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German Pages 200 [210] Year 2020
Pascal Bastuck Rudolf Wassermann Juristische Zeitgeschichte Abteilung 4, Band 17
Juristische Zeitgeschichte Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum (FernUniversität in Hagen, Institut für Juristische Zeitgeschichte)
Abteilung 4: Leben und Werk Hrsg. von Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum
Band 17 Redaktion: Simone Walkowiak
De Gruyter
Pascal Bastuck
Rudolf Wassermann Vision und Umsetzung einer inneren Justizreform
De Gruyter
Die Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen als Dissertation angenommen.
ISBN 978-3-11-068277-9 e-ISBN (PDF) 978-3-11-068291-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-068292-2
Library of Congress Control Number: 2020931673 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 2019 von der Juristischen Fakultät der FernUniversität in Hagen als Dissertation angenommen. Auf dem Weg zu diesem Buch habe ich viel Unterstützung erfahren. Ich möchte deshalb an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und mich bei all denjenigen bedanken, die mir bei diesem Vorhaben zur Seite gestanden haben. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, der die Arbeit angeregt und durch umfassende Betreuungsarbeit im Rahmen der regelmäßig stattfindenden Doktorandentreffen gefördert hat. Frau Prof. Dr. Gabriele Zwiehoff danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Dank gebührt auch den Mitarbeitern des Lehrstuhls und des Instituts für Juristische Zeitgeschichte, allen voran Frau Anne Gipperich, Frau Simone Walkowiak und Herrn Christoph Hagemann. Zudem möchte ich mich bei den Mitarbeitern der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, insbesondere Frau Dr. Gertrud Lenz und Herrn Oliver Rausch, bedanken. Mein besonderer Dank gilt meiner Freundin Nadine Irmer, die mir stets den Rückhalt gegeben hat, der für den erfolgreichen Abschluss meines Vorhabens unverzichtbar gewesen ist. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern Gisela und Armin Bastuck, die mir meine Ausbildung ermöglicht und mich auf meinem gesamten Lebensweg gefördert haben. Ihre weit über das übliche Maß hinausgehende Unterstützung lässt sich nicht in Worte fassen. Sie haben mir durch ihre bedingungslose Zuneigung zeitlebens den emotionalen Halt gegeben, ohne den dieses Buch nicht entstanden wäre. Saarbrücken, im November 2019
ttps://doi.org/10.1515/9783110682915-001
Pascal Bastuck
Inhaltsverzeichnis Vorwort .......................................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XIII Einleitung .......................................................................................................... 1 ERSTER TEIL: HERKUNFT, JUGEND UND STUDIUM Erstes Kapitel: Kindheit und Jugendjahre ........................................................ 5 Zweites Kapitel: Kriegsnotdienst und Kriegsgefangenschaft............................ 6 Drittes Kapitel: Abitur und anschließendes Studium in Halle an der Saale ..... 7 Viertes Kapitel: Studien- und Referendarzeit in Berlin ................................... 10 ZWEITER TEIL: KARRIERESTATIONEN ALS JURIST UND RECHTSPOLITIKER Fünftes Kapitel: Stationen im Justizdienst ...................................................... 17 A) Landgericht Berlin ................................................................................ 17 B) Kammergericht Berlin .......................................................................... 17 C) Landgericht Frankfurt ........................................................................... 22 D) Oberlandesgericht Braunschweig ......................................................... 38 E) Niedersächsisches Landesjustizprüfungsamt ........................................ 54 F) Staatsgerichtshof Niedersachsen ........................................................... 57 I. Planmäßiges Auswechseln von Abgeordneten ............................... 57 II. Auskunftspflicht der Landesregierung gegenüber Mitgliedern des Landtages ................................................................................. 59 Sechstes Kapitel: (Rechts-)politische Tätigkeit ............................................... 62 A) Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) .................... 62 I. Wassermanns Weg zur SPD und zur AsJ ....................................... 62 II. Wassermanns Beiträge zur AsJ als „Motor der Rechtsreform“...... 63 1. Der rechtspolitische Kongress der SPD in Heidelberg ............... 63
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Inhaltsverzeichnis 2. Erarbeitung der Leitsätze zur Justizpolitik ................................... 64 3. Reform der Juristenausbildung ....................................................... 66 III. Wassermanns Zeit als Bundesvorsitzender der AsJ ....................... 68 B) Aktionskomitee Justizreform ................................................................ 70 C) Bundesjustizministerium ...................................................................... 74 D) Wahlkampf in Schleswig-Holstein ....................................................... 77 DRITTER TEIL: WASSERMANN ALS HERAUSGEBER, BUCHAUTOR UND PUBLIZIST
Siebtes Kapitel: Wassermann als Herausgeber .............................................. 83 A) Reihe Alternativkommentare ................................................................ 83 B) Bücher ................................................................................................... 84 I. Erziehung zum Establishment ........................................................ 84 II. Menschen vor Gericht .................................................................... 85 III. Justiz und Medien .......................................................................... 86 IV. Justiz für den Bürger...................................................................... 86 V. Recht und Sprache.......................................................................... 87 C) Zeitschriften .......................................................................................... 88 Achtes Kapitel: Wassermann als Buchautor ................................................... 89 A) Werke mit dem Blick auf die richterliche Tätigkeit.............................. 89 I. Richter, Reform, Gesellschaft ........................................................ 89 II. Der politische Richter .................................................................... 93 III. Die richterliche Gewalt; Macht und Verantwortung des Richters in der modernen Gesellschaft .................................... 98 B) Betrachtungen zur Justiz ..................................................................... 105 C) Betrachtungen zur (Rechts-)Politik..................................................... 108 I. Vorsorge für Gerechtigkeit........................................................... 108 II. Die Zuschauerdemokratie ............................................................ 109 III. Gestörtes Gleichgewicht .............................................................. 110 D) Zusammenfassung und Ausblick ........................................................ 112
Inhaltsverzeichnis
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VIERTER TEIL: INNERE JUSTIZREFORM ALS LEBENSAUFGABE Neuntes Kapitel: Einführung in den Gegenstand der Untersuchung ............ 117 Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform .......................................... 118 A) Das Richterbild des Grundgesetzes .................................................... 118 I. Art. 92 GG.................................................................................... 119 II. Art. 95 Abs. 2 GG, Art. 98 Abs. 4 GG ......................................... 120 III. Art. 98 Abs. 2 GG ........................................................................ 122 IV. Art. 98 Abs. 1, Abs. 3 GG ........................................................... 123 V. Art. 97 GG.................................................................................... 124 B) Anforderungen an den Richter in der modernen Gesellschaft ............ 124 I. Selbstverständnis ............................................................................ 125 1. Traditionelles Richterbild .............................................................. 125 2. Selbstverständnis des modernen Richters unter dem Grundgesetz ............................................................................ 126 a) Humanität .................................................................................. 126 b) Politisches Bewusstsein und stärkerer Sinn für Unabhängigkeit ........................................................................ 128 c) Verantwortungsethisches Handeln ........................................ 129 d) Prinzip der Selbstbeschränkung ............................................. 131 e) Der Richter als „Sozialarzt“ .................................................. 132 f) Verstärktes Selbstbewusstsein ............................................... 133 II. Stellungnahme .............................................................................. 134 III. Ausbildung ................................................................................... 135 1. Verbindung von Theorie und Praxis ............................................ 136 2. Einbeziehung der Sozialwissenschaften ..................................... 139 3. Prüfungen ........................................................................................ 141 IV. Fortbildung .................................................................................. 143 V. Stellungnahme .............................................................................. 145
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Inhaltsverzeichnis VI. Verhandlungsführung ................................................................... 145 1. Liberaler Verhandlungsstil ............................................................ 146 2. Kompensatorischer Verhandlungsstil .......................................... 146 3. Kooperativer Verhandlungsstil..................................................... 149 VII. Stellungnahme ............................................................................ 150 VIII. Die strafrechtliche Hauptverhandlung ...................................... 153 1. Sachautorität statt formaler Amtsautorität .................................. 153 a) Aufstehen bei Gericht .............................................................. 154 b) Sitzordnung bei Gericht .......................................................... 155 c) Robe ........................................................................................... 156 2. Sprache ............................................................................................. 157 3. Psychologische Verhandlungsführung ........................................ 158 a) Provokationen von Seiten des Angeklagten ......................... 159 b) Provokationen von Seiten der Öffentlichkeit ....................... 160 IX. Umgang mit Öffentlichkeit und Medien ...................................... 161 X. Stellungnahme .............................................................................. 167
Elftes Kapitel: Erreichtes und Würdigung .................................................... 169 ANHANG Quellenverzeichnis ........................................................................................ 173 Literaturverzeichnis ...................................................................................... 179
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. Abs. AG AK APO Art. AsJ AuR AV BayVBl. BBG BGB BLV BRRG BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BZ bzw. cand. phil. CDU CSU DDR DM DÖV DVBl Dr. DRiG DRiZ FAZ FDP Fn. FR GG ggf. GVG HAZ IHK JGG
am angegebenen Ort Absatz Aktiengesellschaft Alternativkommentar Außerparlamentarische Opposition Artikel Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen Arbeit und Recht Allgemeine Verfügung Bayerische Verwaltungsblätter Bundesbeamtengesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundeslaufbahnverordnung Beamtenrechtsrahmengesetz Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Braunschweiger Zeitung beziehungsweise Kandidat der Geisteswissenschaft Christlich Demokratische Union Deutschlands Christlich-Soziale Union in Bayern Deutsche Demokratische Republik Deutsche Mark Die Öffentliche Verwaltung Deutsche Verwaltungsblätter Doktor Deutsches Richtergesetz Deutsche Richterzeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Fußnote Frankfurter Rundschau Grundgesetz gegebenenfalls Gerichtsverfassungsgesetz Hannoversche Allgemeine Zeitung Industrie- und Handelskammer Jugendgerichtsgesetz
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JR KPD LG LK LV MDR MüKo m.w.N. NDR Nds.MBl. NdsVBl. NdsRpfl. NJW NLWG NS NSDAP NStZ NStZ-RR NWZ OLG PID Prof. RAF Rn. ROW RuP S. SBZ SDS SPD StGB StGH StPO StVollzG SZ u.a. US vgl. wistra WRV z.B. ZPO ZRP ZZP
Abkürzungsverzeichnis
Juristische Rundschau Kommunistische Partei Deutschlands Landgericht Leipziger Kommentar Landesverfassung Mitteldeutscher Rundfunk Münchener Kommentar mit weiteren Nachweisen Norddeutscher Rundfunk Niedersächsisches Ministerialblatt Niedersächsische Verwaltungsblätter Niedersächsische Rechtspflege Neue Juristische Wochenschrift Niedersächsisches Landeswahlgesetz Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Strafrecht Rechtsprechungs-Report Nordwest-Zeitung Oberlandesgericht Parlamentarischer Informationsdienst Professor Rote Armee Fraktion Randnummer Recht in Ost und West Recht und Politik Seite Sowjetische Besatzungszone Sozialistischer Deutscher Studentenbund Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafgesetzbuch Staatsgerichtshof Strafprozessordnung Strafvollzugsgesetz Süddeutsche Zeitung unter anderem United States (Vereinigte Staaten) vergleiche Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Weimarer Reichsverfassung zum Beispiel Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Zivilprozess
Einleitung „Reform von oben gibt es nicht. Ein selbst fortschrittlich gesinnter Justizminister schwimmt schillernd wie Öl auf dem Wasser, aber Wasser und Öl vermischen sich nicht. Reform von unten ist auf friedlichem Wege nicht möglich, denn es hieße, die einfachsten Vorgänge in einer Gesellschaftsgruppe ignorieren, wollte man an rasche, grundlegende Veränderungen glauben, die nicht in äußeren Umständen ihre Voraussetzung hat. Also ist diese Justiz, von einer Klasse über unterjochte Klassen ausgeübt, nicht durch gutes Zureden langsam zu verbessern, nicht durch Flickwerk sachte zu korrigieren. Gegen diese Richter, die den Proletarier bisher leider nur als Objekt ihrer Tätigkeit kennen gelernt haben, gibt es nur ein einziges Mittel: Die Zerschlagung dieser Justiz durch einen siegreich beendeten Klassenkampf.“1
Diese unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel verfassten Zeilen Kurt Tucholskys zeichnen ein pessimistisches Bild. Weil es eine Reform der Justiz von oben nicht geben könne und eine Reform von innen heraus ihre Voraussetzungen in äußeren, nicht gegebenen Umständen haben müsse, bleibe nur die Zerschlagung der Justiz durch den Klassenkampf. Dies erinnert stark an die Position des SDS im Rahmen der Studentenunruhen. Der SDS sah in der Justiz lediglich den verlängerten Arm des verhassten Staates, den es zu zerschlagen galt. Auch wenn Rudolf Wassermann ebenfalls ein Kritiker der Zustände innerhalb der deutschen Justiz war, so hielt er im Gegensatz zu Tucholsky eine Reform der Justiz von innen heraus für möglich und notwendig. Justizpolitik, so führte Wassermann unter Bezugnahme auf Max Weber aus, sei ein starkes, langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich2. Dabei müsse man, wenn man die Emanzipation des Richters anstrebe, besonders viel Geduld aufbringen. Die Vorstellungen Wassermanns von einer inneren Reform der Justiz beinhalteten dabei ein ganzes Bündel von Maßnahmen, angefangen von der Architektur der Gerichtsgebäude und der Personalführung innerhalb der Behörde bis hin zur verständlichen Gestaltung von Formularen und Vordrucken3. Mit Abstand am wichtigsten war dabei nach Wassermanns Ansicht jedoch die Wandlung im Selbstverständnis der Richter. Justizreform müsse Richterreform
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Wrobel, Die Weltbühne 1927/1, S. 584. Wassermann, Richter, Reform. Gesellschaft, S. 68. Siehe etwa das Merkblatt „Bürgerfreundliche Justiz“, abgedruckt in Justiz im Wandel der Zeit, S. 285.
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Einleitung
sein – oder sie habe ihren Sinn verloren4. Wie sich Wassermann eine solche innere Justizreform im Sinne einer Richterreform vorgestellt hat, soll in dieser Arbeit untersucht werden. Dabei soll zunächst Wassermanns Werdegang dargestellt werden. Vieles von dem, was Wassermann in seiner Jugend und insbesondere seiner Studienzeit in der sowjetischen Besatzungszone erlebt hat, beeinflusste sein Verhältnis zum Staat und zur Gesellschaft maßgeblich. Die Kenntnis hierüber ist zum Verständnis dessen, was Wassermann über das Verhältnis zwischen Richter und Staat bzw. zwischen Richter und Gesellschaft gesagt und geschrieben hat, unerlässlich. Im Weiteren sollen Wassermanns Karrierestationen innerhalb der Justiz aufgezeigt werden, bevor seine rechtspolitische Tätigkeit näher dargestellt werden soll. Im dritten Teil schließlich soll ein Überblick über Wassermanns unermüdliche Tätigkeit als Herausgeber, Buchautor und Publizist gegeben werden. Im vierten Teil, dem Hauptteil dieser Arbeit, sollen Wassermanns Vorstellungen vom modernen Richter unter dem Grundgesetz – als Hauptaspekt einer inneren Justizreform – umfassend und methodisch herausgearbeitet und einer kritischen Würdigung unterzogen werden.
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Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, Vorwort.
ERSTER TEIL: HERKUNFT, JUGEND UND STUDIUM
Erstes Kapitel: Kindheit und Jugendjahre Ernst Rudolf Wassermann wurde am 5. Januar 1925 in Letzlingen1 (Altmark) geboren. Sein Vater Ernst Wassermann2 war Kaufmann und betrieb nach dem Umzug von Letztlingen nach Klötze im Jahre 1924 gemeinsam mit Wassermanns Mutter Auguste Luise Wassermann 3 , geborene Giggel, einen Lederhandel für Schuhmacher4. Nach 1945 wurden hauptsächlich Gummischuhe im Geschäft gehandelt. Zudem nahmen die Wassermanns Sportartikel in ihr Sortiment auf, bevor sich das Geschäft auf den Verkauf von Glas und Porzellan konzentrierte. An seine Kindheit in der Altmark bewahrte Wassermann gute Erinnerungen5. Er beschreibt die Altmark als blühendes Land mit wohlhabenden Bauernhöfen6. Den (bisher) unveröffentlichten Memoiren ist zu entnehmen, dass er dank der Liebe, Liberalität und Großzügigkeit seiner Eltern eine schöne Kindheit genoss, in der er behütet aufwachsen und sich frei entfalten konnte7. Bereits in der Volksschule in Klötze bot sich ihm als Klassenprimus die Möglichkeit, eine Klasse zu überspringen. Dies lehnte er allerdings ab, um mit seinen Klassenkameraden zusammenbleiben zu können. Auch wollte sein Vater nicht, dass der Altersunterschied zwischen seinem Sohn und den Mitschülern zu groß wird. Weil es in Klötze nur eine Mittelschule – jedoch kein Gymnasium – gab, musste er 1940 auf die Städtische Oberschule für Jungen nach Gardelegen wechseln.
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Die Eltern waren zu diesem Zeitpunkt bereits nach Klötze umgezogen. Aber die Mutter wollte das Kind in vertrauter Umgebung im Hause ihrer Eltern zur Welt bringen. Geboren am 20.10.1894 in Magdeburg-Neustadt. Geboren am 23.4.1900 in Letzlingen. Artikel „Das Leben ist schön“ vom 27.4.1990 aus der Klötzer Rundschau anlässlich des 90. Geburtstages von Luise Wassermann. Artikel „Die Altmark wird nun lernen müssen, weit über ihren Schatten zu springen“ von Rudolf Wassermann, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 5. Ebenda. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 3.
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Zweites Kapitel: Kriegsnotdienst und Kriegsgefangenschaft Kurz vor dem Abitur wurde Wassermann mit Bescheid vom 23. Februar 1943 zum Kriegsnotdienst in der Kinderlandverschickung herangezogen1. Etwa sechs Monate später erfolgte die Einziehung zur Wehrmacht, wo er an der Westfront in Holland, Belgien, Frankreich, Dänemark und Italien eingesetzt wurde2. Mit der Kapitulation Deutschlands geriet Wassermann im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft3, von wo aus er später in bayerische Kriegsgefangenenlager gebracht wurde. Die Gefangenen kampierten ohne Zelte auf freiem Feld und mussten hungern. Wassermann berichtet, er habe glücklicherweise in den Küchenabfällen der USSoldaten des Öfteren verschimmeltes Brot gefunden, von dem er sich habe ernähren können4. Die Gefangenen des Lagers sollten schließlich nach Belgien zum Wiederaufbau gebracht werden, doch gelang Wassermann im September 1945 die Flucht, und er verbarg sich in Bayern bei hilfsbereiten Familien. Trotz Besetzung der Altmark durch die Sowjets machte er sich anschließend auf den Weg in seine Heimat. Zwar wurden die Grenzen zur sowjetischen Zone streng überwacht, doch Wassermann gelang es in einer Gruppe unter Anleitung eines Ortskundigen auf Schleichwegen nach Hause zu kommen, wo er zunächst im Geschäft des Vaters tätig war5.
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 9. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 26. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 431. Einer Bescheinigung des Bürgermeisters der Gemeinde Grafling zufolge befand sich Wassermann vom 7.3.1944 bis zum 7.8.1945 im dortigen Sanatorium Dr. Schwabach, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 10. Ebenda, S. 432. Ebenda, S. 4b. Einer Bescheinigung nach war Wassermann – wohl zuvor – im Kreis Salzwedel bei der Bäuerin Ida Krösch beschäftigt, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 11.
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Drittes Kapitel: Abitur und anschließendes Studium in Halle an der Saale Obwohl ihm aufgrund der nachgewiesenen Notdienstverpflichtung mit Abgangszeugnis1 vom 8. März 1943 die Hochschulreife zuerkannt worden war, entschloss sich Wassermann, im Sommer 1946 das Abitur noch einmal zu machen. Dies deswegen, weil er auf Grund von Gerüchten befürchtete, sein Abgangszeugnis würde möglicherweise nicht als Reifezeugnis anerkannt werden2. Die Schulleitung der städtischen Oberschule für Jungen in Gardelegen wollte ihn zunächst nicht aufnehmen mit der Begründung, dass er bereits das Abitur in der Tasche habe. Wassermann gab jedoch nicht nach und erreichte schließlich bei der Bezirksregierung in Magdeburg, dass ihn die Schule in die Abiturklasse aufnehmen musste. Mit Zeugnis vom 15. Juli 1946 wurde ihm (erneut) das Zeugnis der Reife zuerkannt3. Da der Wunsch zu studieren bei Wassermann schon länger vorhanden war, hatte er sich bereits 1943 im Wege der Fernimmatrikulation für Angehörige der Wehrmacht an der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin eingeschrieben, die mittlerweile Universität unter den Linden hieß4. Weil diese jedoch in erheblichem Maße zerstört und einem immensen Andrang an Bewerbern ausgesetzt war, wandte er sich an die Universitäten in Göttingen und Bonn. Beide teilten jedoch mit, dass Bewerber aus der sowjetischen Besatzungszone nicht berücksichtigt werden könnten. Kurz nach der daraufhin erfolgten Immatrikulation an der Universität Jena wurde mitgeteilt, dass diese aus technischen Gründen den Lehrbetrieb nicht aufnehmen könne. Erfolgreich war Wassermann schließlich in Halle an der Saale, wo er sich zum Wintersemester 1946/1947 für Germanistik und Philosophie einschreiben konnte. In diesen Fächern war eine Zulassung leichter zu erreichen als für das Fach Rechtswissenschaften. Auch konnte er so gemeinsam mit einem früheren Schulfreund studieren.
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In diesem Abgangszeugnis erscheint im Rahmen der allgemeinen Beurteilung folgender Satz: „Er besitzt sehr gute geistige Anlagen und sehr gut ausgebildete Denk- und Urteilsfähigkeit“, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 1. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 7. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 33. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 6.
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Erster Teil: Herkunft, Jugend und Studium
Seinem Studienbuch5 lässt sich entnehmen, dass er dort unter anderem Vorlesungen über Kants Leben und seine Lehre, Georg Büchner, Goethe und den von ihm bereits in seiner Jugend mit Inbrunst gelesenen Hölderlin belegte. Darüber hinaus belegte er auch eine Pflichtvorlesung über Marxismus und – wohl mit Blick auf das gewünschte Studienfach – Vorlesungen zum Personen- und Familienrecht, zum Vermögensrecht, zur Staatslehre, aber auch zur Volkswirtschaftslehre6. Dies zeigt, wie breit Wassermanns Interessenfeld gefächert war. Im Sommersemester 1947 erfolgte dann der Wechsel zu den Rechtswissenschaften und zur Volkswirtschaft. Dennoch beschäftigte er sich weiterhin mit Philosophie, Geschichte sowie Soziologie und belegte Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, zur Geschichte der politischen Ideen in der Neuzeit, hörte im Fach Soziologie die Vorlesung „Gesellschaft und Staat“ und besuchte „Übungen über Probleme der Ethik“7. In jener Zeit erlebte er, wie der Marxismus nach und nach im Lehrprogramm Fuß fasste und auch die Studenten in hohem Maße politisch interessiert waren, jedoch nicht in einer Weise, wie es die kommunistischen Machthaber wollten8. Wassermann bemerkte, dass es immer wieder Verhaftungen gab und so mancher nach seiner Rückkehr aus dem Gefängnis „umgedreht“ worden war9. Er selbst entging in Halle nur knapp seiner Verhaftung, als er einen Bekannten besuchen wollte. Nachdem er an der Haustür geklingelt hatte, gab ihm die Wirtin ein Zeichen, dass er verschwinden solle. Tatsächlich saßen in der Wohnung des Bekannten Russen, die diesen gerade festgenommen hatten und auf dessen Freunde warteten10. Auch Hochschullehrer wurden verhaftet, so unter anderem Willi Brundert, bei dem Wassermann eine Promotion begonnen hatte11. Diese Promotion sollte anschließend von dem Staatsrechtler Hermann Mirbt betreut werden, der allerdings in den Westen floh12. Wassermann wurde durch diese Vorgänge klar, dass er nicht als Jurist in der DDR arbeiten wollen würde.
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 42. Ebenda. Ebenda. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 8. Ebenda, S. 8 f. Ebenda, S. 9. Ebenda, S. 9. Ebenda, S. 10.
Drittes Kapitel: Abitur und anschließendes Studium
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Nach dem abgelegten Staatsexamen, welches er am 24. Oktober 1950 mit der Note „befriedigend“13 bestanden hatte, zog es ihn nach West-Berlin. Die Wahl West-Berlins gründete zum einen auf dem leichteren Fluchtweg, zum anderen zog es Wassermann aber auch gerade deshalb nach Berlin, weil er hierdurch dem Geschehen in der DDR besonders nah sein konnte14. So beschreibt er Berlin nicht nur als Schaufenster des Westens, sondern insbesondere auch als Brennpunkt des deutschlandpolitischen Geschehens und als „Klammer der Deutschen Einheit“15. Aus seiner Zeit in Halle nahm er nicht nur die Eindrücke der kommunistischen Umgestaltung und der damit einhergehenden Unterdrückung mit. Er hatte auch die Werke von Marx, Engels, Lenin und Stalin gelesen, um zu erfahren, an welchen Vorstellungen bzw. Ideologien sich die Sowjets und ihre Verbündeten orientierten16. Die Teilung Deutschlands empfand er als vorübergehenden Zustand. Noch während seiner Zeit in Halle hatten er und seine Freunde sich für die Verfassungsgebung in Westdeutschland interessiert. Insbesondere von Ernst Reuter fühlten sie sich angesprochen. Die Gründung der DDR erlebten und empfanden sie als Gründung gegen den Willen des Volkes17
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 46. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 12. Ebenda. Ebenda, S. 10. Ebenda, S. 11.
Viertes Kapitel: Studien- und Referendarzeit in Berlin Am 20. September 1951 hatte Wassermann beim Kammergerichtspräsidenten ein Gesuch zur Übernahme in den Vorbereitungsdienst gestellt. In der Antwort vom 26. September 19511 heißt es: „Ich stelle anheim, Ihr Übernahmegesuch noch dahin zu ergänzen, welche näheren Beziehungen sie zu Berlin haben und seit wann Ihnen eine dauernde oder vorübergehende Zuzugsgenehmigung erteilt ist.“
Mit Schreiben vom 29. September 19512 antwortete Wassermann: „Eine nähere Beziehung zu Berlin ist für mich dadurch gegeben, daß meine nächsten Angehörigen, abgesehen von meinen Eltern, in Berlin wohnhaft sind. Aus diesem Grunde bin ich nach Berlin übergesiedelt, als ich nach der Verhaftung meines engsten Freundes, cand. phil. Klaus Matzel, die Ostzone verlassen mußte. Ich bin seit dem 28.4.51 an der Freien Universität Berlin als Student immatrikuliert und habe dort meine Studien mit dem Ziel der Promotion fortgesetzt. Die befristete Zuzugsgenehmigung wurde mir vom Bezirksamt Zehlendorf unter dem Datum des 22.8.1951 erteilt.“
Auch mehrere eingereichte Leumundszeugnisse sollten seine Eignung für den Vorbereitungsdienst belegen. In dem an den Kammergerichtspräsidenten gerichteten Leumundszeugnis des Rechtsanwalts, Steuerberaters und Leiter der Rechtsschutzstelle Berlins, Dr. Behling, vom 10. Oktober 19513 heißt es zum Beispiel: „Herr Rudolf Wassermann, früher Halle, hat mich gebeten, für ihn ein Leumundszeugnis abzugeben. Ich kenne Herrn Wassermann allerdings erst seit dem Mai 1951 nachdem ich seitens des Auswärtigen Amtes, Bonn, mit dem Rechtsschutz für einen seiner früheren Mitstudenten, dem jetzt in sowjetischer Haft befindlichen stud. phil. Klaus Matzel betraut bin. Ich habe in vielfachen Zusammenkünften mit Herrn Wassermann zwangsläufig auch politische Fragen berühren müssen, die in mir den festen Eindruck erweckt haben, dass es sich bei Herrn Wassermann um eine in sich gefestigte Persönlichkeit handelt 1 2 3
Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 34. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 35. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 36.
Viertes Kapitel: Studien- und Referendarzeit in Berlin
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die von echter demokratischer Einstellung ist. Er steht absolut auf dem Boden rechtsstaatlicher Ideen und hat sich in allen Gesprächen, die ich in der Sache seines inhaftierten Freundes führte, mit aller Entschiedenheit gegen den sowjetischen bzw. ostzonalen Terror gewandt. Herr Wassermann hat mir eine Reihe Leumundszeugnissen vorgelegt, die von Personen stammen, die ihn in der Vergangenheit kennen gelernt haben. Sie alle bestätigen das, was ich in meinen persönlichen Unterredungen feststellen konnte. Wie ich höre, hat Herr Wassermann Schwierigkeiten, in den Berliner Vorbereitungsdienst übernommen zu werden. Ich glaube sagen zu können, dass er nach seiner Persönlichkeit durchaus zur Übernahme geeignet ist. Hinsichtlich seiner fachlichen Qualifikationen kann ich mir kein Urteil erlauben.“
Als Wassermann schließlich persönlich in der Referendarabteilung des Kammergerichts vorsprach, wurde ihm von Seiten des zuständigen Kammergerichtsrates mitgeteilt, dass für ihn mit einer Einstellung erst dann zu rechnen sei, wenn alle Kandidaten mit einem in West-Berlin abgelegten Examen in den Vorbereitungsdienst aufgenommen seien4. Obwohl sein Hallenser Examen als vollwertige erste juristische Staatsprüfung anerkannt wurde, war aufgrund des Vorzuges der zahlreichen monatlich in Berlin geprüften Kandidaten auf absehbare Zeit nicht mit einer Einstellung zu rechnen. Finanziell konnte er dank Unterstützung der Eltern und Erteilung von Nachhilfeunterricht überstehen. Da dies jedoch keine Dauerlösung sein konnte und sollte, stellte er beim Kammergericht einen Antrag auf Zulassung zum ersten Staatsexamen. Dieser wurde allerdings mit der Begründung, dass er das Examen bereits bestanden habe, als unzulässig abgelehnt. Wassermann jedoch gab nicht nach und argumentierte, sein Examen sei unter den gegebenen Umständen faktisch ein Nullum, weshalb seinem Antrag stattzugeben sei. Der Kammergerichtsrat erklärte ihm, ein solcher Fall sei bisher noch nicht vorgekommen und wollte wissen, ob Wassermann sich überhaupt die Ablegung des Examens zutraue, zumal doch in West-Berlin so vieles anders sei als in Halle. Wassermann zeigte sich selbstbewusst und bat um Vorlage seines Antrages beim Präsidenten des Prüfungsamtes. Sein Durchhaltevermögen sollte sich auszahlen: am 29. November 1951 wurde Wassermann zum Referendar ernannt. Eine erneute Staatsprüfung musste er nicht ablegen. Anstatt über den Antrag zu entscheiden, hatte man sich entschlossen, ihn als Referendar einzustellen. Seinem Interesse für Philosophie und Soziologie folgend begann Wassermann, neben dem Vorbereitungsdienst sein in Halle begonnenes Studium an der Freien Universität Berlin fortzusetzen5. Der positive Eindruck, den er in den Seminaren 4 5
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 37. Ebenda, S. 39.
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Erster Teil: Herkunft, Jugend und Studium
hinterließ, brachte ihm schon bald ein Angebot des Staatsrechtlers Prof. Drath für eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent ein. Dieses Angebot nicht angenommen zu haben, hat Wassermann im Nachhinein bereut. Allerdings bot sich ihm ein weiteres Angebot des Soziologen Prof. Stammer, welches er nicht ausschlug: Wassermann wurde wissenschaftlicher Assistent und erhielt eine unbefristete Zuzugsgenehmigung, welche er als Referendar nicht bekommen hatte6. Als politischer Flüchtling hatte er sich trotz der damit einhergehenden Privilegien nicht anerkennen lassen, da ihm gesagt wurde, das Amt sei voller politischer Spitzel7. Da Wassermann durch den Vorbereitungsdienst an den meisten Vormittagen nicht anwesend sein konnte, stellte er eine studentische Hilfskraft ein, deren Bezahlung er selbst übernahm und die einen Großteil seines eigenen Gehaltes aufzehrte8. Unterstützung erhielt er daher auch in dieser Zeit nach wie vor von seinen Eltern, welche ihn oft besuchten, da der Zugang zu West-Berlin offen war9. Die Doppelbelastung durch Vorbereitungsdienst und Assistententätigkeit führte allerdings dazu, dass Wassermann nach seiner Rückkehr von der Universität oft bis in die Morgenstunden Voten und Urteile für den Vorbereitungsdienst schrieb10. Als Prof. Stammer an der Columbia University in New York Gastvorlesungen hielt, führte Wassermann dessen Seminar fort und schrieb einen Entwurf für Stammers „Politische Soziologie“, welche den Rang eines Lehrbuches erhalten sollte11. Daneben schrieb er eine politikwissenschaftliche Dissertation, mit welcher er promovieren wollte, noch bevor die Vorbereitung auf das zweite Staatsexamen aktuell wurde12. Stammer schickte ihm aus New York nach Lektüre der Dissertation mit dem Thema „Wesen und Wandel der liberalen Komponente in der Struktur der modernen Demokratie“ bereits ein Glückwunschtelegramm13. Allerdings war der als Mitberichterstatter vorgesehene Prof. Fraenkel mit Ansatz und Richtung der 6 7 8 9 10 11 12 13
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 41. Ebenda. Ebenda, S. 42. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 46 f. Ebenda, S. 47. Ebenda.
Viertes Kapitel: Studien- und Referendarzeit in Berlin
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Dissertation nicht einverstanden. Ein Umschreiben der Dissertation kam für Wassermann wegen des sich nähernden zweiten Staatsexamens jedoch nicht in Frage14. Wassermann erkannte, dass es für seine berufliche Zukunft wichtiger war, die große Staatsprüfung mit einer herausragenden Note zu bestehen, weshalb er das Assistentenverhältnis zum 31. Juli 1954 beendete, obwohl Stammer ihm vorgeschlagen hatte, die juristische Laufbahn aufzugeben und die Hochschullehrerlaufbahn einzuschlagen15. Wassermanns Beurteilungen in den einzelnen Stationen des Vorbereitungsdienstes waren durchweg positiv. Am Verwaltungsgericht bewertete man seine Leistungen mit „ausgezeichnet“, ebenso in der „Arbeitsgemeinschaft B“. Ansonsten reichten seine Bewertungen von „vollbefriedigend“ bis „gut“16. Entsprechend seinen Leistungen in den einzelnen Stationen schloss er schließlich am 21. Oktober 1955 den juristischen Vorbereitungsdienst mit dem Prädikat „vollbefriedigend“17 ab.
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Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 47. Ebenda. Siehe Quellenverzeichnis; in der Beurteilung des Kammergerichts erscheint als Bewertung „gut, z.T. besser“, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 6. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 47.
ZWEITER TEIL: KARRIERESTATIONEN ALS JURIST UND RECHTSPOLITIKER
Fünftes Kapitel: Stationen im Justizdienst A) Landgericht Berlin Nach bestandenem Zweiten Staatsexamen lehnte Wassermann eine ihm von dem Senatsdirigenten Dr. Kreutzer angebotene Stelle in der Berliner Verwaltung ab und bewarb sich in der Justiz, wo seine Bewerbung zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde, jedoch keine Stelle frei war. Er entschloss sich, die Zeit bis zum Freiwerden einer Stelle zu überbrücken und fand schließlich eine Stelle beim Landesausgleichsamt, wo er als Referent für Grundsatzfragen eingesetzt wurde. Nachdem sich seine Ausbilder Büchen und Winkler bei der Personalverwaltung für ihn eingesetzt hatten, wurde ihm noch während der Einarbeitungszeit eine Stelle innerhalb der Justiz angeboten1. So begann Wassermann am 16. Januar 1956 seinen Dienst beim Landgericht Berlin als „beauftragter Richter“. Am 1. Mai 1957 wurde er Gerichtsassessor2, am 22. Dezember 1958 schließlich Landgerichtsrat3. Als erster Schritt auf der Karriereleiter erwies sich die Berufung in die Präsidialabteilung des Landgerichts. Nachdem Walter Mangelsdorf neuer Landgerichtspräsident geworden war, fand Wassermann in ihm einen großen Förderer4. Ein Angebot der Senatsverwaltung lehnte er erneut ab.
B) Kammergericht Berlin Bei einer Routinebesprechung im Kammergericht lobte Mangelsdorf Wassermann nachdrücklich und fragte Kammergerichtspräsident Dr. Kühn, ob er nicht einen tüchtigen jungen Mitarbeiter brauche. Dieser lehnte zunächst ab, doch Mangelsdorf ließ offensichtlich nicht locker, denn am 15. Januar 1962 wurde Wassermann als Hilfsrichter zum Kammergericht einberufen. Zu Mangelsdorf
1 2 3 4
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 49. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 20. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 21. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 54.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-007
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Zweiter Teil: Karrierestationen als Jurist und Rechtspolitiker
entwickelte sich eine Freundschaft, die ein Leben lang hielt. Seine Erinnerungen widmete Mangelsdorf Wassermann als „seinem letzten Freund“5. Im Kammergericht bearbeitete Wassermann die Angelegenheiten von Referendaren, Rechtsanwälten, Beamten und Angestellten. Die Arbeit im Kammergericht gefiel ihm; insbesondere die Ausbildung der Referendare erfüllte ihn mit Freude, denn in ihr sah Wassermann eine besondere Aufgabe. Wassermann organisierte Tagungen, um die Referendare mit der kommunistischen Ideologie und dem System der DDR bekannt zu machen, wobei ihm auffiel, dass viele eine kritische Einstellung gegenüber der Bundesrepublik innehatten und gewisse Sympathien für die DDR empfanden. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaften, die Wassermann seit 1960 leitete, überwog seinem Eindruck nach allerdings eine demokratische Einstellung. Wassermann bildete u.a. den späteren Berliner Senator Klaus Riebschläger und den späteren Bundesminister Carl-Dietrich Spranger aus6. Er hatte erkannt, dass sich der Schwerpunkt der Ausbildung auf die Arbeitsgemeinschaften verschoben hatte, weil in der Stationsausbildung der ausbildende Richter oder Staatsanwalt oft fünf Referendare gleichzeitig zu betreuen hatte7. Wassermann versuchte daher, die Leistungsfähigkeit der Arbeitsgemeinschaften zu verbessern, gleichzeitig aber auch der damit einhergehenden Gefahr einer zunehmenden Verschulung der Ausbildung entgegenzuwirken. Dem Erkennen und Beseitigen möglicher Schwachstellen begegnete er durch eine Intensivierung der Dienstbesprechungen der Arbeitsgemeinschaftsleiter. Erfahrungsaustausch war ihm hierbei wichtiger als Runderlasse und Verfügungen8. Wassermann erblickte in der Reform der Juristenausbildung eine Schlüsselrolle und begann sich in Wort und Schrift der Reformdiskussion zu widmen bzw. diese anzustoßen9. So veröffentlichte er im Jahre 1963 einen Beitrag zur Reform des juristischen Vorbereitungsdienstes in der JR10. Darin hieß es, die Juristenausbildung gehe 5 6 7 8 9 10
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 56. Wassermann schreibt an jener Stelle, er habe sich diese Erinnerungen einbinden lassen und halte sie in Ehren. Soweit ersichtlich, wurden sie nicht publiziert. Ebenda, S. 62. Ebenda, S. 63. Ebenda. Ebenda, S. 63 f. Wassermann, JR 1963, 121 ff.
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auf die gesellschaftliche Struktur des vorigen Jahrhunderts zurück. Die Entwicklung der Gesellschaft hin zur Rationalisierung, Bürokratisierung, Organisierung und Institutionalisierung wirke sich in entscheidender Weise auch auf das Rechtsleben aus. Es gebe eine Verzahnung von öffentlichem und privatem Recht und ein Vordringen des Verwaltungsrechts in Bereiche, die früher der klassischen Eingriffsverwaltung verschlossen gewesen seien. Wassermann stellte zunächst fest, dass sämtliche Reformvorschläge an dem Prinzip der zweistufigen Ausbildung – einer deutschen Besonderheit – festhielten. Hierzu sah Wassermann damals auch keine Alternative, da er den Stellungnahmen sämtlicher Reformvorschläge beipflichtete, dass den Universitäten die Voraussetzungen für eine grundlegende Umgestaltung des Studiums fehlten11. Als zweites warf Wassermann das Thema der Einheitlichkeit der Juristenausbildung auf, an welchem ebenfalls alle Reformvorschläge festhielten. Das Festhalten hieran, meinte er, überrasche zunächst vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung zur Spezialisierung, welche sämtliche Berufsbereiche erfasse. Die Frage, ob es eine einheitliche Juristenausbildung oder eine Vielzahl von Sonderausbildungen geben solle, sei noch nicht ausdiskutiert. Letztlich präferierte er die Einheitsausbildung, da diese den Auszubildenden in Zeiten sozialer Mobilität, in welchen der Einzelne nicht damit rechnen könne, sein Leben lang an einem Arbeitsplatz zu bleiben, mehr Flexibilität im späteren Berufsleben ermögliche. Auch würden die Auszubildenden nach dem Vorbereitungsdienst oftmals besser einschätzen können, wo ihre besonderen Fähigkeiten liegen. Daneben bringe diese Form der Ausbildung auch der Justiz und den späteren Arbeitgebern Vorteile, denn insbesondere das öffentliche Recht sei in der industriellen Großgesellschaft oftmals mit dem privaten Recht verzahnt. Letztlich sei damit die angeblich überholte Einheitsausbildung zeitgerechter als die moderne Sonderausbildung. Inhaltlich sehe man sich im Rahmen der Ausbildung vor dem Dilemma, einerseits praktische Erfahrungen in möglichst vielen Bereichen zu vermitteln, auf der anderen Seite aber einer allzu großen Zersplitterung der Ausbildung in zu viele Bereiche vorzubeugen. Notwendig sei eine innere Reform im Sinne der Konzentrierung und Vertiefung der Ausbildung die sich das Ziel setze, die Mit- und Selbsttätigkeit der Auszubildenden zu fördern. Im Gegensatz zu anderen Reformvorschlägen vertrat Wassermann die Auffassung, dass die notwendige Konzentration nicht mit einer Verkürzung des Vorbereitungsdienstes einhergehen dürfe12 . Bei einer solchen Verkürzung könne 11 12
Später setzte Wassermann die einstufige Juristenausbildung – jedenfalls für einige Jahre – in Niedersachen durch. Der Freiburger Arbeitskreis, der Fakultätentag und der Bundesreferendarsverband hatten eine Verkürzung auf 2½ Jahre vorgeschlagen.
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nicht auf das Selbststudium der Referendare, auf die Beschäftigung mit einer Dissertation oder Nebenbeschäftigungen als wissenschaftliche Assistenten Rücksicht genommen werden. Die Zeit, die man hier spare, könne sich später als schwerwiegender Verlust erweisen. Wassermann sah es jedoch als notwendig an, der Anwalts- sowie der Verwaltungsstation mehr Gewicht beizumessen. Zwar stehe es außer Frage, dass die richterliche Arbeitsweise aus sachlichen wie auch aus methodischen Gründen vorzugsweise behandelt werden müsse. Allerdings komme sowohl den Arbeitsweisen des Verwaltungsjuristen wie auch des Rechtsberaters neben der richterlichen Arbeitsweise eine paradigmatische Bedeutung zu, zumal der Prozentsatz derer, die nach Ablegung des zweiten Examens zur Justiz gingen, immer geringer werde. Vor allem die Anwaltsstation wurde dabei von Wassermann als wichtig erachtet; hier sollte die beratende Tätigkeit im Vordergrund stehen, da das praktische Rechtsleben hiervon mindestens so sehr beherrscht werde wie von Gerichtsentscheidungen und viele Anwälte eine Konsiliarpraxis hätten, die die Prozesspraxis überwiege. Als die vielleicht wichtigste Aufgabe einer Ausbildungsreform beschrieb er es, den Bedürfnissen der Verwaltung gerecht zu werden. In der Verwaltung würden Auszubildende den Staat als Machtapparat und Mittel sozialer Kontrolle kennenlernen. Gerade qualifizierte Juristen seien oft nicht in der Lage, den besonderen Anforderungen der Verwaltungstätigkeit zu genügen. Diese seien darauf geschult, Rechtsnormen auf einen bestimmten Sachverhalt anzuwenden, jedoch nicht darin, Verflechtungen und Abhängigkeiten zu erkennen, die für das heutige politische, gesellschaftliche und ökonomische Leben typisch seien. Regulierung, Besteuerung und Interessensausgleich seien ein wesentlicher Teil staatlicher Tätigkeit, der sich von rechtstechnischen Lösungen von Einzelfragen unterscheide. Notwendig sei eine Schulung in spezifischem Verwaltungshandeln. Die Verwaltung brauche nicht den „Nur-Juristen“, auch nicht den „AuchJuristen“, sondern den „Nicht-nur-Juristen“13. Seine schriftlichen Äußerungen waren beim Kammergericht allerdings nicht gerne gesehen. Wassermann erinnert sich, dass bei jeder neuen Geschäftsverteilung seine Arbeitsgebiete vergrößert worden seien14. Für Reisen zu Vorträgen und Tagungen nutzte Wassermann jedoch seinen Erholungsurlaub und handelte ansonsten nach dem Prinzip der Delegation der Verantwortung. Als symptomatisch für das mangelnde Wohlwollen, mit dem man auf Seiten des Kammergerichts seinen Tätigkeiten gegenüberstand, beschreibt Wassermann eine
13 14
Wassermann, JR 1963, 121, 128. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 68.
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Gegebenheit aus dem Jahre 196315: Der Justizsenator hatte sich in einer Verfügung an den Kammergerichtspräsidenten auf einen der Aufsätze Wassermanns bezogen. Der Kammergerichtspräsident erwiderte persönlich mit der Bemerkung, er trage grundsätzliche Bedenken, Aufsätzen einzelner Fachschriftsteller Richtlinien für die Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit zu entnehmen. Dies gelte auch dann, wenn solche Schriftsteller zufällig seiner Verwaltung angehörten. Mit der Arbeit Wassermanns im Allgemeinen war man jedoch recht zufrieden. Nach Ablauf der einjährigen Abordnung zur obergerichtlichen Erprobung wollte man ihn dort behalten und verlängerte seine Abordnung, bis eine Planstelle als Kammergerichtsrat frei wurde, was im Oktober 1963 der Fall war. Noch vor seiner Ernennung fragte der Personalreferent Dr. Schumann, der später Landgerichtspräsident wurde, ob Wassermann nicht lieber Landgerichtsdirektor werden wolle, um selbständiger agieren zu können. Wassermann entschied sich jedoch für die Ernennung zum Kammergerichtsrat. Er selbst nennt als einen wichtigen Grund für diese Entscheidung die einzigartige Tradition des Kammergerichts16. Am 1. Oktober 1963 wurde Wassermann zum Kammergerichtsrat ernannt17. Als solcher setzte Wassermann durch, dass das Bestehen des Kammergerichts im Jahre 1968 in großem Stil gefeiert wurde. Hierfür mussten allerdings anfängliche Widerstände überwunden werden, welche Wassermann in der Furcht einiger Beteiligter begründet sah, die unrühmliche Rolle des Kammergerichts unter dem NS-Regime könnte in den Medien thematisiert werden. Als Kammergerichtspräsident Dr. Kühn im Jahre 1966 aufgrund interner Differenzen seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand beantragt und Senatspräsident Günther von Drenkmann dessen Nachfolge angetreten hatte, hoffte Wassermann, zum Senatspräsidenten ernannt zu werden. Diese Hoffnung zerschlug sich jedoch. Mit Senatsrat Otto Uhlitz wurde ein sozialdemokratischer Jurist, der bereits als Justiziar bei Willy Brandt tätig gewesen war, zum Senatspräsident ernannt. Wassermann wurde hierdurch erstmals vor Augen geführt, dass die Parteizugehörigkeit auch die Personalpolitik in der Justiz beeinflusste18.
15 16 17 18
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 69. Ebenda, S. 72. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 22. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 81.
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C) Landgericht Frankfurt Die Entscheidung, das Amt des Landgerichtspräsidenten in Frankfurt anzunehmen lag zunächst darin begründet, dass Wassermann bei Karl Hemfler 19 im Wort stand. Darüber hinaus reizte ihn Frankfurt als Medienmittelpunkt20. Über die Medien bestand seiner Ansicht nach die Möglichkeit der Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und damit indirekt auf die Politik sowie auf die Justiz. Schließlich wollte Wassermann an einem großen Landgericht zeigen, wie eine „Reform in Aktion“ in der Praxis funktioniert, wobei es ihm um die innere Justizreform ging21. In der vom Hessischen Landesverband des Deutschen Richterbundes ausgehenden Reformbewegung sah er eine geeignete Grundlage für seine Pläne22. Insbesondere zum damaligen Vorsitzenden Otto Rudolf Pulch pflegte Wassermann eine Freundschaft. Von diesem und einigen Mitstreitern im Landesverband wurde das Hessische Justizministerium scharf attackiert. Minister Strelitz suchte schließlich nach einer Verständigung und machte sich einige Reformforderungen zu eigen23. Mit Minister Strelitz hatte Wassermann zuvor in der Hessischen Landesvertretung in Bonn seine Pläne für Frankfurt besprochen, wobei beide übrigens von der Frau des später als DDR-Spion enttarnten Günter Guillaume bewirtet wurden. Dass die Zeit in Frankfurt weitaus politischer geprägt sein würde als die Zeit in Berlin, stellte Wassermann bereits an dem Tag fest, als ihm Minister Strelitz in Bonn die Ernennungsurkunde überreichte. Dieser hatte ihn nämlich sogleich beauftragt, an seiner Stelle am Abend einen Vortrag im SPD-Haus in Frankfurt über die Justizpolitik zu halten24. Am 25. April 1968 wurde Wassermann offiziell zum Landgerichtspräsidenten ernannt25.
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Karl Hemfler war bis Februar 1968 Staatssekretär im hessischen Justizministerium, von wo aus er im März 1968 als Staatssekretär ins Innenministerium wechselte. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 109. Ebenda. Ebenda, S. 109 f. Ebenda, S. 110. Ebenda, S. 112. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 23.
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In seiner Rede zur Amtseinführung am 24. Mai 196826 führte Wassermann die aus seiner Sicht herausragende Bedeutung der erstinstanzlichen Gerichte für das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung an, um sich anschließend dem Thema der von ihm beabsichtigten inneren Justizreform zu widmen. Gerichtsverfahren, so Wassermann, seien kein Selbstzweck, sondern hätten eine soziale Funktion. Der Prozess sei nicht nur ein Rechtsverhältnis, sondern auch ein Sozialverhältnis, das auf Kooperation angelegt sei und kein Herrschaftsverhältnis darstellen solle. Dies bedeute keine Abwesenheit von Amtsautorität, allerdings müsse zwischen „autoritär“ und „Autorität“ unterschieden werden. Das Erreichen von Amtsautorität verlange in stärkerem Maße als früher den persönlichen Einsatz des Richters. Dieser müsse den Verfahrensbeteiligten mit freier, mitbürgerlicher Haltung begegnen und eine Kultur der Gerichtsverhandlung schaffen, in der die Verfahrensbeteiligten dem Gericht gegenüber Vertrauen fassen, dieses werde den Sachverhalt unvoreingenommen, gründlich und akribisch prüfen und gerecht und menschlich entscheiden. Wörtlich heißt es27: „Die Richterschaft kann sich mit um so größerer Berechtigung auf Ihre grundgesetzliche Stellung berufen, je mehr sie tut, um ihrerseits das Grundgesetz im Rechtsalltag zu verwirklichen. Jeder Schritt in der hier skizzierten Richtung ist ein Stück jener inneren Justizreform, die der äußeren vorausgehen muss, wenn diese von Erfolg gekrönt sein soll. Diese innere Justizreform nach Kräften zu fördern – darin sehe ich die vielleicht wichtigste Aufgabe des Gerichtspräsidenten in dieser Zeit.“
Im Anschluss nannte Wassermann zwei Punkte einer inneren Justizreform, welche er in Frankfurt in besonderem Maße in Angriff nehmen wolle: engeren Kontakt mit den ehrenamtlichen Richtern sowie aktive Öffentlichkeitsarbeit und „Personalisierung“ der Justiz. Wassermanns Amtsvorgänger hatten den Vorsitz einer Beschwerdekammer geführt, die im schriftlichen Verfahren entschied. Wassermann vertrat jedoch die Ansicht, ein Präsident müsse mündlich verhandeln, um einen unmittelbaren Kontakt zu den Prozessbeteiligten zu haben. Deshalb übernahm er den Vorsitz in einer Berufungszivilkammer, wo er mit seinen Beisitzern abgesprochen hatte, nicht nur die Prozessbevollmächtigten, sondern auch die Parteien selbst zu Verhandlungen zu laden, da er sich ein realitätsnahes Bild verschaffen wollte28.
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 4. Redemanuskript, S. 8 f. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 120.
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Eine erste große Aufgabe stellten die sogenannten Demonstrationsprozesse dar, welche bei Wassermanns Amtsantritt in Frankfurt bereits im Gange waren. Sowohl in Berlin als auch in Frankfurt herrschte insgesamt eine hitzige Stimmung. Am 2. Juni 1967 wurde im Anschluss an den Besuch des Schahs von Persien der Demonstrant Benno Ohnesorg von einem Polizeibeamten erschossen, was zu einer Initialzündung für weitere Demonstrationen und damit einhergehende Ausschreitungen wurde. Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke fanden an den Abenden des 12. und 15. April 1968 regelrechte Straßenschlachten statt. Eine tragende Rolle bei den Demonstrationen kam dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) zu. In einem Gespräch mit der Frankfurter Rundschau29 hatte Wassermann den SDS attackiert und erklärt, dieser sei offenbar nicht in der Lage, zwischen unabhängigen Gerichten und Anklagebehörden zu unterscheiden. Auch die Reformbewegung passe dem SDS nicht in sein scheinrevolutionäres Konzept. Im Hinblick auf beabsichtigte Provokationen hatte er mitgeteilt, dass die Gerichtsvorsitzenden über genügend Mittel verfügen würden, um solche „Possen“ zu unterbinden. Wassermann hatte ferner seine Auffassung geäußert, dass eine kritische Öffentlichkeit – um welche es dem SDS angeblich gehe – nicht dadurch hergestellt werde, dass man „Narreteien“ in den Gerichtssälen nach dem Muster der Berliner Kommunarden veranstalte. Aktionen, mit welchen Richter unter Druck gesetzt werden sollen, seien mit dem verfassungsmäßigen Status der Gerichte nicht vereinbar. Zumindest von den Verteidigern, welche nach der Rechtsanwaltsordnung auch Organe der Rechtspflege seien, sollten die Angeklagten Studenten und ihre „militanten Freunde“ hierauf hingewiesen werden, was in der Überschrift des Artikels als „Mahnung an die Anwälte“ bezeichnet wurde. Der Appell an den SDS zeigte keine Wirkung. Am 22. September 1968 wurde der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an den Senegalesischen Staatspräsidenten Senghor verliehen. Nachdem etwa 2.000 Demonstranten versucht hatten, die Verleihung zu verhindern, baute die Polizei Absperrungen auf und setzte unter anderem Wasserwerfer sowie Reiterstaffeln ein. Am 24. September 1968 kam es zur ersten SDS-Aktion gegen die Frankfurter Justiz bei der Verhandlung gegen den 52 Jahre alten Müller Justus Georg Pflüser vor dem Schöffengericht wegen Aufruhrs, Auflaufes und Landfriedensbruches. Einen großen Andrang von Zuschauern erwartend, hatte das Schöffengericht die 29
Artikel „Die Richter werden gegen ‘Narreteien’ vorgehen“, von Roderich Reifenrath, FR vom 17.9.1968.
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Sitzung in den Schwurgerichtssaal verlegt, der ebenfalls brechend voll war30. Der Vorsitzende des SDS, Karl Dietrich Wolff, und etwa zweihundert protestierende Studenten füllten auch die Gänge im Gerichtsgebäude und begannen, Sprechchöre zu skandieren31. Wassermann stellte sich der Diskussion mit den Demonstranten, verteidigte die Rechtsprechung und bot eine Fortführung der Diskussion außerhalb des Gerichtsgebäudes an, was die Studenten annahmen und was dazu führte, dass die Menschenmenge das Gericht verließ. In einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 25. September 1968 heißt es unter anderem32: „Während Karl-Dietrich Wolff der Justiz autoritären Charakter vorwarf und kritisierte, daß sie heute noch mit Begriffen wie Landfriedensbruch, Auflauf und Aufruf operiere, die aus der Zeit der Unterdrückung der Arbeiterschaft im Kaiserreich stammten, verteidigte der Landgerichtspräsident die Rechtsprechung in der Bundesrepublik: ‘Sie können die Justiz heute nicht mehr zu den Autoritäten zählen, sondern sie müssen sie als Antiautorität ansehen. Mit Nachdruck wies Wassermann darauf hin, dass die nach den Osterunruhen erhobenen Forderungen nach Schnellverfahren gegen die Teilnehmer an Demonstrationen wegen des Protestes der Richter damals ‘sehr schnell von der Bühne’ verschwunden seien. ‘Sie sind im Irrtum, wenn Sie glauben, daß sich die Dinge verhärten – im Gegenteil’, erklärte Wassermann. ‘Wir selbst haben diesen Wandlungsprozeß in Gang gesetzt’. ‘Ich empfinde es als bedrückend, daß gerade die Bastionen der Freiheit – und dazu gehört die Justiz – vom SDS angegriffen werden’, erklärte der Landgerichtspräsident nach der zum Teach-in umgewandelten Demonstration. Damit verspiele der SDS jenen Anspruch, der ihm im Vorjahr so zahlreiche Solidarisierungen verschafft habe, nämlich den Anspruch, antiautoritär zu sein. ‘Der Appell an die Gewalt verfängt bei der Justiz nicht’, betonte Wassermann. Der Landgerichtspräsident bezeichnete sich wie Wolff als Gegner des Rechtspositivismus und betonte, daß das Recht nicht starr sei, sondern sich wandle: Das Problem sei, das aus dem Jahr 1871 stammende Recht dem neuen Staat und dem Grundgesetz anzupassen. Wassermann warnte den SDS davor, gegen die Atmosphäre der judiziären Sachlichkeit zu verstoßen.“
Am Tag darauf gab Wassermann vor der Presse eine Erklärung33 dahingehend ab, dass die Justiz zu Gesprächen mit der Jugend bereit sei. Er habe jedoch Zweifel, dass der SDS die neue Jugend repräsentiere und bezeichnete ihn in dieser Erklärung als autoritär und vorurteilsbefangen. Wassermann hielt ferner fest, dass Gerichte kein Ort für Demonstrationen seien und frei von äußeren Einflüssen sein müssten, anders sei die verfassungsmäßige Garantie einer unabhängigen Rechtsprechung nicht zu gewährleisten. 30 31 32 33
Wassermann, APO und Justiz, S. 19, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 18. Ebenda. Artikel „Erste SDS-Aktion gegen die Frankfurter Justiz“, FR vom 25.9.1968. Wörtlich nachzulesen in Wassermann, APO und Justiz, S. 20.
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Sollte noch einmal versucht werden, das „Provokationstheater“ von der Straße in den Gerichtssaal zu tragen, werde die Hausleitung dies energisch unterbinden. Nur Tage später, am 27. September 1968, wurde Daniel Cohn-Bendit wegen der Vorgänge bei der Friedenspreisverleihung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung wegen Landfriedensbruchs, Aufruhrs, Beamtennötigung und schweren Hausfriedensbruchs verurteilt. Gegen diese Verurteilung protestierten am Nachmittag auf dem Opernplatz rund 300 Studenten und der Verteidiger Cohn-Bendits, Rechtsanwalt Hannover, erklärte, die Justiz in Frankfurt sei genauso reaktionär wie überall. Man könne die Vorgänge im Gerichtssaal nicht als demokratische Rechtsprechung im Namen des Volkes bezeichnen34. Eine der spektakulärsten Hauptverhandlungen dieser Zeit begann am 14. Oktober 1968 gegen Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorward Proll und Horst Söhnlein wegen des Kaufhausbrandes auf der Zeil Anfang 1968. Sowohl die Angeklagten als auch deren im Saal anwesenden Sympathisanten machten die Verhandlung zu einem „happening“, provozierten das Gericht und versuchten, dieses lächerlich zu machen. Wassermann schrieb später, der „nervenstarke“ und „erfahrene“ Vorsitzende Gerhard Zoebe habe hierzu ungewollt Hilfestellung geleistet, weil er zu Beginn der Verhandlung bekannt gegeben habe, was das Gericht tolerieren würde und wann es einschreiten würde35. Als Verteidiger traten unter anderem die Rechtsanwälte Horst Mahler und Otto Schily sowie der Berliner Strafrechtsprofessor Ernst Heinitz auf. Während die Angeklagten die Richter permanent reizten, hatte die Verteidigung angekündigt, die politischen Hintergründe des Prozesses zu beleuchten und dies durch seitenlanges Vorlesen aus politischen Schriften ohne Beziehung zum Verfahrensgegenstand umgesetzt36. Alle vier Angeklagten wurden am 31. Oktober 1968 zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Angeklagten erschienen zur Urteilsverkündung zum Teil mit brennenden Zigarren im Mund und wurden von ihren Sympathisanten mit rhythmischem Händeklatschen und Absingen der Internationalen begrüßt. Während der Urteilsverkündung führte der Vorsitzende aus, dass dieses Verfahren keinen Anhaltspunkt ergeben habe, dass „studentische Organisationen oder die APO“ 34 35 36
Wassermann, APO und Justiz, S. 21. Ebenda, S. 21 f. Ebenda, S. 22.
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beteiligt gewesen seien, weshalb das Verfahren nicht zu den Studentenprozessen zu rechnen sei, worauf die Angeklagten protestierten und versuchten, den Saal zu verlassen. Daniel Cohn-Bendit rief in den Saal: „Sie gehören zu uns!“. Als dieser daraufhin vom Vorsitzenden des Gerichtssaales verwiesen wurde, sprangen die Angeklagten Baader und Söhnlein von der Anklagebank in den Saal, woraufhin der Vorsitzende die Räumung des Saales anordnete. Nach etwa einer Stunde konnten die Angeklagten Baader und Söhnlein von den Justizwachtmeistern wieder in ihre Gewalt gebracht und die Verhandlung unter Beisein der Öffentlichkeit fortgesetzt werden37. Wassermann war bewusst, dass er einen „Zweifrontenkampf“ führen musste: auf der einen Seite gegen „das reformunwillige Establishment“, auf der anderen Seite gegen den Linksradikalismus, der aus Sicht Wassermanns antiliberale und antidemokratische Ziele verfolgte. Vor allem fürchtete Wassermann, Richterschaft und Professoren könnten sich aufgrund des radikalen Auftretens der Studenten von den notwendigen Reformen abwenden38. In einem Artikel, der in zahlreichen Tageszeitungen abgedruckt wurde39, beschrieb Wassermann die Demonstrationsprozesse jedoch nicht nur als Risiko, sondern erläuterte auch die seiner Meinung nach hierin liegenden Chancen. Die Gerichte der ersten Instanz, die in der allgemeinen Geltung so sehr unter den Obergerichten zurückständen, befänden sich nun im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Die mit den Demonstrationsprozessen befassten Richter sollten hierin nicht nur die Gefahr sehen „Federn zu lassen“. Sie hätten dadurch auch die erneute Chance, „sich als Organ des demokratischen Rechtsstaates höflichst zu bewähren“. Die Diskussion hierüber, so Wassermann40, hielt seine gesamten Frankfurter Jahre über an und breitete sich nicht nur in Deutschland, sondern auch im Ausland aus. Eine Verschärfung der Ordnungsstrafen vor Gericht – wie von der CDU gefordert – hielt Wassermann dabei für kontraproduktiv. In einem Spiegel-Interview 41 vertrat Wassermann die Auffassung, dies treibe die Justiz in eine Eskalation mit den Studenten, im Zuge derer die Justiz nur Schaden nehmen
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Wassermann, APO und Justiz, S. 23. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 134. Vgl. etwa den Artikel „Demonstrationsprozesse“ von Rudolf Wassermann, Saarbrücker Zeitung vom 6.2.1969. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 138. Artikel „Wahlkampf – Lärm gemacht“, Spiegel Nr. 6/1969 vom 3.2.1969.
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könne; es sei eine Unterstellung, zu behaupten, die Richter seien ohne ein schärferes Instrument nicht in der Lage, mit Provokationen im Gerichtssaal fertig zu werden. Es sei in erster Linie immer eine Sache der Verhandlungsführung, Provokationen zu begegnen. Nach anfänglichen Erfolgen des SDS hätten die Richter dazugelernt, würden zunehmend eine psychologische Verhandlungsführung entwickeln und wüssten die Machtmittel, die ihnen das geltende Recht gebe, zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen. Imponieren, so Wassermann, könne allein ein überlegtes, abgewogenes und vor allem konsequentes Verhalten. Des Weiteren führte Wassermann aus, ein Gericht könne nur dann Recht sprechen, wenn es in einer sachlichen Atmosphäre verhandeln und entscheiden könne. Wie eine solche Atmosphäre geschaffen werden könne, führte Wassermann unter anderem auf einem Vortrag im September 1969 in Siegburg aus, der unter der Überschrift „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“ stand42. Bereits einige Monate zuvor, am 31. Mai 1969, hatte auf Einladung Wassermanns im Haus der Frankfurter Rundschau ein Symposium über den „Zeitgemäßen Stil der Gerichtsverhandlung“ stattgefunden, an welchem insgesamt 23 namhafte Juristen und Journalisten teilgenommen hatten43. Bei der von Walther La Roche vom Bayerischen Rundfunk moderierten Gesprächsrunde wurden die verschiedensten Förmlichkeiten im Rahmen einer Hauptverhandlung – bis hin zum Aufbau des Sitzungssaales – diskutiert und in Frage gestellt. Einigkeit herrschte darüber, dass im modernen Prozess dem Angeklagten die Anrede „Herr“ nicht vorenthalten werden dürfe. Diskussionsstoff entstand hingegen bei der Frage, wie der jeweilige Richter anzureden sei. Auch wurden die Notwendigkeit bzw. der Zwang des Aufstehens kontrovers diskutiert, ebenso über historische Herkunft, Zweck und Nützlichkeit der Robe. Auf den Hinweis, dass die Robe Errungenschaft der französischen Revolution und ihr Tragen Zeichen freiheitlicher Gesinnung sei, entgegnete Wassermann, die Demokratie in der Bundesrepublik habe andere Möglichkeiten als Talar und Robe, um sich symbolhaft zur Darstellung zu bringen. Bei der Diskussion über die Einrichtung der Sitzungssäle bezeichnete Prof. Ulrich Klug den „Runden Tisch“ als das von der Verfassung geforderte Gesellschaftsmodell der Zukunft. Theo Rasehorn und Jürgen Baumann sprachen sich ebenfalls für den „Runden Tisch“ aus, auch Professor Helmut Külz und
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 44. Siehe den Veranstaltungsbericht in DRiZ 1969, 250 f.
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Senatspräsident Hennies traten für den „Runden Tisch“ ein, mit Ausnahme der strafrechtlichen Verfahren. Zahlreiche große, bundesweit erscheinende Tageszeitungen 44 nahmen dieses Symposium zum Anlass für ausführliche Berichte, in welchen die markantesten Zitate der Teilnehmer festgehalten wurden. Auch im Fernsehen45 waren Originalausschnitte aus den Gesprächen zu sehen, sodass die Diskussion einem breiten Spektrum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Ein weiterer wichtiger Aspekt in Wassermanns Zeit in Frankfurt betraf die Einrichtung von Wirtschaftsstrafkammern. Als er unmittelbar nach seiner Ernennung seinen Amtsvorgänger Greiff besuchte, teilte ihm dieser sein Bedauern darüber mit, dass es ihm nicht gelungen sei, Spezialkammern für Wirtschaftskriminalität einzurichten46. Das Problem lag im Prinzip des gesetzlichen Richters. Nach dem GVG musste die gesetzliche Zuständigkeit einzelner Strafkammern nach abstrakten Rechtsbegriffen exakt festgelegt sein. Da es keine einheitliche Bestimmung des Begriffes des Wirtschaftsstrafdeliktes gab, wurde die Zuständigkeit der Wirtschaftsstrafkammer auf alle Verfahren erstreckt, bei denen es um Tatbestände ging, gegen die im Rahmen der „whitecollar-Kriminalität“ am häufigsten verstoßen wurde. Wassermann ließ sich vom Minister zusichern, dass im nächsten Haushalt Mittel für zwei, später vier neu zu errichtende Strafkammern bereitgestellt würden47. Auf einer Veranstaltung des Rechtsausschusses der IHK Frankfurt am Main am 10. Oktober 1968 gab Wassermann dann die Bildung spezieller Wirtschaftsstrafkammern bekannt. Bereits am nächsten Tag erschien in der FAZ ein Artikel unter dem Titel „Den Wirtschaftsverbrechern wird der Kampf angesagt“ 48 . Frankfurt, so hieß es dort, sei damit die erste Stadt in der Bundesrepublik mit speziellen Strafkammern für „Weiße-Kragen-Kriminalität“. Ein zügiges Verhandeln ohne den Rückstau alter Fälle sollte dadurch erreicht werden, dass die Kammern nur solche Wirtschaftsstrafsachen zugewiesen bekommen sollten, die zwischenzeitlich verhandlungsreif waren.
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Artikel „Der runde Tisch ist das Gesellschaftsmodell“ von Roderich Reifenrath, FR vom 2.6.1969. Am 8. Juni (MDR / NDR), am 11. Juni (Hessischer Rundfunk) und am 30. Juli 1969 (Bayerischer Rundfunk), siehe DRiZ 1969, 250, 251. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 162. Ebenda, S. 163. Artikel „Den Wirtschaftsverbrechern wird der Kampf angesagt“ von Hans Bilger, FAZ vom 11.10.1968.
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Vor der Presse hatte Wassermann betont, dass sich die beiden Wirtschaftsstrafkammern nicht auf Wirtschaftsdelikte im engeren Sinne – wie Konkursdelikte, Steuer- und Zollstrafsachen – beschränken, sondern auch für Betrug und Untreue zuständig sein sollten49. Die in Frankfurt besonders häufigen Betrugsprozesse sollten somit von sachkundigen, auf diesem Gebiet spezialisierten Richtern geführt werden. In einem Artikel in der Zeitschrift „Der Volkswirt“ vom 17. Januar 1969 wurde Wassermann mit dem Satz: „Der Angeklagte hat kein Recht auf dumme Richter.“ zitiert50. Die neuen Strafkammern seien „keine Rennwagen, um den Vorsprung der Wirtschaftskriminellen aufzuholen. Sie seien auch keine Allheilmittel, sondern nur ein Weg zur effektiven Gestaltung der Rechtsverfolgung.“ In dem Artikel wird weiter berichtet, dass Anfang Dezember zwölf Richter einen dreitägigen Kurs in Betriebswirtschaftslehre besucht hatten. Dabei seien ihnen von Vorstandsmitgliedern der Bank für Gemeinwirtschaft Fragen der Kreditgewährung, Kreditsicherung und Kreditüberwachung nähergebracht worden. In seinen bisher unveröffentlichten Memoiren51 schreibt Wassermann der Gründung dieser Kammern in gewissem Sinne eine Initialzündung zu: Sie sei Auftakt für Fortbildungsprogramme innerhalb der Justiz sowie an Universitäten gewesen. Auch das GVG sei geändert worden, um die Einrichtung von Wirtschaftsstrafkammern einheitlich im gesamten Bundesgebiet zu ermöglichen, und der Bundestag habe Gesetze zur besseren Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität beschlossen. Als Beobachtung streicht Wassermann in seinen Memoiren52 heraus, dass die Kammern sich mit der Zeit an Großverfahren und hohe Schadenssummen derart gewöhnt hätten, dass sie bei den „kleinen Fischen“ zur Milde geneigt hätten. Diese seien vor den Wirtschaftsstrafkammern in der Folge besser als vor den „normalen Strafgerichten“ davon gekommen53. Ein besonderes Augenmerk legte Wassermann auch auf die ehrenamtlichen Richter. Die von Wassermann initiierte Schulung der Schöffen durch Richter und Staatsanwälte wurde sogar durch das Fernsehen aufgegriffen und verbreitet54.
49 50 51 52 53 54
Artikel „Den Wirtschaftsverbrechern wird der Kampf angesagt“ von Hans Bilger, FAZ vom 11.10.1968. Artikel „Kein Recht auf dumme Richter“ von Hans-Joachim Grobe, Der Volkswirt vom 17.1.1969. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 163. Ebenda, S. 164. Ebenda, S. 164. Ebenda, S. 165.
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Wie unkonventionell und pragmatisch Wassermann in seinem Amt agierte bzw. auf auftauchende Probleme reagierte, sei an zwei Beispielen exemplarisch verdeutlicht: 1. Für Mütter, die ihre Kinder nicht alleine zu Hause lassen konnten, wurden Kinderzimmer im Gericht eingerichtet. Dort wurden sie durch ehrenamtliche Helferinnen – oft die Ehefrauen der Richter – betreut55. Im Ministerium löste diese Maßnahme – zu Recht, wie Wassermann in seinen Memoiren bemerkt – Sorge unter anderem um die Haftungsfrage aus. 2. Im Rhein-Main-Gebiet herrschte eine Überlastung bzw. ein Arbeitskräftemangel im Schreibdienst vor, während in Nordhessen noch Kapazitäten frei waren. Daraufhin ließ Wassermann die Akten zu den dortigen Gerichten bringen, wo die Urteile geschrieben wurden56.
Zum Ende seiner Frankfurter Zeit stellte Wassermann jedoch einen für seine Ideen und seine Arbeit ungünstigen Stimmungsumschwung fest, welchen er auf die politische Großwetterlage, den anhaltenden Krawall, den Neomarxismus und das Vordringen des linken Flügels innerhalb der SPD zurückführte57. Als schweren Schlag empfand Wassermann den Wechsel von Justizminister Strelitz ins Innenministerium58. Diesen versuchte er noch abzuwenden, indem er kurz vor dem Wechsel auf Bitten von Otto Rudolf Pulch ein Telegramm an Strelitz schickte. Dieser zeigte das Telegramm jedoch Dritten, wodurch unter anderem Karl Hemfler, Nachfolger von Strelitz im Justizministerium, trotz früherer guter Zusammenarbeit zu Wassermanns Gegner wurde59. Zuvor hatte Strelitz Wassermann noch versprochen, er würde Präsident des OLG werden und ihn zur Bewerbung aufgefordert60. Hemfler als Nachfolger von Strelitz tendierte jedoch zu Kissel, und der Richterbund – so Wassermann in seinen Memoiren – unterließ es, Druck auf Hemfler auszuüben. In Kissel jedoch – so Wassermann resümierend in seinen Memoiren – hatte die Reform keinen echten Anhänger61.
55 56 57 58 59 60 61
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 166. Ebenda, S. 170. Ebenda, S. 170. Ebenda, S. 170. Ebenda, S. 171. Ebenda, S. 171. Ebenda, S. 172.
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Zweiter Teil: Karrierestationen als Jurist und Rechtspolitiker
Am 16. Oktober 1970 sorgte ein Leserbrief im Rheinischen Merkur für gehöriges Aufsehen62. Der Verfasser berichtete von einer im Anschluss an einen Vortrag Rasehorns am 8. September 1970 mit dem Titel „Die Gewaltenteilung ist tot, was nun?“ geführten Diskussion im Weinhaus „Luthereck“, an welcher auch Wassermann teilgenommen hatte. In dem Leserbrief, der nur Fragmente dieses Gespräches beinhaltet, heißt es unter anderem: „Es sagte der Frankfurter Landgerichtspräsident Wassermann (SPD) zu einem offenbar sehr links eingestellten Gerichtsreferendar Heilmann entschuldigend: ‘Nach außen hin vertrete ich die liberalen Thesen von Mannheim, damit sich die Leute nicht noch mehr aufregen’. Bei der Debatte über die Gewaltenteilung erklärte er: ‘Im Augenblick ist die Gewaltenteilung noch notwendig. Ich sage den Leuten von der APO immer: „Warum sind Sie gegen die dritte Gewalt, die Ihnen doch den Freiraum gewährt, indem Sie leben und wirken können’. [...] In diesem Zusammenhang Wassermann: ‘Das Grundgesetz sehen wir nicht statisch wie unsere Gegner, sondern als dynamischen Prozeß’. [...] Ein Richter erzählte, in der „Frankfurter Allgemeinen“ habe er einen interessanten Artikel über die aufkommende Stadtguerilla in New York gelesen, wo z.B. Funkstreifen per Notruf an bestimmte Orte gelockt und beim Aussteigen „abgeknallt“ würden. In zehn Jahren sei es bei uns wohl auch soweit. Hierauf wurde kein Widerspruch laut, aber Wassermann verfiel ins Meditieren: ‘Ich spreche jetzt als Epikuräer; ich muß gestehen, ich habe eine leichte Schwäche für die liberalen Freiheiten, die wir im Augenblick genießen’. [...] ‘Ich genieße den halkyonischen Moment, in dem wir leben; wenn erst die Maschinengewehre sprechen, gibt es keine dritte Gewalt mehr’.“
Als Reaktion verfassten Teilnehmer dieses Gespräches Leserbriefe an den Rheinischen Merkur. Der Frankfurter Richter Dr. Dietmar Kupke etwa schrieb, dass es sich bei der sogenannten „Wassermannrunde“ nicht um einen Verschwörerkreis, sondern um eine mehr oder weniger zufällig zusammengekommene Runde von Juristen aller Berufssparten gehandelt habe, die sich im Anschluss an einen Vortrag bei 62
Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 27.
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einem Glas Bier oder Wein mit dem Referenten und dem Landgerichtspräsidenten Wassermann über justizpolitische Fragen unterhalten wollten63. Der Verfasser des Leserbriefes verschweige, dass die Gesprächsrunde keineswegs einseitig zusammengesetzt war, sondern „Juristen der verschiedensten politischen und weltanschaulichen Färbung umfasste“. Es sei auch nicht darüber diskutiert worden, ob man Gesetz und Recht durch Klassenkampf ersetzen solle, sondern lediglich darüber, nach welchen Kriterien der Richter Gesetz und Recht, soweit Lücken vorhanden seien, inhaltlich auszufüllen habe. Vor dem Hintergrund, dass diese Frage in der modernen Rechtssoziologie ausgiebig erörtert werde, sei es auch nicht verwunderlich, dass dabei von einigen Teilnehmern vom sogenannten „Klassenstandpunkt“ des Richters gesprochen worden sei. Was der Verfasser über Wassermann sage, sei „geradezu infam, weil gerade Wassermann an diesem Abend alles unternahm, um die kritisch eingestellten anwesenden Referendare von der Notwendigkeit eines freiheitlichen Rechtsstaates zu überzeugen“. Wassermann selbst schrieb in einem Brief vom 2. November 1970 an Pulch von einer Verleumdungskampagne. Er halte es für unter seinem Niveau, hierzu Stellung zu nehmen64. Weiter heißt es unter anderem in dem Brief: „Ich bin ein erklärter Gegner der Klassenjustiz, habe seit 1963 das Bewußtsein für Abhängigkeiten und außerrechtliche Einflüsse geschärft – also macht man mich zum Verfechter der Klassenjustiz. Ich verteidige den Wert liberaler Freiheiten gegenüber Andersdenkenden und versuche, diese zu überzeugen – prompt bringt man mich in die Nähe der Tupamaros oder wie diese Leute heißen und macht mich zum Befürworter von Maschinengewehren. Von der Geschichtsphilosophie hat man natürlich keine Ahnung (oder will sie nicht haben), denn sonst würde man nicht um die Erkenntnis herumkommen, daß die freiheitliche Demokratie bisher eine verflixt kurzlebige Angelegenheit war und öfter Gewalt als Freiheit in der Welt herrscht. Geradezu grotesk, wie man mein Verhältnis zu Mannheim böswillig interpretieren will. Wie Fritz Werner, so halte auch ich Mannheims Thesen nur für heuristisch brauchbar, d.h. nach außen, um an Fragen heranzukommen, die sonst von einer Befangenheitsschicht verdeckt sind.“
Vor dem Hintergrund seiner laufenden Bewerbung für das Amt des Präsidenten des Oberlandesgerichts Braunschweig hatte Wassermann bereits am 21. Oktober 1970 Justizminister Hans Schäfer in einem Brief informiert65. In diesem Brief ging Wassermann zwar nicht selbst inhaltlich auf die Vorwürfe ein, hatte jedoch drei Briefe von Teilnehmern der Gesprächsrunde beigefügt und nannte
63 64 65
Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 28. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 15. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 14.
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den Vorgang eine „neue absurde Blüte“ einer gegen ihn geführten Diffamierungskampagne. Tatsächlich war dies nicht der erste öffentliche Angriff auf Wassermann. Ausgangspunkt der medialen Auseinandersetzung war – soweit ersichtlich – ein in der Ausgabe Januar / Februar des Deutschland-Magazins66 veröffentlichtes Interview mit dem Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Karl-Heinz Dinslage. Dieser griff den Deutschen Richterbund und Wassermann in ungewöhnlicher Schärfe an. Die Richter, so Dinslage, seien durch den Richterbund nicht gut vertreten. Dieser betreibe schon seit einigen Jahren einen „Totalausverkauf des Deutschen Richtertums“. Als Beispiel nannte Dinslage eingangs die begrüßende Stellungnahme des Vorstandes des Richterbundes zu den Leitsätzen zur Justizpolitik der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen, welche den hierarchischen Aufbau der Justiz und das Laufbahnprinzip sowie die großen zwischen den Richtern bestehenden Gehaltsdifferenzen kritisierten und entsprechend beseitigen wollten. Hierin erblickte Dinslage ein „Funktionärswesen“, welches „das politische Ziel einer Vernichtung des heutigen Richtertyps sowie die Nivellierung der Richter und deren Politisierung unterstützt“. Die Demokratisierung der Justiz lehnte er ab, da eine Abhängigkeit von Funktionären aus seiner Sicht gefährlicher sei als die Einbettung in die Justizverwaltung. Die Politisierung der Rechtsprechung widerspreche nicht nur der Verfassung, sondern sei das Ende des Rechtsstaates. Unter Berufung auf das Grundgesetz werde ein grundgesetzwidriger Zustand angestrebt. Der Richter solle durchaus kein politisches Neutrum sein, müsse aber politisch neutral sein, was politisches Bewusstsein voraussetze. Wassermann selbst sei ein politischer Richter, der vorwiegend in der Justizverwaltung gearbeitet habe, seine früheren Richtertitel aber gerne herausstelle. Seine Karriere beruhe nicht auf richterlicher Leistung, sondern sei eine politische Karriere. Den Richterbund habe er ideologisch beeinflusst. Wassermanns Vorstellungen bezeichnete Dinslage als gefährlich und schrieb ihnen gar „zerstörerische Tendenzen“ zu. Eine Justizreform würde nur Sinn machen, wenn sie eine schnellere und bessere Justizgewährung möglich mache. Dies sei von der Reform jedoch nicht zu erwarten. Die Reformer hätten „den Boden pragmatischer Überlegungen“ verlassen und würden sich in „ideologischen Gedankengängen“ bewegen. 66
Interview mit Karl-Heinz Dinslage, „Die deutsche Justiz auf dem Wege zur Selbstzerstörung?“, Deutschland-Magazin Januar / Februar, zusätzlich abgedruckt in: Deutscher Richterbund / Bundesvorstand, Sonder-Pressespiegel vom 3.3.1970.
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Durch die sogenannte Demokratisierung der Justiz würden die Rechtsprechungsorgane gegen politische Einflüsse anfällig gemacht, mit dem sogenannten dreistufigen Aufbau nehme man Leistungsminderung zugunsten eines ideologischen Ziels in Kauf. Dieses Interview war ein Paukenschlag, welcher vom Deutschland-Magazin zum Anlass einer Warnung vor Wassermann in dem Artikel „Gruppe 47 der Justiz“67 genommen wurde. Darin wurde gleich zu Beginn eindeutig Stellung bezogen, indem es hieß, das Interview mache die linke Politisierung der Justiz drastisch sichtbar. Im direkten Anschluss wurden „einige Ergänzungen“ angekündigt, welche den Missbrauch der Justiz für politische Zwecke durch eine sozialistische Minderheit deutlich machten, gegen den sich der demokratische Rechtsstaat und seine Bürger in Erinnerung an ähnliche Versuche aus der NS-Zeit nicht früh genug zur Wehr setzen könnten. In dem Artikel berief man sich im Weiteren auf einen früheren Artikel der ZEIT. Diese hatte berichtet, es sei kein Zufall gewesen, dass Wassermann Landgerichtspräsident in Frankfurt geworden sei. Justizminister Strelitz wolle Frankfurt zu einem Brennpunkt moderner Justizpolitik machen. Bei den biographischen Angaben, so der Artikel, habe die ZEIT jedoch die Tatsache unterschlagen, dass Wassermann als Richter so gut wie gar nicht tätig gewesen sei. Als Kammergerichtsrat habe er fast nur Justizverwaltungsangelegenheiten bearbeitet, sei dann als Ministerialrat ins Justizministerium gewechselt und sei Pressereferent von Justizminister Heinemann geworden, dessen „progressiv-revolutionäre“ Justizpolitik er öffentlich geschickt verkauft habe. Der Lohn sei die Berufung als Landgerichtspräsident nach Frankfurt gewesen, wozu ihm jede Erfahrung gefehlt habe. Das „Aktionskomitee Justizreform“ habe Wassermann in Anlehnung an die APO gegründet und selbst bezeichnenderweise als „eine Gruppe 47 der Justiz“ bezeichnet. Bei den Zielen Wassermanns und seiner Anhänger dränge sich unvermeidlich die Analogie zur Justiz der DDR und deren Volksrichtern auf, besonders wenn man sich die skandalösen Urteile der Frankfurter Gerichte und einiger Amtsrichter in der Provinz ansehe, welche bereits gegen bestehende Gesetze und die Sicherheit des Rechtsstaates judizieren würden. Anschließend wird Wassermann auf einer Justiztagung in Loccum zitiert, wonach er den Richter der Zukunft als einen Mann sehe, „der weiß, dass er nicht nur Recht anwendet, sondern auch Politik macht, wenn er Bücher beschlagnahmt und Demonstranten einsperrt [...].“ 67
Artikel „Gruppe 47 der Justiz“, Deutschland-Magazin, Beilage der ASZ vom 22.10.1970.
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Damit, so der Artikel, sei man genau dort, wo man im Dritten Reich gewesen sei und heute bei Ulbricht sei. Am Ende des Artikels heißt es: „Wir fordern alle Parlamentarier und rechtsstaatlich denkenden Demokraten zur Wachsamkeit auf!“
Auch der Bayernkurier nahm das Interview Dinslages zum Anlass eines kurzen Artikels unter dem Titel „Mit neuem Parteibuch“68. Darin heißt es, die Beobachtung, dass seit Bildung der Bonner Linkskoalition auffällig viele Richter, Staatsanwälte und Justizbedienstete der SPD beigetreten seien, lasse Besorgnis aufkommen, wenn man sie vor dem Hintergrund sozialdemokratischer Justizreformbestrebungen sehe, welche 1966 unter Minister Heinemann eingesetzt hätten. Intellektueller und organisatorischer Mittelpunkt der sozialdemokratischen Justizreform, so der Artikel weiter, sei der Frankfurter Landgerichtspräsident Wassermann. In einem Nebensatz wird zunächst erwähnt, dass Wassermann aus der SBZ stamme und im „Handbuch der Justiz“ erstmals 1956 aufgetaucht sei. In direktem Anschluss heißt es dann – erneut in einem Nebensatz – dass über die dortige Tätigkeit Wassermanns nichts bekannt sei. Der Artikel des Bayernkurier und der Artikel des Deutschland-Magazins wurden im Pressespiegel des Deutschen Richterbundes69 und dem Sonderpressespiegel70 abgedruckt. Dies führte zu zahlreichen Leserbriefen und Kritik, auf welche die Redaktion entgegnete, dass man sich mit den extremistischen Anwürfen nicht identifizieren, sondern lediglich darüber informieren wolle und darauf verweise, dass der Abdruck auch zu einem Leserbrief an den Bayernkurier geführt habe, der dann in den Informationen Nr. 3/1970 wörtlich wiedergegeben worden sei71. In einer Stellungnahme72 erklärte Wassermann: „Schmutzige Angriffe fallen auf den zurück, der sie startet. Ich habe nie jemanden diffamiert und gedenke das auch in Zukunft nicht zu tun. Mein Lebensweg hat zu keiner Stunde Öffentlichkeit zu scheuen, mein Berufsweg hält Vergleiche mit anderen ‘Präsidialkarrieren’ recht gut stand, meine Arbeit spricht für sich selbst.
68 69 70 71 72
Artikel „Mit neuem Parteibuch“, Bayernkurier vom 14.2.1970. Vom 25.2.1970, so Berlit in seinem Leserbrief an den Deutschen Richterbund, veröffentlicht in: Deutscher Richterbund-Informationen Nr. 4/1970, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 29. Vom 3.3.1970, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 40. Deutscher Richterbund-Informationen Nr. 3/1970, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 19. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 41.
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Wer sich mit meinen Auffassungen und Schriften auseinandersetzen will, sollte sie genau lesen. Die Anwürfe fallen dann in sich zusammen. Für wie gefährlich müssen mich doch der ‘Bayern-Kurier’ und das ‘DeutschlandMagazin’ halten, wenn sie sich zu dieser niederträchtigen Hetze hinreißen lassen!“
Nur kurze Zeit später geriet Wassermann erneut in die Schlagzeilen. Die Berliner Morgenpost hatte in der Ausgabe vom 19. März 1970 mitgeteilt, dass aller Voraussicht nach der bisherige Richter am Obersten Rückerstattungsgericht, Olaf Bergmann, neuer Präsident des Berliner Oberverwaltungsgerichts werden würde. Der aus Kreisen der SPD-Fraktion favorisierte Präsident des Frankfurter Landgerichts, Rudolf Wassermann, habe nach dem letzten Stand der Beratungen in den Spitzengremien keine Chance mehr. Justizsenator Hoppe habe keinen Hehl daraus gemacht, dass der geeignetste Kandidat ein Richter des Bundesverwaltungsgerichts gewesen wäre. Dessen Berufung sei jedoch daran gescheitert, dass er mit 20 Jahren in die NSDAP eingetreten sei. In West-Berlin bestehe aber der Grundsatz, dass die Präsidenten der oberen Gerichte keine früheren NS-Mitglieder sein sollten. An dem gleichen Grundsatz sei auch die Bewerbung Wassermanns gescheitert. Justizsenator Hoppe habe im Senat mitgeteilt, dass Wassermann bei seiner Vorstellung nicht mitgeteilt habe, dass er als 18-jähriger im Jahre 1943 in die NSDAP eingetreten wäre. Wassermann antwortete hierauf mit Brief vom 26. März 197073 an den Chefredakteur der Berliner Morgenpost: Die Meldung könne bei den Lesern den Anschein erwecken, er habe verheimlichen wollen, dass er seit dem 20. April 1943 als Mitglied der NSDAP geführt worden sei. Aus seinen Personalakten gehe hervor, dass er im Alter von 18 Jahren während eines Kriegseinsatzdienstes von der Hitlerjugend in die NSDAP überführt worden sei. Hierzu sei er bei seiner Vorstellung nicht gefragt worden. Er sei auch nicht auf den Gedanken gekommen, dass dieser Umstand im Jahre 1970 von Belang sein könnte. Auch habe dieser Umstand in bisherigen Gremien weder Beachtung gefunden, noch sei er bei Vorstellungsgesprächen erörtert worden74. Im Juli 1970 erschien im Rheinischen Merkur als Teil einer Serie von Beiträgen von Friedrich Graf von Westphalen ein Beitrag mit dem Titel „Der Richter als Revolutionär“ und dem Untertitel „Wenn das Gesetz zum Diener der Politik wird [...]“75. Der Beitrag begann mit der These, es sei bereits gefährlich genug, dass allenthalben die Politisierung der Gesellschaft vorangetrieben werde (als 73 74 75
Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 13. Diese Stellungnahme Wassermanns wurde am 2.4.1970 als Leserbrief veröffentlicht. Artikel „Der Richter als Revolutionär“ von Friedrich Graf von Westphalen, Rheinischer Merkur, Juli 1970.
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Beispiel wurde die Demokratisierung von Elternhaus, Schule und Universität bis hin zur Kirche genannt). Wenn aber nun die verfassungsmäßig unabhängige Justiz „politisiert“ werden solle, dann sei der Demokratie die Grundlage und der rechtsstaatlichen Ordnung die Garantie entzogen. In der Folge versuchte der Autor die aufgestellte These, dass die Forderungen des „Aktionskomitees Justizreform“ unter dem Vorsitz von Rudolf Wassermann und „dessen Interpreten“ Theo Rasehorn und Rudolf Wiethölter auf eine Politisierung der Justiz hinausliefen, zu belegen. Zwar, so Graf von Westphalen, sei es ein berechtigtes Anliegen, „dem Richter, aber auch schon dem Jurastudenten die Wechselbeziehungen zwischen Recht und Gesellschaft, zwischen Rechts- und Sozialwissenschaft klarer als bislang verständlich zu machen“. Ein jeder Urteilsspruch habe selbstverständlich soziale und damit auch politische Auswirkungen. Wassermann, Rasehorn und Wiethölter würden jedoch rechtliches und politisches Handeln gleichsetzen. Das, was die drei ständig fordern würden, sei eine Anstiftung der Richter und Juristen zur Rechtsverfolgung im Interesse einer „fortschrittlichen“ Politik. Nach den Vorstellungen der Reformer würde der Richter dann „im eigenen Namen“, nicht aber mehr „im Namen des Volkes“ Recht sprechen. Dies würde sogleich in die Anarchie führen, oder – so fragt der Autor – solle auf diesem Umweg über einen „Volksrichter in rosarot“ die marxistisch-sozialistische Revolution erreicht werden?
D) Oberlandesgericht Braunschweig All diese Vorwürfe der vergangenen Monate musste Wassermann erneut über sich ergehen lassen, als publik wurde, dass er vom niedersächsischen Justizminister Schäfer als Präsident des Oberlandesgerichts nach Braunschweig geholt werden sollte. Dazu wäre es allerdings beinahe nicht gekommen. Denn zunächst sollte Wassermann Staatssekretär in Niedersachsen werden76. Diese Position wurde jedoch dem bisherigen Staatssekretär im Innenministerium Langensiepen anvertraut, sodass Schäfer Wassermann bat, OLG-Präsident in Braunschweig zu werden, da der bisherige Amtsinhaber im Herbst pensioniert werden würde77. Als Wassermann seine Zusage gab, ahnte er jedoch nicht, worauf er sich damit einließ78.
76 77 78
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 204. Ebenda, S. 205. Ebenda.
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In Niedersachsen musste der Justizminister bei Beförderungen von Richtern der Landesregierung einen Bewerber vorschlagen, die dann letztlich Entscheidungsmacht über die Berufung hatte. Als Mitwirkungsorgan der Richterschaft existierte zusätzlich ein aus sieben Personen bestehender Präsidialrat, der zur persönlichen und fachlichen Eignung des Bewerbers Stellung nehmen musste. Dessen Vorsitzender war damals der Celler Oberlandesgerichtspräsident Kregel. Der Präsidialrat bekundete einstimmig Bedenken gegen die personelle und fachliche Qualifikation Wassermanns. Zudem äußerten die zehn Präsidenten der niedersächsischen Landgerichte in einem Brief an den Justizminister – welcher auch allen Landtagsfraktionen zugeschickt wurde – schwerwiegende Bedenken gegen Wassermann79. Entsprechende Schreiben richteten auch die Senatspräsidenten an den Justizminister sowie Ministerpräsident Kubel80. Gleiches taten – bei einer Stimmenthaltung81 – die Richter des OLG Braunschweig in einem Schreiben an den Minister. Der frühere Chef der Bank für Gemeinwirtschaft, Walter Hesselbach, hat Wassermann später anvertraut, dass Ministerpräsident Kubel kurz darauf nach Frankfurt gefahren sei, um Erkundigungen über Wassermann einzuholen, welche allesamt positiv ausgefallen seien. Kubel war daraufhin entschlossen, an Wassermann festzuhalten. Politisch, medial und letztlich sogar juristisch war die Angelegenheit damit allerdings noch nicht ausgestanden. Mit dem Übertitel „Niedersachsen: Skandal um die Berufung des Frankfurter Landgerichtspräsidenten“ titelte die WELT am 20. November 1970 „Wer sprach zu früh von Wassermann?“82 Hintergrund war, dass der Vorschlag von Minister Schäfer, Wassermann zum Präsidenten des Oberlandesgerichts zu machen, in die Öffentlichkeit gelangt war. Schäfer versicherte, den Personalvorschlag nicht bekannt gemacht zu haben. Vor der Beratung des Präsidialrates zur Stellungnahme war auch dieser ausdrücklich zur Verschwiegenheit ermahnt worden. Die Nachricht über die einstimmige Ablehnung Wassermanns durch den Präsidialrat wurde jedoch bereits zu einem Zeitpunkt medial verbreitet, in dem das Justizministerium bestritt, hiervon überhaupt Kenntnis erlangt zu haben.
79 80 81 82
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 207 f. Ebenda, S. 208. Ebenda. Artikel „Wer sprach zu früh von Wassermann?“ von Peter Weigert, Die Welt vom 20.11.1970.
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Aus SPD-Kreisen erfolgte daraufhin der Vorwurf, Mitglieder des Präsidialrates hätten ihre Schweigepflicht verletzt. Der Präsidialrat wies diesen Vorwurf förmlich zurück und stützte sich auf eine Befragung seiner Mitglieder, welche die Vorwürfe allesamt zurückgewiesen hätten. In einem späteren Artikel der Frankfurter Rundschau83 vom 5. März 1971 war zu lesen, der Präsidialrat habe in seinem Votum vom 2. November moniert, Wassermann habe zu wenig Praxis als Richter und habe sich durch seine Aktivität in den letzten Jahren selbst der Möglichkeit beraubt, das Vertrauen der Richter zu erringen. Er habe in der Öffentlichkeit ein Bild vom Richter gezeichnet, das die Mehrheit der Richter nicht billige. Über Präsident Kregel heißt es wörtlich: „In seinem Eifer, die Berufung des Justizkritikers in das konservative Niedersachsen zu vereiteln, schreckte der Präsident auch vor Tiefschlägen nicht zurück: Die formelle Übernahme des 18-jährigen Wassermann kurz vor Kriegsende in die NSDAP, nörgelten die Konservativen, beschwöre die Gefahr östlicher Propaganda gegen eine Renazifizierung der westdeutschen Justiz herauf.“
Am 16. Dezember 1970 war die Angelegenheit schließlich Thema einer aktuellen Stunde im Landtag, welche mit einem Eklat endete. Gemäß einem – von den Rednern nicht korrigierten – stenografischem Protokoll des entscheidenden Sitzungsabschnittes soll der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende Wilfried Hasselmann unter anderem folgende Ausführungen getätigt haben84: „[...] Es ist unsere Überzeugung, daß es ein recht gesunder Instinkt war und ein begrüßenswertes Engagement der Richterschaft, was wir jetzt festgestellt haben. Vielleicht liegt das in dem Empfinden, daß es hier um sehr viel mehr ging als nur um einen Richter, der nach meiner laienhaften Kenntnis der Öffentlichkeit nicht durch seine besonders abgewogenen Urteile bekannt geworden ist. Aus Gesprächen habe ich den Eindruck gewonnen, daß die Richter sehr gut wußten, um was es eigentlich ging, nämlich um den Eindruck, es drohe der Rechtsprechung in unserem Lande etwas, das in einem Rechtsstaat zu den schlimmsten Übeln gehört, nämlich eine parteipolitische Orientierung in der Justiz. […] Wir brauchen niemanden aus Südhessen nach Niedersachsen zu holen, der unseren „unmündigen Richtern“ in diesem Lande sagt, wie die Gesellschaftspolitik auszusehen hat.“
Der CDU Abgeordnete Dr. Edzard Blanke wird im Protokoll wie folgt wiedergegeben: „Meine Damen und Herren! Dieser Kandidat ist ungeeignet. [...] Auch ohne den Inhalt dieses Votums im einzelnen zu kennen – ich hoffe, Sie veröffentlichen es und können das riskieren –, ohne dieses Votum zu kennen, kann man 83 84
Artikel „Das seltsame Gefecht des Kregel-Clubs“ von Karl-Heinz Krumm, FR vom 5.3.1971. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 39.
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sagen: Dieser Kandidat kann das Amt nicht annehmen, nachdem er landauf, landab jahrelang verkündet hat, er verlange mehr Mitwirkung für die Richter bei Personalernennungen, eine breite Zustimmung, eine Abstimmung mit der Opposition. Er kann dieses Amt nicht annehmen, wenn er nicht als Reformer unglaubwürdig, ja lächerlich werden will. Nimmt er dieses Amt an, dann bestätigt er damit nachträglich das Votum des Präsidialrats, zeigt er, daß er ein Opportunist ist, der nur Reformgeschwätz betreibt im Dienste seiner eigenen Karriere! Herr Minister, das ist sein Problem; er kann sich das bis Januar überlegen. Ihre Sache ist es, daß sie mit Ihrem Vorgehen Ihre gesamte Reformpolitik diskreditiert haben. Sie haben sich selbst in diesen Sumpf hineingeritten! [...]. Herr Ministerpräsident, Sie haben vor der Presse die Richter angegriffen, beleidigt, bedroht, wie wir es in diesem Lande seit 1945 nicht gehört haben. Sie haben damit Ihre Maske fallen lassen und sich als Menschenverächter gezeigt. Herr Ministerpräsident, Ihre Rechnung geht nicht auf! Die Wähler sind nicht so dumm und vergeßlich, wie Sie glauben! Die Richter sind nicht so charakterlos, daß sie vor ihrer Drohung zu Kreuze kriechen! Herr Ministerpräsident, Sie haben gezeigt, worum es Ihnen geht: im Reformnebel sozialdemokratische Machtpolitik zu betreiben! Herr Minister von Oertzen, Sie haben viel mit dem jugoslawischen Modell jongliert. Was Sie hier betrieben haben – man kann das nicht scharf genug sagen – ist tschechoslowakisches Modell! Herr Minister, sie haben elf Jahre gebraucht, um in dieser Regierung Minister zu werden. Wenige Monate haben genügt, um im Lande den Eindruck zu erwecken, daß Sie mit dem Amt überfordert sind! Der Ministerpräsident kann Sie nicht entlassen, weil Sie die eine Stimme Mehrheit sind, welche diese Regierung trägt. Helfen Sie ihm, helfen Sie dem ganzen Land und tun Sie den ersten Schritt in dieser Sache, mit dem Sie ungeteilten Beifall im ganzen Lande finden: Treten Sie freiwillig zurück!“
Was folgte waren empörte Zurufe aus der SPD-Fraktion und schließlich folgender Satz von Minister Prof. Dr. von Oertzen: „Mit diesem Lumpenpack diskutiere ich nicht länger!“ Zu Beginn der Nachmittagssitzung hatte Landtagspräsident Baumgarten Minister von Oertzen und dem Abgeordneten Dr. Blanke je einen Ordnungsruf erteilt. Schließlich erklärte der Abgeordnete Dr. Langeheine im Namen der CDU- Fraktion, die Stunde, die das Haus am Vormittag erlebt habe, sei in dieser Art hoffentlich einmalig in der Geschichte des Parlaments. Seine Fraktion habe erwartet, dass Minister von Oertzen in der Nachmittagssitzung den Mut aufgebracht hätte, sich dafür zu entschuldigen, dass ein amtierendes Mitglied der Landesregierung in Richtung der CDU-Fraktion erklärt habe, mit diesem „Lumpenpack“ diskutiere er nicht länger. Stattdessen habe der Minister seine Entschuldigung mit Äußerungen verbrämt, die in keiner Weise als adäquat bezeichnet werden könnten. Es sei unmöglich, dass die Sitzung fortgesetzt werde,
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ohne dass sie durch diese Vorgänge überschattet werde. Seine Fraktion sehe sich daher im Interesse des Ansehens des Parlaments an der weiteren Teilnahme außerstande, woraufhin die gesamte CDU-Fraktion geschlossen den Saal verließ. Wassermann hatte – bereits einige Zeit vor der Debatte im Landtag – zwischenzeitlich tatsächlich vor, seinen Verzicht auf das Amt in einer Pressekonferenz bekanntzugeben und die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen zurückzuweisen85. Nach einem Vortrag in Kiel hatte er Telefonanrufe erhalten, welche ihn zum Verbleib in Frankfurt bewegen wollten. Wassermann begann sich zu fragen, warum er sich Braunschweig antun solle und rief kurz entschlossen Jan Berlit mit der Bitte an, im Bahnhofsrestaurant in Hannover am nächsten Tag eine Pressekonferenz zur Bekanntgabe seines Rücktritts einzuberufen. Als Wassermann in Braunschweig angekommen war, teilte Berlit ihm jedoch mit, er habe nichts unternommen, da er und das Kabinett ihn dringend in der Staatskanzlei sprechen müssten. Dabei erläuterte Ministerpräsident Kubel ihm die politische Dimension der Angelegenheit und teilte ihm mit, dass es der Richterschaft gelungen sei, die CDU für sich zu gewinnen86. Sollte er nun nicht nach Braunschweig kommen, würde dies eine Niederlage bedeuten, die sich die SPD mit ihrer dünnen Mehrheit von nur einer Stimme nicht leisten könne. Ebenso sei es für ihn – Wassermann selbst – von Nachteil: Zum einen würde damit ein Verlust an Ansehen und Glaubwürdigkeit einhergehen. Man würde sagen, er habe eine Leiche im Keller87. Zum anderen könnte sein Verzicht ein Rückschlag für die von ihm initiierten Reformen sein, von welchem sich die Reformbewegung nicht erholen würde88. Ausschlaggebend für Wassermann war letztlich, dass Kubel und die anwesenden Minister ihm zu verstehen gaben, dass das Kabinett geschlossen hinter ihm stehe. Auch war ihm klar geworden, dass er seinen Gegnern mit seinem Rückzug einen Triumph verschaffen würde. Die Landtagsdebatte selbst wurde jedenfalls am 20. Januar 1971 fortgesetzt; sie entfachte sich hauptsächlich an „welche Stellung der Richter in der Gesellschaft und welchen Auftrag er hat“89. Es wurde mitgeteilt, dass Staatskanzlei und Justizministerium die Möglichkeit einer Veröffentlichung des Votums des Präsidialrates eingehend geprüft hätten und man zu dem Ergebnis gekommen 85 86 87 88 89
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 210. Ebenda. Ebenda, S. 211. Ebenda. Vgl. PID, SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 25.1.1971, S. 1, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 30.
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sei, dass dies selbst dann nicht geschehen dürfe, wenn die Beteiligten einer Veröffentlichung zustimmten. Minister Schäfer versicherte jedoch, den Mitgliedern des Rechts- und Verfassungsausschusses den Inhalt des Votums in einer vertraulichen Sitzung zur Kenntnis zu geben. Damit kam er einem Entschließungsantrag der CDU-Fraktion entgegen, die Landesregierung aufzufordern, das von Ministerpräsident Kubel kritisierte Votum des Präsidialrates zu veröffentlichen90. Acht Tage zuvor war Wassermann offiziell als Präsident des Oberlandesgerichts eingeführt worden, worüber bundesweit in den Medien berichtet wurde91. In nahezu allen Berichten fand dabei die Tatsache Erwähnung, dass sowohl der Vorsitzende des Präsidialrates und Präsident des OLG Celle, Dr. Kregel, als auch der Präsident des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes und Präsident des OLG Oldenburg, Dr. Uffhausen, sowie mehrere andere Mitglieder des Präsidialrates der Amtseinführung ferngeblieben waren. Dem Bericht der WELT vom 13. Januar 197192 zufolge fehlten auch sämtliche eingeladenen CDU-Landtagsabgeordneten. Zur Freude Wassermanns erschienen waren jedoch Karl Hemfler und der Präsident des OLG Frankfurt, Otto Rudolf Kinzel. Die Braunschweiger Zeitung berichtete, dass es zu keinen Missfallensbekundungen der Wassermann-Gegner gekommen sei93. Allerdings habe ein stellvertretendes Mitglied des Präsidialrates nach den ersten Worten von Minister Schäfer den Schwurgerichtssaal verlassen und die Tür hinter sich zugeworfen. Schäfer ging zu Beginn seiner Rede im Rahmen der Amtseinführung Wassermanns auf die vorausgegangenen Auseinandersetzungen ein und bedauerte, dass diese die Grenzen der Sachlichkeit überschritten hätten94.
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Im Übrigen wurde entsprechend dem Protokoll die Anschuldigung zurückgewiesen, der Ministerpräsident habe sich abwertend über das Votum und damit über die hohen Richter geäußert. Der Ministerpräsident selbst hatte erklärt, dass er lediglich die Argumentation des Präsidialrates gegen eine des Justizministers abgewogen und dabei festgestellt habe, dass die Gründe des Justizministers schwerwiegender seien, vgl. PID, SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, vom 25.1.1971, S. 2. Artikel „Wassermann: Justiz soll soziales Leben steuern“ von Peter Weigert, Die Welt vom 13.1.1971; „Wassermann in Braunschweig eingeführt“, FAZ vom 13.1.1971; „Kritik bei der Amtseinführung Wassermanns“, SZ vom 13.1.1971. Artikel „Wassermann: Justiz soll soziales Leben steuern“, von Peter Weigert, Die Welt vom 13.1.1971. Artikel „Seit Dienstag 11.30 Uhr ist Präsident Wassermann im Amt“ von Horst Brünig, Braunschweiger Presse vom 13.1.1971. Ebenda.
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Zweiter Teil: Karrierestationen als Jurist und Rechtspolitiker
Die Rede des Vizepräsidenten Heinz Lindemann hatte der Hannoversche Provinzdienst95 in seiner Artikelüberschrift „Mit Bedauern akzeptiert“ aufgegriffen. Lindemann hatte erklärt, die Richter würden die Entscheidung der Landesregierung bedauern, sie jedoch auch akzeptieren. Er versicherte, man werde sich um eine gute Zusammenarbeit bemühen. Die Antrittsrede Wassermanns wurde am 14. Januar 1971 in wesentlichen Teilen in der Hannoverschen Presse veröffentlicht96, die schrieb, die Rede mache deutlich, dass Wassermann keinesfalls den „wilden Revolutionären“, sondern den engagierten Reformern zuzurechnen sei. Wassermann führte vor seinen Zuhörerinnen und Zuhörern aus, dass die Versöhnung von Tradition und Moderne die Aufgabe sei. Die konservative Position sei eine für das menschliche Zusammenleben wichtige Einstellung, die Neuerungen zwinge, Theorien mit Realitäten zu konfrontieren und das Gewordene nicht leichtfertig beiseite zu schieben. Die Verabsolutierung konservativen Denkens zu einer Geisteshaltung, die erhalten und bewahren wolle, was gar nicht mehr vorhanden sei, sei jedoch genauso bedenklich wie Utopismus und Illusionismus. Weder das eine, noch das andere sei tragfähige Grundlage einer zeitgemäßen Rechtsprechung. Es erfülle mit Hoffnung und Befriedigung, dass in der Justiz ein Umdenken im Gange sei, das auf eine progressive Mitte zwischen den Extremen hin tendiere. Im Weiteren plädierte Wassermann für eine zur Gesellschaft offene Justiz, die auch offen für Neuerungen sein müsse, was Reformbereitschaft bedeute. Während die äußere Reform der Justiz in der Macht der gesetzgebenden Organe liege, sei die innere Reform Sache der Justizangehörigen selbst. Eine weitere notwendige Öffnung sei die Öffnung hin zu den Human- und Sozialwissenschaften. Manche die Justiz betreffende Kritik habe ihre Ursache im fehlenden Anschluss an den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis. Justizreform müsse in einem ihrer Schwerpunkte auch Bildungsreform sein. Die Braunschweiger Zeitung vom 13. Januar 197197 zitiert Wassermanns Abschluss seiner Antrittsrede wörtlich wie folgt: „Richter sein ist eine beständige Einladung zur Selbstkritik. Es postuliert den unablässigen Versuch, sich über seine Selbstsicherheit zu erheben und seinen Emotionen
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Artikel „Mit Bedauern akzeptiert“, Hannoverscher Provinzdienst vom 13.1.1971. Artikel „Gute Rechtsprechung – so wichtig wie blauer Himmel über Industrieregionen“, Hannoversche Presse vom 14.1.1971. Artikel „Nach heftigen Diskussionen: Einführung Wassermanns“, BZ vom 13.1.1971.
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zu mißtrauen. Mir scheint, daß in dieser Emanzipation von Vorurteilen auch die eigentliche Würde dieses Berufs liegt.“
Insgesamt scheint Wassermann in seiner Rede die richtigen Worte gefunden zu haben, um die zuvor erfolgten Zuspitzungen in Zusammenhang mit dem Streit um seine Ernennung zu relativieren. So heißt es in einem Zeitungskommentar98, Wassermann habe keinen Zweifel daran gelassen, dass er sich selbst keinesfalls als Extremisten betrachtet sehen wolle und dies in die respektablen Worte gekleidet habe, er wolle seine Aufgabe als Richter in der Versöhnung von Tradition und Moderne sehen. Damit habe er seinem Wirken eine Elle angelegt, an der seine Tätigkeit als Oberlandesgerichtspräsident einst gemessen werden würde. Hierfür sollten ihm seine Kritiker aber auch eine Chance geben, damit er, Wassermann, überhaupt gemessen werden könne. Dennoch sollten sich die Streitigkeiten um die Berufung Wassermanns zunächst nicht legen: Am 19. Februar 1971 hatte der Präsidialrat beim Verwaltungsgericht Hannover ein Verfahren nach § 49 des Niedersächsischen Richtergesetzes gegen Justizminister Schäfer anhängig gemacht. Der Präsidialrat war der Auffassung, seine Mitwirkungsrechte seien verletzt worden und trug unter anderem vor, Wassermanns Zeugnisse seien nicht vollständig vorgelegt worden99. Minister Schäfer ließ hinsichtlich der Klage über einen Sprecher des Ministeriums verlauten, er teile die Auffassung des Präsidialrates, dass der Minister die Befähigungsnachweise von Bewerbern für ein Richteramt vorzulegen habe, soweit es sich um Bewerber aus dem Lande Niedersachsen handele100. In Hessen beispielsweise sei es jedoch nicht mehr üblich, Befähigungsnachweise zu erstellen101.
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Kommentar „Eine Chance für den Präsidenten“ von Wolf Hepe vom 13.1.1971, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 25. 99 Auch hierüber wurde bundesweit in den Medien berichtet, siehe die Artikel: „Klage gegen Niedersachsens Justizminister“, Stuttgarter Zeitung vom 25.2.1971; „Erneut: ‘Fall Wassermann’. Präsidialrat erhob Klage beim Verwaltungsgericht“, Hannoversche Neue Presse vom 25.2.1971; „Präsidialrat klagt gegen Justizminister Schäfer“ von Peter Weigert, Die Welt vom 24.2.1971; „Der Konflikt mit der Justiz geht doch weiter“, HAZ vom 24.2.1971; „Das seltsame Gefecht des Kregel-Clubs“ von Karl-Heinz Krumm, FR vom 15.3.1971. 100 Artikel „Erneut: ‘Fall Wassermann’. Präsidialrat erhob Klage beim Verwaltungsgericht“, Hannoversche Neue Presse vom 25.2.1971. 101 Artikel „Schäfer wartet ab“, Hannoversche Neue Presse vom 25.2.1971.
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Nachdem Schäfer mit dem Präsidialrat eine Einigung über künftige Besetzungsverfahren erzielen konnte, zog der Präsidialrat die Klage Ende Mai 1971 wieder zurück. Als Schlusspunkt der Kampagne bezeichnete Wassermann in seinen Memoiren102 den Justizpolitischen Kongress der CDU am 2. und 3. Juli 1971 in Braunschweig. Man habe ihn zwar eingeladen, schreibt Wassermann, aber nicht erwartet. Zu einem Eklat kam es jedoch nicht, vielmehr verlief die Diskussion auf sachlicher Ebene, was auch durch die Medien entsprechend konstatiert wurde. Die Braunschweiger Zeitung103 etwa berichtete in ihrer Ausgabe vom 5. Juli 1971 von einem fairen und persönlichen Verlauf. Es habe dem „Geschick des Angegriffenen“ – gemeint war Wassermann – entsprochen, dass er es verstanden habe, die Beantwortung teils sachlicher, teils politischer Fragen, die ihm gestellt wurden, aus dem Stegreif zu einem Referat zusammenzufassen, das zu halten ihm sonst versagt geblieben wäre. Ein gegen Wassermann angetretener Diskussionsredner habe „den Nagel auf den Kopf getroffen“, als er den Kongress unwillig ein „Wassermann-Festival“ genannt habe. Anders wertete dies offensichtlich der Vorsitzende der niedersächsischen CDU, Wilfried Hasselmann. Dieser äußerte den Medien gegenüber104, er betrachte es als Erfolg, dass Wassermann einige seiner bekannten Aussagen korrigiert und sich mit anderen neu festgelegt habe. Zum Beispiel würde Wassermann nun nicht mehr den „politischen“, sondern den „politisch bewussten“ Richter fordern. Die CDU sei verpflichtet, „die kleinen und großen Wassermänner kritisch zu beobachten“105. Im Gericht übernahm Wassermann den Vorsitz des 1. Zivilsenats, stellvertretender Vorsitzender war Oberlandesgerichtsrat Knippel, den Wassermann als „erstklassigen, erfahrenen Richter“ beschreibt106. Während der Auseinandersetzung um seine Berufung hatte innerhalb der Richterschaft des Oberlandesgerichts eine Abstimmung über Wassermann als Oberlandesgerichtspräsident stattgefunden, was es so zuvor noch nicht gegeben hatte107.
102 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 224. 103 Artikel „Das Bekenntnis zur Verfassung beruhigte“ von Heinz-Bernd Goedecke, BZ vom 5.7.1971. 104 Artikel „Hasselmann: Kleine und große Wassermänner kritisch beobachten“, Hannoverscher Provinzdienst vom 5.7.1971. 105 Ebenda. 106 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 227. 107 Ebenda.
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Damals hatte nur ein einziger Richter – so Wassermann in seinen unveröffentlichten Memoiren – für ihn abgestimmt, nämlich der damalige Oberlandesgerichtsrat Beddies108. Nach seinem Amtsantritt spürte Wassermann, dass mehrere Richterkollegen auf „Fühlung“ zu ihm gingen, um sich seiner Loyalität zu versichern, während andere schroff ablehnend blieben109. Eine der Reformforderungen Wassermanns seit jeher war die Abkehr von der Dominanz des Vorsitzenden und eine Zuwendung zu einer kollegialen Zusammenarbeit mit dem Vorsitzenden als primus inter pares. Er sorgte daher dafür, dass jeder Beisitzer die von ihm bearbeitete Angelegenheit vortragen und nach dem Sachstandsbericht auch durch Fragen und Anregungen aktiv in die Verhandlung eingreifen konnte. Dabei beobachtete Wassermann, dass die Beisitzer, die seiner Auffassung nach überall unter ihrer stummen Rolle litten, von dieser Möglichkeit gerne Gebrauch machten. Er beschreibt diese „Aktivierung“ als ein Teilstück dessen, was er unter „innerer Justizreform“ verstand110. Die öffentliche Diskussion um seine Person setzte Wassermann unter Erfolgsdruck. „Alle Welt wollte sehen, was ich nun anstellen würde“ schreibt er daher auch in seinen Memoiren111. Die für den neuen Präsidenten übliche Rundreise zu den Gerichten des Bezirks nutzte Wassermann, um zu verdeutlichen, wie wichtig ihm die Gerichte der ersten Instanz sind112. Jedenfalls was die kleineren Amtsgerichte betraf, wurden Wassermanns Vorstellungen allerdings von Seiten des Justizministeriums konterkariert: Dieses war im Rahmen der sogenannten geographischen Justizreform gerade dabei, im Zuge der allgemeinen Tendenz zur Rationalisierung die kleinen Amtsgerichte aufzulösen113. Insgesamt waren etwas mehr als die Hälfte der 132 Gerichte mit nur einer oder zwei planmäßigen Stellen besetzt. In der Politik war man der Auffassung, dass die Amtsrichter in diesen kleinen Gerichten überfordert würden, wenn man von ihnen verlangte, in angemessener Zeit Entscheidungen aus den vielfältigen Gebieten des Zivilrechts und der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu fällen, die der Sach- und der Rechtslage voll gerecht würden.
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Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 227. Ebenda. Ebenda, S. 238. Ebenda, S. 226. Ebenda, S. 229. Ebenda.
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Wassermann selbst war in diesem Punkt anderer Meinung. Seiner Auffassung nach war der Sinn für die Vorteile eines eigenen Amtsgerichts für die kleinen Städte und ihre Bevölkerung verloren gegangen. Dies hatte nach seiner Auffassung nichts mit Romantik oder rückwärtsgerichteter Utopie zu tun114. Er habe nicht zurück zur „Rechtsprechung unter der Dorflinde“ oder zum „Stadtteilrichter“ gewollt, wie ihn die „Alternativen“ und Theo Rasehorn propagiert hätten 115 . Jedoch hielt er von kaum überschaubaren Großgerichten nichts116. Außer Frage stand für Wassermann hingegen die Rückständigkeit der Justizverwaltung, weshalb er Managementkurse für Behördenleiter und die in der Justizverwaltung tätigen Richter und Beamten einführte 117 . Bis zum Amtsantritt Wassermanns gab es etwa in der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts keinen präzisen Organisationsplan, was eine Strukturierung und Straffung der Organisation notwendig machte118. In Sachen bürgernahe Justiz wollte Wassermann allem Anschein nach mit gutem Beispiel vorangehen, als er bei der 10. Vertreterversammlung der Industriegewerkschaft Metall des Bezirks Braunschweig sprach119. Das Ziel einer bürgerfreundlichen Rechtspflege wurde zum Schwerpunktthema der Justizverwaltung Braunschweigs während der 70er Jahre120. Hierfür wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, um zu eruieren, wie man im Gericht eine bürgerfreundliche Atmosphäre schafft 121 . Die Arbeitsgruppe entwickelte in der Folge das Modell „Bürgernahe Rechtspflege“, woraus das Merkblatt „Bürgerfreundliche Justiz“122 entstand, das im November 1980 herausgegeben wurde; es wurde sogar ins Japanische übersetzt und zum Gegenstand von Seminaren und Kursen in Japan gemacht. In dem Merkblatt wurden „Serviceaspekte“ behandelt, beginnend mit der telefonischen Erreichbarkeit der Gerichtsangehörigen für Rechtssuchende, über Informationen bezüglich Anreise, Öffnungszeiten und Ankunft bei Gericht bis hin 114 115 116 117 118 119
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 229. Ebenda. Ebenda, S. 230. Ebenda. Meyer in: Justiz im Wandel der Zeit, S. 271. Artikel „Gewerkschaft und Justiz für bessere Kontakte. Chefpräsident Wassermann sprach vor Metallarbeitern“, BZ vom 4.6.1971. 120 Meyer in: Justiz im Wandel der Zeit, S. 285. 121 Ebenda. 122 Abgedruckt in Justiz im Wandel der Zeit, S. 285 ff.
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zur Verständlichkeit von Formularen / Vordrucken und zu Grundsätzen, die der Verfahrensbeschleunigung dienen sollten. Zum Thema bürgerfreundliche Rechtspflege zählte für Wassermann auch die Frage des Zugangs des Bürgers zur Rechtspflege, was finanzielle Aspekte in den Vordergrund rücken ließ. Hierzu hatte Wassermann am 2. November 1973 einen ganzseitigen Artikel123 mit der Überschrift „Wer arm ist, bekommt weniger Recht“ veröffentlicht, der bundesweit diskutiert wurde124. Um die Bevölkerung auf die Möglichkeit der Beratungshilfe aufmerksam zu machen, wurden Hinweise in der lokalen Presse veröffentlicht, woraufhin anhand der starken Inanspruchnahme der Einrichtung festgestellt werden konnte, dass zuvor bestehende Informationsdefizite abgebaut werden konnten125. Eine weitere Annäherung zwischen Justiz und Gesellschaft sollte durch die im April 1972 in Salzgitter startende Veranstaltungsreihe „Bürger fragen – die Justiz antwortet“ erreicht werden. Im Rahmen der Auftaktveranstaltung stellte sich Wassermann gemeinsam mit Generalstaatsanwalt Mützelburg und dem Landgerichtspräsidenten Dr. Kuthning den Fragen der Bürger, worüber neben der lokalen Presse126 auch die Frankfurter Rundschau127 berichtete. Innerhalb eines Jahres, so Wassermann, hatte sich die zunächst festgestellte „Polarisierung“ abgebaut und eine sachliche Atmosphäre eingestellt128. Wie bereits in Berlin war Wassermann auch in Braunschweig um die Geschichte der (dortigen) Justiz bemüht. So nahm er das 100-jährige Bestehen der Reichsjustizgesetze zum Anlass, ein Jubiläumsjahr der Braunschweiger Justiz mit geschichtlichen Rückblicken unter Teilnahme von Zeitzeugen zu veranstalten129.
123 Artikel „Wer arm ist, bekommt weniger Recht“ von Rudolf Wassermann, DIE ZEIT vom 2.11.1973. 124 Meyer schreibt in dem erwähnten Beitrag dem Artikel eine Initialzündung zu, die zu einer Änderung der Vorschriften der ZPO über die Prozesskostenhilfe, zum Beratungshilfegesetz und in Niedersachsen zur AV über Beratungshilfe in Angelegenheiten des Arbeitsrechts und des Sozialrechts geführt habe, siehe Meyer, Justiz im Wandel der Zeit, S. 291. 125 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 292. 126 Siehe ebenda, Fn. 24. 127 Siehe ebenda, Fn. 25. 128 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 236. 129 Ebenda, S. 244.
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Es wurde eine Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, auf deren Auftakt Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel und der niedersächsische Justizminister Hans-Dieter Schwind die Festansprachen hielten. Dabei kamen Einrichtungen und Organisationen der Bitte der Justiz nach Durchführung einer entsprechenden Veranstaltung nach: Dem Jahresprogramm 130 sind insgesamt 24 Veranstaltungen zu entnehmen; zu den Veranstaltungsorten zählten etwa die Technische Universität Braunschweig, die Industrie- und Handelskammer, das städtische Museum, das Gewandhaus und das Altstadtrathaus. Zum Abschluss fand am 2. Oktober 1979 ein Festakt zum 100-jährigen Bestehen der in der Stadt Braunschweig domizilierenden Gerichtshöfe statt. Das Bewahren vor dem Vergessen war Wassermann auch in Braunschweig ein wichtiges Anliegen. So widmete er seinem jüdischen Amtsvorgänger Louis Levin131 Publikationen, um ihn der Vergessenheit zu entreißen132. Dem Remer-Prozess 133 , welcher 1952 beim Landgericht Braunschweig verhandelt worden war, widmete Wassermann 1984 in der Zeitschrift Recht und Politik134 einen Beitrag unter dem Titel „Zur juristischen Bewertung des 20. Juli 1944. Der Remer-Prozess in Braunschweig als Markstein der Justizgeschichte“. Zum 50. Jahrestag der Pogromnacht fand eine Gedenkveranstaltung in Braunschweig statt, auf der Bundesjustizminister Engelhard sprach und Richter am Oberlandesgericht Braunschweig Dieter Miosge an die jüdischen Juristen in Braunschweig erinnerte. Außerdem wurde im Schwurgerichtssaal im Landgericht durch den niedersächsischen Justizminister Remmers eine Tafel zum Gedenken an die Dienste, die Diskriminierung und die Verfolgung jüdischer Juristen aufgestellt. Der Vorstandsvorsitzende der Salzgitter AG, Ernst Pieper, sprach hierbei im Namen des Förderkreises der Universität Jerusalem ein Grußwort und
130 Abgedruckt in: Justiz im Wandel der Zeit, S. 305 ff. 131 Louis Levin war Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig von 1922 bis 1930. 132 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 244. Im Jahre 1988 erschien unter dem Titel „Louis Levin, Braunschweiger Oberlandesgerichtspräsident 1922–1930.“ ein in der Reihe „Kleine Schriften“ vom Stadtarchiv und der Stadtbibliothek Braunschweig herausgegebenes Werk Wassermanns über Levin. Im Jahre 1993 erschien im Verlag C.H. Beck ein von Helmut Heinrichs herausgegebenes Werk mit dem Titel „Deutsche Juristen jüdischer Herkunft“. Hierin enthalten ist ein Beitrag Wassermanns mit dem Titel „Louis Levin, Ein ‘Führer der Praxis’“. 133 Major Otto Ernst Remer hatte die Attentäter des 20. Juli 1944 als Landesverräter bezeichnet. 134 Wassermann, RuP 1984, 78.
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finanzierte die Broschüre über die Gedenkstunde, welche durch Dokumentationen aus der NS-Zeit ergänzt wurde135. Trotz der eher ungünstigen verkehrstechnischen Lage des Oberlandesgerichts hatten seit 1971 alle Bundesjustizminister auf dessen Veranstaltungen Vorträge gehalten. Auch ausländische Gäste waren oft in Braunschweig zu Besuch, so der österreichische Justizminister Christian Broda, der ein enger Freund Wassermanns war, der sowjetische Strafprozessreformer W. M. Savicky, der Krakauer Strafrechtslehrer Stanislaus Waltosz, sowie zahlreiche japanische Juristen136. Ebenso führte Wassermann auch in Braunschweig Kunstaustellungen durch. Eine Parallele zu Wassermanns Frankfurter Tätigkeit findet man auch im Hinblick auf die Frage der effektiven Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität: Bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig wurde unter der Bezeichnung „Abteilung V“ eine zentrale Stelle für Wirtschaftsstrafsachen unter der Leitung von Oberstaatsanwalt Dr. Leciejewski eingerichtet137. Ein weiterer Schwerpunkt der Tätigkeit Wassermanns in Braunschweig war das Thema Juristenausbildung. Nichterlein, selbst Richter am Oberlandesgericht und mit dem Thema befasst, hat Wassermann in der Festschrift des Oberlandesgerichts Braunschweig „Justiz im Wandel der Zeit“ als einen „Promotor der Ausbildungsreform“ beschrieben138. Wassermann hatte kurz nach seinem Amtsantritt als Präsident des Oberlandesgerichts im Frühjahr 1971 den sogenannten „Arbeitskreis für Didaktik“ ins Leben gerufen, in welchem Probleme der Rechtsausbildung erörtert wurden. Hierbei wurde festgestellt, dass ein Bedürfnis nach dem Erwerb außerjuristischer Kenntnisse bestand, weshalb Wassermann vom Herbst 1971 an bis ins Frühjahr 1972 gemeinsam mit Generalstaatsanwalt Mützelburg eine Vortragsreihe veranstaltete, in welcher Hochschullehrer und Praktiker unter dem Generalthema „Der Sachverständige im gerichtlichen Verfahren“ eine Vielzahl von Vorträgen hielten. Um der verstärkten Beteiligung der Praktiker im Rahmen der einstufigen Juristenausbildung gerecht zu werden, fand unter Leitung Wassermanns zugleich mit der Eröffnung der neuen Fakultät an der Universität Hannover ein erstes Seminar statt, an welchem Braunschweiger Ausbilder teilnahmen. Im Oktober 1977 wurde in der Europäischen Akademie Lerbach ein vom Gustav-Stresemann135 136 137 138
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 245. In Japan bestand ein großes Interesse an Wassermanns Reformarbeit. Artikel „Staatsanwälte als Experten für Täter im weißen Kragen“, BZ vom 29.12.1971. Nichterlein, Justiz im Wandel der Zeit, S. 175.
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Institut in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn veranstaltetes Seminar „Einbeziehung der Sozialwissenschaften in die Rechtsausbildung“ durchgeführt. Im Jahr darauf wurden im Anschluss an ein weiteres Seminar insgesamt 11 Unterrichtsentwürfe zu unterschiedlichen Themen vorgelegt139. Wassermanns Zeit in Braunschweig war auch die Zeit des politischen Terrorismus. Nachdem nur 28 Stunden nach dem Hungerstreiktod des RAF-Terroristen Holger Meins am 10. November 1974 der Berliner Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann ermordet worden war, erhielt Wassermann samt Familie Personenschutz. Wassermann selbst empfand dies jedoch als lästig und wenig effektiv, weshalb er auf Personenschutz verzichtete140, obwohl auch sein Name in einem Kassiber genannt worden war. Wassermann nahm auch weiterhin öffentlich Stellung gegen die Terroristen und ihre Sympathisanten aus dem intellektuellen Milieu. Die anfängliche ablehnende Haltung innerhalb der Justiz141 und der alteingesessenen Braunschweiger Familien 142 war nach und nach gebrochen. Wassermann konnte sich im Laufe der Zeit Respekt und Sympathie in Braunschweig erarbeiten143.
139 Nichterlein, Justiz im Wandel der Zeit, S. 185. 140 Der Verzicht musste zur Absicherung des Ministeriums urkundlich festgehalten werden, siehe Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 249. 141 Ebenda, S. 228. 142 Ebenda, S. 234. 143 Dies entsprach offensichtlich auch der medialen Einschätzung der Entwicklung der Lage: Am 21.12.1971 erschien in der FR ein Artikel mit der Überschrift „Das Klischee vom ‘roten Buhmann’ wirkte nicht“ und dem Untertitel „Rudolf Wassermanns Ansehen in Niedersachsen steigt / CDU trat den Rückzug an.“. Im Hinblick auf Wassermanns anfängliche Besuche der Amtsgerichte heißt es, Wassermann sei ein „Wanderprediger in Sachen Justiz“ geblieben, dem es nicht so sehr darauf ankomme, laufend neue Patentrezepte anzubieten, sondern vielmehr der entstandenen Polarisierung entgegenzutreten und Diskussionen zu versachlichen, um ein Reformklima schaffen zu können. Gegen Ende des Artikels heißt es wörtlich: „Wo Wassermann auftritt, ist seine Resonanz nicht zu überhören. Jene Richter, die während des Spektakels vor einem Jahr nichts sagten, weil ihr Abhängigkeitsverhältnis zu groß ist, suchen inzwischen den Kontakt. Sporadische Auftritte der Konservativen, die Wassermann noch immer in ein ideologisches Fahrwasser drücken wollen, sind zur Rarität geworden. Wassermanns Durchsetzungsvermögen hat sich inzwischen auch andernorts herumgesprochen. Mit neuen Angeboten wurde er konfrontiert. Doch er will kein „Wandervogel“ sein und winkte ab. Justizminister Schäfer, sich seines Sieges bewußt, sagte kürzlich: „Ich halte Herrn Wassermann als Staatssekretär für geeignet.“ Der Frontalangriff der CDU-Fraktion am 16. Dezember 1970 erwies sich als Strohfeuer. Als Strohfeuer deshalb, weil sie Rudolf Wassermann nicht
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Als Wassermann am 13. Januar 1990 seine Abschiedsrede144 hielt, ließ er seine Zuhörerinnen und Zuhörer wissen, weshalb er sich die Erneuerung der Justiz zur Lebensaufgabe gemacht und weshalb es ihn nach Braunschweig anstatt ins Bundesjustizministerium gezogen hatte, wo ihm damals die Position des Ministerialdirektors angeboten worden war. Zum einen lag diese Entscheidung in der Vorstellung Wassermanns begründet, die Justizreform und die Reform der Juristenausbildung in Niedersachsen voranzutreiben. Zum anderen stand für ihn auch die Frage der eigenen Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, wenn er um der eigenen Karriere Willen das Angebot aus Braunschweig abgeschlagen hätte. In seiner Rede verheimlichte Wassermann nicht, dass er es nicht für möglich gehalten hätte, in welcher Schärfe man ihm zunächst mit Ablehnung entgegengetreten war, obwohl ihn die niedersächsischen Richter im Jahre 1965 auf einer Großkundgebung in Hannover für sein Reformprogramm mit Beifall bedacht hätten und obwohl er im Jahre 1968 auf Anregung des damaligen Chefpräsidenten einen Vortrag mit einem Plädoyer für den Erhalt des Oberlandesgerichts Braunschweig gehalten habe. Im unmittelbaren Anschluss stellte Wassermann jedoch klar, wie schnell sich ein kollegiales und gutes Miteinander entwickelt habe, was einer der Gründe dafür gewesen sei, weshalb er in Braunschweig geblieben sei. Im Hinblick auf seine persönlichen Zukunftspläne sagte er z.B., er wolle der Republik auch in Zukunft ins Gewissen reden. Einige Wochen später folgte der offizielle Amtswechsel auf der Burg Dankwarderobe, bei dem Wassermann in seiner zweiten Abschiedsrede145 neben seinem Bedauern über das Scheitern der aus seiner Sicht notwendigen Reform der Juristenausbildung deutliche Worte zum Thema Ämterpatronage fand. Es sei, so Wassermann, die Pflicht des Oberlandesgerichtspräsidenten, „hier im Interesse des Gemeinwesens warnend und mahnend die Stimme zu erheben“. Bereits in seiner Abschiedsrede am 13. Januar hatte Wassermann dargelegt, dass er die Entgegennahme staatlicher Ehrungen mit dem Richteramt für unvereinbar hält. Damals sagte Wassermann: „Das hat seinen Grund in der Auffassung, die ich von der Staatsunabhängigkeit habe, die zum Begriff des Richters im Rechtsstaat gehört. Der Richter ist kein Staatsdiener. Er hat auch den Staat vor seinen Stuhl zu ziehen, wenn dieser Unrecht tut. Der Staatsunabhängigkeit des Richters wird aber Abbruch getan, wenn der Staat kannten, als sie ihn beleidigten, beschimpften und zum roten Buhmann abstempeln wollten“. 144 Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 2. 145 Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 3.
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Zweiter Teil: Karrierestationen als Jurist und Rechtspolitiker eben dem Richter, der ihn kontrollieren soll, mit Ehrungen begegnet, die sich dieser verdienen kann.“
Konsequenterweise hatte Wassermann auch selbst die Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz im Zuge seiner Verabschiedung abgelehnt. In seinen Dankesworten an Justizminister Remmers in seiner Rede zum offiziellen Amtswechsel äußerte Wassermann auch den Dank für das Verständnis des Ministers dafür, dass er das Bundesverdienstkreuz abgelehnt habe und betonte, dass sich sein Ablehnen nicht gegen die Bundesrepublik richte, was jedem, der seine Einstellung kenne, klar sein dürfte.
E) Niedersächsisches Landesjustizprüfungsamt Dass Wassermann im Jahre 1976 Präsident des Landesjustizprüfungsamtes wurde, war nicht geplant, sondern eine politische Notwendigkeit, um Minister Schäfer im Amt halten zu können146. Im Dezember 1975 erreichte Wassermann nämlich ein Anruf von Minister Schäfer, verbunden mit der Bitte, sofort zu einer gemeinsamen Besprechung mit Ministerpräsident Kubel in den Landtag im Leineschloss zu kommen. Dort eröffnete man ihm, dass der bisherige Präsident des Prüfungsamtes, Dr. Düwel, Minister Schäfer gemeinsam mit dem Abgeordneten Pennigsdorf stürzen und erreichen wolle, dass er selber Staatssekretär und Pennigsdorf Minister werde147. Düwel habe Schäfer – dem der linke Kurs Düwels bei der einstufigen Juristenausbildung nicht gefiel – nach einem provozierten Streit um Ablösung gebeten. Daraufhin habe Schäfer sich vor der Landtagsfraktion verantworten müssen und Kubel habe ihm erklärt, dass die Fraktion ihn fallen lassen werde, falls die Leitung des Landesjustizprüfungsamtes nicht mehr in sozialdemokratischer Hand liegen sollte. Um dem zu entgehen, redeten Kubel und Schäfer auf Wassermann ein, er als „Vater der Reform“ müsse dieses Amt nun übernehmen und die Reform in ein „ruhiges Fahrwasser“ steuern148. Wassermann stimmte schließlich zu, und der befürchtete Eklat in der Fraktion blieb aus. Wassermann übernahm neben der Leitung dieses Amtes auch die Leitung der für die Leistungskontrollen und Prüfungen der einstufigen Ausbildung eingerichteten Abteilung „PA III“. 146 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 268. 147 Ebenda, S. 267 f. 148 Ebenda, S. 268 f.
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Im Januar 1976 kam es zum Bruch der sozialliberalen Koalition. Nachdem Ministerpräsident Kubel sein Amt zur Hälfte der Legislaturperiode aufgeben wollte, sollte der bisherige Finanzminister Helmut Kasimier als Kubels Nachfolger gewählt werden. Obwohl die sozialliberale Koalition über 78 Stimmen verfügte und damit eine Stimme mehr als die CDU-Opposition hatte, erhielt der von der CDU als Gegenkandidat aufgestellte Ernst Albrecht bei der Wahl des neuen Regierungschefs am 14. Januar 1976 77 Stimmen und damit 2 Stimmen mehr als Kasimier149. Da somit kein Kandidat die notwendige absolute Mehrheit von 78 Stimmen erreicht hatte, musste die Wahl am folgenden Tag wiederholt werden, bei der Albrecht mit 78 Stimmen die absolute Mehrheit erhielt, Kasimier lediglich 74 Stimmen150. Damit war klar, dass mindestens ein Abgeordneter der Regierungskoalition für Albrecht gestimmt hatte. Weil dieser dem Landtag jedoch binnen 11 Tagen kein Kabinett zur Abstimmung präsentierte, war ein dritter Wahlgang erforderlich. Die SPD nominierte Karl Ravens, der damals Bundesminister für Städtebau unter Helmut Schmidt war. Auch diese Abstimmung gewann Albrecht mit 79 zu 75 Stimmen. Wer aus der Regierungskoalition für Albrecht gestimmt hatte, wurde bis heute nicht geklärt. Albrecht wurde der erste von der CDU gestellte Ministerpräsident Niedersachsens, der allerdings im Parlament ohne Mehrheit war. Im Januar 1977 beendete die FDP schließlich die Koalition mit den Sozialdemokraten und koalierte mit der CDU151. Wassermann selbst sah hierin kein Problem und auch das Ministerium verhielt sich – so Wassermann in seinen Memoiren152 – völlig loyal zu ihm, sodass sich eine gute Zusammenarbeit entwickelte. Besondere Aufmerksamkeit widmete Wassermann in seiner Funktion als Präsident des Landesjustizprüfungsamtes und Leiter der erwähnten Abteilung „PA III“ der seit dem Wintersemester 1974/75153 durchgeführten einstufigen Juristenausbildung, welche gemeinhin als „Modell Hannover“ oder auch „Wassermann-Modell“ bezeichnet wurde 154 . Erschwert wurde dieses Projekt jedoch dadurch, dass die Studenten diese Ausbildungsreform als Teil einer vom Staat – dem sie ablehnend gegenüberstanden – initiierten Gesellschaftsveränderung 149 3 Stimmen waren ungültig. 150 Es waren erneut 3 Stimmen ungültig. 151 Vgl. den Artikel „Wahl-Krimi im Niedersächsischen Landtag, abrufbar unter www.ndr.de/ kultur/geschichte/chronologie/Ueberlaeufer-kueren-Ministerpraesidenten,ernstalbrecht 105.html. 152 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 270. 153 An der eigens dafür an der Universität Hannover eingerichteten Fakultät für Rechtswissenschaften. 154 Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 273.
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verstanden und sich dadurch eine aggressive Atmosphäre an der Universität Hannover entwickelte, der die meisten Professoren hilflos gegenüberstanden, einige Professoren sogar Verständnis für die Studenten hatten155. Als einziges ihm zur Verfügung stehendes Mittel zur Beruhigung der Situation sah Wassermann, die Ausbildungs- und Prüfungsordnung zu einer Anhebung des Niveaus bei Leistungskontrollen und in der Abschlussprüfung zu nutzen. Offensichtlich war er der Auffassung, dass die Studenten weniger Kraft für Revolten aufwenden würden, wenn sie ihre ganze Energie ins Studium investieren müssten. Tatsächlich sieht Wassermann in seinen Memoiren156 hierin einen Aspekt, der dazu beitrug, das „Modell Hannover“ zu retten. Ebenfalls als nützlich empfand Wassermann die Tatsache, dass die radikale Linke nach dem Sturz der SPD-Regierung, welche unter enormem Druck von links gestanden hatte, mehr und mehr an politischem Rückhalt verlor. In seinen Memoiren schreibt er, dass er später einmal scherzhaft gesagt habe, die CDU-Regierung habe das Modell gerettet157. Die immer größer werdende Anzahl an Studenten und Referendaren führte zu der Frage, wie man gleiche Standards bei den Anforderungen und der Leistungsbewertung anwenden konnte. Wassermann versuchte dies wie folgt zu erreichen: 1. Es sollte ein vermehrter Erfahrungsaustausch zwischen Prüfern und Arbeitsgemeinschaftsleitern im Rahmen von Besprechungen und Tagungen stattfinden158. 2. Im Rahmen der Jahresberichte159 des Landesjustizprüfungsamtes sollten nicht mehr nur die Examensergebnisse statistisch aufbereitet, sondern auch inhaltlich zum Leistungsstand der Prüflinge Stellung genommen und Stärken und Schwächen der Ausbildung analysiert werden160. 3. Der Stoffüberlastung wurde durch eine Begrenzung der „Empfehlungen für Prüfungsinhalte“ entgegengewirkt161.
155 156 157 158 159 160 161
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 274. Ebenda, S 274 f. Ebenda, S 274. Ebenda, S. 275. Veröffentlicht wurden diese Berichte in der Zeitschrift „Niedersächsische Rechtspflege“. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 276. Ebenda.
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F) Staatsgerichtshof Niedersachsen Das richterliche Ehrenamt beim Staatsgerichtshof war Wassermanns letztes und zugleich das von ihm am längsten ausgeübte Amt: Im Juni 2000 endete für den inzwischen 75-jährigen Wassermann die Mitgliedschaft nach mehr als 23 Jahren und drei Wiederwahlen. Einige Monate zuvor hatte der Präsident des Gerichtshofes, Prof. Schinkel, eine Würdigung anlässlich Wassermanns 75. Geburtstages in der NJW veröffentlicht. Hierin führte Schinkel aus, dass Wassermann die Arbeit des Niedersächsischen Staatsgerichtshofes seit vielen Jahren bereichere und straffe und führte im direkten Anschluss aus, was mit letzterem gemeint sei162: „Erfahrung, nüchterner Sinn und die Weisheit, auf geistreichen Zierrat zu verzichten, um die Klugheit der Aussage deutlicher werden zu lassen, kennzeichnen seine Beiträge in diesem Gericht. Nicht selten laufen sie darauf hinaus, wohlgesetzte Passagen der Entwurfsfassung einer Entscheidung ohne jeden Ausdruck des Bedauerns zu streichen. Dafür gebührt ihm Dank, denn die verbleibende, unverblümt klare Aussage ehrt das Gericht als Ganzes.“
Die aus seiner Sicht wichtigsten Entscheidungen seiner Amtszeit hat Wassermann in einem als Aufsatz veröffentlichten Rückblick genannt163. Zwei Entscheidungen sollen an dieser Stelle näher skizziert werden: Zum einen – wegen der bundespolitischen Bedeutung – die Entscheidung über das planmäßige Auswechseln von Abgeordneten164. Zum anderen – weil ihr eine ebenso zentrale politische Bedeutung zukommt – die Entscheidung über die Auskunftspflicht der Landesregierung gegenüber Mitgliedern des Landtages165.
I. Planmäßiges Auswechseln von Abgeordneten Hintergrund war das sogenannte „Rotationsprinzip“ der Partei „Die Grünen“. Deren programmatische Konzeption sah vor, dass die Mandatsträger der Parteien zur Mitte der jeweiligen Mandatsperiode ihr Mandat durch Verzicht einem Listennachfolger überlassen. Zu Beginn des Jahres 1984 sprach sich eine Landesversammlung für die sogenannte Teilrotation aus, auf einer Landesdelegiertenkonferenz im Mai 1984 wurde schließlich festgelegt, dass fünf Mitglieder der Fraktion zur Mitte der jeweiligen Periode auf ihr Mandat verzichten sollten.
162 163 164 165
Schinkel, NJW 2000, 124. Vgl die Aufzählung in Wassermann, NdsVBl. 2000, 238. Urteil vom 5.5.1985, StGH 3/84, NJW 1985, 2319 ff. Beschluss vom 25.11.1997, StGH 1/97, Nds.MBl. 1998, 116 f.
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Entsprechend reichten fünf Abgeordnete eine entsprechende Verzichtserklärung ein, welche vom Landtag166 jedoch nicht akzeptiert wurde. Der Landtag hatte festgestellt, dass die fünf Abgeordneten ihre Sitze nicht verloren hätten. Hiergegen hatten die betroffenen Abgeordneten Beschwerde beim Staatsgerichtshof erhoben und die Aufhebung des entsprechenden Landtagsbeschlusses beantragt, sowie die Feststellung begehrt, dass sie ihr Abgeordnetenmandat verloren haben. Der Gerichtshof war zu dem Ergebnis gelangt, dass das sogenannte Rotationsprinzip mit der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung unvereinbar sei. Dennoch hatte der Gerichtshof festgestellt, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Mandatsverzichte ihre Sitze im Landtag verloren hätten167. In der Begründung heißt es, dass das aus § 8 Abs. 1 Nr. 1 NLWG abzuleitende Recht eines Abgeordneten auf Niederlegung des Mandats seine verfassungsrechtliche Grundlage in Artikel 3 Abs. 1 Satz 2 LV – der die Freiheit des Mandats garantiert – finde. Aus dem Grundsatz des freien Mandats würden sich allerdings auch Grenzen der Wirksamkeit eines Verzichts ergeben, die für die verfassungskonforme Auslegung des § 8 Abs. 1 Nr. 1 NLWG zu beachten seien. So könnten nicht freiwillig abgegebene Verzichtserklärungen nicht als wirksam angesehen werden. Unter Zwang oder durch widerrechtliche Drohung oder eine bindende Weisung einer Partei oder Fraktion herbeigeführte Erklärungen stünden im Widerspruch zum Grundsatz des freien Mandats. In der Folge hatte der Staatsgerichtshof jedoch weder eine Drohung noch einen Zwang festgestellt und kam zu dem Ergebnis, dass den Beschlüssen der Partei keine rechtliche Bindung zukomme. Es habe den Abgeordneten daher von Rechts wegen frei gestanden, ob sie den Parteibeschlüssen folgen würden oder nicht. Dabei werde zwar nicht verkannt, dass der Freiwilligkeit des Mandatsverzichtes auch psychischer Druck entgegenstehen könne. Das freie Mandat sei jedoch mit der Parteibindung und Fraktionsloyalität vereinbar, wobei die Grenze zu einem verbotenen Zwang dort überschritten sei, wo die Einwirkung auf das Verhalten der Abgeordneten Nötigungscharakter hätte oder das repräsentative Mandat in ein imperatives Mandat verwandelt würde, was vorliegend jedoch nicht erkennbar sei. Trotz Freiwilligkeit des Mandatsverzichtes sei dieser allerdings nicht mit der Verfassung vereinbar. Die Verfassungswidrigkeit ergebe sich zwar nicht aus dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl, da dieser lediglich verlange, dass die Frage, wer ggf. nachrückt, alleine durch die Reihenfolge auf der Landesliste festgelegt werde. Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl garantiere nicht, dass die ursprüngliche Zusammensetzung während 166 Trotz gegenteiliger Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses. 167 Der Verlust galt ab Verkündung der Entscheidung.
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der gesamten Wahlperiode erhalten bleibe. Allerdings stehe das Rotationsprinzip in Widerspruch zu Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung, die darin die Wahlperiode auf vier Jahre festlege. Die Verfassungsbestimmung sei das Ergebnis einer Abwägung zwischen dem demokratischen Prinzip und dem Gebot der Kontinuität der Amtsführung der Organe des Staates. Sie schaffe einen zeitlichen Rahmen für die sachgerechte Tätigkeit der Abgeordneten im Parlament und sichere damit das Abgeordnetenmandat als funktionales Element parlamentarischer Repräsentation. Dieser Ordnung des parlamentarischen Regierungssystems mit der Festlegung der Wahlperiode auf vier Jahre würde es widersprechen, wenn eine Partei ihre Abgeordneten während der Wahlperiode auswechseln wolle. Die Stellung des Abgeordneten gewähre nicht nur Rechte und Freiheiten, sondern erlege auch Pflichten auf, wozu es in erster Linie gehöre, das Amt im Einklang mit der Verfassung zu führen. Wollte ein Abgeordneter allerdings mit dem Mittel des Mandatsverzichts eine Rechtsfolge herbeiführen, welche die geltende Verfassung unterlaufe, so missbrauche er das Recht zum Mandatsverzicht. Mit der Feststellung, dass die Beschwerdeführer mit ihren Verzichten ein mit der Verfassung nicht zu vereinbarendes Ziel verfolgen, ergebe sich jedoch nicht, dass die Verzichtserklärung unwirksam sei. Die Landesverfassung enthalte ebenso wie das Grundgesetz keine ausdrückliche Bestimmung über die Rechtsfolgen eines solchen Mandatsverzichts, weshalb die Rechtsfolgen im Wege der Verfassungsinterpretation zu ermitteln seien. Die Wahlperiode sei auf vier Jahre festgelegt, um die Funktionsfähigkeit des Parlaments innerhalb der Verfassungsordnung einer repräsentativen Demokratie zu sichern. Im Ergebnis sei ein Mandatsverzicht daher unwirksam, wenn zu erwarten sei, dass er die Funktionsfähigkeit des Parlaments, die Kontinuität seiner Arbeit und damit auch deren Effektivität erheblich beeinträchtigen würde. Zwar würde der Mandatsverzicht der Beschwerdeführer die Kontinuität und Effektivität der Arbeit des Landtages nicht unberührt lassen, allerdings werde die Funktionsfähigkeit des Landtages nach allen in Betracht zu ziehenden Umständen durch das Ausscheiden der Beschwerdeführer nicht so erheblich gestört, dass der Zweck des Artikel 6 der Verfassung vereitelt und die verfassungsmäßige Ordnung Schaden nehmen würde.
II. Auskunftspflicht der Landesregierung gegenüber Mitgliedern des Landtages Mit der Reichweite des Artikels 24 der Niedersächsischen Verfassung, welcher die Landesregierung zur Auskunft gegenüber den Mitgliedern des Landtages verpflichtet, hatte sich der Gerichtshof mit Beschluss vom 25. November 1997168 168 Nds.MBl. 1998, 116 f.
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befasst. Hintergrund war ein am 14. Oktober 1996 in der Hannover- Ausgabe der BILD erschienener Artikel über eine angebliche Dienstreise einer Ministerin der Landesregierung zu einem Fest des Uhrenherstellers Cartier in Kampen auf Sylt. Die Haushalts-Beamten hätten Zweifel an dem dienstlichen Anlass der Reise gehabt und Bedenken geäußert, die in einem Gespräch ausgeräumt worden seien. In dem Artikel hieß es, die Pressesprecherin des Ministeriums habe mitgeteilt, es habe sich um eine Dienstfahrt gehandelt. Die Ministerin habe mit wichtigen Leuten aus der Wirtschaft gesprochen, um sie zum Öko-Sponsoring zu bewegen. Noch am gleichen Tage stellten einige Abgeordnete eine kleine Anfrage an die Landesregierung, bei der es um die Kosten der Dienstfahrt, die geführten Gespräche und die hierdurch für das Öko-Sponsoring gewonnenen Beträge ging. Die Ministerin bezog sich in ihrer Beantwortung ausdrücklich auf die aus ihrer Sicht verleumderische Berichterstattung von BILD und beantwortete die Eingangsfrage dahingehend, dass es sich um keine Dienstreise gehandelt habe. Die weiteren Fragen würden daher entfallen. Auf die erste Nachfrage, warum es denn dann eine Diskussion im Ministerium darüber gegeben habe, ob es sich um eine Privatfahrt oder eine Dienstfahrt gehandelt habe, antwortete die Ministerin, diese Frage könne sie nicht beantworten, weil dies nicht an sie herangetragen worden sei. Auf die zweite Nachfrage, ob es dann falsch sei, dass dem Journalisten der BILD bestätigt worden sei, dass es sich um eine Dienstreise gehandelt habe, hatte die Ministerin entgegnet, sie wisse nicht, mit wem Herr K. in ihrem Hause spreche, sie würde auch nicht jedes einzelne Telefongespräch kontrollieren. Ein Abgeordneter hatte daraufhin beantragt, festzustellen, dass die Landesregierung das sich aus Artikel 24 Abs. 1 der Verfassung ergebende Auskunftsrecht verletzt habe, in dem die Ministerin als Mitglied der Landesregierung die Anfragen nicht nach bestem Wissen und vollständig beantwortet habe. Der Gerichtshof war zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antrag teilweise begründet sei. Im Hinblick auf die erste Zusatzfrage kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Antrag unbegründet sei, da die Zusatzfrage nach dem Grund der Diskussion im Ministerium unpräzise und nicht auf Tatsachen, sondern auf Motive gerichtet gewesen sei. Hinsichtlich der zweiten Zusatzfrage war der Gerichtshof jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass diese ausweichend im Sinne von unvollständig beantwortet worden sei und damit das Auskunftsrecht des Antragstellers verletzt worden sei. Der Gerichtshof hatte hierbei eingangs dargelegt, dass der Sinn der Regelung des Artikels 24 Abs. 1 der Verfassung darin bestehe, den Abgeordneten die notwendigen Informationen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu erteilen, um damit eine wirksame Kontrolle der Regierungstätigkeit durch das Parlament zu ermöglichen. Die zweite Zusatzfrage sei knapp, sachlich und inhaltlich klar umrissen gewesen. Sie habe in erkennbarem Zusammenhang mit dem die Anfrage
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auslösenden Zeitungsbericht gestanden. Die Argumentation der Landesregierung, es sei nicht erkennbar gewesen, dass der Antragsteller mit der zweiten Zusatzfrage auf die in der BILD zitierte Äußerung der Pressesprecherin der Ministerin gezielt habe, hatte der Staatsgerichtshof abgelehnt und dieser entgegengehalten, dass der Bezug auch ohne nochmalige Nennung des Namens der Pressesprecherin klar zutage lag. Es habe auch nahe gelegen, dass Abgeordnete gerade wegen dieses Widerspruchs zwischen den zitierten Äußerungen der Pressesprecherin und der Erklärung der Ministerin in der Fragestunde eine solche Zusatzfrage anmelden würden. Beide Urteile zeigen die politische Bedeutung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung deutlich auf. „Verfassungsgerichte entscheiden stets im Spannungsfeld von Recht und Politik“ konstatierte daher auch Ipsen im Anschluss an eine Abhandlung zum Fragerecht der Abgeordneten und der Antwortpflicht der Landesregierung nach Artikel 24 Abs. 1 der Niedersächsischen Verfassung169. In dem eingangs erwähnten Rückblick170 hat Wassermann diesen Konflikt im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit am Staatsgerichtshof thematisiert und festgehalten, dass der Staatsgerichtshof sich zu seiner Zeit stets am Prinzip der Selbstbeschränkung orientiert und der Zurückhaltung den Vorzug gegeben hat, ohne daraus – wie einzelne anders lautende Entscheidungen zeigen würden – ein Dogma zu machen. Gewissermaßen als Gegenmodell (ohne das Wort zu benutzen) beschreibt er an dieser Stelle die aktionistische und von extremem Interventionismus geprägte Judikatur der Verfassungsrechtsprechung. Das Wort vom Übergesetzgeber, so Wassermann, würde zeigen, welche Gefahren einer solchen Rechtsprechung (er erwähnt an dieser Stelle auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, welche der Politik oft die Wege gewiesen habe) innewohnten171.
169 Ipsen, NdsVBl. 2013, 265, 271. 170 Wassermann, NdsVBl. 2010, 238 ff. 171 Ebenda, 238, 239.
Sechstes Kapitel: (Rechts-)politische Tätigkeit A) Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ) I. Wassermanns Weg zur SPD und zur AsJ Zur SPD fühlte sich Wassermann bereits sehr früh hingezogen: So existiert ein „Aufnahmeschein“1, wonach Wassermann der SPD am 2. Januar 1946 – vor der Vereinigung mit der KPD im Osten – gegen eine Aufnahmegebühr von fünf Reichsmark beigetreten war. Auch nach seiner Rückkehr aus dem Krieg bzw. der Kriegsgefangenschaft war Wassermann der SPD zugetan. Der Weg der Partei zwischen Kapitalismus und Sozialismus unter deutlicher Betonung der sozialen Komponente erschien ihm als Möglichkeit der Überwindung der (auch moralischen) Katastrophe, in welche Deutschland durch Hitler und seine Partei gestürzt worden war. Ein einfaches Anknüpfen an Weimarer Verhältnisse hingegen hatte er sich nicht vorstellen können2. Dass seine Generation am Aufbau einer demokratischen Ordnung mitwirken musste, erschien Wassermann als Selbstverständlichkeit3. In dieser Zeit beeindruckte ihn vor allem der Mut der sozialdemokratischen Funktionäre zur deutlichen Stellungnahme gegen das Besatzungsunrecht, was auch seiner Sicht der Tradition der SPD entsprach, welche im März 1933 als einzige Partei gegen das Ermächtigungsgesetz für Hitler gestimmt hatte. Enttäuscht musste Wassermann jedoch miterleben, wie in der SBZ eine totalitäre Diktatur errichtet wurde4. Er war enttäuscht über das Verhalten der ehemaligen SPD-Funktionäre, die sich aus seiner Sicht nicht nur dem sowjetischen Druck beugten, sondern auch an dem Erhalt eigener Privilegien interessiert waren5. Vor dem Hintergrund dieser Enttäuschung hatte sich Wassermann eigentlich auf Rat seines Freundes Wolfgang Bethge hin zum Eintritt in die FDP entschlossen. Dann jedoch fand er über Prof. Otto Stammer den Kontakt zur SPD. Das am 15. November 1959 1 2 3 4 5
Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 7. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 371. Ebenda. Ebenda, S. 372. Ebenda.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-008
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verabschiedete Godesberger Programm und der klare Antikommunismus machten die Partei für ihn einerseits ideologisch attraktiv, auf der anderen Seite war ihm bewusst, die – auf Grund seiner Erfahrungen im Referendardienst – für nötig gehaltenen Reformen nur mit der SPD verwirklichen zu können1. Hierbei kam der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (AsJ)2 eine sehr bedeutende Rolle zu. Auf Einladung Gerhard Kunzes hielt Wassermann einen Vortrag bei der Berliner AsJ und begann, dort als Gast mitzuarbeiten. Dies, so Wassermann in seinen Memoiren3, sei der Anstoß für sein Engagement in der SPD gewesen, deren Mitglied er am 4. Juni 1964 wurde.
II. Wassermanns Beiträge zur AsJ als „Motor der Rechtsreform“ 1. Der rechtspolitische Kongress der SPD in Heidelberg Ein knappes Jahr nachdem Wassermann Mitglied der SPD geworden war, veranstaltete die SPD vom 26. März bis einschließlich 27. März 1965 unter Mitwirkung der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in Heidelberg einen rechtspolitischen Kongress mit dem Thema „Der Bürger und das Recht“. Dieser Kongress war insofern ein Novum, als es – soweit ersichtlich – das erste Mal war, dass eine Partei zu einer öffentlichen Diskussion über Rechtspolitik geladen hatte4. Eingeladen waren nicht nur Parteimitglieder, sondern die gesamte juristische Öffentlichkeit und auch die Tagespresse. An dem Kongress nahmen letztlich mehr als siebenhundert Juristen Teil, von denen etwa 40% nicht der SPD angehörten5. Bei diesem Kongress fungierte Wassermann als Berichterstatter der Arbeitsgemeinschaft „Der Bürger vor Gericht“. Er fasste die Ergebnisse der Arbeitsgemeinschaft
1 2
3 4 5
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 373. Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen ist eine Facharbeitsgemeinschaft nach § 3 Abs. 4 des Organisationsstatuts der SPD vom 23.5.1950, welche der SPD den Zugang zu nicht politisch engagierten Juristen vermitteln soll, die sich für rechtswissenschaftliche und rechtspolitische Arbeit interessieren. Inhaltlich hat die AsJ die Aufgabe der Unterstützung und Beratung der Fraktionen in den Parlamenten, was auch die vorbereitende Mitwirkung im Rahmen der Gesetzgebungsarbeit – in der Regel im Zusammenwirken mit dem rechtspolitischen Ausschuss beim Parteivorstand – mit einschließt. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 374. Vgl. die Eröffnungsansprache von Fritz Erler, nachzulesen in: Der Bürger und das Recht, S. 11. RuP, 1965, 28.
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zusammen und nutzte die Gelegenheit, hieraus die folgenden drei – verkürzt dargestellten – Schlussfolgerungen zu ziehen6: 1. Die Rechtspolitik müsse aus ihrer Esoterik heraus. Erforderlich sei ein ständiges Gespräch zwischen Politikern und Fachleuten. 2. Die Justizreform dürfe nicht länger aufgeschoben werden und müsse unverzüglich in Angriff genommen werden, um in den „verschnörkelten Bau“ der Rechtspflege „Luft und Licht“ hinein zu lassen und sie zu einer Einrichtung aller Bürger zu machen. 3. Justizreform müsse auch Juristenreform sein. Nötig sei ein Juristenstand, der sich nicht nur als Verwalter einer subtilen Rechtstechnik fühle, sondern vor allem als Wortführer des Rechtsgewissens demokratischer Bürger.
2. Erarbeitung der Leitsätze zur Justizpolitik Im Anschluss an den Kongress in Heidelberg hatte der AsJ-Bundesvorstand beschlossen, die AsJ Berlin mit den Vorarbeiten für einen Entwurf eines rechtspolitischen Programms der SPD zu betrauen. Hierzu wurde eine „Fachkommission Rechtspolitik“ gebildet, die aus der von Wassermann geleiteten „Arbeitsgruppe Justizpolitik“ und der von Regierungsdirektor Heinz Annussek geleiteten „Arbeitsgruppe Verwaltungspolitik“ bestand7. Die in der Regel zweimal monatlich zusammengekommenen Arbeitsgruppen hatten dem AsJ-Bundesvorstand am 1. November 1966 die sogenannten „Leitsätze zur Justizpolitik“ und „Leitsätze zur Verwaltungspolitik“ übermittelt. Der erweiterte Bundesvorstand hatte daraufhin in seiner Sitzung vom 26. November 1966 zur weiteren Ausarbeitung dieser Leitsätze zwei Kommissionen gebildet, wobei Wassermann der Vorsitz für die Kommission Justizpolitik übertragen wurde8. Im November 1967 schließlich legte die Kommission Wassermanns ihre „Leitsätze zur Justizpolitik“9 vor, die anschließend in den Bezirksarbeitsgemeinschaften diskutiert wurden. Nachdem zahlreiche Stellungnahmen hierzu eingegangen waren, wurde im Rahmen der Bundesvorstandssitzung am 5. und 6. April 1968 die Errichtung einer Unterkommission unter der Federführung Wassermanns beschlossen, die die Stellungnahmen auswerten und den Entwurf anlassbezogen abändern bzw. Alternativvorschläge unterbreiten sollte. Die Unterkommission hatte schließlich eine Neufassung der Leitsätze im Rahmen der erweiterten Sitzung
6 7 8 9
Wassermann, Bericht aus der Arbeitsgemeinschaft A, in: Der Bürger und das Recht, 89, 91 f. RuP 1967, 94, 95. Die Kommission Verwaltungspolitik wurde von Staatssekretär Dr. Friedrich Schäfer geleitet, vgl. RuP 1967, 94, 95. RuP 1967, 99 ff.
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des AsJ-Bundesvorstandes am 9. November 1968 vorgelegt, die nach mehrstündiger Diskussion verabschiedet wurde10. Diese Leitsätze11 forderten im Kern ein Umdenken der Justiz im Hinblick auf ihre Aufgabe, die nicht mehr in der Gewährung von Rechtsschutz im herkömmlichen Sinne und der Ausübung staatlicher Strafgewalt liege. Die Aufgabe liege darin, die Grundrechte der Bürger zu prüfen und im Streitfall durchzusetzen, das Recht des Bürgers auf chancengleiche Teilhabe an der Daseinsvorsorge zu gewährleisten, Interessenskonflikte des gesellschaftlichen Lebens im Sinne der sozialen Gerechtigkeit zu entscheiden und schließlich die Rechtmäßigkeit des Handelns der vollziehenden Gewalt zu kontrollieren und letztlich so zu begrenzen, dass die Würde des Menschen gewahrt und seine freie Persönlichkeitsentfaltung innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet bleibe. In der derzeitigen Form könne die Justiz diese Aufgaben allerdings nicht hinreichend erfüllen, weshalb eine umfassende Reform notwendig sei. Zur Reform zähle die Stärkung der rechtsprechenden Gewalt, wobei eine völlige Selbstverwaltung der Gerichte abgelehnt wurde. Das Richteramt, so wurde gefordert, sei entsprechend den Vorstellungen des Grundgesetzes aus der hierarchischen Ordnung obrigkeitsstaatlicher Prägung herauszulösen. Schließlich sollte auch das Rechtsbewusstsein der Bürger durch stärkere Berücksichtigung des Faches „Recht“ in den Bildungsplänen der Schulen und Berufsschulen, den Ausbau der Erwachsenenbildung und eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit der Gerichte gestärkt werden. Weiterhin wurde ein klarer und verständlicher äußerer Aufbau der Gerichte gefordert. In diesem Zusammenhang sprachen sich die Leitsätze insbesondere für einen dreistufigen statt wie bisher vierstufigen Aufbau der Zivilgerichtsbarkeit aus. In Strafsachen sollte an die Stelle der bisherigen Rechtsmittel Berufung und Revision das einheitliche Rechtsmittel der Appellation treten, welches dem Rechtsmittelgericht auch in gewissem Umfang die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen mit der Möglichkeit weiterer Beweiserhebung erlauben sollte. Im Hinblick auf die innere Ordnung der Gerichte wurde zur Wahrung der Unabhängigkeit der Richter eine Abkehr vom Laufbahnprinzip gefordert. In diesem Zusammenhang sprachen sich die Leitsätze für den Wegfall des ständigen Vorsitzes im Kollegialgericht sowie für die Möglichkeit der Kundgabe einer abweichenden Meinung des einzelnen Richters im Urteil aus, um die Richter der Kollegialgerichte persönlichkeitsbewusster zu machen. Unter dem Punkt „Auswahl und Fortbildung der Richter“ wurde angestrebt, dass Richter sich zuvor mehrere Jahre in einem anderen Beruf bewährt 10 11
RuP 1968, 71, 72. Ebenda, 107 ff.
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haben sollten. Eine große Gefahr für die Unabhängigkeit des Richters könne auch in dessen Person liegen, weshalb „innerlich freie Persönlichkeiten“ aus allen Schichten der Gesellschaft für das Richteramt gewonnen werden müssten12. Dabei müsse die Besoldung der Richter so geregelt sein, dass fähige Juristen aus allen Bereichen hierin einen Anreiz sähen, sich zu bewerben. Des Weiteren wurde eine besondere Wertlegung auf eine Erweiterung der Kenntnisse der Richter unter anderem auf den Gebieten der forensischen Psychologie, der Medizin, der Kriminologie, der Soziologie sowie der Wirtschafts- und Politikwissenschaft gefordert und die Bedeutung der Errichtung einer Richterakademie erwähnt. Als letzter Punkt wurde in den Leitsätzen das Thema Justiz und Öffentlichkeit angesprochen und gefordert, dass die Sprache der Gerichte „ungekünstelt“13 sein müsse, damit der Bürger sie verstehe. Nur dann könne er die Rechtspflege als seine Angelegenheit betrachten. Die Justiz selbst müsse auch Kritik der Öffentlichkeit aushalten, da Kritik dazu beitrage, die Justiz vor Erstarrung zu bewahren, und Vertrauen nur verdiene, wer öffentliche Kritik aushalte. Die Kritik an der Justiz dürfe allerdings auch nicht zu Verallgemeinerungen und Diffamierungen der Richter bzw. der Rechtspflege führen. Vor Beginn und während des Gerichtsverfahrens müsse alles unterbleiben, was die Unbefangenheit der am Verfahren beteiligten Personen und die freie Entscheidung des Gerichts beeinträchtigen könne.
3. Reform der Juristenausbildung Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit Wassermanns innerhalb der AsJ war die Reform der Juristenausbildung. Als der engere Bundesvorstand nach der Wahl vom 23. Februar 1969 zu seiner 2. Sitzung am 3. September 1969 zusammen kam, wurde die Bildung einer Kommission zur Reform der Juristenausbildung beschlossen, die unter dem Vorsitz Wassermanns einen Entwurf von Leitsätzen hierfür erarbeiten sollte. Nachdem die Kommission die erarbeiteten Leitsätze vorgelegt hatte, beschloss der Bundesvorstand in seiner Sitzung vom 12. Juni 1970, diese in den Bezirksarbeitsgemeinschaften zur Debatte zu stellen und sie der Öffentlichkeit zu übergeben14. Hierin wurde die Beseitigung der Trennung zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung gefordert. Vorgeschlagen wurde eine integrierte theoretisch-praktische Ausbildung mit einer Dauer von sechs Jahren, welche sich in ein Grundstudium und ein Schwerpunktstudium
12 13 14
RuP 1968, 107, 110. Ebenda. RuP 1970, 41.
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von je drei Jahren aufteilen sollte15. Das Grundstudium als erster Ausbildungsabschnitt sollte ein juristisches Grundwissen vermitteln und dabei die politischen und sozialen Aspekte des Rechts mit einbeziehen. Darüber hinaus sollten im ersten Ausbildungsjahr Grundkenntnisse in Soziologie, Ökonomie und Psychologie vermittelt werden. Im Schwerpunktstudium sollten sich die Studenten vertiefend in ein Rechtsgebiet einarbeiten, um Erfahrung für die später erstrebte Berufssparte sammeln zu können. Dabei sollten die Bereiche „Zivilrechtspflege“, „Strafrechtspflege“, „Verwaltung“ und „Wirtschaft und Arbeit“ als Schwerpunkte angeboten werden. Anstelle von Semesterlehrveranstaltungen sollten kleinere, in sich geschlossene Studieneinheiten von vier bis sechs Wochen treten, deren Besuch im Grundstudium überwiegend obligatorisch und im Schwerpunktstudium überwiegend fakultativ geplant war. Das Studium sollte mit der Qualifikation „Diplomjurist“ abschließen und Zugang zu allen juristischen Berufen ermöglichen16. Im Rahmen der Vermittlung des Lehrstoffes sollten Arbeitsgemeinschaften mit einer Teilnehmerzahl zwischen 5 und 20 Studenten die Vorlesungen und Übungen weitestgehend verdrängen17. Zur Bewältigung dieser Aufgabe wurde mehr Lehrpersonal gefordert, welches – gleich ob Hochschullehrer oder Praktiker – auf seine Aufgaben vorbereitet werden solle. Im Übrigen sollte bereits das Grundstudium „praktische Einschübe“ enthalten, bei denen die Studenten – etwa durch Teilnahme an Gerichtssitzungen oder Einblick in die Arbeit von Verwaltungsbehörden – erste Praxiserfahrungen sammeln sollten. Im Schwerpunktstudium sollten die Studenten insgesamt 18 Monate in der Praxis arbeiten und das theoretische Wissen in Arbeitsgemeinschaften und Studienseminaren erlernen 18 . Bezüglich der Prüfungen sollte die juristische Staatsprüfung durch studienbegleitete Erfolgskontrollen19 und ein abschließendes Prüfungsverfahren, bestehend aus einer Hausarbeit mit Wahl eines Fachgebietes durch den Studenten, einem Aktenvortrag und einem wissenschaftlichen Prüfungsgespräch über die Hausarbeit bzw. Diplomarbeit und „spezifische Interessengebiete des Prüflings“, ersetzt werden. Daneben wurden – gewissermaßen als Übergangslösungen – Sofortmaßnahmen gefordert. Dabei sprach man
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Eine Minderheit hatte sich dafür ausgesprochen, drei Jahre für das Grundstudium und zwei Jahre für das Schwerpunktstudium vorzusehen. Eine Minderheit war der Ansicht, dass die Absolventen aufgrund der Spezialausbildung im Schwerpunktstudium nicht universell einsetzbar sein sollten. Vorlesungen hatten nach diesem Konzept nur die Aufgabe, eine systematische Problemübersicht zu geben. Eine Minderheit wollte, dass die Studenten auch im Schwerpunktstudium an der Universität bleiben und 2–3 Tage pro Woche in der Praxis arbeiten. Diese sollten in die Endnote mit einfließen.
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der Initiative des Bundesjustizministeriums zur Einfügung einer Experimentierklausel in das Deutsche Richtergesetz Zustimmung aus und forderte unter anderem, dass nach dem Beispiel Hamburgs Kommissionen gebildet werden sollten, die Ausbildungsgänge für die integrierte Ausbildung entwerfen sollten, um diese unmittelbar erproben zu können20. Nach Diskussion in den Bezirksarbeitsgemeinschaften wurde dann die endgültige Fassung der Leitsätze am 23. Oktober 1972 durch den AsJ-Bundesvorstand verabschiedet21. In dieser endgültigen Fassung wurde – in Abkehr von den bisherigen Leitsätzen – eine Dauer der Ausbildung von fünf Jahren vorgeschlagen, welche sich in eine 18monatige Eingangsstufe, eine Aufbaustufe von 24 Monaten und schließlich eine Schwerpunktstufe von 18 Monaten unterteilen sollte. In der Aufbaustufe sollte der Student dann zwischen den Schwerpunkten „Arbeit und Wirtschaft“, „Bürgerliches Recht“, „Kriminalität“ und „Verwaltung“ wählen können, die inhaltlich mit den jeweils ursprünglich vorgeschlagenen Schwerpunkten korrespondierten. Der Deutsche Juristentag hatte sich zwischenzeitlich ebenfalls für eine sogenannte einphasige, Theorie und Praxis verknüpfende Ausbildung ausgesprochen. Umgesetzt wurde sie an den Universitäten in Augsburg, Bayreuth, Bielefeld, Bremen, Hamburg, Hannover, Konstanz und Trier.
III. Wassermanns Zeit als Bundesvorsitzender der AsJ Im Rahmen der Bundeskonferenz der AsJ vom 27. bis zum 28. Juni 1974 in München wurde Wassermann zum Bundesvorsitzenden gewählt, nachdem der bisherige Bundesvorsitzende Karl Hemfler nicht mehr kandidiert hatte. Zuvor war Wassermann als stellvertretender Bundesvorsitzender22 im Bundesvorstand zuständig für den Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit gewesen. In den ersten beiden Jahren mit Wassermann an der Spitze der AsJ wurden die sogenannten „Leitsätze zur Verwaltungspolitik“ 23 sowie das „Kriminalpolitische Programm“ 24 fertiggestellt. Etwas mehr als zwei Jahre nach seiner Wahl in München sagte Wassermann in seiner Eröffnungsrede25 zur Bundeskonferenz vom 12. bis zum 13. November 1976 in Frankfurt am Main, die AsJ dürfe nicht ihren Anspruch aufgeben, Motor und zugleich soziales Gewissen der Rechtspolitik zu sein. Gleichzeitig mahnte er jedoch zu bedenken, dass für Reformen 20 21 22 23 24 25
Nähere Einzelheiten zu den geforderten Sofortmaßnahmen sind RuP 1972, 28 ff. zu entnehmen. RuP 1972, 28 ff. Die Wahl fand im Rahmen der Bundesdelegiertenkonferenz am 23.2.1969 in Mainz statt. RuP 1976, 241 ff. Ebenda, 252 ff. Auszugsweise nachzulesen in RuP 1976, 200 ff.
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Mehrheiten notwendig seien und man sich nicht leisten könne, zu einer „Sektierergruppe“ zu werden, die kein Gehör finde, weil sie zu weit vom gesellschaftlichen Bewusstsein entfernt sei. Die AsJ dürfe kein Eigenleben führen, sondern müsse weiter voll in die SPD integriert sein. In den anschließenden Wahlen setzte sich Wassermann gegen seinen Gegenkandidaten Werner Holtfort26 mit 53 zu 39 Stimmen durch27. Die Frankfurter Rundschau28 berichtete am 15. November, es komme der Verdacht auf, dass sich bei den sozialdemokratischen Juristen ein spürbarer Linksruck vollzogen habe. Auch Wassermann hat in seiner Zeit als Bundesvorsitzender eine zunehmende Radikalisierung der AsJ festgestellt, die nach seiner Ansicht der Verschiebung der Partei nach links entsprach29. Dies führte schließlich zu dem Entschluss, auf der am 2. März 1980 stattfindenden Bundeskonferenz in Saarbrücken nicht mehr zu kandidieren. Mit Schreiben vom 23. Juli 1979 hat Wassermann diesen Entschluss in einem Rundschreiben bekannt gegeben und dabei die aus seiner Sicht wichtigsten Anstöße der AsJ für die Rechtspolitik aufgezählt, aber auch Sorgen geäußert. Hinsichtlich seiner Sorgen heißt es in dem Rundschreiben: „Für die Überlegung, wer neuer ASJ-Vorsitzender werden sollte, kann es nützlich sein, wenn ich nachstehend auch die Sorgen skizziere, die ich mir wegen der Arbeitsgemeinschaft mache. Es besteht die Gefahr, daß – infolge zu hastiger Arbeitsweise nicht hinreichend fundierte und überlegte Beschlüsse gefaßt werden, – die ASJ-Arbeit sich zunehmend zerfasert und zersplittert, infolgedessen auch ihre bewußtseinsbildende Kraft abnimmt, – die Menge der gefaßten Beschlüsse ihre Umsetzung erschwert, so dass die Entscheidungen reine Wortmusik sind und im Ergebnis folgenlos bleiben, – eine überschäumende Gesinnungsethik immer mehr die der Politik angemessene Verantwortungsethik (Max Weber, Politik als Beruf, 2. Aufl. 1926, S. 58) verdrängt, – die ASJ partiellen Interessen dienstbar gemacht wird, – die ASJ ihre Bindung an die Partei nicht mehr berücksichtigt, – die ASJ nur noch von jüngeren Juristen getragen wird, während sich die älteren zurückziehen, was eine unerwünschte Einseitigkeit nach sich zieht,
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Holtfort war von Beruf Rechtsanwalt und Notar und damals Abgeordneter des Niedersächsischen Landtages. RuP 1976, 267. Siehe RuP 1976, 267, 268 f. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 403.
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Zweiter Teil: Karrierestationen als Jurist und Rechtspolitiker – die ASJ ihre Ausstrahlung auf ihre spezifischen Zielgruppen verliert und damit ihrem ursprünglichen Auftrag nicht mehr gerecht werden kann.“
In dem hierauf folgenden Rundschreiben des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Werner Holtfort vom 10. August 1979 heißt es eingangs, Wassermann habe das Rundschreiben am 9. August, trotz gegenteiliger Bitte, der Presse30 übergeben. Die Kritik Wassermanns an der AsJ-Politik sei als Selbstkritik aufzufassen, da Wassermann alle Beschlüsse mitgefasst und mitgetragen habe. Weiterhin bestehe keine Gefahr, dass die AsJ partiellen Interessen dienstbar gemacht werde oder ihre Bindung an die Partei verliere, da die Politik der AsJ in Konferenzen und Bundesausschusssitzungen festgelegt werde. Wassermann wisse aus eigenen Erfahrungen, dass ein „Vorprellen“ z.B. bei der Befürwortung des polizeilichen Todesschusses oder der Regelanfrage beim Verfassungsschutz vor Einstellung in die Richterlaufbahn keinesfalls die zuständigen Gremien der AsJ bei ihrer Beschlussfassung präjudiziere. Auf der Konferenz verabschiedete sich Wassermann mit einer knappen Rede und reiste anschließend ab, was einem Bericht31 zufolge zu einem „Schock“ auf der Konferenz führte.
B) Aktionskomitee Justizreform Das Aktionskomitee Justizreform war ein Zusammenschluss von 25 Juristen32, die die Justizreform vorantreiben wollten. Am 21. September 1968, einen Tag nach dem Ende des 47. Deutschen Juristentages in Nürnberg33, hatte das Aktionskomitee in
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Artikel „Ein jegliches hat seine Zeit“, FAZ vom 28.8.1979 sowie den Artikel „Motor und Gewissen sozialdemokratischer Rechtspolitik“, FR vom 14.8.1979, in dem das Rundschreiben wörtlich abgedruckt wurde. Baumeister, RuP 1980, 60. Die Mitglieder gehörten nicht nur der SPD, sondern auch teilweise der CDU und der FDP an oder waren parteilos, siehe RuP 1996, 206. Dieser fand vom 17. bis zum 20. September 1968 statt. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Juristentag entstanden zunächst Irritationen. So teilte der Vorsitzende der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentages, Rechtsanwalt Dr. Redeker, Wassermann in einem Brief vom 27. September 1968 (siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 12) mit, er sei von mehreren Seiten auf ein Fernsehinterview vom 26. September 1968 angesprochen worden, in welchem Wassermann über die Gründung eines Aktionskomitee Justizreform durch oder auf dem Deutschen Juristentag berichtet habe. Er sei gefragt worden, ob der Juristentag eine solche Gründung beschlossen habe oder in welchem Zusammenhang dieses Aktionskomitee mit dem Juristentag stehe. Er wäre daher für eine möglichst baldige Erklärung dankbar, um welches Aktionskomitee es sich handelt, wer ihm angehört, von wem es gegründet worden ist und welche Ziele ihm gesetzt sind. Mit Brief vom 30. September 1968 (siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 17) antwortete Wassermann, er habe sich alle Mühe gegeben darzutun, dass die Gründung nichts mit dem Juristentag zu tun habe und auch in keinem Konkurrenzverhältnis zu diesem stehe. In dem Fernsehinterview habe Herr
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Königstein (Taunus) das sogenannte „Königsteiner Manifest“34 beschlossen. Weitere vier Tage später, am 25. September, stellte sich das Aktionskomitee in Frankfurt am Main der Öffentlichkeit vor. Als Eckpfeiler für eine Justizreform nannte das Königsteiner Manifest – verkürzt – folgende fünf Punkte: 1.
einen erleichterten Zugang zur Justiz für den Bürger,
2.
die Trennung des Richters vom Beamten in Status, Amtsrecht und Besoldung,
3.
die Förderung der Freiheit des Richters innerhalb der Justizorganisation, womit die Beseitigung faktisch gegebener Vorgesetzten- und Untergebenenbeziehungen sowie eine Stärkung des Kollegialitätsprinzips in den Kollegialgerichten gemeint war,
4.
die Erweiterung richterlicher Mitbestimmung,
5.
die Ergänzung der juristischen Ausbildung durch ein modernes System permanenter Fortbildung, welches nicht nur der Vermittlung technischen Wissens, sondern auch der Heranbildung kritischen Bewusstseins dienen solle. Hierfür sei die „Deutsche Richterakademie“ so umzuformen, dass sie hierzu einen Beitrag leisten könne.
Am Ende wurde in dem Manifest deutlich gemacht, dass sich das vorgeschlagene Programm nicht in einem Akt, sondern nur als ein langwährender Vorgang von Stufenreformen verwirklichen lasse. Dabei seien Zwischenlösungen nicht von vornherein abzulehnen. Das Aktionskomitee begrüßte hierin weiterhin die Ankündigung des hessischen Justizministers Strelitz, wonach Hessen in Kürze dem Bundesrat konkrete gesetzgeberische Schritte zur demokratischen Justizreform vorschlagen werde. Die Bundesregierung und die übrigen Landesregierungen forderte das Aktionskomitee auf, ebenfalls Initiativen zu ergreifen. In dem im Februar 1970 im Luchterhand Verlag erschienenen und von Wassermann herausgegebenen Band „Justizreform“ heißt es im Vorwort, es sei nicht möglich, einen Überblick über alle Aktivitäten des Komitees zu geben. Der Erfolg, so heißt es weiter, dürfte nicht zuletzt auf der Schnelligkeit beruhen, mit welcher man zu auftauchenden Problemen Stellung genommen habe. Als Beispiel wird der Entschluss der CDU/CSU-Fraktion des Bundestages Anfang 1969 genannt, die Ordnungsstrafen für Ungebühr vor Gericht zu verschärfen, was das Aktionskomitee sofort für ungültig und schädlich bezeichnet habe. Hierüber sei unter
34
Jauch (der Moderator) lediglich erwähnt, dass der Gedanke, ein solches Komitee zu gründen, in Nürnberg auf dem Juristentag aufgetaucht sei. In ähnlicher Weise hatte auch der Moderator Gerd Jauch auf eine Anfrage von Herrn Dr. Redeker geantwortet. Nachzulesen im Band Justizreform, S. 178 ff.
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anderem in der Ausgabe des Kölner Stadtanzeigers vom 5. Februar 1969 berichtet worden35. Bereits wenige Tage nach Vorlage des Entwurfs habe das Aktionskomitee Justizreform 36 diesen in einer Pressemitteilung als unnötig und schädlich bezeichnet und den Entwurfsvätern eine falsche Einschätzung der Situation vorgeworfen. Seitdem, so der Artikel, höre man nur noch wenig von diesem Plan. Dass diese Reaktion der Richter, die sich sonst selten um Gesetzgebung sorgen und vor lauter Abwägen kaum einmal klar Stellung beziehen konnten, so hart und vor allem so schnell kam, wird mit der Organisation des Komitees erklärt. Wassermann, dessen Büro im Landgericht als „Nervenzentrale der Organisation“ beschrieben wird, brauche nicht mehr als sein Telefon, um in kurzer Zeit eine Stellungnahme mit den Mitgliedern abzustimmen. Eine öffentliche Erklärung, die in der Presse37 verlautbart wurde, gab Wassermann im Namen des Aktionskomitees auch im Anschluss an das sogenannte „RehseUrteil“ ab. Joachim Rehse war in seiner Eigenschaft als NS-Richter mehrfache Rechtsbeugung in Tateinheit mit vollendetem oder versuchtem Mord vorgeworfen worden. Nachdem Rehse zunächst verurteilt worden war, hob der Bundesgerichtshof das Urteil später auf, Rehse wurde in der erneut durchgeführten Hauptverhandlung freigesprochen. Das Gericht hatte dabei unter anderem ausgeführt, die Todesurteile hätten noch im Bereich vertretbarer Gesetzesauslegung gelegen. In der Erklärung des Justizkomitees hieß es darauf, das Urteil mache deutlich, dass die herkömmliche Rechtsausbildung zu viele „Rechtstechniker aber zu wenig politisch bewusste Juristen“38 hervorbringe. Als weiteres Beispiel nennt Wassermann in dem oben genannten Vorwort39 , dass das Aktionskomitee gemeinsam mit der von ihm alarmierten Öffentlichkeit die Veröffentlichung der bis dahin nur in geheimen Kabinettssitzungen und im Bundestagsausschuss für die Strafrechtsreform diskutierten Vorschläge für die Änderung der Strafbestimmung zum Schutze der öffentlichen Ordnung erzwang. Dabei habe die Gefahr bestanden, dass diese Vorschläge im Eilverfahren verabschiedet würden, ohne dass die interessierte Öffentlichkeit Gelegenheit gehabt hätte, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ebenfalls eingeschaltet hatte
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Artikel „Die Reformer wollen das Neue sofort. Juristen bilden Aktionskomitee“ von Peter Doebel, Kölner Stadt-Anzeiger vom 5.2.1969. Dieses wird zu Beginn des Artikels als Reformstoßtrupp unter Deutschlands Richtern und Staatsanwälten bezeichnet. So Wassermann unter Hinweis auf die FAZ vom 11.12.1968 in : Der politische Richter, S. 12, Fn. 6. Wassermann, Der politische Richter, S. 9. Wassermann, Justizreform, Vorwort, S. 9.
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sich das Komitee in die Diskussion um die Einführung der sogenannten Vorbeugungshaft40, die das Aktionskomitee strikt ablehnte. Als wesentlichen Teil der Arbeit des Komitees beschreibt Wassermann in dem Vorwort weiter die Ausarbeitung von Gesetzesvorschlägen sowie die Unterstützung fortschrittlicher Gesetzentwürfe. Wassermann, der von Hans-Peter Bull als „dominierende Person“ im Aktionskomitee bezeichnet wird41 , war Sprecher des Komitees. Die zuvor genannte Möglichkeit des schnellen Reagierens auf aktuelle Themen sollte dadurch gewährleistet werden, dass die Mitgliederzahl des Aktionskomitees begrenzt wurde: Im Rahmen der Sitzung vom 28. Februar 1970 wurde zum Tagesordnungspunkt „Reorganisation des Aktionskomitees“ übereinstimmend beschlossen, dass die Zahl der Mitglieder klein gehalten werden müsse und höchstens weitere 15 Mitglieder aufgenommen werden könnten. Dabei sollte eine sorgfältige Auswahl zukünftiger Mitglieder nach Kompetenz, Aktivität und Einfluss erfolgen. Im Rahmen dieser Sitzung hatte sich das Komitee auch mit der Frage der Amnestie für Straftaten, die im Zusammenhang mit den politischen Demonstrationen der vergangenen Jahre begangen worden waren, befasst. Es sprach sich dabei mit Ausnahme einzelner zu bestimmender Kapitalverbrechen für eine Amnestie für alle – Demonstranten und Polizisten – aus. Auch das Aktionskomitee wurde aufgrund seiner Vorstöße schnell zur Zielscheibe konservativer Kritik. So wurde in dem Artikel „Gruppe 47 der Justiz“42 – in dem vor Wassermann und seinen Anhängern gewarnt wurde – behauptet worden, das Aktionskomitee sei in Anlehnung an die APO gegründet worden und bezeichne sich selbst „bezeichnenderweise“ als Gruppe 47 der Justiz. Tatsächlich nahm der Vergleich jedoch Bezug auf den Schriftstellerkreis, der sich 1947 auf Initiative von H.W. Richter gegründet hatte, um frischen Wind in die Literatur zu bringen43.
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Im Dezember 1968 hatten CDU und SPD einen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht, wonach ein Verdächtiger in Vorbeugehaft genommen werden konnte, wenn bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, dass der Beschuldigte vor rechtskräftiger Aburteilung ein weiteres Verbrechen oder Vergehen gleicher oder ähnlicher Art begehen wird. Nach dem Entwurf sollte dies auf die Delikte Körperverletzung, Diebstahl, Unterschlagung, Raub, Erpressung und Betrug beschränkt sein und dann greifen, wenn eine Freiheitsstrafe von neun Monaten zu erwarten ist. Die Vorschläge der CSU gingen noch weiter. Artikel „Richter als Reformer“ von Hans Peter Bull, Die Zeit vom 13.11.1970. Deutschland-Magazin, Beilage der ASZ vom 22.10.1970. RuP 1996, 206, 207.
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Finanziert hatte sich das Komitee anfangs durch eine Spende in Höhe von 500 DM vom Verlag Luchterhand, weitere 500 DM hat Wassermann aus eigenen Mitteln beigesteuert. Somit konnten Fahrt- und Übernachtungskosten der Mitglieder zunächst übernommen werden.
C) Bundesjustizministerium Noch bevor Wassermann bei Karl Hemfler für den Posten des Landgerichtspräsidenten in Frankfurt endgültig zugesagt hatte, hatte Horst Ehmke, damals Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Wassermann darum gebeten, im Bundesjustizministerium mitzuarbeiten, da dort die Stelle des Ministerialrates Thießmeyer freiwerde. Wassermann hatte zugesagt und in der Folge einen Anruf Hemflers erhalten, dem dies bekannt geworden war. Obwohl Wassermann Hemfler zu verstehen gab, dass er im Ministerium dringend gebraucht werde, hatte Hemfler ihn mit Schreiben vom 9. August 1967 nochmals gebeten, sich nicht zu entscheiden, bevor er mit ihm gesprochen habe44. Als Wassermann gemeinsam mit seiner Familie Urlaub in Bornholm machte, erhielt er ein Telegramm von Horst Ehmke, er solle so schnell wie möglich nach Bonn kommen, um den Eintritt ins Bundesjustizministerium zu besiegeln. In Bonn entwickelte sich ein Gespräch zwischen Wassermann und Minister Heinemann, in welchem Heinemann seine Reformpläne erklärte und Wassermann seine Konzeption einer Justizreform erläuterte. Am Ende des Gespräches war klar, dass Wassermann am 1. September im Justizministerium anfangen würde45. Anschließend traf sich Wassermann in Frankfurt mit Karl Hemfler und informierte diesen. Hemfler sagte zu, den Posten des Landgerichtspräsidenten bis zum Frühjahr freizuhalten. Bis dahin sollte Wassermann im Ministerium die Justizreform vorantreiben46. Zur Ernennung Wassermanns als Ministerialrat war allerdings eine Ausnahme der damaligen Vorschrift des § 33 Abs. 3 Nr. 2b) BLV erforderlich: Wassermann hatte als Kammergerichtsrat bisher keine mindestens einjährige Dienstzeit bei einer obersten Dienstbehörde des Bundes oder eines Landes absolviert, was eigentlich Voraussetzung für eine Ernennung war. Die Begründung zum Formularantrag47, die von Ehmke am 3. Juli 1967 unterzeichnet wurde, verdeutlicht die Anforderungen und den Aufgabenbereich Wassermanns im Ministerium. Hierin heißt es, die vielseitigen und schwierigen Aufgaben, die sich dem Pressereferenten des Bundesministeriums der Justiz stellen würden, 44 45 46 47
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 85. Wassermann in: Demokraten. Profile unserer Republik, S. 144. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 86. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 24.
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würden einen erfahrenen und qualifizierten Juristen erfordern, der zugleich mit den Besonderheiten der journalistischen Praxis vertraut und befähigt sei, die Anliegen der Justiz in der Öffentlichkeit zu vertreten. Er müsse daher nicht nur über die laufenden Gesetzgebungsarbeiten des Ministeriums stets im Bilde sein, sondern habe sich, soweit die Öffentlichkeit interessiert sei, in einzelne Rechtsgebiete einzuarbeiten, um den zahlreichen Journalisten in Bonn umfassend Auskunft geben und sie sachverständig beraten zu können. Zu seinen Aufgaben gehöre es, das Bundesministerium der Justiz in den Pressekonferenzen zu vertreten, sowie die täglichen Publikationen auf breiter Basis auszuwerten. Hauptaufgabe des Pressereferenten sei es, durch Pflege des Kontakts mit der Öffentlichkeit das Vertrauen der Bevölkerung zur Rechtsprechung zu festigen. Hierfür sei Wassermann aufgrund seiner eingehenden Rechtskenntnisse und Bewährung im Richteramt, aber auch aufgrund seiner umfassenden Studien, die sich nicht auf das Gebiet der Rechtswissenschaften beschränkt, sondern sich auch auf die Philosophie, Germanistik, Volkswirtschaft und Soziologie erstreckt hätten, besonders geeignet. Hinzu komme seine journalistische Erfahrung, die er sich durch seine literarische Tätigkeit erworben habe. Er – der Minister – könne Wassermann aber nur dann auffordern, sein Richteramt am Kammergericht aufzugeben, wenn ihm mit der Übernahme in den Bundesdienst das Amt des Ministerialrats verliehen werde. Da Bewerber mit gleicher Qualifikation nicht zur Verfügung ständen, bestehe ein dringendes dienstliches Interesse daran, Wassermann als Pressereferenten für das Bundesministerium der Justiz zu gewinnen. Den Entschluss, zu Heinemann ins Justizministerium zu wechseln, hat Wassermann nach eigenen Worten „nie bereut“48, was auch daran lag, dass sich beide in ihren grundlegenden Anschauungen sehr ähnlich waren. Ähnlich wie Wassermann war auch Heinemann kein Verfechter des Obrigkeitsstaates, was ihn nach der Auffassung Wassermanns dazu befähigte, die Rechtsreformen voranzutreiben49. Die von Wassermann für ihn entworfenen Reden veränderte Heinemann kaum. Falls doch einmal, lag dies darin begründet, dass Heinemann Wassermanns liberale Denkansätze stärker auf christliche Grundhaltungen ausrichten wollte50, wobei Wassermann Heinemanns Gläubigkeit zwar bewunderte, jedoch nicht teilen konnte51.
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Wassermann in: Demokraten. Profile unserer Republik, S. 145. Ebenda, S. 148. Ebenda, S. 145. Ebenda, S. 147.
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Das wichtigste anstehende Projekt52 war die Strafrechtsreform, worüber im Sonderausschuss des Bundestages auf Grundlage der Regierungsvorlage von 1962 beraten wurde. Wassermann vermisste in diesem Entwurf den Grundgedanken einer modernen, an den Werten der Verfassung ausgerichteten Strafrechtskonzeption. Um die Diskussion hierüber zu entfachen, schrieb er einen Aufsatz unter dem Thema „Grundgesetz und Strafrechtsreform“ und stellte ihn Heinemann vor, welcher ihn noch vor Weihnachten 1967 genehmigte. Hierin wird eingangs ausgeführt, dass es bei der Strafrechtsreform nicht darum gehe, die Entwicklung von Rechtsprechung und Rechtslehre seit 1871 in das Strafgesetz einzuarbeiten, sondern darum, die Leitbilder der Bundesrepublik als freiheitlichen, sozialen und demokratischen Rechtsstaates im Gegensatz zu den obrigkeitsstaatlichen gesellschaftlichen Verhältnissen von 1871 auch im Strafrecht zur Geltung zu bringen. Die in Artikel 1 des Grundgesetzes verankerte Menschenwürde verbiete ein Übermaß an strafrechtlichen Sanktionen, weshalb jede Vorschrift darauf zu prüfen sei, ob der von ihr erfasste Sachverhalt nach heutiger Auffassung noch strafwürdig sei. Nicht alles, was sittlich unerlaubt sei, müsse auch bestraft werden, was etwa für Ehebruch und Homosexualität gelte. Aus dem Prinzip der Sozialstaatlichkeit wird anschließend der Resozialisierungsgedanke hergeleitet und von ihm ausgehend die Abschaffung der Zuchthausstrafe, die Einschränkung der Freiheitsstrafe, die Erweiterung der Strafaussetzung, die Einführung einer Verwarnung unter Strafvorbehalt und des Schuldspruchs unter Strafverzicht sowie der Ausbau der Geldstrafe unter Einführung des Tagesbußensystems nach skandinavischem Vorbild gefordert. Der Artikel, welcher unter anderem im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 11. Januar 1968 unter dem Namen Heinemanns erschien, sorgte für erhebliches Aufsehen, und man begann von der „Heinemannschen Rechtsreform“ zu sprechen53. Entsprechend der Grundidee Wassermanns, dass auch Vertreter anderer Wissenschaften und auch Praktiker einbezogen werden müssten, suchte Heinemann das Gespräch mit Wissenschaftlern, Ärzten, Seelsorgern und Leitern von Strafanstalten, um von ihnen Beiträge und Denkanstöße für die Reform des Strafrechts bzw. des Strafvollzuges zu erhalten 54 . Die von Heinemann unter Mitwirkung Wassermanns entfachte Diskussion hatte maßgeblichen Einfluss 52 53 54
Ein weiteres, wichtiges Projekt Heinemanns, die Reform des Nichtehelichenrechts, welches die Stellung unehelicher Kinder verbesserte, wurde noch vor Eintritt Wassermanns ins Bundesjustizministerium verabschiedet. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 94. Ehmke in: Gustav W. Heinemann, Bundespräsident, S. 47.
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auf das Ergebnis der Strafrechtsreform, die im Mai 1969 vom Bundestag verabschiedet wurde. So wurden die Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung erweitert, die Verhängung kurzer Freiheitsstrafen eingeschränkt, die Verwarnung unter Strafvorbehalt eingeführt und sozialtherapeutische Anstalten zur Resozialisierung von Tätern mit Persönlichkeitsstörungen eingeführt. Weiterhin wurde der Anwendungsbereich der Geldstrafe erweitert und durch die Einführung des Tagessatzsystems dafür gesorgt, dass die Strafe bei Einkommensstarken gleichermaßen wie bei Einkommensschwachen wirkt. Im Mai 1969 wurden die Strafvorschriften für Ehebruch, Homosexualität und Sodomie abgeschafft. Ebenfalls abgeschafft wurde das Zuchthaus. Die Verkehrsdelikte wurden zum großen Teil „entkriminalisiert“ und in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten überführt. Letztlich wurde dadurch im Zuge der Strafrechtsreform all das umgesetzt, was in dem Artikel gefordert worden war.
D) Wahlkampf in Schleswig-Holstein Nachdem Wassermann – noch in seiner Position als Präsident des Landgerichts in Frankfurt – dem damaligen SPD-Vorsitzenden Jochen Steffen für einen Ministerposten in dessen Schattenkabinett aufgrund der bereits erfolgten Zusage in Niedersachsen abgesagt hatte, war es neun Jahre später Klaus Matthiesen, der Wassermann erneut für ein Schattenkabinett in Schleswig-Holstein anwerben wollte. Matthiesen erinnerte Wassermann an dessen eigene Forderung, Parteien sollten vermehrt kompetente Seiteneinsteiger aufstellen und sagte ihm, er müsse im Wahlkampf lediglich zweimal auftreten, bei der Präsentation seiner Mannschaft in Kiel und bei einer Großkundgebung mit Helmut Schmidt55. Bei diesen zwei Auftritten sollte es jedoch nicht bleiben. Nachdem Wassermann zugesagt hatte, folgten zahlreiche Wahlkampfauftritte Wassermanns, wobei zwei Themen im Mittelpunkt standen: zum einen die Bürgernähe der Justiz, die Wassermann seit jeher am Herzen lag, zum anderen die Bekämpfung der Jugendkriminalität. Im Zusammenhang mit der Thematik einer bürgernahen Justiz stand auch die in Schleswig-Holstein geführte Diskussion um die von der Regierung Stoltenberg geplante Auflösung kleinerer Amtsgerichte. Entfacht hatte sich die Diskussion in der Auseinandersetzung um das Amtsgericht Kappeln, auf welches Wassermann durch die Schreiben zweier Anwälte aufmerksam wurde, die sich gegen die Auflösung zu wehren versuchten. Der Kappelner Rechtsanwalt und Notar Günther Klüver etwa nahm in einem an die SPD-Fraktion gerichteten Schreiben vom 8. März 197956 Bezug auf eine von Wassermann im NDR-Hörfunk getätigte 55 56
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 547. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 37.
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positive Äußerung über die Arbeit und Bürgernähe kleiner Amtsgerichte und fragte an, ob die SPD-Fraktion einer Korrektur des Aufhebungsbeschlusses positiv gegenüberstehe und eventuell die Initiative für eine Verlängerung der Auflösungsfrist ergreifen würde. Daraufhin fand im Restaurant des Kappelner Hotels „Aurora“ eine Gesprächsrunde mit der Anwaltschaft statt, zu der auch die örtliche Presse geladen worden war57. In einer Presseerklärung58 warf Wassermann Ministerpräsident Stoltenberg vor, seine Erklärung, das Amtsgericht Kappeln werde aufgelöst, habe die Hoffnung zerstört, die CDU habe in der Frage der Gerichtsorganisation dazugelernt, und machte deutlich, dass das Amtsgericht Kappeln im Falle einer durch die SPD bestimmten Justizpolitik erhalten bleibe und er hierfür die Zustimmung sowohl der Regierungsmannschaft Klaus Matthiesens, als auch die des SPD-Fraktionsarbeitskreises habe. Gleiches gelte für die Amtsgerichte Bad Schwartau, Bad Bramstedt, Glückstadt und Kellinghusen. Auch diese Gerichte würden es verdienen, vor der Auflösung bewahrt zu bleiben, wenn man das Wort der Bürgernähe ernst nehme. In einer weiteren – die Amtsgerichte Glückstadt und Kellinghausen betreffenden – Presseerklärung59 führte Wassermann aus, man könne „nicht das Wort der Bürgernähe im Munde führen und gleichzeitig funktionsfähige Amtsgerichte auflösen, die diese Bürgernähe praktizieren“. Die Rückbesinnung auf den Wert räumlicher Bürgernähe gehöre zu einer Politik, für die Justiz kein Selbstzweck, sondern Dienstleistung für den Bürger sei. Zur effektiven Bekämpfung der Jugendkriminalität stellte Wassermann am 23. März 1979 in Kiel das darauf bezogene Schwerpunktprogramm der SPD vor60. Hierin wurde wegen der Komplexität der Thematik eine konzertierte Aktion mit ressortübergreifenden Arbeitsgruppen gefordert, die sich der Verhütung von Jugendkriminalität annehmen sollten 61 . Weiterhin sollte nach schwedischem Vorbild ein „Rat für Verbrechensverhütung“ gebildet werden, der Vorschläge sammeln und Maßnahmen initiieren und koordinieren sollte. In diesem Gremium sollten – neben Vertretern von Verbänden und Institutionen – explizit auch Wissenschaftler vertreten sein. Dem von der Regierung geplanten Neubau einer Justizvollzugsanstalt mit 350 Plätzen wurde abgelehnt. Stattdessen wurden überschaubare Vollzugseinheiten gefordert, bei denen eine Zentralanstalt mit dezentralisierten Anstalten verbunden sein sollte. Durch dieses kombinierte 57 58 59 60 61
Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 555. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 31. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 32. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 8. Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 38.
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Konzept sollte eine „Behandlung im Spezialfall“ und die Wiedereingliederung vor Ort gewährleistet werden. Der Zentralanstalt mit einer Gesamtgröße von maximal 100 bis 150 Plätzen sollten die „Diagnose und Behandlungsplanung“, die „spezielle Therapie (Drogenabhängige, Alkoholkranke, psychiatrische Behandlung)“ und der geschlossene Strafvollzug obliegen. Die Wohngruppen sollten dabei nicht wie von der Landesregierung gefordert aus dreizehn, sondern lediglich aus fünf bis sieben Personen bestehen. Als Alternative zum Jugendarrest sollte ein sozialer Trainingskurs als kurzfristige Maßnahme im Rahmen einer Weisung nach § 10 JGG angeordnet werden können, wobei die Kurse in Schulungs- und Bildungsstätten von sozialpädagogisch geschulten Fachkräften durchgeführt werden sollten. Daneben wurde der Ausbau der Bewährungshilfe, die Stärkung der Jugendrechtspflege62 und eine Förderung der jugendkriminologischen Forschung sowie die Entwicklung von Alternativprogrammen zur stationären Behandlung Jugendlicher gefordert. In der medialen Berichterstattung wurde unter anderem gesagt, dass Wassermann in den „hitzig verlaufenden Wahlkampf“ ein Thema eingeführt habe, das nachdenklich und besonnen stimme63. Die in dem Bericht angesprochene Hitze des Wahlkampfes führte zu einer erneuten Attacke auf Wassermann, die Presseberichte aus der Zeit der Diskussion um die Ernennung Wassermanns als Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig wieder aufgriff, wonach dessen damalige Bewerbung um das Amt des Präsidenten des Oberverwaltungsgerichts in Berlin an seinem angeblichen Eintritt im Jahre 1943 in die NSDAP scheiterte64. Im Deutschland-Magazin65 vom 2. April 1979 hieß es hierzu, der Grund für die Verweigerung der Ernennung Wassermanns sei nicht dessen „unübersichtliche Zick-Zack-Karriere“ gewesen, die an der Universität Halle in der DDR begonnen habe. Es seien auch nicht die für seinen politischen Standort bezeichnenden Buchveröffentlichungen wie „Erziehung zum Establishment“ oder „RichterReform-Gesellschaft“ gewesen. Es seien nicht seine juristisch zweifelhaften, ideologisch dafür aber umso strammeren Bekenntnisse wie „Der moderne Gerichtssaal soll eine soziale Klinik werden“ gewesen und es habe auch nicht daran gelegen, dass er die Tatsache, dass er 1943 in die NSDAP eingetreten sei, bei
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Hier wurden namentlich das Ziel der Verfahrensbeschleunigung, eine gezielte Fortbildung und eine Stärkung des Wiedergutmachungsgedankens genannt. Artikel „Strategie gegen Jugendkriminalität – Soziales Training statt Arreststrafe“ von Hannelore Asmus, Husumer Nachrichten vom 18.4.1979. Siehe Zweiter Teil, Fünftes Kapitel, C). Kommentarspalte „Für Berlin ungeeignet – für Kiel gut genug?“, Deutschland-Magazin vom 2.4.1979.
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seiner Bewerbung verschwiegen habe. Vielmehr habe der damalige Justizsenator Hoppe gegenüber Journalisten erklärt, er könne einen Mann wie Wassermann deswegen nicht mit einem so hohen Amt betrauen, weil ein Eintritt in die NSDAP im Jahre 1943 einen offenbaren Mangel an Intelligenz beweise. Der Beitrag, der eingangs von einer „blamablen Lächerlichkeit“ der Entscheidung für Wassermann spricht, endet darauf mit dem Satz, zum Justizminister reiche es offenbar. Mit Brief vom 8. April 66 unterrichtete Wassermann Klaus Matthiesen über den Artikel und führte hierin aus, er sei 1957 von der Personalverwaltung der Berliner Justiz darauf aufmerksam gemacht worden, dass er im „Document Center“ als Mitglied der NSDAP ausgewiesen werde. Er habe dies nicht angegeben, weil ihm dies nicht bekannt gewesen sei. Er könne sich auch nicht an das Ausfüllen eines Aufnahmeantrages erinnern und habe niemals Beiträge gezahlt. Wie sich seine Aufnahme vollzogen habe, sei ihm daher unklar. Er gehöre zu einem Jahrgang, der offenbar ziemlich geschlossen von der Hitlerjugend in die NSDAP übernommen worden sei. In dem Brief heißt es auch, es sei richtig, dass der damalige Justizsenator Hoppe gegenüber Journalisten bemerkt habe, sein (Wassermanns) Beitritt noch 1943 offenbare mangelnde Intelligenz. Das er (Wassermann) damals 18 Jahre alt gewesen sei, habe Hoppe ebenso verschwiegen wie die Umstände seiner Aufnahme. Als er (Wassermann) die Angelegenheit im Nachhinein – nachdem er davon erfahren habe – richtiggestellt habe, habe sie nicht ihm, sondern Hoppe geschadet. Wassermann äußerte gegen Ende des Briefes seine Auffassung, dass der „schmutzige Kasten“ im Deutschland-Magazin keine Erwiderung verdiene, da dies „das Blatt nur aufwerten würde“. Wassermanns unveröffentlichten Memoiren ist jedoch zu entnehmen, dass er Matthiesen zuliebe doch mit einer scharfen Erklärung geantwortet hat67. Am Wahlabend hatte es schließlich zunächst so ausgesehen, als würde die SPD die Wahl gewinnen, nach dem Einzug der Grünen in den Landtag reichte es dann allerdings doch nicht für die SPD, der nur wenige hundert Stimmen zum Sieg fehlten.
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Siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 16. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 558.
DRITTER TEIL: WASSERMANN ALS HERAUSGEBER, BUCHAUTOR UND PUBLIZIST
Siebtes Kapitel: Wassermann als Herausgeber Schreiben war für Wassermann Teil seiner reformerischen Arbeit. Sei es durch kritische Kommentare in Tageszeitungen zum aktuellen politischen Geschehen und zur Justiz, oder in juristischen Fachzeitschriften: Wassermann wollte durch seine Beiträge stets zum Diskurs einladen und Reformbereitschaft hervorrufen. So stammen mehr als 600 Zeitschriftenaufsätze und Beiträge in Sammelbänden von Wassermann1. Als bedeutsam ist daneben hervorzuheben, dass Wassermann als Autor der Gustav Radbruch Gesamtausgabe den 9. Band2, der sich mit der Strafrechtsreform befasst, bearbeitet hat. Hinzu kommt Wassermanns Tätigkeit als Buchautor und Herausgeber, worüber im Folgenden ein Überblick gegeben werden soll. Als Herausgeber war Wassermann für die Reihe der Alternativkommentare, aber auch für zahlreiche Bücher sowie einige Zeitschriften (mit)verantwortlich.
A) Reihe Alternativkommentare Als die umfangreichste herausgeberische Tätigkeit Wassermanns kann man sicherlich die Reihe Alternativkommentare ansehen, die im Luchterhand Verlag erschienen ist. Nachdem Altverleger Eduard Reifferscheid vom Luchterhand Verlag Wassermann gebeten hatte, sich mit einem BGB-Kommentarprojekt zu befassen, hatte Wassermann statt der üblichen Art von Kommentaren ein Konzept entwickelt, bei dem nicht nur Rechtsprechung und Literatur zusammengefasst wurden, sondern die herrschende Meinung wissenschaftlich einer kritischen Prüfung unterzogen werden und gegebenenfalls nach Alternativen gesucht werden sollte3. In der Folge erschienen Alternativkommentare zum GG, BGB, StGB4, JGG, StVollzG, zur StPO und zur ZPO. Die bedeutendsten Gesetzeswerke waren damit abgedeckt. Wassermann selbst übernahm im Alternativkommentar des Grundgesetzes die Kommentierung von Artikel 19 Abs. 4 GG, der effektiven Rechtsschutz gewähren soll, und der meisten die Rechtsprechung
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Zivier / J.-H. Wassermann, Politik und Justiz im demokratischen Verfassungsstaat, Vorwort S. 8. Erschienen 1992 im Verlag C.F. Müller. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 321. Der Kommentar zum Strafgesetzbuch wurde allerdings nicht vollständig fertiggestellt. Erschienen sind lediglich die Bände 1 (§§ 1–21) und 3 (§§ 80–145d).
https://doi.org/10.1515/9783110682915-009
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Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist
betreffenden Artikel5. Der Sinn des Alternativkommentars im Allgemeinen und die Qualität der jeweiligen Werke im Einzelnen wurden in den jeweiligen Fachzeitschriften vielfach und zum Teil kontrovers diskutiert. In einem unter dem Titel „Die Alternative des Alternativkommentars – Zugleich eine Besprechung des Alternativkommentars zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland“ erschienenen Aufsatz 6 wird – im Hinblick auf den Kommentar zum Grundgesetz im Speziellen – der aus Sicht des Verfassers wenig übersichtliche Aufbau bemängelt und konstatiert, es handele sich um ein Handbuch im Kommentargewande. Am Ende heißt es7: „Insgesamt: eine (sic!) in weiten Teilen wenn nicht unentbehrliche, so doch brauchbare, manchmal ärgerliche, von Anlage und Gewichtung her eher verwirrende, inhaltlich gelegentlich uneinheitliche und unvollständige, häufig indes ganz einfach (wie andere, bereits eingeführte Werke) nützlich-tüchtige Kommentierung des Grundgesetzes, deren „Alternativität“ entgegen bekenntnishaftem Vorsatz und polarisierender Ankündigung nur in Ausnahmefällen auf den Begriff und zur Wirkung gebracht, im übrigen aber so wenig „real existierend“ ist wie des Kaisers neue Kleider. Insofern wird von dem Kommentar insgesamt eine polarisierende Wirkung auf die Staatsrechtslehre nicht ausgehen.“
Mit Blick auf den Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es in einer Rezension8 am Ende zusammenfassend: „Bei dieser Konzeption fehlt vieles, was in anderen Kommentaren steht. Der Entschluß zu dieser Beschränkung ist auch ein Stück Alternative. Einen vierten oder fünften Großkommentar herkömmlicher Anordnung brauchen wir nicht. Der Benutzer muß sich darüber auch klar sein; er muß das Werk bewusst „als eine Alternative und zugleich als notwendige Ergänzung zu den herkömmlichen Kommentaren“ (so das Geleitwort) heranziehen. Dann allerdings wird die Arbeit mit dem „AKBGB“ (Zitiervorschlag der Autoren) wesentliche Einsichten und Anregungen bringen.“
B) Bücher I. Erziehung zum Establishment 1969 im Verlag C.F. Müller erschienen ist das von Wassermann herausgegebene Buch „Erziehung zum Establishment“ mit dem darin enthaltenen gleichnamigen Beitrag Wassermanns, den dieser auf der Tagung „Krise der juristischen Bildung“ in Loccum gehalten hatte9. Alle vier Beiträge des Buches – von denen 5 6 7 8 9
Im Einzelnen die Artikel 92, 95, 96, 97, 98, 99, 101 und 103. Die Artikel 93, 94 und 100 wurden von Alfred Rinken und die Artikel 102 und 104 von Axel Azzola kommentiert. Graf Vitzthum, DÖV 1984, 918 ff. Ebenda, 918, 922. Schneider, MDR 1980, 527. Wassermann, Erziehung zum Establishment, Vorwort.
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drei aus Vorträgen in Loccum stammen – befassen sich dabei mit der Reform der Juristenausbildung und werden im Dokumentationsteil u.a. durch die Loccumer Entschließung sowie die Münchener und Mainzer Beschlüsse der Studienreformkommission ergänzt. In seinem Beitrag kritisiert Wassermann, die juristische Ausbildung sei auf die Vorstellungen und Erwartungen der etablierten Gesellschaft zugeschnitten. An die Stelle des unpolitischen Juristen, dessen Ausbildung durch Ordnung, Disziplin und Sicherheit geprägt sei, fordert er den selbstbewussten Juristen, der politisch bewusst und Veränderungen gegenüber aufgeschlossen sei. Einen Schlüssel sieht er hierbei in der Aufhebung der Trennung zwischen Theorie und Praxis im Rahmen der Ausbildung10.
II. Menschen vor Gericht Zehn Jahre später, im Jahre 1979, gab Wassermann anlässlich des 80. Geburtstages des Verlegers Eduard Reifferscheid in dem von Reifferscheid geführten Verlag Luchterhand das Werk „Menschen vor Gericht“ heraus. Hierin enthalten sind Beiträge von Experten aus den Bereichen Rechtswissenschaft, Kriminologie, Medizin, Psychologie, Soziologie und Sprachwissenschaft. Ziel der Beiträge ist es entsprechend dem Vorwort Wassermanns, herauszufinden, was die Verfahrensbeteiligten wissen bzw. zur Gestaltung eines den Anforderungen des sozialen Rechtsstaats gerecht werdenden Verfahrens beachten müssen 11 . Wassermanns Beitrag steht unter der Überschrift „Justiz mit menschlichem Antlitz – Die Humanisierung des Gerichtsverfahrens als Verfassungsgebot“. Er nimmt eingangs12 Bezug auf eine Ende 1977 veröffentlichte INFAS Untersuchung, die der Frage nachging, was den Bürger davon abhält, von seinem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Gebrauch zu machen. Als Ergebnis der Untersuchung war festzustellen, dass die Dauer der Prozesse, die Unverständlichkeit der Juristensprache und die einschüchternde Atmosphäre bei Gericht – wie auch der Aspekt des unsicheren Ausgangs des Prozesses – hierbei die dominierenden Faktoren waren. Die Justiz müsse daher bürgernäher und menschlicher werden, fordert Wassermann, der die Forderung nach einer Humanisierung des Gerichtsverfahrens nicht nur aus dem Sozialstaatsprinzip, sondern insbesondere auch aus dem sich aus der aus Art. 1 GG ergebenden Verpflichtung zum Schutze der Menschenwürde ableitet 13 . Zur Verbesserung der Kommunikation zwischen Bürger und Gericht fordert Wassermann eine verständlichere Sprache14, die für 10 11 12 13 14
Wassermann, Erziehung zum Establishment, S. 45. Wassermann in: Menschen vor Gericht, Vorwort S. 9. Ebenda, S. 14. Ebenda, S. 22. Ebenda, S. 34.
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den Bürger unverständliche Fachausdrücke – soweit möglich – vermeidet sowie die Einbeziehung der Human- und Sozialwissenschaften in die juristische Ausund Weiterbildung, um die im gerichtlichen Verfahren ablaufenden Kommunikationsvorgänge besser verstehen zu können15.
III. Justiz und Medien Mit dem Verhältnis zwischen Justiz und Medien beschäftigt sich der im Jahre 1980 – ebenfalls im Verlag Luchterhand erschienene – Sammelband „Justiz und Medien“. Wassermanns Beitrag im ersten Kapitel behandelt dabei das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlichkeit angesichts der veränderten sozialen Wirklichkeit in der heutigen Gesellschaft im Vergleich zur bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Im zweiten Kapitel bespricht Wassermann die Notwendigkeit und die Grenzen von Justizkritik. Justizkritik ist nach Wassermann ein notwendiges Korrelat der richterlichen Unabhängigkeit in der gewaltenteilenden Demokratie des Grundgesetzes, das der Rechtsprechung eine herausgehobene und machtvolle Stellung wie nie zuvor eingeräumt habe. Entgegen anderen Auffassungen sei es auch nicht so, dass öffentliche Kritik das Vertrauen in die Justiz untergrabe, da es nicht Aufgabe der Medien sei, das Ansehen bestimmter Einrichtungen zu fördern. Vertrauen verdiene vielmehr nur derjenige, der auch öffentliche Kritik aushalte, wobei er im Anschluss die Grenzen der Justizkritik in strafrechtlicher und zivilrechtlicher Sicht kurz prüft und anmerkt, dass der zivilrechtliche Rechtsschutz praktikabler sei und die früher einmal im Vordergrund stehenden Maßnahmen der Strafverfolgung verdrängt habe16. Eine dem englischen „Contempt of Court“ vergleichbare Strafbestimmung lehnt Wassermann ab und spricht sich hinsichtlich der Grenze der Kritik für einen tragfähigen Konsens zwischen Justiz und Medien aus. Im fünften Kapitel erörtert Wassermann schließlich Probleme der aktiven Öffentlichkeitsarbeit der Justiz17.
IV. Justiz für den Bürger Die in dem Band18 enthaltenen Beiträge sind teils unveränderte, teils überarbeitete Vorträge, die anlässlich des Jubiläumsjahres der Braunschweiger Justiz 1978/1979 gehalten wurden. Im von Wassermann verfassten Vorwort wird die Frage aufgeworfen, ob die bestehenden Strukturen und Normen ein geeigneter 15 16 17 18
Wassermann in: Menschen vor Gericht, S. 30. Wassermann in: Justiz und Medien, S. 40. Ebenda, S. 42. Erschienen 1981 im Verlag Luchterhand.
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Rahmen für die heutige soziale Rechtsordnung – im Verhältnis zur früheren Rechtsordnung – sein können und ob die Praxis imstande sei, den Anforderungen des Übergangs von der bürgerlichen zur sozialen Rechtsordnung gerecht zu werden19. Der mehr als 60 Seiten starke Beitrag Wassermanns gibt eine umfassende Übersicht darüber, was Wassermann unter bürgerfreundlicher Justiz versteht, von der Stärkung der Gerichte der ersten Instanz20 über Rechtsunterricht an den Schulen21, der Verbesserung der Sprache innerhalb der Justiz, die für den Bürger verständlich sein müsse, und einer aktiven Öffentlichkeitsarbeit bis hin zu einer bürgerfreundlichen Gestaltung der Räumlichkeiten in Gerichtsgebäuden. Im Anhang des Bandes findet sich darüber hinaus auch das von Wassermann in Braunschweig herausgegebene Merkblatt „Bürgerfreundliche Justiz“.
V. Recht und Sprache Gemeinsam mit Jürgen Petersen gab Wassermann im Jahre 1983 im Verlag C.F. Müller das Buch „Recht und Sprache“ heraus, in welchem im Wesentlichen Vorträge und Ergebnisse einer Tagung der Evangelischen Akademie in Hofgeismar zu dem genannten Thema zusammengestellt sind 22 . In seinem Beitrag „Recht und Verständigung als Element der politischen Kultur“ stellt Wassermann eingangs dar, dass die Justiz- oder Rechtskultur Teil der politischen Kultur sei, die durch Legalismus23, Richterzentrismus, Verwissenschaftlichung und Bürokratisierung gekennzeichnet sei. Hieraus folge eine Entfremdung des Bürgers vom Rechtswesen. Die Justiz, so fordert Wassermann, muss menschlicher, ver-
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Wassermann in: Justiz für den Bürger, Vorwort S. 9. Am effizientesten und damit am bürgerfreundlichsten ist nach Wassermann ein Prozess, der schon in der ersten Instanz abgeschlossen wird. Wassermann in: Justiz für den Bürger, S. 79. Der Rechtsunterricht soll zwei Ziele erreichen: Einmal soll er den Schülern Verständnis für das Recht als unentbehrlichen Ordnungsfaktor für den Einzelnen und die gesamte Gesellschaft aufzeigen. Zum anderen soll den Schülern durch Vermittlung von Grundkenntnissen eine rechtliche Handlungskompetenz vermittelt werden. An anderer Stelle (S. 76) zitiert Wassermann in diesem Zusammenhang den „Club Jean Moulin“, der formuliert hat, dass es ein demokratisches Rechtssystem nur in einem solchen Land gebe, in dem sich das Volk für die Justiz interessiere, wobei dieses Interesse auch nicht beliebig sein dürfe. Ergänzt werden diese durch Beispiele häufig anzutreffender Kommunikationssituationen vor Gericht und Beiträge einzelner Tagungsteilnehmer zu Einzelaspekten der Verständigung. Mit dem Begriff ist gemeint, dass das soziale Leben bei uns – mehr als in anderen Ländern – durch Gesetze verrechtlicht sei. Wassermann spricht dabei von Normenflut und Perfektionsdrang.
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ständlicher und dem Bürger zugänglicher werden. Beim Thema Verständlichkeit sieht er insbesondere bei der schriftlichen Verständigung mit dem juristisch nicht vorgebildeten Verfahrensbeteiligten, der die juristische, formale und bürokratische Sprache der Justiz oft nicht verstehe24, Verbesserungsbedarf, erachtet aber auch und insbesondere den Sprachstil in der mündlichen Gerichtsverhandlung als wichtig, da hier der Bürger unmittelbar betroffen und seine Handlungskompetenz von den Möglichkeiten zur sprachlichen Verständigung abhängig sei25.
C) Zeitschriften Bereits zu seiner Zeit als Kammergerichtsrat in Berlin war Wassermann Mitherausgeber der bekannten Zeitschrift „Juristische Rundschau“. Die 1965 auf dem Rechtspolitischen Kongress in Heidelberg erstmals herausgegebene Zeitschrift „Recht und Politik“26 wurde bis zum Jahre 1982 finanziell vom Landesverband der SPD Berlin unterstützt und erschien im parteieigenen Kompaß-Verlag, herausgegeben von der Berliner Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen 27 . Nachdem der Berlin Verlag Arno Spitz 1983 nach dem Ausstieg des Kompaß-Verlages die Zeitschrift weiterführte, wurde Wassermann Mitherausgeber. Weiterhin war Wassermann Mitherausgeber der Zeitschrift „Demokratie und Recht“, die seit 1973 im Pahl-Rugenstein Verlag erschien und später im Demokratie und Recht Zeitschriften Verlag fortgeführt wurde, bevor ihr Erscheinen 1993 eingestellt wurde.
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Wassermann in: Recht und Sprache, S. 53. Ebenda, S. 56. Deren Redaktion gehörte Wassermann seit ihrer Gründung an. Anfangs in Zusammenarbeit mit anderen Bezirksarbeitsgemeinschaften.
Achtes Kapitel: Wassermann als Buchautor Aus der Vielzahl der Bücher, die Wassermann im Laufe der Zeit geschrieben hat, sind allen voran „Der politische Richter“, „Der soziale Zivilprozeß“, „Die Zuschauerdemokratie“ und „Vorsorge für Gerechtigkeit“ zu nennen. Im Folgenden soll der Versuch unternommen werden, einen Überblick über Wassermanns wichtigste Werke zu geben, wobei zunächst aufgrund der Fragestellung im vierten Teil auf diejenigen Werke Wassermanns näher eingegangen werden soll, die sich im Kern mit der Thematik der richterlichen Tätigkeit beschäftigen. Danach soll ein Überblick über diejenigen Werke erfolgen, die sich mit der Justiz im Allgemeinen beschäftigen und zuletzt auf die Werke mit dem Themenschwerpunkt Rechtspolitik eingegangen werden.
A) Werke mit dem Blick auf die richterliche Tätigkeit I. Richter, Reform, Gesellschaft Das im Jahre 1970 erschienene Buch „Richter, Reform, Gesellschaft“ enthält Reden und Aufsätze Wassermanns zum Thema Justizreform. Im ersten Beitrag1 führt Wassermann eingangs aus, dem Bürger kämen die Vorteile des geschriebenen Rechts immer weniger zugute und nennt als Gründe die lange Verfahrensdauer, die verschiedenen Gerichtsbarkeiten und Rechtswege mit eigenem Gerichtsverfassungs- und Verfahrensrecht sowie den überlasteten Justizapparat. Im Anschluss gibt Wassermann einen kurzen Überblick über die Geschichte der Reformbestrebungen innerhalb der Justiz, beginnend in den 20er Jahren, bis hin zu den Reformbestrebungen in den 50er und 60er Jahren. Einen maßgeblichen Grund, weshalb es einen „Stillstand der Reform“ 2 gebe, sieht Wassermann in der Haltung der Mehrheit der Richter selbst, die überwiegend skeptisch gegenüber Reformen und Veränderungen seien. Die Reform müsse daher von der Politik betrieben und in der Öffentlichkeit diskutiert werden sowie – wenn eine umfassende Reform nicht möglich sei – auch in Teilschritten vorangetrieben werden. Neben gesetzgeberischem Tätigwerden sei auch praktische Reformarbeit zu leisten, wobei der Einrichtung einer Richterakademie eine wichtige Rolle für den Fortgang der Reform zukommen könne. Entscheidend
1 2
„Justiz zwischen Tradition und Reform. Unsere konservativen Richter“. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 14.
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für die Reform sei auch eine Personalpolitik, die profilierte Persönlichkeiten als Richter hervorbringe, die Veränderungen gegenüber aufgeschlossen seien. Im zweiten Beitrag3 legt Wassermann dar, dass Richter Macht ausübten und daher in einer freiheitlichen Demokratie nicht anonym sein dürften. Das Volk habe einen Anspruch darauf zu wissen, „wie seine Richter beschaffen sind, woher sie stammen, wie sie auf ihr Amt vorbereitet werden, wie sie denken und urteilen“4. Man müsse daher geschichtliche Entwicklung, Sozialstruktur und politisches Bewusstsein bzw. politische Haltung der Richter untersuchen. Hieran anknüpfend stellt Wassermann zunächst dar, dass die Richterschaft in der Weimarer Republik autoritätsgewohnt und autoritätstreu gewesen ist und in der Mehrheit die Weimarer Republik abgelehnt habe. In der folgenden Zeit des Nationalsozialismus habe die große Masse der Richter nicht aus Nationalsozialisten bestanden, jedoch – ausbildungsbedingt – aus unpersönlichen und unpolitischen Rechtstechnikern, und sei deshalb wehrlos gegen den „Ungeist des Nationalsozialismus“ gewesen5. Heutzutage könne zwar von einer Ablehnung der Richterschaft gegenüber der Demokratie keine Rede sein, dies sei aber kein ausreichendes Indiz dafür, dass die Richterschaft ein demokratisches Bewusstsein habe. Bei der Frage, ob die Richter den Anschluss an die politischen und gesellschaftlichen Kräfte der Gegenwart gefunden hätten, führt Wassermann erneut deren konservative Einstellung an, die er in Zusammenhang mit der sozialen Herkunft der überwiegenden Zahl der Richter stellt: einer Untersuchung zufolge stamme jeder vierte Richter aus einer Juristenfamilie und jeder zweite Richter aus einer Beamtenfamilie6. Aus dieser Sozialstruktur folge eine reservierte Einstellung gegenüber der Politik, manche Richter würden sogar glauben, eine Art Standesideologie würde ihnen verbieten, den Raum des Privaten zu verlassen. In einer Demokratie ist aber nach Auffassung Wassermanns – unter Bezugnahme auf Adolf Arndt7 – ein demokratischer Richter notwendig, den es nicht erschreckt, dass er eine politische Persönlichkeit ist8. Der darauf folgende Beitrag9 legt die Gründe für die Notwendigkeit der Richterfortbildung dar. Richterliche Fortbildung, so heißt es, müsse drei aufeinander 3 4 5 6 7 8 9
„Wie demokratisch ist die deutsche Justiz? Zum politischen und sozialen Bewußtsein der Richterschaft“. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 22. Ebenda, S. 25. Ebenda, S. 28. Adolf Arndt, Das Bild des Richters, S. 19. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 31. „Recht – ein lebenslanges Studium. Richterfortbildung als justizpolitische Aufgabe“.
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bezogene Aufgaben erfüllen: zum einen die Erweiterung und Vertiefung fachlichen Wissens und Könnens, zum zweiten die Ergänzung fachlicher Weiterbildung durch die Schaffung eines Bewusstseins für die interdisziplinäre Fortbildung und schließlich die Schaffung eines vertieften Verständnisses für gesellschaftspolitische Probleme. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sollten nach Ansicht Wassermanns die Fortbildungsveranstaltungen der Länder ausgebaut, Tagungen gefördert, örtliche Arbeitskreise ins Leben gerufen und insbesondere eine Richterakademie gegründet werden. Der vierte Beitrag 10 diente Wassermann bei zahlreichen Vorträgen im Jahre 1966 auf Kundgebungen einzelner Landesverbände des Deutschen Richterbundes als Skizze11 und beschreibt die aus Sicht Wassermanns bestehenden Probleme der deutschen Justiz. Zur Lösung dieser Probleme sei ein Stilwandel innerhalb der Justiz durch eine Überwindung obrigkeitsstaatlicher Verhaltensund Denkgewohnheiten notwendig12, aber auch strukturelle Änderungen13 innerhalb der Justiz, wobei Wassermann unter anderem einen vereinfachten und einheitlichen Gerichtsaufbau, die Vereinheitlichung der Verfahrensordnungen und die Übertragung nicht notwendig richterlicher Entscheidungen auf Rechtspfleger fordert. Neben diesen organisatorischen Änderungen sei auch eine verfassungsorientierte Ausgestaltung des Richteramtes notwendig14. Dem Grundgesetz liege ein neues Richterbild zugrunde, welches es zu verwirklichen gelte. In diesem Zusammenhang nennt Wassermann unter anderem die Bedeutung des Abbaus hierarchischer Strukturen, die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit, den Ausbau der Institution der Richterwahlausschüsse, die Stärkung der Rolle der ehrenamtlichen Richter und eine Verbesserung des Kontaktes der Justiz zur Öffentlichkeit. Bei der Verwirklichung dieser Ziele schreibt Wassermann den Richterverbänden eine besondere Funktion bzw. Verantwortung zu. Der anschließende Beitrag15 entstammt einem Vortrag, den Wassermann am 10. März 1967 in der Evangelischen Akademie Loccum gehalten hat und befasst sich mit der richterlichen Urteilsfindung, die nach Wassermanns Ansicht nicht als logischer Prozess im Sinne reiner Subsumtion verläuft, sondern auch von irrationalen Umständen beeinflusst wird. Bereits die Feststellung der dem Urteil 10 11 12 13 14 15
„Programm zeitgemäßer Justizreform. Vorschläge für eine durchgreifende Erneuerung der Rechtspflege“. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 49. Ebenda, S. 56. Ebenda, S. 58. Ebenda, S. 59. „Urteil und Vorurteil bei Gericht. Über die Schwierigkeit, unparteiisch zu sein.“
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zugrundeliegenden Tatsachen falle je nach Persönlichkeit des Richters unterschiedlich aus und werde durch psychologische Faktoren bestimmt. Gleiches gilt nach Wassermann auch bei der Auslegung von Blankettbegriffen sowie sämtlichen Normen, die eine Auslegung zulassen bzw. einer Wertung zugänglich sind16, und schließlich auch bei der Frage des Schuldspruchs als moralisches Werturteil, welches intuitiv gewonnen werde. Bei der Frage der Strafzumessung müsse überhaupt bezweifelt werden, dass diese rational begründbar sei. Er kommt zu dem Ergebnis, durch jedes Urteil scheine die gesamte Richterpersönlichkeit durch17. Im Weiteren führt Wassermann die soziale Herkunft sowie die politische Einstellung der Richterschaft als gewichtige Faktoren richterlicher Entscheidungs- und Urteilsfindung an und nennt als wichtigstes Beispiel18 die Justiz in der Weimarer Republik, die in Staatsschutzverfahren und politischen Prozessen rechts stehende Angeklagte den politisch links stehenden Angeklagten gegenüber bevorzugt habe. Unter Berufung auf den früheren Stuttgarter Oberlandesgerichtspräsidenten Richard Schmid sieht Wassermann den wichtigsten Schritt, solchen Einflüssen entgegenzuwirken, darin, dass sich der Richter dieser Einflüsse überhaupt bewusst wird. Am Ende des Beitrages formuliert Wassermann drei Vorschläge: Zum einen müsse die dargestellte Problematik der Urteilsfindung in Aus- und Fortbildung der Juristen behandelt werden. Weiter müsse die Justiz so organisiert werden, dass der richterlichen Freiheit möglichst viel Entfaltungsspielraum eröffnet wird. Und schließlich müsse die Justiz Diskussionsforen schaffen, um mit den verschiedenen sozialen und politischen Gruppen der Bevölkerung in Kontakt und gegenseitigen Austausch zu treten19. Der sechste Beitrag20 enthält ein Interview Wassermanns, in welchem dieser zur Gesetzesinitiative der CDU/CSU-Fraktion zur Verschärfung der Ordnungsstrafen vor Gericht21 befragt wurde. Wassermann macht hierbei deutlich, dass es aus seiner Sicht einer solchen Verschärfung nicht bedürfe. Provokationen sei mit einer souveränen Verhandlungsführung zu begegnen, bei der der Richter die
16 17 18 19 20 21
Wassermann nennt hier Begriffe wie „Treu und Glauben“ und die Vorschriften §§ 153, 153a StPO, siehe Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 72. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 74. Daneben erwähnt Wassermann die NS-Prozesse, aber auch zivilrechtliche Entscheidungen. Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 85 f. „Man schafft nur Märtyrer. SPIEGEL-Interview zur Frage der Verschärfung der Ordnungsstrafen“. Nach dem Entwurf sollten künftig statt Ordnungsstrafen bis 1000 Mark oder drei Tagen Haft bis zu 10.000 Mark und bis zu sechs Wochen Haft verhängt werden können.
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Machtmittel, die ihm das geltende Recht gebe, zum richtigen Zeitpunkt einzusetzen wisse. Er selbst plädierte in diesem Interview für eine menschliche Verhandlungsführung, die jedoch voraussetze, dass sowohl Angeklagte als auch Zuhörer hierzu bereit seien. Wenn der SDS auf Eskalation aus sei, dann gebe es nur eines – ihn rauszusetzen22. Im letzten Beitrag23 führt Wassermann die bisherigen Erfolge im Bereich der Justizreform an, warnt jedoch vor Zufriedenheit, da die Erfolge auch die Gegner der Reform alarmiert hätten. Im Folgenden führt Wassermann die Auseinandersetzungen um die Mitwirkung der Richterwahlausschüsse, die Erweiterung richterlicher Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsrechte und die Auseinandersetzung über die Richtertitel an und legt dar, weshalb sie zur Demokratisierung der Justiz beitrügen und ein wichtiger Aspekt der Reform seien. In dem Buch seien die wichtigsten Arbeiten wiedergegeben, mit denen Wassermann seine praktische Tätigkeit über die Jahre hinweg theoretisch begründet habe, schreibt Hans-Peter Bull in der Zeit24 und attestiert dem Werk ein wissenschaftlich fundiertes und differenziertes Bild der deutschen Richterschaft, in dem er ein „rational kontrolliertes Engagement für die Reform“ sieht.
II. Der politische Richter Anlass für das Buch „Der politische Richter“ lieferte die Debatte Wassermanns auf dem justizpolitischen Kongress der niedersächsischen CDU im Juli 1971 in Braunschweig 25 . Dort – so Wassermann26 – habe der Sprecher der CDU die Hoffnung geäußert, Wassermann würde seine Ansicht zum politischen Richter im Zusammenhang in Form einer Broschüre entwickeln. Vorausgegangen war der geschilderte Streit 27 um Wassermanns Berufung als OLG-Präsident in Braunschweig, bei dem auch die Diskussion um den politischen Richter eine Rolle gespielt hatte. Als Ausgangspunkt der Auseinandersetzung um den politischen Richter führt Wassermann in seinem Buch das Rehse-Urteil an, zu dem das Aktionskomitee Justizreform die zuvor an anderer Stelle28 beschriebene Stellungnahme abgegeben 22 23 24 25 26 27 28
Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 89. „Politisierung der Justiz? Einwände gegen die Reform“. Artikel „Richter als Reformer“ von Hans Peter Bull, Die Zeit vom 13.11.1970. Wassermann, Der politische Richter, S. 15 f. Ebenda, S. 15 f. Siehe Zweiter Teil, Fünftes Kapitel, C) und D). Siehe Zweiter Teil, Sechstes Kapitel, B).
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hatte. Nachdem so dem Leser Entstehung und Verlauf der Debatte um den politischen Richter bewusst gemacht ist, wird im Folgenden zunächst erklärt, dass die Forderung nach dem politischen Richter überflüssig sei, weil sich die politische Funktion des Richters von selbst verstehe, da auch die Rechtsprechung öffentliche Angelegenheiten gestalte und Einfluss auf die Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen nehme und dabei Macht und Ermessen ausübe29. Als Beispiel richterlicher Macht- und Ermessensausübung beschreibt Wassermann das Richterrecht, welches in der heutigen Zeit unverzichtbar sei, da das Gesetzesrecht die Anforderungen der Bürgerlichen Gesellschaft alleine nicht erfüllen könne, und dessen herausragende Bedeutung er an Beispielen aus zahlreichen Rechtsgebieten, vom Arbeitsrecht bis hin zum Strafrecht, erläutert30. Dennoch gingen von dem von Seiten des Gesetzgebers bewusst in Kauf genommenen und – etwa bei der Schaffung von Blankettnormen – auch verlangten Richterrecht auch Gefahren aus. Insbesondere stelle sich die Frage, von welchen Maßstäben der Richter bei der Ausübung seines Ermessens und der Wahrnehmung seiner Gestaltungsaufgabe auszugehen habe. Hierbei seien das Grundgesetz und die darin enthaltenen Werte heranzuziehen31. Als Auslegungshilfen würden etwa die im Grundrechtsteil statuierten Freiheitsrechte und -garantien, aber auch das Demokratie-, das Sozialstaats- und das Rechtsstaatsprinzip dienen. Die Tatsache, dass die Grundrechte nicht mehr bloß als Abwehrrechte gegenüber dem Staat zu verstehen, sondern auch Teilhaberrechte seien, erfordere einen Ausgleich zwischen den Machtverhältnissen innerhalb der Gesellschaft und die Beseitigung von Chancenungleichheiten. Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts32 führt Wassermann aus, dass etwa das Sozialstaatsprinzip bei der Auslegung nicht nur des Grundgesetzes, sondern auch von einfachen Gesetzen zu beachten sei33. Als weiteres Beispiel zieht Wassermann die Strafjustiz heran, die neben dem Rechtsstaats- auch das Sozialstaatsprinzip zu beachten habe. Durch diese Bindung an das Wertesystem des Grundgesetzes halte sich der „politische Richter“ an das Recht, während man bei denjenigen, die sich bei der Ausfüllung der bestehenden Freiräume von ihren Moralvorstellungen leiten ließen, hieran zweifeln könne34. Der begrenzte Spielraum des Richters und die Bindung an die Werteordnung des Grundgesetzes würden es auch verbieten, vom Richter als Sozialrevolutionär zu sprechen 29 30 31 32 33 34
Wassermann, Der politische Richter, S. 21 f. Ebenda, S. 34 ff. Ebenda, S. 44. BVerfGE 1, 105. Wassermann, Der politische Richter, S. 48. Ebenda, S. 52.
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oder den Begriff der Klassenjustiz zu verwenden35 . Schwierigkeiten, so gibt Wassermann in diesem Zusammenhang zu, bereite allerdings die Bestimmung von Inhalt und Tragweite der Grundrechte und die Festlegung einer „Rangordnung“ der Werte36. In diesem Zusammenhang dürfe der abzulehnende Gesetzespositivismus nicht in Form des Verfassungspositivismus auferstehen. Das Grundgesetz sieht Wassermann nicht als „ablesbare Logarithmentafel“, sondern in Anlehnung an Wiethölter37 als politisch praktische Philosophie38. Erforderlich sei im konkreten Fall eine rationale Entscheidung aufgrund einer Analyse der Auswirkung der Entscheidung im sozialen Zusammenhang unter Heranziehung prognostischer Mittel. Entscheidend sei, dass der Richter auch den Willen habe, diese Prinzipien und Werte zu verwirklichen, und sich dem Staat gegenüber solidarisch fühle. Daran habe es in der Weimarer Republik39 gefehlt. In dieser Zeit hätten sich die Richter als Gegenspieler der Politik verstanden und ein richterliches Prüfungsrecht verlangt, welches sie im Obrigkeitsstaat nie verlangt hätten; dies habe in der Festsetzung eines neuen Währungskurses in der Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. November 1923 einen Höhepunkt erreicht40. Anhand mehrerer Beispiele und Statistiken legt Wassermann dar, wie sehr die Strafgerichte Täter aus dem politisch rechten Spektrum gegenüber Tätern aus dem linken Spektrum bevorzugt hatten, und kommt zu dem Ergebnis, dass die damaligen Richter mit ihren antidemokratischen Einstellungen und ihrem Bekenntnis zum „Unpolitischen“ in höchstem Maße politisch agierten41. In der darauf folgenden Analyse der Justiz der Bundesrepublik hält Wassermann eingangs fest, dass antidemokratische Positionen in der Justiz nicht mehr vorhanden seien. Damit sei aber noch nicht gesagt, dass die deutschen Richter auch ein demokratisches Bewusstsein besäßen. In der Adenauer-Ära habe sich die Bundesrepublik als „halbautoritärer Staat“ präsentiert, in welchem Kontinuität herrschte42. Diesem im Grunde unpolitischen System habe sich die Justiz hervorragend anzupassen vermocht und es schien – so Wassermann – „Geist von
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Wassermann, Der politische Richter, S. 53. Ebenda, S. 56. Wiethölter in: Erziehung zum Establishment, S. 24. Wassermann, Der politische Richter, S. 56. Siehe zur Justiz in der Weimarer Republik und dem Vergleich zur Justiz in der Bundesrepublik auch das im Verlag Luchterhand erschienene Werk Wassermanns mit dem Titel „Ist Bonn doch Weimar?“ und dem Untertitel „Zur Entwicklung der Justiz nach 1945“. Wassermann, Der politische Richter, S. 60. Ebenda, S. 69 f. Ebenda, S. 72.
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ihrem Geiste“ zu sein43. Die im Rahmen der Spiegel-Affäre geführte öffentliche Diskussion um die Pressefreiheit sowie die scharfe Kritik an der Untersuchungshaftpraxis, die 1964 zur sogenannten „kleinen Strafprozessreform“ führte, bezeichnet Wassermann als „Tauwetter“, in dem auch die Justiz in Bewegung gekommen sei und in dem selbstkritische Richter Diskrepanzen zwischen Verfassungsauftrag und Wirklichkeit der Justiz entdeckt hätten44 . Die folgenden Jahre werden als Liberalisierungsperiode beschrieben, in der die Justiz versucht habe, sich auf die offene Gesellschaft einzustellen45. Studentenunruhen und der Machtwechsel in Bonn durch die sozialliberale Koalition hätten dann jedoch zu starker Verunsicherung geführt, zudem habe die Opposition starke Polarisierung betrieben und die Furcht vor Veränderungen genährt. Dieser Zwiespalt zwischen demokratischen Ansätzen und dem Beharren auf überkommenen Standpunkten habe sich auch in der Rechtsprechung widergespiegelt. Der Feststellung Richard Schmid, die Neigung der Justiz, das Verhältnis zwischen Staat und Bürger von der Perspektive des Staates aus zu lösen, stimmt Wassermann explizit zu und stellt weiterhin fest, dass die Rechtsprechung keineswegs allgemein erkannt habe, dass unter dem Grundgesetz das wahre Staatsinteresse in der Freiheit der Bürger und ihrer Mitwirkung am öffentlichen Leben bestehe 46 . Wassermann kommt zu dem Ergebnis, dass sich Gerichtsentscheidungen vielfach nicht mit naheliegenden verfassungsrechtlichen Fragestellungen auseinandersetzen würden und stellt dar, dass die Präferenz für die Staatsräson zwar im Obrigkeitsstaat legitim gewesen sei, nicht aber in einem System, in welchem der Mensch im Mittelpunkt der Werteordnung stehe. Weiterhin nennt Wassermann ein nach seiner Ansicht bestehendes Manko an Sozialstaatlichkeit in der Rechtsprechung und die Zurückhaltung bei der Kontrolle wirtschaftlicher Macht47. Als Katalysator für die Liberalisierung bzw. Humanisierung des Verhandlungsstils vor Gericht werden die Demonstrationsprozesse genannt, während das elitäre Bewusstsein vieler Richter ein Handicap sei. Ein „reduziertes Demokratieverständnis“ sieht Wassermann auch in der mangelnden Fähigkeit der Justiz begründet, mit öffentlicher Kritik umzugehen48. Die in der Mehrzahl zur Mittelschlicht gehörenden Richter besäßen ein Gesellschaftsbild, das sie Werten wie Sicherheit und Ordnung verpflichte, weshalb sie den „status quo“ bewahren wollten und Veränderungen gegenüber nur in begrenztem Maße offen 43 44 45 46 47 48
Wassermann, Der politische Richter, S. 72. Ebenda, S. 73. Ebenda. Ebenda, S. 74 f. Ebenda, S. 76 f. Ebenda, S. 79.
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seien49. Als Kernelement reformerischer Konsequenzen nennt Wassermann die Reform der Juristenausbildung50 und hierbei allem voran die Integration der Sozialwissenschaften in die Ausbildung sowie den Abbau hierarchischer Strukturen innerhalb der Justiz 51 . Gleichzeitig werfe die politische Funktion des Richteramtes aber auch verfassungspolitische Fragen auf. Zwar werde hierdurch das Gewaltenteilungsprinzip nicht verletzt, materiell gesehen bestehe jedoch eine Konkurrenz zwischen Judikative und Legislative, die die Justiz dort zur Zurückhaltung verpflichte, wo die Verfassung, wie etwa in Art. 6 Abs. 5 Grundgesetz, der Legislative ausdrücklich Gesetzgebungsaufträge erteilt habe. Weiterhin könne die Frage der Kontrolle nicht umgangen werden, wenn der Richter anstelle des Gesetzgebers soziale Verhältnisse gestalte. Ein Mittel hierzu sei die durch das Grundgesetz und in fast allen Landesverfassungen geschaffene Richteranklage, die der erhöhten politischen Verantwortlichkeit des Richters Rechnung trage52. Im Übrigen misst Wassermann den Massenmedien eine wichtige Kontrollfunktion bei, deren Kritik auch Hilfe für die Justiz sein und zu einem Dialog führen könne. Hier sei von Seiten der Justiz allerdings Transparenz von Nöten: Der politische Richter habe seine Erwägungen offen darzulegen und bei bestehenden Freiräumen zu begründen, warum er so und nicht anders entschieden habe. Oft jedoch würden begriffliche Argumentationen verschleiern, dass es sich in Wahrheit um politische Entscheidungen handelt. Als wichtigen Schritt zu mehr Transparenz nennt Wassermann in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung abweichender Voten bei den Kollegialgerichten53. Einen weiteren wichtigen Aspekt der Reform sieht Wassermann in der demokratischen Legitimation des Richters, den er unter dem Blickwinkel der Anstellung und Beförderung diskutiert. In einer Demokratie sei die Richterwahl durch das Volk oder dessen Repräsentanten die „natürlichste Sache der Welt“, insbesondere, wenn sich der Richter seiner politischen Funktion bewusst sein solle54. Da eine unmittelbare Wahl bereits an praktischen Gesichtspunkten scheitern müsse, spricht Wassermann sich für parlamentarische Richterwahlausschüsse aus, bei denen Vertretern der Richterschaft kein Mitbestimmungsrecht, aber ein Anhörungsrecht bei Einstellungen und Beförderungen eingeräumt werden könne55. Gegen Ende greift Wassermann nochmals immer wieder geäußerte Bedenken gegen 49 50 51 52 53 54 55
Wassermann, Der politische Richter, S. 82. Ebenda, S. 83 ff. Ebenda, S. 87 f. Ebenda, S. 92. Ebenda, S. 94. Ebenda, S. 97. Ebenda, S. 100.
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den politischen Richter auf: zum einen das Bedenken, das NS-Regime beziehungsweise die DDR hätten gezeigt, wie gefährlich politisch handelnde Richter für die Gesellschaft werden könnten, zum anderen die Gefahr des Einzugs von Parteipolitik und Ämterpatronage. Erstgenanntem Bedenken tritt Wassermann damit entgegen, dass die Werteordnung des Grundgesetzes der Verpflichtung zu Freiheitlichkeit, Humanität und Selbstbestimmung, richterlicher Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht mit dem NS-System oder dem Regime der DDR vergleichbar sei. Den Bedenken des Einzuges von Parteipolitik entgegnet er, der Begriff des politisch bewussten Richters schließe keineswegs Parteizugehörigkeit ein. Im Übrigen komme den Parteien in der Bundesrepublik eine herausragende Rolle zu, auch gebe es in Deutschland keine Kaderparteien, weshalb es abwegig sei zu glauben, Richter als Parteimitglieder seien verpflichtet, ihre Rechtsprechung an Parteimaximen auszurichten56. Soweit die innere Unabhängigkeit des Richters in Gefahr gesehen werde, sei interessant, dass dies nur gegen politische Parteien vorgebracht werde, nicht aber gegen andere Einflüsse, etwa die von Religionsgemeinschaften. Die Problematik der inneren Unabhängigkeit sei ernst zu nehmen, aber nicht durch „den Rückzug in den Elfenbeinturm“ zu lösen57. Der Richter müsse die Gesellschaft kennen, in der er richten solle. Für die Fälle, in denen das politische Engagement Zweifel an der Unparteilichkeit begründen könne, gebe es die Ablehnung wegen Befangenheit. Die zuletzt genannte Gefahr der Ämterpatronage will Wassermann wie jede andere Form der Patronage bekämpfen, sie sei aber eben auch nicht gefährlicher als andere Formen der Patronage. Sie sei im Gegenteil transparenter, da das Fördern von Parteimitgliedern publik und damit kritikfähig würde58. Fachlich unqualifizierte Mitglieder zu fördern, könne man sich daher kaum leisten. Am Ende des Buches wird festgehalten, dass eine so verstandene Politisierung als Bildung eines demokratisch-politischen Bewusstseins nicht vom Gesetzgeber verordnet werden könne, sondern das Resultat eines Lernprozesses sei.
III. Die richterliche Gewalt; Macht und Verantwortung des Richters in der modernen Gesellschaft In diesem im Jahre 1985 erschienenen Band, der aus Veröffentlichungen und Vorträgen Wassermanns hervorgegangen ist, wird dem Leser richterliche Tätigkeit und richterliche Machtausübung näher gebracht und gleichzeitig aufgezeigt, worin die Chancen, aber auch die Risiken derartiger Machtausübung liegen. Dabei legt Wassermann zunächst dar, dass der Richter aufgrund der Entwicklung 56 57 58
Wassermann, Der politische Richter, S. 109. Ebenda, S. 110. Ebenda, S. 113.
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vom liberalen zum sozialen Rechtsstaat immer mehr politische Entscheidungen fällen müsse. Für den Richter selbst bedeute dies zunächst, dass er sich seiner Funktion bewusst werden müsse und sich in seinen Entscheidungen nicht von eigenen Werten oder Interessen leiten lassen, sondern als Richtschnur dort, wo das Gesetz keine eindeutige Antwort liefere, stets die Verfassung im Blick haben solle59. Im Anschluss hieran erörtert Wassermann die Problematik der politischen Funktion richterlicher Tätigkeit im Zusammenhang mit dem System der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung. Dabei erklärt er, dass die Gestaltung der Gesellschaft im Gesamten dem Gesetzgeber, nicht aber dem Richter obliege. Habe etwa der Gesetzgeber vor kurzer Zeit erst ein neues Gesetz beschlossen, so verbiete es die Achtung vor der Gewaltenteilung den Gerichten, Ziele und Interessenabwägung dieser neuen Regelung zu unterlaufen. Darüber hinaus ziehe der Wortsinn des Gesetzes vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Gesetzesbindung der richterlichen Rechtsetzung Grenzen. Die Gefahr, dass die politische Funktion richterlicher Tätigkeit das System der modernen verfassungsstaatlichen Demokratie sprenge, sieht Wassermann als umso geringer an, je strenger die von ihm aufgezeigten Grenzen beachtet würden. Als Möglichkeit der Kontrolle richterlicher Macht nennt Wassermann an dieser Stelle erneut das Institut der Richteranklage60. Im zweiten Kapitel beschäftigt sich Wassermann mit der Justizkonzeption des Grundgesetzes und ihrer Verwirklichung, wobei er zunächst darlegt, dass die Hervorhebung der rechtsprechenden Gewalt im Grundgesetz eine bewusste Willensentscheidung der Verfassungsväter gewesen und damit ein „neuer Richtertyp“ angestrebt worden sei, welcher sich vom „alten Beamtenrichter“ grundlegend unterscheide61 . Mit Artikel 92 Grundgesetz, der das Richteramt personalisiere, habe das Grundgesetz mit der Abkehr von der behördlichen Anonymität einen entscheidenden Schritt auf dem Weg zum neuen Richtertyp vollzogen. Wassermann legt dar, dass die Väter des Grundgesetzes den Richter aus seiner „überkommenen Verbeamtung“ 62 herauslösen wollten und analysiert, weshalb diese Konzeption des Grundgesetzes nicht Wirklichkeit geworden sei. Er erwähnt jedoch auch die aus seiner Sicht bestehenden Erfolge der inneren Veränderung der Justiz, welche sich in einem Attitüdenwandel widerspiegelten63.
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Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 14. Ebenda, S. 21 f. Ebenda, S. 34. Ebenda, S. 41. Ebenda, S. 45.
100 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist Hieran anschließend werden dem Leser nach einem kurzen Überblick über Geschichte und Entwicklung der richterlichen Unabhängigkeit zunächst die Begrifflichkeiten der sachlichen Unabhängigkeit64 und der persönlichen Unabhängigkeit65 des Richters näher gebracht. Ergänzend hierzu diskutiert Wassermann Abhängigkeiten des Richters, welche nicht mit der staatlichen Sphäre in Verbindung stehen und die er unter dem Stichwort der „inneren Unabhängigkeit“66 zusammenfasst, wobei er unbewusste Beeinflussungen durch Herkunft, Erziehung und berufliche Sozialisation von gezielten Einflussnahmen aus dem gesellschaftlichen Bereich unterscheidet. Wassermann vertritt hierbei die Auffassung, dass der Richter innere Unabhängigkeit nicht durch einen Rückzug aus dem gesellschaftlichen Leben erreichen könne, da damit die Gefahr einhergehe, dass er seine eigenen Wertvorstellungen absolut setze. Erforderlich sei vielmehr, dass sich der Richter mit den gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit auseinandersetze. Dies schließt aus seiner Sicht auch eine parteipolitische Betätigung nicht aus. Gleichzeitig diskutiert Wassermann an dieser Stelle jedoch auch die Frage, welche Beschränkungen das öffentliche Auftreten von parteipolitisch aktiven Richtern zu erfahren habe. Die Antwort hierauf sei im richterlichen Dienstrecht zu finden, wobei § 39 des deutschen Richtergesetzes genannt wird, der bestimmt, dass sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Wassermann ist der Auffassung, dass es besser sei, an dieser Stelle statt von „Unabhängigkeit“ von „Unparteilichkeit“ zu sprechen 67 . Im Zusammenhang mit rechtspolitischen oder allgemeinpolitischen Äußerungen des Richters bestehe eine Treuepflicht gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes. Im Übrigen lege § 39 des deutschen Richtergesetzes dem Richter ein Mäßigungs- bzw. Zurückhaltungsgebot auf, welches keine hart ausgetragenen Auseinandersetzungen verbiete, dem Richter jedoch die Verpflichtung auferlege, sich nicht in aufhetzender bzw. andere Personen verletzender Weise zu betätigen68. In diesem Zusammenhang fordert Wassermann, der Frage der Verantwortungsethik mehr Bedeutung beizumessen, welche auch bei außeramtlichem Verhalten
64 65 66 67 68
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 70 ff. Ebenda, S. 80 ff. Ebenda, S. 85. Ebenda, S. 89. Ebenda, S. 90.
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des Richters eine Rolle spiele. Der Richter dürfe sich danach nicht mit der Gesinnungsethik begnügen, sondern habe die voraussehbaren Folgen seines eigenen Verhaltens in sein Handeln miteinzubeziehen. Einflussnahmen auf die richterliche Unabhängigkeit aus dem gesellschaftlichen Raum diskutiert Wassermann unter den Stichworten „Justizkritik“ und „Einflussnahme gesellschaftlicher Organisationen“. Die öffentliche Kritik an richterlichen Entscheidungen sei auch unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zu sehen und damit als Korrektiv richterlicher Macht legitimiert. Ihre Grenze habe diese Kritik allerdings in den in Art. 5 Abs. 2 GG genannten Schranken zu finden. Im Übrigen bestehe nach journalistischer Berufsethik der Grundsatz, dass Justizkritik stets in der Sphäre der Diskussion verbleiben müsse und Vorverurteilungen sowie eine einseitige abschließende Stellungnahme in den Medien während schwebender Verfahren im Interesse des Schutzes der richterlichen Unparteilichkeit und seiner inneren Unabhängigkeit nicht erfolgen dürfen. Die gleichen Grundsätze sollten nach Wassermanns Dafürhalten auch für die gesellschaftlichen Organisationen und Verbände gelten69. Als Schwäche der bisherigen Diskussion über die richterliche Unabhängigkeit bezeichnet Wassermann die Beschränkung auf den normativen Bereich. Dadurch habe man den sich aus dem Prinzip der Leistungsbeförderung ergebenden Zwang und damit die psychologische Seite der inneren Unabhängigkeit übersehen. Wassermann erwähnt hierbei die dem preußischen Justizminister Leonhardt zugeschrieben Worte, er gewähre den Richtern ruhigen Gemüts das Gegenrecht der Unabsetzbarkeit, solange er die Befugnis zur Ernennung und Beförderung habe, „schließlich wolle doch niemand gern sein Leben lang Amtsrichter auf einem abgelegenen Dorf oder in einer gottverlassenen Kleinstadt bleiben“ 70 . Zwar erachtet Wassermann eine komplette Beseitigung des Beförderungswesens und damit einhergehend eine Umorganisation und Entbürokratisierung der Rechtspflege allein aufgrund der hohen Zahl der Richter als utopisch, sieht jedoch den Hinweis, dass die Eingliederung des Richteramts in ein System der Über- und Unterordnung mit der Konzeption der richterlichen Unabhängigkeit nicht vereinbar sei, als nach wie vor berechtigt an. Allerdings, so Wassermann, dürften die vom institutionellen Umfeld des Richters ausgehenden Beschränkungen nicht ausschließlich negativ betrachtet werden, da damit auch ein notwendiger Stabilisierungsfaktor innerhalb der Rechtsprechung einhergehe und
69 70
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 93. Ebenda, S. 95.
102 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist ein elementares gesellschaftliches Bedürfnis nach einem gewissen Grad von Einheitlichkeit vergleichbarer Entscheidungen bestehe71. Im vierten Abschnitt des Buches beschäftigt sich Wassermann mit den ehrenamtlichen Richtern, deren Beteiligung an der Rechtspflege er mit dem Demokratieprinzip verknüpft sieht und die er historisch damit erklärt, dass der Laienrichter ursprünglich als präsente Öffentlichkeit gedacht war. Durch ihn sollte die Öffentlichkeit „bis ins Beratungszimmer und in die nicht öffentlichen Sitzungen ausgedehnt werden“ und damit das Vertrauen in die Rechtspflege gestärkt werden72. Nachdem das monarchisch-konstitutionelle System jedoch vom demokratisch-parlamentarischen System abgelöst worden ist, stellt sich nach Wassermann die Frage, ob diese Art der Kontrolle noch notwendig sei. Seiner Ansicht nach scheitert die Verwirklichung des Kontrollprinzips in der Praxis daran, dass die ehrenamtlichen Richter kaum in der Lage seien, ihre Kontrollfunktion effektiv wahrzunehmen und die Kontrolle der Rechtsprechung in der heutigen Zeit weit wirkungsvoller von den Medien ausgeübt werde. Im Zusammenhang mit dem demokratischen Prinzip sieht er die Beteiligung von Laienrichtern jedoch nach wie vor als wichtig an, da Demokratie in der heutigen Zeit nicht nur Repräsentation, sondern auch Partizipation bedeute, weshalb Bürgerbeteiligung an der Rechtspflege „ein Stück partizipatorischer Demokratie“ sei73. In der Praxis sieht Wassermann den Laienrichter auch deswegen als wertvoll an, weil er den Berufsrichter dazu zwinge, seine eigenen Überlegungen für den Laien verständlich auszudrücken, was zu einer bürgernäheren Justiz führe und womit eine gewisse Plausibilitätskontrolle einhergehe. Für Wassermann besteht daher kein Anlass, an der Institution des Laienrichters zu zweifeln. Allerdings müsse mehr unternommen werden, damit Laienrichter ihrer Funktion auch tatsächlich und effektiv nachkommen könnten. Zwar solle der Schöffe kein „MiniJurist“ werden, aber er müsse durch kontinuierliche Schulung die Informationen erhalten, die er benötigt, um seine Aufgabe als ehrenamtlicher Richter erfüllen zu können74. Daneben fordert Wassermann, dass die Berufsrichter die ehrenamtlichen Richter auch als gleichberechtigte Partner akzeptieren, und dass sich das Verfahren zur Auswahl der ehrenamtlichen Richter von Proporzgesichtspunkten kommunaler Vertretungskörperschaften hin zur Auswahl qualifizierter Persönlichkeiten entwickelt75. 71 72 73 74 75
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 98. Ebenda, S. 112. Ebenda, S. 114. Ebenda, S. 120. Gemäß § 36 des Gerichtverfassungsgesetzes stellt die Gemeinde in jedem fünften Jahr eine Vorschlagsliste für Schöffen auf. Für die Aufnahme in die Liste ist die Zustimmung
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Mit der Frage, wie der Richter zu seinem Urteil gelangt und welche Faktoren diese Entscheidungsfindung beeinflussen können, beschäftigt sich Wassermann im darauffolgenden Abschnitt76. Die richterlichen Entscheidungen kämen nicht durch schlichte Subsumtion von Gesetzen zustande, vielmehr sei bereits die Tatsachenfeststellung, also der dem Urteil zugrundeliegende Sachverhalt, von der Überzeugung des Richters, und damit von außerrechtlichen Faktoren abhängig. Bei den außerrechtlichen Faktoren unterscheidet er zwischen gesellschaftlichen Faktoren und persönlichen Faktoren. Wichtige gesellschaftliche Faktoren seien etwa, ob die Rechtskultur eines Landes vom Gesetzesrecht oder vom Richterrecht geprägt sei, welche Stellung der Richter in der sozialen und politischen Ordnung habe, ob Richter – wie im angelsächsischen Rechtskreis – aus dem Anwaltsberuf heraus mit entsprechend höherer Lebenserfahrung oder aber unmittelbar im Anschluss an die Ausbildung rekrutiert würden77, und schließlich, welches Rollenbild der Richter von seiner eigenen Tätigkeit und welches Gesellschaftsbild er habe78. Als wichtigen psychologischen Aspekt bei der Urteilsfindung beschreibt Wassermann das Rechtsgefühl, worunter er das private Gefühl des Richters für das „richtige“ Urteil versteht. Insofern sieht Wassermann auch die Intuition als wichtigen Faktor an, weil der Richter schon bei der ersten Kenntnisnahme des Falles zu einem „summarischen Urteil“ gelange, welches die Gefahr in sich trage, dass der Richter im weiteren Verlauf unbewusst zur Bestätigung dieses ersten Urteils tendiert, indem er alle dieses summarische Urteil verstärkenden Faktoren beachtet und entgegenstehende Faktoren unterbewertet. Diese ihn möglicherweise beeinflussenden Faktoren müsse sich der Richter bewusst machen, um von der unbewussten zur „bewußten Urteilstätigkeit“ zu gelangen79. Neben dieser Erkenntnis müsse der Richter aber auch Verantwortung für das Ergebnis seiner Urteilsfindung übernehmen und in seinem Urteil offenbaren, wie er zu seinem Urteil gelangt ist. Nachdem Wassermann im folgenden Abschnitt einen Überblick über die verschiedenen Befangenheitsgründe gegeben hat, beschäftigt er sich im letzten Abschnitt mit der Frage der Machtausübung in der Gerichtsverhandlung. Weil das Gericht das Verhalten der Verfahrensbeteiligten steuern könne, sei es gerechtfertigt, von einem Machtver-
76 77 78 79
von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Gemeindevertretung, mindestens jedoch der Hälfte der gesetzlichen Zahl der Mitglieder der Gemeindevertretung erforderlich. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 127 ff. Ebenda, S. 139. Ebenda, S. 145. Ebenda, S. 153.
104 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist hältnis zu sprechen. Verfahrensrechtlich komme dem Richter die Dispositionsmacht über Ablauf und Zeit des Prozesses zu, darüber hinaus bestimme er die Gesprächsführung. Eine womöglich noch stärkere Wirkung entfalte jedoch die Tatsache, dass dem Richter letztlich die Entscheidungsmacht zukomme und der Betroffene sein Verhalten danach ausrichte, das Gericht günstig zu stimmen80. Hinzu trete die Professionalität des Richters als ein weiterer Faktor der Überlegenheit gegenüber dem Bürger als juristischer Laie81. Dieser „Professionalitätsvorsprung“ wirke sich umso mehr aus, je wissenschaftlicher das Recht und je komplizierter das Verfahren sei82. Letztlich werde auch durch die Amtssprache bewusst oder unbewusst Macht ausgeübt, da diese von Angehörigen der Unterschicht und selbst von gebildeten Nichtjuristen aus der Mittelschicht kaum verstanden werde 83 . Es sei daher notwendig, das bestehende Machtgefälle zu reduzieren sowie eine partnerschaftlich ausgestaltete Kommunikation zu entwickeln und die durch Disparitäten Benachteiligten im Rahmen richterlicher Kommunikationsverantwortung kompensatorisch zu fördern. Unter dem Stichwort „Vermenschlichung des Gerichtsverfahrens“ beschreibt Wassermann dann die Strategie der drei großen K – Kooperation, Kommunikation und Kompensation – und die zu ihrer Umsetzung entwickelten Ansätze84. Die in juristischen Fachzeitschriften erschienenen Rezensionen zu diesem Werk waren positiv, wenn auch der frühere Präsident des Bundesverwaltungsgerichtes Sendler in seiner Buchbesprechung85 schreibt, „daß das Ganze ein wenig mit der heißen Nadel genäht sein dürfte, manche Belegstellen nicht stimmen und Verweisungen innerhalb des Buches nahezu ausnahmslos in die Irre führen“. Allerdings müsse man nicht unbedingt auch noch die Fußnoten lesen und überprüfen, und von diesen kleinen Mängeln abgesehen lohne die Lektüre auf jeden Fall. So bezeichnet es Sendler als verdienstvoll, die Macht des Richters zum Gegenstand einer Betrachtung zu machen und die mit dieser Macht verbundenen Gefahren zu verdeutlichen. Das Buch enthalte keine systematische Darstellung, die Gefahr laufe, nur „klapperndes Handwerk“ zu werden, sondern umkreise das Thema in sieben Beiträgen, wobei verschiedene Aspekte herausgegriffen würden und am Ende ein plastisches Bild entstehe. Man freue sich, wie abgewogen,
80 81 82 83 84 85
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 191. Ebenda. Ebenda, S. 192. Ebenda, S. 194. Ebenda, S. 198. Sendler, ZRP 1985, 284.
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praxisbezogen und nüchtern Wassermann zu Werke gehe. Sendler selbst attestiert Wassermann denn auch Übereinstimmung in allen wesentlichen Punkten. Auch Spanner kommt in seiner Rezension im Deutschen Verwaltungsblatt zu einem positiven Ergebnis und lobt, dass das Buch nicht nur für diejenigen, die den Richterberuf ergreifen wollten, sondern auch für bereits praktisch tätige Richter wertvoll sei und sich aufs Beste mit dem Werk „Vorsorge für Gerechtigkeit“ ergänze86.
B) Betrachtungen zur Justiz Sowohl in dem 1974 erschienenen Werk „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ als auch in dem vier Jahre später auf den Markt gekommenen Buch „Der soziale Zivilprozeß“ knüpft Wassermann an den Gedanken an, den er bereits in seinem Werk über den politischen Richter näher erläutert hat, nämlich dass das Recht Mittel zur Gestaltung des Soziallebens sei und dem Richter bzw. der Justiz daher auch eine politische Funktion zukomme. Hiervon ausgehend betont Wassermann in besonderem Maße das Sozialstaatsprinzip als Maßgabe für Organisation und Handlungen der Justiz im Allgemeinen und der Gestaltung des Zivilprozesses im Besonderen. So ist dem Thema der Chancengleichheit vor Gericht in „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ ein eigener Abschnitt gewidmet87, während es Wassermann in seinem Werk „Der soziale Zivilprozeß“ insbesondere darum geht, aufzuzeigen, dass es in einem sich an der sozialen Wirklichkeit orientierenden Verfahren notwendig sei, den Grundsatz der Dispositionsmaxime zu durchbrechen und sich stärker der von ihm so bezeichneten Kooperationsmaxime zuzuwenden. Die Dispositionsmaxime benachteilige nämlich häufig den sozial Schwächeren, der sich keinen Anwalt leisten könne und daher beispielsweise nicht wisse, dass ihm etwa die Einrede der Verjährung zusteht. Daher sei die ZPO im Lichte des Sozialstaatsprinzips zu interpretieren und es müsse dem Richter gestattet sein, die rechtsunkundige Prozesspartei auf dieses Recht hinzuweisen und dadurch Chancengleichheit überhaupt erst herzustellen88. In „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ bezeichnet Wassermann dies als den „sozialstaatlichen Ansatz“, der die Diskrepanz zwischen rechtlicher Gleichheit und sozialer Ungleichheit, wie sie für den altliberalen Rechtsstaat charakteristisch sei, ausgleichen wolle89. In diesem Zu-
86 87 88 89
Spanner, DVBl 1986, 1070 f. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 134 ff. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 119. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 89.
106 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist sammenhang gebraucht Wassermann ein weiteres Schlagwort, das der „kompensatorischen Verhandlungsführung“90. Diese verstößt nach seiner Auffassung nicht gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes, sondern stelle die tatsächliche Waffengleichheit der Parteien vor Gericht überhaupt erst her. Im Gebiet des Strafrechts setzt sich Wassermann in „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ ein für eine Entmythologisierung des Strafrechts, eine Abkehr von der „metaphysischen“ Strafgerechtigkeit und der Vergeltungstheorie und eine Hinkehr zu der Frage, welchen „innerweltlichen“ Sinn das Strafen in unserer Gesellschaft hat91. In diesem Zusammenhang verweist Wassermann darauf, dass Kriminalität häufig das Ergebnis fehlgeschlagener Sozialisationsprozesse sei. An dieser Stelle kommt dann erneut das Sozialstaatsprinzip zum Tragen, dessen Durchsetzung für ihn eine der großen kriminalpolitischen Aufgaben der damaligen Zeit war92. Wenn die Gesellschaft für die Entstehung von Kriminalität mitverantwortlich sei, dürfe sie sich im Augenblick des Versagens auch nicht vom Täter abwenden. In dieser Weise würde das Sozialstaatsprinzip die Verantwortlichkeit der Gesellschaft neben die des Einzelnen stellen und Humanität fordern. Resozialisierung als Aspekt des Sozialstaatsprinzips hat dabei nach Wassermann bereits in der Hauptverhandlung zu beginnen und sich im Rahmen des Strafvollzuges fortzusetzen93. Beide Werke sorgten innerhalb der wissenschaftlichen und rechtspolitischen Diskussion für Aufmerksamkeit. Insbesondere das Werk „Der soziale Zivilprozeß“ sorgte für Anschlussveröffentlichungen und Monographien und wurde sogar ins Japanische übersetzt 94 . Der frühere Richter am Bundesarbeitsgericht Wendel schrieb beispielsweise in einer Rezension95, das Buch helfe, den Bürgern das Gerichtsverfahren verständlicher zu machen und auch Richtern, sich neben der Entstehungsgeschichte der ZPO auch mit den Änderungen und deren Auswirkungen vertraut zu machen sowie sich mit den von Wassermann aufgeworfenen Fragen auseinanderzusetzen. Dabei werde das zeitgemäße Leitbild für die Prozessführung, wie von Wassermann ausgeführt, der Formel vom sozialen Rechtsstaat zu entnehmen sein. Allerdings setzte an diesem Punkt auch durchaus Kritik innerhalb der Literatur an. So heißt es in einer weiteren Rezension96 zum 90 91 92 93 94 95 96
Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 93. Ebenda, S. 143 f. Ebenda, S. 150. Ebenda, S. 157 f. Wassermann, Freiheit ist zerbrechlich, S. 308. Wendel, AuR 1981, 348 f. Günther, ROW 1979, 135 f.
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Werk „Der soziale Zivilprozeß“, Wassermann wolle zwar ein Prozessmodell entwickeln, das den Anforderungen des sozialen Rechtsstaats gerecht werden könne, verzichte aber darauf, zunächst die inhaltliche Relevanz des Grundgesetzes für die Verfahrensgestaltung über den Sozialstaatsgedanken hinaus umfassender zu entwickeln, und laufe damit Gefahr, den Sozialstaatsgedanken entweder zu überfrachten oder aber seine Argumentation mit Wertvorstellungen anzureichern, deren Konsensfähigkeit er sich nicht immer gewiss sein könne. Zum Werk „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ wurde geschrieben97, die Breite von Wassermanns Erörterungen quer durch die wichtigsten Probleme der Justiz sei beeindruckend. Gleichzeitig hänge mit der Themenvielfalt allerdings auch die grundsätzliche Beschränkung auf Denkanstöße zusammen. Dennoch sei hier ein wichtiges Buch zur Sensibilisierung der Richter vorgelegt worden. Dass Wassermann selbst im Jahr 1977 noch polarisierte, zeigt eine weitere Rezension98 , in der bereits zu Beginn bemängelt wird, dass das Buch durch einen „Hymnus“ auf den Verfasser von Rasehorn und Benseler eingeleitet werde und man sich diese „Peinlichkeit“ aufgrund der Bekanntheit Wassermanns hätte ersparen können. Unter Hinweis darauf, dass das Buch dem Vorwort zufolge eigentlich „Morgen Justizreform“ hätte heißen sollen, meint Loh, dieser Titel hätte den „Reformoptimismus von gestern“ besser zum Ausdruck gebracht, von dem Wassermann nach seiner Meinung bereits abgerückt war. Darin, dass die meisten Beiträge überarbeitete und bereits publizierte Referate sind, wird die größte Schwäche des Buches gesehen. Durch Vorträge gesetzte Akzente könnten – im Gegensatz zum Aufsatz – im Rahmen einer anschließenden Diskussionsrunde vertieft und Pointiertes wieder ins Lot gerückt werden. Weiterhin wirft Loh Wassermann vor, das Buch erreiche ein wissenschaftliches Mindestniveau nicht. Was er zur Chancengleichheit bei Gericht sage, sei bereits vier Jahre zuvor „mit sehr viel mehr Gespür für die Schwierigkeiten einer den Bedürfnissen der Praxis allseits gerecht werdenden Lösung“ erörtert worden, die „wiederholten Plattheiten“ über den politischen Richter seien „geradezu enervierend“, und über das Verhältnis von Politik und Justiz sei bereits vor Wassermann lange genug nachgedacht worden. Weite Passagen böten nichts anderes als den Versuch, das bestehende System der Justiz zu diskreditieren. Auch die zahlreichen zutreffenden Beobachtungen würden nichts daran ändern, dass man es mit einer Ansammlung von „oberflächlichen Attacken“ zu tun habe. Ebenso bleibe undeutlich, wie die Verfassungsentscheidung für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat in den Prozess richterlicher Entscheidungsfindung einfließen solle. Diese Angriffe auf Wassermann erreichen am Ende der Rezension ihren 97 98
Siehe die Rezension von Bender, JZ 1976, 615 f. Loh, ZZP 90, 117 ff.
108 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist Höhepunkt, indem es heißt, man könne nur hoffen, dass sich die von Wassermann befürwortete einstufige Juristenausbildung nicht auf dem Niveau des Buches abspiele.
C) Betrachtungen zur (Rechts-)Politik I. Vorsorge für Gerechtigkeit Ebenfalls aus Vorträgen und Aufsätzen hervorgegangen ist Wassermanns Buch „Vorsorge für Gerechtigkeit“, das im Jahre 1985 veröffentlicht wurde. Rechtspolitik, so Wassermann in seinem Vorwort, habe die Aufgabe, das Recht an den Gerechtigkeitsvorstellungen der Zeit zu orientieren und für eine möglichst weitgehende Übereinstimmung zwischen Recht und Gerechtigkeit zu sorgen. Rechtspolitik sei insofern Vorsorge für Gerechtigkeit. Weiterhin legt Wassermann im Vorwort dar, dass das Buch kein Lehrbuch sei und keine wissenschaftliche Theorie der Rechtspolitik enthalte, sondern allenfalls Bausteine zu einer solchen Theorie liefern könne99. Nachdem dann im ersten Abschnitt zunächst der Begriff Rechtspolitik und deren Ziele erläutert sind, wird anschließend darauf hingewiesen, dass Rechtspolitik meist mit den konkreten Wertvorstellungen einer Gesellschaft verknüpft sei. Das in den sechziger Jahren unter Heinemann vorgelegte Reformprogramm habe das Merkmal der Menschlichkeit als roten Faden der Reformpolitik gehabt, welches dem Recht keineswegs immanent sei. Anschließend wird der Humanitätsgrundsatz in den verschiedenen Rechtsgebieten anhand reformerischer Vorhaben erläutert und diese als erste Schritte des Prozesses von der bürgerlichen zur sozialen Rechtsordnung dargestellt. Im Hinblick auf den sozialen Wandel ist Rechtspolitik für ihn dabei nicht nur Spiegel, sondern auch Lenker der Gesellschaft. In diesem Sinne registriere die Rechtspolitik nicht nur gesellschaftliche Prozesse, sie zeichne sie nicht nur nach, sondern sie gestalte sie auch 100 . Im zweiten Teil wird der soziale Kontext der Rechtspolitik dargestellt. Je mehr Rechtspolitik als Lenker der Gesellschaft auftritt und die soziale Wirklichkeit gestaltet und verändert werden soll, mit desto mehr Widerstand ist nach Wassermann zu rechnen. Anschließend untersucht er die Bedingungen für die Akzeptanz und die Effektivität von Gesetzen, stellt die Bedeutung der Einbeziehung von Öffentlichkeit und Medien dar101 und verdeutlicht die Wichtigkeit der Sprache innerhalb der Justiz und der Rechtspolitik102. Nachdem Wassermann schließlich im dritten Abschnitt einzelne Themengebiete 99 100 101 102
Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, Vorwort S. 7. Ebenda, S. 16. Ebenda, S. 110 ff. Ebenda, S. 120 ff.
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der Rechtspolitik vorgestellt hat, zieht er im letzten Abschnitt des Buches eine Bilanz der rechtspolitischen Aktivitäten im Zeitraum von 1966 bis 1985 und endet mit einer kurzen Darstellung der rechtspolitischen Profile von Fritz Bauer, Adolf Arndt, Gustav Heinemann und Christian Broda103. Der Band, so heißt es in einer Rezension104, verdeutliche die ungeheure publizistische und wissenschaftliche Produktivität Wassermanns und erhelle sein Bekenntnis zu einem Rechtsstaatsverständnis, das an den Geboten der Gerechtigkeit orientiert sei.
II. Die Zuschauerdemokratie Mit der Macht und der Stellung der Parteien in der Bundesrepublik beschäftigt sich Wassermanns Buch „Die Zuschauerdemokratie“, welches 1986 im Econ Verlag veröffentlicht wurde. Dem Vorwort ist zu entnehmen, dass ihm die Idee zu diesem Buch auf der Herbsttagung der Evangelischen Akademie Tutzing im Jahre 1983 kam, als er über das Thema „Ist die parlamentarische Parteiendemokratie überholt“ referierte. Für ihn als Referenten zeigte sich in der anschließenden Diskussion, dass viele junge Menschen zwar politisch interessiert seien, aber angesichts der „verfilzten Struktur der Parteiendemokratie“ keine andere Möglichkeit sähen als sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen und Widerstand zu leisten105. Wassermann fragte sich, ob es ein Grundwiderspruch der heutigen Zeit sei, dass das Grundgesetz dem Bürger außerhalb der Politik immer mehr Entwicklungsmöglichkeiten gewähre, ihn aber in der Politik selbst zum Zuschauer degradiere. Als Gefahr für den Verfassungsstaat nennt Wassermann im ersten Teil neben einer zu weit getriebenen Verrechtlichung und der damit einhergehenden Gefahr des Rechtsimperialismus 106 eine Erosion des Verfassungs- und Rechtsbewusstseins, insbesondere bei politischen Entscheidungen. In letztgenanntem Zusammenhang nennt er als Beispiel unter anderem den aus seiner Sicht bestehenden Missbrauch des konstruktiven Misstrauensvotums für vorgezogene Neuwahlen107 und mahnt ein strengeres Verfassungsbewusstsein an108. Weiterhin sieht Wassermann die Gefahr des Auseinandertreibens von Demokratie und Rechtsstaat und spricht dabei insbesondere den zivilen Ungehorsam 103 104 105 106
Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, S. 322 ff. Jesse, BayVBl. 1987, 448. Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, Vorwort S. 9. Das Recht soll nach Wassermann dem Menschen dienen und ihn nicht beherrschen. Wassermann erinnert in diesem Zusammenhang an eine von Montesquieu formulierte Maxime, wonach, wenn es nicht nötig ist, ein Gesetz zu erlassen, es nötig sei, es nicht zu erlassen. 107 Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 35. 108 Ebenda, S. 37.
110 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist und das Widerstandsrecht an, was einige als Bereicherung der demokratischen Kultur sähen. Nach Wassermann ist genau das Gegenteil richtig, denn gerade die rechtliche Kanalisierung und Institutionalisierung der Gewalt sei als progressiv anzusehen, während deren Preisgabe den erreichten Fortschritt rückgängig mache109. Im dritten Teil des Buches kritisiert Wassermann die Macht der Parteien, die sich immer weiter vom Bürger entfernten und auf diese Weise zum Entstehen einer Zuschauerdemokratie beitrügen, in der der Bürger neben Wahlen nur noch in Bürgerinitiativen und Protestbewegungen das Gefühl habe, seine Meinung äußern und am öffentlichen Diskurs teilnehmen zu können110. Zur Lösung dieses Problems, so Wassermann im vierten Teil, gebe es keine Patentlösung. Lösungsansätze sieht er jedoch in der „Öffnung der Oligarchien“111 der politischen Parteien mit Chancen auch für Quereinsteiger, in der Reduzierung des Einflussbereiches der Parteien, der Stärkung des freien Mandats und vor allem in der Stärkung der Bürgerbeteiligung durch Plebiszite und Volksbefragungen. Die Demokratie, so Wassermann am Ende, könne nur überleben, wenn sie sich von der passiven Zuschauerdemokratie zu einer aktiven Teilnehmerdemokratie wandle112.
III. Gestörtes Gleichgewicht Neun Jahre nach der „Zuschauerdemokratie“ wurde schließlich im MUT-Verlag113 eine Sammlung von Essays Wassermanns zum Thema Politik und Recht unter dem Titel „Gestörtes Gleichgewicht“ veröffentlicht, das in einer Rezension 114 als „pointierte Bestandsaufnahme politischer Kultur und der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Rechts im Jahre fünf nach der Wiedervereinigung Deutschlands“ beschrieben wird. In dem Buch beschreibt Wassermann eine „Erosion der Rechtsbewusstseins“ 115 in der heutigen pluralistischen Gesell-
109 Vgl. hierzu auch die unter dem Titel „Recht, Gewalt, Widerstand“ 1985 im Berliner Verlag Arno Spitz erschienene Sammlung von Aufsätzen und Vorträgen Wassermanns zu dem Thema. 110 Wassermann, Die Zuschauerdemokratie, S. 152 ff. 111 Ebenda, S. 166. 112 Ebenda, S. 207. 113 Auffällig erscheint, dass Wassermann das Werk in einem als äußerst konservativ angesehenen Verlag publiziert hat. 114 Meurer, JR 1997, 129. 115 Siehe zu dieser Thematik auch die beiden in der Schriftenreihe „Grundfragen der Demokratie“ von der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung erschienenen
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schaft. Auf der einen Seite sei in der Gesellschaft – der Wassermann eine politische Verschiebung nach links attestiert – die Bereitschaft, das Recht im Einzelfall als für sich selbst verpflichtend anzuerkennen, geschwunden, auf der anderen Seite nehme auch bei den Funktionseliten der Wille ab, das Recht gegen den Ungehorsam durchzusetzen oder die Nichtbefolgung mit Sanktionen zu versehen. Als Beispiel selektiven Rechtsgehorsams wird die Argumentation der Befürworter des zivilen Ungehorsams genannt, den Wassermann ablehnt116. Für Wassermann besteht kein Zweifel daran, dass die Hinnahme eines selektiven Rechtsgehorsams das gesellschaftliche Rechtsbewusstsein schwäche. Dieser bereichere nicht die freiheitliche Demokratie, sondern zerstöre ihre rechtsstaatlichen Grundlagen, zu denen die Allgemeinverbindlichkeit der Gesetze gehöre117. Im Zuge einer „überzogenen Liberalität“, in der sich Rechtspolitik und Rechtspraxis immer mehr auf den Ausbau der Grundrechte konzentriert hätten, habe sich eine „Explosion der Kriminalität“ vollzogen, der der Staat hilflos gegenüberstehe118. Die Eindämmung der Kriminalität werde zur Bewährungsprobe für den Rechtsstaat, der lernen müsse, sich gegen seine Verächter durchzusetzen119. In dem späteren Abschnitt „Kriminalität und Sicherheitsbedürfnis“ wird in diesem Zusammenhang die Praxis der Strafaussetzung zur Bewährung kritisiert, bei der sich ein „fataler Automatismus“ eingebürgert habe, der an den auf individuelle Persönlichkeitsprüfung zielenden Intentionen des Gesetzgebers vorbeigehe, und darüber hinaus festgestellt, dass der Strafrahmen nur ganz selten ausgeschöpft werde120. Mit Blick auf den Strafvollzug stellt Wassermann trotz Betonung der Notwendigkeit der Humanisierung des Strafvollzuges nüchtern fest, dass die Rückfallquote der Gefangenen trotz aller Resozialisierungsbemühungen nach wie vor hoch sei121. Hoffnung legt Wassermann bei der Bewältigung der Krise des Rechtsstaates eher auf die Medien als auf das ParteienEstablishment der Berliner Republik, wobei er von den Medien die Wahrnehmung eines Wächteramtes zur Aufdeckung von Missständen verlangt. Harte Kritik übt er am Bundesverfassungsgericht, das sich – statt dem Prinzip der richterlichen Selbstbeschränkung zu folgen – zum „Übergesetzgeber“122 aufgeschwungen habe
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Werke Wassermanns „Rechtsstaat ohne Rechtsbewusstsein“ und „Ist der Rechtsstaat noch zu retten? Zur Krise des Rechtsbewußtseins in unserer Zeit“. Wassermann, Recht, Gewalt, Widerstand, S. 121 ff. Wassermann, Gestörtes Gleichgewicht, S. 19. Ebenda, S. 112. Ebenda, S. 117. Ebenda, S. 155. Ebenda, S. 160. Ebenda, S. 131.
112 Dritter Teil: Wassermann als Herausgeber, Buchautor und Publizist und mit dieser „Anmaßung“ in Konflikt zum verfassungsmäßigen Gewaltenteilungsprinzip sowie zu den politischen Kräften in der Bundesrepublik gerate123. Dabei werden insbesondere die Rechtsprechung zum Nötigungstatbestand im Zusammenhang mit dem „zivilen Ungehorsam“124 und die Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit genannt, die durch den libertären Relativismus des Bundesverfassungsgerichts zur „Beschimpfungsfreiheit“ werde 125 . Die letzten Abschnitte des Buches beschäftigen sich mit der Rechtspolitik im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung und dabei insbesondere der Aufarbeitung des SEDUnrechts und der aus Wassermanns Sicht nur halbherzigen Rehabilitierung der Opfer der Enteignungen126.
D) Zusammenfassung und Ausblick Bei einer zusammenfassenden Betrachtung von Wassermanns Werk fällt zunächst auf, dass viele seiner Veröffentlichungen auf den zahlreichen Vorträgen beruhen, die er im Laufe der Jahre und Jahrzehnte gehalten hat. Daraus wird deutlich, worum es Wassermann in erster Linie ging: um Denk- und Diskussionsansätze und dadurch um Reformanstöße. Wassermann wollte sich durch seine Bücher und Veröffentlichungen keinen Namen in der Wissenschaft machen. Er wollte der Rechtspolitik eine größere Beachtung im politischen Feld verschaffen und damit Reformen weiter vorantreiben. Entsprechend schreiben Rasehorn und Benseler in ihrem gemeinsamen Vorwort zum Werk „Justiz im sozialen Rechtsstaat“127: „Das besondere dieser Beiträge in diesem Band liegt daher in ihrem Praxisbezug. Manches ist fragmentarisch und manches auch bewusst vorläufig gesagt, entsprechend dem Zweck, den Wassermann damit verfolgt. Die Beiträge rufen nach Antwort und nach Vollendung. Nach Antwort, weil es Diskussionsbeiträge im wortwörtlichsten Sinne sind. Wassermann ist kein Mann des Monologs, sondern des Dialogs; ein gesuchter und geschätzter Vortragsredner, ist seine besondere Stärke die Rede und der unmittelbare Kontakt mit dem Zuhörer. Noch wichtiger erscheint uns der Hinweis, die Beiträge riefen nach Vollendung. Vollendung ist hier die Aktion – die Justizreform. Reden und Schreiben sind für Wassermann nicht Selbstzweck, sondern Teil reformerischer Praxis.“
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Wassermann, Gestörtes Gleichgewicht, S. 131. Ebenda, S. 122. Ebenda, S. 133 ff. Ebenda, S. 223 ff. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, Vorwort S. 7.
Achtes Kapitel: Wassermann als Buchautor
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Von diesem Ansatz und Beweggrund Wassermanns ausgehend wäre es daher verfehlt, den Vorwurf der fehlenden Wissenschaftlichkeit zu erheben. Weiterhin heißt es immer wieder, Wassermann sei mit zunehmendem Alter konservativer geworden. So kann beispielsweise die in seinem Buch „Gestörtes Gleichgewicht“128 geäußerte Kritik an der Praxis der Strafaussetzung zur Bewährung einerseits als ein Abrücken von seinen früheren Forderungen, die auf eine Ausweitung der Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung zielten, verstanden werden. Andererseits hat Wassermann nicht die Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung kritisiert, sondern deren aus seiner Sicht fast zu einem Automatismus gewordene Anwendung in der Praxis. In seinem Vorwort zu dem erwähnten Buch vergleicht Wassermann das Gemeinwesen mit einem Boot, das sich auf See befindet. Sobald sich das Boot auf die rechte Seite neigt, ist es zur Wiederherstellung des Gleichgewichtes notwendig, die linke Seite zu belasten. Hat das Boot Schlagseite nach links, muss es auf der rechten Seite belastet werden. Im Anschluss an diesen Vergleich bemerkt er, in Deutschland hätten jahrzehntelang Werte dominiert, denen viel Obrigkeitsstaatliches angehaftet habe. Damals sei die Stärkung liberaler Werte geboten gewesen. Inzwischen sei in Deutschland eine freiheitliche Ordnung entstanden, die Gefahr laufe, die Liberalität zu übertreiben129. Zur Wiederherstellung des Gleichgewichts komme es in dieser Lage darauf an, sich gegen überzogenen Liberalismus zu wehren und zu Unrecht in Verruf geratene, aber für die freiheitliche Gesellschaft unverzichtbare Werte wieder zu beleben. Im Ergebnis dürfte beides richtig sein: Wassermanns Ansichten sind mit der Zeit sicherlich konservativer geworden und er hat sich insofern auch nicht gescheut, zuzugeben, wenn sich die Dinge anders als von ihm erwartet entwickelt haben, so etwa im Hinblick auf die hohe Rückfallquote trotz der aus seiner Sicht notwendigen Humanisierung des Strafvollzuges. Auf der anderen Seite hatte sich aber auch die Gesellschaft im Laufe der Jahre und Jahrzehnte geändert und damit das Boot – um in Wassermanns Vergleich zu bleiben – eine andere Lage eingenommen.
128 Wassermann, Gestörtes Gleichgewicht, S. 155. 129 Ebenda, Vorwort S. 7.
VIERTER TEIL INNERE JUSTIZREFORM ALS LEBENSAUFGABE
Neuntes Kapitel: Einführung in den Gegenstand der Untersuchung Die Reform der Justiz war das Thema, für das Wassermann Zeit seines Lebens eintrat. In seinen verschiedenen Ämtern, die er im Laufe der Zeit innehatte, hatte er die Gelegenheit, seine Vorstellung einer modernen Justiz Wirklichkeit werden zu lassen. Grundsätzlich unterscheidet Wassermann zwei Methoden, mit denen Institutionen erneuert werden können1: Zum einen die äußere Reform durch den Gesetzgeber, an die man wegen der öffentlichen Wirkung von Gesetzesreformen in erster Linie denkt, wenn von Reform gesprochen wird. Zum anderen die innere Reform, die sich durch Veränderungen im Bewusstsein derjenigen vollzieht, die in den Institutionen tätig sind. Justizreform erschöpft sich nach Wassermanns fester Überzeugung nicht in äußeren Veränderungen. Diese sind seiner Ansicht nach nur Hilfsmittel für innere Reformen. Justizreform, so schreibt Wassermann im Vorwort zu seinem Buch „Richter, Reform, Gesellschaft“, müsse Richterreform sein. In seiner Antrittsrede als Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main führte Wassermann aus, die Förderung der inneren Justizreform, die der äußeren Justizreform vorangehen müsse, sei die vielleicht wichtigste Aufgabe des Gerichtspräsidenten in dieser Zeit. Im Folgenden soll daher untersucht werden, was Wassermann unter einer inneren Justizreform im Sinne einer Richterreform2 verstand und wie er sie in die Praxis umsetzen wollte. Anschließend soll in einer Art Résumé gefragt werden, inwieweit seine Vorstellungen in der heutigen Zeit Wirklichkeit geworden sind.
1 2
Wassermann, RuP 1989, 177, 187. Ein weiterer Aspekt der von Wassermann geforderten inneren Justizreform ist die Schaffung einer bürgerfreundlichen Justiz. Insofern kann zum einen auf das Merkblatt „Bürgerfreundliche Justiz“ verwiesen werden, siehe Zweiter Teil, Fünftes Kapitel, D). Darüber hinaus beschäftigte sich Wassermann unter diesem Aspekt auch mit der Frage einer bürgerfreundlichen Justizarchitektur. In seinem Beitrag „Justizarchitektur gestern und heute“, abgedruckt im ersten Heft der NJW aus dem Jahre 1989, legt Wassermann dar, worum es ihm hierbei geht: um die Schaffung einer für den Bürger einladenden Atmosphäre statt des Prunks der Vergangenheit, der ein Machtgefälle zwischen Gericht und Rechtssuchendem symbolisierte und einschüchternd wirkte.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-010
Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform Auf dem justizpolitischen Kongress der SPD in Heidelberg führte Wassermann in der an den Vortrag des hessischen Justizministers Lauritzen anschließenden Diskussion aus, die erste Aufgabe, welche die Anpassungen der deutschen Rechtspflege an die neuen politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeiten fordere, sei die Überwindung der obrigkeitsstaatlichen Verhaltens- und Denkgewohnheiten. Wassermann sprach im Weiteren von einem Stilwandel, der dem Grundsatz Rechnung trage, dass im Mittelpunkt des grundgesetzlichen Wertesystems nicht der Staat, sondern der Mensch stehe1.
A) Das Richterbild des Grundgesetzes Mit der Bezugnahme auf das grundgesetzliche Wertesystem ist zugleich auch die Frage angedeutet, von welchem Richterbild das Grundgesetz ausgeht. Wassermann hat vielfach darauf hingewiesen, dass das Grundgesetz der Justiz und insbesondere dem Richter im Vergleich zu früheren Verfassungen eine besondere Stellung eingeräumt hat2. Anknüpfend an Montesquieus Esprit de Lois wird die Staatsgewalt nicht einheitlich gesehen, sondern es wird zwischen legislativer, exekutiver und rechtsprechender Gewalt unterschieden. Über die Trennung zwischen legislativer und exekutiver Gewalt hinaus ist der Rechtsprechung – die Montesquieu nur als „en quelque façon nulle“ betrachtete – im Grundgesetz eine besondere Stellung zugedacht worden. Sie sollte die anderen Staatsorgane hemmen und kontrollieren. Wassermann sieht hierin eine bewusst getroffene Verfassungsentscheidung für die rechtsprechende Gewalt. Der spätere hessische Justizminister und Ministerpräsident Hessens, Georg August Zinn, der auch Mitglied des parlamentarischen Rates gewesen war, hat diese bewusste Entscheidung der Verfassungsväter an anderer Stelle bestätigt3. Im Grundgesetz, so Zinn, habe man zweierlei versucht: zum einen, der Rechtsprechung in sehr umfassender Weise eine Kontrolle der beiden anderen Gewalten einzuräumen, und auf der anderen Seite ein Recht eines neuen Richterstandes zu schaffen.
1 2 3
Der Bürger und das Recht, S. 60 f. AK-GG-Wassermann, Art. 92, Rn. 8. Zinn in: Jahrreiss / Zinn, Die Rechtspflege im Bonner Grundgesetz, S. 57.
Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform
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Im Rahmen der folgenden Darstellung der wesentlichen Vorschriften des Grundgesetzes, die sich mit der Justiz beschäftigen, soll Wassermanns Auffassung vom Richterbild des Grundgesetzes aufgezeigt werden. Vieles von dem, was Wassermann in diesem Zusammenhang postuliert, wurde von bereits bestehenden Analysen und Auffassungen übernommen und entspricht größtenteils der herrschenden Meinung.
I. Art. 92 GG Als Grundpfeiler dieser Justizkonzeption, durch die sich der Staat des Grundgesetzes von den früheren deutschen Staatsordnungen abhebt, bezeichnet Wassermann Artikel 92 GG, wonach die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist und durch das Bundesverfassungsgericht, durch die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt wird4. Der Begriff „rechtsprechende Gewalt“ geht dabei auf die hessische Verfassung zurück und ersetzt den zunächst vorgesehenen Begriff „Gerichtsbarkeit“. Damit sollte die Rechtsprechung als eine der Legislativen und Exekutiven gleichgeordneten Gewalt zum Ausdruck gebracht werden. Der Abgeordnete Dr. Strauss hatte sich dabei in der dritten Lesung des Hauptausschusses wie folgt zu Wort gemeldet5: „Ich möchte eine kleine Ergänzung vorschlagen. Ich bitte im Eingang des Satzes folgendes zu sagen: „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut. Sie wird durch die Gerichte... ausgeübt.“ Die Gerichte sind ja nur die Institutionen, durch die die Gerichte sprechen. Ausgeübt wird die rechtsprechende Gewalt durch die Richter. Das kommt plastischer heraus, wenn wir die Form wählen, die ich vorgeschlagen habe. Ich glaube, dass es auch einen wirksameren Eindruck macht.“
Der Antrag des Abgeordneten Dr. Strauss wurde daraufhin bei einer Gegenstimme angenommen. Das Wort „anvertraut“ soll nach Wassermann die besondere Verantwortung der Richter für die Rechtsprechung im Generellen wie in jedem einzelnen zu beurteilenden Fall zum Ausdruck bringen. Während es in Artikel 103 der Weimarer Reichsverfassung lediglich heiße, dass die Rechtsprechung von den Gerichten ausgeübt werde, hebe die Formulierung des Grundgesetzes das personale Element der richterlichen Gewalt hervor. Wassermann beruft sich dabei auf Zinn,
4 5
AK-GG-Wassermann, Art. 92, Rn. 8. Siehe Schneider, Hans-Peter, Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung, Band 23/1, Artikel 92, S. 285.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
der sagte, dass darin zum Ausdruck komme, dass das Grundgesetz in dem Richter den Repräsentanten der dritten staatlichen Gewalt sehe und ihn nicht mehr als Beamten eines anonymen Staates, sondern als Stellvertreter der vom Volk ausgehenden Souveränität und damit als verfassungsrechtliches Organ ansehe. Artikel 92 des Grundgesetzes steht nach Wassermann damit für eine Abkehr von der „behördlichen Anonymität“ des Richters und personalisiert das Richteramt6. Auch insofern beruft sich Wassermann auf Zinns Ausführungen auf dem 37. Deutschen Juristentag in Köln. In seinem Referat „Die Rechtspflege im Bonner Grundgesetz“ hatte Zinn festgehalten, dass in Art. 92 GG zum Ausdruck komme, dass das Grundgesetz in dem Richter den Repräsentanten der dritten staatlichen Gewalt sehe und dieser nicht mehr als der Beamte eines anonymen Staates erscheine, sondern vom Grundgesetz ein neuer Richtertyp geschaffen worden sei, der sich völlig von der übrigen Beamtenschaft abhebe. Nach Wassermann sind die Richter durch die Festlegung des Grundgesetzes, dass die rechtsprechende Gewalt nur von Richtern ausgeübt werden darf und kann, zu verfassungsunmittelbaren Organen gemacht worden und nicht lediglich zu Organwaltern der Rechtsprechung7.
II. Art. 95 Abs. 2 GG, Art. 98 Abs. 4 GG In Art. 95 Abs. 2 GG wird bestimmt, dass über die Berufung der Richter an den obersten Bundesgerichten der für das jeweilige Fachgebiet zuständige Bundesminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss entscheidet, der aus den für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Ministern der Länder und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestag gewählt werden. Vorbild dieser Regelung war Art. 127 Abs. 3 der Hessischen Verfassung, nach der über die vorläufige Anstellung und Berufung der Richter auf Lebenszeit der Justizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuss entscheidet. Das Grundgesetz postuliert damit ein politisches Berufungssystem, welches
6 7
AK-GG-Wassermann, Art. 92, Rn. 36. Ebenda sowie Meyer in: von Münch / Kunig, GG, Art. 92, Rn. 4; a.A.: Achterberg in: Kahl / Waldhoff / Walter, Bonner Kommentar zum GG, Art. 92, Rn. 267; Burkiczak in: Friauf / Höfling, Berliner Kommentar zum GG, Art. 92 Rn. 121; Hopfauf in: SchmidtBleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.92, Rn. 39. Nach der Gegenauffassung erhält der Status des Richters erst durch den 2. Halbsatz von Art. 92 GG seinen Gehalt, wonach die rechtsprechende Gewalt durch die Gerichte ausgeübt wird. Die rechtsprechende Gewalt ist dem Richter nach dieser Ansicht durch Art. 92 Halbsatz 1 zwar zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung, nicht jedoch zur Ausübung persönlicher Rechtsprechungsmacht anvertraut. Demzufolge werde die rechtsprechende Gewalt nicht durch die Richter als Personen, sondern durch das Gericht als Institution ausgeübt.
Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform
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Wassermann8 drei idealtypischen Formen der Richterwahl gegenüberstellt: der ständischen, bei der sich die Richterschaft nach dem Modell der Kooptation selbst ergänzt, der bürokratischen, bei der die Justizverwaltung (und an ihrer Spitze der Justizminister) entscheidet, und der demokratischen, bei der die Richter direkt durch das Volk gewählt werden. Das Modell der Kooptation bezeichnet Wassermann als mit Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG, nach dem die Macht vom Volk auszugehen hat, unvereinbar9. Der Auswahl durch die Justizverwaltung mit dem jeweiligen Justizminister an der Spitze spricht Wassermann zwar nicht die demokratische Legitimation ab, da diese durch die Abhängigkeit des Ministers vom Vertrauen des Parlaments gegeben sei. Im Ergebnis sei sie jedoch durch die oft kritisierte Abhängigkeit des Ministers von den Vorschlägen der Verwaltung nur schwach ausgeprägt10. Die engste Verbindung zum Volk sieht Wassermann in der Wahl der Richter durch das Volk, die er allerdings wegen praktischer Probleme bei der Durchführung, aber auch wegen daraus entstehender Abhängigkeiten zu den den Bewerber unterstützenden Gruppen und Parteien, vergleichbar mit der Abhängigkeit von Mandatsträgern, ablehnt11. Das in Art. 95 Abs. 2 GG vorgesehene „politische Berufungssystem“ vereint dabei durch die Beteiligung der zuständigen Bundesminister und Landesminister auf der einen und durch die durch den Bundestag gewählten Mitglieder des Richterwahlausschusses auf der anderen Seite die exekutive und die legislative Gewalt. Durch die Richterwahlausschüsse sollte nach Wassermann die Justiz in eine engere Verbindung zu den politisch-parlamentarischen Kräften gebracht werden12. Die Ernennung der Richter durch eine Wahl ist nach Wassermann Ausdruck einer Bestrebung zur Schaffung eines neuen Richtertypus, der sich von der übrigen Beamtenschaft abhebt13. Art. 98 Abs.4 GG enthalte nicht nur eine Ermächtigung für die Länder zur Einrichtung von Richterwahlausschüssen, sondern darüber hinaus eine Garantie dahingehend, dass eine solche Einrichtung nicht durch Bundesgesetz vorgeschrieben werden kann14.
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AK-GG-Wassermann, Art. 95, Rn. 20 ff. Ebenda, Rn. 21. Ebenda, Rn. 21. Ebenda, Rn. 21. Ebenda, Rn. 22. Ebenda, Rn. 26. Pieroth in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 98, Rn. 3.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
III. Art. 98 Abs. 2 GG Indem die richterliche Gewalt zu einer echten, selbständigen und die anderen Gewalten hemmenden und kontrollierenden Gewalt ausgestaltet wurde, stellt sich gleichzeitig das Problem der Kontrolle richterlicher Gewalt. Wassermann15 bezieht sich dabei auf Montesquieu, nach dem zu berücksichtigen ist, „dass jeder Mensch, der Gewalt hat, die Neigung besitzt, sie zu missbrauchen“. Wenn die Richter den Rechtsstaat kontrollieren, müsse gleichzeitig gefragt werden, wer die Richter kontrolliert16. Nicht nur die Rolle der Richter unter der NS-Herrschaft, auch die ablehnende Haltung der Richter der Weimarer Republik gegenüber der Demokratie als Staatsform war dabei den Vätern des Grundgesetzes bewusst. So verweist Wassermann17 auf die Ausführungen des CDU-Abgeordneten Dr. von Brentano, der in der verfassunggebenden Versammlung von Hessen sagte18: „Ich glaube, wir alle sind uns darüber klar, daß die Justiz in den Jahren vor 1933 eine äußerst bedenkliche Rolle gespielt und mit dazu beigetragen hat, daß das Gebäude der Weimarer Verfassung unterhöhlt wurde. Ich weiß, daß das oft nicht gern gehört wird, aber ich bin der Auffassung, daß man das mit brutaler Klarheit und Deutlichkeit aussprechen muss, wenn wir uns davor schützen wollen, daß sich diese Dinge wiederholen.“
Die Antwort sah man in einer politischen Einflussnahme bei der Bestellung und Abberufung der Richter. Die Richteranklage ist dabei ein privilegium odiosum, das der Richter mit dem Bundespräsidenten teilt. Durch sie soll gewährleistet werden, dass der Richter die ihm anvertraute Macht im Sinne des Volkes ausübt. Wassermann nimmt insofern Bezug auf Eberhard Schmidt, der gesagt hat, dem Richter werde damit die Vertrauensfrage gestellt, um sicherzustellen, dass sein Verhalten vom Geist und von den Grundentscheidungen der Verfassung geleitet wird und nicht mehr die Permissivität entsteht, die für die Zeit der Weimarer Republik charakteristisch gewesen sei19. Die Beschränkung der richterlichen Macht durch den Einfluss des Parlaments bei der Wahl und Abberufung der Richter sollte ein Ausgleich dafür sein, dass
15 16 17 18 19
AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 7. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 42. Ebenda. Zitiert bei Zinn in: Jahrreiss, Zinn: Die Rechtspflege im Bonner Grundgesetz, S. 48. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 43.
Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform
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dieses wegen der richterlichen Unabhängigkeit die Regierung für Mängel der Rechtspflege nur in beschränktem Umfang verantwortlich machen kann.
IV. Art. 98 Abs. 1, Abs. 3 GG Wassermann weist darauf hin, dass man nach dem Ende der NS-Herrschaft einen wesentlichen Grund für das Versagen der Justiz im Nationalsozialismus in der Unterwürfigkeit des deutschen Richters sah, dessen Mangel an persönlichem, politischem und geistigem Format es den NS-Machthabern ermöglicht habe, ihn zu einem willfährigen Befehlsorgan zu machen und seine Tugenden wie Arbeitseifer, Korrektheit und Unbestechlichkeit in den Dienst verbrecherischer Zwecke zu stellen20. Dabei verweist er auf den amtlichen Bericht21 zu den Bestimmungen von Art. 98 Abs. 1 und 3 GG, in dem es entsprechend wörtlich heißt: „Eine bedeutsame Neuerung gegenüber der Weimarer Reichsverfassung liegt darin, daß versucht worden ist, den besonderen Charakter der Richter als Repräsentanten der Dritten Gewalt, eben der Rechtsprechung, deutlich herauszustellen. Die hinter uns liegenden bitteren Erfahrungen erklären sich zu einem nicht unwesentlichen Teil daraus, daß die Richter mit einer schweren, soziologisch und historisch bedingten Hypothek belastet waren, wie Prof. Dr. Bader in seiner Schrift über die deutschen Juristen mit Recht hervorgehoben hat, der Richter auch nach der Trennung der Gewalten ein „kleiner Justizbeamter“ geblieben war. Schon seit langem (Adickes!) haben sich gewichtige Stimmen gegen diese Verbreitung des Richters gewandt; man wollte ihn stattdessen wieder als ersten Vertreter eines Ur-Berufsstandes, einer menschlichen Ur-Funktion angesehen wissen und einen neuen Richtertyp schaffen, unabhängig von allen anderen Laufbahnen des öffentlichen Dienstes. Nunmehr sollen ein besonderes Bundesgesetz bzw. besondere Landesgesetze die Rechtstellung der Richter regeln und damit, unter Heraushebung aus der übrigen Beamtenschaft, der Besonderheit des Richteramtes gerecht werden.“
Das Grundgesetz selbst erwähnt den Richter an mehreren Stellen neben den Beamten besonders, wodurch deutlich wird, dass es den Richter nicht zu den Beamten zählt22. Das Bundesverfassungsgericht23 hat dabei festgestellt, dass das Verfassungsgebot eigenständiger Richtergesetze nicht nur formale Bedeutung habe, sondern auch der prinzipiellen Verschiedenheit zwischen den Richtern und den in die Behördenhierarchie eingeordneten, weisungsabhängigen Beamten Rechnung tragen solle. 20 21 22 23
AK-GG-Wassermann, Art. 98, Rn. 4. Zitiert bei Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 40. Ebenda. BVerfGE 26, 141, 154.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
V. Art. 97 GG Die Aufnahme der richterlichen Unabhängigkeit in das Grundgesetz stand bei den Beratungen zum Grundgesetz nicht zur Diskussion. Im Gegensatz zu Art. 102 WRV sollte der Richter jedoch nicht nur dem Gesetz, sondern auch seinem Gewissen unterworfen werden. Um den Anschein zu vermeiden, dass das Gewissen des Richters eine dem Gesetz gleichstehende oder übergeordnete Rechtsquelle sei, wurde dies allerdings in den Anschlussberatungen des Parlamentarischen Rats abgelehnt24. Entsprechend ist in Art. 97 Abs. 1 GG geregelt, dass die Richter unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen sind. Die sachliche Unabhängigkeit bedeutet, dass der Richter von keiner Seite Weisungen für seine richterliche Tätigkeit erhalten darf. Artikel 97 schützt in Absatz 1 damit in erster Linie vor Eingriffen der Exekutive, wobei hierunter nicht nur Eingriffe in Form dienstrechtlicher Anordnungen zu verstehen sind. Die in Art. 97 Abs. 2 GG normierte „persönliche Unabhängigkeit“ des Richters besteht in der Garantie der Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, wodurch die Entscheidungsfreiheit des Richters geschützt werden soll25. Darüber hinaus hat Wassermann die bereits vor dem ersten Weltkrieg bestehende Diskussion26 um die innere Unabhängigkeit des Richters in den Vordergrund gestellt. Insofern kann auf die Ausführungen im Dritten Teil27 verwiesen werden.
B) Anforderungen an den Richter in der modernen Gesellschaft Im Folgenden soll untersucht werden, welche Anforderungen der Richter nach Wassermanns Ansicht in der heutigen Gesellschaft erfüllen muss, um dem Richterbild des Grundgesetzes möglichst gerecht zu werden. Zu Beginn soll dabei das Selbstverständnis des Richters stehen und damit der Frage nachgegangen werden, wie sich der Richter selbst sieht, wie er seine Funktion und Rolle innerhalb der Gesellschaft interpretiert und welche Anforderungen er daraus resultierend an sich selbst stellt. An dieses Selbstverständnis anknüpfend soll untersucht werden, welche Rolle die Ausbildung zu spielen hat, um die folgende Generation von Juristen in die Lage zu versetzen, diesem Idealbild möglichst gerecht werden zu können. Schließlich soll dargestellt werden, welche Konsequenzen
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AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 9. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 80. AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 36 m.w.N.; Ders., Die richterliche Gewalt, S. 85. Genauer: Dritter Teil, Achtes Kapitel, A), III.
Zehntes Kapitel: Justizreform als Richterreform
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sich aus dem „modernen Richterbild“ auf die Verhandlungsführung und den Umgang mit Öffentlichkeit und Medien ergeben.
I. Selbstverständnis 1. Traditionelles Richterbild Bevor danach gefragt wird, wie sich der Richter in der modernen Gesellschaft unter dem Grundgesetz selbst sieht, soll zunächst der Frage des traditionellen Richterbildes nachgegangen werden. Wassermann 28 hat dafür Bezug auf Dahrendorf genommen, der die Haltung der Richter als die eines Staatsdieners alten Stils qualifiziert hatte29. Nach Wassermann30 ist der deutsche Richter der Vergangenheit nicht isoliert, sondern unter Zugrundelegung seiner sozialen Herkunft und im Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu sehen, in denen das Bürgertum politisch resigniert hatte und die kapitalistische Erwerbsgesellschaft einen Kompromiss mit den Ordnungskräften Militär und Bürokratie eingegangen war. Selbst aus der Mittelschicht – oft aus Beamtenfamilien – stammend, entwickelte der Richter ein enges Verhältnis zum Staat und eine Einstellung, die den politischen und sozialen status quo akzeptiert. Wassermann hat diesen Typ Richter mit dem Begriff einer „autoritär-konservativen Haltung“ beschrieben, die Loyalität mehr schätzt als Kritik, die legale Autorität als oberste Instanz respektiert und an objektiv vorgegebene Lösungen glaubt, die es nicht zu schaffen, sondern nur zu finden gelte31. Was vom Staat kam, hatte die Vermutung der Richtigkeit für sich. Dieser Richter verstand sich als Justizbeamter im klassischen Sinne und damit weniger als eigene Persönlichkeit denn als Sprachrohr staatlicher Autorität. Als Anhänger des preußischen Obrigkeitsstaates war er fleißig, unbestechlich, korrekt, gründlich, angepasst und genügsam. Er war damit mit Eigenschaften ausgestattet, die man unter dem Begriff der „deutschen Innerlichkeit“ zusammenfassen kann und als Leitbild den von Thomas Mann karikierten „General Dr. von Staat“ hatte32. Dadurch, dass sich dieser Richtertyp als Sprachrohr fremder Autorität sah, musste zwangsläufig die eigene Verantwortlichkeit bei der Urteilsfindung in den
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Wassermann, Richter, Reform, Gesellschaft, S. 29. Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit, S. 193. Wassermann, Justizreform, S. 14. Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 13.
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Hintergrund rücken. Richterliche Tätigkeit bedeutete vor dem genannten Selbstverständnis Gesetzesvollzug33 im Sinne des Rechtspositivismus34. Das Gesetz wird als nicht weiter zu hinterfragendes Erzeugnis politischer Dezision35 verstanden. Es ist anhand der traditionellen Methoden auszulegen und im Sinne des Gesetzespositivismus ohne jegliche rechtspolitischen Einflüsse, also ein „Rechnen mit Begriffen“36. Wassermann bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Beschreibung durch Hermann Kantorowicz, der das Idealbild des Juristen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als einen höheren Staatsbeamten mit akademischer Ausbildung beschrieben hatte, dem man einen beliebigen Fall auf den lediglich mit einem Gesetzbuch bestückten Schreibtisch legen kann und der mit Hilfe logischer Operationen und einer nur ihm verständlichen Geheimtechnik die vom Gesetzgeber vorherbestimmte Entscheidung exakt nachweisen kann37. Der Jurist in diesem Sinne erscheint demnach als Subsumtionsapparat, der „Jurist als solcher“, wie ihn Windscheid in seiner Leipziger Rektoratsrede 1884 bezeichnet hatte und dem ethische, politische oder wirtschaftliche Erwägungen fremd waren38.
2. Selbstverständnis des modernen Richters unter dem Grundgesetz Das moderne Richterbild ist nach Wassermann durch einen Richter gekennzeichnet, der sich seiner ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Stellung und Verantwortung bewusst ist. Im Einzelnen sind es die im Folgenden beschriebenen Merkmale, die der idealtypische Richter der heutigen Zeit nach Wassermann in sich trägt.
a) Humanität In seinem Werk „Justiz im sozialen Rechtsstaat“ hat Wassermann dargelegt39, dass oft versucht worden sei, den demokratischen Richter zu beschreiben. Aus seiner Sicht sei er am treffendsten mit dem Bild eines mitmenschlichen, der Menschenwürde und den Menschenrechten verpflichteten Richters zu charakterisieren. 33 34
35 36 37 38 39
Wassermann, Der politische Richter, S. 33. An der Verantwortlichkeit des Rechtspositivismus für Unrechtsurteile, etwa die Urteile im Dritten Reich, werden in der heutigen Zeit Zweifel geäußert. Entscheidende Bedeutung misst man eher der Auslegung der Gesetze im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie bei, siehe etwa Walther in Recht und Justiz im „Dritten Reich“, S. 336. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 19. Ebenda, S. 18. Ebenda, S. 18 f. Ebenda, S. 19. Ebenda, S. 64.
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Das Grundgesetz schützt in Art. 1 die Menschenwürde, womit der soziale Wertund Achtungsanspruch gemeint ist, der dem Menschen wegen seines Menschseins zukommt40. Art. 1 Abs. 1 GG ist als subjektives Grundrecht anzusehen41, welches nicht nur ein Abwehrrecht gegen die öffentliche Gewalt darstellt, sondern auch einen Schutzauftrag an den Staat beinhaltet, den Einzelnen vor Angriffen auf seine Würde zu schützen42. Nach der sogenannten „Objektformel“43 wird die Menschenwürde verletzt, wenn der Einzelne durch den Staat als bloßes Objekt behandelt wird, das unter vollständiger Verfügung eines anderen Menschen steht und als Nummer eines Kollektivs oder als „Rädchen im Räderwerk“ behandelt wird und ihm damit jede eigene geistig-moralische oder gar physische Existenz genommen wird. Aus dem Schutzauftrag des Staates folgt die Verpflichtung der Gerichte, Normen – und damit auch Verfahrensnormen – so auszulegen, dass die Menschenwürde geachtet wird. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht44 ausgeführt, dass die Grundrechte zwar in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind, sich in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes aber auch eine objektive Wertordnung verkörpert, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt. Die Beachtung der Menschenwürde45 verlangt daher, die Verfahrensordnungen46 so auszulegen und die Gerichtsverhandlung so zu führen, dass Humanität als Ausdruck der Menschenwürde bestmöglich erfüllt wird. Die Humanisierung des Gerichtsverfahrens ist für Wassermann daher nicht nur ein „moralisches Postulat“47, sondern auch eine rechtliche Verpflichtung. Im Bereich des Verfahrensrechts wirkt sich die Bedeutung des Art. 1 Abs. 1 GG in jenen Fällen besonders stark aus, in denen es keine Regelungen gibt, die das prozessuale Handeln des Gerichts konkret festlegen48. Der sich der Bedeutung des Menschenwürdeprinzips bewusste Richter hat daher stets vor Augen, dass der Einzelne durch Art. 1 GG nicht nur einen Anspruch darauf hat, dass das Gericht ihn nicht durch Worte oder Gesten herabwürdigt, sondern auch einen 40 41 42 43 44 45 46 47 48
Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 1, Rn. 6 unter Verweis auf BVerfGE 87, 209, 228. Ebenda, Rn. 3; die Gegenansicht (Dreier in: Dreier, GG, Art. 1, Rn. 125) sieht in Art. 1 GG einen Grundsatz, der auf die anderen Grundrechte einwirkt. Für die hier vorliegende Betrachtung ist dieser Meinungsstreit nicht von Belang. Hofmann in: Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Art.1, Rn. 3. BVerfGE 5, 85, 204; 27, 1, 6, 45, 187, 228; 87, 209, 228. BVerfGE 7, 198, 205. Unabhängig, ob man diese als Grundrecht oder als allgemeines Prinzip auffasst. Etwa die Strafprozessordnung. Wassermann in: Menschen vor Gericht, S. 13, 21. Wassermann, DRiZ 1986, 41, 42.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
Anspruch auf ein positives Tätigwerden des Gerichts49. Der Richter ist sich insofern auch des im Rahmen der Gerichtsverhandlung bestehenden Machtgefälles bewusst, welches er im Sinne des Ziels eines möglichst humanen Verfahrens abzubauen versucht. Dieses Machtgefälle ergibt sich zum einen daraus, dass das Prozessrecht dem Richter die Prozessleitung überträgt. Er ist derjenige, der den Ablauf des Prozesses bestimmt, dem die Gesprächsführung obliegt50 und dem letztlich auch die Entscheidungsmacht über den Fall zukommt51. Zum Abbau dieses Machtgefälles und zur Erreichung eines möglichst großen Maßes an Humanität verfolgt der Richter das, was Wassermann als die „Strategie der drei großen K“ bezeichnet: Kooperation, Kommunikation und Kompensation52.
b) Politisches Bewusstsein und stärkerer Sinn für Unabhängigkeit Dass der richterlichen Tätigkeit eine politische Funktion zukommt, hat Wassermann in seinem Werk „Der politische Richter“53 beschrieben. Sich dessen und seiner ihm durch das Grundgesetz eingeräumten Stellung als verfassungsunmittelbares Organ bewusst, hat der Richter ein sensibles Gespür dafür, wann ihm das Gesetz Auslegungsspielräume gewährt. Der Richter weiß, dass er in diesen Fällen politische Entscheidungen trifft, die auch anders hätten ausfallen können. An dieser Stelle zeigt sich der in der heutigen Zeit stärkere Sinn des Richters für Abhängigkeiten, die nicht durch die grundgesetzlich gewährte sachliche und persönliche Unabhängigkeit beseitigt werden. Er ist sich der Abhängigkeiten jenseits der staatlichen Sphäre bewusst, die sich aus gesellschaftlichen Zusammenhängen wie Herkunft, Erziehung und Sozialisation ergeben können. Den von Wassermann als „innere Unabhängigkeit“54 des Richters bezeichneten Zustand erreicht der Richter allerdings nicht durch einen Rückzug aus der Gesellschaft. Ein solcher Rückzug würde die Gesellschaftsferne eher verstärken und die Gefahr begründen, eigene Werthaltungen absolut zu setzen55. Er setzt sich daher bewusst mit
49 50 51 52
53 54 55
Wassermann, DRiZ 1986, 41, 43. Wassermann spricht von der „Gesprächsführungsmacht“ des Richters, siehe ebenda, 41, 44. Worüber sich die Verfahrensbeteiligten bewusst sind. Was unter den jeweiligen Punkten im Detail zu verstehen ist, soll für die Merkmale der Kooperation und der Kompensation im Rahmen der Verhandlungsführung aufgezeigt werden, siehe Vierter Teil, Neuntes Kapitel, B), VI. Das Merkmal der Kommunikation soll am Beispiel der Sprache in der strafrechtlichen Hauptverhandlung näher dargestellt werden, siehe Vierter Teil, Neuntes Kapitel, B), VIII, 2. Wassermann, Der politische Richter, S. 97 ff. AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 77. Ebenda, Rn. 82.
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den gesellschaftlichen Strömungen seiner Zeit auseinander und sieht seine Aufgabe darin, auftauchende Fragen nicht einseitig vom eigenen Standpunkt, sondern von verschiedenen gesellschaftlichen Aspekten her zu betrachten und dann im Ergebnis eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Dabei schließt das politische Bewusstsein und die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen und politischen Fragen eine Zugehörigkeit zu politischen Parteien keineswegs aus. Sie darf jedoch ebenso wenig wie seine Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft oder zu Verbänden seine richterliche Tätigkeit beeinflussen.
c) Verantwortungsethisches Handeln Das Treffen einer verantwortlichen Entscheidung nach Abwägung der verschiedenen Standpunkte wirft die weitere Frage auf, nach welchen Grundsätzen dieser Abwägungsvorgang zu erfolgen hat. Zugleich stellt sich die Frage der Einbeziehung ethischer Grundsätze in den Vorgang der Abwägung. Die frühere Ausklammerung ethischer Fragen ging von der Annahme aus, dass moralische Fragen sich gewissermaßen von selbst beantworten würden56. Wenn dies aber nicht mehr der Fall ist, muss man sich, so Wassermann, darauf besinnen, dass richterliches Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen Maximen stehen kann, die mit Max Weber57 als „gesinnungsethisch“ oder „verantwortungsethisch“ charakterisiert werden können. Da der Richter aber die Folgen seines Handelns im Blick haben muss, scheidet ein Heranziehen von Gesinnungsethik aus, und der Richter hat sich an verantwortungsethischen Aspekten zu orientieren. Eine Abwägung im Sinne einer richterlichen Ethik, die das eigene Gewissen heranzieht, hat der Richter dabei abzulehnen. Dem Richter ist bewusst, dass die Frage, ob er die Anwendung geltenden Rechts unter Berufung auf sein Gewissen verweigern darf, bei der Beratung des Grundgesetzes erörtert und im Ergebnis abgelehnt wurde58. Sofern er tatsächlich bei einem Konflikt mit seinem Gewissen dem Gesetz nicht folgen will, muss er seine Entlassung als Richter beantragen. So moralisch wertvoll die Befragung des eigenen Gewissens auch sein mag: Der Richter, der aufgrund seines Gewissens entscheidet, verlässt nach Wassermann59 den Boden der rationalen Diskussion. Dies dürfe bei der Rechtsfindung aber nicht zulässig sein, weil diese auf Rationalität und
56 57 58 59
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 91. Weber, Politik als Beruf, S. 57 ff. AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 9, 59. Wassermann, Der subjektive Richter – Macht ohne Verantwortung?, S. 62.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
den Dialog mit der Gesellschaft angelegt sei. Ebenfalls abzulehnen hat der Richter einen Rückgriff auf A-priori-Wertlehren60. Dies deshalb, weil es keine unabhängig von Zeit und Raum und für alle Zeiten gültige Gerechtigkeitsnormen gibt61. Das, was Gerechtigkeit ist, ist stets abhängig von der Kultur einer Gesellschaft und insbesondere ihrem Menschenbild62. Die Leitlinie des Richters ist daher weder im eigenen Gewissen noch in moralphilosophischen Wertlehren zu sehen. Unter der Geltung des Grundgesetzes hat der Richter die Antwort zunächst in der Verfassung selbst zu suchen 63 . Das Grundgesetz hat die für unsere Zeit geltende Gerechtigkeitsordnung gegeben64. Die Grundrechte und Staatszielbestimmungen unserer Verfassung werden durch den Richter immer dann herangezogen, wenn die gesetzlichen Bestimmungen nicht eindeutig sind. Allerdings treten bei der Auslegung der Verfassung die gleichen Probleme wie bei der Auslegung des einfachen Rechts auf. Es stellt sich daher die Frage, was richterliche Verantwortungsethik in unserer Gesellschaft bedeutet. Wir leben in einer pluralitären Gesellschaft, die durch eine Vielfalt an Werten und Überzeugungen gekennzeichnet ist und die in ihrer Vielfalt erhalten und toleriert werden soll. Nach Wassermann65 bedeutet dies für den Richter, dass es ihm bei der Gesetzesauslegung verboten ist, seine Sicht des Gemeinwohls absolut zu setzen. Der Richter hat vielmehr auch andere Sichtweisen in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen und Alternativen zur eigenen Sichtweise zu bilden. Im Anschluss ist dann in verantwortungsbewusster Weise zwischen den verschiedenen Alternativen eine Wahl zu treffen. Der Richter ist damit willens und in der Lage, seine eigenen Standpunkte zu relativieren, andere Standpunkte anzuerkennen und unter Anerkennung der Methoden der Gesetzesauslegung eine verantwortliche Entscheidung zwischen diesen Alternativen zu treffen und hierfür die Verantwortung zu übernehmen. Unter einer verantwortungsvollen Entscheidung ist dabei das Stichwort der gesellschaftlichen Folgenverantwortung zu nennen: Der Richter fragt sich dabei, welche Auswirkungen es auf die Gesellschaft hätte, wenn seine Entscheidung im Rahmen der Auslegung zum Prinzip der allgemeinen Gesetzgebung würde. Er muss daher die Folgen seiner Entscheidung für die Beteiligten wie für das Gemeinwesen im Gesamten bedenken und abwägen. Es 60 61 62 63 64 65
Wassermann, Der subjektive Richter – Macht ohne Verantwortung?, S. 62. Ebenda. Ebenda, S. 62. ff. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 156. Wassermann, Der subjektive Richter – Macht ohne Verantwortung?, S. 63. Ebenda, S. 64.
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ist ihm deshalb nicht erlaubt, wirtschaftspolitisch bedeutsame Entscheidungen nur aus der Konsumentensicht heraus zu treffen, auch wenn dem sozialstaatlichen Gedanken der Kompensation durchaus Bedeutung beizumessen ist66. Der Entscheidungsvorgang ist daher an den kategorischen Imperativ Kants angelegt und ähnelt Art. 25 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches, der dem Richter auferlegt, bei Lücken im Gesetz nach der Regel zu entscheiden, die er als Gesetzgeber aufstellen würde. Zu entwickeln ist hierfür nach Wassermann eine materiale Sozial- und Verfassungstheorie im Sinne einer politisch praktischen Philosophie67. Nur so kann nach Wassermann die Auswirkung der Entscheidung im sozialen Zusammenhang geprüft und gewertet werden. Hierfür wiederum müssen dem Richter die prognostischen Mittel zur Verfügung stehen, was eine Beteiligung von Soziologie, Politologie, Ökonomie und Moralphilosophie bedeute68. Statt einer Entscheidung nach sozialethischen eigenen Erwägungen versucht der Richter damit eine Entscheidung nach dem politischen Ethos unserer rechts- und sozialstaatlichen Demokratie zu treffen, die sich im Grundgesetz widerspiegelt 69 . Letztlich soll der Richter dabei die ihn leitenden Erwägungen nicht nur zum Zwecke der Selbstkontrolle, sondern auch deswegen offen legen, weil diese Art der Transparenz dem Richter Glaubwürdigkeit verschafft und der Öffentlichkeit bzw. den beteiligten Individuen und Gruppen erlaubt, das Urteil in seinem Abwägungsvorgang nachzuvollziehen. Auf diese Weise schafft ein derartiges Vorgehen auch das notwendige Vertrauen in die Unparteilichkeit des Richters. Richterethik in der pluralitären Gesellschaft bedeutet in diesem Sinne die Übernahme gesamtgesellschaftlicher Verantwortung.
d) Prinzip der Selbstbeschränkung Eng verbunden mit dem Thema des politischen Bewusstseins des Richters und seinem Gespür für Abhängigkeiten ist das Prinzip der Selbstbeschränkung, dem sich der Richter verpflichtet fühlt. Der Richter, der sich bewusst ist, dass seine politischen Anschauungen und Wertvorstellungen sein Urteil beeinflussen können, und in der Lage ist, eigene Anschauungen zu relativieren, folgt letztlich dem Prinzip der Selbstbeschränkung. Unter Selbstbeschränkung ist allerdings nicht nur das Relativieren eigener Anschauungen zu verstehen. Selbstbeschränkung meint auch, die Grenzen zu erkennen, die der richterlichen Gestaltung durch das Prinzip der Gewaltenteilung gesetzt sind. Während die Legislative 66 67 68 69
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 13. Wassermann, Der politische Richter, S. 56. Ebenda, S. 56 f. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 156.
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keine anderen rechtlichen Schranken als die der Verfassung zu beachten hat, ergibt sich aus dem Bezug auf den jeweiligen Einzelfall das Gebot an den Richter, seine Rechtsschöpfung auf das zu beschränken, was zur Entscheidung des einzelnen Falles notwendig ist70. Dies schließt die Vermeidung sogenannter obiter dicta mit ein71. Der Richter hat die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit des Gesetzgebers zu akzeptieren. Richterliche Rechtsschöpfung hat die Ausnahme zu bleiben, da der Legislative im parlamentarischen System durch die unmittelbare Wahl durch das Volk eine Vorzugsstellung zukommt72. Zum politischen Bewusstsein des Richters kommt also die Fähigkeit, die Grenzen richterlicher Sozialgestaltung zu erkennen. Wenn dem Gesetzgeber durch das Grundgesetz Aufträge erteilt wurden, scheidet richterliche Rechtsbildung aus, ebenso wenn sich die gesetzgeberische Tätigkeit im Hinblick auf eine Materie bereits in Vorbereitung befindet. Bei erst kürzlich beschlossenen Gesetzen sollte die Wahrung der Gewaltenteilung es den Richtern ebenfalls verbieten, Ziele und vorgenommene Interessensabwägung zu unterlaufen, selbst wenn diese als verfehlt angesehen werden sollten. Die Justiz schuldet den Entscheidungen des Gesetzgebers Respekt, weshalb Wassermann in dieser Frage Westermann73 beipflichtet, wenn dieser meint, dass bei neuen Gesetzen die Reizschwelle bei der Bildung von Richterrecht empfindlicher sein müsse als bei altem, auf überholten Vorstellungen beruhendem Recht. Weitere Grenzen ergeben sich aus dem Grundsatz der Gesetzesbindung, der es dem Richter verbietet, den Wortsinn des Gesetzes zu missachten. Richterrecht, so Wassermann74, kann sich daher nur intra et praeter legem, nicht aber contra legem entfalten, während der Gesetzgeber die Kompetenz hat, Richterrecht durch Gesetze zu ändern oder zu beseitigen. Innerhalb dieser aufgezeigten Grenzen sieht sich der Richter jedoch nicht gehindert, auch gestalterisch tätig zu werden.
e) Der Richter als „Sozialarzt“ Anders als früher bekennt sich der heutige Richter zu seiner sozialen Gestaltungsaufgabe. Als Wassermann am 3. Oktober 1969 in Bad Meinberg einen Vortrag zum Thema „Wird das Gericht zur Sozialklinik“ hielt, machte er deutlich, dass er mit dem Begriff der „sozialen Klinik“ auf die gewandelte Funktion
70 71 72 73 74
Wassermann, Der politische Richter, S. 89. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 20. Wassermann, Der politische Richter, S. 89. Westermann, ZRP 1983, 249, 257. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 20.
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des Richters hinweisen wollte75. Während die Aufgabe des Gerichts früher darin bestanden habe, individuelle Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden und die Gesellschaft vor Rechtsbrechern zu schützen, komme der Rechtsprechung zur heutigen Zeit auch die Aufgabe zu, dem Bürger sozialstaatliche Rechte zu gewährleisten, die anderen Zweige der Staatsgewalt zu kontrollieren und die fortschreitende Durchdringung des gesellschaftlichen Lebens durch die Staatsgewalt so zu begrenzen, dass die Würde des Menschen gewahrt und die freie Persönlichkeitsentfaltung innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet bleibt 76 . Darin liegt nach Wassermann eine substantielle Veränderung richterlicher Tätigkeit. Diese Veränderung sei deswegen besonders stark, weil die sozialen Verhältnisse in unserer dynamischen Gesellschaft immer weniger auf Dauer durch abstrakte Gesetze im Vorfeld regulierbar seien77. In sämtlichen Rechtsgebieten seien soziale Problematiken enthalten, so dass das Gericht keine Stätte abstrakter Rechtsfindung sei. Die Aufgabe des Richters als „Sozialarzt“ sei es danach, den sozialen und wirtschaftlichen Gehalt eines Falles zu erkennen. Das Bild des Sozialarztes gilt dabei auch und insbesondere für den Strafrichter: In früheren Zeiten war Strafrecht mit etwas Metaphysischem konnotiert. Die Strafe wurde nicht innerweltlich, sondern transzendental gerechtfertigt78. Neben den Vergeltungsgedanken sind mit den relativen Straftheorien auch die Strafzwecke der Generalprävention und der Spezialprävention getreten. Darüber hinaus haben kriminologische Untersuchungen den Zusammenhang zwischen fehlgeschlagenen Sozialisationsprozessen und Kriminalität bewiesen, wodurch auch der Begriff der Resozialisierung ins Blickfeld gerückt ist. Der Strafrichter hat etwa nach dem heutigen § 46 Abs. 1 StGB bei der Strafzumessung die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen. Der zweite Absatz der genannten Vorschrift trägt dem Richter auf, unter anderem die persönlichen Beweggründe, das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse des Täters zu berücksichtigen.
f) Verstärktes Selbstbewusstsein Der Richter, der sich nicht mehr als bloßer „Mund des Gesetzes“79 sieht, sondern als verfassungsunmittelbares Organ mit vom Grundgesetz ausgestatteten Rechten, 75 76 77 78 79
Wassermann, „Wird das Gericht zur Sozialklinik?“, Vortragsmanuskript S. 5, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 44. Ebenda, Vortragsmanuskript S. 4. Ebenda. Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 143. Wassermann, „Entzauberung des Rechts – Entmythologisierung der Justiz“, Vortragsmanuskript S. 11, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 45.
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und der sich darüber hinaus seiner zuvor beschriebenen Verantwortung im Rahmen der Urteilsfindung und Gesetzesauslegung bewusst ist, hat ein verändertes Selbstbewusstsein. Er will nicht mehr der bloße Vollstrecker staatlichen Willens sein, sondern versteht sich als Mittler zwischen Staat und Individuum bzw. als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft, oder, anders ausgedrückt, als Garant bürgerlicher Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Ordnung80. Damit rückt die Persönlichkeit des Richters stärker in den Vordergrund, der nicht mehr wie früher auf Anonymität bedacht ist. Auf dem 47. Deutschen Juristentag in Nürnberg hatte Wassermann gesagt, man brauche den Richter, der vor den Mächtigen nicht die Knie beugt, sondern zum Widerspruch bereit ist81. Dieses veränderte Selbstbewusstsein äußert sich letztlich auch darin, dass der Richter der heutigen Zeit mehr Mitverantwortung und mehr Mitbestimmung wünscht, als das bei früheren Richtergenerationen der Fall war82. Letztlich zeigt sich das veränderte Rollenbewusstsein des Richters und das damit einhergehende verstärkte Selbstbewusstsein auch in einem veränderten Verhältnis zur Öffentlichkeit. Hierauf soll jedoch an späterer Stelle83 gesondert eingegangen werden.
II. Stellungnahme Die Beschreibung des demokratischen Richters mit dem Bild eines humanen Richters, der sich der Menschenwürde verpflichtet sieht, diese im Rahmen der Auslegung der Verfahrensordnung beachtet und an diesem Prinzip orientiert auch die Verhandlung führt, verdient uneingeschränkt Zustimmung. Differenzierter zu betrachten ist die Frage, ob der Richter auch politische Entscheidungen trifft. Es ist auf der einen Seite nicht zu bestreiten, dass in der Justiz Entscheidungen getroffen werden, denen eine politische Bedeutung zukommt. Insofern kann exemplarisch auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des sogenannten Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank84 verwiesen werden. Dieser kommt selbstverständlich eine politische Bedeutung in dem Sinne zu, dass sie politisch gesehen Folgen hat. Eine andere Frage ist, ob richterliche Tätigkeit – unabhängig von der Frage der politischen Folgen – als solche auch als politisch bezeichnet werden kann. Wenn man mit Wassermann politisches Handeln als Gestaltung öffentlicher Angele80 81 82 83 84
Wassermann, „Entzauberung des Rechts – Entmythologisierung der Justiz“,, Vortragsmanuskript S. 12 f. Wassermann in: Justizreform, S. 26. Ebenda, S. 16. Vierter Teil, Neuntes Kapitel, B), 9. BVerfGE 142, 123 ff.
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genheiten im Sinne menschlicher Einflussnahme auf die Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen ansieht und zusätzlich hierzu ein gewisses Machtmoment fordert, dann wird man nach einer Subsumtion unter die einzelnen Merkmale zu dem Ergebnis kommen, dass auch die richterliche Tätigkeit politisches Handeln einschließt. Wassermann weiß freilich, dass hiergegen eingewandt wird, dass dem Begriff der Politik Freiheit und Ermessen immanent sei. Wassermann wies in diesem Zusammenhang allerdings auf die dem Richter zukommenden Freiräume hin, die dazu führten, dass der Richter mehr als eben nur der Mund des Gesetzes im Sinne Montesquieus sei85. Auch dies verdient Zustimmung. Damit ist allerdings – entgegen einem, auch in der damals hitzig geführten Debatte, verbreiteten Missverständnis – längst nicht gesagt, dass die Tätigkeit des Richters im Kern darauf angelegt ist, politische Entscheidungen zu treffen. Das bedeutet, dass die politische Funktion des Richters sich zum größten Teil aus den faktischen Grenzen ergibt, die darin bestehen, dass der Gesetzgeber unmöglich alles in einer Weise regeln kann, dass sich die Lösung des jeweiligen Sachverhaltes durch schlichte Subsumtion aus dem Gesetz ergibt. Die politische Funktion der Legislative hingegen braucht nicht begründet zu werden. Sie ist nicht Bestandteil, sondern Sinn und Zweck ihrer Existenz. Entsprechend ging es Wassermann bei der Diskussion um den politischen Richter auch nicht darum, einen Richter im Sinne eines Justizfunktionärs zu etablieren, sondern darum, den Richtern den bestehenden politischen Aspekt ihrer Tätigkeit bewusst zu machen.
III. Ausbildung Wassermann war der Überzeugung, dass das traditionelle Richterbild eng mit der Sozialisation und der Ausbildung der Juristen zusammenhängt86. Die Reform der Juristenausbildung hat er daher etwa auf dem rechtspolitischen Kongress des Arbeitskreises Sozialdemokratischer Juristen als Schlüsselproblem der Rechtspolitik bezeichnet87. Der unpolitische Richter, so Wassermann, sei das Produkt der traditionellen Juristenausbildung, die den Richter im Stich lasse, wenn er nicht nur Paragraphen anwenden, sondern Freiräume ausfüllen müsse. Er war dabei der Auffassung, dass die bisherige Juristenausbildung auf die Heranbildung eines technisch-funktionalen, nicht aber eines emanzipativ-kritischen Juristentyps angelegt sei88. Der moderne Richter muss daher nach Wassermanns Auffassung nicht nur für die bloße Rechtsanwendung, sondern auch für seine 85 86 87 88
Wassermann, Der politische Richter, S. 22 f. Wassermann in: Erziehung zum Establishment, S. 40 ff; Ders., Der politische Richter, S. 83. Wassermann, RuP 1981, 5. Wassermann, DRiZ 1970, 241, 242.
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ihm zukommende soziale Gestaltungsaufgabe vorbereitet werden, weshalb eine grundlegende Umorientierung der Ausbildung erforderlich sei89. Je länger er als Theoretiker und Praktiker die Entwicklung der Juristenausbildung verfolge, so schreibt Wassermann in seinem Werk „Erziehung zum Establishment“, desto mehr habe sich in ihm die Überzeugung gefestigt, dass ihr mit kleinen Mitteln nicht mehr beizukommen sei 90 . Als äußere Anzeichen einer tiefergehenden Krise bezeichnet er die übermäßige Verlängerung der Studienzeit, einen nur oberflächlichen Wissensstand, die Herrschaft des Repetitors, Scheinjägerei im Universitätsstudium, Leerlauf in ganzen Stationen des Vorbereitungsdienstes, Diskrepanz zwischen Ausbildung und Ausbildungsabschluss und daraus folgend übertriebene Examensbezogenheit und Schülermentalität. Die von Wassermann daher geforderte grundlegende Neuorientierung zeichnet sich durch die im Folgenden näher dargestellten Merkmale aus.
1. Verbindung von Theorie und Praxis Entscheidend für das Gelingen der Reform ist für Wassermann die Beseitigung der Trennung zwischen Theorie und Praxis91. Zu Beginn der Ausbildung will Wassermann die Einbeziehung der Praxis durch „praktische Einschübe“92 erreichen, bei denen etwa Gerichtsverhandlungen und Parlamentssitzungen oder andere staatliche oder gesellschaftliche Institutionen besucht werden. Später soll den Studierenden dann in Kursen die Anfertigung von Berichten und Gutachten und die Vorbereitung von Sitzungen und Entscheidungen beigebracht werden. Weiterhin soll der Student bereits in dieser Phase seiner Ausbildung lernen, wie man Plädoyers hält und Verträge, Anklageschriften, Urteile und Gesetzesbestimmungen entwirft. Einem zu frühen Eintritt des Studenten in die Praxis steht Wassermann allerdings skeptisch gegenüber, da er der Auffassung ist, dass der Student jedenfalls soweit ausgebildet sein muss, dass er auch in der Praxis mitarbeiten kann93. Einen Eintritt in die Praxis erachtet Wassermann daher erst nach einem Studium von sieben Semestern für sinnvoll. In den praktischen Einschüben94 sieht Wassermann einen Nutzen für die Universitäten, die Praxis und letztlich auch für die Studenten: Durch den Praxisbezug würden die universitären 89 90 91 92 93 94
Wassermann, Der politische Richter, S. 84. Wassermann in: Erziehung zum Establishment, S. 44 f. Wassermann, DRiZ 1970, 241, 242. Ebenda, 243. Wassermann, RuP 1981, 5, 8. Hierbei will Wassermann die universitäre Ausbildung unterbrechen. Der Student soll in die Organisation der Ausbildungsstelle eingegliedert werden, siehe Wassermann, DRiZ 1970, 241, 243.
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Lehrinhalte interessanter und lebensnäher, während andererseits die praktische Ausbildung durch die stärkere theoretische Durchdringung vom reinen Pragmatismus befreit werde. Darüber hinaus würde die Motivation der Studenten durch den früheren Kontakt mit der Praxis gestärkt95. Während die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen in ihren Vorschlägen96 eine Gesamtausbildungsdauer von sechs Jahren für ausreichend erachtet, plädiert Wassermann für eine deutlich längere Gesamtdauer von insgesamt siebeneinhalb Jahren. Eine kürzere Dauer geht nach Wassermanns Ansicht zu Lasten der Wissenschaftlichkeit und zur Begrenzung des Wissens nur auf das zum Examen Notwendige97. Im Hinblick auf den Vorbereitungsdienst hatte Wassermann daher ausgeführt, dass eine Verkürzung gerade dem widersprechen würde, was durch die Reform erreicht werden solle98. Nach Wassermanns Ansicht soll sich die Ausbildung daher wie folgt gliedern: 1. Eingangs- bzw. Orientierungsphase: In dieser Phase, für die Wassermann eine Dauer von einem Semester als ausreichend erachtet99, sollen die Studenten an das Studium und seine Anforderungen und Methoden herangeführt werden. 2. Grund- bzw. Basisausbildung: Die Basisausbildung soll zu einer gründlichen methodischen Schulung in den Kernfächern führen, sodass sich der Student später auf dieser Grundlage in die juristischen Spezialgebiete einarbeiten und sich in ihnen zurechtfinden kann. Als Gesamtdauer für die Basisausbildung, einschließlich der Orientierungsphase von einem Semester, sieht Wassermann einen Zeitraum von fünfeinhalb Jahren vor100. Die praktischen Ausbildungsabschnitte sollten dabei weiterhin durch den Bundesgesetzgeber festgelegt werden, wobei er selbst fünf von den Studenten zu absolvierende Stationen nennt: – – – – –
Die Station bei einem ordentlichen Gericht in Zivilsachen Die Station bei einem Gericht in Strafsachen oder bei einer Staatsanwaltschaft Die Station bei einer Verwaltungsbehörde Die Station bei einem Rechtsanwalt Die Station bei einem Gericht der Arbeits-, der Sozial-, der Verwaltungs- oder der Finanzgerichtsbarkeit
Dabei solle es den Ländern überlassen werden, die Dauer der einzelnen Abschnitte zu regeln. Die Inhalte des Studiums und die ernsthafte Beschäftigung hiermit sollen durch 95 96 97 98 99 100
Wassermann, RuP 1981, 5, 8. Siehe Zweiter Teil, Sechstes Kapitel, A), II., 3. Wassermann, RuP 1981, 5, 6. Wassermann, JR 1963, 121, 126. Wassermann, RuP 1981, 5, 7. Wassermann, DRiZ 1981, 185, 186.
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den Katalog der Prüfungsfächer gesteuert werden. Dabei spricht sich Wassermann neben den Kernfächern Bürgerliches Recht, Strafrecht und Staats- und Verwaltungsrecht für ein viertes Hauptprüfungsgebiet aus, welches die Allgemeine Staatslehre, die Rechtsphilosophie und die Rechtssoziologie umfasst101. Zu den in ihren Grundzügen zu prüfenden juristischen Nebenfächern102 will Wassermann weiterhin die Grundzüge der Finanzwissenschaft und der Volkswirtschaft in den Katalog der Prüfungsfächer aufnehmen. Im Hinblick auf die letztgenannten Fächer verweist er darauf, dass die Staatswissenschaften Politik, Finanzwissenschaften und Volkswirtschaftslehre nach § 4 des Preußischen Gesetzes vom 6. Mai 1869 zum Prüfungsstoff gehörten und der Examenskandidat auch nach der Prüfungsordnung vom 11. August 1923 in der mündlichen Prüfung in staats- und wirtschaftswissenschaftlicher Allgemeinbildung geprüft wurde103. 3. Vertiefungs- bzw. Schwerpunktausbildung: Im Rahmen der Schwerpunktausbildung will Wassermann berücksichtigt sehen, dass viele Juristen nach dem Studium nicht in die Justiz, sondern in Wirtschaft und Verwaltung wechseln104. Insofern sieht er es als nützlich an, durch die Etablierung einer Vertiefungsphase eine Spezialisierung innerhalb der Ausbildung zuzulassen. Dabei sollten die Schwerpunkte seiner Ansicht nach allerdings nicht zu eng bemessen und an die Kernfächer Privatrecht, Strafrecht, Verwaltungsrecht und Sozialrecht angeglichen werden. Er spricht sich daher für fächerübergreifende Schwerpunkte aus, die sich an den verschiedenen Berufsfeldern orientieren105. Als obligatorisch in allen Ländern anzubietende Schwerpunktbereiche empfiehlt er daher die Schwerpunkte Rechtspflege, Verwaltung sowie Wirtschaft und Arbeit. Daneben sollte es den Ländern freigestellt werden, einen zusätzlichen Schwerpunkt Kriminaljustiz/Sozialarbeit/Strafvollzug anzubieten106.
101 Wassermann, JR 1966, 20, 21. 102 Hier nennt Wassermann neben dem Gerichtsverfassungsrecht und dem Verfahrensrecht das Völkerrecht, das Recht der Europäischen Gemeinschaften und die deutsche und die römische Rechtsgeschichte. 103 Wassermann, JR 1966, 20, 21. 104 Siehe Zweiter Teil, Fünftes Kapitel, B). 105 Wassermann, DRiZ 1981, 185, 187. 106 Ebenda, 185, 188. Aus den Erfahrungen zur Zeit der einstufigen Juristenausbildung in Hannover berichtet Wassermann im Rahmen des Aufsatzes (a.a.O., S. 187) indem er mitteilt, dass der Schwerpunkt Strafjustiz dort nur von wenigen Studenten gewählt worden sei. Er erklärt diesen Umstand damit, dass ein Flächenstaat wie Niedersachsen nur über wenige große Gerichte verfügt und innerhalb der Anwaltschaft – im Gegensatz zu der Anwaltschaft an den Landgerichten in Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main – eher Allroundanwälte als spezialisierte Strafverteidiger angesiedelt seien. Im Übrigen sehe sich der Jurist im Strafvollzug zunehmend auch der Konkurrenz von auf Universitäten oder Fachhochschulen ausgebildeten Sozialarbeitern ausgesetzt.
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2. Einbeziehung der Sozialwissenschaften Die Einbeziehung der Sozialwissenschaften zählte nach Wassermann zu den Hauptanliegen der Reform der Juristenausbildung107. Wassermanns Auffassung nach fehlt dem Juristen, der seiner gestalterischen Aufgabe gerecht werden soll, insbesondere die Kenntnis von den sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen, vom Verbrechen und den realen Gegebenheiten des Verwaltungslebens, der Politik und der Gesellschaft insgesamt108. Insofern hat sich Wassermann auf Ernst E. Hirsch bezogen, der in einem Beitrag109 ausgeführt hatte, dass es nicht bloß das Anwenden einer erlernten Technik, sondern die Lösung eines sozialen Problems unter Beachtung aller dabei in Betracht kommenden Faktoren bedeute, wenn man ein Gesetz mache, eine Norm statuiere, eine Vertragsurkunde entwerfe, eine Verwaltungsverfügung erlasse, ein Urteil spreche oder eine gutachterliche Lösung zu einer Rechtsfrage abgebe. Hieran anknüpfend hat Wassermann festgestellt, dass es nicht genüge, dass der Jurist Rechtsfragen unter Hinzuziehung von Gesetzen, Urteilen und Lehrmeinungen mit Hilfe der Subsumtionstechnik beantworte110. Ethische, politische, ökonomische und soziale Erwägungen müssten daher in die Ausbildung einbezogen werden, woraus eine größere Sachnähe der Ausbildung folge und damit kein Verlust, sondern ein Zuwachs an Wissenschaftlichkeit 111 . In diesem Zusammenhang bedarf es nach Wassermanns Ansicht streng genommen dem Grunde nach auch keiner rechtlichen Begründung für den Bedarf der Juristenausbildung an außerrechtlichen Informationen auf wissenschaftlicher Grundlage. Vielmehr handele es sich um eine schlichte Selbstverständlichkeit112. Dennoch weist er darauf hin, dass in den Ausbildungsordnungen der Länder Anknüpfungspunkte existierten, welche die Einbeziehung der Sozialwissenschaften in die Prüfung ausdrücklich vorschreiben113. Ziel ist es danach, das zu vermehren, was Wassermann als das „soziale 107 108 109 110 111 112 113
Wassermann in: Sozialwissenschaften in der Rechtausbildung, S. 13. Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, S. 289. „Was kümmert uns die Rechtssoziologie?“ Juristen Jahrbuch 1962/1963. Wassermann in: Sozialwissenschaften in der Rechtsausbildung, S. 13. Wassermann, Der politische Richter, S. 84. Wassermann in: Sozialwissenschaften in der Rechtausbildung, S. 14. Ebenda, S. 297, 298. Wassermann verweist dabei unter anderem auf die bayerische Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen, die in § 4 die Kenntnis der geschichtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen und rechtlichen Bezüge des Rechts in der ersten juristischen Staatsprüfung verlangt. Für Nordrhein-Westfalen zeigt Wassermann auf, dass dort für die Erste juristische Staatsprüfung ebenfalls eine „Bezüge-Klausel“ enthalten ist und darüber hinaus für die Zweite juristische Staatsprüfung in § 25 JAG neben den fachlichen auch „allgemeine“ Fähigkeiten des Referendars verlangt werden. Das Ziel der Ausbildung wird in § 22 darin gesehen, dass der Referendar eine praktische
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
Wissen“ 114 bezeichnet. Erforderlich ist daher eine „interdisziplinäre Teamarbeit“ 115 zwischen Soziologie, Politologie, Sozialpsychologie und Geschichte. Damit soll die juristische Dogmatik nicht abgeschafft, sondern ergänzt werden. Wenn insofern teilweise von einer „Integration“ der Sozialwissenschaften gesprochen worden sei, sei dies missverständlich, da sich die Einsicht durchgesetzt habe, dass die Verschmelzung von Rechts- und Sozialwissenschaften ein nicht einzulösender Anspruch sei116. Die Vermittlung sollte nach Wassermanns Meinung117 nicht in isolierten Veranstaltungen, sondern in den juristischen Ausbildungsveranstaltungen bei der Erörterung des juristischen Stoffes mitbehandelt werden und nicht von Begrifflichkeiten, sondern von konkreten Problemen und Sachverhalten her erfolgen. Die notwendigen methodischen Grundkenntnisse hingegen sollten im ersten Ausbildungsjahr von Sozialwissenschaftlern118 in besonderen Veranstaltungen vermittelt werden119. Dadurch sollten auch die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Sozialwissenschaften in die Examina einbezogen werden können120. Im Hinblick speziell auf die Einbeziehung in die Zweite juristische Staatsprüfung hat Wassermann neun Thesen aufgestellt 121 . Neben der bereits aufgezeigten rechtlichen Grundlage und der Notwendigkeit der Einbeziehung der Sozialwissenschaften legt Wassermann hierbei dar, auf welche Weise die Sozialwissenschaften in die Prüfung einbezogen werden könnten bzw. sollten. Der Schwerpunkt sollte in der mündlichen Prüfung liegen. So könnten im Anschluss an den Aktenvortrag kurze Fragen gestellt werden, um herauszufinden, ob die soziale Problematik des Sachverhaltes erfasst worden ist. Auch das Prüfungsgespräch würde sich eignen, da die mündliche Prüfung eine Verständnis- und keine Wissensprüfung sei. Zur Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Aspekte in die Hausarbeit lägen zwar kaum Erfahrungen vor. Wassermanns eigenen Beobachtungen nach verwendeten die Kandidaten selbst dann keine dazu vorliegenden sozialwissenschaftlichen Erkenntnisse, wenn sie im Rahmen ihrer Arbeit unbestimmte Rechtsbegriffe auslegen, Ermessen ausüben, die Verkehrssitte ermitteln oder Beweise würdigen
114 115 116 117 118 119 120 121
juristische Tätigkeit „aufgeschlossen für die Lebenswirklichkeit im Geiste eines demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ eigenverantwortlich wahrnehmen kann. Wassermann, Der politische Richter, S. 85. Ebenda, S. 86. Wassermann, RuP 1981, S. 5 f. Wassermann, DRiZ 1970, 241, 243. Nicht von Juristen. Wassermann, DRiZ 1970, 241, 242 f. Wassermann in: Sozialwissenschaften in der Rechtsausbildung, S. 297, 299. Nachzulesen ebenda, S. 301 ff.
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müssten. Die Ursache hierfür sieht Wassermann darin, dass die Kandidaten hierzu im Rahmen der Ausbildung nicht sensibilisiert worden seien. Solange dies nicht geändert wurde, schlug er vor, entsprechende Leistungen des Kandidaten positiv, ein Fehlen allerdings nicht negativ zu bewerten. Im Rahmen strafrechtlicher Hausarbeiten 122 sollen sozialwissenschaftliche Aspekte in erster Linie durch kriminologische Zusatzfragen einbezogen werden, welche die Sanktion betreffen. Diese Methode der auf die sozialen Bezüge des Falles abzielenden Zusatzfragen lässt sich nach Wassermanns Ansicht auch in geeigneten Fällen bei zivil- und verwaltungsrechtlichen Hausarbeiten anwenden. Als am schwierigsten erachtet Wassermann die Einbeziehung im Rahmen der Aufsichtsarbeiten, bei denen der Faktor Zeit und das Fehlen von Hilfsmitteln Grenzen setzten. Dennoch möchte er auch im Rahmen der Aufsichtsarbeiten hierauf nicht verzichten und die für Hausarbeiten dargestellten Möglichkeiten nutzen. Als abschließende These hält er fest, dass die Chance der Einbeziehung sozialwissenschaftlicher Aspekte in dem Maße steigt, in dem diese in die Ausbildung aufgenommen wird. Wer als Referendar gelernt habe, das Recht in seinen sozialen Bezügen zu erfassen, dem bereite dies auch in der Prüfung keine Schwierigkeiten.
3. Prüfungen Die Aufteilung der Ausbildung in eine Grund- und eine Vertiefungsausbildung führt dazu, dass zwei juristische Staatsprüfungen absolviert werden müssen. Dabei soll die erste Staatsprüfung123 der Feststellung dienen, ob die sogenannte
122 Innerhalb der Reform der Juristenausbildung sieht Wassermann insbesondere den Bereich des Strafrechts als wichtig an, siehe Wassermann in: Sozialwissenschaften in der Rechtsausbildung, S. 300. Der nach dem Examen als Richter oder Staatsanwalt tätige Jurist müsse nach geltendem Recht „unter Umständen am laufenden Band“ Voraussagen über das künftige Verhalten von Menschen machen. Dabei wirft Wassermann die Frage auf, wie man es eigentlich verantworten könne, dass diese Prognose von Juristen gestellt werde, die weder im Studium noch in der Referendarausbildung wenigstens ein Grundwissen über Prognosemethoden und deren Anwendung im Strafrecht erworben hätten. Als gesetzliche Bestimmungen, die eine Kriminalprognose erforderlich machen, nennt Wassermann für die „Urteilsprognose“ die Vorschriften der §§ 46 I S. 2, 47 I, 56 I, 59 I Nr. 1 StGB und die „Gefährlichkeitsprognosen“ bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie im Jugendstrafrecht die Wahl zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe. Im Rahmen der „Entlassungsprognose“ zählt Wassermann die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung, die Aussetzung der stationären Maßregeln der Besserung zur Bewährung, das Berufsverbot und schließlich die vorzeitige Aufhebung der Maßregeln der Führungsaufsicht und der Entziehung der Fahrerlaubnis auf. 123 Zu den Inhalten siehe Vierter Teil, Neuntes Kapitel, B), III., 1.
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„Sockelqualifikation“ erfüllt ist, während in der zweiten Staatsprüfung der Gegenstand der jeweiligen Vertiefungsausbildung abgeprüft werden soll 124 . An dieser Stelle gesteht Wassermann ein, dass damit die ursprüngliche Forderung der Reformer nach Abschaffung punktueller Prüfungen nicht erfüllt werden konnte. Die Erwartungen, die in die Ersetzung der Abschlussprüfung durch ausbildungsbegleitende Leistungskontrollen gesetzt worden seien, seien jedoch nicht erfüllt worden, da dies dazu geführt hätte, dass die Studenten ihr Studium mehr oder weniger ausschließlich an den Inhalten der Leistungskontrollen orientiert hätten125. Das Ergebnis wäre nach Wassermanns Ansicht eine weitgehende Verschulung unter Verlust von Wissenschaftlichkeit gewesen. Um der Kritik gegenüber den punktuellen Prüfungen der beiden Staatsexamen Rechnung zu tragen, schlug Wassermann – gewissermaßen als Kompromiss – die Ersetzung von Teilen der Prüfung durch ausbildungsbegleitende Leistungskontrollen am Ende der jeweiligen Ausbildungsstationen vor. Letztlich hält Wassermann fest, dass es trotz aller Kritik an Prüfungen126 keine befriedigenden Antworten auf die Frage gebe, wie man sie ersetzen könne127. Bezüglich der Examensnoten hatte Wassermann im Rahmen einer Tagung der Präsidenten der Oberlandesgerichte darauf hingewiesen, dass die Note „vollbefriedigend“ derzeit Voraussetzung für die Einstellung in den Richterdienst sei. Weil jedoch die Examensleistungen zurückgingen und Kandidaten mit guten Noten nicht nur in die Justiz wollten, werde es schwer, den Personalbedarf zu decken. Im Anschluss hatte Wassermann auf bestehende Zweifel hingewiesen, ob sich die Eignung des Bewerbers alleine aus der Examensnote ablesen lasse, und Einstellungstests in Vorschlag gebracht, um auch Kandidaten berücksichtigen zu können, die das Examen mit der Note „befriedigend“ bestanden haben. In diesem Zusammenhang hatte er auch darauf hingewiesen, dass Frauen unter den mit „vollbefriedigend“ bestandenen Examen überproportional vertreten seien, wodurch sich eine Überzahl von Richterinnen in der Justiz abzeichne. Diese Entwicklung würde zu erheblichen Problemen wegen der Einsatzfähigkeit führen. Zwar werde keine generelle Öffnung zu weniger guten Examensnoten vorgeschlagen, dennoch mahnte Wassermann, dass man wegen dieses Trends vorbereitet sein müsse. Die damalige Bundesfamilienministerin Rita Süßmuth
124 Wassermann, RuP 1981, 5, 9. 125 Ebenda. 126 Wassermann hatte insofern ausgeführt, dass die Prüfungssituation Ängste bei den Prüflingen hervorruft, was er mit dem Ziel, den Ausbildungserfolg zu messen, als nicht zu vereinbaren erachtet, siehe Wassermann, DRiZ 1970, 241, 244. 127 Wassermann, RuP 1981, 5, 10.
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warf Wassermann daraufhin eine Diskriminierung der Frauen vor128. Dem Vorwurf, dass er die Chancen von Frauen zum Richteramt vermindern wolle, ist Wassermann in einer Stellungnahme entgegengetreten und hat betont, dass eine geschlechterspezifische Benachteiligung oder Bevorzugung mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei129.
IV. Fortbildung Neben der zuvor beschriebenen Ausbildung erachtete Wassermann auch eine bessere Fortbildung für derart wichtig, dass er diese Thematik als „vordringliches justizpolitisches Thema“ bezeichnete130. Die als Abschlüsse verstandenen Prüfungen würden den Eindruck vermitteln, dass man mit diesem Wissensstand ein Leben lang im Beruf auskomme und lediglich noch die Erfahrung der praktischen Tätigkeit benötige131. Die Vorstellung einer abgeschlossenen Bildung entstammt nach Wassermanns Überzeugung jedoch Zeitaltern, die sich selbst als stabil empfanden132. In diesen festen Ordnungen bestehe der Bildungsprozess darin, den Einzelnen in diese Verhältnisse durch die Vermittlung stabilen Wissens einzufügen. Einer sich im stetigen Wandel befindlichen Gesellschaft sei eine solche Ansicht allerdings nicht angemessen, weshalb Wassermann für eine „éducation permanente“ plädierte133. Hiervon sei auch die Justiz nicht auszunehmen. Differenzierung und Spezialisierung sieht Wassermann als das berufliche Schicksal des Richters an, welches er annehmen muss. Der Leistungsstand der Richterschaft hängt nach Wassermanns Auffassung daher von der Fortbildung ebenso ab wie von der durch Universität und Vorbereitungsdienst erworbenen Ausbildung134. Für den jungen Richter gelte, dass er in den Gebieten der Kriminologie, der Psychologie und der Soziologie keine hinreichende Ausbildung erhalten habe. Gleiches gelte für die Bereiche der Bilanzkunde und der Buchführung. Für den älteren Richter andererseits erweise sich die Verfolgung der Entwicklung von Rechtsprechung und Rechtslehre als immer schwieriger135. Die richterliche Fortbildung habe dabei drei aufeinander bezogene Aufgaben zu
128 Artikel „Wassermanns Furcht vor Richterinnen brachte die Frauen in Rage“ von HansPeter Sattler, HAZ vom 15.2.1986. 129 Artikel „Keine Barriere für Frauen“, BZ vom 15.2.1986. 130 Wassermann, DRiZ 1966, 302, 303. 131 Wassermann, JR 1964, 380. 132 Wassermann, DRiZ 1963, 80 f. 133 Ebenda. 134 Ebenda. 135 Wassermann, DRiZ 1964, 397, 398.
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erfüllen136: zum einen die Erweiterung und Vertiefung fachlichen Wissens und Könnens, zum zweiten die Ergänzung fachlicher Weiterbildung durch die Schaffung eines Bewusstseins für die interdisziplinäre Fortbildung und zuletzt die Schaffung eines vertieften Verständnisses für gesellschaftliche Probleme137. Die interdisziplinäre Fortbildung soll dem Richter eine große geistige Spannweite und einen offenen Blick verschaffen, was um ihn herum in der Gesellschaft vorgeht. Als wichtige Fächer nennt Wassermann in diesem Zusammenhang unter anderem Psychologie und Soziologie. Darüber hinaus erachtet er auch das Kennenlernen ausländischer Institutionen und den darauf folgenden Vergleich mit den entsprechenden heimischen Einrichtungen für fruchtbar138. Als die wichtigste Aufgabe der Fortbildung bezeichnet Wassermann die Auseinandersetzung mit den geistigen Strömungen, den wirtschaftlichen und technischen Entwicklungen sowie den sozialen Bewegungen der Zeit139. Nur ein auf diese Art gebildeter und sich weiterbildender Richter könne seinen Berufsstand vor dem Absinken in ein „juristisches Funktionärstum“140 bewahren. Fortbildung soll daher möglichst regelmäßig und nicht bloß bei gelegentlichen Tagungen stattfinden. Insofern hat Wassermann – anknüpfend an Albrecht Wagners141 Forderung nach einem zentralen „Institut für juristische Praxis“ – ausgeführt, dass die Zusammenfassung der Lehrgänge bei einem festen, zentralen Institut den Vorteil einer besseren Ausgestaltung der Kurse biete und dort stetiger, intensiver und differenzierter gearbeitet werden könne als bei einzelnen Tagungen an verschiedenen Orten142. Als Lehrkräfte an einer solchen Akademie sollen sowohl Wissenschaftler wie auch Praktiker herangezogen werden. Daneben sollen – im Sinne eines möglichst breiten Angebotsspektrums – auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens für allgemeine, nicht fachbezogene Themen gewonnen werden. Als Kursdauer erachtet Wassermann vier Wochen als notwendig. Da die Fortbildung in einer der Stellung der Richter und Staatsanwälte angemessenen Weise stattfinden solle, sei eine schulische Durchführung mit Prüfungen und Zeugnissen zu vermeiden. Auch solle die Teilnahme an den sowohl mit allgemeinen als auch speziellen Themen versehenen Fachkursen freiwillig sein143. 136 137 138 139 140 141 142 143
Siehe insofern bereits Dritter Teil, Achtes Kapitel, A), I. Wassermann, DRiZ 1963, 80, 82. Ebenda, 80, 83. Wassermann, DRiZ 1964, 397, 398. Ebenda. Wagner, Der Richter, S. 214. Wassermann, DRiZ 1964, 397, 398. Ebenda.
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V. Stellungnahme Wassermanns Forderungen nach einer stärkeren Verbindung von Theorie und Praxis sowie der Einbeziehung der Sozialwissenschaften in die juristische Ausbildung verdienen Zustimmung. Praktische Einschübe nach dem Erwerb der grundlegenden Kenntnisse machen das zuvor theoretisch Erlernte praktisch greifbar und helfen damit, den theoretischen Stoff dauerhaft zu verinnerlichen. Durch die Einbeziehung der Sozialwissenschaften werden dem Studenten grundlegende gesellschaftliche Zusammenhänge dargestellt, die durch den gymnasialen Unterricht in Sozialkunde nicht ausreichend vermittelt werden können. Wenn etwa § 46 StGB im Hinblick auf die Grundsätze der Strafzumessung verlangt, dass unter anderem die zu erwartenden Wirkungen der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft, sein Vorleben und seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu berücksichtigen sind, dann können diese wichtigen Fragen nicht durch Subsumtionstechnik beantwortet werden. Gleiches gilt für die Frage, ob die Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist. Hier verlangt das Gesetz144, dass der Richter eine Prognose darüber trifft, ob sich der Verurteilte schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Wirkung des Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen wird. Dadurch wird deutlich, dass der Erwerb sozialwissenschaftlicher Kenntnisse zu den grundlegenden Anforderungen einer modernen Juristenausbildung gehört. Andererseits liegt es auf der Hand, dass selbst die modernste Ausbildung nicht in der Lage ist, dem Juristen sämtliche Kenntnisse zu vermitteln, die er zur Ausübung seiner späteren beruflichen Tätigkeit im Einzelnen benötigt. Eine auf die spezielle Tätigkeit des einzelnen Richters 145 zugeschnittene Fortbildung erscheint deshalb zwingend erforderlich. Insofern ist Wassermann insgesamt zuzustimmen.
VI. Verhandlungsführung Ein entscheidendes Kriterium dafür, welches Bild die Justiz in der Öffentlichkeit abgibt, ist die Art richterlicher Verhandlungsführung. Dass das frühere Richterbild durch einen autoritären Verhandlungsstil gekennzeichnet war, ist bereits an 144 Vgl. § 56 StGB. 145 Sei es als Zivilrichter für allgemeine Zivilsachen, als Richter am Arbeitsgericht, als Jugendrichter in Strafsachen oder als Vorsitzender einer Kammer für Wirtschaftsstrafsachen.
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mehreren Stellen dargelegt worden. An dieser Stelle soll nun untersucht werden, was den Verhandlungsstil des modernen Richters nach Wassermann kennzeichnet. Im Weiteren soll dann gefragt werden, wie sich dieser Verhandlungsstil in der strafrechtlichen Hauptverhandlung äußert, in welcher der Staat dem Bürger gegenüber seine Macht in besonders einschneidender Weise ausübt. Dabei soll ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, wie der moderne Richter kritischen Verhandlungssituationen begegnet, um die Ordnung der Hauptverhandlung aufrecht zu erhalten.
1. Liberaler Verhandlungsstil Der sich dem Grundgesetz und damit insbesondere dem Menschenwürde- und dem Demokratieprinzip verbunden sehende Richter verfolgt als Gegenmodell zum autoritären einen liberalen Verhandlungsstil. Dieser ist gekennzeichnet durch eine geringere Emotionalität als der autoritäre Verhandlungsstil und soll dadurch zu mehr Sachlichkeit im Gerichtssaal führen. Es handelt sich um einen offenen Verhandlungsstil, bei dem der Richter den Verfahrensbeteiligten die Chance gibt, ihre Sicht der Dinge in die Verhandlung einzubringen und auf diese Weise ihre Aktivität anregt146. Im Gegensatz zum autoritären Verhandlungsstil, der sich durch geschlossene Fragestellungen kennzeichnet, kennzeichnet sich der liberale Verhandlungsstil durch eine offene Frageweise. Um dem Leitbild der demokratischen, offenen Gesellschaft des Grundgesetzes am nächsten zu kommen, soll das Ergebnis der Verhandlung in möglichst freier Diskussion gefunden werden. Der autoritäre Verhandlungsstil wird von dem Richter nicht nur deswegen verworfen, weil er häufig das Gegenteil dessen bewirkt, was er eigentlich erreichen will. Der moderne Richter lehnt den autoritären Verhandlungsstil aus grundsätzlichen Erwägungen ab, weil er Zeichen und Methode des vergangenen Obrigkeitsstaates ist. Wenn sich der Richter im Hinblick auf den eigenen Status und die eigenen Rechte auf das Grundgesetz beruft, wird er unglaubwürdig, wenn er andererseits einen den Intentionen des Grundgesetzes entgegenstehenden Verhandlungsstil praktiziert.
2. Kompensatorischer Verhandlungsstil Der kompensatorische Verhandlungsstil soll kein Gegenentwurf zum liberalen Verhandlungsstil sein, sondern diesen ergänzen. Er ist eine Folge des im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzips. Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet den Staat, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen147. Weil das Sozialstaatsprinzip 146 Wassermann, Justiz im sozialen Rechtsstaat, S. 91. 147 BVerfGE 94, 241, 263.
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als objektiver Verfassungsgrundsatz für den Einzelnen keine subjektiv-öffentlichen Rechte begründet, kann der Bürger grundsätzlich148 keine Ansprüche unter Berufung auf das Sozialstaatsprinzip einklagen 149 . Als Staatszielbestimmung gewährt es dem Gesetzgeber im Rahmen der Verwirklichung eine weite Gestaltungsfreiheit150. Auch wenn sich das Sozialstaatsprinzip in erster Linie an den Gesetzgeber richtet, entfaltet es dennoch Bindungswirkung gegenüber der Verwaltung und der Rechtsprechung, die das Sozialstaatsprinzip bei der Auslegung von Gesetzen zu beachten haben151. Im Übrigen wird der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG durch das Sozialstaatsprinzip „angereichert, mit der Folge, dass dieses Grundrecht keine bloße formale Gleichheit garantiert“152. Gleichheit im sozialen Rechtsstaat bedeutet demnach keine formale Gleichheit, sondern eine verhältnismäßige Gleichheit, die nach Eigenart oder Lage, Leistung oder Bedürftigkeit jeden verschieden, aber doch alle nach dem gleichen Maßstab behandelt153. Das bedeutet, dass der Richter in jedem Prozess die jeweilige soziale Wirklichkeit erkennen muss. Die Zivilprozessordnung geht davon aus, dass sich zwei gleiche Parteien gegenüberstehen, die um das Recht streiten und der Richter über die Einhaltung der Regeln wacht. Da Menschen jedoch von ihren finanziellen und intellektuellen Voraussetzungen her unterschiedliche Möglichkeiten in den Prozess einbringen, werden dem Stärkeren von vornherein größere Chancen eingeräumt als dem Schwachen. Aufgabe des kompensatorischen Verhandlungsstils ist es, diese Ungleichheiten zu beheben. Das bedeutet nicht, dass hieraus ein zum liberalen Prozessmodell bzw. zum liberalen Verhandlungsstil gegenläufiges Modell entstehen soll. Der soziale Rechtsstaat hat nicht den totalitären Versorgungsstaat zum Ziel, in dem der Einzelne dem Kollektiv untergeordnet werden würde 154 . Im Mittelpunkt der Betrachtung soll nach dem Wertesystem des Grundgesetzes der einzelne Mensch stehen, allerdings nicht
148 Als Ausnahme ist zum einen der Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums anerkannt, vgl. BVerfGE 43, 13,19; 99, 216, 233. Allerdings steht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung des Umfangs der Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein Gestaltungsspielraum zu, vgl. BVerfGE 125, 175, 224 f.; 137, 34, 74 f. Zum anderen ist als Ausnahme der aus dem sogenannten Kapazitätserschöpfungsgebot folgende Anspruch, dass vorhandene öffentliche Einrichtungen erschöpfend ausgenutzt werden müssen, anerkannt, vgl. BVerfGE 33, 303, 332 ff. 149 BVerfGE 27, 253, 283. 150 BVerfGE 103, 271, 288; Schmidt-Bleibtreu / Hofmann / Henneke, GG, Einl. Rn. 299. 151 BVerfGE 1, 97, 105; Sommermann in: v. Mangoldt / Klein / Starck, GG, Art. 20, Rn. 124. 152 Jarass in: Jarass / Pieroth, GG, Art. 20, Rn. 166. 153 Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 75. 154 Ebenda, S. 85.
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als abstrakte Person. Der einzelne Mensch soll vielmehr in seiner konkreten sozialen Situation gesehen werden. Ein kompensatorischer Verhandlungsstil als Ausdruck eines sozialen Rechtsstaates achtet daher die Dispositionsfreiheit der Parteien und übt keine Bevormundung aus. Als „Lebensnerv“155 des sozialen Zivilprozesses hat Wassermann die richterliche Aufklärungs- und Erörterungspflicht des § 139 ZPO bezeichnet, dessen Anwendungsbereich er grundsätzlich weit auslegt. Unter Hinweis auf Henckel156 vertritt er die Auffassung, dass hierin keine Beeinträchtigung der Dispositionsmaxime liegt, sondern richterliche Hilfe notwendig ist, damit die Dispositionsmaxime überhaupt erst wirksam werden kann157. Bei der im Schrifttum und innerhalb der Rechtsprechung viel diskutierten Frage, ob der Richter den Beklagten auf die Verjährung des Anspruchs hinweisen soll bzw. darf, ist Wassermann daher der Auffassung, dass eine solche Belehrung erfolgen sollte. In einem sozialen Rechtsstaat bräuchten die Parteien die richterliche Belehrung bei der Prozessführung, und die Erörterungspflicht sei gerade dazu da, ihnen diese Hilfe zukommen zu lassen158. Der Richter sei nach § 139 ZPO verpflichtet, die Parteien zu informieren und ihnen zu sagen, welche rechtlichen Folgen ihr Verhalten hat. Erst dadurch könne die Partei ihre Freiheit sinnvoll ausnutzen159. Den immer wieder aufgeworfenen Begriff der (unzulässigen) Beratung sieht er nur dann als Abgrenzungskriterium zur unzulässigen Ausübung der Erörterungspflicht an, wenn man darunter ein so intensives Befassen mit der Angelegenheit verstehe, wie dies für die anwaltliche Tätigkeit eigentümlich sei. Eine solche Beratung nehme der Richter aber auch dann nicht vor, wenn er die Partei über die Möglichkeit der Einrede der Verjährung aufkläre. Im Übrigen soll der Richter nach Wassermanns Auffassung der Partei lediglich helfen, sich sachgemäß zu entscheiden, ihr jedoch nicht die Entscheidung abnehmen160. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen setzt den richterlichen Eingriffen daher Grenzen. Das Thema des Verfahrens wird nach wie vor von den Parteien und nicht durch den Richter bestimmt. Allerdings kommt im sozialen Zivilprozess der richterlichen Aufklärungs- und Erörterungspflicht eine größere Bedeutung zu, ohne jedoch die Dispositionsfreiheit der Parteien zu beeinträchtigen.
155 156 157 158 159 160
Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 110. Henckel, Prozessrecht und Materielles Recht, S. 128 f. Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 119. Ebenda, S. 118. Ebenda, S. 119. Ebenda, S. 118.
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3. Kooperativer Verhandlungsstil Aufgrund der soeben beschriebenen größeren Bedeutung der Aufklärungs- und Erörterungspflicht im Zivilprozess wird klar, dass die Rolle des Richters in der Verhandlung aktiver wird. Mit der Stärkung der richterlichen Rolle soll allerdings weder die Herrschaft der Parteien durch die Herrschaft des Richters ersetzt noch die Parteien bevormundet werden161. Im Zivilprozess des sozialen Rechtstaats kann keinem Verfahrensbeteiligten – weder Richter noch Partei – eine Vormachtstellung eingeräumt werden. Auf der einen Seite haben es die Parteien und nicht der Richter in der Hand, das Thema des Verfahrens zu bestimmen. Das Gericht bleibt an die Anträge der Parteien gebunden und Institute wie Anerkenntnis, Verzicht und Klagerücknahme, welche die Dispositionsfreiheit charakterisieren, sowie die Möglichkeit, ein Versäumnisurteil gegen sich ergehen zu lassen, bleiben bestehen. Auf der anderen Seite werden die Parteien zur positiven Förderung des Prozesses durch sachgemäße und sorgfältige Prozessführung verpflichtet. Durch die zahlreichen Durchbrechungen der Verhandlungsmaxime plädiert Wassermann prinzipiell dafür, Abstand von der Denkweise in Prozessmaximen zu nehmen162. Praktische Relevanz habe heutzutage etwa die Frage, wie sich im Gespräch zwischen dem Richter und den Prozessparteien ein rationaler Diskurs herstellen lasse und wo die Grenzen der richterlichen Aufklärungs- und Erörterungspflicht liegen163. Dennoch setzen Maximen nach Wassermanns Ansicht Orientierungspunkte. Zur Charakterisierung des Prozessmodells des sozialen Rechtsstaats will Wassermann daher die Zusammenarbeit der Verfahrensbeteiligten hervorheben und spricht von der Kooperation als dem prägenden Begriff für den sozialstaatlichen Zivilprozess 164 . Zu verstehen ist hierunter eine prozessuale Zusammenarbeit unter richterlicher Leitung und Fürsorge. Prägend für den kooperativen Verhandlungsstil ist ein offenes Verfahren, in dem nicht der Parteivortrag, sondern das Rechts- und Tatsachengespräch zwischen Richter und Parteien im Vordergrund steht165. Als „Stützpfeiler der Arbeitsgemeinschaft zwischen Richter und Anwalt“ im Prozess soll die richterliche Erörterungspflicht dienen166. Im Rahmen der Erörterung des Sachund Streitstandes wird die Sicht des Gerichts für die Parteien klar und die Par-
161 162 163 164 165 166
Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 86. Ebenda, S. 108. Ebenda, S. 109. Ebenda, S. 109. Ebenda, S. 108. Ebenda, S. 123.
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teien wissen, welche tatsächlichen Umstände das Gericht als erheblich ansieht167. Hierauf können sich die Anwälte einstellen und die aus ihrer Sicht unzutreffenden Rechtsansichten des Gerichts argumentativ widerlegen168. Dabei verlangt Wassermann allerdings trotz der einseitigen Interessenswahrnehmung der Anwälte, dass diese Arbeitsgemeinschaft von wechselseitiger Loyalität bestimmt ist, da der Prozess scheitern müsse, wenn es an der Bereitschaft zur Kooperation fehlt169. Die gemeinsame Erörterung des Sach- und Streitstandes kann damit – auch das gesteht Wassermann zu – nicht im Sinne eines rationalen Diskurses verlaufen. Eine ideale Sprechsituation nach der Idee von Habermas ist nach Ansicht Wassermanns bereits deswegen nicht auf das Gerichtsverfahren übertragbar, weil das gerichtliche Verfahren nicht auf Konsens, sondern auf eine Entscheidung zielt. Dennoch könne dieser Ansatz als Anstoß für Verbesserungen in der Kommunikationsstruktur betrachtet werden170.
VII. Stellungnahme Ein durch eine geringere Emotionalität im Verhältnis zum autoritären Verhandlungsstil gekennzeichneter liberaler Verhandlungsstil schafft eine sachlichere Atmosphäre. Er ist damit nicht nur als der zeitgemäßere Verhandlungsstil anzusehen, sondern dient damit letztlich auch eher der Wahrheitsfindung als ein durch formale Amtsautorität gekennzeichneter Stil der Verhandlungsführung. Der Grund hierfür ist darin zu sehen, dass durch ihn eher eine ungezwungene Atmosphäre entstehen kann, in der die Verfahrensbeteiligten dazu ermutigt werden, ihre Sicht der Dinge mit einzubringen. Streitbarer als der liberale Verhandlungsstil ist die Ergänzung durch den kompensatorischen Verhandlungsstil. Die Forderung nach einem Ausgleich von Ungleichheiten durch das Gericht führt zwangsläufig zu der Frage, ob hiermit nicht die Neutralitätspflicht verletzt wird. Exemplarisch hierfür ist die Diskussion, ob der Richter die beklagte Partei auf die Verjährung des klägerischen Anspruchs hinweisen darf. So hatte das LG Hamburg171 mit Beschluss vom 16. März 1984 den Standpunkt vertreten, dass das Neutralitätsgebot nicht bedeute, dass sich der Richter ausschließlich auf die Rolle des Beobachters zurückziehen und darüber zu wachen habe, ob die prozessualen Regeln von Seiten der Parteien eingehalten
167 168 169 170 171
Wassermann, Der soziale Zivilprozeß, S. 123. Ebenda, S. 123. Ebenda, S. 123. Ebenda, S. 143. NJW 1984, 1904 f.
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werden. Ein solches Richterbild entspreche eher dem angelsächsischen Rechtskreis mit der Gefahr, dass durch Unwissenheit der einen Partei die Chancen der anderen Partei steigen. Darüber hinaus verweist es auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Belehrungs- und allgemeine Fürsorgepflicht nicht im Widerspruch zur Neutralitätspflicht steht172. Zum gleichen Ergebnis gelangten auch das LG Braunschweig173 und das LG Frankfurt174. Das LG Braunschweig nimmt dabei in seiner Begründung auf Wassermanns Ausführungen in „Der soziale Zivilprozeß“ Bezug, wonach die richterliche Aufklärungspflicht ihre Grenze in der Freiheit der Partei findet, selbst zu entscheiden, welche Rechte sie im Prozess verfolgen will. Die Vorschrift des § 139 ZPO, so das Gericht, sei an den Grundwerten der Verfassung und damit so auszulegen, dass der Verfassungsgrundsatz des sozialen Rechtsstaats zur Geltung komme. Dem entgegen steht allerdings die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 175 , wonach in dem Hinweis auf die Verjährung ein Ablehnungsgrund gemäß § 42 Abs. 2 ZPO zu sehen ist. Kriterium für die Unparteilichkeit ist die Gleichbehandlung der Parteien, die der Bundesgerichtshof dann nicht mehr gewahrt sieht, wenn der Richter sich zum Berater einer Partei mache. Der Richter habe das Verfügungsrecht der Parteien über das Streitverhältnis und die Befugnis zur Beibringung des Prozessstoffs zu respektieren. Deshalb sei es ihm verwehrt, auf die Einführung selbständiger, einen gesetzlichen Tatbestand eigenständig ausfüllender Angriffs- und Verteidigungsmittel hinzuwirken. Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Einrede in dem Vorbringen der Parteien zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage habe. Der Gesetzgeber selbst hat im Rahmen der ZPO-Novelle zudem deutlich gemacht, dass § 139 Abs. 1 ZPO es bei dem Grundsatz belässt, dass es nicht Aufgabe des Gerichts sei, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuführen, die nicht zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage in dem streitigen Vorbringen der Parteien haben. Das Gericht sei daher weiterhin nicht verpflichtet, etwa auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung oder eines Zurückbehaltungsrechts hinzuwirken, wenn die Partei diese Verteidigungsmittel nicht von sich aus in den Prozess eingeführt habe176.
172 173 174 175 176
NJW 1976, 1391 ff. NdsRpfl. 1979, 146 f. MDR 1980, 145 f. NJW 2004, 164 f. BT-Drs. 14/4722, 77.
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Durch die Formulierung, dass das Gericht nicht „verpflichtet“ sei, auf die Geltendmachung der Verjährung hinzuwirken, wird jedoch deutlich, dass damit nicht gesagt ist, dass das Gericht nicht zu einem solchen Hinweis „berechtigt“ ist. In der Literatur177 wurde daher schon zutreffend darauf hingewiesen, dass die richterliche Hinweispflicht die untere Grenze des Aufklärungsgebotes bildet, während das richterliche Hinweisrecht die obere Grenze bildet, deren Überschreitung die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 Abs. 1 ZPO nach sich ziehen könne. Der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich der Richter im Falle des Hinweises auf bestehende Einreden zum Berater einer Partei mache, ist entgegenzuhalten, dass die Unterscheidung zwischen erlaubtem richterlichen Hinweis und der die Befangenheit auslösenden Beratung nicht sinnvoll erscheint. In jedem Hinweis, sei es in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht, liegt zugleich auch eine Beratung. Jeder Hinweis verändert auch die Prozesschancen einer Partei, etwa wenn ihr dadurch die Möglichkeit der Ergänzung ihres Vortrages gegeben wird. Im Übrigen führt die Forderung, dass es andeutungsweise einen Anhaltspunkt im Vortrag der Parteien geben müsse, zu zufälligen, nicht vertretbaren Ergebnissen. So würde bereits die zufällige Bemerkung des Beklagten, dass der Kläger den Anspruch erst jetzt geltend mache, nachdem er sich lange nicht gemeldet habe, für einen Hinweis genügen. Im Übrigen erscheint es auch nicht sachgerecht, wenn die von Amts wegen zu berücksichtigende Verwirkung – der ebenfalls ein Zeitmoment innewohnt – vom Richter erörtert werden muss, während dies bei der Verjährung nur auf Grund der dogmatischen Einordnung als Gegenrecht nicht der Fall sein soll. Somit kann es vorkommen, dass der Richter mit Rücksicht auf das Verhalten des Klägers einen zeitlichen Ablauf von zwei Jahren von Amts wegen unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung erörtern soll, während er bei Ablauf einer dreißigjährigen Verjährungsfrist den Anschein geben muss, dass er annehme, der Beklagte habe den Fristablauf bemerkt, wolle sich darauf aber nicht berufen178. Wenn man den Zweck der richterlichen Hinweis- und Aufklärungspflicht darin sieht, dass verhindert werden soll, dass eine Partei aus Irrtum oder Versehen vermeidbare Nachteile in ihrem materiellen Recht erleidet179, dann verbieten sich aus Gründen der Gerechtigkeit Unterscheidungen, ob dieser Irrtum auf einer auf Unwissenheit beruhenden falschen Einschätzung der Sach- und Rechtslage oder auf einem Versehen beruht, und danach, ob es sich dogmatisch um selbständige Gegenrechte handelt oder nicht. Vom Richterbild her betrachtet hat 177 Schneider, MDR 1979, 974, 976. 178 Ebenda, 974, 975. 179 MüKo-ZPO / Fritsche, § 139, Rn. 2.
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sich der Gesetzgeber mit der richterlichen Aufklärungspflicht gegen den nur über die Einhaltung der prozessualen Regeln wachenden Richter entschieden.
VIII. Die strafrechtliche Hauptverhandlung Wie sich der Verhandlungsstil des modernen, sich dem Grundgesetz verpflichtet sehenden Richters äußert, soll am Beispiel der strafrechtlichen Hauptverhandlung dargestellt werden. In ihr tritt der staatliche Machtanspruch am deutlichsten zu Tage.
1. Sachautorität statt formaler Amtsautorität In der strafrechtlichen Hauptverhandlung war der autoritäre Verhandlungsstil am stärksten ausgeprägt. Das bedeutet nicht, dass der moderne Richter völlig auf Autorität im Gerichtssaal verzichtet. Sie soll jedoch im Gegensatz zu den Zeiten des Obrigkeitsstaates nicht der Machtdemonstration dienen. Autorität ist dabei für große Teile der Bevölkerung mit einer paternalen Autorität assoziiert, eine Autorität, die mit der Ausübung ungeteilter Herrschaft verknüpft ist und politisch als Herrschaft einer durch Tradition verbundenen Elite gekennzeichnet war180. Nach Wegfall der diese Sichtweise begünstigenden Faktoren181 schwand nicht nur die paternale Autorität als Urbild staatlicher Autorität, sondern auch die sogenannte „formale Autorität“182. Während früher die Tatsache der Innehabung eines bestimmten Amtes gleichermaßen auch Autorität garantierte, wird die Amtsautorität heute „vor den Richterstuhl der Vernunft gezogen“183. Vom Richter wird damit verlangt, dass er seine Autorität rational, durch Sachkompetenz, begründet. Formale Autorität wird damit durch funktionale Sachautorität ersetzt. Dabei dient diese Autorität im Rahmen der Gerichtsverhandlung dem Verfahrenszweck, nämlich der Wahrheitserforschung, in einer möglichst sachlichen und ungestörten Atmosphäre. Alles, was darüber hinausgeht, ist als „überschießende Autorität“184 zu vermeiden. Der Verzicht auf „überschießende Amtsautorität“ bedeutet, dass der Richter sich nicht als „Rechtspriester“185 fühlt,
180 Wassermann „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“, Vortragsmanuskript S. 5, siehe Quellenverzeichnis Lfd. Nr. 43. 181 Wassermann nennt hier die Begriffe „Gottesgnadentum“, „aristokratische Elitenauffassung“, „Dichotomie unten-oben“, „Ungleichwertigkeit der Geschlechter“ und „bürgerliches Minderwertigkeitsgefühl“, siehe Vortragsmanuskript S. 5. 182 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 5. 183 Ebenda. 184 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 7. 185 Wassermann, „Wird das Gericht zur Sozialklinik?“, Vortragsmanuskript S. 15.
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der „juristische Messen“ liest und Unterwerfungsakte verlangt. Als solche Autoritätsstrapazierungen benennt Wassermann etwa Berichte über Richter, die den Saal räumen ließen, weil sich die Zuhörer beim Eintritt des Gerichts nicht von ihren Plätzen erhoben hatten, oder auch die Tatsache, dass ein Angeklagter vor einem Gericht in Heidelberg drei Stunden lang stehen musste, ohne dass der Richter es ihm erlaubt hätte, sich zu setzen186. Das bedeutet nicht, dass Formlosigkeiten oder auch schlechtes Benehmen von Seiten der Öffentlichkeit oder des Angeklagten gutzuheißen sind. Es bedeutet aber, dass gute Umgangsformen zunächst einmal nicht erzwungen werden sollen und auch nicht erzwungen werden können187. Was dies für einzelne Vorgänge und überlieferte Gebräuchlichkeiten bedeutet, soll an einigen Beispielen erläutert werden.
a) Aufstehen bei Gericht Im Gerichtsverfassungsgesetz ist in § 176 dem Vorsitzenden die Aufgabe der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Sitzung zugewiesen. In § 178 GVG ist geregelt, dass gegen Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, Ordnungshaft oder ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Das Gesetz selbst enthält allerdings keine Definition, was unter dem Begriff der Ungebühr zu verstehen ist, weshalb der Schutzzweck der Vorschrift heranzuziehen ist188. Während eine Auffassung die Ungebühr bereits in der Verletzung der Achtung des Gerichts sieht, will eine andere Auffassung189 dies nur dann annehmen, wenn ein Verstoß gegen die Regeln über den Ablauf der Verhandlung vorliegt, der letztlich die Wahrheitsfindung beeinträchtigt oder jedenfalls beeinträchtigen kann. Zur Wahrung der Ordnung bestimmt Nr. 124 Abs. 2 der Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren, dass sich sämtliche Anwesende beim Eintritt des Gerichts zu Beginn der Sitzung, bei der Vereidigung von Zeugen und Sachverständigen und bei der Verkündung der Urteilsformel von ihren Plätzen erheben. Im Übrigen steht es allen am Prozess Beteiligten frei, ob sie bei der Abgabe von Erklärungen und bei Vernehmungen sitzen bleiben oder aufstehen. Das OLG Celle hat hierzu mit Beschluss vom 17. Februar 2012190 ausgeführt, dass das Erheben bei Eintritt des Gerichts und bei der Urteilsverkündung zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben ist und Nr. 124 Abs. 2 RiStBV zwar nur eine Beschreibung der üblichen Form der Hauptverhandlung enthalte. 186 187 188 189 190
Wassermann, „Wird das Gericht zur Sozialklinik?“, Vortragsmanuskript S. 16. Ebenda, Vortragsmanuskript S. 15. Kissel, GVG, § 178, Rn. 6. Vgl. etwa Milger, NStZ 2006, 121, 123. NStZ-RR 2012, 119.
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Gleichwohl stelle deren Nichtbeachtung eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG dar. Dies gelte jedenfalls dann, wenn der Angeklagte zuvor entsprechend ermahnt worden sei. In gleicher Weise hat das OLG Brandenburg191 unter Verweis auf den genannten Beschluss des OLG Celle entschieden. Nach Wassermann handelt es sich bei der Frage des Aufstehens um eine Geste der Höflichkeit gegenüber dem Gericht, die nicht zu erzwingen ist192. Ein Richter, dem es nicht um Unterwürfigkeit oder Ehrbezeugungen, sondern um eine sachliche Atmosphäre geht, wird diese Geste entsprechend auch nicht einfordern, wenn sie – aus welchen Gründen auch immer – nicht erbracht wird. Gleichermaßen wird es der über den Dingen stehende Richter auch ertragen, wenn der Angeklagte im Rahmen der Urteilsverkündung sitzen bleibt. Was die Eidesleistung betrifft, so soll es nach Wassermanns Ansicht genügen, wenn das Gericht und der zu vereidigende Zeuge wegen der Bedeutung der Aussage stehen und nicht auch die Zuschauer im Gerichtssaal, wobei Wassermann ergänzend darauf hinweist, dass die Verdeutlichung der Aussage für den Zeugen keine Frage körperlicher Bewegung, sondern eine Aufgabe richterlicher Verhandlungsführung sei193.
b) Sitzordnung bei Gericht Die Einrichtung des Gerichtssaales dergestalt, dass das Gericht – und zum Teil auch die Staatsanwaltschaft – höher als die Verteidigung sitzt, erschwert nach Wassermanns Ansicht die Durchführung eines zeitgemäßen Verhandlungsstils. Der Richter ist nach seiner Ansicht „kein Rachegott“, der oben thront194. Alle Beteiligten sollten auf gleicher Ebene sitzen, wobei damit kein Eintreten für den sogenannten „runden Tisch“ gemeint ist, der so von Prof. Ulrich Klug auf einem Symposium über den „Zeitgemäßen Stil der Gerichtsverhandlung“195 als Modell der Zukunft bezeichnet wurde. Nach Wassermanns Auffassung 196 sprechen praktische Bedenken gegen diese Sitzordnung. Der Prozess habe dialektischen Charakter und entfalte sich in Rede und Gegenrede. Dem würde man am besten durch eine Saalgestaltung gerecht werden, die eine übergroße Nähe zwischen den Verfahrensbeteiligten vermeidet und ihre unterschiedlichen Rollen berücksichtigt. Staatsanwaltschaft und Verteidigung sollten sich daher schräg zum 191 192 193 194 195 196
wistra 2014, 78, 79. Wassermann, „Wird das Gericht zur Sozialklinik“ Vortragsmanuskript S. 16. Ebenda, Vortragsmanuskript S. 17. Ebenda. DRiZ 1969, 250 f.; siehe auch Erster Teil, Fünftes Kapitel, C). Wassermann, ZRP 1969, 169, 172.
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Richtertisch gegenüberstehen. Weiterhin sollte der Angeklagte neben seinem Verteidiger Platz nehmen können. Vor dem Richter ist ein Zeugentisch aufzustellen, so dass dieser während seiner Vernehmung Platz nehmen kann.
c) Robe Ob es sich beim Tragen der Robe um ein Relikt aus der Vergangenheit handelt, das mit einer modernen Vorstellung einer Gerichtsverhandlung nicht mehr in Einklang zu bringen ist, oder der Robe auch in der heutigen Zeit noch eine sinnvolle Funktion zukommt, ist umstritten. Zur Verpflichtung der Rechtsanwälte, eine Robe zu tragen, hatte sich im Jahre 1970 das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss geäußert197. Der 1. Senat hatte damals die Auffassung vertreten, dass ein erhebliches Interesse der Allgemeinheit an einem Ablauf der Gerichtsverhandlung in guter und angemessener Form bestehe und es diesem Zweck diene, wenn auch die beteiligten Rechtsanwälte eine Amtstracht trügen. Diese würden dadurch aus dem Kreis der übrigen Teilnehmer der Verhandlung herausgehoben und so ihre Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege sichtbar machen. Darin, so der Senat, liege ein zumindest mittelbarer Nutzen für die Rechts- und Wahrheitsfindung im Prozess, da die Übersichtlichkeit der Verfahrenssituation gefördert und zugleich ein Beitrag zur Schaffung jener Atmosphäre der Ausgeglichenheit und Objektivität geleistet werde, in der allein sich Rechtsprechung in angemessener Form darstellen könne. Das Verfassungsgericht hatte damit die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwaltes, der wegen der Weigerung, eine Robe zu tragen, von der Verhandlung ausgeschlossen worden war, als unbegründet verworfen. Die Bundesrechtsanwaltskammer hatte sich in dem Verfahren ebenfalls geäußert und – neben den zuvor genannten Argumenten – mitgeteilt, dass dem Tragen der Robe nach heutigem Selbstverständnis der Anwaltschaft die Bedeutung zukomme, die Funktion der gleichgeordneten Teilhabe an der Rechtspflege zum Ausdruck zu bringen. Dieses Argument würde dann nicht mehr zum Tragen kommen, wenn auch Richter und Staatsanwalt keine Robe mehr tragen müssten. Wassermann selbst ist der Auffassung, dass die Amtstracht übertriebene Distanz schafft198 und damit – in der strafrechtlichen Hauptverhandlung – eine resozialisierungsfreundliche Atmosphäre vermeidet. Im Übrigen ist nach Wassermann umso weniger an Symbolik nötig, je mehr die personale Autorität an die Stelle von Amtsautorität tritt. Nach Wassermanns Ansicht müsste zunächst wissenschaftlich untersucht werden, ob die Robe bei ihrem Träger eine Lösung aus der Alltagssphäre bewirkt
197 BVerfGE 28, 21 ff. 198 Wassermann, ZRP 1969, 169, 171.
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und somit ein spezifisches Rollenbewusstsein schaffen kann199. Aus Wassermanns Sicht wird Objektivität aber nicht durch Roben, sondern durch Schulung des Intellekts und des Charakters erworben200. Zu seiner Zeit als Landgerichtspräsident hatte Wassermann auch die Argumentation einer Richterin am Schwurgericht zurückgewiesen, welche die Teilnahme an Sitzungen deshalb verweigern wollte, weil ihr Kollege als Vorsitzender das Tragen der Robe verweigerte201. Persönlich konnte Wassermann sich einen Zivilrichter ohne Robe sehr gut vorstellen, glaubte aber, dass es das Bewusstsein der Richter überfordern würde, wenn man schon heute den Strafprozess ohne Robe stattfinden lassen würde202.
2. Sprache In seinem Beitrag „Gericht und Bürger – Was heißt bürgerfreundliche Rechtspflege und wie lässt sie sich verwirklichen?“203 verweist Wassermann auf Fontane, der in seinem Roman „Unwiederbringlich“ gesagt hat, dass Sprache das Menschlichste sei, was Menschen haben204. Ein Gerichtsverfahren, so Wassermann in seinem Beitrag weiter, könne daher nicht menschlich genannt werden, wenn in ihm die Sprache verkümmere. Wenn man eine Gerichtskultur wolle, in der Menschen menschlich gesehen und behandelt werden, dann müsse die Sprache ins Zentrum der Bemühungen gerückt werden. Dabei hat er an verschiedenen Stellen205 darauf hingewiesen, dass das Gerichtsverfahren ein Kommunikationssystem ist, bei dem Informationen durch das Medium der Sprache übermittelt werden: Weil sich das moderne Gerichtsverfahren in der Form des Dialogs abspiele, hänge die Handlungskompetenz der Beteiligten weitgehend von ihren Möglichkeiten zur sprachlichen Verständigung ab206. Dabei muss sich der Richter bewusst sein, dass sowohl der Angeklagte als auch die Zeugen oft aus Gesellschaftsschichten stammen, die unter der des Richters rangieren und sich hieraus „Kommunikationsverzerrungen“207 ergeben können. Wassermann
199 200 201 202 203 204 205 206 207
Wassermann, ZRP 1969, 169, 171. Ebenda. Artikel „Robengegner wieder in Amtstracht“, FAZ vom 17.2.1970. Gesprächsrunde mit Wassermann als Teilnehmer mit dem Titel „Richter – Staatsbürger im Talar“ geleitet von Walter Harte, NWZ vom 29.3.1969. Wassermann in: Justiz für den Bürger, S. 27 ff. Ebenda, S. 69. Ebenda, S. 63; Ders. in: Menschen vor Gericht, S. 33. Wassermann in: Menschen vor Gericht, S. 33. Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 193.
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verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff der „richterlichen Kommunikationsverantwortung“ 208 . Die Forderung nach einer Humanisierung des Gerichtsverfahrens verlange, sich so auszudrücken, dass den Richter alle Beteiligten verstehen, wobei er sich zunächst das Rezeptionsvermögen des jeweiligen Adressaten vor Augen führen müsse209. Im Sinne des zuvor beschriebenen kompensatorischen Verhandlungsstils210 leistet der Richter dem weniger sprachgewandten Bürger Hilfe, indem er ihn über die Verfahrenssituation aufklärt und auf sein Aufnahme- und Verständnisvermögen Rücksicht nimmt211. Zum anderen wird der moderne Richter der Forderung nach Humanität gerecht, indem er Stigmatisierungen sowohl des Angeklagten als auch der Zeugen unterlässt212. Aufforderungen in der Form wie: „Angeklagter, stehen Sie auf!“, gehören daher nach Wassermanns Auffassung nicht mehr in die Gerichtssäle 213 . Einer unbefangenen Verhandlungsatmosphäre dient die Anrede des Angeklagten mit seinem bürgerlichen Namen, als das mindeste bezeichnet Wassermann jedoch die Anrede „Herr Angeklagter“214. Insgesamt soll ein Sprachstil gewählt werden, der den Angeklagten in den Mittelpunkt der Verhandlung stellt und die dominierende Stellung des Richters relativiert215, und somit insgesamt eine Vertrauensatmosphäre schafft, in welcher der Angeklagte und sein Verteidiger ihre Standpunkte in die Hauptverhandlung einbringen können und dabei bei unvoreingenommer Wertung zu dem Eindruck gelangen, „daß das Gericht nach bestem Vermögen eine gerechte Entscheidung sucht“216.
3. Psychologische Verhandlungsführung Der oben beschriebene liberale Verhandlungsstil setzt die Bereitschaft aller am Verfahren Beteiligten zur Kooperation voraus. Insbesondere bei politischen Prozessen ist diese aber nicht von vorneherein gegeben. Wassermann hat am Beispiel der Prozesse um die Studentenbewegung erläutert, wie sich der moderne
208 209 210 211 212 213 214 215 216
Wassermann, Die richterliche Gewalt, S. 193. Wassermann in: Menschen vor Gericht, S. 34. Siehe Vierter Teil, Neuntes Kapitel, B), VI., 2. Wassermann in : Schreiber / Wassermann, Gesamtreform des Strafverfahrens, S. 32. Wassermann in: Menschen vor Gericht, S. 32. Wassermann, ZRP 1969, 169 ff. Wassermann, „Wird das Gericht zur Sozialklinik“, Vortragsmanuskript S. 16. Wassermann in : Schreiber / Wassermann, Gesamtreform des Strafverfahrens, S. 32. Ebenda, S. 31.
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Richter in Fällen der Provokation durch Angeklagte, Zuschauer und auch gegebenenfalls durch Verteidiger verhalten sollte217.
a) Provokationen von Seiten des Angeklagten Sind von Seiten des Angeklagten Provokationen zu erwarten, so ist eine psychologische Art der Verhandlungsführung zunächst darauf bedacht, dem Angeklagten keinen Anlass hierfür zu bieten. Wassermann hat dabei als Beispiel einen Prozess genannt, in welchem der Vorsitzende zu Beginn der Hauptverhandlung mitgeteilt hat, welches Verhalten das Gericht – etwa im Hinblick auf die Frage des Aufstehens – erwartet218. Solche Vorgaben werden nach Wassermanns Ansicht jedoch gerade von Angeklagten, denen es auf eine unsachliche Atmosphäre und eine Provokation des Gerichts ankommt, ausgenutzt. Der auf die Herstellung einer sachlichen Atmosphäre bedachte Richter solle daher auch kleinere Provokationen von Seiten des Angeklagten übergehen. Insbesondere in den Studentenprozessen gehe es den Angeklagten häufig darum, die Justiz als autoritär darzustellen. Ein ruhiges und besonnenes Verhalten des Gerichts verunsichere in solchen Konstellationen den Angeklagten mehr als überzogene Reaktionen, wie etwa die Verhängung von Ordnungshaft. Zum Teil ist es im Rahmen einer psychologischen Verhandlungsführung nach Ansicht Wassermanns sogar angebracht, auf nicht zur Sache gehörende Ausführungen des Angeklagten in der gebotenen Kürze einzugehen. Als Beispiel nennt Wassermann Verhandlungen, in denen wegen des Vorwurfs der Klassenjustiz drei Tage Ordnungshaft verhängt wurden, während in anderen Verhandlungen kurz, aber rational über den Begriff der Klassenjustiz diskutiert wurde219. Bei politischen Ausführungen von Seiten des Angeklagten lässt sich eine Eskalation nach Wassermanns Auffassung eher dadurch vermeiden, dass man derartige Ausführungen nicht unmittelbar unterbindet, sondern den Angeklagten zunächst reden lässt. Ob sich der Angeklagte dann in seinem Redefluss an einem gewissen Punkt bzw. nach einer gewissen Dauer unterbinden lässt, liege allerdings nicht alleine in der Hand des Gerichts. Flexibilität in Handeln und Argumentation sowie besonnene Reaktionen des Richters bedeute jedoch nicht, dass dieser stets nachgebe und keinerlei Gegenmaßnahmen treffe. In den Fällen, in denen es dem Angeklagten einzig
217 Wassermann, „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“. 218 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 10. 219 Wassermann hat in dem erwähnten Vortrag zum Thema der Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung allerdings auch betont, dass sich der Richter bei Diskussionen auf ein gefährliches Glatteis begibt. Diskussionen bedürften nämlich einer akribischen Vorbereitung auf die jeweiligen Sachthemen und eines gewissen Maßes an Schlagfertigkeit, siehe Vortragsmanuskript S. 11.
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und alleine um Eskalation geht, führe eine psychologische Verhandlungsführung in vielen Fällen ebenfalls nicht zum Ziel, eine sachliche Atmosphäre herzustellen. Insofern bleibe die Erkenntnis, dass Kooperation auch die Bereitschaft hierzu voraussetzt220. Lässt sich diese beim Angeklagten nicht erzeugen, sind nach Wassermanns Standpunkt auch von Seiten des modernen Richters Zwangsmittel angezeigt, um die Verhandlungsführung zu sichern. Die Vorschrift des § 231b StPO erlaubt dem Gericht die Weiterverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, wenn dieser wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungszimmer entfernt oder zur Haft abgeführt worden ist, falls das Gericht seine weitere Anwesenheit nicht für erforderlich hält und nicht zu befürchten ist, dass die Abwesenheit des Angeklagten den Ablauf der Hauptverhandlung in schwerwiegender Weise beeinträchtigen würde. Grundlage der sitzungspolizeilichen Maßnahme ist § 177 des Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach Parteien, Beschuldigte, Zeugen, Sachverständige oder bei der Verhandlung nicht beteiligte Personen, die den zur Aufrechterhaltung der Ordnung getroffenen Anordnungen nicht Folge leisten, aus dem Sitzungszimmer entfernt sowie zur Ordnungshaft abgeführt und bis zu vierundzwanzig Stunden festgehalten werden dürfen. Allerdings hat der Richter auch zu beachten, dass auch ordnungspolizeiliche Maßnahmen stets unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stehen221. Der Begriff der Ungebühr ist daher vom Standpunkt eines liberalen, nicht-autoritären Verhandlungsstils her auszulegen222. Die Verhängung von Ordnungsstrafen wegen Unhöflichkeiten sollte daher durch einen modernen Richter nicht ausgesprochen werden. Sie sollten lediglich dann ergriffen werden, wenn die Atmosphäre die Wahrheitsfindung gefährdet.
b) Provokationen von Seiten der Öffentlichkeit Auch hier gilt der Grundsatz, dass Störungen aus den Zuschauerreihen in gewissen Grenzen hinzunehmen sind, solange sie nicht die sachliche Atmosphäre insgesamt beeinträchtigen223. Gewisse Emotionen sind teilweise aus psychologischer Sicht kaum zu vermeiden und daher auch schwer zu unterbinden. An der Stelle allerdings, an der die Hauptverhandlung zu Demonstrationen gebraucht wird bzw. die Wahrheitsfindung erschwert wird, sind Maßnahmen von Seiten des Gerichts zu treffen. Bei Störungen aus einer Zuschauergruppe 220 Wassermann, „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“, Vortragsmanuskript S. 17. 221 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 19. 222 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 21. 223 Ebenda, Vortragsmanuskript S. 16.
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heraus muss der Vorsitzende dabei auch beachten, dass die Verantwortlichkeit des konkreten Störers oft schwer zu ermitteln ist und die Eskalationsbereitschaft unter gruppenpsychologischen Aspekten ansteigt224. Sofern ein Einzelner unter den Zuhörern als Störer zu identifizieren ist, empfiehlt sich ein Vorgehen mit Ordnungsstrafen. Sollten die Störungen allerdings von größeren Teilen der Zuhörerschaft ausgehen, sollte der Vorsitzende gemäß § 172 GVG den Saal räumen lassen. Die Vorschrift erlaubt die Ausschließung der Öffentlichkeit für die Verhandlung oder einen Teil der Verhandlung, wenn eine Gefahr der öffentlichen Ordnung zu besorgen ist.
IX. Umgang mit Öffentlichkeit und Medien Ausgangspunkt des Verhältnisses zwischen Justiz und Öffentlichkeit ist die Erkenntnis, dass Demokratie nur möglich ist, wenn alle Staatstätigkeit – und damit auch die Tätigkeit der Justiz – dem Prinzip der Öffentlichkeit unterliegt225. Wassermann verweist dabei226 auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: das sogenannte Lüth-Urteil227 und die Schmidt-SpiegelEntscheidung 228 . Zur freien Meinungsäußerung hatte das Verfassungsgericht229 im Lüth-Urteil ausgeführt, dass das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung konstituierend ist, da es die ständige geistige Auseinandersetzung als Lebenselement erst ermögliche. Ebenfalls als ein Wesenselement eines frei-heitlichen Staates hatte das Bundesverfassungsgericht in der sogenannten Schmidt-Spiegel-Entscheidung die freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte Presse bezeichnet: Eine freie politische Presse sei für eine Demokratie unentbehrlich. Wenn der Bürger politische Entscheidungen treffe, müsse er informiert sein und Meinungen anderer kennen und gegeneinander abwägen. Diese „ständige Diskussion“ werde durch die Presse am Laufen gehalten, in ihr würden Argumente und Gegenargumente dem Bürger die Entscheidung erleichtern230. Zugleich stehe die Presse in der repräsentativen Demokratie als ständiges Verbindungs- und Kontrollorgan zwischen dem Volk und seinen Vertretern. Wenn man mit
224 Wassermann, „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“, Vortragsmanuskript S. 18. 225 Wassermann in: Justiz und Medien, S. 19. 226 Ebenda. 227 NJW 1958, 257 ff. 228 NJW 1966, 1603 ff. 229 Unter Berufung auf BVerfGE 5, 85, 205. 230 NJW 1966, 1603, 1604.
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Wassermann auch dem Richter eine politische Funktion zuschreibt231, kann entsprechend für das Verhältnis zwischen Justiz und Presse nichts anderes gelten. Die Funktion der Medien im modernen Verfassungsstaat führt zu einer Verpflichtung der Justiz zu Transparenz und Informationsleistung. Öffentliche Kritik der Medien an richterlichen Entscheidungen versteht Wassermann als Korrektiv richterlicher Macht und als Korrelat der richterlichen Unabhängigkeit232. Nach anderer Auffassung233 ergibt sich die Unzulässigkeit gesellschaftlicher und damit medialer Einflussnahmen jedenfalls aus dem System der repräsentativen Demokratie. Dem entgegnet Wassermann234, diese Auffassung übersehe, dass gerade Entscheidungen der Legislative immer unter starkem gesellschaftlichen Druck stünden und in einer pluralitären Demokratie Parteien und andere soziale Organisationen an der Meinungsbildung nicht ausgeschlossen seien. Allerdings dürfe kein Staatsorgan – und damit auch nicht die Justiz und der entscheidende Richter – seine Auffassung nur aufgrund des gesellschaftlichen Drucks ändern235. Den Medien kommt nach der Auffassung Wassermanns eine soziale Kontrollfunktion gegenüber den Richtern zu und hilft letztlich auch den Richtern selbst, die durch die Berichterstattung erfahren können, wie die bei Gericht behandelten Probleme in der Gesellschaft beurteilt werden236. Öffentliche Kritik sollte von dem modernen Richter daher als Chance empfunden werden, den eigenen Standpunkt bzw. die eigenen Wertungen zu überprüfen und in Zukunft bei ähnlich gelagerten Fällen gegebenenfalls anders zu entscheiden237. Wenn das Gesetz dem Richter Gestaltungsspielräume bei einer Entscheidung zugestehe, dann müsse dieser auch akzeptieren, dafür kritisiert zu werden, dass er sich für eine bestimmte Auslegung oder – im Strafurteil – für ein bestimmtes Strafmaß entschieden hat. Gleichzeitig sollte der Richter auch öffentlich sagen dürfen, dass und wenn der Justiz Mängel des Gesetzgebers angekreidet werden, für die die Justiz nicht verantwortlich ist238. Da sich der moderne Richter bewusst sei, dass sich auch die Justiz ihr bzw. der einzelne Richter sein Ansehen erarbeiten und stets neu beweisen muss, ist er sich auch bewusst, dass es nicht Aufgabe der 231 Siehe Dritter Teil, Achtes Kapitel, A), II. 232 AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 85; Ders. in: Justiz und Medien S. 30 ff. 233 AK-GG-Wassermann (Stand 2001), Art. 97, Rn. 87 unter Hinweis auf die Kommentierung von Herzog in: Maunz / Dürig, GG, Art. 97, Rn. 39 f. 234 Ebenda. 235 Ebenda. 236 Ebenda. 237 Wassermann in: Justiz und Medien, S. 37. 238 Ebenda, S. 36.
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Medien ist, das Ansehen der Justiz zu fördern239. Dabei muss er akzeptieren, dass mediale Berichterstattung stets auch subjektiv geprägt und nicht – wie die Justiz – zur Objektivität verpflichtet ist. Darüber hinaus muss sich der Richter bewusst machen, dass der Journalist zeitlich, technisch und oft auch mangels weitergehender Erkenntnismöglichkeiten nicht in der Lage ist, eine Angelegenheit umfassend und von allen Standpunkten her zu erörtern. Allerdings hat auch die Presse die journalistische Wahrheits- und Sorgfaltspflicht zu achten, und es ist dem Richter daher auch nicht verwehrt, darauf aufmerksam zu machen, wenn von Seiten einzelner Medien hiergegen verstoßen wird240. Ansonsten hat der Richter es zu akzeptieren, dass Urteilsschelte von Seiten der Medien aufgrund der Personalisierung des Richteramtes 241 stets auch Richterschelte ist. Dabei kommt es nach Wassermann der Justizreform sogar entgegen, wenn der Name des Richters genannt wird242. Nach Wassermanns Ansicht muss sich der Richter, der öffentlich verhandelt und entscheidet, der öffentlichen Kritik stellen, weil Gerichtsverhandlungen die Allgemeinheit berührende Angelegenheiten sind, zu deren Diskussion die Medien legitimiert sind und dabei auch einseitige Wertungen vornehmen dürfen243. Kritik könne vom Grundsatz her auch während laufender Verfahren geäußert werden. Zunächst kenne das deutsche Recht keinen dem englischen „Contempt of Court“ vergleichbaren Schutz, nach dem unter anderem abschließende Stellungnahmen vor und während eines Verfahrens untersagt werden können244. Zwar sah der Entwurf des Strafgesetzbuches von 1935 die Verächtlichmachung der Rechtspflege und den Versuch der Einschüchterung von Verfahrensbeteiligten als Straftatbestände vor. Weiterhin sah § 137b des Reformentwurfes von 1952 eine Strafbarkeit der Einschüchterung von Verfahrensbeteiligten und der Gefährdung der Entscheidungsfindung durch Vorerörterungen vor, der später zunächst im Entwurf des § 452 auf Störungen der Strafrechtspflege eingeschränkt wurde und nach Diskussionen in der Presse vor der endgültigen Reform verschwand245. Während laufender Verfahren könne die Justiz jedoch vor dem Hintergrund des Anspruchs des Einzelnen auf ein faires 239 240 241 242 243 244 245
Wassermann in: Justiz und Medien, S. 35. Ebenda, S. 59. Siehe Dritter Teil, Achtes Kapitel, A), 2. Wassermann in: Justiz und Medien, S. 64. Ebenda, S. 51. Siehe zu weiteren Anwendungsfällen des „Contempt of Court“ ebenda, S. 41. In der durch das EGStGB 1974 umgestalteten Strafvorschrift des § 353d StGB werden jedoch nunmehr für bestimmte Fallgruppen Mitteilungen über Gerichtsverfahren unter Strafe gestellt. Duch die Vorschrift wurden im Wesentlichen in anderen Gesetzen enthaltene Einzelvorschriften zusammengefasst, siehe Vormbaum in: LK-StGB, § 353d StGB, Entstehungsgeschichte.
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Verfahren verlangen, dass Kritik nicht in extremer Weise einseitig und mit Druck auf die Verfahrensbeteiligten ausgeübt wird. Wassermann verweist dabei auf die Entschließung des Deutschen Presserates246 aus dem Jahre 1958, in der es heißt: „Die Presse soll vor Beginn oder während der Dauer eines Gerichtsverfahrens in Darstellung und Überschrift jede einseitige, tendenziöse oder präjudizierende Stellungnahme vermeiden und nichts veröffentlichen, was die Unbefangenheit der am Verfahren beteiligten Personen oder die freie Entscheidung des Gerichts zu beeinträchtigen geeignet ist.“
Als Grenze haben die Medien allerdings neben ehrverletzender Schmähkritik auch die in Strafverfahren geltende Unschuldsvermutung und das Resozialisierungsinteresse des Angeklagten zu respektieren. Problematisch erscheint bezüglich der Unschuldsvermutung allerdings, dass diese zunächst von der Justiz zu beachten und nicht unmittelbar an die Medien gerichtet ist. Wassermann argumentiert an dieser Stelle mit dem Menschenwürde- und dem Rechtsstaatsprinzip sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz247. Aufgrund des Verhältnismäßigkeitsprinzips könnten die Medien keine weitergehenden Eingriffsrechte als Staatsanwaltschaft oder Gerichte in das Persönlichkeitsrecht des Beschuldigten beanspruchen, die wiederum die Unschuldsvermutung zu beachten haben 248 . Bestätigt sieht Wassermann diese Ansicht durch das sogenannte „Lebach-Urteil“ des Bundesverfassungsgerichts249. Das Verfassungsgericht hat in dieser Entscheidung festgestellt, dass eine Fernsehberichterstattung über eine Straftat unter Nennung des Namens des Täters und seiner Abbildung regelmäßig einen schweren Eingriff in dessen Persönlichkeitsrecht bedeutet. Auf der anderen Seite betont das Bundesverfassungsgericht nochmals, dass die Rundfunk- und die Pressefreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sind und stellt klar, dass Hörfunk und Fernsehen wie die Presse zu den unentbehrlichen Massenkommunikationsmitteln zählen, denen sowohl für die Verbindung zwischen Volk und Staatsorganen wie auch für deren Kontrolle eine maßgebende Wirkung zukommt. In Bezug auf Straftaten wird in dem Urteil festgestellt, dass auch diese zum Zeitgeschehen gehören, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Die Verletzung der Rechtsordnung, die Sympathie mit den Opfern, die Furcht vor Wiederholung solcher Straftaten und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen nach Auffassung des Gerichts ein an-
246 247 248 249
Wassermann in: Justiz und Medien, S. 48. Ebenda, S. 68. Ebenda. BVerfGE 35, 202.
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erkennenswertes Interesse an näheren Informationen über Tat und Täter. Während zunächst der Wunsch nach Kenntnis der reinen Tatsachen im Vordergrund stehe, würde mit zunehmendem zeitlichen Abstand das Interesse an den Hintergründen der Tat und ihren gesellschaftlichen Voraussetzungen an Bedeutung gewinnen und nicht zuletzt auch das legitime demokratische Bedürfnis nach Kontrolle der für die Sicherheit zuständigen Staatsorgane maßgeblich ins Gewicht fallen. In der darauffolgenden Abwägung kommt das Bundesverfassungsgericht zu dem Ergebnis, dass bei aktueller Berichterstattung über Straftaten im Allgemeinen dem Informationsinteresse der Bevölkerung ein Vorrang vor dem Persönlichkeitsrecht des Täters zukommt. Dieser Vorrang gelte aber nicht schrankenlos, da die zentrale Bedeutung des Persönlichkeitsrechts auf den unantastbaren inneren Lebensbereich die strikte Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verlange. Daran anschließend stellt das Urteil fest, dass auch die bis zur rechtskräftigen Verurteilung geltende Unschuldsvermutung eine entsprechende Zurückhaltung bzw. eine mindestens angemessene Berücksichtigung der Tatsachen und Argumente der Verteidigung gebiete. Darüber hinaus grenzt das Urteil die Zulässigkeit der medialen Berichterstattung aufgrund des Persönlichkeitsschutzes des Täters in zeitlicher Hinsicht ein. Nach der Befriedigung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit seien fortgesetzte oder wiederholte Eingriffe in den Persönlichkeitsbereich des Täters in der Regel nicht zu rechtfertigen. Dabei sieht das Bundesverfassungsgericht als maßgeblichen Orientierungspunkt für die zeitliche Grenze die durch eine Berichterstattung einhergehende Gefährdung der Resozialisierung des Täters an. Diese sei regelmäßig dann anzunehmen, wenn eine Sendung, durch die der Täter zu identifizieren ist, in zeitlicher Nähe zu seiner Entlassung aus der Haft ausgestrahlt werden soll. Innerhalb dieser Grenzen akzeptiert der moderne Richter mediale Berichterstattung und von den Medien an der Justiz bzw. an ihm geübte Kritik nicht nur, weil er sich der wichtigen Rolle der Medien zur Erfüllung des Informationsinteresses der Öffentlichkeit und der Meinungsbildung innerhalb der Bevölkerung bewusst ist. Er sieht in ihr auch die Möglichkeit, eigene Standpunkte und Entscheidungen zu überdenken. Im umgekehrten Verhältnis ist zu fragen, ob und wie der moderne Richter selbst in den Medien präsent sein darf. Insofern gilt zunächst das dienstrechtliche Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot250 zu beachten. Nach § 39 DRiG hat sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet 250 Vgl. §§ 53 BBG, 53 Abs. 2 BRRG, 39 DRiG.
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wird. Im Rahmen der Auslegung der Vorschrift ist nach Wassermanns Auffassung zu berücksichtigen, dass das öffentliche Bewusstsein von einem liberalen Zeitgeist geprägt ist, in dem der Selbstentfaltung des Einzelnen ein hoher Rang beigemessen wird, sodass die Grenzen richterlicher Meinungsfreiheit außerhalb des Dienstes weit zu ziehen seien251. Der Richter soll sich daher „engagiert und in deutlicher Sprache“252 an der Diskussion rechts- und allgemeinpolitischer Fragen beteiligen dürfen. Anders als das Bundesverwaltungsgericht253 hält es Wassermann dabei sogar für zulässig, wenn der Richter in der öffentlichen Diskussion – etwa in Zeitungsanzeigen – seinen Namen durch die Berufsangabe ergänzt, weil er sich dadurch eine besondere Wirkung auf die öffentliche Meinung erhofft. Wenn man dem Richter die Teilnahme an der politischen Diskussion gestatte, so argumentiert Wassermann, müsse man ihm auch die in der heutigen Zeit notwendigen Mittel zugestehen, um sich Gehör zu verschaffen 254 . Als unzulässig sieht Wassermann neben demagogischen, polemischen255, bewusst unwahren und beleidigenden Äußerungen insbesondere Aufforderungen zum zivilen Ungehorsam256 an. 251 Wassermann, NJW 2001, 1470. 252 AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 84. 253 NJW 1988, 1748. In dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Sachverhalt hatte der Kläger als Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck gemeinsam mit 34 anderen Richtern und Staatsanwälten am 6.8.1983 in der Tageszeitung „Lübecker Nachrichten“ eine Anzeige aufgegeben, in der sie unter Hinweis auf ihren beruflichen Status die geplante Stationierung von Pershing II Raketen auf deutschem Boden als mit Art. 2 Abs. 2 GG unvereinbar bezeichnet hatten. Daraufhin hatte der klagende Richter vom Präsidenten des Landgerichts eine dienstrechtliche Ermahnung ausgesprochen bekommen. Das Bundesverwaltungsgericht argumentierte, der Richter dürfe sich zwar politisch betätigen. Die Pflicht zur Mäßigung und Zurückhaltung gebiete es ihm jedoch in besonderer Weise, eine klare Trennung zwischen seinem Richteramt und der Teilnahme am politischen Meinungskampf einzuhalten. Er dürfe bei privaten Äußerungen nicht den Anschein einer amtlichen Stellungnahme erwecken und würde seine sich aus dem ihm anvertrauten Amt ergebende Pflicht auch verletzen, wenn er das mit diesem auf Grund seiner verfassungsrechtlichen Ausgestaltung verbundene Ansehen und Vertrauen einsetzt, um seiner Meinung in der politischen Auseinandersetzung mehr Nachdruck zu verleihen und durch den Einsatz des Richteramtes eigene politische Auffassungen wirksamer durchzusetzen. 254 AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 84. 255 Als polemisch und damit mit dem Mäßigungsgebot des § 39 DRiG nicht vereinbar hat Wassermann etwa die Äußerung eines Vorsitzenden einer Strafkammer am Landgericht Frankfurt am Main angesehen, der in einem Zeitungsartikel die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den als Zeuge vernommenen damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer als „hochgradig lächerlich“ bezeichnet hatte. Zwar sei in der Politik ein rüder Umgangston üblich geworden, der auch auf andere Bereiche abgefärbt habe. Hiervon solle sich jedoch die Justiz fernhalten, siehe Wassermann, NJW 2001, 1470, 1471. 256 Der damals stark in der politischen Diskussion stand.
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Unter Berufung auf einen Beitrag des ehemaligen Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Sendler257 , der hierin die Auffassung vertritt, man könne auch als Richter in der Öffentlichkeit nahezu alles sagen, solange dies mit Pietät und Takt geschehe, sieht Wassermann im beruflichen Ethos des Richters eine neben den dienstrechtlichen Schranken bestehende Grenze258.
X. Stellungnahme Während die Fragen des Aufstehens und der Sitzordnung sowie der Kleidung für die Verhandlungsatmosphäre eher von untergeordneter Bedeutung sein dürften, hat Wassermann zu Recht die Sprache in den Vordergrund gestellt, wenn es um die Herstellung eines humanen Verhandlungsstils geht. Sämtliche Bemühungen um eine Humanisierung des Verfahrens und um die Herstellung einer sachlichen Verhandlungsatmosphäre würden ins Leere laufen, wenn sich der Richter nicht der dazu erforderlichen Kommunikation mit den Verfahrensbeteiligten bedient. Dass dies jedoch auch die entsprechende Bereitschaft des Angeklagten voraussetzt, hat Wassermann nicht verkannt und daher richtigerweise eine psychologische Verhandlungsführung verlangt, um mit Provokationen von Seiten des Angeklagten oder auch der Öffentlichkeit umzugehen. Allerdings bleiben Wassermanns Ausführungen an dieser Stelle zwangsweise an der Oberfläche. Eine psychologische Verhandlungsführung setzt voraus, dass der Richter flexibel auf sich immer wieder anders darstellende Situationen im Rahmen einer Hauptverhandlung reagiert. Hinzu kommt, dass Angeklagte in der jeweiligen spezifischen Situation auf Reaktionen des Richters unterschiedlich reagieren. Aufsätze oder Vorträge können die Thematik daher allenfalls kurz beleuchten. Selbst längere Abhandlungen in Form von Monographien können lediglich einen Einblick geben und grobe Handlungslinien zeichnen, die der Rezipient in der täglichen Praxis und der damit einhergehenden Erfahrung selbst erproben muss. Kritischer ist jedoch Wassermanns Ansicht zu bewerten, wonach der Richter in der öffentlichen Diskussion die Angabe seines Berufes nutzen kann, wenn er sich hiervon eine besondere Wirkung auf die öffentliche Meinung erhofft. Insofern hat das Bundesverwaltungsgericht259 zutreffend darauf hingewiesen, dass sich der Richter nach § 39 DRiG zwar politisch und parteipolitisch betätigen und gemäß § 36 DRiG auch am Wahlkampf beteiligen dürfe. Allerdings verlangt das Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebot auch die Einhaltung einer Trennung 257 Sendler, NJW 1984, 689 ff. 258 AK-GG-Wassermann, Art. 97, Rn. 84. 259 NJW 1988, 1748 ff.
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Vierter Teil: Innere Justizreform als Lebensaufgabe
zwischen dem Amt und dem damit verbundenen Ansehen und Vertrauen einerseits und der Teilnahme am politischen Meinungskampf andererseits. Wenn Dritte im Anschluss oder im Zusammenhang mit Äußerungen des Richters im politischen Meinungskampf auf dessen Stellung hinweisen, ist dies anders zu bewerten, als wenn der Richter selbst sein Amt dazu nutzt, um sich in besonderer Weise Gehör zu verschaffen. Hiervon sollte der Richter im Sinne des Mäßigungs- und Zurückhaltungsgebotes Abstand nehmen.
Elftes Kapitel: Erreichtes und Würdigung Wassermann selbst hat – soweit ersichtlich – bei drei verschiedenen Anlässen öffentlich eine Bilanz der inneren Justizreform gezogen: Einmal anlässlich einer Tagung der Evangelischen Akademie Arnoldshain im Jahr 1980, bei der er einen Vortrag zum Thema „Zehn Jahre Justizreform: Rückblick und Ausblick“ hielt. Ein weiteres Mal im Rahmen seines im Jahre 1985 erschienenen Buches „Vorsorge für Gerechtigkeit“. Und ein drittes Mal im Jahre 1990 anlässlich seiner Verabschiedung als Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig. Bereits in seinem ersten Résumé zog Wassermann ein insgesamt positives Fazit. Die Herauslösung des Richters aus seiner Einbettung in die deutsche Beamtentradition und die Stärkung der richterlichen Unabhängigkeit war seiner Meinung nach in einer Weise durchgesetzt, die alle Erwartungen überstieg und er sah die richterliche Unabhängigkeit vom Staat so gesichert wie nie zuvor in der Geschichte1. Beispielhaft hierzu erwähnte Wassermann den Rückzug der Dienstaufsicht: Wenn sich früher ein Bürger z.B. über einen Richter wegen dessen Urteil oder dessen Verfahren beschwert hat, habe er zwar den sogenannten Unabhängigkeitsbescheid erhalten, intern aber seien die Entscheidung und das Verfahren sorgfältig geprüft und dem Richter Vorhaltungen gemacht worden2. Eine solche Dienstaufsicht sei heute undenkbar. Auch seien Fortschritte im Selbstverständnis der Richter erzielt worden, die heute wüssten, dass sie nicht gesetzesvollzieherisch tätig sind und nicht nur aussprechen, was das Gesetz für den Einzelfall vorschreibt. Dies sei vor zehn, acht und auch vor sechs Jahren noch nicht überall der Fall gewesen3. Dabei gehöre die Erkenntnis, dass immer mehr Richter den sozialgestalterischen Charakter ihrer Tätigkeit erkennen, zu den erfreulichen Ergebnissen der letzten Jahre4. Auch in der Art der Verhandlungsführung sah Wassermann bedeutende Fortschritte. Während früher eine bewusst kühle und unpersönliche Atmosphäre vor Gericht geherrscht habe und der Ton von der obrigkeitsstaatlichen Tradition bestimmt gewesen sei, sei die Atmosphäre vor Gericht humaner geworden5. Dennoch erscheine dem Bürger die Justiz nach wie vor als „kalte Maschinerie“, als „mühsam mahlende Mühle“ und „anonymer 1 2 3 4 5
Wassermann, Zehn Jahre Justizreform: Rückblick und Ausblick in: Arnoldshainer Protokolle 9.80, S. 28 f. Ebenda. Ebenda, S. 33. Ebenda, S. 37. Ebenda, S. 38 f.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-011
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Apparat“6. Die Humanisierung des Gerichtsverfahrens bleibe daher eine ständige Aufgabe. Im Übrigen stoße auch die Forderung nach einer ausgleichenden Verhandlungsführung nach wie vor noch auf die auf Missverständnissen beruhende Besorgnis, der Richter könne deswegen mit Erfolg abgelehnt werden. Sorgen bereitete Wassermann die Infrastruktur der Justiz, weil es nicht gelungen sei, den Personalbestand so zu erhöhen, wie es im Interesse der rechtsuchenden Bürger und auch der Richter unbedingt notwendig wäre 7 . Das moderne Gerichtsverfahren benötige einen höheren Personalaufwand und die bestehende Personallage erschwere die Umsetzung der Forderungen der Reform ungemein. Auch in den beiden darauf folgenden Rückblicken auf die Ergebnisse der inneren Justizreform zeichnete Wassermann eine positive Bilanz. So stellte er fest, dass sich die interne Aufklärungsarbeit8 gelohnt habe und die deutschen Richter heute wüssten, dass sie nicht lediglich gesetzesvollziehend tätig seien, wenn sie Recht sprechen9. Auch würden sie ihre Person nicht mehr hinter der Robe verstecken, und nicht zuletzt habe sich der Einstellungswandel in einem unbefangeneren Verhältnis zur Öffentlichkeit und zur Politik niedergeschlagen10. Gerade in diesen Punkten, so Wassermann, sei die Reformbewegung erfolgreich gewesen. Die Justiz sei liberaler und demokratischer, vor allem aber offener, menschlicher und sozialer geworden11. Der noch in den ersten beiden Jahrzehnten nach Zusammenbruch des NS-Regimes herrschende obrigkeitsstaatliche Ton sei in den Gerichten der Bundesrepublik nicht mehr vorhanden12. Wenn man bedenke, wie mager die Ergebnisse der äußeren Justizreform durch den Gesetzgeber ausgefallen seien, finde er sich in seiner Entscheidung bestätigt, vom Richteramt aus die innere Reform der Justiz zu betreiben, anstatt im Ministerium Gesetze vorzubereiten13. Rudolf Wassermann hat nach den in dieser Untersuchung gewonnenen Erkenntnissen die Entwicklung der Justiz seit Beginn der sechziger Jahre maßgeblich beeinflusst. Obwohl er bis auf den Bundesvorsitz des Arbeitskreises sozialdemokratischer Juristen kein politisches Mandat innehatte, wird man Wassermann
6 7 8 9 10 11 12 13
Wassermann, Zehn Jahre Justizreform: Rückblick und Ausblick in: Arnoldshainer Protokolle 9.80, S. 39. Ebenda, S. 40. Gemeint war damit die innerhalb der Justiz geführte Diskussion um Status und Rolle des Richters. Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, S. 253. Wassermann, RuP 1989, 177, 180. Ebenda, S. 187. Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, S. 257. Wassermann, RuP 1989, 177, 187.
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dennoch ohne Zweifel als Rechtspolitiker bezeichnen. In seinem Buch „Vorsorge für Gerechtigkeit“ hat Wassermann die Aufgabe der Rechtspolitik definiert14. Immer dann, wenn das positive Recht mit seinen Normen und Institutionen nicht oder nicht mehr den Maßstäben der Gerechtigkeit entspricht, hat die Rechtspolitik die Aufgabe, die Normen und Institutionen, die diesen Einklang stören, zu korrigieren oder durch neue zu ergänzen oder zu ersetzen. Hieran anschließend hatte Wassermann die Formel gebraucht, Rechtspolitik in diesem Sinne sei politische Vorsorge für Gerechtigkeit15. Ihm selbst ging es dabei um mehr Menschlichkeit im Recht und durch das Recht16, um die Anpassung des Rechts an die technische Entwicklung und den sozialen Wandel17 und schließlich um den Übergang von der bürgerlichen zur sozialen Rechtsordnung18. Aber auch Wassermanns Lebensaufgabe der inneren Reform der Rechtspflege war letztlich rechtspolitischer Natur. Dies zeigt die zuvor erfolgte Aufgabenbeschreibung der Rechtspolitik, die neben den Normen ausdrücklich auch von Institutionen spricht. Auch diese gilt es demnach zu reformieren, sofern sie nicht mehr den an sie zu stellenden Anforderungen genügen. Auf dem Gebiet der inneren Justizreform ist es Wassermann gelungen, einen Einstellungswandel innerhalb der Justiz miteinzuleiten, der bis in die heutige Zeit anhält. In dem hierbei zentralen Punkt des richterlichen Selbstverständnisses bzw. der Rolle des Richters innerhalb der Gesellschaft war Wassermann mit den bereits existierenden Analysen, etwa denen Eugen Schiffers19, des Berliner Rechtsanwalts Martin Beradt20 oder auch des früheren Generalstaatsanwaltes Karl Siegfried Bader21, bis ins Detail vertraut und nahm die entsprechenden Ausführungen und Gedanken in seine eigenen Überlegungen auf. Sein besonderes Verdienst liegt nicht bloß darin, dass er die existierenden Bestandsaufnahmen der deutschen Richterschaft aufgegriffen und sich hiermit tiefer gehend und differenziert auseinandergesetzt hat. Er hat unter anderem 22 ein richterliches Selbstverständnis unter Heranziehung der maßgeblichen Bestimmungen des Grundgesetzes entwickelt und das von ihm vertretene Richterbild damit auf eine dogmatische Grundlage gestellt. Das weitere große Verdienst Wassermanns um 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Wassermann, Vorsorge für Gerechtigkeit, S. 19. Ebenda. Ebenda, S. 36 ff. Ebenda, S. 63 ff. Ebenda, S. 81 ff. Schiffer, Die deutsche Justiz. Beradt, Der Deutsche Richter. Karl Siegfried Bader, Die Deutschen Juristen. Unter Bezugnahme vor allem auf Zinn, siehe Vierter Teil, Neuntes Kapitel, A), I.
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die innere Reform der Justiz liegt darin, dass er der Diskussion um die Justizreform verholfen hat, von einer rein fachlich-internen zu einer öffentlichen Diskussion zu werden. Ohne die zum Teil hitzigen Debatten, etwa um die politische Funktion des Richters, wäre ein Einstellungswandel innerhalb der Justiz sicher nicht in dem zu verzeichnenden Maße möglich gewesen. Wassermann ist es gelungen, die Öffentlichkeit für die Justiz zu interessieren und umgekehrt der Justiz den Spiegel vorzuhalten. Letzteres in dem Sinne, dass der Justiz das von ihr in der öffentlichen Meinung bestehende Bild vor Augen geführt wurde. Dabei musste Wassermann mit seinen Vorstellungen von einer inneren Reform der Justiz gegen zwei Seiten ankämpfen: zum einen gegen das konservative Lager in Justiz und Politik und zum anderen gegen die extreme politische Linke, die in Gestalt des SDS im Rahmen der Studentenbewegung sämtliche Reformen ablehnte und nach einem anderen Gesellschaftssystem strebte. Wassermann ging es jedoch zu keinem Zeitpunkt darum, einem gewissen politischen Lager gerecht zu werden. Damit kann man Rudolf Wassermann am Ende dieser Untersuchung ein Kompliment aussprechen, das nur wenige für sich in Anspruch nehmen können. Es ging ihm stets um die eigene Überzeugung und nie darum, was gerade dem sogenannten „mainstream“ entspricht. Diese Eigenschaft und die Bereitschaft, die eigenen Überzeugungen auch gegen Widerstände – egal von welcher Seite – weiter zu verfolgen, haben Wassermann zu einem festen und wichtigen Bestandteil der deutschen Justizgeschichte der Nachkriegszeit werden lassen.
ANHANG
Quellenverzeichnis 1.
Abgangszeugnis vom 8. März 1943, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745.
2.
Abschiedsrede vom 13. Januar 1990 anlässlich der Verabschiedung als OLG-Präsident in Braunschweig, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000069.
3.
Abschiedsrede anlässlich des offiziellen Amtswechsels im Hinblick auf das Amt des OLG-Präsidenten in Braunschweig, befindet sich im Archiv der sozialen 0, Signatur: 1/RWAE000069.
4.
Ansprache anlässlich der Einführung in das Amt des Präsidenten des Landgerichts Frankfurt am Main am 24. Mai 1968, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000017.
5.
Artikel „Die Altmark wird nun lernen müssen, weit über ihren Schatten zu springen“ von Rudolf Wassermann (ohne Zeitschriftenangabe, ohne Datum), befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000377.
6.
Auflistung der Beurteilungen Wassermanns in den einzelnen Stationen des Vorbereitungsdienstes, die Auflistung erfolgte durch Wassermann selbst, der die Bewertungen nach eigenen Angaben seinen Personalakten entnommen hat, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000528.
7.
Aufnahmeschein der SPD vom 2. Januar 1946, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745.
8.
Bericht „Wassermann stellt SPD-Schwerpunktprogramm zur besseren Bekämpfung der Jugendkriminalität vor“, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047.
9.
Bescheid vom 23.2.1943 zur Heranziehung zum langfristigen Notdienst gemäß § 1 der Notdienstverordnung vom 15.10.1938,befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745.
10. Bescheinigung des Bürgermeisters der Gemeinde Grafling vom 8. August 1945, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745. 11. Bescheinigung vom 24. September 1945, wonach Rudolf Wassermann, wohnhaft in Peertz Krs. Salzwedel/Altm., bei der Bäuerin Ida Krösch beschäftigt war, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-012
176
Anhang
12. Brief Redekers an Wassermann vom 27. September 1968, befindet sich im Bundesarchiv Koblenz, Signatur: BArch B 411/491. 13. Brief Wassermanns an den Chefredakteur der Berliner Morgenpost vom 26. März 1970, veröffentlicht in der Ausgabe der Berliner Morgenpost vom 2. April 1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000548. 14. Brief Wassermanns an den Niedersächsischen Justizminister Schäfer vom 21. Oktober 1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-EbertStiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000536. 15. Brief Wassermanns an Pulch vom 2. November 1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000548. 16. Brief Wassermanns an Klaus Matthiesen vom 8. April 1979, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047. 17. Brief Wassermanns an Redeker vom 30. September 1968, befindet sich im Bundesarchiv Koblenz, Signatur: BArch B 411/491. 18. Buchmanuskript „APO und Justiz – Ein Rückblick auf die Justizkampagne des SDS – Frankfurt 1968/69, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000773. 19. Deutscher Richterbund-Informationen Nr. 3/1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000313. 20. Ernennungsurkunde zum Gerichtsassessor mit Wirkung vom 1. Mai 1957, ausgestellt am 13. April 1957, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000746. 21. Ernennungsurkunde zum Landgerichtsrat mit Wirkung vom 1. Januar 1959, ausgestellt am 22. Dezember 1958, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000746. 22. Ernennungsurkunde vom 1. Oktober 1963 zum Kammergerichtrat, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000746. 23. Ernennungsurkunde zum Landgerichtspräsidenten vom 25. April 1968, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000746. 24. Formularantrag zur Zulassung einer Ausnahme von der Vorschrift des § 33 Abs. 3 Nr. 2b) BLV vom 3. Juli 1967, unterzeichnet vom Prof. Ehmke, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000746.
Quellenverzeichnis
177
25. Kommentar von Wolf Hepe: „Eine Chance für den Präsidenten“ vom 13. Januar 1971, Zeitung unbekannt, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000107. 26. Lebenslauf Rudolf Wassermann, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000295. 27. Leserbrief mit dem Titel „Wassermanns „leichte Schwäche“, abgedruckt im Rheinischen Merkur vom 16. Oktober 1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000548. 28. Leserbrief von Dr. Krupke an den Rheinischen Merkur, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000548. 29. Leserbrief von Richter Berlit mit dem Titel „Bärendienst“ an den Pressespiegel des Deutschen Richterbundes, veröffentlicht in Deutscher Richterbund-Information Nr. 4/1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000 313. 30. Parlamentarischer Informationsdienst der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag vom 25. Januar 1971, „Justizpolitische Vorstellungen der Parteien – Dokumentation über die Landtagsdebatte am 20.1.1971 –“, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000107. 31. Presseerklärung Wassermanns mit dem Titel „Kappeln behält sein Amtsgericht!“, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047. 32. Presseerklärung Wassermanns mit dem Titel „Glückstadt und Kellinghausen sollen ihre Amtsgerichte behalten!“, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047. 33. Reifezeugnis vom 15. Juli 1946, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745. 34. Schreiben vom 26. September 1951 des Kammergerichtspräsidenten an Wassermann, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000528. 35. Schreiben vom 29. September 1951 von Wassermann an den Kammergerichtspräsidenten, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-EbertStiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE00528. 36. Schreiben vom 10. Oktober 1951 von Dr. Behling an den Kammergerichtspräsidenten, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000528.
178
Anhang
37. Schreiben vom 8. März 1979 von Klüver an die SPD-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047. 38. Schwerpunktprogramm zur effektiven Bekämpfung der Jugendkriminalität in Schleswig-Holstein und zur Neugestaltung des Jugendstrafvollzuges, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000047. 39. Sitzungsprotokoll der Landtagsdebatte vom 16. Dezember 1970 im Niedersächsischen Landtag in Hannover, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000299. 40. Sonder-Pressespiegel Deutscher Richterbund vom 3. März 1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000313. 41. Stellungnahme Wassermanns zu den Angriffen im Bayernkurier und im Deutschland-Magazin, veröffentlicht in Deutscher Richterbund-Information Nr. 4/1970, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000313. 42. Studienbuch der Martin Luther Universität Halle-Wittenberg in Halle-Saale, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745. 43. Vortragsskript „Die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptverhandlung“, gehalten im September 1969 in Siegburg, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000545. 44. Vortragsskript „Wird das Gericht zur Sozialklinik“, gehalten am 3. Oktober 1969 in Bad Meinberg, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000545. 45. Vortragsskript „Entzauberung des Rechts-Entmythologisierung der Justiz“, gehalten 1969 in Bayern, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der FriedrichEbert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000285. 46. Zeugnis der ersten juristischen Staatsprüfung vom 24. Oktober 1950, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000745. 47. Zeugnis der zweiten juristischen Staatsprüfung vom 21. Oktober 1955, befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn, Personenbestand Rudolf Wassermann, Signatur: 1/RWAE000528.
Literaturverzeichnis Aufsätze / Beiträge / Monographien / Rezensionen (in alphabetischer Reihenfolge) ARNDT, Adolf: Das Bild des Richters, Karlsruhe 1957. ARTIKEL (ohne Autor) „Frankfurt: Erste SDS-Aktion gegen Justiz“, FR vom 25. September 1968. ARTIKEL (ohne Autor) „Wahlkampf – Lärm gemacht“, Spiegel Nr. 6/1969 vom 3. Februar 1969. A RTIKEL (Autorenkürzel: H.S.) „Mit neuem Parteibuch“, Bayernkurier vom 14. Februar 1970. ARTIKEL (Autorenkürzel: X.) „Robengegner wieder in Amtstracht“, FAZ vom 17. Februar 1970. ARTIKEL (ohne Autor) „Also doch: Bergmann neuer Präsident des Oberverwaltungsgerichts“, Berliner Morgenpost vom 19. März 1970. ARTIKEL (ohne Autor) „Gruppe 47 der Justiz“, Deutschland-Magazin, Beilage der ASZ vom 22. Oktober 1970. ARTIKEL (ohne Autor) „Nach heftigen Diskussionen: Einführung Wassermanns“, BZ vom 13. Januar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Kritik bei der Amtseinführung Wassermanns in Braunschweig“, SZ vom 13. Januar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Mit Bedauern akzeptiert“, Hannoverscher Provinzdienst vom 13. Januar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Wassermann in Braunschweig eingeführt“, FAZ vom 13. Januar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Gute Rechtsprechung – so wichtig wie blauer Himmel über Industrieregionen“, Hannoversche Presse vom 14. Januar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Der Konflikt mit der Justiz geht doch weiter“, HAZ vom 24. Februar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Klage gegen Niedersachsens Justizminister“, Stuttgarter Zeitung vom 25. Februar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Erneut: ‘Fall Wassermann’. Präsidialrat erhob Klage beim Verwaltungsgericht“, Hannoversche Neue Presse vom 25. Februar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Schäfer wartet ab“, Hannoversche Presse vom 25. Februar 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Gewerkschaft und Justiz für bessere Kontakte. Chefpräsident Wassermann sprach vor Metallarbeitern“, BZ vom 4. Juni 1971.
https://doi.org/10.1515/9783110682915-013
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Anhang
ARTIKEL (ohne Autor) „Hasselmann: Kleine und große Wassermänner kritisch beobachten“, Hannoverscher Provinzdienst vom 5. Juli 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Staatsanwälte als Experten für Täter im weißen Kragen“, BZ vom 29. Dezember 1971. ARTIKEL (ohne Autor) „Motor und Gewissen sozialdemokratischer Rechtspolitik“, FR vom 14. August 1979. ARTIKEL (ohne Autor) „Ein jegliches hat seine Zeit“, FAZ vom 28. August 1979. ARTIKEL (ohne Autor) „Keine Barriere für Frauen“, BZ vom 15. Februar 1986. ARTIKEL (ohne Autor) „Das Leben ist schön“, Klötzer Rundschau vom 27. April 1990. „ASJ-Leitsätze zur Reform der Juristenausbildung“, RuP 1972, 28–32. ASMUS, Hannelore: „Strategie gegen Jugendkriminalität – Soziales Training statt Arreststrafe“ Husumer Nachrichten vom 18. April 1979. BADER, Karl Siegfrid: Die Deutschen Juristen, Tübingen 1947. BAUMEISTER, Dieter: „Wenig Wassermann und viel Anträge. Zur Bundeskonferenz der ASJ in Saarbrücken am 2.3.1980“, RuP 1980, 60. BENDER, Rolf: Rezension der Schrift von Rudolf Wassermann: „Justiz im sozialen Rechtsstaat“, JZ 1976, 615. BERADT, Martin: Der Deutsche Richter, Frankfurt a.M. 1930. BERICHT „Aus der ASJ-Arbeit“, RuP 1965, 28–31. BERICHT „Aus der ASJ-Arbeit“, RuP 1967, 94–95. BERICHT „Aus der ASJ-Arbeit“, RuP 1968, 71–72. BERICHT „Aus der ASJ-Arbeit“, RuP 1976, 267–270. BERICHT „Aus der ASJ-Arbeit“, RuP 1980, 60. BILGER, Hans: „Den Wirtschaftsverbrechern wird der Kampf angesagt“, FAZ vom 11. Oktober 1968. BRÜNIG, Horst: „Seit Dienstag 11.30 Uhr ist Präsident Wassermann im Amt“, Braunschweiger Presse vom 13. Januar 1971. BULL, Hans Peter: „Richter als Reformer“, Zeit vom 13. November 1970, abrufbar unter www.zeit.de/1970/46/richter-als-reformer. CASDORFF, Claus Hinrich: Demokraten, Profile unserer Republik, Königstein/Ts: Athenaeum, 1983. DAHRENDORF, Ralf: Gesellschaft und Freiheit, München 1961. DÄSTNER, Christian / PATTET, Werner / WASSERMANN, Rudolf: Sozialwissenschaften in der Rechtsausbildung, Bonn, 1979. DOEBEL, Peter: „Die Reformer wollen das Neue sofort. Juristen bilden Aktionskomitee“, Kölner Stadt-Anzeiger vom 5. Februar 1969. „DOKUMENTATION, Leitsätze zur Justizpolitik“, RuP 1968, 107–110. „DOKUMENTATION, ASJ-Leitsätze zur Verwaltungspolitik (1976)“, RuP 1976, 241–251.
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Juristische Zeitgeschichte Herausgeber: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Thomas Vormbaum, FernUniversität in Hagen Abteilung 1: Allgemeine Reihe 1 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Quellen aus der sozialdemokratischen Partei und Presse (1997) 2 Heiko Ahlbrecht: Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert (1999) 3 Dominik Westerkamp: Pressefreiheit und Zensur im Sachsen des Vormärz (1999) 4 Wolfgang Naucke: Über die Zerbrechlichkeit des rechtsstaatlichen Strafrechts. Gesammelte Aufsätze zur Strafrechtsgeschichte (2000) 5 Jörg Ernst August Waldow: Der strafrechtliche Ehrenschutz in der NS-Zeit (2000) 6 Bernhard Diestelkamp: Rechtsgeschichte als Zeitgeschichte. Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts (2001) 7 Michael Damnitz: Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch (2001) 8 Massimo Nobili: Die freie richterliche Überzeugungsbildung. Reformdiskussion und Gesetzgebung in Italien, Frankreich und Deutschland seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts (2001) 9 Diemut Majer: Nationalsozialismus im Lichte der Juristischen Zeitgeschichte (2002) 10 Bianca Vieregge: Die Gerichtsbarkeit einer „Elite“. Nationalsozialistische Rechtsprechung am Beispiel der SS- und Polizeigerichtsbarkeit (2002) 11 Norbert Berthold Wagner: Die deutschen Schutzgebiete (2002) 12 Milosˇ Vec: Die Spur des Täters. Methoden der Identifikation in der Kriminalistik (1879–1933), (2002) 13 Christian Amann: Ordentliche Jugendgerichtsbarkeit und Justizalltag im OLGBezirk Hamm von 1939 bis 1945 (2003) 14 Günter Gribbohm: Das Reichskriegsgericht (2004) 15 Martin M. Arnold: Pressefreiheit und Zensur im Baden des Vormärz. Im Spannungsfeld zwischen Bundestreue und Liberalismus (2003) 16 Ettore Dezza: Beiträge zur Geschichte des modernen italienischen Strafrechts (2004) 17 Thomas Vormbaum (Hrsg.): „Euthanasie“ vor Gericht. Die Anklageschrift des Generalstaatsanwalts beim OLG Frankfurt/M. gegen Werner Heyde u. a. vom 22. Mai 1962 (2005) 18 Kai Cornelius: Vom spurlosen Verschwindenlassen zur Benachrichtigungspflicht bei Festnahmen (2006) 19 Kristina Brümmer-Pauly: Desertion im Recht des Nationalsozialismus (2006) 20 Hanns-Jürgen Wiegand: Direktdemokratische Elemente in der deutschen Verfassungsgeschichte (2006) 21 Hans-Peter Marutschke (Hrsg.): Beiträge zur modernen japanischen Rechtsgeschichte (2006) 22 Katrin Stoll: Die Herstellung der Wahrheit (2011)
23 Thorsten Kurtz: Das Oberste Rückerstattungsgericht in Herford (2014) 24 Sebastian Schermaul: Die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse an der Universität Leipzig 1819–1848 (2013) 25 Minoru Honda: Beiträge zur Geschichte des japanischen Strafrechts (2020)
Abteilung 2: Forum Juristische Zeitgeschichte 1 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (1) – Schwerpunktthema: Recht und Nationalsozialismus (1998) 2 Karl-Heinz Keldungs: Das Sondergericht Duisburg 1943–1945 (1998) 3 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (2) – Schwerpunktthema: Recht und Juristen in der Revolution von 1848/49 (1998) 4 Thomas Vormbaum: Beiträge zur juristischen Zeitgeschichte (1999) 5 Franz-Josef Düwell / Thomas Vormbaum: Themen juristischer Zeitgeschichte (3), (1999) 6 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Themen juristischer Zeitgeschichte (4), (2000) 7 Frank Roeser: Das Sondergericht Essen 1942–1945 (2000) 8 Heinz Müller-Dietz: Recht und Nationalsozialismus – Gesammelte Beiträge (2000) 9 Franz-Josef Düwell (Hrsg.): Licht und Schatten. Der 9. November in der deutschen Geschichte und Rechtsgeschichte – Symposium der Arnold-FreymuthGesellschaft, Hamm (2000) 10 Bernd-Rüdiger Kern / Klaus-Peter Schroeder (Hrsg.): Eduard von Simson (1810– 1899). „Chorführer der Deutschen“ und erster Präsident des Reichsgerichts (2001) 11 Norbert Haase / Bert Pampel (Hrsg.): Die Waldheimer „Prozesse“ – fünfzig Jahre danach. Dokumentation der Tagung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten am 28. und 29. September in Waldheim (2001) 12 Wolfgang Form (Hrsg.): Literatur- und Urteilsverzeichnis zum politischen NSStrafrecht (2001) 13 Sabine Hain: Die Individualverfassungsbeschwerde nach Bundesrecht (2002) 14 Gerhard Pauli / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Justiz und Nationalsozialismus – Kontinuität und Diskontinuität. Fachtagung in der Justizakademie des Landes NRW, Recklinghausen, am 19. und 20. November 2001 (2003) 15 Mario Da Passano (Hrsg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Internationaler Kongreß des Dipartimento di Storia der Universität Sassari und des Parco nazionale di Asinara, Porto Torres, 25. Mai 2001 (2006) 16 Sylvia Kesper-Biermann / Petra Overath (Hrsg.): Die Internationalisierung von Strafrechtswissenschaft und Kriminalpolitik (1870–1930). Deutschland im Vergleich (2007) 17 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 16. bis 18. September 2005 (2007) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Literatur, Recht und (bildende) Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 21. bis 23. September 2007 (2008) 19 Francisco Muñoz Conde / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Transformation von Diktaturen in Demokratien und Aufarbeitung der Vergangenheit (2010) 20 Kirsten Scheiwe / Johanna Krawietz (Hrsg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt (2014)
21 Helmut Irmen: Das Sondergericht Aachen 1941–1945 (2018)
Abteilung 3: Beiträge zur modernen deutschen Strafgesetzgebung. Materialien zu einem historischen Kommentar 1 Thomas Vormbaum / Jürgen Welp (Hrsg.): Das Strafgesetzbuch seit 1870. Sammlung der Änderungen und Neubekanntmachungen; fünf Textbände (1999–2020) und drei Supplementbände (2005, 2006) 2 Christian Müller: Das Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933. Kriminalpolitik als Rassenpolitik (1998) 3 Maria Meyer-Höger: Der Jugendarrest. Entstehung und Weiterentwicklung einer Sanktion (1998) 4 Kirsten Gieseler: Unterlassene Hilfeleistung – § 323c StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870. (1999) 5 Robert Weber: Die Entwicklung des Nebenstrafrechts 1871–1914 (1999) 6 Frank Nobis: Die Strafprozeßgesetzgebung der späten Weimarer Republik (2000) 7 Karsten Felske: Kriminelle und terroristische Vereinigungen – §§ 129, 129a StGB (2002) 8 Ralf Baumgarten: Zweikampf – §§ 201–210 a.F. StGB (2003) 9 Felix Prinz: Diebstahl – §§ 242 ff. StGB (2003) 10 Werner Schubert / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Entstehung des Strafgesetzbuchs. Kommissionsprotokolle und Entwürfe. Band 1: 1869 (2002); Band 2: 1870 (2004) 11 Lars Bernhard: Falsche Verdächtigung (§§ 164, 165 StGB) und Vortäuschen einer Straftat (§ 145d StGB), (2003) 12 Frank Korn: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1870 bis 1933 (2003) 13 Christian Gröning: Körperverletzungsdelikte – §§ 223 ff., 340 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1933 (2004) 14 Sabine Putzke: Die Strafbarkeit der Abtreibung in der Kaiserzeit und in der Weimarer Zeit. Eine Analyse der Reformdiskussion und der Straftatbestände in den Reformentwürfen (1908–1931), (2003) 15 Eckard Voßiek: Strafbare Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke (§ 353d Nr. 3 StGB). Gesetzgebung und Rechtsanwendung seit 1851 (2004) 16 Stefan Lindenberg: Brandstiftungsdelikte – §§ 306 ff. StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2004) 17 Ninette Barreneche†: Materialien zu einer Strafrechtsgeschichte der Münchener Räterepublik 1918/1919 (2004) 18 Carsten Thiel: Rechtsbeugung – § 339 StGB. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 19 Vera Große-Vehne: Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), „Euthanasie“ und Sterbehilfe. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005) 20 Thomas Vormbaum / Kathrin Rentrop (Hrsg.): Reform des Strafgesetzbuchs. Sammlung der Reformentwürfe. Band 1: 1909 bis 1919. Band 2: 1922 bis 1939. Band 3: 1959 bis 1996 (2008) 21 Dietmar Prechtel: Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2005)
22 Ilya Hartmann: Prostitution, Kuppelei, Zuhälterei. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 23 Ralf Seemann: Strafbare Vereitelung von Gläubigerrechten (§§ 283 ff., 288 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 24 Andrea Hartmann: Majestätsbeleidigung (§§ 94 ff. StGB a.F.) und Verunglimpfung des Staatsoberhauptes (§ 90 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2006) 25 Christina Rampf: Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2006) 26 Christian Schäfer: „Widernatürliche Unzucht“ (§§ 175, 175a, 175b, 182, a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1945 (2006) 27 Kathrin Rentrop: Untreue und Unterschlagung (§§ 266 und 246 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2007) 28 Martin Asholt: Straßenverkehrsstrafrecht. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts (2007) 29 Katharina Linka: Mord und Totschlag (§§ 211–213 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2008) 30 Juliane Sophia Dettmar: Legalität und Opportunität im Strafprozess. Reformdiskussion und Gesetzgebung von 1877 bis 1933 (2008) 31 Jürgen Durynek: Korruptionsdelikte (§§ 331 ff. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2008) 32 Judith Weber: Das sächsische Strafrecht im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2009) 33 Denis Matthies: Exemplifikationen und Regelbeispiele. Eine Untersuchung zum 100-jährigen Beitrag von Adolf Wach zur „Legislativen Technik“ (2009) 34 Benedikt Rohrßen: Von der „Anreizung zum Klassenkampf“ zur „Volksverhetzung“ (§ 130 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2009) 35 Friederike Goltsche: Der Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 (Entwurf Radbruch) (2010) 36 Tarig Elobied: Die Entwicklung des Strafbefehlsverfahrens von 1846 bis in die Gegenwart (2010) 37 Christina Müting: Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung (§ 177 StGB) (2010) 38 Nadeschda Wilkitzki: Entstehung des Gesetzes über Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) (2010) 39 André Brambring: Kindestötung (§ 217 a.F. StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit 1870 (2010) 40 Wilhelm Rettler: Der strafrechtliche Schutz des sozialistischen Eigentums in der DDR (2010) 41 Yvonne Hötzel: Debatten um die Todesstrafe in der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 1990 (2010) 42 Dagmar Kolbe: Strafbarkeit im Vorfeld und im Umfeld der Teilnahme (§§ 88a, 110, 111, 130a und 140 StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2011) 43 Sami Bdeiwi: Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB). Reform und Gesetzgebung seit 1870 (2014) 44 Michaela Arnold: Verfall, Einziehung und Unbrauchbarmachung (§§ 73 bis 76a StGB). Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2015)
45 Andrea Schurig: „Republikflucht“ (§§ 213, 214 StGB/DDR). Gesetzgeberische Entwicklung, Einfluss des MfS und Gerichtspraxis am Beispiel von Sachsen (2016) 46 Sandra Knaudt: Das Strafrecht im Großherzogtum Hessen im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2017) 47 Michael Rudlof: Das Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (§ 217 StGB nF.) (2018) 48 Karl Müller: Steuerhinterziehung (§§ 370, 371 AO). Gesetzgebung und Reformdiskussion seit dem 19. Jahrhundert (2018) 49 Katharina Kühne: Die Entwicklung des Internetstrafrechts unter besonderer Berücksichtigung der §§ 202a–202c StGB sowie § 303a und § 303b StGB (2018) 50 Benedikt Beßmann: Das Strafrecht des Herzogtums Braunschweig im 19. Jahrhundert bis zum Reichsstrafgesetzbuch (2019) 51 Josef Roth: Die Entwicklung des Weinstrafrechts seit 1871 (2020)
Abteilung 4: Leben und Werk. Biographien und Werkanalysen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Mario A. Cattaneo: Karl Grolmans strafrechtlicher Humanismus (1998) Gerit Thulfaut: Kriminalpolitik und Strafrechtstheorie bei Edmund Mezger (2000) Adolf Laufs: Persönlichkeit und Recht. Gesammelte Aufsätze (2001) Hanno Durth: Der Kampf gegen das Unrecht. Gustav Radbruchs Theorie eines Kulturverfassungsrechts (2001) Volker Tausch: Max Güde (1902–1984). Generalbundesanwalt und Rechtspolitiker (2002) Bernd Schmalhausen: Josef Neuberger (1902–1977). Ein Leben für eine menschliche Justiz (2002) Wolf Christian von Arnswald: Savigny als Strafrechtspraktiker. Ministerium für die Gesetzesrevision (1842–1848), (2003) Thilo Ramm: Ferdinand Lassalle. Der Revolutionär und das Recht (2004) Martin D. Klein: Demokratisches Denken bei Gustav Radbruch (2007) Francisco Muñoz Conde: Edmund Mezger – Beiträge zu einem Juristenleben (2007) Whitney R. Harris: Tyrannen vor Gericht. Das Verfahren gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg 1945–1946 (2008) Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die deutschsprachige Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen (2010) Tamara Cipolla: Friedrich Karl von Strombeck. Leben und Werk – Unter besonderer Berücksichtigung des Entwurfes eines Strafgesetzbuches für ein Norddeutsches Staatsgebiet (2010) Karoline Peters: J.D. H. Temme und das preußische Strafverfahren in der Mitte des 19. Jahrhunderts (2010) Eric Hilgendorf (Hrsg.): Die ausländische Strafrechtswissenschaft in Selbstdarstellungen. Die internationale Rezeption des deutschen Strafrechts (2019) Hannes Ludyga: Otto Kahn-Freund (1900–1979). Ein Arbeitsrechtler in der Weimarer Zeit (2016)
17 Rudolf Bastuck: Rudolf Wassermann. Vision und Umsetzung einer inneren Justizreform (2020)
Abteilung 5: Juristisches Zeitgeschehen. Rechtspolitik und Justiz aus zeitgenössischer Perspektive Mitherausgegeben von Gisela Friedrichsen („Der Spiegel“) und RA Prof. Dr. Franz Salditt 1 Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951–1968. 3. Auflage (1999) 2 Jörg Arnold (Hrsg.): Strafrechtliche Auseinandersetzung mit Systemvergangenheit am Beispiel der DDR (2000) 3 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Vichy vor Gericht: Der Papon-Prozeß (2000) 4 Heiko Ahlbrecht / Kai Ambos (Hrsg.): Der Fall Pinochet(s). Auslieferung wegen staatsverstärkter Kriminalität? (1999) 5 Oliver Franz: Ausgehverbot für Jugendliche („Juvenile Curfew“) in den USA. Reformdiskussion und Gesetzgebung seit dem 19. Jahrhundert (2000) 6 Gabriele Zwiehoff (Hrsg.): „Großer Lauschangriff“. Die Entstehung des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 26. März 1998 und des Gesetzes zur Änderung der Strafprozeßordnung vom 4. Mai 1998 in der Presseberichterstattung 1997/98 (2000) 7 Mario A. Cattaneo: Strafrechtstotalitarismus. Terrorismus und Willkür (2001) 8 Gisela Friedrichsen / Gerhard Mauz: Er oder sie? Der Strafprozeß Böttcher/ Weimar. Prozeßberichte 1987 bis 1999 (2001) 9 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2000 in der Süddeutschen Zeitung (2001) 10 Helmut Kreicker: Art. 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze (2002) 11 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2001 in der Süddeutschen Zeitung (2002) 12 Henning Floto: Der Rechtsstatus des Johanniterordens. Eine rechtsgeschichtliche und rechtsdogmatische Untersuchung zum Rechtsstatus der Balley Brandenburg des ritterlichen Ordens St. Johannis vom Spital zu Jerusalem (2003) 13 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2002 in der Süddeutschen Zeitung (2003) 14 Kai Ambos / Jörg Arnold (Hrsg.): Der Irak-Krieg und das Völkerrecht (2004) 15 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2003 in der Süddeutschen Zeitung (2004) 16 Sascha Rolf Lüder: Völkerrechtliche Verantwortlichkeit bei Teilnahme an „Peacekeeping“-Missionen der Vereinten Nationen (2004) 17 Heribert Prantl / Thomas Vormbaum (Hrsg.): Juristisches Zeitgeschehen 2004 in der Süddeutschen Zeitung (2005) 18 Christian Haumann: Die „gewichtende Arbeitsweise“ der Finanzverwaltung. Eine Untersuchung über die Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung bei der Festsetzung der Veranlagungssteuern (2008) 19 Asmerom Ogbamichael: Das neue deutsche Geldwäscherecht (2011)
20 Lars Chr. Barnewitz: Die Entschädigung der Freimaurerlogen nach 1945 und nach 1989 (2011) 21 Ralf Gnüchtel: Jugendschutztatbestände im 13. Abschnitt des StGB (2013) 22 Helmut Irmen: Stasi und DDR-Militärjustiz. Der Einfluss des MfS auf Militärjustiz und Militärstrafvollzug in der DDR (2014) 23 Pascal Johann: Möglichkeiten und Grenzen des neuen Vermögenschabschöpfungsrechts. Eine Untersuchung zur vorläufigen Sicherstellung und der Einziehung von Vermögen unklarer Herkunft (2019) 24 Zekai Dag˘as¸an: Das Ansehen des Staates im türkischen und deutschen Strafrecht (2015) 25 Camilla Bertheau: Politisch unwürdig? Entschädigung von Kommunisten für nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen. Bundesdeutsche Gesetzgebung und Rechtsprechung der 50er Jahre (2016)
Abteilung 6: Recht in der Kunst Mitherausgegeben von Prof. Dr. Gunter Reiß 1 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität im literarischen Widerschein. Gesammelte Aufsätze (1999) 2 Klaus Lüderssen (Hrsg.): »Die wahre Liberalität ist Anerkennung«. Goethe und die Juris prudenz (1999) 3 Bertolt Brecht: Die Dreigroschenoper (1928) / Dreigroschenroman (1934). Mit Kommentaren von Iring Fetscher und Bodo Plachta (2001) 4 Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche (1842) / Die Vergeltung (1841). Mit Kommentaren von Heinz Holzhauer und Winfried Woesler (2000) 5 Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885). Mit Kommentaren von Hugo Aust und Klaus Lüderssen (2001) 6 Heinrich von Kleist: Michael Kohlhaas (1810). Mit Kommentaren von Wolfgang Naucke und Joachim Linder (2000) 7 Anja Sya: Literatur und juristisches Erkenntnisinteresse. Joachim Maass’ Roman „Der Fall Gouffé“ und sein Verhältnis zu der historischen Vorlage (2001) 8 Heiner Mückenberger: Theodor Storm – Dichter und Richter. Eine rechtsgeschichtliche Lebensbeschreibung (2001) 9 Hermann Weber (Hrsg.): Annäherung an das Thema „Recht und Literatur“. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (1), (2002) 10 Hermann Weber (Hrsg.): Juristen als Dichter. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (2), (2002) 11 Hermann Weber (Hrsg.): Prozesse und Rechtsstreitigkeiten um Recht, Literatur und Kunst. Recht, Literatur und Kunst in der NJW (3), (2002) 12 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. 2., erweiterte Auflage (2002) 13 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Roman (1929). Mit Kommentaren von Theo Rasehorn und Ernst Ribbat (2002) 14 Jakob Wassermann: Der Fall Maurizius. Roman (1928). Mit Kommentaren von Thomas Vormbaum und Regina Schäfer (2003) 15 Hermann Weber (Hrsg.): Recht, Staat und Politik im Bild der Dichtung. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (4), (2003)
16 Hermann Weber (Hrsg.): Reale und fiktive Kriminalfälle als Gegenstand der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (5), (2003) 17 Karl Kraus: Sittlichkeit und Kriminalität. (1908). Mit Kommentaren von Helmut Arntzen und Heinz Müller-Dietz (2004) 18 Hermann Weber (Hrsg.): Dichter als Juristen. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (6), (2004) 19 Hermann Weber (Hrsg.): Recht und Juristen im Bild der Literatur. Recht, Literatur und Kunst in der Neuen Juristischen Wochenschrift (7), (2005) 20 Heinrich von Kleist: Der zerbrochne Krug. Ein Lustspiel (1811). Mit Kommentaren von Michael Walter und Regina Schäfer (2005) 21 Francisco Muñoz Conde / Marta Muñoz Aunión: „Das Urteil von Nürnberg“. Juristischer und filmwissenschaftlicher Kommentar zum Film von Stanley Kramer (1961), (2006) 22 Fjodor Dostojewski: Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (1860). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Dunja Brötz (2005) 23 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Anton Matthias Sprickmann. Dichter und Jurist. Mit Kommentaren von Walter Gödden, Jörg Löffler und Thomas Vormbaum (2006) 24 Friedrich Schiller: Verbrecher aus Infamie (1786). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Martin Huber (2006) 25 Franz Kafka: Der Proceß. Roman (1925). Mit Kommentaren von Detlef Kremer und Jörg Tenckhoff (2006) 26 Heinrich Heine: Deutschland. Ein Wintermährchen. Geschrieben im Januar 1844. Mit Kommentaren von Winfried Woesler und Thomas Vormbaum (2006) 27 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Recht, Rechtswissenschaft und Juristen im Werk Heinrich Heines (2006) 28 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Spiegelungen (2007) 29 Alexander Puschkin: Pique Dame (1834). Mit Kommentaren von Barbara Aufschnaiter/Dunja Brötz und Friedrich-Christian Schroeder (2007) 30 Georg Büchner: Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft. Mit Kommentaren von Sven Kramer und Bodo Pieroth (2007) 31 Daniel Halft: Die Szene wird zum Tribunal! Eine Studie zu den Beziehungen von Recht und Literatur am Beispiel des Schauspiels „Cyankali“ von Friedrich Wolf (2007) 32 Erich Wulffen: Kriminalpsychologie und Psychopathologie in Schillers Räubern (1907). Herausgegeben von Jürgen Seul (2007) 33 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen: Recht in Literatur, Theater und Film. Band II (2007) 34 Albert Camus: Der Fall. Roman (1956). Mit Kommentaren von Brigitte Sändig und Sven Grotendiek (2008) 35 Thomas Vormbaum (Hrsg.): Pest, Folter und Schandsäule. Der Mailänder Prozess wegen „Pestschmierereien“ in Rechtskritik und Literatur. Mit Kommentaren von Ezequiel Malarino und Helmut C. Jacobs (2008) 36 E.T.A. Hoffmann: Das Fräulein von Scuderi – Erzählung aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten (1819). Mit Kommentaren von Heinz Müller-Dietz und Marion Bönnighausen (2010) 37 Leonardo Sciascia: Der Tag der Eule. Mit Kommentaren von Gisela Schlüter und Daniele Negri (2010)
38 Franz Werfel: Eine blaßblaue Frauenschrift. Novelle (1941). Mit Kommentaren von Matthias Pape und Wilhelm Brauneder (2011) 39 Thomas Mann: Das Gesetz. Novelle (1944). Mit Kommentaren von Volker Ladenthin und Thomas Vormbaum (2013) 40 Theodor Storm: Ein Doppelgänger. Novelle (1886) (2013) 41 Dorothea Peters: Der Kriminalrechtsfall ,Kaspar Hauser‘ und seine Rezeption in Jakob Wassermanns Caspar-Hauser-Roman (2014) 42 Jörg Schönert: Kriminalität erzählen (2015) 43 Klaus Lüderssen: Produktive Spiegelungen. Recht im künstlerischen Kontext. Band 3 (2014) 44 Franz Kafka: In der Strafkolonie. Erzählung (1919) (2015) 45 Heinz Müller-Dietz: Recht und Kriminalität in literarischen Brechungen (2016) 46 Hermann Weber (Hrsg.): Das Recht als Rahmen für Literatur und Kunst. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 4. bis 6. September 2015 (2017) 47 Walter Müller-Seidel: Rechtsdenken im literarischen Text. Deutsche Literatur von der Weimarer Klassik zur Weimarer Republik (2017) 48 Honoré de Balzac: Eine dunkle Geschichte. Roman (1841). Mit Kommentaren von Luigi Lacchè und Christian von Tschilschke (2018) 49 Anja Schiemann: Der Kriminalfall Woyzeck. Der historische Fall und Büchners Drama (2018) 50 E.T.A. Hoffmann: Meister Floh. Ein Mährchen in sieben Abentheuern zweier Freunde (1822). Mit Kommentaren von Michael Niehaus und Thomas Vormbaum (2018) 51 Bodo Pieroth: Deutsche Schriftsteller als angehende Juristen (2018) 52 Theodor Fontane: Grete Minde. Nach einer altmärkischen Chronik (1880). Mit Kommentaren von Anja Schiemann und Walter Zimorski (2018) 53 Britta Lange / Martin Roeber / Christoph Schmitz-Scholemann (Hrsg.): Grenzüberschreitungen: Recht, Normen, Literatur und Musik. Tagung im Nordkolleg Rendsburg vom 8. bis 10. September 2017 (2019)
Abteilung 7: Beiträge zur Anwaltsgeschichte Mitherausgegeben von Gerhard Jungfer, Dr. Tilmann Krach und Prof. Dr. Hinrich Rüping 1 Babette Tondorf: Strafverteidigung in der Frühphase des reformierten Strafprozesses. Das Hochverratsverfahren gegen die badischen Aufständischen Gustav Struve und Karl Blind (1848/49), (2006) 2 Hinrich Rüping: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus (2007) 3 Dieter Finzel: Geschichte der Rechtsanwaltskammer Hamm (2018)
Abteilung 8: Judaica 1 Hannes Ludyga: Philipp Auerbach (1906–1952). „Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte“ (2005) 2 Thomas Vormbaum: Der Judeneid im 19. Jahrhundert, vornehmlich in Preußen. Ein Beitrag zur juristischen Zeitgeschichte (2006)
3 Hannes Ludyga: Die Rechtsstellung der Juden in Bayern von 1819 bis 1918. Studie im Spiegel der Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtags (2007) 4 Michele Sarfatti: Die Juden im faschistischen Italien. Geschichte, Identität, Verfolgung (2014)
Abteilung 9: Beiträge zur modernen Verfassungsgeschichte 1 Olaf Kroon: Die Verfassung von Cádiz (1812). Spaniens Sprung in die Moderne, gespiegelt an der Verfassung Kurhessens von 1831 (2019)