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
III 4 III 5 III 6 III 7 III 8 und 9 II 32 III 10 III 11 III 12 III 13 III 14 III 14 III 14 II 33 III 15 III 16 III 16; II 33 III 17 III 18 III 18
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
II 28 III 19 III 19 bis III 21 III 22 III 23 III 24 III 25 III 25 III 26 III 27 II 32 III 29 II 29 III 29 III 30 III 30 III 30; III 31 III 31 III 31 III 31
1 2 §§ 1, 2 2 §§ 3, 4 3 §§ 1, 2 3§3 4 5§1 5§2 5§3 6 §§ 1–3 6 §§ 4–5 7 8 §§ 1, 2 8§3 9 §§ 5, 6 10 11 12 13 14
15 16 17 18 19 20 20 21 21 22 23 25 25 27 27 28 29 30 31 32
§1 §1 §§ 1–5 §8 §1 §2 §2 §§ 1–4 §5 §1 §2
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
471
Ssp. Ldr.
Troppauer Rb.
Ssp. Ldr.
Troppauer Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
I 61 §§ 2–5 I 62 §§ 1–5 I 62 §§ 6–11 I 63 I 64 I 65 § 2 I 65 §§ 2–4 I 68 §§ 2–5 I 69 I 70 §§ 1, 2 II 4 § 3 II 40 § 4 III 4 § 1 III 9 § 4 III 11 III 17 § 1 III 18 § 1 III 19 III 47 III 81 § 1 III 82 § 1 III 82 § 2 III 83 § 1 III 83 §§ 2, 3 III 84 §§ 2, 3 III 85 III 87 III 88 III 89 III 90 §§ 1, 2 III 90 § 3 III 91
III 50 III 50 III 51 II 1 III 52 II 1 III 53 III 54 III 55 III 55 II 33 II 30 II 33 II 33 II 33 II 33 II 33 II 33 II 31 II 19 II 17 II 18 II 18 II 19 II 20 II 21 II 22 II 23 II 24 II 25 II 26 II 27
33 34 35 36 37 38 38 39 40 41 42 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 51 51 52 52 53 54 55 56 57 58 59 60
§§ 1, 2
§§ 1, 2 §§ 2, 3
§1 §§ 1, 2
§§ 1, 2 §3 §§ 4, 5 §§ 1–3 §4
§§ 1, 2
32 33 34 35 35 35 36 37 37 38 38 39 40 40 41 42 42 43 43 43 43 44 45 45 46 47 48 49 49 49 49 50 50
Neben den beiden größeren Passagen Ssp. Ldr. I 1 bis Ldr. I 70 und Ldr. III 81 bis Ldr. III 91 sind also einige wenige weitere Auszüge in das Troppau Rechtsbuch gelangt. Dazu sind zwei nähere Beobachtungen zu ergänzen: Gegenüber der vulgaten Form des Sachsenspiegels hat II 31 der Troppauer Kompilation einen Zusatz;653 ansonsten entspricht das Kapitel Ssp. Ldr. III 47 § 3. Am Rande des Artikels hat eine andere Hand „falsum“ vermerkt. Bemerkenswert ist auch Kapitel 33 desselben Buches, das Exzerpte aus einer ganzen Reihe von Sachsenspiegel-Artikeln unter der Thematik 653
Prag, Staatsarchiv, cod. XVI. F. 5 (Oppitz Nr. 1275), fol. 45r: „[. . .] Hat aber her zu dücze geclagit ader geentwert ader orteil funden vor gerichte, mag man en des obirczügen, her mus entwerten zu dücze.“
472
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
„Von sune und von orveyde“ zusammenstellt; der Reihenfolge nach: Ssp. Ldr. I 8 § 3; Ldr. I 23 § 2; Ldr. II 4 § 3; Ldr. III 4 § 1; Ldr. III 9 § 4; Ldr. I 6 § 3; Ldr. I 11; Ldr. III 11; Ldr. III 17 § 1; Ldr. III 18 § 1 und Ldr. III 19. Die in der ersten Aufstellung erwähnte Einschaltung der Vorrede „Von der Herren Geburt“ und des Sachsenspiegel-Prologs findet sich auf den fol. 55r–57v. 4. Sächsisches Recht in Böhmen: Das Prager Rechtsbuch Unter der Bezeichnung „Prager Rechtsbuch“ hat Ferdinand Rößler ein Rechtsdenkmal bekannt gemacht, das auf die älteren Stadtstatuten aufbaut und diese mit zahlreichen Übernahmen aus Iglauer, Brünner und sächsischem Recht verbindet.654 Sie stammt vermutlich noch auf dem 14. Jahrhundert, steht aber wohl nicht, wie Rößler und Tomaschek vermutet haben,655 in Zusammenhang mit den gemeinsamen Kodifikationsbestrebungen von König und Stadt der Jahre nach 1341, da unter seinen Quellen auch Ratswillküren aus späterer Zeit nachweisbar sind.656 In der deutschsprachigen Forschung hat das Rechtsbuch keine Beachtung gefunden, wohl vor allem auch deshalb, weil es nicht in die Handschriftenverzeichnisse von Homeyer bis Oppitz eingegangen ist. Folgende Sätze des sächsischen Landrechts lassen sich mit nur geringen Abweichungen im Prager Rechtsbuch wiederfinden: Ssp. Ldr.
Prager Rb.
Ssp. Ldr.
Prager Rb.
I5§2 I 22 § 2 I 24 § 3 I 25 § 2 I 38 § 1 I 46 I 47 § 1 II 10 § 3 II 17 § 2 II 27 § 4 II 29 II 31 § 1 II 32 § 1 II 36 § 1
155 § 2 113 159 9 99 94 94 37 128 25 190 42 117 184
II 36 § 3 II 36 §§ 4–8 II 51 II 54 § 6 II 55 II 59 §§ 3, 4 II 60 II 63 § 1 II 65 § 1 II 69 III 3 III 4 § 2 III 5 § 3 III 5 § 4
185 186 168 161 163 170 171 96 201 125 200 97 65 66 § 1
654
Rößler, Altprager Stadtrecht, S. 103–163 – über eine Olmützer Handschrift des Rechtsbuches berichtet Bischoff, Österreichische Stadtrechtrechte, S. 131. 655 Rößler, Altprager Stadtrecht, S. 191; Tomascheck: Deutsches Recht, S. 99. 656 Stobbe, Rechtsquellen, Bd. 1, S. 523 f.
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
473
Ssp. Ldr.
Prager Rb.
Ssp. Ldr.
Prager Rb.
III III III III III III III
206 121 122 123 124 114 116
III III III III III III III
191 5 172 173–175 194 187 193
7§3 9§1 9§2 9§3 9§4 10 § 2 11
22 31 44 45 78 89 91
§2 §§ 1, 2 §9 §7 §1
Besonders auffällig sind die Übernahme von Ssp. Ldr. III 9 §§ 1–4 in capp. 123–124 oder die Wiedergabe der Calefurnia-Episode aus Ssp. Ldr. II 63 § 1 in cap. 96 sowie der Weltalter-Lehre (Ssp. Ldr. III 44 §§ 1,2) in cap. 172. Auch die Scheinbußen (Ssp. Ldr. III 45 § 9) unehrlicher Leute werden in cap. 173–175 übernommen. Insofern stellt das Prager Rechtsbuch eine ungewöhnliche Bearbeitung des Sachsenspiegels dar, weil ausgiebig gerade solche Sätze übernommen werden, deren rechtsrelevante Funktionalität wir geneigt wären, zumindest in Frage zu stellen, und die tatsächlich auch die meisten anderen Rezeptionsträger des Sachsenspiegels abgestoßen haben. Es fällt aber auch schwer, diese besondere Übernahme als Zeichen für ein ausgeprägtes Interesse an der Historizität des Rechtes zu nehmen, denn bei der Übernahme der Strafbeimessung in Konflikten zwischen Juden und Christen aus Ssp. Ldr. III 7 § 3 in das cap. 206 hat der anonyme Redaktor gerade den letzten Satz („Dissen vrede erwarf en josephus weder den koning vaspasianum . . .“) ausgelassen. Cap. 163 („Waz der purgermeister schaffet zu der stat ere und frume mit willekor der meisten menge, daz mag die mynner nicht vider reden.“) ist eine Umformung des dorfrechtlichen Satzes aus Ssp. Ldr. II 55 („Svat so die burmester schept des dorpes vromen . . .“) auf stadtrechtliche Verhältnisse. Ansonsten ist die Bearbeitung, wenn aus dem Sachsenspiegel übernommen wird, in der Regel nur sehr verhalten. Über die wörtlichen Anklänge hinaus können eine Reihe von Vergleichen mit dem sächsischen Land- und dem Magdeburger Weichbildrecht gezogen werden, deren eigentliche Quellen aber nicht unmittelbar angebbar sind.657 Dem Hinweis Rößlers auf das Iglauer Recht als Quelle von cap. 181 §§ 1–3 („Vom Kirchenraub“) folgend, das ebenfalls eine bemerkenswerte Nähe zu Ssp. Ldr. II 13 § 4 aufweist, schiene mr eine zukünftige Untersuchung auch des Iglauer Rechts mit Blick auf seine Beziehung zum Sachsenrecht interessant.658 Es sind aber auch an657 Man vgl. nur cap. 30 mit Ssp. Ldr. III 87 oder die cap. 31 bis 35 mit Ssp. Ldr. II 13 §§ 7–8. 658 Zum Iglauer Recht vgl. die einschlägige Studie von Tomaschek, Oberhof Iglau, mit vielen Textbeigaben.
474
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
dere Wege, vor allem über die Landfriedensgesetzgebung, denkbar, die diese Ähnlichkeit bewirkt haben mögen. 5. Sächsisches Recht in der Slowakei: Das Silleiner Rechtsbuch (1378) Als Beispiel für die frühe Rezeption des Sachsenspiegels in der Slowakei (damals noch Ungarn) kann das mittlerweile gut greifbare Rechtsbuch der Stadt Sillein (Žilina) herangezogen worden. Erstmals ist es 1934 von Václav Chaloupecky´ in Zusammenarbeit mit Rudolf Rauscher herausgegeben worden.659 Das Echo und die bis zur Polemik polarisierte Aufnahme der Edition seitens unterschiedlicher nationalistischer Gruppen außerhalb, vor allem aber auch innerhalb der Slowakei war sehr groß.660 1972 trat die Ausgabe von Piirainen hinzu,661 die aber ihren Vorgänger nicht ersetzt. Wer sich mit dem Rechtsbuch als Ganzem auseinandersetzen will, bleibt darauf angewiesen, beide Ausgaben heranzuziehen, denn Chaloupeckys Edition gibt nur die historisch-slovacikale Übersetzung des Jahres 1473 (fol. 105r–149r) sowie die Silleiner Rechtssprüche dieser Sprachstufe, nicht aber den älteren, deutschen Text des Rechtsbuches, während der späteren Ausgabe gerade die bereits gedruckten Texte fehlen. Die deutschsprachigen Gedichte auf fol. 10r–12r und die verstreuten, teils lateinischen, ausführlichen Archivsnotizen des 18. und 19. Jahrhunderts bleiben im Übrigen nach wie vor der Handschrift selbst vorbehalten. Das Silleiner Rechtsbuch hat von Seiten der Philologien auch in jüngerer Zeit wieder einige Beachtung erfahren; Mária Papsonová hat den Stand der Dinge vor einigen Jahren bündig zusammengefasst.662 Die rechtshistorische Forschung dagegen hat seit Weizsäcker praktisch kein Interesse mehr dafür aufgebracht. Das mag sich mit den neuen Projekten in naher Zukunft ändern. 659
Chaloupecky´ , Kniha Zilinská. Oppitz, Rechtsbücher, Bd. 1, S. 62 spricht von „tschechischen Übersetzungen“, wenig später jedoch von der „slowakischen Sprache“ des Rechtsbuches. In der Tat weist bereits Piirainen, Silleiner Stadtrechtsbuch, S. 15 f. darauf hin, dass die Sprache des Rechtsbuches mit dem Slowakischen nicht ohne weiteres gleichzusetzen sei. Die Bezeichnung „historisch-slovacikal“ hingegen beruft sich auf Kotulicˇ, K hodnoteniu jazyka Žilinskey, S. 76 („historické slovacikálne texty“). Über die Auseinandersetzungen in der tschechischen Rechtsgeschichte der Kriegs- und Nachkriegsjahre vgl. Vanecek, Les travaux, zum sprachgeschichtlichen Problem Kuchar, Z jazykovej nemecko-slovenskej problematiky. 661 Piirainen, Silleiner Stadtrechtsbuch. 662 Papsonová, Stadtrechsbuch von Žilina; dies., Silleiner Rechtsbuch. 660
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
475
Unter den Quellen des Rechtsbuches lassen sich neben dem sächsischen Land- und Lehnrecht vor allem die Magdeburger Weichbildvulgata samt -chronik, die Rechtsweisungen für Breslau und Görlitz sowie die so genannten Krakauer Extravaganten663 feststellen. Die breite Verarbeitung des Landrechts lässt sich ohne große Widerstände in Tabellenform gießen: Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
22 23 24 25; 26 473; 474 103; 104 105 106 106 478 194 194; 369; 370 371 372 373 374 375 376 107; 204; 207 135 135; 479 469; 479 208 209 470 471 471; 108 210 211 212 109 213 110 111 112 113; 114 115 115; 214; 215 472 463
I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I
464 126; 128 128 128; 130 131 132 132 133 475 408 409 410 410 410; 476 477 477; 411 412 413 413 203 352 353 263 344 345 345 95
1 2 3 §§ 1, 2 3§3 4 5§2 5§1 5§3 6§1 6§3 6 §§ 4, 5 7 8 §§ 1, 2 9§1 9 §§ 2–4 9 §§ 5, 6 10 11 12 13 § 1 13 § 2 14 15 16 16 § 1 16 § 2 17 18 19 § 1 19 § 2 20 § 1 20 §§ 2–5 20 §§ 6, 7 20 §§ 8, 9 21 § 1 21 § 2 22 § 1 22 § 2 23 § 2 25 § 3 663
Homeyer, Extravaganten, S. 251–259.
25 25 27 28 29 30 31 31 32 33 34 35 36 37 38 38 38 41 42 42 45 46 47 48 48 51 63 65 65 68 69
II II II II II II II II
§4 §5
§1 §2 §2
§1 §2 §3 §1 §2
§3 §§ 1, 2 §2 §3 §1
13 13 14 15 16 16 16 16
§1 §7 §2 §2 §1 §§ 2, 3 §4 §5
237 262 78 398 398 75 356 76
127 130
476 411
476
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
77 265 266 267 461 462 268 269 406; 270 270 271; 395 271 272 273 274 275 276 277 278 279 246 246 414 264 241 357 79; 261 362 160 161 138 139 216 217 218 219 407 220 140 141 142 143 144 222 224 221; 223 227 228 145
II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II II
§§ 1, 2 §3 §§ 4, 5
146 147 148 229 377 198 230 197 149 150 151 152 134 240 200 199 231 201 201; 232 201 201 378 379
III 1 III 2 III 3 III 4 § 1 III 4 § 2 III 5 §§ 1,2 III 5 § 3 III 5 §§ 4, 5 III 6 §§ 1–2 III 6 § 3 III 7 III 9 § 1 III 9 §§ 3, 4 III 9 § 5 III10 §§ 1, 2 III 10 § 3 III 11 III 12 § 1 III 12 § 2 III 13 III 14 § 1 III 14 § 2 III 15 § 1 III 15 § 2 III 15 § 3
354 380 233; 381 234 235 236 382 383 205 206 162 163 191 280; 405 192 153 193 281 282 283 284 285 286 287 288
16 17 18 19 19 21 21 22 24 24 25 25 26 26 27 27 27 28 29 31 32 33 34 35 36 37 38 39 40 40 40 40 41 43 44 44 44 45 46 47 47 48 48 49 49 50 52 53 54
§7 §1 §2 §§ 1, 2 §5 §5 §1 §2 §1 §2 §§ 1–3 §§ 4–6 §1 §§ 2, 3 §4
§1 §§ 1, 2 §§ 1, 2 §3 §4 §5 § § § §
32 1 2 3
§§ 1–3 §§ 4, 5 §1 §§ 2, 3, 7 §1 §2
§§ 1, 2
54 54 54 55 59 59 60 61 61 62 62 62 63 64 65 66 67 69 70 71 72 72 72
§3 §5 §6 §§ 1, 2 §§ 3, 4 §§ 1–4 §5 §1 §2 §3 §§ 2–5
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
477
Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
Ssp. Ldr.
Silleiner Rb.
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
289 67; 289 290 291 292 293 243 66 294 294 295 62 296 384 297 298 185 299 300 301 302 304 385 386 318 242 303 117 118 119 154 155 305 164 306 166 167 168 169 307 63
III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III III
64 65 156 157 158 159 428 308 355 429 430 431 432 433 260 260; 309 363 364 365 465 466 466 467 310 311 312 313 314 315 316 317; 468 96 97 69 319; 403 403 183 387 320 321 322
15 16 16 20 21 22 23 25 25 26 26 28 29 29 30 30 31 31 32 32 32 32 33 34 34 35 36 38 38 38 37 37 38 39 39 40 41 41 41 43 45
§4 §1 §§ 2, 3 §1 §1 §§ 2, 3 §1 §§ 2, 3 §§ 1, 2 §1 §2 §1 §2 §§ 1, 2 §3 §§ 1–6 §§ 7, 8 §9 § 10 §§ 2–5 §1 §2 §3 §5 §3 §4 §1 §§ 1, 2 §3 §1 §§ 2, 3 §4 §9
45 46 47 48 48 51 52 54 56 54 54 57 57 58 66 66 66 67 68 75 75 76 78 78 78 78 79 80 81 82 83 84 84 87 88 88 88 89 90 91 91
§ 11 §1 §2 §§ 1–3 §4 §1 §2 §§ 3, 4 §1 §2 §1 §§ 1, 2 §3 §4 §§ 1, 2 §3 §§ 1, 2 §§ 2–4 §7 §8 §9 §1 §2 §1 §§ 2, 3 §2 §3 §1 §2 §§ 3, 4 §5 §3 §1 §§ 2, 3
Die Kapitel 433 bis 459 enthalten darüber hinaus einen größeren Einschub aus dem sächsischen Lehnrecht;664 das letzte (cap. 480) entspricht schließlich Ssp. Lnr. 58 § 2. Danach folgt ein kurzer Epilog. 664
Einzelheiten bei Chaloupecky´, Kniha Zilinská, S. 192–195.
478
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
6. Sächsisches Recht in Westfalen: Das Herforder Rechtsbuch (um 1365) Auch im westfälischen Herford lassen sich Spuren des sächsischen Landrechts in einer städtischen Rechtsaufzeichnung finden. Dabei handelt es sich allerdings nicht wie in Sillein um eine Umarbeitung; vielmehr sind einzelne, allerdings beinahe wörtliche Exzerpte in eine ansonsten weitgehend eigenständige Arbeit eingegangen. Das wahrscheinlich um 1365 verfasste Rechtsbuch ist uns nicht mehr im Original, sondern nur noch in einer Bearbeitung der Jahre nach 1370 erhalten.665 Sie ist in einer mit zwei ganzseitigen Illustrationen geschmückten Ratshandschrift (Oppitz Nr. 711) auf uns gekommen, die seit einiger Zeit auch in einer qualitätsvollen Faksimileedition greifbar ist.666 Dagmar Hüpper hat dazu alles Wesentliche in zwei Aufsätzen zusammengestellt,667 so dass mir nur noch bleibt, eine Konkordanz in tabellarischer Form anzugeben: Ssp. Ldr.
Herforder Rb.
Ssp. Ldr.
I 5 §§ 2, 3 I 6 §§ 1, 2 I 16 §§ 1, 2 I 17 § 1 I 21 § 1 I 22 §§ 4, 5 I 24 § 3 I 27 § 1 I 28 I 29 I 52 § 1 I 59 § 1 I 68 § 1 II 22 §§ 1, 2
47 48 7; 8 46; 58 48 29 50 47 7; 17 4 17 17; 51 25 5
II 43 § 1 17 II 44 § 1 7 III 15 § 4 47 III 25 § 1 5 III 32 § 1 3 III 32 §§ 4–6, 9 7 III 33 §§ 1, 2, 4, 5 17 III 38 § 5 47 III 46 § 2 25 III 69 §§ 1, 2 17 III 72 7 III 73 § 1 8 III 80 § 2 8 III 81 § 1 8
Herforder Rb.
Hinzuzufügen ist das wohl erst in der Bearbeitung beigefügte Schlusswort aus dem Lehnrecht des Sachsenspiegels (Lnr. 78 § 2).668 Bemerkens665
Diese enge und frühe Datierung ist erst in jüngerer Zeit anhand sprachlicher Vergleiche mit Herforder Stiftsurkunden gelungen – vgl. dazu Fedders/Peters, Sprache, S. 220 f. 666 Helmert-Corvey, Herforder Rechtsbuch – eine reine Textedition mit einigen wertvollen Anmerkungen bei Normann, Herforder Rechtsbuch. Zur Handschrift vgl. auch Lade-Messerschmid, Illuminierte Ratshandschriften, S. 30 f. und S. 38–40. 667 Hüpper, Herforder Rechtsbuch; dies., Sachsenspiegelrezeption – dort auch mit Textsynopse. Frühere Beschäftigungen mit dem Sachsenspiegelrecht im Herforder Rechtsbuch bei Küster, Sachsenspiegel, und bei Illgen, Stadt- und Gemeindeverfassung.
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
479
wert an der Verwendung des Sachsenspiegelrechts im Herforder Rechtsbuch ist die beinahe durchgängig beigefügte Allegation von Buch und Titel. Wo andere Rechtsbücher stillschweigend kopieren, beruft sich diese Aufzeichnung also explizit auf eine (vermeintlich gesetzgeberische) Kodifikation des sächsischen Rechts, oft verbunden mit formelhaften Hinleitungen wie „wente dat sassenrecht leret . . .“. Nur Artikel 50 des Herforder Rechtsbuches, in dem die Gerade behandelt wird, übernimmt in weiten Teilen wörtlich Ssp. Ldr. I 24 § 3 ohne diesen Paragraphen zu allegieren. Die Weitervermittelung einzelner Sätze sächsischen Rechts, die Aufnahme in das Herforder Rechtsbuch gefunden haben, durch die Spruchtätigkeit des Herforder Schöffenkollegiums bedürfte noch näherer Untersuchung.669 7. Einige Sachsenspiegelexzerpte in Sammelhandschriften Eine besondere Form der Sachsenspiegelrezeption sind die in einer Reihe von Sammelhandschriften nachgewiesenen Exzerpte, zumeist aus dem Landrecht. Man wird annehmen dürfen, dass die eigentliche Zahl solcher überlieferten Exzerpte noch weit größer ist als die bislang bekannten. Sie zeigen ein dezidiertes Interesse an einzelnen Materien des Rechtsbuches und sind daher besonders aufschlussreiche Zeugnisse der Relevanz für den jeweiligen Abschreiber. Ob sich diese Relevanz immer in einem unmittelbaren gerichtlichen Kontext wird suchen lassen, muss die jeweilige Überlieferungskonfiguration beantworten. Häufig sind solche Exzerpte zusammen mit Verwandtsbäumen überliefert; hier ist der sachliche Zusammenhang offensichtlich und bedarf keiner eigenen Ausführung. Solche begleitenen Exzerpte werden nicht eigens verzeichnet, sondern nur solche, die alleine oder im Kontext mit anderen Rechtsaufzeichnungen respektive Exzerpten derselben autreten. Der Sache nach scheint mir eine einfache Zusammenstellung der Handschriften und der darin enthaltenen Exzerpte angemessener als eine umständliche Besprechung der einzelnen Funde:
668 Helmert/Corvey, Herforder Rechtsbuch, Bd. 1, S. 82: „Recht worde lichte bescheden, wer de also vele nicht, de unrechtes laghen unde unrechte don dor eren vromen, dat se en dan to rechte segghet. Dede ment en, id duchte se unrecht, wente id en is nyn man alzo unrecht, id en dunke eme unbillic, oft men eme unrecht doyt. Darumme bedarf men manichvolder rede, er men de lude in kunne brynghe, waran men unrechte do, unde eer men se lere, wo se mit rechte unrecht vorlegghen unde weder an recht brynghen.“ 669 Über das Schöffenkollegium in Herford vgl. Löning, Schöffenstuhl.
480
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Handschrift
enthaltene Sachsenspiegel-Exzerpte
Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 461 (Oppitz Nr. 704), fol. 92v–93r
Ssp. Ldr. I 3 § 1; Ldr. II 27 §§ 1–3; Ldr. II 51 §§ 1, 3 unter der Überschrift „von bruckenn zcoll“670
Magdeburg, Landeshauptarchiv, Rep. Ssp. Ldr. I 1; I 2 §§ 1–4; I 3 §§ 1–3; II Kop. Nr. 427h (Oppitz Nr. 928a), fol. 32 § 3; II 44 §§ 1, 2; III 45; III 82 § 2; 395r, 396r–408v, 410r–419r und 433r671 III 83 Münster, StA Msc. VII 38 (Oppitz Nr. 1143)
Ssp. Ldr. I 1; Ldr. I 2; Ldr. I 59; Ldr. II 4; Ldr. II 6; Ldr. II 12; Ldr. III 61; Ldr. III 69
In gewisser Weise könnten auch vereinzelte, in Stadtbüchern rezipierte Rechtssätze des Sachsenspiegels zu den Exzerpttextzeugen gezählt werden. Ein gutes Beispiel dafür beitet das ältere Eschweger Stadtbuch aus dem 14. Jahrhundert. Verarbeitet wird eine bemerkenswerte Breite mittelalterlicher Rechtsbücher: Neben dem sächsischen Landrecht finden sich auch das Landrecht des Schwabenspiegels, das Meißner und das Mühlhäuser Reichsrechtsbuch sowie die dortigen Statuten unter den Quellen. Eckhardt hat sie in seiner gründlichen Ausgabe der Eschweger Statuten im Einzelnen nachgewiesen.672 Für den Sachsenspiegel beschränkt sich die unmittelbare Rezeption auf die Artikel Ldr. I 4 und I 5; mittelbar aber gehen über die Exzerpte aus dem Meißner Rechtsbuch eine Reihe von sächsischen Rechtssätzen in das fränkische Stadtbuch über. Ähnlich kompilatorischen Charakter hat auch das von Laufs und anderen entdeckte und eingehend untersuchte Wimpfener Rechtsbuch. Im Einzelnen finden sich dort im zweiten Buch neben Exzerpten aus dem Schwabenspiegel und dem Meißner Rechtsbuch aus solche aus Ssp. Ldr. I 38 §§ 2, 3; Ldr. I 48 § 3; Ldr. I 49; Ldr. I 51; Ldr. I 63; Ldr. I 67 § 2 (sowie Versatzstücke aus § 1); Ldr. I 68 § 1; Ldr. II 3 §§ 2, 3; Ldr. II 4 §§ 1, 2; Ldr. III 16 §§ 2, 3; Ldr. III 17; Ldr. III 18 § 1; Ldr. III 23; Ldr. III 2; Ldr. III 25 670
Gedruckt nach dieser Handschrift bei Zoepfl, Alterthümer, S. 404 f. (Kap. „Das Kleinste Kaiserrecht oder Landrechtsbuch des sog. Schwabenspiegels“, S. 406–410). Dieses Kapitel hat dann Karl August Eckhardt in Bd. 5 der Bibliotheca Rerum Historicarum, Neudrucke, S. 219–250, nachgedruckt. 671 Auf diese Exzerpte hat erstmals Zöllner, Inskriptionsformeln, hingewiesen. – Zu diesem Fragment vgl. auch Oppitz, Fragmente [Gedenkschrift H. Beckers], S. 220 f. (Nr. 2). 672 Eckhardt, Rechtsgeschichte der Stadt Eschwege, Bd. 1, S. 263–327, bes. S. 295 – Zum Abgleich stand mir die Handschrift Gießen, UB, Hs. 980 (Oppitz Nr. 557), fol. 182r–208r zur Verfügung, die auch Eckhardt nutzt. Sie ist zugleich Leithandschrift der Senckenbergschen Ausgabe des Kleinen Kaiserrechts (vgl. S. 389, Anm. 236).
VI. Ausgewählte weitere Rezeptionsträger
481
§§ 1, 2; Ldr. III 26; Ldr. III 29 § 1; Ldr. III 36; Ldr. III 44; Ldr. III 52; Ldr. III 60 und Ldr. III 78;673 ein Teil (z. B. Ldr. III 26; Ldr. III 44; Ldr. III 52; Ldr. III 60; Ldr. III 76 § 3 und Ldr. III 78) davon gemeinsam mit der dazugehörigen Landrechtsglosse. Als eine letzte, kompilatorische Rezeptionsschrift des Sachsenspiegels möchte ich die von der Rechtsbücherforschung bislang gänzlich außer Acht gelassene Mansfelder Bergrechtshandschrift anführen. Sie enthält „eine Gerichtsordnung, überschrieben Anefangk des gerichts, mit angehängten Paragraphen, die von der Zwangsvollstreckung u. ä. handeln und zum Teil dem Sachsenspiegel wörtlich entnommen sind; darauf endlich folgen Berg- und Hüttenordnungen der Grafen von Mansfeld aus den Jahren 1477 bis 1504“674. Über das Bergrecht selbst haben Ermisch675 und Neuburg676 ausführlicher gehandelt, wobei vorbehaltlich neuerer Untersuchungen, die noch dringend ausstehen, unklar bleiben muss, ob sein Ursprung fränkischer oder eher böhmisch-sächsischer Natur ist. Die dem Sachsenspiegel entnommenen Paragraphen677 sind rasch zusammengefasst: Es handelt sich dabei um Ldr. II 13, 14 und 16 sowie Ldr. III 45, wobei charakteristische Auslassung von Ldr. II 13 §§ 2 und 8 zu beobachten ist, die wir auch in anderen Quellen wieder finden werden. Als Konkordanz ergibt sich unter Ausblendung der nicht-sächsischen oder nicht eindeutig zuzuordnenden Quellen folgende Tabelle: Ssp. Ldr.
Bergrecht
II 13 §§ 1, 3 II 13 § 4 II 13 § 5 II 13 § 6 II 13 § 7 II 14 II 16 § 1 II 16 § 2 II 16 § 3 II 16 § 4 II 16 §§ 2, 5–9 III 45 § 1 III 45 § 2 III 45 § 3 III 45 §§ 4–6
§ 10 § 11 § 12 § 13 § 14 § 15 § 21 § 22 § 23 § 24 § 25 § 16 §§ 17, 18 § 19 § 20
673 Zusammenfassung der Ergebnisse von Laufs et al., Wimpfener Rechtsbuch, S. 188–190. 674 Möllenberg, Mansfelder Bergrecht, S. 3 f. 675 Ermisch, Sächsisches Bergrecht. 676 Neuburg, Goslars Bergbau. 677 Abdruck bei Möllenberg, Mansfelder Bergrecht, S. 47–52, Kommentar S. 12 f.
482
D. Sachsenspiegel-Rezeption in einzelnen deutschen Rechtsbüchern
Die „Kleine[n] fragmenten van een Saksisch rechtsgeleerd geschrift uit de 14. eeuw“ der Leidener Universitätsbibliothek enthalten auf zwei schmalen Blattresten Reste einer unbekannten Rechtsschrift,678 die zwar sächsisches Recht, nicht aber, wie Borchling vermutet,679 einen Sachsenspiegeltext geben. Der Satzanfang „Cumt ein ordel oppen that hus voer then rat . . .“ (fol. 2v) beispielsweise ist zwar deutlich auf den Abbruch eines verurteilten Gebäude aus Ssp. Ldr. III 67 und Ldr. 68 §§ 1, 2 bezogen, nicht aber einem dieser Artikel wörtlich entlehnt, zumal die rote Initiale C eindeutig einen Satzanfang markiert,680 der so in keiner mir bekannten Handschrift des Spiegels nachzuweisen ist. Auch der Richtsteig, der zu diesem Rechtsinstitut keine Ausführungen gibt, ist für das Fragment auszuschließen, so dass seine genaue Identität weiterhin ungeklärt bleiben muss. Damit sind einige Beispiele genannt; erschöpfend ist diese Aufzählung sicher nicht. Sie mag aber zunächst hinreichen, um einen Eindruck davon zu gewinnen, an welchen Passagen des Sachsenspiegels Kompilatoren ein besonderes Interesse entwickelten. Sie verleihen der Analyse umfassend auf der Basis sächsischer Rechtsbücher konzipierter Arbeiten Kontur von einer anderen Seite.
678
Leiden, UB, Ltk. 486 (Oppitz Nr. 876). Borchling, Mittelniederdeutsche Handschriften, S. 246 f. 680 Ssp. Ldr. III 68 § 1: „Die richter sal to deme ersten mit enem bile der slege slan an ene burch oder an en gebu, dat mit ordelen verdelt is [. . .]“; zit. nach Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 1, S. 365 – zur Sache vgl. Meckbach, Commentar, S. 877. Auf eine Parallele im französischen Recht weist Daniels, System und Geschichte, Bd. 1, S. 234 hin. 679
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen und Einzelbefunde zur Charakteristik und zu einzelnen Rechtsinstituten der sächsischen Rechtsbücher Das folgende, letzte Kapitel möchte zweierlei: Zum einen soll es auf der Grundlage der soeben durchgeführten Vergleiche einzelne institutionengeschichtliche Querschnitte ansetzen. Das kann und will nicht erschöpfend passieren, sondern vor allem Möglichkeiten aufzeigen, die hier erstellte Rechtsbücherkonkordanz für konkrete, rechtshistorische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Zum anderen – und auch das war mir wichtig – sollen Nebenergebnisse, Befunde und Ergänzungen zum bisher Bekannten, wie sie sich bei so umfangreichen Untersuchungen beinahe zwangsläufig einstellen, hier noch beigebracht werden und ihren Teil zum großen Projekt „Rechtsbücherforschung“ beitragen. Insgesamt geht es also vor allem um eines: Ein Angebot zu machen, von dem ich hoffe, es möge noch aufgegriffen werden.
I. Anlage, Technik, Stil und außerrechtliche Grundgedanken 1. Rahmentexte: Vor- und Nachreden in deutschen Rechtsbüchern Die deutschen Rechtsbücher stehen am Anfang einer Tradition volkssprachlicher Fachliteratur, die durch Vor- und seltener auch Nachreden über sich selbst und ihre Verfasser, den Inhalt oder den Anlass der Abfassung reflektieren.1 Oft finden sich diese Rahmentexte in gereimter Form, was im Rechtsschriftum möglicherweise ebenfalls auf die Inspiration durch den Sachsenspiegels selbst zurückgeführt werden kann. Über die Vorreden des Sachsenspiegels, vor allem die gereimte, die noch von Eike selbst stammt, ist im Kapitel über dessen mögliche Quellen schon einiges gesagt worden.2 Im Anschluss an einen grundlegenden Beitrag von Kisch3 hat vor allem Ruth 1
Unger, Vorreden, bes. S. 228–231. Siehe oben, S. 92 ff.; ferner Frommhold, Erörterungen; Stutz, Rechtshistorischer Gehalt, die aber beide durch die späteren Forschungen, vor allem von Kisch, überholt wurden. 3 Kisch, Reimvorreden. 2
484
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Schmidt-Wiegand dazu beigetragen, die Reimvorreden deutscher Rechtsbücher als rechtshistorisch-literarische Kleinstform auszuleuchten.4 Im Hinblick auf die einzelnen Vorreden des Sachsenspiegels könnte eine allerdings genauere Untersuchung der handschriftlichen Überlieferung durchaus noch Bemerkenswertes ans Licht bringen. Für die nacheikesche Vorrede „Von der Herren Geburt“ hat das in den wichtigsten Zügen Lieberwirth bereits unternommen.5 Dazu kann ich zwei Beobachtung nachtragen, um die Pontentiale textkritischer Studien am Material zu illustrieren: In einer ursprünglich preußischen Handschrift, die heute in Berlin verwahrt wird, ist diese Vorrede separat überliefert.6 Das sächsische Landrecht fehlt dieser Handschrift vollständig, vielmehr ist die Vorrede unmittelbar an das Meißner Rechtsbuch angeschlossen und wird auch als Bestandteil desselben in das Register (fol. 113v–115r) aufgenommen. Ein zeitgenössischer Abschreiber hat also offenbar das Fehlen dieses ursprünglich mit dem sächsischen Landrecht verbundenen Stückes in der Bearbeitung des Meißner Rechtsbuches bemerkt und selbständig nachgetragen. Bemerkenswerter ist aber noch eine zweite Beobachtung: In der heute Duisburger Handschrift des Sachsenspiegels vom Jahre 1385 nämlich ist nicht, wie in der vulgaten Überlieferung des Texte vom Herzog von Lüneburg, sondern vom „hertoghe van Lymporch unde gheslechte“ die Rede.7 Gerade der Limburger Herzog aber war um 1260, als der Sachsenspiegel den Niederrhein erreicht und die vermutliche Vorlage der Duisburger Handschrift entstanden ist, zugleich Graf von Berg und Vogt über die Abtei Werden, wo man die Entstehung des Codex vermuten darf. Aus dieser kleinen Textvariante können wir also zum einen den unmittelbaren Rückgriff der Duisburger Handschrift auf den bald nach der Mitte des 13. Jahrhunderts nach Westfalen gelangten Sachsenspiegeltext plausibel machen, zum anderen die Vermutung gewinnen, dass auch in anderen Überlieferungsträgern der Vorrede „Von der Herren Geburt“ einzelne Geschlechter durch lokale Große ersetzt worden sind. Die Vorrede scheint besonders dafür geeignet, den Sachsenspiegeltext an die eigene Region und damit die eigenen Rechtsverhältnisse anzubinden. 4 Schmidt-Wiegand, Reimvorreden. Zwar nicht auf die Vorreden deutscher Rechtsbücher bezogen, aber instruktiv für die Verwendung von Vorreden als formale Typologisierungsmerkmale der Beitrag von Babenko, Textensortenproblematik. 5 Lieberwirth, Sachsenspiegelvorrede. Wichtige Arbeiten zur Identifizierung der in der Vorrede genannten Geschlechter hat Winter, Eike von Repgow, geleistet. 6 Berlin, GStA, XX. HA Msc. A 2o 30 (Oppitz Nr. 797), fol. 112v – über diese Handschrift vgl. Weizsäcker, Verbreitung des Meißner Rechtsbuchs, S. 36; Stech, Dienstrechte, S. 7; Päsler, Sachliteratur, S. 90 f. sowie ausführlich Niemann, Warschauer Handschrift. Die von Niemann angekündigte Studie über die deutschen Rechtsbücher in Krakau ist nie erschienen. 7 Duisburg, StB, o. Sig. (Oppitz Nr. 565), fol. 6v – vgl. dazu Kümper, Duisburger Sachsenspiegel.
I. Anlage, Technik, Stil und außerrechtliche Grundgedanken
485
Denn durch die Einfügung des Herzogs von Limburg wurde zugleich die Relevanz des folgenden Landrechtstextes für das Territorium desselben unmittelbar evident: Wenn der Herzog und sein Geschlecht selbst Sachsen seien, so musste auch das sächsische Landrecht für die Gerichte seiner Herrschaft einschlägig werden. Neben solchen Varianten in der Überlieferung können auch ganze Textpassagen ausgemacht werden, die sich in einzelnen Handschriften des Sachsenspiegels zu den Vorreden gesellen. In einer Breslauer Handschrift ist zwischen der Praefatio rhythmica und dem Textus prologi ein ausführliches Stücke „Von bewysinge umme len unde liftucht“ eingeschaltet.8 Die Stelle, an der dieses Stück in die Gesamtkomposition der Handschrift eingefügt worden ist, ist nicht ganz nachvollziehbar, der Bezug vor allem auf das sächsische Lehnrecht aber offenkundig. In einer Handschrift der Bibliothek Marquard Gudes († 1689) wird ein Stück von den fünf sächsischen Pfalzen hinter der Vorrede „Von der Herren Geburt“ eingeschoben: „Funff stete, die pfalentzenn heÿssen, legen tzu Sachssen in dem lande, do der könig echte höfe habin sal. Dÿ irste ist Grima, dÿ ander Werle, ist an der Gossler gelegen. Walhusen ist die dritte, Alstette dÿ vierde, Merßeburgk die fünffte. Sieben vanlehnn sÿnt ouch in dem lande tzu Sachssen: Das hertzogthum tzu Sachsenn, dÿ pfalentz, dÿ marck tzu Brandenburgk, dÿ lantgravenschafft tzu döringen, dÿ marcke tzu Myssen, dÿ marck tzu Lusitz, die graveschafft tzu Asscherßleue. Ouch synt tzwei ertzbischthum in dem lande tzu Sachsenn vund funfftzen andere. Deme von Magdeburgk ist undirthan der bisschoff von Numburgk vnd der von Merßeburgk unnd der vonn Mÿssen unnd der von Brandeburgk unnd der von Habelburg. Der bischoff von Mentz hat vier undirtane tzu Sachssen in dem lande: Den bischoff von Halberstat, den von Hildeßheÿm, den von Werden, den von Palbornn. Der bischoff von Ossenbrucke unnd der von Mÿden unnd der von Mönster sÿnt undirthan deme von Colne. Dem ertzbischoue von Breme sÿnt undirthan der von Lübecke, der von Sweren unnd der von Ratzenburgk.“9
Dieses Stück schließt sich wörtlich an Ssp. Ldr. III 66 §§ 1–3 an, ist aber an dieser funktional durchaus nachvollziehbaren Stelle eingeschoben, um die hoheitliche Strukturierung des Landes „Sachssen“ kompakt abzuhandeln. Regelmäßig sind den Rechtsbüchern kürzere Sprüche oder Betrachtungen über Gerechtigkeit und Recht vorgeschaltet.10 Diese gehen zum Teil nicht auf den Redaktor des Rechtsbuches selbst, sondern auf einen Abschreiber 8 Breslau, UB, II F 6 (Oppitz Nr. 259) – abgedruckt bei Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 363–366 (Anhang VIII). 9 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 4. Gud. Lat. 2o (Oppitz Nr. 1567) – zur Handschrift vgl. Gude, Bibliotheca, Bd. 4, S. 550 (Nr. 65). 10 Hamburg, StUB, Cod. 89 in scrinio (Oppitz Nr. 671), fol. 3r–4v und fol. 242v.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
zurück und finden sich daher nur in einzelnen Zeugnissen der Überlieferung. Integraler Bestandteil der Bearbeitung dagegen sind die historisierenden Vorreden, wie der Prolog zur Buchschen Landrechtsglosse11 oder die sich eng am Sachsenspiegel orientierende Vorrede des Deutschenspiegels.12 Auch die meisten Handschriften des Richtsteig Landrechts weisen eine oder mehrere solcher historisierenden Vor- und Nachreden auf. Auf eine Handschrift mit einer Reihe charakteristischer Veränderungen und zusätzlicher Prologteile hat Hans Christoph Hirsch aufmerksam gemacht.13 Dem Ausgburger Inkunabeldruck der Offizin Hans Schönsperger aus dem Jahr 1496 schließlich geht ein eigenes, kurzes Lobgedicht auf Eike von Repgow voran: „Got gebe seiner sel rat, der dyses bu˚ch getichtet hatt. / Eck von Repchau, seyn pflege unser fraw, / das er synes lones warte in des himels garte, / des bittendt alle gän Got. Michahel sey der bot, / daz der sein sele weyß in daz fron paradeyß / mit den gerechten ewigkleiche, in Got sey jr freiide reiche, / und beschlyesse jn darein, daz er ein sun Gotes müg sein. / Seit sein genaden sein so reyne den von Franckensteyne [!]. / Thu˚ in deiner seligen genoß und sötze jn in Abrahams schoß. / Wann von seyner bet geschehen ist, daz man diß bu˚ch teütsch ließt. / Hett Got an mich geleget kunst und weyßheit, der jch leyder one bin, so wölte jch geren meinen syn, / mit fleyß daran keren, herrn Ecken worte meren. / Von den genaden Gottes und sein, so ist diß bu˚ch worden mein. / Nü weyße jch nit spreche me, Got gebe, daz mein will ergee, / daz sein grosse weißheyt, dye Got an jn hat geleyt, / zu˚ seiner massen kommen, beyde zu˚ genaden unnd zu frummen.“
Auch solche Lobesrhetorik verschreibt sich der historischen Anbindung des Textes und trägt damit zu seiner Autorität bei. Erinnert sei nur an den kurzen Aufruf zur Memoria des seligen Kaiser Karls in der Halterner Handschrift des Sachsenspiegels.14 Der kurze Einleitungssatz der Handschrift15 gibt dagegen Auskunft über Struktur und Anlage des folgenden Rechtsbuches. Vorreden dieser Art finden sich in besonders ausgeprägter Form vor dem „Schlüssel des Sächsischen Landrechts“16 und dem Meißner Rechtsbuch.17 11 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 81–108; vgl. dazu auch Homeyer, Prolog. 12 Müller, Deutschenspiegel, S. 15–30. 13 Halle, SUB, Ye 103 (Oppitz Nr. 669); vgl. Hirsch, Unbekannte Handschrift, mit umfangreichen Textproben aus der Vorrede zum ersten und vollständigem Abdruck der Vorrede zum zweiten Buch. 14 Siehe oben, S. 264. 15 Schmitt, Halterner Sachsenspiegel, S. 384: „Wey dit bok sal weten / dey wete dat dat erste bock / is van erve to nemende / dat ander van vredebrake / dat derde van gerichte. / Ok sal hey weten war / dey nummerus erst an steyt / vor deme groten bokestave / dey nummerus weyset up dat / dat na deme nummerus / volget unde nicht uppe dat / dat dar vor geyt / sequit textus.“
I. Anlage, Technik, Stil und außerrechtliche Grundgedanken
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2. Religiöse Vorstellungen, Weltalterlehre und Geschichtsbild Es ist schon oft darauf hingewiesen worden, dass Eikes Rechtsbuch zutiefst geprägt ist von religiösen Vorstellungen, die verbunden sind mit einer christlichen Geschichtsauffassung, aus der heraus er auch die rechtliche Struktur der Welt ableitet.18 Zu fragen bliebe, wie sich dieses Geschichtsbild in den späteren verwandten Rechtsaufzeichnungen fortsetzt oder womöglich wandelt. Genau dieser Frage ist vor einigen Jahren noch Gerhard Theuerkauf nachgegangen.19 Er beschränkt seine Betrachtungen allerdings auf den Sachsenspiegel und die Magdeburger Rechtsbücher, vor allem Weichbildvulgata und Weichbildchronik. Mit Blick auf den Sachsenspiegel selbst ist die Verbindung von Recht, Religiösem und Geschichte recht klar ersichtlich: „Got is selve recht, dar umme is eme recht lef.“ – so beginnt die Prosavorrede des Rechtsbuches. Bereits in den Kapiteln des ersten Landrechtsbuches werden die göttliche Herkunft der weltlichen und geistlichen Gewalt (Ssp. Ldr. I 1) und die Weltalter (Ssp. Ldr. I 3 § 1) vorgestellt, später dann die Herkunft der Unfreiheit mit diversen biblischen Erklärungsansätzen thematisiert (Ssp. Ldr. III 42 §§ 3–6)20 und die Geschichte der Translatio Imperii mit der Herkunftssage der Sachsen verknüpft (Ssp. Ldr. III 44).21 Gerade weil Eike „das Recht als eine Weltordnung verstand, als einen Aspekt der göttlichen Schöpfung“,22 liegt der Rekurs auf die Geschichte, die immer auch Heilsgeschichte ist, im Grunde nah. Besonders deutlich wird das im Falle der Magdeburger Rechtsbücher: Schon Rosenstock hat mit Recht darauf hingewiesen, dass sowohl die Weichbildchronik Rechtssätze als auch das Weichbildrecht Geschichten enthalte.23 Durchdrungen ist die Darstellung aber von einem immer wiederkehrenden Rekurs auf die höchste Richterschaft Gottes, die in ihrer Intensität noch weit über die Darstellung anderer Rechtsbücher hinausgeht. Einzelheiten hat Rogacevskij in seinem Beitrag über Vorstellungen von „himmlischer und irdischer Gerichtsbarkeit“ im Magdeburger Stadtrecht herausgearbeitet.24 16
Abdruck nach der Handschrift Zwickau, Ratsschulbibliohtek, XIII, XI, 6 (Oppitz Nr. 1634) bei Sinauer, Schlüssel des sächsischen Landrechts, S. 280–288 (Nr. 5). 17 Eis, Reimnachwort. 18 Vgl. nur Lück, Eike und Gott; Ignor, Rechtsdenken, S. 102 ff., S. 135 ff. und S. 167 ff. 19 Theuerkauf, Geschichte in Rechtsaufzeichnungen. 20 Grubmüller, Nôes Fluch. 21 Zur Herkunftssage vgl. oben, S. 247 f.; zur Kritik am Sagenbegriff vgl. Graf, Thesen. 22 Theuerkauf, Geschichte in Rechtsaufzeichnungen, S. 204. 23 Rosenstock, Ostfälische Rechtsliteratur, S. 30 f.
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Während die Weltalter-Lehre in fast alle der untersuchten Rechtsbücher übernommen worden ist, fehlt die Quaestio über den Ursprung der Unfreiheit (Ssp. Ldr. III 42 §§ 3–6) in den meisten Fällen. a) Zwei-Schwerter-Lehre und Stratordienst (Ssp. Ldr. I 1) „Es mag nÿmand sprechen: ‚Ich bÿn eÿn pfaffe, was ist mir umb den keÿser adir umb das wertliche gerichte?!‘ ‚Törichter man, weistu nicht, das alle canones lossin sich deutin mit leges? Liß deÿn Decret unnd deÿne Decretales, die du noch nicht gelesen hast. Hettestu sie gelesen, du hettest das nicht gesprochen.‘ “ (Buchsche Glosse zu Ssp. Ldr. I 1)25
Dieses einleitende Zitat macht die grundliegende Problemlage deutlich, die sich in der Lehre von den zwei Schwertern manifestiert:26 In welchen Verhältnis steht die weltliche zur geistlichen Macht und in welchem Verhältnis entsprechend das weltliche zum geistlichen Recht? Der Sachsenspiegel hat darauf eine sehr paritätische Antwort gegeben, indem er beide Bereiche deutlich voneinander scheidet, sie aber zur gegenseitigen Hilfe verpflichten. Diese Ansicht vertreten auch eine Reihe späterer Rechtsbücher, nicht aber der Schwabenspiegel. Den Ausführungen im Prolog zufolge gab Gott nicht Papst und Kaiser jeweils ein, sondern Petrus beide Schwerter, der wiederum das weltliche dem Kaiser weiterverlieh. Spätestens seit Trusen ist man darin einig, in dieser Stelle keine Behauptung einer Vorrangstellung des Papstes gegenüber dem Kaiser zu erblicken.27 Vielmehr betrachte auch der Schwabenspiegel, ebenso wie sein norddeutsches Vorbild, beide Gewalten als voneinander unabhängig, aber zur gegenseitigen Hilfe verpflichtet. Als Argument wird dabei immer wieder angeführt, dass sich ausweislich der handschriftlichen Überlieferung der Schwabenspiegel selbst als kaiserliches Land- und Lehenrechtsbuch verstehe, was mit einer solchen Unterordnung der weltlichen unter die geistliche Macht nicht vereinbar sei. Das ist durchaus nicht von der Hand zu weisen. Die Bezeichnung als Kaiserrecht aber geht, so weit verbreitet sie in den Handschriften auch sein mag, nicht notwendig auf die verlorene Urhandschrift zurück und lässt sich durchaus auch nicht in allen Überliefe24
Rogatschweski, Sud nebesnyj i sud zemnoj. Zit. nach Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 4. Gud. Lat. 2o (Oppitz Nr. 1567), fol. 4v – niederdeutsche Fassung bei Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 137. 26 Aus der umfangreichen Literatur zur Sache nenne ich nur die Wichtigsten, nämlich Lecler, L’argument; Arquillière, Origines; Levison, Mittelalterliche Lehre; Hoffmann, Die beiden Schwerter. Zum Stratordienst zuletzt noch Hack, Empfangszeremoniell, S. 535–538 – die Feststellung, die Beiträge von Levison und Hoffmann behandelten die Passage des Sachsenspiegels nicht, ist allerdings nicht richtig. 27 Trusen, Rechtsspiegel und Kaiserrecht, S. 47–55. 25
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rungsträgern finden. Der Prolog des Rechtsbuches selbst gibt keinen Hinweis darauf, dass es sich bei den folgenden Rechtssätzen um kaiserlich gesetztes Recht handle. So scheint es mir nicht abwegig, anzunehmen, dass zumindest manche mittelalterlichen Rezipienten die spezifische Fassung der Zwei-Schwerter-Lehre im Schwabenspiegel auf eine Unterordnung der weltlichen unter die geistliche Macht hin ausgelegt haben. Als ein Argument möchte ich die einzige bekannte Illustration dieser Szene in einer Schwabenspiegelhandschrift anführen. Im Gegensatz zum gängigen Illustrationstypus der Sachsenspiegelüberlieferung wird hier nicht die Übergabe der Schwerter, sondern der symbolisch aufgeladene Dienst der Unterordnung des Kaisers unter den Papst in die Darstellung übertragen.28 Hätte der Illustrator das Zusammenwirken der beiden Mächte betonen wollen, hätte sich die andere Form sehr viel eher angeboten. Diese findet sich bezeichnenderweise nirgends in der nicht selten durch einzelne Miniaturen begleiteten handschriftlichen Überlieferung des Rechtsbuches. Von diesen Überlegungen ausgehend scheint es mir gerade für die oft mehrdeutigen Formulierungen des Schwabenspiegels von größter Bedeutung, nicht nach der Aussageintention der Redaktoren, sondern nach dem Verständnis jeweils konkreter Leser in einem jeweils konkreten Gebrauchszusammenhang zu fragen. So erklärt es sich auch, wenn eine heute in London verwahrte Handschrift, die vielleicht aus dem Zisterzienserkloster Eberbach stammt, titelt: „Das rechtpuch, das die pebst und keyser gemacht haben.“29 Zu dem in Ssp. Ldr. I 1 formulierten Verhältnis von geistlicher und weltlicher Macht nimmt auch die Buchsche Landrechtsglosse Stellung: „Were, dat de keyser dat keiserrike van deme pauese hedde, zo mochte me in werliken saken sik beropen van deme keysere wente an den paues. Dat wedderspickt Allexander de paues vnd secht, jd en bore an sin gerichte nicht“.30 Diesen Gedanken führt eine interessante Marginalnotiz in einer Wolfenbütteler Handschrift weiter, die neben der Glosse notiert: „et probatur per c. magnum XI. q. I [. . .] Hette er seyn reich van dem babste, so müchte er von der kirchen keinen tzinß nemen noch tributum.“31 Einem mittelalterlichen Zeitgenossen musste dieses Argument eigentlich sehr einleuchten. 28 Vgl. dazu Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 139 und Derschka, Schwabenspiegel, S. 407, der aber diese Umdeutung weder in Text noch Bild des Schwabenspiegels gelten lassen will, vielmehr die „Gleichwertigkeit und Gegenseitigkeit von geistlichem und weltlichem Gericht“ (S. 408) betont. Eine Farbabb. bei Kümper, Regimen, S. 216 (Abb. 12) – zur Deutung vgl. ebd., S. 11. 29 London, British Library, Arundel 131 (Oppitz Nr. 956) – vgl. dazu Priebsch, Deutsche Handschriften, Bd. 2, S. 39–41 (Nr. 60). 30 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 134. 31 Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 4. Gud. Lat. 2o (Oppitz Nr. 1567), fol. 4r – zu dieser Handschrift vgl. oben, S. 485, Anm. 9.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Abbildung 4: Schwabenspiegel, Vorrede (Gießen, UB, Hs. 996, fol. 23r)
Im Alsfelder Stadtrechtsbuch aus dem Jahre 1556 ist die Metapher von den beiden Schwertern zusammen mit den Sechs Weltaltern ans Ende der Darstellung verlegt.32 Gegenüber den beiden großen Spiegelrechten weitet der Redaktor des Alsfelder Stadtrechtsbuches den biblischen Hintergrund der Erzählung aus, beruft sich explizit auf die Lukas-Stelle und den häufig im Kontext mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen, aber auch auf den Bebilderungen von Ratslauben, Gerichtsstuben etc. zu findenden Psalmenspruch „Recte iudicate filii hominum“ (Ps. 72, 2),33 den er nicht aus den Spiegeln übernommen haben kann. Auch sonst zeigt sich der Redaktor in dieser Interpretation sehr unabhängig, gedenkt beispielsweise nicht des Kaisers Konstantin, wohl aber der „vernünfftige[n] Keiser und Konige Justinia32 Text bei Gerhard, Alsfelder Stadtrechtsbuch, S. 228–231. Der Kommentar des Verfassers (ebd., S. 128–130) dazu ist leider wenig ergiebig. 33 Kümper, Bilder und Miniaturen, S. 115 f.
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nus der Erste, Justinianus der Zweet, Karolus der Grosse, Conradus der Erst und andere mehr“, die „auch Recht gesatzt und Keyserrecht genant“ haben. Schließlich kennen auch die Coutumes de Beauvasis die Zwei-SchwerterLehre, allerdings in deutlich knapperer Form.34 Das ist insofern bemerkenswert, als sich einem französischen Autor das Verhältnis von kaiserlicher und päpstlicher Macht weit weniger dringlich stellen musste als möglicherweise den Redaktoren der deutschen Rechtsbücher. Ausführungen zum Verhältnis geistlicher und weltlicher Macht fehlen hier entsprechend vollständig, wobei Beaumanoir an anderer Stelle die strikte Trennung beider Zuständigkeitsbereiche bereits festgestellt hat.35 Die Darstellung ist also vollständig auf ihre historisierenden Elemente beschränkt worden. Hubrecht führt in seinem Kommentar zum Rechtsbuch die Stelle auf Bernhard von Clairvaux zurück.36 Die knappen Ausführungen scheinen mir allerdings keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine so genaue Zuweisung zu bieten. b) Die Quaestio vom Ursprung der Unfreiheit (Ssp. Ldr III 42 §§ 3–6) Eikes Ausführungen über den frühgeschichtlichen Ursprung der Unfreiheit zählt zu den ohne Frage „merkwürdigsten“,37 daher auch zu den „interessantesten“38 Passagen des Sachsenspiegels und dient daher auch regelmäßig als Ansatzpunkt von allgemeineren Erörterungen zur mittelalterlichen Freiheitsthematik.39 Molitor stellt sie an den Anfang seiner „öffentlichrechtlichen Gruppe“.40 Auch die frühen Rezipienten haben offenbar das Bemer34 Salmon, Coutumes, Bd. 2, S. 246 f. (cap. 1474): „Deus espees sont par lesqueles tous li doit estre gouvernes esperituelment et temporelment, car l’une des espees doit estre esperituele et l’autre temporele.“; vgl. dazu auch Dollmann, Sachsenspiegel und Coutumes, S. 188 f. 35 Salmon, Coutumes, Bd. 1, S. 153 (cap. 311). 36 Hubrecht, Coutumes, Bd. 3, S. 8. 37 Voltelini, Freiheit S. 183 – vgl. auch ders., Quellenkunde, S. 553. 38 Fehr, Staatsauffasung, S. 139. 39 Kölmel, Freiheit – Gleichheit – Unfreiheit, der den Sachsenspiegel als ein Werk bezeichnet, „das programmatisch die geltende feudale Ordnung umschreibt, aber in der Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse eine bemerkenswerte innere Distanz zu den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck bringt“ (S. 389). 40 Molitor, Gedankengang, S. 44: „Die Gruppe beginnt in III 42 mit einer Abhandlung über die persönliche Freiheit, die stark literarischen Charakter hat, für die sich aber eine bestimmte Quelle bisher nicht hat nachweisen lassen. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß es sich um eine persönlich Arbeit des Spieglers handelt, der die Anregungen durch das beginnende naturrechtliche Denken einerseits und durch die damals in Sachsen in Verbindung mit Ostsiedlung weitverbreitete Bauernbefreiung erhalten haben mag.“ – vgl. ferner auch Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 273 f. Die naturrechtliche Argumentation der Passage betont besonders Meckbach, Commentar, S. 760 f.: „[. . .] Darinnen hat der Compilator wohl Recht,
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kenswerte dieser Passage zur Kenntnis genommen – ich erinnere nur an Jacob von Maerlands frühen Verweis auf das Landrecht des Sachsenspiegels.41 Unlängst hat noch Franz Dorn umfänglicher über die Aufnahme und Bearbeitung dieser Stelle in den deutschen Rechtsbüchern gearbeitet.42 Und der amerikanische Mediävist Paul Freedman hat in seiner Arbeit über die Bauernrevolten des späten 15. und frühen 16. Jahrhunderts sogar postuliert: „More than Luther, Huss, or Wyclif, the contentious peasants of the early sixteenth century relied on ideas embodied in the Sachsenspiegel and other vernacular legal collections assembled centuries earlier.“43 Das scheint mir eine etwas gewagte Parallele zu sein. Jedenfalls aber ist dieser Stelle einige Prominenz seitens der Forschung beschieden worden. Der Germanist Herbert Kolb hat zeigen können, wie sich Eikes Argumentation genauestens an der Struktur einer kanonistischen Quaestio orientiert, und damit die interessante Reibung zwischen einer in diesem Sinne ausgesprochen traditionalistischen Argumentationsweise „secundam auctoritatem“ mit dem geradehin revolutionären Inhalt der Abhandlung aufgezeigt.44 Dabei hat er auf die Übernahme dieses Artikels in „Deutschenspiegel, Schwabenspiegel und weiteren deutschen Rechtsbüchern des späteren Mittelalters“ hingewiesen,45 die dabei teils erheblichen Abweichungen aber nicht weiter betrachtet.
daß in statu naturali keine servi und leibeigne Leute gwesen, denn in solchem waren die Menschen alle frey und einander gleich. L. 32 ff. de R. I. So bald aber diese ex statu naturali heraus gegangen, und sich einen Obern erwehlet, so entstunden auch hernach die Kriege mit denen andern, und die Herrschafften über die Menschen, und da hätte der Compilator nur die eigenen Sachsen betrachten sollen, so würde er sogleich wahrgenommen und gefunden haben, daß diese durch ihre gefährliche Kriege um ihre Freyheit gekommen, denn als Carolus Magnus diese in solchen überwunden, so hätte er selbige als Ueberwinder alle todtschlagen lassen können [. . .] Denn da es bei dem Ueberwinder stehet, die Ueberwundenen jure belli zu tödten; als kan derselbe vielmehr unter gewissen Bedingungen ihnen das Leben erhalten und schencken, diese dafür in die ewige Knechtschafft stoßen, und mit solche nals mancipiis umgehen, wie er will, dahero auch diese a servando ihren Nahme erhalten, und sowohl die Altteutschen, als auch alten Römer das jus vitae et necis und völlige Eigenthum über sie bekommen [. . .]“. Eingehend dazu auch Kisch, Sachsenspiegel and Bible, S. 133–146. 41 Siehe oben, S. 229 f. 42 Dorn, Unfreiheitsdiskurs. 43 Freedman, Peasant Revolts, S. 47. 44 Das ist auch insofern bemerkenswert, als die Argumentation „secundam rationem“ zu dieser Zeit bereits deutlich populärer ist, Eike sich hier also betont traditionalistisch gibt. Grundlegende Ausführungen zu diesem Thema bei Hoffmann, Wandel. 45 Kolb, Quaestio, S. 295.
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Die Passage vom Ursprung der Unfreiheit findet sich jeweils in leicht abgewandelter Form in der Weichbildvulgata (§ 11),46 dem Neumarkter Rechtsbuch (cap. 480), in umfangreicher Erweiterung und Umarbeitung im Schwabenspiegel (L 308), noch ohne diese Eingriffe aber in den Zwischenstufen des Augsburger Sachsen- und des Deutschenspiegels. Sie gehen also offenbar auf den Redaktor des Schwabenspiegels selbst zurück.47 Besonders der Zusatz des Schwabenspiegels über den Zusammenhang von „schirm“ der Herren und Dienstschuldigkeit der Untergebenen ist im Kontext der Lehre von „Schutz und Schirm“ prominent geworden.48 Die mithin klassische Beschreibung dieser Lehre hat Otto Brunner formuliert; klassisch nicht etwa, weil sein Kapitel besonders ausführlich oder sein Gedankenausgang ausgesprochen neuartig sei, sondern weil seine Studie „Land und Herrschaft“ (übrigens bei aller berechtigten Kritik auch mit einigem Recht) zur geradehin kanonischen Literatur von Generationen deutscher Mediävisten geworden ist.49 Ihm zufolge stehe die Gegenseitigkeit des Verhältnisses „durchaus im Mittelpunkt des Denkens der Herren wie der Holden“.50 Gegen diese Lehre von der Gegenseitigkeit der herrschaftlich-bäuerlichen Beziehungen, vor allem aber dezidiert gegen Brunner, hat vor rund einem Jahrzehnt Gadi Algazi in seiner viel beachteten Göttinger Dissertation anzuschreiben versucht.51 Nach anfänglich beinahe euphorischen Rezensionen52 ist in den letzten Jahren immer öfter Kritik laut geworden.53 Kein Interesse fand dabei allerdings Algazis Neuinterpretation 46
Vgl. dazu auch Laband, Magdeburger Rechtsquellen, S. 50. Müller, Deutschenspiegel, S. 171 sagt über diese Stelle: „Der Dsp. schrieb ihm [scil. dem Sachsenspiegel] nach. Wie meist, wenn von geistlichen Dingen die Rede ist, wird der Swsp. auch hier wortreich.“ Diese zutreffende Beobachtung sollte bei der Interpretation der Stelle bedacht werden. 48 Rösener, Bauern, S. 241: „Das bäuerliche Recht auf Widerstand war nach Auffasung mittelalterlicher Autoren, die Herren und Grundholden in einem von wechselseitigen Pflichten geprägten Verhältnis sahen, dann legitimiert, wenn die Herren ihre Pflichten gegenüber den Bauern gröblich verletzten. In diesem Kontext ist erneut auf den bekannten Satz des Schwabenspiegels (13. Jh.) zu verweisen, daß die Dienstpflicht der Bauern dann aufhöhre, wenn der Schutz des Herren versage.“ – auf Rösener als Forschungskonsens verweist auf Algazi, Herrengewalt, S. 87. 49 Über Brunner vgl. vor allem Oexle, Sozialgeschichte. 50 Brunner, Land und Herrschaft, S. 263–268, hier S. 263. 51 Algazi, Herrengewalt, S. 51–96. Seine grundlegende Brunner-Kritik hat Algazin auch an verschiedenen anderen Stellen dargelegt, gebündelt zuletzt noch in ders., Otto Brunner. 52 Vgl. noch immer Gröbner, Gewalt. 53 Vgl. besonders Schmitt, Schutz und Schirm; dies., Herrschaft über Bauern; Reinle, Bauernfehden, S. 20 u. ö.. Die dort formulierte Kritik an Algazi ist wiederum Reinle verschiedentlich zum Vorwurf gemacht worden; vgl. die ausgewogene Rezension von Arne Duncker in der ZRG GA 122 (2005), S. 553–562, hier S. 554. 47
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
des berühmten Satzes aus dem Schwabenspiegel, der seiner Meinung nach „mit bäuerlicher ‚Eigenschaft‘ und allgemein mit dem Verhältnis zwischen Bauern und ihren Grundherren nichts zu tun“ habe, und dem er ein eigenes Unterkapitel widmet.54 Die einschlägige Stelle und ihr Paralleltext im Sachsenspiegel lauten: Sachsenspiegel Ldr. III 42
Schwabenspiegel L 308
[. . .] ovch gab vns got vrkundes me an einem penninge, da in die ivden mit versuhten, ob er vnd sine ivngeren dem keiser von ir libe zins sollten geben. Do sprach vnser herre iesus xpe. also, zeigent mir den keises phenning. die ivden taten daz. Do sprach iesus. lant den keiser sines bildes walten, vnde gotes bilde gebent gote. Da von sprach iesus von sinem gesinde. Dem Roemeschen keiser git man den einen phenning ze zinse; da mit macht er nieman eigen. wir suln den herren dar vmbe dienen, daz si vns beschirmen, vnde bischirment si vns nit, so sin wir in nit diens§ 6. Na rechter warheit so hevet egens- tes schuldig nach rehte. Von rehte cap begin von gedvange unde von vorhte, so hat sich eigenschaft erhaben, vengnisse unde von unrechter walt, die vnd von twang sal vnd von vangnisse, man von aldere in unrechte wonheit ge- vnd von mengem vnrehten gewalte, den togen hevet, unde nu vore recht hebben die herren hant daz für reht. Nv ist in wel. geseit, daz wir in der heiligen geschrift niut vinden, daz ieman dez andern eigen si, oder svllen sin mit rehte. Nv habent ez die herren mit gewonheit dar zu braht, daz si ez mit rehte wellent han. § 5. Ok gaf uns got orkündes mer an enem penninge, dar man ine mede besochte, do he sprak: latet den keiser sines beldes geweldich unde godes belde gevet gode. Dar bi is uns kundich von godes worden, dat die mensche, godes belde godes wesen sal, unde sve ine anders iemanne to seget danne gode, dat he weder got dut.
Algazi argumentiert zu Recht, dass die eingeschobene Auslegung der Evangelienstelle (Mk. 12, 13–17), die dem fraglichen Satz vorausgeht, sich auf die Kaiserherrschaft beziehe, die gerade „nieman eigen“ mache und dem göttlichen Gebot nicht zuwider stehe. Erst wenn das süddeutsche Rechtsbuch wieder auf den Sachsenspiegel zurückgreift, sei von „Eigenschaft“ überhaupt die Rede, die wiederum aus Zwang und Unterdrückung entstanden sei. Fraglich bliebe also, ob sich jener Satz auf das VorherFür Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 211 ist Algazis Kritikansatz „ein deutlicher Rückschritt“ gegenüber dem bisherigen Stand der Auseinandersetzung mit Brunner. 54 Algazi, Herrengewalt, S. 86–91, hier S. 91.
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gehende und auf das Folgende beziehe. Die Umdeutung des intransitiven „man“ im Sachsenspiegel zu den dezidiert als die Urheber dieses Unrechtes adressierten „herren“ im Schwabenspiegel interessiert Algazi dabei nicht. Gleiches gilt für den sich anschließende Satz („Nu ist in geseit . . .“), der freilich nicht unwichtig ist, will man die Redaktionsarbeit in der Umarbeitung des einen in das andere Rechtsbuch erfassen. Dieser Satz nämlich bezieht sich offenbar auf Ssp. Ldr. III 42 § 3, dessen längliche Ausführungen über verschiedene, biblische begründete Ursprungserklärungen der Unfreiheit der Redaktor des Schwabenspiegels damit bündig zusammenfasst. Der Zusammenhang ist dabei aber mehr als nur ein vager inhaltlicher, greift er doch auch wörtlich die Formulierung auf, er könne in der Schrift „niut vinden, daz ieman dez andern eigen [im Ssp.: solle] si“. Die Frage nach dem Bezug der Ausführungen über Schirm und Dienstpficht entscheidet Algazi entgegen der geläufigen Meinung zugunsten des Vorherigen, der Ausdeutung jener Episode aus dem Markusevangelium: Nehme man an, „daß sich dieser Satz auf die Herrschaft über Bauern bezieht, müßte erklärt werden, wieso der Schwabenspiegel in ebendiesem Satz Herrschaft zunächst als ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Verhältnis dargestellt haben sollte, dessen Rechtfertigung auf der Erfüllung seiner Pflicht beruht, um ihr gleich danach jegliche Legitimität abzusprechen, weil sie eigentlich auf ‚unrechter Gewalt‘ gründe. Unverständlich wäre es zudem, wenn die grundsätzliche Aussage, die für legitime Herrschaft gültig sein solle, deren Dienst (‚Zins‘) niemanden ‚eigen‘ macht, sich gleichermaßen auf die Art Herrschaft beziehen würde, der unterworfen zu sein ‚Eigenschaft‘ bedeutet: Anders als bei der ersten, ‚politischen‘ Herrschaft, ist die Unterordnung unter diese zweite Art von Herrschaft mit Freiheit unvereinbar.“55 Es folge also ganz offenbar, so Algazi, dass hier „die Schirmpflicht des obersten Herrschers, des Kaisers, angesprochen wird; als solche läßt sie sich möglicherweise auf Könige und Landesherren weiter übertragen“.56 Zumindest gegen die zuletzt nachgeschobene Vermutung lässt sich leicht einwenden, dass in diese Interpretation die Umarbeitung von Ssp. Ldr. III 78 § 2, jenem vielleicht vermeintlichen Widerstandsrecht, in eine klare Rechtshilfedeutung (Swsp. L 151) nicht recht passen will:57 Hätte der Redaktor die Pflichterfüllung gegenüber dem König an seine Schirmpflicht binden wollen, so hätte es nahe gelegen, diese in der sächsischen Vorlage in der Tat dunkle Stelle in diese Richtung hin klarer auszudeuten, wie es ja beispielsweise die Glosse später in gewisser Weise tut. Da er sich aber im Gegenteil für eine Interpretation als Rechtshilfegebot und gegen ein Widerstandsrecht bei ungerechtem Urteil (also mangelnder Pflichterfüllung) entscheidet, scheint eine solche Deutung 55 56 57
Algazi, Herrengewalt, S. 89. Algazi, Herrengewalt, S. 90. Siehe dazu unten, S. 555 ff.
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unwahrscheinlich. Man wird nun also vielmehr fragen dürfen, ob nicht diese recht klare Stellungnahme sich letztlich auch auf die Herrschaftsrechte des Kaisers übertragen ließe. Damit freilich hätte man Algazis Interpretation umgedreht. Gänzlich übergangen hat Algazi in seiner Neuinterpretation auch die Quelle dieses im Schwabenspiegel gegenüber seiner sächsischen Vorlage neuen Einschubs. Dabei hätte er durchaus schon bei dem von ihm so heftig angegangenen Brunner fündig werden könne, weist dieser doch in der entsprechenden Fußnote auch auf die Summa des Berthold von Freiburg hin, der dieser Satz entnommen ist.58 Ferner blieben wohl auch die Parallelstellen zur Frage der Unfreiheit zu beachten, von denen Eike selbst eine als Binnenverweis heranzieht: „Wie hebben ok noch in unsem rechte, dat nieman sik selven to egen gegeven ne mach, it ne weder lecge sin erve wol.“ (Ssp. Ldr. III 44 § 3, Nr. 5c bei Kolb). Dieser Verweis bezieht sich auf Ldr. III 32 § 7, der besagt, dass, wer „sik vor gerichte to egene gift“, von seinen Erben gegebenenfalls auch wider seinen Willen wieder aus der Eigenschaft gelöst und „an sin vri“ gebracht werden kann. Auch diesen Binnenverweis übernimmt der Schwabenspiegel (L 308) und ergänzt den Sachsenspiegel dahingehend, dass bei Übereinkunft aller Magen väterlicher- und mütterlicherseits er sich nicht nur im konkreten Fall nicht, sondern „niemer me zu eigen geben“ dürfe (Swsp. L 292). Soviel soll zur Ausdeutung von Ssp. Ldr. III 42 im Schwabenspiegel genügen. Auf zwei weitere zeitgenössische Interpretationen soll aber noch hingewiesen werden. Die eine uns ist bereits zuvor begegnet:59 Am 10. Februar 1400 stellt die Gandersheimer Äbtissin Lutgarda III. fest, sie spreche Recht „na der denstman recht“ und allegiert daraufhin Ssp. Ldr. III 42 § 1. Das steht in bemerkenswerten Gegensatz zu Eikes im Folgeparagraphen getroffener Aussage, er wolle das Recht der Dienstmannen gerade nicht darstellen, „went it is so manichvalt, dat is nieman to ende komen kan“ (Ssp. Ldr. III 42 § 2). Solche bewussten Ausgrenzungen ganzer Rechtsbereiche kommen, das sei im Übrigen bemerkt, auch anderweitig in der Literatur der Rechtsbücher vor. Der anonyme Verfasser des Meißner Rechtsbuch klammert das „von der iodden besactze gerichte“ aus seiner Darstellung aus, „wen is ist in sunderlichen landen in eyner gewonheit anders irsaczt wen in den andern“ (III 17 § 2).60 Lutgarda aber übergeht sowohl Eikes explizite 58 Brunner, Land und Herrschaft, S. 263 Fn. 4 mit Verweis auf Stanka, Summa, S. 73 f. 59 Siehe oben, S. 231. 60 Zur Sache vgl. Stobbe, Juden in Deutschland, S. 141 f. mit zahlreichen Beispielen.
I. Anlage, Technik, Stil und außerrechtliche Grundgedanken
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Ausgrenzung des Dienstmannenrechtes als auch seine unmittelbar anschließenden Ausführungen über den unrechten Ursprung der Dienstmannschaft und nimmt die Stelle als Beleg für die Existenz eines solchen eigenständigen Rechtsbereiches, für den sie Zuständigkeit für sich reklamiert. In der Tat fügt auch der Spiegler seinen Ausführungen über die Mannigfaltigkeit der Dienstrechte an: „under iewelkem bischope unde abbede unde ebbedischen hebben die dienstlüde sunderlik recht, dar umme ne kan ik is nicht besceiden“ (Ssp. Ldr. III 42 § 2). Die zweite bemerkenswerte Auseinandersetzung mit Eikes Quaestio findet in der Glossierung durch Johann von Buch statt. Es ist dies die umfangreichste im Glossenwerk Johanns von Buch und hat als „der erste mittelalterliche Versuch eines wissenschaftlichen Freiheitstraktats in deutscher Zunge“61 bereits mehrfach das Interesse der Forschung gefunden.62 Zuletzt hat diesen Passagen noch Kannowski ein umfangreiches Kapitel seiner Habiliationsschrift gewidmet.63 Johann verfasst eine eingehende Stellungnahme gegen Eikes Ausführungen und versucht durch gelehrte Argumentation, diese zu widerlegen. Diese ausladene Form wählte der Glossator wohl bewusst, denn seiner Meinung nach formulierte Eike seine Ausführungen über die Freiheit „nicht vor en recht, mer he sprickt se dor disputerendes willlen“.64 Der Spiegler verhalte sich „alse en mester vnder sinen scholaren“, in deren Kreis sich Johann mit seiner Erwiderung selbst einreiht. Damit verbindet sich zunächst einmal die Feststellung, dass in seinen Augen diese Passage nicht, wie weite Teile des Landrechts, auf das vermeintlichen Privileg Karls des Großen zurückgeht, sondern aus Eikes eigener Feder stammt. Der Stil und die Anlage der Kommentierung ist dabei durchaus spiegelbildlich zum Text des Landrechts: So wie auch Eike an keiner Stelle seines Werkes deutlicher seine Gelehrtheit und umfassende Bildung durchscheinen lässt, ist auch die Freiheitsstelle „ein Musterstück Buch’scher Gelehrsamkeit“ (Kannowski). Er arbeitet dabei zwei Thesen des Spieglers heraus, gegen die anzuschreiben er sich vornimmt: Zum einen, dass Leibeigenschaft Unrecht sei („dat dor recht nene eghene lude sin en scholen“), zum anderen, dass Dienstmannschaft und Leibeigenschaft dieselbe Sache bezeichneten („dat it allenes sy vmme denstlude vnde vmme eghene lude“). Die Argumente der ersten These widerlegt Johann in der Hauptsache theologisch. Die zweite These dagegen ist bereits eine Interpretation, denn eine explizite Gleichstellung von Dienstmannen und Leibeigenen findet sich so im Sachsenspiegel nicht. Man kann ihn aber durchaus in dieser Richtung verstehen, denn offen61
Erler, Ältere Ansätze, S. 26 f. Töpfer, Naturrechtliche Freiheit, S. 344. 63 Kannowski, Umgestaltung, S. 286 ff. 64 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 3, S. 1183. Dort auch die folgenden Zitate. 62
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
bar stellt Eike Dienstmannschaft und Freiheit als Gegensatz gegenüber. Dagegen argumentiert Johann, dass Freiheit eine Frage der Geburt sei. Wer frei geboren werde, den mache Dienst nicht leibeigen – selbst, wenn dieser bis zum Lebensende andauere. Zur Auflösung des Problems beruft sich der Glossator auf die scholastische Unterscheidung von Substanz und Akzidenz. Nur in der Verbindung von Dienst und Person liege Leibeigenschaft begründet, während der Dienst um ein Gut, wie es der Dienstmannschaft zugrunde liegt, nur akzidentiell als Unfreiheit zu verstehen sei und diese also keine wesentliche Eigenschaft der Person sein könne. 3. Terra iuris Saxonici? Der Raum „Sachsen“ Der Reisebericht des berühmten Humanisten Enea Sylvio Piccolomini (später Papst Pius II.) fasst als Sachsen alle jene zusammen, „quos omnes saxonici iuris esse volunt“.65 Mit der Festigung des sächsischen Reichsvikariats66 und den sich seit dem ausgehenden 14. Jahrhundert ausbildenden Reichskreisen67 gewinnt der Begriff der „terra iuris Saxonici“ vor allem im Verlaufe der frühen Neuzeit immer mehr an Kontur, die sich mit der Ausgestaltung des Gemeinen Sachsenrechts wechselseitig bedingt. Spätestens im 18. Jahrhundert können wir von einem feststehenden Begriff in der juristischen Literatur sprechen, der sinnfällig durch die gleichlautende Untersuchung Michael Heinrich Gribners belegt wird.68 Diese Vorstellung verbindet sich noch immer eng mit derjenigen des sächsischen Reichsvikariats und wird von kurfürstlich-sächsischer Seite bis zum Ende des Alten Reiches nachdrücklich betont wurde.69 Der Landesherr als „interpres et defensor iuris veteris Saxonici“ definierte sich maßgeblich über diese Position.70 Welchen Umfang aber hatte dieses „Land“ in der Wahrnehmung der Rechtsbücher?71 Die geographisch am weitesten ausgreifende Beschreibung 65
Heck, Piccolomini. De Europa, S. 126–129 (Nrn. 104–106), hier S. 126. Dazu besonders Heinze, Reichsvikariat. Für die spätere Zeit vgl. Hermkes, Reichsvikariat. 67 Eingehend dazu Dotzauer, Reichskreise, bes. S. 334–380 (Nieder- und Obersächsischer Kreis). 68 Gribner, De terris juris Saxonici. 69 Bemerkenswerte Einblicke gewährt in dieser Hinsicht die Studie von Arnold, Elector – rex – vicarius. 70 Lieberwirth, Wirkungsgeschichte, S. 85. 71 Zum Begriff „Land“ im 13. Jahrhundert anhand thüringischer Quellen vgl. Mascher, Reichsgut, S. 106–110. Mascher deutet den Übergang der thüringischen Landthinge um die Jahrhundertmitte vom Gerichtsherren auf seine Dienstmannen als einen Wandel von Gerichtes des Landes hin zu Gerichten für das Land und über das Land: „[. . .] die provincia, das räumliche geschlossene Volkstumsgebiet, war dem territorium, dem Bereich der Landesherrschaft gewichen“ (S. 109). 66
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des „landes to sassen“ liefert Eike selbst durch die Beschreibung der Kirchenorganisation in Ldr. III 62 § 3. Die westliche Grenze wird durch die Bistümer Münster und Osnabrück markiert, die östliche durch die Bistümer Schwerin, Havelberg, Brandenburg und Meißen; den Nordsaum bilden das Erzbistum Bremen und das Bistum Lübeck. Die Südgrenze wird nicht näher umschrieben, wohl deswegen, weil zwar die Erzbischöfe von Köln und Mainz als die Metropolitane sächsischer Bistümer genannt, Teile ihrer Diözesen aber auch als nicht mehr zu Sachsen gehörig angeführt werden. Da die Landgrafschaft Thüringen als Teil der Mainzer Erzdiözese allerdings zu den sächsischen Fahnlehen gerechnet wird (Ssp. Ldr. III 62 § 2), vermutet Theuerkauf mit einigem Recht, dass Eike auch das kölnische Westfalen als zu Sachsen gehörig auffasste.72 Damit entspräche dieser weite Begriff von Sachsen in etwa dem karolingischen Herzogtum Sachsen einschließlich Thüringens und der ottonischen Marken östlich von Elbe und Saale.73 Dazu trifft, dass in Ldr. III 53 § 1 Sachsen neben Bayern, Franken und Schwaben als die alten Herzogtümer genannt werden. Im vorhergehenden Absatz aber zählt Eike bereits die sächsischen Fahnlehen auf und beschreibt damit einen sehr viel engeren Kreis sächsischer Lande, der wiederum seinem eigenen Lebensraum bedeutend näher kommt. Genannt werden das Herzogtum Sachsen, die sächsische Pfalzgrafschaft, die Landgrafschaft Thüringen, die Marken Brandenburg, Meißen und Lausitz sowie die Grafschaft Aschersleben (Ssp. Ldr. III 62 § 2). Keine Erwähnung findet – wie wir bereits in der Einleitung, als es um die Frage der Datierung des Spiegels ging, festgestellt haben – das 1235 geschaffene Herzogtum Braunschweig-Lüneburg.74 Auffälliger noch ist, dass Eike in Ldr. III 64 § 3 bei der Beschreibung der herzoglichen Bannbuße explizit Holstein, Stormarn und Hadeln ausschließt.75 Theuerkauf hat auf das nicht minder auffällige Zusammentreffen hingewiesen, dass in just diesen Gebieten zwischen Niederweser und Niederelbe sowie nördlicher der letzteren auch die Durchsetzung der Lex Saxonum und der sächsischen Kapitulare Karls des Großen noch fraglich seien.76 Weitergehende Schlüsse hat Theuerkauf daraus nicht ziehen wollen. Immerhin bleibt der Befund bemerkenswert. Schließlich nennt Eike fünf sächsische Pfalzen (Ssp. Ldr. III 62 § 1): Gruna, Waldhausen, Alstett, Merseburg und „werle, die is to goslere gele72
Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 101 f. Ficker-Puntschart, Reichsfürstenstand, Bd. 2, 3, S. 283–288 – zur siedlungshistorischen Dimension vgl. auch Bischoff, Sprache und Geschichte, S. 9 f. 74 Siehe oben, S. 80 ff. 75 Zur subsidiären Geltung des Sachsenspiegels in Stormarn vgl. Möller, Studien, S. 73–78 mit Einzelnachweisen. 76 Theuerkauf, Lex, Speculum, Compendium iuris, S. 53 und S. 102. 73
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
get“. Adolf Gauert hat in einer forschungsgeschichtlichen Miszelle darauf verwiesen, dass es sich bei letzterer wohl nicht, wie in den neueren Übersetzungen seit Eckhardt zu finden, um die Pfalz „Werla bei Goslar“, sondern um eine ehemalige Pfalz zu Werla handle, die zu Zeiten Eikes nach Goslar verlegt worden sei.77 Wie geht nun die Rezeption mit dieser Stelle um? Die meisten späteren Rechtsbücher übernehmen sie nicht. Das Meißner Rechtsbuch setzt stattdessen eine eigene Beschreibung seines Geltungsgebietes an den Anfang.78 Bemerkenswert einfach ist der Anschluss an neue geographische Gegebenheit im Neumarkter Rechtsbuch durchgeführt worden, in dem Ssp. Ldr. III 62 selbst ausfällt, die Wendung „land to Sassen“ ansonsten aber durch „lande czu dem Nuwenmarkte“ ersetzt wird.79 Verschiedentlich scheint die Sachsenspiegelpassage auch zu Missverständnissen geführt zu haben, wenn beispielsweise einzelne Örtlichkeiten dem Abschreiber nicht bekannt waren. Das lässt sich aus den häufigen Schreibfehlern in der handschriftlichen Überlieferung erkennen, zeigt sich aber auch durch erklärende Hinzufügungen, die teilweise wieder regionale Bezüge aufweisen: So ergänzt das Berliner Schöffenrecht, nachdem Ldr. III 62 §§ 1–3 zunächst vollständig eingeschoben worden ist, den letzten Absatz, in dem die sächsischen Bistümer referriert werden: „aver die biesschop von Camyen het nymande under sich noch boven sich wen den pawes. Bisschöp von Lebus is underdan deme bischope von Bretezelow, dat nicht lecht in deme lande tu Sassen.“80
II. „Alles, was Recht ist.“ – Einige Grundideen 1. Das Verhältnis von Rechtsgewohnheit und geschriebenem Recht Über die wesentlichen Problemlagen der Untersuchung mittelalterlicher Rechtsgrundlagen haben wir uns bereits im Einleitungskapitel vergewissert.81 Die Diskussion um das Kernsche Diktum vom „guten alten Recht“ hat in den letzten Jahrzehnten weite Ausmaße angenommen.82 Im Sachsenspiegel selbst ist nur an einer einzigen Stelle von Gewohnheit die Rede: „Sve den tegeden na rechter gewonheit gift, die hevet ene wol gegeven“, 77 Gauert, Werla – in diesem Sinne auch die älteren Übertragungen ins Hochdeutsche, beispielsweise Sachße, Rotermund oder Hirsch. 78 Siehe oben, S. 398 ff. 79 Meinardus, Neumarkter Rechtsbuch, S. 8. 80 Fidicin, Beiträge, Bd. 1, S. 81 (cap. 4). 81 Siehe oben, S. 49 ff. 82 Kern, Recht und Verfassung. Die Diskussion fasst konzise Kannowski, Rechtsbegriff, zusammen.
II. „Alles, was Recht ist.“ – Einige Grundideen
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heißt es in Ssp. Ldr. II 48 § 10. Aus zahlreichen Anspielungen, vor allem in der Reimvorrede, heraus kann aber kaum bestritten werden, dass für Eike die gute Gewohnheit ein deutlich gewichtigerer Geltungsgrund des Rechts ist als es aus dieser knappen Zeile hervorgeht.83 „Haet is woenicheed?“ („Was ist Gewohnheit?“) fragt der anonyme Verfasser des friesischen Rudolfsbuchs. Und er antwortet selbst: „Een godlic pliga, deer ma toe riucht halt, alse di setma brect.“ („Ein Brauch, der dem göttlichen Gesetz entspricht und den man für Recht hält, wenn es an einer Satzung fehlt.“)84 Damit aber ist es nicht getan. Die vom Text evozierte, thingartige Redesituation aus Frage und Antwort verzeichnet auch die Ansichten und Ausdifferenzierungen anderer namentlich ebenso Ungenannter. So entsteht eine bemerkenswerte Diskussion über den Begriff der Gewohnheit und der lex scripta. Auch das Sächsische Weichbild reflektiert, wie wir bereits im Kapitel über die Idee des Kaiserrechts gesehen haben, ausführlich über den Geltungsgrund der Rechtsaufzeichnung.85 Die Landrechtsglossen schließlich und der Schlüssel des Sächsischen Landrechts stellen in ihren Vorreden erste Ansätze einer Normenhierarchie auf, die unterschiedliche Gründe der Rechtsgeltung kennt und in Beziehung zueinander setzt.86 Ansonsten aber sind den sächsischen Rechtsbüchern solche Überlegungen fremd. Immerhin widmet aber auch der Schwabenspiegel der Gewohnheit ein eigenes, kurzes Kapitel: „Von guter gewonheit suln wir hie sprechen. Swa gut gewonheit ist die ist gut, vnd reht, wan div da reht ist div ist och gut. Daz ist gut gewonheit, vnd rehtiv gewonheit, div wider geistlichem reht niht ist, vnd div wider den menschelichen zvhten nicht ist, noch wider der selicheit nit ist der eren, vnd des landes gutiv gewonheit. Gutiv gewonheit ist als gut, als gesriben reht, daz bewaret disiv srift.“ (Swsp. Ldr. L 44)
Auffällig ist die Parallele zum Prolog der Lex Baiuvariorum, der ebenfalls eine längliche Betrachtung über das Verhältnis von rechter Gewohnheit und „lex scripta“ enthält.87 Als Vermittler wird aber vor allem Isidor nicht auszuschließen sein.88
83 84 85 86 87 88
Nachweise bei Ignor, Rechtsdenken, S. 119 ff., S. 167 ff. und S. 192 ff. Ebel/Buma, Westerlauwerssches Recht, Bd. 1, 2, S. 33 (I 60). Siehe oben, S. 215 ff. Siehe oben, S. 165 ff. und S. 180 ff. Schumann, Rezeption, S. 343 f. Vgl. dazu ausführlicher Wolter, Consuetudo, S. 100 f.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
2. Rechtsfähigkeit und Rechtsminderung Das spätmittelalterliche Recht kennt eine ganze Reihe von Rechtsbereichen wie die Schuld- und Straffähigkeit, Erbfähigkeit, Geschäfts-, und Testierfähigkeit, die jeweils für sich Gegenstand der Einschränkung für einzelne Personen darstellen können. Zugleich ist die beschränkte Rechtsfähigkeit eng verbunden mit dem Vormundschaftsrecht. Dem Recht des Sachsenspiegels ist die vielschichtige Unterscheidung einzelner Bereiche der Rechtsfähigkeit noch weitgehend fremd. Die späteren sächsischen Rechtsbücher führen sie sukzessive ein. Das Vormundschaftsrecht dagegen finden wir bereits in Eikes Rechtsbuch relativ weit ausgeprägt.89 Grundsatz des Rechtsstatus einer Person bleibt in den sächsischen Rechtsbüchern die Geburt. Das betrifft zum einen das Stammesrecht: Bekanntlich formuliert der Sachsenspiegel noch eine Reihe von Sonderrechten, vor allem der Schwaben.90 Der König soll fränkisches Recht von Geburt an haben (Ssp. Ldr. III 54 § 4). Diese auf Stammeszugehörigkeit gegründeten Sonderrechte werden von den späteren Rechtsbüchern beinahe durchgängig nicht mehr rezipiert. Zum anderen betrifft die Bindung des individuellen Rechtsstatus an die Geburt deren Umstände selbst. Demnach muss ein Kind sowohl frei91 als auch ehelich92 geboren sein, um in den Genuss voller Rechtsfähigkeit zu gelangen zu können. Diese erreicht es schließlich, wenn es „to sinen jaren komen“ ist.93 Die unehelich geborenen Kinder einer Nebenfrau, beispielsweise einer Magd, werden im mittelalterlichen Recht als „Kebskinder“, die gemein89
Weiske, Teutsches Privatrecht, S. 45–52. Ssp. Ldr. I 17 § 2; Ldr. I 18 § 1; Ldr. I 19 § 2; Ldr. I 29 und Ldr. II 12 § 12 – vgl. dazu besonders die Glosse zu Ssp. Ldr. I 17 § 2 bei Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 223: „De Swauee. Dit sint de, der modere vthe deme lande voren mit dem Swauen, do Esternus wedder quam mit den Sassen van Engelant, do he dat bedwungen hadde. De wile he dare was, do quemen de Swauen vnd wunnen Sassen land vnd nehmen der Sassen wiff; do de do wedder quemen, der wiue kindere, de mit den Swauen to lande toghen, de hete men Swauee. Sustu nu, wat in alden boken steit, dat de wiff eruelos sin, dat menet he yo in desseme slechte, wente hire ynne sint se eruelos vnd anders nerghen, vnd wo he secht, dat vrouwen erue nehmen mogen, dar menet he andere lude mede, de desses slechtes nit en syn. Alsus entwere des rechtes twedracht. We desses geslechtes sin, dat zee in der vorrede.“ Zu dieser Vorrede („Von der Herren Geburt“) vgl. oben, S. 483 ff. Zum Schwabengau vgl. auch Winter, Grafenschaften. 91 Zum Gesellschaftsbild des Sachsenspiegels eingehend Olberg, Auffassung. 92 Wiesner, Rechtsstellung. 93 Differenziert dazu die Glosse zu Ldr. I 23; vgl. Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 314. Demnach wird ein Kind mit dreizehn Jahren mündig zu Lehnrecht und mit vierzehn zu Landrecht. Erst nach Vollendung des achtzehnten Lebensjahres darf der Mündige seine Eigenleute freilassen. 90
II. „Alles, was Recht ist.“ – Einige Grundideen
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schaftliche Lebensform als „Friedelehe“ bezeichnet. Zumindest die Kebskinder werden auch im Sachsenspiegel erwähnt. Ausdrücklich wendet Eike sich gegen eine offenbar landläufig vertretene Ansicht: „man saget, daz nichein kint sîner mûter kebeskint ne si; des nis doch nicht. ein wip mach gewinnen echt kint, adelkint, eigenkint unde kebeskint“ (Ssp. Ldr. I 51 § 2). Vom Rechtsstatus des Kebskindes sagt das Landrecht aber nichts. Hier ist man auf den Vergleich mit anderen Quellen angewiesen. Auf die Ausbildung der Lehre vom Kebskind hat vor allem eine Studie von Herbert Meyer über die germanische Ehe großen Einfluss ausgeübt.94 Über die Aufnahme in die Handbuchliteratur hat sie ein langes Nachleben entfaltet. Meyers Fehlinterpretationen, unter anderem die Annahme, die Nebenfrau habe grundsätzlich Anspruch auf die Bestellung einer Morgengabe gehabt, hat vor wenigen Jahren Andrea Esmyol korrigieren können.95 Sie konnte schlüssig nachweisen, dass sich die von Meyer herangezogene Stelle Ssp. Ldr. I 20 § 1 gerade nicht auf die Friedel-, sondern die Muntehe beziehe. Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts lassen sich zahlreiche Aussagen über die Kebskinder finden.96 Für begründete Vermutungen über den Status der Kebskinder im sächsischen Recht aber lassen sich diese Findlinge nicht heranziehen, denn die Aussagen der einzelnen Quelle sind ausgesprochen fragmentiert, teils widersprüchlich. In einer thüringischen Urkunde der Zeit um 1300 heißt es: „kebiskindere et rechtelose lute non possunt cooperari alicui in testimonio uel in iure quod vulgariter lantrecht dicitur“. Als Zeugen schließt die Kebskinder auch das wohl nur wenig jüngere Goslarer Stadtrecht aus,97 nicht aber der Sachsenspiegel oder die Weichbildvulgata. Der Schwabenspiegel spricht ihnen lediglich die Möglichkeit ab, Richter zu werden (Swsp. L 90). Auch erbrechtliche Beschränkungen für Kebskinder, wie wir sie aus dem lübischen Rechtsgebiet kennen,98 sind dem sächsischmagdeburgischen Recht und seinen Trabanten fremd. Im Magdeburg-Breslauer Schöffenrecht wird das Erbe der Kebskinder sogar expliziter Regelung unterworfen: „vnelichir kebis kindir gut, ys sy erbe adir varnde habe, daz ze direrbeit habin adir gekouft adir gegebin ist und nicht vorreicht ist in gehegtim dinge, vnd nicht eliche kinder habin, daz stirbit und vellit noch irme tode in daz gerichte, dorynne is bestirbit vnde gelegin ist“.99 94
Meyer, Ehe und Eheauffassung, S. 38. Esmyol, Geliebte oder Ehefrau?, S. 31. 96 Vgl. dazu Rooth, Käfig und Kebse, sowie den Artikel „Kebskind“ im Deutschen Rechtswörterbuch. 97 Ebel, Stadtrecht von Goslar, S. 162. 98 So beispielsweise im Stadtrecht von Wisby (1341/44); gedruckt bei Schlyter, Corpus, Bd. 8, S. 1–182, hier S. 169: „keues kindere eneruet nicht, id ne si, dat en vrowe vnechte kindere hebbe vnde van örrem möderen vnde vedern nicht enhebbe vp ghebörd. de mach örren kinderen to keren örre ghewunnene gud“. 95
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Unehrlichkeit wird aber nicht nur durch Geburt, sondern auch durch Beruf gestiftet, beispielsweise bei Spielleuten oder Berufskämpfern.100 Das Kriterium „unehrlich“ bereitet dabei dem Rechtshistoriker deutlich mehr Schwierigkeiten als es den Zeitgenossen selbst bereitet zu haben scheint. Wenn Ernst Schubert noch 1988 feststellen konnte, zu „einem Konsens über das Wesen der Unehrlichkeit“ sei „die Forschung nicht gelangt“,101 so scheint sich an diesem Befund auch in den vergangenen zwanzig Jahren nichts geändert zu haben. In der Tat scheint es, als handle es sich bei der Unehrlichkeit um dasjenige Prinzip, „das am meisten, wohl wegen seiner rechtshistorischen Faßbarkeit, überschätzt wurde“, denn die „vom Sachsenspiegel verkündete Unehrlichkeit des Spielmanns ist trotz breiter juristischer Rezeption ohne praktische Folgewirkung geblieben.“102 Das hat Schubert immer wieder und mit Recht betont; aus diesem Grund auch dem Sachsenspiegel „und seine[n] Folgen“ noch in seinem jüngsten, gewichtigen Überblick zur Thematik ein eigenes Kapitel gewidmet.103 Diese Feststellung kann durch die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung bestätigt werden. Eine besondere soziale Gruppe, die in zahlreichen deutschen Stadt- und Landrechten einem eigenständigen Recht unterworfen sind, stellen schließlich die Juden dar. Die Abfassungszeit des Sachsenspiegels, die ersten Jahrzehnte des 13. Jahrhunderts also, werden in der gegenwärtigen geschichtswissenschaftlichen Forschung als ein Wendepunkt in der Geschichte der Juden im römisch-deutschen Reich aufgefasst.104 Auch das Judenrecht der Rechtsbücher ist dabei immer wieder untersucht worden. Nach Stobbe,105 der allerdings die Rechtsbücher gegenüber den mittelalterlichen Stadtrechten nur selten heranzieht, hat vor allem Guido Kisch eine Reihe klassischer Studien mit besonderem Schwerpunkt auf der Behandlung der Rechtsbücher verfasst.106 Vor kurzem hat dann Christine Magin eine profunde Studie auf neuestem Forschungsstand vorgelegt, die zugleich eine große Materialbreite abdeckt.107 So muss an dieser Stelle nichts mehr ergänzt werden. 99
Laband, Magdeburg-Breslauer Schöffenrecht, S. 167. Scheele, Spillute, S. 315–357. Zur Bewertung der Berufskämpfer vgl. Hils, Fechter. 101 Schubert, Mobilität, S. 118. 102 Schubert, Randgruppen, S. 297. 103 Umfassend dazu Schubert, Fahrendes Volk, bes. S. 121–130. 104 Statt aller vgl. den knappen Forschungsüberblick bei Toch, Juden, S. 104–108 und Willoweit, Kammerknechtschaft, sowie Schlosser, Juden, und Schnitzler, Juden. 105 Stobbe, Juden S. 140–163 – der Reprint (Amsterdam 1968) stellt eine wertvolle Einführung von Guido Kisch voran. 106 Besonders Kisch, Jewry-Law. Dieser und viele weitere Einzelbeiträge zur Rechtsgeschichte der Juden im Mittelalter sind als Nachdruck in ders., Ausgewählten Schriften, Bd. 2, Sigmaringen 1979 gut greifbar. 107 Magin, Wie es umb der iuden recht stet. 100
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
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Ebenfalls seit langem ein wohl bestelltes Feld wissenschaftlicher Forschung sind die vielfältigen Erscheinungsformen der Judeneide,108 von denen sich eine Reihe auch in den deutschen Rechtsbüchern findet. Einen besonders ausführlichen Judeneid kennt die Magdeburger Weichbildvulgata.109 Er scheint auch den Text des Löwenberger Rechtsbuches beeinflusst zu haben, ohne dass man eine wörtliche Übernahme feststellen könnte.110 Robert Jütte ist zu der Feststellung gelang: „Daß Juden eine Ehre haben, die zu schützen ist, daran lassen die mittelalterlichen Rechtsbücher und ihre Kommentatoren keinen Zweifel.“111 Dafür spricht in der Tat der Befund der Glosse112 und des Meißner Rechtsbuches.113 Verallgemeinern lässt er sich aber angesichts der rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung nicht. Dazu tritt auch ein Quellenproblem: Einzelne Rechtsbücher verringern die Bestimmungen des Judenrechts gegenüber dem Sachsenspiegel erheblich. Der Livländische Spiegel lässt sämtliche Bestimmungen fort. So lässt sich häufig gar nicht mehr viel über die Einstellung des jeweiligen Rechtsbuchverfassers zum Judenrecht aussagen. Charakteristisch bleibt lediglich die Ausgrenzung aus dem christlichen Gericht, der Schutz jüdischer Geldwirtschaft und Benachteiligung im Strafrecht bei körperlichen Auseinandersetzungen mit Christen. Auf eine Besonderheit im Sexualstrafrecht wird weiter unten noch näher einzugehen sein.114
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld 1. Die Gewere als Schlüsselbegriff des mittelalterlichen Güterrechts Der Begriff „Gewere“ wird in der älteren, privatrechtlichen Literatur synonym mit „Gewahrsam“ teils gar mit „Besitz“ gebraucht.115 Selbst der sonst so vorsichtige Dreyer verwendet ihn in dieser Weise.116 So nimmt es nicht wunder, dass beispielsweise in Rundes einflussreichen „Grundsätzen des gemeinen deutschen Privatrechts“ die Gewere als Rechtsinstitut prak108 Einschlägig die Untersuchung von Zimmermann, Judeneid – vgl. aber auch die Kritik von Röll, Judeneide; aus der neueren Literatur vgl. ferner Ziegler, Reflections. Ausführlich über den Judeneid des Schwabenspiegels handelt Schmidt, Judeneide. 109 Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 110 Geike, Löwenberger Rechtsbuch, S. 43–48. 111 Jütte, Ehre und Ehrverlust. 112 Kisch, Jewry-Law, S. 48. 113 Kisch, Jewry-Law, S. 84. 114 Siehe unten, S. 539 f. 115 Heineccius, Elementa, S. 422 (II § 367). 116 Dreyer, Sammlung, Bd. 1, Nr. 3, S. 96 f.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
tisch nicht vorkommt.117 Zum eigenständigen Gegenstand rechtshistorischer Forschung hat sie erst Eduard Wilhelm Albrecht erhoben,118 der mit seiner klassischen Abhandlung nach dem Urteil seiner Biographin Borsdorff zugleich die „erste klassische Monographie der deutschrechtsgeschichtlichen Literatur“ vorlegte.119 Diese Lehre ist von Albrechts Schüler Carl Friedrich von Gerber in seiner wichtigen Studie über die Gewere grundgelegt und 1854 in einer separaten Abhandlung weiter ausgeführt worden,120dem wenige Jahre später Alfred Agricolas viel rezipierte Arbeit über die Gewere im sächsichen Güterrecht an die Seite trat.121 Mit den vielfältigen Bedeutungsdimensionen des Begriffes „Gewere“ im Sachsenspiegel hat sich eingehend Takeshi Ishikawa beschäftigt und kann insgesamt acht verschiedene solcher Bedeutungsebenen feststellen.122 Interessanterweise ist bereits fast dreihundert Jahre früher Samuel Heinrich Schultz in einer unter Disputation unter dem Vorsitz von Georg Beyer auf einen ähnlichen Gedanken verfallen. Ich gebe seine Ausführungen in leicht gekürzter und tabellarisch aufbereiteter Form wieder: „Cuius vocis varias acceptiones ad Legum Germanicarum promtiorem intellectum studio apposui. Notabis autem istam significare . . . . . . evictionem
Ssp. Ldr. I 9 mit Glosse § 6 („das mag er auch niemand gewehren“); Ldr. II 42; Ldr. III 4; Ldr. III 7
. . . possessionem
Ssp. Ldr. I 9; Ldr. I 15; Ldr. I 20; Ldr. I 45; Ldr. I 51; Ldr. II 18; Ldr. II 24; Ldr. II 25; Ldr. II 42; Ldr. II 44; Ldr. II 57; Ldr. II 70; Ldr III 83
. . . custodiam
Ssp. Ldr. I 29; Ldr. II 35; Ldr. [III]123 82
. . . habitationem
Ssp. Ldr. I 20
117 Runde, Grundsätze, S. 224 (§ 269) und S. 226 (§ 272) erwähnt bei seinen Ausführungen zur Verjährung lediglich den Begriff, ohne ihn zu problematisieren oder auch nur zu erklären. 118 Albrecht, Gewere. 119 Borsdorff, Wilhelm Eduard Albrecht, S. 234. 120 Gerber, Gewere. Eine knappe Zusammenfassung mit Hinweisen auf die Aufnahme im Kollegenkreis, aber ohne tiefergehende Analyse der Schrift bietet Schmidt-Radefeldt, Carl Friedrich von Gerber, S. 233–235. 121 Agricola, Gewere. Aus der späteren Literatur vgl. noch Kiesel, Bedeutung. 122 Ishikawa, Gewere. Leider war mir nicht möglich, mir die japanischen Arbeiten Ishikawas zu erschließen, die sich dem Problem in offenbar noch ausführlicherer Form widmen (ders., Zakusensupigeru ni okeru Gevere, in: Hokudai Hogaku Ronshu 37, 2 [1986], S. 1–107 und ders., Hito ni tsuite no Gevere shoko, in: Hokudai Hogaku Ronshu 37, 4 [1987], S. 1–27). Außerdem hat Ishikawa in selbiger Zeitschrift zwei Studien zum Begriff des „Eigen“ vorgelegt, die mir leider ebenfalls verschlossen blieben. 123 Bei Schultz fälschlich als Buch II gedruckt.
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld . . . traditionem
507
Ssp. Ldr. III 83
. . . affirmationem Ssp. Ldr. II 65; Ldr. II 36; Ldr. II 42; Ldr. III 35 . . . proprietatem
Ssp. Ldr. II 44; Ldr. III 83
. . . guarandam
Ssp. Ldr. I 46; Ldr. I 47; Ldr. I 63; Ldr. II 15; Ldr. II 16; Ldr. III 14
. . . et si quae sunt aliae significationes, his curis nobis in Speculo Saxonico obviae non factae.“124
Die Zuweisung der vielen Bedeutungsinhalte der deutschen „Gewere“ zu klar definierten lateinischen Termini mag auf den ersten Blick ein deutlich klareres Bild schaffen. Das ist für die Ausführungen Schultzes richtig, täuscht aber, wenn man diese Annahme verallgemeinern und auf andere Schriften oder Quellen in lateinischer Sprache auszuweiten sucht. Im „Auctor vetus de beneficiis“ beispielsweise taucht die Gewere des deutschen Lehnrechts sowohl als „possessio“ (I 19) als auch als „warandia“ (= „guaranda“, I 26) und verschiedentlich recht umständlich umschrieben (I 27; I 89) auf. Schon Heusler weist darauf hin, dass der locus classicus Ssp. Ldr. II 44 § 1 mit großer Wahrscheinlichkeit einen ganz anderen Fall betrifft als die einschlägigen Bezüge anderer Rechtsquellen auf die „rechte Gewere“.125 Tatsächlich finden sich sowohl im Livländischen Spiegel Land- und Lehnrechts (II 33) als auch im Zwickauer Rechtsbuch (II 65) Umarbeitungen dieser Stelle, die sich um eine Klärung bemühen. Ein Textvergleich zwischen dem Erstgenannten und dem sächsischen Landrecht illustriert das: Sachsenspiegel Landrecht II 44
Livländicher Spiegel Land- und Lehnrechts II 33
§ 1. Svelk gut en man in geweren hevet jar unde dach ane rechte wedersprake, die hevet dar an ene rechte gewere. Die wile man aver en gut under enem manne beklaget na rechte, svo lange he’t halt dar boven mit gewalt, nimmer ne gewint he dar rechte gewere an, die wile man de rechten klage getügen mach.
§ 1. Welk gut ein man in weren heft jar unde dach, ane rechte weddersprake, des is he neger to beholden, denn de ander, de it anspreket, aftosprekende. § 2. Wert it bespraken binnen jar unde dage, unde holt it de jenne, dar up men klaget, mit gewelde, mach dat de ander betugen mit dem richter, de dat gericht besitt, de jene mach dar nene rechte were an hebben.
124 125
Schultz, De Guaranda, S. *8 f. Heusler, Institutionen, Bd. 2, S. 104 f.
508
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Der Sachsenspiegel meint hier und an anderer Stelle126 offenbar eine zu Recht bestehende Gewere, eine „legitima possessio“. In diesem Sinne scheint der Begriff auch im Magdeburger Recht verwendet worden zu sein.127 Die ältere privatrechtliche Literatur aber hat den Satz anders, etwa im Sinne des modernen Instituts der Ersitzung, gedeutet: „Durch den Zeitablauf hat sich die Gewere des Besitzers zur rechten Gewere verstärkt.“, heißt es bei Stobbe.128 Der Livländische Spiegel ist in dieser Hinsicht eindeutiger. Die verstrichene Zeit gilt dem Anwärter, der das strittige Gut in seiner Gewere hat, zwar als Vorteil, er ist „neger to beholden, denn de ander, de it anspreket“. Eine rechte Gewere gewinnt er durch diese Zeit aber nicht. Wie wichtig der Satz aus Ldr. II 24 § 1 „Man soll niemanden aus seiner Gewere weisen . . .“ für die sächsische Rechtswelt des 14. und 15. Jahrhunderts gewesen ist, haben wir bereits im zweiten Kapitel sehen können, als mehrfach in konkreten Rechtsstreitigkeiten Bezug auf diese Stelle genommen wurde. Sowohl der Bremer Erzbischof als auch die „gekornen schidelude“ im Streit um den Solebrunnen zu Groß-Salze beriefen sich auf diese Stelle.129 In einer Handschrift des Jahres 1461 aus dem Raum Halle ist die Buchsche Landrechtsglosse zu Ssp. Ldr. II 24 § 1 als eigentständiges Stück, das heißt auch ohne den Text, von einer zweiten Hand hinzugetragen und durch Marginalstichworte erschlossen sowie von derselben Hand auch ordentlich durchkorrigiert worden.130 Hier funktioniert die Glosse offenbar als eigenständiges Kommentarwerk zu einem gewichtigen Rechtsproblem. Der glossierte Text tritt dabei vollständig in den Hintergrund und wird auf die formelhafte Zusammenfassung seiner Eingangsworte „Man sal nemant uß siner gewere wiesen“ gleichsam kondensiert. Diese Beobachtung deckt sich in bemerkenswerter Weise mit dem Befund der rezeptionsgeschichtlichen Untersuchung: Dort, wo der Satz nicht wörtlich übernommen wird, treten alternative Regelungen an seine Stelle, die aber den Grundsatz beibehalten. Das ist beispielsweise beim Berliner Schöffenrecht der Fall. Für den livländischen Redaktor des Spiegels Landund Lehnrechts wird die Fortgeltung dieses Grundsatzes durch das Mittlere Ritterrecht (cap. 145) garantiert und daher in seiner Bearbeitung konsequent ausgespart.131 Auch in diesem Detail bestätigt sich also Bunges These vom präzisen Arbeitsplan des Redaktors.132 Im Schwabenspiegel (L 191b) 126 127 128 129 130 131 132
Vgl. nur Ssp. Ldr. I 43; Ldr. II 42 § 2; Ldr. III 38 § 1. Behrend. Magdeburger Fragen, S. 34 (I 6 § 8). Stobbe, Handbuch, Bd. 2, 2, S. 24. Siehe oben, S. 232 und S. 236 f. Halle, ULB, Ye 102 (Oppitz Nr. 669), fol. 302r–309v. Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 52. Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 19 f.
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
509
schließlich ist das unkonkrete „man“ durch den Richter ersetzt worden, der niemanden aus seine Gewere weisen soll, „wan clage uf den der dez gut in der hant hat“. 2. Der Grundsatz „Hand wahre Hand“ Der Rechtswort „Hand soll Hand wahren“ soll zum Ausdruck bringen, dass bei einer freiwilligen Aufgabe der Gewere, beispielsweise durch Leihe oder Vergabe, nur der untreue Verabredungspartner für etwaigen Schaden an der Sache hafte. Dieser Grundsatz hat als gemeindeutsches Rechtsprinzip seit jeher die rechtshistorische Forschung beschäftigt. Seine Rezeptionsgeschichte in der deutschen Jurisprudenz bis hin zu § 935 BGB hat jüngst noch Torsten Göhlert in den wichtigsten Zügen nachgezeichnet.133 Dagegen hat Andrea Korte seine Verbreitung in den deutschen Rechtsbüchern, Stadtrechten und einer Reihe von Rechtswerken der Rezeptionszeit ausführlich in ihrer Marburger Dissertation beleuchtet, so dass nur wenig Ergänzendes beizutragen bleibt. Ihr Vorgehen ist dem unserer Untersuchung durchaus vergleichbar und eine Vielzahl der hier betrachteten Rechtsbücher wird auch von ihr herangezogen. Dabei interessiert Korte vor allem die Rezeption der Artikel Ssp. Ldr. II 60 §§ 1, 2; Ldr. III 6 § 1; Ldr. I 31 § 1 und Ldr. II 31 § 3.134 Ihre Ergebnisse können durch die vorhergehende Untersuchung um weitere Rezeptionsträger des Sachsenspiegels ergänzt werden; im Einzelnen: II 60 § 1
II 60 § 2
III 6 § 1
Breslauer Rechtsbuch
227
227
250
53
189
Neumarkter Rechtsbuch
384
384
421
103
336
Livländischer Spiegel
II 50 § 1
II 50 § 2
III 4
I 33 § 1
II 20
Berliner Schöffenrecht
II 26 § 1
II 26 § 1
–
V1§1
–
Schwabenspiegel
220
220
259
34
200
Holländischer Sachsenspiegel
130
130
144
31
–
Löwenberger Rechtsbuch
39 § 3
39 § 3
49 § 3
–
32 § 3
Meißner Rechtsbuch
V 42 § 14 V 42 § 14 IV 36 § 6 I 20 § 15
–
Silleiner Rechtsbuch
230
279
133 134
230
205
I 31 § 1
131
Göhlert, Erwerb. Zu diesen Artikeln vgl. Korte, Hand wahre Hand, S. 28–36.
II 31 § 3
510
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Wir können also eine hohe Dichte der Rezeption feststellen. Nur in das Görlitzer Rechtsbuch dagegen ist keiner der einschlägigen Paragraphen übernommen worden.135 3. Die eheliche Gütergemeinschaft – eine Beobachtung Zu den wichtigsten gesellschaftlichen Organisationsstrukturen des Mittelalters gehört die Ehe und ihre güterrechtliche Ausgestaltung. Als erster wichtiger Grundsatz spricht der Sachsenspiegel dem Mann die Gewere am Frauengut zu (Ssp. Ldr. I 31 § 2). Die zweite wichtige Grundlage des sächsischen Ehegüterrechts sah man in dem Satz: „Man unde wif ne hebbet nein getveiet gut to irme live.“ (Ssp. Ldr. I 31 § 1). Man kann diesen Satz sehr unterschiedlich interpretieren. Die ältere Forschung hat darin die klassische Ausformulierung der ehelichen Gütergemeinschaft gesehen; Mann und Frau hätten zu ihren Lebzeiten kein getrenntes Gut. Dagegen hat Wilhelm Ebel in einem sehr positiv aufgenommen Beitrag dafür plädiert, „to ireme live“ nicht als „zu ihren Lebenzeiten“, sondern als „zu ihrem Lebensunterhalt“ zu übersetzen.136 Der Unterhalt der Eheleute und damit auch ihrer Kinder also sei nicht aus gezweitem Gut, sondern aus einer temporären Verbindung der an sich aber durchaus wieterhin getrennten Güter beider Ehepartner zu bestreiten. Schlösse man sich dieser Deutung an, so würfe dies auch ein neues Licht auf die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren Kindern, die ansonsten in den deutschen Rechtsbüchern bemerkenswert stiefmütterlich behandelt ist.137 Lediglich das Kleine Kaiserrecht stellt ausdrücklich eine solche Unterhaltspflicht fest: „Der keiser hat geboten dem vater und der muter, daz sie sullen die kint ziehen mit fridlicher bescheidenheit biz an die zit, daz sie selber kunnen in zu staten gesten. Sint gesc. Stet: der vater sal die kint ziehen, biz sie sich selber ikrennen.“138 Das jedoch ist nur eine Nebenüberlegung. Gegen Ebels Vorschlag, der lange unwidersprochen geblieben ist, hat jüngst Obladen eingewandt, dass die von ihm vorgebrachten Argumente für eine Entscheidung nicht hinreichend seien.139 Aus ihrem Material heraus kann sie vielmehr plausibel machen, dass der Immobiliarbesitz weiterhin getrennt blieb, die Ehe aber für die Zeit ihre Beständigkeit eine Art Fahrnisgemeinschaft erschuf, in die der Mobiliarbesitz beider Ehepartner einfloss. 135 136 137 138 139
Korte, Hand wahre Hand, S. 28. Ebel, Ungezweites Gut. Krause, Unterhaltsansprüche, S. 62–82. Endemann, Keyserrecht, S. 42 (II, 4). Obladen, Magdeburger Recht, S. 192–199.
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
511
Aus den vorliegenden Untersuchungen kann zu Ebels Übersetzungsproblem zumindest eine Beobachtung beigetragen werden: Das Löwenberger Rechtsbuch spricht in einem der nicht dem Sachsenspiegel entstammenden Artikel (cap. 98 § 6) vom beschränkten Schoßfallrecht des Vaters „zu sime libe“, demnach erst „nach sime libe“ unter den Kindern geteilt wird. Hier ist die Bedeutung ohne Zweifel und widerspräche Ebels Deutung. Gleiches gilt für ein ungezähltes Kapitel über die Tochter, die wider den Willen ihrer Eltern heiratet. Sie hat alles Gut verwirkt, „alse ir werdin solde von vater unde von muter bi irme lebdindem libe und nach irme tode, sie gebinz ir denne mit irme guten willen“.140 4. Erben und Vererben Praktiken der Hinterlassenschaft und ihrer zeitlichen Ordnung gehören ebenso wie die damit verbundene Vorstellung von Recht, Billigkeit und Gerechtigkeit zu den zentralen Gegenständen rechtlicher Kulturanthropologie. Auch im deutschen Recht des Mittelalters stellt die Weitergabe und familiäre Absicherung von Gütern den wichtigsten Bereich des Rechtslebens dar. Davon zeugt die bereits früh einsetzende Urkundenüberlieferung in diesem Bereich ebenso wie die zahlreichen spätmittelalterlichen Schöffensprüche. Auch die sächsischen Rechtsbücher sind mit ihren umfassenden Bestimmungen erbrechtlicher Natur ein Zeugnis für dieses starke Regelungsbedürfnis. Wie fortgesetzt dringlich dieses Bedürfnis trotz einer Vielzahl von Rechtsaufzeichnungen noch in der frühen Neuzeit gewesen ist, zeigt die Flut städtischer Erbrechtswillküren des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Schließlich führt nicht zuletzt auch die meist als „Constitutio Joachimica“ adressierte Verordnung Joachims I. von Brandenburg den vollständigen Titel „Constitution, Wilkoer und Ordenung der Erbfelle und anderer Sachen“. Der Eingang lautet: „Dieweil hier vormals die stende unser landtschaft sich eintrechtiglich mit uns vereinigt und verwillig, das hinfurder in unsern churfurstentumb und landen keiserrecht gehalten und gesprochen soll werden, derwegen sich auch unsere prelaten, herrn, manne und stedte aller gebrauch und gewonheiten voriger gericht und rechtens verziehen und abgesagt, ordnen und wollen wir, das hinfurder in erbteylung kein heregewedte, gerade noch museteil sol genommen werden noch gegeben, besunder in dem und andern allen keiserrecht dergestalt, wie hievon in unser aufgerichten constitution und ordenunge der ebfelle geordnet, durch ydermeniglich sol gehalten werden.“141 140 141
Breslau, UB, Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1, fol. 137r, 137v. Zit. nach Stölzel, Rechtsprechung, S. 293.
512
E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Im Folgenden soll versucht werden, die einzelnen Bestimmungen der Rechtsbücher zu bündeln und aus dem Regelungsbedarf, aus dem konkreten Erbgeschäft also, heraus zu verstehen. Dabei beginnt die Rechtssphäre des Erbganges bereits weit vor dem Tod: Zunächst müssen die Grenzen der Möglichkeiten des späteren Erblassers betrachtet werden, innerhalb derer er noch zu Lebzeiten über seine Hinterlassenschaft überhaupt verfügen kann. Stirbt der Erblasser dann, so sind zuerst alle Formen von Sondervermögen (Gerade, Heergewäte u. a.) zu betrachten, die aus der eigentlichen Erbmasse vor Beginn des Erbganges auszugliedern sind. Erst dann stellt sich die Frage nach den unterschiedlichen Erbansprüchen und ihrer Hierarchisierung untereinander, wobei zugleich auch etwaige Sonderfälle, wie gemindertes oder verlorenes Erbrecht zu betrachten sein werden. Da Erbangelegenheiten auch zu den Rechtsstreitigkeiten gehörten, mit denen die Schöffenstühle und städtischen Gerichte mit Abstand am häufigsten beschäftigt waren, sind wir in der glücklichen Lage, dem Gerippe der normativen Betrachtung aus den Rechtsbüchern konkrete Fälle aus den Fleischtöpfen der Rechtspraxis gegenüber zu stellen. a) Erbenlaub „Ane erven gelof unde ane echt dink ne mut neman sin egen noch sine lude geven“ (Ssp. Ldr. I 52 § 1) – dieser Grundsatz beherrscht das sächsisch Güterrecht.142 Auf ein eindrückliches Beispiel solcher Eigengutübertragung aus Eikes Lebzeiten und engerem geographischen Umfeld hat verschiedentlich Kroeschell hingewiesen:143 Graf Hildebold von Limmer teilt im Jahre 1215 dem Bischof Friedrich von Halberstadt, der zugleich Graf von Sömmerschenburg und damit Inhaber des in der Urkunde ausdrücklich erwähnten Grafengerichts unter Königsbann (Ssp. Ldr. I 2 § 2) ist, mit, dass er der Übertragung eines Eigengutes durch seinen Bruder Konrad von Lauenrode und dessen Sohne vor selbigem Gericht zustimmen werde. Das nur wenige Jahre jüngere Rechtsbuch und die Übung vor einem sächsischen Grafengericht der Zeit decken sich in diesem Falle also an zwei markanten Punkten.144 Zugleich ist, wie wir in den Beispielen der geschichtlichen Einführung gesehen haben, gerade das Erbenlaub wiederholt Ausgangspunkt von Rechtskonflikten. Ein besonders prominenter war der Streit, in den Johan142
Ebel, Formel. Schmidt, UrkB Halberstadt, Bd. 1, S. 434 f. (Nr. 487). Text mit deutscher Übertragung und Kommentar auch bei Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 1, S. 285 f.; vgl. auch ders., Rechtswirklichkeit und Rechtsbücherüberlieferung, S. 4 f. 144 Zu Frage der Existenz und Ausformung des Instituts vor der Rechtsbücherzeit vgl. auch Sandhaas, Germanistische Abhandlungen, S. 163–206. 143
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
513
nes Klenkok selbst verwickelt war und von dem man vermutet hat, er habe ihn zu seinem Vorgehen gegen den Sachsenspiegel motiviert.145 Je nach Konfliktpartei konnte das sächsische Landrecht also ausgesprochen attraktiv, genauso aber auch hinderlich für die eigene güterrechtliche Absicherung oder Bereicherung sein. So ist es nicht verwunderlich, dass unter den Sätzen des Sachsenspiegels, die im Rahmen der kursächsischen Konstitutionengesetzgebung einer Klärung unterzogen werden sollte, auch Ssp. Ldr. I 52 § 1 zu finden ist. Den beratenden Gremien stellte sich dabei die Frage, ob „nicht Articul. 52. Iib. prim. Landtrecht/von Vergebung der Stammguetter/daß dieselbe ohne der Erben Laub nicht geschehen solle/reden/allein auff die schlechten donationes zu restringiren etc.“146 Der Erbenlaub sollte also auf lediglich die nachteiligen Vergaben beschränkt werden. Die untersuchten sächsischen Rechtsbücher des Mittelalters aber tradieren den Grundsatz des Erbenlaub zum größten Teil noch weiter. b) Die Sondervermögen Das Testament selbst ist dem sächsischen Recht noch fremd. Über das Eindringen dieses Rechtsinstituts in die deutschen Stadt- und später auch Landrechte des Spätmittelalters und der Frühneuzeit hat eingehend Peter Landau informiert.147 Die dem sächsischen Recht bekannten Verfügungen für den Todesfall, ein Erbe „von gelobdes halben“ (Ssp. Ldr. I 52 §§ 1, 2, 4 und Ldr. II 30) hat dagegen Adrian Schmidt-Recla in seiner Leipziger Habilitationsschrift eingehend untersucht.148 Vollständig aus der Verfügungsgewalt des Erblassers ausgenommen war noch im Sachsenspiegel ein Bereich von Sondervermögen: Das Heergewäte des Mannes, das an den nächsten Schwertmagen, und die Gerade der Frau, die an die nächste weibliche Verwandte gehen sollte. Das Meißner Rechtsbuch gesteht Verkauf oder Verpfändung lediglich „durch libes nod“, wenn diese „zcu den heyligen bewisen“ wurde (Meißner Rb. I, 9, 4). Im Hinblick auf die Sondervermögen selbst lösen sich die späteren Rechtsbücher vor allem von der Beschränkung des Heergewätes auf Erblasser „van ridders art“ (Ssp. Ldr. I 27 § 2). Dies ist allerdings nicht notwendig als rechtsschöpferische Leistung der Redaktoren anzusehen, denn die 145
Siehe oben, S. 240 ff. Haubold, Handbuch, S. 110 (qu. 63) – dieser Text mit Kommentar auch bei Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 238–240. 147 Landau, Testierfreiheit. 148 Wie bereits in S. 417, Anm. 428 bemerkt, stellt mir der Verfasser in großzügiger Weise sein Manuskript zur Verfügung, so dass ich bis auf weiteres keine Seitenzahlen angebe und auf die zukünftige Drucklegung verweise. 146
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Vergabe nichtritterlichen Heergewätes aus den Jahrhunderten vor und nach der Entstehung des Sachsenspiegels ist ohnedies zahlreich belegt.149 Vielmehr scheint Eike bei der Abfassung seines Spiegels in dieser Hinsicht betont konservativ verfahren zu sein. Gegenüber dem relativ statischen Umfang und der meist eindeutigeren Sukzession des Heergewätes bot die weibliche Gerade weit häufiger Anlass zu Konflikten.150 Das gilt nicht nur für das mittelalterliche Rechtsleben, sondern auch für die rechtshistorische Wissenschaft. An einer Stelle hat der genaue Umfang der Gerade bereits früh und langanhaltend für Kontroversen gesorgt: Krogmann ging bekanntlich davon aus, Eike habe den Sachsenspiegel nicht auf Nieder-, sondern auf Hochdeutsch verfasst.151 Einen gewichtigen Stellenwert in seiner Argumentation nimmt dabei seine Lesart von Ssp. Ldr. I 24 § 3 ein, die er nicht als „alle scap unde gense, kesten mit opgehavenen leden“, das heißt als „alle Schafe und Gänse, Kästen mit gewölbten Deckeln“, sondern als „alle schaph unde ganze kesten mit opgehavenen leden“, also als „alle Schränke und ganze Kästen mit gewölbten Deckeln“ liest.152 Das hat auch Bischoff, ein ausgewiesener Kenner der mittelostdeutschen Mundarten, so gesehen,153 Eckhardt aber in scharfem Ton zurückgewiesen.154 Neben historisch-praktischen Überlegungen zu den massiven und daher kaum als intendiert vorstellbaren Folgen eines vollständigen Verlustes aller Schafe und Gänse für die bäuerliche Hofführung verweist er dabei auf den Halle-Neumarkter Schöffenbrief von 1235, in dem er freilich noch eine Übersetzung aus dem Sachsenspiegel erblicken wollte.155 Wenn man jedoch mit den neueren Erkenntnissen von Kannowski und Dusil hier den Vorlagencharakter des Eikeschen Landrechts in Zweifel zieht, bliebe als Erklärung nur, dass der Brief, der an dieser Stelle tatsächlich von „oves“ und „anseres“ spricht, auf eine andere, dritte Quelle oder tatsächliche, zeitgenössische Rechtsübung zurückgreift. Eine Alternative könnte es dann lediglich sein, diese Stelle als Argument für eine Bearbeitung aus dem Sachsenspiegel zu werten und damit zur älteren Deutung des Schöffenbriefes zurückzukehren. Schließt man sich dieser Deutung an, bleibt die eigentliche Frage weiterhin offen, denn gingen die „oves“ und „anseres“ des Schöffenbriefes tatsächlich auf den Spiegel 149 150 151 152 153
Viele Beispiele bei Bungenstock, Heergewäte und Gerade, S. 27–36. Grundlegend dazu Heukamp, Gerade. Siehe dazu auch oben, S. 80 ff. Krogmann, Verderbnisse, S. 50. Bischoff, schape unde gense. In dessen Sinne weitgehend auch Teske, Falscher
Text. 154 155
Eckhardt, Sachsenspiegel. Landrecht [1955], S. 12 f. Eckhardt, Sachsenspiegel. Lehnrecht [1955], S. 128.
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
515
zurück, so muss man ein Missverständnis der Vorlage bereits an dieser Stelle damit natürlich noch keineswegs ausschließen. Von der Forschung dagegen ist diese Idee nicht mehr aufgegriffen worden.156 Selbst Bungenstock, der die Debatte nur denkbar knapp berührt, vermeidet eine Entscheidung,157 und Helmut Ottenjann, der sich doch gerade mit „Kiste und Lade“ der bäuerlichen Gerade beschäftigt, übergeht die Diskussion als Ganze.158 Die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung dieser Passage zeigt, dass zumindest die Redaktoren der späteren Rechtsbücher hier Schäfe und Gänse, keine Schränke sahen. Das Posener Rechtsbuch weist darüber hinaus einen eigenen Artikel zur „schofgerade“ auf.159 Dieses Institut, das ich sonst bislang nirgends wiederfinden konnte, wird hier in einem besonders interessanten Kontext vorgestellt, übernimmt besagter Artikel doch die ländliche Tradition, Schafe zur weiblichen Gerade zu zählen, und verbindet diese mit einem offenbar üblichen zeitgenössischen Geschäftsmodell: Ein Stadtbürger erwirbt eine Schafherde und gibt diese einem „manne uff deme lande“ zu Pflege. Die Wolle führt der Pfleger an den Besitzer ab. Sobald der Erlös aus dem Wollverkauf die Erwerbskosten der Herde eingebracht hat, wird diese zu gleichen Teilen zwischen Besitzer und Pfleger aufgeteilt „umb syne [scil. des Pflegers] pfloge, mu˚e und erbit“. Ist diese Deckung bei Lebzeiten des Besitzer erfolgt, nicht aber bereits die Teilung mit dem Pfleger, so geht lediglich seine Hälfte in die Witwengerade über. Stirbt aber der Besitzer vor der vollständigen Amortisation des Herdenkaufes, so fällt die Herde an die Erben als Rechtsnachfolger in der Verabredung mit dem Pfleger. Gelegentlich findet sich sowohl in den städtischen Rechtsbüchern als auch in den Schöffensprüchen die Unterscheidung zwischen Gerade zu Weichbild- und zu Landrecht, wie beispielsweise im Meißner Rechtsbuch (IV 9, 1, 1). Erstere betont spezifisch stadtbürgerliche Hausratsgegenstände, ebenso Schmuck, letztere stellt eine beinahe wörtliche Übernahme der Bestimmungen des Sachsenspiegel dar. Allerdings schränkt das Rechtsbuch ein, dass „alles gewant ungesneten, wollen unde linen, wy daz ist, daz gehort zcu deme erbe“. Den wandelbaren Charakter der Gerade betont die Weichbildglosse: „vint die frauwe solliche ding, das dy schepphen irkennen, daz zu der gerade gehorit, is sy welcherley is sy, das sollen der richter unde die schepphen der frauwen antwerten vor ire gerade.“160 156
Fricke, Eherecht, S. 35 entzieht sich der Frage durch Originalzitat. Bungenstock, Heergewäte und Gerade, S. 48 f. 158 Ottenjann, Sondervermögen, S. 384 von „der Tiergruppe“ Schafe und Gänse, in der zugehörigen Anmerkung (S. 396) bereits mit Verweis auf Krogmann von einer „Fehldeutung“. Die Diskussion wird an keiner Stelle berührt. 159 Maisel, Poznanska Kniega Prawa Magdeburskiego, S. 96 f. (IV, 37). 160 Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 290. 157
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Das Geraderecht, das uns im Sachsenspiegel entgegentritt, weist bemerkenswerte Ähnlichkeit zu anderen Regelungen auf diesem Gebiet auf, die teils weit im deutschen Sprachraum verstreut zu finden sind. Vergleicht man beispielsweise den Geradenkatalog des Sachsenspiegels mit einem (undatierten) Weistum über Gerade und Heergewäte in der westfälischen Freiheit Westhofen (zwischen Schwerte und Syberg an der Ruhr), findet sich eine frappante inhaltliche Übereinstimmung, die aber weder im Wortlaut noch in der Anordnung der einzelnen Gegenstände an den Sachsenspiegel erinnert und in einigen Teilen wesentlich präzisiert oder, wie aus den Weistümern vielfach bekannt, durch lokale Bräuche überformt worden ist.161 Als Zuwendungen des Ehemannes an seine Frau treten Leibzucht und Morgengabe zu den Sondervermögen, die sowohl in der Forschungsliteratur als auch zum Teil in den Quellen synonym gebraucht werden, es aber nicht notwendig sind. Die Weichbildglosse kennt dreierlei Gaben zwischen Eheleuten: „Die erste gabe heist in dem rechte arra unde heissit alzo vil azo malschaz; unde soliche gabe gibt der man dem wibe in der zit, alzo man sy zusampne getruwit. Wer eis sache, daz die truwunge muste wider zughen, wer an der sache schuldig were, daz die ehe abeginge, der muste dem andern sine gabe wider geben zweivach, ut C. 5. 1. De sponsalibus L. 5 Mulier sui juris constituta. Sturbe aber ir eyns ehr sy eyns wurden, so gebe man slegt weder, ut C. eod. tit. L. 3 Arrhis. Die andere gabe heist Sponsalitia largitas, unde ist morgengabe genant. Unde morgengabe heist solliche gabe, die eyner von rittersart sinem wibe gibt des morgins, alz er mit ir zu tische sizit; unde daz gibit er hir an erbin orloub; unde gibt ir eyn knecht, der zu sinen jaren komen ist, daz ist zu virzen jaren, unde eyn mayt die eigen ist by zwelff jaren, zune und zummer unde veltgende vye. Ssp. I 20 Nu vornemt. Die dritte gabe heist donatio propter nuptias und heist gabe durch der hochzit wille; und disse gabe sal gliche sein mit der medegifft; unde disse gabe heist nach rechtem deutschen eyn lipzucht; unde waz an der metegift dem manne gebricht, daz sal ouch an dem lipgedinge gebrechen, ut in auth. de non eligendo secundo nubentes coll. I. nov. 2. c. 1. et auth. de aequilitate dotis; c. Hoc; coll. VII. nov. 97 c. 1.“162
Behre unterscheidet im sächsisch-magdeburgischen Recht dreierlei Arten von Morgengabe: die tradierte (Ssp. Ldr. I 20 § 1 und Ldr. II 21) und die gesetzliche (Ssp. Ldr. I 204 § 4; Ldr. I 24 § 1; Ldr. III 38 § 3; Ldr. III 74 und Ldr. III 76 § 1), die er bereits im Sachsenspiegel wiederfindet,163 so161
Grimm, Weisthümer, Bd. 3, S. 43. Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 274 (Art. 22). 163 Behre, Eigentumsverhältnisse, S. 20 f. – Die „gesetzliche Morgengabe“ ist freilich kein Konstrukt Behres, sondern findet sich dem Gedanken nach bereits in der älteren, gemeinrechtlich-germanistischen Literatur, beispielsweise bei Martitz 162
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wie die gelobte Morgengabe, die er im Wesentlichen als eine Weiterentwicklung des Magdeburger Weichbildrechts, vor allem aber des Breslauer Systematischen Schöffenrechts begreift.164 Die Annahme einer „gesetzliche Morgengabe“ wird nach dem momentanen Kenntnisstand freilich mehrheitlich verneint. Im Sachsenspiegel finden sich Morgengabe und Leibzucht noch als getrennte Institute wieder: Während die Morgengabe aus Fahrnis besteht und der Frau nach der Hochzeit weder im Beisein von Zeugen noch mit erforderlicher Zustimmung der Erben gegeben wird (Ssp. Ldr. I 20 § 1), ist die Bestellung einer Leibzucht, die grundsätzlich aus Eigen und nicht aus Immobilien besteht, stets wie andere Grundstücksübergaben an das Erbenlaub und die gerichtliche Öffentlichkeit gebunden und dient, gänzlich unabhängig von der Heirat der Frau, gleich welchen Alters sie sei („swo junk se sin“), als Lebensunterhalt, kann aber nicht wie Eigen behalten oder vererbt werden (Ssp. Ldr I 21 § 1; Ldr. I 32 § 1). Zur Morgengabe gibt „iewelk man van ridders art“ einen noch unmündigen Knecht oder eine Magd, ein Haus aus Holz und eine Anzahl feldgängiges Vieh (Ssp. Ldr. I 20 § 1), diejenigen, „de van ridders art nicht ne sin“ aber nicht mehr „wan dat beste perd oder ve, dat se haben“ (Ssp. Ldr. I 20 § 8). Es ist nicht verwunderlich, die Synonymisierung der beiden Begriffe zunächst im städtischen Milieu anzutreffen. Zu Recht hat Obladen darauf hingewiesen, die Morgengabe des Sachsenspiegels sei „typisch für ländliche Verhältnisse“ und müsse der „städtischen Lebenswelt [. . .] bereits ein wenig fremd“ erschienen sein.165 Bemerkenswerterweise ist in dieser Hinsicht die Weichbildvulgata, deren Redaktor sich gegen den offenbar zeitgemäßen Sprachgebrauch wendet und sich in der Pflicht sieht, die landläufige Formulierung („man spricht [. . .]“), man pflege den Frauen „yn wichbilde [. . .] zu geben morgingabe“, zu korrigieren, „wenn waz den frowen gegebin wirt yn wichbilde vor gerichte, daz mus sein eyne lipzucht ader eyn eigen, mit erbe gelobde, ader varnde habe in des mannes gereitem gelde.“ Und in genauer Kenntnis des Sachsenspiegels weiter: „Hierum zweiet sich daz lantrecht unde wichbilderecht, wenn zu der morgingabe gehoren zeune unde zimmer, unde veltgegenge vye; wenn man phleget in wichbilde mit steinen zu buwen, unde sein alle mit eynem rechte begriffen, die yn dem wichbilde gesessin sein, unde darumme nympt daz wip nicht mehr, wenn dy gerade ist.“166 Auch das Olmützer Stadtbuch aus dem 15. Jahrhundert und Stobbe, als Begriff möglicherweise erstmals bei Schiffner, Vermächtnisse, S. 101 f. (§ 35), den aber Behre nicht anführt. 164 Behre, Eigentumsverhältnisse, S. 35 f. und S. 68–105. 165 Obladen, Magdeburger Recht, S. 88. 166 Daniels/Gruben, Weichbildrecht, Sp. 97 f. (Art. 22 §§ 2, 3).
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
weiß: „margengab, leibgedinge, leibczucht vnd prawtschatcz sein in lantrecht vnd in weikpilde gar vnderscheidenlich.“167 Die Morgengabe wird also vom Redaktor der Weichbildvulgata als für städtische Verhältnisse unpraktikabel verworfen, die Bestellung einer Leibzucht jedoch in zweilerlei Richtung hin ausgeweitet: Zum einen könne der Mann der Frau mit Einwilligung der Erben ein Eigen zu deren freier Verfügung überantworten, zum anderen ihr eine Summe Geldes zuwenden – wobei die Formulierung keine eindeutige Entscheidung zulässt, ob das Rechtsbuch auch für diesen Fall die Zustimmung der Erben für notwendig hält. Bemerkenswert scheint mir ferner die Formulierung des Weichbildes, welche die Funktion der Begabung, nicht wie der Spiegel ihre Regelhaftigkeit, in den Vordergrund rückt: Hier geht es nicht darum, einen grundsätzlichen Rechtssatz für „iewelk man“ aufzustellen, sondern einem grundsätzlich freiwilligen und nur durch Brauch („man [. . .] phleget“) regelhaft geübten Rechtsgeschäft eine Form zu verleihen. Diese Form liegt in ihren Einzelheiten (Erbenlaub, Gerichtsmäßigkeit) vollständig außerhalb des Instituts, das selbst eben Brauch und nicht Recht ist. Wenn die Morgengabe des Sachsenspiegels im städtischen Milieu rasch eine Umformung erfahren und in der Leibzucht aufgegangen ist, so findet sich die gleiche Tendenz auch bald in den späteren vom sächsisch-magdeburgischen Recht inspirierten Land- und Lehnrechten: Bereits das Waldemar-Erichschen Lehnrecht für Livland aus dem Jahre 1315 kennt die synonyme Doppelformel „liftucht edder morgengave“168, die sich später in großer Zahl belegen lässt.169 Das Bergisch-Jülische Ritter- und Landrecht bestimmt: „Ein man van der ridderschafft mach syner huyssfrowen ein morgengaff geven, die irste nach wan er byschlafft; ind wat erffs hy oer dan zo morgengaff gifft, dair sall sie oere lyffzucht an haben“.170 Im Sachsenspiegel waren ausschließlich Immobilien Gegenstand der Leibzucht,171 während in den späteren, vor allem den schlesischen Rechtsaufzeichnungen auch Rechte eigenständiger Gewere, die also immobilien167
Saliger, Olmützer Stadtbuch, S. 114. Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 57 f. (Art. 6). 169 So bei Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 415 („morgengabe vnde lipczug“); Stölzel, Rechtsprechung, Bd. 3, S. 22 („morgengabe, leibzucht und behausunge“). 170 Lacomblet, Ritter- und Landrechte, S. 86 bzw. Frohnhaus, Einwirkung, S. 20 (§ 14) – die ebd., S. 131 aufgestellte Behauptung, die „bergische Gewohnheit, eine Leibzucht zum Zwecke der Witwenversorgung zu bestellen,“ beruhe „auf dem Sachsenspiegel“, ist durch nichts zu bestätigen. 171 Ssp. Ldr. I 21 § 1; Ldr. II 21 § 3; Ldr. III 74; Ldr. III 75 § 1; Ldr. III 76 § 3 – ebenso Görlitzer Ldr. 38 § 5; Meißner Rb. I 13, 3; Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 364 f.; Weichbild 22 § 1. Eingehend dazu Niese, Leibzucht. 168
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
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ähnliche Qualitäten besaßen, wie beispielsweise Zinsen, Zölle oder Zehntzahlungen,172 mit einbezogen wurden.173 Eine adelige Sonderform waren die durchaus nicht selten belegten Leibzuchtlehen.174 Unklar muss bleiben, ab wann auch bare Vermögenswerte als Leibzucht anerkannt wurden. Das Magdeburg-Breslauer Systematische Schöffenrecht bestimmt, dass „wer der totin vrauwin man allir neste czu gehorit von mogeschaft weyn, di sullin der vrauwin lipgedinge alleyne behaldin.“ (IV 2, 13) Daraus hat Niese geschlossen, dass es sich bei der besagten Leibzucht um eine Geldsumme handeln müsse, da die Frau bei einer Leibzucht an Immobilien lediglich Nießbrauch, aber kein Eigentum erwerben könne.175 Ganz explizit bestimmt dann aber erst das Meißner Rechtsbuch, der Mann „mag or ouch lipczucht machen mit gelde [. . .] Noch orme tode vellet daz gelt nicht hinder sich.“ (I 12, 1). Einen interessanten Sonderfall einer Morgengabe in Kapitalform behandelt die Lehnrechtsglosse zu Ssp. Lnr. 31, die den Fall bespricht, dass ein Mann seiner Frau eine Geldsumme zur Leibzucht bestelle und dafür sein Lehn, freilich nur mit Erlaubnis des Lehnsherren, verpfände. Nach dem Tod des Mannes behalte demnach die Frau das Lehn inne bis die Erben die Geldsumme ablösten.176
c) Entwicklung der Sondervermögen im Gemeinen Sachsenrecht Die breite Überlieferung gerichtlicher Vorgänge um die Sondervermögen, vor allem um Fragen der weiblichen Gerade, sowie die bereits seit dem 17. Jahrhundert stetig wachsende Literatur zum Thema zeugen einerseits von der großen Relevanz der Sondervermögen für das Gemeine Sachsenrecht und lassen es andererseits zu, die Weiterentwicklung dieses Rechtsinstituts im Verlaufe der Frühneuzeit relativ gut zu erfassen. 172
Syst. SchöffenR. IV 1, 24 und II 1, 21; Alter Kulm IV, 24. Agricola, Gewere, S. 484 (Nrn. 13 und 14); Niese, Leibzucht, S. 12 und S. 31–34 (Art. 2 § 9). 174 Janz, Frauen und Recht, S. 125 f. 175 Niese, Leibzucht, S. 32. 176 Homeyer, Sachsenspiegel, Bd. 2, 1, S. 360 f.: „Setzet der man lehen syme wibe zcu phande, das mus geschen mit des herren willen. So sol der herre die gabe bestitgen der frauwen uff ligepdinge recht. [Nach des Mannes Tode] stehet es zcu der frauwen, ob sy das phant behalten wil unde den nutz dauon nehmen, ob ir dy erben dass gelt nicht gegeben en mogen, oder ob sy ir gelt haben wil. Ist es dann lehen, sie volget mit dem lehen an den lehen herren, das ist sie beheldet es in nutze und in gelde, unde auch in gewelde, als lange bis man sie abe gerichtet.“ 173
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Eine wichtige Entwicklungslinie, die im 15. Jahrhundert beginnt, ist zunächst die Erweiterung der Morgengabe. Hatten die Spiegelrechte noch verhältnismäßig geringe Werte für die Bestellung der Morgengabe bemessen, erweiterten Stadtbürgertum und vor allem der Adel die bestellten Güter in umfänglichen Maße, was sich auch in den Aufzeichnungen der Rechtsbücher niederschlägt. Das scheint vor allem in jenen der betrachteten Rechtsbüchern der Fall zu sein, die besonders weitreichend in der Entwicklung des Vertragsrechts fortschreiten und besonderen Wert auf die güterrechtliche Verfügungsfreiheit legen. Als Beispiel wäre das Zwickauer oder das Meißner Rechtsbuch zu nennen. Im ausgehenden 15. Jahrhundert dann entwickelt sich ein zweiter Trend, der aus sich selbst heraus rasch weite Kreise schlägt. So beginnen immer mehr Städte, die Vergabe der Sondervermögen beim Tod der Bürgerinnen oder Bürger zu reglementieren. Es werden die angefallenen Werte nur noch an Berechtigte aus bestimmten Städten vergeben. Für das oberlausitzische Kamenz beispielsweise ist ein durch König Wladislaus von Ungarn und Böhmen bestätigtes Privileg des Jahres 1491 überliefert, das für die Vergabe von Geradegut außerhalb „diße konigliche stadth Camentzß“ eine „sunderliche begnadung“ des Königs voraussetzt.177 Solche Reglementierungen konnten auch konkreten Anlass haben. Im westfälischen Werne beispielsweise wurde 1589 die Vergabe von Heergewäte und Gerade in die nahe Stadt Hamme untersagt, weil diese es wiederum einem Werner Bürger versagt hatten, weshalb man sich dort bemüßigt sah, „auf gleichen furfallenden felle gegen die von Hamme“ sich ebenso zu verhalten.178 Das quid pro quo solcher Bestimmungen dürfte für die weite Verbreitung dieses Abschottungsprozesses gesorgt haben, der sich in vielen Städten Sachsens, Anhalts und Thüringens, aber auch in Westfalen und anderen Gebieten des Reiches nachweisen lässt. Solche Entwicklungen treffen sich in gewisser Weise mit einem zwischenstädtischen Vertragstypus des Spätmittelalters, den Wilhelm Ebel „Justizverträge“ genannt hat.179 Dabei werden in der Regel Gerichtszuständigkeiten in Bezug auf gewisse güterrechtliche Ansprüche, zum Beispiel Schuld- oder Erbangelegenheit, eindeutig geregelt. Leipzig und Bitterfeld beispielsweise hatten eine solche Abmachung, nach der die wechselseitigen Ansprüche der eigenen Bürger auf Sondervermögen verstorbener Verwandter in der jeweils anderen Stadt abgesichert wurden.180 177 Knothe, UrkB Kamenz und Löbau, S. 127 (Nr. 170) – die königliche Bestätigung ebd., Nr. 169. 178 Bruns, Werner Stadtrechte, S. 80. 179 Ebel, Justizverträge. 180 Kümper, Bitterfelder Erbrechtswillkür, S. 6.
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
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Hintergrund dieser Bemühung war es, nach Möglichkeit keine größeren Vermögenswerte aus der Stadt fließen zu lassen, ohne Entsprechendes aus anderen Städten zurückzuerlangen. Dem Stadthagener Recht aus der ersten Hälfe des 14. Jahrhunderts zufolge musste ein Auswärtiger, der eine innerhalb der Stadt Begüterte zur Frau nehmen wollte, zunächst das Bürgerrecht erwerben, „also, dat dat wicbelde gut yo bÿ der staed plicht blive“.181 Die Beschränkungen der Vergabe von Sondervermögen nach außerhalb aber scheinen das Problem nicht endgültig gelöst zu haben. Schon im 15. Jahrhundert finden wir Bestrebungen, die Sondervermögen gänzlich abzuschaffen. So urkundete Graf Adolf von Kleve-Mark bereits 1407 der kleinen Stadt Hattingen an der Ruhr, dass „off enych man off wyff [. . .] storve, dat oire erven dan geen heergewede off geraide averlangen en drofften“.182 Von einer späteren Aufhebung des gräflichen Privilegs, die in der Urkunde ausdrücklich vorbehalten wird, ist nichts bekannt. Schon im Dezember 1358 gestattete Herzog Magnus von Braunschweig den Helmstedter Bürgern die Aufhebung des bisherigen Erbfolgerechts der „vrowenrad“, obwohl dieses Recht in Magdeburg, „ad cuius consistorium a tribunali Helmestadensi est conswetum appelari“, bestehe, und informiert darüber auch die Magdeburger.183 Dies sind frühe Einzelfälle. Spätestens im beginnenden 18. Jahrhundert aber nimmt die Kritik an den Sondervermögen des sächsischen Erbrechts merkbar zu. Über die Diskussionen, die gerade die Frauengerade im frühneuzeitlichen Leipzig entfachte, informiert uns ausführlich Karin Gottschalk.184 In der Tat zog gerade das Sondervermögen der Frau immer mehr Ablehnung auf sich. Denn während „die weibliche Erbin vorweg alle Schmucksachen nimmt, Kisten und Kasten im Hause ausräumt, und auf den Rittergütern die Schaafställe um beinahe die Hälfte leer macht, erhält der männliche Erbe einen werthlosen Degen, die aller-unbedeutendsten Effekten, und im glücklichsten Falle ein einziges Pferd“.185 Die Bereitschaft der Gerichte, nun auf Kosten der Gerade Ausnahmen zuzulassen, wuchs. So erteilte 1711 das Magdeburger Hofgericht die Auskunft nach Halle: „Reichet aber die Erbschafft nicht zu, daß daraus die Erben ihre Legitimam haben können: so muß von denen Gerade-Stücken in supplementum legitimae conferiret werden, daß daran kein Theil verkürtzet werde.“186 Die eigentliche Funktion der Gerade wird also im Verlaufe der Frühneuzeit in das genaue Gegenteil 181 182 183 184 185 186
Zaretzky, Statuten von Stadthagen, S. 39 (Nr. 10). Freisewinkel, Urkunden der Hattinger Archive, Bd. 1, S. 23 f. (Nr. 22). Hertel, Magdeburger UrkB, Bd. 1, S. 278 f. (Nr. 443). Gottschalk, Frauenbesitz; dies., Eigentum, Geschlecht, Gerechtigkeit. Klewitz, Provinzial-Recht, Bd. 1, S. 140 f. Bastineller, De successione, S. 20 f.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
verkehrt: Nicht mehr die materielle Absicherung der hinterbliebenen Tochter oder Niftel, sondern der Erbanspruch der männlichen Linie wurde nun als schützenswert und im Konfliktfall höherrangig angesehen. Im Königreich Sachsen wurden die Sondererbteile schließlich 1814 mit königlichem Patent aufgehoben.187 Im Königreich Hannover sah sich noch 1821 Georg IV. genötigt, die bis dahin gewohnheitsmäßig geübte Vergabe von Gerade und Heergewäte „in dem Flecke Uchten“ per Verordnung abzuschaffen, da „diese dem sächsischen, ohnehin in dem Flecken Uchte nicht weiter gültigen Rechte eigenthühmliche Beerbungsart sich in vielen Rücksichten als unbillig und unangemessen darstellt“.188 Einen „Rest des Geradeprinzips“ will aber Lieberich noch in der älteren Fassung der Eigentumsvermutung in BGB § 1362 II sehen.189 In Holstein hat die sächsische Gerade eine sehr eigenständige Geschichte. Immer wieder ist sie Anlass zu Erörterungen um ihre Gültigkeit. Ein Oberamtsurteil des Jahres 1625 besagt, „daß Halbbrüder-Kinder mit Vollbrüdern, nach Sachsen-Recht nicht succediren“.190 Die Konstitutionen der Herzöge Friedrich (17. Mai 1649) und Karl Friedrich (18. März 1730) stellten ferner fest, „daß in Holstein, so lange keine specielle constitution und Gewohnheit vorhanden, allemahl in dem Fall, wo die Frau vor dem Mann ohne Erben verstirbt, nach dem alten Sachsen-Recht, der Mann der Frauen fahrende Habe allein erbe“.191 Endgültig festgestellt wurde die sächsische Erbfolge durch die Verordnung vom 15. Juni 1742,192 über die Hermann Klauss eingehender gearbeitet hat.193 187 General-Gouvernements-Blatt für Sachsen, Jg. 56, Dresden, 28.05.1814, S. 472–474 – Nachdruck auch im Anhang bei Gottschalk, Eigentum, Geschlecht, Gerechtigkeit, S. 305 f. 188 Stegemann, Sammlung, S. 1 – auf das Ende des sächsischen Rechts in Hannover einzugehen, fehlte in dieser Arbeit der Ort. Das wäre an anderer Stelle noch einmal aufzuarbeiten. Hinweise auf die Rolle des sächsischen Rechts noch zum Ende des 18. Jahrhunderts gibt die Edition von Ebel, Pufendorfs Entwurf. 189 Mitteis-Lieberich, Deutsches Privatrecht, S. 64. 190 Anon., Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum, Bd. 1, S. 151 f. (Abt. VI, Nr. 3). In einer Appellationssache zweier in Frankreich lebender Brüder wegen Zulassung zur Erbschaft entschied das Gericht, „daß in voriger Instantz übel gesprochen, wohl davon appelliret, und derohalben des Halb-Brudern Kindere, von vorgesetzter Erbschaft, weilen sie, Innhalts Sächsischen Rechts, ihren Vater nicht praesentiren, um derenthalben an seine Statt kein Erbe nehmen können, auszuschliessen“. 191 Dreyer, Gerade et Hergewetta, S. 28. 192 Anon., Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum, Bd. 1, S. 154–156 (Abt. VI, Nr. 6). Ich gebe diese wichtige Konstitution im Anhang (S. 625 f.) vollständig wieder. Am 11. Januar 1745 folgte ein königliches Reskript, „wodurch vorstehende Verordnung in einigen Puncten erläutert wird“ (gedruckt ebd., S. 157–159, Nr. 7),
III. Güterabsicherung und -weitergabe im familiären Umfeld
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d) Erbfolgeordnung(en) und konkurrierende Erbansprüche Im Bereich der sächsisch-magdeburgischen Rechts können wir drei unterschiedliche Prinzipien der Erbfolgeordnungen feststellen, die sich in der Zählung der Verwandtschaftsgrade und der daraus resultierenden Nähe zum fraglichen Erbe unterscheiden. Das ist zum einen die kanonistische Zählung, die sich aber kaum vor dem 17. Jahrhundert durchsetzen kann, zum anderen sind es die Zählung des Sachsenspiegels und der Weichbildvulgata. Ludger Meuten hat die Unterschiede zwischen den beiden letztgenannten Systemen genau herausgearbeitet.194 In den Rechtsbüchern Mittelosteuropas setzt sich, soweit die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung feststellen konnte, das Magdeburger System gegenüber dem Sachsenspiegel durch.195 Eine strittige Frage durch die gesamte sächsische Rechtsgeschichte hindurch war, wie wir bereits zuvor gesehen haben, die Frage nach dem Repräsentationsrecht der Enkel und der Seitenlinien. In Schlesien, Böhmen und Mähren ist es zumindest für die Enkel offenbar bereits im 14. Jahrhundert weitgehend anerkannt worden, während auf Reichsebene sich die sächsischen Kernlande noch im 16. Jahrhundert gegen die Anerkennung entsprechender kaiserlicher Edikte zu Wehr setzten.196 Im Jahre 1339 erteilte König Johann von Böhmen der Stadt Breslau ein entsprechendes Privilegium.197 Es hat weit über die Stadtgrenzen hinaus gewirkt. Denn auch das Glogauer Rechtsbuch aus dem Ende des 14. Jahrhunderts beispielsweise erkennt die Enkel bereits als gleichberechtigte Erbnehmer an, bemerkt aber dabei: „daz ist noch gnadin der bresslawer ader es ist nicht noch meydeborgischim rechte“. Dem anonymen Redaktor ist durchaus bewusst, dass im Magdeburgischen den Enkeln die Sukzession in das großelterliche Gut untersagt war, „wenne erbe stirbit an dy nestin“. Jedoch „czu bresslaw habin sy daz czu gnadin daz tochter kinder teil nemen in daz eldervater vnde eldermuter gute. Adir wir legin in beslossen rechte vnde nicht in oren gnadin wenne wir vnde vnser stad in oren recht seyn vnde gelegin.“198
das den Umfang der „dem jure Saxonico unterworfenen Mobilia und Immoblia“ näher erläuterte. 193 Klauß, Verordnung. 194 Meuten, Erbfolgeordnung. 195 Zur Entwicklung im Schwabenspiegel und seinen Tochterrechtsbüchern vgl. Seelig, Erbfolgeordnung. 196 Siehe oben, S. 272 f. 197 Textabdruck bei Gaupp, Schlesisches Landrecht, S. 94 f. 198 Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 22 f. (capp. 164–166).
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
5. Der Grundsatz „Der Ältere teilt und der Jüngere soll kiesen“ Dieser erbrechtliche Satz aus Ssp. Ldr. III 29 § 2 („Svar so tvene man en erve nemen solen, die eldere sal delen unde die jüngere sal kiesen.“) ist mit Ausnahme des Holländischen Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels von allen von mir untersuchten Rechtsbüchern rezipiert worden. Er kann also eine gewisse Verwurzelung im Gemeinen Sachsenrecht für sich beanspruchen. Eine interessante Behandlung erfährt der Satz im Usus modernus, examplarisch bereits in Strycks gleichnamigen Werk.199 Grundsätzlich, so stellt jener fest, wende man in allen deutschen Gerichten für erbrechtliche Fragen das römische Recht an („ad regulas Juris Civilis recurritur“), mit allerdings einer Ausnahme: „In hoc vero discessum est a Jure Romano per mores hodiernos, quod, cum illic inter fratres nemo praelatione gaudeat, sive in constituendis portionibus, sive in eligendo primam portionem, [. . .] sed res haec omnis vel ex pacto vel sorte dependeat argumento l. 3. C. Communia de Legatis [= C. 6, 43, 3pr.], solo hoc casu excepto, quod in desiceptatione, penes quem ex heredeibus instrumenta communia sint deponenda, senior praeferatur iuniori, dignior inferiori, et mas feminae, l. finali ff. De fide instrumentorum. [= D. 22, 4, 6] Moribus vero nostris receptum inter fratres, ut major dividat, seu portiones constituat, et minor eligat. Praesumtio enim pro fratre majore est, quod meliorem rerum hereditariarum notitiam habiturus sit, hinc quoque aeuqalitatem in portionibus constituendis eo accuratis observare poterit.“200
Den Ursprung dieser Praxis sah Stryk im kanonischen Recht (X 3, 29, 1), das sich wiederum auf die Kirchenväter berufen könne.201 Auch bei Seneca (Lib. 6, Declam. 3) finde sich: „Major dividat, minor eligat.“ In der Mark Brandenburg aber sei, nachdem man vor zweihundert Jahren dem sächsischen Recht eine Absage erteilt habe („postquam juris Saxonico ante duo saecula missum est repudium“), diese Art der Teilung nur noch statthaft, wenn die Beteiligten es ausdrücklich wünschten. Ansonsten finde eine gemeinsame Zusammenstellung des Erbes und eine Entscheidung durch Los statt. Daher könnten Brüder, auch wenn sie ihren Wohnsitz in Sachsen haben, Güter, die in der Mark gelegen sind, nicht nach dieser sächsischen Verfahrensweise teilen („[. . .] unde, etiamsi fratres in Saxonia haberent 199
Diesen Hinweis verdanke ich Vorlesungsmaterialien von Herrn PD Dr. Thomas Rüfner (Trier). 200 Stryk, Speciumen, S. 223 (lib. 10, tit. 2, § 1) – die folgenden Zitate ebd., §§ 2, 3. 201 Ambrosius, De Abrahamo, lib. 1, c. 3; Augustinus, De Civitate Dei, lib. 16, c. 20.
IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen
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domicilium, non possent secundum hanc praxin Saxonicam dividere bona in Marchia.“).202 Bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte sich zwischen Carpzov und Berlich eine Kontroverse entsponnen, ob dieses Teilungsverfahren nicht auch unter mehr als zwei Miterben stattfinde. Carpzov bestritt das mit Berufung auf das sächsische Recht.203 Dagegen nahm Berlich an, „zweene“ meine allgemein die Mehrzahl und verwies zur Begründung auf die Glosse zum Ssp. Ldr. III 32 § 5.204 Stryk gibt Berlich soweit recht, meint aber (was im Übrigen auch Berlich nicht bestreitet), dass indessen „praxin Saxonicum ad duos restrictam esse“. Allerdings: „Extra Saxoniam vero in aliis Germaniae locis, ubi haec consuetudo recepta, eandem etiam inter plures heredes obtinere.“ – außerhalb Sachsens sei eine solche Praxis also denkbar, soweit diese Rechtsregel dort rezipiert worden sei.205 In den von mir untersuchten Rechtsbücher ist sie das fast ausnahmslos.
IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen Seit einiger Zeit ist sich die mediävistische Rechtsgeschichte weitgehend einig: Mittelalterliches Recht finden in erster Linie vor Gericht statt.206 Für die strafrechtliche Dimension dieses Umstandes können wir dabei auf einschlägige, ältere Vorarbeiten zurückgreifen: Zum einen die klassische Studie Rudolf His’ über das „Strafrecht des Mittelalters“,207 deren vorrangige Grundlage der Sachsenspiegel darstellt, zum anderen Victor Frieses Darstellung des „Strafrechts des Sachsenspiegels“208 und die verglichen damit kaum zur Kenntnis genommene Arbeit über das „norddeutsche Strafrecht zur Zeit der Rechtsbücher“ Franz Freiherr von Johns.209 Alle diese Arbeiten 202
So auch Schrader, Tractatus, S. 57 (Tl. 7. c. 5. nr. 71). Carpzov, Jurisprudentia ecclesiastica, Bd. 3, S. 88 f. (const. 15, def. 11). 204 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 3, S. 1127 f. – vgl. Berlich, Conclusiones, S. 134 (conc. 21, n. 28). Die ausgesprochen erfolgreichen Conclusiones sind noch bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts immer wieder nachgedruckt worden. 205 Vgl. Berlich, Conclusiones, Bd. 3, S. 134 (conc. 21, n. 27); Carpzov, Jurisprudentia ecclesiastica, Bd. 3, S. 88 (const. 15, def. 11, n. 7). 206 Kannowski, Rechtsbegriffe, S. 6. 207 His, Das Strafrecht. 208 Friese, Strafrecht. 209 John, Strafrecht. Johns erster und letztlich einziger Band behandelt nur, was wir in moderner Nomenklatur den „Allgemeinen Teil“ nennen würden, während die Behandlung der einzelnen Tatbestände offenbar erst für einen späteren Band geplant war. Das knappe Vorwort (S. III f.) gibt zum Plan der Bearbeitung keine Auskünfte. Ferner bleibt zu bemerken, dass sich John an keiner Stelle der Entfaltung seines 203
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
sind, obwohl bereits älteren Datums, noch immer wertvoll, weil das mittelalterliche Strafrecht sich in weit geringerem Maße dem Systemdenken der modernen Jurisprudenz entzieht als manch anderes Rechtsgebiet.210 In jüngerer Zeit hat sich diesem Gebiet und seinen bildlichen Repräsentationen in den Codices picturati dann noch einmal ausführlicher der Germanist Friedrich Scheele gewidmet.211 1. Konzepte: Unrecht, Verbrechen, Strafe Das sächsische Landrecht kennt zwei Begriffe, die beide unter gewissen Umständen rechtsrelevante Falschhandlungen bezeichnen können: „Unrecht“212 und „Ungericht“213. Eine eingehende Prüfung sämtlicher Belegstellen lässt einen keineswegs stringenten Sprachgebrauch des Spieglers erkennen; jedenfalls scheint „Ungericht“ durchaus nicht notwendig auf „schwerwiegende[.] Verbrechen wie Mord, Kirchenraub oder Vergewaltigung“214 beschränkt – auch wenn der Begriff im Zusammenhang mit diesen Vergehen auftaucht. Immer jedoch meint „Ungericht“ ein Vergehen gegen das vor Gericht gefundene und geübte Recht; es ist vor allem ein Terminus der Rechtspflege. Diese Bedeutung kann auch der Begriff „Unrecht“ annehmen, der aber überdies auch in moralischen Kontexten, im heutigen Sinne Quellenmaterials widmet, sondern unmittelbar mit der Imputationslehre beginnt. Dennoch ist der ausgesprochen materialreiche Band sehr zu Unrecht bislang nicht beachtet worden. Nur Homeyer nutzt ihn häufig in seiner Landrechts-Ausgabe. 210 Vgl. dazu Stübinger, Schuld, S. 11–32. Für einen engen, deshalb erst sehr spät anzusetzenden Begriff von „Strafrecht“ plädiert Achter, Geburt der Strafe, S. 10 – dagegen Ekkehard Kaufmann, Erfolgshaftung, S. 17 mit berechtigten Einschränkungen. Schärfer noch die Rezension von Karl Siegfried Bader in der ZRG GA 39 (1952), S. 438–441. 211 Scheele, Missetat und Strafe, ders., di sal man alle radebrechen. 212 Ssp. Ldr. I 34 § 3; Ldr. I 52 §§ 3, 4; Ldr. I 65 § 4; Ldr. II 4 § 1; Ldr. II 12 §§ 9, 11; Ldr. II 13 § 3; Ldr. II 24 § 1; Ldr. II 25 § 1; Ldr. II 27 § 4; Ldr. II 30; Ldr. II 60 § 2; Ldr. III 15 § 2; Ldr. III 22 § 3; Ldr. III 42 § 6; Ldr. III 43 § 1; Ldr. III 54 § 1; Ldr. III 56 § 2; Ldr. III 67; Ldr. III 78 § 2; Ldr. III 78 § 7; Lnr. 20 § 4; Lnr. 22 § 3; Lnr. 25 § 4; Lnr. 26 § 9; Lnr. 48 § 2; Lnr. 50 § 2; Lnr. 55 § 8; Lnr. 56 § 3; Lnr. 57 § 4; Lnr. 59 §§ 1, 3, 4; Lnr. 60 §§ 1, 2; Lnr. 68 § 4; Lnr. 69 § 5; Lnr. 71 § 10; Lnr. 73 § 2; Lnr. 76 § 7; Lnr. 78 §§ 1, 2, 3. 213 Ssp. Ldr. I 2 §§ 2, 4; Ldr. I 50 § 1; Ldr. I 57; Ldr. I 58 § 1; Ldr. I 59 § 1; Ldr. I 61 § 1; Ldr. I 63 § 1; Ldr. I 65 § 3; Ldr. I 67 § 1; Ldr. I 70 § 3; Ldr. II 2; Ldr. II 5 § 1; Ldr. II 8; Ldr. II 10 § 5; Ldr. II 12 § 15; Ldr. II 13 §§ 1, 8; Ldr. II 16 § 2; Ldr. II 17 §§ 1, 2; Ldr. II 45; Ldr. II 64 § 3; Ldr. II 67; Ldr. II 72 § 2; Ldr. III 1 § 1; Ldr. III 7 §§ 2, 3; Ldr. III 9 § 5; Ldr. III 10 § 1; Ldr. III 12 § 2; Ldr. III 13; Ldr. III 14 § 2; Ldr. III 25 § 2; Ldr. III 50; Ldr. III 52 § 2; Ldr. III 64 § 2; Ldr. III 66 § 4; Ldr. III 70 § 2; Ldr. III 78 §§ 3, 4; Ldr. III 88 § 4; Ldr. III 91; Lnr. 23 § 1; Lnr. 72 § 7; Lnr. 76 § 2. 214 Ragg, Ketzer und Recht, S. 181.
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des Wortes „Unrecht“ also, verwendet wird. Eine Vokabel für das heutige Wort „Verbrechen“ kennt keines der sächsischen Rechtsbücher, wohl aber kennt bereits der Sachsenspiegel einen vergleichsweise ausdifferenzierten Verbrechensbegriff. Im Grundsatz ist dieser Verbrechensbegriff des Sachsenspiegels an den Erfolg der Tat bzw. einen entstandenen Schaden gebunden. Das leuchtet dann unmittelbar ein, wenn man bedenkt, dass in Abwesenheit einer wie immer gearteten „öffentlichen“ Verbrechensverfolgung nicht nur gilt „Wo kein Kläger, da kein Richter“, sondern auch: Wo kein Schaden, da kein Geschädigter, also kein Kläger, also auch kein Rechtsgang. Ganz explizit drückt auch das Lehnrecht diesen Grundsatz aus: „An willen noch an worden n’is nen gedvang, dar ne volge die dat na.“ (Ssp. Lnr. 39 § 2)215 Daraus ergibt sich, dass die subjektive Absicht der Tat für die Bestrafung zunächst keine Rolle spielen dürfte. Eine Körperverletzung wurde als solche gebüßt, auch wenn sie der Absicht nach einen misslungenen Tötungsversuch dargestellt haben sollte. Freilich kannte auch das sächsische Recht, kannten teils bereits die Volksrechte216 eine Reihe von nicht vollzogenen Taten, die aber durch eine objektiv sichtbare („openbare“) Absichtserklärung bereits ein Verbrechen sui generis darstellten. Heinrich Brunner hat diese Tatbestände in Abgrenzung zum modernen, dem Sachsenspiegel noch fremden Deliktversuch als „Versuchsdelikte“ bezeichnet.217 Sinnfälliges Beispiel eines solches Deliktes ohne Schaden mit offenbarer Absichtserklärung, das bereits als „sinnliche[r] Ausdruck des verbrecherischen Willens“218 straffällig machte, ist das Waffenzücken (Ssp. Ldr. I 2 § 4 und I 62 § 2),219 in anderen Rechtsquellen bereits das Waffentragen.220 Hier wird „die auf Schadenzufügung gerichtete Absicht Begriffsmerkmal der Missetat“.221 Geradezu auf mangelnden Tatvollzug ausgerichtet ist handhafte Tat, die bekanntlich greift, wenn man den Täter „mit der dat begript oder in der vlucht der dat“ (Ssp. Ldr. II 35), die Tat also entweder unmittelbar vollzogen oder noch im Vollzug begriffen ist. Der handhaften Tat in dieser Hinsicht ähnlich ist die „overhure“ (Ssp. Ldr. II 13 § 5), die unangesehen des Beischlafvollzuges bereits die offenbare Absicht, das gemeinsame Lager im Bett nämlich, der Strafe der Enthauptung anheim gestellt wird. Eine große 215
Vgl. auch Sellner, Verbrechensversuch, S. 66. Kannowski, Wille als Verpflichtungsgrund, S. 57 weist auf die Halbierung des Wergeldes für Verletzungen „extra voluntatem“ (MGH LL III, S. 690) hin. 217 Brunner, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 592. 218 Brunner, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 544. 219 Sellner, Verbrechensversuch, S. 26–28; Friese, Strafrecht, S. 72–74. 220 Fehr, Waffenrecht; vgl. auch Planck, Waffenverbot und Reichsacht. 221 Friese, Strafrecht, S. 72. 216
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Zahl von weiteren Beispielen aus den frühen Stadtrechten, die bereits erste Schritte in Richtung einer öffentlichen Strafverfolgung zeigen, hat His zusammengestellt.222 Über die Durchsetzung einer juristischen Lehre vom Verbrechensversuch im Gemeinen Sachsenrecht hat ausführlich und gründlich Dieter Sellner gehandelt.223 Diese setzt sich, von den gelehrten Rechten herkommend, im Verlaufe des 16. Jahrhunderts im Bereich des sächsisch-magdeburgischen Rechtes allerdings erst sehr langsam durch. Ein später noch herangezogener Magdeburger Schöffenspruch des Jahre 1578 beispielsweise hat sich die Vorstellung von einem strafwürdigen Verbrechensversuch noch nicht zu Eigen gemacht.224 Eng verbunden mit der Idee des Verbrechens muss diejenige der Strafe sein. Für das Mittelalter hat der Strafrechtler Rudolf von Hippel einmal von einem geradezu „privatrechtlichen Charakter“ der Strafe gesprochen.225 Die sächsischen Rechtsbücher kennen in der Tat nur der Sache, nicht aber dem Begriff nach eine öffentliche Strafe; ansonsten aber nur Buße, Gewette und Wergeld als Geldzahlungen, die für gewisse Vergehen entrichtet werden müssen. Im Verlaufe des 15. Jahrhunderts tritt in den Urkunden noch der Begriff „peen“ (= Pein) hinzu, der sowohl ein Strafgeld, häufig im Sinne einer heutigen Konventionalstrafe, als auch eine körperliche (= peinliche) Bestrafung meinen kann. Bemerkenswert bleibt, dass im Schwabenspiegel der Begriff „Strafe“ zum ersten Mal auftaucht und hier durchweg den Begriff „Wergeld“ ersetzt. Man wird sogar soweit gehen können, zu sagen, dass dem süddeutschen Spiegel die Sache selbst fremd ist, „in den Stellen daher, wo der SachsenSpiegel von Wergeld und Buße handelt, nur das wiedergibt, was auf die Buße Bezug hat; da aber, wo nach dem SachsenSpiegel das Wergeld erlegt wird, die Strafe des Mittelalters in der Regel eintreten läßt.“226 Hier deutet sich bereits der Niedergang des traditionellen Wergeldsystems an, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts in den Kernlanden sächsischen Rechts weitgehend abgeschlossen ist.
222 223 224 225 226
His, Strafrecht, Bd. 1, S. 176–179. Vgl. dazu oben, S. 54 f. Siehe unten, S. 537. Hippel, Strafrecht, Bd. 1, S. 46. Weiske, Sachsenbuße, S. 396 f.
IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen
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2. Tier- und Scheinbußen Die Literatur hat verschiedentlich darauf verwiesen, dass die Glosse eine besondere Buße für den Tod eines Wachhundes vorsehe.227 Tatsächlich aber findet sich in den handschriftlichen Fassungen der Buchschen Glosse, soweit sie mir zugänglich waren, nichts davon,228 während erst die bei Zobel gedruckte Glosse zu Ssp. Ldr. III 49 hinzusetzt: „Du solt aber wissen / das das alles tolle teding seind / das etliche sagen / Wer des andern hunt tötet / der sol yhn gelten mitt also vill weytzen / do man den hundt mit beschütten mag (in der lenge auffgehangen von der erde) Wenn als man den schaden muß gelten / den der hunt thut (als hy steht) et supra lib. II. art. XL. et XLII. Also bleybet man eß auch one schaden / Ab man yhn in der that tötet / da ehr schaden will / Tödtet man yhn aber anders / ßo gylt man yhn mit seinem gesatzten wergelt / Ader nach syner wirde (Ab ehr one wergeld ist, ut sup. lib. II. art. XL et XLII et sup. eo. libro art. XLVIII et infra articulo II.)“229
In der Tat findet sich ein solcher Rechtsbrauch an der Wende zum 17. Jahrhundert im Holländischen,230 in Wendhagen (Schaumburg-Lippe)231 und im Herzogtum Braunschweig-Lüneburg.232 Von einem sehr ähnlichen Brauch aus dem Walisischen erzählt Sprenger in seiner „Geschichte Großbritanniens“ – mit dem markanten Unterschied allerdings, dass es sich bei dem getöteten Tier nicht um einen Wachhund, sondern um eine Katze handelt, die den königlichen Kornspeicher bewache.233 Weit häufiger aber lässt sich der Brauch nachweisen, dass der Totschläger dem Besitzer des getöteten Hundes ein Jahr lang den Hof zu bewachen habe.234 Dieser Brauch fin227 Gildemeister, Altes Holländisches Recht; Grimm, Mordsühne; ders., Poesie im Recht; die jüngere Literatur hat diese Sache, soweit ich sehe, nicht wieder aufgegriffen, sich aber auch nie um eine Klärung bemüht. 228 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 2, S. 770. Die Glosse zu Ldr. III 49 (ebd., Bd. 3, S. 1248) verweist lediglich auf diese Stelle. 229 Zobel/Menius, Sachssenspigell, fol. 183r–183v; auch das vorausgehende Repertorium: „Hundt. Schlecht ymandes den one redliche ursache zutode/wye ehr darumb bessern sal, lib. II art. XL et XLII et lib. III arti. XLVIII et art LI eodem libro“ (fol. 7v) – Diese Stelle muss bis auf weiteres Zobel zugeschrieben werden, da es bislang keine Hinweise auf einen handschriftlichen Zeugen gibt. Die Hinweise auf diese Stelle in der älteren Literatur (vgl. S. 529, Anm. 227), die mittel- (z. B. über Gärtner) oder unmittelbar auf den Abdruck bei Zobel zurückgreifen, gehen daher falsch, diese Ausführungen der Buchschen Glosse beizulegen. 230 Gildemeister, Altes Holländisches Recht, S. 259 f. (9. Januar 1604). 231 Grupen/Spangenberg, Beyträge, S. 197–204; vgl. auch Künßberg, Bauernweistümer, S. 67 und Schuller, Siebenbürgen, S. 121 f. 232 Anon., Merkwürdige Justizpflege, S. 140 f. (16. April 1602); danach auch Gildemeister, Altes Holländisches Recht, S. 262 f. 233 Sprengel, Großbritannien, S. 384. In den Anmerkungen verweist Sprengel auf ein ähnliches Bußritual mit einem Schwan. 234 Gildemeister, Altes Holländisches Recht, S. 263.
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det sich auch in anderen Rechten, beispielsweise in den Gesetzen des schottischen Königs David II. aus der Mitte des 14. Jahrhunderts.235 Manche Volksrechte schließlich unterscheiden Totschlagbußen nach Art bzw. Einsatzgebiet des Hundes.236 Ein zweites besonderes Phänomen allerdings nicht nur des sächsischen Bußsystems sind die Schein- und Schattenbußen, die nicht nur in Rechtsquellen,237 sondern auch in literarischen Texten greifbar sind. Im Bereich der Rechtstexte bilden neben den Rechtsbüchern vor allem die Weistümer eine reiche Quelle, was einmal mehr die enge innere Verwandtschaft beider Quellengattungen andeuten mag. Otto Gierke hat in seiner Studie über den „Humor im deutschen Rechte“ die humoreske Dimension dieser Bußen, die dem heutigen Leser in der Tat beinahe offensichtlich erscheint, betont.238 Bereits Fehr hat dagegen Zweifel angemeldet, ohne sich eindeutig festzulegen. Er gab zu bedenken, ob nicht der bestrafte Schatten „als ein Zubehör der Person“ anzusehen sei, die Bestrafung des Schattens also durchaus eine symbolische, keine humoreske Funktion erfülle, ähnlich vielleicht der symbolischen Bestrafung flüchtiger Täter durch Bestrafung ihrer Portaits (Effigies).239 Auch Carlen schließlich will in den Schein- und Schattenbußen kaum humoristische Elemente entdecken.240 Im Sachsenspiegel haben die Scheinbußen ihren Platz in Ldr. III 45: Tagelöhner (dagewerchten) haben zwei wollene Handschuhe und eine Mistgabel zu Buße, Pfaffenkinder und alle anderen unehrlich Geborenen ein Fuder Heu, das zwei jährige Ochsen ziehen sollen, Berufskämpfer und ihre Kinder den Abglanz der Sonne auf einem Kampfschild, Spielleute den Schatten eines Mannes. Diebe, Räuber oder andere, die ihr Recht durch Un235 Skenaeus, Regiam Scotiae leges, Tl. 2, fol. 51r: „Si aliquis iniuste et contra legem alterius canem interfecerit, vigilabit et custodiet eius fimarium per annum et diem. Et omnia damna, infra dictum tempus per eum sustentata, pro defectu [propter defectum?] canis sui restaurabit.“ (cap. 15). 236 Vgl. dazu Anton, Landwirthschaft, Bd. 1, S. 150–155. 237 Stratmann, Scheinbußen; Peterka, Das offene zum Scheine Handeln, S. 37–47; Grimm, Rechtsalterthümer, Bd. 1, S. 251–253. 238 Gierke, Humor, S. 33–45. Ausführlicher ist dem Harkort, Die Schein- und Schattenbuße, nachgegangen, der S. 3–12 auch die ältere Literatur referriert. Diese unveröffentlichte Dissertation ist gerade angesichts der vollkommenen Ausblendung des weit verbreiteten Motivs der Scheinbußen aus der germanistischen Literaturgeschichte von allergrößtem Wert, zumal auch Harkort im Anhang seiner gewichtigen Studie reichhaltige Quellenauszüge mitteilt. Seine Untersuchung beschränkt sich aber nicht auf deutschsprachiges Material, sondern schließt antike (lateinische und griechische) Überlieferungen ebenso ein wie Texte aus dem englischen, französischen und polnischen Sprachraum. 239 Fehr, Humor, S. 24 – zu den Effigies vgl. Brückner, Bild und Brauch. 240 Carlen, Recht zwischen Humor und Spott, S. 10 f.
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ehrlichkeit verwirkt haben, schließlich erhalten einen Besen und eine Schere zur Buße. Entsprechend phantasievoll sind auch die Wergelder gestaffelt. Der Schwabenspiegel (L 310) übernimmt die Bußen des Sachsenspiegels weitgehend getreu, jedenfalls aber sinngemäß und erweitert diese noch um die Scheinbuße der Kaufleute, die eine Ganshaut erhalten.241 3. Von den Bußen zu Schadensersatz und Schmerzensgeld Charakteristisch für gerichtlich verfügte Zahlungen im Gemeinen Sachsenrecht der Frühneuzeit ist die „gesatzte“ oder „schlechte“ Buße von 30 Schillingen.242 Sie wird als Kompensationszahlung in der Regel wegen zu Unrecht bewirkter Inhaftierung vom Klageführer gezahlt. In dieser Form, lediglich durch die Umwandlung in einen Betrag von 40 Groschen zeitgemäß angepasst und auf alle Arten widerrechtlicher Freiheitsberaubung ausgedehnt, hat sie sich bis in die kursächsische Gesetzgebung des 19. Jahrhunderts gehalten.243 Vereinzelt finden sich aber auch Anwendungen auf andere Rechtsbereiche. Der anonyme Verfasser des Traktats „Vom Prozeß in Bürgerlicher Sachen“, der sich im Anhang sämtlicher Zobel-Drucke, seit 1535 also, findet, stellt beispielsweise fest, es sei „zweiffelhafftig“, was das Gewette des Bauern sei, der vom herrschaftlich anberaumten Gerichtstermin fernbleibe: „Etlich sagen von dreyen / etlich von dreissig Schillingen. Aber in einem jeglichen Dorff ist gewönlich / was man diß falls zu wetten pflegt.“244 Dieses Institut der so genannten „Sachsenbuße“ ist ein bemerkenswertes Phänomen, denn es ist weder in dieser Form im Sachsenspiegel zu finden245 noch ist es an irgendeiner Stelle Gegenstand eines Gesetzes oder einer Verordnung gewesen,246 hat also „seine Entwicklung und Ausbildung der Praxis einzig zu danken und steht so als reines Gewohnheitsrecht da“.247 Seine Entstehung liegt im Dunkeln, kann aber, wie mir scheint, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verortet werden, wenn die frühesten Belege nachweisbar sind und dann um die Jahrhundertmitte rasch merkbar dichter werden. Zur weiteren Fortbildung der „Sachsenbuße“ wird gewöhnlich eine Stelle aus der lateinischen Glosse zu Ldr. II 34 angeführt, wie sie 241 242 243
Stratmann, Scheinbußen, S. 3. Kümper, Secundum iura saxonica, S. 79. Schuberth, De emenda Saxonica; Wernher, Selectae observationes, Bd. 2,
Nr. 7. 244
Kümper, Secundum iura saxonica, S. 60. Der Sachsenspiegel kennt abgesehen von der Fürsten- und Königsbuße nur die Buße bzw. das Gewette von drei Schillingen; vgl. Ssp. Ldr. I 62 § 3, Ldr. II 28 § 1 und Ldr. II 47. 246 Sachse, Handbuch, § 431. 247 Weiske, Sachsenbuße, S. 401. 245
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sich in den Zobelschen Drucken findet: „Item so man einem mit dem Richter zu unrecht im gefängnis helt, die Busse ist tag und nacht 30 schillingspfennig. Nam carceratus dicitur omni die gravari, non mirum ergo, si pro singulis diebus consequitur muletam, hoc plene tradit Hypol. de Marsil. in sua pratica criminali §. Attingam, nu. 19. ubi dicit, quod pro singulis diebus dari debeat incarcerato justa poena sive emendatio.“248 Diese Glosse freilich ist sicherlich nicht Ausgangspunkt des Instituts, denn es lassen sich frühere Belege beibringen. Der zitierte Hypolit wirkte in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts. Zeitlich noch vor dem mehrfach angeführten Leipziger Schöffenurteil von 1557 liegt der von mir edierte Spruch von 1544 für Braunschweig, der ebenfalls mit einer Buße von 30 Schillingen „nach ordenunge Sechsischen rechte“ operiert.249 Auch der oben angeführte Traktat scheint einen solchen Bußsatz zumindest bereits zu kennen, wenn auch an dieser Stelle offenbar noch Unklarheiten über den Umfang der Anwendung bestehen. Bei Weiske fällt etwas beiläufig der gewichtige Satz: „Sowie sich später die Idee des Schadensersatzes verbreitet, verliert sich die Buße.“250 In der Tat findet sich in der oben angeführten Glossenstelle zu Ssp. Ldr. II 34 beides: Buße („poena“) und Wiedergutmachung („emendatio“). Wohl in das frühe 16. Jahrhundert fallen dann erste Ansätze einer Lehre vom Schmerzensgeld aus den Reihen der sächsischen Jurisprudenz.251 Ausformuliert finden wir diese Theorie aber erst bei Carpzov: Er setzt für den Täter einer Körperverletzung sowohl die Buße („emenda“) und den Schadensersatz für etwaige Vermögensschäden („interesse“) des Verletzten als auch eine öffentliche Strafe, die aus einer Geldzahlung oder Haft („poena carceris relegationis vel multa pecunaria“), bei schweren Verletzungen auch aus einer Körperstrafe („poena corporis afflictiva“) bestehen konnte.252 Die Aufgliederung eines Vergehens in einzelne Tat- und Strafbestände, die sich unter dem Eindruck des gelehrten Rechts in der sächsischen Rechtslehre des 15. und vor allem des 16. Jahrhunderts entwickelt, geht auf der prozessrechtlichen Seite mit einer verstärkten Abstraktion und gegebenenfalls auch Kumulation der einzelnen Klagepunkte zu einer Gesamtklage einher. Beide Entwicklungsprozesse sind durchaus nicht gegeneinander gerichtet, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Vielmehr machte die 248
Zit. nach Weiske, Sachsenbuße, S. 400. Kümper, Hochverrat in Hildesheim. 250 Weiske, Sachsenbuße, S. 403. 251 Hofstetter, Schmerzensgeld, S. 16; vgl. auch Distel, Schadensersatz, S. 120 und Kafitz, Kampf, S. 82–85. 252 Carpzov, Practica nova, pars. 2, tit. 99, n. 28; vgl. dazu Hofstetter, Geschichte, S. 16; Kafitz, Kampf, S. 82 f. 249
IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen
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Subsumtion des einzelnen Rechtsfalls unter die allgemeine Rechtsnorm, die das kennzeichnende Charakteristikum des juristisch geschulten („gelehrten“) Richtertums ist,253 das Gemeine Sachsenrechts trotz der weiten geographischen Ausbreitung anbindungsfähig. Deshalb beginnt auch, wie Kroeschell sehr knapp und zutreffend ausgeführt hat, die wirkliche Karriere des Sachsenspiegels in der Gerichtspraxis erst mit Durchsetzung der Subsumtion.254 Man könnte, scheint mir, sogar so weit gehen, zu sagen, dass der Sachsenspiegel ein in dieser Hinsicht beinahe zu modernes Werk darstellte, dessen Ambivalenz zwischen überkommenem Verfahren und fortschrittlichem Normendenken sich ja gerade in der seltsam zerrissenen Kasuistik des Rechtsbuches manifestiert. 4. Einige häufige Straffälle und Tatbestände Im Folgenden sollen einige Um- und Tatbestände besprochen werden, die im Bereich des mittelalterlichen sächsischen Rechts häufigeren Regelungsbedarf hatten. „Häufig“ ist dabei eine für das Mittelalter durchaus weiche Kategorie, denn quantitative Einschätzungen liegen in aller Regel ebenso wenig vor wie serielle Quellen, die einigermaßen sichere Auskünfte zu geben vermögen; erst das „Aktenzeitalter“ beschert uns hier genauere Einsichten.255 Gewisse Anhaltspunkte können aber durchaus die überlieferten Schöffensprüche des sächsisch-magdeburgischen Rechtsbereiches bieten, wie auch vor allem die städtischen Urkundenbücher und die bislang edierten Stadtbücher beredtes Zeugnis von den immer wieder gerichtsnotorischen Fällen liefern können. Vor allem aber geben die Bestimmungen der Rechtsbücher selbst Auskunft, die man in dieser Hinsicht durchaus als Reaktion auf einen mehr oder minder alltäglichen Regelungsbedarf wird verstehen dürfen. a) Diebstahl, Wegnahme, Raub Zur Rezeption des Diebstahldelikts in den von mir untersuchten Rechtsbüchern kann nur wenig gesagt werden.256 Die Todesstrafe durch den Strang, die schon Ssp. Ldr. II 13 festschreibt, findet sich so auch in den späteren Rechtsaufzeichnungen. Erwähnt, aber nicht näher ausgeführt, wird im Sachsenspiegel auch die Möglichkeit, die Strafe abzulösen (Ldr. I 38 § 1). Ob damit also auch todeswürdige Diebstähle gemeint sind, bleibt 253 Michaels, Wandlungen, bes. S. 38 f.; vgl. ferner Kroeschell, Von der Gewohnheit zum Recht, S. 81. 254 Kroeschell, Rechtswirklichkeit und Rechtsbücherüberlieferung, S. 2. 255 Vgl. den Überblick bei Schwerhoff, Kriminalitätsgeschichte. 256 Weigand, doenediep und Bücherklau.
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offen.257 Das Görlitzer Landrecht (cap. 41 § 1 und 47 § 15) kennt offenbar daneben die generelle Möglichkeit einer Ablösung der Todesstrafe durch eine Geldzahlung. Wichtiges Moment der Bewertung eines Diebstahls sind zum einen der Wert des Entwendeten, zum anderen die Heimlichkeit der Tat, die sich strafverschlimmernd auswirken kann.258 Die Grenze zwischen großem und kleinem Diebstahl setzen der Sachsenspiegel und mit ihm übereinstimmend auch die Magdeburger Rechtsbücher, das Meißner Rechtsbuch und das Berliner Schöffenrecht bei drei Schillingen an. Gleiches tut auch das Burger Landrecht.259 Das ist insofern der Bemerkung wert, als wir davon ausgehend vermuten können, die Drei-Schillings-Grenze sei eine tatsächliche sächsische Rechtsgewohnheit, die Eike aufgegriffen und nicht selbst erfunden habe. Tatsächlich lässt sich diese Grenze bereits in der Lex Saxonum (cap. 35) finden. Im Prager Rechtsbuch (cap. 154) wird nur von kleinen Diebstählen gesprochen, die unter eine Obergrenze von 12 Pfenningen fallen. Der Schwabenspiegel (L 186) und ebenso spätere süddeutsche Recht kennen darüber hinaus die Figur des „offenbaren Diebstahls“, bei dem der Dieb ergriffen wird, bevor er die Beute verstecken konnte.260 Davon findet sich in den sächsischen Rechtsbücher, soweit ich es überblicke, nichts. b) Körperverletzung, Totschlag, Mord Gegenüber der allgemeinen Wahrnehmung von einem doch so gewaltbereiten Mittelalter nehmen die tatsächlich gerichtsanhängigen, in den Schöffensprüchen dokumentierten Gewaltdelikte, zumal die schweren, Totschlag und Mord,261 einen verhältnismäßig geringen Anteil am Gesamtumfang der Überlieferung ein. Den Unterschied zwischen Mord und Totschlag führt der Sachsenspiegel selbst an keiner Stelle aus. Dass ein solcher besteht, lässt sich aber nicht nur in den Begrifflichkeiten (mord und manslat), sondern auch über die Todesstrafen erschließen: Der Mörder wird auf das Rad geflochten, der Totschläger enthauptet (Ssp. Ldr. II 13 §§ 4, 5). Diese Unterscheidung wird fast durchweg von den späteren sächsischen Rechtsbüchern übernommen. Eng verbunden mit körperlichen Schädigungen sind im Sachsenspiegel die Wergelder, von denen Ssp. Ldr. III 45 einen ganzen Katalog anlegt. 257 258 259 260 261
His, Strafrecht, Bd. 2, S. 187. Siems, Heimlichkeit. Zimmer, Burger Landrecht, S. 188. Einzelnachweise bei His, Strafrecht, Bd. 2, S. 177 f. Zum Begriffsumfang vgl. Schmidt-Wiegand, Mord und Totschlag.
IV. Unrecht, Verbrechen und seine Folgen
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Guido Kisch hat auf Grundlage der von ihm edierten Leipziger Schöffensprüche vermutet, dass sich das ständische orientierte Wergeldsystem „bereits um die Mitte, ja schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ‚überlebt‘ “ habe.262 Diesen Befund kann die Analyse der betrachteten Rechtsbücher bestätigen. Vollständig übernommen wird der Artikel nur im Meißner Rechtsbuch, während die meisten anderen Rechtsbücher ihn gänzlich unterdrücken, einzelne, wie der Holländische Sachsenspiegel, die Bestimmungen umarbeiten. Die Wergelder für Tiere aus Ssp. Ldr. III 51 werden nur im Meißner und im Silleiner Rechtsbuch noch fortgetragen, von den anderen Rechtsbüchern aber bereits abgestoßen. Einzelne Schöffensprüche, nicht nur aus Leipzig, lassen die Verankerung dieses neuen Wergeldsystems in der Praxis deutlich werden.263 In welcher ursächlichen Beziehung Normtexte und Rechtspraxis möglicherweise zu sehen sind, ob also der Gerichtsbrauch die Rechtsbücher oder jene den Gerichtsbrauch beeinflusst haben mögen, ist nicht ohne weiteres zu entscheiden. Ersteres wird wohl als die wahrscheinlichere der beiden Möglichkeiten gelten müssen. c) Sexualdelikte Phänomenologisch lassen sich vier Fälle von Sexualdelikten unterscheiden, die in den Rechtsbüchern Regelung und in einer Vielzahl von Schöffensprüchen Behandlung erfahren: Das mit Blick auf das Strafmaß harmloseste Delikt, das sich regelmäßig mit dem Begriff „Unzucht“ belegt findet, bezeichnet eine als besonders promiskutiv oder auf andere Art als öffentlich anstößig wahrgenommene Lebensführung bzw. ein solches Auftreten meist unverheirateter Personen. Es wurde zumeist mit Ehren- und leichten Körperstrafen (oftmals Staupen, Pranger oder Stadtverweisung) bestraft und wird in der Frühneuzeit eines der zentralen Tatbestände der so genannten „guten Polizey“. Stark normabweichendes Sexualverhalten („Sodomie“) wurde dagegen in den normativen Texten ausgesprochen hart, in der Regel mit dem Tode, bestraft. Es bleibt daher auch in der Zeit der Ausdifferenzierung zwischen Straf- und Polizeyrecht zumeist eine Sache der Strafverfolgung – die Diskrepanz zwischen Norm und Praxis scheint aber gerade im Bereich der Sitten- und Sexualdelikte ausgesprochen groß zu sein. Die Überlieferung der Rechtspraxis kennt allerdings auch eine Reihe von milderen Strafen. Erb- und familienrechtliche Relevanz konnte der außereheliche Sexualverkehr („overhure“) dann entfalten, wenn es zur Zeugung eines Kindes kam. Ansonsten finden sich teils fein verästelte Regelungen über das 262
Kisch, Leipziger Schöffenspruchsammlung, S. 70. Vgl. nur Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 108 (cap. 212), S. 192 (cap. 54) und S. 233 f. (cap. 79); Friese/Liesegang, Magdeburger Schöffensprüche, Bd. 1, S. 864. 263
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situativ jeweils höchst unterschiedliche Strafmaß in den Rechtsbüchern ebenso wie in der Schöffenüberlieferung. Regelmäßig mit der Todesstrafe wurde die Vergewaltigung („Notzucht“) bestraft.264 Die Einzelheiten sollen in den nun folgenden Absätzen betrachtet werden. Strafrechtliche Bestimmungen über die Notzucht stehen regelmäßig am unmittelbaren Anfang deutscher Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters. Dieser Befund ist ebenso bemerkenswert wie schwer erklärlich. Das Saalfelder Rechtsbuch beispielsweise beginnt mit einer Bestimmung zur „Heimsuchung“, in etwa also unserem heutigen Begriff des Hausfriedensbruches, um dann festzustellen, dass man dem Vergewaltiger „den halz mit einer winbrechen abestozen“ solle (Art. 2).265 Auch sämtliche anderen von mir untersuchten Rechtsbücher stellen ihn der Todesstrafe anheim. Dabei ist das Delikt nicht an die sexuelle Integrität des Opfers geknüpft, sondern greift ebenso bei der Vergewaltigung von Prostituierten, regelmäßigen Geliebten (amie) und anderen „varendeme wive“ (Ssp. Ldr. III 46 § 1). Diese zusätzliche Bestimmung des Sachsenspiegels klammern eine Reihe späterer Rechtsbücher aus. Der Schwabenspiegel setzt als Strafmaß das Lebendbegraben (L 311), das mit Ausnahme des Zwickauer Rechtsbuches allen anderen Aufzeichnungen fremd ist;266 letzteres stellt sich auch explizit gegen die soeben angeführte Feststellung des Sachsenspiegels (Ldr. III 46 § 1; ebenso die Goslarer Statuten 42 § 29), auch an der eigenen Geliebte (amie) könne Notzucht begangenen werden (IV 10 § 2). Ebenfalls von den meisten späteren Rechtsbücher nicht übernommen wurde die Bestimmung aus Ssp. Ldr. III 1 § 1, derzufolge das Haus, in dem eine Notzucht geschehen sei, zerstört werden solle und alles Lebendige, das bei der Tat anwesend war – Mensch also wie Tier – getötet werden solle. Das Goslarer Stadtrecht wendet sich in diesem Punkt sogar ganz explizit gegen seine Vorlage.267 Die Ehe zwischen Vergewaltiger und Opfer wird ebenso wie die zwischen Ehebrechern für unstatthaft erklärt (Ssp. Ldr. I 37). Diese Bestimmung findet sich, obwohl gegen das Kirchenrecht und gegen die päpstliche Bulle „Salvator humani generis“, in fast allen sächsischen Rechts264 Einen knappen Überblick über die strafrechtliche Behandlung zwischen Mittelalter und Carolina vermittelt Dane, Zeter und Mordio, S. 61–69; für die Frühneuzeit vgl. Teufert, Notzucht, S. 15–35. 265 Walch, Beyträge, Bd. 1, S. 13. 266 Auf die von Planitz angenommene Rezeption dieser Bestimmung im Zwickauer Stadtrechtsbuch ist bereits oben (S. 433) näher eingegangen worden. 267 Ebel, Stadtrecht von Goslar, S. 83–89 (II 1 § 63 und §§ 93–95). Ähnlich bereits das Magdeburger Weichbildrecht, Art. 41 § 1 (Ed. Daniels 1853): „Man ne sal nen gebuw uphowen bynnen wichbelde, wenne dar wyf oder maget inne genodeget is oder genodeget in gevürt wert mit gerüchte, so sal men dat gebuv uphoven und nicht dannen vüren.“
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büchern, meist in unmittelbarem Anschluss an die Vorlage des Sachsenspiegels, wieder. Eine Klage wegen Notzucht musste folglich der Rechtsbücher unmittelbar nach der Tat mit Gerüchte und unter leiblicher Beweisung vorgebracht werden (Ssp. Ldr. II 64 § 1); wobei weder Text noch Glosse sich über das Verfahren dieses Beweises näher äußern. Die Bilderhandschriften visualisieren es durch die zerrauften Haare des Opfers. Im 16. Jahrhundert finden wir Fragen um Notzuchtklagen immer häufiger auch in Schöffensprüchen. Das mag dafür sprechen, dass sich die Deliktfigur in dieser Zeit weiter ausdifferenziert, sodass häufiger Klärungsbedarf auftritt. In einem Magdeburger Spruch für das Oberfiskalat Wolfenbüttel vom September 1578 beispielsweise wird eingehend der dreifache Versuch einer letztlich aber nicht erfolgreichen Vergewaltigung einer Ehefrau, deren Mann im Krieg befindlich war, geschildert. Der Beklagte – offenbar ein Bekannter des Hauses – hatte beim letzten Versuch, der Frau Gewalt anzutun, ein Fenster zerbrochen und die Kammertür seines Opfers „aus den krampfen gelauffen“. Er leugnete nicht, „das er zweymal, sunderlich jn der nacht jm hause gewesen, darein vnd wieder aussgebrochen“ sei „vnd die vntzucht zu vollenbringen vorhabens gewesen“, bringt aber „etliche vrsachen vnd entschuldigung“ vor, und bleibt dabei, „der vorhabenden nothzucht zu leuchnen“. Die Magdeburger Schöffen, die in dem Fall um Rat wegen des weiteren Prozederes gefragt werden, kamen zu dem Schluss, man möge dem Beklagten die Möglichkeit einräumen, „sich des bezichtigten nothzugs mit seinem eidt“ zu „entbrechen“. In diesem Fall habe er lediglich für das zerbrochene Fenster und die ausgehobene Kammertür, deren Beschädigungen gerichtlich „jn augenschein“ festgestellt worden waren, Ersatz zu leisten, und zwar „wilkohrlich ethwann mit gefencknis oder jn gelt, seinem vermogen nach“. Die Möglichkeit einer peinlichen Befragung zur Wahrheitsermittlung, die in der Anfrage offenbar angesprochen worden war, lehnten die Magdeburger Schöffen ab.268 Über die Rechtsgeschichte des Ehebruchs liegt mit der Marbuger Habilitationsschrift von Hans Bennecke eine trotz ihres Alters ausgesprochen eingehende Sichtung des normativen Rechtsschriftgutes bis in das 15. Jahrhundert vor. Grundsätzlich ist der außereheliche Geschlechtsverkehr als Rechtsdelikt in den sächsisch-magdeburgischen Aufzeichnungen, wie überhaupt in den meisten mittelalterlichen Rechtsquellen, ein rein weibliches Vergehen. Der außerehelich geschlechtlich verkehrende Mann begeht eine Sünde und befleckt seine Ehre, bricht aber nicht die Ehe und wird auch nicht straffällig. Das wird in Ssp. Ldr. I 5 § 2 deutlich, der besagt: „[. . .] Wif mach mit 268
Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 1, S. 141 f. (Nr. 7).
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unkuschheit irs lives ire wifliken ere krenken; ire recht ne verlüst se dar mede nicht noch ir erve.“ Unter den von mir betrachteten Quellen legen nur die Magdeburger Fragen den kanonistischen Ehebruchsbegriff zugrunde, indem sie „wip adir man, elich adir unelich“ in gleicher Weise bestrafen (Mb. Fr. III 7 § 2).269 Eine Gleichstellung in dieser Hinsicht findet zumeist erst in den Stadtrechtsreformationen und den frühen Polizeiordnungen statt.270 Ssp. Ldr. I 5 § 2 meint aber nicht den Ehebruch. Denn ungleich schwerwiegender als die unbestimmte Unkeuschheit bewerten die sächsischen Rechtsbücher den in handhafter Tat ergriffenen Ehebruch. Hier werden regelmäßig beide Sexualpartner gleichermaßen an Leib und Leben bestraft: „die in overhure begrepen werdet; den sal man dat hovet afslan“ (Ssp. Ldr. II 13 § 5). Das Zwickauer Rechtsbuch verschärft diese Strafe noch, indem die beiden Ehebrecher gepfählt werden.271 Das Meißner Rechtsbuch bestimmt, ein Ehemann, der seine Frau beim Ehebruch mit einem anderen Mann antrifft und beide „uff enander“ erschlägt, solle „mit seiner gewere“ – hier meint „gewere“ die Waffe – bei den Toten bleiben und mit Gerüfte um ein Urteil bitten: „So teyle man ome: he sulle sy bindin uff enander ende sulle sy uffinbar furen under den galgen unde sulle do ein grab graben soben schu lang unde soben schuh tif unde sal nemen zcw borden dorne unde sal legen eyne under, daz wip mit dem rucke doruff, denne den fredebrecher oben obir sy storcze unde den eynen burden uf sinen rucke legen unde eynen eychen phal durch sy beyde slone, sy sin lebende oder tot, das sy an dem nicht entwischen mugen; unde daz grab sul man zcu slan unde zcu fullen.“ (Meißner Rb. IV 11 § 2)272 Dieselbe Strafe sieht auch das Ofener Stadtrecht vor, legt aber Wert auf die Feststellung, dass „der eheprecher unde dye eheprecherinne beyde elich sey“, denn „das ist gar swer“.273 In jedem Fall wird dem Gatten einer ehebrecherischen Frau ein Tötungsrecht eingeräumt. Es ist uns keine Quelle überliefert, die von der konkreten Anwendung dieses Rechts berichtet, wohl aber findet sich der Rechtssatz in sämtlichen Rechtsbüchern und auch außerhalb des sächsisch-magdeburgischen Rechtsgebietes. In einer Leipziger Handschrift ist unmittelbar nach 269
Vgl. auch Bennecke, Lehre vom Ehebruch, S. 126–128. Reiches Material dazu bieten beispielsweise die bei Pufendorf, Observationes, zusammengestellten Stadtrechte und Ordnungen des 16. Jahrhunderts. 271 Vgl. das reiche Material bei Brunner, Pfählen, der die These zu belegen sucht, das Pfählen sei als eine Versicherung der Lebenden gegenüber schädlichen Einflüssen der Toten zu denken. 272 Ganz ähnlich auch das Brünner Schöffenbuch: „Si quis iuxta uxorem suam quempiam deprehenderit et ambos scilicet adulterum et adulteram interfecerit, statim iudicem et iuratos vocabit et dictas personas interfectas ad terrorem aliorum pale seu fuste perforabit.“ (cap. 490). 273 Mollay, Ofner Stadtrecht, S. 156 (cap. 290). 270
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der Cautela und Premis des Hermann von Oesfeld und vor der Weichbildvulgata ein kurzes Urteil über die Tötung einer Frau wegen Ehebruchs überliefert.274 Im Heidelberger Cod. Pal. germ. 170 findet sich ein ausgesprochen aufschlussreicher, kurzer Traktat in deutscher Sprache, der sich mit dem außerehelichen Geschlechtsverkehr der Frau und den Folgen der Tötung durch den Ehemann befasst.275 Er allegiert an keiner Stelle andere Rechtsquellen, lediglich der Beweis mit sieben Zeugen („selbsibent erzeugen“) deutet auf eine Verbindung zu den Rechtsbüchern, in diesem Fall wohl zum ebenfalls in der Handschrift enthaltenen Schwabenspiegel, hin. Am Anfang steht die Frage, unter welchen Umständen ein Mann seine Ehefrau ungestraft erschlagen darf, wenn er sie während des außerehelichen Beischlafs antrifft. Grundsätzlich gesteht der anonyme, jedoch deutlich klerikalen Kreisen entstammene Autor ein, dass der Mann, der seine Frau „in flagranti“ ertappe, das Recht habe, Frau und Liebhaber „in sein zorn“ zu töten, und er solle „weder Got noch der welt pu˚ssen“. Eine Klage vor weltlichem Gericht sei bei einer solch eindeutigen Situation grundsätzlich ausgeschlossen, eine Buße vor Gott um der Bluttat willen „mag von im selber wol“ getan werden, es solle ihn „aber nyemant darznotten als umb ain ander schuld“. Viererlei Umstände freilich will der anonyme Verfasser ausgeschlossen wissen, unter denen der Ehemann nicht berechtigt sei, seiner Frau körperlichen Schaden zuzufügen: Sollte er (1.) selbst ehebrüchig geworden sein, (2.) seine Frau trotz eindeutigen Verlangens bewusst sexuell vernachlässigt haben, (3.) von einer Reise länger nicht zurückgekehrt als er vor seiner Abreise angegeben habe, oder sei (4.) die Frau aus einer Zwangslage heraus, beispielsweise durch Erpressung eines „herren“, der „ir empeut, das si in zu ir leg oder er verderb sy und iren wirt an leib und an gut“, zum Beischlaf gezwungen worden, so möge sie unversehrt bleiben. Über die nicht-körperlichen Konsequenzen schweigt der Trakat sich aus. Der kurze Text gibt bemerkenswerte Einblicke in die mittelalterliche Wahrnehmung weiblicher Sexualität, ist aber auch rechtshistorisch von einigem Wert, weil er in seiner kleinschrittigen Kasuistik genau die Grundideen rechtlicher Bewertung des außerehelichen Beischlafes, wie sie uns in den Rechtsbüchern entgegen treten, merklich verfeinert und ausdifferenziert. Es muss anderer Stelle vorenthalten bleiben, das genauer auszuführen. Bis dahin müssen einige Andeutungen genügen: Die Idee, der Rechtsstatus des Mannes als Ehemann sei durchaus auch von der sexuellen Befriedigung seiner Frau abhängig, findet 274 Leipzig, UB, Hs. 950 (Oppitz Nr. 888), fol. 51v–52v. Diese Handschrift ist im Übrigen Leithandschrift der Edition von Kaufmann, Lehnrechts-Glosse – vgl. S. XXXV–XXXVII zur Handschrift. 275 Heidelberg, UB, Cod. Pal. germ. 170 (Oppitz Nr. 703), fol. 9r–10r – jetzt gedruckt bei Kümper, Kurztraktat.
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sich beispielsweise auch im so genannten „Rietberger Landrecht“ des Jahres 1697. Wer Teil dieser Rechtsgemeinschaft sein wolle, müsse „so männlich sein, daß er einen bogen in der noth rücken, seiner frau im bette genug thuen, und seinem herrn im felde als ein wehrhafter mann nachziehen könne.“276 Ein anderes Weistum bestimmt, der zur Vollziehung des Geschlechtsaktes unfähige Mann solle seine Frau auf den Rücken nehmen und „tragen über einen neun arten zaun; so er sie darüber bringt, soll er ihr einen kriegen, der ihr ihre hege und pflege thun kann, daß sie damit zufrieden sey.“277 Die groteske Szene endet in der häuslichen Stube, wenn der Mann die Frau mit einem Huhn und einer Kanne Wein bewirtet.278 Welche Verbindung solcherlei Rechtssätze zur geübten Rechtswirklichkeit aufweisen mögen, ist mitunter noch schwieriger zu beurteilen als es bereits bei den Rechtsbüchern der Fall ist. Sich ausgiebiger in die Problemlagen der Weistümer-Exegese zu vertiefen, ist hier aber noch weniger der Ort. Bemerkenswert sind solche Regelungen allemal. Beinahe auffällig modern wirkt dagegen der Schutz, der einer durch die sexuelle Gewalt eines nicht näher spezifizierten „herren“ zum Beischlaf genötigten Frau zuteil wird. Dieser Fragekomplex ist von der Mediävistik bislang vollständig unbeachtet geblieben, wohingegen die wissenschaftliche Diskussion um das Herrenrecht der ersten Nacht („ius primae noctis“) trotz der Tatsache, dass bis heute kein einziger Quellenbeleg für eine tatsächliche Übung vorhanden ist, bereits Regalmeter füllt und allein in den letzten zehn Jahren vier neue, umfangreiche Monographien hervorgebracht hat.279 Dass es sich bei einem auf solche Weise erzwungenen Beischlaf um keinen einfachen Fall von Notzucht handle, macht auch der anonyme Verfasser unseres Traktats deutlich, denn der Notzucht widmet er einen eigenen kurzen Rechtssatz. Eine bemerkenswerte Reihe von Rechtsbüchern unterscheidet zudem den Sonderfall eines Ehebruchs, im Schwabenspiegel (L 268) sogar bereits der einfachen Unzucht, zwischen einem Juden und einer Christin beziehungsweise einem Christen und einer Jüdin.280 Die Strafe des Schwabenspiegels erinnert entfernt an die Pfählung der in „overhure“ ergriffenen Ehebrecher im Zwickauer Rechtsbuch: Auch hier werden beide Delinquenten aufeinan276
Grimm, Weisthümer, Bd. 3, S. 103 (Art. 5). Grimm, Weisthümer, Bd. 3, S. 311 (§ 32). 278 Vgl. Fehr, Rechtsstellung, S. 3. 279 Ich verzichte auf Einzelnachweise und verweise stattdessen auf die letzte Studie von Wettlaufer, Herrenrecht, der auch die vorhergehenden Studien von Willhelm Schmidt-Bleibtreu, Marie-Victoire Louis und Alain Boureau bespricht. 280 Buchholz, Rassenschande, S. 201–227, hier S. 213 f. Quellenmaterial bei Stobbe, Juden, S. 162 und S. 266 f. Eine Auswahl stellt auch Aronius, Regesten, S. 244 f. (Iglauer Stadtrecht von 1249), S. 311 (Prager Stadtrecht) und S. 327–331 (Schwabenspiegel) zusammen. 277
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derlegt, allerdings nicht gepfählt, sondern lebendig verbrannt. Dabei legt die Feuerstrafe nahe, dass das Delikt als ein Glaubensverbrechen gewertet wird, denn ansonsten gilt diese Strafe Ketzern und Zauberern. Man kann ferner vermuten, dass in dieser Deliktfigur zwei Wurzeln, sowohl eine gelehrt-kanonistische als auch eine traditionell-deutschrechtliche, zusammenlaufen. Denn dem Sachsenspiegel selbst ist das Verbot des Sexualkontakts zwischen den beiden Religionen noch fremd; es mag sich vielmehr aus dem Verbot der Mischehe entwickelt haben, das bereits von den Kanonisten des Frühmittelalters entwickelt wurde und im Dekret Gratians (C. 28 q. 1 c. 14–17) seine endgültige Ausprägung fand. Wird der Sexualverkehr, wie in der christlichen Ethik des Mittelalters, auf die Ehe beschränkt, so erwächst das im Schwabenspiegel formulierte Verbot denknotwendig aus dem Eheverbot. Auf diese gelehrte Denkfigur traf nun in den sächsische Rechtsbüchern das traditionelle Strafrecht, das bereits im Sachsenspiegel für Ketzerei und andere Vergehen gegen den Glauben den Feuertod vorsah (Ssp. Ldr. II 13 § 7). So konnten sich beide Ideenstränge zu einer neuen Rechtsregel vereinigen. Das letzte zu behandelte Sexualdelikt, dem sich die deutschen Rechtsbücher zuwenden, ist die Sodomie. Das kann zum einen homosexuellen Verkehr meinen, zum anderen aber auch, wie unserem heutigen Verständnis nach, den Sexualverkehr mit einem Tier. Ein Lüneburger Schöffenspruch des Jahres 1576 berichtet vom missglückten Versuch eines Thonius Siverd, der beschuldigt wurde, „im Benderstedter holtze mit seinem kleinen schwartzbraunen mutterpferde vntzucht getrieben“ zu haben. Beide, Mensch und Tier, sollten, das Geständnis Siverds vorausgesetzt, „mit feur vom leben zum tode gebracht“ werden.281 Wie bereits bei der Feuerstrafe des Schwabenspiegels für die Unzucht zwischen christliche und jüdischen Sexualpartnern, kann auch hier vermutet werden, dass das Strafmaß zugleich einen reinigenden Charakter annehmen soll, da das Vergehen nicht nur als eines gegen die Gesellschaftsordnung, sondern auch gegen den christlichen Glauben gewertet wurde. 5. Gottesurteile und „irrationales Beweisrecht“ Der sächsisch-magdeburgische Recht kennt neben dem Gerichtskampf auch verschiedene weitere Arten der Gottesurteile, die zur Beweisführung im Prozess mobilisiert werden konnten.282 Sie treten anstelle des Eides, wenn der Beklagte zwar näher zum Eide als Kläger ist, zum Eid selbst aber 281
Ebel, Magdeburger Recht, Bd. 1, S. 32 f. (Nr. 29). Sowohl im land- (Ssp. Ldr. III 21 § 2) wie auch im lehnrechtlichen (Ssp. Lnr. 40 § 2) Prozess. 282
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nicht zugelassen wird, weil es sich um eine ehr- oder rechtlose Person handelt. Dieser Personenkreis wird in den Rechtsbüchern unterschiedlich weit gefasst.283 Karin Nehlsen-von Stryk hat in diesem Zusammhang von einem „irrationalen Beweisrecht“ gesprochen, das im ausgehenden Mittelalters zusehens in eine Krise gerät.284 Tatsächlich hat auch Buchda im sächsischen Beweisrecht dieser Zeit erhebliche Wandlungen feststellen können, die auf Zurückdrängung der Gottesurteile weisen.285 Dieser Prozess beginnt im Grunde bereits mit der Buchschen Landrechtsglosse.286 Dem rezipierten römischen Recht war das Gottesurteil ohnehin fremd, im kanonischen Recht bestanden immerhin bereits starke Bestrebung, die Ordale abzuschaffen oder doch einzuschränken.287 Die sächsichen Rechtsbücher des 14. und 15. Jahrhunderts übernehmen die Ordale noch in weiten Teilen. Mit einem Exkurs über die Eisenprobe, der sich in einer Berliner Handschrift als Einschub im Landrecht findet, tritt sogar noch eine Extravagante hinzu:288 „Wenne der richter eynem manne, der beclagit is und nicht geczug haben magh, gebutet czu bechten unde yener spricht, her moge nicht bechten, unde bewiset seyne unschult enzwo niete, so mus her das isen tragen. Der zete ist czweyerleyen: Der eyne zete ist, das man leget isen iglich von deme andern eynen schiete nicht czu weyth, sunder das eyn iderman gemeelich geschreyten moge. So zal geczeichent seyn schrete von dem ersten ysen, dovon zal her schreyten uffe das andere isen. Die isen zullen gemachten seyn also: Die zoele eynes mannes von der verssen bis mittene an den fus. Bornet sich der man, her ist vorwunden unde entryt her uffe die isen nicht unde tut her zam eynen trid unrechte, her ist vorwunden. Man zal im aber den brand bewirken mit wachssen bis an den dritten tagh unde den man mit vliessen behalden, so mag man kiesen, ab her gebrant sey ader nicht. Der man, der die isen alsust treten zal, mussen czwene manne wol furen unde leren, wie dicke her will, uffe deme cziele, do her treten zal, das her is wol komen czu seyner rechten czeyt unde nicht envalle. Hier bevorn pflogen czwene gegerwete priester den man czu leyten, wenne her das ysen trat. Das ist us vorplogen unde in leyten czwene andere man, wer sie seyn. Der andere zete ist, das man eyn ist, das man eyn isen entpoer leget uff eynen steyn ader uff eyn isen, so das eyn man do runder greiffen moge unde das isen uff heben, das her sal tragen drey schrete. Wirft her is neder, her ist vorwunden des man in schult gibt ader hat gegeben das zwelbige. Ist ouch ab her sich bornet, 283 Ssp. Ldr. I 50 § 2; Swsp. L. 192; Alter Kulm V 19 § 3 – vgl. auch Richtsteig Ldr.s 40 § 3. 284 Nehlsen-von Stryk, Krise. 285 Buchda, Beweis, S. 531. 286 Kannowski, Umgestaltung, S. 180 ff. 287 C. 2 q. 5. c. 7 und c. 19 (generelles Verbot der Ordale); C. 2 q. 5. c. 15 (Zulässigkeit der Heißwasser- und Eisenprobe); C. 2 q. 5. c. 20–26 (ebenfalls des Ganges über glühende Pflugscharen). 288 Berlin, StBPK, Ms. Boruss. 240 (Oppitz Nr. 86), fol. 126v–127v.
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die hand zal man im wircken also hievor gesprochen ist. Die zelbigen isen beyde, das erste unde das ouch leczste, zal man gluende machen unde sie zal eyn priester gezegenen mit deme zeyne, der hienoch geschreben ist. Wenne der priester kompt an die stat, do man das isen gluende machen zal, so sal her die stat unde das isen besprengen mit wyewassere zcu vortreybende die getrognisse des cziuvel. Hie bevor pflag man eyne misse czu singende, die hie czu gesaczt was. Des ist nu vorpflogen. Doch zal her sprechen die zeben zalmen unde dis gebethe: Deus iudex iustus fortis et paciens, qui auctor es pacis et iudicas equitatem, respice ad deperattionem nostram et dirige iudicium nostrum, qui iustus es et rectum iudicium tuum; qui respicis terram et facis eam tremere; qui per adventum unigeniti filii tui, Domini nostri, Ihesu Christi, seu per passionem suam mundum salvasti, genusque humanum redemisti. Tu hoc ferrum, igne fervens, benedicere dignare et sicut tres pueros, Sydrach, Misac et Abdenago, iussi regis Baylonis in fornacem succensam missos, illesos salvasti, angelumque tuum mittens, eos exinde deduxisti et Susannam de falso crimine liberasti, ita, clementissime dominator, oramus et petimus, ut si quis innocens de crimine sibi oiecto in hoc ferrum manum miserit et ipsum portaverit, sanam et illesam eam educat. Per te, salvatorem et redemptorem totius orbis, qui cum patre et sancto spiritu etc. Omnipotens, sempiterne Deus, qui es scrutator occultorum cordium, te supplices exoramus, ut si homo hic culpabilis est de rebus sibi obiectis et dyabolo ingravante cor eius presumpserit in ferrum ignitum manum suam mittere, tua iustissima veritas declarare dignetur, ut in eius corpore virtus tua declaretur, ut anima illius per penitentiam et confessionem salvetur. Si vero in aliqua deceptionis diabolice versucia confidens, reatum suum dissimulare celareque voluerit, tua sancta dextra omnem calliditatem demonis evacuare dignetur. Benedicere dignare, domine sancte, pater omnipotens, eterne Deus, hoc ferrum ad discernendum in eo verum iudicium tuum etc. So wenne dis gerichte getan ist unde deme manne mit gewyetem wachsse die hende beworcht seyn, so ist gut, das der man aller erst mit cze das gewyete waser unde dornoch bis das gerichte ende nympt ist gut, das her alle syne spise gewyet salcz unde domit gewiet wasser gemenget unde domit nutcze.“
Bemerkenswerterweise entspricht dieser Einschub Artikel 24 des Polnischen Gewohnheitsrechtsbuches.289 Schmidt hat dazu auf eine Reihe von urkundlichen Belegen tatsächlicher Rechtsübung hingewiesen.290 Auch das böhmische Recht des späten Mittelalters kennt noch die Probe des „lichterloh glühenden Eisens“ („sveˇtle rožžené železo“ bzw. „ferrum candens“).291
289
Matuszewski, Najstarszy zwód prawa polskiego, S. 213–221; vgl. dazu Päsler, Sachliteratur, S. 153–155 und S. 235–238. 290 Schmidt, Manngericht, S. 59 f. 291 Werunsky, Ordo iudicii terre Boemie, S. 138 f.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
6. Schuldknechtschaft und Einlager – einige Zusätze zum 18. Jahrhundert Angesichts der gründlichen Studie von Steffen Breßler erübrigt es sich weitestgehend, noch umfänglicher über die Schuldknechtschaft im sächsischen Recht handeln zu wollen.292 Die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung bestätigt seinen Befund, dass das Einlagerrecht zu einem festen Bestandteil des gemeinen sächsischen Rechts gehörte. Einige wissenschafts- und institutionengeschichtliche Bemerkungen kann ich aus der Arbeit an der Geschichte des sächsischen Landrechts aber noch anfügen: Bis in das frühe 18. Jahrhundert hielt sich vereinzelt die Ansicht, die Schuldhaftung („Geiselhaftung, Einlager“) gehe auf ein Privileg Herzog Bertholds zurück, das jener zwischen 1215 und 1218 dem burgundischen Adel verlieh.293 Ohne diesen Namen zu nennen, stellte auch Besold 1621 fest, dass „[m]orem istum in Saxonia, ante annos 300. usitatum fuisse“.294 Die jüngsten Nachrichten vom Weiterleben des Einlagers bis zum Ende des 16. Jahrhunderts stammen aus Ländern sächsischen Rechts, beispielsweise aus der Mark Brandenburg,295 dem Hadelner Land296 und dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg.297 Das Einlager wurde durch die Reichspolizeiordnung von 1577 endgültig verboten.298 Eine Abschaffung, zu der „am 292 Zu Breßlers Studie siehe oben, S. 55 f. Als Überblick vgl. ansonsten Kellenbenz, Einlager; durchaus auch Besold, Thesaurus, S. 593 f. (cap. 51). Zahlreiche Belege aus der urkundlichen Überlieferung finden sich bei Friedländer, Einlager, und Rintelen, Schuldhaft – vgl. dazu auch die insgesamt positive Besprechung von Claudius Frhr. von Schwerin in der ZRG GA 29 (1908), S. 464–468 mit wichtigen Anmerkungen zu einzelnen Begrifflichkeiten. Ein durch seinen europäischen Blickwinkel besonders interessantes Werk hat auch Dreyer, De obstagio, vorgelegt. Die schmale Schrift von nicht einmal 30 Seiten stellt nicht nur eine Vielzahl von Quellenbelegen zwischen Holstein und Spanien zusammen, sondern auch Dreyers erstaunliche Belesenheit unter Beweis ohne in barocke Allegationenhäufungen ohne Wert zurückzufallen. 293 Dagegen jedoch Knorr, Abhandlungen, S. 132–163 (Nr. XI), bes. S. 136–141 (dort weitere Nachweise). 294 Besold, Thesaurus, S. 593 mit Verweis auf Levold von Northof nach der Edition von Meibom in den „Scriptores Germanicos“ („Dn. Meibomio, ad origenes Marcanas. fol. 39.“), in der von mir benutzten Ausgabe Helmstedt 1688, S. 371–424, hier S. 411 f. (Anmerkungen Meiboms). Dort verweist er auf einen Brief „datae sunt MCCCXIIX, propter foedum abusum, quem idem Mollerus describit, ista pacta ex Electoratu Saxoniae primum, deinde ex tot Imperio eliminata sunt.“ 295 Scheplitz, Consuetudines, S. 328. 296 Pufendorf, Introductio, S. 148 (VI 3 § 3). 297 Pufendorf, De jurisdictione, S. 521; vgl. auch Knorr, Abhandlungen, S. 158 f. (XI § 18). 298 Gedruckt bei Weber, Reichspolizeiordnungen, S. 215–271, hier S. 239 f. (zu den älteren Edition S. 101–105).
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meisten die Einführung des Römischen Rechts auf Universitäten, und sothanen Rechts üble Application in denen Teutschen Gerichts-Stuben [. . .] bewogen“, wie Johann Ludwig Heubel (1729) in einem flammenden, mehr gegen die romanistische Gerichtspraxis überhaupt gerichteten als für die Wiedereinführung des Einlagerrechts argumentierenden Pamphlet zu berichten wusste.299 Ein konkretes Beispiel hatte Heubel freilich vor Augen: Denn das Einlagerrecht hielt sich in Schleswig-Holstein noch bis in das 19. Jahrhundert hinein, zumal das Herzogtum Schleswig nicht zum Reich gehörte.300 Dort wurde erst 1813 mit der Einführung der Schuld- und Pfandprotokolle die persönliche Haftung qua Einlagerrecht abgeschafft.301 7. Die „Sächsische Frist“ „Iure Saxonico ist Jahr unnd Tag, sechs Wochen unnd ein Jahr. Gloss. in Spec. Saxon. art. 38. lib. 1. Weichbild. artic. 21. post princ. vers. Jahr vnd Tag. iunct. vers. das seynd sechs Wochen. Lehenrecht. cap. 16. in fin. vers. ein Jahr unnd sechs Wochen. Quibus hodie de consuetudine etiam tres dies adiciuntur, ita, uthodie in Foro Saxonico annus sit spatium unius anni civilis, sex septimanarum et trium dierum, Rauchbar. lib. 2. quaest. 24. num. 34. vide Berlich decis. 115.“302
Besold verzeichnet hier eine spezifische Gerichtsfrist, die sich als Begriff im 16. Jahrhundert geformt hat und noch bis ins 19. Jahrhundert unter der Bezeichnung „Sachsenfrist“, „welche gemeiniglich in den Gerichtsterminen, wo das Sachsenrecht im Gebrauch ist, beobachtet wird“, weiterlebt.303 Den Rechtsbüchern, auch dem Sachsenspiegel selbst, ist die Sächsische Frist dem Begriff nach noch fremd. Avant la lettre taucht sie aber der Sache nach erstmals in Ssp. Lnr. 16 auf, wo eine Frist von einem Jahr und sechs Wochen gesetzt wird, die von der Buchschen Glosse zu Ssp. Ldr. I 299
Heubel, Einlager-Recht, S. 13. Entsprechend vielfältig ist die Literatur, die sich mit dem Fortleben des Einlagers beschäftigt. Wichtig vor allem Amthor, De obstagio und Dreyer, De obstagio. Über den Ausnahmefall Hadeln (zu Hannover gehörig), wo das Einlager als obligatorisches, nicht als vertragsmäßiges Vollstreckungsmittel bis in das 19. Jahrhundert hinein in Übung blieb, vgl. anon., Einlager in Hadel (Urkundenanhang, S. 24–35), der i. Ü. die Meinung vertritt, das „die Herzöge von Holstein selbiges [scil. das Einlager] als die Seele des Credits ansahen und sich daher gegen die Reichsabschiede verwahrten“ (S. 17). Eine entsprechende Quelle, die – wie hier angedeutet – einen aktiven Einspruch der Herzöge gegen die Abschaffung des Einlagers zum Ausdruck brächte, ist mir bislang nicht bekannt geworden. Allerdings schreibt auch Heubel, Einlager-Recht, S. 31 f., die „Hollsteinsche Printzen lachten darüber“. 301 Über die interessante Quellengattung der Schuld- und Pfandprotokolle und ihre Bedeutung für die eigentumsgeschichtlichen Forschung in Dänemark vgl. Worsøe, Slægtshistorie, S. 83–94. 302 Besold, Thesaurus, S. 430. 303 Krünitz, Encyclopädie, Bd. 129, S. 407 f. 300
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38 § 2 mit explizitem Verweis auf die Lehnrechtsstelle auf sämtliche Fristen zu „Jahr und Tag“ übertragen wird.304 Der Ursprung der „consuetudo“, drei weitere Tage aufzurechnen, von der Besold spricht, war hingegen nicht zu klären. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht, dass sich im Westfälischen, so beispielsweise im Hofrecht des zu Werden gehörigen Sattelguts Barkhoven aus dem Jahre 1505, eine Frist nachwiesen lässt, die „owernachten“ genannt wird.305 Hierbei handelt es sich um eine Zeitspanne von sechs Wochen und drei Tagen – eine Ähnlichkeit also, die kaum mehr zufällig zu denken ist.306 Abseits von der rechtshistorischen Koinzidenz, gibt auch der Begriff etymologische Rätsel auf, weil die Erklärung über ein „Über-Nachten“ im Sinne von „Verjähren“ bzw. „eine Frist verstreichen lassen“ stark konstruiert wirken muss. Hier öffnet sich Raum für eine möglicherweise gewagte, aber immerhin denkbare Theorie: Nimmt man nämlich eine – missverstandene – Rezeption der Buchschen Glosse an, die unmittelbar nach der Definition der Formel „Jahr und Tag“ auch die Termini „Verfestung“ und „Oberacht“ (niederdt.: „over(n)acht“!) erklärt, so scheint der Begriff sich recht mühelos aufzuklären. Selbstverständlich erlaubt der direkte Vergleich beider Texte kaum die Annahme einer unmittelbaren Beeinflussung. Es scheint aber durchaus denkbar, dass sich der Begriff „owernachte“ aus einer eben solchen Fehllesung eingebürgert hat und dann aus nicht bekannten, vielleicht auch mündlichen Quellen ins Barkhovener Hofrecht gelangt ist. Neben der „sächsischen“ tauchen auch andere Fristen in den Rechtsbüchern auf, die nicht auf dem Sachsenspiegel fußen. Charakteristisch ist die wohl obersächsisch-flämische von hundert Jahren und einem Tag im Zwickauer Rechtsbuch, die als Verbannungsstrafe ausgesprochen werden konnte.307 In Zwickau wurde diese Strafe 1388 auch tatsächlich gegen zwei Schneider verhängt, die Kleider ihrer Kunden verkauft hatten.308
304 Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 1, S. 325: „DE YAR VND DACH. Dat is zes weken vnd ein iar. Eyn achte is en vestinge. Ouverachte ist en besweringe der vestinge, de delet men rechtlos, dat is vredelos. [. . .]“ 305 Düsseldorf, HStA, Abtei Werden, IX b 1 I, fol. 3v: „[. . .] wanneyr de erste hant verstervet, soe sal dey levenyghe hant under den owernachten, dat ys bynnen seess wecken en dry daghen, eyn ander hant weder wynnen end werven offte bybrengen.“ 306 Die Mehrzahl der westfälischen Weistümer des 14. Jahrhunderts kennen eine Verjährung von drei Jahren – vgl. die zahlreichen Belege im Register von Richard Schröder, d. i. Grimm, Weisthümer, Bd. 7, S. 378. 307 Frensdorff, Recht und Rede, S. 468. 308 Ullmann, Strafrecht, S. 79.
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8. Urteilsschelte und Appellation – eine Notiz Über Urteilsschelte und Appellation in Sachsenspiegel und Glosse hat Bernd Kannowski ausführlich gearbeitet, sodass umfassendere Ausführungen entbehrlich werden.309 Aus der Sichtung der sächsischen Rechtsbücher bleibt lediglich festzuhalten: Dem sächsischen Recht ist noch bis in das ausgehende 15. Jahrhundert die Appellation fremd. Das gilt für den Sachsenspiegel wie auch für alle untersuchten Rezeptionsträger. Die Mittel gegen ein unbefriedigendes Urteil waren die Urteilsschelte und die Läuterung. Im Verlaufe des 16. Jahrhunderts ging die Urteilsschelte dann, vielleicht unter dem Einfluss des neu institutionalisierten Reichskammergerichts, verhältnismäßig rasch in die Appellation über. Bereits in Klings systematisierter Landrechtsausgabe heißt es: „Hievon ist nicht not / viel zusetzen / denn dis schelten auff Sechsischen boden auch fast abgangen / und wird die Appellation nach gemeinem beschriebenen Rechten an stadt derselbigen gescholten / Allein in etlichen Dorfgerichten ist bisweilen noch der brauch des urteilscheltens [. . .]“.310 Eine interessante Notiz, die in dieselbe Richtung argumentiert, habe ich im hinteren Innendeckel des Wolfenbütteler Exemplars der Leipziger Sachsenspiegel-Inkunabel aus der Offizin Brandis von 1490 gefunden:311 „[Die?] althen sachsen sagen, das man yn sachsßenrechte nicht [sol?] appellirn. Weme aber beswerunge geschiet, der moge das [ur]teyl strafen und nyddersetzen, eyn bessers finden. Das mag [w]ol seyn, aber damit ist appellirn nicht verborten. Darumb [i]st es nu in ubung nach gemeynes rechts ubung, das man [a]ppellirt, [–], reducirt, declarirt, supplicirt unde [–]. Das ist eyn itzlichs besundern ein weg, we sich widder beswerung und widder unrecht urteyl zcu streben.“
V. Regelungsansprüche gegenüber Reich, Kirche, Welt Der Durchdringungsanspruch des Sachsenspiegels beschränkt sich nicht auf die kleine, dörflich-landadelige Welt Ostfalens, der er entstammt, sondern umfasst grundsätzliche Ausführungen über die Struktur des Reiches, das Recht der Geistlichen und das Verhältnis der geistlichen zur weltlichen Macht. Vor allem König und Kaiser, die in Eikes Darstellung personell nicht immer klar getrennt sind, gilt das Interesse des Spieglers. Über diese 309
Kannowski, Appellation und Urteilsschelte. Kling, Sechsisch Landrecht, fol. 65r. 311 Wolfenbüttel, HAB, A: 64.20 Jur. 2º – Die Fehlstellen im durch Wurmfraß nicht mehr vollständig erhaltenen Text sind so weit als möglich sinngemäß in eckigen Klammern ergänzt. 310
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
„Staatsauffassung“ Eike von Repgows hat Hans Fehr ausführlich gehandelt.312 Ignor hat es dann später unternommen, diese Überlegungen in einen weiteren Kontext einzubetten. Er spricht nicht mehr von Staats-, sondern von Rechtsauffassung. Bei ihm findet sich auch eine konzise Zusammenfassung der bis dahin verstreut geleisteten Einzelbeiträge zu diesem Thema.313 Der König tritt im Sachsenspiegel als Person,314 aber auch in zahlreichen Komposita, wie Königsbann,315 Königsacht,316 Königsstraße317 und Königsfriede318 entgegen. Wie das Recht an sich seinen Anfang in Gott nimmt, so gilt für ihn, dass „al lantrecht unde lenrecht begin an ime“ (Ssp. Lnr. 69 § 8). Er ist daher allgemeiner und höchster Richter über Leib, Lehn und Eigen (Ldr. III 26 § 1; Ldr. III 58 § 2)319, ebenso „over der vorsten lif und eire gesunt“ (Ldr. III 55 § 1).320 Er selbst muss sich in Fällen des Rechtsbruches vor dem Pfalzgrafengericht verantworten (Ldr. III 52 § 3), sein Leben kann er jedoch nur verwirken, wenn ihm zuvor das Reich durch Urteil der Fürsten aberkannt wurde (Ssp. Ldr. III 54 § 4). Da der König die Gerichtsbarkeit nicht überall selbst ausüben kann, leiht er das Gericht unter Königsbann, den er nur selbst verleihen kann (Ldr. III 64 § 5), an Grafen und Schultheißen (Ldr. III 52 § 2). Unter dem Königsbann dingen wie alle anderen Grafen auch der Pfalz- und Landgraf (Ldr. III 64 § 6), nicht aber 312
Fehr, Die Staatsauffassung. Ignor, Rechtsdenken, S. 26–53. 314 Ssp. Ldr. I 2 § 3; Ldr. I 34 § 3; Ldr. I 35; Ldr. I 38 §§ 2, 3; Ldr. I 58 § 2; Ldr. I 59 § 1; Ldr. I 63 § 1; Ldr. II 12 §§ 4, 12; Ldr. II 16 § 4; Ldr. II 25 § 2; Ldr. II 26 § 4; Ldr. III 26 § 1; Ldr. III 33 §§ 1, 2, 5; Ldr. III 34 § 1; Ldr. III 52 §§ 1, 2; Ldr. III 53 § 3; Ldr. III 54 §§ 1, 2, 3, 4; Ldr. III 55 § 1; Ldr. III 56 § 1; Ldr. III 57 § 2; Ldr. III 58 §§ 1, 2; Ldr. III 60 §§ 2, 3; Ldr. III 62 § 1; Ldr. III 64 §§ 1, 2; Ldr. III 78 §§ 1, 2; Ldr. III 80 §§ 1, 2; Ldr. III 81 § 1; Ldr. III 88 § 1 – Ssp. Lnr. 1; Lnr. 4 §§ 2, 3; Lnr. 19 § 5; Lnr. 25 § 3; Lnr. 68 § 8; Lnr. 69 § 8; Lnr. 71 §§ 2, 3, 5, 21 und Lnr. 72 § 1. 315 Ssp. Ldr. I 2 § 2; Ldr. I 21 § 1; Ldr. I 59 §§ 1, 2; Ldr. I 63 § 2; Ldr. I 67 § 1; Ldr. II 12 §§ 3, 6, 13; Ldr. II 61 § 2; Ldr. III 18 § 2; Ldr. III 64 §§ 4, 5, 6, 9; Ldr. III 69 § 1 und Ldr. III 70 § 1. 316 Ssp. Ldr. I 71; Ldr. III 34 § 1 und Ldr. III 63 § 2. 317 Ssp. Ldr. II 59 § 3 und Ldr. II 66 § 1. 318 Ssp. Ldr. III 2; Ldr. III 7 § 3 und Ldr. III 34 § 1. 319 Schmidt-Wiegand, Wahl und Weihe, S. 225 f. liest auch Ldr. III 52 § 1 in diesem Sinne: „[. . .] sullen den kunig durch recht kisen“ (W 49r) wird gelesen als „[. . .] sollen den König um des Gerichtes willen wählen“. Im Kontext der folgenden §§ 2 und 3 scheint diese auch Deutung durchaus gerechtfertigt. 320 Bereits die Glosse bei Kling, Sechsisch Landrecht, fol 27v weist darauf hin, dass dies wider Ssp. Ldr. III 52 sei, weil „da stehet / das der Burckgraff vber den Marckgraffen richten sol / der auch ein Fürste ist“. Bemerkenswert ist auch die Beobachtung von Krause, Kaiserrecht und Rezeption, S. 22, dass der Begriff „Königsrecht“, der doch „zu der Rechtspflege-Aufgabe aus dem Funkttionskreis des Königstums besser stimmen würde als ‚Kaiserrecht‘ “, nur sehr selten belegt ist. 313
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der Markgraf, der aus eigener Gewalt Gericht hält (Ldr. III 64 § 7). Der Vogt kann sowohl unter Königsbann als auch, wenn er lediglich belehnt worden ist, ohne diesen richten – im letzteren Fall erhält er eine geringe Buße (Ldr. III 64 § 9). In den Bilderhandschriften werden Reich, Kaiser und König durch symbolische Codes, vor allem die Lanze als Zeichen des Reichsdienstes, repräsentiert.321 Es ist schon oft bemerkt worden, dass im Sachsenspiegel der König noch als potenter Regent des Reiches erscheint und die königliche Gewalt deutlich stärker betont wird als es bereits den Zuständen entsprach, die Eike selbst erlebt hat.322 Welche Stellung er in den späteren deutschen Rechtsbüchern einnimmt, wird zu prüfen sein. 1. Kurfürsten und Königswahl Zu den wohl prominentesten Bestimmungen des sächsischen Landrechts gehören die Ausführungen über Wahl und Weihe des deutschen Königs. Die dort erstmals formulierten Grundsätze haben, vor allem durch ihre Fixierung in der Goldenen Bulle von 1356, mit wenigen Veränderungen ihre Wirkung bis zum Ende des Alten Reiches entfaltet. Entsprechend umfangreich ist auch die zu dieser Thematik bereits vorliegende Literatur. Vor wenigen Jahren hat aber Franz-Reiner Erkens dem Problem eine eigene Monographie gewidmet, die alle einschlägigen vorherigen Forschungen kritisch einander gegenüberstellt, so dass umfänglichere Literaturreferate an dieser Stelle entfallen können.323 Erkens selbst vertritt in Weiterführung eines Ansatzes seines akademischen Lehrers Egon Boshof324 die Theorie, die Kurwürde sei aus den alten Erzämtern entstanden.325 Im Sachsenspiegel selbst erscheinen die späteren Kurfürsten bekanntlich in ihren Funktionen als Erzamträger und als die Ersten „in der core“, noch nicht aber als exklusiver Wählerkreis (Ssp. Ldr. III 57 § 2). Als „Kurfürsten“ wird das Siebenergremium nachweislich erst seit 1298 bezeichnet.326 In Ldr. III 52 § 1 wird dagegen noch ein zumindest der Idee nach generelles Wahlrecht beschrieben: „Die düdeschen“, und eben nicht nur ein kleines Wahlkollegium, „solen durch recht den koning kiesen“. Man wird sich dieses generelle Wahlrecht aber als an die Großen des Reiches delegiert vor321 Eingehend dazu Schmidt, Kaiser, König und Reich. Zur bildlichen Umsetzung der Kaiserwahl und -weihe vgl. ferner Schmidt-Wiegand, Wahl und Weihe. 322 Schröder, Lehrbuch, S. 677. 323 Erkens, Kurfürsten und Königswahl. 324 Boshof, Erstkurrecht. 325 Erkens, Kurfürsten und Königswahl, S. 91–98. 326 MGH Const. IV/1, S. 4 (Nr. 5) – vgl. dazu auch Wolf, Seit wann.
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zustellen haben. Diejenigen unter ihnen, die als erste an der Kur stehen, „ne solen nicht kiesen na iren mutwillen, wenne sven die vorsten alle to koninge irwelt, den solen sie aller erst bi namen kiesen“ (Ssp. Ldr. III 57 § 2). Der so dargelegte Vorgang findet sich in dieser Form auch noch im Deutschenspiegel.327 Erst im Schwabenspiegel treffen wir auf eine grundlegend anderer Darstellung:328 „Den kunc svln kiesen dri phaffen fvrsten vnd vier leigen fvrsten“ (Swsp. L 130). Der Böhme ist nun als siebter Kieser mit hinzugetreten; offenbar ist seine Abstammung kein Problem mehr für den Redaktor. Eine Berliner Handschrift des Schwabenspiegels führt diesen Gedanken im Kapitel „Wie man des reichs lehen dienen sol“ (hinter Swsp. L 8a) konsequent weiter, wenn sie dem König von Böhmen sehr wohl eine weltliche Kurstimme – die erste gar – zubilligt, „ob er ain deutschen man ist von vater oder von der muter“. Es folgen „der pfaltzgrave von Rein und der hertzog von Sachsen und der margraf von Pandburg“.329 Eine Reihe von Handschriften nennen anstelle des Böhmenkönigs aber den Herzog von Bayern.330 Das entspricht einer zeitweiligen Verfassungswirklichkeit, die aber bereits von Rudolf I. wieder zugunsten des böhmischen Königs aufgehoben worden ist.331 Konsequentes Zeugnis einer Zeit der Unsicherheit über die vierte weltliche Kurstimme ist die älteste bekannte Schwabenspiegelhandschrift, die überhaupt nur von „des riches schenke“ spricht, ohne das Amt mit einem Fürstentum zu verbinden.332 Diese der Entstehung des Schwabenspiegels sehr zeitnahe Handschrift stellt also ein schlagkräftiges Argument für die Erzämtertheorie dar. Der Schwabenspiegelpassage spricht Armin Wolf, der die Gegenposition zu Erkens’ traditioneller Deutung eingenommen hat,333 den Bezug zur Verfassungswirklichkeit des ausgehenden 13. Jahrhunderts ab. Bis 1298 noch sei die Wahl des deutschen Königs eine „allgemeine Fürstenwahl“ gewesen.334 Zur Festigung dieser Ansicht muss Wolf nicht nur diese und die Be327 Dienlich hierzu die Synopse bei Erkens, Kurfürsten und Königswahl, S. 116–120. 328 Brunner, Königswahl nach dem Schwabenspiegel – dieses Werk ist in deutschen Bibliotheken nicht greifbar und kann lediglich in der ÖNB eingesehen werden. 329 Berlin, SBPK, Ms. germ. fol. 1097 (Oppitz Nr. 177), fol. 166v. 330 Einzelnachweise bei Erkens, Kurfürsten und Königswahl, S. 39. 331 MGH Const. III, S. 408 (Nr. 415) und S. 426 (Nr. 444) – vgl. dazu Bláhová, Böhmen, S. 75 f. 332 Laßberg, Schwabenspiegel, S. 63. 333 Vgl. nur Wolf, Rudolf von Habsburg; ders., Königswähler; ders., Les deux Lorraine; ders., Seit wann, und ders., Vereinigung. Auch die Beiträge des Sammelbandes Wolf, Töchterstämme, fassen alle wesentliche Argumente Wolfs und seiner Schüler noch einmal gut greifbar zusammen. 334 Wolf, Entstehung, S. 55.
V. Regelungsansprüche gegenüber Reich, Kirche, Welt
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stimmungen des Sachsenspiegels, sondern auch die chronikalischen Hinweise, beispielsweise bei Martin von Troppau,335 und schließlich auch das bewusste Kapitel 304 der Hákon saga Hákanarsonar als Interpolationen betrachten,336 die bislang auf die Jahre 1264/65 datiert wurden. Dort wird berichtet, ein königlicher Gesandter namens „bróðir Nikulás“ sei im Sommer 1260 „í Saxland“ geschickt worden, denn der Sachsenherzog sei „ok einn a þeim sjau mönnum er kjósa skulu keisarann“, also auch einer der Königskieser.337 Dass all diese Hinweise erst späteren Datums sind, ist möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich. Wolfs Gegenthese, derzufolge sich das Wahlgremium nicht aus den Erzämtern, sondern aus der familiären Zugehörigkeit zu ottonischen Tochterstämmen begründen lasse, kann durch die Rechtsbücherforschung weder gestützt noch widerlegt werden. Wir können aber festhalten, dass sie in der verfassungshistorischen Forschung bislang auf nur sehr verhaltene Aufnahme gestoßen ist. In jüngerer Zeit hat sich in Fachorganen wie der Zeitschrift der Savigny-Stiftung eine heftige Diskussion zwischen Wolf und Erkens entfaltet, die mittlerweile einen spürbar scharfen Ton angenommen hat.338 Auch in der Interpolationsfrage kann die Rezeptionsforschung nichts beitragen, weil mit Ausnahme des Schwabenspiegels keines der untersuchten Rechtsbücher in die Zeit vor 1298 fällt. Vollständig übernommen haben das Meißner und das Silleiner Rechtsbuch die Bestimmungen zur Königswahl. Der Holländische Sachsenspiegel hat durch Kürzung die einschlägigen Paragraphen auf Ssp. Ldr. III 52 und III 57 § 2 reduziert, während III 57 § 1 und andere, nur mittelbar für die Königswahl entscheidende Paragraphen wegfallen. 2. Mitteis’ drei Säulen des deutschen Sonderwegs Wohl kaum ein Paradigma hat die deutsche Verfassungsgeschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr geprägt als die von Heinrich Mitteis begründete Lehre vom deutschen Sonderweg der mittelalterlichen Ver335 Weiland, Martini Oppaviensis Chronicon, S. 466: „[. . .] institutum fuit, ut per officiales imperii imperator eligeretur. Qui sunt 7, videlicet 3 cancellarii, scilicet Maguntinus cancellarius Germanie, Treverensis Gallie et Coloniensis, Ytalie, marchio Brandeburgensis camerarus, Palatatinus dapifer, dux Saxonie ensem portans, picerna rex Boemie. [. . .]“ 336 Wolf, Hákonar saga. In der Tat weist bereits Sjöstedt, Hakonarsagans, S. 394 darauf hin, dass eine eindeutige Datierung nur für den Text bis einschließlich cap. 275 möglich sei. 337 Vigufsson, Icelandic Sagas, S. 311–312 (cap. 304). 338 Vgl. nur den letzten Beitrag von Erkens, Deuten und Verstehen, als Reaktion von Wolfs Besprechung seiner Studie in der ZRG GA 120 (2003), S. 535 f.
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fassungsentwicklung im Reich. Er geht von drei spezifischen Verfassungsneubildungen aus, die den Sonderweg des Reiches in der gesamteuropäischen Entwicklung begründet hätten. Dieser These zufolge sei die Ausbildung einer monarchischen Zentralgewalt im Reich maßgeblich durch die Heerschildordnung, die Entstehung des so genannten „jüngeren Reichsfürstenstandes“ und den Leihezwang für heimgefallene Fahnlehen verhindert worden. Initialereignis sei dabei der Prozess gegen Heinrich den Löwen im Jahre 1180 gewesen.339 Die in Ssp. Ldr. I 3 § 2 und Lnr. 1 grundgelegte und in den Bilderhandschriften farbenprächtig visualisierte „Heerschildordnung“ ist geradezu ein „Topos“ gegenwärtiger Mittelalterbilder, in dem idealtypische Vorstellungen von der Verfassungswelt des Alten Reiches bildlich greifbar werden.340 Die juristische Literatur der Frühneuzeit hat diese große Bedeutung offenbar noch nicht gesehen; Grupens unveröffentlichen Studie „De Heroschildo“ betrat weitestgehend wissenschaftliches Neuland.341 Die noch immer einschlägige, wenn auch nicht widerspruchslos gebliebene Untersuchung zur Heerschildordnung hat Ficker vorgelegt. Dieser nahm trotz einer Reihe von Abweichungen im Einzelfall eine grundsätzliche Treue der Berichterstattung in den Rechtsbüchern und späteren Zeugnissen an; die Heerschildordnung des Sachsenspiegels sei im Hochmittelalter in der Tat ein allgemein anerkanntes Prinzip gewesen.342 Bereits seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert aber seien erste Auflösungserscheinungen bis zum völligen Verfall dieses Prinzips an der Schwelle zur Neuzeit auszumachen.343 Diese Lehre hat trotz einiger Detailkritik die Ansicht der deutschen Verfassungsgeschichte über rund ein Jahrhundert hinweg geprägt. Erst Krieger konnte nachweisen, dass die Vorstellung von der Heerschildordnung nicht nur im Hoch-, sondern bis weit ins Spätmittelalter hinein in seinen Grundsätzen das politische Denken im Reich prägten.344 Einen neuerlichen Vorstoß gegen die Vorstellung der Heerschildordnung hat die englische Historikerin Susan Reynolds in ihrer viel beachteten Studie „Fiefs and Vassals“ unternommen.345 In der 339
Mitteis, Staat, S. 257–263. Boockmann, Lehnspyramide. 341 Celle, StdA, Nachlass Grupen, Bestand C, Nr. 4, fol. 447v–451r. 342 Ficker, Heerschild; jüngst noch Eckhardt, Heerschildordnung. 343 Ficker, Heerschild, S. 224 ff. 344 Krieger, Lehnshoheit, S. 127–137. 345 Reynolds, Fiefs and Vassals, bes. S. 454–456. Zur kontroversen Aufnahme dieses Buches vgl. nur die knappe, aber positive Besprechung von Brigitte Kasten im DA 51 (1995), S. 307, die abwägende, weitgehend aber vor allem deskriptive Rezension von Kurt-Ulrich Jäschke in der ZRG GA 116 (1999), S. 523–525 und den ausgesprochen kritischen Johannes Fried im German Historical Institute London Bulletin 19, 1 (1997), S. 28–41 [vgl. dazu auch die Replik von Reynolds, ebd., 19, 2 (1997), S. 30–40]. Ausführlicher hat sich mit Reynolds Thesen auch Magnou-Nor340
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deutschen Forschung sind ihre Einwände aber weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Als zweite Säule führt Mitteis den ebenfalls von Ficker grundlegend untersuchten jüngeren Reichsfürstenstand an.346 Diese Lehre vom Reichsfürstenstand, die im Wesentlichen lehnrechtliche Fragen berührt und damit an sich außerhalb des Betrachtungsrahmens der vorliegenden Untersuchung liegt, ist gerade unter rezeptionsgeschichtlichen Fragestellungen für die Rechtsbücherforschung interessant geworden: Fehr nämlich vertrat gegen Ficker die Ansicht, dass erst im 13. Jahrhundert das Lehnsfürstentum durch das Amtsfürstentum verdrängt worden sei, die Grafen im in dieser Hinsicht dualistisch verfassten Sachsenspiegel mithin durchaus noch als Fürsten galten und erst in der Redaktion durch den Schwabenspiegel klar aus dem Fürstenstand ausgeschieden seien.347 In einem engeren, technischen Sinne begreife Eike nur die Inhaber von Fahnlehn als Reichsfürsten, in einem weiteren, amtsrechtlichen Sinne aber auch alle Grafen als Fürsten. Fehrs Vorgehen, ausschließlich aus dem Sachsenspiegel selbst heraus zu argumentieren und lediglich in einem Anhang auf die Änderungen im Schwabenspiegel einzugehen, das Stutz lobend als „in erster Linie juristisch und konstruktiv“ bezeichnet hat,348 muss in seinem Positivismus allerdings Zweifel gegenüber der Verallgemeinerbarkeit seiner Ergebnisse zulassen. Dagegen hat Ferdinand Güterbock recht glücklos versucht, Fickers „wohlbegründete Auffassung“ wieder zu festigen.349 Die Lehre vom Leihezwang,350 derzufolge der deutsche König heimgefallene Fahnlehen binnen Jahr und Tag wieder auszugeben gehabt habe, begriff Mitteis als besonders „krankhafte Entartung“351 des deutschen Königtier, La féodalité en crise, auseinandergesetzt. Den Globaleinwand gegen Reynolds’ Ansatz hat jüngst sehr klar Esders, Friedrich II, S. 68 formuliert, wenn er bemerkt, dass die dadurch „angeregte neuerliche Diskussion über das Lehenswesen [. . .] in ihrer einseitigen Fixierung auf das Lehenswesen als Konstrukt an der Frage der Modernität dieser Einrichtung vorbeigeht.“ 346 Ficker, Reichsfürstenstand. Als Überblick zur Forschungsgeschichte vgl. Krieger, Lehnshoheit, S. 156–173 sowie Heinemeyer, König und Reichsfürsten. 347 Fehr, Fürst und Graf im Sachsenspiegel. Ähnlich hat im Übrigen auch Bruckauf, Fahnlehn, bes. S. 3–18 argumentiert, sich allerdings praktisch ausschließlich auf das Fürstentum der Grafen von Anhalt gestützt, so dass seine Darlegung kaum allgemeinen Anspruch erheben kann. 348 Ulrich Stutz’ Rezension in der ZRG GA 27 (1906), S. 408–413, hier S. 413. 349 Güterbock, Neubildung. 350 Der Begriff wohl erstmals bei Brunner, Leihezwang, wo er allerdings – das hat Mitteis in der Besprechung von Gunias Arbeit in der ZRG GA 59 (1939), S. 399–407, hier S. 402 zu Recht festgestellt und ergibt sich auch aus der in S. 554, Anm. 353 genannten Literatur – „als etwas längst Bekanntes behandelt“ wird. 351 Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 461.
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tums.352 Grundlage dieser Ansicht waren vor allem die einschlägigen Bestimmungen der Spiegelrechte, also Ssp. Ldr. III 53 § 3; Ldr. III 60 § 1 und Lnr. 37 sowie die entsprechenden Schwabenspiegel-Kapitel L 121c und L 132b. Nachdem die älteste Forschung die Annahme eines Leihezwanges weitgehend abgelehnt und die Bestimmungen der Rechtsbücher für später hoheitlich abgeschafft erklärt hatte,353 ist sie um die Mitte des 19. Jahrhunderts, vor allem durch die Autorität Eichhorns, wieder aktualisiert und von Mitteis schließlich zu einer zentralen Lehre der deutschen Verfassungsgeschichte erhoben worden.354 Auch die Berliner Dissertation von Herbert Gunia, die erstmals grundliegendere Kritik an der Mitteisschen Konzeption äußerte und dem Satz erst im 15. Jahrhundert reichsrechtliche Geltung zusprechen wollte, konnte die breite Zustimmung zunächst nicht erschüttern.355 Die Geschichte der älteren Debatten hat Werner Goez in seiner Tübinger Dissertation detailiert nachgezeichnet, so dass weitere Ausführungen zu älteren Arbeiten an dieser Stelle unterbleiben und wir uns auf die wenigen, aber wichtigen neueren Beiträge beschränken können.356 Gegen die bis dahin weitgehend geltende Ansicht kommt Goez zu der Überzeugung, die Diskrepanz zwischen dem Leihezwang der Rechtsbücher und der urkundlich greifbaren Vergabepolitik der deutschen Könige durch die Ausdeutung des Wortes „ledig“ im Sinne von „frei“ auflösen zu können.357 Demzufolge habe es – von erbrechtlichen oder vertraglichen Zwängen abgesehen – keinen Leihezwang beim Heimfall von Fahnlehen gegeben, sondern bespreche der Sachsenspiegel hier lediglich den Normalfall, das Freiwerden eines Lehens, das der König binnen Jahr und Tag wieder neu zu investieren habe. Über die Lehnsfolge, sei sie vertraglich oder erbrechtlich, werde dabei nichts ausgesagt. Dieser Deutung hat sich Droege angeschlossen.358 Vehementen Widerspruch hat Goez dagegen bei Hans-Georg Krause gefunden, der die Diskrepanz des Satzes vom Leihezwang zur zeitgenössischen Verfassungswirklichkeit zwar eingestand, nach eingehender Exegese den Begriff „ledig“ aber dennoch ausschließlich auf den Heimfall bezogen wissen 352 Vgl. Mitteis, Lehnrecht und Staatsgewalt, S. 442 ff., ferner ders., Staat, S. 336–338 zum fehlenden Leihezwang in England und Frankreich. 353 Vgl. nur Heinrich, Reichsgeschichte, Bd. 4, S. 462 f.; Biener, Commentarii, Bd. 2, S. 185–187 oder Lüning, Corpus iuris feudalis, Bd. 1, S. 51–53. 354 Dazu besonders Diestelkamp, Mitteis, S. 18 f. 355 Gunia, Leihezwang, S. 15 und S. 75 spricht für die frühere Zeit von „Leihebrauch“. Vgl. auch die umfassende Kritik von Mitteis in der ZRG GA 59 (1939), S. 399–407. 356 Goez, Leihezwang, S. 5–16; zu neueren Forschungen vgl. auch Krieger, König, Reich, S. 80–84. 357 Goez, Leihezwang, S. 237–250. 358 Droege, Landrecht und Lehnrecht, S. 65 f.; ebenso – explizit gegen HansGeorg Krause – Hoek, Rechtsboek, S. 116 und S. 163 (Fn. 129).
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wollte. Den Reichsfürstentümern schreibt er dabei im Gedankengebäude des Spieglers die Funktion der „membra imperii“ zu. Als fixe Größe der Reichsverfassung seien sie auf diese Weise einer Infragestellung durch das Königtum durch Einbehaltung ins Reichsgut entzogen.359 Krieger hat es dann unternommen, die Lehre vom Leihezwang in den Kontext der staufischen Lehnspolitik einzuordnen.360 In weiterer Ausformung der Goezschen Ergebnisse spricht er von einer „Ermessensentscheidung des Königtums zu Gunsten des Reichslehnswesens als Herrschafts- und Organisationsprinzip“.361 Die letzten Untersuchungen zum Leihezwang hat vor rund zwanzig Jahren Hartmut Leppin vorgenommen, der sich im Ergebnis wieder auf die Seite von Goez gestellt hat.362 An anderer Stelle hat Leppin zeigen können, wie der Illustrator der Bilderhandschrift X „den Satz vom Leihezwang für die Illustrierung weiterdachte“.363 Der abstrakte Satz wird durch die konkrete Folge, durch einen Lehnsprozess, visualisiert. Betrachtet man den für die Lehre vom Leihezwang einschlägigen Passus im Sachsenspiegel (Ldr. III 60 § 1) mit Blick auf seine Rezeptionsgeschichte in den späteren Rechtsbüchern, lässt sich, wie so oft beim Königsrecht, feststellen, dass die Mehrzahl der Rechtsbücher ihn nicht übernehmen. Das Meißner Rechtsbuch (VI 13 § 2) bemüht sich gegenüber der vagen Formulierung des Sachsenspiegels („ledich hebben“) scheinbar um eine Präzisierung, wenn es festsetzt, der Kaiser solle „ouch keyn vanlen ledigk lassen adder behalden iar unde tagk“. Diese Formulierung spricht durch die Hinzufügung des Wortes „behalden“ deutlich für ein anderes Verständnis von Ledig-Werden als Goez es vorgeschlagen. Bemerkenswert ist ferner, dass der Schwabenspiegel den in den Illustrationen der Codices picturati, nicht aber im Text des Sachsenspiegels dargestellten Rechtsstreit im Falle einer Verletzung des Grundsatzes vom Leihezwang durch den König tatsächlich ausformuliert. Er geht sogar noch über diesen Gedanken hinaus, indem er den Pfalzgrafen bei Rhein zum Richter eines solchen Prozesses macht.364 3. Rechtshilfe oder Widerstandsrecht? Es ist zur Zeit einhellige Meinung der Forschung, in Ssp. Ldr. III 78 § 2 („Die man mut ok wol sime koninge unde sime richtere unrechtes weder359 360 361 362 363 364
Krause, Leihezwang, S. 96. Krieger, Lehnshoheit, S. 375–386. Krieger, Lehnshoheit, S. 390. Leppin, Leihezwang. Leppin, Leihezwang in den Bilderhandschriften, S. 292. Leppin, Leihezwang in den Bilderhandschriften, S. 293.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
stan, unde san helpen weren to aller wis, al sie he sin mach oder sin herre, unde ne dut dar an weder sine trüwe nicht.“) ein verbrieftes Widerstandsrecht gegen das Unrecht von König und Richter zu erblicken. Zwar hat bereits Molitor festgestellt, diese „Pflichtenkollision aus Landrecht, Lehnrecht und Familienrecht“ wolle nicht in den von ihm rekonstruierten „Gedankengang des Sachsenspiegels“ passen,365 daraus jedoch keine weiteren Schlüsse gezogen. Die herrschende Lehre hat dann vor allem Fritz Kern in seinem viel rezipierten Werk über „Gottesgnadentum und Widerstandsrecht“ begründet.366 Für ihn schien ein solches Widerstandsrecht „integrierende[r] Bestandteil der germanisch-mittelalterlichen Staatsauffassung“.367 Hans Fehr deutete die Sachsenspiegelstelle gar als ein ausgewiesenes Revolutionsrecht zur Wiederherstellung der Friedensordnung.368 Weizsäcker wandte gegen diese bereits früher geäußerte Ansicht ein, es sei „eben nur die Rede vom Widerstand im einzelnen Unrechtsfall, aber nicht von Absetzung“,369 stellte aber die Existenz eines Widerstandsrechtes in Ldr. III 78 § 2 nicht grundsätzlich in Frage. Dagegen hat Zeumer in einem erst posthum durch Kern veröffentlichten Aufsatz die These aufgestellt, der Spiegel setze an dieser Stelle kein Widerstandsrecht, sondern ein Rechtshilfegebot. Er nimmt eine Inversion der Wörter „helpen“ und „weren“ an, die er auf „nachlässige Konstruktion“ des Spieglers zurückführt.370 Durch diese zunächst als Kunstgriff erscheinenden Hypothese gewinnt er ein Deutungskonzept, das den Zusammenhang von § 2 mit dem unmittelbaren Kontext weit unproblematischer herstellen lässt: Demzufolge thematisiere Ldr. III 78 als Ganzes das Konfliktfeld zwischen Rechtsausübung und Treuepflicht. Dabei entbinde § 1 die rechtssichernde Instanz von der Treuepflicht, § 2 die Rechtshilfeleistenden. Die Paragraphen § 3 bis § 6 stellten daraufhin die Fälle der zulässigen Rechtshilfe dar, die einen potentiellen Konflikt zwischen Rechts- und Treuepflichten bergen. Die Idee an sich war nicht neu; bereits Planck hatte eine ähnliche Interpretation vorgeschlagen, ohne jedoch die Problematik der ersten Satzhälfte zu berücksichtigen.371 Gestärkt wird Zeumers Argumentation durch die Rezeption der Passage im Schwabenspiegel. Dort nämlich heißt es: „ein ieglich man sol dem künige und andern rehtes gerihtes helfen, swa si daz zu gela365
Molitor, Gedankengang, S. 49. Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 167 f., S. 187. 367 Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, S. 169. 368 Fehr, Staatsauffassung, S. 158 – vgl. auch ders., Widerstandsrecht. Mit marginaler Kritik ebenso auch Bracht, Grundfragen, S. 30. 369 Weizsäcker, Pfalzgraf, S. 34. 370 Zeumer, Widerstandsrecht, S. 72. 371 Planck, Gerichtsverfahren, Bd. 1, S. 112. 366
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den werdent mit rehte, wider sinen herren und wider sinen mag, und tut wider sine triwe nit.“ (L 151). Dieser Ansatz ist von der Forschung nicht aufgenommen worden.372 Selbst Ignor, der ansonsten recht unbarmherzig mit unhinterfragten Überzeugungen der Sachsenspiegelforschung ins Gericht gegangen ist, gesteht ohne weitere Begründung ein, dass zweifellos ein Widerstandsrecht „im Sachsenspiegel zu finden und seine Bedeutung nicht herunterzuspielen“ sei.373 Lediglich Hoeck möchte Zeumers Alternativdeutung zumindest nicht ausgeschlossen wissen,374 und der Kern-Schüler Robert Scheyhing parallelisiert zwar Ssp. Ldr. III 78 mit cap. 131 der Gengler-Ausgabe des Schwabenspiegels (= L 151), enthält sich aber eines Urteils über das Verhältnis von Treuepflicht gegenüber Herrschaft und Amtspflicht.375 Eindeutig hat schließlich Rotermund sich in seiner hochdeutschen Übertragung des Landrechts für diese Interpretation entschlossen, auch hier freilich ohne Bezug auf Zeumer.376 Kroeschell stellt sich das Widerstandsrecht im Zusammenhang mit der lehnrechtlichen Bindung an den König vor; es wurzele „in den vom Vertragsdenken geprägten lehnrechtlichen Grundlagen des mittelalterlichen Ständestaates“.377 Dem kann entgegengehalten werden, dass zwar der Kö372 Kern, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht, fügte der Neuauflage seines Werkes (Leipzig 1916) im Anhang XVII (S. 372–376) eine ausführliche Widerlegung des Zeumerschen Beitrages bei, die offenbar breite Aufnahme gefunden hat. Mir scheinen seine Argumente durchaus nicht tragfähiger als die von Zeumer. 373 Ignor, Rechtsdenken, S. 44. Gegen wen sich der Ausdruck „herunterspielen“ richten mag, ist mitunter nicht eindeutig festzustellen, da weder Zeumers noch Hoecks Beitrag in Anmerkungen oder Literaturverzeichnis nachgewiesen sind. Ebenfalls ohne nähere Begründung schließt sich Dollmann, Sachsenspiegel und Coutumes, S. 141–143 der Widerstandsdeutung an. 374 Hoeck, Rechtsboek, S. 153 f., Fn. 33: „[. . .] M.i. is niet bewezen dat Zeumer ongelijk had. De verluchting kan in elk geval niet meer als argument tegen zijn opvatting gebruikt worden [. . .]“. 375 Scheyhing, Eide, S. 111. 376 Rotermund, Sachsenspiegel, S. 125: „Der Mann soll ferner seinem Könige und seinem Richter helfen, dem Unrecht zu widerstehen, und ihnen auf alle Weise beistehen, sei es auch gegen die eigenen Verwandten oder den Herrn: die Treue bricht man dadurch nicht.“ 377 Kroeschell, Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 228–230. In dieser Hinsicht auch Haiminsfeld, Collectio, Prolegominum de Speculo Saxonum (unpag., erster Teil): „Eadem, d. lib 3. artic. 78: Caute intelligi debet § iste, nec ita grosse, ut in se sonat, &c. Vasallus contra dominum sententiam invenire non poest; quod tamen toler abilius est, quam quod dominum detinere debeat. Si ergo ei facere non licet, quod est minus, nec ei lucebit id, quod est maius, ut Instit. quib. alien. licet vel non. & ff. de regul. iur. l. non debet. Etiam habetur detineret, ut hic textus disponit. Habetur etiam 22. q. ult. de forma, quod vasallus dominum tueri debetab omni damno, quod antiquiore: sed Ius Feudale posterius est Saxonico: quare istud non derogat illi. Di-
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nig, nicht aber der Richter, den Ldr. III 78 § 2 ebenfalls ganz explizit mit einschließt, zum Personal des Lehnrechts gehört. Im gesamten sächsischen Lehnrecht wird der Richter nur drei mal und jedes Mal explizit als „landes richter“ genannt.378 Man wird diese Feststellung zunächst nicht überbewerten dürfen, trifft sie doch in gewisser Weise zum generellen Befund für das hohe (und teilweise durchaus noch für das späte) Mittelalter, der sich mit einer klaren Unterscheidung der Lehnsgerichtshöfe oftmals schwer tut.379 Dennoch können wir uns diese Stelle nur dann lehnrechtlich erklären, wenn wir „Richter“ als etwas unpassendes Synonym für einen weltlichen Herrschaftsträger annehmen dürfen: Selbst über Lehen von Eigen bleibt der König oberster Richter.380 Landrechtliche Hochgerichtsbarkeit dagegen wird durch Gerichtslehen übertragen und erlangt durch den Königsbann seine Legitimation (Ssp. Ldr. III 52 § 2; Ldr. III 64 § 5). Das trifft auch zu der Beobachtung Ignors, dass im Sachsenspiegel die Fürsten nicht als Landes-, sondern als Gerichtsherren, als Inhaber von Gerichtslehen auftreten.381 So könnte man Kroeschells Deutung durchaus noch plausibel machen, ist aber auf die Hilfsannahme angewiesen, der in Ldr. III 78 § 2 gemeinte Richter sei zugleich Nehmer des Gerichtslehen und dem Gericht Unterworfene ihm auch lehnrechtlich verbunden. Noch kurz vor seinem Tod hat Ernst Schubert den Königsabsetzungen des hoch- und spätmittelalterlichen Reiches eine umfang- und materialreiche Monographie gewidmet.382 Bemerkenswerterweise kommt die der früheren Forschung so einschlägige „Widerstandsstelle“ Ldr. III 78 § 2 in Schuberts gesamter Studie kein einziges Mal vor, wohingegen die Paragraphen zur Königswahl, zum Verhältnis des Papsttums zum Kaisertum und zur rechtmäßigen Absetzung des Königs durch die Kurfürsten („Pfalzgracunt etiam quidam, quod Ius Feudale derogaret huic: quia lex posterius constituta, quae est contraria priori, derogat illi, &c. – Glossa hoc loco respicit ad Carolum Magnum, a quo praesumit hoc Ius Saxonicum provinciale, quod ille Privilegum Saxonum appellat, esse constitutum; & ideo vetustius esse Iure Feudali, quod a Friderico Imperator originem ceperit, ut patet ex sequentibus verbis.“ 378 Ssp. Lnr. 23; Lnr. 55 § 8 und Lnr. 76 § 2. Zudem wird in Ssp. Lnr. 69 § 8 der König als Richter „over jewelkes mannes hals unde over egen unde over len“ genannt. Bemerkenswerterweise übersetzt Schott, Sachsenspiegel, S. 343 die Stelle Lnr. 76 § 2 ohne nähere Begründung und ganz offenbar gegen den Text: „vor seinem Lehenrichter“. 379 Diestelkamp, Mitteis, S. 265 f.; Reynolds, Fiefs and Vassals, S. 454; Krieger, Lehnshoheit, S. 511–555. 380 Vgl. dazu auch Kroeschell, Sachsenspiegel als Land- und Lehnrechtsbuch, S. 20 f. 381 Ignor, Rechtsdenken, S. 302. 382 Schubert, Königsabsetzung – zum Sachsenspiegel vgl. dort S. 88–90, S. 229–246 u. ö. (vgl. das Register auf S. 610). Aus der neueren Literatur vgl. außerdem Isenmann, Widerstandsrecht, und Moeglin, Chute et mort.
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fengericht“) ausführlich behandelt werden. Nur an einer Stelle, im ersten Absatz seines Kapitels zu der Frage „Gab es rechtliche Legitimierung eines Widerstandes gegen den König?“, stellt Schubert lakonisch fest: „Weder der Sachsenspiegel noch der Schwabenspiegel formulieren ein solches Recht.“383 Schließlich hat sich jüngst noch Kannowski ausführlich mit der Frage des Widerstandsrechts im Sachsenspiegel beschäftigt und der herrschenden Lehre angeschlossen.384 Als Argumente kann er anführen, dass sowohl die Bilderhandschriften als auch der Glossator Buch den fraglichen Paragraphen so verstanden haben.385 Das ist ein gutes, keineswegs aber ein zwingendes Argument, denn mit gleichem Recht könnte man anführen, der Redaktor des Schwabenspiegels habe ihn (möglicherweise) auf Zeumers Weise verstanden. Welchem unter den Zeitgenossen also will man mehr Deutungshoheit zugestehen? Zudem können gerade die Ausführungen des Glossators, der das Widerstandsrecht zwar eindeutig aus Eikes Worten herausliest, sich eine solche Regelung aber im Grunde nicht vorstellen kann und deshalb eine Hilfserklärung heranziehen muss, ebenso als Indiz für die Gegenposition herangezogen werden.386 Zunächst kann man versuchen, das Problem textimmanent anzugehen. Zu fragen wäre also, ob sich an anderer Stelle im Landrecht syntaktisch parallele Konstruktionen finden lassen. Dieses Verfahren ist angesichts der unterschiedlichen Textschichten des uns heute in den Editionen zur Verfügung stehenden Vulgattextes natürlich mit einer Reihe textkritischer Probleme behaftet, aber zunächst einmal nicht prinzipiell unmöglich. Stellen wir für einen kurzen Moment diese Bedenken hintan und lassen uns auf die textimmanente Analyse ein, so lässt sich feststellen, dass der erweiterte Infinitiv in dieser Konstruktion durchaus auch an anderen Stellen des Sachsenspiegels, sogar noch im selben Artikel, wenige Zeilen später („helpen breken“, Ssp. Ldr. III 78 § 4), auftritt. Bislang ist keiner der Paragraphen von Ldr. III 78 als spätere Interpolation gehandelt worden. Wollten wir das tun, so würden sich ganz neue, spannende Hypothesen über die Herkunft auch des fraglichen § 2 ergeben. Darauf wollen wir uns aber an dieser Stelle nicht einlassen, zumal kein weiterer Hinweis darauf bestünde, im Ssp. Ldr. III 78 383 Schubert, Königsabsetzung, S. 99 – Zeumers Beitrag erscheint auch erst gar nicht in Schuberts umfangreichem Literaturverzeichnis, sodass vermutet werden darf, dass sich die Diskussion für ihn nicht stellt. 384 Kannowski, Umgestaltung, S. 251–258 und S. 327–331; zu den Ausführungen der Glosse vgl. auch Schilling, Objektives Recht, S. 46 ff. 385 Johann führte aus, ein solches Widerstandsrecht sei zwar grundsätzlich, nicht aber gegen den römisch-deutschen König vorstellbar, sondern lediglich gegenüber „sunderlike als den van Behemen oder van Dennemarken“; vgl. Kaufmann/Lieberwirth, Landrechtsglosse, Bd. 3, S. 1459 f. 386 Das bestreitet explizit Kannowski, Umgestaltung, S. 255 f.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
oder seinen einzelnen Sätze Interpolationen erblicken zu wollen. Wir halten fest: Es besteht insgesamt kein Zweifel, dass „helpen weren“ mit „helfen abzuwehren“ zu übersetzen ist. Fraglich ist nun, ob „wederstân“ ebenfalls als Infinitiv derselben Konstruktion („helfen, zu widerstehen und abzuwehren“) oder als eine aktive Verbform der dritten Person Singluar („widerstehen und helfen abzuwehren“) zu werten ist. Erstere Deutung würde Zeumers Interpretation unterstützen, letztere spräche für die herrschende Forschungsmeinung des Widerstandsrechts. Ferner bleibt nach dem Bedeutungsumfang des Wortes „wederstân“ zu fragen. Dass es nicht im Sinne eines formaljuristischen Widerspruchrechts auf dem Rechtswege, beispielsweise im Sinne einer Appellation oder Urteilsschelte, zu verstehen ist, dürfte unzweifelhaft sein; die Rechtssprache kennt hierfür eine Reihe anderer Vokabeln, wie „wederspreken“, „wederreden“ oder „scelden“. Auch inhaltlich wird die Urteilsschelte im Sachsenspiegel an gänzlich anderer Stelle berührt und würde gegenüber dem König als Quelle aller Gerichtsbarkeit kaum Sinn machen. Es muss sich bei „wederstân“ also um eine andere, vielleicht eine allgemeinere Form von Widerstand gegen etwas oder jemanden handelt. Der Sachsenspiegel selbst gibt darauf freilich keinen weiteren Hinweis, ebenso wenig wie für unsere Frage nach der Auflösung der Konstruktion „helpen weren“. Verlassen wir also Eikes Landrecht und werfen einen Blick auf den Sprachgebrauch anderer mittelalterlicher Quellen. Das ist ein methodisch mehr als gewagtes Unterfangen. Gerade hier zeigt sich aber, wie unfruchtbar die analytisch-exegetische Diskussion am Text des Sachsenspiegels sein kann. Letztendlich ist nämlich die Frage, ob Eike an bewusster Stelle ein Widerstandsrecht gegen König und Richter vorschwebte, kaum zu beantworten, der Sache nach aber auch von zweitrangiger Bedeutung. Viel interessanter dürfte für uns doch sein, ob die Zeitgenossen und die späteren Generationen, denen der Sachsenspiegel noch aktive Rechtsbelehrung war, sich ein solches Widerstandsrecht haben vorstellen können. Dass Johann von Buch beispielsweise das nicht konnte, haben wir bereits erwähnt. Deshalb bleibt es auch zunächst einmal gar nicht so abwegig, zu fragen, ob ein Leser aus einem vollkommen anderen sprachlichen Umfeld die bewusste Stelle auf solche oder andere Art hätte lesen und verstehen können. Der Blick in die Verwendung des fraglichen Vokabulars in anderen Quellen des Mittelalters wird also weniger fragwürdig als es auf den ersten Blick scheint, obschon wir uns selbstverständlich nicht mehr als Hinweise, möglicherweise sogar nur Hinweise auf die Unmöglichkeit der Beantwortung unserer Frage, erhoffen dürfen. Wagen wir also einen kurzen Blick: Belegt ist eine allgemeine Bedeutung des Wortes „wederstân“ zum Beispiel in Kontext von militärischem
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Widerstand,387 für gewöhnlich im Übrigen in einer Dativ- oder Genitivkonstruktion.388 Nur das Bremer Stadtrecht gibt bereits in seiner ältesten Textschicht von 1303 „wetherstan“ in einem juristischen Kontext, allerdings hier – und auch das ist bemerkenswert – mit dem Akkusativ.389 Eine für unsere Frage besonders interessante Stelle gibt der „Grote Breff“ von Warburg (1436), der bestimmt, dass „[t]welff bederve man de des werdich syn de dar Raden schollen unde des slottes unde erer Borgere beste don unde deme unrechten wederstan unde dat weren nach alle erer macht“, und in genau diesem Kontext auch die Bürgerschaft in die Pflicht zur Rechtshilfe setzt: „[. . .] unde se schold deme Rade alle truweliken helpen raden to der stad beste unde nutte na eren witten unde synnen unde unrecht helpen weren nach alle erer macht“.390 Schließlich finden sich noch zwei Belege aus Oldenburg. In der einen Urkunde verpflichtet sich die Bürgerschaft, den Feind „helpen weren myt lyve unde myt goede na alle unse vormoge.“391 Und in einer späteren Urkunde: „[. . .] unsere driger lande myt lyve unde myt goede helpen weren, wäre wy können unde mögen.“392 Beides also Belege für eine Anwendung der Konstruktion im Sinne Zeumers, ohne die dafür von ihm angenommene Inversion der Worte „weren“ und „helpen“ überhaupt notwendig erscheinen zu lassen. Nach allgemeinen Erwägungen, mit denen auch die Befürworter der Lehre vom Widerstandsrecht zu argumentieren genötigt sind, kann also durchaus auch Zeumers Deutung plausibel gemacht werden. Zu fragen bleibt, ob auch die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung der deutschen Rechtsbücher weitere Indizien beibringen kann. Von der eindeutigen Umformung des Schwabenspiegels war bereits die Rede. Berthold von Freiburg, auf den der Schwabenspiegel aber in dieser Ausführlichkeit diesmal nicht zurückgreift, führt die Magschaft, gegen die der Mann gegebenenfalls zur Hilfe verpflichtet ist, im Einzelnen aus: Der Mann müsse dem Herrn „helffen mit leib und mit gut zu rechten sachen / wider kind / wider brüder / und wider freund und magen und wider allmängclich“.393 Nicht min387 UrkB Berlin IV, Bd. 4, S. 16 (1338.X.29): Markgraf Ludwig verpflichtet sich, außer in den genannten drei Notstandssituationen keine Steuer zu erheben: „[. . .] ane drier hande noth, by nahme: oft wi gefangen worden, oft wi einen howetstriet verloren oder oft unß ein here so mechtich in dat land toge, dat wi eme nicht wederstan en mochten.“ 388 Vgl. nur Pfeiffer, Marienlegenden, S. 172 („des widerstûnt ime nieman“) oder Bartsch, Berthold von Holle (Crane, V. 3825: „ich will im strîdes wederstân“). 389 Eckhardt, Rechtsquellen der Stadt Bremen, S. 40 (I 1, Z. 24). Übrigens gibt auch das Bremer Stadtbuch hier „wetherstan“ in Verbindung mit „mit life vnd goute“. 390 Marré, Großer Brief. 391 Rüthning, UrkB Oldenburg, Bd. 4, S. 164 (1449.I.8). 392 Rüthning, UrkB Oldenburg, Bd. 4, S. 200 (1461.VII.20). 393 Zit. nach Stanka, Berthold von Freiburg, S. 74.
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
der eindeutig fasst die komprimierte Regel im Glogauer Rechtsbuch Ssp. Ldr. III 78 § 2 als Widerstandsrecht auf: „Eyn iczlich man mag sich seynes herren ader seynes richters wol weren mit rechte.“394 Die anderen Rechtsbücher übernehmen die Stelle entweder wörtlich oder stoßen sie gänzlich ab. Beim Livländischen Spiegel ist der Befund nicht eindeutig, denn Bunge hat die Fehlstellen in seiner Vorlagehandschrift nach dem Sachsenspiegel emendiert.395 Bemerkenswert bleibt aber, dass hier der König durch den Bischof ersetzt worden ist. All diese Ausführungen bleiben Glieder einer Indizienkette. Eine Entscheidung, ob Ldr. III 78 § 2 tatsächlich ein Widerstandsrecht beinhalte, möchte ich auf dieser Grundlage nicht fällen. Man wird Brunners Feststellung beipflichten müssen: „Die Antwort auf die Frage, wieso“ – ich ergänze: ob überhaupt überall und durch das gesamte Mittelalter hindurch – „rechtmäßiger Widerstand gegen den Herrscher möglich ist, wird nicht aus der Art des mittelalterlichen Rechtsdenkens heraus allein beantwortet werden können, sondern kann nur in einer Darstellung des ganzen inneren Baues der mittelalterlichen Welt gegeben werden.“396 Als Befund der Untersuchung muss aber nachdrücklich festgehalten werden, dass auch die Ansichten der Zeitgenossen und damit das Verständnis, das sie der bewussten Sachsenspiegelstelle entgegen brachten, durchaus unterschiedliche sein konnten. Daran und nicht an der exegetischen Frage, ob ausgerechnet Eike sich ein Widerstandsrecht habe vorstellen können, wird sich der Fragehorizont in Zukunft zu orientieren haben. 4. Königliche Gerichtsbarkeit und Königsprivilegien Im vorhergehenden Kapitel ist bereits vom König als Richter die Rede gewesen. Grundsätzlich geht für Eike noch alle Gerichtsbarkeit vom König aus (Ssp. Ldr. III 26 § 1; Ldr. III 58 § 2). Im Verlauf des Spätmittelalters nahmen aber im Rahmen des Territorialisierungsprozesses die Bestrebungen zu, die königliche Gerichtsbarkeit so weit als möglich zurückzudrängen und die höchstrichterlichen Kompetenzen an die Landesherrschaft zu binden. Für den sächsischen Raum hat das Heiner Lück eingehender untersucht.397 Dieser Prozess lässt sich nun auch rezeptionsgeschichtlich in den Rechtsbüchern sehr gut greifen. Er wird sinnfällig in einer einfachen Umdeutung des Satzes aus Ssp. Ldr. III 26 § 1, demnach der König überall ein gemeiner Richter sei, und der nun auf die Landesherrschaft umgeschrieben 394 395 396 397
Wasserschleben, Sammlung, Bd. 1, S. 30 (cap. 231). Bunge, Altlivlands Rechtsbücher, S. 153 (III 49). Brunner, Land und Herrschaft, S. 141. Lück, Zurückdrängung.
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wurde. Im Neumarkter Rechtsbuch beispielsweise tritt an seine Stelle der Herzog, im Livländische Spiegel Land- und Lehnrechts der Bischof. Auch für die Rechtsaufzeichnungen der Grafschaft Oldenburg hat Hülle Gleiches festgestellt, ist aber Nachweise schuldig geblieben.398 Gegenüber der umfangreichen Literatur zum Berg- und Schatzregal des Königs399 ist das Münzrecht des Rechtsbuches kaum beachtet worden.400 Dabei sind die münzrechtlichen Bestimmungen des Sachsenspiegels durchaus eine Betrachtung wert. Das Verbot, neue Münzstätten ohne königliche Zustimmung zu errichten (Ssp. Ldr. II 26 § 4) lässt sich sehr gut an die Geldgeschichte des sächsischen Raumes rückbinden, denn in der Tat legen Münzfunde wie der von Bokel (bei Bevern) nahe, dass in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts eine Reihe von Münzstätten in der engeren Umgebung von Eikes Wirkungskreis neu gegründet wurden.401 Dass diese Neugründungen alle streng gemäß der in Ssp. Ldr. II 26 § 4 formulierten doppelten Zustimmung, nämlich der des (landesherrlichen) Richters wie auch des Königs, von statten gegangen sein sollen, ist schwer vorzustellen. Bestimmter noch gilt das für Ssp. Ldr. III 60 § 2, demzufolge die Münze einer jeden Stadt, in die der König kommt, diesem ledig sein soll. Diese Regelung entsprach bereits zu Eikes Zeiten weder der Verfassungswirklichkeit des Reiches noch dem jüngeren Reichsrecht, denn seit der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220 war diese Regelung für die Fürsten aufgehoben worden, „nisi per octo dies ante curiam nostram ibidem publice indictam et per octo dies post eam finitam“.402 Eckhardt hat darüber hinaus darauf hingewiesen, dass damit nicht erst eine neue Regelung geschaffen wurde, sondern dies vielmehr bereits seit mindestens 1209 den Realitäten entsprach.403 Einzelheiten über die Auseinandersetzungen, die sich an diese Regelung anlagerten, hat vor einigen Jahre noch Jean Baerten zusammengetragen.404 398
Hülle, Geschichte, S. 8. Ich nenne nur Steinbeck, Bergregal; Weiske, Bergregal; Zeumer, Schatz; Arndt, Bergregal; Hettlage, Stellung; Hoffmann, Bergregal; Schmidt, Bergregal; Lehmann, Schatzregal; Eckstein, Schatz- und Fundregal, bes. S. 200 ff.; Schrader, Bergrecht. Die ausladene Literatur zum Bergrecht des Sachsenspiegels gerade im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts liegt wohl zum einen in der regen Tätigkeit von Adolf Zycha begründet, der einen großen Schülerkreis um sich scharen konnte, zum anderen in den noch vitalen rechtspolitischen Interessen nach einem gemeinsamen deutschen Bergrecht. 400 Lediglich Lück, Münzstätte, hat ihm einen kurzen Beitrag gewidmet. Einige wertvolle Beiträge finden sich aber an etwas entlegener Stelle bei Löning, Münzrecht, S. 7–16. 401 Meier, Brakteatenfund, bes. S. 150 f. 402 MGH Const. II, S. (Nr. 73); dt. Übersetzung vgl. S. 112, Anm. 270. 403 Eckhardt, Textentwicklung, S. 50. 399
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E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
Konnte bereits das Münzrecht des Sachsenspiegels kaum das Interesse der Forschung mobilisieren, so gilt das in größerem Maße noch für die münzrechtlichen Bestimmungen der späteren Rechtsbücher. Einzelforschungen liegen bisher nur zum Schwabenspiegel405 sowie in allerersten Ansätzen zur Weichbildvulgata406 vor. Tatsächlich zeigt auch die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung den weitgehenden Wegfall der einschlägigen Bestimmungen aus der späteren Überlieferung. Für Ssp. Ldr. III 60 § 2 fällt das mit dem generellen Trend der Bearbeitung zusammen, die Bestimmungen zum Königsrecht weitgehend auszublenden. Ssp. Ldr. II 26 § 4, dessen funktionaler Gehalt trotz gewisser Probleme in der konkreten Befolgung unbestritten sein dürfte, wird daher noch häufiger übernommen. Es bleibt daher schwer, zu entscheiden, ob der Rückgang münzrechtlicher Bestimmungen in den Rechtsbüchern als einhergehend mit einer Engführung auf deren konkreten Wirkungsbereich, der das Königsrecht in vielen Fällen ausblendet, oder als bewusste, redaktionelle Entscheidung gegen die formulierten Rechtssätze zu werten ist. 5. Papsttum, Kirche und Kirchenrecht Gleiches muss im Großen und Ganzen für die Aussagen der Rechtsbücher über Papstum, Kirche und Kirchenrecht gelten. Bei Eike ist das noch anders. Über seine Stellung zu Kirche und Kirchenrecht ist mit Blick auf seine möglicherweise klerikale Ausbildung, die Zwei-Schwerter-Lehre und die später reprobierten Artikel bereits viel gehandelt worden. Darüber hinaus hat Eduard Eichmann in einem einschlägigen Aufsatz versucht, nachzuweisen, dass eine Reihe von Sätzen des Rechtsbuches, die zuvor für eine kritische Haltung Eikes gegenüber päpstlichen Herrschafts- und Rechtsbildungsansprüchen angeführt worden waren, nicht unbedingt mit der kirchlichen Lehre unvereinbar gewesen seien, der starke Gegensatz mithin ein nachträglich konstruierter sei.407 Es ging ihm darum, des Spieglers grundsätzliche „Einstellung zu Kurie und Kirche“ zu ermitteln. In ihrer Hamburger Dissertation ist dann auch Hildegard Precht einzelnen Schwerpunkten dieser Einstellung nachgegangen, die im Ergebnis Eike als einen „typischen Vertreter des Staates“ – man wird wohl besser sagen müssen: der Staatsidee – seiner Zeit, in dieser Hinsicht etwa vergleichbar mit Otto von Freising, identifiziert.408 Im Vergleich mit Otto betont sie auch Eikes stark ausgeprägten Dualismus, der Kirche und Staat nicht einander un404 405 406 407 408
Baerten, Débat séculaire. Derschka, Münzrechtliche Bestimmungen. Pánek, Marca slavonica. Eichmann, Stellung Eikes. Precht, Stellung Eikes, S. 88 f.
V. Regelungsansprüche gegenüber Reich, Kirche, Welt
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ter-, sondern gleichgeordnet betrachte; beide „haben versucht, die Anschauungen von der Selbständigkeit und Gleichwertigkeit beider Gewalten in ein System zu bringen“. Soweit entspricht diese Ansicht auch heute der communis opinio, sowohl was Eike als auch was Otto angeht.409 Die „laikale Tendenz“ Eikes aber verführt Precht ferner zu einer stark eingegrenzten Datierung der Urform des Landrechts auf die Jahre 1211 bis 1220. Diese trifft sich zwar zunächst mit derjenigen von Eichmann, beruft sich aber bemerkenswerterweise auf eine genau gegenteilige Einschätzung der Person des Spieglers, hatte Eichmann doch die frühe Datierung gerade als Argument gegen Eikes „laienfreundliche Haltung“ ins Feld geführt.410 Beide Ansichten haben argumentative Schwächen. Mit der Feststllung, „daß Eikes persönliche Stellungnahme nicht aus dem Wortlaut eines jeden Artikels zu entnehmen ist, sondern daß zwischen seiner persönlichen Ansicht über das Zusammenwirken von geistlichem und weltlichem Recht und von ihm darzustellenden, geltenden Recht offenbar in einigen Fällen eine Diskrepanz besteht“411 – Precht nennt als Beispiele Ssp. Lnr. 12 § 2 und Ldr. III 52 § 1 – hat die Verfasserin im Grundsatz ihre eigene Arbeit, die es sich gerade zum Ziel gesetzt hatte, jene „persönliche Stellungnahme“ zu ergründen, diskreditiert, will man nicht die Sächsische Weltchronik weiterhin als ein Werk des Spieglers annehmen. Selbst unter dieser Voraussetzung bliebe eine solche Suche nach Parallelen methodisch fraglich. Durch die Umdeutung einzelner Sätze in den späteren Rechtsbüchern wäre es möglich, zumindest Aussagen über die Wahrnehmung der Rezipienten zu treffen. Die einschlägigen Passagen aber sind, mit Ausnahme der vorweg bereits besprochenen Zwei-Schwerter-Lehre aus Ssp. Ldr. I 1, in die meisten späteren Rechtsbücher nicht eingegangen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass Eike über die Rolle des Papsttums und der geistlichen Macht in der Regel im Zusammenhang mit dem König- oder Kaisertum handelt und diese Passagen oft der Bearbeitung anheimfallen. Ein wichtiger Kristallisationspunkt der Rechtsbücher mit der Sphäre geistlicher Macht aber sind die Articuli reprobati. Ihre Wirkungsgeschichte kann gerade durch das gewählte Verfahren der Rezeptionsgeschichte auf Ebene der Paragraphen nun sehr genau nachgezeichnet werden. Dabei lässt sich feststellen, dass der Bulle „Salvator humani generis“ offenbar kein durchschlagener Erfolg beschieden war. Ein Auszug aus der Gesamtkonkordanz aller untersuchten Rechtsbücher erhellt das: 409 Zu Eike vgl. nur Ignor, Rechtsdenken, S. 179 ff. Den Dualismus zwischen Kaiser- und Papsttum, den zu vereinen Otto suchte, hat m. W. zuletzt Schmidlin, Otto von Freising, abgestritten. 410 Eichmann, Stellung Eikes, S. 723. 411 Precht, Stellung Eikes, S. 85.
III 1–III 2 § 1
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I6
I 16
I 18
IV 4 § 3
III 16 § 1
§1
§2
§3
§ 10
§1
§2
I 39
I 52
I 52
I 63
II 12
III 57
III 63
I1§4
–
I 15 § 2
IV 29 §§ 3, 4
III 16 § 2
V3§4
I 37
–
–
III 5 §§ 2, 4
V3§1
Berl. Schf.R.
Ssp. Ldr.
192
–
–
70
–
56
41
38
17
15
13
11
7
Holl. Ssp.
–
–
29 § 3
–
38 § 2
–
–
–
–
14 § 2
13 § 1
6§4
98 §§ 1, 2
Löwb. Rb.
–
–
–
–
I 35
I 35
I 29
–
–
–
I4§2
I2
–
Livl. Spiegel
–
–
–
III2 §§ 10, 13
II 50
II 49
II 37
II 32
II 17
II 14 § 1
II 13 § 1
II 11 §§ 3, 4
II 2; II 11 § 2
Zwick. Rb.
VI 17
VI 9 § 5
IV 25 § 12
IV 22 § 3
–
–
–
I 21 § 2
–
I 19 § 1
–
I 18 § 3
–
–
433
–
263
–
–
–
409
210
209 u. ö.
478
103; 104
25; 26
Meißner Rb. Silleiner Rb.
–
–
–
II 11
III 45
III 45
III 37
III 35
III 22
III 19
III 13
III 11
III 8; III 9
Tropp. Rb.
566 E. Rezeptionsgeschichtliche Analysen der sächsischen Rechtsbücher
V. Regelungsansprüche gegenüber Reich, Kirche, Welt
567
Außer Acht gelassen werden konnte der Schwabenspiegel, der beinahe einhundert Jahre älter als die päpstliche Bulle ist. Beim Meißner Rechtsbuch mag das ebenfalls der Fall sein, bleibt die nähere Datierung aber unsicher. Die Tabelle zeigt: Relativ häufig ausgespart sind die beiden reprobierten Artikel, die sich mit der Gewalt des Papsttumes befassen (Ssp. Ldr. III 57 § 1 und III 63 § 2). Dies lässt sich jedoch zwanglos mit der generell festzustellenden Tendenz der späteren Rechtsbücher erklären, solche allgemeinen Regelungen zugunsten konkreter, auf die unmittelbare örtliche Gerichtspraxis anwendbarer Bestimmungen auszulassen. In immerhin fünf von acht Fällen ist auch die Ausgliederung von Ssp. Ldr. II 12 § 10 festzustellen, der den Mehrheitsentscheid bei Uneinigkeit der Urteilsfinder festschreibt. Auch hier bedarf es nicht der Bulle, um diese Auslassung zu erklären. Der Grund wird vielmehr in den Wandlungen des Gerichtsverfahrens hin zu fest reglementierten Form der Urteilsläuterung, der Schelte und der Appellation während des 14. und 15. Jahrhunderts zu suchen sein, die den Artikel funktional entbehrlich machten. Sämtliche anderen der reprobierten Artikel sind in der Mehrzahl der untersuchten Rechtsbücher weiterhin vertreten, ohne dass sie als päpstlich abgetan gekennzeichnet wären. Durchweg tradiert wird beispielsweise der Artikel Ssp. Ldr. I 5 § 2 und mit einer Ausnahme auch Ssp. Ldr. I 6 § 2. Während letzterer sich mit dem Beweisverfahren beschäftigt, ist vor allem Ldr. I 5 § 2 mit Blick auf die Reprobation bemerkenswert, denn hier wird die rechtliche Folge der Unkeuschheit behandelt. Dass Unkeuschheit zwar Folgen für die Ehre, nicht aber für den Rechtsstatus (einer Frau) nach sich ziehen sollte, scheint zu den festen Überzeugungen der Rezipienten gezählt zu haben. Das ist immerhin bemerkenswert für ein Zeitalter, dem man so leicht geneigt ist, misogyne Tendenzen in der Rechtsprechung zu unterstellen.
F. Zusammenfassende, aber nicht abschließende Betrachtungen Es ist eine gern gepflegte Sitte – mancher wird sagen: eine Unsitte – des angloamerikanischen Sprachraumes, wissenschaftliche Arbeiten mit einer persönlichen Betrachtung zu beginnen, die oft über den Anstoss des Forschungsinteresses oder ähnlich gelagerte Themen reflektiert. Im Grunde ist das den uns nun so bekannten Vorrede der deutschen Rechtsbücher durchaus vergleichbar. Eine solche kleine Persönlichkeit möchte ich mir erlauben, an das Ende dieser Untersuchung zu setzen. Denn in der Tat ist es ja oft so, dass es sehr banale Umstände oder Ereignisse sind, die den Geist packen und dann so schnell nicht wieder loslassen; wirkliche Schlüsselerlebnisse eben. Als ich mich während des Studiums zum ersten Mal mit dem Sachsenspiegel beschäftigte, war das eine kleine Anekdote über Konrad Beyerle, an die sich Kroeschell in seinem Aufsatz über den „Sachsenspiegel in neuem Licht“ erinnert, und die er wiederum von einem von Beyerles ehemaligen Studenten gehört hatte.1 Jener hatte, so wird erzählt, in seinem heimischen Aktenschrank zu jedem Artikel des Rechtsbuches eine eigene Mappe mit Materialen zuhand und konnte bei den Sachsenspiegel-Übungen, die er in kleinem Kreis zuhause abhielt, bei jeder Einzelfrage gezielt darauf zurückgreifen. Das hat mich damals sehr beeindruckt. Denn man kommt schnell zu der Einsicht, dass eigentlich nicht in der positivistischen Exegese des Sachsenspiegels selbst, sondern hinter seinem großen Einfluss, in den einzelnen Zeugnissen seiner Rezeption also, wirklich interessante Antworten auf die Fragen nach den Erscheinungsformen mittelalterlichen deutschen Rechtslebens zu finden sind. Der mühsame Weg dorthin führt allerdings nur über die Vielzahl oftmals schwer greifbarer Editionen und das zermürbende Suchen einschlägiger Parallelstellen mittels häufig unzumutbarer oder gar nicht mittels, weil nämlich eben schlicht fehlender, Register. Mit den Semestern stellte sich ein gewisses Problembewusstsein gegenüber dem noch immer recht naiv-positivistischen Ansatz einer solchen, unsystematischen Rezeptionsforschung ein. Der Grundgedanke aber bleibt. Was im Grund fehlt, ist Zugriff auf den Beyerleschen Aktenschrank. Anders gesagt: Es fehlt an einem (modernen) 1
Kroeschell, Sachsenspiegel in neuem Licht, S. 464.
F. Zusammenfassende, aber nicht abschließende Betrachtungen
569
Repertorium des sächsischen Rechts. Ein solches Repertorium müsste aber nicht nur die Rezeption des einzelnen Rechtssatzes in späteren Rechtsdenkmälern und anderen Quellen, sondern auch auf möglichst breiter Basis die varianten Lesarten der handschriftlichen Überlieferung und die für das jeweilige Rechtsinstitut einschlägige Forschungsliteratur tendenziell vollständig verzeichnen. Wenn die vorliegende Untersuchung zur Grundlegung einer solchen, zweifellos genauso undankbaren wie wichtigen Arbeit beitragen konnte, hat sie ihr Ziel erfüllt. Der Rückblick auf die vorhergehenden Untersuchungen kann unter zwei Kernfragen gebündelt werden. Zum einen: Was ist erreicht worden? Zum anderen: Was wäre noch zu tun? Am Ausgang dieser Untersuchung stand die Frage nach dem konkreten Umfang der Rezeption auf Ebene der einzelnen Paragraphen des sächsischen Landrechts. Blickt man auf diese kleinste Einheit, so lässt sich zunächst ein bemerkenswerter Befund feststellen: Kein einziger Paragraph ist durchgängig und ebenso kein einziger überhaupt nicht in die späteren Rechtsbücher des sächsisch-magdeburgischen Rechts eingegangen. Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Wie wir gesehen haben, legen manche Redaktoren einen bewusst funktionalen Maßstab an ihre Übernahmen aus dem sächsischen Landrecht an, andere versuchen besonders weite Teile zu kopieren und greifen nur dort ein, wo besonders eklatante Widersprüche zum lokalen Rechtsbrauch oder zum eigenen Rechtsempfinden entstehen. Sodann lässt sich ein sehr globaler Eindruck von der Rezeptionsleistung der sächsischen Rechtsbücher gewinnen. Solche Einschätzungen sind bereits zuvor von ausgewiesenen Kennern der Materie vorgenommen worden, wenn beispielsweise Ruth Schmidt-Wiegand einmal gleichsam im Nebensatz von den „Gegenstände[n]“ gesprochen hat, „die auch sonst bei der Rezeption des ‚Sachsenspiegels‘ wie bei seiner Integration in das Stadtrecht bevorzugt worden“ seien; namentlich solche, die „das Familien- wie das Prozeßrecht betreffen, das Vorbehaltsgut des Mannes und der Frau, herwete und rade, den gerichtlichen Zweikampf, Erbschaft und Urteil“.2 Solche Einschätzungen lassen sich nun auf gesicherterem Grund präzisieren und historisieren. Die Sondervermögen Heergewäte und Gerade nämlich werden gerade in den sächsischen Kernlanden bereits sehr bald, schon im Verlaufe des 16. Jahrhunderts, als Problem wahrgenommen, wo sie andernorts, beispielsweise in Littauen, gerade erst rezipiert werden. Bei der Betrachtung des Rezeptionsprozesses als Ganzes muss also mit gewissen, lokal bedingten retardierenden Momenten gerechnet werden. Der gerichtliche Zweikampf ist ein Rechtsfindungsinstitut, das sich im Grunde, das kann die rezeptionsgeschichtliche Untersuchung zeigen, unabhängig vom sächsischen Landrecht entwickelt und 2
Schmidt-Wiegand, Magdeburger Weistum, S. 179.
570
F. Zusammenfassende, aber nicht abschließende Betrachtungen
gerade in Mittelosteuropa bereits aus der Übung gekommen ist, wenn der Sachsenspiegel dort rechtliche Relevanz gewinnt. Ein gutes Beispiel wäre hier der Livländische Spiegel Land- und Lehnrechts. Was die große Gruppe der rezipierten Artikel betrifft, so lässt sich schließlich feststellen, dass sie vornehmlich dem Straf- und Prozessrecht entstammen. Im weitesten Sinne schließt das auch die Gerichtsverfassung mit ein, die aber oft umfassenden Bearbeitungen unterliegt, um der konkreten lokalen Situation gerecht zu werden. Die ebenfalls häufigen Übernahmen aus dem Bereich des Erbrechts betreffen oft Verfahrens-, nicht Sachinhalte. Insgesamt eignet sich vor allem das städtische Milieu den Sachsenspiegel an. Dorfrechtliche Inhalte werden oftmals ebenso getilgt wie dessen breite Ausführungen zum Königsrecht. Diese Selbständigkeit behält sich das Material auch gegenüber den Versuchen päpstlicher Einflussnahme. In der Rezeption des Sachsenspiegels hebt sich die aus dem 12. Jahrhundert überkommene Trennung zwischen Stadt- und Landrecht in weiten Teilen auf. Dieser Prozess ist damit nicht nur für die sächsische, sondern auch für die allgemeine deutsche Rechtsgeschichte von einiger Bedeutung. Wie wäre nun weiter zu verfahren? Das vierte Kapitel hat anhand der zuvor unternommenen Aufbereitung eine Reihe von einzelnen Grundgedanken und Rechtsinstituten des sächsischen Landrechts auf ihre Rezeption in späteren Rechtsaufzeichnungen hin untersucht. Hier konnte Vieles angesprochen, aber in diesem Rahmen nicht zur erschöpfenden Gänze behandelt werden. So gäbe es noch Manches nachzutragen und zu vertiefen. Ohne Zweifel ist es richtig, dass die „in der Literatur eingebürgerten Fragestellungen zur Verbreitung und zur Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels, die sich weitgehend ausschließlich auf Eike von Repgow als Schöpfer des Sachsenspiegels konzentrieren“, der Verifikation bedürfen.3 Die Wirkung des Spiegels vor allem in Ostmitteleuropa wird ohne die engste gedankliche Verbindung mit dem Magdeburger Recht nicht angemessen zu erfassen sein. Für solche Untersuchungen aber fehlt noch das Grundlegendste. Diese Verbindung aber ließe sich auch nicht angemessen erfassen, wenn die Betrachtung nicht tief genug ansetzt. Nur auf der Mikroebene werden Rezeptionen wirklich greifbar. Deshalb ist es notwendiges heuristisches Handwerk, die im konkreten historischen Material vermengten Überlieferungsmassen des Sachsenspiegels, des Magdebuger Rechts und möglicherweise weiterer, lokaler Rechtsaufzeichnungen voneinander zu trennen, um ihren jeweiligen Anteil am Rezeptionsprozess zu bestimmen. Für eine solche Arbeit liegen mit den vorliegenden Untersuchungen, die sich mit dem wohl wichtigsten Basistext dieses Prozesses befasst haben, nun Grundlagen vor, auf denen es aufzubauen gilt. 3
Lück, Sachsenspiegel als Kaiserrecht, S. 272.
Anhang I. Rechtsbücherkonkordanz Die folgende Konkordanz verzeichnet die Übernahmen einzelner Rechtsbücher aus dem Sachsenspiegel. Aus Gründen einer sinnvollen Darstellbarkeit waren gegenüber den vorgenommenen Untersuchungen gewisse Kürzungen notwendig. Nicht als eigene Tabellenspalte in die Konkordanz aufgenommen wurden daher solche Rechtsbücher, die nur wenige Landrechtsstellen in sich aufnehmen oder den Sachsenspiegel beinahe vollständig und ohne umfassendere Umstellungen in der Artikelfolge übernehmen. Einzelnachweise können der äußeren rechten Spalte („weitere . . .“) entnommen werden. Für die Verzeichnung dieser weiteren Rezeptionsträger gelten folgende Siglen: Augsb. StR Purg. EschSt ExHb ExMb Ex Mü Glg. Rb. Herf. Rb. Mf. BergR Ofn. Rb. Pr. Rb. Salzw. Rb. Weißf. Rb. Wimpf. Rb.
Augsburger Stadtrecht von 1270 Eisenacher Rechtsbuch Johannes Purgoldts Eschweger Statuten Exzerpte in der Hs. Heidelberg, Cod. Pal. germ. 461 (Oppitz Nr. 704), fol. 92v–93 Exzerpte in der Hs. Magdeburg, LHA, Rep. Kop, Nr. 427h (Oppitz Nr. 928), fol. 395r–396r–408v, 410r–419r und 433r Exzerpte in der Hs. Münster, StA Msc. VII 38 (Oppitz Nr. 1143) Glogauer Rechtsbuch Herforder Rechtsbuch Mansfelder Bergrecht Ofener Rechtsbuch Prager Rechtsbuch Salzwedeler Rechtsbuch Weißenfelser Rechtsbuch Wimpfener Rechtsbuch
572
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
I1
I1§2
4
–
–
–
I2
§1
–
5
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
§3
–
6
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
–
–
§1
I7§2
7
–
–
II 1 § 1
I 4; I
§2
–
–
–
II 1 § 2
§3
III 1–III 2 § 1 8
98 §§ 1, 2
–
II 2; II 11 § 2
III 4
–
12
I1
II 3
I5§
§1
–
10
98 § 3
I2
II 11 § 1
I6§
§2
V3§1
11
6§4
II 11 §§ 3, 4
I 18 §
§3
III 23
12
98 § 3
I 3 §§ 1–3
II 12
I 18 §
§1
III 5 § 1
–
–
I3§4
II 13 § 1
–
§2
III 5 §§ 2, 4
13
13 § 1
I4§2
§3
III 5 § 4
–
§4
III 5 § 5
–
§5
–
–
II 1 § 1
–
§1
–
14
§2
I2
I3
I4 I5
I6
–
–
–
I4§3
II 13 § 2
–
–
II 13 § 3
–
13 § 2
I5
II 13 § 4
IV 43
13 § 3
–
II 13 § 5
–
I 10 § 3
–
II 13 § 6
–
§3
IV 4 § 2
–
–
IV 46
§1
II 1 § 3; II 6
–
13 § 4
–
–
–
§2
II 7
–
13 § 5
–
–
–
§3
–
13 § 6
–
–
–
§4
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
I7 I8
I9
–
13 § 2
13 § 7
I 10
III 6 § 1
–
–
–
–
–
I 11
III 6 § 4
–
–
–
–
I 20 §
Anhang ick. Rb.
§1
573
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
I2
22
Prolog
III 4
ExMb; ExMü
–
23
–
III 5
ExMb; ExMü
–
–
–
–
–
1
I 4; I 6 § 5
24
2
ExMb; ExMü III 6
ExMb; ExMü ExMb; ExMü
III 7
§2
ExHb; ExMb; Weißenf. Rb. 33v, 37v ExMb
; II 11 § 2
25, 26
3
III 8; III 9
I 5 § 10
–
–
II 32
1§1
I6§3
105
4
III 10
Herf. Rb. 47; Weißenf. Rb. 34v
1 §§ 3, 4
I 18 § 3
103, 104
–
III 11
Herf. Rb. 47; Pr. Rb. 155 §2
2
I 18 § 4
106
5a
III 12
3§1
–
106
5b, c
III 13
–
–
–
478
3§2
–
194
3§3
–
3§4
IV 43 § 1
194; 369; 370 11a
III 14
3§5
–
371
III 14
3§6
–
Herf. Rb. 48; Ofn. Rb. 162 Herf. Rb. 48
10
III 14
–
11a, c
IV 46 § 9
–
–
372
–
–
–
373
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 15
–
ExMb
374
–
II 33
–
–
375
–
III 16
I 20 § 10
376
–
III 16; II 33
Weißenf. Rb. 35r, 36r u. ö.
574
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
I 12
III 7
–
13 § 8
I 6 §§ 1, 3
II 76
I 42 §
§1
III 6 § 2
–
–
I6§2
–
I 20 §
§2
III 6 § 2
–
–
–
–
§1
–
–
–
I7
–
§2
–
–
–
§1
II 8
–
13 § 9
§2
II 8
–
§1
–
15
§2
–
§1
III 2 §§ 3,5
§2
I 13
I 14
I 15
I 16
I 17
I 18
I 19
I 20
I 21
I 22
I 20 §
– I8
–
–
I9
–
–
14 § 1
–
II 13 § 6
–
14 § 2
–
II 14 § 1
I 19 §
–
14 §§ 3–6
–
II 14 § 2; II 15
I 19 §
I 14 § 2
16
–
–
II 18 § 1
–
§1
I 14 §§ 1, 2
17
–
–
II 17
–
§2
I 14 §§ 3–5
–
–
IV 43
§3
–
–
–
–
§1
–
–
–
II 18 § 1
–
§2
–
–
–
II 18 §§ 2, 3
–
§1
V 11 § 1
–
–
II 19 § 1
I 13 §
§2
V 11 § 4
–
–
II 19 § 2
§3
V 11 § 5
–
–
I 10 § 2
II 16 § 1
§4
–
–
–
–
II 16 § 2
§5
–
–
–
–
II 16 § 3
§6
V 11 § 3
–
–
I 11
II 21
§7
–
–
–
–
§8
–
20
–
–
II 20
§9
–
–
–
I 11
II 21
§1
–
–
–
–
II 21
I 13 §
§2
V6
21
6 §§ 1, 2
I 12; I 13
II 22 §§ 1, 2
I 20 §
§1
III 13
20
34 § 1
I 14 §§ 1, 2
II 22 § 3
–
§2
III 14
23
I 15
II 23
–
§3
–
–
I 16
18
19
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
6
I 42 § 1
107; 204; 207 –
III 17
I 20 § 11
135
147, 148
III 18
–
III 18
Swsp.
Tropp. Rb.
575 weitere . . .
135; 479 I 20 § 12
469; 479
– –
208
– 3§6
–
4§1
I 19 § 1
4 § 2; II
I 19 § 1
8§1
–
7
–
–
II 28
–
–
209; 470; 471 12
III 19
Herf. Rb. 7 und 8 Herf. Rb. 7 und 8
108; 471
14
III 19–III 21
Herf. Rb. 46 und 58
– 210
14
III 22
III 23
IV 43 § 1 – 8§1
–
211
17
8 §§ 2, 3
–
212
–
9§1
I 13 §§ 1–3
109
18
9§2
III 24
213
6§1
–
6§2
–
6§3
–
1
110
0
111
1
–
–
–
–
18
III 25
–
–
1
I 13 § 3
112
19, 23
III 25
2 §§ 1, 2
I 20 § 17
113; 114
21, 24
III 26
2§3
–
115
25
III 27
3
–
115; 214; 215
–
–
Herf. Rb. 48
RGZ 7 (1882), S. 132–136 Purg. III 83 u. 84; Pr. Rb. 113
576
Anhang
Ssp. Ldr.
I 23
I 24
I 25
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
§4
III 21 § 3
–
–
§5
III 21 § 4
25
–
§1
III 21 § 5
–
§2
III 22 §§ 1,2
§1
III 22 § 1
§2
III 22 § 1
–
§3
III 22 § 2
–
§4
III 22 § 2
–
§1
III 15 § 1
§2
III 15 § 2
8§3
§3
III 15 § 2
8§5
–
II 25 § 3
§4
III 15 § 2
8§6
I 23
II 25 § 4
§5
III 15 § 3
8§4
I 26
Zwick. Rb.
Meiß
II 24 § 1
I8§
I 18
II 24 § 2
–
–
I 20
II 24 § 3
–
–
–
I 21
26
–
I 22
II 24 § 3
I9§
I 23
II 25 § 1
–
II 25 § 2; II 72
I 19 §
27
–
Livl. Spiegel
–
II 30 § 2
III 15 § 4
–
–
–
–
–
§1
III 24 § 1
28
–
–
II 26 § 1
120 §
§2
III 24 § 2
29
–
–
II 26 § 2
I 28
–
30
–
–
II 26 § 3
I 20 §
I 29
–
–
–
–
II 27; II 28
–
I 30
–
–
–
–
II 28
–
§1
V1§1
31
–
–
II 29 § 1
I 20 §
§2
V1§2
32
–
–
II 29 § 4
–
I 32
–
–
6§3
–
II 29 § 5
I 20 §
I 33
V5§1
33
7§1
–
II 30 § 1
I 21 §
§1
–
34
–
I 25
II 31 § 1
–
§2
–
35
–
I 26
II 31 § 2
–
§3
–
–
–
–
–
–
§1
II 9
36
15 § 1
–
–
–
16 § 1
–
–
–
7§2
I 27
II 32
I 21 §
I 27
I 31
I 34
I 35
§2
I 36
§1
V7
37
Anhang
577
ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
4§1
I8§1
–
Herf. Rb. 29
4§2
–
–
Herf. Rb. 29
4§3
–
–
–
472
I9§1
–
4§3
Swsp.
26
Tropp. Rb.
– II 32
26
–
–
–
–
–
–
–
5§1
–
–
5 § 2; 2
I 19 §§ 2–5
–
27
Pr. Rb. 9
463
5§4
464
28
0§2
126, 127
–
–
–
–
–
III 29
29
III 30
6§1
120 §§ 13, 14 128
6§2
Herf. Rb. 50; Pr. Rb. 159
III 29
5§3
–
weitere . . .
Herf. Rb. 47
6§3
I 20 § 2
128
30
III 30
Herf. Rb. 7 und 17; Weißenf. Rb. 51v
7; II 28
–
128, 130
32
III 30; III 31
Herf. Rb. 4; Weißenf. Rb. 51v
8
–
130
33
III 31
Weißenf. Rb. 53v
9§1
I 20 §§ 15,16 131
34
III 31
9§4
–
132
–
9§5
I 20 § 18
132
35
III 31
0§1
I 21 § 1
133
37, 88
III 32
1§1
–
–
39
III 33
1§2
–
475
–
–
–
408
– 2
I 21 § 2
RGZ 29 (1892), S. 134–137
– –
III 34
– 409
40
III 35
578
Anhang
Ssp. Ldr.
I 37
I 38
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
–
–
II 33
I 21 §
–
–
–
–
II 34
– IV 21 §§ 37
§2
–
7§3
§1
V3§4
§2
–
§1
IV 25
§2
–
–
I 28
II 35 § 1
§3
–
–
–
II 36
38
39
I 39
IV 4 § 3
41
–
I 29
II 37
–
I 40
IV 4 § 4
42
–
I 30
II 38
–
I 41
V8§2
43
4§4
I 32
II 39 § 1
–
§1
III 20 §§ 4,6,7
44
4 §§ 3, 9, 10
I 31
II 39 § 2; II 40 § 1
–
§2
III 20 §§ 6, 7 46
4 § 11
–
II 40 § 3
–
I 43
–
47
4§2
–
II 40 § 4
–
I 44
–
–
–
–
II 41
–
§1
V 1 §§ 1–4
49
4 § 12
–
II 41
–
§2
–
4 § 13
I 33 § 1, 2
II 42
–
I 42
I 45
I 46 I 47
§1
V 2 §§ 1, 3
50
4§1
I 33 § 3
II 43
I 49 §
V2§1
–
4 §§ 5, 7
I 33 § 4
II 44 § 1
I 49 §
–
4 §§ 5, 6
–
II 44 § 2
51
5§1
–
II 45
5§2
–
II 46 § 1
§2
I 48
§1
–
§2
–
§3
–
51; 52
5§3
–
II 46 § 2
–
–
16 § 1
–
–
IV 23
§1
IV 3
–
16 § 2
I 34
–
IV 23
§2
IV 4
–
II 47
–
§1
V4
53
I 21 §
I 49 I 50
I 51
§2
I 52
17 § 1
–
II 48 § 1
17 § 2
–
–
IV 23 §§ 10
§3
I 12 § 2
54
17 § 3
–
II 48 § 1
§4
–
55
–
–
II 48 § 2
IV 23
§5
–
–
–
–
–
–
§1
III 16 §§ 1–5
56
–
I 35; I 36
II 49
–
Anhang
579
ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
3
I 21 § 3
410
41
III 35
Weißenf. Rb. 37r
4
–
410
41
III 35
Pr. Rb. 99
5§1
IV 21 §§ 37–39
410; 476
45, 47
III 35; III 36
Wimpf. Rb.
476
46, 47
III 36
Wimpf. Rb.
6 7
–
–
48
III 37
8
–
–
49
III 37
9§1
–
477
50
III 38
9 § 2; 0§1
–
477; 411
27, 51, 33 III 38; III 39
0§3
–
411
0§4
–
–
–
III 40
1
–
–
67a
III 40
1
–
412
67b, 74
III 41
2
–
3
I 49 § 11
413
75
III 42
Pr. Rb. 94
4§1
I 49 § 11
413
75
III 42
Pr. Rb. 94
IV 23 §§ 10–13
203
77
III 43
203
78
203; 352
–
IV 23 § 15
–
–
III 43
IV 23 § 15
–
–
III 43
7
–
–
–
8§1
I 21 §§ 4–7
353
–
III 39
4§2 5 6§1 6§2
Wimpf. Rb.
III 43
– 8§1 8§2
IV 23 § 16
–
Wimpf. Rb. Wimpf. Rb.
–
–
III 44
Wimpf. Rb.
–
–
III 45
Wimpf. Rb.
– 9
Wimpf. Rb.
– –
–
Wimpf. Rb. III 45
Herf. Rb. 17
580
Anhang
Ssp. Ldr.
I 53
I 54
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
§2
–
§3 §4
Zwick. Rb.
Meiß
38 § 2
II 50
–
56
–
–
–
57
18 §§ 1, 2
II 51
–
–
–
–
–
§1
–
58
–
§2
II 10
59
–
§3
II 3 § 3
–
–
I 39
–
–
§4
–
–
–
–
–
–
§1
II 11
60
18 § 3
I 40 § 1
–
–
§2
–
–
–
§3
I 40 § 3; I 41 –
–
§4
–
§5
I 55
Livl. Spiegel
§1
I9§2
§2
I 9 §§ 2–4
61
I 37; I 38
III 14
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
I 56
I9§4
62
–
–
–
–
I 57
I9§5
–
–
–
–
–
§1
I9§6
–
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
–
§1
I 9 § 10
–
–
I 42
–
–
§2
I 11 § 1
63
–
–
–
–
§1
I 11 § 2
–
–
IV 26
§2
I 11 §§ 5, 6
64
2 § 6 (vgl. 20 I 43–45; I 49 §§ 1, 2, 4)
–
IV 26
§3
–
–
–
–
§1
–
–
I 52; I 50
–
IV 26
§2
I 11 § 7
–
I 46
–
IV 26
§3
I 11 § 8
65
–
–
IV 26
§4
–
–
I 47; I 48
–
IV 26
§5
I 11 § 9
66
–
–
IV 26
§1
IV 7
–
I 53; I54
–
IV 31
I 58
I 59
I 60
I 61
I 62
2§6
2§6
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
0
–
–
52
–
–
–
–
–
–
III 46
–
–
80
III 47
–
–
81
–
–
–
–
–
82
–
–
83
–
–
84
–
–
III 14 § 7
–
85
–
–
–
–
86a
–
–
91
–
–
92
III 49
–
–
92
III 49
–
–
92
III 49
–
–
–
–
92
III 50
–
–
93
IV 26 § 12
–
93
1
Tropp. Rb.
581 weitere . . .
III 48
Purg. II 25
III 49
Herf. Rb. 17 u. 51; Salz. Rb. 49; ExMü ExMü
III 50
IV 26 §§ 2, 3 –
97b
–
–
95
–
IV 26 § 10
–
96
–
IV 26 § 5
–
268, 270
III 50
IV 26 § 7
–
94
IV 26 §§ 8,9
–
–
IV 26 § 11
–
96
IV 31 § 1
–
–
Salzw. Rb. 50 Salzw. Rb. 51 Salzw. Rb. 52
Salzw. Rb. 53
Salzw. Rb. 54 III 50
Salzw. Rb. 55; Weißenf. Rb. 14r
582
Anhang
Ssp. Ldr.
I 63
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
I 67
I 68
Zwick. Rb.
Meiß
–
IV 35 IV 31
67
§3
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
–
–
§7
I 11§ 3
68
2§6
I 55
–
–
§8
–
–
–
–
–
–
§9
–
–
–
–
–
–
§ 10
I 12 § 1
–
–
–
–
–
§ 11
I 11 § 4
–
–
–
–
–
§1
IV 29 §§ 1–9 69
–
–
III2 25 § 1
–
–
III2 25 § 6
IV 22 §§ 1–
§3
70
–
–
III2 25 §§ 10, 13
§4
71
–
–
III2 25 §§ 10–18
§5
–
–
–
III2 25 §§ 19, 20
IV 8 § 1
72
–
–
III2 25 §§ 21–23
IV 22 §§ 17
§1
IV 8 § 2
–
–
–
III2 25 § 23
IV 22
§2
–
73
18 § 4
–
–
IV 24
§3
–
–
19 § 1
I 57 § 1
–
–
§4
II 3 § 2
–
19 §§ 1, 2
I 58
–
IV 45
§1
IV 8 § 3
74
22 §§ 1, 3
I 59
III2 19
–
I 64
I 66
Livl. Spiegel
§2
§2
I 65
Löwenb. Rb.
§2
–
–
§3
–
IV 20
§1
–
§2
–
§1
–
§2
IV 9
§3
75
22 §§ 4, 5
I 60
III2 21
IV 20
22 § 5
–
–
22 § 5
I 61
III2 21
IV 20
–
23 § 1
–
–
IV 4 §
–
–
–
–
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
IV 35 § 1
–
97a, 98, 99
Salzw. Rb. 56
98, 99
Salzw. Rb. 57
–
–
Salzw. Rb. 57
–
–
–
–
–
–
–
93
–
–
97b
–
–
–
–
–
–
–
93
IV 22 §§ 1–16
263
–
IV 31 §§ 2, 3 –
25 § 1 25 § 6
Tropp. Rb.
583 weitere . . .
III 51
Salzw. Rb. 58 Salzw. Rb. 59
Salzw. Rb. 59 II 11
Wimpf. Rb.
–
Wimpf. Rb.
25 10,13
–
Wimpf. Rb.
25 10–18
–
Wimpf. Rb.
25 19,20
–
Wimpf. Rb.
25 21–23 25 § 23
19
21
21
IV 22 §§ 17, 18
–
–
III 52
Weißenf. Rb. 13r
IV 22 § 19
–
–
–
IV 24
344
100
III 53
–
345
IV 45 § 22
–
–
–
–
100
–
–
–
–
–
IV 20 § 3
–
–
–
IV 20 § 1
–
101
–
–
–
–
Wimpf. Rb.
IV 20 § 4
345
–
–
Herf. Rb. 25
IV 4 § 6
–
–
III 54
–
–
–
Salzw. Rb. 60
584
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
–
23 § 2
I 61
–
–
IV 8 § 4
–
–
I 62
–
–
IV 8 § 5
–
24 § 2
I 63 § 1
III2 20
–
§1
II 12 § 1
–
24 § 3
I 63 § 2
II 73
–
§2
II 12 § 2
–
–
I 64
–
III 14
§3
IV 20 §§ 1, 2 76
–
–
III2 22
IV 28
I 71
–
–
–
–
–
IV 29
II 1
–
–
–
–
–
–
II 2
–
77
–
–
–
IV 30
§1
–
–
–
I 65
–
–
§2
–
78
–
–
–
IV 23
§3
–
–
–
–
–
–
§1
IV 20 §§ 3–5 79
25 § 1
I 66 §§ 1, 2
–
–
§2
–
I 66 § 3
–
IV 21
§3
26 § 3
I 72 § 3
–
–
25 § 2
I 67
–
–
–
–
–
IV 45
I 68–71
–
–
§4 §5
I 69 I 70
II 3
II 4
II 5
§1
–
§2
II 3 § 2
§1
–
–
–
§2
II 4 § 1
–
25 § 3
–
III 13
§3
II 2 § 1
81
26 § 1
–
–
§4
–
–
26 § 2
–
IV 25
II 7
II 2 § 2
82
26 § 3
I 72 §§ 1, 2
III1 29
–
II 8
–
–
27 § 1
I 73 §§ 1, 2
–
–
§1
–
–
27 § 2
I 73 § 3; I 74 –
–
§2
–
–
–
–
§3
–
83
I 75
–
–
§1
II 5 § 4
–
27 § 3
I 76 § 2
–
IV 21
§2
–
–
–
I 75
–
–
§3
II 5 §§ 1–3
84
28 § 1
I 76 § 1
–
–
II 6
II 9
II 10
80
§4
–
–
–
–
§5
–
I 76 §§ 3, 4
–
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
–
–
–
–
–
–
20
–
95
–
III 55
3
–
–
III 55
22
29
Tropp. Rb.
585 weitere . . .
Weißenf. Rb. 52v
III 14 § 1
–
102
IV 28
–
103a
–
IV 29
–
103b
–
–
–
–
–
IV 30
–
104
–
–
–
105, 269
–
IV 23 §§ 7–9 –
104
–
Wimpf. Rb.
–
–
105
–
Wimpf. Rb.
–
–
107, 108
–
Wimpf. Rb.; ExMü
IV 21 § 40
–
108
–
Wimpf. Rb.; ExMü
–
–
II 33
ExMü
–
–
112
–
Weißenf. Rb. 58r
IV 45 § 19
–
–
–
–
–
–
–
III 13 § 1
–
–
–
–
–
–
–
IV 25 § 20
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
112
–
–
–
–
–
IV 21 § 34
–
110
–
–
–
–
–
–
–
113a
–
–
–
–
–
– –
–
ExMü; Weißenf. Rb. 53v
Weißenf. Rb. 13r, 14r
Pr. Rb. 37
586
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
§6
II 11
II 12
II 13
II 14
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
– 28 § 2
I 77
Zwick. Rb.
Meiß
–
–
III1 27 § 1
IV 43
–
IV 43
§1
II 4 § 2
–
§2
II 4 § 3
–
§3
II 12 § 3
85
28 § 3
–
–
–
§4
–
–
28 § 4
–
–
IV 25
§1
I 15 § 2
–
28 § 4
I 78
–
IV 25
§2
–
–
–
–
IV 25
§3
–
–
–
–
§4
86
–
I 79; I 80
–
IV 25 §§ 6–
§5
87
29 § 1
§6
–
–
–
–
§7
–
29 § 2
I 81
–
§8
–
–
–
–
§9
–
29 § 3
I82
–
§ 10
–
–
–
§ 11
88
–
–
–
§ 12
–
–
–
–
§ 13
–
–
–
–
§ 14
–
–
–
–
§ 15
–
–
–
–
IV 21
90
95 § 4
II 1–8
III2 34
IV 9 §
–
§1
IV 25
§2
–
–
–
–
§3
IV 25
–
III2 34
–
§4
91
–
III2 35
IV 13
§5
–
80 §§ 1–3
III2 36
IV 10
§6
–
III2 37
IV 9 §
§7
–
III2 38
IV 14
III1 28 § 1
–
III2 4 §§ 2, 3
–
§8
IV 19
–
§1
IV 18; I 15
92
81 § 1
II 9
Anhang ick. Rb.
27 § 1
587
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
–
–
113a
–
IV 43 § 9
–
113a
–
IV 43 § 6
–
–
–
–
–
IV 25 § 5
–
–
–
IV 25 § 5
–
172
–
ExMü
IV 25 § 4
–
172, 278
–
ExMü
IV 25 §§ 6–18
–
172
–
ExMü
–
172, 114a –
ExMü
–
172, 114a –
ExMü
–
172, 114a –
ExMü
–
172, 116
–
ExMü
–
172, 116
–
ExMü
–
172, 116
–
ExMü
–
172, 116
–
ExMü
–
172, 116
–
ExMü
–
172, 117
–
ExMü
–
172, 117
–
ExMü
–
172
–
ExMü
–
ExMü
–
Mf. BergR 10
IV 21 § 35
–
IV 9 § 2
237
–
–
–
34
–
–
–
Mf. BergR
35
IV 13 § 1
–
–
Salzw. Rb. 61; Mf. BergR 11
36
IV 10 § 5
–
–
Salzw. Rb. 62; Mf. BergR 12
37
IV 9 § 2
–
–
Salzw. Rb. 63; Mf. BergR 13
38
IV 14 § 1
262
–
Salzw. Rb. 64; Mf. BergR 14
28 § 1
–
–
–
Salzw. Rb. 65
4 §§ 2, 3
–
–
–
Mf. BergR 15
34
172, 174
79, 172
588
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
–
–
–
–
–
–
–
–
§2
II 15
II 16
II 17
II 18
II 19
II 20
II 21
II 22
§2
IV 18
§1
IV 21
§2
–
§1
IV 22 § 3
–
81 § 3
–
–
–
§2
IV 22 § 1
–
82 § 1
–
–
–
§3
IV 22 § 2
94
–
–
–
–
§4
IV 27
–
–
II 11 §§ 1, 2
–
–
§5
IV 22 § 1
–
82 § 2
–
III2 17 § 2
IV 7 §
§6
–
–
II 11 §§ 1, 2
§7
–
–
–
–
IV 7
§8
IV 22 § 1
95
–
–
IV 5
§9
IV 22 § 1
–
II 12 § 2
III2 17 § 3
IV 7
§1
–
96
II 13; II 14
II 71
IV 27
§2
–
§1
–
–
§2
–
–
§1
III 3
–
§2
–
§1
III 2 § 6
§2
–
§1
–
§2
93
81 § 2
83 § 1
IV 7
– 83 § 2
–
–
–
–
–
–
83 § 3
–
II 60
–
–
–
–
97
–
–
II 71
I 27 §
84 § 1
–
–
–
–
–
–
–
I 26 §
–
–
–
–
–
–
§3
–
98
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
–
I 26 §
§5
–
99
–
–
–
I 26 §
§1
–
–
–
–
–
–
§2
–
100
84 § 2
–
–
–
§3
–
101
–
–
II 72
–
§4
–
–
–
–
–
–
IV 27
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
–
78
–
–
–
398
–
398
–
–
Mf. BergR 21; Weißenf. Rb. 9v, 12r u. ö.
–
75
176a
–
Mf. BergR 22 u. 25
176b
–
Mf. BergR 23
–
Swsp.
589
173
Tropp. Rb.
weitere . . .
–
Mf. BergR 15
– –
–
356
175
–
Mf. BergR 24
IV 7 §§ 1, 4
76
176a
–
Salzw. Rb. 66
IV 7 § 4
–
–
Mf. BergR 25
IV 7 § 6
77
–
–
Mf. BergR 25
IV 5 § 20
–
–
–
Mf. BergR 25
17 § 3
IV 7 § 7
–
–
–
Mf. BergR 25
1
IV 27 §§ 1–3 265
17 § 2
177, 178a – –
–
266
– 0
1
–
–
–
–
–
267
186
–
IV 27 § 4
461
–
–
I 27 § 1
–
–
–
–
–
–
–
I 26 § 2
462
187
–
–
2
Pr. Rb. 128
Weißenf. Rb. 41v
Weißenf. Rb. 9r
–
–
–
188
–
I 26 § 3
–
–
–
I 26 § 1
268
189
–
–
–
27, 190
–
Herf. Rb. 5
–
–
–
Herf. Rb. 5
–
–
–
–
–
–
590
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
–
–
29 § 5
–
–
–
–
102
–
–
–
I 27 §
§1
–
103
–
–
II 69
I 32 §
§2
–
–
–
§1
–
–
–
–
II 70
–
§2
–
–
–
–
–
–
§1
–
104
30
–
–
IV 17
§2
–
105
–
–
§3
–
–
–
–
§4
–
106
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
§1
II 13 §§ 1, 2
107
–
–
–
§5
II 23 II 24
II 25
II 26
II 27
II 28
30
§2
108
–
–
–
§3
–
–
–
–
II 5
–
–
II 16
–
–
–
–
–
–
–
II 17
–
–
§4
II 14 § 1
109
§1
II 14 §§ 2, 3
110
31
§2 §3 §4
II 15 § 1
II 29
II 15 § 2
–
31
II 18
–
IV 42
II 30
III 18 § 1
–
32 § 1
–
II 68
I 32 §
§1
III 17
–
32 §§ 2, 3
II 19; II 20
–
I 32 §
§2
–
–
–
§3
–
–
–
–
§1
II 16 § 1
116
–
–
–
–
–
–
–
–
II 31
II 32
89 § 1
II 28
§2 §3 II 33
89 § 2 II 16 § 2
–
89 § 3
II 29
Anhang ick. Rb.
9
0
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
–
269
I 27 § 2
–
191a
–
I 32 §§ 1, 2
270; 406
191b
–
270
–
–
–
271; 395
–
–
–
271
–
–
IV 17
272
192a
–
–
–
–
–
–
–
Purg. III 10
–
–
Purg. III 11
–
–
193
–
ExH
–
ExH
–
–
ExH
273
–
274
–
275
–
8
Swsp.
Tropp. Rb.
591 weitere . . .
– Weißenf. Rb. 58v
–
276
196
–
Pr. Rb. 25
–
277
–
–
Salzw. Rb. 67 u. 68; Purg. II 122
–
–
–
Augsb. StR 18; Salzw. Rb. 69; Purg. II 122
–
197a
–
Purg. II 122
–
197b
–
Purg. II 122 Pr. Rb. 190
IV 42 § 13
278
–
–
I 32 § 3
279
198
–
I 32 § 4
279
198
–
199
–
200
–
203
–
– –
246
–
–
–
–
–
246
–
–
Pr. Rb. 42
Friedrich Ebel: Der älteste arbeitsrechtliche Traktat deutscher Sprache, in: Recht der Arbeit 34 (1981), S. 294–296 Salzw. Rb. 70 u. 71 Ssp. Ldr. II 32 § 1 auch in
592
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
II 34
§1
–
111
33 § 1
II 21; II 22
–
IV 36
§2
–
II 35 II 36
II 37
112
22 § 2
II 23
–
IV 9 §
§1
IV 2; II 27
–
33 § 2
II 24; II 25
–
IV 9
§2
–
–
–
§3
IV 2; II 27
–
–
§4
–
–
–
§5
–
–
–
§6
–
–
–
§7
–
–
–
§8
–
–
–
§1
II 17
113
87 § 2
II 26
–
§3
–
§1
§1
114
87 § 2
II 27
–
–
II 19
115
88 § 1
–
–
II 10
88 § 2
–
–
–
90 § 1
II 30; II 31
–
II 9 §
II 20 § 1
117
–
§3
–
§4
II 20 § 2
§5
II 42
II 43
IV 9
II 18
§2
II 41
–
§2
§2
II 40
–
IV 1
II 38 II 39
–
–
–
90 § 2
–
II 8 §
90 § 3
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
I 33 §
§1
–
–
§2
–
–
§1
–
118
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
§1
–
92 § 1
II 32
II 64
119
91
I 33 §
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
593
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
179
–
–
180, 315
–
Pr. Rb. 117 Ssp. Ldr. II 32 §§ 2, 3 auch in Purg. III 101 Ssp. Ldr. II 32 § 3 in ExMb
IV 9 § 3
264
316
–
Weißenf. Rb. 52v
IV 9 § 4
241
317
–
Salzw. Rb. 87; Pr. Rb. 184
–
Salzw. Rb. 87
–
Pr. Rb. 185
–
Pr. Rb. 186
–
Pr. Rb. 186
–
Pr. Rb. 186
–
Pr. Rb. 186
–
Pr. Rb. 186
IV 36 §§ 1, 2 414
IV 9 § 5
357
318
– – –
–
79; 261
181, 182
–
II 10 § 11
362
202
–
– II 9 § 4
– 160
204
Salzw. Rb. 72; Weißenf. Rb. 58r
–
Salzw. Rb. 72
–
161
–
Purg. IV 14
II 8 § 4
138
II 30
Purg. IV 15
–
139
–
–
216
206
– I 33 § 1
4
–
I 33 § 2
–
Weißenf. Rb. 58r
– –
207a
–
–
–
–
–
207b
–
–
–
–
–
208
–
Herf. Rb. 17
594
Anhang
Ssp. Ldr.
II 44
II 47
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
II 33
II 65
I 34 §
–
II 66
§2
–
§1
–
–
§2
–
–
§3
–
120
–
–
II 67
I 33 §
II 21
–
92 § 3
–
–
–
II 22 §§ 1, 2
121
93 § 1
II 35
–
–
§2
–
II 84
II 10
§3
II 35
§4
– II 85
II 10
II 45 II 46
Berl. Schf.R.
§1
§1
II 22 §§ 3–5
–
122
92 § 2
93 § 2
II 36; II 37
§2 §3
II 48
§4
93 § 3
§5
93 § 4
–
94 § 1
II 38–40
§1
II 22 §§ 6–8
123
§2
II 10 –
–
95 § 2
II 86
II 10
–
II 90 § 1
–
§3 §4
II 23 § 1
§5
II 49
–
–
§6
–
–
–
–
§7
II 23 § 2
–
II 38–40
II 10
§8
–
–
–
§9
II 23 § 2
–
–
§ 10
–
–
–
II 90 § 3
§ 11
–
–
–
II 90 § 4
§ 12
–
–
–
II 90 § 5
§1
–
–
34 § 2
–
II 95
§2
II 24 § 3
–
II 24 § 1
–
34 § 3
–
II 96; II 97
II 2 §
§1
II 24 § 2
–
34 § 4
II 41
II 98
II 2 §
§2
II 24 § 2
–
II 50 II 51
–
II 90 § 2
– –
–
II 10
– –
II 2 §
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
217 5
I 34 §§ 3, 4
7
4
weitere . . .
– –
Herf. Rb. 7; ExMb
219
–
ExMb
I 33 § 3
407
–
–
220
210
–
–
140
211, 279
–
6
218
Tropp. Rb.
595
209
II 10 § 2
– – –
5
II 10 §§ 4, 5
141
212
– – –
142
–
II 10 § 10
6
–
–
143
II 10 § 3
144
213
– – –
0§1
–
–
–
–
–
–
–
–
–
II 10 § 12
144
–
–
–
–
–
–
–
II 10 § 13
–
–
0§4
–
–
0§5
–
–
0§2
0§3
5
–
222
–
–
–
224
–
–
6; II 97
II 2 § 15
221; 223
–
–
8
II 2 § 6
–
–
–
ExHb: Pr. Rb. 168
II 2 § 12
–
–
–
Pr. Rb. 168
Ofn. Rb. 164
596
Anhang
Ssp. Ldr.
II 52
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
§3
II 24 § 2
–
§1
II 24 § 4
124
§2
II 24 § 4
II 53 II 54
II 60
II 2 § 34 § 5
II 42
II 99
II 2 §
II 100
–
–
II 101
–
II 25 §§ 2, 3
125
94 § 2
–
II 87 § 1
II 7 §
§2
94 § 7
–
§3
94 § 3
–
94 § 4
II 43; II 44
§1
II 25 § 1
§5
94 § 5
II 87 § 2
§6
94 § 6
II 89 § 1
–
126
95 § 1
–
II 89 § 2
–
§1
–
–
–
–
II 102 § 1
V 30
§2
–
–
–
–
II 102 § 2
§3
–
–
–
–
II 102 § 3
–
127
–
–
–
V 31
§1
–
–
–
–
–
V31 § § 22
§2
–
–
–
II 45
II 91 § 1; II 92
II 5
§3
–
–
–
–
II 92; II 93
§1
–
128
35 § 2
–
II 94 § 1
§2
–
–
II 94 § 2
§3
–
129
39 §§ 1, 2
II 48; II 49
–
§4
–
–
–
§1
II 26 § 1
130
39 § 3
II 4 §
V 32
– II 50
§2
II 61
Meiß
35 § 1
II 57
II 59
Zwick. Rb.
–
II 55
II 58
Livl. Spiegel
II 24 § 5
§4
II 56
Löwenb. Rb.
–
V 42
–
§1
–
§2
131
40 § 1
–
III1 7 § 3
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
–
–
–
III1 15 § 7
§5
–
40 § 2
–
–
VI 1
II 10
Anhang ick. Rb.
597
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
II 2 § 7
–
–
–
ExHb; Pr. Rb. 168
9
II 2 § 14
227
–
–
Weißenf. Rb. 50v
00
–
–
–
01
–
228
–
–
7§1
II 7 §§ 1–7
145
213
–
Purg. III 102
– 146
–
–
–
7§2
147
–
9§1
148
–
Pr. Rb. 161 Pr. Rb. 163
9§2
–
229
214
–
02 § 1
V 30
–
215
–
02 § 2
–
–
–
02 § 3
–
–
–
–
216
–
V 31 § 1
V 31 § 2; II 4 – § 22 1 § 1; 2
II 5
2; II 93 4§1
II 4 § 21
217, – 218a, 219
–
–
–
220
–
377
218b
–
4§2
– V 32
V 42 § 14
7§3
Purg. III 99
VI 1 § 1
198
230
197
221
222
236
–
Pr. Rb. 170
–
Pr. Rb. 170
–
Pr. Rb. 171
–
Pr. Rb. 171
– – –
15 § 7
– II 10 § 9
149
–
598
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
II 62
II 28
132
40 § 3
II 51; II 52
–
II 9 §
II 63
II 64
II 65
§1 §2
40 § 4
§3
40 § 5
–
–
41 § 1
II 53; II 54
–
§1
I 18 § 1
§2
–
§1
IV 5
133
41 § 2 134
42 § 1
– II 55; II 56
IV 26 §§ 13
–
–
§2
42 § 2
–
–
§3
42 § 3
–
–
§4
42 § 4
–
–
–
§5
–
II 55; II 56
–
–
43 § 1
II 57
II 72
IV 15
VI 2
§1
IV 6
135
§2
II 66
–
§1
43 §§ 2, 3 V 16 §§ 2, 3
§2
–
44 § 1
–
–
–
44 § 2
–
–
II 67
IV 17
136
–
II 58
–
VI 3
II 68
II 29
–
44 § 3
II 59
–
–
II 69
–
137
44 § 4
II 60
–
VI 3
II 70
–
138
44 § 5
II 61
II 63
–
§1
–
–
44 § 6
II 62
–
–
§2
–
–
44 § 7
II 63
–
VI 6
§3
–
–
45 § 1
§4
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
–
§1
–
139
45 § 2
II 64
–
VI 4
§2
–
45 § 3
–
–
§3
–
45 § 4
–
–
§4
–
45 § 5
–
–
§5
–
45 § 6
–
–
§1
–
–
46 § 1
II 65
–
–
§2
–
–
–
–
–
–
V 16 § 1
140
46 § 3
II 66
–
VI 2
II 71
II 72
III 1
III 2
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
II 9 §§ 1–3
150
244
–
151
2
weitere . . .
–
152
243
–
IV 26 §§ 13,14
164
245
–
–
–
–
–
–
–
Salzw. Rb. 73
–
240
–
–
Salzw. Rb. 74
–
–
–
Salzw. Rb. 75
–
–
–
Salzw. Rb. 75
–
–
–
Salzw. Rb. 75
177, 185, 247
–
Pr. Rb. 201
248
–
250
–
IV 15
VI 2 §§ 1–5
3
599
200
199
Pr. Rb. 96
–
VI 3 § 1
231
251
–
–
–
202
–
Purg. III 14
VI 3 § 2
201
252
–
Pr. Rb. 125
–
201; 232
276b, c
–
–
201
–
–
–
–
253a
–
VI 6 §§ 1–4
– – VI 4 §§ 1–8
–
253b
–
–
–
–
–
378
–
–
379
–
–
–
–
254
–
201
354
– VI 2 § 6
Salzw. Rb. 76
– 380
255
–
Salzw. Rb. 77
600
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
III 3
V9
141
47 §§ 1, 2
II 67; II 68
–
IV 14
§1
–
–
48 § 1
II 69; II 70
–
–
§2
–
–
48 § 2
–
–
§1
–
142
49 § 1
III 1
II 63
–
§2
–
143
–
–
–
§3
II 26 §§ 2, 3
–
49 § 2
III 2; III 3
–
IV 42
§4
–
–
–
IV 42 §§ 19
§5
–
49 § 2
–
144
49 § 3
III 4
III 5
III 6
III 7
§1
–
§2
–
§3
–
§1
V 15 §§ 1–3
145
§2
III 4
–
–
–
49 § 4
III 5
–
50 § 1
–
–
–
50 § 2
–
–
III 17
–
–
III 17 §§ 31
50 § 3
–
–
III 17
§3 §4
III 8 III 9
§1
–
146
–
–
–
VI 5
II 31 § 1
–
51 § 1
III 6
–
–
–
51 § 2
III 7
–
–
–
51 § 3
III 6
–
–
–
51 § 4
–
–
§2 §3
IV 36
II 31 § 2
§4 §5
II 31 § 4
–
51 § 5
III 8
–
IV 37
III 10 § 1
II 31 § 5
–
51 § 6
III 9
–
IV 38 §§ 1,3
§2
–
–
II 26 § 4
–
–
III 11
–
–
52 § 1
–
–
IV 38
III 12 § 1
II 32
147; 148
52 § 2
III 10
–
IV 39
§3
§2
52 § 3
–
III 13
–
–
52 § 4
–
–
IV 26
III 14 § 1
I 11 § 3
149
52 § 5
–
–
IV 26
Anhang ick. Rb.
3
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
601
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
IV 14 §§ 4, 5 381; 233
256, 257
–
Salzw. Rb. 78 u. 79; Pr. Rb. 200; Ofn. Rb. 374
–
234
–
II 33
Purg. III 104
–
235
–
–
Pr. Rb. 97
–
236
–
–
Purg. III 31
–
–
258a
–
Salzw. Rb. 80; Pr. Rb. 65
–
Salzw. Rb. 81; Pr. Rb. 66 §1
– IV 42 § 17
382
IV 42 §§ 19,20
383
IV 36 §§ 4–6 205
258b
–
259
–
Salzw. Rb. 82
– 206 –
162
– 260–263
–
Salzw. Rb. 83
III 17 § 38
–
Salzw. Rb. 83
III 17 §§ 31–33
–
Pr. Rb. 206
III 17 § 3, 4
–
VI 5
–
264
–
–
163
265
–
Pr. Rb. 121
–
–
266
–
Pr. Rb. 122
–
191
–
–
Pr. Rb. 123
–
II 33
Pr. Rb. 124
– IV 37
280; 405
267
–
IV 38 §§ 1, 3, 4
192
267
– –
153 IV 38 § 2
193
IV 39 §§ 1–3 282
Pr. Rb. 114
– –
II 33
268, 270
–
281
–
IV 26 § 15
283
271a
–
IV 26 § 15
284
271b
–
Pr. Rb. 116
602
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
§2
–
III 15 § 1
–
Holl. Ssp.
150
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
52 § 6
–
–
IV 39
53 § 1
III 11–13
–
I 20 §
–
–
–
–
I 33 §
§2
III 21 § 2
§3
II 30
151
53 § 2
§4
III 20 § 4
–
–
–
–
–
III 16 § 1
–
152
37 § 4
III 14; III 15
–
–
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
III 17 § 1
–
–
IV 21
§2
–
III 18 § 1
–
§2
–
153
–
III 16
– 154
–
–
III 17
–
–
–
–
–
–
III 19
–
–
–
–
–
–
III 20 § 1
–
155
55
III 18
–
–
§2
–
–
–
§3
–
–
–
–
III 21 § 1
–
III 19
–
I 33 §
§2
–
III 22 § 1
II 26 § 5
156
56 § 1
–
157
56 § 2
III 20
–
–
–
–
III 21
–
§2 §3
IV 42 §§ 15
III 23
II 33
158
56 § 3
III 22 § 2
–
–
III 24 § 1
–
–
–
III 22 §§ 2–5
–
IV 20
§2
–
–
–
I9§7
–
37 § 3
§2
–
–
–
§3
–
–
–
III 26 § 1
–
159
–
III 25 § 1
– III 23; III 24
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
IV 39 § 5
285
272
–
I 20 § 1
286
273
–
–
287
274, 275
–
I 33 § 4
299
273
–
–
289
274, 275
–
–
67; 289
276
–
–
290
– IV 21 § 32
–
277
–
–
Wimpf. Rb.
II 33
Wimpf. Rb.
–
Wimpf. Rb.
II 33
Wimpf. Rb.; Weißenf. Rb. 13r
–
–
–
–
278
II 33
–
291
279
–
–
280
–
–
281
–
282
–
–
–
IV 42 §§ 15,16
293
Herf. Rb. 47; Weißenf. Rb. 75r
Wimpf. Rb.
–
292
weitere . . .
–
–
I 33 § 5
277
603
–
223, 224
–
Pr. Rb. 191
–
–
Pr. Rb. 191
–
–
Pr. Rb. 191
–
243
137b, 283 –
Wimpf. Rb.
IV 20 § 2
–
137a
–
Wimpf. Rb.
–
Wimpf. Rb.
– –
66
284
–
Herf. Rb. 5; Wimpf. Rb.
–
294
–
–
Wimpf. Rb.
–
–
286a
–
– –
294
Wimpf. Rb.
604
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
§2
–
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
III 27
V 10 § 1
160
57
III 25
–
I 22 §
III 28 § 1
V 10 § 2
–
59 § 1
III 26
–
–
§2
–
–
–
–
–
III 29 § 1
–
–
–
–
–
–
§2
III 12 § 1
–
59 § 2
III 27
–
I 33 §
III 30 § 1
I 11 § 10
–
58
–
–
–
I9§1
–
–
III 28
–
–
III 18 § 2
162
59 § 3
III 29; III 30
–
–
–
–
–
IV 40
§2
III 31 § 1 §2 §3
II 36
60 § 1
III 32 § 1
–
–
–
–
–
–
§2
–
163
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
–
–
§7
–
–
–
III 31
–
–
§8
–
–
–
–
–
§9
–
164
–
–
–
–
§ 10
–
–
–
–
–
–
III 33 § 1
–
165
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
–
III 34 § 1
–
166
–
–
–
IV 20
§2
–
167
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
IV 20
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
–
295
–
Swsp.
605
Tropp. Rb.
weitere . . .
–
Wimpf. Rb.
286b
–
Wimpf. Rb. Salzw. Rb. 84
I 22 § 2
–
287
–
–
62
288a
–
–
–
–
296
–
–
I 33 § 6
384
288b
–
–
297
–
–
–
298
–
–
–
195
289
–
–
–
Wimpf. Rb.; Weißenf. Rb. 77r, 78v
Pr. Rb. 5
IV 40 § 1
299
290
–
–
300
–
–
Herf. Rb. 3; Weißenf. Rb. 58v
–
291
–
–
293
–
Ssp. Ldr. II 32 vollständig in Purg. II 103
–
–
Herf. Rb. 7
–
–
Herf. Rb. 7
294
–
Herf. Rb. 7
292
–
–
–
– –
301
– –
302
295
–
–
304
296
–
–
–
–
–
Herf. Rb. 17
–
385
296
–
Herf. Rb. 17
–
–
–
297
– IV 20 § 8
Herf. Rb. 7
386
–
Herf. Rb. 17
–
Herf. Rb. 17
285
–
–
–
–
IV 20 § 10
–
–
606
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
III 35 § 1
–
168
60 § 2
–
–
IV 9
§2
–
–
–
–
III 36 § 1
–
169
–
–
§2
–
–
–
III 37 § 1
–
–
60 § 4
–
–
IV 40
§2
–
–
61
–
–
–
§3
–
170
62 § 1
III 32
–
–
§4
II 42 § 2
–
62 § 2
–
–
–
III 38 § 1
–
171
63 § 1
–
II 74
I 34 §
§2
–
67 § 1
–
§3
–
–
–
§4
–
–
–
II 75
§5
III 24 § 3
–
–
–
66 § 2
III 33; III 34
–
III 39 § 1
II 34
172
60 § 3
§2 §3
I 35
II 35
63 § 2
–
–
§2
–
§3 §4
64 § 1
III 35
–
–
64 § 2
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 36–38
–
IV 41
II 37
173
174
65 § 1
§2
–
–
§3
–
–
III 42 § 1
IV 45
–
III 40 § 1
§4
III 9
–
§4
III 41 § 1
IV 23
II 1 § 2
175
66 § 1
–
–
–
–
176
–
–
–
65 § 2
–
–
IV 41 §§ 5–
–
–
§2
I 12 § 4
§3
–
§4
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
IV 9 § 10
242
298
–
607 weitere . . .
– IV 23 § 17
4
303
299
–
Wimpf. Rb.
–
Wimpf. Rb.
IV 40 § 2
–
–
–
–
–
300
–
–
154
301
–
–
155
302a
–
I 34 § 5
305
302b
–
I 35
117
303
–
118
–
–
–
–
–
119
–
–
Herf. Rb. 47
164
304a
–
Salzw. Rb. 85
–
Salzw. Rb. 85
5
III 9 § 3
IV 45 § 18
–
306
306
–
–
–
–
166
304c
–
305
–
– –
–
–
–
IV 41 §§ 1–4 167
170, 307a –
168
– –
–
169
IV 41 §§ 5–11
–
– 308
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Purg. VI 67
Weißenf. Rb. 12r
608
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
III 43 § 1
–
177
67 § 2
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
I7§1
178
–
–
–
VI 7 VI 8
III 44 § 1 §2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
–
–
III 45 § 1
IV 28 § 4
179
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
IV 28 §§ 5, 6 180
–
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
§7
–
–
–
–
§8
–
–
–
–
§9
IV 28 §§ 7, 8 –
–
–
–
§ 10
–
–
–
–
§ 11
–
–
–
–
IV 32
III 46 § 1
IV 28 § 9
–
–
–
–
IV 10
§2
IV 28 § 2
–
–
–
III2 7 § 1
IV 5
IV 13
–
67 § 3
III 39; III 40
–
IV 33
–
–
68 § 1
II 41 §§ 1–3
–
68 § 2
III 47 § 1 §2
III 48 § 1
– III 41; III 42
–
§2
–
–
§3
–
–
§4
–
–
IV 33
III 49
II 41 § 4
–
68 § 3
III 43
–
IV 33
III 50
–
–
69 § 1
–
–
–
III 51 § 1
–
–
–
–
–
IV 34
§2
–
–
–
–
–
I5§1
181
–
–
–
VI 9
–
–
–
VI 9
III 52 § 1 §2
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
–
307
309
–
–
weitere . . .
–
VI 7
–
–
–
Wimpf. Rb.; Pr. Rb. 172
VI 8
–
–
–
Wimpf. Rb.; Pr. Rb. 172
–
–
–
Wimpf. Rb.
–
ExMb; Mf. BergR 16; Weißenf. Rb. 14v
–
– 310 sowie: § 3 = 67b – § 11 = 311 –
–
–
ExMb; Mf. BergR 20
–
–
ExMb; Mf. BergR 20
–
–
ExMb; Mf. BergR 20
–
–
ExMb
–
–
ExMb
63
–
ExMb; Pr. Rb. 173–175
–
–
ExMb
64
–
ExMb
IV 32
–
7§1
609
ExMb; Mf. BergR 17 u. 18 ExMb; Mf. BergR 19
IV 10 § 2
65
311
–
IV 5 § 9
–
312
–
IV 33 (A)
–
–
–
156
333, 344
–
–
–
–
–
–
–
343
–
IV 33 (B) § 2 –
–
–
–
–
–
–
IV 34
159
333–341
–
Purg. IV 76
–
–
Purg. IV 76
118
–
Wimpf. Rb.
119
–
Wimpf. Rb.
IV 33 (B) § 1 157
158
VI 9 §§ 1, 6 VI 9 §§ 7, 8
428
Herf. Rb. 25
610
Anhang
Ssp. Ldr. §3
III 53 § 1
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
I5§5
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
–
–
–
Meiß
I6
–
–
–
–
VI 11
§2
I9§8
182
–
–
–
VI 22
§3
–
–
–
–
–
III 54 § 1
–
183
–
–
–
VI 23
§2
–
–
–
–
VI 10
§3
–
184
–
–
–
VI 9
§4
–
–
–
–
–
III 55 § 1
–
–
–
–
–
§2
I 10 § 3
–
–
–
–
III 56 § 1
I 10 § 3
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
§3
–
185
–
–
–
III 57 § 1
–
–
–
–
–
§2
–
186
–
–
–
III 58 § 1
–
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
III 59 § 1
–
187
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
–
–
VI 13 VI 17
III 60 § 1
I5§2
188
VI 21
VI 21
VI 9
VI 12
VI 13
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
III 61 § 1
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
I 15 § 3
–
–
–
190
–
–
–
§2
191
–
–
–
§3
–
–
–
–
192
–
–
–
VI 16
–
–
–
VI 17
III 62 § 1
III 63 § 1 §2
I 4 §§ 1–3
I 1 §§ 3–5
189
VI 24
VI 15
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
611
Tropp. Rb.
weitere . . .
–
Wimpf. Rb.
VI 11
–
120
–
VI 22
–
121a
–
–
–
–
VI 23
308
–
–
VI 10
429
122
–
VI 9 §§ 2, 3
430
122, 123a – 123b, 124 –
VI 21 §§ 2, 3 –
125
–
–
126
–
127
–
VI 21 §§ 4–8 355
Weißenf. Rb. 77v
– – VI 9 §§ 4, 5
VI 12
VI 13 § 1
431
127–130a –
432
–
433
130b, c
–
–
130d
–
–
132a
–
–
–
VI 13 § 2
–
132b
–
Wimpf. Rb.
VI 17
–
133
–
Wimpf. Rb.
–
134
–
Wimpf. Rb.
–
135a
–
ExMü
–
135b
–
ExMü
–
136
–
ExMü
–
ExMü
VI 24
– VI 15
–
–
–
–
–
–
–
–
–
VI 16
–
–
–
VI 17
–
138
–
612
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
§3
III 64 § 1
I 2 §§ 1–3
193
§2
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
–
–
–
–
–
–
–
–
–
§3
194
–
–
–
§4
–
–
–
–
§5
–
–
–
–
§6
–
–
–
–
§7
–
–
–
–
§8
–
–
–
–
§9
–
–
–
–
–
§ 10
–
–
–
–
–
§ 11
I2§4
–
–
–
–
I2§5
195
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 65 § 1 §2
III 66 § 1
–
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
196
Meiß
VI 18
VI 19 §§ 1–
VI 19 §§ 12 VI 20
III 67
–
197
–
III 44 § 1
–
VI 20
III 68 § 1
–
–
–
III 44 § 2
–
VI 20
§2
–
–
–
–
–
III 69 § 1
–
198
–
–
–
VI 25
§2
I 15 § 1
–
–
–
§3
–
–
–
–
III 70 § 1
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
III 71 § 1
–
–
–
–
–
§2
–
–
–
–
–
III 72
–
–
–
–
–
I 36 §
III 73 § 1
–
–
–
–
–
I 36 §
§2
–
–
–
–
–
199
VI 25
VI 26
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
VI 18
VI 19 §§ 1–11
VI 19 §§ 12,13
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
–
–
–
–
137c
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
141
–
–
142
–
143
–
VI 20 §§ 1–6 260
613 weitere . . .
Purg. III 10
– 260; 309
–
363
–
VI 20 § 7
364
144a
–
VI 20 § 8
365
144b
– –
VI 25 §§ 1–3 –
145
–
–
Herf. Rb. 17; ExMü
–
Herf. Rb. 17; ExMü ExMü
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
I 36 § 1
–
–
–
Herf. Rb. 7
I 36 §§ 2, 3
–
319
–
Herf. Rb. 8
–
–
–
VI 25 § 4
VI 26
614
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
–
–
–
–
–
III 74
V 10 § 3
200
–
III 45
–
I 22 §
III 75 § 1
V 11 § 2
–
–
–
–
I 23 §
§2
–
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
–
III 76 § 1
–
–
–
III 46
–
V 12
201
–
§3
–
–
§4
–
–
–
§5
–
–
–
202
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 48–55
–
–
§3
§2
Meiß
I 23 §
– III 47
–
III 77 § 1
–
§2
–
III 78 § 1
–
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
§5
IV 10 § 5
–
–
–
§6
IV 10 §§ 1–4
–
–
–
§7
69 § 2
–
–
§8
–
–
–
§9
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 79 § 1
–
§2
–
§3
–
III 80 § 1
–
§2
–
III 81 § 1
–
§2
203
204
70 §§ 1, 2
III 56
71 § 1 205
–
–
–
I 36 §
–
–
–
I 37 §
–
–
–
–
I 37 §
–
–
–
–
–
III 82 § 1
–
–
71 § 2
II 46
–
–
§2
–
–
71 § 3
–
–
I 33 §
III 83 § 1
–
–
–
–
–
I 33 §
Anhang ick. Rb.
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
–
–
–
I 22 § 2
–
146
–
I 23 § 3
465
146
–
615 weitere . . .
– 466 I 23 §§ 1, 2
–
466
147
–
466; 467
–
–
467
149
–
Wimpf. Rb.
– – –
–
150
–
–
–
–
151a
–
Wimpf. Rb.
–
467
151b
–
Wimpf. Rb.
Weißenf. Rb. 75r
–
Wimpf. Rb.
–
–
Wimpf. Rb.
–
– –
–
–
–
–
–
Wimpf. Rb.
–
–
151c
–
Wimpf. Rb.
–
310
152
–
Wimpf. Rb.; Pr. Rb. 194
–
311
153
–
Wimpf. Rb.
–
312
154
–
Wimpf. Rb.
–
313
155a
–
–
33
–
Purg. II 138; Weißenf. Rb. 76r
–
–
–
I 36 § 4
314
155
–
I 37 § 1
–
156
–
Herf. Rb. 8
I 37 §§ 1, 2
–
156
II 19
Herf. Rb. 8
315
158
–
–
316
157
II 17
I 33 § 1
–
–
II 18
ExMb
I 33 § 2
–
–
II 18
ExMb; Weißenf. Rb. 51r
616
Anhang
Ssp. Ldr.
Berl. Schf.R.
Holl. Ssp.
Löwenb. Rb.
Livl. Spiegel
Zwick. Rb.
Meiß
II 38 § 1
–
–
II 47
–
–
–
–
–
I 39 §
–
–
–
–
I 39 §
§2
–
–
–
–
§3
–
–
–
–
§2 §3
III 84 § 1
IV 11
III 85 § 1
–
–
71 § 1
–
–
–
§2
–
–
72 § 2
–
–
–
§3
–
–
73 § 1
–
–
–
§4
–
–
73 § 2
–
–
–
II 39
–
74 § 1
–
–
–
–
74 § 2
–
–
–
–
75 § 1; 85 § 5 –
–
III 8
–
–
–
–
III 86 § 1 §2
III 87 § 1
II 40
§2 §3
I9§9
–
75 § 2
–
–
–
–
75 § 3
–
–
–
–
–
–
–
–
–
IV 14
–
76 § 1
–
–
–
§4
III 88 § 1 §2 §3
–
–
–
–
§4
–
–
–
–
§5
–
76 § 2
–
–
–
III 89
II 42 § 1
–
76 § 3
–
–
–
III 90 § 1
IV 15
–
77 § 1
–
–
VI 27
§2
–
77 § 2
–
–
§3
–
77 § 3
–
–
IV 16
–
78 § 1
–
–
VI 28
§2
–
–
78 § 2
–
–
VI 29
§3
–
–
–
–
III 91 § 1
Anhang ick. Rb.
617
Meißner Rb.
Silleiner Rb.
Swsp.
Tropp. Rb.
weitere . . .
–
317; 468
–
II 19
ExMb
I 39 § 1 I 39 §§ 2–4
–
ExMb
–
–
–
96
–
II 20
97
–
–
–
6
II 21
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
III 8 § 2
69
–
II 22
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
319; 403
–
–
403
–
–
II 23
–
–
183
–
–
387
–
II 24
VI 27
–
–
II 25
–
–
320
–
II 26
VI 28
321
–
II 27
VI 29
322
– –
Pr. Rb. 187
Pr. Rb. 193
618
Anhang
II. Materialien und Texte 1. Summa des ganzen Prozesses nach: Berlin, StPBK, Ms. germ. fol. 810 (Oppitz Nr. 148), fol. 177v Summa des Gantzen Proces Der Richter den beklagten steltt, dij klage wirdt ihm da vormeldt, Bedenktzeitt wirdtt gegeben ihm, das ehr sich reihtt der Sache vorinn. Darnach der krig durch Ja oder Nein bestetigett wirdtt, das haltt ahn ein. Den schwertt man fu˚r geferdtt ein eijdtt, das allenthalben regier warheitt. Sodan das partt thett leugnen was, mitt tzeu˚gen wils beweisen das. Oder eijdtt, briff vnd sigel gutt, ein instru˚mendt au˚ch helffen thu˚tt. Folgend eroffnett werden soll der getzeu˚gen au˚ssag altzu˚mahl. Vnd wirdtt darnach baldtt recipirtt, gegen dij tzeu˚gen disputirtt, au˚ch gegen der tzeu˚gen person. Darauf folgett dij conclu˚sion. das man zu˚m vrtheil thu˚tt beschlu˚ß, darauff der Richter sprechen mu˚ß: Dem dan das vrteil nicht gefeltt, der appelirtt ehe man vortzeltt. Tzehen tag oder mags thu˚n alßbaldtt, au˚ff stehendem fu˚ß vngeschmaltt. Vorgehen tzehen tag vngeacht, so gehett das vrteil in seine macht. Vnd wirdtt dij helff stadlich gethan, dij sonst ist gesetzt hindan. Diß ist ku˚rzklich des gerichts lau˚ff, wers hatt tzu˚thu˚n, der merke drau˚ff. Finis
Anhang
619
2. Informatio ex speculo Saxonum: Historisierende Vorrede nach: Soest, StdA, Bestand A, Nr. 10922, fol. 1r–2r Na godes geburt, do man schreff sevenhundert und sesundseventich jar, do wart de grote konick Karll, konick Pipins sone, tho konnige gemaket overe alle Ffranckrike unde war dar inne tweundsertich jare unde an dem Romschen ryke veyrteyn jare. Ffranckryke wort by eme mer ghehoget dan by jewigen konnige. He was ock de erste Romsche konmyck, de tho Rome gewyet wart. He bedwanck alle Hysspanyenlant, Britannenlant, Cecilienlant, Tabrinclant und Bergonyenlant. He vorde ock teyndusent volkes over de Elve unde delde ze over alle Düdesschelant. Daroff so vint men noch mannich wendesch dorp in dem lande to Sassen, so sint de wissen derer aller crist gekomen. He vant ock den groten schat konnyck Hercilos,1 de dar over mannygen jaren begraven was. He gaff ock den Swaven er recht. He bowede ock den monster tho Aken over syn ind unsers frowen ere. He bedwanck de lande tho Werstfalen und tho Sassen. He hadde eyn wiff, de was geheten de schone Hyllegart, und hadden thogader der sones. De ene hete Caroln, de ander Karolomann, de derde Ludewycus. De eyrsten twe vorden geslagen an enen stride, also behelt Lodewycus dat ryke allene und keyser Karll starf ock in gudem geloven und ys tho Aken begraven. Do keyser Karl dat lant tho Werstfalen und tho Sassen bewungen hadde, so dat sick der lude tho dem kristengeloven kerden, so gaff he darumme dem lande tho Sassen eyn privilegyum, den luden tho gebruckene, als men dat beschreven vint yns den sulven privilegio li. I c. XXIIII in glosa, dat sick beginet: Eyn iuwelick yncomen man enpfeit erve in dem lande tho Sassen na des landes rechte [= Ssp. Ldr. I 30], ut li. III c. XXXIIII glosa, dat sick beginnet: Iuwelick man hevet syn recht vor dem konynge [= Ssp. Ldr. III 33 § 1], welck privilegium genant ys eyn spegel de Sassen, welcker spegel her Eyke von Repengouwe ute dem latine in dat dudesch hevet gebracht umme bede wyllen greven Hoyers van Valkenstene, uff dat de lude, de unvornunfftigen syn, des rechten sick darinne erfaren als [in] eyn spegel de jungenfrowen er antlaet schowen. Als men alle klarlyke beschreven vint yn der vorrede und anbeginne des privilegio des spegels der Sassen, dat sick beginnet: Ich tymmer, so men secht, by dem wege, das mot ick mannyge mester han [= Praef. rhythm., V. 1 f.] So steit dar vort inne: Got ys eyn gebing alles rechten [= Text. prolog.] und hevet gesproken: Gi menschenkinder, richtet rechte alltyt, welkermate gi utmetet mit der sal uw weder gemeten werden. [= ?] A[l]s men beschreven vint in codem privilegio sive speculo li. I c. I., dat sick beginnet: Des hylgen geistes etc. [= Prologus]. Iudicium quale facit hic red[d]am tibi tale. So dat in dem lante tho Werstfalen und tho Sassen und ock eyn anderen landen myt wertliken gherichte und rechte van den herren und gerichten und van den greven, de de macht hebben, dat se richten und saen mogen, wo und wat se wyllen, und so dan dicke und veyl gerichtet wird und gedaen weder Got und recht, so habben doch de keyser Constantynus und Karolus beschreven recht gesat und gegeven des Sassen und den selven 1
Meint vermutlich die Legende des durch Kaiser Heraclius, der das Kreuz Jesu zurück nach Jerusalem gebracht haben soll; vgl. Ohly, Sage und Legende, S. 180–188.
620
Anhang
privilegio und spegele van allen wertlyken richteren und rechte, wo und wat eynen iuwelicken richter tho rychtene gebort und richten schollen. So vint men yn dem selven privilegio und spege[l] des landest ho Werstfalen und to Sassen, wat und wo iuwelyken richter tho richten geboirt.
3. Die dem Sachsenspiegel fremden Artikel des Löwenberger Rechtsbuches [cap. 2 § 5, fol. 79v] VON DER BURGERMEISTER RECHT. Der burgermeister hat daz recht, swenne man ein vr. Teil uzgebin sal, daz he den schepfen zusamene sal gebiten mit dem butele. Umme daz urteil sal man in gebin einen virdunc, das sal sich der burgermeister underwinden und mit den schepfen teilen, und ander pfennig, di den schepfen geburen. Und swaz ungeretis den schepfen gesit, daz sal der burgermeister vorderen mit irre helfe. He sal ouch daz geschoz in der stat innemen und wider druz berichten. He sol ouch den wechtern lonen und sal si miten mit der burger rate. [cap. 2 § 6; fol. 80r] VON DER SCHEPFIN RECHT. Di schepfen sullen volkumen sin an irre geburt, daz si eime iclichem manne rechtis mugen gehelfin. Si sullen ouch zu der banc sweren und sullen sprechin also: „Daz ich mime herren und mime richtere und deme lande gemeine recht urteil vinden will, so ich beste kann nach mines herzen sinn und lere, und daz ich des nicht will lazen durch keinerhande vorchte, noch durch keinerhande vruntschaft, noch vientschaft, daz mir Got so helfe und alle heilegen.“ Und darnach sal her keinen eit me sweren, ab her imandis gezuc will sin, wanne man sal in manen bi sinem eide. [cap. 10 § 2, fol. 86v] VON PFANDIS RECHTE. Wil ein man aber sin erbe oder sinen zins setzen vor gelt, des indarf der man nicht nemen, hat iener man phant, di man getragen mac oder getriben oder gevuren. [cap. 10 §§ 4–12, fol. 87r–88v: WEGEN KLAGE UM GELD] [. . .] [§ 4.] Irvordert aber ein man gelt uf den andern und spricht also, he wolle daz gelt nyrgend nemen wenne vur zwen schepfin in ienis kegenworte, wil he darnach sprechin, he habe im vorgoldin, daz muz he bewisen mit zwen schepfin, swer si sin. Werden aber di schepfin benant, so muz her iz bewisen mit den selben zwen und nicht mit andern. [§ 5.] Irvordert aber ein man gelt uf einen andern man, daz he im geldin sal und kyse daz gelt nyrgen zu nemen wenne vor zwen mannen und benenne di und besetze daz mit deme richter und mit den schepfin, und ist iener dazu kegenwort, der daz gelt geldin sal, wil he im des geldin lovken, des ist he in neir zu verwindene mit deme richtere und mit den schepfin, de he iz vor in gelobete, wenne he kein unschult davor getun. Sprichet he aber, he habe iz im vorgoldin, diselbe vorgoldene schult sal he mit nimande bewisen wenne mit denselbin zwen mannen, di vor deme richter und vor den schepfin zu nemene benant wurden. [§ 6.] Beclaget ein man den andern umme gelt und ienir sprichet: „Ich bin burge.“, und dirre sprichet, he ist iz selbe schuldic, ienir sal bekennen und geldin alse recht iz oder lovken und sin recht davor tun.
Anhang
621
[§ 7.] Beclait aber ein man einen andern umme gelt und derselbe man sprichet: „Ich bin sin burge“, und ir dirweder sprichet anders nicht, der richter sal im gebiten zu geldene in virzen nachten. Sprichet he aber: „Ich bin sin burge und gere der vrist mit rechtem urteil an denselbin man, ab he mich geloset habe, hat he mich nicht geloset, ich will mich selber losen. Und lazet mir ein recht urteil werden, ab ich zu rechte di vrist ich haben sulle.“, di vrist, di sal he haben virzen nacht. Brenget he den man, der sal im antworten vor daz gelt mit minne und mit rechte. Tut he des nicht, iener sal im sin gelt desselbin tages gebin. [§ 8.] Beclaget ein man den andern umme geld, und iener sprichet: „Ich bin im nicht schuldic. Ich habe im einen burgen gesatz.“ und dirre sprichet, her habe im keinen gesatz, he sal im sin recht davor tun alse recht ist. Sprichet he aber: „Lazet mir ein recht urteil werden, ab he sinen burgen nicht zu rechte gestellin sulle“, daz sal man im teilen. Gestellet he in nicht uber virzen nacht, so sal he im sin gelt desselben tages gebin, da he in umme beclaget hat. Gestellet he aber den burgen, daz he im entwort mit minne oder mit rechte, also daz he spreche: „Ich habe im vorgoldin.“, und bewise daz alse recht iz, so is ienir des burgezoges ledic. [§ 9.] Allerleye gelt sal uber virzen nacht vorgoldin sin ane muntzengelt und erbegelt, daz sal man geldin ame dritten tage. [§ 10.] Ist iz also, daz ein gast gelt irvordert uf einen burger, mac der gast vom mitternacht zu din gezit kumen, der burger sal im sin gelt in virzen nachten geben. Mac he aber vom mitternacht zu dinges zit nicht kumen, so sal he ime sin gelt gebin oder ein pfant uber die twere nacht. Daz sal he halden sechs wochen und sal iz danach setzen vor sin gelt. Gibet he im aber noch gelt noch pfant, der richter sal im helfen eines pfandis, daz sla he halden virzen nacht und sal iz ussetzen vor sin gelt. Und mac he iz nicht vorsetzen in der stat, he sal iz vuren in di neheste stat mines herren und sal iz in lazen wizzen, und sal iz im gewis machen, ab des im der burger nicht in wolle getruwen. [§ 11.] Beclait aber ein gast einen burger und wil der burger nicht vorkumen, man sal im gebiten drie abene zu huse und zu hove, ab he inheymisch is deme gaste zu entworten. Und kumit he nicht vor, he sal deme gaste pfandis helfin. Damite sal he tun, alse hivor geret is. Und also dicke als im geboten is vorzukomen alse dicke hat der richter sine buze, daz sint vier schillinge, he brenge di rede, di im helfende si. Ist aber der burger nicht inheymisch, alse der gast claget, swenne he denne zu huse und zu hove kume, so sal in der richter rechtis helfin. [§ 12.] Beclait aber ein gast einen man, der ungehusit is, den man noch gepfendin mac noch vor gerichte brengin mac, swen in der gast ansichtic wirt, so sal im der richter rechtis helfin. [cap. 11 § 2, fol. 88r] WIE MAN EINEN TOTEN MAN UBIRZUGEN SAL. Wil einer einen totin man uberzugen, daz muz her tun mit zwein und sibinzik mannen, di unvorsprochen sin. [cap. 11 § 4, fol. 88v] VON ANEVANGE. Nimant deme richter noch den schepfin keinen anevanc gebin sal zu rechte. [cap. 32 § 2, fol. 101v] VON DEME, DER SINEN LIP VON GERICHTES WEGIN VERLUSET. UND VON DEM, DER SICH SELBIR TOTET. Swer von ge-
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richtes halben den lip verluset, sin nehiste getelinc nimet sin erbe. Swer ouch sich selbir von deme libe tut, sine erbin nemint sin gut. Dube unde roub, die man undir ime vindit, daz sal der richter bihaldin undir ime iar unde tac. Ab sich dar binnen nach rechte nimant zu in zuhit, der richter kere iz in sinen nutz. [cap. 47 § 1, fol. 111v] WIE MAN UBER DI WIP RICHTEN SAL. Man sal ubir kein wip richten, di lebinde kint treit, hoer denne zu hute und zu hare. Treit sie aber nicht kindes unde tut sie untat, di ir an den lip get, so sal man sie lebinde begrabin. [cap. 79, fol. 123v] WIE MAN EIN PHERT ANEVANGEN SULE. Swer ein phert anevangen wil, der neme iz bis swelchen oren her wolle oder bi dem manin oder bi dem schopfe oder wa he iz angrifen muge, so ist iz ime hulflich und gibit darumme nimande nicht ob her iz mit des richters loube anevanget. [cap. 81 § 4, fol. 125r] OB EIN MAN VOR DI GIWER EINEN BURGEN SULLE SETZEN. Gelobit man einem manne di giwer unde bitet der giwer einen burgen, den sal man ime setzen, ab her nicht gewisgnug ist, und wirt im bruch an deme, der di giwer gelobit hat, also, daz man diselbe sache vordirt und her den, der di giwer gelobit hat, nicht gehabin mac der burge sal leiste nvor den totslac achtzehin marc und vor di wunden nun marc. Unde ist iz vor erbe oder varnde habe, di sal der burge zwi gulde leisten, her muge denne den vorderer mit minnen abegewisen unde blibet is ane wandel. Kumit iz abir vor gerichte also, daz her iz mit clage gewinnet, so wettet her deme richtere drizec schillinge. [cap. 82 § 2, fol. 125v] VON WERGELDE. [Textverlust] ab man di abelegunge bewisen mac mit deme richtere und mit den schepfen. Mac man iz nicht bewisen, man sal ime bezzern, alse hievor geredit ist mit eime halbin wergelde. [cap. 83 § 4, fol. 126r] DER HERRE MAC OUCH UZNEMEN SINEN KNECHT. Der herre muz wol antworten vor sinen knecht, diwile her an sinem brote ist, umme allerhande sache, diwile her sich schaden getrosten will, der danach kumen mac mit sulchem rechte, alse der knecht antworten solde. [cap. 87 § 1, fol. 130v] VON MORDE. Diz selbe urteil get ubir den mort, ob her mit der hanthaftiger tat vor gerichte bracht wirt. Zu gezuge mac her habin einen itslichen man, den man rechtelos nicht bescheldin mac, ane sinen vater unde sine sun unde sinen brudir unde sinen knecht. [cap. 96 § 1, fol. 135r] VON TOPILSPIL. Verspilt ein man in des andir hus unde hat her nicht pfandes, her mac in davor di schult ufhaldin in siner giwer, biz daz her in des sinen birichtet. Kumit aber ienir hinwec, her kann ime nichts angewinnen wenne sin recht. [cap. 96 § 3, fol. 135r] VON PFLEGE RECHTE. Kein man keines mannes kint hoher verpflegin mac an topilspil wenne also vil cleidir als her an hat. [cap. 97 § 3, fol. 135v] VON DER HOLUNGE. Mit gizuge hat man nicht holunge, da der gizuc swern sal uf eines mannes lip oder uf sin ere oder uf sinen gesunt oder uf sin erbe. Sal abir ein vrouwe eide tun, ist si so cranc, daz sie nicht gesten mac, sie sal sitzinde swern biz sie volkumit, wenne ir mac nicht bruch werdin an irn eiden.
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[cap. 98 § 4, fol. 136v] OB EIN MAN ODIR EIN WIP STIRBIT. Hat ein man ein elich wip unde stirbit ir ein, ir kint haben glich teil an irs vatir unde an ir mutir gute, iz si sun oder tochter oder phaffe. Des inhat der munch nicht. [cap. 98 § 5, fol. 136v] VON UZGESATZTIR KINDER RECHTE. Hat ein man ein elich wip unde hat her kindir mit ir unde inist der kindir keinez uzgesatzt, stirbit der man oder daz wip, will daz uzgesatzt kint teilen mit den kindirn, di umbistatit sin, iz muz widerkerin alliz, daz ime vor gigebin ist wizzentlichen, erhaften luten. Gibit man ime daruber keine schult, des mac is bikennen unde widirkerin odir lovken und sin recht davor tun. Tut is des nicht, iz inhat nicht teiles an deme gute. [cap. 98 § 6, fol. 137r] OB KINT AN EINEM ERBE IRSTORBEN SINT. Swa kint an einem erbe irstorbin sint, stirbit ir kein unde habin sie einen vatir, so vellit iz uf den vatir zu sime libe. Nach sime libe teilen iz di kindir gliche under sich, beide di binnen und buzen sin. [cap. 98 § 7, fol. 137r] OB EIN MAN STIRBIT UND LEZIT GUT. Stirbit ein man unde hat her gut unvergebin, sin gut erbit daz dritte teil uffe sin wip, di zwei teil uff di kindere, ob si ebinburtic sin. Unde di mutir mac mit deme gute nicht getun ane der erbin willen, ob daz kint stirbit nach der teilunge. Blibit aber di mutir mit den kindirn in deme gute umbeteilet unde stirbit der kindir einez odir me, ir teil vellit uf di muter unde uf di kindir, di in deme gute blibin. [fol. 137v–138r: NACHTRÄGE OHNE KAPITELZÄHLUNG] [1.] OB EIN IUNCVROUWE WIDIR IRS VATER UN IRRE MUTER WILLEN MAN NIMET. Hat ein man und ein wip tochtere, nimet ir eine man an iren willen, sie hat verworcht sogetan gut, alse ir werdin solde von vater unde von muter bi irme lebindem libe und nach irme tode, si gebinz ir denne mit irme guten willen. [2.] OB EIN IUNCVROWE AN IRS VATER WILLEN EINEN MAN NIMET, DER IR MUTER TOT IST. Nimet ein iuncvrouwe einen man ane irs vater willen, der di muter tot ist, sie biheldit ir teil am ir muter gute, swaz ir zu rechte geburen sal. Sie hat aber verworcht sulch gut, alse ir von irem vater werdin solde bi sinem libe und nach sinem tode, her ingebe iz ir denne mit sinem guten willen. Daz selbe recht hat di mutir, ob ir man stirbit, so nimet die tochter sulch gut, als ir von dem vater anirstorbin ist. Sie hat aber verworcht alliz daz gut, daz ir von der muter solde werdin, si gebe iz ir denne mit gutem willen. Also bischeidenliche, ob die tochter sich mannet ane der muter willen. [3.] OB DER SUN WIP NIMET ANE SINS VATER UND SINER MUTER WILLEN. Nimet der sun wip ane sinis vater unde siner muter willen, her hat an irme gute nicht bi irme lebindeme libe, sie gebin iz ime denne von mutwillen. Nach irme tode nimet her glich teil sinen brudirn unde sinen swestirn an sins vatir unde siner muter gute. Waz aber den andirn giswisteriden vor worden ist an irs vater unde ir muter gute bi lebindem libe, das durfinsie nicht widir inlegen.
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4. Textprobe aus dem Weißenfelser Rechtsbuch nach: Wien, ÖBN, Cvp 2938 (Oppitz Nr. 1517), fol. 30v–38v HERNACH VOLGEN ETZLICHE GUTTE REGELNN UNND LEHRE, ERBE ZU NEHMEN ETC. Vor allenn dingenn sol man wissen, das solche lehre und regeln, dye hernach volgen, gesatzt sein nach Sechsischen rechten, nicht alleine nach landtrechte, sonder auch nach weychbildrechte. Und wyewol etzliche leutte underweylen widerst sprechen, dye sprechen nach yrer stadt gewonheit unnd wylkore und nicht nach geschreiben, gemaynem sechsischem rechte. Solche gewonheyt und wilkor denn alleine bindet yre eynwehner unnd nicht fremde lewthe. Von rechte. Ir sollet auch wissen, das man het in dem bawme, arbor consangwinitatis genant, eine zelle, da ist nichts ynnen geschriben. Darran soll man anheben zu rechen allerley magenschafft. Auch soll man wissenn, das da seint dreyerley lynnen. Dye erste geht nyderwärts, anzuheben an der ledigen zelle. Also sone, tochter, nefe, niftel etc. vnd so furbas ye und ye nyderwarts dye ferne sich das geburet nach geburligkeyt der sachen. Das heist der rechte busem, dye rechte linien unnd der rechte stamme nyderwärts. Die ander linien geht uffwarts, anzuheben an der ledigen zelle. Also vatter, mutter, eldervatter, obireldervater etc. und furbas, wye sich das geburt nach geburligkeit der sachen. Und das heist dye rechte linien ufwarts, der rechte busem ufwarts und der rechte stamme ufwarts. Dye dritte linien geht seythalben die querobir und heist linea collateralis. Als bruder und schwester etc. Dye selbige linea ist zcweyerley: Dye eyne, die ist gleich, also bruder, bruderkinder, ander geschwisterkindt und furbas, gantz auß. Dye ander ist ungleich, als vetter, baße, grosvatter etc. Dye seint alle zcumale in ungleicher linienn. PRIMA REGULA // DYE ERSTE REGELL. Alledyeweyle dy dar nyderwart stehin, dye nehmen des uffwart erbe vor alle die, dy da ufwar ader nyderwart darzu geborn sein. Lantrecht li. I. ar.o III. Das sol man also vornehmen, dyeweyl das da yemandt ist in der ersten linien, dye da nyderwarts geht. Dyeweyl nehmen dye in der andern linien ufwärts und in der dritten linen seythalben keyn erbe, durch das, das das erbe billich geht nyderwarts, wye ferne man das gezelen kan denn uffwarts ader seytwarts, wenn das ist der rechte busen unnd dye rechte linien nyderwarts, daraus der erbe nicht kommen soll, dyeweyl man dye gehaben mage. Vonn rechte. SECUNDA REGULA // DYE ANDER REGELL. Alle, dye da nyederwarts stehnn ym ersten grade, nehmen erbe vor alle die, dy da nyderwart stehm ym andern und vordern grade, li. I ar.o III. Es sey dann, das yr vatter ungeteylt bliben sey in dem gemaynen gude bey yren eldernn. So neh-
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men sy gleichen teyle mit yrem vettern in yres eldervatter erbe, alle nehmen sy [verderbt]. Von rechte. Li I. ar.o V. TERCIA REGULA // DYE DRITTE REGELL. [. . .] NUN MERCKET AUCH MANCHERLEY UNREDELICHE SPRUCH. Etzliche sagen, das der eldervatter und vaters schwester ader bruder von voller geburt sollten gleich nahe sein [scil. an dem Erbe]. Dye sagen unrecht, denn mein eldervater ist neher mein erbe zu nehmen denn meins vatters schwester ader bruder, darumb das mein eldervater inn rechter linnen steht, daraus man nicht gehin sol, dyeweyl sich yemandt aldar findet, ut in regula quarta et quinta.
5. Konstitution Christians VI. über die sächsische Gerade in Holstein (1742) Corpus Constitutionum Regio-Holsaticarum, Bd. 1, Altona 1749, S. 154–156 (Abt. VI, Nr. 6) Wir Christian der Sechste etc. Thun kund hiemit: Wasgestalt Uns allerunterhtänigst hinterbracht worden, wie daß in dem alten Sachsen-Recht, welches in den Aemtern und auf dem Lande in dem Herzogthum Holstein Unsers Antheils, wie auch bey Unserer Glückstädtschen Regierungs-Cantzley und dem dortigen OberAmts-Gericht recipiret worden ist, ratione Successionis Conjugum keine hinlängliche Verseheung geschehen, mithin solcherhalben bishero gewissermaßen ein jus incertum gewesen sey, und folglich diese Quaestio zu viele Geld-spildernden Processen Anlaß gegeben habe. Wann aber die Nothdurft erfordert, auch zu Vorbeugung allerhand Unordnung und vieler unnöthiger Processe gereichet, daß dieserhalben ein gewisses und gleich durch gehendes Recht eingeführet und beobachtet; überdem auch nichts billiger ist, als daß denen Frauen, welche bey dem Absterben ihrer Männer, nach dem alten Sachsen-Recht, fast ganz leer ausgehen, einigermaßen prospiriret werden: Als haben Wir nachgesetzte Verordnung solcherwegen verfassen und publiciren zu lassen, allergnädigst für gut befunden. Constituiren und verordnen solchemnach hiemit und in Kraft dieses, daß bey dergleichen künftig ab intestato sich eräugenden Successions-Fällen, und wann keine zu Recht beständige Ehe-Pacten zwischen den Eheleuten errichtet worden, was zuforderst den Casum anbetrifft, wann der Mann vor der Frau verstirbet, solchenfalls ein Unterscheid zu machen sey, ob Leibes-Erben, es mögen selbige aus der ersten oder andern Ehe erzeuget seyn, vorhanden oder nicht, und im ersten Fall, die nachlebende Frau den vierten Theil, wann aber allgar keine Kinder vorhanden, den dritten Theil aller dem Juri Saxonico unterworfenen sowohl beweg- als unbeweglichen Güter ihres verstorbenen Mannes, als ihren Erb-Theil zu nehmen befugt seyn solle. Anlangend diesemnächst aber den Fall, wann die Frau vor dem Mann verstirbet, so bleibet derselbe nach wie vor, wann anders nur denen Eltern oder Kindern aus dem übrigen Nachlaß der Defunctae die legitima salva verbleibet, nach klarer Dispotion des Sachsen-Rechts und der bisherigen Praxi ein Erbe aller der Frauen Mobilien.
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Da aber der Frauen zinsbar belegte Capitalien, imgleichen die in einem Sterb-Hause baar vorgefundene, jedoch zur Belegung destinirt gewesenen Gelder, wie auch die übrigen nomina activa, als Buch-Schulden und dergleichen, hierunter nicht mitzurechnen sind; Als soll der nachlebende Mann, ausser denen Mobilien, ohne Hinsicht zu nehmen, ob Kinder vorhanden oder nicht, annoch den vierten Theil von der Frauen belegten Capitalien und etwaigen dem Juri Saxonico unterworfenen unbeweglichen Gütern, als seine Erb-Portion, zu erheben haben. Gleichwie aber sowohl in dem in den Städten Unsers Herzogthums Holstein recipirten Lübschen Recht, als auch in dem besonderen Land-Recht in Unserm Süder-Theil Dithmarschen, ein ander Modus succedendi bonorum inter Conjuges vorgeschrieben und vestegestellet worden, und dem Amte Steinburg die Communio bonorum inter Conjuges, wie auch hin und wieder auf dem Lande die Gewohnheit obtiniret, daß die Wittwen und Wittwer, so sich in den Bauer-Hof gefreyet, wann Kinder vorhanden, nur den so genannten Abschied oder alten Theil bekommen, worunter eine Aenderung zu machen, Wir vor der Hand Bedenken tragen; Als wollen Wir diese Unsere allerhöchste Verordnung lediglich auf die Aemter und Oerter des Herzogthums Holstein, wo das alte Sachsen-Recht gilt, und kein ander Modus succedendi inter Conjuges, entweder per speziale statutum oder durch eine zu Recht beständige Gewohnheit eingeführet ist, imgleichen auf die Unserer Glückstädtischen Regierungs-Cantzley und dem dortigen Ober-Amt-Gericht immediate unterworfene Personen und Güther hiemit restringiret haben. Wornach sich männiglich zu achten. Uhrkundlich unter Unserm Königl. Handzeichen und fürgedruckten Insiegel. Gegeben auf dem Königl. Schlosse Hirschholm, den 15 Junii Anno 1742.
6. August Geyder an Carl Gustav Homeyer, 5. Januar 1836 nach: Berlin, StBPK, Nachlass Carl G. Homeyer, Kasten 8, Nr. 329, Bl. 2 Hochzuverehrender Herr Professor! Ihre zweite Ausgabe des Sachsenspiegels, für deren Übersendung ich Ihnen meinen herzlichsten Dank sage, hat mir Muth gemacht zu einem Unternehmen, welches ich schon seit längerer Zeit beabsichtige. Durch ein günstiges Geschick lernte ich bereits vor mehreren Jahren einige vorzügliche Codd. der Distinctionen kennen und ich faßte den Entschluß eine neue Ausgabe des von Böhme so ungenau abgedruckten Rechtsbuches zu veranstalten. Es kam dabei zunächst darauf an, die Grundsätze nach denen dieß geschehen müße, festzustellen. Der bloße Abdruck eines Cod. konnte nicht mehr genügen, seit die mhd. Grammatik vorzüglich durch Grimm eine so große Bedeutung erlangt hat und die Ausgaben unserer mhd. Dichter mussten eben deshalb das Muster für den Herausgeber einer in Prosa geschriebenen Werkes werden. Anders steht es jetzt noch mit dem Mittelniederdeutschen, die Grundsätze, die Sie bei der Herausgabe des Ssp.s befolgt haben, sind gewiß für jetzt die einzig richtigen und werden es so lange sein, bis die niederdeutsche Sprache in ihren älteren noch aufzufindenen Denkmälern genauer erforscht sein wird. Ich habe bei der von mir beabsichtigten Ausgabe der Distinctionen den ältesten Cod. den ich kenne zum Grunde gelegt und zwar so, daß ich seine Schreibung ver-
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änderte, wo sie mit den Regeln der Grammatik im Widerspruch stand; die Hauptschwierigkeit dabei war die, jeden Schein von Willkühr wo möglich zu vermeiden und die Eigenthümlichkeiten, die dem Verfasser und der Zeit in der er schrieb angehören, nicht zu vernichten. Besonders machte Anstoß das Schwanken zwischen hoch und niederdeutschen Formen, welches nicht blos dem Abschreiber zur Last gelegt werden konnte, sondern der Gegend in welcher der Verfasser lebte musste auch ihr Theil daran zuerkannt werden, wenn nämlich die Annahme, daß das Rechtsbuch in der Markgrafschaft Meißen geschrieben ist, als die richtige gelten kann. Keiner der von mir untersuchten Codd. widerstreitet dieser Annahme, die jedoch erst durch eine genauere Untersuchung der im 14. Jahrhundert in der Markgrafschaft Meißen und den benachbarten Gegenden zur Anwendung gekommenen Rechts – besonders des statuarischen – nähere Begründung erhalten wird. Bei der Aufnahme der Varianten befolgte ich die von Ihnen aufgestellten Grundsätze, jedoch so, daß ich im Anfange mehr Varianten eingetragen habe, die einzig und allein die Verwandtschaft der verglichenen Codd. darthun sollen, ohne daß sie für den Text selbst wesentlich wären. Der Glossar, welchen ich nach Ihrem Vorgange mit dem Inhaltsverzeichniß verbinde, berücksichtigt Grammatik und Etymologie, auch sind von mir alle mir nur irgend zugänglichen Idiotika durchgesehen worden, um das Fortleben einzelner im Rechtsbuche vorkommender Wörter in der Volkssprache nachweisen zu können. Weshalb ich die beifolgende Probe habe drucken laßen, giebt das Vorwort derselben an und ich hoffe, daß Sie dieselbe einer nähern Berücksichtigung würdig erachten werden. Sie erhalten mehrere Exemplare und ich hoffe keine Fehlbitte zu thun, wenn ich Sie ersuche, dieselben an die, welche sich für das ältere Recht des Vaterlandes interessieren, zu vertheilen namentlich an Eichhorn, Lachmann, Meusebach, Savigny, Klenze. Mit aufrichtiger Hochachtung, Ew. Hochwohlgeboren ergebenster Aug. Geyder
Quellen- und Literaturverzeichnis I. Abgekürzt zitierte Werke, Zeitschriften und Reihen ChrDtSt
Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert
Cod. Dipl. Codex Diplomaticus Brandenburgensis [Continuatus] Brand. [Cont.] Cod. Dipl. Sax. reg.
Codex Diplomaticus Saxoniae regis
FdtR
Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte
ForRaRV
Forschungen zur Rechtsarchäologie und rechtlichen Volkskunde
GA
Germanistische Abteilung (der ZRG)
GASK
Germanistische Arbeiten zur Sprache und Kulturgeschichte
GqProvSachs
Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete
GW
Gesamtverzeichnis der Wiegendrucke
HGbll.
Hansische Geschichtsblätter
HHStD
Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands
HZ
Historische Zeitschrift
KA
Kanonistische Abteilung (der ZRG)
Oppitz Nr.
laufende Nummer im Handschriftenverzeichnis von U.-D. Oppitz (1990)
RA
Romanistische Abteilung (der ZRG)
RhR
Rechtshistorische Reihe
RI
Regesta Imperii
Sbb.
Sitzungsberichte wissenschaftlicher Akademien
SchrEurRV
Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte
StEurR
Studien zur europäischen Rechtsgeschichte (Ius Commune Sonderhefte)
UdtStR
Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
ZdtRR
Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft
ZfO
Zeitschrift für Ostforschung
ZgStW
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft
ZhF
Zeitschrift für historische Forschung
ZHVGA
Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde
Quellen- und Literaturverzeichnis ZNR ZRG ZVHG ZVLGA
Zeitschrift Zeitschrift KA, RA) Zeitschrift Zeitschrift kunde
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für Neuere Rechtsgeschichte der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (ggf. GA, des Vereins für Hamburgische Geschichte des Vereins für lübeckische Geschichte und Altertums-
II. Handschriften Amsterdam, Universitätsbibliothek, I A 22 (Oppitz Nr. 15) Augsburg, Stadtbibliothek, 2o Cod. 161 (Oppitz Nr. 27) Berlin, Geheimes Preussisches Staatsarchiv, XX. HA Mscr. Fol. A 26 (Oppitz Nr. 794) – XX. HA Msc. A 2o 30 (Oppitz Nr. 797) – XX. HA. StA Königsberg OP. Fol. 15661 (Oppitz Nr. 105) Berlin, Staatsbibliothek Preussischer Kulturbesitz, Ms. Boruss. 240 (Oppitz Nr. 86) – Ms. germ. fol. 10 (Oppitz Nr. 110) – Ms. germ. fol. 11 (Oppitz Nr. 111) – Ms. germ. fol. 12 (Oppitz Nr. 112) – Ms. germ. fol. 284 (Oppitz Nr. 116) – Ms. germ. fol. 390 (Oppitz Nr. 119) – Ms. germ. fol. 810 (Oppitz Nr. 148) – Ms. germ. fol. 900 (Oppitz Nr. 157) – Ms. germ. fol. 1019 (Oppitz Nr. 168) – Ms. germ. fol. 1097 (Oppitz Nr. 177) – Ms. Germ fol. 1292 (Oppitz Nr. 188) – Ms. germ. fol. 1427 (Oppitz Nr. 198) – Ms. germ. qu. 453 (Oppitz Nr. 202) – Ms. germ. qu. 2004 Braunschweig, Stadtbibliothek, Fr. 1 (Oppitz Nr. 237) – G XII 7 Nr. 39 4o (Oppitz Nr. 235) Bremen, Universitätsbibliothek, cod. a. 30, fol. (Oppitz Nr. 247) – A. 30 a 1 (Oppitz Nr. 248) Breslau, Staatsarchiv, Akta miasta Swidnic. No. 57 (Oppitz Nr. 287) – Rep. 135 V 67 (Oppitz Nr. 308) – Rep. 135 D 366ab (Oppitz Nr. 305)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Breslau, Universitätsbibliothek, II Q 3 (Oppitz Nr. 267) – II F 6 (Oppitz Nr. 259) – II F 7 (Oppitz Nr. 260) – IV F 57 (Oppitz Nr. 269) – Rep. 132a, Dep. miasta Lwówka Nr. 1 (Oppitz Nr. 304) Darmstadt, Hessische Landesbibliothek, Hs. 730 (Oppitz Nr. 388) – Hs. 1426 (Oppitz Nr. 389) – Hs. 3762 (Oppitz Nr. 394) Den Haag, Königliche Bibliothek, Ms. 133 H 4 (Oppitz Nr. 404) Dresden, Universitäts- und Landesbibliothek, M. 27 (Oppitz Nr. 446) – M. 28 (Oppitz Nr. 447) Düsseldorf, Hauptstaatsarchiv, Best. Abtei Werden, IX b 1 I Duisburg, Stadtbibliothek, o. Sig. (Oppitz Nr. 565) Frankfurt a. M., Stadt- und Universitätsbibliothek, Ms. Germ. Qu. 107 (Oppitz Nr. 508) Gießen, Universitätsbibliothek, Hs. 954 (Oppitz Nr. 537) – Hs. 970 (Oppitz Nr. 547) – Hs. 980 (Oppitz Nr. 557) – Hs. 996 (Oppitz Nr. 565) Göttingen, Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek, Ms. jurid. 90 (Oppitz Nr. 592) – Ms. jurid. 385 (Oppitz Nr. 594) – Ms. jurid. 390 (Oppitz Nr. 598) – Ms. jurid. 391 (Oppitz Nr. 599) Halle, Universitäts- und Landesbibliothek, Stolb.-Wern. Zb 2o 37, fol. 1r–36r (Oppitz Nr. 660) – Stolb.-Wern. Zb 2o 40 (Oppitz Nr. 661) – Ye 2o 61 (Oppitz Nr. 664) – Ye 2o 62 (Oppitz Nr. 665) – Ye 103 (Oppitz Nr. 669) – Quedl. Cod. 88 (Oppitz Nr. 658) Hamburg, Stadt- und Universitätsbibliothek, Cod. 89 in scrinio (Oppitz Nr. 671) Heidelberg, Universitätsbibliothek, Cod. Pal. Germ. 89 (Oppitz Nr. 693) – Cod. Pal. germ. 167 (Oppitz Nr. 700) – Cod. Pal. germ. 170 (Oppitz Nr. 703) – Cod. Pal. germ. 470 (Oppitz Nr. 705) Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Karlsr. 380 (Oppitz Nr. 745) – K 2801 (Oppitz Nr. 744)
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Wegener, Hans (Bearb.): Beschreibendes Verzeichnis der deutschen Bilder-Handschriften des späten Mittelalters in der Heidelberger Universitäts-Bibliothek, Heidelberg 1927 Wickersheimer, Ernest: Général des Manuscrits des Bibliothèques Publiques de France, Bd. 42, Paris 1923 Zimmermann, Karin (Bearb.): Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg, Bd. 1, Wiesbaden 2003 (= Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg, Bd. 6)
Personen-, Orts- und Sachregister Abecdarium von Achte bis Wunden 182 Abecedarien 180–182 Ad decus et decorem 185, 423 Adolf von Berg (Gf.) 229 Albert von Halberstadt (Bf.) 242 Alfons X. (Kg.) 27, 33 Alter Kulm 60, 185, 398, 419 Amelung, Nikolaus 260 Amira, Karl von 143–147, 149, 151–155, 157, 159, 225 Anthon Günther von Oldenburg (Gf.) 150 Anton von Aldenburg (Gf.) 150 Apel, Balthasar 186 Articuli reprobati 240, 245–246, 249, 441, 565 Artikuly Práwá Máydeburskiego 164 Asseburg 302 Auctor vetus de beneficiis 67, 75, 82, 89–91, 104, 200, 310, 507 Augsburger Stadtrecht 365, 374, 571 Baseler Primärdruck 164–165, 176 Berliner Schöffenrecht 46, 344, 500, 508–509, 534 Bilderhandschriften 39, 49, 87, 111, 116, 127, 142–161, 191, 199, 211, 219, 228, 230, 232, 238, 309–310, 330–331, 333, 376, 429, 433, 526, 537, 549, 552, 555, 559 Bindewald, Helene 169 Blaese, Hermann 361 Blume des Sachsenspiegels 185, 422 Blume von Magdeburg 56, 220, 353, 422
Böhlau, Hugo 111, 173, 241–243, 245, 259–261, 267, 304, 332, 353, 378–379, 392, 410, 413, 422 Bonifaz VIII. (Pp.) 451 Brand (III.) von Tzerstede 173–174, 179, 254, 426 Braunschweig-Lüneburg (Hzgt.) 80–81, 231, 272–273, 384, 544 Bremen 138, 149, 151, 197, 225, 228, 232–233, 243, 245, 310, 499, 508, 561, 629, 633, 635–636, 663, 666, 696–697, 716, 719, 736, 740, 745 Breslau 138–139, 141, 161–162, 175, 177, 185, 226, 242, 246–249, 251, 259, 270, 335–336, 338–339, 349, 352, 354–355, 383, 397, 399, 401–402, 408, 413, 415, 422–423, 437–440, 466, 475, 485, 503–504, 509, 511, 517, 519, 523, 629–630, 635, 637, 640, 642–643, 646, 653, 665, 675, 677, 681–682, 684, 686, 689, 692, 704–705, 708, 715, 721, 728, 732, 734, 737, 739, 741, 744, 748, 751, 753, 757, 763, 770 Brunner, Heinrich 134, 527 Brunner, Otto 493 Buchda, Gerhard 51, 59, 176, 250–251, 291, 296–297, 328–329, 397, 412–413, 542 Burger Landrecht 64–65, 394, 534 Burgermeister, Johann Stephan 167–168, 204, 312–313, 365, 649 Burkhard von Mangelfeld 168 Calefurnia 116–117, 376, 473 Carpzov, Benedict 257, 279, 286, 292, 297, 299, 412, 525, 532
Personen-, Orts- und Sachregister
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Carpzov, Benedikt 55, 194, 215, 282, 289, 297–299, 305, 316, 319, 525, 532 Cautela 178–179, 234, 539 Christian V. (Kg.) 48 Codices picturati siehe Bilderhandschriften Coler, Matthias 69, 247–248, 289–291 Constitutio Joachimica 511 Consuetudo 34, 46, 120, 525, 546 Corpus Iuris Civilis 28, 116, 294 Coutumes 17, 31–32, 491, 557
326–328, 340, 374, 395, 397, 483–484, 486–487, 491–492, 496–503, 512, 514, 534, 547–549, 553, 559–560, 562–565, 570 Eisenacher Rechtsbuch 22, 56, 178–179, 279, 387, 432, 450–456, 571 Elbinger Rechtsbuch 382–383 Emminghaus, Theodor 303, 313–315, 319, 650, 678 Eric siehe Hartmann von Aue Erlanger Promptuarium 182–183
Daniels, Alexander von 68, 363, 369, 378 Decretum Gratiani 34, 46, 118, 120, 451 Dekadikon 241–243, 253 Deutschenspiegel siehe Spiegel aller deutschen Leute Dietrich von Bocksdorf 176, 184–185, 258, 424 Dollmann, Bernd 17, 32, 491, 557
Falkenstein, Hoyer von (Gf.) 68–69, 72, 74, 76–78, 83, 168, 253, 323 Fehr, Hans 14, 92, 122, 160, 267, 327, 330, 491, 527, 530, 540, 548, 553, 556 Friedrich I. (Ks.) 172, 174, 178, 182, 204, 463 Friedrich II. (Ks.) 110, 182, 256, 259, 469 Friedrich Ebel 416 Friedrich Ulrich (Hz.) 231 Fronbote 461 Fuero 27, 32–33
Ebel, Friedrich 162, 180, 332, 399, 403, 423, 439, 590–591 Eckhardi, Walther 447 Eckhardt, Karl August 16–17, 19, 21, 34–35, 39–40, 57, 67, 69–76, 78–82, 85–86, 88–93, 96, 99, 104, 108, 112, 117, 122, 134, 136, 138–140, 160, 165, 168–170, 175, 177, 191, 196–197, 201, 203, 208, 218, 222, 224, 232, 255, 320, 322–326, 330, 363–365, 369, 371–374, 376, 378, 389–390, 439, 469, 480, 500, 514, 552, 561, 563 Eike von Repgow 13, 15, 20, 30–32, 34, 40, 46–47, 51, 59, 65, 68–85, 87–88, 90, 92–103, 108, 111, 113–120, 122–126, 137–140, 157–158, 171–172, 189–192, 194, 196, 198–201, 211–213, 215–219, 222, 225–226, 229, 236, 253–254, 299–300, 302, 313, 315, 317, 323,
Gärtner, Carl Wilhelm 138, 245, 248, 301, 311–312, 378, 529, 651, 683, 744 Gagnér, Sten 27, 30–31, 33–34, 93, 96–99, 101 Gemersheim 229 Gerade siehe Sondervermögen Gerhard II. (Erzbf.) 197 Gerke von Kerkowe 168 Gewere 53, 131, 284, 332, 505–510, 519 Gierke, Otto von 16–17, 55, 89, 91, 134, 203, 286, 317, 319, 321, 394, 530, 685, 719, 743, 768–769 Glossen des Sachsenspiegels 21, 25, 54, 73, 94, 96, 123, 131, 136, 158–159, 161, 163, 166–177, 179,
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Personen-, Orts- und Sachregister
181–186, 203, 213, 219–220, 228, 237–238, 249, 259, 261–262, 264, 267, 270, 276–277, 283, 298, 309–313, 328, 334, 340, 343–345, 351, 383, 396–397, 399, 403, 414, 420, 424, 426, 436, 456, 466, 481, 486, 488–489, 495, 497, 502, 505–506, 508, 525, 529, 531–532, 537, 539, 542, 545–548, 559 Goethe, Johann Wolfgang 150 Göttingen 22, 91, 178, 231, 270, 308–309, 322, 332, 364, 384, 425, 493, 630, 635, 638–641, 647, 649, 656–657, 660–661, 666, 669–671, 675–677, 679, 682, 690–691, 695–696, 708–709, 719, 730, 733, 736, 738–740, 742, 745, 747–749, 752, 755, 758, 760, 762–763, 765–766 Goldene Bulle 24, 182, 266, 283, 293–294, 308, 315, 444, 549, 678, 691–692, 710, 723 Gottfried von Straßburg 123 Gregor IX. 245, 451 Gregor XI. (Pp.) 243, 245–246 Greifswalder Abecedarium 182 Groß-Salze 236, 508 Grupen, Christian Ulrich 84, 150, 158, 167–168, 178, 200, 242, 275, 309–310, 312, 339, 552 Gryphiander, Johann 245, 247–249, 290, 301, 397 Halberstadt 77–78, 149, 196, 218, 236, 239, 242, 260, 272, 512 Hamburger Ordeelbook 190, 226–228, 230 Hartmann von Aue 123 Haymen, Thomas 309 Heergewäte siehe Sondervermögen Heinrich von Anhalt (Fs.) 123 Herforder Rechtsbuch 140, 240, 478–479, 571 Herkommer, Hubert 88, 102, 197–199
Hermann von Oesfeld 178–179, 184, 233, 539 Heyen, Conrad 16, 377 Homeyer, Carl Gustav 15–16, 67, 69, 77, 83, 86, 88–90, 104, 134, 136, 138, 140–141, 143, 162–163, 165, 168, 172–173, 178–179, 188, 190, 203–204, 214, 217, 237, 241–243, 247, 253, 261, 263, 275, 309–310, 312, 319–320, 322, 324, 330, 336, 344, 363, 379, 382, 396, 422, 425, 438, 441, 462, 465, 472, 475, 482, 485–486, 518–519, 526, 626 Hostiensis 183, 225 Hüpper, Dagmar 13, 17, 22, 25, 140, 142, 148, 154, 156, 228, 238, 261, 264, 403, 478 Husan, Bernhard Melchior 308 Ignor, Alexander 13, 70–72, 76, 93, 95, 125, 192–193, 200, 210–212, 487, 501, 548, 557–558, 565 Isidor von Sevilla 94, 120, 501, 743 Iwein siehe Hartmann von Aue 123 Jacob van Maerlant 229, 753 Janz, Brigitte 70–73, 76–77, 111, 114, 127, 146, 519 Joachims I. von Brandenburg (Mgf.) 511 Johanek, Peter 16–17, 32, 43–44, 70–72, 76–80, 83, 199, 261, 268, 291, 302, 352, 362, 369, 371, 388, 392, 397, 416, 419 Johann III. (Gf.) 238 Johann von Buch 43, 73, 115, 161, 166–168, 173, 177–178, 200, 203, 213, 219, 237–238, 300, 339, 479, 497, 560 Johannes de Lignano 421–422 Johannes von Urbach 187 Jyske Lov 30, 33
Personen-, Orts- und Sachregister Kannowski, Bernd 6, 62, 84, 143, 166–167, 170–172, 180, 219, 222, 237–238, 254, 277, 279, 282, 332, 349, 390, 414, 497, 500, 514, 525, 527, 542, 547, 559 Karl IV. (Ks.) 24, 182, 234, 239, 245, 389, 633, 710 Kerlinger, Walter 241 Kisch, Guido 13, 66, 71, 85, 93–96, 98–100, 102–104, 119, 169, 186–187, 259–260, 269, 277, 311, 324, 327, 332, 363, 376, 404, 416, 447, 483, 492, 504–505, 535 Klagspiegel siehe Conrad Heyen Kleines Kaiserrecht 16, 25, 27, 30, 47, 78, 122, 125, 179, 201, 215–219, 221, 224, 237–238, 247, 267, 367, 369, 386–391, 394, 451–453, 455, 480, 488, 510, 548, 570 Klenkok, Johann 221, 240–243, 245, 247, 249, 253, 338, 513 Köing, Kilian 259, 279 Kolb, Herbert 18, 26, 94, 492, 496 Krakau 56, 64, 75, 104, 162, 164, 173, 310, 364, 402–403, 419, 439–440, 475, 484, 631, 641, 643, 664, 679, 715, 727–728, 756, 762 Kroeschell, Karl 13–14, 17, 25, 41–42, 45, 49, 58–59, 64, 72, 75, 78, 89–90, 93, 108, 111, 113, 120, 125–126, 137, 191–192, 194, 200–201, 210–211, 216, 220, 222, 224, 239, 241, 307, 316, 332, 366, 394, 494, 512–513, 533, 557–558, 568 Künßberg, Eberhard von 127, 330 Kursächsische Konstitutionen 21, 81, 209, 271, 279, 282, 285–289, 298, 302, 309, 319, 367, 522 Lagus, Konrad 188 Lambacher, Philipp 378 Lambeck, Peter 378 Lammspringe 235 Landau, Peter 34–35, 70, 73, 78–79, 84–85, 93–95, 102, 118, 124–126, 325–326, 513
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Langenbeck, Hermann 228, 247, 636 Laßberg, Joseph Frhr. von 181, 368, 370–372, 376, 384–385, 550 Leipzig 60, 87, 127, 163–164, 168, 170, 176, 178, 184, 203, 250–251, 255–260, 265, 269, 272, 277–278, 282, 286–287, 290, 292–295, 297–298, 305–306, 308, 320, 332, 372, 386–387, 392, 401, 416–417, 432, 438, 447, 466, 513, 520–521, 532, 535, 538–539, 547, 557, 631–634, 636–637, 639–640, 642, 647–653, 655–659, 663–665, 667, 669–670, 672–673, 677, 679–680, 683, 685–690, 692–693, 695, 698, 700–701, 703–704, 707–708, 712, 714–717, 720–722, 724, 734, 736–737, 739, 741–742, 745, 749–750, 752, 755–756, 759, 762–763, 765–766, 768–769 Leobschützer Rechtsbuch 440 Lex Baiuvariorum 35, 116, 366, 452–455, 501 Lex Salica 39–40, 114–115 Lex Saxonum 115, 309, 366, 499, 534 Lieberwirth, Rolf 54, 70, 72–73, 77–78, 80, 94, 152, 159, 167, 170–173, 177, 211, 219, 238, 264, 283, 312, 320, 332, 339, 358, 361, 393–394, 399–401, 407, 414, 442, 466, 484, 486, 488–489, 497–498, 502, 525, 529, 546, 559 Livländischer Spiegel Land- und Lehnrechts 240, 358, 361, 507, 563, 570 Löwenberger Rechtsbuch 38, 137, 352–355, 505, 509, 511, 620 Ludovici, Jacob Friedrich 17, 195, 204, 293, 301, 311–312, 315, 395, 655–656 Ludwig IX. (Kg.) 33 Lübben, August 148–151, 157 Lübeck 254, 269, 276, 303–304, 412, 462, 499, 641, 650–651, 660, 675–676, 685, 693, 757 Lübisches Recht 162, 228, 303–304, 503, 675
776
Personen-, Orts- und Sachregister
Lück, Heiner 29, 72–73, 76–78, 93, 145, 166, 217, 219, 257, 278, 283, 287, 292, 297, 321, 326–327, 332, 334, 350, 401, 403, 405–408, 410, 412, 414, 487, 562–563, 570 Lüneburg 149, 161, 172–175, 179, 181, 196, 213, 219–220, 231, 253–255, 264, 270, 272–273, 289, 310, 385, 388, 413, 426, 463, 484, 499, 529, 541, 544 Lüning, Johann Christian 204, 257, 266, 272, 288, 298, 308, 554, 655 Luitgard von Gandersheim (Abt) 232 Lutgarda III. (Äbt.) 238, 496 Luther, Martin 283, 492 Magdeburg-Breslauer Schöffenrecht 247, 423, 503–504 Magdeburger Fragen 277, 351, 405, 413–414, 419–421, 508, 538 Magdeburger Recht 15, 29, 47, 56, 64, 180, 183–186, 207, 216, 219, 226, 231, 236, 251, 255, 270–271, 298, 310, 315, 326, 328, 332, 338–339, 345, 351–352, 383, 392–402, 405–410, 413, 415, 418–422, 424, 432–433, 435, 437, 441–442, 458, 462, 466, 469, 475, 487, 493, 503, 505, 508, 510, 517–518, 523, 537, 539, 541, 564, 570 Magin, Christine 22, 504 Mainzer Reichslandfrieden von 1235 43, 111, 422, 470 Matuszewksi, Józef 382 Mauritius von Craûn 123 Meckbach, Hieronymus 115, 312, 315, 482, 491, 655 Meißner Rechtsbuch 23, 35, 46, 56, 60–61, 131, 133, 182, 184–186, 240, 248–249, 286, 317, 338, 353, 383, 420, 432, 437–451, 453, 456, 480, 484, 486, 496, 500, 505, 509, 513, 515, 518–520, 534–535, 538, 551, 555, 566–567 Menius, Georg 277, 529
Metzler-Schulzke, Regine 432 Mitteis, Heinrich 32, 39–40, 49, 53, 113, 205, 318, 522, 551–554, 558 Monumenta Germaniae Historica 43, 80–82, 89, 104, 108–109, 111–112, 115–116, 166, 169–171, 173, 177, 196, 229, 312, 320, 324–325, 328, 363, 370, 372, 375, 390, 393, 396, 438–439, 527, 549–550, 563, 635–636, 639, 641, 643–647, 678, 690, 724, 735 Munzel-Everling, Dietlinde 16, 25, 46, 144, 217, 301, 333, 349, 387–388, 390–391, 397 Neumarkter Rechtsbuch 221, 349–352, 493, 500, 509, 514, 563 Nietzsche, Friedrich August 168, 189–190, 275, 309–310, 320, 438 Olenschlager, Johann Daniel von 443 Origines 94, 488 Panormitanus 183 Peter von Blois 27 Petrus Comestor 102–103 Philippe de Beaumanoir 32 Piirainen, Ilpo Tapani 162, 186, 372–373, 402–403, 408, 417, 439–440, 474 Planitz, Hans 372, 374, 432–433, 435–436, 444, 536 Pötschke, Dieter 59, 79, 91, 143–144, 146, 166, 170, 181, 217, 301, 333–334, 344–345, 392, 463 Popplau, Kaspar 185, 336, 422, 705, 732, 741 Premis 178–179, 234, 539 Privatarbeit 17, 19, 28, 32, 35–39, 43, 47, 431 Raimundus de Peniaforte 183 Rechtsabecedar der 2.200 Artikel 181–183
Personen-, Orts- und Sachregister Réformation des moeurs 33 Regula Benedicti 20 Richtsteig Landrechts 131, 140, 165–166, 168, 175, 177–179, 182, 188, 203–204, 237, 260, 263, 310, 340, 344–345, 348–349, 422, 425–426, 482, 486, 542 Riha, Ortrun 23 Romanus, Franz 277 Rothe, Johannes 387, 450 Rotschitz, Georg von 279 Rudolf I. (Kg.) 229 Rudolfstädter Statuten 461 Ruprecht von Schlesien (Hz.) 422 Saalfelder Rechtsbuch 460–462, 536 Sachsenbuße 528, 531–532 Sächsische Weltchronik 78–79, 94, 99, 102, 119, 123, 194–199, 393, 565 Salvator humani generis 243, 536, 565 Schilter, Johann 204, 268, 301–302, 307, 370, 373, 378 Schiphower, Johannes 242 Schmidt, Roderich 93, 95, 324 Schmidt-Wiegand, Ruth 17, 21–22, 39–40, 46, 86–87, 94, 111, 119, 126–127, 142–145, 147–148, 151–152, 154–158, 199, 226, 228, 264, 319, 324, 330, 333, 340, 440, 484, 534, 548–549, 569 Schönsperger, Hans (Offizin) 395, 486 Schwabenspiegel 25, 46, 69–70, 87, 112, 160, 178–179, 181–183, 213, 218, 224, 253, 263, 275, 310–311, 317, 362–378, 383–386, 388, 398, 409–410, 420, 433, 451, 453, 480, 488–490, 492–496, 501, 503, 508–509, 523, 528, 531, 534, 536, 539–540, 550, 553–556, 559, 561, 564, 567 Senckenberg, Heinrich Christian Frhr. von 178, 202, 204, 268, 272, 301, 308, 368, 370, 378, 389–390, 431, 437, 439
777
Senckenberg, Heinrich Christian von 178 Siete Partidas 27, 33 Sinauer, Erika 168–169, 180–181, 487 Soest 68–69, 149, 161, 201, 252–253, 261–263, 303, 313–315, 319, 388, 392, 619, 631, 674–675, 770 Sondervermögen 132, 176, 179, 425, 461, 512–516, 520, 522, 569 Speculum iuris canonici 27 Spiegel aller deutschen Leute 19, 26, 38–39, 138, 218, 322, 362–365, 486, 492–493, 550 Steffenhagen, Emil 168–169, 172–177, 179, 181–182, 240, 242, 249, 253, 283, 382, 396, 399, 404, 420–421, 425, 442, 447 Stelbagius, Sebastian 281 Stintzing, Roderich 45 Stutz, Ulrich 94, 134, 145, 151, 322, 390, 483, 553 Summa totius Brodii 185 Tammo von Bocksdorf 168, 176, 184, 248, 259 Theuerkauf, Gerhard 26, 88, 96, 115, 120, 188, 190–192, 194, 200–202, 207, 249, 255, 366, 487, 491, 499 Thieme, Hans 15, 53–54, 69, 74, 79, 84, 189, 270, 327, 332 Tristan siehe Gottfried von Straßburg 123 Trusen, Winfried 45, 78, 122, 125, 216–218, 237, 279, 391, 394, 488 Ullrich, Günther 89, 327, 432–433, 435–436, 439–440, 442, 444 Valentinian I. (Ks.) 452 Versiones des Sachsenspiegels 162–164, 171, 218, 739 Vokabularien 45, 186–187
778
Personen-, Orts- und Sachregister
Waldemar II. (Kg.) 33 Wasserschleben, Hermann 259, 418– 420, 465–467, 518, 523, 535, 562 Weißenfelser Rechtsbuch 457–459, 624 Werdau 271, 436 Wienhausen 150 Wimpfener Rechtsbuch 181, 447, 480–481, 571 Wurm, Nikolaus 173–174, 185, 203, 267, 402, 419, 421–423
Zeumer, Karl 78–79, 88–89, 94, 102, 197–198, 221, 224–225, 556–557, 563 Zobel, Christoph 55, 178, 204, 249, 264, 275–279, 282, 289–290, 310–311, 395–396, 420, 529, 531–532 Zwickauer Rechtsbuch 432–433, 435–436, 442–446, 507, 538, 540, 546