Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung [1 ed.] 9783428511020, 9783428111022

Der Autor widmet sich zwei Kernfragestellungen im Schnittbereich von EG-Richtlinien und nationalem Recht: Der Einwirkung

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German Pages 274 [275] Year 2003

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Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428511020, 9783428111022

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CHRISTOPH HERRMANN

Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 98

Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung Von Christoph Herrmann

Duncker & Humblot . Berlin

Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2002/2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbai.

D703 Alle Rechte vorbehalten

© 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-11102-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

In Memoriam Dr. lohannes-Friedrich Herrmann 8. Fehr. 1940 - 9. Fehr. 1982

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth im WS 2002/2003 als Dissertation angenommen. Sie befindet sich im wesentlichen auf dem Stand Juli 2002. Geänderte Gesetzeslagen wurden bis Februar 2003 eingearbeitet. Wesentliche Literatur und Rechtsprechung wurde ebenfalls, jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit, bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Die Anfertigung der Arbeit wäre ohne die vielfältige Unterstützung durch eine Vielzahl von Menschen nicht möglich gewesen, denen ich an dieser Stelle danken möchte. An erster Stelle möchte ich dabei den Betreuer der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Rudolf Streinz nennen, der sie von der ersten Idee bis zu ihrer Veröffentlichung stets hilfreich, aufgeschlossen und unterstützend begleitet hat. Dabei hat er es verstanden, Rat und Unterstützung zu geben, wo sie nötig waren, mir gleichzeitig größtmöglichen Freiraum zur wissenschaftlichen Entfaltung gelassen und sich über die Jahre als "Doktorvater" im besten Sinne des Wortes erwiesen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung schaut man ein wenig verständnislos auf Pläne zur Reform des Promotionsstudiums wie sie jüngst in der politischen Diskussion waren. Ebenfalls zu Dank verbunden bin ich Herrn Prof. Dr. Ansgar Ohly, LL.M. für die bereitwillige, aufgeschlossene, intensive und dennoch überaus zügige Beschäftigung mit der Arbeit im Rahmen des Zweitgutachtens. Herrn Prof. Dr. Wolfgang Brehm danke ich für die Übernahme des Prüfungsausschußvorsitzes. Herrn Prof. Dr. Siegfried Magiera und Herrn Prof. Dr. Dr. Detlef Merten gebührt Dank für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Eine Reihe von Freunden und Kollegen hat mich bei der Durchsicht des Manuskripts tatkräftig unterstützt und mir eine große Zahl hilfreicher Anmerkungen gegeben. Namentlich möchte ich hierfür Herrn Dr. Johannes Bukow, LL.M., Herrn Dr. Harald Schießl sowie Herrn Rupert Döhner danken. Für die verbliebenen Fehler und Schwächen der Arbeit trage ich selbstverständlich die alleinige Verantwortung. Ich hatte zudem das seltene Glück, während der Erstellung der Arbeit in einer harmonischen Bürogemeinschaft arbeiten zu können. Die ständige Ansprechbereitschaft meiner Kollegen Dr. Christoph Ohler, LL.M. und Lars Fuchs sowie viele gemeinsame Tassen Espresso haben die Arbeit zum Vergnügen werden lassen. Hierfür bin ich ihnen tief verbunden.

Vorwort

8

Der Studienstiftung des deutschen Volkes gilt mein Dank für die großzügige materielle wie immaterielle Förderung während Studium und Promotion. Zuletzt möchte ich meiner Familie für die Liebe und Zuwendung danken, die ich mein Leben lang immer erfahren habe. Ganz besonders danke ich meiner lieben Mutter, Frau Dr. med. Brigitte Herrmann, für ihren aufopferungsvollen Einsatz für meine Geschwister und mich über viele Jahre, der uns den frühen Verlust meines Vaters leichter hat ertragen lassen. Nicht unterschlagen werden soll, daß auch sie sich die Mühe gemacht hat, das Manuskript in orthographischer Hinsicht einer genauen Überprüfung zu unterziehen. Brüssel im Februar 2003

Christoph Herrmann

Inhaltsübersicht Teil]

Einführung

25

A. Einleitung ...... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

B. Problemaufriß . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

Teil 2

Die Einwirkung von Richtlinien der Gemeinschaft auf die nationale Rechtsprechung

31

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien...........................................

31

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

c. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter oder unterbliebener Richtlinienumset-

zung ............................................................................... 173

D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes ............................. 182 E. Zwischenergebnis..................................................... . ............ 188 Teil 3

Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

190

A. Begriff, Bedeutung und Änderbarkeit von Richterrecht in der deutschen Methodenlehre............................................................................... 191 B. Zu lässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist ....................................................................... 195 C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 Teil 4

Gesamtergebnis

253

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255 Stichwortverzeichnis ...... . ................ . ................ . ................ . ....... 272

Inhaltsverzeichnis Teil 1

Einführung

25

A. Einleitung..........................................................................

25

I. Regelung im EGV - Begriff und Eigenart der Richtlinie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

11. Bedeutung der Richtlinie als Instrument der europäischen Integration ........

26

III. Die Richtlinie der EG in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - Überblick ..................................................................

28

B. Problemaufriß ......................................................................

29

Teil 2

Die Einwirkung von Richtlinien der Gemeinschaft auf die nationale Rechtsprechung

31

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

1. Begriff der "unmittelbaren Wirkung" von Richtlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

1. Theoretische Grundlegung - Unterscheidung zwischen Geltung und Wirkung ............. ......... ......................... .......................

32

2. Unterscheidung zwischen positiven und negativen Wirkungen ............

33

3. Besondere Problematik des Gemeinschaftsrechts - Begriff der Unmittelbarkeit ....................................................................

34

4. Terminologie des EGV .......... . ........................................

36

5. Sprachgebrauch des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

a) Im Hinblick auf Primärrecht und Verordnungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

b) Im Hinblick auf Richtlinien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

6. Schlußfolgerung ..........................................................

39

H. Herleitung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien durch den Gerichtshof und deren Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

1. Der Ursprung der Rechtsprechung des EuGH .............................

40

2. Ablehnung des e contrario-Schlusses aus Art. 249 Abs. 2 EGV ...........

41

12

Inhaltsverzeichnis 3. Verbindlichkeit der Richtlinie.............................................

41

4. Effet Utile des Gemeinschaftsrechts ................................ . ......

42

5. Venire contra/actum proprium; estoppel-Prinzip ..........................

43

6. Art. 249 Abs. 3 i. V. m Art. 10 EGV ......................................

44

7. Zusammenfassung ........................................................

44

III. Positive Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen ...............................................................

45

1. Überblick................................... . . . ...........................

45

2. Die Voraussetzungen im einzelnen ........................................

46

a) Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung ...... . ... . ................

47

b) Hinreichende Bestimmtheit............................................

48

c) Inhaltliche Unbedingtheit..............................................

49

d) Überschreiten des dem Mitgliedstaat eingeräumten Ermessensspielraums als Alternativvoraussetzung .....................................

50

e) Bestehen von subjektiven Rechten als zusätzliche Voraussetzung? .....

54

3. Zusammenfassung der positiven Voraussetzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

IV. Folgen der unmittelbaren Wirkung .......................... . ................

58

1. Inhaltliche Wirkungen ....................................................

58

a) Negative unmittelbare Wirkung: Pflicht zur Nichtanwendung kollidierender nationaler Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

b) Positive unmittelbare Wirkung: (Altemativ-)Anwendung der Richtlinienbestimmung .....................................................

60

2. Beachtung der unmittelbaren Wirkung - Berufungsrecht und ex officioAnwendung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

V. Begrenzung der unmittelbaren Wirkung durch negative Voraussetzungen Keine Verpflichtung von einzelnen durch unmittelbar wirkende Richtlinienbestimmungen ...............................................................

61

1. Überblick.................................................................

61

2. Umgekehrt vertikale Konstellationen .....................................

63

3. Horizontale Konstellationen und Begriff des Staates ......................

63

4. Mittelbare Belastungen einzelner -lncidental Direct Effect ...............

64

a) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Konstellationen mit belastenden Nebenwirkungen ..................................................

66

aa) Das Urteil Fratelli Costanzo ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

bb) Die UVP-Urteile - Großkrotzenburg, Kraaijeveld, WWF, Linster

67

Inhaltsverzeichnis cc) Nichtanwendung nationaler richtlinienwidriger technischer Vorschriften in Streitigkeiten zwischen Privaten - Piageme, CIA Security und Unilever ltalia ......................................

13

69

dd) Unwirksamkeit staatlicher Maßnahmen mit privatrechtlichen Folgen bei Verstoß gegen Richtlinienbestimmungen - Die Urteile Panagis Pafitis und Ruiz Bernaldez ...............................

71

b) Systematisierungsversuche in der Literatur ............................

73

aa) Richtlinienvorschriften als Konkretisierung von Vertrags normen

73

bb) Rechtsakte mit Doppelwirkung ...................................

73

cc) Public Law-Element ..............................................

75

dd) Fundamental Rights-Überlegungen ...............................

76

ee) Beschränkung auf schützenswertes Vertrauen .....................

77

ff) Unbeschränkte Zulassung der negativen unmittelbaren Wirkung

77

c) Stellungnahme ........................................................

78

VI. Kritik an der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur unmittelbaren Wirkung in der Literatur .................................................................

84

VII. Zusammenfassende Stellungnahme zur unmittelbaren Wirkung. . . . . . . . . . . . . . .

84

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

I. Überblick ........................................................ . ...........

87

H. Begriff des "Gebots der richtlinienkonformen Auslegung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

1. Theoretische Grundlegung - Begriff der "Auslegung" .... . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

a) Nationale Begrifflichkeit - Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung .....................................................

90

b) Gemeinschaftsrechtliche Begrifflichkeit - Auslegung und unmittelbare Wirkung...............................................................

92

2. Besonderheit bei Richtlinien der EG - Begriff der "Richtlinienkonformität" ....................................................................

94

a) Begriff der "Konformität" .............................................

94

b) Strukturvergleich der richtlinienkonformen Auslegung mit ähnlichen Instituten ..............................................................

96

aa) Verfassungskonforme Auslegung .................................

96

bb) Völkerrechtsfreundliche Auslegung ...................... . ........ 100 cc) Auslegung internationalen Einheitsrechts ...... . ..... . ............ 102 dd) Gemeinschaftskonforme Auslegung .............................. 102 3. Erweiterung des Methodenkanons oder Interpretationsmaxime mit normativer Verbindlichkeit? - Begriff des "Gebots" ............................. 104

14

Inhaltsverzeichnis III. Herleitung und gemeinschaftsrechtliche Grundlage des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. 105 1. Vorrang des Gemeinschaftsrechts ......................................... 105 2. Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 108 3. Einschub: Parallele innerstaatliche Grundlage des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung? ................................................... 111 IV. Voraussetzungen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung............ 112 1. Im Hinblick auf die Richtlinie ............................................ 113

a) Keine qualitativen Voraussetzungen ................................... 113 aa) Keine Beschränkung auf unmittelbar wirkende Richtlinien. . . . . . . . 113 bb) Beschränkung auf den sachlichen Regelungsbereich der Richtlinie

114

cc) In Richtlinien enthaltene Generalklausein und unbestimmte Rechtsbegriffe ........ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Formale Voraussetzung: Ablauf der Umsetzungsfrist? ................. 115 aa) Rechtsprechung des Gerichtshofs................................. 116 bb) Bedeutung der Rechtsprechung für die richtlinienkonforme Auslegung ............................................................. 117 (1) Bereits erfolgte Legislativumsetzung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 (2) Bewußter Verzicht auf Legislativumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . .. 120 (3) Schlichte Untätigkeit des Gesetzgebers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123 cc) Zusammenfassung................................................ 123 2. Im Hinblick auf das nationale Recht ...................................... 124 a) Keine Beschränkung auf ausdrückliche Umsetzungsakte . . . . . . . . . . . .. .. 124 b) Keine Beschränkung auf positive Rechtsnormen....................... 125 c) Überschießende Umsetzung.................................... .. .... . 127 V. Vorrang und Inhalt des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung.......... 128 1. Vorrang des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung vor nationalen Auslegungsmethoden ..................................................... 128 2. Inhaltliche Reichweite der Konformitätsverpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 128 a) Rechtsprechung des Gerichtshofs ............................... . . . . . .. 129 b) Begriff der "möglichen Auslegung" ................................... 131 aa) Richtlinienkonforme Auslegung als Vorzugsregel ................. 131 bb) Richtlinienkonformer Auslegungsvorgang ............... . . . . . .... 132 VI. Die Grenzen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung ......... . ...... 134 1. Nationale Grenzen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Grenzen der Auslegung nach traditionellem Methodenverständnis ..... 135

Inhaltsverzeichnis

15

b) Mögliche Problembereiche für die richtlinienkonforme Auslegung . . . .. 136 c) Modifikation der Grenzen im Einwirkungsbereich von Richtlinien..... 136 aa) Beachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks .......... 138 bb) Beachtlichkeit der Wortlautgrenze - Verpflichtung zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . ... . . . . . 143 (1) Richtlinienkonforme Reduktion.............................. 145

(2) Richtlinienkonforme Analogiebildung ....................... 146 (3) Richtlinienkonforme Extension.............................. 148 (4) Richtlinienkonforme gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ......................................................... 148 (5) Wortlaut und Gesetzeszweck als gemeinsame unübersteigbare Grenze der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung .......... 150 cc) Verfassungsrechtliche Begrenzung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2. Gemeinschaftsrechtliche Grenzen......................................... 152 a) Grenzziehung zwischen unmittelbarer Wirkung und richtlinienkonformer Auslegung - Umgehung des Verbots der horizontalen unmittelbaren Wirkung? ....................................................... 152 aa) Negative Konformauslegung und negative unmittelbare Wirkung 153 (1) Rechtsprechung des Gerichtshofs ............................

153

(2) Bewertung - Keine Widerlegung der These von der horizontalen negativen unmittelbaren Wirkung ...................... 155 bb) Positive Konformauslegung und positive unmittelbare Wirkung... 158 (1) Rechtsprechung des Gerichtshofs .... . ....................... 158

(2) Bewertung................................................... 160 b) Begrenzung der richtlinienkonformen Auslegung durch allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ............................ 161 c) Begrenzung der richtlinienkonformen Auslegung durch die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten? .......... . . . . . . . ... . . . . . . .. . .. 165 VII. Fallbeispiel zum Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung: Die "Heininger"-Urteile von EuGH und BGH ............................................ 166 1. Hintergrund des Verfahrens und Urteil des EuGH ................. . . . . . ... 166

2. Das Urteil des BGH v. 9. 4. 2002: "Heininger II" . . . . ... . . . . . . . . . . . . ... .... 168 3. Stellungnahmen in der Literatur. .......................................... 169 4. Bewertung................................................................ 169 VIII. Zusammenfassende Stellungnahme zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung ....................................................................... 171

16

Inhaltsverzeichnis

C. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter oder unterbliebener Richtlinienumset-

zung

173

I. Überblick .................................................................... 173

11. Entwicklung und Rechtsgrundlage der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung .......................................................................... 174 111. Problematik der Staatshaftung bei mangelhafter oder unterbliebener Richtlinienumsetzung ............................................................. 176 IV. Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs ................................ 176 1. Überblick................................................................. 176

2. Voraussetzungen bei Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung im einzelnen .................................................................... 177 a) Handlung eines mitgliedstaatlichen Organs ............................ 177 b) Verletzung einer individualschützenden Norm ......................... 178 c) Hinreichend qualifizierter Verstoß ..................................... 178 d) Unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und Schaden .. 179 V. Rechtsfolgen des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 180 VI. Zusammenfassung ....... . ..... . .......... . ................ . ..... . ........... 181 D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes ............................. 182 I. Überblick .................................................................... 182

11. Grundsatz der verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten............ 183 111. Grundsatz der Gleichwertigkeit .............................................. 184 IV. Grundsatz der Effektivität .................................................... 185 V. Zusammenfassung

187

E. Zwischenergebnis.................................................................. 188

Teil 3 Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

190

A. Begriff, Bedeutung und Änderbarkeit von Richterrecht in der deutschen Methodenlehre............................................................................... 191 I. Richterrecht und Präjudizienbindung ......................................... 191

11. Das Rückwirkungsproblem ................ . ............................... . .. 193 B. Zu lässigkeit der Bildung richtlinienkonforrnen Richterrechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist ....................................................................... 195 I. Überblick ................ . .............................................. . . . .. 195

Inhaltsverzeichnis

17

11. Das "Testpreis-Angebot"-Urteil des Bundesgerichtshofs...................... 195 1. Ausgangslage ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 195 2. Die Urteilsbegründung .................................................... 197 111. Reaktionen in der Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 199 IV. Stellungnahme ............................................................... 201 1. Kein Verbot der vorrangigen Berücksichtigung von Richtlinien vor Ablauf der Umsetzungsfrist ...................................................... 201 a) Beginn der gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung............................................................. 201 b) Wahlfreiheit der innerstaatlichen Stellen ............................... 202 c) Vorauseilende Umsetzung ............................................. 202 d) Zwischenergebnis ..................................................... 204 2. Umfang der richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist ....................................................................... 204 a) Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln ......... 204 b) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 205 c) Zwischenergebnis ..................................................... 206 3. Zusammenfassung ........................................................ 206 C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 207 I. Anforderungen des EuGH an die hinreichende Umsetzung von Richtlinien ... 208 1. Allgemeine Anforderungen an Umsetzungsakte ........................... 209 a) Grundsatz der Effektivität, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit ........ 209 b) Formale Anforderungen an den Umsetzungsakt ........................ 209 c) Inhaltliche Anforderungen an den Umsetzungsakt ..................... 2\0 2. Ungeeignete Umsetzungstechniken ....................................... 212 3. Stellungnahmen des Gerichtshofs zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht ...................................................................... 212 a) Urteil Dillenkofer ................................................ . .... 213 b) Urteil Kommission/Griechenland ..................................... 214 c) Urteil "Klauselrichtlinie" .............................................. 215 aa) Ausgangssachverhalt ............................................. 215 bb) Schlußanträge des Generalanwalts Tizzano........................ 216 cc) Entscheidungsgründe ............................................. 218 dd) Reaktionen in der Literatur ....................................... 218 d) Urteil Klauselrichtlinienanhang ........................................ 219 2 Herrmann

18

Inhaltsverzeichnis 11. Frühere Stellungnahmen der Generalanwälte zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 220 III. Stellungnahmen in der Literatur zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

222

1. Argumente der Gegner einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht .... 223 2. Argumente der Befürworter einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht ...................................................................... 224 3. Vermittelnde Positionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 226 IV. Eigene Untersuchung: Zulässigkeit und Reichweite einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 228 1. Ausgangsfrage ............................................................ 228

2. Strukturüberlegungen zur Richtlinienumsetzung .......................... 229 a) Richtlinienumsetzung als zweistufiger Vorgang ........................ 229 b) Multifunktionalität der nationalen Gerichte im Prozeß der Richtlinienumsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 229 c) Richtlinienumsetzung als Bewertungs- und Kompetenzproblem für Kommission und EuGH ............................................... 230 3. Maßstab des Gerichtshofs für die Beurteilung der Klarheit, Bestimmtheit und Publizität der Richtlinienumsetzung .................................. 231 4. Normativer Rahmen und Richterrecht ...................... . . . . . .......... 232 a) Rechtsfortbildung zur Schließung verdeckter Lücken .................. 232 b) Rechtsfortbildung zur Füllung offener Lücken......................... 233 c) Konkretisierung von Generalklausein und unbestimmten Rechtsbegriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 234 aa) Begriffsklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 235 bb) Formelle Anforderungen an nationale Umsetzungsakte ........... 236 cc) Inhaltliche Anforderungen an nationale Umsetzungsakte .......... 237 (1) Hinreichende Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen . . . . . . . . .. 238 (2) Hinreichende Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz von Generalklausein unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung .............................................. 240 0:) Zulässigkeit des Abstellens auf eine höchstrichterliche

Rechtsprechung .......................................... 240

ß) Verbleibende Bestimmtheitsprobleme .................... 242 (3) Gesamtabwägung ............................................ 242 d) Zwischenergebnis: Umfang gemeinschaftsrechtlicher Zulässigkeit einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht .............................. 244

Inhaltsverzeichnis

19

5. Methodenrechtliche und verfassungsrechtliche Hinterfragung "richtlinienkonformen Richterrechts" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 245 a) Der methodologische Widerspruch zwischen generalklauselkonkretisierendem Richterrecht und Richtlinienkonforrnität .................... 246 aa) Die Vorzüge von Generalklauseln ................................ 246 bb) Besonderheiten der Entstehung und Fortbildung generalklauselkonkretisierenden Richterrechts .................................. 246 cc) Funktionale Entleerung des Richterrechts durch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 b) Verfassungsrechtliche Unzulässigkeit "richtlinienkonformen Richterrechts"? ............................................................... 247 aa) Zulässigkeit von Generalklauseln nach dem GG .................. 248 bb) Entfall der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch den Erlaß einer Richtlinie ........................................................ 249 V. Zusammenfassung ........................................................... 250

Teil 4 Gesamtergebnis

253

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 255

Stichwortverzeichnis ... . .......... . . . . . .......... . . . . . . . ............ . . . . . ............ 272

Abkürzungsverzeichnis ABI. Abs. AcP AJP AllER AnwBI. AöR Art. Aufl. BayVBI. Bd. BGH BGHZ

BKR BMJ

CU

CMLRev. DB d. h. Diss. DÖV DRiZ DVBI. DZWiR EC EEC EG EGV ELF ELRev. EPL ERPL EU EuGH EuR EUV

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22

Abkürzungsverzeichnis

EuZW

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWiR

Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

EWS

Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

f.

folgend

ff.

folgende

FIDE

Federation International de Droit Europeen

FS

Festschrift / Liber amicorum

GA

Generalanwalt

GAe

Generalanwälte

GG

Grundgesetz

GRUR

Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht

GRURInt.

Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht - Internationaler Teil

GS

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NuR

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NVwZ

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OJLS

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ÖJZ

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RabelsZ

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RIW

Recht der internationalen Wirtschaft

Rn.

Randnumrner(n).

Rs.

Rechtssache

Abkürzungsverzeichnis Slg. StGB Univ. UPR

v. VerfOEuGH VerwA vgl. VuR WiVerw.

WM

WRP YEL ZaöRV ZAU z. B. ZBB ZEuP ZEuS ZG ZGR ZHR ZIP ZÖR ZRP

Sammlung der Rechtsprechung des EuGH Strafgesetzbuch Universität Umwelt- und Planungsrecht vom Verfahrensordnung des EuGH Verwaltungsarchiv vergleiche Verbraucher und Recht Wirtschaft und Verwaltung Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis Yearbook of European Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für angewandte Umweltforschung zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für öffentliches Recht Zeitschrift für Rechtspolitik

23

Teil 1

Einführung A. Einleitung I. Regelung im EGV - Begriff und Eigenart der Richtlinie

Richtlinien' werden in Art. 249 Abs. I EGV 2 neben Verordnungen und Entscheidungen als eine mögliche Form des sekundären Gemeinschaftsrechts 3 genannt. Art. 249 Abs. 3 EGV spricht ihnen eine verbindliche Wirkung gegenüber jedem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles zu. Die Wahl der Form und Mittel (zur Erreichung eben jenes Zieles, bzw. Ergebnisses4 ) bleibt jedoch den innerstaatlichen Stellen überlassen. Der Erlaß einer Richtlinie ist somit lediglich der erste Teil eines zweistufigen Rechtssetzungsverfahrens, auf den in der zweiten Stufe im Regelfall ein mitgliedsstaatlicher Umsetzungsakt folgt. 5 Die Richtlinie erzeugt damit dem Grundsatz nach I Art. 161 Abs. 3 EAGV ist mit Art. 249 Abs. 3 EGV wortgleich. Der Richtlinie des EGV und EAGVentspricht im EGKSV die Empfehlung in Art. 14 Abs. 3, auf welche die Richtlinie im übrigen zurückgeht, vgl. Dendrinos, Direktwirkung, 5. Die Empfehlung ist in ihren Rechtswirkungen mit der Richtlinie identisch, kann allerdings auch an einzelne gerichtet sein. Soweit eine Empfehlung an Mitgliedstaaten gerichtet ist, ist sie das genaue Gegenstück der Richtlinie, EuGH, Rs. C-221 / 88, Sig. 1990,1-495, Rn. 21; Schlußanträge GA Mischo zur Rs. C-221/88, Sig. 1990,1-495, Nr. 34 ff.; Grabitz, in Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 53. Aufgrund der geringen Bedeutung der EAG-Richtlinie und der EGKS-Empfehlung behandelt diese Arbeit allein die Richtlinie der EG. Die Ergebnisse sind aber aufgrund der Parallelität der Rechtswirkungen auf die anderen Instrumente übertragbar. Siehe zur Richtlinie der EG und ihren Rechtswirkungen allgemein insbesondere: Barav, Rapport General, XVIII. FIDE Kongress, 1998; GelIermann, Beeinflussung; Prechal, Directives; N. Weber, Richtlinie. 2 In der vorliegenden Arbeit wird grundsätzlich die Numerierung des EGV in der Fassung des Amsterdamer Vertrages verwandt. 3 Vgl. zur Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht beispielsweise Koenig I Haratsch, Europarecht, Rn. 225 ff.; Ruffert, in: Calliess / Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 2 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 2 ff. 4 lpsen, FS Ophüls, 67 (72 ff.) hat bereits sehr früh durch einen Rechtssprachenvergleich nachgewiesen, daß der Begriff "Ziel" in der deutschen Fassung nicht ganz frei von Einwänden ist, und es besser "Ergebnis" heißen sollte. 5 EuGH, Rs. C-298/89, Sig. 1993,1-3605, Gibraltar/Rat, Rn. 16; Geiger, EUV /EGV, Art. 249, Rn. 8, Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 51; Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249, Rn. 23.

26

Teil I: Einführung

allein Rechtswirkungen im Verhältnis zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten als Rechtssubjekten des europäischen Gemeinschaftsrechts in seiner im Völkerrecht wurzelnden Ausprägung einer zwischenstaatlichen Rechtsordnung. 6 Den innerstaatlichen Stellen bleibt es überlassen, wie diese zwischenstaatlichen Verpflichtungen in die innerstaatliche Rechtsordnung übersetzt und dadurch Rechte und Pflichten von Individuen begründet werden. 7 Die Richtlinie steht somit in einer Art "Grenzzone" zwischen Gemeinschaftsrecht und staatlicher Rechtsordnung. 8 Die Gemeinschaft ist nur im Rahmen der ihr im EGV zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele zum Erlaß von Rechtsakten berechtigt, Art. 5 Abs. 1 EGV (Prinzip der begrenzten Ermächtigung).9 Art. 249 EGV beinhaltet selber keine solche Kompetenzzuweisung, sondern beschreibt lediglich die möglichen Handlungsformen und deren jeweilige Rechtsfolgen. \0 Es bedarf zum Erlaß einer Richtlinie also immer einer besonderen Kompetenzgrundlage. Welches Verfahren beim Erlaß einer Richtlinie zu beachten ist, richtet sich nach der jeweiligen Kompetenznorm in Verbindung mit den Art. 250 bis 252 EGY. Nach Art. 253 EGV sind Richtlinien mit Gründen zu versehen und müssen auf die nach dem Vertrag vorgesehenen Vorschläge und Stellungnahmen Bezug nehmen. Sofern Richtlinien nach dem Verfahren des Art. 251 EGV verabschiedet werden oder an alle Mitgliedsstaaten gerichtet sind, sind sie seit der Änderung des EGV durch den Vertrag von Maastricht im Amtsblatt der EG zu veröffentlichen, Art. 254 Abs. 1 und 2 EGY. 11

11. Bedeutuug der Richtlinie als Instrument der europäischen Integration

Wesentliches Element der europäischen Integration als rechtlichem Prozeß ist die Harmonisierung der nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, insoweit sich deren Unterschiedlichkeit auf das Funktionieren des gemeinsamen Mark6 Mit Jarass, NJW 1990,2420 kann zwischen an die Mitgliedstaaten, an Organe und Institutionen der Gemeinschaften sowie an Gemeinschaftsbürger und innerstaatliche Stellen gerichtete Normen des Gemeinschaftsrecht unterschieden werden. Richtlinien enthalten dabei prinzipiell allein an die Mitgliedstaaten gerichtete Normen, was in der Formulierung "Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet" deutlich wird. 7 Mit Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 458 kann man dies als "gestufte Verbindlichkeit" bezeichnen. 8 Ophüls, FS Riese, 19. 9 Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 4; Kraußer; Prinzip begrenzter Ermächtigung; Oppermann, Europarecht, Rn. 513, 656; Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249, Rn. 12. 10 Hetmeier; in: Lenz, EGV, Art. 249 Rn. 2. 11 Vgl. zu den Verfahrensfragen Kluth, in: Calliess I Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 250 bis 252; Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 253; Streinz, Europarecht, Rn. 438 ff.

A. Einleitung

27

tes auswirkt. 12 Da die Richtlinie grundsätzlich von den Mitgliedsstaaten allein verlangt, ihr nationales Recht den Zielen der Richtlinie entsprechend anzupassen, dieses jedoch nicht ersetzt, ist sie als Regelungsinstrument in den Bereichen von besonderer Bedeutung, bei denen eine Rechtsangleichung oder -Harmonisierung zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft hinreichend ist, und in denen es nicht auf eine völlige Rechtsvereinheitlichung ankommt,13 die im Unterschied zur Richtlinie nur durch eine Verordnung erreicht werden kann. 14 Die Auswahlfreiheit im Hinblick auf Formen und Mittel der Umsetzung von Richtlinien erlaubt zumindest teilweise die Erhaltung der dogmatischen Struktur der nationalen Rechtsordnungen. 15 Ungeachtet dessen weisen Richtlinien mitunter eine sehr hohe Regelungsintensität auf, wenn der Vereinheitlichungsbedarf besonders hoch iSt. 16 Trotzdem kann die Richtlinie auch hier als Regelungsinstrument geeignet sein, wenn nicht Rechtseinheitlichkeit im Sinne einer einzigen, grenzüberschreitenden Rechtsordnung erforderlich ist, sondern sich Zuordnungsprobleme bei grenzüberschreitenden Sachverhalten entweder nicht stellen, oder diese mit den Regeln des internationalen Privat- oder Verwaltungsrechts zufriedenstellend gelöst werden können. 17 Dann genügt die materielle Gleichheit oder Ähnlichkeit des rechtlichen Ordnungsrahmens den Anforderungen des gemeinsamen Marktes, ohne daß es auch einer formellen Identität bedarf. In Fällen, in denen eine solche Konstellation typischerweise gegeben ist, sieht die jeweilige Kompetenzvorschrift häufig allein den Erlaß von Richtlinien vor. 18 Bei den Vorschriften, bei denen ein Wahlrecht der Gemeinschaftsorgane im Hinblick auf die Handlungsform besteht, sind nach einer Erklärung des Europäischen Rates zu Art. 5 Abs. 3 EGV Richtlinien gegenüber Verordnungen, und Rahmenrichtlinien gegenüber Detailregelungen, bevorzugt zu verwenden. 19 Daraus folgt die in der Rechtssetzungspraxis der Gemeinschaftsorgane überragende Bedeutung der Richtlinie im Vergleich mit den anderen Handlungsformen des Art. 249 EGV. 2o

Vgl. Art. 3 h), 94 EGY. Dendrinos, Direktwirkung, 20 ff.; Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 51; Prechal, Directives, 3; Scherzberg, Jura 1992, 572 (575 f.); Schuster, EWG-Richtlinie, 56 ff. 14 Vgl. etwa Leible, Wege, 264. 15 Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 455. 16 Ipsen, Gemeinschaftsrecht, 459. Ruffert, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 45. 17 In solchen Fällen kommt einer Richtlinie dann der Charakter eines Modellgesetzes zu. 18 Siehe beispielsweise Art. 46 Abs. 2,47 Abs. 2, 52 Abs. 1,94 EGV. 19 V gl. Erklärung zu Artikel 100a des EWG-Vertrages, Schlußakte der Einheitlichen Europäischen Akte, ABI. 1987 L 169/24; Nr. 6 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zum Vertrag über die Europäische Gemeinschaft sowie Edinburgh Europäischer Rat, Bulletin der EG, 12/1992, 15. Vgl. zudem Calliess in Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 5, Rn. 50 zur Ansicht der Kommission. 20 Göfz, NJW 1992,1849. 12 13

28

Teil I: Einführung

III. Die Richtlinie der EG in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs - Überblick

Infolge der alleinigen letztverbindlichen Auslegungskompetenz des EuGH hinsichtlich Fragen des europäischen Gemeinschaftsrechts kommt dessen Rechtsprechung als Untersuchungsgegenstand einer wissenschaftliche Auseinandersetzung eine hervorgehobene Bedeutung ZU?l Die Probleme, die sich im Hinblick auf Richtlinien stellen, treten prozessual überwiegend in zwei Verfahrens arten vor dem Gerichtshof auf. Der zentralisierten Durchsetzung der Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien durch die Einleitung von Vertrags verletzungs verfahren durch die Kommission nach den Art. 226 und 227 EGV steht die dezentrale Durchsetzung von Rechten aus Richtlinien durch private Parteien in Verfahren vor den nationalen Gerichten mit der Möglichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 EGV gegenüber. 22 Während die Urteile zu den hinreichenden Kriterien der Umsetzung von Richtlinien überwiegend im Vertragsverletzungsverfahren ergangen sind, hat der EuGH unmittelbare Wirkung, richtlinienkonforme Auslegung und Staatshaftungsanspruch in Vorabentscheidungsverfahren entwickelt. 23 Dies liegt daran, daß im Vertragsverletzungsverfahren die Frage nach dem Ausreichen der vom Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen im Vordergrund steht, während das Vorabentscheidungsverfahren in der Regel die Auslegung einer Richtlinie und damit deren Wirkungen für den einzelnen zum wesentlichen Gegenstand hat. Die alleinige Lektüre des Art. 249 Abs. 3 EGV offenbart nicht vollständig die Wirkungen von Richtlinien, wie sie sich nach heutigem Stand der Dogmatik darstellen. Der EuGH hat in einer Vielzahl von Urteilen über die Jahrzehnte die Rechtswirkungen von Richtlinien systematisch erweitert. Sofern Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, kann ihnen ausnahmsweise eine unmittelbare Wirkung zukommen. Die nationalen Gerichte müssen ihre Auslegung nationalen Rechts, unabhängig ob vor oder nach einschlägigen Richtlinien erlassen, soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck dieser Richtlinien ausrichten, um das mit diesen verfolgte Ziel zu erreichen?4 Darüber hinaus haften die Mitgliedstaaten den einzelnen für Schäden, die diesen durch die mangelhafte oder verspätete Umsetzung individualschützender Richtlinienvorschriften entstehen. 25 Die Nichtergreifung von Maßnahmen zur Umsetzung einer Richtlinie stellt dabei immer einen hinreichend qualifizierten Verstoß Vgl. auch Winter, DVBI. 1991,657. Prechal, Directives, 8 f. 23 Eine Ausnahme bildet insoweit das Urteil des EuGH in der Rs. C-431/92, Sig. 1995,12189, Großkrotzenburg. 24 St. Rspr. des EuGH seit Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26 sowie Rs. 106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40. 25 St. Rspr. des EuGH seit verb. Rs. C-46 u. 48/93, Sig. 1996,1-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 31, Rs. C-319/96, Sig. 1998,1-5255, Brinkmann I, Rn. 24 ff. 21

22

B. Problemaufriß

29

in diesem Sinne dar?6 Unmittelbare Wirkung, richtlinienkonforme Auslegung und Staatshaftungsanspruch sind mittlerweile fester Bestandteil der Dogmatik der Richtlinie, auch wenn einzelne Fragen in der Literatur umstritten und teilweise vom Gerichtshof auch noch nicht beantwortet sind. Auch im Hinblick auf die Anforderungen an die von den Mitgliedsstaaten vorzunehmende Umsetzung von Richtlinien führt die alleinige Lektüre der Regelungen im EGV nicht besonders weit. So hat der EuGH die nach dem Vertragswortlaut gegebene Wahlfreiheit der innerstaatlichen Stellen hinsichtlich Form und Mitteln der Umsetzung in vielfältiger Weise präzisiert und eingeschränkt. Allgemeine Anforderungen, die dabei immer wieder genannt werden, sind die praktische Wirksamkeit der Umsetzung, deren Klarheit und Bestimmtheit. 27 Die mitgliedstaatlichen Umsetzungsakte müssen diesen Anforderungen mit Ablauf der in der jeweiligen Richtlinie genannten Umsetzungsfrist gerecht werden.

B. Problemaufriß Die Formel von der "Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung" wird in der Literatur in zweierlei Bedeutung verwandt. Während Müller-Graff unter dem Titel "Europäische Normgebung und ihre judikative Umsetzung in nationales Recht"! den Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung nachgeht, untersucht Dreher in seiner Abhandlung "Richtlinienumsetzung durch Exekutive und Judikative?,,2 die Frage, inwieweit eine Verwaltungs- oder Gerichtspraxis legislative Defizite bei der Umsetzung von Richtlinien heilen kann. Die vorliegende Arbeit versucht, beide Problembereiche zu integrieren. Ausgangsfrage ist dabei, inwieweit eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts durch die Rechtsprechung zur Erfüllung der Umsetzungsverpflichtung durch einen Mitgliedsstaat beitragen, oder selbst eine solche darstellen kann. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei dem "Richterrecht", also der höchstrichterlichen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln des nationalen Rechts sowie der richterlichen Rechtsfortbildung, gelten. 3 Ausgelöst wurde die Diskussion dieser Frage insbesondere 26 EuGH, verb. Rs. C-178 u. 179/94, C-188 bis C-190/94, Slg. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 29; Rs. C-319/96, Slg. 1998,1-5255, Brinkmann I, Rn. 28. 27 EuGH, Rs. 360/87, Slg. 1991,1-791, KommissionIItalien, Rn. 12; Rs. C-220/94, Slg. 1995, 1-1589, Kommission/Luxemburg, Rn. 10; EuGH, Rs. C-162/99, Slg. 2001, 1-541, KommissionIItalien, Rn. 22. 1 Müller-Graf!, DRiZ 1996,259,305. 2 Dreher, EuZW 1997, 522. Vgl. auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 112, der die Formulierung der "Richtlinienkonformen Auslegung als Umsetzungsersatz" verwendet. 3 Vgl. zum Begriff des Richterrechts unten Teil 3, A.

30

Teil 1: Einführung

durch das" Testpreis-Angebot"-Urteil des I. Zivil senats des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1998,4 in dem dieser seiner ständigen Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit der vergleichenden Werbung angesichts der Richtlinie zur vergleichenden Werbung 5 eine grundlegend neue, richtlinienkonforme Richtung gab. Obwohl der Bundesgesetzgeber das UWG zur Umsetzung der Richtlinie dennoch änderte, bleibt die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Interpretation des Begriffs der "guten Sitten" in § 1 UWG erhalten. 6 Ob eine richtlinienkonforme Interpretation einer Vorschrift deren Änderung überflüssig zu machen vermag, spielte dann erneut im Hinblick auf die Notwendigkeit einer Änderung des Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG zur Anpassung an die Vorgaben der Richtlinie 76/207 /EWG über die Gleichbehandlung von Mann und Frau sowie dem dazu ergangenen Urteil des EuGH vom 11. Januar 20007 eine Rolle. Weitere Bedeutung kommt ihr für die Frage der Übereinstimmung des AGBG bzw. der in das BGB inkorporierten Vorschriften desselben mit den Vorgaben der Klauselrichtlinie 8 sowie für die Anpassung der in das Schuldrecht integrierten Vorschriften über Widerrufsrechte von Verbrauchern an das Urteil des EuGH in der Rechtssachte Heininger9 zu. 10 Die Fragestellung ist im Ergebnis aber über diese Einzelfälle hinaus von generellem Interesse. Welchen Umsetzungsbeitrag die richtlinienkonforme Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln leisten kann, läßt sich allerdings nur vor dem Hintergrund der Einwirkung des Richtlinienrechts auf die nationale Rechtsprechung sinnvoll untersuchen. Zur "Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung" gehören deshalb auch die, die nationale Rechtsprechung beeinflussenden Wirkungen von Richtlinien, hinsichtlich derer eine Vielzahl von Fragen umstritten ist. Diesen ist daher zunächst nachzugehen (Teil 2), bevor die eigentliche Ausgangsfrage beantwortet wird (Teil 3).

BGHZ 138,55. Ausführlich dazu unten Teil 3, B., 11. Richtlinie 97/551 EG, ABI. 1997 L 290/18. 6 Vgl. dazu unten Teil 3, C., IV., 4., d). 7 EuGH, Rs. C-285 198, Slg. 2000, 1-69, Kreil. Zur Änderung des Art. 12a Abs. 4 S. 2 GG sowie deren Notwendigkeit vgl. HeselhauslSchmidt-De Caluwe, NJW 2001,263 f. 8 Richtlinie 93/13/EWG, ABI. 1993L95/29. 9 EuGH, Rs. C-481 199, Slg. 2001, 1-9945, Heininger. 10 Dazu unten Teil 3, C., I., 3., c), dd). 4

5

Teil 2

Die Einwirkung von Richtlinien der Gemeinschaft auf die nationale Rechtsprechung Grundsätzlich sind EG-Richtlinien dazu geschaffen, von den Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht umgesetzt zu werden. Rechtsfolgen treffen die einzelnen Marktbürger daher im Regelfall vermittelt durch das nationale Umsetzungsrecht. In der Einleitung wurde jedoch bereits angedeutet, daß der EuGH Richtlinien darüber hinausgehende Wirkungen zuerkannt hat, die zu beachten auch den nationalen Gerichten anheim fällt. In diesem Sinne meint Einwirkung auf die nationale Rechtsprechung diejenigen Einwirkungen, welche unabhängig von der regelgerechten Richtlinienumsetzung, und gegebenenfalls auch neben ihr, auftreten können. Systematisch lassen sich vier wesentliche Elemente einer Dogmatik von Richtlinieneinwirkungen auf das nationale Recht unterscheiden, auch wenn diese in vielfältiger Weise miteinander verflochten sind. Zum einen kann Richtlinien eine unmittelbare Wirkung im nationalen Rechtsraum zukommen (A.). Darüber hinaus ist das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen (B.). Bei unzureichender Richtlinienumsetzung kann dem einzelnen ein Schadensersatzanspruch gegen den Mitgliedstaat erwachsen (C). Daneben steht das Gebot, einen dem nationalen Recht entsprechenden und im Ergebnis effektiven Rechtsschutz für die Geltendmachung gemeinschaftsrechtlicher Rechte zur Verfügung zu stellen (D). Während die ersten drei Institute der materiellen Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts dienen, sichert letzteres diese prozessual ab. Von zentraler Bedeutung für die Beantwortung der Ausgangsfrage ist naturgemäß vor allem das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts. Dieses steht allerdings in einem besonderen Verhältnis zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien und die Abgrenzung beider voneinander wird insbesondere bei der Frage nach der Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung schwierig. Von daher ist auf beide umfassend einzugehen. Staatshaftungsanspruch und das Gebot des effektiven Rechtsschutzes im Zusammenhang mit Richtlinien werden im Anschluß kursorisch behandelt.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien Das Konzept der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ist, zusammen mit dessen Vorrang vor dem nationalem Recht, eines der wesentlichsten

32

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Merkmale, die das Gemeinschaftsrecht vom Völkerrecht, in dem die Gemeinschaftsverträge verwurzelt sind, unterscheiden. 1 Die grundsätzliche Entwicklung seit dem Urteil des Gerichtshofs in Van Gend en Looi ist hinreichend bekannt? Sie bedarf daher hier keiner weiteren Erläuterung. Auch im Hinblick auf die unmittelbaren Wirkungen von Richtlinien fehlt es gewiß nicht an Darstellungen. 4 Angesichts des Fortschreitens der Rechtsprechung des Gerichtshofs - insbesondere zu Fragen der belastenden Auswirkungen für einzelne - mangelt es diesen jedoch teilweise an Aktualität. Zudem beruht die vorliegende Arbeit in den für ihre zentrale Fragestellung relevanten Teilen auf einem dogmatischen Gesamtverständnis der Richtlinie, welches die unmittelbaren Wirkungen von Richtlinien untrennbar mitumfaßt. Es gilt daher, dieses in hinreichender Klarheit zu entwickeln.

I. Begriff der "unmittelbaren Wirkung" von Richtlinien 1. Theoretische Grundlegung Unterscheidung zwischen Geltung und Wirkung

Die in der Literatur zu findende begriffliche Vielfalt hinsichtlich Richtlinienwirkungen könnte größer kaum sein. 5 Den hieraus entstandenen Bedeutungswirrwarr vollständig aufzuklären, wäre allein ausreichender Gegenstand einer eigenen Arbeit. Darauf muß aus Umfangsgründen an dieser Stelle verzichtet werden. Die ErI Vgl. Hartley, Foundations, 185; Hillgruber, FS Schiedennair, 93 (94); Prechal, CMLRev. 2000, 1047; de Witte, Nature of the Legal Order, 177 f. 2 EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1962, I, Van Gend en Loos. 3 Siehe beispielsweise Bebr, ICLQ 1970,257; Pescatore, ELRev. 1983,155. 4 Siehe beispielsweise Bleckmann, RIW 1984,774; Classen, EuZW 1993, 83; Dendrinos, Rechtsprobleme; Easson, ICLQ 1979, 319; Everling, FS Carstens, 95; Fischer, NVwZ 1992, 635; Langen/eid, DÖV 1992,955; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung; Pieper, DVBl. 1990, 684; Scherzberg, Jura 1993, 225; Timmermans, CMLRev. 1979, 533; Winter, DVBl. 1991, 657; Zuleeg, ZGR 1980,466. 5 Beispielhaft seien hier folgende Begriffe aufgezählt, die im Zusammenhang mit den unmittelbaren Wirkungen des Gemeinschaftsrechts und insbesondere der Richtlinien teilweise sinngleich, teilweise mit unterschiedlicher Bedeutung verwendet werden: "unmittelbare Anwendung", "Direktwirkung", "Durchgriffswirkung", "Drittwirkung", "unmittelbare Anwendbarkeit", "innerstaatliche Wirkung"; siehe dazu Gstaltmeyr, Bewehrung, 98 ff. sowie Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 22 ff., jeweils m. w. Nachw. Zu einem nicht unerheblichen Maße ist dies sicherlich auch auf die Abweichungen der Tenninologie der unterschiedlichen Fassungen des Art. 249 Abs. 2 EGV sowie die Übersetzung der Urteile des EuGH in alle Amtssprachen zurückzuführen, ohne jedoch zugleich daraus wie Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 18, Fn. I (mit Nennung von Beispielen) dem Übersetzungsdienst des Gerichtshofs einen Vorwurf machen zu wollen. Insbesondere in den frühen Jahren der Entwicklung von "unmittelbarer Anwendbarkeit" ("direct applicability") oder "unmittelbarer Wirkung" ("direct effect") wird auch und gerade dem Übersetzungsdienst des Gerichtshof die dogmatische Unterschiedlichkeit der Begriffe nicht völlig klar gewesen sein.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

33

örterung der Dogmatik der Richtlinie kann aber nur auf Basis eines klaren und präzisen begrifflichen Vorverständnisses gelingen, so daß zumindest eine kursorische Begriffsklärung angezeigt ist. Mit Klein ist zwischen der Gültigkeit, Geltung, Anwendbarkeit und Anwendung einer Norm zu unterscheiden,6 und der Begriff der Wirkung hinzuzufügen. Gültig ist eine Norm, die entsprechend den dafür vorgesehenen formellen und materiellen Regeln ihrer Rechtsquelle in Kraft gesetzt wurde. Eine gültige Norm hat Geltung in einer Rechtsordnung, wenn sie einen Anspruch auf rechtliche Beachtung in dieser erhebt. 7 Sofern sie inhaltlich vollständig ist, ist sie auch anwendungsfähig. Nur anwendungsfähige Normen können auch im konkreten Fall Anwendung finden und dadurch rechtliche Wirkungen erzeugen, d. h. auf ein Rechtsverhältnis Einfluß nehmen. Während der erreichte Status einer Norm die jeweils vorausgehenden notwendigerweise enthält, folgt der jeweils nächste nicht zwingend, sondern kann vom Hinzutreten weiterer Umstände abhängig sein, auch wenn eine Norm grundsätzlich auf die Erzeugung von rechtlichen Wirkungen hin angelegt ist, und eine geltende Norm im Regelfall Anwendbarkeit und Anwendungswille mitbringt. 8 Entscheidend ist dabei der Unterschied zwischen Wirkung und Geltung, der darin zu sehen ist, daß eine geltende Norm zur Entfaltung von Wirkungen auch eines vollziehbaren Inhalts9 bedarf, wohingegen die Geltung einen solchen nicht voraussetzt. lO Die Wirkung setzt normlogisch die Geltung einer Bestimmung voraus.u Soweit Normen also Wirkung in einer Rechtsordnung zugemessen wird, wird ihnen gleichzeitig eine entsprechende Geltung zugestanden.

2. Unterscheidung zwischen positiven und negativen Wirkungen

Hinsichtlich der Wirkungen, die eine Rechtsnorm zu entfalten geeignet ist, muß zwischen positiven und negativen unterschieden werden. J2 Positive Wirkung meint Klein, Unmittelbare Geltung. Klein, Unmittelbare Geltung, 8. 8 Klein, Unmittelbare Geltung, 8; Pescatore, ELRev. 1983, 155. 9 Aus der V6lkerrechtslehre stammt hierfür der Begriff des self-executing characters einer Regel aus einem völkerrechtlichen Vertrag. Dieser bedeutet, daß eine Norm, um innerstaatlich zur Anwendung zu gelangen, allein der Einführung in die nationale Rechtsordnung bedarf, vgl. hierzu Winter, CMLRev. 1972,425. Siehe zudem Edward, FS Mancini, 423. 10 So ist zum Beispiel nicht jede Verordnung der Gemeinschaft inhaltlich vollständig und perfekt derart, daß sie unmittelbar vollzogen werden könnte, siehe Winter, CMLRev. 1972, 425 (435). Auch der EuGH stellt fest, daß nicht jede Verordnung geeignet ist, unmittelbare Wirkung zu entfalten, obwohl der Verordnung allgemeine und unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten zukommt, vgl. Rs. C-403 / 98, Slg. 2001, 1-103, Monte Arcosu, Rn. 26. II Steiner, LQR 1982, 229 (233 ff.). Ebenfalls Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung,188. 12 Siehe zu dieser Unterscheidung die Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-287/98, Slg. 2000,1-6917, Linster; Prechal, CMLRev. 2000,1047 (1058 f.). Lenz/SijTynes/Young, 6 7

3 Hemnann

34

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

die durch die Anwendung eines abstrakt-generellen Rechtssatzes auf einen konkreten Lebenssachverhalt ausgelöste Rechtsfolge. Im Gegensatz dazu bedeutet negative Wirkung, daß die Anwendung eines anderen abstrakt-generellen Rechtssatzes auf einen Sachverhalt durch die negativ wirkende Norm ausgeschlossen wird, obwohl die Voraussetzungen der ausgeschlossenen Norm eigentlich vorlägen. Negativ wirkende Normen sind solche, welche die formellen oder materiellen Grenzen für andere Rechtsnormen ziehen, ohne dabei selbst notwendigerweise unmittelbare Lebenssachverhalte regeln zu wollen. Derlei kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Normen zueinander in einem Rangverhältnis stehen, innerhalb dessen die Anwendung der nachrangigen Norm durch höherrangige Normen bedingt und legitimiert wird. Es handelt sich mithin um Unanwendbarkeits-, Unwirksarnkeits- oder Nichtigkeitsgründe. Bildlich gesprochen wirkt die positive wirkende Norm wie ein Schwert, mit welchem Rechte eingefordert, die negative wie ein Schild, mit dem Pflichten abgewehrt werden können. 13 Einordnen läßt sich diese Unterscheidung in die Grundmodalitäten deontischer Logik, der zufolge Rechtssätze ein Verbot, ein Gebot, eine Erlaubnis oder Entscheidungsfreiheit beinhalten können. 14 Negativ wirken danach Verbote der Anwendung, positiv demgegenüber Gebote zur Anwendung bestimmter Rechtssätze. 3. Besondere Problematik des Gemeinschaftsrechts Begriff der Unmittelbarkeit

Im Hinblick auf die Normen des Gemeinschaftsrechts ergeben sich besondere Probleme aus dem Nebeneinander von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht als zwei grundsätzlich voneinander verschiedenen, wenn auch eng miteinander verzahnten Rechtsordnungen. 15 Dabei ist im Hinblick auf die Frage der unmittelELRev. 2000, 509; Timmermans, CMLRev. 1979,533 (538). Auch Bleckmann, Europarecht, Rn. 1198, trifft diese Unterscheidung, meint allerdings, bei der negativen Wirkung handele es sich nicht um einen Fall der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts im engeren Sinn. Rein begrifflich handelt es sich aber um eine Wirkung des Gemeinschaftsrechts, da auch der Ausschluß von Rechtsfolgen einer anderen Norm oder deren Unwirksamkeit klar eine Rechtsfolge darstellen. Unmittelbar ist diese Wirkung deshalb, weil sie nicht aus nationalem Recht folgt, sondern aus Gemeinschaftsrecht. In der deutschen Literatur wurde diese Wirkung lange Zeit als von der eigentlichen unmittelbaren Wirkung unterschiedliche Wirkung der Richtlinie als Maßstabsnorm diskutiert. Im Englischen entspricht dem der Begriff des" legal review". Im Französischen werden die Begriffe" invocabilite de substitution" und "invocabilite d'exclusion" verwendet. Theoretisch wird die Unterscheidung teilweise auf das Werk Hohfelds, Fundamental Legal Conceptions, zurückgeführt, vgl. Hilson/ Downes, ELRev. 1999, 121 sowie darauf aufbauend Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1057 f.). Vgl. eingehender zu dieser Problematik unten Teil 2, A., IV., 1. sowie Teil 2., A., V., 4., b), ff). 13 Vgl. Hilson/Downes, ELRev. 1999, 121 (125); Lenz/SijTyson/Young, ELRev. 2000, 509 (516); Prechal, CMLRev. 2000, 1047. 14 Vgl. dazu Jackson, Serniotics, 100 ff. 15 Siehe hierzu grundlegend Streinz, HdBStR, Bd. VII, § 182, Rn. 8 ff. Ebenfalls Bleckmann, Europarecht, Rn. 1045 ff.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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baren Wirkung des Gemeinschaftsrechts das nationale Recht die lex fori, das Gemeinschaftsrecht die fremde Rechtsordnung. 16 Nach oben entwickelter Terminologie bedürfen Normen, deren Rechtsquelle eine von der der lexfori unterschiedliche ist, zur Entfaltung unmittelbarer Wirkungen in der lex fori einerseits der Geltung in dieser, andererseits eines selbständig vollziehbaren Inhalts, also der Anwendbarkeit. 17 Ob beides gegeben ist, läßt sich prinzipiell aus zwei Richtungen bestimmen, nämlich aus der Perspektive der lex fori sowie aus der des fremden Rechts. 18 Die wesentliche Besonderheit des Gemeinschaftsrechts gegenüber herkömmlichen Völkerrecht ist darin zu sehen, daß die Gemeinschaftsorgane neues Recht schaffen können, welches in den Mitgliedstaaten ohne weiteres unmittelbar gilt, somit also keiner Inkorporation oder Transformation im Einzelfall mehr bedarf. 19 Die Kernfragen nach Geltung, Wirkung und Rang des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtsbereich werden allein aus Sicht des Gemeinschaftsrechts bestimmt. 2o Die notwendige Ermächtigung zu dieser "Fremdbestimmung" ist allerdings im jeweiligen nationalen Recht zu suchen, welches die Inkorporation von Normen völkerrechtlichen Ursprungs allgemein, oder solchen des Gemeinschaftsrechts im besonderen, determiniert und somit die nationale Rechtsordnung für das Gemeinschaftsrecht als dynamische Rechtsordnung öffnet. 21 Festzuhalten ist, daß Normen 16 Nur bei Klagen, die unmittelbar vor dem EuGH oder dem EuG erhoben werden, ist das Gemeinschaftsrecht - und regelmäßig nur dieses - selbst die lex fori, vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 1087. 17 Insoweit ist die synonyme Verwendung der Begriffe unmittelbare Anwendbarkeit, unmittelbare Anwendung und unmittelbare Wirkung unschädlich, solange man nicht vergißt, daß im Einzelfall zur Anwendbarkeit besondere Bedingungen hinzu kommen müssen, damit eine Norm auch Anwendung findet, vgl. hierzu Klein, Unmittelbare Geltung, 8 f. Vgl. auch Hartley, Foundations, 187 f. 18 Hartley, Foundations, 187. 19 So auch, wenn auch mit etwas anderer Terminologie Constantinesco, Unmittelbare Anwendbarkeit, 18; Klein, Unmittelbare Geltung, 9 f.; Winter, CMLRev. 1972, 425 (438). Der EuGH, Rs. 26/62, Slg. 1962, 1, Van Gend en Loos, Rn. 10, spricht hier von Recht, weIches von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängig ist. 20 Grundlegend EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, Costa/ENEL. Siehe dazu insbesondere Grabitz, Gemeinschaftsrecht; lpsen, Gemeinschaftsrecht, 255 ff.; Zuleeg, Das Recht. Ebenso die h.M., vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 1088 sowie Rn. 1172; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 249; Klein, Unmittelbare Geltung, 9 f.; Oppermann, Europarecht, Rn. 615 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 174 ff. 21 Gemeint sind hiermit innerstaatliche Normen des Verfassungsrechts, weIche das allgemeine Verhältnis der nationalen Rechtsordnung zu Normen, die völkerrechtlichen Ursprungs sind, bestimmen, unabhängig davon, ob diese Bestimmung monistisch oder dualistisch ausfällt. Vgl. hierzu Bleckmann, Europarecht, Rn. 1045 ff.; Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 175 m. w. Nachw. sowie 248, Fn. 2; Streinz, FS Söllner, 1139 (1147). Dynamisch meint in diesem Zusammenhang das oben beschriebene Charakteristikum des Gemeinschaftsrechts, neues innerstaatlich geltendes Recht ohne Ratifikationserfordernis setzen zu können. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 247 ff. spricht hier von einer "zweifachen Rechtsregel", und verweist in Fn. 6 zutreffend darauf, daß diese Rechtsregel nicht allein eine Vorranganordnung für den Konfliktfall beinhaltet, sondern zudem in aller Regel auch

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

des Gemeinschaftsrechts aufgrund der allgemeinen Ermächtigung in den nationalen Rechtsordnungen selbständig darüber entscheiden, inwieweit sie im innerstaatlichen Bereich gelten und ob und in welchem Umfang sie in der Folge22 auch unmittelbare Wirkungen erzeugen.

4. Terminologie des EGV

Der Begriff der unmittelbaren Wirkung wird im EGV nicht verwendet. Lediglich der Begriff der unmittelbaren Anwendbarkeit findet sich in den meisten anderssprachigen Fassungen des EGV in Art. 249 Abs. 2 für die Rechtswirkung von Verordnungen. 23 Die deutsche Fassung weicht hiervon terminologisch ab. Nach Art. 249 Abs. 2 EGV hat die Verordnung "allgemeine Geltung" und "gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat". Eine entsprechende Anordnung für Richtlinien fehlt. Im Sinne der oben dargelegten Terminologie ist der Begriff der unmittelbaren Geltung in der deutschen Fassung des Vertrages für Verordnungen passender, da die Anwendbarkeit eine Frage der hinreichenden inhaltlichen Bestimmtheit einer Norm darstellt, welche auch bei Verordnungen nicht immer gegeben ist, wie Winter zutreffend festgestellt hat. 24

5. Sprachgebrauch des EuGH

a) Im Hinblick auf Primärrecht und Verordnungen

In der Frühphase der Entwicklung des Konzepts der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts hatte der EuGH die Begriffe unmittelbare Wirkung (direet effeet) und unmittelbare Anwendbarkeit (direet applieability) synonym auf Situationen angewandt, in denen sich einzelne auf ihnen in Normen des Gemeinschaftsrechts eingeräumte Rechte berufen können sollten. 25 Es ist jedoch festzuhalten, daß die in dieser frühen Phase so verstandene - und eher subjektiv geprägte - unmittelbare Anwendbarkeit oder Wirkung des Gemeinschaftsrechts nichts mit der allgemeinen und unmittelbaren Geltung von Verordnungen zu tun hat, obwohl sich die Geltungsanordnung für Normen einer anderen Rechtsordnung ausspricht. Vgl. jüngstens ebenfalls in diesem Sinne Hillgruber, FS Schiederrnair, 93 (97 ff.). 22 Und nicht "als Folge". 23 Siehe hierzu Jarass, NJW 1990, 2420; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 18. 24 EuGH, Rs. C-403 / 98, Sig. 2001, 1-103, Monte Arcosu, Rn. 26. Vgl. auch Winter, CMLRev. 1972,425 (435). Ferner Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 186. 25 Heim, Unmittelbare Wirkung, 35; Pescatore, ELRev. 1983, 155, Fn. 2. Instruktiv in dieser Hinsicht ist der Vergleich der entsprechenden Passagen in den Urteilen des Gerichtshofs in Rs. 26/62, Sig. 1963, 1, Van Gend en Loos, Rn. 10 ff., sowie in Rs. 41/74, Sig. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 9 ff., und zwar jeweils in deutscher und englischer Fassung.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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in den anderen Gemeinschaftssprachen eine terminologische Überschneidung ergibt. 26 Ungeachtet der parallelen Begrifflichkeit erkannte auch der EuGH von Anfang an diesen Unterschied zwischen allgemeiner Geltung von Verordnungen und der Möglichkeit des einzelnen, sich auf Vorschriften in diesen oder im Primärrecht zu berufen. Danach gilt das von der Gesetzgebung der Mitgliedstaaten unabhängige Gemeinschaftsrecht unmittelbar in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten, so daß es seiner Rechtsnatur nach prinzipiell zur Erzeugung unmittelbarer Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedsstaaten und den ihrem Recht Unterworfenen geeignet ist?7 Ob solche Wirkungen eintreten hängt bei Primärrecht und Verordnungen lediglich davon ab, ob die jeweilige unmittelbar geltende Norm eine inhaltlich klare, eindeutige und unbedingte Verpflichtung enthält. 28

b) Im Hinblick auf Richtlinien

Im Fall der Richtlinien ist das Problem der unmittelbaren Wirkung komplexer und die Rechtsprechung des Gerichtshofs war hier deutlich größerem Widerstand durch nationale Gerichte und Literatur ausgesetzt. 29 Dies liegt in dem Umstand begründet, daß Normen einer fremden Rechtsordnung zunächst in die lex fori eindringen und zudem auch eine vollständige Regelung enthalten müssen, um unmittelbare Wirkungen entfalten zu können. Eine von einem nationalen Inkorporationsakt unabhängige allgemeine Geltung von Richtlinien in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ordnet Art. 249 Abs. 3 EGV im Unterschied zu Art. 249 Abs. 2 EGV seinem Wortlaut nach aber gerade nicht an. 30 Im Gegensatz zum Primärrecht sind nicht umgesetzte Richtlinien auch nicht durch einen generellen staatlichen Transformations- oder Inkorporationsakt Teil der lex fori geworden? I 26 Siehe instruktiv hierzu Winter, CMLRev. 1972,425. Ebenso auch Jarass, NJW 1990, 2420; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 14 ff. 27 Siehe EuGH, Rs. 26/62, Sig. 1962, 1, Van Gend en Loos, Rn. 10 ff. für Primärrecht; Rs. 43/71, Slg. 1971, 1039, Politi, Rn. 9 sowie Rs. 9/73, Slg. 1973, 1135, Schlüter für Verordnungen. 28 Hartley, Foundations, 191. Insoweit ähnelt das Konzept der unmittelbaren Wirkung dem der self-executing-Normen in völkerrechtlichen Verträgen, vgl. Winter, CMLRev. 1972, 425 (427 ff.) 29 Siehe hierzu ausführlich Dendrinos, Rechtsprobleme, 107 ff., 132 ff.; Herber, FS Döllerer, 225; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 215 ff. 30 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 187 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 258; Leonard, Rechtsfolgen, 71. Zur Frage, ob Art. 249 Abs. 3 EGVeiner unmittelbaren allgemeinen Geltung von Richtlinien im innerstaatlichen Recht entgegensteht vgl. die ausführliche Diskussion bei Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 174 ff. 31 Die h.M. geht unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofs in der Sache Van Gend en Loos, Rs. 26/62, Slg. 1962, 1 sowie CostaIENEL, Rs. 6/64, Slg. 1964,585 allerdings davon aus, daß das gesamte Gemeinschaftsrecht Teil der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten geworden ist, und somit in dieser gilt. Davon seien auch alle Richtlinien umfasst, unabhängig von ihrer eventuellen unmittelbaren Wirkung. Vgl. Klein, Unmittelbare Geltung, 12; Prechal,

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Es ist festzustellen, daß der Gerichtshof in der frühen Phase seiner Rechtsprechung, die allgemein unter der Überschrift "Unmittelbare Wirkung von Richtlinien" behandelt wird, diesen Terminus selber aktiv fast nicht benutzte. Manchen Stimmen zufolge vermied er ihn sogar bewußt. 32 Regelmäßig griff der EuGH den Begriff der unmittelbaren Wirkung, Geltung oder Anwendbarkeit lediglich auf, um die vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen zu beschreiben. 33 Beinahe gebetsmühlenartig wiederholte der EuGH zu Beginn hauptsächlich die Formulierung, "daß zwar nach Artikel 189 [jetzt 249 EGVj Verordnungen unmittelbar gelten, und infolgedessen schon wegen ihrer Rechtsnatur unmittelbare Wirkungen erzeugen können, daß hieraus indessen nicht folgt, daß andere in diesem Artikel genannte Kategorien von Rechtsakten niemals ähnliche Wirkungen erzeugen können",34

um im Anschluß daran diese "ähnlichen Wirkungen" inhaltlich näher zu beschreiben. Der EuGH sagte somit lediglich, daß Richtlinien bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen bestimmte Rechtsfolgen erzeugen können, die in ihrer Wirkung denen der Verordnung ähnlich seien. Dazu zählt zum einen, sich gegen die Anwendung nicht richtlinienkonformer Vorschriften zur Wehr zu setzen, zum anderen die Geltendmachung von in der Richtlinie niedergelegten Rechten gegenüber dem Staat. 35 Mittlerweile benutzt der EuGH den Begriff der unmittelbaren Wirkung auch im Zusammenhang mit Richtlinien regelmäßig?6 In den StichwortübersichDirectives, 263; Timmermans, CMLRev. 1979, 533 (534). Mit anderer Begründung auch Schilling, ZaöRV 1988, 637 (643). Zur Widerlegung der h.M. vgl. insbesondere Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 173 ff. 32 So auch Dendrinos, Rechtsprobleme, 89; Klein, Unmittelbare Geltung, 22; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 151; Pescatore, ELRev. 1983, 155 (167); Prechal, Directives, 263. Der EuGH verwendet aber bereits im Van Duyn-Urteil den Ausdruck "unmittelbare Wirkungen", vgl. Rs. 41174, Slg. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 12. 33 EuGH, Rs. 41174, Slg. 1974, 1337, Van Duyn, 10 ("unmittelbar gilt"); Rs. 148178, Slg. 1979, 1629, Ratti, Rn. 17 ("unmittelbar geltende"); Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 9 ("unmittelbar geltendes Recht"); Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 6 ("Richtlinie als solche anzuwenden"), Rs. C-192/94, Slg. 1996, 1-1281, EI Corte 1ngles, Rn. 13 ("unmittelbare Wirkung"); Rs. 72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 43 ("unmittelbare Wirkung"); Rs. C-287/98, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 26 ("unmittelbare Wirkung", Bezugnahme auf den Vortrag Luxemburgs). 34 St. Rspr. des EuGH seit Rs. 9170, Slg. 1970, 825, Franz Grad, Rn. 5; Rs. 41174, Slg. 1974,1337, Van Duyn, Rn. 12; Rs. 148178, Slg. 1979, 1629, Ratti, Rn. 19; Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 21. Unverständlich daher die Äußerung Heims, Unmittelbare Wirkung, 35, der EuGH würde diese Ablehnung eines e contrario-Schlusses nach der LeberpfennigEntscheidung (Rs. 9 I 70, Slg. 1970, 825, Franz Grad, Rn. 5) nicht mehr wiederholen. 35 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 25. Timmermans, YEL 17 (1997),1 (17); welche Rechtsfolgen damit konkret verbunden sind wird unter Teil 2., A., 11., 4. detailliert behandelt. 36 Siehe beispielsweise EuGH, Verb. Rs. C-253 bis 258/96, Slg. 1997,1-6907, Kampelmann, Rn. 37; C-319/97, Slg, 1999,1-3143, Kortas, Rn. 22, 38; Rs. C-374/97, Slg. 1999,15153, Feyrer, Rn. 24; Rs. C-35 198, Slg. 2000, 1-4071, Verkooijen, Rn. 26; Rs. C-303 I 98, Slg. 2000, 1-7963, SIMAP, Rn. 70.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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ten, welche den Leitsätzen der Urteile in der amtlichen Sammlung vorangestellt sind, wird der Begriff von jeher verwandt,37 woraus man jedoch keine Schlüsse hinsichtlich der Begrifflichkeit des EuGH ziehen kann. 38 Auch die Generalanwälte am Gerichtshof benutzen den Begriff in ihren Schlußanträgen,39 teilweise alternativ dazu auch den der "unmittelbaren Anwendbarkeit,,40 oder "unmittelbaren Geltung".41 Hingegen hat der Gerichtshof selbst niemals die abstrakte unmittelbare und allgemeine Geltung von Richtlinien im nationalen Recht festgestellt, sondern sich immer auf die für die Entscheidung der Vorlagefragen wesentlichen Wirkungen von Richtlinien beschränkt. 42

6. Schlußfolgerung

Der Begriff der unmittelbaren Wirkung hat sich in Rechtsprechung und Literatur durchgesetzt, auch wenn in der ihm zugemessenen Bedeutung Unterschiede fortbestehen. Letztlich kommt es jedoch nicht entscheidend auf die Wahl des Begriffes an, sondern auf die damit verbundenen Inhalte. Die Überlegungen sollen sich daher auf die Grundlage, Voraussetzungen und konkreten Rechtsfolgen unmittelbarer Wirkungen von Richtlinien konzentrieren. Zur Vereinfachung wird im folgenden der wohl gebräuchlichste Begriff der "unmittelbaren Wirkung" als Oberbegriff für alle Situationen verwendet, in denen Rechtsfolgen von Richtlinien im innerstaatlichen Rechtsbereich nicht vermittelt durch nationales Umsetzungsrecht erzeugt werden, sondern unmittelbar auf einer Richtlinie beruhen. Dies umfaßt prinzipiell neben subjektiven auch objektive, neben vertikalen auch horizontale und neben positiven auch negative Wirkungen. Der Begriff "Wirkung" ist daher auch treffender als der der Anwendung, da es bei der negativen Wirkung ja gerade um eine Nichtanwendung nationalen Rechts geht, die von einer unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie auf einen Sachverhalt unterschieden werden muß. 43 37 Siehe beispielsweise die Stichwortübersichten Rs. 33170, Sig. 1970, 1213, Sace; Rs. 41174, Sig. 1974, 1337, Van Duyn; Rs. 148178, Sig. 1979, 1629, Ratti; Rs. 80/86, Sig. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen; Rs. 190/87; Sig. 1988,4689, Moormann; Rs. C-221/ 88, Sig. 1990,1-495, Busseni; Rs. C-192/94, Sig. 1996, 1281, EI Corte 1ngles. 38 Art. 63 VerfOEuGH weist weder den Leitsätzen noch den Stichwortlisten die Eigenschaft eines Urteilsbestandteils zu. Die nach Art. 68 VerfOEuGH vom Kanzler zu veröffentlichende Sammlung wird insoweit ergänzt. 39 Siehe Schlußanträge der GAe zu Verb. Rs. C-87 bis 89/90, Sig. 1991,1-3757, Verholen, Rn. 16; Rs. C-192/94, Sig. 1996,1-1281, EI Corte 1ngles, Rn. 8; Rs. C-72/95, Sig. 1-1996, 5403, Rn. 82. 40 Siehe beispielsweise den Schlußanträge des GA Lenz zur Rs. C-91 192, Sig. 1994, 13325, Faccini Dori, Rn. 17. 41 Vgl. Schlußanträge des GA Warner zur Rs. 38177, Sig. 1977,2203, Enka (2216 ff.). 42 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 188; Wolf, FS Bemhardt, 1361 (1374). 43 Eine andere Differenzierung hat jüngst Beljin, EuR 2002, S. 351 versucht. Danach sollen Nichtanwendung und unmittelbare Wirkung auf unterschiedlichen Ebenen stehen.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Damit ist noch nicht gesagt, daß die unmittelbare Wirkung mit der allgemeinen, unmittelbaren Geltung gleichgesetzt wird. Zwar gelten denknotwendigerweise unmittelbar wirkende Richtlinien auch im nationalen Recht, daraus kann aber nicht allgemein geschlossen werden, Richtlinien käme per se eine allgemeine, unmittelbare Geltung zu. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien mit den allgemeinen Anforderungen an geltendes Recht für die Entfaltung von Wirkungen identisch wären. Der Schluß auf eine allgemeine, unmittelbare Geltung von Richtlinien in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten könnte aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs somit nur dann gezogen werden, wenn die einzige Voraussetzung für ihre unmittelbare Wirkung ein vollziehbarer Inhalt wäre. Wie die weitere Untersuchung zeigen wird, sind Richtlinien für sich aber nach wie vor nicht geeignet, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen von einzelnen zu begründen. 44 Es bleibt daher bei dem Befund, den Brechmann überzeugend dargelegt hat, demzufolge Richtlinien keine allgemeine Geltung in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zukommt. 45 Im folgenden ist daher zu untersuchen, aus welchen rechtlichen Überlegungen der Gerichtshof Richtlinien welche unmittelbaren Wirkungen unter welchen Voraussetzungen zuweist.

11. Herleitung der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien durch den Gerichtshof und deren Rechtsgrundlage 1. Der Ursprung der Rechtsprechung des EuGH

Die akademische Diskussion um die Möglichkeit einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinien ließ nach der Van Gend en Loos-Rechtsprechung nicht lange auf sich warten und bereitete zugleich den Boden für den Gerichtshof,46 einer solchen, im Anschluß an die Urteile in den Verfahren Gra~7 und SACt;48, in Van Duyn 49 schließlich endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Angesichts des Wortlauts des Art. 249 Abs. 3 EGV muß diese Entwicklung als klare Rechtsfortbildung durch Siehe dazu unten Teil 2, A., V. Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 188 f. Ebenso auch Eleftheriadis, YEL 16 (1996),205 (220 f.). 46 Everling, FS Carstens, 95 (97). Siehe zu der dem Urteil Van Duyn vorausgegangenen Diskussion Everling, NJW 1967, 465; Fuß, DVBI. 1965, 378; Oldekop, JöR 1972, 55 (100 ff.); Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 215 ff. 47 EuGH, Rs. 9170, Slg. 1970, 825, Franz Grad. Dieses Urteil, in dem der Gerichtshof zum ersten Mal feststellte, daß auch andere Sekundärrechtsakte (in diesem Verfahren ging es um eine Entscheidung) als Verordnungen ähnliche Wirkungen wie diese entfalten könnten, ist auch als "Leberpfennig-Vrteil" in die Literatur eingegangen. 48 EuGH, Rs. 33170, Sig. 1970, 1213, Sace. 49 EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Van Duyn. 44

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A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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den Gerichtshof angesehen werden. 50 Gestützt hat er diese im wesentlichen auf vier Argumente, die inhaltlich eng miteinander verknüpft sind, bevor er in einem letzten Schritt Art. 249 Abs. 3 i.Y.m. Art. 10 EGV als Rechtsgrundlage der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien herangezogen hat. 5 ! 2. Ablehnung des e contrario-Schlusses aus Art. 249 Abs. 2 EGV

Der erste entscheidende gedankliche Schritt des EuGH war die Ablehnung eines Umkehrschlusses aus Art. 249 Abs. 2 EGV bereits in dem Verfahren Grad. Danach kann aus der Anordnung der unmittelbaren Geltung von Verordnungen und deren daraus folgender Fähigkeit, unmittelbare Wirkungen zu begründen, nicht gefolgert werden, daß die anderen in dem Artikel genannten Arten von Rechtsakten prinzipiell keine ähnlichen Wirkungen entfalten können. 52 Mit dieser Ablehnung stellte der EuGH fest, daß der Wortlaut des EGVeiner unmittelbaren Wirkung von Entscheidungen53 und Richtlinien zumindest nicht entgegensteht, um dann aus weiteren Argumenten abzuleiten, warum das Gemeinschaftsrecht trotz der im Vertrag fehlenden ausdrücklichen Anordnung unter bestimmten Voraussetzungen dennoch eine unmittelbare Wirkung von Entscheidungen und Richtlinien erfordert. 54 Bis zum Urteil Becker55 leitete der EuGH auch später immer wieder die entscheidenden Passagen zur unmittelbaren Wirkung durch diese Formel ein. 56 3. Verbindlichkeit der Richtlinie

Das erste Kemargument für die Bejahung einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen in bestimmten Fällen erkennt der EuGH in deren verbindlicher Wirkung. Mit dieser wäre es demnach



"unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, daß sich betroffene Personen auf die durch Richtlinien auferlegte Verpflichtung berufen können. ,,57 50 Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 188; Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 70. Inwiefern diese zulässig bzw. noch vom Wortlaut des EGV gedeckt ist, kann angesichts einer absolut gefestigten Rechtsprechung mittlerweile dahinstehen. Vgl. zu dem Streit Everling, FS Carstens, 95; Grabitz, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 60; Nessler; RIW 1993,206; Lohse/Spetzler; StVj 1992,42. Siehe auch BVerfGE 75, 223 (241). Zur Rechtsqualität der unmittelbaren Wirkung vgl. unten Fn. 77. 51 Siehe ausführlich zu den Argumenten des EuGH Dendrinos, Rechtsprobleme, 89 ff.; Heim, Unmittelbare Wirkung, 34 ff.; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 50 ff.; Prechal, Directi ves, 249 ff. 52 EuGH, Rs. 9170, Sig. 1970,825, Franz Grad, Rn. 5. 53 Um eine solche ging es in dem Verfahren Grad, EuGH, Rs. 9/70, Sig. 1970, 825. 54 Heim, Unmittelbare Wirkung, 34 f.; Prechal, Directives, 248. 55 EuGH, Rs. 8/81, Sig. 1982, 53, Becker, Rn. 21. 56 Vgl. dazu oben Teil 2., A., I., 5., b).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Der EuGH sieht zwar somit die unmittelbare Wirkung von Richtlinien nicht als generell zwingend an, schließt jedoch aus der verbindlichen Verpflichtung des Mitgliedstaates, daß zumindest in manchen Fällen Betroffenen eine Möglichkeit eingeräumt sein muß, sich auf die verpflichtende Wirkung zu berufen. 58 Den Mitgliedstaaten ist zwar die Wahl der Form und Mittel zu ihrer Umsetzung überlassen, aber nicht die zwischen Umsetzung und Nichtumsetzung. 59 Die unmittelbare Wirkung verbürgt insoweit einen gewissen Mindeststandard für die Betroffenen. 6o Die verbindliche Wirkung ist jedoch nicht geeignet, zu begründen, warum unmittelbare Wirkungen in noch zu bestimmenden Konstellationen entstehen, sondern bereitet allein dahingehend den Weg, daß überhaupt eine Berufung auf Richtlinienbestimmungen möglich sein kann.

4. Effet Utile des Gemeinschaftsrechts

In die gleiche Richtung geht ein weiteres Argument, welches der EuGH von Beginn an aus einer Betrachtung der Alternative, also der Verneinung einer unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, gewinnt. Danach würde "die nützliche Wirkung ("effet utile") einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die einzelnen sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten.,,61

Hierin kommt der Gedanke der dezentralen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts durch die Gemeinschaftsbürger zum tragen, wie er seit dem Urteil Van Gend en Looi 2 in der Rechtsprechung des EuGH immer wieder auftaucht. 63 Verpflich57 EuGH, Rs. 41174, Sig. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 12; Rs. 51176, Sig. 1977, 113, Nederlandse Ondememingen, Rn. 20/29; Rs. 21178, Sig. 1978,2327, Delkvist, Rn. 18/21; Rs. 148178, Sig. 1979, 1629, Ratti, Rn. 20/21; Rs. 8/81, Sig. 1982,53, Becker, Rn. 22. 58 Da es sich hierbei grundsätzlich um eine Verpflichtung des Mitgliedstaates gegenüber der Europäischen Gemeinschaft handelt, ist für diese Berufungsmöglichkeit der Begriff der "Drittwirkung" entstanden, vgl. Oldekop, JöR, 55 (101). Diese Begrifflichkeit ist jedoch mißverständlich, da sie allzu leicht mit der "Drittwirkung" der Grundfreiheiten im EGV (vgl. hierzu Streinzl Leible, EuZW 2000, 459) sowie der Drittwirkung von Grundrechten verwechselt werden kann. Bei beiden handelt es sich aber um horizontale Rechtsverhältnisse, während zumindest in der Frühphase der Rechtsprechung zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien allein vertikale Verhältnisse (Bürger versus Staat) eine Rolle spielten. 59 Siehe z. B. Schlußanträge GA WarneT, Rs. 38177, Sig. 1977,2203, Enka (2026). 60 BVerfGE 75, 223 (241); Jarass, NJW 1990, 2420 (2422); Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 152. 61 EuGH, Rs. 41174, Sig. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 12. 62 EuGH, Rs. 26/62, Sig. 1962, 1, Van Gend en Loos. 63 Das hiermit wiederum eng verbundene Argument aus Art. 234 EGV, wonach das Vorlageverfahren voraussetzt, daß sich Gemeinschaftsbürger prinzipiell auf alle Akte der Gemeinschaft berufen können müssen, hat der EuGH frühzeitig wieder aufgegeben, da er seine Auslegungskompetenz nicht auf unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht eingrenzen wollte,

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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tungswirkung und Effektivität stehen argumentativ insoweit in engem Zusammenhang mit der Vorstellung einer Sanktionierung des Versäumnisses des Mitgliedstaates, eine Richtlinie ordnungsgemäß umzusetzen. 64

5. Venire contra/actum proprium; estoppel-Prinzip

Während die bisherigen Argumente jedoch nur zu begründen vermögen, warum Richtlinien über die Verpflichtung der Mitgliedstaaten hinausgehende Wirkungen zeitigen können, nicht jedoch, unter welchen Voraussetzungen dies der Fall sein sollte, geht die vom EuGH im Fall Ratti zum ersten Mal genannte Überlegung, daß "ein Mitgliedstaat, der die in der Richtlinie vorgeschriebenen Durchführungsmaßnahmen nicht fristgemäß erlassen hat, den einzelnen nicht entgegenhalten [kann], daß er - der Staat - die aus dieser Richtlinie erwachsenen Verpflichtungen nicht erfüllt hat", 65

hierüber hinaus. Der Gedanke eines Verbots des venire contra factum proprium, oder nach anglo-amerikanischer Tradition auch estoppel-Prinzip66 genannt,67 stellt inhaltlich darauf ab, daß die Herbeiführung der rechtlichen Wirkungen von Richtlinien für einzelne, also die Umsetzungsverpflichtung, eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist, die auch gegenüber dem einzelnen Bürger gilt. Während im Fall Ratti dieser Gedanke eher die Folge der unmittelbaren Wirkung zu sein schien, rückte der EuGH diese Überlegung in späteren Urteilen stärker als Begründungselement in den Vordergrund. 68 Der estoppel-Gedanke trägt aber zugleich zu einer Begrenzung der unmittelbaren Wirkung bei, da er unmittelbare Wirkungen in horizontalen Verhältnissen ebenso wenig zu begründen vermag, wie rein objektive unmittelbare Wirkungen. 69

vgl. hierzu Degenhart, Voraussetzungen I, 21; Heim, 43 f.; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 230. Nach dem EuGH, Rs. C-261 /95, Slg. 1997,1-4025, Palmisani, Rn. 16 ff. sowie Rs. C-373/95, Slg. 1997,1-4051, Maso, Rn. 25 ff. umfaßt die Kompetenz des Art. 234 EGV auch die Auslegung von nicht unmittelbar wirkendem Gemeinschaftsrecht. 64 So auch Heim, Unmittelbare Wirkung, 36 f.; Prechal, Directives, 250. 65 EuGH, Rs. 148/78, Slg. 1979, 1629, Ratti, Rn. 22 f. 66 Vgl. dazu Heintschel von Heinegg, in: 1psen, Völkerrecht, § 15, Rn. 8 und 109; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, Rn. 615. 67 Teilweise wird auch der Grundsatz "nemo auditur turpitudinem suam allegans" bzw. der Grundsatz von Treu und Glauben für diese Überlegungen angeführt. Vgl. hierzu van Gerven, FS Scherrners, 335 (343); Klein, Unmittelbare Geltung, 23 f.; GA Mischo, Schlußanträge zu EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Nr. 7. 68 Prechal, Directives, 252 ff. 69 So auch Barav, Rapport General, XVIII. FIDE Kongress, 429; Green, ELRev. 1984, 295 (310); Prechal, Directives, 250, Fn. 28. .

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung 6. Art. 249 Abs. 3 i.V.m. Art. 10 EGV

In einem späteren Fall hat der EuGH dann zusätzlich Art. 249 Abs. 3 i.Y.m. Art. 10 EGVals Grundlage der unmittelbaren Wirkung explizit benannt, ohne dabei jedoch Art. 10 EGV gleichzeitig als Grundlage des estoppel-Gedankens zu bezeichnen,7o wie der Generalanwalt Darmon es in seinen Schlußanträgen vorgetragen hatte. 71 7. Zusammenfassung

Der Gerichtshof verwendet nicht konsistent eine einheitliche Argumentation zur Begründung der unmittelbaren Wirkung. Die genannten Argumente werden, einmal eingeführt, in Folgeentscheidungen teilweise gemeinsam, teilweise allein aufgeführt. 72 Welches Argument für den EuGH letztlich tragend ist, läßt sich der Rechtsprechung im Ergebnis nicht entnehmen,73 auch wenn das estoppel-Argument in jüngeren Entscheidungen regelmäßig nicht mehr explizit genannt wird. 74 Angesichts seiner gefestigten Rechtsprechung verzichtet der EuGH mittlerweile teils völlig auf die Begründung der unmittelbaren Wirkung und beschäftigt sich ausschließlich mit der inhaltlichen Frage, ob eine Richtlinienbestimmung für eine unmittelbare Wirkung hinreichend bestimmt ist. 75 Angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs erscheint eine generelle Kritik der Begründung als wenig sinnvoll. So wenig zwingend die wohl eher integrationspolitisch motivierten Argumente 76 im einzelnen auch sein mögen, so wenig mag man sich zugleich den Zustand der Gemeinschaft ohne die unmittelbare Wirkung auch und gerade von Richtlinienbestimmungen als einem Bestandteil des acquis communautaire 77 vorstellen. 70 EuGH, Rs. 190/87, Sig. 1988,4689, Moorrnann, Rn. 22 ff. Siehe hierzu auch Prechal, Directives, 253. 71 Schlußanträge des GA Darmon, Rs. 190/87, Sig. 1988,4689, Moorrnann, Rn. 27. 72 Siehe hierzu beispielsweise EuGH, Rs. 152/84, Sig. 1986,723, MarshalI, Rn. 46 ff.; Rs. 190/87, Sig. 1988, 4689, Moorrnann, Rn. 22 ff.; Rs. C-I92/94, Sig. 1996, 1-1281, EI Corte Ingles, Rn. 16. Dies gilt allerdings nicht für die Ablehnung des e-contrario-Schlusses, der nach dem Urteil Becker, Rs. 8/81, Sig. 1982,53, nicht mehr verwandt wird. 73 Prechal, Directives, 252. 74 Der EuGH betont den estoppel-Gedanken ausschließlich in den Verfahren, in denen eine horizontale oder umgekehrt vertikale Wirkung einer Richtlinie im Raum steht, vgl. EuGH, Rs. 152/84, Sig. 1986, 723, MarshalI, Rn. 46 ff.; Rs. 80/86, Sig. 1987, 3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 7 ff. 75 Vgl. beispielsweise EuGH, Verb. Rs. C-253 bis 258/96, Sig. 1997,1-6907, Kampelmann; Rs. C-76/97, Sig. 1998,1-5357, Tögel; Rs. C-136/97, Sig. 1999,1-2491; Norbury Developments, Rs. 319/97, Slg, 1999,1-3143, Kortas; Rs. C-303/98, Sig. 2000,1-7963, SIMAP. 76 So auch Dendrinos, Rechtsprobleme, 97; Jarass, NJW 1990,2420 (2422). Zur Kritik an spezifischen Aspekten der Rechtsprechung des Gerichtshofs siehe unten Teil 2, A., VI. 77 Zum Begriff des "acquis communautaire" vgl. Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 867; Oppermann, Europarecht, Rn. 1852. Zur Problematik, inwieweit eine solche richter-

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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111. Positive Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung einzelner RichtIinienbestimmungen 1. Überblick

Zum Verständnis der unmittelbaren Wirkung als einem Element der Dogmatik der Richtlinie kommt es angesichts der Begründungsschwankungen um so mehr auf die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung sowie auf die sich daraus ergebenden Rechtsfolgen an. Andere Abhandlungen verwenden hierfür den Begriff der Fallgruppen. 78 Dieser Darstellungsweise wird hier jedoch nicht gefolgt, um ein Abschichten der Probleme nach Voraussetzungen unmittelbarer Wirkungen und deren Folgen zu errnöglichen. 79 Zu unterscheiden ist zwischen positiven Voraussetzungen, also solchen, deren Vorliegen für eine Bejahung der unmittelbaren Wirkung notwendig ist, und negativen Voraussetzungen, deren Vorliegen die unmittelbare Wirkung begrenzt oder ganz ausschließt. 8o Wichtig ist zudem, daß diese Voraussetzungen immer im Hinblick auf einzelne Vorschriften einer Richtlinie zu prüfen sind, da nur diese und nicht Richtlinien insgesamt einer unmittelbaren Wirkung fähig sind. 81 Die Rechtsprechung des EuGH ist hinsichtlich der Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung generell ebenso wenig einheitlich wie zu deren Grundlage. In Van Duyn hatte der EuGH als Voraussetzung einer unmittelbaren Wirkung genannt, daß eine Bestimmung nach ihrer Rechtsnatur, Systematik und liche Rechtsfortbildung durch den EuGH (vgl. oben Teil 2, A, Ir., 1.) Gewohnheitsrecht oder europäisches Richterrecht mit echter Präjudizienbindung entstehen läßt vgl. Bleckmann, Europarecht, Rn. 560 ff. Will man die unmittelbare Wirkung als Gewohnheitsrecht im Rang primären Gemeinschaftsrechts ansehen, so bedarft es dazu jedoch einer von einer Rechtsüberzeugung getragenen Übung der Mitgliedstaaten als "HelTen der Verträge" (vgl. Koenig / Haratsch, Europarecht, Rn. 235). Für deren Vorliegen müßte man allerdings dann auf die nationale Gerichtspraxis abstellen (vgl. hierzu auch Bleckmann, Europarecht, Rn. 570). Angesichts dessen erscheint mir die Annahme einer Präjudizienbindung (wie Bleckmann, Europarecht, Rn. 571) überzeugender. Für eine solche allgemeine Bindungswirkung der Urteile des EuGH läßt sich auch Art. 6 des EWR-Abkommens anführen. Ein Abstellen auf die ständige Praxis der nationalen Gerichte begegnet darüber hinaus in zweierlei Hinsicht Bedenken: Zum einen führte es dazu, daß eine Bindungswirkung der EuGH-Rechtsprechung erst nach einer gewissen Zeit infolge der Akzeptanz bei den nationalen Gerichten eingetreten wäre (was auch wegen des Streits zwischen Conseil d'Etat bzw. BFH und EuGH über die Richtlinienwirkung problematisch ist); zum anderen lässt sich eine derartige Begründung von Gewohnheitsrecht schwer mit dem Vorrang des Gemeinschaftsrecht in Einklang bringen. 78 Siehe beispielsweise die Gliederungen bei Gstaltmeyr; Bewehrung, VII f.; Leonard, Rechtsfolgen, S. 9 f.; siehe auch Scherzberg, Jura 1993, 225 (227). 79 Eine Unterscheidung, die gerade im Hinblick auf die subjektivrechtliche Dimension unbedingt geboten ist, um die zwei sich stellenden Fragen hinsichtlich der Einräumung von subjektiven Rechten in der Richtlinie als Voraussetzung einer unmittelbaren Wirkung sowie der Begründung von subjektiven Rechten als Folge einer solchen auseinander zu halten. Vgl. hierzu zutreffend die Unterscheidung bei Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 87 ff. und 93 ff. sowie Pechstein, EWS 1996,261 (262). 80 Siehe dazu unten, Teil 2, A., V. 81 Jarass, NJW 1990,2420 (2423); Krämer; WiVerw. 1990, 138 (140).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ihrem Wortlaut geeignet sein müsse, unmittelbare Wirkungen in den Rechtsbeziehungen zwischen einem Mitgliedstaat und einzelnen zu begründen. 82 Hierbei handelt es sich allerdings um eine rein methodische Anforderung an die Vorgehensweise bei der Feststellung der unmittelbaren Wirkung, da über die inhaltlichen Voraussetzungen einer solchen "Geeignetheit" damit nichts gesagt, sondern bestenfalls etwas angedeutet ist. In folgenden Urteilen stellt der EuGH darauf ab, ob der Mitgliedstaat bei der Umsetzung einer Richtlinienbestimmung die Grenze des ihm eingeräumten Ermessens 83 überschritten habe. 84 Den Aspekt der Ermessensbegrenzung hatte der Gerichtshof ebenso wie die später in Ratti85 und Becker86 herausgearbeiteten Kriterien der inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Bestimmtheit bereits in Van Duyn implizit angesprochen, und als Kriterien bei der Beurteilung der Geeignetheit zugrunde gelegt. 87 Seit dem Urteil Becker verwendet der Gerichtshof überwiegend 88 die letzteren Voraussetzungen, auch wenn weiterhin immer wieder die Überschreitung der durch eine Richtlinie gesetzten Ermessensgrenze hinsichtlich Form und Mittel der Umsetzung als Kriterium genannt wird. 89 Welche Unterschiede diese Voraussetzungen aufweisen, und inwieweit sie zu unterschiedlichen Folgen führen, ist eine der Kernfragen im Zusammenhang mit der unmittelbaren Wirkung. In Betracht kommt die unmittelbare Wirkung zudem nur dann, wenn der Mitgliedstaat seiner Umsetzungs verpflichtung nicht fristgemäß und in vollem Umfang nachgekommen ist.

2. Die Voraussetzungen im einzelnen

Die vom Gerichtshof hauptsächlich verwandten Kriterien der inhaltlichen Unbedingtheit und hinreichenden Bestimmtheit werden nicht immer ausdrücklich geEuGH, Rs. 41174, Slg. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 12. Siehe auch Jarass, Grundfragen, 74 f. zu der Frage, inwieweit hierunter auch Beurteilungsspielräume fallen. 84 EuGH, Rs. 51176, Slg. 1977, 113, Nederlandse Ondememingen, Rn. 20 I 29; Rs. 38 I 77, Sig. 1977,2203, Enka, Rn. 11 I 12; Rs. C-287 198, Sig. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32; Rs. C-365 198, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann H, Rn. 32. 85 EuGH, Rs. 148178, Sig. 1979, 1629, Ratti. 86 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker. 87 EuGH, Rs. 41174, Slg. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 13 114. Danach ist eine Richtlinienbestimmung dann geeignet, wenn sie weder mit einem Vorbehalt noch mit einer Bedingung versehen ist (Unbedingtheit), und ihrem Wesen nach auch keiner weiteren Maßnahme der Mitgliedstaaten bedarf (hinreichende Bestimmtheit oder Vollständigkeit). 88 Vgl. EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI, Rn. 46; Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 7; Rs. 190/87, Slg. 1988,4689, Moormann, Rn. 23; verb. Rs. C253-258/96, Slg. 1997,1-6907, Kampelmann, Rn. 37; Rs. C-230/97, Slg. 1998,1-6781, Awoyemi, Rn. 39; Rs. C-319/97, Slg, 1999,1-3143, Kortas, Rn. 21. 89 Vgl. EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996, 1-5403, Kraaijeveld, Rn. 56 ff.; Rs. C-287/98, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32; Rs. C-365 198, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann II, Rn. 32. 82 83

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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nannt. Auch prüft der Gerichtshof nicht immer ausführlich diese Eigenschaften von fraglichen Richtlinienbestimmungen, sondern beschränkt sich allein auf die Feststellung deren Vorliegens. 9o a) Verstoß gegen die Umsetzungsverpjlichtung 91 Eine unmittelbare Wirkung kommt nur in Betracht, wenn der Mitgliedstaat gegen seine Umsetzungsverpflichtung hinsichtlich der fraglichen Richtlinienbestimmung verstoßen hat. 92 Hat er die Bestimmung fristgemäß und auch inhaltlich richtig implementiert, treffen den Bürger die Rechtsfolgen der Richtlinie allein vermittelt durch den staatlichen Umsetzungsakt. 93 Nach erfolgter Umsetzung kann sich ein einzelner nur auf Bestimmungen einer Richtlinie berufen, sofern die nationalen Maßnahmen zur Umsetzung fehlerhaft oder nicht ausreichend waren,94 worin der Sanktionscharakter der unmittelbaren Wirkung zum Ausdruck kommt. 95 Eine unmittelbare Wirkung ist bei richtiger Umsetzung auch unnötig, da die Richtlinie ja zu keinem anderen Ergebnis führen könnte, als das dann richtlinienkonforme mitgliedstaatliche Recht. 96 Eine Feststellung der nicht hinreichenden Umsetzung in einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EGV ist für die unmittelbare Wirkung allerdings nicht notwendig. Somit kann eine Richtlinienbestimmung prinzipiell erst nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine unmittelbare Wirkung zeitigen; die nationalen Gerichte dürfen sie vorher auch nicht unmittelbar anwenden. 97 Ausnahmsweise kann ein Verstoß bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist feststellbar sein, wenn durch nationale Regelungen die Erreichung der Ziele der Richtlinie mit deren Ablauf vereitelt werden würde. 98 Sofern die Richtlinie selber nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine weitere Übergangsfrist anordnet, kann eine unmittelbare

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Prechal, Directives, 280 m. Nachw. aus der Rspr.

Dies kann man selbstverständlich auch als negative Voraussetzung "Keine hinreichende Umsetzung" formulieren. 92 Ständige Rspr. des EuGH, Rs. 8/81, Sig. 1982,53, Becker, Rn. 20; Rs. 152/84, Sig. 1986,723, MarshalI, Rn. 46; Rs. 80/86, Sig. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 7; Rs. 190/87, Sig. 1988, 4689, Moormann, Rn. 23; Rs. C-208/90, Sig. 1991, 4269, Emmott, Rn. 20. Vgl. dazu auch ausführlich Degenhart, Voraussetzungen I, 30 ff.; Leonard, Rechtsfolgen, 90 ff. 93 EuGH, Rs. 8/81, Sig. 1982,53, Becker, Rn. 19; Rs. 102/79, Sig. 1980, 1473, Kommission I Belgien, Kommission I Belgien, Rn. 12. 94 Vgl. z. B. EuGH, Verb. Rs. 253 bis 258/96, Sig. 1997,1-6907, Kampelmann, Rn. 42. 95 Jarass, Grundfragen, 73. 96 Nur wenn das Ergebnis im Einzelfall den Vorgaben der Richtlinie entspricht, ist eine Richtlinie richtig umgesetzt. Dazu und zu den weiteren Anforderungen an die Umsetzung vgl. unten Teil 3, C., I. 97 EuGH, Rs. 148/78, Sig. 1979, 1629, Ratti, Rn. 41/45. 98 EuGH, Rs. C-129/96, Sig. 1997, 1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 44 ff. Siehe dazu Weiß, DVBI. 1998,568. 91

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Wirkung erst nach Ablauf dieser weiteren Frist entstehen. Vorher mangelt es der Richtlinie an der (zeitlichen) Unbedingtheit. 99 Somit kommt eine unmittelbare Wirkung nur dann in Betracht, wenn nach Ablauf der Umsetzungsfrist entweder ein von der Richtlinie geforderter Rechtssatz im nationalen Recht nicht vorhanden ist, oder ein den Anforderungen der Richtlinie widersprechender Rechtssatz existiert. Im ersten Fall liegt der Verstoß im Bestehen einer Regelungslücke, im zweiten Fall in einer unzulässigen inhaltlichen Kollision von Richtlinienbestimmung und nationalem Recht. Letzterer Fall ist auch dann gegeben, wenn ein Mitgliedstaat nationales Recht setzt, ohne daß dafür in einer Richtlinie vorgesehene Verfahren, z. B. die Mitteilung technischer Vorschriften an die Kommission, zu beachten. 100

b) Hinreichende Bestimmtheit

Richtlinienbestimmungen kann eine unmittelbare Wirkung nur zukommen, wenn sie hinreichend bestimmt sind. lol Das ist dann der Fall, wenn sie einen im Hinblick auf Tatbestand und Rechtsfolge vollständigen, und im Wege der Auslegung ermitte1baren, klaren Rechtssatz enthalten, der im Einzelfall durch ein Gericht auf einen Sachverhalt angewendet werden kann. 102 Dazu muß die Vorschrift konkrete Vorgaben hinsichtlich Regelungsgehalt und erfaßtem Personenkreis machen, wobei entweder Form und Mittel oder Ziele konkret vorgegeben sein können. 103 Auch wenn solche Bestimmungen prinzipiell dem materiellen Umsetzungsprogramm 104 der Richtlinie entstammen, genügen reine Programmsätze nicht der vom EuGH weit verstandenen Bestimmtheit. 105 Die Bestimmtheit einer Norm wird allerdings nicht dadurch beeinträchtigt, daß sie einen unbestimmten und damit auslegungsbedürftigen Rechtsbegriff enthält,106 da die AuslegungsbedürftigSiehe dazu Prechal, Directives, 282. Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security; Rs. C443/98, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia. 101 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 25; Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI, Rn. 46; Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 7; Rs. 190/87, Slg. 1988, 4689, Moormann, Rn. 23; verb. Rs. C-253-258/96, Slg. 1997,1-6907, Kampelmann, Rn. 37; Rs. C-230/97, Slg. 1998,1-6781, Awoyemi, Rn. 39; Rs. C-319/97, Slg, 1999,1-3143, Kortas, Rn. 21. 102 EuGH, Rs. 131/79, Slg. 1980, 1585, Santillo, Rn. 13; Rs. 50/88, Slg. 1989, 1925, Kühne, Rn. 23; Vgl. hierzu Degenhart, Voraussetzungen I, 49 ff.; Krämer, WiVerw. 1992, 138 (140); Prechal, Directives, 282; Scherzberg, Jura 1993, 225 (226). 103 Degenhart, Voraussetzungen 1,51; Jarass, NJW 1990, 2420 (2424). 104 Vgl. zur Unterscheidung von Umsetzungsprogramm und Umsetzungsbefehl Scherzberg, Jura 1993, 225. 105 EuGH, Rs. C-236/92, Slg. 1994,497, Region Lombardei, Rn. 12. Degenhart, Voraussetzungen I, 51; Scherzberg, Jura 1993, 225 (226). 106 Ruffert, in: Calliess 1 Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 76. Vgl. zum Problem der Konkretisierung von in Richtlinien enthaltenen Generalklauseln unten Teil 2, B., IV., 1., a), cc). 99

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A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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keit die Anwendbarkeit im Einzelfall nicht ausschließt, ja diese im Gegenteil die ureigenste Aufgabe des Richters darstellt. 107 Problematisch sind die Fälle, in denen sich hinter unbestimmten Begriffen ein gewisser, nicht justiziabler Ermessensspielraum der Gemeinschaftsorgane oder Mitgliedstaaten verbirgt, der die inhaltliche Unbedingtheit der Bestimmung ausschließen würde. 108 Bestehende Auslegungsschwierigkeiten können jedoch im Wege des Vorlageverfahrens nach Art. 234 EGV behoben werden. 109 c) Inhaltliche Unbedingtheit

Inhaltlich unbedingt ist eine Richtlinienbestimmung, wenn der Eintritt ihrer Rechtsfolge nicht von einer Entscheidung eines Gemeinschaftsorgans oder eines Mitgliedstaates abhängen soll. lIO Das ist dann der Fall, wenn zumindest das Ziel verbindlich vorgeschrieben ist, auch wenn dem Mitgliedstaat hinsichtlich der zur Erreichung dieses Zieles zu ergreifenden Mittel ein Ermessensspielraum eingeräumt ist.l\1 Damit ist allerdings nicht der formale Spielraum hinsichtlich Form und Mittel der Richtlinienumsetzung gemeint, da sonst eine unmittelbare Wirkung in jedem Fall ausfiele. ll2 Inhaltliche Unbedingtheit bedeutet insofern nur, daß die Rechtsfolgen einer Richtlinienbestimmung bei Vorliegen ihrer Tatbestandsvoraussetzungen in jedem Fall eintreten sollen. 113 Insoweit ist dieses Merkmal mit dem Begriff der Vorbehaltlosigkeit vergleichbar, den der Gerichtshof noch im Van Duyn-Urteil gebrauchte. 114 Diese Unbedingtheit wird auch durch das Vorliegen von Ausnahmevorschriften in der Regel nicht beeinträchtigt. In solchen Fällen wird regelmäßig die Regel unbedingt und die Ausnahme eine durch die bewußte Berufung auf diese durch den Mitgliedstaat bedingte Bestimmung sein.1\5 Erst 107 Vgl. dazu auch Pescatore, ELRev. 1983, 155 (176 f.); Prechal, Directives, 282; Timmermans, CMLRev. 1979, 533 (541). Siehe auch Schlußanträge GA Warner, Rs. 131/79, Slg. 1980, 1585, 1604 (1611). 108 Dendrinos, Rechtsprobleme, 85; Prechal, Directives, 281 f. 109 EuGH, Rs. 41/74, Slg. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 14. Siehe auch Prechal, Directives, 281. Weymüller, RlW 1991, 501 (502 f.) verweist insofern zutreffend darauf, daß die nationalen Gerichte und Verwaltungen die unmittelbare Wirkung selbst feststellen können und sollen. Lediglich Gerichte, die nach Art. 234 EGV vorlagepflichtig sind, müssen derartige Auslegungsfragen unter bestimmten Voraussetzungen vorlegen, da sonst den Parteien der gesetzliche Richter entzogen würde, vgl. dazu auch die Rspr. des BVerfG, zuletzt EuZW 2001,255. 110 EuGH, Rs. 41/74, Sig. 1974, 1337, Van Duyn, Rn. 13 f.; Degenhart, Voraussetzungen 1,37 ff.; Dendrinos, Rechtsprobleme, 83; Jarass, NJW 1990,2420 (2423); Leonard, Rechtsfolgen, 92; Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 156; 111 Vgl. hierzu im Einzelnen Jarass, NJW 1990,2420 (2423 f.); Prechal, Directives, 285 f. 112 Dendrinos, Rechtsprobleme, 86. 113 Vgl. Fischer, NVwZ 1992, 635 (637). 114 Jarass, NJW 1990, 2420 (2423). 115 EuGH, Rs. 222/84, Sig. 1986, 1651, Johnston, Rn. 47 f.; Degenhart, Voraussetzungen 1,45 f.; Jarass, NJW 1990,2420 (2424).

4 Hemnann

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

wenn kein Regel-Ausnahme-Verhältnis und auch kein zu gewährender Mindeststandard mehr feststellbar sind, fehlt es an der Unbedingtheit. 116

d) Überschreiten des dem Mitgliedstaat eingeräumten Ermessensspielraums als Altemativvoraussetzung

In der Literatur wird streitig diskutiert, inwieweit die vom Gerichtshof bisweilen gebrauchte Formulierung, die nationalen Gerichte könnten überprüfen, inwieweit der Gesetzgeber seinen ihm durch die Richtlinie eingeräumten Ermessensspielraum überschritten habe, eine von den Kriterien der hinreichenden Bestimmtheit und inhaltlichen Unbedingtheit abweichende Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung darstellt. ll7 Zugleich wäre in der Ermessensüberschreitung auch der notwendige Verstoß gegen die Verpflichtung zur umfassenden und fristgerechten Umsetzung der Richtlinie zu sehen; die verschiedenen Voraussetzungen würden mithin ineinander aufgehen. Damit verbunden sind die Überlegungen, ob die nationalen Gerichte zur Überprüfung der Maßnahmen von Legislative und Exekutive am Maßstab der Richtlinien verpflichtet sind (legal review). Dies wird wiederum in die Nähe der Frage nach den objektiven Wirkungen von Richtlinien gestellt. 118 In der Tat stellt der EuGH sowohl in einer Zahl der frühen Urteile, in denen es um die unmittelbare Wirkung von Richtlinien ging,119 als auch in einer Reihe von in jüngerer Zeit ergangenen Entscheidungen 120 zur Begründung der unmittelbaren Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen darauf ab, inwieweit sich der Mit116 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53, Becker, Rn. 36 f.; Degenhart, Voraussetzungen I, 45 f.; Jarass, NJW 1990, 2420 (2424). Scherzberg, Jura 1993, 225 (226 f.). Im übrigen kann sich die Zulässigkeit einer Ausnahme von der Richtlinie auch aus Primärrecht ergeben, wenn die Richtlinie auf Basis des Art. 100a EGV a.F. bzw. Art. 95 EGV erlassen wurde, vgl. Degenhart, Voraussetzungen I, 48 f. Vgl. hierzu auch EuGH, Rs. C-319/97, Slg, 1999,1-3143, Kortas. ll7 Siehe beispielsweise Scherzberg, Jura 1993, 225 (229), der die Funktion der Richtlinie als Maßstabsnorm zwar ablehnt, im Ergebnis aber auch die schlichte Nichtanwendung nationalen Rechts als Folge der unmittelbaren Wirkung genügen läßt, wenn dieses hinreichend deutlich mit Richtlinienbestimmungen kollidiert. Ähnlich auch Bleckmann, Europarecht, Rn. 1198 (allerdings dies ebenfalls nicht als unmittelbare Wirkung im engeren Sinn bezeichnend); Langenfeld, DÖV 1992,955 (963). Anderer Auffassung sind z. B. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 191 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 256 f.; Jarass, Grundfragen, 104 f.; Klein, FS Everling, 641 (649); Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV I EGV, Art. 249, Rn. 95. 118 Siehe beispielhaft zur Verbindung dieser Problemkreise Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 93 ff. m. w. Nachw. 119 EuGH, Rs. Rs. 51176, Slg. 1977, 113, Nederlandse Ondememingen, Rn. 25/29; Rs. 38177, Slg. 1977,2203, Enka, Rn. 9 110; Rs. 21178, Slg. 1978,2327, Delkvist, Rn. 13 115. 120 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 56, 60 ff.; Rs. C-435 197, Slg, 1999,1-5613, WWF, Rn. 36 ff.; Rs. C-287 198, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32 ff.; Rs. C365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann H, Rn. 32.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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gliedstaat bei der Umsetzung der ihm durch die Richtlinie auferlegten Verpflichtung innerhalb oder außerhalb des ihm zur Umsetzung eingeräumten Ermessens gehalten hat. Dabei ist jedoch festzustellen, daß in diesen Fällen nicht nach einer positiven unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen gefragt war, sondern sich einzelne gegen die Anwendung von mit Richtlinien nicht in Einklang zu bringendem nationalem Recht wehrten. Die Aufgabe des nationalen Gerichts lag somit darin, die Anwendbarkeit nationalen Rechts am Maßstab der Richtlinie zu überprüfen. 121 Hinzu kommt, daß sich der Gerichtshof in einer Vielzahl von Urteilen nur mit der Frage beschäftigt, ob eine Richtlinienvorschrift einer bestimmten nationalen Vorschrift entgegensteht l22 oder eine nationale Regelung nicht erlaubt. 123 Je nach Vorlagefrage ergänzt er Überlegungen zur hinreichenden Bestimmtheit, um darzulegen, daß sich der einzelne vor Gericht auch gegen die nationalen Normen auf die Richtlinie berufen kann und schlägt somit unausgesprochen den Bogen zu den traditionellen Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung, ohne auf diese jedoch im einzelnen ausführlich einzugehen. 124 Aber auch in den Fällen, in denen er diese Überlegungen nicht anstellt, kann die logische Konsequenz des "Entgegenstehens" allein die Unanwendbarkeit der richtlinienwidrigen Vorschrift sein. Hierfür spricht zum einen der Vergleich mit den Urteilen zur Vereinbarkeit mit Verordnungen und Primärrecht, bei denen die Formulierung häufig gleich ist,125 zum anderen aber auch die Funktion des Vorlageverfahrens, in dem solche Urteile ergehen. Wenn nämlich das nationale Gericht als Folge des "Entgegenstehens" die nationale Norm nicht unangewendet lassen würde, so wäre die Vorlagefrage bereits gar nicht als entscheidungsrelevant gestellt worden. In einem kürzlich entschiedenen Fall hat nunmehr der Gerichtshof ebenfalls diese Konsequenz ausdrücklich ausgesprochen, daß nationale Vorschriften, die im Widerspruch zu einer Richtlinie stehen, unangewendet bleiben müssen, und zwar ohne vorher auf Fragen nach der unmittelbaren Wirkung oder Bestimmtheit einzugehen. Statt dessen legte der Gerichtshof ausschließlich die Richtlinie aus, um festzustellen, ob diese einer bestimmten nationalen Norm entgegenstünde. 126 121 Vgl. EuGH, Rs. Rs. 51/76, Slg. 1977, 113, Nederlandse Ondememingen, Rn. 30; Rs. 38/77, Slg. 1977,2203, Enka, Rn. 18; Rs. 21/78, Slg. 1978, 2327, Delkvist, Rn. 22; Rs. C72/95, Slg. 1996, 1-5403, Kraaijeveld, Rn. 61, 60 ff.; Rs. C-435/97, Slg, 1999, 1-5613, WWF, Rn. 20; Rs. C-287/98, Slg. 2000,1-6917, Linster, Rn. 37 ff.; Rs. C-365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 33. Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1059 ff.) mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 122 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-348 198, Slg. 2000, 1-6711, Ferreira, Rn. 41; C-3861 00, Slg. 2002, 1-0000, Axa Royale, Rn. 31. Beleg sind aber ebenfalls die Urteile, in denen der EuGH zu dem Ergebnis kommt, daß eine Richtlinie bestimmten nationalen Vorschriften nicht entgegensteht, vgl. etwa EuGH, Rs. C-79 I 99, Sig. 2000, 1-10997, Schnorbus, Rn. 47. 123 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-3/99, Sig. 2000, 1-8749, Ruwet, Rn. 57; Rs. C173/99, Sig. 2001, 1-4881, BECTU, Rn. 64; Rs. C-113/99, Sig. 2001, 1-471, P.P. Handelsgesellschaft, Rn. 18. 124 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-I09 199, Sig. 2000, 1-7247, ABBOI, Rn. 64 ff. i25 Siehe lediglich EuGH, Rs. C-277 199, Slg. 2002, 1-1261, Kaske, Rn. 39; C-309/99, Sig. 2002, 1-1577, Wouters, Rn. 123.

4*

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Aus dieser Perspektive betrachtet ergibt sich ein entscheidender Unterschied im Hinblick auf die für eine unmittelbare Wirkung notwendige Qualität des in einer Richtlinie niedergelegten Rechtssatzes. Dieser liegt jedoch in den Anforderungen begründet, die generell an die lustiziabilität einer Norm je nach ihrem Anwendungszweck gestellt werden müssen. Während ein Rechtssatz positiv nur angewendet werden kann, wenn sich aus ihm klar ergibt, welche Rechtsfolgen an welche Tatbestandsmerkmale geknüpft sind, ist es für eine negative Wirkung ausreichend, erkennen zu können, welche Rechtsfolgen an welche Tatbestandsvoraussetzungen jedenfalls nicht geknüpft werden dürfen. 127 Der Inhalt eines Verbots ist insofern leichter feststellbar als derjenige eines Gebots. Danach ist eine Bestimmung dann (negativ) hinreichend bestimmt und ermöglicht somit dem Richter die Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Rechtsakten, wenn ein Verstoß des Rechtsaktes gegen die Richtlinienbestimmung festgestellt werden kann. 128 Eben diese Funktion erfüllt das Merkmal der Ermessensüberschreitung bzw. des Verstoßes gegen die Richtlinie. Soweit der Mitgliedstaat bei der Umsetzung der Richtlinie (oder auch durch ihre Nichtumsetzung) im Rahmen des ihm gewährten Ermessens geblieben ist, können die nationalen Vorschriften angewendet werden. Eine negative unmittelbare Wirkung kommt nicht in Betracht. Sofern der Mitgliedstaat jedoch feststellbar Rechtsfolgen an Tatbestandsvoraussetzungen knüpft, die außerhalb des von der Richtlinie eingeräumten Ermessensspielraums liegen, greift die negative unmittelbare Wirkung ein. 129 Bedenken hiergegen werden unter dem Stichwort "Rechtsvakuum" vorgebracht. Ein solches trete auf, wenn man eine nationale Vorschrift außer acht lasse, ohne daß die Richtlinie selbst die für die Alternativanwendung notwendige Bestimmtheit mitbringe. 13o Die für eine solche Funktion angeführten Urteile des Gerichtshofs hätten Fälle betroffen, bei denen den Richtlinien gerade (positive) unmittelbare Wirkung zugekommen sei und seien zudem Einzelfälle. 13l In der Tat handelt es sich hierbei um einen ernstzunehmenden Einwand. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist aber eindeutig. Im Verfahren Brinkmann Il verneinte der Gerichtshof zwar eine negative unmittelbare Wirkung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/80/ EWG zur Annäherung 126 127

EuGH, Rs. C-28 199, Sig. 2001, 1-3399, Verdonck, Rn. 37 f. Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1064).

Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1062). Vgl. hierzu auch Gassner; FS Opperrnann, 503 (516), der meint, der EuGH gäbe die bisherigen normstrukturellen Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung auf. Ähnlich wie hier vertreten auch Klagian, ZÖR 2001, 305 (367). 130 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 171 f.; Buchberger; ÖJZ 2001, 441 (445); Schröder; Europäische Richtlinien, 347 ff. 131 Franzen, Privatrechtsangleichung, 257; Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hrsg.), Art. 249, Rn. 95. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 192 f., geht im Anschluss an Anderson, BCLR, 91 (100 f.) davon aus, daß es sich dabei um eine überholte Rechtsprechung des EuGH handele. Vgl. auch Leonard, Rechtsfolgen, 68. 128

129

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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der Verbrauchs steuern auf andere Tabakwaren als Zigaretten 132 im Hinblick auf ein einzelnes Element des deutschen Besteuerungsmodells. Diese hätte nämlich faktisch dazu geführt, daß von in der Richtlinie vorgesehenen drei Optionen für eine Besteuerung im Ergebnis ein Modell positiv angewendet worden wäre, obwohl die Richtlinie dem Gesetzgeber eindeutig eine Wahlmöglichkeit einräumte, die einer positiven unmittelbaren Wirkung entgegenstand. 133 Andererseits verbot die Richtlinie das vom deutschen Gesetzgeber gewählte Besteuerungsmodell insgesamt und hierauf sollte sich der Betroffene dem EuGH zufolge vor Gericht auch berufen können. 134 Auf welcher Basis dann allerdings noch eine Steuerfestsetzung möglich sein soll, bleibt unklar. Insoweit kommt es tatsächlich zu einem Rechtsvakuum, das der EuGH durch den Hinweis auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des verbleibenden nationalen Rechts zu füllen bemüht ist. 135 Insgesamt muß eine Richtlinienbestimmung also in jedem Fall für die Erzeugung unmittelbarer Wirkungen hinreichend bestimmt sein, wobei der Grad der Bestimmtheit aus der Einzelfallkonstellation heraus und im Hinblick auf den Zweck der Anwendung der jeweiligen Bestimmung festzustellen ist. 136 Für die negative unmittelbare Wirkung sind diese Anforderungen entsprechend geringer, da nicht positiv ein Ergebnis festgeschrieben sein muß, welches durch den Richter angewendet werden kann, sondern lediglich feststellbar sein muß, welche Rechtssätze jedenfalls nicht mehr angewendet werden dürfen. Die positive hinreichende Bestimmtheit umfaßt dabei immer auch die negative, da die Festschreibung eines Ergebnisses automatisch alle anderen negativ ausschließt. Bei der Ermessensüberschreitung handelt es sich somit um eine alternativ verwendbare geringere Anforderung an die Bestimmtheit der in einer Richtlinienbestimmung niedergelegten Verpflichtung, die der EuGH im Einzelfall anlegt, wenn die Vorlagefrage nicht auf die positive unmittelbare Wirkung gerichtet ist, sondern auf die negative. Daneben verzichtet der EuGH in einer Reihe von Fällen gänzlich auf die Angabe von Voraussetzungen einer unmittelbaren Wirkung und überprüft direkt die Überschreitung des eingeräumten Ermessens bzw. die Vereinbarkeit einer bestimmten nationalen Regelung mit einer Richtlinie, auch wenn diese Fälle nicht alle unter dem Stichwort der unmittelbaren Wirkung analysiert werden. Kernelement der Überlegungen des EuGH ist insofern dann allein das Vorliegen eines Verstoßes einer nationalen Norm gegen eine Richtlinie. Allerdings muß natürlich auch in diesem Fall die Richtlinie die für diese Überprüfung notwendige Bestimmtheit aufweisen.

132 l33

134 l35

136

ABI. 1992, L 316/10. EuGH, Rs. C-365 /98, Slg. EuGH, Rs. C-365 /98, Slg. EuGH, Rs. C-365 /98, Slg. Ebenso Prechal, CMLRev.

2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 37. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 33. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40. 2000, 1047 (1062).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

e) Bestehen von subjektiven Rechten als zusätzliche Voraussetzung? Fraglich und in der deutschen Literatur umstritten ist zudem die Frage, inwieweit nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in einer Richtlinienbestimmung ein subjektives Recht enthalten sein muß, um dieser zur unmittelbaren Wirkung zu verhe1fen. 137 Dieser Streit basiert wesentlich auf der vom EuGH im Fall Becker verwandten (zweiteiligen) Formulierung, wonach "einzelne [... ] sich auf diese Bestimmungen auch berufen [können], soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können.'d38, 139 Wiederholt hat der Gerichtshof diese Formel allerdings nur sehr selten und die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist in dieser Hinsicht generell wenig ergiebig. 140 Relevant wurde die Unterscheidung dann im Verfahren Großkrotzenburg l41 , einem der wenigen Vertragsverletzungsverfahren, in denen sich Aussagen über Richtlinienwirkungen und nicht Anforderungen an deren Umsetzung finden. Der Einwand der Bundesregierung, eine unmittelbare Wirkung der fraglichen UVP-Richtlinienbestimmungen scheide aus, da sie keine subjektiven Rechte begründeten und auch nicht den Hintergrund für ein Vertragsverletzungsverfahren darstellen könnten,142 wurde vom EuGH zurückgewiesen. Dem Gerichtshof zufolge hat die Möglichkeit eines einzelnen, "sich gegenüber dem Staat auf in Richtlinien niedergelegte, unbedingte und hinreichend klare und genaue Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie zu berufen, nichts [damit] zu tun,,143, daß die Bundesrepublik "die sich unmittelbar aus der Richtlinie ergebende Verpflichtung [... ] nicht erfüllt [hat].l44 137 Verneinend: von Danwitz, DÖV 1996, 481; Jarass, NJW 1990, 2420 (2422); Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 87 ff.; ders., ZUR 1996,235; ders., Subjektive Rechte; bejahend: Calliess, NVwZ 1996, 339; Furrerl Epiney, JZ 1995, 1025; ErbguthlStolimann, UPR 1994, 81; Haneklaus, DVBI. 1993, 129; Pernice, NVwZ 1990, 414; Turiaux, AnwBI. 1994,65. 138 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982, 53, Becker, Rn. 25. Jarass, NJW 1990, 2420 (2422). 139 Jarass, NJW 1990, 2420 (2422), Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Art. 249, Rn. 88. 140 Ruffert, Subjektive Rechte, 166 ff.; ders., in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 87 m. Nachw. aus der Rspr; ders., ZUR 1996,235 (236). Dies liegt u. a. daran, daß der EuGH Ld.R. mit Fragen der unmittelbaren Wirkung im Wege des Vorlageverfahrens befasst war, in denen eine kontradiktorische nationale Prozesssituation zugrunde lag, und in denen somit subjektive Rechte einzelner sowieso berührt waren. 141 EuGH, Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg. 142 Vgl. Schlußanträge des GA Eimer; Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg, Rn. 10. 143 EuGH, Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg, Rn. 26. 144 EuGH, Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg, Rn. 26.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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Der Gerichtshof folgte in diesem Punkt - wenn auch nicht ausdrücklich - den Schlußanträgen des Generalanwalt Eimer, welcher wiederum der Kommission beigepflichtet hatte. 145 Wenn ein Mitgliedstaat seine Verpflichtung aus einer Richtlinie und Art. 249 Abs. 3 EGV dadurch verletzen kann, daß seine Behörden (und Gerichte) sie im Einzelfall nicht unmittelbar anwenden, dann bedeutet dies, daß eine derartige gemeinschaftsrechtliche innerstaatliche Pflicht aller Behörden bestehen muß. Daraus ergibt sich, daß die nationalen Behörden eine hinreichend bestimmte und unbedingte Richtlinienbestimmung als im Einzelfall unmittelbar geltendes Recht anwenden müssen, unabhängig davon, ob der Sachverhalt einen Individualrechtsbezug aufweist. 146 Insoweit korrespondiert die Aussage des Gerichtshof mit der bereits im Urteil Costanzo getroffenen Feststellung, daß die innerstaatlichen Behörden ebenfalls zur unmittelbaren Anwendung von unbedingten und hinreichend bestimmten Richtlinienvorschriften verpflichtet seien. 147 Nach dem hier zugrunde gelegten Begriffsverständnis 148 handelt es sich dabei aber um eine Form der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen. 149 Eine weitere Chance zur Bestätigung dieser Linie ergab sich für den Gerichtshof in dem - ebenfalls die UVP-Richtlinie zum Gegenstand habenden - Verfahren Kraaijeveld. 150 Im Unterschied zum Großkrotzenburg-Verfahren handelte es sich hier aber um eine Vorabentscheidungsersuchen (eines niederländischen Gerichts). Erneut war es Generalanwalt Eimer, der mit dem Verfahren befaßt war. Abweichend von seinem Antrag in Großkrotzenburg, demzufolge die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung nicht von der tatsächlichen Berufung eines einzelnen darauf abhängen sollte, berief Eimer sich nunmehr auf die bekannte Formulierung aus dem Urteil Becker. Er unterschied danach zwei Folgen der unmittelbaren Wirkung, nämlich zum einen, die Möglichkeit des einzelnen, sich auf Richtlinienbestimmungen zu berufen, um sich "gegen die Anwendung mit ihnen unvereinbarer nationaler Vorschriften zu wehren,,151,

und zum anderen, "um sich die aus ihnen ableitbaren Rechte zu sichem.,,152 145 Vgl. Schlußanträge des GA Eimer, Rs. C-431192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg, Rn. 11 f. 146 GelIermann, DÖV 1996, 433 (436) schließt hieraus unzutreffend, daß einzelne sich auch der Ansicht des EuGH nach nur auf individualschützende Vorschriften berufen können, vgl. auch Ruffert, ZUR 1996,235 (237). 147 EuGH, Rs. 103/88, Slg. 1989, 1839, Fratelli Costanzo, Rn. 31. 148 Siehe oben unter Teil 2, A., 1., 6. 149 Ähnlich GelIermann, DÖV 1996,433 (436). Anders Epiney, ZUR 1996, 229 (231 ff.), die zwischen der als Möglichkeit des Einzelnen, sich auf eine Richtlinienvorschrift zu berufen, verstandenen unmittelbaren Wirkung, für die ein subjektives Recht weiterhin Voraussetzung sei, sowie objektiven staatlichen Handlungspflichten trennen will. 150 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld. 151 Schlußanträge des GA Eimer, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Nr. 68. 152 Schlußanträge des GA Eimer, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Nr. 68.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Da im vorliegenden Fall die erste Alternative nicht einschlägig sei, komme es darauf an, ob aus der fraglichen Richtlinienbestimmung Rechte des Bürgers abgeleitet werden könnten. 153 Daraufhin prüfte und bejahte der Generalanwalt das Vorliegen solcher Rechte des einzelnen. 154 In den entscheidenden Passagen des Urteils ging der Gerichtshof jedoch mit keinem Wort auf die Argumentation des Generalanwalts ein und behandelte auch nicht die Frage, ob die fraglichen Vorschriften der UVP-Richtlinie dem einzelnen Rechte verliehen oder nicht. 155 Die von ihm gewählte Formulierung hinsichtlich der Frage des vorlegenden Gerichts läßt vielmehr darauf schließen, daß er die Frage eines Rechts des einzelnen, sich auf die Richtlinie zu berufen, als Folge und nicht als Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung ansieht. 156 Der Gerichtshof kam letztlich zu dem Ergebnis, daß nationale Gerichte von Amts wegen zu prüfen haben, ob ein Mitgliedstaat den ihm eingeräumten Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Richtlinie überschritten habe, und daß sie, sofern dies der Fall ist, die nationalen Vorschriften insoweit außer Betracht zu lassen haben. Statt dessen seien alle Träger öffentlicher Gewalt dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle allgemeinen und besonderen Maßnahmen zu treffen, um das Ziel der Richtlinie zu erreichen. 157 Angesichts dieses Urteils ist der zumindest bis zum Großkrotzenburg-Urteil (deutschen)158 h.M. hinsichtlich der Notwendigkeit eines subjektiven Rechts als Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinienbestimmung eine Absage zu erteilen. 159 Eine solche VorSchlußanträge des GA Eimer, Rs. C-721 95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Nr. 69. Schlußanträge des GA Eimer, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Nr. 70. ISS EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 43 ff. IS6 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 43 ("so daß"). Ebenso auch zu verstehen EuGH, Rs. C-236/92, Slg. 1994,1-483, Region Lombardei, sowie Rs. C-3161 93, Slg. 1994,1-763, Vaneetveld. IS7 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 62. IS8 Vgl. Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1053), die generell die Analyse einer gemeinschaftsrechtlichen Besonderheit auf der Basis nationaler Dogmatik als äußerst bemerkenswert bezeichnet. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 90 stellt zutreffend fest, daß diese Auffassung auf einer unzulässigen Übertragung der deutschen Schutznormlehre auf das Gemeinschaftsrecht beruht. IS9 SO auch BVerwG, ZUR 1996, 255; Degenhart, Voraussetzungen I, 63; GelIermann, DÖV 1996, 433 (436); Pechstein, EWS 1996, 261 (264); Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 90. Im Ergebnis auch Epiney, ZUR 1996, 229 (231 f.); dies., DVBI. 1996, 409 (412), die jedoch unzutreffend mit der h.M. davon ausgeht, daß bis Großkrotzenburg subjektive Rechte Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung gewesen seien. In der Tat ist der Ansatz des EuGH in Großkrotzenburg wenig revolutionär, wie Epiney (DVBI. 1996, 409 (412)) schreibt, allerdings begründet sie dies mit einer Umkehrung der ursprünglichen Argumentation des EuGH für die unmittelbare Wirkung. Es ist aber im Gegenteil sogar keine Änderung der Anforderungen, ja im Grunde auf Basis der Argumentation des EuGH sogar viel selbstverständlicher als die Möglichkeit von einzelnen, sich auf Richtlinienbestimmungen zu berufen. Nach dem EuGH würde "insbesondere in Fällen, in denen die Gemeinschaftsbehörden die Mitgliedstaaten durch Richtlinie zu einem bestimmten Verhalten verpflichten, [... ] die praktische Wirksamkeit einer solchen Maßnahme abgeschwächt, wenn die einzelnen sich vor Gericht hierauf nicht berufen und die staatlichen IS3

IS4

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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aussetzung läßt sich der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht entnehmen. Daß der EuGH häufig mit Konstellationen beschäftigt war, bei denen es um die Wahrung von in Richtlinien enthaltenen Rechtspositionen von einzelnen ging, ist im wesentlichen auf die prozessuale Konstellation des Vorabentscheidungsersuchens zurückzuführen, da aus dieser bereits folgt, daß ein einzelner vor einem nationalen Gericht Rechte geltend zu machen sucht. 160 Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit die unmittelbare Richtlinienwirkung ein subjektives Recht zum Entstehen bringt, bzw. wer sich im konkreten Fall auf die unmittelbare Wirkung einer bestimmten Richtlinienbestimmung berufen kann und gegen welche nationalen Vorschriften oder Maßnahmen,161 und inwieweit dadurch die prozessuale Rechtsposition von einzelnen nach nationalem Recht beeinflußt wird. 162 Im Anschluß daran stellt sich dann des weiteren die Frage, wie weitreichend diese prozeßrechtlichen Überlegungen des nationalen Rechts durch das Gemeinschaftsrecht und gegebenenfalls dessen unmittelbare Wirkung überlagert werden können. 163

3. Zusammenfassung der positiven Voraussetzungen

Zusammenfassend läßt sich somit sagen, daß die positive unmittelbare Wirkung lediglich voraussetzt, daß die Richtlinienbestimmung einer Anwendung im Einzelfall zugänglich ist und keine entsprechende Vorschrift im nationalen Recht existiert, obwohl die Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Sofern lediglich eine negative unmittelbare Wirkung in Frage steht, genügt es, daß ein Mitgliedstaat gegen eine in einer Richtlinienvorschrift niedergelegte Pflicht - sei es materieller oder formeller Natur - verstoßen hat. Die unmittelbare Wirkung führt somit zur Anwendung eines Rechtssatzes, den der Mitgliedstaat so oder zumindest im wesentlichen übereinstimmend auf die eine oder andere Art in seine nationale Rechtsordnung hätte einfügen müssen, bzw. zur Nichtanwendung einer Norm, die nicht (mehr) im nationalen Recht enthalten sein dürfte. Inwieweit dies mit Blick auf eine Richtlinienbestimmung der Fall ist, ist einzelfallabhängig und kann Gegenstand eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 234 EGV sein. Zentrale Voraussetzung für die unmittelbare Wirkung ist somit die fehlende Richtlinienkonformität nationalen Gerichte sie nicht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts berücksichtigen könnten." (EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 23). Der EuGH schließt also von der Verpflichtung des Mitgliedstaates auf die Berufungsmöglichkeit des einzelnen Bürgers. Die Verpflichtung zur Berücksichtigung von Richtlinienbestimmungen ist dabei ein logischer gedanklicher Zwischenschritt. 160 Ähnlich auch Pechstein, EWS 1996,261 (262). V gl. hierzu unten Teil 2, A., IV., 1., a). Siehe dazu Bleckmann, L'applicabilite directe, 88; darauf aufbauend Prechal, Directives, 266 ff. Zutreffend insoweit die Formulierung Prechals, Directives, 268, die Entstehung von Individualrechten sei eine Frage des Inhalts der Norm, während die unmittelbare Wirkung die Qualität (i. S. v. Eigenschaft) der Norm beträfe. 161

162

163

Siehe dazu unten Teil 2, D.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Rechts, sei es aufgrund einer Normkollision, der fehlenden Normierung oder eines Verfahrensverstoßes. IV. Folgen der unmittelbaren Wirkung Im Zusammenhang mit der Begrifflichkeit, der Herleitung sowie den Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung wurden an einigen Stellen die Folgen dieses Rechtsinstituts bereits angedeutet, was sich angesichts der Wechsel wirkungen trotz des Bemühens um analytische Trennschärfe nicht völlig vermeiden läßt. Im folgenden soll nunmehr ein etwas umfassenderes Bild von den tatsächlichen Folgen der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen im nationalen Rechtsraum gegeben werden. Zu unterscheiden ist dabei zwischen der Frage nach der inhaltlichen Wirkung in der lex lori sowie der formellen Frage, ob diese Wirkung automatisch eintritt und ex officio zu beachten ist, oder ob es ihrer Geltendmachung im Prozeß oder gegenüber den Verwaltungs behörden durch den einzelnen bedarf. 1. Inhaltliche Wirkungen

Wie gezeigt kann die unmittelbare Wirkung in zwei Fällen eingreifen: Der fehlenden Umsetzung oder der inhaltlichen oder formalen Kollision. 164 Abhängig davon und dem Vorliegen lediglich der Voraussetzungen der negativen oder auch der positiven unmittelbaren Wirkung, bzw. der Notwendigkeit allein einer negativen unmittelbaren Wirkung, ergeben sich prinzipiell zwei Folgen der unmittelbaren Wirkung, die jeweils einzeln oder gemeinsam eintreten können. Beide Rechtsfolgen sind seit jeher Bestandteil der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen. a) Negative unmittelbare Wirkung: Pflicht zur Nichtanwendung kollidierender nationaler Rechtsakte

Sofern im nationalen Recht ein der unmittelbar wirkenden Richtlinienbestimmung entgegenstehender Rechtsakt enthalten ist, ist dieser von den Gerichten und Verwaltungen im Einzelfall nicht anzuwenden. 165 Dies ergibt sich aus dem für den Kollisionsfall vom EuGH angeordneten und sowohl vom BVerfG wie von der ganz h.M. akzeptierten Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. 166 Die Pflicht Vgl. dazu oben Teil 2. A. III. 2. EuGH, Rs. 148178, Sig. 1979, 1629, Ratti, Rn. 23; Rs. 103/88, Sig. 1989, 1839, Fratelli Costanzo, Rn. 28; Jarass. Grundfragen, 100 ff.; Streinz. HdBStR, Bd. VII, § 182, Rn. 64. 166 Im Unterschied zum Geltungsvorrang sind bei einem reinen Anwendungsvorrang mit EG-Recht kollidierende nationale Rechtsnormen nicht nichtig, sondern lediglich nicht anwendbar, vgl. hierzu Jarass. Grundfragen, 3; Streinz. Europarecht, Rn. 200 ff.; Zuleeg. Das Recht, 136 ff. 164

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A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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zur Nichtanwendung als negative Wirkung hängt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs dabei nicht davon ab, daß die Richtlinienbestimmung auch die für eine positive unmittelbare Wirkung erforderliche Bestimmtheit aufweist,167 sondern setzt lediglich voraus, daß eine Kollision zwischen dem nationalen Rechtsakt gleich welchen Ranges und gegebenenfalls allein wegen Ermessensüberschreitung oder eines formalen Verstoßes - sowie einer Richtlinie festgestellt werden kann. 168 Dies zeigt sich insbesondere in Verfahren, in denen es den Streitparteien gar nicht auf die positive Anwendung der jeweiligen Richtlinienvorschrift ankommt, sondern diese lediglich die Nichtanwendung nationaler Rechtsakte aufgrund des Verstoßes gegen die Richtlinie geltend machen, weil eine solche dem prozessualen Bedürfnis der jeweiligen Partei völlig genügt. 169 Das wird insbesondere dann der Fall sein, wenn sich die derart negativ unmittelbar wirkende Richtlinienvorschrift als schlichtes Verbot bestimmter nationaler Vorschriften darstellt. Das darf allerdings nicht so verstanden werden, daß jedwedes staatliche Handeln, welches in Konflikt mit einer Richtlinie steht, gleichsam reflex artig unanwendbar ist. Klargestellt hat der Gerichtshof dies im Vorlageverfahren Lemmens. 170 Unter Verweis auf das Urteil CIA Securityl7l, in dem der EuGH die unmittelbare Wirkung der in den Art. 8 und 9 der Informationsrichtlinie 172 niedergelegten Mitteilungspflicht für technische Vorschriften festgestellt hatte, wollte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht auch in einem Strafverfahren einem Beweis entgegengehalten werden könne, der mit einem den nicht mitgeteilten technischen Vorschriften entsprechenden Alkoholmeßgerät gewonnen worden war. 173 Der EuGH verneinte zutreffend 174 die Frage und wies darauf hin, daß die Unterlassung der Mitteilung der Vorschriften nicht jede Verwendung des Geräts rechtswidrig mache. 175 Diese Unterscheidung zwischen Unanwendbarkeit der nicht mitgeteilten Vorschrift und der Rechtmäßigkeit von tatsächlichen Maßnahmen, bei denen mit diesen Vorschriften übereinstimmende Geräte verwendet wurden, erscheint sinnvoll. Selbst wenn man die Unanwendbarkeit der technischen Vorschriften auch im vorliegenden Fall bejaht, ist damit über die Verwertbarkeit von Beweisen im Strafverfahren noch nichts gesagt. So folgt auch nach deutschem Strafprozeßrecht

Vgl. oben Teil 2, A., III., 2., d). Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. C-435/97, Slg, 1999,1-5613, WWF, Rn. 70 ff. Ebenso auch Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1062 ff.), ähnlich Timmermans, CMLRev. 1979, 533 (555). 169 V gl. Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1059 ff.) mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Siehe auch Schlußanträge des GA Liger zur Rs. C-435/97, Slg, 1999, 15613, WWF. 170 EuGH, Rs. C-226/97, Slg. 1998,1-3711, Lemmens. 171 EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security. In Richtlinie 83/189 /EWG i.d.F. der Richtlinie 94/ IO/EG, ABI. 1994, L 100/30. m EuGH, Rs. C-226/97, Slg. 1998,1-3711, Lemmens, Rn. 13. 174 Zustimmend unter Berufung auf den Schutzzweck der Informationsrichtlinie ebenfalls Streinz, JuS 1999,599 (600). Ablehnend hingegen Abele, EuZW 1998,571 (572). 175 EuGH, Rs. C-226/97, Slg. 1998,1-3711, Lemmens, Rn. 35 ff. 167 168

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ja nicht aus jedem Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot auch zwingend ein Beweisverwertungsverbot. 176 Die Pflicht zur Nichtanwendung nationalen Rechts ist natürlich dann ohne Bedeutung, wenn es an einem nationalen kollidierenden Rechtsakt in Gänze fehlt, 177 aber auch dann, wenn nur eine positive Anwendung der Richtlinie geeignet ist, einen gemeinschaftsrechtskonformeren Zustand herzustellen und es der Richtlinie an der dafür notwendigen Bestimmtheit mangelt.

b) Positive unmittelbare Wirkung: (Altemativ-)Anwendung der Richtlinienbestimmung

Nicht in jeder prozessualen Konstellation genügt die Nichtanwendung richtlinienwidriger Vorschriften schon dem Rechtsschutzbedürfnis desjenigen, zu dessen Gunsten die Richtlinienvorschrift wirken kann. Wenn sich beispielsweise eine von einer Partei erstrebte Rechtsfolge allein aus der Richtlinie ergibt, oder diese die Tatbestandsvoraussetzungen für eine nach nationalem Recht grundsätzlich gegebene Rechtsfolge weiter zieht, bedarf es der positiven Anwendung der entsprechenden Bestimmung. 178 Wie oben bereits dargelegt,179 ist hierfür ein höheres Maß an Bestimmtheit der Bestimmung Voraussetzung, d. h. sie muß eine Alternativnormierung enthalten. Der Begriff der Alternativnormierung ist jedoch insoweit irreführend, als die Anwendung der Richtlinienbestimmung nicht in jedem Fall alternativ zur nichtanwendbaren nationalen Regelung erfolgt. In den Fällen, in denen der Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung gerade darin zu sehen ist, daß der Mitgliedstaat es unterlassen hat, eine richtliniengerechte Regelung zu treffen, und der entsprechende Sachverhalt vorher im nationalen Recht nicht geregelt war, tritt die positive Wirkung unabhängig von einer entbehrlichen negativen Wirkung - die sie anderenfalls jedoch begriffsnotwendig beinhaltet - ein.

176 Anders wäre sicherlich zu entscheiden gewesen, wenn es um eine Vergabeentscheidung einer Polizeibehörde gegangen wäre. Zu den strafprozessualen Überlegungen vgl. Kühne, Strafprozeßrecht, Rn. 880 ff.; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 1581 ff. Hinzu kommt, daß der Gebrauch technischen Materials, welches nicht den allgemeinen Anforderungen an die Marktfähigkeit in einem Land entspricht, nicht notwendigerweise unzulässig sein muss. Gegebenenfalls kann es sogar gerade erwünscht sein, daß die Polizei über Gerätschaft verfügt, die nicht allgemein verkehrsfähig ist. Vergleichbar käme ja auch niemand auf die Idee, einen Straftäter freizulassen, weil an dem bei der Verfolgung benutzten KFZ der TÜV abgelaufen war. 177 Siehe beispielhaft EuGH, Rs. C-303/98, Slg. 2000,1-7963, SIMAP, Rn. 65 ff. 178 Siehe hierzu Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1059). 179 Teil 2., A., 111., 2., d).

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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2. Beachtung der unmittelbaren Wirkung - Berufungsrecht und ex officio-Anwendung Aus der vom EuGH ursprünglich verwandten Formulierung, daß einzelne sich auf hinreichend bestimmte Vorschriften in Richtlinien auch vor nationalen Gerichten berufen könnten,180 wurde ursprünglich geschlußfolgert, daß die unmittelbare Wirkung sich auf eine Berufungsmöglichkeit oder Anrufungsmöglichkeit beschränke, d. h. daß die Berufung des einzelnen auf die Richtlinie eine notwendige Voraussetzung für deren Beachtung durch Gerichte und Behörden sei. 181 Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung des EuGH sind unmittelbar wirkende Richtlinienbestimmungen jedoch unter den gleichen Umständen zu beachten wie nationales Recht. 182 Sofern also ein nationales Gericht (oder eine Verwaltungsbehörde)183 nach dem nationalen Recht zwingende Rechtsvorschriften von Amts wegen aufgreifen muß, gilt dies auch hinsichtlich unmittelbar wirkender Richtlinienbestimmungen. 184

v. Begrenzung der unmittelbaren Wirkung durch negative Voraussetzungen - Keine Verpflichtung von einzelnen durch unmittelbar wirkende Richtlinienbestimmungen 1. Überblick

Während Primärrecht und Verordnungen nach Wortlaut des EGV und der Rechtsprechung des EuGH unzweifelhaft nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten des Bürgers begründen können,185 tritt die unmittelbare Wirkung von Richtlinien auch bei Vorliegen der oben beschriebenen positiven Voraussetzungen und einer fehlen180 Siehe lediglich EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker, Rn. 25. 181 Siehe hierzu ausführlich Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 27 ff.; Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 96 mit Nachweisen aus der Literatur. Unzutreffend für eine reine Berufungsmöglichkeit FG München, EuZW 1990, S. 582. 182 EuGH, Verb Rs. C-87 bis 89/90, Slg. 1991,1-3757, Verholen; Rs. C-72/95, Slg. 1996, 1-5403, Kraaijeveld. Vgl. zu diesem Äquivalenzgebot und dem damit zusammenhängenden Effektivitätsgrundsatz unten Teil 2. D. 183 In der deutschen Literatur werden gegen die Anwendung unmittelbar wirkender Richtlinienbestimmungen durch die Verwaltung und die damit verbundene Nonnverwerfungsnotwendigkeit Bedenken hinsichtlich der Gesetzesbindung der Verwaltung vorgetragen. Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist aber allein die Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, so daß von einer Darstellung dieses Streites hier abgesehen werden soll. Vgl. dazu mit umfangreichen Nachweisen Fischer, NVwZ 1992, 635; Hutka, Prüfungs- und Verwerfungskompetenz, sowie Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 96 f. 184 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 57 ff. 185 Ständige Rspr. des EuGH seit Rs. 43175, Slg. 1976, 455; siehe auch Easson, ELRev. 1979,67 (69); Hartley, Foundations, 206.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

den Umsetzung nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht ein, soweit durch die Richtlinie Verpflichtungen für einzelne begründet würden. 186 Dies wird damit begründet, daß die verbindliche Wirkung der Richtlinie nur für den Mitgliedstaat gilt und ferner das Argument des venire contra factum proprium gegenüber Privaten nicht eingreift. 187 Hierbei ist im einzelnen jedoch genau zwischen verschiedenen Konstellationen zu unterscheiden, in denen Belastungswirkungen entstehen, die zu einem solchen Ausschluß führen. 188 Im klassischen Ausgangsfall beruft sich der Bürger auf eine ihn begünstigende Verpflichtung des Staates, die in einer Richtlinie enthalten, jedoch nicht ins nationale Recht umgesetzt ist. Richtlinien beschränken sich aber bei weitem nicht darauf, für den Bürger günstige Rechtsfolgen anzuordnen, bzw. so sie dies tun, trifft die belastende Wirkung nicht immer ausschließlich den Staat. I 89 Insbesondere umwelt- sowie privatrechtliche Vorschriften in Richtlinien sind geeignet, auch belastende Wirkungen für einzelne zu entfalten. Aber auch Vorschriften des Wettbewerbsrechts, des Vergaberechts oder über technische Produktanforderungen können im Einzelfall eine solche zeitigen. Dabei lassen sich die verschiedenen Konstellationen nach jeweils durch die Richtlinie Benachteiligtem und Begünstigtem unterscheiden, wobei jedoch zu beachten ist, daß sich eine derartige Unterscheidung sowohl materiellrechtlich wie prozessual treffen läßt. Eine die unmittelbare Wirkung begrenzende Funktion kommt allerdings allein dem verpflichtenden Effekt, nicht jedoch der Frage nach dem Begünstigten der Richtlinienbestimmung ZU. 190

186 Vgl. EuGH Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI, Rn. 48; Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 9; Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 20; Rs. C192/94, Slg. 1996,1-1281, EI Corte Ingles, Rn. 15; Rs. 97/96, Slg. 1997,1-6843, Daihatsu, Rn. 24; Verb. Rs. 253 bis 258/96, Slg. 1997,1-6907, Kampelmann, Rn. 46. 187 EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI, Rn. 47 f.; Jarass, NJW 1991,2665 (2666); Pemice, NVwZ 1990, 414 (425); Prechal, CMLRev. 1990,451 (453). Dem wurde in der Literatur (Richter, EuR 1988,394 (397 f.); Winter, DVBl. 1991,657 (660)) entgegengehalten, daß sich lediglich die Umsetzungspflicht allein an den Staat richte, nicht jedoch die in der fraglichen Bestimmung beinhaltete inhaltliche Pflicht. Aus der Staatengerichtetheit der Umsetzungspflicht könne aber kein Schluß auf die fehlende unmittelbare Wirkung der inhaltlichen Pflicht gezogen werden. Diese Ansicht verkennt jedoch, daß der EuGH ja gerade die Staatengerichtetheit der Umsetzungsverpflichtung als Argument für die unmittelbare Wirkung (des Regelungsprogramms) gegenüber dem Staat herangezogen hatte. 188 Vgl. hierzu Classen, EuZW 1993, 83; Emmert, EWS 1992, 56; Haneklaus, DVBl. 1993,129; Jarass, Grundfragen, 83 ff.; ders., NJW 1991,2665; Winter, DVBl. 1991,657. 189 Dieser Effekt ist natürlicher Ausdruck eines freiheitlichen Gemeinwesens, in dem weite Teile des Lebens frei von staatlichem Eingriff und den Beziehungen von Privaten überlassen sind. 190 So können sich auch öffentlich-rechtliche Körperschaften, wie z. B. Gemeinden (vgl. EuGH, Verb. Rs. 231/87 und 129/88, Slg. 1989, 3233, Carpaneto Piacentino) oder sogar die Gemeinschaften selbst (vgl. EuGH, Rs. C-221 188, Slg. 1990,1-495, Busseni), auf die unmittelbare Wirkung berufen, allerdings nur gegenüber dem Staat, vgl. Bach, JZ 1990, 1108 (1116); GelIermann, Beeinflussung, 190; Jarass, Grundfragen, 81.

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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2. Umgekehrt vertikale Konstellationen

Völlig klar und eindeutig sind die Fälle, in denen sich der Staat gegenüber einem einzelnen Bürger zu dessen Lasten, beispielsweise in einem Straf- oder Bußgeldverfahren auf eine Richtlinienvorschrift berufen will, die nicht hinreichend in nationales Recht umgesetzt worden ist. Eine derartige, der ursprünglichen Entstehungskonstellation diametral entgegengesetzte unmittelbare Wirkung lehnt der EuGH in ständiger Rechtsprechung völlig zu Recht ab. 191 3. Horizontale Konstellationen und Begriff des Staates

Horizontale Konstellationen sind solche, in denen sich ein einzelner gegenüber einem Dritten auf eine diesem durch eine Richtlinienbestimmung auferlegte Verpflichtung berufen will. 192 Auch in diesen Fällen ist eine unmittelbare Wirkung der entsprechenden Richtlinienbestimmung nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgeschlossen. 193 Im Gegensatz zur im Ergebnis unstreitig anerkannten fehlenden unmittelbaren Wirkung in umgekehrt vertikalen Verhältnissen war diese Rechtsprechung jedoch heftig umstritten und wird auch nach Bestätigung - entgegen den Bemühungen dreier Generalanwälte 194 - der Position des EuGH in Faccini Dori 195 heftig kritisiert. 196 Die weitreichenden Folgen dieser Ablehnung werden jedoch dadurch eingeschränkt, daß der EuGH den Begriff des Staates, demgegenüber eine Berufung auf in Richtlinien begründete Verpflichtungen zugelassen wird, sehr weit faßt. 197 Danach "gehört jedenfalls eine Einrichtung, die unabhängig von ihrer Rechtsform kraft staatlichen Rechtsakts unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu 191 EuGH, Verb. Rs. 372 bis 374/85, Slg. 1987,2141, Oscar Traen; Rs. 14/86, Slg. 1987, 2545, Pretore di Salb; Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen. 192 Zur Unterscheidung von den sogenannten belastenden Nebenwirkungen siehe sogleich unten Teil 2, A., V., 4. 193 EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI, Rn. 48; Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 20; Rs. 192/94, Slg. 1996,1-1281, EI Corte Ingles, Rn. 15 ff. 194 Vgl. Schlußanträge der GAe van Gerven, Rs. C-271 191, Slg. 1993, 1-4367; Jacobs, Rs. C-316/93, Slg. 1994,1-763; Lenz, Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori. 195 EuGH Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori. 196 Angesichts der klaren Position des Gerichtshofs wird auf die ausführliche Diskussion der vorgebrachten Argumente hier verzichtet. Vgl. dazu mit umfangreichen Nachweisen Craig, ELRev. 1997, 519; Easson, ELRev. 1979, 67 (70 ff.); Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 80. 197 Vgl. EuGH, Rs. 152/84, Slg. 1986,723, MarshalI; Rs. 222/84, Slg. 1986, 1651; Rs. 103 I 88, Slg. 1989, 1839, Fratelli Costanzo; Rs. C-188 I 89, Slg. 1990,1-3313. Verb. Rs. 253 bis 258/96, Slg. 1997, 1-6907, Kampelmann. Siehe auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 79. Im Gegensatz dazu zieht der Gerichtshof die Grenzen des Begriffs öffentliche Verwaltung in Art. 39 Abs. 4 EGV eher eng, vgl. Hartley, Foundations, 210 f.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung erbringen hat, und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, zu den Rechtssubjekten, denen die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können" 198, 199.

Diese Unterscheidung ist im Einzelfall allerdings nicht immer eindeutig zu treffen und hängt im Ergebnis stark von der inneren Verfassung des betreffenden Mitgliedstaates ab,zoo

4. Mittelbare Belastungen einzelner - [neidental Direet E//eet

Wirklich problematisch und anhand der Rechtsprechung nur schwer konzeptionell zu ordnen - und damit auch von dem Verbot der horizontalen unmittelbaren Wirkung zu unterscheiden - sind mögliche Dreieckskonstellationen, die sich in bestimmten Rechtsgebieten ergeben können, sowie Fälle, in denen sich eine belastende Wirkung für Private mittelbar vor dem nationalen Gericht ergibt. 201 Gekennzeichnet sind diese Fallgestaltungen häufig durch ein ordnendes Eingreifen des Staates, welches im Gegensatz zu rein privatrechtlichen Beziehungen, in denen mit einer Berechtigung des einen eine Verpflichtung eines anderen logisch einhergeht, durch öffentlich-rechtliche Genehmigungserfordemisse, Duldungspflichten, technische Regeln und ähnliches in ein Dreiecksverhältnis Bürger-Staat-Bürger schafft. 202 Dabei hat das den einen Bürger begünstigende Handeln oder Regeln des Staates für den anderen eine belastende Wirkung, Inwieweit sich daraus eine Prozeßkonstellation und in welchem Verhältnis ergibt, hängt aber hauptsächlich vom nationalen Regelungsrahmen, insbesondere dem Prozeßrecht ab, Hieraus darf jedoch nicht der falsche Schluß gezogen werden, dogmatische Konstrukte des nationalen Rechts auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs übertragen zu wollen, oder diese an nationaler Dogmatik zu messen,z03 Bezugspunkt für den EuGH ist allein EuGH, Rs. C-188/89, Slg. 1990,1-3313, Foster, Rn, 20. Diese Formulierung ähnelt in gewisser Weise der Beschreibung des Beliehenen im deutschen Verfassungs- und Verwaltungsrecht (vgl. hierzu z. B. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 598 ff.). Im Gegensatz zur Grundrechtsbindung der Verwaltung (und von Beliehenen) tritt die unmittelbare Wirkung von Richtlinien jedoch unabhängig davon ein, ob der Staat dem einzelnen in hoheitlicher Tätigkeit gegenübertritt oder privatwirtschaftlich, z. B. als Arbeitgeber. Daraus resultiert eine Besserstellung von Arbeitnehmern in staatlich kontrollierten Unternehmen, die wesentlicher Anlass für die Kritik an der Rechtsprechung zu dieser Frage war und bleibt, vgl. Langen/eid, DÖV 1992, 955 (960), 200 Dieses Kriterium ist zwar in der Anwendung kompliziert aber konzeptionell klar, so daß auf eine ausführliche Auseinandersetzung hier verzichtet werden soll. Vgl. zu dem Problemkreis Curtin, ELRev. 1990,195; Howells, MLR 1991,456; Prechai, CMLRev. 1990,451. 201 Siehe grundlegend hierzu bereits Schermers, NILR 1977,260, 202 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 83. Vgl. hierzu LackhofflNyssens, ELRev. 1998,397. 203 Vgl. Prechai, CMLRev. 2000, 1047 (l053) 198 199

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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und ausschließlich die Richtlinienbestimmung, zu deren Auslegung er aufgerufen ist. Jeder Versuch, die unmittelbare Wirkung mit mittelbar belastenden Wirkungen in abstrakter Weise zu erfassen, muß daher von dessen Rechtsprechung ausgehen und sich an dieser Rechtsprechung messen lassen. Die Problematik wurde insbesondere auf der Basis des Costanzo-Urteils204 und infolge des GroßkrotzenburgUrteils 20s bis Mitte der 90er Jahre in der Literatur streitig diskutiert, ohne daß dabei jedoch eine hinreichend umfangreiche Rechtsprechung des EuGH hätte zu Grunde gelegt werden können,zo6 Seit Ende 1995 treten nun aber verstärkt Fälle auf, in denen die für einen Privaten günstige Folge der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinienbestimmung im Prozeß mit einer für den anderen ungünstigen untrennbar verbunden ist, ohne die unmittelbare Wirkung der entsprechenden Bestimmungen auszuschließen. 207 Neu ist an diesen Fällen insbesondere, daß sie über die Konstellation, in der die negativen Folgen einer in einem Prozeß im Verhältnis Staat-Bürger festgestellten unmittelbaren Wirkung mittelbar einen Dritten treffen, insofern hinausgehen, als eine solche belastende Wirkung auch unmittelbar in der Niederlage im Prozeß zwischen zwei Privaten liegen kann. 208 In Reaktion auf diese Rechtsprechung sind in jüngerer Zeit erneut Versuche unternommen worden, eine klare Abgrenzung zwischen der zum Ausschluß der unmittelbaren Wirkung führenden "echten" horizontalen Wirkung sowie die unmittelbare Wirkung nicht hindernden schlichten Nebeneffekten zu entwickeln. 209 Da im Hinblick auf diese Konstellationen noch der größte Klärungsbedarf besteht und die Grenzen zur richtlinienkonformen Auslegung hier zu verschwimmen scheinen,2!O soll der Problematik breiterer Raum gegeben werden.

EuGH, Rs. 103 I 88, Slg. 1989, 1839, Fratelli Costanzo. EuGH, Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg. 206 Siehe hierzu Degenhart, Voraussetzungen I, 74 ff., die zutreffend feststellt, daß es an einer hinreichenden Rechtsprechung des EuGH noch fehle (82); Epiney, DVBI. 1996, 409; GeIlermann, DÖV 1996,433; Pechstein, EWS 1996,261. 207 Vgl. EuGH, Rs. C-85194, Slg. 1995,1-2955, Piageme; C-129/94, Slg. 1996,1-1829, Ruiz BemaIdez; Rs. C-194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security; Rs. C-441 193, Slg. 1996,11347, Panagis Pafitis; Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Uniieverltalia. 208 Vgl. EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security; Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia. 209 Siehe Gundei, EuZW 2001, 143; Hilson/Downes, ELRev. 1999, 121; Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998, 397; Lenz/Sij Tyson/Young, ELRev. 2000, 509; Prechal, CMLRev. 2000,1047. 210 Teilweise wird diese Unterscheidung auch in der Literatur nicht mehr erkannt, so z. B. Augil Baratella, ELF 2000, 83. 204 205

5 Herrmann

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

a) Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Konstellationen mit belastenden Nebenwirkungen

In der Literatur werden insbesondere die Urteile des EuGH in den Fällen Costanzo211 , CIA Security212 und Unilever213 , Ruiz Bemaldei 14 , Panagis Pafitii 15 sowie in den die UVP-Richtlinie betreffenden Verfahren 216 im Hinblick auf eine Ausweitung der belastenden unmittelbaren Wirkungen von einzelnen diskutiert, auch wenn der EuGH selber die Problematik in diesen Verfahren nicht problematisiert, bzw. diese zum Teil überhaupt nicht unter der Perspektive der unmittelbaren Wirkung betrachtet. 217 aa) Das Urteil Fratelli Costanzo 218 Als Ausgangspunkt der Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird in aller Regel das Urteil in dem Verfahren der Fratelli Costanzo SpA gegen den Ausschluß von einem Vergabeverfahren durch die Stadt Mailand gewählt. Costanzo berief sich in der Klage auf einen Verstoß der italienischen Rechtsvorschriften, die der Ausschlußentscheidung zu Grunde gelegen hatten, gegen Vorschriften der Richtlinie 711305 EWG219 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge. Das italienische Verwaltungsgericht stellte in seinem Vorabentscheidungsersuchen dem EuGH insbesondere die Frage, ob auch die Verwaltung ebenso wie ein nationales Gericht verpflichtet sei, hinreichend bestimmte und inhaltlich unbedingte Vorschriften von Richtlinien anzuwenden und damit nicht im Einklang stehendes Recht unangewendet zu lassen. Der EuGH bejahte diese Frage und wies darauf hin, daß es widersprüchlich wäre, den Gerichten eine Überprüfung des Verhaltens der Verwaltung am Maßstab einer Richtlinienbestimmung zu erlauben, ohne zugleich von der Verwaltung zu verlangen, die Bestimmungen der Richtlinie dadurch einzuhalten, daß sie damit nicht im Einklang stehende nationale Vorschriften außer Anwendung läßt. 22o Als Folge der erfolgreichen Anfechtung einer EuGH, Rs. 103 I 88, Sig. 1989, 1839, Fratelli Costanzo. EuGH, Rs. 194/94, Sig. 1996,1-2201, CIA Security. 213 EuGH, Rs. C-443 198, Sig. 2000, 1-7535, Unilever Italia. 214 EuGH, Rs. C-129 194, Sig. 1996,1-1829, Ruiz Bermildez. 215 EuGH, Rs. C-441 193, Sig. 1996,1-1347, Panagis Pafitis. 216 EuGH, Rs. C-431 192, Sig. 1995,1-2189, Großkrotzenburg; Rs. C-72/95, Sig. 1996, 1-5403, Kraaijeveld; Rs. C-435 197, Slg, 1999, 1-5613, WWF; Rs. C-287/98, Sig. 2000, 1-6917, Linster. 217 Dies ist insbesondere im Hinblick auf die Rs. C-85 I 94, Sig. 1995, 1-2955, Piageme und C-194/94, Sig. 1996,1-2201, CIA Security bemerkenswert, da bei zwei eigentlich sehr ähnlichen Sachverhalten die Frage der belastenden horizontalen Wirkung einmal aufgeworfen wurde und einmal nicht. 218 EuGH, Rs. 103 I 88, Sig. 1989, 1839, Fratelli Costanzo. 219 ABI. 1971 L 185 I 5. 220 EuGH, Rs. 103/88, Sig. 1989, 1839, Fratelli Costanzo, Rn. 31. 211

212

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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solchen Entscheidung im Vergabeverfahren kann es aber dazu kommen, daß der bereits durch den Zuschlag begünstigte Konkurrent diese günstige Rechtsstellung wieder verliert, also durch die unmittelbare Wirkung der Richtlinienbestimmung mittelbar benachteiligt wäre. 221 Der Gerichtshof setzte sich mit dieser Problematik jedoch ebenso wenig auseinander wie Generalanwalt Lenz in seinem Schlußantrag, obwohl der ebenfalls am Ausgangsverfahren beteiligte begünstigte Bieter dies vor dem EuGH vorgetragen hatte. 222 bb) Die UVP-Urteile - Großkrotzenburi 23 , Kraaijeveld224 , WWF225 , Linste?26 Zu einer ganz ähnlichen Problematik kommt es im Bereich der Genehmigung von Großprojekten, für welche die UVP-Richtlinie 227 die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibt. Auslöser einer verstärkten Diskussion über die Frage einer Private belastenden unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen war hierbei das oben bereits zur Frage von subjektiven Rechten als Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung diskutierte Urteil des EuGH im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtdurchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren hinsichtlich des Wärmekraftwerks Großkrotzenburg. Wie oben dargestellt wurde,228 ist die Konsequenz dieses Urteils - ebenso wie im Verfahren Costanzodie Pflicht der Behörden des Mitgliedstaates, ihr Verwaltungshandeln gegenüber dem Bürger, sei es im Vergabeverfahren, sei es bei der Anlagengenehmigung, an den Vorgaben unmittelbar wirkender Richtlinienbestimmungen auszurichten und entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu lassen. Als Folge davon ist in den UVP-Fällen der unter Umständen private Anlagenbetreiber entweder mit möglicherweise erhöhten Anforderungen an sein Anlagenprojekt oder mit dem Risiko der erfolgreichen Drittanfechtung des Genehmigungsbescheides beschwert. Ungeachtet dieser Folgen bejahte der EuGH sowohl im Verfahren Großkrotzen221 Siehe Ruffert, in: Caliiess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 84, der allerdings zu Unrecht meint, daß der erfolgreiche Bieter den Zuschlag verlieren muß. Dies ist aber nicht notwendigerweise die Folge der Anwendung der Richtlinienbestimmung in einem solchen Fall, da die Richtlinie eine Überprüfung eines ungewöhnlich niedrigen Angebotes und den Ausschluß des Bieters von dem Verfahren nach einer Überprüfung der Einzelheiten des Angebotes durchaus erlaubte. Lediglich der pauschale Ausschluß auf mathematischer Basis war unzulässig, vgl. EuGH, Rs. 103 I 88, Slg. 1989, 1839, Fratelli Costanzo, Rn. 19. 222 Vgl. Sitzungsbericht zur Rs. 103 I 88, Slg. 1989, 1839 (1846), Fratelli Costanzo. 223 EuGH, Rs. C-431 192, Slg. 1995,1-2189, Großkrotzenburg. 224 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld. 225 EuGH, Rs. C-435 197, Slg, 1999,1-5613, WWF. 226 EuGH, Rs. C-287 198, Slg. 2000, 1-6917, Linster. 227 Richtlinie 85/337 I EWG, ABI. 1985 L 175/40. 228 Teil 2., A., III., 2., e) sowie Teil 2., A., IV.

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burg, als auch in Folgeverfahren, welche die unmittelbare Wirkung von Bestimmungen der UVP-Richtlinie zum Gegenstand hatten,229 die Pflicht der nationalen Behörden und Gerichte, diese Bestimmungen im Einzelfall anzuwenden und entgegenstehendes nationales Recht unangewendet zu lassen. So bestätigte der Gerichtshof in dem Verfahren Kraaijeveld230 die Pflicht nationaler Verwaltungs gerichte, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen unmittelbar wirkende Bestimmungen der UVP-Richtlinie aufzugreifen, sofern sie zu einem solchen Aufgreifen auch bei zwingenden innerstaatlichen Bestimmungen verpflichtet wären?31 Im konkreten Verfahren ging es dabei zwar um die in einem flächennutzungsplan vorgesehene Linienführung für einen Deich, so daß sich die Frage der belastenden Wirkung für Private hier nicht stellte, ungeachtet dessen birgt die UVP-Richtlinie - und in Zukunft die IVU-Richtlinie 232 - dieses für einzelne Anlagenbetreiber belastende Potential. Erneut bestätigt wurde die Rechtsprechung zur UVP-Richtlinie im Verfahren WWF233 , in dem privaten Klägern die Berufung auf Bestimmungen der Richtlinie bei der Anfechtung der Genehmigung eines flughafens gestattet wurde?34 In der Rechtssache Linste?35 bestätigte der Gerichtshof wiederum die Möglichkeit nationaler Gerichte, zu überprüfen, inwieweit der nationale Gesetzgeber bei der Enteignung von Grundstücken für den Bau einer Autobahn, für die keine vorherige Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt worden war, innerhalb der ihm durch die Richtlinie gezogenen Ermessensgrenzen geblieben ist. 236 Während der Gerichtshof im Verfahren Großkrotzenburg noch betont hatte, die Pflicht zur Anwendung der UVP-Richtlinie im Einzelfall habe nichts mit der Möglichkeit von einzelnen, sich auf die entsprechenden, pflichtenbegründenden Richtlinienbestimmungen zu berufen, zu tun, wird diese Trennung in den anderen drei Verfahren aufgegeben und somit im Nachhinein bestätigt, daß es bei dem Urteil Großkrotzenburg sehr wohl um eine Frage der unmittelbaren Wirkung der Richtlinie ging. 237 Beispielhaft kann an diesen Verfahren auch die logische Folge von Überlegungen hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung gesehen werden. Aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten folgt bei lustiziabilität der Vorschriften die Pflicht zur Anwendung im Einzelfall durch die innerstaatlichen Behörden, deren Nichtbeachtung einen Verstoß gegen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft darstellt (Großkrotzenburg). Darüber hinaus können sich aber auch einzelne auf diese Pflichten der Behörden vor den Gerichten berufen, bzw. diese müssen die 229 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld; Rs. C-435/97, Slg, 1999,1-5613, WWF; Rs. C-287 /98, Slg. 2000, 1-6917, Linster. 230 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld. 231 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 57 ff. 232 Siehe dazu KühlinglRöckinghausen, DVBI. 1999, 1614. 233 EuGH, Rs. C-435 /97, Slg, 1999,1-5613, WWF. 234 EuGH, Rs. C-435 /97, Slg, 1999,1-5613, WWF, Rn. 71. 235 EuGH, Rs. C-287 /98, Slg. 2000, 1-6917, Linster. 236 EuGH, Rs. C-287 /98, Slg. 2000,1-6917, Linster, Rn. 32 ff. 237 Vgl. Prechal, CMLRev. 2000,1047 (1049).

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Einhaltung der Verpflichtung von Amts wegen prüfen (WWF, Kraaijeveld). Während sich der Gerichtshof in allen diesen Verfahren mit der Frage der unmittelbaren Wirkung beschäftigt, fehlen Überlegungen zu den oben beschriebenen belastenden Wirkungen für Private gänzlich. cc) Nichtanwendung nationaler richtlinienwidriger technischer Vorschriften in Streitigkeiten zwischen Privaten Piageme 238, CIA Security239 und Unilever Italia 240 Während bei den zuvor beschriebenen Fällen aufgrund der Prozeßkonstellation (Verwaltungsprozeß im Verhältnis Staat-Bürger) nicht offensichtlich Fragen der horizontalen unmittelbaren Wirkung berührt sind, ist dies bei Verfahren zwischen Privaten gänzlich anders. Kommt es hier im Prozeß zum Streit über die Anwendung von Richtlinienbestimmungen und die Außerachtlassung von nationalen Vorschriften, hat die Entscheidung dieses Streites unmittelbare Konsequenzen für den Ausgang des Prozesses?41 Trotzdem läßt sich eine Anzahl von Fällen feststellen, in denen der Gerichtshof ungeachtet dieser Folge die unmittelbare Wirkung technischer oder prozessualer Vorschriften in Richtlinien bejaht hat. In dem Verfahren Piageme versuchte eine Gruppe von Unternehmen der Mineralwasserbranche eine Einstellungsverfügung mit Zwangsgeldandrohung gegen einen Konkurrenten zu erwirken, der Mineralwasser unter Verstoß gegen belgische Vorschriften über die Etikettierung von Lebensmitteln im niederländischen Sprachgebiet lediglich mit deutschen oder französischen Beschriftungen vertrieb?42 Dieser machte einen Verstoß der belgischen Vorschriften gegen Bestimmungen der Richtlinie 79/ 112/ EWG243 sowie gegen Vorschriften des EGV geltend. 244 Ohne auf das Problem der unmittelbaren Wirkung überhaupt einzugehen, prüfte und bejahte der EuGH einen Verstoß der belgischen Vorschriften gegen die Richtlinie (Vorschriften des EGV ließ er außer acht). Auch wenn der Gerichtshof sich zur Konsequenz dieses Verstoßes nicht äußerte, muß davon ausgegangen werden, daß eine Anwendung dieser Vorschriften im nationalen Prozeß damit ausgeschlossen war, und die klageführenden Unternehmen den Prozeß verlieren mußten. Im Gegensatz dazu wurde die Problematik der unmittelbaren Wirkung in einem ganz ähnlichen Verfahren, welches lediglich ein halbes Jahr später entschieden wurde, thematisiert. In CIA Security lag dem Ausgangsverfahren eine Wettbewerberklage zu Grunde, in der zwei UnterEuGH, Rs. C-85 194, Slg. 1995,1-2955, Piageme. EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security. 240 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Ita1ia. 241 Würde es an solchen Konsequenzen fehlen, wären die jeweiligen Richtlinienbestimmungen nicht streitentscheidend und ein Vorlageverfahren somit unzulässig. 242 EuGH, Rs. C-85 194, Slg. 1995,1-2955, Piageme. 243 ABI. 1979, L 3311. 244 EuGH, Rs. C-85/94, Slg. 1995,1-2955, Piageme, Rn. 6. 238 239

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nehmen ihrem Wettbewerber CIA den Vertrieb eines mit belgischem Recht nicht im Einklang stehenden Produkts untersagen lassen wollten. In der Widerklage forderte CIA demgegenüber von den Konkurrenten die Unterlassung einer Werbung, in der diese kundtaten, daß CIA Produkte vertreibe, für welche die belgischen Behörden keine Erlaubnis erteilt hätten. CIA machte geltend, daß die entsprechenden Vorschriften des belgischen Rechts nicht, wie von der Richtlinie 83/ 189/ EWG245 vorgesehen, der Kommission mitgeteilt worden waren, und somit nicht angewendet werden dürften. 246 Entgegen dem Generalanwalt Eimer behandelte der Gerichtshof die Problematik der Belastung einzelner durch die unmittelbare Wirkung in diesem Urteil nicht, obwohl die Wortwahl und die Bezugnahme insbesondere auf das Becker-Urteil247 klar erkennen lassen, daß auch der EuGH diesen Fall unter dem Gesichtspunkt der unmittelbaren Wirkung betrachtete?48 Sich im Ergebnis dem Schlußantrag des Generalanwalt anschließend, kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, daß die belgischen Vorschriften wegen Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht vor dem nationalen Gericht unanwendbar seien. 249 Ebenso wie in Piageme mußten auch in diesem Fall die Konkurrenten von CIA das entsprechende nationale Gerichtsverfahren in der Folge verlieren. Die gleiche Problematik stellte sich dem EuGH dann wieder in dem Verfahren Unilever Italia, in dem dieses Unternehmen von einem Kunden die Bezahlung gelieferten Olivenöls verlangte?50 Dieser verweigerte die Zahlung unter Hinweis auf die mit italienischem Recht nicht in Einklang stehende Etikettierung der Lieferung, die deswegen nicht in Italien vertrieben werden könne. Die Vorlagefrage war dementsprechend darauf gerichtet, ob ein nationales Gericht das nationale Recht, welches während einer Aussetzungsfrist gemäß Art. 9 der Richtlinie 83/189/ EWG erlassen worden war, auch in einem Verfahren zum Erlaß eines Mahnbescheides gegen einen Privaten unangewendet zu lassen habe. 251 Im Gegensatz zu den vorherigen Urteilen zur Nichtanwendbarkeit technischer Vorschriften, äußerte sich der EuGH nunmehr auch zur Problematik der belastenden Wirkung für einzelne: "Zwar kann, wie die italienische und die dänische Regierung ausgeführt haben, eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen einzelner begründen und daher nicht als solche ihnen gegenüber herangezogen werden [... ]; diese Rechtsprechung gilt jedoch nicht für den Fall, daß die Nichtbeachtung der Artikel 8 oder 9 der Richtlinie 83/189, die einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, die Unanwendbarkeit der unter Verstoß gegen einen dieser Artikel erlassenen technischen Vorschrift nach sich zieht. ,,252 ABI. 1983, L 109/8, geändert durch Richtlinie 88/182/EWG, ABI. 1988, L 81/75. Vgl. Schlußanträge des GA Eimer zur Rs. C-194/94, Sig. 1996,1-2201, CIA Security, Nr.49. 247 EuGH, Rs. 8/81, Slg. 1982,53, Becker. 248 Vgl. hierzu EuGH, Rs. 194/94, Slg. 1996,1-2201, CIA Security, Rn. 42 ff. 249 EuGH, Rs. C-194/94, Sig. 1996,1-2201, CIA Security, Rn. 54. 250 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia. 251 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, UnileverItalia, Rn. 31. 252 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 50. 245

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"ln einem solchen Fall legt die Richtlinie 83/189 - anders als bei der Nichtumsetzung von Richtlinien, um die es in der von den beiden Regierungen zitierten Rechtsprechung ging - keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm fest, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat. Sie begründet weder Rechte noch Pflichten für einzelne. ,,253

Im Ergebnis bejahte der Gerichtshof auch in diesem Fall die Unanwendbarkeit der nationalen Vorschriften, mit der Konsequenz der Verurteilung des Käufers zur Bezahlung der Ware, die auf Basis des nationalen Rechts nicht vertrieben werden durfte. 254 Im Gegensatz dazu verneinte der EuGH in einem späteren Verfahren die Möglichkeit eines einzelnen, die Nichtanwendbarkeit nationaler technischer Vorschriften geltend zu machen, um zu verhindern, daß die Ergebnisse einer, mit einem diesen Vorschriften entsprechenden Meßgerät durchgeführten, Atemalkoholkontrolle gegen ihn verwandt werden konnten. 255 Dabei stellte der Gerichtshof vor allem auf den Zweck der Richtlinie, den freien Warenverkehr zu sichern, ab?56 Dieser Fall hätte jedoch auch ohne Anrufung des Gerichtshof problemlos gelöst werden können. Selbst wenn man von der Unanwendbarkeit technischer Vorschriften über Atemalkoholmeßgeräte ausgeht, muß die Benutzung eines solchen Gerätes nicht zwangsläufig gegen ein Beweiserhebungsverbot verstoßen, noch gegebenenfalls dann ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehen. Letztlich handelte es sich hier nicht um die Frage nach dem "Ob" der unmittelbaren Wirkung der Meldepflicht, sondern um den Schutzbereich und Umfang der Pflicht zur Nichtanwendung widersprechender Rechtsakte?57 Zuletzt hat der Gerichtshof seine Rechtsprechung zur Unanwendbarkeit nicht mitgeteilter technischer Vorschriften im Verfahren Sapod Audic bestätigt. 258 dd) Unwirksamkeit staatlicher Maßnahmen mit privatrechtlichen Folgen bei Verstoß gegen Richtlinienbestimmungen Die Urteile Panagis Pafitii 59 und Ruiz Bernaldel60 Zwei weitere Fälle, beide entschieden im März 1996, zeigen, wie weit solche "beiläufigen" belastenden Wirkungen für einzelne tatsächlich reichen können. Im Verfahren, welches dem Urteil des Gerichtshofs in Panagis Pafitis zugrunde lag, 253 EuGH, Rs. C-443/98, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 51. Dazu Streinz, JuS 2001,809. 254 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 52. 255 EuGH, Rs. C-226/97, Slg. 1998, 1-3711, Lemmens. Dazu Abele, EuZW 1998, 569; Streinz, JuS 1999,599. 256 EuGH, Rs. C-226/97, Slg. 1998,1-3711, Lemmens, Rn. 32 ff. 257 So auch Streinz, JuS 1999,599 (600); anders Abele, EuZW 1998,569 (571 ff.). 258 EuGH, Rs. C-159 100, Slg. 2002, 1-5031, Sapod Audic, Rn. 49 f. 259 EuGH, Rs. C-441/93, Slg. 1996,1-1347, Panagis Pafitis. 260 EuGH, Rs. C-129 194, Slg. 1996,1-1829, Ruiz Bemaldez.

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wehrten sich Aktionäre einer Privatbank erfolgreich gegen eine während einer Phase der Zwangsverwaltung durch Verwaltungsakt durchgeführte Kapitalerhöhung, die ihrer Meinung nach wegen Ausschlusses der Beteiligung der Hauptversammlung gegen Vorschriften der Richtlinie 77 /91 /EWG261 verstieß. Den Vortrag der Beklagten im Ausgangsverfahren, diese Vorschriften könnten einer Privatbank wegen des Verbotes der horizontalen unmittelbaren Wirkung nicht entgegengehalten werden, wies der Generalanwalt Tesauro in seinen Schlußanträgen unter Hinweis auf die Art der Kapitalerhöhung durch Verwaltungsakt zurück?62 Der vom Gouverneur der Bank von Griechenland eingesetzte Verwalter sei zweifellos ein Rechtssubjekt, dem gegenüber eine Berufung auf die Richtlinienbestimmung möglich sei. 263 Der Gerichtshof ging in seinem Urteil auf die Problematik nicht ein. Eine weitere Konstellation, in der die Unwirksamkeit von Rechtsakten wegen Verstoßes gegen Bestimmungen einer Richtlinie im Raum stand, und vom Gerichtshof im Ergebnis auch bejaht wurde, findet sich in einem Strafverfahren, in welchem der Verursacher eines Verkehrsunfalls zur zivilrechtlichen Haftung verurteilt wurde, da nach spanischem Recht die Haftung für Sachschäden, die im Zustand der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit verursacht wurden, ausgeschlossen war. Auf Basis dieser Vorschriften war die Versicherung in der ersten Instanz des Ausgangsrechtsstreits aus der Haftung entlassen worden. Im Berufungsverfahren stellte sich dem vorlegenden Gericht nunmehr die Frage, ob nicht Bestimmungen der Richtlinien 72/166/EWG264 , 84/5/EWG265 sowie 90/232/EWG266 einen solchen gesetzlichen oder auch vertraglichen Haftungsausschluß verböten, da die Richtlinie die gegenüber einem Opfer eines Verkehrsunfalls geltend zu machenden Haftungsausschlüsse abschließend regele. 267 Weder der Generalanwalt Lenz noch der EuGH gingen auf das Problem der unmittelbaren Wirkung in Privatrechtsverhältnissen ein, als sie feststellten, daß die fraglichen Richtlinien in der Tat gesetzlichen wie vertraglichen Haftungsausschlüssen wie dem in Rede stehenden entgegenstünden?68 Die daraus folgende Unanwendbarkeit des Haftungsausschlusses sprach der EuGH zwar nicht ausdrücklich aus, sie ist jedoch die natürliche Folge dieses Urteils. Im Ergebnis mußte somit vor dem nationalen Gericht die VersicheABI. 1977, L 26/1. Schlußanträge des GA Tesauro zur Rs. C-441/93, Sig. 1996,1-1347, Panagis Pafitis, Nr.25. 263 Schlußanträge des GA Tesauro zur Rs. C-441 193, Sig. 1996,1-1347, Panagis Pafitis, Nr.25. 264 ABI. 1972, L 10311. 265 ABI. 1984, L 8/17. 266 ABI. 1990, L 129/33. 267 Vgl. Schlußanträge des GA Lenz zur Rs. C-129/94, Sig. 1996,1-1829, Ruiz Bemaldez, Nr.9. 268 Vgl. EuGH, Rs. 129/94, Sig. 1996,1-1829, Ruiz Bemaldez, Rn. 9 ff. sowie Schlußanträge des GA Lenz zur gleichen Rs. 129/94, Nr. 25 ff. 261

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rung zum Schadensersatz verurteilt werden, obwohl sie ihre Haftung nach spanischem Recht für den fraglichen Fall wirksam hatte ausschließen können. Auch die Möglichkeit eines Regresses gegen den eigentlich verantwortlichen Schädiger, den auch der Gerichtshof zuließ,269 ändert nichts an der Feststellung, daß auch in diesem Fall eine belastende Rechtsfolge für einen Privaten das Ergebnis der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinienbestimmung war?70

b) Systematisierungsversuche in der Literatur

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs hat zu einer Vielzahl von Versuchen geführt, Kriterien zur Abgrenzung dieser Fallkonstellationen von denen der "echten" horizontalen unmittelbaren Wirkung, an deren Verbot der EuGH ausdrücklich festhält,271 herauszuarbeiten und zu systematisieren. Diese Versuche sind aufgrund der zumeist fehlenden Auseinandersetzung des Gerichtshofs mit dieser Problematik sowie der Nichtoffenlegung von Überlegungen, die zu einer Unterscheidung führen, jedoch schwierig und können bisweilen lediglich Einzelfälle erklären. aa) Richtlinienvorschriften als Konkretisierung von Vertragsnormen In gewissem Umfang kann eine belastende unmittelbare Wirkung dann zulässig sein, wenn die fragliche Richtlinienbestimmung lediglich in Normen des Primärrechts enthaltene Verpflichtungen konkretisiert. 272 Soweit sie allerdings nur Verpflichtungen aus Primärrecht wiederholt, erübrigt sich die Frage der horizontalen Wirkung der Richtlinie eigentlich?73 Hier dient die Richtlinie lediglich als Hilfsmittel, den Sinngehalt der in der Primärrechtsnorm niedergelegten Verpflichtung zu ermitteln?74 Wenn die Wirkung über eine Konkretisierung hinausreicht, so ist die Verpflichtung nicht mehr in der Primärrechtsnorm angelegt und es greift der generelle Ausschluß der horizontalen unmittelbaren Wirkung?75 bb) Rechtsakte mit Doppelwirkung Ein insbesondere in der deutschen Literatur - und dort insbesondere zum Umweltrecht vertretenes Erklärungsmodell- stützt sich auf die Vorstellung, daß Richt269 270 271 272 273 274 275

EuGH, Rs. 129/94, Sig. 1996,1-1829, Ruiz Bermlldez, Rn. 24. Vgl. auch Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998,397 (407). Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 15. Siehe hierzu Easson, ELRev. 1979,67 (78); Prechal, Directives, 63 f. Prechal, Directives, 64. Prechal, Directives, 64. Prechal, Directives, 64.

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linienbestimmungen eine Doppelwirkung zukommen kann?76 Danach kann wenn auch wenig trennschare 77 - zwischen begünstigenden Richtlinienbestimmungen mit belastenden Nebenwirkungen für Dritte und belastenden Richtlinien mit begünstigenden Drittwirkungen unterschieden werden. Während die unmittelbare Wirkung von begünstigenden Richtlinienbestimmungen mit belastenden Nebenwirkungen überwiegend mit dem Argument bejaht wird, daß es bei diesen allein um einen faktischen Reflex einer im durch die Richtlinie geregelten vertikalen Verhältnis Staat-Bürger vorgesehenen Begünstigung handele,278 sind die Ansichten hinsichtlich belastender Richtlinienbestimmungen mit begünstigenden Nebenwirkungen stärker gespalten?79 Die hier vorgebrachten Argumente entsprechen im Prinzip denen, die gegen eine echte horizontale Wirkung sprechen. Insbesondere der Gesetzesvorbehalt hinsichtlich Eingriffen in grundrechtlich geschützte Positionen könne nur durch eine EG-Verordnung, nicht aber durch eine Richtlinie erfüllt werden?80 Zudem wird die Entscheidung des EuGH in dem Fall Busseni281 angeführt, in der der Gerichtshof die Berufung auf eine EGKS-Empfehlung und damit ein norm strukturell mit der Richtlinie identisches Rechtsinstrument nur insoweit zugelassen hatte, als dies nicht zu Lasten anderer privater Gläubiger in einem Insolvenzverfahren führe. 282 Im übrigen sei aus Gründen der Rechtssicherheit eine den einzelnen irgendwie belastende Wirkung von Richtlinien abzulehnen. 283 Dagegen wird wiederum vorgebracht, daß die Effektivität des Gemeinschaftsrechts, insbesondere in Bereichen des Umweltrechts jedoch auch eine solche belastende unmittelbare Wirkung gebietet, zumindest dann, wenn den Richtlinienbestimmungen ein drittschützender Charakter entnommen werden kann. 284 Während sich die Urteile des EuGH im Fall Costanzo 285 , den UVP-Fällen sowie im Verfahren Panagis Pafitii 86 durch diese Kategorisierung erfassen lassen, wenn man generell die unmittelbare Wirkung in Doppelwirkungsfällen zuläßt, ist der Ansatz so nicht geeignet, auch die Fälle der Nichtanwendung von technischen Vorschriften in 276 Siehe hierzu Adamek, EG-Richtlinien, 615 ff.; Classen, EuZW 1993, 83 (84 f.); Gassner, FS Opperrnann, 503; Haneklaus, DVBI. 1993, 129 (133); Jarass, Grundfragen, 83 ff.; ders., NJW 1991, 2665 (2667 f.); Langenfeld, DÖV 1992, 955 (960); Prechal, Directives, 65 ff. Kritisch zu diesem Ansatz Albin, NuR 1997, 29. 277 Jarass, Grundfragen, 87. 278 Vgl. Classen, EuZW 1993,83 (85); Jarass, Grundfragen, 84. 279 Bejahend Fischer, NVwZ 1992, 638; GelIermann, Beeinflussung, 178 ff.; Jarass, Grundfragen, 87; ders., NJW 1991,2665 (2668); a.A. Classen, EuZW 1993, 83 (85); Papier, DVBI. 1993,809 (811 f.); Scherzberg, Jura 1993,225 (228). 280 Lackhoffl Nyssens, ELRev. 1998,397 (405); Papier, DVBI. 1993,809 (811). 281 EuGH, Rs. 221/88, Sig. 1990,1-495, Busseni. 282 LackhofflNyssens, ELRev. 1998,397 (404). 283

284

(961). 285 286

Classen, EuZW 1993, 83 (85); Haneklaus, DVBI. 1993, 129 (133 f.). Jarass, Grundfragen, 86; ders., NJW 1991,2665 (2668); Langenfeld, DÖV 1992,955 EuGH, Rs. 103/88, Sig. 1989, 1839, Fratelli Costanzo. EuGH, Rs. C-441193, Sig. 1996,1-1347, Panagis Pafitis.

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Streitigkeiten zwischen Privaten oder die Bejahung der unmittelbaren Wirkung in dem Verfahren Ruiz Bemaldez287 zu erklären. So läßt sich schwerlich in der Informationsrichtlinie 288 generell eine begünstigende und eine belastende Wirkung in einer Dreieckskonstellation feststellen. Die Richtlinie ist insoweit völlig neutral und begründet allein eine Meldepflicht des Staates. Die Lehre von doppelwirkenden Richtlinienbestimmungen ist im Ergebnis daher mittlerweile durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs überholt. Darüber hinaus leidet dieser Ansatz generell unter der Schwierigkeit, bestimmte Schutzziele bzw. Wirkungsverhältnisse aus Richtlinienbestimmungen abzuleiten oder ein Vorrangverhältnis zwischen belastenden und begünstigenden Wirkungen festzustellen?89

cc) Publie Law-Element Die beschriebene jüngere Judikatur des Gerichtshofs hat in der Literatur zu neuen Ansätzen geführt, die Grenzlinie zwischen verbotenen horizontalen unmittelbaren Wirkungen und erlaubten belastenden Nebenwirkungen zu ziehen. Einer dieser Ansätze liegt in einer Unterscheidung eines publie law effeets in Abgrenzung zur "eigentlichen" unmittelbaren Wirkung. 29o Danach wäre der Unterschied zwischen Faeeini DorF91 und EI Corte Inglil 92 auf der einen, sowie den Urteilen Kraaijeveld293 und CIA Seeurity294 auf der anderen Seite darin zu sehen, daß letztere im Bereich des - wie auch immer verstandenen - öffentlichen Rechts angesiedelt sind?95 Aber wie lassen sich die Urteile Ruiz Bemaldez296 und insbesondere Unilever Italia 297 in dieses System einfügen? Während sich bei Ruiz Bemaldez noch argumentieren ließe, daß die Haftpflichtversicherung öffentlich-rechtliche Aspekte aufweist, fehlt eine solche Möglichkeit bei einer schlichten Vertragspflicht wie im Verfahren Unilever Italia völlig. Abgesehen davon ist diese Unterscheidung auch konzeptionell nicht durchzuhalten, da die Unterschiede zwischen den EuGH, Rs. C-129 194, Slg. 1996, I-1829, Ruiz Bemaldez. Richtlinie 831 1891 EWG, ABI. 1983 L 109/8, geändert durch die Richtlinie 881 1821 EWG, ABI. 1988 L 81/75. 289 Vgl. Langenfeld, DÖV 1992,955 (960). 290 Coppel, IU 1997, 69; Craigl de Burca, EU Law, 209 ff.; Gassner; FS Oppermann, 503 (509 ff.); HilsonlDownes, ELRev. 1999, 121 (137); Stuyck, CMLRev. 1996, 1261 (1271). Ähnlich auch Jarass, Grundfragen, 80, der allerdings nicht auf die innerstaatlich Qualifikation der jeweiligen Rechtsnorm abstellen will. Siehe zudem auch Dougan, CU 2000, 586. 291 EuGH, Rs. C-91 192, Slg. 1994, I-3325, Faccini Dori. 292 EuGH, Rs. C-192/94, Slg. 1996, I-1281, EI Corte Ingles. 293 EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996, I-5403, Kraaijeve1d. 294 EuGH, Rs. C-194/94, Slg. 1996, I-2201, CIA Security. 295 Hilsonl Downes, ELRev. 1999, 121 (137). 296 EuGH, Rs. C-129 194, Slg. 1996, I-1829, Ruiz Bemaldez. 297 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia. 287 288

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht schlicht zu groß sind, und somit eine einheitliche Wirkung von Richtlinien in den Mitgliedstaaten nicht gewährleistet wäre?98 Dieser Mangel könnte überhaupt nur durch eine gemeinschaftsrechtliche Zuordnung, die bei der jeweiligen Richtlinie ansetzen müßte, gelingen. 299 Für die Relevanz einer solchen Abgrenzung gibt es aber auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs keine Hinweise. Die von Hilson / Downes 300 hierzu zitierte Passage des Urteils Kraaijeveld beinhaltet lediglich den Verweis auf die Möglichkeit der Normverwerfung aufgrund eines Überschreitens des dem Mitgliedstaat eingeräumten Ermessens (negative unmittelbare Wirkung), um die es im Ergebnis hier auch allein ging. 30l Auf Fragen der Zuordnung zu Privatrecht oder öffentlichem Recht geht der EuGH mit keinem Wort ein. dd) Fundamental Rights-Überlegungen Ein weiterer Ansatz versucht eine Abgrenzung danach, ob die belastende Wirkung die Beeinträchtigung eines fundamentalen Rechts (fundamental right) bewirkt, oder sich lediglich in der Abschneidung eines vordergründig prozessual bestehenden Rechts, z. B. wie im Falle CIA Security auf lauteres Verhalten des Konkurrenten im Wettbewerb, erschöpft. 302 Diese Überlegung ist strukturell dem Konzept der Doppelwirkung ähnlich, da sie auf primäre Schutzrichtungen von Richtlinienbestimmungen abstellt. Sie unterscheidet sich von ihr jedoch dadurch, daß sie zur Beurteilung, ob in ein fundamentales Recht eines einzelnen eingegriffen wird, auf die Rechtsposition des einzelnen nach nationalem Recht zurückgreifen muß und die Abgrenzung nicht allein aus der fraglichen Richtlinienbestimmung gewinnen kann. Zur Sicherung einer gemeinschaftsweiten einheitlichen Richtlinienwirkung wäre dann aber eine gemeinschaftsautonome Auslegung nationaler Rechtspositionen im Hinblick auf die Frage nach ihrer Fundamentalität notwendig. Auch hier ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, eine klare Abgrenzung zwischen fundamentalen und nicht-fundamentalen Rechten zu ziehen. Für den einzelnen mag im Einzelfall ein wenig fundamentales Recht wirtschaftlich deutlich bedeutsamer als ein streng dogmatisch wenig fundamentales sein. Ferner lassen sich durch diese Überlegungen die Urteile des Gerichtshofs in den Verfahren Ruiz Bemaldez und Unilever ltalia ebenfalls schwerlich erklären, es sei denn, man LenzlSijTyneslYoung, ELRev. 2000, 509 (515). So will Jarass, Grundfragen, 80, danach differenzieren, ob die Vorschrift einer Privatperson oder dem Staat gegenüber geltend gemacht werden. Damit ist für mittelbar belastende Wirkungen aber nichts gewonnen, da hier lediglich die Unterscheidung zwischen horizontalen und vertikalen Situation wiederholt wird. 300 Hilsonl Downes, ELRev. 1999, 121 (137). 301 Vgl. EuGH, Rs. C-72/95, Slg. 1996,1-5403, Kraaijeveld, Rn. 59. 302 Siehe hierzu grundlegend Lackhoffl Nyssens, ELRev. 1998, 397 (406 f.). 298

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A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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sieht Rechte, die sich aus Verträgen ergeben, generell nicht als fundamental an. Wieso sollte dann aber in Faccini Dori der Verkäufer die Ware nicht aufgrund der Richtlinie 85/577 /EWG 303 zurücknehmen müssen? Diese Unterscheidung ist daher im Ergebnis nicht geeignet, die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu systematisieren, geschweige denn zu erklären. ee) Beschränkung auf schützenswertes Vertrauen Eine weitere Überlegung bedient sich einer Anleihe im Beihilfenrecht der Gemeinschaft. 304 Dort ist das Vertrauen eines Beihilfenempfängers auf die Bestandskraft des begünstigenden Bescheides nur dann schützenswert, wenn er sich von der Rechtmäßigkeit der empfangenen Beihilfe mit kaufmännischer Sorgfalt überzeugt hat. 305 Insoweit käme eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien gegenüber Unternehmen in Betracht, die in der Lage sind, die Vereinbarkeit von sie begünstigendem nationalen Recht mit der Richtlinie festzustellen bzw. die zumindest Kenntnis von der Existenz der Richtlinie haben mußten?06 In Bezug auf diese Tatsache käme dann eine Exkulpationsmöglichkeit in Betracht, die von Kleinunternehmen und Privaten sicherlich leicht erfüllt würde. 30? Es bleibt jedoch völlig unklar, wie eine solche "delicate distinction ,,308 im Einzelfall getroffen werden soll. Diese Überlegung ist jedenfalls eher geeignet, die Zusammenhänge noch weiter zu verwirren, als sie aufzuhellen?09 ff) Unbeschränkte Zulassung der negativen unmittelbaren Wirkung

Der neueste Ansatz baut im wesentlichen auf der auch hier vertretenen Unterscheidung zwischen positiver und negativer unmittelbarer Wirkung auf,310 wie sie ABI. 1985 L 372 / 3l. Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998,397 (405 ff.). 305 Vgl. EuGH, Rs. C-5/89, Slg. 1990,1-3437, Kommission/Deutschland; Rs. C-169/95, Slg. 1997, 1-135, Spanien/Kommission; Rs. 24/95, Slg. 1997, 1-1591, A1can. Siehe dazu Cremer, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 88, Rn. 21 ff. 306 Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998,397 (409). 307 Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998,397 (410). 308 Lackhoff/Nyssens, ELRev. 1998,397 (410, Fn. 50), die zugleich diese Probleme zugestehen. 309 Man stelle sich nur beispielhaft vor, daß der EuGH dann zusätzlich noch mit Fragen nach der Erfüllung dieses Abgrenzungskriteriums befaßt werden würde. 310 Lenz/Sij Tynes/Young, ELRev. 2000, 509; Prechal, CMLRev. 2000, 1047; Stuyck/ llYtinck, CMLRev. 1991,205 (212 ff.); Stuyck, CMLRev. 1996, 1261 (1272). Ebenso bereits auch Timmermans, CMLRev. 1979, 533 (544 ff., 551). Ähnlich auch Gundei, EuZW 2001, 143, der sich in seinem Ansatz jedoch auf die Nichtanwendung staatlicher Verbotsgesetze beschränkt. Siehe ebenfalls bereits Prechal, Directives, 299, m. w. Nachw. Die Relevanz der Unterscheidung durch den Gerichtshof sieht auch Oeseh, AJP 2001, 1158 (1165), lehnt sie 303

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jüngstens ebenfalls von mehreren Generalanwälten betont wurde. 3ll Danach beschränkt sich das Verbot auf die positive horizontale unmittelbare Wirkung. Die Möglichkeit, zum Nachteil einer Prozeßpartei oder generell eines Dritten die Unanwendbarkeit nationaler Rechtssätze - einschließlich privatrechtlicher Rechtsgeschäfte - wegen Verstoßes gegen Richtlinienbestimmungen geltend zu machen, besteht in horizontalen Konstellationen hingegen uneingeschränkt. 3l2 Als theoretische Grundlage für diese Unterscheidung wird insbesondere auf das Werk Hohjelds 313 und die darin getroffene Differenzierung zwischen "Gegenstücken" und "Gegenteilen" von "Rechten" und "Immunitäten", abgestellt. 3l4 Dabei wird neben der auch hier dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofs, bei der es in der Tat immer um die Außerachtlassung von nationalen Rechtssätzen aufgrund eines Verstoßes gegen Richtlinienbestimmungen und damit um eine negative unmittelbare Wirkung ging, die Judikatur des Gerichtshofs hinsichtlich des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts angeführt. Danach läßt sich eine Vielzahl von Urteilen finden, in denen die Unanwendbarkeit nationaler Vorschriften wegen Verstoßes gegen Richtlinien festgestellt wurde, ohne daß das Problem der unmittelbaren Wirkung überhaupt thematisiert wurde?l5 Das der vorliegenden Darstellung zu Grunde liegende Verständnis der unmittelbaren Wirkung, das wie gezeigt auch der Rechtsprechung des EuGH entspricht, umfaßt jedoch ebenfalls diese negative unmittelbare Wirkung. Zudem wurde beispielhaft an den Fällen zur Nichtanwendung technischer Vorschriften gezeigt, daß weitgehend sehr ähnliche Sachverhalte manchmal unter der Überschrift "unmittelbare Wirkung" behandelt werden und manchmal nicht.

c) Stellungnahme

Mit Ausnahme des letztgenannten Ansatzes vermögen die genannten Abgrenzungsmodelle jeweils nur einzelne Fallgruppen belastender unmittelbarer Richtlinienwirkungen zu erklären. Maßgeblich ist in horizontalen Prozeßkonstellationen jedoch als ungerechtfertigt ab (a. a. 0., 1166 f.). Der Gedanke findet sich im übrigen auch schon bei Langenfeld, DÖV 1992, 955 (964), zur Funktion der Richtlinie als Maßstabsnorm (negative unmittelbare Wirkung), zu dem sie allerdings eine eher ablehnende Haltung vertritt. Ebenso bereits Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 444 ff. 3ll Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-287 /98, Slg. 2000, 1-69l7, Linster; Schluß anträge des GA Alber zur Rs. C-343 / 98, Slg. 2000, 1-6659, Collino, Nr. 29 f.; besonders ausführlich Schlußanträge des GA Saggio zu den verb. Rs. C-240 bis 244/98, Slg. 2000, 1-4941, Oceano. Siehe früher bereits auch schon Schlußanträge des GA van Gerven zur Rs. C-I 06 / 89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Nr. 8. 312 Lenz/SifTynes/Young, ELRev. 2000, 509 (518). 313 Hohfeld, Fundamental Legal Conceptions. 314 Hilson/Downes, ELRev. 1998, 121; Lenz/SifTynes/Young, ELRev. 2000, 509 (516); (1057). Die englischen Begriffe lauten "jural opposites", "jural correlatives", "rights" und "immunities", vgl. Hilson/Downes, ELRev. 1998,121 (122). 315 Siehe dazu oben Teil 2, A., III, 2., d).

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allein, ob eine belastende negative oder positive unmittelbare Wirkung in Frage steht. Der EuGH bestätigt zumindest indirekt die Richtigkeit dieser Unterscheidung, allerdings nicht in dem Verfahren Linster, in dem der Generalanwalt Leger diese betont hatte,316 sondern in dem Urteil Unilever Italia. In Linster wird lediglich auf die ständige Rechtsprechung verwiesen, nach der es mit der verbindlichen Wirkung von Richtlinien unvereinbar wäre, Betroffenen die Berufung auf diese zu verwehren, und daher Gerichten die Möglichkeit gegeben sein muß, zu überprüfen, inwieweit der nationale Gesetzgeber bei der Umsetzung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat. 317 Allein diese Passage unterstützt jedoch mehrere der hier vertretenen Thesen. Zum einen zeigt die Formulierung sowohl hinsichtlich Begründung (verpflichtende Wirkung) wie Rechtsfolge (Berufungsmöglichkeit), daß es bei der hier in Rede stehenden Legalitätskontrolle um eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie geht. Bestätigt wird dies zudem durch den Rechtsprechungsverweis auf Urteile, die klassischerweise zur unmittelbaren Wirkung gerechnet werden?18 Darüber hinaus bestätigt der EuGH auch die allein negativ wirkende Voraussetzung der Ermessensüberschreitung für die negative unmittelbare Wirkung?19 Noch deutlicher wird die Differenzierung aber in dem Urteil Unilever Italia untermauert: "Zwar kann, wie die italienische und die dänische Regierung ausgeführt haben, eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen einzelner begründen und daher nicht als solche ihnen gegenüber herangezogen werden [... ]; diese Rechtsprechung gilt jedoch nicht für den Fall, daß die Nichtbeachtung der Artikel 8 oder 9 der Richtlinie 83/189, die einen wesentlichen Verfahrensfehler darstellt, die Unanwendbarkeit der unter Verstoß gegen einen dieser Artikel erlassenen technischen Vorschrift nach sich zieht,,?20 [Hervorhebung hinzugefügt] "In einem solchen Fall legt die Richtlinie 83/189 - anders als bei der Nichtumsetzung von Richtlinien, um die es in der von den bei den Regierungen zitierten Rechtsprechung ging - keineswegs den materiellen Inhalt der Rechtsnorm fest, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat. Sie begründet weder Rechte noch Pflichten für einzelne.,,321

Zuerst bestätigt der EuGH hiermit das Verbot der horizontalen positiven unmittelbaren Wirkung (" ... und daher nicht als solche ihnen gegenüber herangezogen werden."). Sodann stellt er fest, daß diese Rechtsprechung nicht für den Fall gilt, daß die Unanwendbarkeit einer nationalen Vorschrift geltend gemacht wird (negative Wirkung), die unter Verstoß gegen die Richtlinie 83/ 189 zustande gekommen ist. Begründet wird dies damit, daß die Richtlinie in einer solchen 316 In diesem ergaben sich auch keine unmittelbar belastenden Wirkungen für einzelne. 317 EuGH, Rs. C-287/98, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32. In dem Verfahren ging es auch nicht um eine horizontale Wirkung. 318 Vgl. EuGH, Rs. C-287/98, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32 und Oldenbourg, Unmittelbare Wirkung, 96 ff. 319 EuGH, Rs. C-287/98, Slg. 2000, 1-6917, Linster, Rn. 32 ff. 320 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 50. 321 EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 51.

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Konstellation nicht den materiellen Inhalt der Norm festlegt, auf deren Grundlage das nationale Gericht den Rechtsstreit entscheidet. Aus dem Nachsatz, demzufolge sie weder Rechte noch Pflichten für einzelne begründe, muß gefolgert werden, daß eine solche Pflichtbegründung für einzelne nur durch eine positive Anwendung überhaupt möglich ist. Hingegen kann die negative Wirkung lediglich dazu führen, daß Rechte des einzelnen verkürzt oder gegebenenfalls nach nationalem Recht bestehende Pflichten durch den Wegfall unzulässiger Beschränkungstatbestände erweitert werden. Hierin liegt zugleich ein Problem dieses Erklärungsmodells begründet, das auch Langenfeld bereits erkannt hatte. 322 Für den einzelnen ist es im Ergebnis nämlich gleichgültig, ob eine für ihn günstige Beschränkung beispielsweise eines Haftungstatbestandes wegfällt, oder ob seine Haftung positiv neu begründet wird. Entscheidend hängt dies letztlich von dem im nationalen Recht zu findenden Rege1-Ausnahmeverhältnis ab?23 Theoretisch findet diese Unterscheidung jedoch eine Grundlage im Gesetzesvorbehalt, da wie der EuGH selber feststellt - die materielle Grundlage für eine Verpflichtung und somit einen Eingriff bei dieser Konstruktion immer im nationalen Recht liegt. 324 Hierdurch wird zugleich ein Folgeproblem der Unterscheidung kenntlich, welches darin zu sehen ist, daß die gemeinschaftsweite einheitliche Anwendung der Richtlinienbestimmungen durch diese Abhängigkeit vom nationalen Regelungsrahmen beeinträchtigt werden muß. 325 Letzten Endes kann aber sowieso nur eine ordnungsgemäße Umsetzung und Anwendung durch die Mitgliedstaaten diese umfassend verbürgen, so daß diese "Anfälligkeit" für das nationale RegelAusnahme-Verhältnis hingenommen werden muß. Schwerer wiegt hingegen der praktische Vorwurf, daß sich eine gewisse Willkürlichkeit im Ergebnis für den einzelnen nicht verneinen läßt. 326 Diese resultiert aber im wesentlichen aus den in der nationalen Rechtsordnung getroffenen Entscheidungen über Regeln und Ausnahmen, Erlaubnisse und Verbote. Hingegen vermag die Berufung auf das Werk Hohfelds nicht zu überzeugen?27 Es erscheint äußerst zweifelhaft, das den Urteilen des Gerichtshofs derart abstrakte Überlegungen vorausgegangen sein sollten. Eine etwas pragmatischere Sichtweise vermag möglicherweise einen plausibleren Beitrag zum Verständnis der Rechtsprechung zu liefern. Im Prinzip läßt sich auch das privatrechtliche Rechtsverhältnis in der Prozeßsituation als Dreieckskonstellation verstehen, in der jeder Anwendung eines Rechtssatzes jeweils eine Doppelwirkung zukommt, welche für die eine Partei Langenfeld, DÖV 1992,955 (964). So auch Prechal, Directives, 299 f. 324 Vgl. EuGH, Rs. C-443 /98, Slg. 2000, 1-7535, Unilever Italia, Rn. 51. 325 So auch Prechal, CMLRev. 2000,1047 (1068). 326 Ebenso auch Steindorff, FS Everling, 1455 (1460 f.) sowie Oeseh, AJP 2001, 1158 (1167). 327 So ähnlich auch Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1058), die diesen Ansatz als lediglich eine Sicht der Dinge bezeichnet. 322

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A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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günstig, für die andere ungünstig ist. 328 In diesem Sinne bedeutet die Anwendung eines Rechtssatzes durch ein Gericht ein "auf die Seite des durch den Rechtssatz Begünstigten treten". Aus der Dreieckskonstellation wird jeweils eine vertikale, in der das Gericht (und eine Prozeßpartei) der anderen Prozeßpartei gegenübertreten. Nach dem Verständnis des Gerichtshofs sind die nationalen Gerichte aber Träger öffentlicher Gewalt genauso wie die anderen Gewalten und somit "Staat" im Sinne der Marshall-Rechtsprechung?29 Für dieses vertikale Verhältnis gelten hinsichtlich der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien nunmehr die gleichen Grundsätze wie für andere vertikale Situationen auch. Der Bürger kann die Anwendung einer richtlinienwidrigen nationalen Vorschrift abwehren (vertikale Wirkung). Zum anderen kann ihm vom Gericht aber auch nicht eine nichtumgesetzte Richtlinie entgegengehalten werden (Verbot der umgekehrt vertikalen Wirkung). Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu einfachen vertikalen Situationen begründet. In diesen kann der einzelne auch Rechte gegenüber dem Staat geltend machen, die ihm in der Richtlinie eingeräumt werden. Er hat jedoch keinen Anspruch darauf, das der Staat und damit die Gerichte ihm bei der Geltendmachung solcher in Richtlinien angelegten Rechte gegenüber Dritten behilflich sind, da diese dem Staat die Nichtumsetzung der Richtlinie entgegenhalten können. Die verpflichtende Wirkung der Richtlinie verbietet somit dem Staat in der Gestalt der Gerichte, im Einzelfall dem zum "Unrecht" zu verhelfen, der sich auf richtlinien widrige nationale Vorschriften beruft. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes bzw. das estoppel-Prinzip verbieten es andererseits, zu Lasten eines einzelnen im Prozeß eine Richtlinienbestimmung positiv anzuwenden, da sich damit der Staat in Form des Gerichts gleichsam auf eine Vorschrift berufen würde, die er selbst nicht umgesetzt hat. Es bedarf aber nun noch die Frage der Klärung, wie sich beispielsweise die Pflichten der Behörden aus der UVP-Richtlinie in dieses Modell einfügen lassen, und wie dementsprechend die Rechtslage in einem Verfahren zwischen Verwaltung und Anlagenbetreiber zu werten wäre. Der zukünftige Anlagenbetreiber kann die drittanfechtungsfeste Genehmigung einer Anlage nämlich nur dann sicherstellen, wenn er beispielsweise alle zur Durchführung einer UVP nötigen Informationen zur Verfügung stellt und Einblick in Unterlagen gewährt, ganz abgesehen davon, daß das Projekt an sich gegebenenfalls höheren baulichen Anforderungen Rechnung tragen muß. Aber auch durch die Anwendung der UVP-Richtlinie in solchen Verfahren durch die Verwaltung wird keine eigenständige Verpflichtung des Anlagenbetreibers zu irgendeinem Handeln begründet. 330 Die Verwaltung selber erläßt 328 Dies liegt wiederum - einfach formuliert - darin begründet, daß der Rechtsstaat seinen Bürgern die eigene Rechtsdurchsetzung per Faustrecht verbietet, im Gegenzug dafür (und somit für das Gewaltmonopol des Staates) jedoch einen Anspruch des Bürgers gegen den Staat erschafft, ihm zur Durchsetzung rechtmäßiger Ansprüche zu verhelfen. 329 Vgl. dazu oben Teil 2, A., v., 3. Ähnlich auch Steindorff, EG-Vertrag und Privatrecht, 445. Dies wird nun auch durch die Schlußanträge des GA Leger in der Rs. C-224/01 - Gerhard Köbler bestätigt, in denen der GA einen Staatshaftungsanspruch auch für judikative Verletzungen des Gemeinschaftsrechts fordert. 330 Ebenso Albin, NuR 1997,29 (31).

6 Hemnann

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

gegebenenfalls belastende Verwaltungsakte nämlich nicht auf der Grundlage der UVP, sondern nach allgemeinem Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht. Der Anlagenbewerber muß lediglich die faktische Wirkung ertragen, daß die Verwaltung bei der Prüfung des Antrages einen anderen Maßstab anlegt. Dadurch wird aber keine selbständig gerichtlich durchsetzbare Verpflichtung begründet, deren Nichterfüllung bestimmte negative Rechtsfolgen für den einzelnen haben könnte. Es werden lediglich die Tatbestandsvoraussetzungen für die Erteilung eines begünstigenden Verwaltungsaktes verschärft. Einer positiven Anwendung der UVPRichtlinie gegenüber dem Anlagenbetreiber bedarf es nicht, da diese selbst keine Verpflichtungen des Anlagenbetreibers statuiert. Eine solche Anwendung wäre in der Tat weiterhin ausgeschlossen. So verstanden liegt eine Verpflichtung i. S. d. Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann vor, wenn eine Richtlinienbestimmung ein Tun oder Unterlassen von einzelnen verlangt, das der Staat oder Dritte gerichtlich gegen diese durchsetzen können. Hingegen fehlt es an einer solchen Verpflichtung, wenn lediglich die Voraussetzungen der Geltendmachung eines eigenen Rechtes (z. B. eine Anlage zu errichten) durch Richtlinienbestimmungen verschärft werden. Wie sieht es aber hinsichtlich technischer Vorschriften wie in den Fällen Piagerne 33 ! und Unilever Italia 332 aus? Kann aufgrund der Richtlinienwidrigkeit der italienischen Etikettierungsvorschriften nunmehr jedwedes Produkt als Olivenöl verkauft werden, da dem einzelnen die italienischen Vorschriften nicht entgegen gehalten werden können, nicht umgesetzte Richtlinienbestimmungen, die eine andere Etikettierungspflicht begründen aber wegen des Verbotes der umgekehrt vertikalen unmittelbaren Wirkung ebenfalls nicht anwendbar wären? Hier wird man wohl eine Zusammenschau unter dem Aspekt des widersprüchlichen Verhaltens vornehmen müssen, so daß derjenige, der sich gegen italienisches Recht auf eine Richtlinienvorschrift beruft, zumindest deren Voraussetzungen dann gegen sich gelten lassen muß?33 Hinsichtlich des formalen Verstoßes gegen die Informationsrichtlinie als Grund der Nichtanwendbarkeit erscheint dies jedoch wiederum problematisch, soweit es an einer materiellrechtlichen Regelung im Gemeinschaftsrecht fehlt. Hier hängt allerdings sehr viel vom Einzelfall ab. Oft wird zumindest auch eine richtlinienkonforme oder gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts (unter Ausschluß der richtlinienwidrigen Vorschrift) in Betracht kommen?34 Im Ergebnis kommt es also nicht zu einer unterschiedlichen Behandlung der jeweiligen Richtlinienvorschriften abhängig von der Prozeßkonstellation, wie Lenz/ Sif Tynes / Young zu glauben scheinen?35 Das wäre auch ein, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Einheitlichkeit der Rechtsanwendung, abzulehnendes Ergebnis. 331 332 333 334

335

EuGH, Rs. C-85 194, Slg. 1995,1-2955, Piagerne. EuGH, Rs. C-443 198, Slg. 2000, 1-7535, Unilever 1talia. Siehe als Beispiel EuGH, Rs. C-85 194, Slg. 1995,1-2955, Piagerne, Rn. 27 ff. Siehe dazu unten Teil 2. A. III. Lenz/SijTynes/Young, ELRev. 2000, 509 (520).

A. Unmittelbare Wirkungen von Richtlinien

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In den Kategorien deontischer Logik läßt sich dieses Resultat auch folgendermaßen zusammenfassen: Für eine unmittelbare Wirkung eignen sich nur Richtlinienvorschriften, die ein an den Staat gerichtetes Gebot oder Verbot enthalten, keinesfalls jedoch Rechtssätze, deren Adressaten sowohl hinsichtlich Gebot wie Verbot allein Private sein können. Gegebenenfalls muß die Staatsbezogenheit erst im Auslegungswege ermittelt werden, wenn z. B. eine Richtlinie vorgibt, daß ein bestimmtes Verhalten Privater nicht verboten sein darf. Dieser Rechtssatz enthält das Verbot, das Verhalten zu verbieten, bzw. das Gebot, es zu erlauben, je nachdem, ob das Verhalten bisher erlaubt oder verboten war. Zur Untermauerung der hier vertretenen Auffassung sei zudem kurz ein Gegenbeispiel genannt, in dem der EuGH die positive unmittelbare Wirkung in einer horizontalen Konstellation ablehnte, obgleich die entsprechenden Verpflichtungen bereits im nationalen Recht begründet waren und die positive Anwendung allein den Kreis der Berechtigten, die diese geltend machen konnten, erweitert hätte. Im Verfahren Daihatsu 336 hatte der Verband deutscher Daihatsu-Händler eV beim Amtsgericht Kempen den Antrag gestellt, der Daihatsu Deutschland GmbH unter Androhung von Zwangsmaßnahmen aufzugeben, ihre lahresbilanz vorzulegen?3? Nach § 335 Satz 1 Nr. 6 HGB in der maßgeblichen Fassung338 konnte ein derartiger Antrag aber lediglich durch einen Gesellschafter, Gläubiger oder den Betriebsrat gestellt werden?39 Da die Aufzählung im deutschen HGB abschließend und genau war, hätte es einer positiven Anwendung des Artikels 6 der Richtlinie 68/151 /EWG bedurft, in welcher der Auskunftsanspruch allgemein Dritten zuerkannt war. Eine solche wies der EuGH in diesem Verfahren unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung zum Verbot der horizontalen unmittelbaren Wirkung allerdings kurz und knapp zurück. 34o Wäre der Maßstab für die Zulässigkeit einer unmittelbaren Wirkung ein Eingriff in Rechtspositionen des einzelnen oder die Doppelwirkung einer Maßnahme, so hätte man in diesem Fall wohl durchaus eine unmittelbare Wirkung bejahen können, da die materiellrechtliche Pflicht zur Veröffentlichung der Bilanz ja ohnehin im HGB niedergelegt war. Aller Voraussicht nach wird der hier vertretenen Ansicht entgegengehalten werden, daß einige der zentralen Fälle, in denen der Gerichtshof nach Ablehnung der unmittelbaren Wirkung die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung entwikkelte, ebenfalls durch eine solche negative unmittelbare Wirkung hätten gelöst werden können. 341 Für die Erörterung dieser Einwände muß an dieser Stelle auf EuGH, Rs. C-97 /96, Slg. 1997,1-6843, Daihatsu. EuGH, Rs. C-97 /96, Slg. 1997,1-6843, Daihatsu, Rn. 2. 338 § 335 HGB wurde durch das Kapitalgesellschaften-und Co-Richtlinie-Gesetz im Jahr 2000 geändert, BGBL 1 2000, S. 154. 339 EuGH, Rs. C-97 /96, Slg. 1997,1-6843, Daihatsu, Rn. 4. 340 EuGH, Rs. C-97 /96, Slg. 1997,1-6843, Daihatsu, Rn. 24 ff. 341 Jüngst wurde dieser Einwand sogar von einem Befürworter der hier vertretenen Auffassung vorgetragen, vgl. Stuyck, CMLRev. 2001, 719 (735). 336 337

6*

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

die späteren Abhandlungen zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung verwiesen werden, dessen Dogmatik einer umfassenderen Entfaltung bedarf. Im Ergebnis greifen sie jedenfalls nicht. 342

VI. Kritik an der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur unmittelbaren Wirkung in der Literatur Prinzipiell ist die unmittelbare Wirkung mittlerweile allgemein in Literatur und Rechtsprechung anerkannt. 343 Die Kritik, welche weiterhin am EuGH geübt wird, beinhaltet in aller Regel den Vorwurf der Inkonsequenz im Hinblick auf die belastende Wirkung für Private. 344 Die Befürworter einer weiterreichenden unmittelbaren Wirkung führen dafür hauptsächlich effet utile-Überlegungen an, die auch in horizontalen Verhältnissen zuträfen. 345 Zudem könne allein eine umfassende und allgemeine Zuerkennung auch von horizontalen Wirkungen Rechtssicherheit schaffen. 346 Diejenigen, denen bereits jetzt die belastenden Wirkungen für einzelne zu weit reichen, kritisieren dies unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und des estoppel-Arguments. 347 Darüber hinaus würde die Unterscheidung zwischen Richtlinie und Verordnung völlig verwischt und damit gegen den Wortlaut von Art. 249 Abs. 2 und 3 EGV verstoßen. 348

VII. Zusammenfassende Stellungnahme zur unmittelbaren Wirkung Insgesamt betrachtet weist die hier vertretene Ansicht große Vorteile auf, da sie geeignet ist, die lange Zeit getrennte Wege gehende Diskussion um Vorrang des Gemeinschaftsrechts auf der einen Seite, und unmittelbare Wirkung von Richtlinien auf der anderen zusammenzuführen,349 und aus dieser Position heraus konsiSiehe dazu ausführlich unten Teil 2, B., VI., 2., a). Vgl. hierzu anstelle aller Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 72 mit umfangreichen Nachweisen. 344 So ausdrücklich Grabitz, in: Grabitz I Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 189, Rn. 61a. Siehe umfassend zu den vorgetragenen Argumenten Craig, ELRev. 1997, 519. 345 Emmert, EWS 1992,56 (66). 346 Emmert, EWS 1992,56 (65 f.). 347 So beispielsweise Haneklaus, DVBI. 1993, 129 (133); Leonard, Rechtsfolgen, 87. Dagegen Emmert, EWS 1992, 56 (66); Müller-Graf!, DRiZ 1996, 305 (308); Winter, DVBI. 1991,657 (665 0. 348 So beispielsweise Emmert, EWS 1992,56 (64). 349 LenzlSifTyneslYoung, ELRev. 2000, 509 (520 ff.). Sehr deutlich wird diese getrennte Behandlung beispielsweise bei de Witte, Nature of the Legal Order, 187 ff., der die unmittelbare Wirkung als Pflicht zur Anwendung und den Vorrang des Gemeinschaftsrechts unmittelbar im Anschluss als Pflicht zur Nichtanwendung bezeichnet. 342 343

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stent die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu systematisieren. Zugleich wird dadurch der Streit hinsichtlich der Frage, ob allein unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht oder auch sonstiges Gemeinschaftsrecht Vorrang hat,350 zu Gunsten der ersteren Ansicht entschieden. Dabei wird jedoch ein weiterreichendes Verständnis der unmittelbaren Wirkung zu Grunde gelegt, das sich nicht auf die Begründung subjektiver Rechte für einzelne, die durch eine positive Anwendung von nicht umgesetzten Richtlinienbestimmungen zur Entfaltung gebracht werden, beschränkt. Statt dessen wird die unmittelbare Wirkung als Normalzustand nicht oder fehlerhaft umgesetzter Richtlinien verstanden, wobei der Verstoß gegen die Um setzungsverpflichtung sich gerade nur bei hinreichender Bestimmtheit und inhaltlicher Unbedingtheit wird feststellen lassen. Welche konkrete Folge die unmittelbare Wirkung im Einzelfall erzeugt, hängt im wesentlichen von der jeweiligen Konstellation ab,35J zudem aber auch vom Schutzzweck der fraglichen Richtlinienbestimmung?52 Unmittelbar wirkenden Richtlinien kommt letztlich die gleiche Stellung in der nationalen Rechtsordnung zu wie zwingendem nationalem Recht,353 mit der Besonderheit, daß eine positive Anwendung von Richtlinienvorschriften zu Lasten von einzelnen grundsätzlich ausgeschlossen ist. Die hier vertretene Auffassung vermeidet darüber hinaus die schwierigen Probleme, die sich aus der Fokussierung auf Individualrechte aufgrund der Unterschiedlichkeit der Rechtstraditionen in den einzelnen Mitgliedstaaten ergeben und knüpft damit auch an ein schon lange bestehendes weites Verständnis von der unmittelbaren Wirkung an?54 Die Kritik an der Rechtsprechung des EuGH verkennt, daß dieser die unmittelbare Wirkung nicht auf einen einzelnen Argumentationsstrang stützt, sondern mehrere Überlegungen gleichberechtigt nebeneinander stellt. 355 Das Spannungsverhältnis zwischen Effektivität des Gemeinschaftsrechts, Umsetzungsrecht und -verpflichtung der Mitgliedstaaten sowie Gesetzesvorbehalt356 und Gewaltenteilung wird nicht einseitig aufgelöst, sondern ist einem dialektischen Regel-AusnahmePrinzip unterworfen. Danach ist die Umsetzungsbedürftigkeit der Regelfall, durch die dem Gestaltungsrecht der Mitgliedstaaten Rechnung getragen wird. Verstoßen sie jedoch gegen dieses, setzt sich der effet utile-Gedanke in der Regel durch, es sei denn, ein Verstoß ist mangels Bestimmtheit oder Unbedingtheit nicht feststellbar und eine unmittelbare Wirkung würde somit das Gewaltenteilungsprinzip verletzen. Diese Regel wird wiederum dann durchbrochen, wenn schutzwürdiges VerSiehe hierzu Scherzberg, Jura 1993, 225 (229) m. w. Nachw. Vgl. dazu oben Teil 2, B., IV. 352 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-226/97, Sig. 1999,1-3711, Lemmens, mit Anmerkung von Streinz, JuS 1999,599. 353 So auch Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1068). 354 Siehe beispielsweise Bleckmann, L'applicabilite directe; Pescatore, ELRev. 1983, 155; Prechal, Directives, 276; Timmermans, CMLRev. 1979,533. 355 So ebenfalls Royla/Lackhoff, DVBI. 1998, 1116 (1118). 356 Siehe insbesondere zum Gesetzesvorbehalt in dieser Hinsicht Royla/ Lackhoff, DVBI. 1998, 1116 (1118 f.). 350 351

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

trauen einzelner gegen eine unmittelbare Wirkung spricht, wobei hierfür der Maßstab im Gesetzesvorbehalt zu sehen ist, weswegen allein eine positive unmittelbare Wirkung gegenüber dem einzelnen ausscheidet. Richtlinien stellen somit von den nationalen Gerichten anzuwendendes Recht dar, insoweit sie im Hinblick auf den jeweiligen Anwendungszweck justiziabel sind, wobei der Zweck entweder die Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines nationalen oder die positive Anwendung eines in einer Richtlinienvorschrift enthaltenen Rechtssatzes sein kann. Gegebenenfalls können beide Zwecke auch nebeneinander gegeben sein. Eine Anwendung erübrigt sich, wenn ein entsprechender Rechtssatz dem nationalen Recht entnommen werden kann, bzw. wenn keine Kollision zwischen nationalem Rechtssatz und Richtlinienvorschriften feststellbar ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Richtlinienvorschrift für eine derartige Feststellung nicht hinreichend bestimmt oder inhaltlich nicht unbedingt ist. Darüber hinaus darf eine Richtlinienvorschrift nicht positiv herangezogen werden, wenn damit die Durchsetzung einer Verpflichtung eines einzelnen erreicht werden soll. Abgesehen von dieser Einschränkung sind unmittelbar wirkende Richtlinien genauso zu behandeln wie zwingendes nationales Recht. Einer verbreiteten Auffassung zufolge kommt Richtlinien allgemeine unmittelbare Geltung in der nationalen Rechtsordnung zu und sie haben umfassend am Vorrang des Gemeinschaftsrechts tei1. 357 Brechmann hat diese Ansätze überzeugend widerlegt, so daß auf eine ausführliche Auseinandersetzung hier verzichtet werden kann. 358 Entscheidend ist letztlich, daß Richtlinien nicht die Fähigkeit zukommt, mit unmittelbarer Wirkung Pflichten von einzelnen zu begründen. Damit fehlt Richtlinien aber ein wesentliches Element einer allgemeinen unmittelbaren Geltung, wie sie Verordnungen zukommt. Auch ließe sich die Umsetzungsverpflichtung nicht mehr sinnvoll begründen, wenn Richtlinien bereits allgemeine Geltung in den Mitgliedstaaten zukäme. Die Auswirkungen von Richtlinien im nationalen Recht ergeben sich allein aus der rechtsfortbildenden Rechtsprechung des Gerichtshofs, nicht aber aus einer bestimmten normativen Qualität von Richtlinien. 359 Zwar folgt aus der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinienbestimmung zwingend ihre Geltung,360 aber die Rechtsprechung des Gerichtshofs kann nicht dahingehend verallgemeinert werden, daß aus der beschränkten unmittelbaren Wirkung einzelner Richtlinienbestimmungen die allgemeine normative Geltung von Richtlinien folgt. 361

357 Vgl. zur umfassenden Darstellung dieser Auffassung Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 131 ff. 358 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 168 ff., 205 ff. 359 Leonard, Rechtsfolgen, 75. 360 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 188; Steiner; LQR 1982,233. 361 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 188; Karoff, RabelsZ 1984, 649 (664 ff.).

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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Insgesamt stellt sich die Rechtsprechung des EuGH, entgegen vielfachen Vorwürfen, als ausgewogene Balance zwischen einander teilweise widerstrebenden Interessen und Prinzipien dar. Der Unterschied zwischen Verordnung und Richtlinie wird keineswegs verwischt, da es dabei bleibt, das allein Verordnungen echte Verpflichtungen einzelner begründen können und allein Richtlinien den Mitgliedstaaten die Chance bieten, das Regelungsprogramm in die nationale Dogmatik einzufügen. Das als Folge der unmittelbaren Wirkung bestehende Gebot, Richtlinien weitreichend wie zwingendes nationales Recht zu behandeln, macht allerdings bereits deutlich, das dem nationalen Prozeßrecht eine besondere Bedeutung zukommt. Insofern ist die unmittelbare Wirkung auf das Engste mit den gemeinschaftsrechtlichen Geboten der Äquivalenz und der Effektivität hinsichtlich der zur Durchsetzung gemeinschaftsrechtlicher Rechtspositionen zur Verfügung zu stellenden prozessualen Regeln verknüpft,362 ein Umstand, dem in der Literatur zunehmend Rechnung getragen und auf den noch einzugehen sein wird. 363

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts I. Überblick

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seit 1984 obliegt es allen innerstaatlichen Trägem öffentlicher Gewalt, die zur Erreichung der in einer Richtlinie festgelegten Ziele notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. 1 Der EuGH hat demzufolge die Pflicht aufgestellt, "daß ein nationales Gericht, das das nationale Recht - ob es sich nun um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt - bei dessen Anwendung auszulegen hat, seine Auslegung soweit wie möglich am Wortlaut und am Zweck der Richtlinie ausrichten muß, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen und auf diese Weise Artikel 249 Abs. 3 EGV nachzukommen.,,2

Überlegungen, daß nationales Recht bei seiner Anwendung vom Richter "richtlinienkonform" auszulegen sei, sind allerdings keineswegs neu, sondern wurden 362 Vgl. Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1068 f.). 363 Vgl. dazu unten Teil 2., D. 1 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit Rs. 14 183, Sig. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26; Rs. C-106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 26; Rs. C-76/97, Sig. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 25; Rs. C-365/98, Slg. 2000,1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40; Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 16. 2 Ständige Rechtsprechung des EuGH seit Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-334/92, Sig. 1993, 1-69ll, Wagner Miret, Rn. 20; Rs. C-91 192, Slg. 1994,13325, Faccini Dori, Rn. 26; Rs. C-365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40; Rs. C456/98, Slg. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 16.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

bereits in der europarechtlichen Literatur seit den 60er Jahren von verschiedenen Autoren vorgebracht,3 bevor der EuGH in zulässiger rechtsfortbildender Rechtsprechung 4 eine dahingehende Pflicht entwickelte. Diese ist dem Grundsatz nach von Lehre und Rechtsprechung anerkannt. 5 Ungeachtet von mittlerweile annähernd vierzig Jahren Forschung zur Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts wirft dieses Institut noch immer eine Fülle von Fragen auf, die auf eine zufriedenstellende Lösung warten, oder deren Beantwortung umstritten ist. 6 Dies ist besonders mißlich, da die richtlinienkonforme Auslegung eine viel weitreichendere Wirkung auf die nationale Rechtsanwendung im Regelungsbereich von Richtlinien hat als die unmittelbare Wirkung,? die nur bei unzureichender Umsetzung in nationales Recht in Betracht kommt. 8 Der Anstoß zur richtlinienkonformen Auslegung ging zu Beginn weniger vom EuGH denn von den nationalen Gerichten aus, die im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens um die Auslegung bestimmter Richtlinienvorschriften ersuchten, die sie als wesentlich für die Auslegung entscheidungsrelevanter nationaler Normen erachteten. Diese Entwicklung setzte kurz nach der Leberp!ennig-Urteil9 des Gerichtshofs zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien ein. 10 Während der EuGH 3 Vgl. Grabitz, Gemeinschaftsrecht, 118; dens., EuR 1971, I (19); lpsen, FS Ophüls, 67 (83) m. w. Nachw.; Rambow, DVBI. 1968,445 (453); Zuleeg, ZGR 1980,466 (478). 4 Vgl. BVerfGE 75, 223 (237). 5 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 127 ff.; Campbell, NILQ 1992,330; Canaris, FS Bydlinski, 47 (49); Franzen, Privatrechtsangleichung, 294; Ruffert, in: Calliessl Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 107, jeweils mit umfangreichen Nachweisen. Zur Anerkennung und Anwendung auch in den anderen Mitgliedstaaten siehe Klamert, Richtlinienkonforme Auslegung, 68 ff. (Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Österreich); Manger, Richtlinienkonforme Auslegung, 154 ff. (Deutschland, Vereinigtes Königreich); Afonso, Rapport Portugais, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 367 (378 f.); Barone, Rapport Italien, XVIII. FIDE Kongress, 1998,313 (324); Condou/Triantafyllou, Rapport Grec, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 249 (256 f.); Desmazieres de Seche lies, Rapport Fran~ais, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 237 (243); Diez-Hochleitner, Rapport Espagnol, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 185 (201); Eliasson/ Abrahamsson/ Mattsson, Rapport Suedois, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 391 (397 f.); Gilliaux, Rapport Beige, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 95 (108 ff.); Donner et aliter, Rapport Neerlandais, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 333 (343 ff.); Hatje, Rapport Allemand, XVIII. FIDE Kongress, 1998,39 (47 ff.); Raitio/Aalto, Rapport Finlandais, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 215 (224 f.); Stix-Hackll Kirschbaum/ Madner, Rapport Autrichien, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 59 (69 ff.); Travers, Rapport Irlandais, XVIII. FIDE Kongress, 1998,269 (284 ff.); ders. IJEL 1998, 165 (188 ff.); Weatherill, Rapport Britannique, XVIII. FIDE Kongress, 1998, 123 (139 ff.). 6 Wenn auch zu bemerken ist, daß der richtlinienkonformen Auslegung generell deutlich geringere Aufmerksamkeit in der Literatur entgegengebracht worden ist als der unmittelbaren Wirkung. So auch schon Jarass, EuR 1991,211. Siehe allgemein zur richtlinienkonformen Auslegung Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung; Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598; Nettesheim, AöR 1994, 261; Ress, DÖV 1994, 489; Rodriguez 19lesias / Riechenberg, FS Everling, Bd. II, 1213; Rüffler, ÖJZ 1997, 121; Wöhlermann, Richlinienkonforme Auslegung. 7 Vgl. Ress, DÖV 1994,489 (490); Rüffler, ÖJZ 1997,121 (122 f.). 8 Vgl. oben Teil 2, A., III. 2. a). 9 EuGH Rs. 9/70, Sig. 1970,825, Franz Grad.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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in einer ersten Phase der Rechtsprechung allein die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens bejahte und dahingehende Vorlagefragen daher auch zuließ, obwohl es den Richtlinien an einer unmittelbaren Wirkung mangelte, 11 fehlte es an der Formulierung einer ausdrücklichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. 12 Eine solche ergab sich erst in einer zweiten Phase der Rechtsprechung, die durch die bei den Urteile in den Verfahren Von Colson 13 und Harz 14 eingeleitet wurde, 15 jedoch noch nicht alle Fragen, die sich auf den Inhalt der Pflicht sowie deren Voraussetzungen bezogen, beantwortete. 16 Teilweise wurden diese Fragen in der Folge, insbesondere durch das Urteil Marleasing 17 , geklärt. Noch immer sind jedoch Punkte offen, die in ihrer Wichtigkeit keineswegs unterschätzt werden sollten. Dabei geht es insbesondere um die Frage der richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist sowie darum, inwieweit der richtlinienkonformen Auslegung Vorrang vor den nationalen Auslegungsmethoden einzuräumen ist. Abhängig ist die Beantwortung dieser Fragen weitestgehend davon, ob und inwieweit man das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung auf den klassischen Methodenkanon stützen will oder kann, ob es sogar eine positivrechtliche Grundlage im nationalen Recht findet, oder ob sich die Pflicht aus Normen des Gemeinschaftsrechts ergibt. Auch im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Auslegung kommt daher einer präzisen begrifflichen Unterscheidung der einzelnen Problemebenen und einer damit einhergehenden Abschichtung, die eine genaue Verortung und Lösung der aufgeworfenen Fragen erlaubt, entscheidende Bedeutung zu.

11. Begriff des "Gebots der richtIinienkonformen Auslegung"

Zunächst soll der Begriff des "Gebots der richtlinienkonformen Auslegung" nationalen Rechts theoretisch näher geklärt werden, da auch in diesem Bereich nicht immer ausreichend zwischen verschiedenen Begrifflichkeiten unterschieden wird,18 und zudem nur so die Unterschiede zu anderen, ähnlichen Instituten her10 Siehe hierzu Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 32 ff.; Prechal, Directives, 203 ff. 11 EuGH, Rs. 111/75, Slg. 1976,657, Mazzalai. Dazu Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 36 ff.; Prechal, Directives, 203 ff. 12 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 44. 13 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson. 14 EuGH, Rs. 79/83, Slg. 1984, 1921, Harz. 15 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 46 ff. 16 Vgl. den Überblick über die zu dieser Zeit noch ungelösten Fragestellungen bei Jarass, EuR 1991,211 (213). 17 EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing. 18 So stellt beispielsweise Ehricke, RabelsZ 59 (1995), 598 (603) fest, daß insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zum Begriff der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung Unsicherheit besteht und die Termini teilweise sogar synonym verwandt werden.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ausgearbeitet werden können. Zu trennen ist dabei zwischen den einzelnen Elemente der "Auslegung", "Richtlinienkonformität" sowie des "Gebots", da, wie die bisherige kurze Einleitung bereits gezeigt hat, die richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts und die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur selbigen nicht notwendigerweise gleichbedeutend sind.

1. Theoretische Grundlegung - Begriff der "Auslegung"

Der Begriff der Auslegung muß in diesem Zusammenhang aus zweierlei Perspektive betrachtet und dementsprechend gegen andere Begriffe abgegrenzt werden. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist dabei insbesondere die Unterscheidung von der "unmittelbaren Wirkung" erheblich. Aus der Perspektive des nationalen Rechts stellt sich die methodenrechtliche Frage nach der Abgrenzung zwischen Auslegung und der nach deutschem Methodenverständnis davon zu unterscheidenden Rechtsfortbildung. Wieweit die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung letztlich reicht, und ob sie auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung mitumfaßt, ist eine Frage des konkreten Inhalts und der Grenzen des Gebots derselben. a) Nationale Begrifflichkeit - Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung

In der deutschen Methodenlehre wird ganz überwiegend zwischen der bloßen Gesetzesauslegung als Ermittlung des im Gesetzeswortlaut enthaltenen Sinns, und der richterlichen Rechtsfortbildung über den Gesetzeswortlaut oder gar über den gesetzesimmanenten Regelungsplan hinaus unterschieden und dabei im wesentlichen - bei allen damit einhergehenden Schwierigkeiten 19 - der noch mögliche Wortsinn des Gesetzes als Trennlinie zwischen Auslegung und Fortbildung des Rechts betrachtet. 20 Der Wortlaut bildet aber nicht nur eine Grenze, über welche die Auslegung nicht hinausgehen, sondern die sie zugleich nicht unterschreiten kann. Sofern bei der Gesetzesanwendung ein Sinn zugrunde gelegt wird, der hinter dem Kern der natürlichen Bedeutung, die einem Begriff bei normalsprachlicher Verwendung zukommt, zurückbleibt, handelt es sich nicht mehr um eine (enge) Auslegung, sondern um teleologische Reduktion, also einen Unterfall der Rechtsfortbildung. 21 Zugleich sind Auslegung und Rechtsfortbildung nicht wesensver19 Vgl. insbesondere Depenheuer; Wortlaut, der eine Grenzfunktion des Wortlauts für die Verfassungsinterpretation in Gänze ablehnt. Zu den Schwierigkeiten der Auslegung des Wortlautes allgemein Looschelders I Roth, Juristische Methodik, 133 ff. 20 Bydlinski, Methodenlehre, 441; Fikentscher; Methoden Bd. IV, 294 f.; Kramer; Methodenlehre, 39; Larenz, Methodenlehre, insbesondere 322 f. 21 Vgl. Kramer; Methodenlehre, 47.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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schiedene unterschiedliche Tätigkeiten des Rechtsanwenders, sondern stellen lediglich unterschiedlich intensive Stufen desselben gedanklichen Verfahrens dar, wobei der Übergang zwischen diesen Stufen nach allgemeinem Verständnis fließend ist. 22 Danach handelt es sich bei beidem um die Konkretisierung eines allgemeinen, und damit im Hinblick auf den der Anwendung gegenüberstehenden Sachverhalt noch konkretisierungsbedürftigen, Rechtssatzes, mit dem Unterschied, daß bei der Auslegung der ermittelte Rechtssatz vom Wortsinn der Norm noch getragen, bei der Rechtsfortbildung dieser gerade überschritten - oder unterschritten wird. Ungeachtet dessen dient der Vorgang der Überwindung der gedanklichen Distanz zwischen Gesetz und Einzelfall. Besonders deutlich wird die Bruchlosigkeit des Übergangs bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder gar Generalklauseln, bei denen der mögliche Wortsinn als die Auslegung begrenzendes Definitionsmerkmal weitestgehend wirkungslos bleibt. Allerdings kann und muß in der Verwendung solcher besonders interpretations- oder fortbildungs bedürftiger Rechtsbegriffe durch die Legislative zugleich die bewußte Einräumung einer besonderen judikativen Konkretisierungsbefugnis gesehen werden, so daß für die Ausnutzung einer solchen keine besonderen, den Übergriff in den Bereich der Rechtssetzung rechtfertigenden, außergewöhnlichen Umstände vorliegen müssen. 23 Im Gegensatz dazu erfordern der Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip von der Rechtsprechung Zurückhaltung bei der Rechtsfortbildung, zu der die Rechtsprechung nichtsdestotrotz in bestimmten Konstellationen aufgerufen ist, da es sich auch dabei um eine ihrer traditionellen Aufgaben handelt,24 bei der sie sich aber ebenfalls eines bestimmten methodischen Instrumentariums zu bedienen hat, um nicht eine ihr nicht zustehende Gewalt zu usurpieren?5 Weitestgehend unstreitig ist insofern die Befugnis der Gerichte zur gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung. 26 Diese im Wege der Rechtsfortbildung oder der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe oder der von Blankettbegriffen entwickelten Rechtssätze werden mittlerweile allgemein auch unter den Begriff des Richterrechts gefaßt27 und damit hervorgehoben, daß in diesem Bereich der Tätigkeit der Judikative das Gestalterische gegenüber dem schlicht Erkennenden in den Vordergrund rückt. 28 Dabei impliziert die Bezeichnung als Richterrecht noch nicht notwendigerweise eine der Gesetzesbindung des Richters entsprechende Bindungswirkung von Präjudizien. Vgl. Larenz, Methodenlehre, 366 f. m. w. Nachw.; Seiler, Auslegung, 34 f. Vgl. Fikentscher, Methoden, 316. Vgl. auch Nettesheim, AöR 1994,261 (274). 24 BVerfGE 65,182 (190); 75, 223 (243). 25 Larenz, Methodenlehre, 369. Siehe zu den Grundlagen richterlicher Rechtsfortbildung Biaggini, Verfassung und Richterrecht, 89 ff. Vgl. zu den methodischen Anforderungen Seiler, Auslegung, 36 f. 26 Biaggini, Verfassung und Richterrecht, 90; Larenz, Methodenlehre, 366. 27 Biaggini, Verfassung und Richterrecht, 90; Everling, RabelsZ 1986, 193 (197) mit umfangreichen Nachweisen. 28 Vgl. Esser, Grundsatz, 150; Larenz, Methodenlehre, 367. 22 23

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Diese Frage ist im Gegenteil unabhängig von der begrifflichen Anerkennung von Richterrecht zu sehen, welches in seiner Anwendung und Auslegung einem eigenen methodenrechtlichen Gefüge unterworfen ist, zu dem auch die besondere Wirkung von Präjudizien zu rechnen ist. 29

b) Gemeinschaftsrechtliche BegrifflichkeitAuslegung und unmittelbare Wirkung

Im Unterschied zum Begriff der unmittelbaren Wirkung, den der EuGH selbst nur zurückhaltend und in späterer Rechtsprechung aussprach, benutzte der Gerichtshof von Beginn an und ausschließlich den Begriff der "Auslegung" in den maßgeblichen Urteilen. Von "Rechtsfortbildung" ist nie die Rede, und es wird auch nicht der in der Literatur, insbesondere im englischsprachigen Raum häufig verwandte Terminus der "mittelbaren Wirkung" (indirect elfect) gebraucht. 3o Gegenstand der richtlinienkonformen Auslegung kann allerdings auch eine "gefestigte nationale Rechtsprechung" sein. 3l Je nach Grundlage, auf der eine solche Rechtsprechung fußt, kann es sich dann aber durchaus auch um eine "Rechtsfortbildung" nach deutschem Methodenverständnis handeln. Aus der Begrifflichkeit des EuGHs läßt sich daher jedenfalls nicht ableiten, daß nicht auch eine Pflicht zur methodenrechtlich als Rechtsfortbildung zu qualifizierenden Richtlinienkonformität besteht,32 zumal der EuGH infolge des Einflusses französischer Methodenlehre diese Unterscheidung auch im Rahmen seiner eigenen Methodik nicht trifft?3

29 Vgl. hierzu Langenbucher, Richterrecht, insbesondere 63 ff. und 150. Zur Frage der Bindungswirkung siehe unten Teil 3, A., I. 30 Wobei dieser in der englischsprachigen Literatur dann teilweise wiederum von dem Begriff der conforming interpretation unterschieden wird (siehe beispielsweise Betlem, ERPL 1995, 1 (4 ff.» und letzterer dann die Situation meint, daß eine Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt wurde, während indirect effect als Sanktion für eine Verletzung der Umsetzungsverpflichtung eintreten soll. Eine ähnliche Unterscheidung trifft Prechal, Directives, 209. In der deutschen Literatur treffen eine solche Unterscheidung ohne entsprechende begriffliche Konsequenzen beispielsweise Götz, NJW 1992, 1849 (1854) sowie ihm folgend Franzen, Privatrechtsangleichung, 298. Ebenso Rü!fler, ÖJZ 1997, 121. Ress, DÖV 1994, 489 (493) spricht von einer "indirekten unmittelbaren Wirkung". Woran es jedoch regelmäßig fehlt, sind Kriterien, wonach sich bestimmt, wann in diesem Sinne von einer hinreichenden Umsetzung gesprochen werden kann und in welcher Weise die richtlinienkonforme Auslegung diese Beurteilung beeinflussen kann. Siehe dazu unten Teil 2, B., VI., 2., a) sowie Teil 3. 31 EuGH, Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 17. 32 Ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung, 358 f.; Nettesheim, AöR 1994,261 (266). Ob und wieweit die nationalen Gerichte auch zur einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung verpflichtet sind gehört zu den streitigsten Fragen der richtlinienkonformen Auslegung. Siehe dazu unten Teil 2, B., V. 33 Borchardt, GS Grabitz, 29 (37); Canaris, FS Bydlinski, 47 (81); Franzen, Privatrechtsangieichung, 358; Hojfmann-Becking, Normaufbau, 150 ff. Vgl. auch Prechal, Directives, 230 ff. mit einer rechtsvergleichenden Übersicht zur Methodenlehre.

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

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Zur Unterscheidung zwischen unmittelbarer Wirkung und richtlinienkonfonner Auslegung äußert sich der EuGH selber ebenfalls nicht, zumindest nicht ausdrücklich, auch wenn er den Unterschied zwischen beidem betont. 34 Dieser klingt allerdings in der Fonnulierung "das nationale Recht [... ] bei dessen Anwendung auszulegen,,35 [Hervorhebung hinzugefügt] an und ist methodisch darin zu sehen, daß bei der richtlinienkonfonnen Auslegung weiterhin nationales Recht den Anknüpfungspunkt für eine Rechtsfolge bildet, also ein konkret-individueller Rechtssatz aus einem abstrakt-generellen Rechtssatz des nationalen Rechts gebildet wird, während bei der unmittelbaren Wirkung entweder ein in einer Richtlinie enthaltener abstraktgenereller Rechtssatz konkretisiert und angewandt wird, oder ein abstrakt-genereller Rechtssatz des nationalen Rechts wegen Verstoßes gegen eine Richtlinienvorschrift nicht angewendet wird. Bei der richtlinienkonfonnen Auslegung kommt nur der ausgelegten Nonn, also dem nationalem Recht, unmittelbare Wirkung zu, nicht jedoch der Richtlinie, welche die Auslegung lediglich infonniert. 36 Während demnach bei Vorliegen der Voraussetzungen einer positiven unmittelbaren Wirkung für diese die Existenz von nationalen Nonnen im jeweiligen materiellen Regelungsbereich weitestgehend gleichgültig ist, setzt die richtlinienkonfonne Auslegung begriffsnotwendigerweise eine auslegungsfähige nationale Nonn oder zumindest einen die Anforderungen an eine rechtmäßige Rechtsfortbildung erfüllenden Gesamtregelungsrahmen voraus, auf den sie bezogen werden kann?7 Die richtlinienkonfonne Auslegung kann deshalb jedenfalls dann nicht weiterhelfen, wenn sich ein bestimmter Sachbereich auch unter Berücksichtung allgemeiner Vorschriften und Richterrechts als im nationalen Recht überhaupt nicht geregelt darstellt. 38 Begrifflich ist - ähnlich wie bei der unmittelbaren Wirkung - zwischen "positiver" und "negativer" Auslegung zu unterscheiden. Positive Auslegung ist demnach die Bildung eines konkret-individuellen Rechtssatzes aus einer abstrakt-generellen Nonn, der dann Anwendung auf einen Sachverhalt findet. Negative Auslegung ist die Nichtbildung eines bestimmten konkret-individuellen Rechtssatzes, der auf einen Sachverhalt Anwendung gefunden hätte. Nach traditioneller Begrifflichkeit kann man das auch als "enge" oder "weite" Auslegung bezeichnen,39 wobei bei 34 EuGH, Verb. Rs. C-87-89/90, Slg. 1991,1-3757, Verholen, Rn. 13; vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 361. 35 EuGH Rs. C-I06/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-334/92, Slg. 1993,16911, Wagner Miret, Rn. 20; Rs. C-91192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 26; Rs. C365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40 sowie Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 16. 36 Siehe Schlußanträge des GA van Gerven zur Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Nr. 7. Ebenso Betlem, ERPL 1995, 1 (4); Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; Prechal, Directives, 238. 37 Dabei wird in der Tat die Grenzziehung zur unmittelbaren Wirkung immer schwieriger, je weiter man in den Bereich der Rechtsfortbildung, gegebenenfalls. auch extra legem vordringt. 38 Ähnlich auch Basedow, FS Brandner, 651 (658); Zöckler, JhrbjZiv 1992, 141 (147). 39 Vgl. hierzu Larenz, Methodenlehre, 353 ff.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

diesen Ausdrücken der hier maßgebliche Unterschied allerdings weniger klar zum Ausdruck kommt. 2. Besonderheit bei Richtlinien der EG - Begriff der "Richtlinienkonformität"

Genauso wie die unmittelbare Wirkung ist auch die richtlinienkonforme Auslegung keine völlig neue Erfindung des Gemeinschaftsrechts. Im Gegenteil ist der Gedanke, eine Norm in Konformität mit anderen, ihr möglicherweise übergeordneten Normen, auszulegen, ein traditionelles Element der juristischen Methodik, das sich aus der Vorstellung des Stufenbaus und der Einheit der Rechtsordnung entwikkelt hat,40 und demzufolge eine Vermutung dafür spricht, daß eine Norm so zu interpretieren ist, daß keine Wertungswidersprüche oder Kollisionen mit höherrangigen Normen entstehen. 4! Begrifflich ist dabei jeweils zwischen dem Element der "Konformität" und der Norm, mit der "konform" ausgelegt wird, zu unterscheiden.

a) Begriff der "Konformität"

Der dem lateinischen entstammende Begriff der Konformität meint eine Übereinstimmung oder Anpassung. 42 Konform bedeutet einig, übereinstimmend. 43 Voraussetzung jeder Konformität ist demnach eine Mehrheit von mindestens zwei Dingen, bei denen das Eine als Maßstab für die Übereinstimmung oder Vorbild für die Anpassung mindestens eines Anderen dient. Während das Maßnehmen eine rein vergleichende Tätigkeit darstellt, ist die Anpassung ein zielgerichteter Prozeß der Veränderung oder Formung. Daraus lassen sich zwei Grundelemente einer Konformauslegung, die Kontrollfunktion und die Erkenntnisfunktion abIeiten. 44 Während bei ersterer die maßgebliche Norm lediglich ex post zur Kontrolle eines unabhängig von ihrem Inhalt ermittelten Ergebnis dient, kommt ihr bei letzterer eine den Prozeß der Sinnermittlung befruchtende Funktion ex ante zu. Damit korrespondiert im Hinblick auf Richtlinien die von Nettesheim herausgearbeitete Unterscheidung zwischen Widerspruchsfreiheit (Kontrollfunktion) und Zweckkonformität (Erkenntnisfunktion), wobei letztere eine teleologische Berücksichtigung der Zwecksetzung der Richtlinie bei der Auslegung der nationalen Norm bedeutet. 45 Auch wenn dem Zweck vorrangig eine Rolle bei der verbindlichen Auslegung der Richtlinie durch 40 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 26 mit Nachweisen zur rechtstheoretischen Gedankenentwicklung. Zur Entwicklung der verfassungskonformen Auslegung vgl. Campiche, Verfassungskonforme Auslegung, 2. 41 Engisch, Einführung, 162 ff. 42 Duden, Fremdwörterbuch, 4. Auf!. 1982,412 f. 43 A. a. O. 44 45

Siehe hierzu Franzen, Privatrechtsangleichung, 324 f. m. w. Nachw. Nettesheim, AöR 1994, 261 (271 f.).

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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den EuGH zukommt, kann er dennoch weiterhin bei der Auslegung der nationalen Norm Berücksichtigung finden, um damit den Auslegungsvorgang in Richtung auf die Richtlinienkonformität zu beeinflussen. Festzuhalten bleibt, daß grundsätzlich eine Berücksichtigung der Richtlinie (sei es ihres Wortlauts oder ihrer Zwecksetzung) zum einen auf der Ebene des Auslegungsvorgangs, zum anderen bei der Kontrolle des Auslegungsergebnisses möglich ist,46 was auch mit den Begriffen Vorzugs- und Vorrangregel beschrieben wird. 47 Erstere würde bedeuten, daß eine nationale Norm ungeachtet jedweder Richtlinien in ihrem Regelungsbereich auszulegen ist und erst bei verbleibender Unsicherheit über ihre Bedeutung die Richtlinie maßgeblich berücksichtigt wird48 (Kontrollfunktion), während bei einem Verständnis von der Konformauslegung als Vorrangregel diese entweder als neues Auslegungskriterium den nationalen Methoden vorgeht49 oder als integraler Bestandteil derselben diese zumindest modifiziert SO (Erkenntnisfunktion). Dabei haben beide Funktionen jedoch auch eine unterschiedliche Richtungswirkung. Die Kontrollfunktion führt allein zum Ausschluß bestimmter Auslegungsergebnisse, während die Erkenntnisfunktion zudem Auslegungsergebnisse ermöglicht, zu denen der Rechtsanwender ohne Berücksichtigung der Richtlinie nicht hätte gelangen können; sie wirkt mithin auch extensiv. S1 Eine Berücksichtigung der Richtlinie auf der Ebene des Auslegungsergebnisses kann hingegen nur zu einer negativen Konformauslegung führen. s2 Eine positive Konformauslegung, die möglicherweise auch die Analogiebildung oder Extension mitumfaßte, ist nur durch eine Berücksichtigung auf der Ebene des Auslegungsvorgangs überhaupt möglich. Der Begriff der Konformität allein ist somit noch nicht geeignet, entscheidende Hinweise auf den Umfang der durch Richtlinien der Gemeinschaft begründete Auslegungseffekte zu geben, da er Raum für durchaus unterschiedliche Interpretationen seiner ihm eigenen Bedeutung läßt. Zudem kommt hinzu, daß der Gerichtshof selbst den Begriff der Richtlinienkonformität nicht verwendet, sondern statt dessen davon spricht, daß die Auslegung nationalen Rechts "am Wortlaut und Zweck der Richtlinie"s3 auszulegen sei. Die hier nachgezeichneten Begriffe eignen Vgl. auch Nettesheim, AöR 1994,261 (274); Prechal, Directives, 235. Ehricke, RabelsZ 1995, 598 (612 ff.). 48 Ehricke, RabelsZ 1995,598 (616 f.); Hommelhoff, AcP 1994,71 (98). So wohl die h.M. in Deutschland, vgl. Grundmann, JZ 1996,274 (282). Für Nachweise zu dieser Ansicht siehe Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 213 ff., der selbst auch diese Ansicht vertritt. 49 So Spetzler; RIW 1991,579 (580). 50 Ehricke, RabelsZ 1995, 598 (612 ff.). Für ein Verständnis der richtlinienkonfonnen Auslegung als Vorrangregel Grundmann, ZEuP 1996, 399 (412 ff.); Hommelhoff, AcP 1994, 71 (96); M. Schmidt, RabelsZ 1995, 569 (590). 51 Ähnlich C. Schmidt, Einfluß, 94; Vgl. hierzu für die verfassungskonfonne Auslegung Campiche, Verfassungskonfonne Auslegung, 3 ff. 52 Bettermann, Verfassungskonfonne Auslegung, 27 verwendet hierfür den schönen Begriff der "Auslegungs-Verwerfung". 53 EuGH Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-334/92, Slg. 1993, 1-6911, Wagner Miret, Rn. 20; Rs. C-91192, Slg. 1994, 1-3325, Faccini Dori, Rn. 26; Rs. 46

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

sich damit lediglich als erklärende Konzepte, welche eine theoretische Einordnung der Rechtsprechung ermöglichen. b) Strukturvergleich der richtlinienkonformen Auslegung mit ähnlichen Instituten

In der Literatur wird häufig der Versuch gemacht, den Problemen der richtlinienkonformen Auslegung durch die Übertragung von Erkenntnissen zu ähnlichen Rechtsinstituten, insbesondere der verfassungskonformen, gelegentlich aber auch der völkerrechtsfreundlichen und gemeinschaftskonformen Auslegung sowie der Auslegung internationalen Einheitsrechts, beizukommen. Gemein ist allen diesen Instituten das Element der Ermittlung des Sinns der einen Norm unter Einbeziehung einer anderen. Ungeachtet dessen bestehen jedoch auch erhebliche Unterschiede, insbesondere im Hinblick auf die Eigenarten der jeweils als Maßstab dienenden Norm sowie hinsichtlich der Folgen eines möglichen Scheiterns einer Konformauslegung, aber auch in Bezug auf die prozessuale Verschränkung der Auslegung beider Normebenen. aa) Verfassungskonforme Auslegung Die verfassungskonforme Auslegung wird sicherlich am häufigsten als Vergleichsmaßstab für die richtlinienkonforme Auslegung gewählt. 54 Dieser Vergleich ist jedoch nur begrenzt tragfähig, da zu große Unterschiede zwischen Verfassungsnormen und Richtlinien bestehen. 55 Die verfassungskonforme Auslegung ergibt sich aus dem normhierarchischen Vorrang der Verfassung als übergeordneter Norm innerhalb einer einheitlichen und möglichst widerspruchsfreien Rechtsordnung. 56 Sie dient somit im wesentlichen dem Normerhalt und damit der Schonung des Gesetzgebers vor judikativer Verwerfung der von ihm erlassenen Gesetze, die bei Verstoß gegen Verfassungsrecht für nichtig erklärt würden und stärkt damit zugleich die Stabilität der Rechtsordnung. 57 Daneben beschränkt sie aber zum einen die richterC-365 198, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 40; Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, CentrosteeI, Rn. 16. 54 Siehe etwa Bach, JZ 1990, 1108 (1112); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 27 ff.; Dänzer-Vanotti, OB 1994, 1052 (1054); Everling, FS Carstens, 95 (107); Franzen, Privatrechtsangleichung, 323 ff.; Jarass, EuR 1991,211 (213); Ress, OÖV 1994,489 (491). Zur verfassungskonformen Auslegung selbst siehe Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung; Campiche, Verfassungskonforme Auslegung. 55 So auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 329. 56 Vgl. hierzu Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, 20; Campiche, Verfassungskonforme Auslegung, 12; Hesse, Verfassungsrecht, 31. 57 Vgl. hierzu Bogs, Verfassungskonforme Auslegung, 21 f.; Campiche, Verfassungskonforme Auslegung, 4; Eckardt, Verfassungskonforme Gesetzesauslegung, 41; Wank, Grenzen, 107 f.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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liehe Überprüfungsbefugnis im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze,58 und zum anderen ist sie Erkenntnisquelle für die Inhaltsbestimmung derselbigen. Hingegen entstammt die Richtlinie grundsätzlich einer anderen Rechtsordnung,59 und ein Verstoß gegen sie führt lediglich zur Unanwendbarkeit der nationalen Norm, nicht jedoch zu ihrer Nichtigkeit. 60 Der weitere Einwand, diese Folge trete auch nur bei Verstoß gegen unmittelbar wirkende Richtlinien ein,6l trägt allerdings nicht weit, da die Feststellung eines Verstoßes gegen eine Richtlinienvorschrift nach der hier vertretenen Auffassung die Unanwendbarkeit und damit eine negative unmittelbare Wirkung gerade begründet. 62 Richtlinien, denen keine solche negative unmittelbare Wirkung zukommt, können hingegen deshalb nicht die Unanwendbarkeit zur Folge haben, da in ihrem Fall bereits kein Verstoß feststellbar ist. Eine Normverwerfung kommt aber auch nur im Fall eines Konflikts zwischen Verfassung und Unterverfassungsrecht in Betracht. Insofern sind die Voraussetzungen also durchaus identisch. Zudem ist die negative unmittelbare Wirkung von Richtlinien keinen Beschränkungen in horizontalen Verhältnissen unterworfen. 63 Hingegen bestehen deutliche Unterschiede im Hinblick auf die inhaltliche Genauigkeit von Richtlinien und Verfassungsnormen. 64 Während sich die Verfassung im wesentlichen in sehr allgemeinen Vorgaben erschöpft, erschöpfen soll und muß,65 regeln Richtlinien teilweise bis ins Detail und gleichen insoweit häufig einem Mustergesetz. Die Verfassung läßt somit in aller Regel dem Gesetzgeber einen sehr weiten Gestaltungsraum. Hingegen schneiden Richtlinien bisweilen jeden inhaltlichen Umsetzungsspielraum ab. Hinzu kommt, daß Richtlinien einen Um setzungsauftrag an die Mitgliedstaaten, d. h. an alle innerstaatlichen Stellen beinhalten, während eine Gesetzgebungspflicht nur unter besonderen Voraussetzungen aus der Verfassung erwächst, und lediglich die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Grundrechte ausgesprochen wird. 66 Sofern dies Campiche, Verfassungskonforme Auslegung, 4. So in Bezug auf die richtlinienkonforme Auslegung auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 256; Di Fabio, NJW 1990,947 (951); Franzen, Privatrechtsangleichung, 329. 60 Siehe oben Teil 2, A. IV. 1. a). Auf diesen Unterschied verweisen auch Di Fabio, NJW 1990,947 (950 f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, 328. 61 So Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 255 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 328. 62 Siehe oben Teil 2, A., III., 1. d) und IV., 1. 63 Siehe oben Teil 2, A., v., 4., b). 64 Siehe auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 328. 65 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 328; Ipsen, Richterrecht, 85. 66 Ähnlich C. Schmidt, Einfluß, 106. V gl. auch Pieroth, in: Jarass I Pieroth, GG, Art. 70, Rn. 13. Häufig wird die Verfassung zwar eine Ausgestaltung oder nähere Regelung erfordern, dann sind allerdings keine vergleichbar detaillierten Vorgaben gegeben wie bei Richtlinien. Das BVerfG läßt nur ganz ausnahmsweise Verfassungsbeschwerden gegen ein Unterlassen des Gesetzgebers zu, vgl. Schlaichl Korioth, Bundesverfassungsgericht, 147. Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten wegen nicht hinreichender Richtlinienumsetzung 58

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ausnahmsweise einmal anders ist, ergibt sich aus der Verfassung aber in jedem Fall ein Gesetzgebungsauftrag. Die Pflicht zur Umsetzung von Richtlinien läßt hingegen die Freiheit der Wahl der Mitte1. 67 Während also im Hinblick auf die Verfassung auch die Abwesenheit einer rechtlichen Regelung durchaus konform sein kann (man denke dabei insbesondere an den Bereich der Freiheitsgrundrechte), setzt Richtlinienkonformität im Regelfall die Existenz nationalen Rechts, einer Parallelnormierung, voraus. 68 Aufgrund der Verschränkung einer Konformauslegung mit der Auslegung einer anderen Norm bietet sich zum Vergleich beider Institute zudem ein Blick auf die prozessuale Dimension an. In Bezug auf Gemeinschaftsrichtlinien obliegt die letztverbindliche Auslegung dem EuGH. 69 Dieser allein hat auch die Kompetenz, eine Richtlinie wegen Verstoßes gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht zu verwerfen. 7o Die Feststellung der Unvereinbarkeit nationalen Rechts mit Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ist hingegen Sache der nationalen Gerichte, die in diesem Zusammenhang zwar Auslegungsfragen dem Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorlegen können, die letzte Entscheidung über die Nichtanwendung aber selber zu treffen haben. 7 ! Anders verhält es sich im Hinblick auf Verfassungskollisionen. Im Hinblick auf nationales Unterverfassungsrecht ist zwischen Verordnungen und Gesetzen im formellen Sinn zu unterscheiden. Während die Verwerfungskompetenz hinsichtlich Verordnungen bei den einfachen Gerichten liegt, ist die Verwerfung nachkonstitutioneller Parlamentsgesetze ausschließlich dem BVerfG vorbehalten. 72 Andererseits sind die einfachen Gerichte umfassend selbst zur Interpretation der Verfassung aufgerufen. 73 Lediglich bei Überzeugung von der Verfassungswidrigkommen hingegen ganz regelmäßig vor und teilweise werden sogar Überlegungen vorgetragen, der Kommission die Befugnis zur Feststellung von Verstößen gegen die Umsetzungspflicht zu übertragen, um den Gerichtshof von diesen Verfahren zu entlasten, vgl. Due et al., Bericht der Reflexionsgruppe über die Zukunft des Gerichtssystems der Europäischen Gemeinschaften, Sonderbeilage zu NJW und EuZW 2000, 9. 67 Hergenröder; FS Zöllner, 1139 (1152). 68 Dies gilt zumindest in Bezug auf Richtlinien mit materiellrechtlichem Gehalt. 69 Diese ergibt sich aus der Vorlagepflicht letztinstanzlicher nationaler Gerichte in Fällen, in denen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts für die Entscheidung über ein anhängiges Verfahren notwendig ist und sich die konkrete Frage nicht bereits Gegenstand eines Vorlageverfahrens war oder sich die richtige Auslegung anderweitig offenkundig ist, vgl. Geiger; EUV 1EGV, Art. 234, Rn. 16. Der EuGH ist insoweit gesetzlicher Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, vgl. BVerfGE 73, 339 (366); 75, 223 (233 f.); 82,159; JZ 2001, 923. 70 Zur alleinigen Überprüfungskompetenz siehe EuGH, Rs. 314/85, Slg. 1987, 4199, Foto-Frost, Rn. 15. 71 Vgl. EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1141, Costa/ENEL, Rn. 3 f. Anderes gilt im Vertragsverletzungsverfahren, in dem der EuGH auch den Vertragsverstoß durch eine nationale Regel feststellen kann, vgl. EuGH a. a. 0., Rn. 3. 72 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 206 ff.; Schlaichl Korioth, Bundesverfassungsgericht, 15 f. sowie 96 f. 73 Klein, in: BendalKlein, Verfassungsprozeßrecht, 326 f.; SchlaichlKorioth, Bundesverfassungsgericht, 15 f. sowie 96 f.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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keit des einfachen Gesetzes kommt eine konkrete Nonnenkontrolle in Betracht. 74 Ein anderes zwischenprozessuales, dem Vorabentscheidungsverfahren entsprechendes, Mittel des nationalen Verfassungsprozeßrechts existiert nicht. Dagegen kommt - wiederum im Unterschied zur Situation bei der Richtlinie - eine Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliehe Urteil des nationalen Gerichts in Betracht. Eine solche hat aber auch nur dann Erfolg, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung den Einfluß der Grundrechte gänzlich oder grundsätzlich verkannt hat, oder die Prozeßgrundrechte verletzt wurden. 75 Die prozessuale Verschränkung von Richtlinienauslegung und richtlinienkonfonner Auslegung durch nationale Gerichte ist somit viel intensiver als die zwischen Verfassungsauslegung und verfassungskonfonner Auslegung, was aus dem durch die größere Detailliertheit bedingten höheren Konfonnitätsbedürfnis der Richtlinien und dem Gedanken der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts heraus gerechtfertigt erscheint. Hingegen ist die Sanktionierbarkeit der inkonfonnen Auslegung prozessual auf verfassungsrechtlicher Ebene stärker ausgeprägt, da das BVerfG in aller Regel im Wege der Verfassungsbeschwerde eine inkonfonne Auslegung korrigieren kann, während dem EuGH eine solche Möglichkeit im Hinblick auf Richtlinien fehlt, weswegen dieser auf die Kooperation der nationalen Gerichte bei der Auslegung angeglichenen Rechts angewiesen ist. 76 Verfahrensmäßig steht somit bei der verfassungskonfonnen Auslegung die Kontrollfunktion im Vordergrund,77 während bei der richtlinienkonfonnen Auslegung aufgrund des Vorlageverfahrens die Erkenntnisfunktion prozessual besser zum Ausdruck kommt. Diese Unterschiede schließen hingegen nicht aus, daß im Wege des wertenden Vergleichs Überlegungen zu einzelnen Teilelementen der verfassungskonfonnen Auslegung (etwa Gewaltenteilungsaspekte, Nonnerhalt etc.) auch herangezogen werden können, um die Problemlösung im Zusammenhang mit Richtlinien zu erhellen, solange die oben beschriebenen Unterschiede dabei himeichend berücksichtigt werden. 78 Ableitungen aus Topoi wie "Stufenbau der Rechtsordnungen" oder "Einheit der Rechtsordnung" verbieten sich jedoch weitestgehend. 79 74 Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht, 209 f.; Schlaichl Korioth, Bundesverfassungsgericht, 103 f. 75 Schlaichl Korioth, Bundesverfassungsgericht, 143 ff. 76 Vgl. Geiger, EUV /EGV, Art. 234, Rn. 1. 77 Damit stimmt auch der Befund von Bettermann, Verfassungskonfonne Auslegung, 26 f. überein, der feststellt, daß die verfassungskonfonne Auslegung in Wahrheit eine Fonn der Nonnenkontrolle sei. Vgl. zu den vorgenannten Überlegungen auch die Anregung von Schoch, VVDStRL 61 (2002), 158 (159 f.) zum Nachdenken über die Notwendigkeit eines nationalen Vorlageverfahrens zum BVerfG. Zu weiter fortgeschrittenen Überlegungen im schweizerischen Verfassungsrecht Bühler, FS Zäch, 645. 78 Ähnlich Franzen, Privatrechtsangleichung, 329, der davon spricht, daß die Überlegungen nicht "ungeprüft" übertragen werden dürfen. 79 Noch ablehnender Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 256; Di Fabio, NJW 1990, 947 (951); Franzen, Privatrechtsangleichung, 329; a.A. Grundmann, JZ 1996, 274 (283).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

bb) Völkerrechtsfreundliche Auslegung Auch die völkerrechtsfreundliche bzw. -konforrne 8o Auslegung wird bisweilen als vergleichbares Institut für Überlegungen zur richtlinienkonformen Auslegung herangezogen und auf diesem Vergleich beruht wesentlich die generelle Anerkennung der richtlinienkonformen Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur. 81 Das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Interpretation ist nach deutschem Recht Ausdruck der insbesondere aus Art. 25 und 100 Abs. 2, aber auch Art. 24 Abs. 3 und Art. 9 Abs. 2 GG abgeleiteten Völkerrechtsfreundlichkeit des GG. 82 Es wird aber auch von anderen Rechtsordnungen anerkannt. 83 Sofern sich aus einer nationalen Rechtsvorschrift nichts Abweichendes entnehmen läßt, ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen übereinstimmendes Recht setzen wollte. 84 Darüber hinaus kann eine völkerrechtliche Regel als lex specialis dem nationalen Recht als genereller Norm vorzuziehen sein. 85 Auf diese Weise ergibt sich eine völkerrechtsfreundliche Auslegung aus der nationalen Methodenlehre. Mit der gleichen Überlegung läßt sich selbstverständlich auch eine richtlinienkonforme Auslegung im Hinblick auf ausdrückliches Umsetzungsrecht aus nationalen methodenrechtlichen Erwägungen rechtfertigen, und basierend auf dieser Überlegung haben die Gerichte in der Gemeinschaft vielfach nationales Recht richtlinienkonforrn ausgelegt und Vorlagefragen an den Gerichtshof gerichtet, und zwar auch schon vor der Entwicklung eines dahingehenden Gebotes durch den EuGH. 86 Diese Art der richtlinienkonforrnen Auslegung ist unstreitig. 87 Strukturell bestehen jedoch Unterschiede zwischen beiden Instituten, da sich nach dem hier zu Grunde gelegten herrschenden Verständnis Rang, Geltung und sonstige Auswirkungen völkerrechtlicher Normen nicht nach dem Völkerrecht bemessen, sondern nach dem innerstaatlichen Recht. 88 Ein Verstoß innerstaatlichen 80 Vgl. Bleckmann, DÖV 1979, 309 (312). Siehe zudem Schilling, ZaöRV 1988, 637 (673 ff.). 81 Vgl. de Burca, MLR 1992, 215 (219 ff.); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 127 ff.; Herber, EuZW 1991,401 (403); Ress, DÖV 1994,489 (492). 82 Bleckmann, DÖV 1979, 309; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 25, Rn. 4. Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht, 210 f.; Stern, Staatsrecht, Bd. I, 475 ff.; Tomuschat, HdBStR, Bd VII, § 172, Rn. 27 ff. 83 Vgl. exemplarisch zum Vereinigten Königreich Lord Diplock, AllER [1982] 2, 413 (415): ".it is a principle of construction of United Kingdom statutes, now too weil established to call for citation of authority, that the words of astatute passed after the treaty has been signed and dealing with the subject matter of the international obligation of the United Kingdom, are to be construed, if they are reasonably capable of bearing such a meaning, as intended to carry out the obligation and not to be inconsistent with it.". V gl. auch Prechal, Directives, 201 f. 84 BVerfGE 75,1 (18). Herber, EuZW 1991,401 (403). 85 Bleckmann, DÖV 1979,309 (312). Vgl. auch die ausdrückliche Regelung in § 2 AO. 86 Vgl. hierzu Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 32 ff. 87 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 128. 88 Siehe oben Teil 2, A. 1. 3.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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Rechts gegen das Völkerrecht hat nicht aufgrund einer völkerrechtlichen Anordnung dessen Nichtigkeit oder Unanwendbarkeit des nationalen Rechts zur Folge sondern begründet lediglich einen Völkerrechtsverstoß des jeweiligen Staates. Ausdruck findet dies in dem Satz, daß es "keine Vorschrift des allgemeinen Völkerrechts [gibt], die den Staatsorganen befehlen oder auch nur erlauben würde, den Befehlen ihrer eigenen Staatsgewalt, insbesondere den innerstaatlichen Gesetzen ungehorsam zu sein, wenn diese Gesetze dem Völkerrecht widersprechen.,,89 Hingegen räumt das nationale Recht dem Gemeinschaftsrecht die Befugnis zur autonomen Geltungs-, Wirkungs- und Ranganordnung ein. Die Grundlage eines vom EuGH entwickelten Gebots der richtlinienkonformen Auslegung ist daher, und auch aufgrund dessen fehlender Kompetenz zur Auslegung nationalen Rechts,90 allein im Gemeinschaftsrecht zu finden, für dessen Inhaltsbestimmung wiederum maßgeblich auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs abzustellen ist. Ob sich bei Scheitern einer Konformauslegung das Völkerrecht oder der nationale Rechtsakt durchsetzt, hängt im deutschen Recht davon ab, ob es sich um eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG oder um einen völkerrechtlichen Vertrag nach Art. 59 GG handelt. 9! Während ersteren von Art. 25 GG Vorrang zugemessen wird, und sich diese damit im Kollisionsfall durchsetzen können, kommt im Hinblick auf letztere die lex posterior-Regel uneingeschränkt zur Anwendung, sofern sich der völkerrechtliche Vertrag nicht als lex specialis begreifen läßt. 92 Völkerrechtliche Verträge vermögen zudem nur ausnahmsweise eine Prägung des Verfassungsinhalts zu erreichen, wenn ein solcher multilateraler Vertrag einen festen internationalen Wertkonsens widerspiegelt,93 wohingegen die richtlinienkonforme Auslegung alle innerstaatlichen Normen erfaßt. Eine Einbeziehung einer allgemeinen Regel nach Art. 25 GG scheitert zudem, wenn Deutschland diesbezüglich als persistent objector auftriu. 94 Eine prozessuale Verschränkung zwischen Auslegung nationaler Normen und völkerrechtlichen Normen besteht zudem in Form des Normverifikationsverfahrens nach Art. 100 Abs. 2 GG lediglich innerhalb der staatlichen Rechtsordnung und beschränkt sich zudem auf die von Art. 25 GG erfaßten allgemeinen Regeln des Völkerrechts. 95 Das BVerfG besitzt auch kein Auslegungsmonopol über Normen des Völkerrechts, und eine Nichtvorlage kann sich nur unter bestimmten Voraussetzungen als Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter erweisen. 96 89 Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Bd. I, 106. Siehe aber zur jüngeren Entwicklung einer innerstaatlichen Geltung völkerrechtlichen ius cogens Ruffert, 1Z 2001, 633 ff. (636) m. w. Nachw. 90 Vgl. EuGH, Rs. 38177, Slg. 1977,2203, Enka, Rn. 20/22. Dazu auch Oppermann, Europarecht, 286 f. 91 Tomuschat, HdBStR, Bd. VII, § 172, Rn. 35. 92 Stern, Staatsrecht, Bd. I, 482; Tomuschat, HdBStR, Bd. VII, § 172, Rn. 35. 93 Tomuschat, HdBStR, Bd. VII, § 172, Rn. 28. 94 95

Ruffert, 1Z 2001,633 (638) m. w. Nachw. V gl. zum Normverifikationsverfahren Ruffert, 1Z 2001, 633 ff.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

cc) Auslegung internationalen Einheitsrechts Ein weiterer Ansatzpunkt, den insbesondere Franzen vorgetragen hat, ist der Vergleich mit der Auslegung internationalen Einheitsrechts,97 wobei er diesen wählt, um Art. 36 EGBG analog als innerstaatliche normative Grundlage des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung heranzuziehen. 98 Bei internationalem Einheitsrecht handelt es sich um Rechtssätze, die in wenigstens zwei Staaten gleichlautend gelten, und bei denen diese Übereinstimmung ihrem Sinn und Zweck nach auch gewollt ist. 99 Die Auslegung solchen Einheitsrecht ist daher, ebenso wie die Auslegung von Harmonisierungsrichtlinien, auf eine besonders ausgeprägte Konformitätsintensität angelegt. Sowohl Richtlinien wie das, als Vorlage für nationale Rechtsnormen dienende, internationale Einheitsrecht enthalten zu diesem Zweck sehr konkrete Rechtsnormen. Gleichwohl bestehen jedoch auch signifikante Unterschiede, insbesondere im Hinblick auf die jeweiligen Rechtsquellen und die Verbindlichkeit ihrer Anordnung. So ist internationales Einheitsrecht nur dann überhaupt für den einzelnen Staat verpflichtend, wenn dieser die Verpflichtung im Einzelfall akzeptiert hat,100 wobei es sich dann jedoch nur um einen Unterfall der völkerrechtsfreundlichen Auslegung handelt. Zudem kann selbst derart verbindliches Einheitsrecht - und ein Großteil besteht ohnehin aus unverbindlichen Mustergesetzen 101 - nicht selbständig über seine Geltung, seinen Rang und seine Wirkung entscheiden. Hingegen kann Richtlinienrecht durchaus auch gegen den Willen einzelner Mitgliedstaaten gesetzt werden, und das Gemeinschaftsrecht trifft im Rahmen der von der nationalen Rechtsordnung eingeräumten generellen Befugnis eine autonome Auswirkungsanordnung. Von daher bestehen auch zwischen richtlinienkonformer Auslegung und der Auslegung internationalen Einheitsrechts erhebliche Unterschiede. dd) Gemeinschaftskonforme Auslegung In Fortentwicklung seiner Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung hat der EuGH daneben ein allgemeines Gebot zur gemeinschaftsrechtskonformen

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Ruffert, JZ 2001,633 (634) m. w. Nachw.

Franzen, Privatrechtsangleichung, 329 ff. Vgl. allgemein zum internationalen Einheitsrecht Kropholler; Internationales Einheitsrecht. 98 Franzen, Privatrechtsangleichung, 314 ff. (329). 99 Kropholler Internationales Einheitsrecht, 1 ff. Ebenso wie bei Richtlinien muss auch internationales Einheitsrecht nicht notwendigerweise auf Wortgleichheit abzielen, sondern es kann u.U. ein allgemeiner Regelungsrahmen genügen. Insoweit kann man mit Kropholler; a. a. 0., auch von Einheitsrahmenrecht sprechen. 100 V gl. Kropho/ler; Internationales Einheitsrecht, 94. 101 Vgl. zu den Rechtsquellen des internationalen Einheitsrechts Kropholler; 93 ff. Vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 330. 97

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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Auslegung entwickelt. 102 Dieses stützt sich auf Art. 10 EGV und bezieht sich auf alle Rechtsakte des Gemeinschaftsrechts einschließlich Empfehlungen. 103 Danach "ist es Sache des nationalen Gerichts, das innerstaatliche Gesetz unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Gemeinschaftsrechts auszulegen und anzuwenden; soweit eine solche gemeinschaftskonfonne Auslegung nicht möglich ist, darf es entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften nicht anwenden.'do4

Naturgemäß weist die richtlinienkonforme Auslegung strukturelle Ähnlichkeiten mit der gemeinschaftskonformen Auslegung auf, hinsichtlich derer die prozessuale Konstellation sogar identisch ist. Man kann insofern die richtlinienkonforme Auslegung als Sonderform der gemeinschaftskonformen Auslegung betrachten. Allerdings bestehen auch Unterschiede vergleichbar denen zur verfassungskonformen Auslegung. Diese ergeben sich insbesondere aus der Zweistufigkeit des Rechtssetzungsverfahrens bei Richtlinienrecht, die überhaupt erst zu der Situation einer - erwünschten - Parallelität bzw. Überschneidung der Anwendungsbereiche von Normen führt. Im Gegensatz zum Richtlinienrecht erfordert das sonstige Gemeinschaftsrecht nicht notwendigerweise die Existenz nationalen Rechts (man denke an die Grundfreiheiten), bzw. ist solches im Anwendungsbereich von Verordnungen sogar verboten, und zwar auch dann, wenn es lediglich sich aus Verordnungen ergebende Rechtssätze wiederholt. 105 Richtlinien erfordern hingegen in der Regel ganz ausdrücklich die Existenz einer Parallelnormierung. 106 Die Folgen eines Verstoßes gegen Primärrecht und Verordnungen sind dagegen wiederum identisch,107 auch wenn der EuGH im Zusammenhang mit der richtlinienkonformen Auslegung niemals die Unanwendbarkeit einer nationalen Norm als Folge des Scheiterns der Konformauslegung postuliert hat. 108 Dagegen hat der EuGH sehr wohl die Unanwendbarkeit nationalen Rechts für den Fall des Verstoßes gegen Richtlinienbestimmungen angeordnet. 109 Daraus folgt, daß eine natio102 Vgl. hierzu EuGH, Rs. 157/86, Sig. 1988,673, Murphy; Rs. 322/88, Sig. 1989,4407, Grimaldi; Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 63 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 299 f.; Metallinos, Europarechtskonfonne Auslegung. 103 EuGH, Rs. 322/88, Sig. 1989,4407, Grimaldi, Rn. 18. 104 EuGH, Rs. 157/86, Sig. 1988,673, Murphy, Rn. 11. 105 EuGH, Rs. 20/72, Sig. 1972, 1055, Cobelex, Rn. 12/17; Rs. 34173, Sig. 1973,981, Fratelli Varioly, Rn. 10 f. Allerdings kann eine punktuelle Wiederholung ausnahmsweise zulässig sein, vgl. EuGH, Rs. 272/83, Sig. 1985, 1057, Kommission/Italien, 26 f. 106 Das gilt allerdings nicht für den Fall, das eine Richtlinie lediglich Verbote bestimmter nationaler Rechtssätze beinhaltet, bzw. fonnale Anforderungen an deren Erlass stellt. 107 Zur Berücksichtigung von Empfehlungen bei der Auslegung nationalen Rechts siehe EuGH, Rs. 322/88, Sig. 1989,4407, Grimaldi. Zur Rechtswirkung von Empfehlungen im allgemeinen siehe Oppermann, Europarecht, 216 f.; Zahlbruckner, JBI. 1993,345. 108 Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 65; Franzen, Privatrechtsangleichung,

299.

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Vgl. dazu oben Teil 2, A., III., 4.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

nale Rechtsvorschrift durchaus unanwendbar sein kann, wenn sie nicht richtlinienkonform auslegbar ist. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn mit der Nichtanwendung eine richtlinienkonformere Situation geschaffen wird. Daran fehlt es aber, wenn es gerade auf die positive Anwendung der nicht richtlinienkonform auslegbaren Norm ankommt und die entsprechende Richtlinienvorschrift wegen des Verbots der positiven horizontalen Wirkung nicht angewendet werden kann. Eine Nichtanwendung kommt somit nur bei Scheitern einer negativen Konformauslegung in Betracht.

3. Erweiterung des Methodenkanons oder Interpretationsmaxime mit normativer Verbindlichkeit? - Begriff des "Gebots"

Ein wesentliches begriffliches Element des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung wird bisweilen nicht hinreichend betont. Während der EuGH in der ersten Phase seiner Rechtsprechung von nationalen Gerichten angerufen wurde, die von sich aus eine richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts aufgrund nationaler methodenrechtlicher Überlegungen vornehmen wollten, spricht er seit dem Urteil Von Colson 110 in ständiger Rechtsprechung davon, daß ein Gericht seine Auslegung nationalen Rechts an Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie "auszurichten hat"lll und statuiert damit eine Rechtspflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. 112 Der EuGH hat damit nicht eine neue Interpretationsmethode entwickelt oder sich überhaupt primär zu nationalen methodenrechtlichen Erwägungen geäußert, sondern ein normatives Gebot ausgesprochen, das selbst Rechtsnorm und Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist, aber einen methodenrechtlichen Inhalt aufweist. Eine Normierung von Auslegungsregeln ist auch keineswegs ungewöhnlich, auch wenn den deutschen Methodenregeln keine normative Verbindlichkeit zukommt ll3 und die überwiegende Auffassung sogar eine feste Rangfolge zwischen den einzelnen Methoden ablehnt." 4 Als Beispiele sei auf Art. 36 EGBGB ebenso hingewiesen wie auf die Fixierung der Auslegungsregeln in den §§ 6 bis 8 des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen EuGH, Rs. 14/83, Sig. 1984, 1891, Von Colson. Ständige Rechtsprechung des EuGH seit Rs. 14/83, Sig. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26; Rs. C-106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-91192, Sig. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 26; Rs. C-76/97, Sig. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 25; Rs. C-365/98, Sig. 2000,1-4619, Brinkmann II, Rn. 40; Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 16. 112 Ähnlich, wenn auch weniger deutlich z. B. Rüffler; ÖJZ 1997, 121 (123); So auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 262 f. 113 Franzen, Privatrechtsangleichung, 311; Larenz, Methodenlehre, 248. 114 Bydlinski, Methodenlehre, 553 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 310 m. w. Nachw. Eine andere Auffassung vertritt insbesondere Neuner; Rechtsfindung, 110 ff. Ihm folgend Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 268 ff. Ebenso wie hier vertreten auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (67), der interpretatorischen Vorrangregeln ebenfalls Rechtsnormqualität zuschreibt. 110

111

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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Gesetzbuchs. 1l5 Eine völkervertragliche Fixierung von Auslegungsregeln für Völkervertragsrecht findet sich auch in den Art. 31 ff. der WVRK. Diesen wird gleichzeitig völkergewohnheitsrechtlicher Charakter zugesprochen. 1I6 Zumindest Vorrangregeln für das Verhältnis einzelner Auslegungsschritte zueinander soll Rechtsnormqualität zukommen können. 117 Hiervon streng zu trennen sind Überlegungen, ob nationales Recht auf der Grundlage tradierter methodenrechtlicher Erwägungen richtlinienkonform ausgelegt werden kann oder sollte. Mit dem vom EuGH ausgesprochenen Gebot steht dies nicht in unmittelbarem Zusammenhang. Für den Inhalt und die Reichweite dieses Gebots ist daher auch vorrangig auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs abzustellen und eine Berücksichtigung nationaler Methodenerwägungen nur insoweit vorzunehmen, als der EuGH selber auf solche verweist.

111. Herleitung und gemeinschaftsrechtIiche Grundlage des Gebots der richtIinienkonformen Auslegung 1. Vorrang des Gemeinschaftsrechts

Einer verbreiteten Auffassung zufolge soll sich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts ergebenYs Dieser Ansatz stützt sich im wesentlichen auf den Vergleich mit der dogmatischen Verankerung der verfassungskonformen Auslegung, wonach die Konformauslegung zur Vermeidung der Normenkollision und der daraus folgenden Verwerfung der nachrangigen Norm dient. 119 Diese Auffassung wird allerdings dafür kritisiert, daß sie eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nur im Hinblick auf Richtlinien begründen kann, die am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhaben. 12o Einen allgemeinen Vorrang der Richtlinie vor nationalem Recht, ungeachtet der Frage nach ihrer unmittelbaren Wirkung habe der EuGH hingegen nicht angeordnet und ein solcher lasse sich auch aus dessen grundlegenden Ent115 Abgedruckt in Bydlinski, Österreichische Gesetze, Nr. 10. Siehe dazu auch Bydlinski, in: Rummel, ABGB, §§ 6 bis 8. 116 Vgl. dazu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 11, Rn. 11 ff.

ll7 So ausdrücklich Canaris, FS Bydlinski, 47 (66 f.) m. w. Nachw. Siehe ausführlich Gern, VerwA. 1989,415. 118 Klein, FS Everling, 641 (646 ff.); Lutter; JZ 1992, 593 (604); Salzwedel, UTR 7, 65; M. Schmidt, Rabels2 1995, 569 (584); Spetzler; RIW 1991,579 (580). So teilweise auch Götz, NJW 1992, 1849 (1854). Siehe auch Schlußanträge des GA van Gerven zur Rs. C-106/89, Slg. 1990, 1-4135, Marleasing, Nr. 9 sowie des GA Darmon zu den verb. Rs. C-87 - 89 /90, Sig. 1991,1-3757, Verholen, Nr. 21. 119 Siehe dazu oben Teil 2, B., II., 2., b), aa).

120 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 247 ff.; Di Fabio, NJW 1990,947 (950 ff.).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

scheidungen nicht herleiten. 121 Der Vorrang sei eine Kollisionsregel für den Fall, daß zwei Normen für den gleichen Sachverhalt unterschiedliche Rechtsfolgen anordneten, die nebeneinander nicht eintreten können. Fehle es aber an der Kollision, da eine Richtlinie nicht die Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung erfülle, greife auch der Vorrang nicht ein und könne dementsprechend keine richtlinienkonforme Auslegung begründen, die als Alternative zur Lösung des Konflikts diene. An einer allgemeinen Geltung der Richtlinie im innerstaatlichen Recht, die zu einem generellen Vorrang ungeachtet der unmittelbaren Wirkung führen könnte, fehle es aber. 122 Im Ergebnis muß man festhalten, daß beiden Auffassungen in Teilen zuzustimmen ist, sie aber teilweise auch fehlgehen. Zutreffend ist, und das wird auch von den Kritikern dieses Begründungsansatzes nicht bestritten, daß sich die richtlinienkonforme Auslegung auf nationale methodenrechtliche Überlegungen zum Vorrang von Normen stützen läßt, soweit Richtlinien Vorrang vor nationalem Recht zukommt. 123 Zugleich muß den Kritikern der Vorrangargumentation entgegengehalten werden, daß sie einen zu engen Kollisionsbegriff und einen zu engen Begriff der unmittelbaren Wirkung zu Grunde legen. Eine Normenkollision kann sich nämlich nicht allein dann ergeben, wenn zwei Normen unterschiedliche positive Rechtsfolgen für einen Sachverhalt anordnen, sondern auch, wenn sich die eine Norm darauf beschränkt, entweder bestimmte Rechtsfolgen für einen Sachverhalt auszuschließen (was der eigentlichen Kollisionssituation immerhin noch sehr ähnlich ist), oder aber Bedingungen für das wirksame Entstehen einer Sachnorm festzulegen, ohne selbst materielle Regelungen für den eigentlichen Sachverhalt zu treffen, und die eigentliche Sachnorm lediglich diese Voraussetzungen nicht erfüllt. Während für die Kollision im oben beschriebenen engeren Sinne die Voraussetzungen einer positiven unmittelbaren Wirkung vorliegen müssen, hat die bisherige Untersuchung aufgezeigt, daß die beiden letzteren Fälle zum einen geringere Anforderungen an die Bestimmtheit der Richtlinien stellen,124 und zum anderen beide vom EuGH uneingeschränkt angewendet werden. 125 Fehlt es Richtlinienvorschriften sogar an den dafür notwendigen Voraussetzungen, kommt es in der Tat zu keiner Normen121 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 173. Ähnlich auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (52 ff.). 122 Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 247 ff. (256). Ebenso auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (52 ff.). 123 Siehe insbesondere Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 256, der allerdings meint, der richtlinienkonfonnen Auslegung käme gerade dort eine Bedeutung zu, wo eine unmittelbare Wirkung ausscheidet. Zutreffend wird aber in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß dem Vorrang auch durch die Nonnverwerfung genüge getan wäre, und eine Bevorzugung einer Konfonnauslegung nicht auf Vorrangüberlegungen gestützt werden kann, vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 233; Wank, Grenzen, 106. 124 Vgl. dazu oben Teil 2, A., III., 2., d). 125 Vgl. dazu oben Teil 2, A., IV., 1.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

107

kollision, also auch keiner Vorrangfrage. Richtig ist, daß eine Stützung auf den Vorrang auch dann nicht in Betracht kommt, wenn es um eine positive Konformauslegung in einem horizontalen Rechtsverhältnis geht, da der Richtlinienvorschrift dann gerade keine positive unmittelbare Wirkung zukommt, und sie sich auch nicht gegen das nationale Recht durchsetzen kann. Das schließt aber nicht aus, daß z. B. die Zwecksetzungen einer solchen, nicht unmittelbar wirkenden Richtlinie, auf der Ebene der Auslegung nationalen Rechts, welches in den Regelungsbereich einer Richtlinie fällt, Berücksichtigung finden können. Eine derartige Berücksichtigung läßt sich aber über den Vorrang des Gemeinschaftsrechts gerade nicht begründen. Das gleiche gilt jedoch auch für den Fall der verfassungskonformen Auslegung. Fehlt es einer Verfassungsnorm an der für die Feststellung einer Kollision notwendigen Bestimmtheit, läßt sich eine verfassungskonforme Auslegung auch nicht allein mit dem Vorrang der Verfassung rechtfertigen, sondern es bedarf des Rückgriffs auf den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung, der auch eine weiterreichende Berücksichtigung abstrakter Ziele bei der Auslegung einfachgesetzlicher Normen gebietet. 126 Hinzu kommt ferner, daß die Vorrangregel eine allgemeine methodenrechtliche Überlegung ist, die eine Kollision in Abwesenheit ausdrücklicher Kollisionsregeln zu vermeiden oder zu lösen anstrebt. Soweit ausdrückliche Kollisions- und Auslegungsregeln existieren, bedarf es eines Rückgriffs auf solche allgemeinen Prinzipien aber gerade nicht. Zudem kann eine explizite Auslegungsregel die potentielle Kollision entgegengesetzt zur eigentlichen Kollisionsregel lösen, d. h. es kann eine ausdrückliche Konformauslegungspflicht statuiert werden, bei deren Scheitern sich trotzdem die auszulegende Norm durchsetzt. 127 Grundlegend falsch wäre es daher, jedwede Kollisions- oder Konformauslegungsregel auf eine hierarchische Stufung zurückzuführen, deren Stufenbau damit alleiniges Kriterium für die Lösung von Kollisionen innerhalb dieser Rechtsordnung wäre. Ganz genauso ist es möglich, daß Kollisionen mehrerer gleichrangiger Normen auftreten und durch kodifizierte und nicht nichtkodifizierte Auslegungs- und Kollisionsregeln gelöst werden. 128 So kann zwar vom Vorrang einer Norm auf eine Konformauslegung geschlossen werden, sofern ausdrückliche Regelungen für den Kollisionsfall fehlen. Umgekehrt bedeutet aber nicht jede Konformauslegung, daß der entsprechenden Bezugsnorm Vorrang zukommt. Lediglich soweit Kollisionsregel und Auslegungsregel gleichermaßen die Bevorzugung der Bezugsnorm anordnen, kann man daraus auf einen normentheoretischen Vorrang schließen. Dazu müssen die Normen aber dann nicht notwendigerweise Teil der gleichen Rechtsordnung sein, sondern können zwei unterschiedVgl. Hesse, Grundzüge, 31. So ist es beispielsweise in Teilen bei der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ebenso wie bei der durch Art. 36 EGBGB begründeten Pflicht zur Auslegung in Konformität mit internationalem Einheitsrecht. Im Ergebnis ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (52 ff.) der zwischen einer derogatorischen und einer interpretatorischen Vorrangregel unterscheidet. 128 Zu denken ist dabei sowohl an interlokales, interregionales, internationales wie intertemporales Kollisionsrecht. Vgl. hierzu auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 248. 126

127

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

lichen Rechtsordnungen entstammen, die durch Geltungs- und Ranganordnungen sowie Kollisions- und Auslegungsregeln miteinander verschränkt sind. 129 Da nach dem hier zu Grunde gelegten Verständnis das Gemeinschaftsrecht kraft verfassungsrechtlicher Ermächtigung in deren Rahmen über seine Auswirkungen in der nationalen Rechtsordnung autonom bestimmt, 130 ist jedoch letztendlich endscheidend, daß der EuGH den Ansatz des Generalanwalts van Gerven in dem Verfahren Marleasing l3l , in dem dieser auch den Vorrang des Gemeinschaftsrechts als Begründung für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung herangezogen hatte, gerade nicht übernommen hat l32 und auch sonst nicht auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts zur Begründung der richtlinienkonformen Auslegung abstellt. 133 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ergibt sich somit nicht aus einem normentheoretischen Vorrang der Richtlinie. Das bedeutet allerdings nicht, daß Vorrangüberlegungen im Zusammenhang mit dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung überhaupt keine Bedeutung zukommt, bzw. daß Richtlinien nicht - soweit ihnen unmittelbare Wirkung im hier zugrunde gelegten Sinn zu eigen ist - am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhätten.

2. Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten

Im Anschluß an Brechmanns grundlegende Arbeit l34 setzt sich immer mehr die Auffassung durch, daß sich das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts aus der Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt. 135 Danach ist die richtlinienkonforme Auslegung die Fortsetzung der Umsetzung auf judikativer Ebene, ohne die sich das Ziel der Harmonisierung, nämlich die tatsächliche und nicht nur formale Rechtsvereinheitlichung in der Gemeinschaft, nicht erreichen ließe. 136 Im Gegensatz zu Vorrangüberlegungen, denen auch durch die 129

130 131

Nr.9.

Ähnlich auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (53) mit dem Begriff eines "Doppelgebäudes". Vgl. dazu oben Teil 2, A., I., 3. Schlußanträge des GA van Gerven zur Rs. C-106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing,

132 EuGH, Rs. C-106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8. Vgl. dazu auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 294. 133 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. 14/83, Sig. 1984, 1891, Von Coison, Rn. 26. Nahezu identisch auch EuGH, Rs. 80/86, Sig. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 12; Rs. C106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing; Rs. C-365/98, Sig. 2000, 1-4619, Brinkmann 11. 134 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 256 ff. 135 Canaris, FS Bydlinski, 49 (55 ff.); Grundmann, ZEuP 1996, 399 (412); Klamert, Richtlinienkonforme Auslegung, 164 ff.; Leible, Wege, 280 f1'.; Ruffert, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 109; Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (123). So auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 298, der jedoch daneben Art. 36 EGBGB analog anwenden will (320). 136 Vgl. Basedow, FS Brandner, 651 (654 ff.); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 256; Everling, ZGR 1992,376 (380); Franzen, Privatrechtsangleichung, 299; Prechal, Directives, 210 f.; Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (123).

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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unmittelbare Wirkung Rechnung getragen werden könnte, kann letztere keinen Beitrag zur Umsetzung leisten. 137 In diesem Sinne hat auch der EuGH in ständiger Rechtsprechung seit dem Urteil Von Colson immer wieder die Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten als Begründung für das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung fruchtbar gemacht: "Allerdings ist klarzustellen, daß die sich aus einer Richtlinie ergebende Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das in dieser vorgegebene Ziel zu erreichen, sowie die Pflicht der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 5 EWG-Vertrag, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zu treffen, allen Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten obliegen, und zwar im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch den Gerichten. Daraus folgt, daß das nationale Gericht bei der Anwendung des nationalen Rechts, insbesondere auch der Vorschriften eines speziell zur Durchführung der Richtlinie 76/207 erlassenen Gesetzes, dieses nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat, um das in Artikel 189 Abs. 3 genannte Ziel zu erreichen.'''38

Der Gerichtshof verankert das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung damit ganz deutlich in der Umsetzungsverpflichtung. 139 Unklar ist demnach lediglich, ob sich die Umsetzungsverpflichtung aus der Richtlinie selbst, aus Art. 10 EGV (Art. 5 EWGV), oder aus Art. 249 Abs. 3 EGV (Art. 189 Abs. 3 EWGV) ergibt, die der EuGH in seiner Rechtsprechung alle aufführt. Mit der überwiegenden Ansicht wird man jedoch den Kern der Umsetzungsverpflichtung in Art. 249 Abs. 3 EGV anzusiedeln haben, und nicht, wie teilweise vorgetragen, in Art. 10 EGY. 140 Dieser statuiert eine generelle Pflicht der Mitgliedstaaten, alle Maßnahmen zu treffen, die zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen, welche sich aus dem Vertrag oder aus Handlungen der Organe ergeben, notwendig sind. So gesehen könnte man Art. 10 EGV die Pflicht entnehmen, die Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um Verpflichtungen, die aus der Rechtshandlung "Richtlinie" gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV erwachsen, zu erfüllen, und damit Art. 249 Abs. 3 EGV lediglich als Beschreibung der Rechtswirkung einer besonderen Organhandlung werten. 141 Dafür würde insbesondere sprechen, daß Art. 10 EGV gerade auf Handlungen der Organe Bezug nimmt, und die Erfüllung der sich aus ihnen ergebenden Verpflichtungen einfordert, während Art. 249 Abs. 3 EGV allein davon spricht, daß die Richtlinie hinsichtlich ihrer Ziele verbindlich sei, den innerstaatlichen Stellen aber die Wahl der Form und Mittel überläßt. 142 Andererseits setzt Art. 10 EGV aber ganz offenVgl. EuGH Rs. C-253 195, Slg. 1996,1-2423, Kommission 1Deutschland, Rn. 13. 138 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26. Nahezu identisch auch EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 12; Rs. C-106/89, Slg. 1990,14135, Marleasing; Rs. C-365 198, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann II. 139 Ebenso Leibte, Wege, 282. 140 So insbesondere Streinz, HdBStR, Bd. VII, § 182, Rn. 11. Vgl. zu diesem Streit auch Frisch, Richtlinienkonfonne Auslegung, 66 ff. 141 So etwa Nettesheim, AöR 1994,261 (268). Ihm folgend Köhne, Richtlinienkonfonne Auslegung, 95. 142 Vgl. Streinz, HdBStR, Bd. VII, § 182, Rn. 11, der darauf hinweist, daß Art. 249 Abs. 3 EGValiein die Verbindlichkeit, nicht aber die Umsetzungspflicht statuiere. 137

110

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

sichtlich voraus, daß sich eine Verpflichtung bereits aus anderen Vorschriften des Vertrages oder aus Organhandlungen ergibt. Demnach müßte sich bereits entweder aus Art. 249 Abs. 3 EGVoder aus den Richtlinien eine Verpflichtung ergeben, zu deren Erreichung der Mitgliedstaat alle notwendigen Maßnahmen zu treffen hätte. Wenn sich aber die Verpflichtung bereits aus Art. 249 Abs. 3 EGV ergeben muß, dann ist fraglich, wieso es noch eines Rückgriffs auf Art. 10 EGV bedarf. Der einzige Grund könnte darin zu sehen, sein, daß Art. 10 EGV die Verpflichtung konkretisierte. Dagegen spricht aber, daß Art. 10 EGV deutlich allgemeiner gefaßt ist als Art. 249 Abs. 3 EGV, von den Richtlinien gar nicht zu reden. Hinzu kommt erschwerend, daß Art. 10 EGV gerade nur eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten statuiert, während Art. 249 Abs. 3 EGV bereits auf die innerstaatlichen Stellen Bezug nimmt. Bei der richtlinienkonformen Auslegung geht es aber gerade um eine Pflicht, die nicht abstrakt die Mitgliedstaaten trifft und nicht in den innerstaatlichen Bereich hineinwirkte, sondern die ganz konkret von einzelnen innerstaatlichen Stellen erfüllt werden muß. Hinzu kommt, daß der EuGH in anderem Zusammenhang explizit Art. 249 Abs. 3 EGVals Grundlage für die Umsetzungsverpflichtung benannt hat. 143 In jüngerer Judikatur hat der Gerichtshof zur Begründung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung auf die Erwähnung von Vertragsartikein gänzlich verzichtet und allein auf die Umsetzungsverpflichtung hingewiesen. 144 Auch der Einwand, Art. 249 Abs. 3 EGV betreffe nur die Rechtswirkungen der Handlungen der Organe, nicht aber das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht,145 geht fehl. Das liegt allerdings nicht im wesentlichen daran, daß es bei der richtlinienkonformen Auslegung nicht um eine Kollisionsfrage geht. 146 Zumindest die negative Konformauslegung stellt ja gerade die Verwerfung einer bestimmten Auslegung dar,147 die wenn sie als derart konkretisierter Rechtssatz normiert wäre, außer acht zu lassen wäre. Entscheidend ist vielmehr, daß sich das Verhältnis nationalen Rechts und Gemeinschaftsrechts nicht aus dem Begriff der Rechtswirkungen von Organhandlungen herauslösen läßt, da die Besonderheit der Gemeinschaft ja gerade darin zu sehen ist, daß die Rechtsakte der Organe der Gemeinschaft aus sich heraus auch auf die nationale Rechtsordnung einwirken können. Insgesamt läßt sich daher festhalten, daß Art. 10 EGV allenfalls die sich aus Art. 249 Abs. 3 EGV ergebende Umsetzungsverpflichtung wiederholt und bestärkt,148 Art. 249 Abs. 3 EGV jedoch lex specialis gegenüber Art. 10 EGV 143 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 40; Rs. C-318/98, Slg. 2000, 1-4785, Fomasar, Rn. 41. 144 EuGH, Rs. C-371197, Slg. 2000, 1-7881, Gozza, Rn. 37. 145 Nettesheim, AöR 1994,261 (268). 146 So aber Leible, Wege, 282. 147 Vgl. hierzu für die verfassungskonforme Auslegung Bettermann, Verfassungskonforme Auslegung, 26 ff. 148 Auch der BGH, ZIP 2002, 1075 (1076) nennt zunächst Art. 249 Abs. 3 und dann Art. 10 EGY.

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

l11

ist. 149 Der konkrete Inhalt der Umsetzungs verpflichtung läßt sich im Einzelfall ohnehin nur unter Rückgriff auf die Richtlinie ermitteln, die hinsichtlich zu erreichendem Ziel und Z~itpunkt die Verpflichtung konkretisiert. 15o 3. Einschub: Parallele innerstaatliche Grundlage des Gebots der richtIinienkonformen Auslegung?

In der Literatur wird bisweilen die Rechtsgrundlage für die richtlinienkonforme Auslegung im nationalen Recht gesucht; allenfalls parallel bestünde danach ein unverbindliches gemeinschaftsrechtliches Gebot. 151 Grundsätzlich ist es unstreitig, das in vielen Fällen die nationale Methodenlehre - insbesondere über die subjektiv-teleologische oder historische Auslegung - bereits geeignet sein kann, die Richtlinie in hinreichendem Maße zu berücksichtigen und somit nationales Um setzungsrecht konform auszulegen. 152 Nicht umsonst ging die Initiative zur Konformauslegung ursprünglich von den nationalen Gerichten aus. Ungeachtet dessen beruht ein Abstellen auf den gesetzgeberischen Willen teilweise auf einer Fiktion, und zwar insbesondere dann, wenn es darum geht, die Auslegung an die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur jeweiligen Richtlinie anzupassen, die der Gesetzgeber bei Erlaß der Umsetzungsvorschriften noch nicht kannte und somit in seinen Willen auch nicht aufnehmen konnte. 153 Noch schwerwiegender greift diese Überlegung hinsichtlich nationalen Rechts, welches dem Richtlinienerlaß vorausgeht,154 auch wenn versucht wird, diesem Umstand über die Figur der geltungszeitlichen Veränderung Rechnung zu tragen. 155 Daneben bestehen aber auch gravierende Bedenken, die sich daraus ergeben, daß der Methodenlehre nach deutschem Verständnis keine normative Wirkung zugemessen wird und sie somit - im Gegensatz zum gemeinschaftsrechtlichen Gebot - keine echte Rechtspflicht der Gerichte begründen kann. 156 Innerstaatliche Methodenerwägungen sind daher prinzipiell nicht geeignet, die richtlinienkonforme Auslegung im vom EuGH verlangten Umfang zu garantieren. 157 Franzen hat zur Lösung dieses Problems eine 149 So auch Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 257; ähnlich Canaris, FS Bydlinski, 47 (62); Franzen, Privatrechtsangleichung, 298; Leibte, Wege, 282 f.; Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (123), der Art. 10 EGV insoweit für überflüssig hält. 150 Ebenso Leibte, Wege, 281. 151 Vgl. beispielsweise Ehricke, RabelsZ 1995,598 (615); ders. EuZW 1999,553 (554). 152 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 128; Canaris, FS Bydlinski, 47 (49 ff.); Franzen, Privatrechtsangleichung, 313; Leibte, Wege, 282 f.; Schnorbus, AcP 2001, 860. 153 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 313; Nettesheim, AöR 1994,261 (267). 154 V gl. Canaris, FS Bydlinski, 47 (50); Franzen, Privatrechtsangleichung, 313; Leibte, Wege, 282. 155 Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 271. 156 V gl. hierzu Franzen, Privatrechtsangleichung, 313. 157 Franzen, Privatrechtsangleichung, 313.

112

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

analoge Anwendung des Art. 36 EGBGB auf Richtlinien vorgeschlagen. 158 Eine analoge Anwendung setzt aber zuvörderst eine Regelungslücke voraus, 159 also das Fehlen eines Rechtssatzes, der die Gerichte zur richtlinienkonfonnen Auslegung verbindlich verpflichtet. Ein solcher Rechtssatz gilt aber bereits innerstaatlich unmittelbar. Wie dargelegt ergibt sich die Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung aus der Umsetzungsverpflichtung, insbesondere aus Art. 249 Abs. 3 EGY. 160 Im Gegensatz zu Richtlinien, denen nur unter besonderen Voraussetzungen eine unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht zukommt, gilt Art. 249 Abs. 3 EGVals Primärrecht in allen Mitgliedstaaten und verpflichtet seinem Wortlaut nach auch alle innerstaatlichen Stellen unmittelbar. 161 Hätte Art. 249 Abs. 3 EGV keine unmittelbare Geltung, könnte er allein den Mitgliedstaat binden, nicht jedoch auf das innerstaatliche Institutionengefüge durchgreifen. 162 Art. 249 Abs. 3 EGV kommt somit allgemeine unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten zu, und zwar unabhängig von der Frage, ob der jeweiligen Richtlinienbestimmung unmittelbare Wirkung zuzumessen ist. 163 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ist als Rechtssatz damit Teil des durch die nationalen Gerichte anzuwendenden Rechts, genauso wie Art. 36 EGBGB. Einer Analogie bedarf es daher ebenso wenig wie einer anderen Suche nach einer innerstaatlichen Grundlage für das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung. 164 Ungeachtet dessen entfalten die nationalen methodenrechtlichen Erwägungen Wirkung bei der Frage nach dem konkreten Inhalt der Verpflichtung, insoweit der EuGH auf die nationalen Auslegungsmethoden verweist. 165

IV. Voraussetzungen des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung Zu klären sind damit als nächstes die Voraussetzungen, an deren Vorliegen das Entstehen der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung geknüpft ist. Da es sich hierbei um ein Instrument handelt, welches auf zwei parallelen Normkomplexen 158 Franzen, Privatrechtsangleichung, 314 ff. Vgl. auch schon Hommelhoff, AcP 1992,71 (95), Fn. 159. 159 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 370 ff. (380 ff.). 160 Siehe oben Teil 2, B., III., 2. 161 GelIermann, Beeinflussung, 16 f.; Hilf, EuR 1993,1 (4); Himmelmann, DÖV 1996,145. 162 Wohl ablehnend gegenüber einer innerstaatlichen Wirkung des Art. 249 Abs. 3 EGV Hellert, Einfluss, 96 f. 163 Auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 260, stellt zutreffend fest, daß man zwischen Vorrang der Richtlinie und Vorrang der Umsetzungsverpflichtung unterscheiden muß. Der Vorrang der Umsetzungsverpflichtung setzt aber nach dem hier zu Grunde gelegten Verständnis und nach herrschender Meinung die innerstaatliche Geltung der Umsetzungsverpflichtung gerade voraus. 164 Im Ergebnis ebenso, wenn auch mit anderer Begründung Canaris, FS Bydlinski, 47 (62 ff.). Ablehnend Hellert, Einfluss, 96. 165 Siehe dazu ausführlich unten Teil 2, B., v., 2.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

113

aufbaut, ist zwischen Voraussetzungen hinsichtlich der Richtlinie und solchen hinsichtlich der auszulegenden nationalen Norm zu unterscheiden. 1. Im Hinblick auf die Richtlinie

a) Keine qualitativen Voraussetzungen

aa) Keine Beschränkung auf unmittelbar wirkende Richtlinien Grundsätzlich gilt das Gebot richtlinienkonformer Auslegung hinsichtlich aller Richtlinien, ungeachtet, ob ihnen auch eine unmittelbare Wirkung zukommt oder nicht. 166 Häufig wird die wesentliche Bedeutung der richtlinienkonformen Auslegung ohnehin in den Fällen gesehen, in denen einer Richtlinie gerade - insbesondere wegen des Verbots der positiven horizontalen Wirkung - keine unmittelbare Wirkung zukommen kann. 167 Ergiebig ist die richtlinienkonforme Auslegung in derartigen Fällen deshalb, weil die Richtlinie häufig die für eine positive Anwendung notwendige Bestimmtheit aufweisen wird und somit eine sehr genaue Vorgabe für die Auslegung nationalen Rechts beinhaltet. Aber auch Richtlinien, die den Mitgliedstaaten einen Ermessenspielraum lassen und daher keine unmittelbare Wirkung auslösen, sind bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen. 168 In einem solchen Fall kann die Richtlinie möglicherweise bestimmte Auslegungsergebnisse ausschließen, die außerhalb des Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten liegen und so eine richtlinienkonforme Auslegung "in den Ermessensspielraum des Mitgliedstaates hinein" ermöglichen. Zudem können auch Ziele und Systematik der Richtlinie bei der Auslegung nationalen Rechts gegebenenfalls Berücksichtigung finden. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung greift im übrigen nicht nur bei nichtumgesetzten Richtlinien ein, sondern ganz genauso sogar bei einer wortwörtlichen Umsetzung. 169 Auch in dieser Konstellation ist die 166 Dies ergibt sich allerdings noch nicht aus dem Urteil des EuGH in der Rs. 111 175, Sig. 1976, 657, Mazzalai, da dieser Fall der Entwicklung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung vorausgeht und der Gerichtshof lediglich darüber zu befinden hatte, ob ein Gericht eine Auslegungsfrage auch dann vorlegen kann, wenn einer Richtlinie keine unmittelbare Wirkung zukommt, was der EuGH mit der Begründung bejahte, daß eine solche Auslegung "zweckmäßig" sein könne, vgl. EuGH a. a. 0., Rn. 71 11. Dazu Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 38 sowie Prechal, Directives, 204. Hingegen verweist der EuGH gerade in Fällen, in denen er Richtlinienvorschriften eine unmittelbare Wirkung absprach, auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, vgl. EuGH, Rs. C-106/89, Sig. 1990, 1-4135, Marleasing, Rn. 6 ff.; Rs. C-334/92, Sig. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 19 f.; Rs. C-192/94, Sig. 1996, 1-1281, EI Corte Ingles, Rn. 20 ff.; Rs. C-76/97, Sig. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 21 ff.; Rs. C371/97, Sig. 2000, 1-7881, Gozza, Rn. 36 f.; Rs. C-365/98, Sig. 2000, 1-4619, Brinkmann 11, Rn. 39 f.; Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 15 ff. 167 Siehe beispielsweise Rodriguez 19lesias / Riechenberg, FS Everling, 1213. 168 Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. C-365 198, Sig. 2000, 1-4619, Brinkmann 11. 169 So auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 298; Ress, DÖV 1994, 489 (490); Rüffler; ÖJZ 1997,121 (123).

8 Hernnann

114

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Berücksichtigung der Richtlinie als gemeinschaftsrechtliche Vorgabe für das nationale Recht unerläßlich, und zwar insbesondere im Hinblick auf eine die Richtlinie konkretisierende Rechtsprechung des Gerichtshofs, die von den nationalen Gerichten nachzuvollziehen ist. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung ist somit an keinerlei Voraussetzungen hinsichtlich der Qualität der Richtlinie geknüpft. bb) Beschränkung auf den sachlichen Rege1ungsbereich der Richtlinie Brechmann hat zutreffend ausgeführt, daß die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung durch den sachlich inhaltlichen Anwendungsbereich der jeweiligen Richtlinie vorgegeben wird. 170 Wo Richtlinien nur Mindestvorschriften oder Maximal vorschriften zulassen, kann ebenso wie bei einem eingeräumten Ermessen lediglich erwartet werden, daß die Gerichte eine richtlinienkonforme Auslegung wählen, welche oberhalb oder unterhalb derartiger Begrenzungen bleibt. 171 Die begrenzte Harrnonisierungspflicht schlägt insoweit auch auf die Umsetzungsverpflichtung der Gerichte, in der Form der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, durch. 172

cc) In Richtlinien enthaltene Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe Zu unterscheiden von einem eindeutig eingeräumten Ermessens- oder Regelungsspielraum der Mitgliedstaaten sind die Fälle, in denen sich Richtlinien unbestimmter Rechtsbegriffe oder GeneralklauseIn bedienen. Eine solche Verwendung kann nämlich sowohl als Einräumung einer besonderen Konkretisierungsbefugnis an die Judikative, ebenso aber als Umsetzungsspielraum für die Mitgliedstaaten, verstanden werden. 173 Hieraus ergibt sich die Fragestellung, inwieweit der EuGH für die Konkretisierung derartiger Begriffe in Richtlinien zuständig ist, und ob bei ihnen eine gemeinschaftsrechtlich autonome Inhaltsbestimmung vorzunehmen ist. 174 Während beides im Hinblick auf unbestimmte Rechtsbegriffe nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird,175 wird die Kompetenz des EuGHs zur Konkretisierung von GeneralklauseIn in der Literatur von Franzen und Roth bestritten. 176 Der 170 171

172

(74).

Brechmann, Richtlinienkonforrnen Auslegung, 273 ff. Brechmann, Richtlinienkonforrnen Auslegung, 275. Brechmann, Richtlinienkonforrnen Auslegung, 274. Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47

Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 540; Leibte, Wege, 298. Leibte, Wege, 297. 175 Vgl. hierzu ausführlich Franzen, Privatrechtsangleichung, 471 ff., 493 ff.; Leibte, Wege, 305 ff. 176 Franzen, Privatrechtsangleichung, 536 ff.; Roth, FS Drobnig, 135 (140 ff.); ders., Festgabe 50 Jahre BGH, 847 (876 ff.). 173

174

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

115

EuGH greife damit in den Bereich der ihm kompetenziell abgeschnittenen Rechtsanwendung über l77 und beseitige einen den Mitgliedstaaten bewußt eingeräumten Gestaltungsspielraum. 178 Diese Ansicht verkennt jedoch, daß GeneralklauseIn in Richtlinien keinen zwingenden Schluß darauf zulassen, daß der Harmonisierungsgrad in der Gemeinschaft in einem Bereich geringer ausfallen könne. Vielmehr sind GeneralklauseIn von ihrer Funktion her darauf angelegt, legislatives Unvermögen zur ex ante Regelung einer Vielzahl von realen Lebenssachverhalten zu kompensieren und damit eine flexible Anpassung des Rechts an sich verändernde Realwelten zu ermöglichen. 179 Sofern es gerade auf unterschiedliche Sachlagen in einzelnen Mitgliedstaaten ankommt, wird es in aller Regel möglich sein, die Einräumung eines Spielraums zur typisierten Konkretisierung in anderer Weise in einer Richtlinie zu verankern. Lediglich insoweit GeneralklauseIn gerade auf regional oder national geprägte Sozialnormen verweisen, und keine Bezugnahme auf eine gemeinschaftsrechtliche Sozialnorm unter dem Gesichtspunkt der Harmonisierung notwendig erscheint, kann die Befugnis zur Konkretisierung von GeneralklauseIn bei den nationalen Gerichten verbleiben. 180 Ansonsten ist der EuGH zur Herausarbeitung von Wertprinzipien und zur Bildung von Fallgruppen aufgerufen. l8l Diese Inhaltsbestimmung wird dabei im Regelfall eine gemeinschaftsrechtlieh-autonome sein. 182 Der EuGH scheint in seiner Rechtsprechung ansatzweise noch weitergehend sogar eine Konkretisierungsbefugnis bis hin zur Einzelfallentscheidung anzunehmen. 183 Generalklauseln lassen sich damit keinem Harmonisierungstypl84 zuordnen, sondern ihre jeweilige Wirkung ist im Einzelfall zu ermitteln. In der Konsequenz gilt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts auch in Bezug auf in Richtlinien enthaltene unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklauseln.

b) Formale Voraussetzung: Ablauf der Umsetzungsfrist?

Eine der wesentlichen nicht geklärten Fragen betrifft die Pflicht zu einer richtlinienkonformen Auslegung in der Zeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Während eine solche Pflicht danach im Prinzip unstreitig ist und vor Erlaß der Richtlinie ohnehin ausscheidet, gibt es erhebliche Zweifel am Bestehen einer solchen Pflicht 177 \78

179 180 181 182

183

301.

Franzen, Privatrechtsangleichung, 538 f. Vgl. Roth, FS Drobnig, 135 (142). Vgl. Leible, Wege, 298; Ohly, AcP 2001, 1 (6 f.). Vgl. zum Argument des Harmonisierungszwecks Freitag, EWiR 2000,784. Leible, Wege, 301. Leible, Wege, 301 ff. Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-240-244/98, Slg, 1999,1-4941, Oceano. Dazu Leible, Wege,

184 Vgl. zur Typologie der Harmonisierung Nentwich, Das Lebensmittelrecht der Europäischen Union, 1994,214 ff.

8*

116

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

in der Zeit zwischen Erlaß und Verstreichen der Umsetzungsfrist, und die überwiegende Meinung lehnt eine derartige Pflicht ab. 18S aa) Rechtsprechung des Gerichtshofs Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu dieser Frage ist nicht eindeutig. Während entgegen einigen Stimmen l86 dem Urteil Kolpinghuis Nijmegen l87 keine Aussage diesbezüglich entnommen werden kann,188 ergeben sich Hinweise aus dem Urteil Inter-Environment Walionie. 189 In diesem Verfahren sah sich der EuGH mit der Frage nach den Auswirkungen einer Richtlinie für den Fall konfrontiert, daß während der Umsetzungsfrist der Richtlinie widersprechendes nationales Recht ergeht. 190 Sowohl eine der Parteien als auch die Kommission hatten vorgetragen, daß sich aus Art. 10 und 249 Abs. 3 EGVeine Sperrwirkung hinsichtlich des Erlasses von richtlinienwidrigem Recht bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist ergebe. 191 In Bestätigung der sich aus Art. 249 Abs. 3 EGVergebenden Verpflichtung aller Träger öffentlicher Gewalt einschließlich der Gerichte, alle allgemeinen oder besonderen zur Erreichung der durch die Richtlinie vorgegebenen Ziele notwendigen Maßnahmen zu treffen, verwies der Gerichtshof auf Art. 251 Abs. 2 EGV, aus dem sich ergebe, daß "die Richtlinie gegenüber dem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, schon vom Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe an Rechtswirkungen entfaltet." 192 185 Siehe beispielsweise Bach, JZ 1990, 1108 (1111); Ehricke, RabelsZ 1995,598 (621); Jarass, Grundfragen, 92; ders., EuR 1991,211 (221); Klein, FS Everling, 641 (645); Langenfeld, DÖV 1992, 955 (964); Lutter, JZ 1992, 593 (605); Nettesheim, AöR 1994, 261 (277); Zöckler, JhrbjZiv 1992, 141 (149 f.). 186 Vgl. z. B. Schlußanträge des GA Liger zur Rs. C-5/94, Slg. 1996,1-2553, Hedley Lomas, Nr. 64; ArnuU, ELRev. 1988,42 (43); von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 5, Rn. 55; de Burca, MLR 1992, 215 (218); Curtin, CMLRev. 1990, 709 (719); Lenz, DVBI. 1990, 903 (908); Sack, WRP 1998, 241 (243); Scherzberg, Jura 1993, 225 (232). Jüngst erneut HeUert, Einfluss, 97. 187 EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen. 188 Der EuGH hatte in diesem Verfahren sowohl die unmittelbare Wirkung als auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung abgelehnt und im Anschluss daran auf die Frage nach Bedeutung des Ablaufs der Umsetzungsfrist für die Antwort auf die ersten beiden Fragen entschieden, daß dieser unerheblich sei (vgl. EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 6 ff. (15)). Sofern aber eine Richtlinie von einem Gericht überhaupt nicht berücksichtigt werden kann, ist es völlig selbstverständlich, daß es für diesen Umstand nicht darauf ankommt, daß die Umsetzungsfrist abgelaufen ist. Ebenso beispielsweise Ehricke, EuZW 1999, 553 (557); Hartley, Foundations, 212, Fn. 110; Rüf!ler, ÖJZ 1997, 121 (125). 189 EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie. 190 Siehe zu dem Urteil insgesamt Weij3, DVBI. 1998,568. 191 Vgl. EuGH, Rs. C-129 196, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 36 f. 192 EuGH, Rs. C-129 196, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 40.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

117

Da die Richtlinie aber eine Umsetzungsfrist vorsehe, könne den Mitgliedstaaten kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie die Richtlinie nicht vor Ablauf der Umsetzungsfrist in ihre nationale Rechtsordnung umsetzen. 193 Im Anschluß daran stellte der EuGH fest, daß es gleichwohl "den Mitgliedstaaten während der Umsetzungsfrist [obliegt], die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, daß das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel bei Ablauf dieser Frist erreicht wird." 194

Danach sind die Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist die notwendigen Maßnahmen für die Umsetzung zu erlassen, allerdings dürfen sie ebenfalls keine Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels in Frage zu stellen. 195 Die Beurteilung, ob eine solche "Frustration,,196 der Zielerreichung durch eine nationale Rechtsvorschrift drohe, sei Sache des nationalen Gerichts. 197 Der EuGH gab jedoch zugleich dem vorlegenden Gericht Kriterien an die Hand, die zur Beurteilung dieser Frage herangezogen werden sollten. 198 bb) Bedeutung der Rechtsprechung für die richtlinienkonforme Auslegung Vorauszuschicken ist, daß der vorliegende Fall nicht eine Frage der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts betraf, auch wenn die Ausführungen durch die Bezugnahme auf die sich an alle Träger öffentlicher Gewalt einschließlich der Gerichte richtende Umsetzungsverpflichtung auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ausstrahlen. In Frage stand in dem Verfahren allein eine negative unmittelbare Wirkung, was sich aus der Frage, ob den Mitgliedstaaten der Erlaß bestimmter Maßnahmen "verboten" sei,199 sowie der darauf gegebenen Antwort,200 ergibt. Wenn es den Mitgliedstaaten verboten ist, bestimmte Maßnahmen zu erlassen, und die Gerichte dies bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit nationaler Maßnahmen zu beachten haben, kann die alleinige Konsequenz die Nichtanwendung der jeweiligen richtlinienwidrig erlassenen Norm sein, auch wenn der EuGH EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 43. EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 44. 195 EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 45. 196 So ausdrücklich Ehricke, EuZW 1999, 553 (557); LeiblelSosnitza, NJW 1998,2507 (2508); Leible, Wege, 286; Weiß, DVBI. 1998,568 (572). Der Ausdruck entstammt dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot des Art. 18 WVRK, vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 393c. Zur Vorwirkung von Richtlinien auf nationale Gesetzgebungsvorhaben vgl. Ehricke, ZIP 2001,1311. 197 EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 46. 198 EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 47 ff. 199 Vgl. EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 35. 200 Vgl. EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 45 f. 193

194

118

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

dies in dem Verfahren nicht offen aussprach. 2ol Zugleich bestätigte der Gerichtshof, daß die Umsetzungs verpflichtung mit Inkrafttreten der Richtlinie beginnt. Bei der Umsetzungspflicht handelt es sich aber um eine zeitlich konditionierte Pflicht, die lediglich verlangt, daß die Ziele der Richtlinie bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist erreicht werden. 202 Die Beurteilung der Erfüllung dieser Pflicht ist damit regelmäßig erst am Ende der Umsetzungsfrist ex post möglich, und somit kann einem Mitgliedstaat in der Regel vor diesem Zeitpunkt kein Vorwurf gemacht werden, wenn die Ziele noch nicht erreicht sind. 203 Eine Ausnahme von dieser Regel besteht nach dem EuGH lediglich dann, wenn sich aus den Umständen bereits ergibt, daß eine Zielerreichung bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist durch bestimmte nationale Rechtsakte vereitelt würde, und somit ausnahmsweise eine ex ante Feststellung des Richtlinienverstoßes möglich ist. Einen entsprechenden, die Erreichung des Richtlinienzieles frustrierenden Rechtsakt haben die nationalen Gerichte dann nicht anzuwenden. Was ergibt sich daraus aber nun für die Pflicht zur richtlinienkonforrnen Auslegung? Die Unterschiede zwischen beiden Instituten, insbesondere im Hinblick auf die fehlende Notwendigkeit eines Verstoßes gegen eine Richtlinie für das Entstehen der Pflicht zur richtlinienkonforrnen Auslegung, verbieten eine undifferenzierte Übertragung der Argumentation des Gerichtshofs. Hinzu kommt, daß bei der Frage der richtlinienkonformen Auslegung eine Verpflichtung der Rechtsprechung selbst in Rede steht, deren Erfüllung innerstaatlich keiner weitergehenden Überprüfung durch eine andere Gewalt zugänglich ist. Während die Frustration der Richtlinienziele durch Legislativakte durch die Rechtsprechung überprüft werden kann, fehlt es an einer vergleichbaren Möglichkeit im Hinblick auf eine etwaige Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Bei der Übertragung der Ausführungen des Gerichtshofs muß man diese Unterschiede berücksichtigen. Eine undifferenzierte Schlußfolgerung derart, daß aus dem Urteil zweifellos die Pflicht zur richtlinienkonforrnen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist folge,204 ist jedenfalls nicht gerechtfertigt. Wenn sich, wie hier vertreten, die Pflicht zur richtlinienkonforrnen Auslegung aus der Umsetzungs verpflichtung ergibt, dann beginnt auch diese Pflicht zweifellos mit dem Inkrafttreten der Richtlinie. 205 Das heißt aber nicht notwendigerweise, daß die nationalen Gerichte ab diesem Zeitpunkt nationales Recht umfassend und in jedem Fall richtlinienkonforrn auszulegen haben. Auch die Pflicht zur richtli201 Deutlich aber EuGH, Rs. C-28/99, Slg. 2001, 1-3399, Verdonck. Vgl. hierzu auch oben Teil 2, A., III., 2., d). 202 Vgl. EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 42 f. Ebenso bereits Brechmann, Richtlinienkonformen Auslegung, 264. 203 Vgl. EuGH, Rs. 129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 43. 204 So beispielsweise Sack, WRP 1998,241 (243). 205 Ebenso Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 264; Franzen, Privatrechtsangleichung, 301 f.

B. Das Gebot der richtiinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

119

nienkonfonnen Auslegung ist auf die gleiche Weise zeitlich konditioniert wie die Umsetzungspflicht selbst. Daraus folgt, daß die Gerichte allenfalls dazu verpflichtet sein können, bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist eine richtlinienkonfonne Auslegung nationalen Rechts sicherzustellen, nicht jedoch, daß sie ab Inkrafttreten der Richtlinie jede nicht richtlinienkonfonne Auslegung zu unterlassen haben. 206 Eine Erfüllung dieser Pflicht läßt sich somit ebenfalls regelmäßig nur ex post beurteilen. Richtigerweise läßt sich allein schlußfolgern, daß eine Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist ausnahmsweise nur dann gegeben ist, wenn anderenfalls die Vereitelung der Erreichung der Richtlinienziele mit Ablauf der Umsetzungsfrist zu besorgen ist. 207 Eine Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist besteht daher nur dann, wenn im Einzelfall deren Unterlassen die Erreichung der Ziele der Richtlinie zu vereiteln droht. Bestätigung findet diese Ansicht auch in dem Urteil des Gerichtshofs im Verfahren BMW. 208 In diesem stellte der EuGH fest, daß die Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung grundsätzlich auch für Übergangs vorschriften nationalen Rechts gelte. 209 Dann führte er aus: "Das nationale Gericht muß daher diese Vorschriften, soweit irgend möglich, derart auslegen, daß die volle Wirksamkeit der [... ] Richtlinie [... ] nach dem Tag gewährleistet ist, an dem die Richtlinie hätte umgesetzt werden müssen.,,210

Maßgeblich ist für den EuGH also auch hier die Erreichung eines richtlinienkonfonnen Zustandes mit Ablauf der Umsetzungsfrist. Bei der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine solche unter einem Frustrationsvorbehalt stehende Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist bestehen kann, wird man zwischen Fällen, in denen eine legislative Umsetzungsmaßnahme bereits ergangen ist, solchen, in denen das nationale Recht bewußt - da als richtlinienkonfonn angesehen - nicht geändert wurde und solchen, in denen es an jedem gesetzgeberischen Tun fehlt, zu unterscheiden haben. 2ll

206 So aber Sack, WRP 1998,241 (243). 207 So verweist auch Ehricke, EuZW 1999, 553 (557) in diesem Zusammenhang auf das reine Frustrationsgebot, ohne jedoch zu überprüfen, inwieweit auch eine nicht richtlinienkonfonne Auslegung geeignet sein kann, die Erreichung der Richtlinienziele zu frustrieren. 208 EuGH, Rs. C-63/97, Slg. 1999,1-905, BMW. 209 EuGH, Rs. C-63/97, Slg. 1999,1-905, BMW, Rn. 23. 210 EuGH, Rs. C-63/97, Slg. 1999,1-905, BMW, Rn. 23. 211 Diese Unterscheidung wird in der Literatur häufig verwendet, um im Anschluss daran das Bestehen eines aus allgemeinen Methodenerwägungen abgeleiteten Prinzips der richtlinienkonfonnen Auslegung zu begründen, vgl. Leible, Wege, 285 ff. Siehe auch Brechmann, Richtiinienkonfonne Auslegung, 269, in Bezug auf die Pflicht zur richtiinienkonfonnen Auslegung nach Ablauf der Umsetzungsfrist.

120

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

(1) Bereits erfolgte Legislativumsetzung

Sofern bereits Legislativakte zur Umsetzung ergangen sind, und diese erkennbar das "letzte Wort" der Legislative im Hinblick auf die Richtlinienumsetzung darstellen, wäre eine Auslegung ohne Betrachtung der Richtlinie nicht zu rechtfertigen. 212 Gerade die ersten Urteile, die zu einer neuen oder abgeänderten Rechtsnorm ergehen, haben besondere Signalwirkung. Wenn die Rechtsprechung einer Norm eine bestimmte Auslegung zuteil werden läßt, stellen sich die Rechtssubjekte auf diese Auslegung ein. Die Kontinuität und Stabilität einer Rechtsprechung stellt daher im Rechtsstaat einen Eigenwert dar. Für eine Änderung einer Rechtsprechung bedarf es deshalb eines erhöhten Argumentationsaufwandes?13 Eine Änderung einer Auslegung nach kurzer Zeit wegen des Ablaufs der Umsetzungsfrist schüfe eine Rechtsunsicherheit, die die Erreichung der Ziele der Richtlinie gefährden oder zumindest beeinträchtigen könnte. Die Bezugnahme auf den Umsetzungswillen des Gesetzgebers ist demgegenüber aus der Perspektive des gemeinschaftsrechtlichen Gebots der richtlinienkonformen Auslegung nicht zwingend geboten,214 auch wenn eine solche Bezugnahme bereits dazu führen mag, daß nationale Gerichte auch auf Basis der nationalen Methodenlehre zu einer richtlinienkonformen Auslegung gelangen? I 5 Darüber hinaus besteht aber auch die gemeinschaftsrechtliche Pflicht, vor der Zeit ergangene Umsetzungsnormen richtlinienkonform auszulegen. Im Gegensatz zu den nationalen Methodenüberlegungen handelt es sich hierbei um ein normatives Gebot und nicht allein eine Auslegungsmethode?16 (2) Bewußter Verzicht auf Legislativumsetzung

In manchen Fällen scheint das nationale Recht bereits richtlinienkonform, oder doch zumindest richtlinienkonform auslegbar zu sein. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die entsprechende Materie im nationalen Recht bisher durch Generalklauseln geregelt ist,217 oder wenn das nationale Recht der Richtlinie in Wort212 Auch der EuGH maß dem Umstand, daß eine Maßnahme bereits als endgültige Umsetzung gedacht sei, besonderes Gewicht bei der Beurteilung der Frustrierungsgefahr bei, vgl. EuGH, Rs. C-129196, Sig. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 47 f. 213 Vgl. hierzu ausführlich unten Teil 3, A., I. 214 Zwar stellt der EuGH im Verfahren Rs. C-334/92, Sig. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 20 selber fest, daß die Gerichte bei Umsetzungsakten davon auszugehen haben, daß der Gesetzgeber die Richtlinie richtig umsetzen wollte, dieses Urteil betraf aber einen Fall der Auslegung nach Ablauf der Umsetzungsfrist. Eine Übertragung der Überlegungen unterliegt somit ebenfalls dem Frustrationsvorbehalt. 215 Diese Pflicht aus nationalem Recht ist im Prinzip unstreitig, vgl. Canaris, FS Bydlinski, 47 (75); Ehricke, EuZW 1999,553 (554); Jarass, EuR 1991, 211 (221); Leible, Wege, 285; ders./Sosnitza, NJW 1998,2507 (2508); Roth, ZIP 1992,1054 (1056). 216 Ablehnend demgegenüber Canaris, FS Bydlinski, 47 (75) für den Zeitraum vor Ablauf der Umsetzungsfrist. 217 Zentrales Beispiel für eine solche Situation sind die Richtlinie 84/450 I EWG zur irreführenden Werbung und die Richtlinie 97/551 EG zur irreführenden und vergleichenden

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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laut und Struktur ähnelt. In beiden Fällen könnte möglicherweise bereits eine richtlinienkonforme Auslegung ausreichen, um die Ziele der Richtlinie zu erreichen. 218 Unter Umständen wird daher auch der Gesetzgeber der Ansicht sein, sein Handeln sei zur Umsetzung der Richtlinie nicht erforderlich. Ein derartiger Wille des Gesetzgebers wird sich allerdings nur in seltenen Fällen überhaupt feststellen lassen. Selbst wenn der Kommission unveränderte Rechtsnormen als Umsetzungsrecht mitgeteilt werden,z19 so wird diese Entscheidung in aller Regel von der Ministerialbürokratie getroffen werden, und eine bewußte Auseinandersetzung des Parlaments mit der Frage nicht stattfinden. 22o Dann fehlt es aber gerade an einem artikulierten Willen des parlamentarischen Gesetzgebers, den der Rechtsanwender bei der Auslegung mitberücksichtigen könnte. 221 Aber auch wenn ein derartiger Wille ausnahmsweise feststell bar sein sollte, ergibt sich hieraus nicht notwendigerweise die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Auch hier muß man die Situation aus der Perspektive der Zielerreichung der Richtlinie betrachten, und unter diesem Blickwinkel ergeben sich in der Tat Unterschiede gegenüber der Situation einer Änderung nationalen Rechts durch die Legislative in Umsetzungsabsicht. Anders als bei bereits erfolgter legislativer Umsetzung droht hier nämlich nicht eine Änderung der Rechtsprechung zu einer gerade erlassenen oder geänderten Rechtsnorm, so daß es sinnvoll erscheint, bereits von Beginn an richtlinienkonform zu judizieren, sondern es muß eine Rechtsprechungsänderung erfolgen, um die Richtlinienkonformität überhaupt erst herzustellen. Dabei scheint es auf den ersten Blick genauso den Anforderungen des Frustrationsverbots zu genügen, wenn diese Rechtsprechungsänderung mit Ablauf der Umsetzungsfrist vorgenommen wird?22 Allerdings erleichtert eine frühzeitige richtlinienkonforme Auslegung die Mitteilung an die Kommission, daß das nationale Recht aufgrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung den Anforderungen einer bestimmten Richtlinie entspricht. 223 Darin kann man aber wohl kaum einen Umstand sehen, der eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wegen Frustrationsgefahr begründet, sondern lediglich eine rechtspolitische Erwägung, die in die Auslegungsentscheidung der nationalen Gerichte einfließen kann?24 Werbung. Die von den Richtlinien geregelten Sachverhalte unterfielen jeweils vorher dem Verbot der unlauteren Werbung nach § 1 UWG; vgl. hierzu Sack, WRP 1998,241 ff. 218 Zur Frage, inwieweit durch eine solche richtlinienkonforme Auslegung eine Richtlinienumsetzung stattfinden kann siehe ausführlich unten Teil 3. 219 Wie z. B. im Fall der Richtlinie 84/450/EWG, vgl. hierzu Sack, WRP 1998,241 (244). 220 Vgl. in eine ähnliche Richtung die Erwägungen von Canaris, FS Bydlinski, 47 (50 f.). 221 Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (51). 222 So auch Ehricke, EuZW 1999,553 (557). 223 Vgl. Sack, WRP 1998,241 (244). 224 Vgl. zur Befugnis der nationalen Gerichte zur "vorzeitigen" richtlinienkonformen Auslegung unten Teil 3, B.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Es ist allerdings geboten, in die Betrachtung auch rechtspraktische Erwägungen einzubeziehen, wie dies der Gerichtshof selbst in seinem Urteil Inter-Environment Wallonie getan hat. 225 Letztlich läßt sich die Frage nach dem Drohen einer Vereitelung der Richtlinienziele nämlich nur im Einzelfall beurteilen. Wenn der Gesetzgeber die Ansicht artikuliert hat, daß eine legislative Anpassung nicht notwendig ist, obliegt es grundsätzlich der Rechtsprechung, eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist sicherzustellen,226 und zwar dahingehend, daß die nationalen Gerichte ab dem Zeitpunkt des Ablaufs umfassend entsprechend judizieren. Dies läßt sich in der Praxis aber nur durch eine entsprechende vorzeitige höchstrichterliche Entscheidung sicherstellen, deren faktische Bindungswirkung 227 allein geeignet ist, die Einheit der (richtlinienkonformen) nationalen Rechtsprechung zu sichern und den unterinstanzlichen Gerichten eine entsprechende Beurteilung des Auslegungsspielraums an die Hand zu geben. Dazu ist es nötig, daß höchstinstanzlich zumindest ein entsprechendes obiter dictum ergeht, welches den unteren Instanzen als deutlicher Hinweis die Auslegungsrichtung weist. Eine umfassende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung durch alle Gerichte vor Ablauf der Umsetzungsfrist läßt sich gemeinschaftsrechtlich so aber nicht begründen, da unterinstanzlichen Urteilen eine entsprechende und zu vermeidende Frustrationswirkung regelmäßig fehlt. Dasselbe gilt auch für Fälle, in denen beispielsweise Amtsgerichte als letzte Instanz nach Art. 234 EGV vorlagepflichtig wären, wenn die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts entscheidungserheblich ist, da es amtsgerichtlichen Urteilen in aller Regel an der Breitenwirkung mangelt, die für eine echte Vereitelung des Richtlinienzweckes notwendig ist. 228 Auch aus rein praktischen Gründen wird man von den unteren Instanzen nicht erwarten können, die komplexen Feststellungen, die für eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist erforderlich sind (Kenntnis über die Existenz einer Richtlinie, Feststellung eines hypothetischen gesetzgeberischen Willens, Drohen der Vereitelung etc.) zu treffen. Aber auch hinsichtlich der obersten Bundesgerichte begegnen die gerade genannten Überlegungen Bedenken. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß die Urteile, die prinzipiell vom Zeitpunkt ihres Erlasses her geeignet wären, eine richtlinienkonforme Auslegung während der Umsetzungsfrist vorzugeben, in aller Regel Sachverhalte zum Anlaß haben, die zeitlich sogar vor Erlaß der 225 Vgl. hierzu die vom EuGH, C-129/96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie, Rn. 47 f. aufgestellten Kriterien, die in die Bewertung einzufließen haben. 226 Nach dem EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993, 1-6911, Wagner Miret, Rn. 21 gilt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung insbesondere dann, wenn ein Mitgliedstaat von der Richtlinienkonformität des nationalen Rechts ausging. Abstellen müssen wird man dabei wohl primär auf die Auffassung der Legislative und nicht, wie Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 106 zu glauben scheint, die Auffassung des Gerichtes. Wenn das Gericht nämlich bereits von der Richtlinienkonformität ausgeht bedarf es kaum noch einer Verstärkung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung. 227 Vgl. zur faktischen Bindungswirkung von Präjudizien unten Teil 3, A., I. 228 Vgl. Olzen, JZ 1985,155 (157).

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

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Richtlinie liegen, so daß eine Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung hier bereits aus diesem Grunde nicht in Betracht kommt. 229 Allenfalls obiter dicta könnten in derartigen Fällen auf die zukünftige richtlinienkonfonne Auslegung hinweisen. Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zu solchen obiter dicta wird man jedoch wohl nicht ernstlich annehmen können. Aber auch eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist läßt sich im Fall der bewußten "Nichtumsetzung" nicht mit dem Frustrationsverbot begründen. In solchen Fällen genügt es somit den Anforderungen an die Richtlinienumsetzung, wenn die nationalen Gerichte mit Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonfonn judizieren und dies ex post feststellbar ist. Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, deren Nichtbeachtung auch vor Ablauf der Umsetzungsfrist bereits einen Gemeinschaftsrechtsverstoß begründen könnte, besteht daher nicht. (3) Schlichte Untätigkeit des Gesetzgebers

Noch weniger begründbar ist eine Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist, wenn sich überhaupt kein Wille des Gesetzgebers feststellen läßt, so daß die Gerichte nicht beurteilen können, ob sie die Erreichung der Richtlinienziele bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist werden sicherstellen müssen. Zwar wird irgend wann ein Zeitpunkt erreicht sein, an dem absehbar ist, daß der Gesetzgeber keine rechtzeitige Umsetzung mehr vornehmen kann, dieser ist jedoch nicht abstrakt bestimmbar. Eine vorzeitige, sanktionierbare gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung läßt sich daher in diesem Fall ebenfalls nicht begründen?30

cc) Zusammenfassung Die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung beginnt mit Inkrafttreten der Richtlinie, ist aber auf das Erreichen der Richtlinienkonfonnität bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist gerichtet. 231 Die Nichterfüllung die229 Vgl. allgemein zur Begrenzung der richtlinienkonforrnen Auslegung aufgrund des zeitlichen Anwendungsbereichs der Richtlinie Franzen, Privatrechtsangleichung, 372 f. Zur Frage der Rückwirkung von Rechtsprechungsänderungen siehe unten Teil 3, A., 11. 230 Vgl. zu einer solchen Konstellation Roth, ZIP 1992, 1054 (1057), der zurecht davon ausgeht, daß kurz vor Ablauf der Umsetzungsfrist die Situation eintreten kann, daß eine fristgerechte Umsetzung durch den Gesetzgeber nicht mehr möglich ist. Sofern ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist dann nicht einheitlich richtlinienkonforrn judiziert wird, handelt es sich um einen Gemeinschaftsrechtsverstoß. Dazu wird in der Regel eine vorherige Rechtsprechungsänderung erforderlich sein, ein genauer Zeitpunkt läßt sich hierfür aber ex ante nicht feststellen. 231 Ebenso Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 264 f.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 302.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ser Pflicht kann daher grundsätzlich erst ab diesem Zeitpunkt festgestellt werden. Eine nicht richtlinienkonforme Auslegung der Gerichte in einzelnen Urteilen ist somit grundsätzlich vor Ablauf der Umsetzungsfrist nicht geeignet, einen Gemeinschaftsrechtsverstoß zu begründen. Sie ist daher auch nicht rechtsfehlerhaft. Ausnahmsweise sind die Gerichte auch schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist gemeinschaftsrechtlich zur richtlinienkonformen Auslegung verpflichtet, wenn die Erreichung der Ziele der Richtlinie andernfalls vereitelt würde. Das ist dann anzunehmen, wenn der Gesetzgeber bereits endgültige Umsetzungsakte erlassen hat. Das gleiche gilt, wenn eine richtlinienkonforme Judikatur bereits existierte. Diese darf dann nicht in richtlinieninkonformer Weise abgeändert werden. 232 Im übrigen wird man nur in besonderen Ausnahmesituationen eine Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung während der Umsetzungsperiode annehmen können. Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit die Gerichte eine Richtlinie auch vor Ablauf der Umsetzungsfrist bei der Auslegung nationalen Rechts vorrangig berücksichtigen düljen, um ihre Rechtsprechung richtlinienkonform anzupassen und damit gegebenenfalls legislative Umsetzungsanstrengungen obsolet zu machen. 233 Darauf wird im Hinblick auf die Frage einer judikativen Richtlinienumsetzung einzugehen sein?34 2. Im Hinblick auf das nationale Recht

a) Keine Beschränkung auf ausdrückliche Umsetzungsakte

Während der EuGH in der nach Brechmann zweiten Phase seiner Rechtsprechung zur richtlinienkonformen Auslegung die Pflicht lediglich im Hinblick auf nationale Umsetzungsakte angewandt hatte,235 weitete er sie mit dem Urteil Marleasing 236 auch auf nationales Recht aus, welches vor Erlaß der Richtlinie bereits bestand. Danach trifft die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung die Gerichte ,,- gleich, ob es sich um vor oder nach der Richtlinie erlassene Vorschriften handelt _,,?37

Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erfaßt damit prinzipiell den gesamten Korpus des nationalen Rechts und stützt sich dafür auf dieselbe Grundlage wie im Hinblick auf spezielles Umsetzungsrecht. Auch im Falle einer wortwörtliVgl. Staudinger, JR 1999, 198 (199). Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (75) unter Rückgriff auf die Vorstellung, die Richtlinie sei auch vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist "Rechtsgewinnungsquelle". 234 Siehe dazu unten Teil 3, B. 235 Vgl. EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26, wobei sich bereits hier aus der Formulierung "insbesondere" ergab, daß der EuGH die Pflicht nicht auf Umsetzungsakte beschränkt sehen wollte, vgl. hierzu auch Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 46 ff. 236 EuGH, Rs. C-I06/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing. 237 EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8. 232 233

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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chen Umsetzung von Richtlinien durch einen nationalen Umsetzungs akt bleibt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung bestehen. Sie gilt daneben auch im Hinblick auf Übergangsvorschriften. 238 Auch der Rang der innerstaatlichen Norm spielt keine Rolle. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erfaßt somit auch die Verfassungsnormen?39 b) Keine Beschränkung auf positive Rechtsnormen

Der EuGH beschränkt die Pflicht zudem auch nicht auf Gesetze im eigentlichen Sinn. Auch eine "ständige Rechtsprechung" kann nach dem Urteil Centrosteez240 Gegenstand einer richtlinienkonformen Auslegung sein. In diesem Verfahren entschied der Gerichtshof über die Auslegung der Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter,241 obwohl die Vorlagefrage darauf gerichtet gewesen war, ob Vorschriften des Primärrechts nationale Bestimmungen ausschlössen, welche die Wirksamkeit eines Handelsvertretervertrages von dessen Eintragung in das Handelsregister abhängig machten?42 Generalanwalt Jacobs kam in seinen Schlußanträgen jedoch zu einer Lösung auf Basis der Richtlinie, die seines Erachtens eine Antwort auf die ursprüngliche Frage überflüssig mache. Er verwies dabei auf das Urteil des Gerichtshofs im Verfahren Bellone 243 , in dem der Gerichtshof entschieden hatte, daß die Richtlinie 86/653/ EWG einer Regelung entgegenstünde, welche die Wirksamkeit eines Handelsvertretervertrages von dessen Eintragung in das Handelsregister abhängig macht. 244 In diesem Verfahren hatte der Gerichtshof somit primär über eine mögliche negative unmittelbare Wirkung der Richtlinie entschieden, auch wenn einmal mehr die Konsequenz des "Entgegenstehens" der Richtlinienvorschrift für die nationale Rechtsvorschrift nicht ausgesprochen wurde. In Reaktion auf dieses Urteil änderte der italienische Kassationsgerichtshof seine Rechtsprechung zu den entsprechenden Vorschriften. Die Eintragungspflicht für Handelsvertreterverträge sei nicht mehr als zwingendes Erfordernis im Sinne italienischer Rechtsvorschriften zu werten, bei dessen Nichterfüllung der Handelsvertretervertrag nichtig wäre. 245 Unter Verweis auf diese Rechtsprechungsänderung und die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beantworteten sowohl der Generalanwalt als auch EuGH, Rs. C-63/97, Sig. 1999,1-905, BMW, Rn. 23. Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 263; Canaris, FS Bydlinski, 47 (80). 240 EuGH, Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteel. 24\ Richtlinie 86/653/EWG, ABI. 1986 L 382/17. 242 Vgl. Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Nr. 8 ff. 243 EuGH, Rs. C-215/97, Sig. 1998,1-2191, Bellone. 244 EuGH, Rs. C-215/97, Sig. 1998,1-2191, Bellone, Rn. 18. 245 Urteil No. 4817 des Corte di Cassazione vom 18. Mai 1999, zitiert nach Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456 I 98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Nr. 5. 238

239

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

der EuGH die Vorlagefrage dahingehend, daß das vorlegende Gericht verpflichtet sei, die entsprechenden italienischen Rechtsvorschriften, denen die Nichtigkeit als Rechtsfolge der Nichteintragung ohnehin nicht explizit zu entnehmen gewesen war, richtlinienkonform auszulegen und somit der Änderung dieser ständigen Rechtsprechung durch den Kassationsgerichtshof zu folgen. Danach hat ein nationales Gericht auch "bei der Anwendung [... ] einer gefestigten nationalen Rechtsprechung diese so auszulegen, daß sie im Einklang mit der Richtlinie angewandt werden [kannj"?46

Daraus läßt sich ableiten, daß Rechtssätze nationalen Rechts, auch wenn sie auf einer ständigen Rechtsprechung beruhen, richtlinienkonform ausgelegt werden müssen, wobei nach deutschem Methodenverständnis hierfür der Begriff der Rechtsfortbildung wohl zutreffender wäre und nach überwiegender Meinung "Richterrecht" lediglich als Rechtserkenntnisquelle qualifiziert wird?47 Dieser Unterschied ist aber aus Sicht des Gerichtshofs wohl nicht entscheidend, solange nationale Gerichte die jeweilige ständige Rechtsprechung als für sie bindend ansehen?48 Hieraus kann aber noch kein Schluß derart gezogen werden, daß die Gerichte generell zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung verpflichtet seien, und zwar auch in Situationen, in denen erstmalig über die Grenzen der Auslegung einer Norm hinausgegangen werden müßte. Im vorliegenden Fall waren die nicht richtlinienkonformen Rechtssätze offensichtlich bereits legitim fortgebildetes italienisches Recht, so daß durch eine Änderung der zu Grunde liegenden Rechtsprechung keine zusätzliche Verschiebung im Gewaltengefüge eintrat. Anders ist es hingegen dann, wenn Gerichte eine Norm bisher im Rahmen ihres eindeutigen Wortlauts ausgelegt haben und zur Herstellung der Richtlinienkonformität nun über den Wortlaut hinausgehen müßten, da in einem solchen Fall nicht "eine gefestigte Rechtsprechung" Auslegungsgegenstand wäre, sondern die bisher wortlautgetreu ausgelegte Norm?49 Während also in letzterer Situation in jedem Fall ein Schritt auf der Skala von Auslegung über Rechtsfortbildung intra legern bis zur Rechtsfortbildung extra legern sed intra ius getan werden müßte,250 ist dies beim bereits vorherigen Bestehen von "Richterrecht" weniger oder gar nicht der Fall. Zudem muß das Urteil Centrosteel auch vor dem besonderen Hintergrund des Verfahrens gesehen werden, und zwar insbesondere der 246 EuGH, Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 17. 247 V gl. Larenz, Methodenlehre, 430 ff. 248 Im gleichen Sinn hatte auch Prechal, Directives, 209 bereits darauf hingewiesen, daß die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch für Richterrecht gelte. 249 Grundsätzlich kann jede Änderung einer Auslegung einer Norm als eine "Rechtsfortbildung" angesehen werden, da durch die Abweichung von einem bisherigen Verständnis "neues Recht" gesetzt wird. Hiervon ist jedoch der methodische Begriff der Rechtsfortbildung in Abgrenzung zur Auslegung einer Norm zu unterscheiden. Vgl. zu ersterem insbesondere, Wank, ZGR 1988, 314 (317 ff.). Dagegen zu letzterem Franzen, Privatrechtsangleichung, 376 f. 250 V gl. zu dieser Skala Larenz, Methodenlehre, 366 ff.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

127

Tatsache, daß der italienische Kassationsgerichtshof seine Rechtsprechung bereits entsprechend angepaßt hatte?51 c) Überschießende Umsetzung

Fraglich ist, ob auch nationales Recht richtlinienkonform ausgelegt werden muß, welches nicht in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fällt, aber mit solchem identisch ist. Sofern ein Mitgliedstaat von einer Richtlinie nicht erfaßte Sachverhalte bewußt den gleichen Regelungen unterwirft wie dieser unterfallende, spricht man von einer "überschießenden Umsetzung"252 oder "überobligatorisch angeglichenem Recht".253 Die gleiche Situation kann auch dann eintreten, wenn allgemeine Regeln des nationalen Rechts bestehen, die sowohl im Regelungsbereich von Richtlinien, als auch in nicht gemeinschaftsrechtlich berührten Bereichen Anwendung finden, oder wenn nationales Recht wörtlich Gemeinschaftsrecht nachahmt. 254 Der Gerichtshof nimmt in ständiger Rechtsprechung an, daß die Gemeinschaft ein klares Interesse aufweist, daß Vorschriften, welche gleichermaßen auf allein dem innerstaatlichen Recht wie dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Sachverhalte Anwendung finden, einheitlich ausgelegt werden?55 Er hat daher, entgegen den mehrfachen Anträgen verschiedener Generalanwälte,256 seine Zuständigkeit für Vorlageverfahren bejaht, in denen es um die Auslegung einer mittelbar bedeutsamen Gemeinschaftsnorm geht?57 Hingegen scheint er die Entscheidung, ob eine einheitliche oder gespaltene Auslegung der nationalen Vorschrift angezeigt ist, den nationalen Gerichten überlassen zu wollen. 258 Gemeinschaftsrechtlich existiert im Bereich der überschießenden Richtlinienumsetzung daher keine uneingeschränkte Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung?59 Allenfalls kann aufgrund des Wil251 Dieser Umstand wurde sowohl vom GA Jacobs, als auch vom EuGH betont, vgl. Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456/98, Slg. 2000,1-6007, Centrosteei, Nr. 36 und EuGH, a. a. 0., Rn. 17. 252 Vgl. hierzu ausführlich Habersack/Mayer, JZ 1999, 913. Ähnlich auch Hommelhoff, Festgabe 50 Jahre BGH, 889 (913 ff.). 253 Leible, Wege, 308. 254 Vgl. zu den Beispielen im einzelnen Habersack/Mayer, JZ 1999,913 (914 f.); Leible, Wege, 308 ff. 255 Vgl. EuGH, Rs. C-28/95, Slg. 1997,1-4161, Leur-Bloem; Rs. C-130/95, Slg. 1997,14291, Giloy; Rs. C-53 /96, Slg. 1998,1-3603, Hennes International, Rn. 32. 256 Vgl. die Schlußanträge der GAe Mancini zur Rs. 166/84, Slg. 1985,3001, Thomasdünger; Tesauro zur Rs. C-346/93, Slg. 1995,1-605; Jacobs zur Rs. C-28/95, Slg. 1997,14161, Leur-Bloem. 257 EuGH, Rs. C-28/95, Slg. 1997,1-4161, Leur-Bloem, Rn. 34; Rs. Rs. C-53/96, Slg. 1998,1-3603, Hennes International, Rn. 32 f.; Rs. C-2/97, Slg. 1998,1-8597, IP, Rn. 59. 258 Vgl. EuGH, Rs. C-28/95, Slg. 1997,1-4161, Leur-Bloem, Rn. 33; Rs. C-264/96, Slg. 1998,1-4725, Rn. 34. Dazu Habersack/Mayer, JZ 1999,913 (919); Herlinghaus, Bedeutung und Reichweite, 55 ff. 259 Ebenso Hommelhoff, Festgabe 50 Jahre BGB, 889 (915); Leible, Wege, 309.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

lens des innerstaatlichen Gesetzgebers eine Pflicht zur "quasi-richtlinienkonformen" Auslegung bestehen?60 Dementsprechend besteht zwar das Recht zu einer Vorlage an den Gerichtshof, nicht jedoch eine dahingehende Pflicht. 261

V. Vorrang und Inhalt des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung 1. Vorrang des Gebots der richtIinienkonformen Auslegung

vor nationalen Auslegungsmethoden

Zentraler Streitpunkt im Hinblick auf das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung ist dessen Verhältnis zu den nationalen Auslegungsmethoden und dabei insbesondere die Frage nach dessen Vorrang. 262 Bei der Antwort auf die Frage muß man sorgfältig differenzieren. Dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung, wie es sich aus der maßgeblich in Art. 249 Abs. 3 EGV niedergelegten Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten ergibt, kommt unbestreitbar Vorrang vor dem gesamtem nationalen Recht und auch der nationalen Methodenlehre zu. Dies ergibt sich aus dem Vorrang des Art. 249 Abs. 3 EGv. 263 Davon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit das Gebot in der durch den EuGH entwickelten Form eine vorrangige Berücksichtigung der Richtlinie verlangt. 264 Der Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung kann sich nämlich nicht lediglich aus dem Vorrang der Richtlinie ergeben - und der EuGH verwendet diesen Begründungsansatz wie gezeigt ohnehin nicht - sondern auch aus einer normativen Anordnung?65 Ob der Gerichtshof aber durch das vorrangige gemeinschaftsrechtliche Gebot der richtlinienkonformen Auslegung umfassend den Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung normativ anordnet, stellt eine inhaltliche Frage dar, die es im folgenden zu klären gilt. 2. Inhaltliche Reichweite der Konformitätsverpflichtung

Zur Ermittlung des Inhalts des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung ist in mehreren Schritten vorzugehen. Zuvörderst maßgeblich ist angesichts seiner ge260 Hommelhoff, Festgabe 50 Jahre BGB, 889 (915). Zuzustimmen daher der vom BGH, ZIP 2002, 1075 (1079) auf der Grundlage nationalrechtlicher Erwägungen vorgenommenen Ablehnung einer gespaltenen Auslegung des HWiG. 261 Leible, Wege, 310 ff. 262 Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (64); Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 127 erscheint diese Frage so wesentlich, daß sie den Aufbau seiner Arbeit entscheidend prägt. 263 Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (69). Ähnlich, wenn auch ohne daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen Franzen, Privatrechtsangleichung, 260. 264 Ähnlich Franzen, Privatrechtsangleichung, 339. 265 Vgl. Canaris, FS Bydlinski, 47 (64 f.); Franzen, Privatrechtsangleichung, 339.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

129

meinschaftsrechtlichen Grundlage die Rechtsprechung des Gerichtshofs. 266 Im Sinn der oben entwickelten Begrifflichkeit geht es hierbei darum, festzustellen, ob das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung allein als Vorzugs- oder weiterreichend als Vorrangregel zu verstehen ist. Maßstab ist dabei die Reichweite der Einwirkung auf die nationale Methodenlehre, deren Konsequenzen im zweiten Schritt zu erörtern sind. a) Rechtsprechung des Gerichtshofs

Die maßgebliche Rechtsprechung des EuGH zum Umfang der Konformitätsverpflichtung ist nicht immer gleichermaßen deutlich, und man merkt ihr den Balanceakt zwischen Sicherung der einheitlichen Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts auf der einen und Zurückhaltung gegenüber dem Kompetenzbereich der nationalen Gerichte auf der anderen Seite deutlich an. So leitet der Gerichtshof die Begründung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung im Urteil Von Colson mit dem Hinweis ein, daß es "allein Sache des nationalen Gerichts [sei], über diese Frage der Auslegung seines nationalen Rechts zu entscheiden. ,,267

Allerdings sei klarzustellen, daß die Umsetzungsverpflichtung im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch den Gerichten obliege. 268 Daraus folge, "daß das nationale Gericht [das] nationale Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen hat,,269,

und zwar "unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt. ,,270

Seit dem Urteil Marleasing verwendet der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Formulierung, daß "ein nationales Gericht [... ] seine Auslegung so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck 'der Richtlinie aus[zu]richten [hat].,,271

266 Ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung, 340; Grundmann, ZEuP 1996,399 (412). 267 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 25. 268 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26. 269 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26. 270 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 28. 271 EuGH, Rs. C-I06/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 8; Rs. C-334/92, Slg. 1993, 1-6911, Wagner Miret; Rs. C-355 196, Slg. 1998,1-4799, Silhouette, Rn. 36; Rs. C-76/97, Slg. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 25; Rs. Rs. C-185/97, Slg. 1998,1-5199, Coote, Rn. 18; Rs. C365/98, Slg. 2000, 1-4619, Brinkmann H, Rn. 40; Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 16. 9 Hemnann

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Hinzugefügt hat der Gerichtshof in jüngerer Rechtsprechung nunmehr eine zusätzliche Betonung der Ziele der Richtlinie. Danach hat ein nationales Gericht nationale Rechtsvorschriften "so auszulegen, daß sie im Einklang mit den Zielen der Richtlinie angewandt werden können.,,272

Das konkrete Verbot einer bestimmten Auslegung, wie es der EuGH praktisch in Marleasing ausgesprochen hatte,273 findet sich in späteren Urteilen nicht mehr in der gleichen Deutlichkeit, auch wenn beispielsweise im Urteil Centrosteel dem vorlegenden Gericht wenig bis gar kein Auslegungsspielraum infolge der Antwort des Gerichtshofs (und der Rechtsprechung des italienischen Kassationsgerichtshofs) blieb. 274 Generell macht der Gerichtshof allein in den Fällen konkrete Vorgaben für die Auslegung nationalen Rechts, in denen im Verfahren die besondere Auslegungsfähigkeit der Norm thematisiert worden ist. 275 Der Gerichtshof hat zudem die Ansicht des nationalen Gerichts, eine Norm sei nicht auslegungsfähig, immer akzeptiert. 276 Obwohl der EuGH in seiner Formulierung schwankt, lassen sich dennoch zwei Merkmale identifizieren, denen augenscheinlich eine größere Bedeutung zukommt. Zum einen betont der Gerichtshof immer wieder die funktionale Grenze des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung, wenn er darlegt, daß die Umsetzungsverpflichtung der innerstaatlichen Stellen nur im Rahmen ihrer Zuständigkeit besteht. Allerdings haben diese den ihnen nach nationalem Recht zustehenden Beurteilungsspie1raum voll auszuschöpfen, und in diesem Rahmen nationales Recht so weit wie möglich im Lichte von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszulegen. Aus diesen Formulierungen ergibt sich, daß durch das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung das Gewaltenteilungsgefüge der Mitgliedstaaten zwar nicht verschoben, aber bis zur Grenze des Möglichen ausgeschöpft werden soll.277 Die Gerichte sind danach nicht verpflichtet, die ihnen nach nationalem Recht funktional oder semantisch eingeräumten Spielräume bei der Konkretisierung abstrakter Rechtssätze zu überschreiten, sie dürfen aber andererseits auch nicht hinter den Möglichkeiten, die ihnen eingeräumt sind, zurückbleiben.

EuGH, Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 17. 273 Vgl. EuGH, Rs. C-106/89, Sig. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 9. 274 Vgl. dazu oben Teil 2, B., IV., 2., b). 275 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 341; Prechal, Directives, 221; Rodriguez-lglesiasl Riechenberg, FS Everling, 1213 (1221); Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (126). Insofern läßt sich aus dem Urteil Marleasing und anderen nicht schlußfolgern, daß der EuGH die Frage der Auslegungsfähigkeit nationalen Rechts nicht mehr allein dem nationalen Recht zuweist, vgl. hierzu Franzen, Privatrechtsangleichung, 341, mit Hinweisen auf die dahingehende Literatur, der im Ergebnis aber der gleichen Auffassung ist wie hier vertreten, vgl. a. a. 0., 343. 276 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 342 m. Nachw. aus der Rspr. 277 Ähnlich Canaris, FS Bydlinski, 47 (56 f.). 272

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

l31

Zum anderen weist der EuGH immer wieder darauf hin, daß diese maximal mögliche Auslegung im Lichte von Wortlaut und Zweck der Richtlinie zu erfolgen habe. Daraus folgt, daß bei der richtlinienkonformen Auslegung die Richtlinie als Ganzes zu würdigen ist, und nicht allein der Wortlaut einer bestimmten Vorschrift. Die richtlinienkonforme Auslegung verlangt mithin auch die Ermittlung des konkreten Sinns der Richtlinienvorschrift nach den hierfür maßgeblichen Methoden. 278

b) Begriff der" möglichen Auslegung"

Zentrale Bedeutung kommt der Frage zu, welche Auslegung nationalen Rechts abstrakt möglich ist. aa) Richtlinienkonforme Auslegung als Vorzugsregel Unstreitig ist, daß von mehreren möglichen Auslegungsergebnissen im Anwendungsbereich von Richtlinien immer dasjenige den Vorzug verdient, bei dem die nationale Norm richtlinienkonform ist, und bei dem die Richtlinie möglichst umfassend zum Tragen kommt. 279 Wenn auch nach Anwendung aller nationalen Auslegungsmethoden noch mehrere Ergebnisse möglich sind, sind die Gerichte aus Sicht der Methodenlehre nicht gehindert, das richtlinienkonforme zu wählen. Sie sind dazu gemeinschaftsrechtlich unzweifelhaft auch verpflichtet. Sofern man die Wirkung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung jedoch hierauf begrenzt, kommt man im Ergebnis zu einem zweistufigen Auslegungsvorgang,280 bei dem auf der ersten Ebene die nationale Norm sowie die Richtlinienvorschrift unabhängig voneinander auf Basis der nationalen Methodenlehre bzw. der auf die Auslegung von Richtlinien Anwendung findenden Methoden auszulegen sind. 281 In einem zweiten Schritt sind dann aufgrund der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung alle Auslegungsergebnisse der nationalen Norm auszusortieren, bei denen die nationale Norm mit der Richtlinienvorschrift kollidieren würde. Eine Beachtung der Richtlinie auf der Basis des Auslegungsvorgangs fände demnach nur dann statt, wenn sich eine solche aus der nationalen Methodenlehre ergibt. 282 Daraus ergäbe 278 Zur Auslegung von Richtlinien vgl. Lutter; JZ 1992,593 (598 ff.); M. Schmidt, RabelsZ 1995; Zöckler; JhrbjZiv 1992, 141 (152). 279 Siehe z. B. Baldus/Becker; ZEuP 1997, 874 (882 f.); Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 259; Ehricke, RabelsZ 1995,598 (616); Leible, Wege, 289. 280 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonfonnen Auslegung, 259; Zöckler; JhrBjZiv 1992, 141 (150 ff.). 281 Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 259. 282 Vgl. hierzu Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 259 ff. Dem entspricht die Forderung, daß das richtlinienkonfonne Auslegungsergebnis nach nationalem Recht auch dann getragen werden müsste, wenn die Richtlinie nicht existierte, vgl. Jarass, EuR 1991,

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

sich eine vorrangige Berücksichtigung aber allein bei Vorliegen der Voraussetzungen der unmittelbaren Wirkung und somit des Vorrangs der Richtlinie,z83 Somit verschmölzen jedoch Auslegungsprozeß und Grenzen der Auslegung. Möglich wäre danach nur noch die Auslegung, die sich nach Anwendung aller Methoden ergibt. Das Auslegungsergebnis zöge zugleich die Grenze der möglichen Auslegung,z84 bb) Richtlinienkonformer Auslegungsvorgang Streitig ist, inwieweit Richtlinien darüber hinaus bereits auf der Ebene des Auslegungsvorganges vorrangig - d. h. nicht nur unter Zugrundelegung nationaler Methodenerwägungen - Berücksichtigung finden müssen. Während eine Ansicht der richtlinienkonformen Auslegung - zumeist unter Berufung auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts - Vorrang vor den nationalen Methoden einräumen will,285 lehnt die Gegenauffassung wegen des gerade fehlenden allgemeinen Vorrangs der Richtlinie diese Position ab und will die Richtlinie nur insoweit berücksichtigen, als sich dies aus nationalen methodologischen Erwägungen ergibt. 286 Nach dem hier zu Grunde gelegten Verständnis kommt es allein darauf an, welche konkrete Rechtspflicht der EuGH den nationalen Gerichten auferlegt hat. Aus der dafür maßgeblichen Rechtsprechung folgt aber, daß die Gerichte "so weit wie möglich" ihre Auslegung an Wortlaut und Zweck der Richtlinie auszurichten haben. Die Formulierung des Gerichtshofs weist somit eher in Richtung auf eine Pflicht zur Berücksichtigung von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auch während des Auslegungsvorgangs, nicht erst auf der Ebene des Auslegungsergebnis. Wenn Gerichte alles ihnen Mögliche tun müssen, um das nationale Recht konform auszulegen, dann muß dieses Gebot auch das auf der Ebene des Auslegungsvorganges Mögliche erfassen, da ansonsten ein theoretisch mögliches Auslegungsergebnis nicht erreicht werden würde,z87 Dafür spricht auch die im Vorlageverfahren zum Ausdruck kommende Verschränkung der beiden Auslegungsvorgänge,z88 Besonde211 (218); Nicht ganz so deutlich wie Jarass, a. a. O. vorgibt jedoch die Schlußanträge des GA Mischo zur Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Nr. 26 f. Dieser verlangt lediglich eine hauptsächlich auf nationale Erwägungen gestützte Auslegung, bei der die Richtlinie aber grundsätzlich Beachtung finden darf. Ganz abgesehen davon behandelt der GA hier die Frage, ob das nationale Gericht die Richtlinie berücksichtigen darf, nicht ob dieses sie berücksichtigen muß. 283 Vgl. hierzu Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 255 f. 284 Franzen, Privatrechtsangleichung, 376; Rommelhoff, AcP 1992, 71 (98). Vgl. auch Depenheuer, Wortlaut, 35. 285 Vgl. hierzu oben Teil 2, B., III., 1. 286 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 260 ff.; Di Fabio, NJW 1990, 947 (950 ff.); Ehricke, RabelsZ 1995,598 (616). 287 Ähnlich interpretiert auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (58) die Formulierungen des Gerichtshofs und nimmt daher an, daß der EuGH "tunlichst einen gewissen Vorrang der Berücksichtigung der Richtlinie erwartet." [Rervorhebung im Original]. 288 Siehe hierzu oben Teil 2, B., Ir., 2., b), aa).

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

133

res Gewicht hat hier aber auch Art. 249 Abs. 3 EGV, der die Zielverbindlichkeit der Richtlinie anordnet und selber am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhat. 289 Sofern die nationale Methodenlehre also eine Berücksichtigung auf dieser Ebene erlaubt, sind die Gerichte zu einer solchen auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtet. In Richtung auf eine Beachtung auf der Ebene der Methoden weisend hat auch der EuGH festgestellt, "daß jedes nationale Gericht bei der Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts davon auszugehen [hatl, daß der Staat die Absicht hatte, den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen.,,29o

Da nach herrschender Ansicht zwischen den Auslegungsmethoden kein klares Rangverhältnis besteht, sondern im Einzelfall je nach ihrem Gewicht zu berücksichtigen sind,291 ist es den Gerichten zudem prinzipiell möglich, einzelne Auslegungsaspekte in den Hintergrund treten zu lassen. Auch dazu sind sie soweit möglich gemeinschaftsrechtlich verpflichtet. Eine Berücksichtigung der Richtlinie ist dabei zum einen bei der grammatischen Auslegung von Bedeutung, da die gemeinschaftsrechtliche Herkunft von Begriffen nicht vernachlässigt werden kann?92 Entscheidendes Einfallstor ist aber die objektiv-teleologische Auslegung, bei welcher die Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 Abs. 3 EGV und mit ihr die Regelungszwecke der Richtlinie maßgeblich in die Auslegung einfließen?93 Hieraus folgt insgesamt bereits eine sehr weitreichende Verpflichtung der nationalen Gerichte, ohne daß man der richtlinienkonformen Auslegung den Charakter einer eigenen Methode zumessen müßte?94 Wichtiger erscheint demgegenüber, daß im Rahmen aller methodischen Schritte die Richtlinie maßgeblich und vorrangig in den Blick genommen wird. Insbesondere im Hinblick auf legislative Umsetzungsakte kann unterstützend auch auf den gesetzgeberischen Willen abgestellt werden. Ein Gewaltenkonflikt droht hier nicht einmal ansatzweise?95 Dem EuGH zufolge gilt dies zudem auch dann, wenn der Mitgliedstaat lediglich der Ansicht gewesen ist, daß sein nationales Recht bereits den Richtlinienanforderun289 Ähnlich Canaris, FS Bydlinski, 47 (68 f.). Dies wird etwa von Di Fabio, NJW 1990, 947 (953) verkannt, der die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nur aus Art. 5 EWGVertrag (nunmehr Art. 10 EGV) begründet sieht und insoweit zutreffend bemerkt, dieser sei nur an die Mitgliedstaaten gerichtet. Vorliegend wird die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung jedoch aus dem an die innerstaatlichen Stellen adressierten Art. 249 Abs. 3 EGV abgeleitet, der selbst unmittelbar gilt und am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teilhat, vgl. dazu auch bereits oben Teil 2, B., III., 2. sowie v., 1. 290 EuGH, Rs. C-334 / 92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 20. 291 V gl. hierzu Bydlinski, Methodenlehre, 553 ff.; Kriele, Rechtsgewinnung, 85 ff. 292 Franzen, Privatrechtsangleichung, 348 f. 293 V gl. hierzu ausführlich Franzen, Privatrechtsangleichung, 352 ff. 294 So aber Canaris, FS Bydlinski, 47 (79). 295 Maßgeblich auf einen solchen legislativen Transforrnationsprozeß will Schnorbus, AcP 2001,860 (880 ff.) für den Umfang der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung abstellen. Zur Bedeutung des gesetzgeberischen Umsetzungswillens vgl. sogleich unten Teil 2, B., VI., 1., c), aa).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

gen entspreche. 296 Die nationalen Gerichte sind somit gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, die Richtlinie soweit wie möglich auch schon auf der Ebene der Auslegungsmethoden zu berücksichtigen. Damit ist sie aber nicht mehr allein eine Vorzugsregel, sondern die Existenz einer Richtlinie ist auch geeignet, bestimmte positiv anwendbare Auslegungsergebnisse zu begründen, die allein auf Basis der nationalen Methodenlehre· ohne Berücksichtigung der Richtlinien nicht möglich gewesen wären?97 Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wird methodisch daher lediglich durch die Grenzen einer möglichen Auslegung limitiert?98 Entscheidende Bedeutung kommt somit der Festlegung dieser Grenzen ZU. 299

VI. Die Grenzen des Gebots der richtIinienkonformen Auslegung Grenzen des Gebots zur richtlinienkonformen Auslegung ergeben sich zum einen aus nationalem Recht, insbesondere der Funktion nationaler Gerichte und den Grenzen der Auslegung nach nationaler Methodenlehre, zum anderen aber auch aus dem Gemeinschaftsrecht. 300 In Bezug auf die richtlinienkonforme Auslegung kann man insoweit Brechmanns Begriff der "zweifachen Rechtsregel,,301 zu dem einer "dreifachen Rechtsregel" erweitern. Das nationale Recht erlaubt dem Gemeinschaftsrecht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Ermächtigung autonom über seine Einwirkungen auf das nationale Recht zu entscheiden. Dieses trifft in Form des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung eine dahingehende Anordnung, die aber inhaltlich wiederum dem nationalen Recht gestattet, Grenzen dieser Pflicht selbst zu bestimmen. Daneben begrenzt das Gemeinschaftsrecht die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch selbst. 1. Nationale Grenzen

Wenn von den Gerichten nur das verlangt wird, was ihnen nach nationalem Recht möglich ist, dann sind die nationalen Grenzen der richtlinienkonformen EuGH, Rs. C-334/92, Sig. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 21. Anders, wenn auch grundsätzlich die Vorrangigkeit der richtlinienkonformen Auslegung bejahend Canaris, FS Bydlinski, 47 (68 ff., 97). 298 Ebenso deutlich Canaris, FS Bydlinski, 47 (70), der feststellt, daß die richtlinienkonforme Auslegung den anderen Auslegungsmethoden bis zur Grenze des Contra-legem-Judizierens vorgehe. 299 Ebenso Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 265; Franzen, Privatrechtsangieichung, 357. Vgl. auch Leible, Wege, 292. 300 Die Unterscheidung zwischen nationalrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Grenzen der Auslegung wird allgemein durchgeführt, vgl. Brechmann, Richtlinienkonformen Auslegung, 265 ff., 273 ff.; Franzen, Privatrechtsangleichung, 358 ff.; 373 ff.; Frisch, Richtlinienkonforme Auslegung, 85. Vgl. auch Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (1145). 301 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 247 ff. sowie oben, Teil 2, A., 1., 2. 296 297

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

135

Auslegung mit den allgemeinen Grenzen von Auslegung und Rechtsfortbildung identisch?02 Die Grenze wird somit durch die allgemeine Gesetzesbindung der Gerichte vorgegeben 303 und findet sich im auszulegenden Gesetz selbst. Wie Brechmann formuliert hat "kann kein richtlinienkonforrner individueller Rechtssatz geschaffen werden, wo der abstrakt-generelle Rechtssatz, quasi das "Rechtsmaterial". eine solche Richtlinienkonformität nicht zuläßt. ,,304

a) Grenzen der Auslegung nach traditionellem Methodenverständnis

Dem herrschenden Methodenverständnis in Deutschland zufolge ist die Auslegung nationalen Rechts durch die Gerichte durch den Wortlaut der auszulegenden Norm sowie den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers begrenzt. 305 So findet auch die verfassungskonforme Auslegung nach dem Verständnis des BVerfG ihre Grenzen dort, wo einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normative Gehalt der auszulegenden Norm grundlegend neu bestimmt oder das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt würde?06 Dabei fußen die beiden Grenzen auf unterschiedlichen Überlegungen. Während der gesetzgeberische Regelungszweck die funktionale Grenze zwischen der rechtsprechenden Gewalt gegenüber der rechtsetzenden Gewalt zieht und somit dem Gewaltenteilungsprinzip verpflichtet ist,307 begrenzt der klare Wortlaut auch die Eingriffsbefugnis gegenüber dem Rechtsunterworfenen. Dieser darf aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht Rechtsfolgen unterworfen werden, die für ihn im Vorhinein nicht erkennbar waren?08 Inwieweit auf dieser Basis im einzelnen eher objektiv-geltungszeitlicher Normzweck oder subjektiv-historischer Gesetzgeberwille entscheidend sind, ist bereits für die rein nationale Auslegungssituation umstritten. 309 Diesem Streit soll hier nicht im einzelnen nachgegangen werden. Zweckmäßiger erscheint es statt dessen, zu hin302

172.

Franzen. Privatrechtsangleichung, 374; Zuleeg. Gemeinschaftskonforrne Auslegung.

Brechmann. Richtlinienkonforrne Auslegung, 266. Brechmann. Richtlinienkonforrne Auslegung, 265 f. (Hervorhebung im Original). 305 Vgl. hierzu Canaris. Lücken. 23; Fikentscher, Methoden. Bd. IV. 294; Hassold. FS Larenz, 211 (218); Larenz. Methodenlehre, 322, 342 ff. u. 366; Zippelius. Methodenlehre, 43, 56. Vgl. zu diesen Grenzen im Hinblick auf die richtlinienkonforrne Auslegung Brechmann. Richtlinienkonforrne Auslegung, 266 ff.; Franzen. Privatrechtsangleichung, 375 ff. 306 BVerfGE 71,81 (105). 307 Vgl. GrundmannlRiesenhuber, JuS 2001, 529. 308 Vgl. Neuner, Rechtsfindung, 102 ff. Ebenso Grundmannl Riesenhuber, JuS 2001, 529. 309 GrundmannlRiesenhuber, JuS 2001, 529 ff. Vgl. zum Streit zwischen objektiver und subjektiver Theorie Engisch. Einführung in das juristische Denken, 106 ff.; Fikentscher, Methoden, Bd. III, 662 ff.; Larenz. Methodenlehre, 316 ff.; Wank. Grenzen, 59 ff.; Zippelius. Methodenlehre, 18 ff. 303

304

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

terfragen, inwieweit die traditionellen Grenzen der richterlichen Rechtsanwendung im Kontext von gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien überhaupt zum Tragen kommen können, wenn sie sich als Hindernisse für eine effektive Verwirklichung des Richtlinieninhalts auf judikativer Ebene darstellen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich nämlich ohnehin, daß auch nach deutscher Methodenlehre im Wege der Rechtsfortbildung sehr weitreichend über beide Grenzen hinausgegangen wird?lO Die Grenzen sind demnach nicht als starr zu begreifen, sondern ihre Überschreitung indiziert lediglich einen erhöhten Begründungsaufwand für den Rechtsanwender im Hinblick auf das gefundene Ergebnis. 311

b) Mögliche Problembereiche für die richtlinienkonforme Auslegung

Aus beiden Grenzen der nationalen Auslegungsbefugnis können prinzipiell auch Grenzen einer richtlinienkonformen Auslegung erwachsen. Während eine Norm ihrem Wortlaut nach ein richtlinienkonformes Ergebnis schlicht nicht zu tragen vermag, macht die Beachtung des gesetzgeberischen Regelungszwecks dann Probleme, wenn der Gesetzgeber bewußt oder unbewußt eine nicht vollständige oder nicht zutreffende Umsetzung der Richtlinie beabsichtigte. Hier stellt sich die Frage, ob die Gerichte im Wege der richtlinienkonformen Auslegung korrigierend eingreifen dürfen oder müssen und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen. c) Modifikation der Grenzen im Einwirkungsbereich von Richtlinien

In der deutschen Literatur haben sich insbesondere Brechmann,312 und Franzen 313 sowie jüngst Canaris 314 ausführlicher mit den Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung auseinandergesetzt und dabei durchaus unterschiedliche Akzente gesetzt. Daneben finden sich in den meisten Beiträgen, die sich mit der richtlinienkonformen Auslegung beschäftigen, mehr oder weniger ausführlich begründete Stellungnahmen zu der Problematik. Diese differenzieren aber in aller Regel nicht im Hinblick auf Wortlautgrenze und gesetzgeberischen Willen, geschweige denn nach den verschiedenen Formen der Rechtsfortbildung?15 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 366 ff. Vgl. Seiler; Auslegung, 34 ff. 312 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 265 ff. 313 Franzen, Privatrechtsangleichung, 358 ff. 314 Canaris, FS Bydlinski, 47. 315 Für eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Hergenröder; in: FS Zöllner, 1139 (1149 ff.); Lutter, JZ 1992,593 (607); Steindorff, FS Everling, 1455 (1462 f.); dagegen Jarass, EuR 1991,211 (217); Klein, FS Everling, 641 (646); Rüffler; ÖJZ 1997, 121 (126). 310 311

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

137

Während Brechrnann den Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung im Ergebnis ablehnt und eine Berücksichtigung der Richtlinie nur insoweit auf der Ebene des Auslegungsvorgangs vorsieht, als sich diese aus nationalen Methodenerwägungen ergibt, die bei ihm zudem eher subjektiv geprägt sind,316 will Franzen die Grenzen der Auslegung durch eine analoge Anwendung von Art. 36 EGBGB modifizieren, was zu einer Nichtbeachtung mit der Richtlinie nicht kompatibler gesetzgeberischer Regelungszwecke nach Ablauf der Umsetzungsfrist führt, wohingegen die Wortlautgrenze weiterhin gelten SOll.317 Canaris bejaht grundsätzlich den Vorrang der richtlinienkonformen Auslegung und befürwortet auch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung,318 will aber ein richtlinienkonformes contra-legern-Judizieren jenseits einer Grenze aus Wortlaut und Zweck des Gesetzes nicht zulassen,319 wobei sowohl Wortlaut als auch Zweck jedoch im Wege der Auslegung eine Präzisierung zu erfahren haben. 32o Daneben soll auch ein etwaig bestehendes Rechtsfortbildungsverbot eine nicht zu überschreitende Grenze darste1len. 321 Diese Grenzen der Auslegung sollen dabei durch ein "Hin-und-Her-Wandem" des Blickes zwischen nationaler Norm und Richtlinie bestimmt werden. 322 Sowohl Franzen und Brechrnann als auch Canaris zufolge hindert eine ausdrückliche Umsetzungsverweigerung durch den Gesetzgeber in jedem Fall eine richtlinienkonforme Auslegung?23 Hingegen soll nach Brechrnann eine über den Wortlaut hinausreichende richtlinienkonforme Analogie oder Reduktion unter Berufung auf den gegebenenfalls unterstellten Umsetzungswillen möglich sein?24 Ein Irrtum bei der Umsetzung oder die schlichte Untätigkeit des Gesetzgebers sollen aufgrund geltungszeitlicher Überlegungen hingegen unbeachtlich sein und einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegenstehen. 325 Aufgrund der unterschiedlichen Implikationen ist auf beide Grenzen getrennt einzugehen. Dabei ist insbesondere auch der Frage nachzugehen, inwieweit die Grenzen bzw. die Voraussetzungen für deren Überschreiten im Wirkungsbereich von Richtlinien der EG Modifikationen aus Sicht der nationalen Methodenlehre erfahren. Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 268. Franzen, Privatrechtsangleichung, 379 f. 318 Canaris, FS Bydlinski, 47 (68 ff., 81 f.). 319 Canaris, FS Bydlinski, 47 (92). 320 Canaris, FS Bydlinski, 47 (94). 321 Canaris, FS Bydlinski, 47 (94). 322 Canaris, FS Bydlinski, 47 (97). Dieses Motiv findet sich auch schon bei Franzen, Privatrechtsangleichung, 347. 323 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 269; Canaris, FS Bydlinski, 47 (96); Franzen, Privatrechtsangleichung, 399 f. Ebenso Hellert, Einfluss, 121; Schwab, ZGR 2000, 446 (466); Rörig, Direktwirkung, 157; Schnorbus, AcP 2001,860 (882). 324 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 268. 325 Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 270 f. 316 317

138

Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

aa) Beachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks Nach dem hier zu Grunde gelegten Verständnis überläßt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung es dem nationalen Recht, die Grenze seiner Auslegbarkeit zu bestimmen. Die Überlegungen zur Frage der Beachtlichkeit des gesetz geberischen Regelungszwecks müssen sich demnach auf nationales Recht stützen, können dabei aber auf das unmittelbar geltende Gemeinschaftsrecht als Teil der im Mitgliedstaat geltenden Rechtsordnung ebenfalls zugreifen. Die eher subjektiv geprägten Auslegungstheorien billigen dem gesetzgeberischen Regelungszweck auch innerhalb der Wortlautgrenze eine eigenständige Grenzfunktion zu, die bei der Auslegung nicht überschritten werden dürfe. 326 Diese ist Ausdruck der Anerkennung der höheren Legitimität des Parlaments und dem daraus resultierenden Primat zur Rechtssetzung. 327 Eine Beschränkung von dessen Beachtlichkeit kann sich daher nur ergeben, wenn das Primat zur Setzung abstrakt-genereller Rechtssätze im Anwendungsbereich von Richtlinien wesentliche Änderungen erfährt, in concreto wenn die Legislative die Kompetenz zur Setzung abstrakt-genereller Rechtssätze zumindest teilweise verloren hat. Gemäß Art. 23 Abs. I S. 2 GG kann der Bund durch Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates Hoheitsrechte übertragen. Gemeint ist damit die gesamte öffentliche Gewalt einschließlich der Rechtssetzung?28 Auch wenn der Begriff der Übertragung nach herrschender Auffassung mißverständlich ist329 und es lediglich um eine Öffnung der deutschen Staatsordnung für Recht aus einer anderen Quelle geht, welches über seine Auswirkungen im nationalen Rechtsraum autonom entscheidet, ändert dies nichts daran, daß Art. 23 Abs. I S. 2 GG i.Y.m. den jeweiligen Zustimmungsgesetzen zu den Gemeinschaftsverträgen zu einer verfassungsmäßigen Einschränkung der Gesetzgebungsbefugnis der deutschen Parlamente führt. Dies gilt auch nicht nur im Hinblick auf unmittelbar wirkendes Gemeinschaftsrecht, sondern für alle Rechtsakte im Rahmen des ihnen vom Gemeinschaftsrecht zugemessenen Umfangs. Im Hinblick auf Richtlinien ergibt sich die Beschränkung der deutschen Rechtssetzungsgewalt somit aus Art. 249 Abs. 3 EGV, der zwar eine Umsetzung in nationales Recht verlangt, aber ebenso klar die Verbindlichkeit der Ziele der Richtlinie festschreibt. Gemäß Art. 23 Abs. I S. 2 GG i.Y.m. Art. 249 Abs. 3 EGV ist somit die deutsche Legislativgewalt im Bereich von rechtmäßig erlassenen Richtlinien nicht befugt, andere Ziele zu verfolgen, als sie die Richtlinie vorgibt, es sei denn, daß eine Richtlinie ausdrücklich ein Ermessen einräumt, welches eine Verfolgung anderer Ziele neben den Richtlinienzielen zuläßt, oder ausnahmsweise die Grenzen der Integration, die Art. 23 Abs. 1 i.Y.m. Art. 79 Abs. 3 GG Vgl. hierzu Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 266 ff. m. w. Nachw. Vgl. Larenz, Methodenlehre, 376. 328 Jarass, in: Jarass I Pieroth, GG, Art. 23, Rn. 17; Pe mice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 11, Art. 23, Rn. 83. 329 BVerfG 37, 271 (279); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rn. 18; Pemice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 11, Art. 23, Rn. 82. 326 327

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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selbst niederlegt, überschritten sind. 33o Den deutschen Parlamenten kommt mithin im Bereich von Richtlinien keine eigenständige Zielsetzungsbefugnis mehr zu, sobald die Umsetzungs frist abgelaufen ist,33! weswegen in Fachgesetzen teilweise Verordnungsermächtigungen zur Richtlinienumsetzung enthalten sind?32 Setzen sie richtlinienwidriges Recht, so ist dieses außer Anwendung zu lassen. Setzen sie richtlinienwidrige Zwecke, sind die nationalen Rechtsanwender durch methodologische Überlegungen nicht gehindert, diese unbeachtet zu lassen?33 Da eine Nichtbeachtung methodologisch möglich ist, ist sie aber auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtend. Bestätigt wird diese Auffassung auch durch das Maastricht-Urteil des BverfG?34 In diesem hatte das BVerfG sich unter anderem mit der Frage auseinander zu setzen, ob durch den Vertrag von Maastricht und die Gründung der Europäischen Union das durch Art. 38 GG gewährleistete Recht zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung ausgehöhlt werde?35 Hierzu führte das BVerfG aus: "Durch den Umfang der eingeräumten Aufgaben und Befugnisse und die im Vertrag geregelte Form der Willensbildung in der Europäischen Union und den Organen der Europäischen Gemeinschaften werden die Entscheidungs- und Kontrollzuständigkeiten des Deutschen Bundestages noch nicht in einer Weise entleert, die das Demokratieprinzip, soweit es Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärt, verletzt. ,.336

Die These, daß sich die Integration in die Europäische Union nach Ansicht des BVerfG auf die Befugnisse des Parlaments auswirkt, findet Unterstützung in weiteren Formulierungen: "Werden supranationalen Organisationen Hoheitsrechte eingeräumt, verliert das vom Volk gewählte Repräsentationsorgan, der Deutsche Bundestag, und mit ihm der wahlberechtigte 330 Dazu muß aber zunächst die Kompetenzwidrigkeit einer Richtlinie durch den EuGH festgestellt werden. Die Mitgliedstaaten können nicht einfach dem Rechtsakt die Gefolgschaft verweigern, sondern müssen etwa im Wege der Nichtigkeitsklage den Rechtsakt vor dem EuGH angreifen. Die Initiative zu einer solchen Klage kann dabei auch von der nationalen Legislative ausgehen. So erhob z. B. die niederländische Regierung gegen die BiopatentRichtlinie auf Wunsch ihres Parlaments Nichtigkeitsklage vor dem EuGH (vgl. EuGH, Rs. C377 /98, Sig. 2001, 1-7079 - Biopatent-Richtlinie, Rn. 4). Im deutschen Verfassungsrecht ist allerdings nur für den Bundesrat ein entsprechender Anspruch auf Einreichung einer Klage durch die Bundesregierung vorgesehen, soweit Kompetenzen der Bundesländer durch die EG-Rechtsetzung betroffen sind, vgl. § 7 EUZBLG. 331 Vgl. zur Einschränkung des politischen Handlungsspielraums auch Streinz, FS Söllner, 1139 (1144 f., 1150 f.). 332 Hierzu und zu den damit verbundenen verfassungsrechtlichen Problemen Calliess, NVwZ 1998, 8; Weihrauch, NVwZ 2001,265. 333 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Klamert, Richtlinienkonforme Auslegung, 183, indem er von einer Teilhabe des Richtlinienziels am Vorrang des Gemeinschaftsrechts ausgeht. 334 BVerfGE 89, 155. 335 BVerfGE 89, 155 (182 ff.). 336 BVerfGE 89, 155 (181).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Bürger notwendig an Einfluß auf den politischen Willens- und Entscheidungsprozeß. Jeder Beitritt zu einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft hat zur Folge, daß das Mitglied einer solchen Gemeinschaft an deren Entscheidungen gebunden ist. ,.337 [ ... ]

"Die Einräumung von Hoheitsbefugnissen hat zur Folge, daß deren Wahrnehmung nicht mehr stets vom Willen eines Mitgliedstaates allein abhängt. Hierin eine Verletzung des grundgesetzlichen Demokratieprinzips zu sehen, widerspräche [... ] der Integrationsoffenheit des Grundgesetzes;,,338

Im folgenden weist das BVerfG darauf hin, daß der Bundestag selbst in die Entscheidung über die Hoheitsrechtsübertragung eingebunden ist. ,,[Der Bundestag] hat die mit einer solchen Zustimmung verbundenen weittragenden Folgen, nicht zuletzt auch für die Kompetenzen des Bundestages selbst, zu erörtern und über sie zu entscheiden. ,,339

Welche Schlußfolgerungen lassen sich hieraus aber für die vorliegende Frage der Beachtlichkeit der gesetzgeberischer Regelungszwecke ziehen? Das BVerfG verweist zutreffend darauf, daß die Übertragung von Hoheitsrechten nicht abstrakt die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat in der EU betrifft, sondern ganz konkrete Auswirkungen auf den Umfang hoheitlicher Befugnisse einzelner Staatsgewalten hat. 34o Dabei richtet sich der Umfang, in dem dieser Verlust an Hoheitsrechten eintritt, auch nach Ansicht des BVerfG nach den Gemeinschaftsverträgen. 341 Als Kompensation für diesen Verlust an legislativer Kompetenz des Parlamentes sehen Art. 23 Abs. 2 S. 1 sowie Abs. 3 GG dessen Beteiligung in Angelegenheiten der Europäischen Union vor?42 Die Möglichkeit zur Stellungnahme vor der Mitwirkung der Bundesregierung an der Setzung von Gemeinschaftsrecht ist auch nicht auf Verordnungen beschränkt, sondern erfaßt allgemein rechtlich verbindliche Akte der EU, also auch Richtlinien?43 Wenn aber im Hinblick auf Richtlinien die Zielsetzungsbefugnis des Bundestages auf die EG übergegangen ist, gibt es aus Sicht nationaler Gerichte keinen Grund, durch die Beachtung unbefugt gesetzter Regelungszwecke eine Erfüllung der Verpflichtung Deutschlands als Mitglied der EU zu vereiteln. Ein unberechtig337 BVerfGE 89, 338 BVerfGE 89, 339 BVerfGE 89, 340 Vgl. zu den (666). 341 BVerfGE 89,

155 (182). 155 (183). 155 (183 f.). verfassungspolitischen Konsequenzen auch Winter, DVBl. 1991, 657 155 (188 ff.).

342 Insbesondere §§ 3 ff. EUZBRegBTG. Vgl. ausführlich zur Mitwirkung des Bundestages Pemice, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 11, Art. 23, Rn. 95 ff.; Schröder, EuR 2002, 301. Siehe zudem auch Protokoll (Nr. 9) über die Rolle der einzelstaatlichen Parlamente in der Europäischen Union zum Vertrag über die Europäische Union, Schlußakte des Vertrags von Amsterdam. 343 Vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 23, Rn. 51.

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

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ter Eingriff in legislative Befugnisse ist in einem solchen Fall nicht gegeben. Lediglich soweit die Richtlinie selbst die Mitverwirklichung anderer Ziele zuläßt, den Mitgliedstaaten also einen Umsetzungsspielraum einräumt, sind solche Ziele auch von den nationalen Gerichten zu berücksichtigen. Es ist nicht einsehbar, wieso die Verpflichtung der Gerichte zur Umsetzung der Richtlinien durch den Willen des Parlamentes im Einzelfall konditioniert sein soll. Die richtlinienkonforme Auslegung vermag ja gerade da Bedeutung zu gewinnen, wo es an einem Umsetzungsbemühen durch die Legislative fehlt. Demgegenüber stellt die Berufung auf einen vermeintlichen, ohnehin weitestgehend zur Fiktion werdenden Umsetzungswillen des Gesetzgebers 344 ebenso ein gekünsteltes Konstrukt dar wie die Berufung auf eine geltungszeitliche Veränderung des Normkontexts. Klarer und konsequenter ist es hingegen, das Argument des subjektiv-historischen Gesetzgeberwillens bei der Auslegung nationaler Umsetzungsnormen fallenzulassen, da es seine Funktion im Hinblick auf im Richtlinienkontext befindliches nationales Recht eingebüßt hat. 345 Ein etwaiger Umsetzungswille ist nicht deshalb beachtlich, weil er existiert, sondern weil der Gesetzgeber keinen anderen Willen mehr haben darf. Im Hinblick auf gesetzgeberische Zwecke ist daher ausschließlich auf die bei Erlaß der Richtlinie mit dieser verbundenen Rege1ungsabsichten, wie sie die Gemeinschaftsinstitutionen hatten, abzustellen. Diese Berücksichtigung findet allerdings primär auf der Ebene der Auslegung der Richtlinie statt. Jedenfalls innerhalb des möglichen Wortsinns der nationalen Norm kommt somit dem Willen des Gesetzgebers keine begrenzende Bedeutung für die richtlinienkonforme Auslegung mehr zu. Will der Gesetzgeber von den Vorgaben der Richtlinie abweichen, bleibt ihm die Möglichkeit, die Worte so zu wählen, daß die Wortsinngrenze einer richtlinienkonformen Auslegung entgegensteht und damit die Möglichkeit der Rechtsprechung, sich über den gesetzgeberischen Willen hinweg zu setzen, zumindest erschwert wird?46 Hingegen lehnt Canaris eine Einwirkung von Art. 249 Abs. 3 EGV auf das deutsche Gewaltengefüge ab. 347 Gestützt wird diese Ablehnung darauf, daß ein den Vorrang des Gesetzes gegenüber der Rechtsprechung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG tangierendes Verständnis von Art. 249 Abs. 3 EGV gegen die in Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.Y.m. Art. 79 Abs. 3 GG enthaltene Beschränkung der Übertragbarkeit von Hoheitsrechten verstieße?48 Diese Ansicht geht jedoch fehl. Sie verkennt nämlich, daß es hier nicht um eine durch Art. 249 Abs. 3 EGV unmittelbar bewirkte Verschiebung im Gewaltengefüge auf der horizontalen Ebene geht, sondern um eine Folge einer vertikalen Übertragung von Hoheitsrechten (hier Legislativbefugnis344 Vgl. etwa Schnorbus, AcP 2001,860 (880 ff.), der bei unverändert gebliebenen Gesetzen immer einen Transforrnationswillen des Gesetzgebers unterstellen will. 345 Im Ergebnis ebenso VlmeT, ZIP 2002, 1080 (1081); Steindorff, FS Everling, 1455 (1463). 346 Ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung, 381. 347 Canaris, FS Bydlinski, 47 (56 f.). Ähnlich auch Schnorbus, AcP 2001,861 (876). 348 Canaris, FS Bydlinski, 47 (57).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

sen) auf die supranationale Ebene. Daß es in der Folge auch zu einer Einwirkung auf die horizontale Gewaltenbeziehung zwischen Legislative und Judikative kommt, folgt daraus, daß die nationalen Gerichte auch als Gemeinschaftsgerichte bzw. als Gemeinschaftsrechtsgerichte fungieren 349 und in dieser Funktion auch die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts durch die nationalen Gewalten kontrollieren (Prinzip der dezentralen Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts). Dementsprechend haben die nationalen Gerichte auch, wie dargelegt, die Befugnis, nationales Recht wegen eines Verstoßes gegen negativ unmittelbar wirkende Richtlinienbestimmungen unangewendet zu lassen?50 Aus der Derogationsbefugnis, die Canaris im Hinblick auf die Richtlinienwidrigkeit allerdings zu Unrecht für nicht gegeben ansieht,351 folgt aber unproblematisch die für das nationale Recht schonendere Befugnis, einzelne Auslegungsergebnisse - so z. B. die ausdrückliche Umsetzungsverweigerung - ebenfalls zu verwerfen. 352 Ein Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG kann deshalb a maiore ad minus in dem hier vertretenen Verständnis von Art. 249 Abs. 3 EGV nicht liegen. Hinzu kommt, daß Art. 20 Abs. 3 GG nicht allein die Bindung an das Gesetz, sondern an Gesetz und Recht ausspricht. Insoweit erscheint es inkonsequent, auch nicht unmittelbar wirkende Richtlinien als Teil der Gesamtrechtsordnuni 53 und damit als Rechtsgewinnungsquellen 354 anzusehen, diese gleichzeitig aber aus dem Bereich des gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die Rechtsprechung bindenden Rechts auszuklammern. 355 Zu einem ähnlichen wie dem hier vertretenen Ergebnis kommt auch Franzen, allerdings aufgrund einer anderen Argumentation. 356 Sein Ansatz über Art. 36 EGBGB analog scheitert jedoch bereits deshalb, weil es an einer Regelungslücke in der deutschen Rechtsordnung mangelt, da das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung unmittelbar gilt. 357 Hinzu kommt erschwerend, daß der Rechtsanwender bei dieser Lösung lediglich auf die einfachgesetzliche Anordnung des Art. 36 EGBGB analog zurückgreifen kann, während der hier vertretene Ansatz 349 Vgl. dazu Burgi, Verwaltungsprozeß, S. 57 ff.; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht, 150 ff.; Streinz, VVDStRL 61 (2002), 300 (321). 350 Hinzu kommt die Befugnis, dem einzelnen Staatshaftungsansprüche wegen legislativen Unrechts zuzusprechen, die es nach traditionellem Verständnis in Deutschland ebenfalls nicht gibt, vgl. dazu ausführlich unten, Teil 2., C. 351 Canaris, FS Bydlinski, 47 (57). 352 Diesen Zusammenhang zwischen Normverwerfung und Auslegungsverwerfung verkennt Schnorbus, AcP 2001,860 (876). 353 So aber Canaris, FS Bydlinski, 47 (84 ff.). 354 So Canaris, FS Bydlinski, 47 (75 ff.). 355 Wobei hier keineswegs vertreten wird, daß nicht unmittelbar wirkende Richtlinien als Gesetz und Recht i. S. d. Art. 20 Abs. 3 GG zu gelten hätten. Dazu gehört aber in jedem Fall Art. 249 Abs. 3 EGV und die darin ausgesprochene Zielverbindlichkeit von Richtlinien, so daß eine Berufung auf diese auch unter dem Aspekt der Gesetzes- und Rechtsbindung durchaus vertretbar erscheint. 356 Franzen, Privatrechtsangleichung, 381 f. 357 Siehe oben Teil 2, B., I1I., 3.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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verfassungsrechtlich verankert ist. Konsequenterweise will Franzen zumindest die ausdriickliche Umsetzungsverweigerung durch den Gesetzgeber ebenfalls akzeptieren und den Aspekt der Richtlinienkonformität dahinter zuriickstehen lassen?58 Hergenröder ist im Hinblick auf die Beachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks nicht eindeutig. Einem solchen soll "soweit als möglich Rechnung getragen werden".359 Damit wird der eigentlich wesentliche Punkt aber gerade nicht entschieden, nämlich ob sich im Konfliktfall die Umsetzungsverpflichtung gegen einen entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen durchsetzt. bb) Beachtlichkeit der Wortlautgrenze - Verpflichtung zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Dariiber hinaus stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die nationalen Gerichte auch zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung verpflichtet sind. Die herrschende Methodenlehre zieht die Grenze zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung dort, wo der Wortlaut einer Norm entweder über- oder unterschritten wird?60 Rechtsfortbildung ist danach die positive Setzung konkret-individueller Rechtssätze, die vom Wortlaut des abstrakt-generellen Rechtssatzes nicht mehr gedeckt sind, sowie die Nichtsetzung konkret-individueller Rechtssätze, welche ein abstrakt-genereller Rechtssatz getragen hätte. An dieser Grenze wird in der methodenrechtlichen Literatur allerdings vereinzelt Kritik geübt. Eine Wortsinngrenze sei nicht scharf zu ziehen 361 und es sei unklar, ob auf den entstehungszeitlichen oder geltungszeitlichen Wortsinn abzustellen sei. 362 Zudem müsse von einer Rechtsfortbildung bereits dann gesprochen werden, wenn von einem entgegenstehenden gesetzgeberischen Willen 363 oder dem bisherigen Verständnis einer Norm abgewichen werde. 364 Letzteres mag man rechtstheoretisch zwar insofern als Rechtsfortbildung bezeichnen, als neues Recht gesetzt wird. Methodisch ist es im Rahmen des Wortlauts trotzdem Auslegung. 365 Sofern ein Auslegungsergebnis innerhalb des möglichen Wortsinns den Willen des Gesetzgebers mißachtet hat, mag man an seiner Richtigkeit zweifeln, methodisch hat der Rechtsanwender aber trotzdem nur einen Sinn ausgesprochen, den der Wortlaut zumindest haben kann. Dem Gesetzgeber steht es insoweit frei, seine Worte präziser zu wählen, um ein deutliFranzen. Privatrechtsangleichung. 399 f. Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (1155). 360 Bydlinski. Methodenlehre, 441; Fikentscher, Methoden Bd. IV, 294 f.; Kramer, Methodenlehre. 39; Larenz. Methodenlehre. 322 f. 361 Vgl. hierzu Kriele. Rechtsgewinnung. 223; Depenheuer, Wortlaut. 39; Wank. Begriffsbildung. 24. 362 Wank. ZGR 1988. 314 (317). 363 Wank. ZGR 1988. 314 (318). 364 Wank. ZGR 1988. 314 (317 ff.). 365 Vgl. hierzu Franzen. Privatrechtsangleichung. 376 f.; Larenz. Methodenlehre. 366 ff. 358 359

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

ches Auseinanderfallen von Regelungsabsicht und Wortlaut der Norm zu vermeiden?66 Bei aller Unschärfe ist es nämlich dennoch in aller Regel möglich, "positive" wie "negative" Kandidaten im Hinblick auf die Tatbestandselemente einer Norm zu identifizieren?67 Dann kommt dem Wortlaut insofern aber durchaus eine sinnvolle Funktion ZU. 368 Lediglich für die Zuweisung der "neutralen" Kandidaten gibt der Wortlaut nichts her. Bei ihnen sind weitere Auslegungsoperationen notwendig. Ihre Neutralität besagt aber damit letztlich nichts anderes, als daß sowohl eine schlußendliche Einordnung bei "positiv" als auch bei "negativ" als Auslegung im Rahmen der Wortlautgrenze zu beurteilen ist. Die wohl überwiegende Meinung in der Literatur lehnt eine Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung über den Wortlaut des Gesetzes hinaus ab. 369 Dabei wird zum einen auf die fehlende horizontale unmittelbare Wirkung von Richtlinien hingewiesen, die durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung unterlaufen würde. 37o Zudem sei es auch nicht die Aufgabe der nationalen Gerichte, durch eine Fortbildung des nationalen Rechts anstelle des Gesetzgebers für die Umsetzung der Richtlinien Sorge zu tragen. 371 Einer derartigen judikativen Umsetzung fehle es in aller Regel ohnehin an der für eine ordnungsgemäße Umsetzung notwendigen Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. 372 Diese Argumente sind jedoch rein gemeinschaftsrechtlicher Natur und daher bei der Frage, ob nationale Methodenerwägungen einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Wege stehen, nicht beachtlich. Allenfalls können die Erwägungen zu einer gemeinschaftsrechtlichen Begrenzung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung führen?73 Andere Stimmen bejahen hingegen die richtlinienkonforme Analogie und Reduktion unter der Voraussetzung, daß sie sich auf den Umsetzungswillen des Gesetzgebers stützen kann?74 Dies ist insbesondere in Fällen versehentlich unzureichender Umsetzung möglich, bei der in aller Regel die Wertentscheidung zur Füllung der planwidrigen Lücke in der Umsetzungsnorm zu finden sein wird. 375 Dann wird im Einzelfall sogar eine contra legern Rechtsfortbildung befürwortet. 376

Franzen, Privatrechtsangleichung, 377. Vgl. dazu Herberger/ Koch, JuS 1978, 810 (812). 368 Vgl. Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 267; Franzen, Privatrechtsangleichung, 375 f.; Neuner, Rechtsfindung, 96. 369 Basedow, FS Brandner, 651 (658); Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 273; Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (126); Scherzberg, Jura 1993,225 (232). 370 Vgl. Möllers, EuR 1998,20 (43). 371 M. Schmidt, RabelsZ 1995, 569 (585). 372 Nettesheim, AöR 1994, 261 (284). 373 Siehe dazu ausführlich unten Teil 2., B., VI., 2. 374 Brechmann, Richtlinienkonfonnen Auslegung, 269 ff.; Grundmann, ZEuP 1996, 399 (419 ff.); Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (l053 ff.); Möllers, EuR 1998,20 (45 f.). 375 Möllers, EuR 1998,20 (45). 376 Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (1159); Möllers, EuR 1998,20 (45). 366

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B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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Die überwiegend ablehnende Auffassung steht allerdings in scharfem Gegensatz zur allgemein anerkannten Befugnis der Gerichte zur Reduktion und Analogiebildung,377 auch wenn die Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung durchaus nicht einhellig beurteilt werden. 378 Da die Gerichte unter voller Ausschöpfung ihres Beurteilungsspielraums das nationale Recht bis zur Grenze des Möglichen im Lichte von Wortlaut und Zweck der Richtlinie auslegen müssen, trifft sie dann grundsätzlich auch die Pflicht zu einer nach nationaler Methodenlehre zulässigen Rechtsfortbildung. 379 Gleiches muß im Grundsatz aber auch für die Extension bzw. die Rechtsfortbildung extra legern sed intra ius gelten, sofern eine solche methodologisch möglich ist. Auch hier gilt die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zum methodisch Möglichen. Der Wortlautgrenze kommt nach deutscher Methodenlehre nämlich gerade keine die Tätigkeit der Gerichte strikt begrenzende Funktion zu, sondern sie führt lediglich zur Verschärfung der Begründungsanforderungen für ein Ergebnis jenseits derselben. 38o Gleiches muß im Grundsatz auch für die richtlinienkonforme Auslegung gelten. 381 Hinter den Möglichkeiten der nationalen Methodenlehre dürfen die Gerichte nämlich im Hinblick auf die Richtlinienkonformität nicht zurückbleiben. Da Reduktion, Analogie und Extension grundsätzlich unterschiedlichen Anforderungen unterliegen, ist auf sie auch einzeln einzugehen. Verallgemeinernde Aussagen über "richtlinienkonforme Rechtsfortbildung" verbieten sich. 382 ( 1) Richtlinienkonforrne Reduktion

Die Reduktion ist ein Fall der Hinzufügung einer gemäß dem Regelungszweck der Norm notwendigen Einschränkung entgegen ihrem Wortlaut. 383 Bei der richtlinienkonformen Reduktion handelt es sich nach der hier zu Grunde gelegten Terminologie um einen Fall der negativen Konformauslegung. Eine vom Wortlaut her mögliche oder sogar gebotene Konkretisierung einer Norm wird im Lichte von 377 Ähnlich auch Dänzer- Vanotti, StVj 1991, 1 (10); Ehricke, RabelsZ 1995, 598 (638); Frisch, Richtlinienkonforme Auslegung, 110; Spetzler, RlW 1991,579 (581). 378 V gl. zu den Unterschieden zwischen hermeneutischer und verfassungsrechtlicher Theorie Wank, ZGR 1988, 314 (319 ff.). 379 Ebenso Canaris, FS Bydlinski, 47 (82). Ähnlich Rörig, Direktwirkung, 155; Schön, Auslegung, 44. 380 Vgl. Larenz, Methodenlehre, 366 ff.; Seiler, Auslegung, 34 ff. 381 Um dies zu begründen muss man aber nicht, wie Roth, Festgabe 50 Jahre BGH, 847 (876), auf den Grundsatz der Gleichbehandlung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht abstellen. Die Pflicht, die Möglichkeiten des nationalen Methodenkanons auszuschöpfen, ergibt sich unmittelbar aus dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung. 382 Im Gegensatz dazu stellt Franzen, Privatrechtsangleichung, 412 ff., ohne Differenzierung allein auf den Lückenbegriff ab. Canaris, FS Bydlinski, 47 (82 ff.) rückt zwar ebenfalls den Lückenbegriff in den Vordergrund, jedoch nicht ohne im Anschluß (a. a. 0., 89 f.) kurze Ausführungen zu einzelnen Arten der Rechtsfortbildung zu machen. 383 Larenz, Methodenlehre, 391. \0 Hemnann

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Wortlaut und Zweck der Richtlinie unterlassen, um nicht einen richtlinienwidrigen individuell-konkreten Rechtssatz setzen zu müssen. Dabei ist der Übergang zur negativen unmittelbaren Wirkung in der Tat fließend. Sobald der unzulässige konkrete Rechtssatz positiv-rechtlich ausdrücklich normiert ist, kommt eine richtlinienkonforme Reduktion nicht mehr in Betracht. Dann kann nicht mehr eine bestimmte Auslegung einer Norm nicht vorgenommen werden, sondern es bleibt nur die Nichtanwendung der Norm als solcher, weil gerade diese richtlinienwidrige Auslegung die einzige überhaupt mögliche ist. Maßgeblich ist somit der Konkretisierungsgrad der nationalen Norm. Je genereller und weiter die Norm gefaßt ist, um so mehr Spielraum bietet sie naturgemäß für eine Reduktion. Besonders geeignet für richtlinienkonforme Reduktionen sind somit GeneralklauseIn und Blankettbegriffe des nationalen Rechts. 384 Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Reduktion ist die Feststellung eines Widerspruchs zwischen Sinn und Zweck der Norm selbst oder dem insoweit vorrangigen Zweck einer anderen Norm und dem Wortlaut der Vorschrift. 385 Verboten ist sie dann, wenn ein vorrangiges Interesse an Rechtssicherheit die strikte Einhaltung gebietet. 386 Entscheidende Frage für eine richtlinienkonforme Reduktion ist nun, ob der Widerspruch allein im Hinblick auf das nationale Recht festzustellen ist, oder ob die Richtlinie bei dessen Ermittlung berücksichtigt werden kann. 387 Nach den Überlegungen zur Unbeachtlichkeit des gesetzgeberischen Regelungszwecks erscheint es in der Tat gerechtfertigt, den Telos der Reduktion der Richtlinie zu entnehmen?88 Nur dann besteht nämlich kein Widerspruch zwischen dem allein erlaubten Telos der Norm selbst, der Richtlinienumsetzung und damit einhergehend den Richtlinienzwecken, und ihrem Wortlaut. 389 (2) Richtlinienkonforme Analogiebildung Der Fall der richtlinienkonformen Analogie scheint problematischer zu liegen. Die Analogie dient der Füllung plan widriger Rege1ungslücken, die im Hinblick 384 Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Auslegungskompetenz für Generalklauseln, die in Richtlinien enthalten sind. Vgl. hierzu ausführlich Franzen, Privatrechtsangleichung, 504 ff.; Leible, Wege, 297 ff.; Roth, FS Drobnig, 135 sowie oben Teil 2, B., IV., 1., a), cc). 385 Larenz, Methodenlehre, 392. Vgl. allerdings Wank, ZGR 1988, 314 (321) zu den zusätzlichen Anforderungen aus dem Aspekt der verfassungsmäßigen Kompetenzteilung zwischen Legislative und Judikative. Darauf aufbauend für die Frage der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Franzen, Privatrechtsangleichung, 420 ff. Siehe dazu unten Teil 2, B., VI., 1., c), bb), (5). 386 Larenz, Methodenlehre, 392. 387 Ebenso die Überlegungen von Franzen, Privatrechtsangleichung, 414, für die Lückenfeststellung. 388 Ebenso auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (90). 389 Zum gleichen Ergebnis kommt Schnorbus, AcP 2001, 860 (894 f.) zumindest für den Fall, daß keine Umsetzungs verweigerung durch den Gesetzgeber feststellbar ist.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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auf ihre rechtliche Bewertung verdienen, mit ähnlichen Fällen gleich behandelt zu werden. 39o Die Analogiebildung fußt somit auf dem grundlegenden Gerechtigkeitsgebot, Gleiches gleich zu behandeln?91 Voraussetzung einer Analogiebildung ist daher die Existenz eines gesetzesimmanenten Prinzips, im Hinblick auf dessen Verwirklichung die Sachverhalte als gleichartig erscheinen?92 Wie bei der Reduktion stellt sich auch in dieser Situation die Frage, inwieweit für die Feststellung einer planwidrigen Lücke und die Ermittlung von Prinzipien zu ihrer Ausfüllung auf die Richtlinie abgestellt werden kann?93 Die Antwort fällt allerdings unterschiedlich aus. Zumindest kann die Identität des in der Richtlinie geregelten Sachverhalts mit dem im nationalen Recht nicht geregelten Sachverhalt nicht eine Analogiebildung begründen, da dadurch tatsächlich die Richtlinie positive unmittelbare Anwendung fände. Dazu bedarf es aber des Vorliegens der besonderen Voraussetzungen dieses Instituts. Es geht bei der Analogiebildung nämlich darum, gemessen an gleichartigen, aber nicht identischen Fällen, festzustellen, daß eine nicht hinnehmbare plan widrige Regelungslücke in der nationalen Rechtsordnung vorliegt. Ließe man eine Analogie "zur Richtlinie" zu, dann würde in jedem Fall der Nichtumsetzung diese gleichzeitig zur Feststellung der Lücke, deren Planwidrigkeit und des zur Auffüllung zu berücksichtigenden Rechtsprinzips benutzt. Damit wäre jede Nichtumsetzung im Wege der Analogiebildung durch die Rechtsprechung überwindbar, unabhängig davon, ob überhaupt ein fortbildungsfähiger Regelungsrahmen im nationalen Recht vorhanden ist. Die Richtlinie gehört aber gerade nicht zum anwendbaren und damit auch analogiefähigen nationalen Gesetzeszusammenhang, wenn sie nicht unmittelbar wirkt. Gerade im Bereich der horizontalen Verhältnisse kann eine Richtlinie daher niemals alleinige Vorlage für eine Analogiebildung sein. Notwendig ist eine, zumindest ansatzweise, Regelung der Materie im nationalen Recht, der sich die notwendigen Rechtsprinzipien entnehmen lassen, oder analogiefähige Vorschriften in verwandten Regelungsbereichen. Die Richtlinie kann dann jedoch dazu dienen, festzustellen, daß eine Regelungslücke vorliegt, sowie daß ein Sachverhalt im Hinblick auf ein im nationalen Recht vorzufindendes Rechtsprinzip als gleichwertig zu behandeln ist. 394 Sofern der Gesetzgeber bei der Umsetzung versehentlich Regelungslücken gelassen hat, werBydlinski, Methodenlehre, 472 ff.; Larenz, Methodenlehre, 381. Larenz, Methodenlehre, 381. 392 Larenz, Methodenlehre, 381. 393 Ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung, 415 ff. 394 Vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 380, der zutreffend feststellt, daß die Kriterien für eine Rechtsfortbildung nicht allein aus der Gemeinschaftsrechtsordnung gewonnen werden können. Franzen, a. a. 0.,415 ff., kommt ebenfalls zu dem Ergebnis einer nur teilweisen Befugnis zur richtlinienkonformen Analogiebildung, wenn auch mit einer auf den gesetzgeberischen Umsetzungswillen gestützten Begründung. Ganz ähnlich auch Canaris, FS Bydlinski, 47 (89 f.), der zugesteht, daß in einzelnen Situationen zwei Konstellationen erst im Lichte der Richtlinie die für einen Analogieschluß notwendige Ähnlichkeit aufweisen mögen. Schnorbus, AcP 2001, 860 (890 f.) kommt unter der Voraussetzung, daß kein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille feststellbar ist, zum selben Ergebnis. 390 391

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

den sich diese daher in aller Regel aus dem für die Umsetzung erlassenen, unvollständigen Regelwerk heraus schließen lassen. 395 (3) Richtlinienkonforme Extension Neben Analogie und Reduktion kann man mit Canaris 396 andere Fälle der teleologisch bedingten Korrektur eines zu engen Gesetzestextes als Extension bezeichnen?97 Die Ausdehnung erfolgt dabei nicht aus dem Gedanken heraus, daß der ungeregelte Fall dem geregelten wertungsmäßig gleich sei, sondern weil die auszudehnende Vorschrift anderenfalls ihr Ziel verfehlte?98 Zwar steht die grundsätzliche Befugnis der Gerichte zur teleologischen Extension heute außer Frage, allerdings muß für die Zulässigkeit einer solchen der Gesetzeszweck eindeutig ermittelbar sein, und ohne die Korrektur durch das Verfehlen des Zweckes in einem Teil der Fälle ein schwerwiegender Wertungswiderspruch oder eine offenbare Ungerechtigkeit drohen?99 Unproblematisch erscheint eine richtlinienkonforrne Extension daher in Fällen, in denen eine Richtlinie zumindest ansatzweise in einer gesetzlichen Regelung Niederschlag gefunden hat. Ebenso wie bei der Analogiebildung verbietet sich aber ein Vorgehen, welches sämtliche für die Feststellung der Voraussetzungen einer Extension notwendigen Wertungselemente aus der Richtlinie entnimmt, da hier im Ergebnis ebenfalls nicht mehr nationales Recht fortgebildet, sondern die Richtlinie unmittelbar angewendet würde. So kann der Richtlinie lediglich entnommen werden, daß ein bestimmter Wertungswiderspruch im nationalen Recht nicht hinzunehmen ist. Der Wertungswiderspruch selbst muß sich aber aus dem nationalen Regelungsrahmen ergeben. (4) Richtlinienkonforme gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung Abzulehnen ist hingegen eine richtlinienkonforrne, aber gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung dahingehend, daß aus der Existenz der Richtlinie etwas für die Erfüllung der Voraussetzungen einer solchen wie "Bedürfnisse des Rechtsverkehrs", "Natur der Sache" oder "rechtsethisches Prinzip" zu gewinnen sei. 4oo Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung ist ohnehin sowohl unter den Gesichts395 Ebenso Brechmann, Richtlinienkonformen Auslegung, 269 ff.; Grundmann, ZEuP 1996,399 (419 ff.); Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (1053 ff.); Möllers, EuR 1998,20 (45 f.). Ein Beispiel hierfür sind die Vergaberechtsfälle Dorsch Consult, Tögel, Evo Bus Austria und Hospital Ingenieure (H/), siehe dazu ausführlich unten Teil 2, B., VI., 2., (a), bb). 396 Canaris, Lücken, 89 ff. 397 Larenz, Methodenlehre, 397. Dagegen hält Bydlinski, Methodenlehre, 475 diese Sonderbezeichnung für unnötig. 398 Canaris, Lücken, 90. 399 Larenz, Methodenlehre, 400. 400 Zu den Voraussetzungen der gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung siehe Larenz, Methodenlehre, 413 ff.

B. Das Gebot der richtlinienkonforrnen Auslegung nationalen Rechts

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punkten der Rechtssicherheit als auch der Gewaltenteilung als problematisch anzusehen, da sich der Richter bei ihr von dem ihn bindenden Gesetz nahezu vollständig löst und allein auf vermeintlich höherrangige Prinzipien rekurriert, die aber gerade nicht mehr dem Gesetz als solchem zu entnehmen sind. 401 Dann legte der Richter aber im Ergebnis nicht mehr nationales Recht aus, sondern schüfe völlig neues, richtlinienkonformes Richterrecht. Solches verlangt der EuGH ohnehin nicht. Auch die Berufung auf den dem Mitgliedstaat drohenden Staatshaftungsanspruch ist nicht geeignet, eine derartige Rechtsfortbildung zu rechtfertigen. 402 Eine allgemeine Rechtspflicht der Gerichte, Bürgern einen materiellrechtlichen Anspruch zu erfüllen, um Ersatzansprüche gegen den Staat abzuwehren, existiert nicht. Im Gegenteil ist der Zuspruch eines Ersatzanspruchs ein adäquates Mittel zur Berichtigung eines Fehlverhaltens der anderen Gewalten und dient gerade als Ersatz dafür, daß die Gerichte nur eine begrenzte Befugnis haben. Eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung bricht zumindest ansatzweise in den Kernbereich der legislativen Gewalt ein. 403 Auch wenn der gesetzgeberische Umsetzungswille nach der hier vertretenen Auffassung unbeachtlich ist, rechtfertigt das doch nicht, das Parlament jedweder Funktion im Hinblick auf die Anpassung des deutschen Rechts an die Erfordernisse des Gemeinschaftsrechts zu entkleiden. Es bleibt damit bei der prinzipiellen funktionalen Zuständigkeit des Parlamentes zum Erlaß abstrakt-genereller Rechtssätze. Diese ist allein inhaltlich beschränkt. Befürwortete man die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, wäre damit blankem Dezionismus Tür und Tor geöffnet, und die Gesetzmäßigkeit der rechtsprechenden Gewalt würde in einem vom Gemeinschaftsrecht nicht geforderten, möglicherweise gar von ihm verbotenen Maße404 zum Zwecke der Richtlinienkonformität als alles überragendem Rechtsprinzip geopfert. 405 Hingegen erkennt auch der EuGH klar an, daß eine richtlinienkonforme Interpretation nationalen Rechts bisweilen nicht möglich ist und verweist gerade für diese Fälle auf den gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch. 406

401 Vgl. zu den Bedenken gegen die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung BVerfGE 20,162 (219). Vgl. allgemein zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung Wank, Grenzen. 402 So aber Hergenräder, FS Zöllner, 1139 (1153). 403 Vgl. zum Begriff des "Kernbereichs der Gewalten" Schmidt-Aßmann, § 24, HdbStR, Bd. I, Rn. 49. 404 Vgl. zu den gemeinschaftsrechtlichen Grenzen des Gebots der richtlinienkonforrnen Auslegung unten Teil 2, B., VI, 2. 405 Wohl dennoch für eine entsprechende Befugnis der nationalen Gerichte Schnorbus, AcP 2001, 860 (895 f.), wenn auch unklar im Hinblick auf die Feststellung der Voraussetzungen einer solchen. 406 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 22. Dazu ausführlich unten Teil 2, B., VI., 2., a), bb), (1).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

(5) Wortlaut und Gesetzeszweck als gemeinsame unübersteigbare Grenze der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung

In jüngster Zeit hat Canaris vorgetragen, der richtlinienkonformen Rechtsfindung sei durch die aus der Kombination von Wortlaut und Gesetzeszweck gewonnene Lege-lata-Grenze eine unüberwindbare Grenze gezogen, auch wenn beiden einzeln diese Wirkung nicht zukäme. 407 An dieser Vorstellung sind jedoch Zweifel angebracht. Zum einen erscheint das Konzept schon in der Darstellung bei Canaris in sich widersprüchlich. So soll zum einen die richtlinienkonforme Auslegung Vorrang bis zur Grenze des Contra-legem-Judizierens haben,408 andererseits soll der Rechtsanwender jedoch auch nicht notwendigerweise an den traditionellen Arten der Rechtsfortbildung (Analogie, Reduktion, Extension) festhalten, sondern gleichsam freischwebend vorgefundene Lücken nötigenfalls durch eine Eins-zu-EinsÜbernahme der Richtlinie selbst füllen. 409 Dann würde im Ergebnis aber nicht mehr nationales Recht fortgebildet, sondern die Richtlinie unmittelbar angewendet. Unklar ist zudem, wie der Rechtsanwender auf der einen Seite in einem hermeneutischen Zirkel410 seinen Blick zwischen Richtlinie und nationalem Recht Hin-und-Her-Wandern lassen soll, um damit die zuvor festgestellte Contra-legemGrenze zu verschieben,41l auf der anderen Seite aber nicht zu Ergebnissen gelangen darf, die zu einer Verbiegung oder Denaturierung nationalen Rechts führten. 412 Ergebnis des hermeneutischen Vorgehens soll ja gerade ein Verständnis auf einer neuen Stufe sein. Letztlich fehlt diesem Ansatz ein handhabbarer Maßstab für die Grenzen des Zulässigen, da die Begriffe der Verbiegung oder Denaturierung einer eigenen Auffüllung bedürften. Demgegenüber erscheinen die hier vertretenen Modifizierungen der Kriterien für die Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung klarer und einfacher. Die Miteinbeziehung des Gesetzeszwecks als Teilelement der Grenze der richtlinienkonformen Rechtsfindung ist darüber hinaus deshalb problematisch, weil der konkrete Umsetzungswille gerade nicht wesentlich iSt. 413 Sinnvoll erscheint hingegen ein Abstellen darauf, daß nicht gegen die in der Rechtsordnung insgesamt angelegten Regelungsgedanken verstoßen wird. Dem wird aber bereits dadurch Rechnung getragen, daß diese bei der positiven richtlinienkonformen Rechtsfortbildung gerade den für die Füllung der durch die nicht hinreichende Richtlinienumsetzung entstandenen Lücke notwendigen Rechtsgedanken bereitstellen. 414 Canaris, FS Bydlinski, 47 (91 ff.). Canaris, FS Bydlinski, 47 (70). 409 Canaris, FS Bydlinski, 47 (90). 410 Zur Bedeutung des Begriffs in der Jurisprudenz vgl. Larenz, Methodenlehre, 206 ff. 411 Canaris, FS Bydlinski, 47 (97). 412 Canaris, FS Bydlinski, 47 (97). 413 Vgl. dazu ausführlich oben Teil 2, B., VI., 1., c), aa). 414 Ähnlich auch Möllers, EuR 1998,20 (44 ff.), der darauf abstellt, daß die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nicht den Wertentscheidungen und Grundstrukturen des ge407 408

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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cc) Verfassungsrechtliche Begrenzung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung

Franzen hat, aufbauend auf die verfassungsrechtliche Theorie der Rechtsfortbildung,415 dargelegt, daß neben den methodischen Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung auch solche aus verfassungsrechtlichen Überlegungen zu ziehen seien. 416 Danach sollen sich Beschränkungen insbesondere aus dem Gewaltenteilungsprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Demokratieprinzip ergeben. So zutreffend diese Überlegungen im einzelnen für die Begrenzung der Rechtsfortbildungskompetenz durch die Gerichte auch sind, können sie auf die richtlinienkonforme Auslegung dennoch nicht übertragen werden. Im Bereich des gemeinschaftlichen Richtlinienrechts hat die deutsche Verfassungsordnung eine substantielle Veränderung erfahren, die auf das Gewaltengefüge und das Demokratieprinzip auch nach Ansicht des BVerfG durchschlägt. 417 Im übrigen bleibt auch nach der hier zugrunde gelegten Konzeption dem Parlament unbenommen, durch den Erlaß entsprechend konkreter Gesetze, aus denen sich explizite Verbote ergeben, die Rechtsfortbildungsmöglichkeiten der Gerichte zu beschränken. Das Rechtsstaatsprinzip begrenzt hingegen gemeinschaftsrechtlich die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. 418 Eine darüber hinausgehende Berücksichtigung, die sich nicht bereits in den methodischen Erwägungen niedergeschlagen hat,419 ist nicht angezeigt. Auch die Befürchtung, die Rechtsprechung würde sich bei einer derart weitreichenden Rechtsfortbildung rechtspolitischer Motive bedienen, zu deren Abwägung sie letztlich nicht nur nicht befugt, sondern auch nicht befähigt sei,42o geht für den Bereich der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung fehl. Hier haben die rechtspolitischen Argumente nämlich in das Rechtssetzungsverfahren auf Ebene der Gemeinschaft und damit in die Richtlinie Eingang gefunden und der Rückgriff auf die Richtlinie durch die Rechtsprechung ist daher frei von ihr nicht zustehenden rechtspolitischen Erwägungen. Die durch einen solchen gewonnenen Schlüsse stellen grundsätzlich zulässige rechtliche, nicht jedoch rechtspolitische Argumente dar. Auch die Umsetzungsverpflichtung ist nicht ein einer rechtspolitischen Abwägung des Für und Wider zugänglicher Aspekt, sondern eine von Art. 249 Abs. 3 EGV und der dazugehörigen Rechtsprechung klar ausgesprochene Rechtspflicht. Der schriebenen Rechts nicht widerspricht. Vgl. auch Franzen, Privatrechtsangleichung, 370, der eine richtlinienkonfonne Rechtsfortbildung um so eher zulassen will, je mehr Wertungskriterien des innerstaatlichen Rechts sich dafür finden lassen. Ablehnend gegenüber einer richtlinienkonfonnen Rechtsfortbildung contra legern auch Schnorbus, AcP 2001, 860 (896 ff.). 415 Vgl. hierzu Wank, ZGR 1988, 314 (320). 416 Franzen, Privatrechtsangleichung, 420 ff. 417 Vgl. hierzu oben Teil 2, B., VI, 1., c), aa). 418 Dazu sogleich unten. 419 V gl. zu dieser Wechselwirkung Canaris, FS Bydlinski, 47 (83). 420 Vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 421 ff. Vgl. umfassend zur Bindung des Richters an rechtliche Argumente Langenbucher, Richterrecht, 16 ff.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

richtlinienkonfonn das nationale Recht fortbildende Richter ersetzt deswegen auch nicht die rechtspolitischen Vorstellungen des nationalen Gesetzgebers durch seine eigenen, sondern durch die des Gemeinschaftsgesetzgebers. 2. Gemeinschaftsrechtliche Grenzen

Neben den nationalen methodologischen Grenzen, die zu ziehen das Gemeinschaftsrecht dem nationalen Recht überläßt, findet das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung jedoch auch Grenzen im Gemeinschaftsrecht selbst. Diese ergeben sich zum Teil aus der klaren Abgrenzung zwischen den verschiedenen Auswirkungen von Richtlinien, zum Teil aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Daneben wird vorgetragen, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung finde ihre Grenzen in den Anforderungen an eine hinreichende Umsetzung der Richtlinie. 421 a) Grenzziehung zwischen unmittelbarer Wirkung und richtlinienkonformer Auslegung - Umgehung des Verbots der horizontalen unmittelbaren Wirkung?

Im Ergebnis kommt die Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung aufgrund ihres Umfangs der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien nach verbreiteter Auffassung zumindest sehr nahe. 422 Teilweise wird angenommen, die richtlinienkonfonne Auslegung stelle einen Ersatz für die fehlende horizontale Wirkung dar. 423 Aber auch wenn die Unterscheidung für phänotypisch durchführbar gehalten wird, werden rechtstheoretische Zweifel an ihr angemeldet, soweit horizontale Rechtsverhältnisse betroffen sind. 424 Hingegen betont der EuGH den Unterschied zwischen beiden Instituten aufgrund der oben425 dargestellten Unterschiedlichkeit zu recht. 426 Eine Überschreitung dieser Grenze wäre in der Tat kritisch zu sehen. Bei 421 Siehe hierzu Franzen, Privatrechtsangleichung, 364 ff. Dazu ausführlich unten Teil 2, B., VI., 2., c). 422 So oder ähnlich beispielsweise Bach, JZ 1990, 1108 (1115); Dendrinos, Rechtsprobleme, 64 ff.; Hergenröder, FS Zöllner, 1139 (1150); Hilf, EuR 1993, 1 (10 f.); Langenfeld, DÖV 1992, 955 (959); Leible, Wege, 296; Müller-Graff, NJW 1993, 13 (21); Nicolaysen, EuR 1984, 380 (391); Scherzberg, Jura 1993,225 (233); Schilling, Rang, 154; Streinz, Europarecht, Rn. 405. 423 Betlem, ERPL 1995, 1 (8 ff.); DockseylFitzpatrick, ILJ 1991, 113 (117); Everling, ZGR 1992, 376 (383); van Gerven, FS Schenners, 335 (346); Leible, Wege, 296; Ress, DÖV 1994,489 (490); Rüffler, ÖJZ 1997,121 (122). Vgl. ausführlich hierzu auch Prechal, Directives, 240 f. m. w. Nachw. 424 Müller-Graff, DRiZ 1996,259 (305, 314). 425 Teil 2, B., 11., 1., b). 426 Siehe beispielsweise EuGH, Verb. Rs. 87 -89 /90, Slg. 1991,1-3757, Verholen, Rn. 13. Ebenso Franzen, Privatrechtsangleichung, 361; ähnlich Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 111.

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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der Beurteilung der einschlägigen Urteile des Gerichtshofs in dieser Hinsicht scheint es angesichts der grundsätzlichen Unterschiede zwischen positiven und negativen Wirkungen angemessen, zwischen diesen zu unterscheiden. aa) Negative Konformauslegung und negative unmittelbare Wirkung ( 1) Rechtsprechung des Gerichtshofs

Festzustellen ist, daß alle Leitentscheidungen zur richtlinienkonformen Auslegung im Kern eine Pflicht zu einer negativen Konformauslegung aussprechen. Im Urteil Von Colson427 stand nicht die Einräumung eines Anspruchs auf Schadenersatz im Widerspruch zur Richtlinie 76/2071 EWG, sondern dessen Beschränkung auf das negative Interesse und die gleichzeitige Annahme, daß diese Regelung abschließend sei. Richtlinienwidrig waren somit zwei konkrete, dem § 611a BGB entnommene Rechtssätze, von denen aber nur der eine (Beschränkung auf das negative Interesse) ausdrücklich niedergelegt war, wohingegen der abschließende Charakter der Regelung sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut ergab. 428 Die Auslegung als nicht abschließend ermöglichte dann den Zugriff auf das allgemeine Deliktsrecht. Im Verfahren Marleasinl 29 ging es ebenfalls nicht darum, positiv festzustellen, daß eine Gesellschaft aus einem in der Richtlinie 681 151 IEWG niedergelegten Grund nichtig sei, sondern darum, die Anwendung einer Generalklausei des spanischen Rechts in einer bestimmten Auslegung zu unterlassen. 430 Daß eine Gesellschaft, die zum Zwecke der Gläubigerschädigung gegründet worden war, nichtig oder aufzuheben wäre, war auch im spanischen Recht nicht derart ausdrücklich niedergelegt.43I Hingegen waren die Art. 1261 und 1275 des spanischen Zivilgesetzbuches, welche die Unwirksamkeit von rechtsgrundlosen Verträgen oder solchen, die gegen ein Verbotsgesetz verstoßen, als solche selbstverständlich nicht gemeinschafts- oder richtlinienwidrig. Eine ähnliche Konstellation betraf der Fall Habermann Beltermann 432 . In diesem Verfahren schloß der EuGH eine Auslegung aus, der zufolge ein ArbeitsverEuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson. Ebenso Bleckmann, RIW 1984, 774 (776); Nicolaysen, EuR 1984, 380 (384). Vgl. hierzu auch Richardi, in: Staudinger, § 611a, Rn. 58 ff. [12. Aufl.]. 429 EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing. 430 Vgl. EuGH, Rs. C-106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 9. Siehe kritisch auch Schwab, ZGR 2000, 446 (471): "Die Intensität dieses Eingriffs in das spanische Recht läßt sich nach alledem nicht mit dem Argument herunterspielen, es seien die Artt. 1261, 1275 CC nicht gänzlich zu ignorieren, sondern lediglich einer restriktiven Interpretation, gewissermaßen einer richtlinienkonformen Reduktion zu unterziehen gewesen - indem sie nämlich auf AG (S.A.) und GmbH (s.r.l.) nicht angewandt wurden." [Hervorhebung im Original]. 431 Ebenso ausdrücklich Rodriguez Iglesias/ Riechenberg, FS Everling, 1213 (1221 f.). 432 EuGH, Rs. C-421 /92, Slg. 1994,1-1657, Habermann-Beltermann. 427 428

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Teil2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

trag mit einer Schwangeren als gegen ein gesetzliches Verbot verstoßender Vertrag gemäß § 134 BGB nichtig sein könne, bzw. daß der Umstand der Schwangerschaft eine Eigenschaft im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB sein könne, die zu einer Anfechtung berechtige. Auch zwei jüngere Beispiele sind der negativen Konformauslegungspflicht zuzuordnen. So war im Verfahren Centrosteel433 nicht die Eintragungspflicht für Handelsvertreterverträge als solche richtlinienwidrig, sondern lediglich die Annahme, daß ein Verstoß gegen diese Pflicht die Nichtigkeit eines Handelsvertretervertrages begründen könne. 434 Auch in diesem Fall ergab sich diese Rechtsfolge aber nicht ausdrücklich aus dem Gesetz, sondern allein dann, wenn man die Eintragungspflicht als entsprechende zwingende Norm ansah. 435 Nachdem der EuGH bereits im Urteil Bellone436 festgestellt hatte, daß eine nationale Regelung, welche die Wirksamkeit eines Handelsvertretervertrages von einer derartigen Eintragung abhängig macht, gegen die Richtlinie 86/653 verstoße, hatte der italienische Corte di Cassazione seine langjährige Rechtsprechung, auf der dieses Verständnis der Eintragungspflicht als "zwingendem Erfordernis" beruhte, aufgegeben. 437 Als besonders schwieriges Beispiel läßt sich der Fall Oceano438 anführen. Dieses Urteil ist in der Literatur wegen einer angeblichen Verschiebung der Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung in Richtung auf eine horizontale unmittelbare Wirkung, kritisiert worden. 439 Streitgegenstand des Verfahrens war die Frage, inwieweit ein spanisches Gericht sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären habe, wenn seine Zuständigkeit allein durch eine mißbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher begründet würde. 44o Dabei war letztlich weder im Hinblick auf die entscheidungsrelevante Richtlinie, noch auf das spanische Recht fraglich, daß eine, einen Gerichtsstand am Niederlassungsort des Gewerbetreibenden begründende, Klausel in Verbraucherverträgen aufgrund ihrer Mißbräuchlichkeitunwirksam iSt. 441 Problematisch war lediglich, daß das Gericht keine Grundlage im spanischen Recht sah, diese Unwirksamkeit von Amts wegen festzustellen. Während der Generalanwalt Saggio einen klaren Widerspruch zwischen spanischem Prozeßrecht und Anforderungen der Richtlinie annahm, der durch eine Außerachtlassung der nationalen EuGH, Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, Centrosteel. Vgl. EuGH, Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Rn. 7. 435 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-215197, Sig. 1998,1-2191, Bellone, Rn. 4 ff. und 12 ff.; Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456/98, Sig. 2000, 1-6007, Centrosteei, Nr. 36. 436 EuGH, Rs. C-215/97, Sig. 1998,1-2191, Bellone. 437 Vgl. Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456/98, Sig. 2000,1-6007, Centrosteei, Nr.36. 438 EuGH, Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano. 439 Augi/ Baratella, ELF 2000101, 83 (85). 440 Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano, Rn. 19. 441 Vgl. Schlußanträge des GA Saggio zu den Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 14941, Oceano, Nr. 17 und EuGH, a. a. 0., Rn. 18. 433

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B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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Nonnen zu lösen sei,442 entschied sich der EuGH dafür, das Gericht zu verpflichten, das nach Eindruck des Gerichtshofs auslegungsfähige spanische Recht richtlinienkonfonn dahingehend zu interpretieren, daß es seine Zuständigkeit von Amts wegen prüfen könne. 443 (2) Bewertung - Keine Widerlegung der These von der horizontalen negativen unmittelbaren Wirkung

Gerade das Urteil Marleasing war Anlaß für Kritik, der EuGH verlange eine richtlinienkonfonne Auslegung über die Grenze des nach nationaler Methodenlehre Möglichen hinaus. 444 Bedenken im Hinblick auf ein Überschreiten der Grenze zu einer verbotenen unmittelbaren Wirkung, und damit einer Reduktion entgegenstehende Rechtssicherheitsüberlegungen, stellen sich in solchen Negativsituationen allerdings nicht, da die Gerichte eine richtlinienwidrige Nonn keinesfalls anwenden dürften und diesbezüglich auch keinen Beschränkungen in horizontalen Situationen unterliegen. 445 An der Richtigkeit gerade dieser Unterscheidung bei horizontalen Wirkungen sind aber in Reaktion auf das Urteil Oceano von einem ihrer grundsätzlichen Befürworter Zweifel geäußert worden. 446 Generalanwalt Saggio hatte ausdrücklich eine negative unmittelbare Wirkung als Lösung des Problems vorgeschlagen (Nichtanwendung der einer Prüfung der Nichtigkeit der Vertragsklausel von Amts wegen entgegenstehenden Norm des Prozeßrechts).447 Dabei begründete er ebenfalls ausführlich, daß die Unterscheidung zwischen Nichtanwendung nationalen Rechts und Anwendung einer Richtlinienvorschrift in der Literatur befürwortet werde und sich zudem auch in der Rechtsprechung des Gerichtshofs bereits abzeichne. 448 Der EuGH folgte diesem Antrag in der Begründung aber nicht, sondern verwies statt dessen darauf, daß das nationale Recht richtlinienkonfonn auszulegen sei. Hieraus kann aber wohl nicht gefolgert werden, daß der EuGH inhaltlich mit dem Generalanwalt nicht übereinstimmte. Entscheidend scheint eher ein Unterschied hinsichtlich der Bewertung der Auslegbarkeit des spanischen Rechts im Hinblick auf die Möglichkeit einer ex officio Prüfung der Mißbräuchlichkeit der Gerichtsstandsklausel gewesen zu sein. Während der Generalanwalt von einem klaren Widerspruch zwischen den Anforderungen der Richtlinie 442 Schlußanträge des GA Saggio zu den Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano, Nr. 28 ff. 443 EuGH, Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano, Rn. 30 ff. 444 Schwab, ZGR 2000, 446 (471 f.) m. w. Nachw. 445 Vgl. dazu oben Teil 2, A., v., 4., c). Auch M. Schmidt, RabelsZ 1995, 569 (584), stellt fest, daß die Verwerfungskompetenz der nationalen Gerichte dem Urteil Marleasing unausgesprochen zugrunde liege. 446 Stuyck, CMLRev. 2001, 719 (733 ff.). 447 Schlußanträge des GA Saggio zu den Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano, Nr. 30 ff. 448 Schlußanträge des GA Saggio zu den Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Sig. 2000, 1-4941, Oceano, Nr. 31 ff.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

und spanischem Prozeßrecht ausging,449 verwies der EuGH auf das Vorlageersuchen des spanischen Gerichts, aus dem sich ergebe, daß die Frage in der spanischen Rechtsprechung unterschiedlich bewertet werde. 45o Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, der zufolge spanische Gerichte ihre sich aus einer Gerichtsstandsklausel ergebende Zuständigkeit nicht von Amts wegen prüfen dürfen, läßt sich dem spanischen Prozeßrecht nämlich gerade nicht entnehmen. 451 Auslöser der Problematik scheint vielmehr ein Widerspruch mit der Rechtsprechung des spanischen Tribunal Supremo gewesen zu sein, der eine Überprüfung der Zuständigkeit von Amts wegen nur in Ausnahmefällen für tunlich erachtete, und den Anforderungen, die sich aus der Richtlinie ergaben. 452 Dann kam eine negative unmittelbare Wirkung aber in der Tat nicht in Betracht, da es an einer entsprechend kodifizierten, außer acht zu lassenden Regel fehlte. 453 Das Gleiche gilt für die anderen genannten Verfahren. Vorzuwerfen ist dem Gerichtshof allenfalls, daß er diese Unterscheidung nicht klar genug hervorhebt. So verwirrt die Bestätigung des Verbots einer horizontalen unmittelbaren Wirkung in einem Verfahren wie Marleasing eher,454 da es gerade nicht um einen Fall der positiven unmittelbaren Wirkung ging und auch eine negative unmittelbare Wirkung nicht in Betracht kam. Für diese Ungenauigkeit gibt es allerdings eine Vielzahl von Gründen. Die hier zugrunde gelegte Ansicht wird zwar in der Literatur vertreten, hat jedoch noch keinesfalls umfangreich Eingang in die herrschende Lehrbuchliteratur gefunden. Viel gravierender gilt dies natürlich noch für den Zeitpunkt des Urteils Marleasing, das Urteilen wie CIA Security, Unilever; Ruiz Bernaldez und anderen vorausging. Hinzu kommt, daß die Erwägungsgründe der Urteile des EuGH weitestgehend dadurch bestimmt sind, wie die nationalen Gerichte ihre Vorabentscheidungsersuchen formulieren, und wie die Generalanwälte dazu Stellung nehmen. 455 Bei den nationalen Gerichten besteht aber offensichtlich eine erhebliche Unsicherheit im Umgang mit Richtlinien und ihren Auswirkungen auf das nationale Recht. 456 So wird in aller Regel im Verfahren das Argument der fehlenden horizontalen Wirkung von Richtlinien vorgetragen. Eine bestätigende Stellungnahme des Gerichtshofs wie z. B. im Verfahren Centrosteel bedeutet aber dann nicht zwangsläufig, daß der Gerichtshof diesem Argument für den vorliegenden Fall folgt, sondern allein, daß er generell an seiner Rechtsprechung in dieser Hinsicht festhält. Im übrigen hätte der Gerichtshof im Verfahren Oceano hinreichend 449 Schlußanträge des GA Saggio zu den Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Slg. 2000, 1-4941, Oceano, Nr. 28. 450 EuGH, Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Slg. 2000, 1-4941, Oceano, Rn. 18. 451 Leible, RIW 2001, 422 (423). 452 Vgl. hierzu ausführlicher Leible, RIW 2001, 422 (423). 453 Für eine richtlinienkonforme Auslegung in diesem Fall ebenfalls Leible, RIW 2001, 422 (424). 454 Vgl. EuGH, Rs. 106/89, Slg. 1990,1-4135, Marleasing, Rn. 6. 455 Vgl. zu diesem Zusammenhang auch schon Prechal, CMLRev. 2000, 1047 (1063). 456 Vgl. hierzu Leible, RIW 2001, 422 (424).

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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Gelegenheit gehabt, die vom Generalanwalt Saggio vorgetragene Relevanz der Unterscheidung zwischen positiven und negativen Wirkungen abzulehnen. Allein eine Bestätigung des Verbots der horizontalen unmittelbaren Wirkung in diesem Urteil hätte man wohl als Ablehnung der Ausführungen des Generalanwalts verstehen können. Dort fehlt es aber gerade an jedweder Stellungnahme zum Verbot der unmittelbaren Wirkung. 457 Methodisch ist die Verwirrung auch durchaus verständlich, kann doch die Reduktion als Füllung einer verdeckten Lücke durch einen einschränkenden Rechtssatz begriffen werden,458 der bei einer richtlinienkonformen Reduktion aber gerade der Richtlinie entnommen werden muß. Ungeachtet dessen bleibt es bei dem Befund, daß das nationale Gericht in der Praxis die Richtlinie nicht positiv anzuwenden braucht, sondern lediglich den nationalen Rechtssatz teilweise oder in Gänze nicht anwendet. Feststellbare Gemeinsamkeit aller problematischen Verfahren ist zudem die Thematisierung der besonderen Auslegbarkeit nationalen Rechts im Verfahren vor dem EuGH, auch wenn diese jeweils von unterschiedlichen Beteiligten vorgetragen wurde. 459 Da die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gerade nicht die Feststellung einer Richtlinienwidrigkeit des nationalen Rechts voraussetzt, stellt eine Verweisung auf diese Pflicht einen schonenderen Umgang mit dem Recht des Mitgliedstaates dar, als es der Ausspruch der unmittelbaren Wirkung wäre. 460 Die Verpflichtung auf die richtlinienkonforme Auslegung bietet sich mithin als der Weg des geringsten Widerstandes für den EuGH an. Man mag ihm dabei allerdings vorwerfen, daß die Annahme der Auslegungsfähigkeit nationalen Rechts bisweilen ein voreiliger Schluß ist, der auf einen gestörten Dialog mit den nationalen Gerichten hindeutet. 461 Aus der Bevorzugung der richtlinienkonformen Auslegung in negativen Konstellationen kann deswegen nicht gefolgert werden, daß der EuGH eine negative horizontale unmittelbare Wirkung ablehnt. Unzutreffend ist daher auch die Annahme, oder je nach Bewertung der Vorwurf, der EuGH habe im Urteil Marleasing 457 Eine solche Stellungnahme hätte man nach dem allgemeinen Stil des Gerichtshofs zwischen Rn. 29 und 30 des Urteils erwarten müssen. Denkbar ist aber durchaus, und der Wortlaut in Rn. 30 deutet sogar darauf hin, daß im Urteilsvorschlag eine entsprechende Passage enthalten war, diese aber dann gestrichen wurde. Solche Überlegungen sind aber zugegebenermaßen spekulativ. 458 Larenz, Methodenlehre, 391. 459 Dies ist insofern bedenklich, als die Frage der Auslegbarkeit nationalen Rechts eigentlich allein von den nationalen Gerichten zu entscheiden ist und weder von der Kommission noch von den Regierungen der Mitgliedstaaten. 460 Im Verhältnis zwischen Judikative und Legislative mag man annehmen, daß die Konformauslegung einen schärferen Eingriff in die Rechtssetzungsbefugnis der Legislative bedeutet. Für das Verhältnis zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht gilt dieser Einwand aber nicht. 461 So Schwab, ZGR 2000, 446 (472 f.).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

sowie in anderen Verfahren 462 das Verbot einer horizontalen unmittelbaren Wirkung umgehen und mit dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung einen Ersatz hierfür schaffen wollen. 463 Ein solcher ist im Hinblick auf negative Wirkungen nicht erforderlich. Vielmehr ist aus methodischen Gründen in bestimmten Fällen, insbesondere bei Generalklauseln des nationalen Rechts, eine reduzierende Konformauslegung angezeigt. Dabei ist eine negative richtlinienkonforme Auslegung auch nicht in jedem Fall als weniger eingriffsintensive Vorstufe einer unmittelbaren Wirkung geeignet, die gänzliche Nichtbeachtung der nationalen Norm zu verhindern. Sie kommt nur in Betracht, sofern die Richtlinienwidrigkeit des nationalen Rechts in einem materiell-inhaltlichen Verstoß zu sehen wäre, nicht aber z. B. im Fall eines Verstoßes gegen die Informationsrichtlinie. 464 Eine derartige formale Richtlinienwidrigkeit ist selbst durch größte Auslegungsanstrengungen nicht zu beseitigen. Auch funktional bestehen gegen die negative Konformauslegung keine Bedenken. Wie Bettermann zutreffend festgestellt hat, setzt die Befugnis zu einer Auslegungs-Verwerfung (negative Konformauslegung) prinzipiell die Befugnis zur Normverwerfung voraus. 465 Im Gegensatz zur verfassungskonformen Auslegung kommt den Gerichten im Hinblick auf nationales, richtlinienwidriges Recht diese Kompetenz bei Vorliegen der Voraussetzungen einer negativen unmittelbaren Wirkung auch zu. Die negative Konformauslegung ist insoweit als schonenderer Eingriff ins Normengefüge funktional unproblematisch. bb) Positive Konformauslegung und positive unmittelbare Wirkung ( 1) Rechtsprechung des Gerichtshofs

Neben den genannten Urteilen, die eine negative Konformauslegung zum Gegenstand hatten, findet sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs auch eine Zahl von Urteilen, in denen allein eine positive Konformauslegung nationalen Rechts geeignet gewesen wäre, die Richtlinienziele zu verwirklichen. Zu nennen ist dabei zuerst das Urteil Von Colson466 , in dem zur Erfüllung der Vorgaben der Richtlinie eine Auslegung des § 611a BGB als nichtabschließend lediglich den Weg zur Anwendung der allgemeinen Deliktsrege1n eröffnete. Daneben verlangte die Richtlinie aber auch eine weite Auslegung dieser Regeln, um die Diskriminierung auf462 EuGH, Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, CentrosteeI; Verb. Rs. C-240 bis 244/98, Slg. 2000, 1-4941, Oceano. 463 Vgl. hierzu beispielsweise Leible, Wege, 296; Müller-Graf!, DRiZ 1996,305 (309 ff.); Ress, DÖV 1992,489 (492); Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (122). 464 Richtlinie 83/189 1EWG. Vgl. dazu oben Teil 2, A., v., 4., a), cc). 465 Bettermann, Verfassungskonfonne Auslegung, 31. 466 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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grund des Geschlechts bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses darunter zu fassen. Daneben sind die Urteile in den Verfahren Wagner Miret467, Faccini Dori468 , EI Corte Inglis 469 , Dorsch Consult470 , Töger71 , Evo Bus Austria472 und Hospital Ingenieure (HI)473 besonders zu nennen. Im Verfahren Wagner Miret stellte sich die Frage, ob die in der Richtlinie 80/987/ EWG vorgesehenen Anspruche auf Entgeltersatz aus einem, zu diesem Zwecke einzurichtenden Garantiefonds auch auf leitende Angestellte anwendbar seien. Eine entsprechende Regelung fehlte im spanischen Recht, wie der EuGH feststellte, entgegen den Anforderungen der Richtlinie. 474 Eine unmittelbare Wirkung der Richtlinie schied allerdings aufgrund des den Mitgliedstaaten eingeräumten Gestaltungsspielraums aus. 475 Der Gerichtshof verwies daher auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts, und für den Fall, daß auf diese Weise die Ziele der Richtlinie nicht erreicht werden könnten, zudem auf die Möglichkeit eines Staatshaftungsanspruchs. 476 In diesem Fall wäre somit im Wege der positiven Konformauslegung ein Rechtssatz spanischen Rechts zu bilden gewesen, auf den auch ein leitender Angestellter einen Anspruch gegen den eingerichteten Garantiefonds hätte stützen können. Im Verfahren Faccini Dori scheiterte eine unmittelbare Wirkung des in der Richtlinie 85/577 / EWG niedergelegten Widerrufsrechts für Haustürgeschäfte an der horizontalen Konstellation, da eine positive Anwendung der Richtlinie notwendig gewesen wäre. Der EuGH verwies auch in diesem Verfahren auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung und für den Fall, daß eine solche nicht möglich sei, auf einen möglicherweise gegebenen Staatshaftungsanspruch. 477 Ebenfalls aufgrund der horizontalen Konstellation scheiterte auch eine unmittelbare Wirkung der Vorschriften über den Einwendungsdurchgriff bei verbundenen Geschäften, der sich aus der Richtlinie 87/ 102/EWG ergibt, im Verfahren EI Corte Ingles. Die Richtlinie erforderte einen entsprechenden Rechtssatz des nationalen Rechts, der es einzelnen ermöglicht, Einwendungen aus dem Kauf einer Sache dem, diesen Kauf finanzierenden, Kreditgeber unter bestimmten Voraussetzungen entgegenhalten zu können. 478 Der Gerichtshof verzichtete auf einen direkten Hinweis auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, sondern bestätigte lediglich, daß für den Fall, daß sich das von der Richtlinie vorgeschriebene 467 468 469 470 471 472 473 474 475 476 477 478

EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret. EuGH, Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori. EuGH, Rs. C-I92/94, Slg. 1996,1-1281, EI Corte Ingles. EuGH, Rs. C-54/96, Slg. 1997,1-4961, Dorsch Consult. EuGH, Rs. C-76/97, Slg. 1998,1-5357, Tögel. EuGH, Rs. C-ll1 197, Slg. 1998,1-5411, Evo Bus Austria. EuGH, Rs. C-258 197, Slg, 1999,1-1405, Hospital Ingenieure. EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 14. EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 19. EuGH, Rs. C-334/92, Slg. 1993,1-6911, Wagner Miret, Rn. 20 ff. EuGH, Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 26 f. Vgl. Art 11 Abs. 2 Richtlinie 871 1021 EWG.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Ergebnis nicht durch Auslegung erreichen ließe, der Mitgliedstaat unter bestimmten Voraussetzungen zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein könne, welcher dem einzelnen durch die mangelnde Umsetzung einer Richtlinie entstanden sei. 479 In den Verfahren Dorsch Consult, Tögel, Evo Bus Austria und Hospital Ingenieure (Hl) ging es jeweils um die Frage, ob die in den Mitgliedstaaten eingerichteten Stellen zur Überprüfung von Vergabeentscheiden für öffentliche Bau- und Lieferaufträge auch im Hinblick auf die Vergabe von Dienstleistungen zuständig seien. 48o Eine entsprechende Überprüfungsmöglichkeit, welche die Richtlinie 921 50/EWG erforderte, war sowohl in Deutschland als auch in Österreich nicht eröffnet worden. Eine unmittelbare Wirkung der Vorschrift über die Eröffnung einer Überprüfungsmöglichkeit scheiterte am Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten im Hinblick auf die zur Verfügung zu stellenden Verfahren.48I Zwar kommt durchaus einigen Vorschriften der Richtlinie 92/501 EWG unmittelbare Wirkung zu, so daß sich einzelne vor einem Gericht auf diese berufen können. Der Richtlinie läßt sich aber nicht entnehmen, vor welchem Gericht dies möglich sein muß. 482 Dagegen verwies der Gerichtshof auf die Pflicht der nationalen Gerichte, zu prüfen, inwieweit durch eine richtlinienkonforme Auslegung der einschlägigen Vorschriften des nationalen Rechts, dem einzelnen ein Anspruch eingeräumt werden könne, der vor den gleichen Instanzen wie bei der Überprüfung von öffentlichen Bau- und Lieferaufträgen geltend gemacht werden könne. 483 Gut vorstellbar wäre insoweit z. B. eine richtlinienkonforme analoge Anwendung der Vorschriften über die Überprüfung von öffentlichen Bau- und Lieferaufträgen. Auch in diesen Verfahren verwies der EuGH zudem auf die Möglichkeit eines Staatshaftungsanspruchs gegen den der Umsetzungsverpflichtung nicht nachgekommenen Mitgliedstaat für den Fall, daß sich die nationalen Vorschriften nicht in einer von der Richtlinie vorgeschriebenen Weise auslegen ließen. 484 (2) Bewertung

Zwar betont der Gerichtshof auch in horizontalen Konstellationen, in denen ein Überschreiten der Grenze zur unmittelbaren Wirkung deren Verbot in horizontalen Konstellationen zuwiderliefe, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, überläßt in diesen Verfahren die Entscheidung über die Auslegbarkeit EuGH, Rs. C-192/94, Sig. 1996,1-1281, EI Corte Ingles, Rn. 22. Vgl. EuGH, Rs. C-54/96, Sig. 1997,1-4961, Dorsch Consult, Rn. 7; Rs. C-76/97, Sig. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 20; Rs. C-111 /97, Sig. 1998,1-5411, Evo Bus Austria, Rn. 14; Rs. C-258 /97, Slg, 1999,1-1405, Hospital Ingenieure, Rn. 13. 481 Vgl. EuGH, Rs. C-54/96, Sig. 1997,1-4961, Dorsch Consult, Rn. 40 f. 482 Vgl. den Schlußanträge des GA Tesauro zur Rs. C-54/96, Slg. 1997, 1-4961, Dorsch Consult, Nr. 48. 483 EuGH, Rs. C-54/96, Slg. 1997, 1-4961, Dorsch Consult, Rn. 46; Rs. C-76/97, Slg. 1998,1-5357, Tögel, Rn. 28; Rs. C-111/97, Sig. 1998,1-5411, Evo Bus Austria, Rn. 22; Rs. C-258/97, Slg, 1999,1-1405, Hospital Ingenieure, Rn. 28. 484 EuGH, Rs. C-54/96, Slg. 1997,1-4961, Dorsch Consult, Rn. 45. 479

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aber eindeutig dem nationalen Richter. Danach ist zwar grundsätzlich der Versuch zu unternehmen, das Fehlen einer den Anforderungen der Richtlinie auf den ersten Blick entsprechenden nationalen Vorschrift durch die Auslegung des existierenden Korpus nationalen Rechts zu überwinden und somit ein den materiell-inhaltlichen Anforderungen der Richtlinie entsprechendes Ergebnis zu erzielen. Allerdings trifft die Gerichte diese Pflicht nicht um jeden Preis. Der Gerichtshof akzeptierte mehrfach in den aufgeführten Verfahren die Ansicht der nationalen Gerichte, daß sich ein richtlinienkonformes Ergebnis im Wege der Auslegung nicht erreichen lasse. Dann sei die Möglichkeit einer Schadenersatzpflicht des Mitgliedstaates zu prüfen. Diese immer wieder betonte Verbindung zwischen Pflicht zur positiven richtlinienkonformen Auslegung und Staatshaftungsanspruch ist auch einleuchtend. Vorschriften, die dem einzelnen Rechte einräumen sollen, bedürfen der positiven Anwendung, um ihre intendierte Wirkung zu zeitigen. Scheitert die Gewährung eines solchen Rechts, ist aber zumindest eine der Voraussetzungen eines Staatshaftungsanspruchs bereits erfüllt. 485 Hingegen kann dem Mißlingen einer negativen Konformauslegung durch die Nichtanwendung der richtlinienwidrigen Norm begegnet und somit ein richtliniengemäßes Ergebnis im Verfahren erzielt werden. Ein Verweis auf den Staatshaftungsanspruch ist daher von vornherein unnötig und fehlt konsequenterweise in allen relevanten Verfahren.

b) Begrenzung der richtlinienkonformen Auslegung durch allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts

Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung wird zudem nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs durch die, in der Normenhierarchie des Gemeinschaftsrechts mit dem in Art. 249 Abs. 3 EGV gründenden Gebot der richtlinienkonformen Auslegung gleichrangigen,486 allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot, begrenzt. Im Urteil Kolpinghuis Nijmegen hatte der EuGH betont, daß ,,[d]iese Verpflichtung des innerstaatlichen Gerichts, bei der Auslegung der einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts auf den Inhalt der Richtlinie abzustellen, [... ] ihre Grenzen in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die Teil des Gemeinschaftsrechts sind, und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot, [findet]. ,,487

485 Zu den Voraussetzungen des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs vgl. unten Teil 2, C., IV. 486 Vgl. allgemein zum Rang der allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts Streinz, Europarecht, Rn. 354 ff.; Tridimas, General Principles, 32 ff. 487 EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 13.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Bedeutung für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gewinnt dabei insbesondere eine Ausprägung dieser Grundsätze, die der EuGH bereits vorher anderweitig488 festgestellt hatte. Danach ,,[kann] eine Richtlinie für sich allein und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht die Wirkung haben [... ], die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen Vorschriften der Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen. ,,489

Zuallererst ist festzuhalten, daß der Gerichtshof in diesen Urteilen nicht allein die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung begrenzt, sondern die ausgesprochene Begrenzung auch auf jede freiwillige richtlinienkonforme Auslegung erstreckt. Dies ergibt sich zum einen aus der Formulierung "kann [... ] nicht die Wirkung haben", zum anderen aber auch sehr deutlich aus einer anderen Passage des Urteils Kolpinghuis Nijmegen, in der es heißt: "Die dritte Frage geht dahin, inwieweit das innerstaatliche Gericht bei der Auslegung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift den Inhalt einer Richtlinie berücksichtigen muß oder darf. ,,490 [Hervorhebung hinzugefügt)

Es handelt sich bei dieser Grenze der richtlinienkonformen Auslegung also nicht lediglich um eine Beschränkung des Berücksichtigungsgebots im Hinblick auf Richtlinien, sondern um ein explizites Berücksichtigungsverbot. 491 Dieses verlängert den Schutz des Bürgers gegenüber dem Staat, der keine Vorschriften zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen hat, in den Bereich der Auslegung hinein. Nicht nur kann die Richtlinie dem einzelnen nicht als unmittelbar wirkend vom Mitgliedstaat entgegengehalten werden. Darüber hinaus ist auch jede Auslegungsänderung, die sich argumentativ allein auf die Richtlinie stützen kann,492 verboten, soweit dadurch die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines einzelnen begründet oder verschärft würde. Eine Modifikation nationaler Auslegungsmethoden und Grenzen mit strafrechtlich negativen Konsequenzen für den einzelnen scheidet somit grundsätzlich aus. Allenfalls kann die Richtlinie ein Auslegungsergebnis bestätigen, welches auch nach ausschließlich nationaler Methodenlehre möglich wäre. Zugleich bestätigt dieses Urteil, daß es sich bei dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nicht nur um eine Vorzugsregel handelt, sondern die nationale Methodenlehre weitreichender modifiziert wird. Anderenfalls wäre eine wie in Kolpinghuis Nijmegen ausgesprochene Beschränkung gar nicht notwendig, da beim Verständnis der richtlinienkonformen Auslegung als Vorzugsregel keine Auslegungsergebnisse ent488 EuGH, Rs. 14/86, Slg. 1987,2545, Pretore di Sah 489 EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 13; ähnlich auch Verb.

Rs. C-74 und 129/95, Slg. 1996, 1-6609, X, Rn. 24; Rs. C-168/95, Slg. 1996, 1-4705, Luciano Arcaro, Rn. 37. 490 EuGH, Rs. 80/86, Slg. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 11. 491 Ebenso auch Prechal, Directives, 229. 492 Vgl. hierzu die Schlußanträge des GA Mischo zur Rs. 80/86, Slg. 1987, 3969, Kolpinghuis Nijmegen.

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stehen können, die nicht allein auf nationale Argumente gestützt werden könnten. In der Literatur hat diese Rechtsprechung zu recht weitestgehend Zustimmung geerntet. 493 Die vom EuGH gefällten Urteile zur Begrenzung durch allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts betreffen allerdings ausnahmslos Strafverfahren. 494 In diesen gelten, wie der EuGH richtigerweise betont, besondere Rechtsstaatlichkeitserfordernisse. 495 So hat der Gerichtshof festgestellt, "daß der Grundsatz, wonach ein Strafgesetz nicht zum Nachteil des Betroffenen extensiv angewandt werden darf, der aus dem Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von strafbaren Handlungen und Strafen und allgemeiner, dem Grundsatz der Rechtssicherheit folgt, es verbietet, die Strafverfolgung wegen eines Verhaltens einzuleiten, dessen Strafbarkeit sich nicht eindeutig aus dem Gesetz ergibt. •.496

Jedoch wird sich in umgekehrt vertikalen Verhältnissen eine extensive richtlinienkonforme Auslegung zu Lasten des einzelnen insgesamt verbieten, da der Mitgliedstaat sich nicht auf sein fehlendes Bemühen zur Richtlinienumsetzung berufen darf. 497 Ungeklärt ist, inwieweit sich die Überlegungen des Gerichtshofs auch auf eine Begrenzung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung in horizontalen Konstellationen übertragen lassen. Brechmann hat vorgetragen, daß in horizontalen Konstellationen die sich gegenseitig aufhebenden schützenswerten Interessen der Parteien dazu führte, daß unter die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu subsumierende Vertrauensschutzaspekte einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegenstünden. 498 Franzen weist auf den, aus seiner Sicht bei einer solchen Argumentation bestehenden Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren Wirkung hin und sucht die Lösung des Problems daher in der Abgrenzung zu dieser. 499 Beide Ansätze überzeugen jedoch nicht. Brechmanns Ansatz erscheint bereits hinsichtlich der Ausgangsüberlegung des gleichermaßen schützenswerten Vertrauens zweifelhaft und keineswegs "auf den ersten Blick bestechend", wie Franzen meint. 50o Entsprechend der Grundkonzeption der zweistufigen Rechtssetzung kann der Bürger nämlich darauf vertrauen, daß eine Richtlinie keine verpflichtende Wirkung für ihn haben kann. Hingegen ist das Vertrauen, daß der Gesetzgeber die Rechtslage schon ändern werde, nicht schutzwürdig, da es sich hierbei um einen feststellbaren Umstand handelt, der Gegenstand des Wissens, nicht 493 Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 275 ff.; Classen, EuZW 1993, 83; Everling, ZGR 1992,376; GelIermann, Beeinflussung, 111; Jarass, EuR 1991,211 (217). 494 Zur Wirkung von Richtlinien im Strafrecht allgemein Schröder, Europäische Richtlinien. 495 Vgl. zum Zusammenhang zwischen dieser Rechtsprechung des EuGH und Art. 7 EMRK Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (129). 496 EuGH, Rs. C-74 und 129/95, Sig. 1996,1-6609, X, Rn. 25. 497 Ebenso Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 277 ff. Prechal, Directives, 245. 498 Brechmann, Richtlinienkonfonne Auslegung, 277 ff. 499 Franzen, Privatrechtsangleichung, 360 ff. 500 Franzen, Privatrechtsangleichung, 360.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

jedoch eines Vertrauens sein kann. Schützenswert ist allenfalls das Vertrauen, nicht in richtlinien widriger Weise durch nationales Recht belastet zu werden und konsequenterweise können derart richtlinienwidrige nationale Vorschriften dem einzelnen nicht entgegengehalten werden, sei es in umgekehrt vertikalen, sei es in horizontalen Situationen. Die maßgebliche Unterscheidung liegt also auch hier nicht allein im Gegensatz umgekehrt vertikale / horizontale Verhältnisse, sondern in der Unterscheidung positive / negative Auswirkungen. Während letztere auch in horizontalen Konstellationen sogar zur Unanwendbarkeit nationalen Rechts führen können, scheidet eine positive unmittelbare Wirkung sowohl in umgekehrt vertikalen wie in horizontalen Situationen aus. Die Frage des Vertrauensschutzes im Hinblick auf eine richtlinienkonforme Auslegung stellt sich daher allein im Hinblick auf die positive richtlinienkonforme Auslegung in horizontalen Verhältnissen. In der Tat könnte man eine Passage des Urteils Arcaro so verstehen, daß auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung in horizontalen Verhältnissen durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes begrenzt sei. 50l Dem EuGH zufolge "findet [diese Verpflichtung] jedoch ihre Grenze, wenn eine solche Auslegung dazu führt, daß einem einzelnen eine nicht in einer nicht umgesetzten Richtlinie vorgesehene Verpflichtung entgegengehalten wird.,,502

Jedoch bedeutet dies nicht, daß eine Verpflichtung nicht auch durch Auslegung erstmalig entstehen könne, solange das nationale Recht eine solche Auslegung zuläßt. Dafür spricht zum einen, daß der EuGH hinsichtlich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht von einer nicht umgesetzten Richtlinie spricht, sondern davon, "daß auf der Grundlage der Richtlinie und in Ermangelung eines zu ihrer Umsetzung erlassenen Gesetzes die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen verschärft wird, die gegen die Richtlinienbestimmungen verstoßen. ,,503

Daraus läßt sich ableiten, daß die Bezugnahme auf die "nicht umgesetzte Richtlinie" im ersten Teil der Randnummer nicht meint, daß eine legislative Anpassung in jedem Fall erfolgt sein muß. Das stünde auch im Widerspruch zu der gerade in Fällen der Nichtumsetzung betonten Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung in horizontalen Konstellationen. 504 Dann bestätigt die wiedergegebene Textstelle aber lediglich das Verbot der positiven horizontalen unmittelbaren Wirkung. Rechtsgrund der Belastung bei der richtlinienkonformen Auslegung muß nationales Recht bleiben. Einer über den Rahmen der nationalen Methodengrenzen in der oben dargestellten Form hinausgehenden allgemeinen Beschränkung der richtlinienkonformen Auslegung bedarf es jedoch in horizontalen Konstellationen nicht. 505 501 Siehe ausführlich zur Auslegung dieser Passage Craig, ELRev. 1997,519 (526 ff.). 502 EuGH, Rs. C-168 195, Slg. 1996,1-4705, Luciano Arcaro, Rn. 42. 503 EuGH, Rs. C-168 195, Slg. 1996,1-4705, Luciano Arcaro, Rn. 42. 504 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-91 192, Slg. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 25 ff. Ebenso Rüffler, ÖJZ 1997, 121 (130).

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c) Begrenzung der richtlinienkonformen Auslegung durch die Umsetzungsverpjlichtung der Mitgliedstaaten?

Franzen scheint zudem die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung durch die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an eine hinreichende Umsetzung von Richtlinien begrenzen zu wollen. 506 Die gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung mache keinen rechten Sinn, wenn die Richtlinie dadurch doch nicht in hinreichender Weise umgesetzt werden könne. 50? Im Ergebnis sind die Ausführungen aber wenig schlüssig. Einerseits will Franzen zwischen richtlinienkonformer Auslegung kongruenter Normen und Begriffe und einer weiterreichenden, dem Ausgleich von Umsetzungsdefiziten auf legislativer Ebene dienenden richtlinienkonformen Auslegung unterscheiden,508 andererseits soll das gemeinschaftsrechtliche Gebot richtlinienkonformer Auslegung den mitgliedstaatlichen Verstoß nicht zu heilen geeignet sein. 509 Zudem führt Franzen selbst aus, daß das Gebot richtlinienkonformer Auslegung auch der Herstellung von Gerechtigkeit im Einzelfall dient, während die allgemeinen Anforderungen an die hinreichende Umsetzung von Richtlinien in Vertragsverletzungsverfahren entwickelt worden sind. 510

Als Konsequenz soll das Kriterium der Erfüllbarkeit der Umsetzungsverpflichtung durch richtlinienkonforme Auslegung ein in die Abwägung hinsichtlich des Ob einer richtlinienkonformen Auslegung einzustellender Gesichtspunkt sein. 51l Die innerstaatliche Judikative solle eher bereit sein, den Verfassungskonflikt zu wagen, wenn Chancen bestünden, den Gemeinschaftsrechtsverstoß des Mitgliedstaates durch eine richtlinienkonforme Auslegung oder Rechtsfortbildung zu be seitigen. 512 Mit einer solchen Abwägung wird die nationale Judikative aber unnötig zusätzlich belastet. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt dem Um setzungswillen des Gesetzgebers keine wesentliche Bedeutung für die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung ZU. 513 Die Gerichte haben das ihnen Mögliche zur Erreichung des Richtlinienziels im Einzelfall zu tun. Ihr Verhalten kann zwar bei der Beurteilung der Richtlinienkonformität des nationalen Rechts von Bedeutung sein, die Erfüllung der Umsetzungspflicht über den Einzelfall hinaus festzustellen, ist jedoch keine, auch nicht implizite, Aufgabe der nationalen Gerichte. 505 In diesem Sinne auch der Schlußanträge des GA Jacobs zur Rs. C-456/98, Slg. 2000, 1-6007, CentrosteeI, Nr. 35. 506 Franzen, Privatrechtsangleichung, 364 ff. 507 Franzen, Privatrechtsangleichung, 366. 508 Franzen, Privatrechtsangleichung, 298. 509 Franzen, Privatrechtsangleichung, 368. 510 Franzen, Privatrechtsangleichung, 366 f. 511 Franzen, Privatrechtsangleichung, 368 f. 512 Franzen, Privatrechtsangleichung, 369. 513 Vgl. dazu oben Teil 2, B., VI., 1., c), aa).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Dieser Befund wird auch durch die Notwendigkeit der Feststellung eines Umsetzungsmangels für unmittelbare Wirkung und Staatshaftungsanspruch nicht beeinträchtigt. Geht es doch bei diesen jeweils nur darum, festzustellen, ob dem einzelnen im Einzelfall vom nationalen Recht zu dem verholfen werden kann, was von der Richtlinie vorgegeben wird. Generelle Feststellungen, beispielsweise über die Transparenz der Umsetzung, sind hierfür nicht vonnöten. 514 Die Umsetzungsverpflichtung als Rechtsgrundlage kann zwar in der Tat nur eine Auslegung rechtfertigen, die auf die Erreichung des von der Richtlinie vorgegebenen Zieles hinführt. Über das Ziel hinauszuschießen braucht die Judikative nicht. Hingegen läßt sich der Rechtsprechung des Gerichtshof nicht entnehmen, daß die Erreichung von Richtlinienkonformität im Sinne einer vollständigen Erfüllung der Umsetzungsverpflichtung eine Voraussetzung für die richtlinienkonforme Auslegung sei. Ganz im Gegenteil wird die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gerade in Verfahren relevant, in denen es an Umsetzungsbemühungen der Legislative mangelt und in denen Zweifel an der korrekten Umsetzung auch nach Durchführung einer richtlinienkonformen Auslegung bestehen. Die richtlinienkonforme Auslegung vermag dann zeitweise im Einzelfall den dem einzelnen durch den Umsetzungsmangel entstehenden Schaden zu begrenzen. 515

VII. Fallbeispiel zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung: Die "Heininger"-Urteile von EuGH und BGH 1. Hintergrund des Verfahrens und Urteil des EuGH

Besondere Aufmerksamkeit wurde dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung in jüngster Zeit im Zusammenhang mit § 5 Abs. 2 HWiG, § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG 516 im Rahmen der Rechtssache "Heininger" zutei1. 517 § 5 Abs. 2 HWiG erklärte für Haustürgeschäfte, die zugleich die Voraussetzungen des VerbrKrG erfüllten, allein die Vorschriften des letzteren für anwendbar. Dieses schloss in § 3 Abs. 2 Nr. 2 für sog. Realkreditverträge die Anwendung verschiedener Vorschriften aus, darunter auch § 7 VerbrKrG, in dem das Widerrufsrecht des Verbrauchers geregelt war. In Übereinstimmung mit der h.M. hatten die Instanzgerichte 514 Ebenfalls gegen eine Verknüpfung der Umsetzungsverpflichtung mit der Frage nach einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Schnorbus, AcP 2001,860 (878 f.). 515 Vgl. Prechal, Directives, 216. 516 In den für die Streitentscheidung maßgeblichen Fassungen. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz (BGBI. 2001 I 3138) wurde die Problemkonstellation ab dem I. Januar 2002 in den §§ 312a. 312d und 355. BGB geregelt. Infolge der Rechtssache Heininger wurden diese durch Art. 25 des Gesetzes zur Änderung des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten v. 23. 7. 2002 (BGBI. 2002 I 2850) erneut geändert; dazu eingehend Meinhof, NJW 2002, 2273. 517 Vgl. etwa Lange, EWiR 2002, 523, demzufolge kaum ein BGH-Urteil der letzten Jahre mit solcher Spannung erwartet und bereits vorab intensiv publizistisch begleitet worden ist.

B. Das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung nationalen Rechts

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aus diesen Vorschriften gefolgert, daß für Fälle von Realkreditverträgen, die auch die Voraussetzungen des HWiG erfüllten, weder nach diesem noch nach dem VerbrKrG ein Widerrufsrecht bestehe. 518 Im Revisionsverfahren entschloß sich der BGH, obwohl er in der Sache die Ansicht der Instanzgerichte und der h.M. teilte, zu einer Vorlage an den EuGH, um das Verhältnis der den deutschen Gesetzen zu Grunde liegenden Richtlinien über Haustürgeschäfte519 sowie über Verbraucherkredite520 klären zu lassen. 521 Entgegen der Erwartung des BGH522 aber in Übereinstimmung mit den Schlußanträgen des Generalanwalts üger523 entnahm der EuGH der Haustürgeschäfterichtlinie das Erfordernis eines Widerrufsrechts auch für den Fall von Realkreditverträgen. Dessen Ausübung dürfe vom Gesetzgeber für den Fall einer unterbliebenen Belehrung auch nicht auf ein Jahr beschränkt werden. 524 In Ermangelung einer dahingehenden Frage nahm der EuGH dabei zur Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung oder zur Folge des Scheiterns einer solchen nicht Stellung, sondern beschränkte sich auf die inhaltlichen Auslegungsfragen zu den streitgegenständlichen Richtlinienvorschriften. Ungeachtet dessen löste das Urteil des EuGH eine Diskussion um die aus ihm zu ziehenden Konsequenzen in der Literatur,525 aber auch in der Rechtsprechung 526 aus. Während von der einen Seite eine richtlinienkonforme Reduktion des § 5 Abs. 2 HWiG gefordert wurde,52? verneinte das OLG Bamberg den dafür notwendigen Auslegungsspielraum. § 5 Abs. 2 HWiG sei in seinem Wortlaut eindeutig und es sei nicht die Aufgabe der Gerichte, sondern des Gesetzgebers, das deutsche Recht in Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie zu bringen. 528 Die gleiche oder in eine ähnliche Richtung weisende Ansicht wurde ebenso in der 518 Vgl. die Nachw. bei BGH, ZIP 2000, 177 (178). Zur Mindenneinung, die einen Rückgriff auf das HWiG in Teilen oder vollständig befürwortete vgl. die Nachw. bei Hoffmann, ZIP 2002, 145 (146). 519 Richtlinie 85/577/EWG betreffend den Verbraucherschutz im Falle außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen, ABI. 1985 L 372/31. 520 Richtlinie 87/102/EWG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Verbraucherkredit, ABI. 1987 L 42/48 in der Fassung der Richtlinie 90/88/EWG, ABI. 1990 L 61/14. 521 BGH, ZIP 2000, 177, "Heininger I". 522 Vgl. BGH, ZIP 2000, 177 (179). 523 Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-481199, Sig. 2001,1-9945. 524 EuGH, Rs. C-481/99, Sig. 2001, 1-9945, Heininger. 525 Fischer; OB 2002, 727; Hoffmann, ZIP 2002,145; HabersacklMayer; WM 2002, 253; Kulke, ZBB 2002, 33; PieckenbrocklSchulze, WM 2002, 521; ReichlRörig, EuZW 2002, 87; Reiter/Methner; VuR 2002, 90; Rott, VuR 2002, 49; Staudinger; NJW 2002,653; Strube, VuR 2002, 55. 526 OLG Bamberg, WM 2002, 537; dazu Schwintowski, EWiR 2002, 525. 527 Fischer; OB 2002, 727 (730); Hoffmann, ZIP 2002, 145 (149); ders. ebenso bereits ZIP 1999, 1586 (1587); Kulke, ZBB 2002, 33 (44 ff.); Reich/ Rörig, EuZW 2002, 87 (88); Reiter/Methner; VuR 2002, 90 (92 f.); Rott, VuR 2002, 49 (52); Staudinger; NJW 2002, 653 (655). 528 OLG Bamberg, WM 2002, 537 (545).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Literatur geäußert. Zudem scheide eine unmittelbare Wirkung aufgrund der horizontalen Prozeßkonstellation von vornherein aus. 529 2. Das Urteil des BGH v. 9. 4. 2002: "Heininger 11,,530

Vor diesem Hintergrund hatte der BGH im Revisionsurteil die Rechtssache Heininger zu entscheiden. Er entschied sich dabei für eine richtlinienkonforme einschränkende Auslegung des § 5 Abs. 2 HWiG. Dieser sei dahingehend zu interpretieren, daß Kreditverträge nur insoweit ausschließlich nach dem VerbrKrG zu beurteilen seien, als dieses ein ebenso weit reichendes Widerrufsrecht gewähre. Zur Begründung des Urteils berief sich der BGH zunächst explizit auf das Urteil des EuGH und daran anschließend auf die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung, die er in Art. 249 Abs. 3 sowie in Art. 10 EGV verankert sah. Dabei stellte der BGH fest, daß er im Rahmen des durch den Wortlaut des § 5 Abs. 2 HWiG vorgegebenen Auslegungsspielraums gezwungen sei, diesen richtlinienkonform auszulegen. 531 Der Wortlaut des § 5 Abs. 2 HWiG lasse eine Auslegung, wie sie der EuGH vorgegeben habe, zu. Unzulässig wäre diese nur dann, wenn die in Rechtsprechung wie Schrifttum geäußerten, eine richtlinienkonforme Auslegung befürwortenden Stellungnahmen schlechthin unvertretbar wären; daß auch der BGH nicht dieser Auffassung sei, habe er bereits in seinem Vorlagebeschluß deutlich gemacht. 532 Gegen diese Auslegung könne auch nicht der Wille des Gesetzgebers angeführt werden. Diesem dürfe nicht unterstellt werden, daß er sehenden Auges einen Richtlinienverstoß habe begehen wollen. 533 Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte sah der BGH nicht als durchgreifend an. Dem Einwand der drohenden Systemwidrigkeit einer Privilegierung der Realkreditverträge durch die Gewährung eines Widerrufsrechts nach dem HWiG sei durch eine Erstreckung dieser Möglichkeit auch auf die Fälle von Personalkreditverträgen, die auf einem Haustürgeschäft beruhten, zu begegnen, da die Erwägungen des EuGH für diesen Fall gleichermaßen zuträfen. Es komme im Ergebnis auch nicht zu einer horizontalen Direktwirkung der Richtlinie, da sich der BGH im Rahmen des bestehenden Beurteilungsspielraums bewege. 534 Im übrigen käme es für das Widerrufsrecht nicht darauf an, ob in den zu entscheidenden Fällen ein Haustürgeschäft lediglich nach dem HWiG oder auch nach der Haustürgeschäfterichtlinie vorliege. Der Bundesgesetzgeber hatte diese insoweit "überschießend,,535 umgesetzt, als vom HWiG auch solche Geschäfte erfaßt seien, bei 529 Habersack/ Mayer; WM 2002, 253 (255 ff.); Hochleitner/Wolf/Großerichter, WM 2002,529 (531); Piekenbrock/Schulze, WM 2002,521 (523 ff.). 530 BOH, ZIP 2002, 1075 = NJW 2002,1881. 531 BOH, ZIP 2002, 1075 (1078). 532 BOH, ZIP 2002, 1075 (1078). 533 BOH, ZIP 2002, 1075 (1078). 534 BOH, ZIP 2002, 1075 (1079). 535 Zur richtlinienkonformen Auslegung bei überschießender Umsetzung siehe oben Teil 2, B., IV., 2., c).

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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denen lediglich die Vertragsanbahnung, nicht hingegen der Vertragsabschluß außerhalb von Geschäftsräumen stattfinden. Eine solche von Teilen der Literatur befürwortete 536 "gespaltene Auslegung" widerspräche dem Gebot der Gleichbehandlung sowie Sinn und Zweck des § 1 HWiG und würde zu erheblichen Rechtsanwendungsproblemen führen. 537 3. Stellungnahmen in der Literatur

Das Urteil "Heininger II" hat in den wenigen bisher vorliegenden Anmerkungen im Hinblick auf Ergebnis und Begründung überwiegend Zustimmung gefunden. 538 Unterschiedlich bewertet wird allerdings das Bemühen des BGH, neben dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und der Wortsinngrenze auch die übrigen herkömmlichen Auslegungsmethoden für das Ergebnis fruchtbar zu machen. Während die einen begrüßen, daß der BGH sich ausführlich mit den in der Literatur vertretenen Positionen auseinandersetzt,539 zieht Ulmer die methodische Notwendigkeit dieses Vorgehens in Frage. Im Fall einer richtlinienkonformen Auslegung käme es allein auf den durch den Wortlaut der nationalen Norm begrenzten Auslegungsspielraum an. Es sei "nicht ohne weiteres einsichtig, warum es daneben auch noch darauf ankommen sollte, ob ein möglicherweise abweichender, EG-rechtlich irrelevanter Wille des nationalen Gesetzgebers, die Systematik der nationalen Regelung oder der mit ihr verfolgte - dem EG-Recht zuwiderlaufende! - Normzweck der richtlinienkonformen Auslegung entgegensteht.,,540

Angesichts der vielen Stimmen, die zuvor eine richtlinienkonforme Auslegung unter Beachtung des EuGH-Urteils Heininger gefordert hatten, kann davon ausgegangen werden, daß das Urteil des BGH über diese ersten Anmerkungen hinaus auf breite Akzeptanz hoffen darf, auch wenn Einzelfragen in diesem Zusammenhang weiterer Klärung bedürfen. 54l 4. Bewertung

Die der Rechtssache "Heininger" zu Grunde liegende Problematik zeigt in aller Deutlichkeit die fortbestehenden Probleme von Rechtsprechung und Literatur im 536 Edelmann, BKR 2002, 80 (81); Habersack/ Mayer; WM 2002, 253 (257); Piekenbrack/Schulze, WM 2002, 521 (527 f.). 537 BGH, ZIP 2002, 1075 (1079). 538 Derleder; ZBB 2002, 202 (203); Haffmann, ZIP 2002, 1066; Lange, EWiR 2002, 523 (524). 539 So insbesondere Derleder; ZBB 2002, 202 (205). 540 Ulmer; ZIP 2002, 1080 (l081). 541 Siehe insbesondere Haffmann, ZIP 2002, 1066 zur Frage, inwieweit das Widerrufsrecht auch hinsichtlich des mit dem Realkreditvertrag zusammenhängenden Immobilienkaufvertrages bestehen muß.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

richtigen Umgang mit EG-Richtlinien auf. 542 Dem BGH gebührt von daher besondere Anerkennung für seine klar strukturierte und nachvollziehbare Argumentation. Zutreffend sieht sich der BGH dabei aus Art. 249 Abs. 3 und Art. IO EGVals zwingend an die Auslegung des EuGH gebunden an, soweit ihm die streitentscheidenden Normen des deutschen Rechts ihrem Wortlaut nach einen Auslegungsspielraum zubilligen. Die Grenze der möglichen Auslegung sieht er erst dort als erreicht an, wo eine Auslegung schlechthin unvertretbar wäre. Im Einklang mit der vielstimmigen Literaturmeinung und der von ihm bereits in seinem Vorlagebeschluß angedeuteten Möglichkeit nimmt er methodisch korrekt eine richtlinienkonforme Reduktion des § 5 Abs. 2 HWiG vor, verwirft also eine mit den EG-Richtlinien unvereinbare Auslegung des nationalen Rechts im Wege einer negativen richtlinienkonformen Auslegung. 543 Die zusätzliche Abstützung des so gefundenen Ergebnisses auf weitere nationale begründete Auslegungsaspekte erscheint allerdings in der Tat als überflüssig. Zumindest inzident scheint der BGH im Urteil "Heininger II" davon auszugehen, daß er einen feststellbaren entgegenstehenden Willen des Gesetzgebers hätte beachten müssen und begründet daher ausführlich, warum von einem solchen nicht ausgegangen werden könne. Damit setzt er sich allerdings zu seinen eigenen Ausführungen im Vorlagebeschluß in Widerspruch. 544 Für das zu entscheidende Verfahren war diese implizite Annahme zwar unschädlich, da der BGH hier im Einklang mit der Literatur545 die Absicht zur richtlinienkonformen Umsetzung unterstellen konnte, die obiter dictum gemachten Ausführungen könnten jedoch in einer zukünftigen Konstellation noch zu Schwierigkeiten führen. Im übrigen ist auf der Grundlage der in der vorliegenden Arbeit entwickelten Position Ulmer zuzustimmen. Ein entgegenstehender gesetzgeberischer Regelungszweck hätte vom BGH ohnehin außer acht gelassen werden müssen. 546 Das gleiche gilt im übrigen auch für den § 5 Abs. 2 HWiG insgesamt. Hätte man dessen richtlinienkonforme Auslegbarkeit verneint, so wäre der BGH verpflichtet gewesen, diesen aufgrund einer negativen unmittelbaren Wirkung der einschlägigen Richtlinienbestimmungen als richtlinienwidrige Vorschrift außer Anwendung zu lassen. 54? Entgegen den in der Literatur zu dieser Frage im konkreten Fall zu findenden Äußerungen ist eine solche Wirkung dem Gemeinschaftsrecht weder unbekannt,548 noch handelt es sich um eine in einer horizontalen Konstellation unzu542 Zur Frage, inwieweit eine legislative Änderung der einschlägigen Vorschriften erforderlich war vgl. unten Teil 3., c., IV., 4., a). 543 Vgl. dazu oben Teil 2, B., VI., 1., c), bb), (1). 544 VgI.BGH,ZIP2000, 177(178). 545 Vgl. Staudinger, NJW 2002, 653 (655). 546 Siehe dazu oben Teil 2, B., VI., 1., c), aa). 547 Ebenso Fischer, DB 2002, 727 (730); Reich/ Rörig, EuZW 2002, 88 (89 f.); Schwintowski, EWiR 2002, 525 (526). Unzutreffend daher OLG Bamberg, WM 2002, 537; LG München, BKR 2002, 230; Edelmann, BKR 2002, 80 (82). 548 So aber Piekenbrock/Schulze, WM 2002, 521 (526).

B. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts

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lässige unmittelbare Wirkung. 549 Vielmehr geht die richtlinienkonforme Reduktion bruchlos in die negative unmittelbare Wirkung über, so daß es auf die Frage, ob es sich um eine "Reduktion auf Null,,55o handelt, nicht entscheidend ankommt. Der BGH hätte daher unter methodischen Gesichtspunkten auch auf die Ausführungen zu einem verbleibenden Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 HWiG 551 verzichten können, obgleich diese notwendig waren, um zu belegen, daß er im Bereich der Auslegung bleiben wollte. Dem BGH ist aber zuzugeben, daß seine ausführlichen Begründungen in rechtspolitischer Hinsicht zweckmäßig sind, da sie der Akzeptanz des Urteils dienen. Zurecht stützt der BGH im übrigen die richtlinienkonforme Auslegung im "überschießenden" Bereich des HWiG auf rein nationalrechtliche Erwägungen. Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht besteht hier nämlich gerade nicht. 552

VIII. Zusammenfassende Stellungnahme zum Gebot der richtlinienkonformen Auslegung

Das vom EuGH entwickelte Gebot der richtlinienkonformen Auslegung ist imperativer Rechtssatz, nicht persuasiver Appell. Seine Grundlage findet es im Kern in der in Art. 249 Abs. 3 EGV niedergelegten Umsetzungsverpflichtung, welche durch die Richtlinie selbst inhaltlich konkretisiert wird. Die Pflicht beginnt grundsätzlich mit Erlaß der Richtlinie, wird aber regelmäßig durch die Umsetzungsfrist zeitlich konditioniert. Eine richtlinienkonforme Auslegung ist daher vor Ablauf dieser Frist nur dann erforderlich, wenn anderenfalls eine Frustration der Erreichung der Ziele der Richtlinie droht. Davon kann aber regelmäßig nur im Fall einer bereits erfolgten legislativen Umsetzung ausgegangen werden. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung gilt ohne Einschränkung hinsichtlich des gesamten Korpus des nationalen Rechts, welches im Regelungsbereich von Richtlinien anwendbar ist. Überschießende Umsetzungsakte werden von der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung aber nur dann erfaßt, wenn der nationale Gesetzgeber dies erkennbar gewollt hat. Als Bestandteil der Umsetzungsverpflichtung nimmt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung uneingeschränkt am Vorrang des Gemeinschaftsrechts teil. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der EuGH auch die vorrangige Berücksichtigung der Richtlinie verlangt. Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung nationalen Rechts ist keine reine Vorzugsregel, die lediglich den Ausschluß nicht richtlinienkonformer Aus1egungsergebnisse aus mehreren möglichen verlangt. Die nationalen Gerichte haben bei der Auslegung und Fortbildung nationalen Rechts 549

550 551 552

So aber Habersack/ Mayer; WM 2002, 253 (256); Staudinger; NJW 2002, 653 (654). Hochleitner/Wolf/Großerichter; WM 2002, 529. BGH, ZIP 2002, 1075 (1079). Siehe dazu oben Teil 2, B., IV., 2., c).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Wortlaut und Zweck einschlägiger Richtlinien bereits auf der Ebene des Auslegungsvorgangs, insbesondere bei der grammatischen und der teleologischen Auslegung, zu berücksichtigen, soweit ihnen das nach nationaler Methodenlehre möglich ist. Dabei wirken nach deutscher Methodenlehre weder ein entgegenstehender gesetzgeberischer Regelungszweck, noch die Grenze des Wortlauts der Norm als unüberwindbare Hindernisse für eine richtlinienkonforme Auslegung bzw. Rechtsfortbildung. Ein entgegenstehender Regelungszweck ist wegen der sich aus Art. 23 GG i.Y.m. dem EGVergebenden, und vom BVerfG zugelassenen, substantiellen Verschiebung im Gewaltengefüge nicht beachtlich. Dem Wortlaut kommt auch nach traditionellem Verständnis keine scharfe Grenzfunktion zu. Eine Überschreitung desselben führt lediglich zu einer Verschärfung des Begründungsaufwands im Hinblick auf das gefundene Ergebnis. Daraus folgt, daß eine richtlinienkonforme Reduktion uneingeschränkt möglich ist und bruchlos in eine negative unmittelbare Wirkung übergehen kann. Hingegen bedarf es für die richtlinienkonforme Analogie und Extension eines im nationalen Recht angelegten Rechtsprinzips, welches geeignet ist, die Richtlinienwertungen und -ziele in die nationale Rechtsordnung zu importieren. Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung extra legern sed intra ius ist nicht zulässig. Grundsätzlich überläßt der EuGH die Beurteilung der Auslegungsfähigkeit nationalen Rechts den mitgliedstaatlichen Gerichten. Lediglich die negative Konformauslegungspflicht wirkt schärfer. Sie verbietet eine nicht richtlinieninkonforme Auslegung nationalen Rechts. Sofern eine solche Auslegungsverwerfung dem nationalen Gericht auf Grund des klaren Wortlauts der Norm nicht möglich erscheint, hat es diese unangewendet zu lassen. Zudem wird die richtlinienkonforme Auslegung durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, insbesondere das Gebot der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot, begrenzt. Im Strafrecht scheidet eine richtlinienkonforme Auslegung zu Lasten einzelner daher generell aus. Im Gegensatz zur unmittelbaren Wirkung stellt das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung im Grundsatz keine Sanktion für ein mitgliedstaatliches Fehlverhalten bei der Richtlinienumsetzung dar. Als flexible Verbindung zwischen Richtlinie, Auslegung derselben durch den EuGH und nationalen Rechtsnormen bildet es einen unverzichtbaren Baustein bei der Verwirklichung der Richtlinienziele bis auf die Einzelfallebene. Ob die richtlinienkonforme Auslegung legislative Maßnahmen ersetzen kann, und in welchem Umfang, ist eine davon losgelöste Frage, deren Beantwortung die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung nicht begrenzt. Auf sie wird im Teil 3 ausführlich einzugehen sein.

C. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung

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c. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter oder unterbliebener Richtlinienumsetzung I. Überblick

Auch durch unmittelbare Wirkung und richtlinienkonforme Auslegung vermögen die Gerichte nicht immer die von Richtlinien geforderten Ergebnisse im Einzelfall herbeizuführen, wenn die Legislative eine notwendige Umsetzung einer Richtlinie versäumt hat. Der Gerichtshof hat daher in mittlerweile gefestigter Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß die Mitgliedstaaten einzelnen Bürgern für Schäden haften, die diesen durch dem Staat zurechenbare, hinreichend qualifizierte Verletzungen von Gemeinschaftsnormen entstehen, deren Zweck die Verleihung von Rechten an einzelne ist, wenn der Schaden in einem unmittelbaren Kausalzusammenhang mit diesem Rechtsverstoß steht. 1 Als dezentrales Sanktionsund Durchsetzungsinstrument des Gemeinschaftsrechts dient der Staatshaftungsanspruch zum einen dem Rechtsschutz der einzelnen und erhöht zum anderen den Druck auf die Mitgliedstaaten, sich gemeinschaftsrechtskonform zu verhalten. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung ist eine umfassende Auseinandersetzung mit diesem Rechtsinstitut und der sich mit ihm beschäftigenden Literatur naturgemäß nicht möglich, aber auch nicht vonnöten? Sie ist allerdings insoweit erforderlich, als sich der Staatshaftungsanspruch auf die fehler- oder mangelhafte Umsetzung von Richtlinien stützt3 und sich somit als eine Auswirkung von Richtlinien darstellt, die durch die nationalen Gerichte zu beachten ist. Diese Ausprägung des Staatshaftungsanspruchs ist besonders problematisch, da es sich um eine Haftung für legislatives Unrecht hande1t. 4 Ungeachtet dessen steht diese Haftung, die zugleich den historischen Ausgangspunkt der Rechtsprechung bildet, in der Rechtspraxis allein aufgrund der Zahl jährlich verabschiedeter Richtlinien und der Um1 Ständige Rspr. des EuGH seit Verb. Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991, 1-5357, Francovich; Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996,1-1029, Brasserie und Factortame; Rs. C-392/93, Slg. 1996, 1-1631, British Telecommunications; Rs. C-5/94, Slg. 1996, 1-2553, Hedley Lomas; Verb. Rs. C-178 194, 179/94, und C-188 bis 190/94, Slg. 1996, 1-4845, Dillenkofer; Verb. Rs. C-283/94, 291/94 und C-292/94, Slg. 1996,1-5063, Denkavit; Rs. C-261195, Slg. 1997,1-4025, Palmisani; Rs. C-127 195, Slg. 1998,1-1531, Norbrook Laboratories; Rs. C-118/00, Slg. 2001, 1-5063, Larsy. 2 Siehe umfassend zum gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruch Beljin, Staatshaftung; von Danwitz, DVBI. 1997, 1 ff.; dens., JZ 1994, 335 ff.; Detterbeck, VerwA 1994, 159; dens., AöR 2000, 202 ff.; Diehr, Staatshaftungsanspruch; Henrichs, Haftung; HerdegenlRensmann, ZHR 1997, 522 ff.; Nettesheim, DÖV 1992,999 ff.; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 492 ff.; dens., DVBI. 1992, 993 ff.; Schlemmer-SchulteIUkrow; EuR 1992, 82 ff.; Tridimas, CMLRev. 2001, 301 ff., Zenner, Haftung; jeweils mit ausführlichen Literatumachweisen. 3 Siehe hierzu ausführlich Albers, Haftung; Leonard, Rechtsfolgen, 124 ff. 4 Vgl. Fischer, EuZW 1992, 41 (44); Streinz, Jura 1995, 6 (11); ders., VVDStRL 61 (2002), 300 (347 ff.) m. w. Nachw.

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

setzungssäumnis der Mitgliedstaaten im Vordergrund. 5 Von Interesse ist im vorliegenden Zusammenhang insbesondere, in welchem Verhältnis der Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter oder unterbliebener Richtlinienumsetzung zur unmittelbaren Wirkung und zur richtlinienkonformen Auslegung steht, und welche Schlüsse sich daraus für die Anforderungen an eine hinreichende Umsetzung von Richtlinien ziehen lassen. 11. Entwicklung und Rechtsgrundlage der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung

Hat ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag verstoßen, so sieht dieser lediglich das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 bis 228 EGV als Sanktion hierfür vor. Ultimative Konsequenz einer Verletzung des Gemeinschaftsrechts kann danach, allerdings erst seit Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht, die Verurteilung zu einem Zwangsgeld gemäß Art. 228 EGV sein. An einer ausdrücklichen Normierung eines Anspruchs einzelner gegen Mitgliedstaaten, die das Gemeinschaftsrecht verletzen, fehlt es hingegen. Lediglich eine Haftung der Gemeinschaft für ihre Organe und Bediensteten ist in Art. 288 Abs. 2 EGV niedergelegt. Nicht zuletzt dieses Unvermögen des Gemeinschaftsrechts, die Umsetzung von Richtlinien zu erzwingen, sowie die auch nach Entwicklung von unmittelbarer Wirkung und richtlinienkonformer Auslegung verbleibenden Rechtsschutzlücken für einzelne bewegten den EuGH letztlich, in der Entscheidung Francovich als "Existenzerhaltungsmaßnahme" des Gemeinschaftsrechts 6 diesem, im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung,7 den Grundsatz zu entnehmen, "daß die Mitgliedstaaten zum Ersatz der Schäden verpflichtet sind, die dem einzelnen durch Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht entstehen, die diesen Staaten zuzurechnen sind."s

Zur Begründung stützte sich der Gerichtshof dabei im wesentlichen auf den effet utile-Gedanken, demzufolge der Staatshaftungsanspruch lediglich eine notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts darstelle. 9 Auch in Fällen, in denen die volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts von einem Tätigwerden des Staates abhänge, sei es unerläßlich, dem einzelnen die Möglichkeit zu gewähren, vor den nationalen Gerichten Entschädigung zu verlangen. 10 Die Begründung des Staatshaftungsanspruchs ähnelt damit der für die un5 Vgl. Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 288, Rn. 47. 60ssenbühl, Staatshaftungsrecht, 496. 7 Manche sprechen auch von Rechtsschöpfung, vgl. z. B. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 494. 8 EuGH, Verb. Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991,1-5357, Francovich, Rn. 37. 9 EuGH, Verb. Rs. C-46 193 und 48/93, Slg. 1996, 1-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 22. 10 EuGH, Verb. Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991,1-5357, Francovich, Rn. 34.

C. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung

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mittelbare Wirkung von Richtlinien. Im Urteil in den Verfahren Brasserie du Pecheur und Factortame ll hat der EuGH unterstützend zusätzlich auf Art. 288 EGV und damit die Haftung der Gemeinschaft nach den allgemeinen, den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamen Rechtsgrundsätzen, hingewiesen. 12 In jüngeren Entscheidungen verzichtet der EuGH mittlerweile auf eine Herleitung des Staatshaftungsanspruchs und weist nur noch darauf hin, daß dieser Grundsatz aus dem Wesen des EG-Vertrages folge. 13 Die Rechtsprechung des EuGH wurde in der Literatur als Überschreitung seiner Kompetenz ebenso kritisiert wie für die knappe und nach Ansicht vieler wenig überzeugende Begründung. 14 Zudem wurde bestritten, daß sich der Staatshaftungsanspruch überhaupt aus dem Gemeinschaftsrecht ergebe. Statt dessen sei ein solcher Anspruch allenfalls im nationalen Recht zu suchen. 15 Hiergegen sprechen aber sowohl die mangelnde Kompetenz des Gerichtshofs zur Auslegung nationalen Rechts als auch seine völlig eindeutige Formulierung hinsichtlich der Rechtsgrundlage. 16 Bei der Haftung der Mitgliedstaaten für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht handelt es sich daher um ein gemeinschaftsrechtliches Institut, auch wenn diesem hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung eine nationalrechtliche Komponente innewohnt. Hingegen haben die nationalen Gerichte die Linie des Gerichtshofs bereitwillig und schnell übernommenY Das Institut der Staatshaftung für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht gehört daher mittlerweile zu dessen im Grundsatz akzeptierten Wesensmerkmalen. 18 Im übrigen stellt es, ausgehend von der Vorstellung des EuGH vom Gemeinschaftsrecht als einer neuen Rechtsordnung, deren Rechtssubjekte nicht allein die Mitgliedstaaten, sondern ebenso die einzelnen Marktbürger sind, eine konsequente Weiterentwicklung dar und ist insoweit auch hinreichend begründet. 19 Probleme stellen sich aber weiterhin hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung und Umsetzung des Staatshaftungsanspruchs im nationalen Recht, auf welches dieser wegen der Unvollständigkeit des Gemeinschaftsrechts angewiesen EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996,1-1029, Brasserie und Factortarne. EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996,1-1029, Brasserie und Factortarne, Rn. 28 ff. 13 Siehe beispielsweise EuGH, Rs. C-424/97, Slg. 2000, 1-5123, Hairn, Rn. 26; Rs. C118/00, Slg. 2001, 1-5063, Larsy, Rn. 34. 14 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 288, Rn. 30; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 497; jeweils rn. Nachw. aus der Literatur. 15 Siehe hierzu ausführlich Comils, Staatshaftungsanspruch, 89 ff.; vgl. auch Detterbeck, AöR 2000, 202 (229) mit Nachweisen aus der Literatur. 16 Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, 1-1029, Brasserie und Factortarne, Rn. 31. So auch BGHZ 134,30 (36). Vgl. auch Detterbeck, AöR 2000, 202 (229). 17 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 497. 18 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 497. 19 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 288, Rn. 31; Streinz, Jura 1995,6(9). 11

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

bleibt. 20 Dem nationalen Recht kommt aber letztlich nur eine Ergänzungs- 21 oder Krückenfunktion22 zu. IH. Problematik der Staatshaftung bei mangelhafter oder unterbliebener RichtIinienumsetzung

Die deutsche Rechtsprechung hatte Ansprüche gegen den Staat für legislatives Unrecht bisher grundsätzlich abgelehnt. 23 Im deutschen Recht mangele es dafür an einer positivrechtlichen Grundlage. Eine haftungsbegründende richterliche Rechtsfortbildung scheitere hingegen an den allgemeinen Grenzen der Rechtsfortbildung und der "Haushaltsprärogative des Parlaments,,?4 Lediglich für Maßnahme- oder Einzelfallgesetze sei eine solche Haftung in Erwägung zu ziehen?5 Bereits der Fall Franeovieh zeigt jedoch, daß sich die Fälle der Haftung für die Nichtumsetzung einer Richtlinie mit einer generellen Immunität des Gesetzgebers nicht in Einklang bringen lassen. Aber ebenso wenig, wie sich der gesetzgeberische Wille als Grenze der richtlinienkonformen Auslegung eignet, braucht der Mitgliedstaat bei der legislativen Richtlinienumsetzung privilegiert zu werden. Soweit kein Ermessen durch die Richtlinie eingeräumt wird, kommt dem Umsetzungsakt materiell betrachtet eher ein administrativer Charakter ZU?6 Die Gründe für eine Ablehnung einer Haftung für legislatives Unrecht, also die fehlende Drittbezogenheit einer Amtspflicht und die Einengung der politischen Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers treffen in dieser Konstellation nämlich gerade nicht zu. 27 IV. Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs 1. Überblick

Einmal eingeführt, hatte der Gerichtshof bereits im Urteil Brasserie du Pecheur / Factortame die an die Anforderungen der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft gemäß Art. 288 Abs. 2 EGV angeglichenen Voraussetzungen des Staatshaftungsanspruchs allgemein festgelegt und seitdem diese Voraussetzungen lediglich anhand der anfallenden Fälle präzisiert. 28 Danach erfordert ein Anspruch, Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 497; Streinz, Jura 1995,6 (11 ff.). Ossenbühl, FS Everling, 1037 (1042). 22 Tomuschat, FS Everling, 1585 (1598). 23 BGHZ 54, 40 (44 ff.); 84, 292 (300); 87, 321 (335); 100, 136 ff. 24 BGHZ 100, 136 (145 ff.). 25 BGH, WM 1975,630. 26 Vgl. Schlußanträge des GA Mischo zu den Verb. Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991, I-5357, Francovich, Nr. 47; Streinz, Jura 1995,6 (11); Schimke, EuZW 1993,698 (700). 27 So auch Streinz, Jura 1995, 6 (11). 28 Tridimas, CMLRev. 2001, 301 (302 f.). 20

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C. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung

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daß dem Mitgliedstaat ein Verstoß gegen eine Norm des Gemeinschaftsrechts zuzurechnen ist, die bezweckt, dem einzelnen Rechte zu verleihen, daß der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, und daß zwischen dem Verstoß und dem den geschädigten Personen entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. 29 Die Beurteilung dieser Voraussetzungen soll dabei von der jeweiligen Fallgestaltung abhängen. 3o

2. Voraussetzungen bei Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung im einzelnen

Bei fehlerhafter oder gänzlich fehlender Richtlinienumsetzung gelten grundsätzlich die gleichen, allgemeinen Haftungsvoraussetzungen. 31 Aufgrund der besonderen Pflichtenlage lassen sich jedoch einige typisierte Aussagen für die Staatshaftung bei dieser Fallgruppe treffen, die der EuGH in den vergangenen Jahren herausgearbeitet hat.

a) Handlung eines mitgliedstaatlichen Organs

Die sich aus Art. 249 Abs. 3 EGVergebende und durch die jeweilige Richtlinie inhaltlich konkretisierte Umsetzungsverpflichtung richtet sich an alle Träger hoheitlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten. 32 Jede fehlende oder fehlerhafte Umsetzung einer Richtlinie ist daher per se immer dem Mitgliedstaat zurechenbar. Welcher Verband oder welches Organ nach der innerstaatlichen Funktions- und Kompetenzverteilung für die Umsetzung verantwortlich war oder gehandelt hat, ist dabei unerheblich. 33 Ebenso unerheblich ist, ob der Umsetzungsmangel auf einem Tun oder Unterlassen beruht. 34

29 EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Sig. 1996, 1-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 51; Verb. Rs. C-178/94, 179/94, und C-188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 21 und 23; Rs. C-424/97, Sig. 2000, 1-5123, Haim, Rn. 36; Rs. C-150/99, Sig. 2001, 1493, Stockholm Lindöpark, Rn. 37. 30 Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-178/94, 179194, und C-188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 24; Rs. C-127 195, Sig. 1998,1-1531, Norbrook Laboratories, Rn. 107. 31 EuGH, Rs. C-392/93, Slg. 1996, 1-1631, British Telecommunications, Rn. 40; Vgl. auch Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV 1EGV, Art. 288, Rn. 46. 32 Vgl. EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Coison, Rn 26. Nahezu identisch auch EuGH, Rs. 80/86, Sig. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn 12; Rs. C-106 1 89, Sig. 1990, 1-4135, Marleasing; Rs. C-365 198, Sig. 2000, 1-4619, Brinkmann 11. 33 Vgl. EuGH, Rs. C-302/97, Sig. 1999,1-3099, Konle, Rn. 62. 34 Geiger, EUV IEGV, Art. 10, Rn. 47.

12 Hemnann

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b) Verletzung einer individualschützenden Norm

Ein Schadenersatzanspruch entsteht nur dann, wenn die Norm, gegen die der Mitgliedstaat verstoßen hat, bezweckt, Rechte einzelner zu begründen. Der Begriff des subjektiven Rechts wird dabei jedoch weiter verstanden als der des subjektivöffentlichen Rechts im deutschen Verwaltungsrecht. Hinreichend ist, daß die Norm nach ihrem objektiven Regelungszweck Interessen einzelner schützt, die tatsächlich und individualisiert von der Regelung betroffen sind. 35 Bei einem Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung ist zur Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzung nicht allein auf die Umsetzungsverpflichtung abzustellen, sondern jeweils auf einzelne Richtlinienbestimmungen, die nicht hinreichend in das nationale Recht umgesetzt worden sind. Auf deren Basis muß der Inhalt der jeweiligen Rechte festgestellt werden können. 36 Dabei ist darauf zu achten, ob der einzelne die ihm von der Richtlinie zugebilligte Rechtsstellung nach nationalem Recht erhalten hat?? Insoweit kommt es darauf an, ob die mit der Richtlinie verfolgten Ziele durch das nationale Recht erreicht werden oder nicht, da diese "Erfolgspflichten,,38 aufstellen.

c) Hinreichend qualifizierter Verstoß

Kernvoraussetzung der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung ist das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen die individualschützende Norm. 39 Dazu muß der Mitgliedstaat das ihm eventuell eingeräumte Ermessen offenkundig und erheblich überschritten haben. Zu beurteilen ist dies anhand einer Vielzahl wertender Kriterien wie z. B. dem Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, dem Umfang des eingeräumten Ermessensspielraums, dem Verschuldensmaß und der Entschuldbarkeit des Verstoßes sowie eines eventuellen Mitverschuldens von Gemeinschaftsorganen. 4o Eine nicht fristgemäße Umsetzung einer Richtlinie bzw. die völlige Untätigkeit stellt aber in jedem Fall immer einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die Umsetzungsverpflichtung dar, ohne daß sich der Mitgliedstaat beispielsweise durch die Berufung auf eine vermeintliche Unmöglichkeit der Umsetzung exkulpieren kann. 41 Bei einer lediglich fehlerhaften Umsetzung kommt es hingegen darauf an, ob die Auslegung und Umsetzung einer Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hrsg), EUV I EGV, Art. 288, Rn. 36. EuGH, Verb. Rs. C-6 und 9/90, Slg. 1991,1-5357, Francovich, Rn. 40. 37 Albers, Haftung, 142. 38 Tonner, EuZW 1999,473 (474). 39 Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 506. 40 Vgl. EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, 1-1029, Brasserie und Factortarne, Rn. 46. 41 EuGH, Verb. Rs. C-178/94, 179/94, und C-188 bis 190/94, Slg. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 23, 26 und 52 ff.; Rs. C-319/96, Slg. 1998,1-5255, Brinkrnann I, Rn. 24. 3S

36

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Richtlinie durch den Mitgliedstaat auf Erwägungen beruht, die nicht völlig von der Hand zu weisen sind. 42 Sofern eine Richtlinienvorschrift unklar ist und auch noch keine Konkretisierung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs erfahren hat, kann sich ein Mitgliedstaat daher auf sein Bemühen zur richtigen Umsetzung berufen, um die Feststellung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes abzuwenden. Einer vorherigen Feststellung des Verstoßes in einem Vertragsverletzungs- oder Vorlageverfahren bedarf es nicht. 43 Die Nichtbeachtung einer solchen Feststellung durch den Gerichtshof kann jedoch maßgeblich dazu führen, daß ein hinreichend qualifizierter Verstoß vorliegt. 44 Zwar hat sich der Gerichtshof noch nicht zur Möglichkeit einer Staatshaftung für judikatives Unrecht geäußert, es ist jedoch davon auszugehen, daß eine solche ebenfalls möglich ist. 45 Da die Mitgliedstaaten alle Maßnahmen treffen müssen, um die Erreichung der Ziele der Richtlinie zu gewährleisten, kann prinzipiell auch jedes Fehlen einer dazu notwendigen Maßnahme die Haftung auslösen. Insoweit diese Pflicht die Rechtsprechung trifft, kann also auch eine Pflichtverletzung der Judikative die Haftung auslösen. Dementsprechend käme sowohl eine Nichtbeachtung der unmittelbaren Wirkung einer Richtlinie als auch eine nicht richtlinienkonforme Auslegung durch die nationalen Gerichte als haftungsbegründender Verstoß in Betracht. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich auch solche Fälle als nicht hinreichende Umsetzung durch den Mitgliedstaat qualifizieren lassen, wenn eine den Anforderungen der Richtlinie entsprechende nationale Norm entweder völlig fehlt (unmittelbare Wirkung) oder nicht hinreichend klar eine richtlinienkonforme Interpretation ermöglicht. d) Unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und Schaden

Zwischen der hinreichend qualifizierten Rechtsnormverletzung und dem Schaden, der dem Geschädigten entstanden ist, muß zudem ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen. 46 Während die unmittelbare Wirkung von Vorschriften des Vgl. EuGH, Rs. C-392/93, Sig. 1996,1-1631, British Telecommunications, Rn. 43. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 215, Rn.160. 44 EuGH, Verb. Rs. C-178/94, 179/94, und C-188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 28; vgl. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 215, Rn. 160. 45 Vgl. beispielsweise Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 504; Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 288, Rn. 35; So jüngst auch GA Leger in seinen Schlußanträgen v. 8.4.2003 zur Rs. C-224/01 - Köbler. 46 EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48193, Sig. 1996, 1-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 51; Verb. Rs. C-178/94, 179/94, und C-188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Rn. 21 und 23; Rs. C-127/95, Sig. 1998,1-1531, Norbrook Laboratories, Rn. 107; Rs. C-424 1 97, Sig. 2000, 1-5123, Haim, Rn. 36; Rs. C-150/99, Sig. 2001, 1-493, Stockholm Lindöpark, Rn. 37. 42 43

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Gemeinschaftsrechts grundsätzlich weder Voraussetzung der Staatshaftung noch ein diese ausschließendes Kriterium darstellt, fehlt es an der unmittelbaren Kausalität dann, wenn die Behörden eines Mitgliedstaates eine nicht umgesetzte Richtlinie unmittelbar angewendet haben. 47 Dann ist nämlich nicht die Nichtumsetzung kausal für den entstandenen Schaden, sondern gegebenenfalls die falsche unmittelbare Anwendung durch die Verwaltungsbehörden. Eine Staatshaftung kommt in solchen Fällen nur in Betracht, wenn die falsche Anwendung selbst einen hinreichend qualifizierten Verstoß darstellt. Das gleiche muß erst recht gelten, wenn der Rechtsanwender nationales Recht richtlinienkonform auslegen wollte und dabei eine falsche Auslegung der Richtlinie zu Grunde gelegt hat. 48

v. Rechtsfolgen des Anspruchs Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch ist als unmittelbar wirksames Institut vor den nationalen Gerichten durchsetzbar und anzuwenden. 49 Liegen die Voraussetzungen der Haftung vor, so sind die Folgen des verursachten Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts zu beheben. 50 Damit verweist der Gerichtshof nicht allein auf die formellen Voraussetzungen wie das nationale Verfahrensrecht, sondern ebenso auf Haftungsausschlüsse und Beschränkungen, die weiterhin im Grundsatz zulässig sind. 51 Ebenso wie die Gewährung von Rechten aus unmittelbar wirkenden Richtlinien unterliegt auch die nationale Ausgestaltung der Staatshaftung für Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität. 52 Die Regelungen dürfen somit nicht weniger günstig sein als für Ansprüche aus nationalem Recht und sie dürfen die Geltendmachung des Anspruchs nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren. 53 Ausgeschlossen ist damit insbesondere die traditionelle deutsche Privilegierung von legislativem Unrecht. In bundes staatlich organisierten Mitgliedstaaten erfordern die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen jedoch nicht notwendigerweise eine Haftung des Gesamtstaates, solange eine effektive Entschädigung sichergestellt iSt. 54 Für durch die Nichtumsetzung von Richtlinien entstandene Schäden EuGH, Rs. C-319/96, Slg. 1998,1-5255, Brinkmann I, Rn. 29. Vgl. Lutter; JZ 1992, 593 (607); Reich, EuZW 1996,709 (710). 49 von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 215, Rn. 168. 50 EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 74. 51 Vgl. hierzu Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 515 ff. 52 Siehe dazu ausführlicher unten Teil 2, D. 53 EuGH, Verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029, Brasserie und Factortame, Rn. 74. 54 EuGH, Rs. C-302/97, Slg. 1999, I-3099, Konle, Rn. 63. Vgl. auch von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 215, Rn. 165. 47

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C. Staatshaftungsanspruch wegen fehlerhafter Richtlinienumsetzung

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kann auch die rückwirkende, ordnungsgemäße und vollständige Durchführung der Richtlinie als Wiedergutmachung ausreichen. 55 VI. Zusammenfassung

Der gemeinschaftsrechtliche Staatshaftungsanspruch verfolgt zwei Ziele zugleich. Zum einen vermag der Anspruch als ultima ratio dem Rechtsschutz des einzelnen dort zu dienen, wo sich eine richtlinienkonforme Auslegung nationalen Rechts als unmöglich erweist und eine positive unmittelbare Wirkung, sei es z. B. wie im Fall Franeovieh mangels hinreichend präziser Angabe des Anspruchsverpflichteten, sei es weil der Anspruchsgegner ein Privater ist,56 scheitert. In derartigen Fallkonstellationen verweist der EuGH immer wieder auf die Pflicht der Mitgliedstaaten, gegebenenfalls entstandene Schäden zu ersetzen. 57 Zugleich ist aber klar, daß das primäre Ziel die Verwirklichung des in der Richtlinie vorgesehenen Rechts des einzelnen bleibt. Daneben sanktioniert der Staatshaftungsanspruch die Gemeinschaftsrechtsverletzung durch die Mitgliedstaaten. Insbesondere im Hinblick auf die Richtlinienumsetzung entfaltet er einen starken Druck, da allein die verspätete Umsetzung bereits einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß begründet und eine Haftung nur noch durch die richtlinienkonforme Auslegung bestehenden nationalen Rechts, bzw. durch die unmittelbare Anwendung der Richtlinie abgewendet werden kann. Abgesehen von der ursprünglichen Kritik des Schrifttums wegen der angeblichen Überschreitung der Auslegungskompetenz durch den Gerichtshof, ist der Staatshaftungsanspruch mittlerweile als sinnvolles Instrument zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts ganz überwiegend anerkannt. Entscheidend dafür ist letztlich seine Anwendung durch die nationalen Gerichte. Für die Lösung der durch die vom EuGH geforderte Integration in das nationale Staatshaftungsrecht verursachten Probleme ist vor allem die Einhaltung der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität entscheidend, um eine Frustration des hinzugewonnenen Maßes an Rechtsschutz für einzelne zu vermeiden. Auf die genaue Bedeutung der beiden Grundsätze in der Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit Richtlinieneinwirkungen auf die nationale Rechtsprechung, nicht allein im Hinblick auf den Staatshaftungsanspruch, ist daher im folgenden einzugehen.

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EuGH, Verb. Rs. C-94/95 und 95/95, Sig. 1997,1-3969, Bonifaci, Rn. 51. Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. C-91 /92, Sig. 1994,1-3325, Faccini Dori, Rn. 27. Vgl. beispielsweise EuGH, Rs. C-54/96, Sig. 1997,1-4961, Dorsch Consult, Rn. 45.

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Teil2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes I. Überblick Richtlinien vermögen aufgrund von unmittelbarer Wirkung, richtlinienkonformer Auslegung und Staatshaftungsanspruch in vielfacher Weise die materielle Berechtigung von Individuen zu beeinflussen. Diese materiellrechtlichen Auswirkungen im nationalen Rechtsraum blieben wirkungslos, wenn sie nicht durch effektive Rechtsdurchsetzungssysteme abgesichert wären. I Die gemeinschaftsrechtliche Rechtsdurchsetzung für einzelne richtet sich mit Ausnahme der beschränkten Möglichkeit, vor dem Gerichtshof unmittelbar gegen Handeln oder Unter-lassen der Gemeinschaftsinstitutionen zu klagen, nach nationalem Prozeßrecht. Wenn das Ziel einer einheitlichen effektiven Geltung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten nicht aufgegeben werden soll, kann sich auch das nationale Prozeßrecht dessen teilweise harmonisierendem Einfluß nicht entziehen. In Rechtsakten der Gemeinschaft finden sich daher zunehmend Vorschriften über effektive Rechtsschutzmechanismen. 2 Neben dieser legislativen Teilharmonisierung der Rechtsschutzsysteme in der Gemeinschaft steht zudem die judikative Angleichung derselben durch die vom Gerichtshof in den Urteilen Rewe P und Comet4 entwickelten Grundsätze der Gleichwertigkeit und Effektivität nationalen Prozeßrechts, die prinzipiell alle Bereiche des Prozeßrechts zu erfassen geeignet sind. In jüngerer Rechtsprechung hat der Gerichtshof die Anwendung dieser Grundsätze durch eine Art prozessuale" Cassis-Formel"s eingeschränkt. Nationale Prozeßregeln werden danach einer allgemeinen Angemessenheitskontrolle unter Berücksichtigung ihrer Funktion in einem bestimmten Verfahren unterworfen. 6 Während im englischsprachigen Schrifttum eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung des EuGH erfolgt,? dominieren in der deutschen Literatur Überlegungen zu deren generellen Auswirkungen auf das deutsche VerfahrensI Vgl. ausführlich zur Bedeutung des Grundsatzes ubi ius ibi remedium in den europäischen Rechtsordnungen und im Gemeinschaftsrecht Ruffert, CMLRev. 1997,307. 2 Vgl. hierzu Prechal, CMLRev. 1998, 681 (682) sowie Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV I EGV, Art. 249, Rn. 32 jeweils mit einzelnen Nachweisen. 3 EuGH, Rs. 33/76, Sig. 1976,1989, Rewe. 4 EuGH, Rs. 45/76, Sig. 1976, 2043, Comet. 5 So Prechal, CMLRev. 1998,681 (691). 6 EuGH, Rs. C-312/93, Sig. 1995, 1-4599, Peterbroek, Rn. 14 für den Grundsatz der Effektivität; EuGH, Rs. C-326/96, Sig. 1998,1-7835, Levez, Rn. 44 für den Grundsatz der Äquivalenz. Vgl. dazu ausführlich unten IV. 7 Siehe beispielsweise Biondi, CMLRev. 1999, 1271; Curtin, Decentralised Enforcement; Van Gerven, CMLRev. 1995,679; Hoskins, ELRev. 1996,365; Prechal, Directives, 148 ff.; dies., CMLRev. 1998, 681; Smith, Remedies; Tridimas, General Principles, 276 ff.; Ward, ludicial Review, 30 ff. Zu weiteren Literatumachweisen aus dem ausländischen Schrifttum vgl. Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 33.

D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes

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und Prozeßrecht. 8 Der Gesamtkonzeption der vorliegenden Arbeit entsprechend nehmen die folgenden Ausführungen die Frage aus der Perspektive der Rechtsprechung des Gerichtshofs ins Visier, um damit die Dogmatik der Richtlinieneinwirkungen auf die nationale Rechtsprechung zu vervollständigen, auch wenn die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität nicht allein die Durchsetzung richtlinienrechtlich begründeter Rechtspositionen betreffen. 11. Grundsatz der verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten

Weder enthält der EGV allgemeine Regeln für die nationalen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, noch hat die EG eine generelle Kompetenz zur Regelung des nationalen Prozeßrechts. Daran hat sich auch durch die Einfügung von Art. 65 EGV nichts wesentliches geändert. Dessen Anwendungsbereich ist zum einen auf zivilprozessuale Kooperation beschränkt, zum anderen erfaßt er allein grenzüberschreitende Sachverhalte und betrifft von daher lediglich das Internationale Privatrecht einschließlich des Internationalen Zivilprozeßrechts. 9 In gemeinschaftlichem Sekundärrecht begründete Rechtspositionen überwinden aber häufig den Vorbehalt der Grenzüberschreitung und schaffen subjektive Rechtspositionen, die auch einer Inländerdiskrimierung entgegenstehen. Ungeachtet dieses Mangels resultiert aus Art. 10 EGV die Aufgabe der nationalen Gerichte, dem Bürger den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für diesen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt. 10 Dem Gerichtshof zufolge, ,,[sind] [n]ach ständiger Rechtsprechung [... ] mangels einer gemeinschaftlichen Regelung auf diesem Gebiet die Bestimmung der zuständigen Gerichte und die Ausgestaltung des Verfahrens für die Klagen, die den Schutz der dem Bürger aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten.,,11

Diese Durchführungsregeln können die Mitgliedstaaten grundsätzlich autonom festlegen. 12 Allerdings kommt der Gemeinschaft eine Kompetenz zur legislativen 8 Burgi, Verwaltungsprozeß; Ehlers, Europäisierung; Huber, BayVBI. 2001, 577; Koch, EuZW 1995, 78; Kokott, Die Verwaltung 1998, 335; Ruthig, BayVBI. 1997, 289. Hingegen ausführlicher zur Rechtsprechung des Gerichtshofs Gundei, NVwZ 1998, 910; Kamann, Europablätter 2000, 87. 9 Vgl. hierzu Wiedmann, in: Schwarze, EUV 1 EGV, Art. 65, Rn. 8 ff. 10 EuGH, Rs. 33176, Sig. 1976, 1989, Rewe, Rn. 5; Rs. 45176, Sig. 1976,2043, Comet, Rn. 13. 11 EuGH, Rs. C-78/98, Sig. 2000,1-3201, Preston, Rn. 31. Vgl. dazu ebenfalls EuGH, Rs. 33176, Sig. 1976, 1989, Rewe, Rn. 5 f.; Rs. 45176, Sig. 1976,2043, Comet, Rn. 13; Rs. C410/92, Sig. 1994,1-5483; Johnson, Rn. 21, Rs. C-312/93, Sig. 1995,1-4599, Peterbroek, Rn. 12; Rs. C-246/96, Sig. 1997, 1-7153, Magorrian, Rn. 37; Rs. C-326/96, Sig. 1998,17835, Levez, Rn. 18; Rs. C-120/97, Slg, 1999,1-223, Upjohn, Rn. 31. 12 Kamann, Europablätter 2000, 87 (88).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

Rechtsangleichung aus den Art. 94 bis 97 EGV und Art. 308 EGV insoweit zu, als die Unterschiede in den nationalen Rechts- und Verwaltungsvorschriften das Funktionieren des gemeinsamen Marktes zu behindern geeignet sind oder Verzerrungen hervorrufen. 13 Die Befugnis zur judikativen Einwirkung auf das nationale Verfahrensrecht leitet sich daneben aus Art. 10 EGV ab. 14 Die nationale Verfahrens- und Prozeßautonomie steht somit nicht losgelöst von der Gemeinschaftsrechtsordnung, sondern unterliegt prinzipiell den gleichen Einwirkungsmechanismen wie nationale materiellrechtliche Vorschriften, also insbesondere dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts. 15 III. Grundsatz der Gleichwertigkeit

Der Grundsatz der Prozeßautonomie der Mitgliedstaaten wird durch ein Diskriminierungsverbot eingeschränkt. Danach ,,[dürfen] die betreffenden Modalitäten [... ] jedoch nicht ungünstiger sein als für gleichartige Klagen, die das innerstaatliche Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit)". 16

Probleme bereitet dabei im einzelnen die Feststellung einer ungünstigeren Regelung sowie das Auffinden einer gleichartigen Klage. l ? Grundsätzlich erfordert der Äquivalenzgrundsatz die unterschiedslose Anwendung von Verfahrensregeln auf Klagen, die sich auf Gemeinschaftsrecht stützen, wie auf solche, die sich nach nationalem Recht beurteilen und einen ähnlichen Gegenstand oder Rechtsgrund haben. 18 Dabei dürfen allerdings nicht die nationalen Rechtsvorschriften herangezogen werden, die selber der Erfüllung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen dienen. 19 Mit dem immer weiteren Ausgreifen des Gemeinschaftsrechts wird es daher zunehmend schwieriger, vergleichbare Rechtsbehelfe zu finden, die sich ausschließlich auf nationales Recht stützen?O Das Gleichbehandlungsgebot verlangt zudem nicht, daß von verschiedenen unterschiedslos anwendbaren Verfahrensregeln die jeweils günstigste auf alle Konstellationen zu erstrecken ist, in denen ein Rechtsbehelf auf Gemeinschaftsrecht gestützt iSt. 21 So sind unterschiedliche Ver13 EuGH, Rs. 33/76, Sig. 1976, 1989, Rewe, Rn. 5 [In der deutschen Sammlung findet sich hier ein Druckfehler, da auf Art. 135 EWGVanstelie von Art. 235 EWGV verwiesen wird]. 14 Vgl. Ruffert, in: Calliess I Ruffert (Hi"sg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 33. 15 Kamann, Europablätter 2000, 87 (88). 16 EuGH, Rs. 33/76, Sig. 1976, 1989, Rewe, Rn. 5. 17 Tridimas, General Principles, 280. 18 EuGH, Rs. C-326/96, Sig. 1998,1-7835, Levez, Rn. 41; Rs. C-78/98, Sig. 2000, 13201, Preston, Rn. 55. 19 EuGH, Rs. C-326/96, Sig. 1998,1-7835, Levez, Rn. 47 f. 20 Vgl. hierzu insbesondere EuGH, Rs. C-326/96, Sig. 1998,1-7835, Levez, Rn. 44 ff. 21 EuGH, Rs. C-231196, Sig. 1998, 1-4951, Rn. 36; Rs. C-260/96, Sig. 1998, 1-4997, Rn. 20; Rs. C-88/99, Sig. 2000, 1-10465, Roquette Freres, Rn. 29.

D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes

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jährungsfristen für Ansprüche gegen den Staat und gegen Private zulässig, solange es für den jeweiligen Anspruch unerheblich ist, ob die Anspruchsgrundlage im nationalen Recht oder im Gemeinschaftsrecht zu suchen ist. 22 Die Beurteilung der Gleichheit der Verfahrensmodalitäten obliegt zuvörderst den nationalen Gerichten, da es dem Gerichtshof an detaillierten Kenntnissen der einzelnen nationalen Verfahrensrechte fehlt. 23 Diese haben dabei die Stellung der Vorschrift im gesamten Verfahren, den Verfahrens ablauf und die Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu berücksichtigen,z4 Dies gilt vor allem für alle Aspekte, die für die Qualität der Rechtsdurchsetzung erheblich sein können, wie z. B. Kosten, Verfahrensdauer und ähnliches. 25 Sofern der EuGH eine hinreichende Kenntnis zur Beurteilung der unterschiedlichen Regelungen zu haben glaubt, trifft er diese Feststellung jedoch auch selbst. 26

IV. Grundsatz der Effektivität Auch unterschiedslos geltende Verfahrensvorschriften sind dann unanwendbar, wenn sie dazu führen, daß die Verfolgung der gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechte praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert wird. 27 Der Grundsatz der Effektivität stellt sich damit als Ausprägung eines umfassenderen gemeinschaftsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz dar, wie er sich insbesondere aus Art. 6 und Art. 13 EMRK sowie aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten ergibt28 und nunmehr in der Grundrechtecharta der EU genannt wird,z9 Während der Grundsatz der Gleichwertigkeit sich als besondere Ausprägung des allgemeinen Diskrimierungsverbots30 vergleichsweise leicht anwenden läßt, ist dies im Hinblick auf den Grundsatz der Effektivität ungleich schwieriger. Zu Beginn wurde der EuGH dahingehend verstanden, daß das Gemeinschaftsrecht nur eine Mindesteffektivität erfordere. 3 ! In den ersten Urteilen zu nationalen VerfahEuGH, Rs. C-228 196, Sig. 1998,1-7141, Aprile, Rn. 21. EuGH, Rs. C-261195, Slg. 1997,1-4025, Palrnisani, Rn. 33; Rs. C-326/96, Slg. 1998, 1-7835, Levez, Rn. 39. 24 EuGH, Rs. C-78/98, Sig. 2000,1-3201, Preston, Rn. 61. 25 EuGH, Rs. C-326/96, Slg. 1998,1-7835, Levez, Rn. 50 f. 26 Vgl. Z. B. EuGH, Rs. C-228/96, Sig. 1998,1-7141, Aprile, Rn. 27 ff. 27 EuGH, Rs. 33176, Slg. 1976,1989, Rewe, Rn. 5 f.; Rs. 45176, Slg. 1976,2043, Cornet, Rn. 13; Rs. C-410/92, Slg. 1994,1-5483, Johnson, Rn. 21; Rs. C-312/93, Slg. 1995,1-4599, Peterbroek, Rn. 12; Rs. C-246/96, Slg. 1997,1-7153, Magorrian, Rn. 37; Rs. C-326/96, Sig. 1998,1-7835, Levez, Rn. 18; Rs. C-120/97, Slg, 1999,1-223, Upjohn, Rn. 31. 28 Vgl. hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 27; Tridimas, General Principles, 276 f. 29 Vgl. insbesondere Kapitel VI - Justitielle Rechte, Art. 47 Grundrechtecharta. 30 Koch, EuZW 1995,78 (81). 31 Tridimas, General Principles, 279 f. 22 23

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

rensregeln hatte der Gerichtshof lediglich festgestellt, daß diese die Verfolgung der gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechte nicht praktisch unmöglich machen dürften?2 In späteren Urteilen wurde diese Maxime dahingehend erweitert, daß die Rechtsdurchsetzung durch die Verfahrensmodalitäten nicht übermäßig erschwert werden dürfe. 33 Die in einem zu weiten Verständnis des Grundsatzes liegende Gefahr, jede der Rechtssicherheit dienende Verfahrensvorschrift als Beschränkung zu sehen, trat im Verfahren Emmott34 offen zu Tage, in dem der EuGH entschied, daß nationale Rechtsmittelfristen in Fällen unzureichender Richtlinienumsetzung erst zu laufen beginnen, wenn die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt worden ist. 35 Er begründete dies damit, daß die einzelnen vorher keine hinreichende Kenntnis von ihren Rechten erlangen könnten, und zwar auch dann nicht, wenn der Gerichtshof bereits in einem vorherigen Verfahren die unmittelbare Wirkung der betreffenden Richtlinienvorschriften festgestellt habe. 36 Die damit verbundene vollständige Aushebelung nationaler Rechtsbehelfsfristen läßt sich allerdings mit dem Gebot der Rechtssicherheit, welches der EuGH selber anerkennt, nicht in Einklang bringen,37 auch wenn die Grenzen der Integrationsermächtigung des GG wohl mit dieser Entscheidung nicht überschritten worden sind, wie teilweise behauptet. 38 Inzwischen hat der Gerichtshof diese Entscheidung aber relativiert und auf die besondere Sachverhaltskonstellation beschränkt. 39 In den Urteilen Van SchijndeZ40 und Peterbroek41 wurde sodann eine Vernünftigkeitsprüfung für Verfahrensmodalitäten eingeführt. Dieser zufolge "ist jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Gemeinschaftsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens.'.42

Letztlich kommt es also zu einer Gesamtabwägung zwischen dem Effektivitätsinteresse und der nationalen Verfahrensregel, bei der für letztere spricht, wenn das 32 EuGH, Rs. 33/76, Sig. 1976,1989, Rewe, Rn. 5; Rs. 45/76, Sig. 1976,2043, Comet, Rn. 13. 33 Erstmalig in EuGH, Rs. 199/82, Sig. 1983,3595, San Giorgio, Rn. 14. 34 EuGH, Rs. C-208/90, Sig. 1991,1-4269, Emmott. 35 EuGH, Rs. C-208/90, Sig. 1991,1-4269, Emmott, Rn. 23. 36 EuGH, Rs. C-208/90, Sig. 1991,1-4269, Emmott, Rn. 21 f. 37 Gundei, NVwZ 1998,910 (913). 38 So Stadie, NVwZ 1994,435. 39 Vgl. Gundei, EuZW 1998,910 (913 ff.); Kamann, Europablätter 2000,87 (88). 40 EuGH, Verb. Rs. C-430 und 431 193, Sig. 1995,1-4705, Van Schijndel. 41 EuGH, Rs. C-312/93, Sig. 1995,1-4599, Peterbroek. 42 EuGH, Rs. C-312/93, Sig. 1995,1-4599, Peterbroek, Rn. 14; Verb. Rs. C-430 und 431 1 93, Sig. 1995,1-4705, Van Schijndel, Rn. 19.

D. Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes

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Gemeinschaftsrecht den sie tragenden Grundsatz selbst anerkennt, und ähnliche Vorschriften in anderen Mitgliedstaaten existieren. 43 Danach sind Ausschlußfristen für die Einlegung von Rechtsmitteln grundsätzlich ebenso zulässig wie materielle Präklusionsvorschriften. 44 Auch erfordert der Effektivitätsgrundsatz nicht in jedem Fall, daß das Gemeinschaftsrecht von Amts wegen berücksichtigt wird, wenn das Gericht dadurch seine grundsätzlich neutrale Stellung im Verfahren aufgeben müßte. 45 Auch eine Beschränkung der rückwirkenden Leistungsgewährung in Erfüllung gemeinschaftsrechtlicher Ansprüche ist grundsätzlich zulässig, allerdings nur insoweit dies die Rechtsfolgenseite betrifft, es also um eine Beschränkung der Gewähr von Leistungen geht, auf die in der Vergangenheit ein gemeinschaftsrechtlicher Anspruch bestand. 46 Sofern es hingegen um die rückwirkende Berücksichtigung von Sachverhalten auf der Tatbestandsseite für die zukünftige Gewährung von Leistungen geht, kommt eine Beschränkung nicht in Betracht. 47 Ebenso wenig kann z. B. die Rückgewähr gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Gebühren auf diejenigen beschränkt werden, die bereits vor der, diese Gebühren für gemeinschaftsrechtswidrig erklärenden Entscheidung des Gerichtshofs Klage auf Rückerstattung erhoben hatten. 48

v. Zusammenfassung Die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität stellen in der Richtliniendogmatik das notwendige prozessuale Begleitelement zu den materiellrechtlichen Einwirkungen von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung dar, für deren (Fort-)Entwicklung der Gerichtshof kompetent ist. Sie dienen der Lösung indirekter Kollisionen zwischen Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht. 49 Zugelassen sind danach grundsätzlich nur unterschiedslos anwendbare Verfahrensregeln, die Ausdruck eines rechtsstaatlichen Grundsatzes des nationalen Prozeßrechts sind, der als allgemeiner Rechtsgrundsatz selbst Teil der Gemeinschaftsrechtsordnung ist. Zulässig sind insbesondere Fristen, die dazu dienen, Rechtssicherheit zu schaffen bzw. die rückwirkenden Folgen der Geltendmachung von gemeinschaftsrechtlich begründeten Rechtspositionen zu beschränken. Sofern die bisherige Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts hingegen für die Zukunft geheilt werden kann, indem rückwirkend das Vorliegen dazu notwendiger Tatbestandsvoraussetzungen in Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht bejaht wird, so kann diese Berücksichtigung nicht durch nationale Vorschriften beschränkt werden. 43 44 45

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Vgl. zu diesen Überlegungen Koch, EuZW 1995,78 (80 ff.). EuGH, Rs. C-312/93, Sig. 1995,1-4599, Peterbroek, Rn. 16. EuGH, Verb. Rs. C-430 und 431 193, Sig. 1995,1-4705, Van Schijnde!, Rn. 22. EuGH, Rs. C-338/91, Sig. 1993,1-5475, Steenhorst-Neerings, Rn. 21 ff. EuGH, Rs. C-246/96, Sig. 1997,1-7153, Magorrian, Rn. 42 ff. EuGH, Rs. 309/85, Sig. 1988,355, Barra, Rn. 15. Vgl. hierzu Niedobitek, VerwA 2001,58 (74 ff.).

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Teil 2: Einwirkung von Richtlinien auf die nationale Rechtsprechung

E. Zwischenergebnis Auch wenn im Grundsatz Richtlinien lediglich die Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung verpflichten, können sie umfassende Folgen für die nationale Rechtsordnung begründen, die sich in der nationalen Rechtsprechung niederschlagen. Das gesamte nationale Recht ist soweit wie möglich richtlinienkonform auszulegen. Ein abweichender gesetzgeberischer Wille ist dabei nur insoweit beachtlich, als Richtlinien selber einen entsprechenden Gestaltungsspielraum gewähren. Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung hat dann zu erfolgen, wenn eine solche nach nationalem Methodenverständnis zulässig wäre, wobei die maßgeblichen Aspekte jedoch teilweise, wenn auch nicht vollständig, aus Richtlinien gewonnen werden können. Dabei kann insbesondere eine reduzierende richtlinienkonforme Auslegung dazu dienen, einen Verstoß nationalen Rechts gegen eine Richtlinienvorschrift zu vermeiden. Richtlinienwidriges nationales Recht ist von den Gerichten in vertikalen wie horizontalen Konstellationen nicht anzuwenden. Zu Gunsten einzelner müssen hinreichend konkrete Richtlinienbestimmungen unmittelbar angewendet werden. Zu beidem ist der nationale Richter von Amts wegen verpflichtet, wenn er zwingendes nationales Recht von Amts wegen aufgreifen könnte. Sofern die Verwirklichung der Richtlinienziele im Wege des Primärrechtsschutzes durch richtlinienkonforme Auslegung oder unmittelbare Wirkung nicht zu erreichen ist, hat der Staat dem einzelnen den durch die Nichtumsetzung entstandenen Schaden zu ersetzen. Sowohl für die Gewährung des Primär- wie des Sekundärrechtsschutzes sind die nationalen Verfahrensvorschriften anwendbar, soweit diese nicht ungünstiger sind als für die sich aus nationalem Recht ergebenden Ansprüche und soweit sie die Rechtsverfolgung nicht übermäßig erschweren oder praktisch unmöglich machen. Das ist bei Verfahrensregeln, die allgemeinen rechtsstaatlichen Erfordernissen Rechnung tragen, jedoch regelmäßig nicht der Fall. Der Gerichtshof verfolgt mit seiner Rechtsprechung drei Ziele. Zum einen soll der Rechtsschutz des einzelnen gestärkt, zum anderen durch die dezentrale Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts dessen Effizienz gesteigert und zugleich dessen Mißachtung durch die Mitgliedstaaten sanktioniert werden. I Die Rechtsprechung versucht damit einen umfassenden Konformitätsanspruch von Richtlinien gegenüber nationalem Recht durchzusetzen. Einschränkungen dieser Ziele läßt der Gerichtshof nur dort zu, wo sie aus Überlegungen resultieren, die dem Gemeinschaftsrecht selber entnommen werden können, insbesondere den allgemeinen Rechtsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts. Diese Herangehensweise entspricht der Vorstellung des Gemeinschaftsrechts als einer eigenen Rechtsordnung, die über ihre vorrangigen Wirkungen in den nationalen Rechtsordnungen selbständig entscheidet und sich ihre Wirkungsbeschränkungen daher selbst auferlegen muß.

1 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 21 spricht insoweit zurecht von einer "funktionalen Subjektivierung".

E. Zwischenergebnis

189

Mit Ausnahme der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung entfallen materielle Berechtigungen aus Richtlinien dann, wenn diese ordnungsgemäß umgesetzt worden sind. Während die Wirkungen, deren Voraussetzung ein Umsetzungsmangel ist, logisch nicht zu dessen Entfallen führen können, ist dies im Hinblick auf die richtlinienkonforme Auslegung denkbar. Im folgenden dritten Teil wird der Blick daher nun auf das Verhältnis von Richtlinieneinwirkungen auf die nationale Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine hinreichende Umsetzung gerichtet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der "Richtlinienumsetzung durch Richterrecht".

Teil 3

Richtlinienumsetzung durch Richterrecht Richtlinien der EG legen Ziele fest, deren Erreichung den Mitgliedstaaten verbindlich vorgeschrieben ist. Die Mitgliedstaaten haben aufgrund des Umsetzungsbefehls, der sich im Kern aus Art. 249 Abs. 3 EGVergibt l und der durch die Richtlinie insbesondere hinsichtlich der Umsetzungsfrist konkretisiert wird, das Umsetzungsprogramm2 der Richtlinie in die innerstaatliche Rechtsordnung einzufügen? Wesens element der Richtlinie ist allerdings, daß sie zumindest dem Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV nach den innerstaatlichen Stellen die Wahl hinsichtlich Form und Mitteln der Umsetzung überläßt. Die dadurch geschaffene Möglichkeit, den inhaltlichen Anforderungen einer Richtlinie in einer mit dem System des nationalen Rechts vereinbaren Weise gerecht zu werden, impliziert die Möglichkeit der Abweichung von Text und Regelungsstruktur von Richtlinien. Richtigerweise hat der EuGH daher wiederholt betont, daß Richtlinien nicht notwendigerweise einer wörtlichen Übertragung in das nationale Recht bedürfen. Solange die Ziele der Richtlinie erreicht werden, kann bisweilen auch ein allgemeiner Regelungsrahmen genügen. 4 Teil der nationalen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten sind in unterschiedlichem Umfang auch richterrechtliche E1emente. 5 Sofern das Postulat der Systemkonformität bei der Umsetzung also ernst genommen wird, kann hieraus theoretisch auch eine Umsetzung durch richterrechtliche Sätze resultieren. Dies ist grundsätzlich in drei Konstellationen denkbar. Zum einen kann die Rechtslage in einem Mitgliedstaat aufgrund Richterrechts bereits richtlinienkonform sein. Sofern eine Materie zwar richterrechtlich geprägt, in ihren konkreten Ergebnissen aber nicht richtlinienkonform ist, mag sich dieser Mangel durch eine richtlinienkonforme Fortbildung des Richterrechts beseitigen lassen. 6 Zudem ist denkbar, daß die nationale Zur Rechtsgrundlage des Umsetzungsbefehls siehe oben Teil 2, B., III., 2. Zur Unterscheidung zwischen Umsetzungsbefehl und Umsetzungsprogramm siehe Scherzberg, Jura 1992,525. 3 Siehe überblicksartig zur Umsetzungspflicht Bleckmann, Europarecht, Rn. 441 ff.; Oppermann, Europarecht, Rn. 550 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 388 ff. 4 Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 51 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. Dazu im einzelnen unten Teil 3, C. 5 Vgl. Grasmann, in: David/Grasmann (Hrsg.), Rechtssysteme, 195 ff.; Ohly, AcP 2001, I

2

1 (2). 6

Ebenso Staudinger; WM 1999, 1546 (1547).

A. Begriff, Bedeutung und Änderbarkeit von Richterrecht

191

Legislative Maßnahmen zur Umsetzung von Richtlinien erläßt, in denen unbestimmte Rechtsbegriffe oder Generalklause1n enthalten sind, und die daher einer richterrechtlichen Konkretisierung oder Modifizierung bedürfen, um den Anforderungen der Richtlinie gerecht zu werden. In diesem Zusammenhang sind zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Eine Richtlinienumsetzung durch Richterrecht ist zum einen nur möglich, wenn die Rechtsprechung in der Lage ist, mit Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonformes Richterrecht bereitzustellen.? Zugleich muß dieses Richterrecht den allgemeinen Anforderungen an eine hinreichende Richtlinienumsetzung entsprechen. 8 Im Fall bereits bestehenden richtlinienkonformen Richterrechts wirft die erste Fragestellung keine besonderen Probleme auf. Das gleiche gilt auch für den Fall der Umsetzung durch den Gesetzgeber unter Verwendung von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen, solange diese selbst rechtzeitig erfolgt. Sofern der Gesetzgeber nämlich Umsetzungsmaßnahmen erlassen hat, sind die nationalen Gerichte auch gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, diese bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonform auszulegen. 9 Eine solche Pflicht besteht hingegen nicht im Fall der gesetzgeberischen Untätigkeit. 1o Hier ist zu fragen, ob die Gerichte bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonformes Richterrecht schaffen dürfen.

A. Begriff, Bedeutung und Änderbarkeit von Richterrecht in der deutschen Methodenlehre I. Richterrecht und Präjudizienbindung

Obgleich das deutsche Recht weitreichend kodifiziert ist, finden sich in erheblichem Umfang richterrechtliche Elemente in allen Rechtsgebieten. 1 Der alleinige Blick ins Gesetz ist für das Erkennen der genauen Rechtslage in aller Regel heutzutage nicht ausreichend. Gerade im Randbereich des Normwortlauts bedarf es zusätzlich der Kenntnis der einschlägigen Entscheidungen der Rechtsprechung, um Siehe dazu unten Teil 3, B. Siehe dazu unten Teil 3, c., I., 1. 9 Siehe oben Teil 2, B., IV., 1., b), bb), (1). 10 Siehe oben Teil 2, B., IV., 1., b), bb), (2) und (3). I In der vorliegenden Arbeit ist es naturgemäß nicht möglich, die Vielzahl von Arbeiten zur allgemeinen Problematik der Richterrechts auch nur ansatzweise vollständig zu berücksichtigen. Es wird daher lediglich der Versuch unternommen, den der h.M. und Rechtspraxis am nächsten kommenden Stand darzustellen, da nur auf einer Basis, die sich an den Wirklichkeiten der juristischen Praxis in unserem Rechtssystem orientiert, eine für die Ausgangsfragestellung der vorliegenden Arbeit sinnvolle Antwort zu finden ist. Zur vertieften Auseinandersetzung sei daher hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf Langenbucher; Richterrecht; Ogorek, Richterkönig; Ossenbühl, Richterrecht sowie lpsen, Richterrecht verwiesen. Siehe zudem die umfangreichen Literaturnachweise bei Ossenbühl, HdBStR, Bd. III, § 61, Rn. 35, Fn. 72. 7

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192

Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

zu erkennen, was rechtens ist. Der Gerichtspraxis kommt damit auch in kodifikationsgeprägten Rechtsordnungen erhebliche praktische Bedeutung zu? Soweit es sich hierbei lediglich um die Feinkonturierung von Tatbestandsmerkmalen handelt, ist dies methodisch ohne Schwierigkeiten als klassische Auslegung und ureigene Aufgabe der Rechtsprechung zu bewerten. Im Zusammenhang mit dem Begriff des Richterrechts geht es hingegen im Kern um die Frage nach der Rechtsqualität der von den Gerichten, insbesondere den höchstinstanzlichen, gebildeten Rechtssätze, die methodisch eine Rechtsfortbildung darstellen oder bei denen es sich um die Konkretisierung von Generalklauseln oder unbestimmten Rechtsbegriffen handelt. 3 Konkrete Auswirkungen entfaltet ihre Beantwortung im Hinblick auf die Bindungskraft von Präjudizien. Während diesen einer Mindermeinung zufolge gewohnheitsrechtlicher Charakter und damit gesetzesgleiche Bindungskraft zukommen soll,4 lehnt die herrschende Auffassung eine solche gesetzesgleiche Bindung ab. 5 Danach ist "Richterrecht" nicht Rechtsquelle 6 sondern allein Rechtserkenntnisquelle. 7 Bindungskraft entfaltet allein das Gesetz, für dessen richtige Auslegung Präjudizien lediglich einen Hinweis geben. Blind übernehmen darf sie der Richter deswegen nicht. 8 Zumindest eine starke faktische Bindungswirkung entfaltet eine höchstrichterliche, insbesondere eine ständige Rechtsprechung aber dennoch, zumindest wenn sie nicht fundiert bestritten wird. 9 Der Rechtsverkehr stellt sich im übrigen auf eine solche ein und ihre Kontinuität ist daher aus Gründen der Rechtssicherheit und der Gleichheit ein nicht gering zu schätzender Wert eines Rechtsstaats. 10 Der Richter wird daher von seiner Überprüfungspflicht hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit von Präjudizien nicht entbunden. Allerdings darf er eine Rechtsfrage auch nicht allein deshalb anders entscheiden, weil eine andere Auffassung methodisch richtig ebenfalls vertretbar ist (non liquet-Situation)ll Nach einer im Vordringen befindlichen Auffassung beVgl. Bydlinski, JZ 1985, 149 (150); Larenz, Methodenlehre, 429. Vgl. zu der Begrifflichkeit oben Teil 2, B., 11., 1., a). Ebenso weit versteht den Begriff des Richterrechts auch Langenbucher, Richterrecht, 3 (Fn. 1). 4 Vgl. dazu Bydlinski, Methodenlehre, 502 mit Nachweisen zu dieser Position. S Bydlinski, Methodenlehre, 503; Larenz, Methodenlehre, 430. 6 V gl. allerdings § 31 BVerfOO, der die Bindungswirkung von Urteilen des BVerfO regelt. 7 Buchner, OS Dietz, 175 (180); Bydlinski, Methodenlehre, 504; Larenz, Methodenlehre, 432; ders. FS Schima, 247 (262). Für die maßgebliche Frage, ob eine ständige Rechtsprechung änderbar ist, gibt die Unterscheidung ohnehin nichts her, vgl. dazu Olzen, JZ 1985, 155 (159) mit Nachweisen aus der Literatur. 8 Larenz, Methodenlehre, 430. 9 Vgl. dazu Bydlinski, Methodenlehre, 501 ff.; Larenz, FS Schima, 247; dens., Methodenlehre, 429 ff. 10 Vgl. Ohly, AcP 2001,1 (18 f.). 11 Bydlinski, Methodenlehre, 506 will in einer derartigen Situation den Richter auch rechtlich an das Präjudiz gebunden sehen. Larenz, Methodenlehre, 432 f. lehnt eine solche Bindung als unnötig und unpraktisch ab. Im Ergebnis gehen beide davon aus, daß ein Richter nur in begründeten Fällen von höchstrichterlichen Präjudizien abweichen soll. 2

3

A. Begriff, Bedeutung und Änderbarkeit von Richterrecht

193

darf es daher für ein Abweichen von einer ständigen Rechtsprechung vielmehr des Nachweises, daß diese sich jetzt als falsch erweist, ungeachtet der Frage, ob sie aufgrund einer Änderung im rechtlichen und tatsächlichen Normumfeld falsch geworden ist oder von Beginn an falsch war (Präjudizienvermutung).12 Der dafür notwendige Begründungsaufwand wird naturgemäß immer höher, je verfestigter eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsprechung istY Eine Änderung oder ein Abweichen scheiden aber erst dann völlig aus, wenn aus einer ständigen Rechtsprechung Gewohnheitsrecht geworden ist, wofür die allgemeinen Voraussetzungen dessen Entstehens gelten. 14 11. Das Rückwirkungsproblem

Will die Rechtsprechung eine überkommene Judikatur aufgeben, so bedarf sie dafür eines konkreten zu entscheidenden Streitfalls, in dem sich die betroffene Frage stellt. Abstrakte Ausführungen zu nicht-relevanten Rechtsfragen sind ihr aufgrund ihrer funktionellen Beschränkung versagt. 15 Es kann daher grundsätzlich zu einer "Rückwirkung" von Rechtsprechungsänderungen kommen, wenn in der Vergangenheit liegende Sachverhalte nach der gegenwärtigen Rechts- oder Wertauffassung beurteilt werden, die sich von der zurückliegenden unterscheidet 16 Die Zulässigkeit einer solchen richterrechtlichen Rückwirkung wird in jüngerem Schrifttum vermehrt problematisiert. 17 Vielfach sind diese Rückwirkungen allerdings bereits materiellrechtlich beschränkt oder lassen sich durch besondere Rechtsinstitute zumindest im Zivilrecht abmildem. 18 Darüber hinaus wird die Lösung weitestgehend in einer Übertragung der Maßstäbe für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze auf rückwirkende Rechtsprechungsänderungen gesucht. 19 Danach sind echte Rückwirkungen grundsätzlich ausgeschlossen, unechte hingegen im Regelfall zulässig,zo Letztlich geht es darum, schutzwürdiges Vertrauen auf das Fortbestehen einer bestimmten Rechtsprechung bei der Entscheidung über eine 12 Vgl. Alexy, Theorie, 339; Esser, Vorverständnis, 184; Kriele, Theorie, 245 ff.; Ohly, AcP 2001, 1 (21 f.); Picker, JZ 1988, 62 (73); Scho/z, DB 1972, 1771 (1778). 13 Coing, JuS 1975,277 (280). Vgl. dazu auch Ohly, AcP 2001,1 (32). 14 Larenz, Methodenlehre, 433. 15 Picker, JZ 1984, 153 (154). 16 Vgl. hierzu Lieb, FS Gaul, 381 (384); Medicus, NJW 1995,2577. 17 Siehe beispielsweise Arndt, Probleme, passim; Buchner, GS Dietz, 175; Grunsky. Grenzen, passim; Lieb, FS Gaul, 381; Medicus, NJW 1995,2577; Weber, WM 1996,49; jeweils mit ausführlichen Nachweisen und Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung. 18 Vgl. hierzu Medicus, NJW 1995,2577 ff. 19 Vgl. Medicus, NJW 1995,2577 (2582). 20 Zur Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung vgl. Sachs, in: Sachs (Hrsg.), GG, Art. 20, Rn. 133 ff.; Schnapp, in: von Münch/Kunig (Hrsg.), Grundgesetzkommentar, Bd. 2, Art. 20, Rn. 31.

13 Herrmann

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Rechtsprechungsänderung zu berücksichtigen. 21 Dafür bedarf es einer Interessenabwägung im Einzelfall. Besondere Bedeutung kommt damit jeweils der Frage zu, inwieweit durch eine Rechtsprechungsänderung rückwirkend in aus Vertrauensschutzgesichtspunkten schützenwerte Rechtspositionen eingegriffen würde. Fehlt es an einem schützenswerten Vertrauen oder bedeutet die Rechtsprechungsänderung ohnehin keinen Eingriff in Rechtspositionen, unterliegt die Rückwirkung entsprechend geringeren Beschränkungen. Für die Anerkennung des Vertrauens in ein Fortbestehen der Rechtsprechung kann auf die gleichen Kriterien zurückgegriffen werden, wie sie bei der Frage der Rückwirkung von Gesetzen angewendet werden. Danach ist das Vertrauen dann ausgeschlossen, wenn mit einer Änderung zu rechnen war, die bisherige Rechtslage unklar oder verworren war, die bisherige Rechtsprechung eine unzulässige Rechtsfortbildung darstellte, oder zwingende Gründe des allgemeinen Wohls die Änderung rechtfertigen?Z Sofern schützenswertes Vertrauen im Einzelfall besteht, kann eine Rechtsprechungsänderung richtigerweise nur mit Wirkung für die Zukunft vorgenommen werden?3 Im Idealfall wird eine Rechtsprechungsänderung in einem Fall vollzogen, in dem sie selber keine Wirkung entfalten kann, weil das Ergebnis auch unter Zugrundelegung der neuen Rechtsprechung unverändert bleibt oder sie wird in einem obiter dictum angekündigt. z4 Die Gerichte müssen sich nämlich nicht völlig auf die letztlich entscheidungserheblichen Überlegungen beschränken, sondern können durchaus für die Sachverhaltskonstellation als solche relevante Überlegungen äußern, auch wenn diese im konkreten Fall nicht zum Tragen kommen. z5 Sie können daher in geeigneten Fällen darauf hinweisen, daß eine bestimmte Frage in Zukunft anders zu bewerten sein wird und damit eine Rechtsprechungsänderung ankündigen. z6 Ein generelle Pflicht zu einer solchen Ankündigung besteht allerdings nicht, wenn eine Rechtsprechung sich aufgrund geänderter rechtlicher oder tatsächlicher Verhältnisse als falsch erweist. 27

21

434.

Buchner; GS Dietz, 175 (179 ff.); Köhler; IR 1984,45 (47); Larenz, Methodenlehre,

22 Vgl. zu diesen Kriterien mutatis mutandis BVerfGE 13,261 (272); 3D, 367 (387 ff.); 72, 200 (258). 23 Vgl. Buchner; GS Dietz, 175 (188) m. w. Nachw. 24 Buchner; Vertrauensschutz, 175; Köhler; IR 1984,45 (47). 25 Vgl. Bydlinski, IZ 1985,149 (153). 26 Bydlinski, IZ 1985, 149 (153); Köhler; IR 1984,45 (47). 27 Buchner; GS Dietz, 175 (195); Bydlinski, IZ 1985, 149 (153); Köhler; IR 1984, 45 (47 f.).

B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts

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B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts vor Ablauf der Umsetzungsfrist I. Überblick

Nach der hier vertretenen Auffassung beginnt die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung mit Erlaß der Richtlinie, gleichwohl führt die zeitliche Konditionierung dieser Pflicht dazu, daß eine Verletzung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist festgestellt werden kann.! Andererseits ist für eine fristgerechte Umsetzung durch Richterrecht eine möglichst frühzeitige, in Bezug auf die Umsetzungsfrist in jedem Fall vorzeitige, Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung vonnöten, da sich anders die Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht fristgemäß gewährleisten läßt. Soweit sich eine solche Rechtsprechungsänderung allein mit nationalen methodenrechtlichen Erwägungen begründen läßt und schützens wertes Vertrauen berücksichtigt wird, bestehen an ihrer Zulässigkeit keine Zweife1. 2 Fraglich erscheint hingegen, inwieweit vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine Berücksichtigung der jeweiligen Richtlinie möglich ist? 11. Das "Testpreis-Angebot"-Urteil des Bundesgerichtshofs Deutlich machen läßt sich die Problematik am Beispiel der Rechtsprechungsänderung des BGH zur Sitten widrigkeit der vergleichenden Werbung in dem Urteil "Testpreis-Angebot".4 Im Mittelpunkt stehen dabei die Fragen, inwieweit der BGH eine Rechtsprechungsänderung zur Zulässigkeit der vergleichenden Werbung nach § 1 UWG auch auf eine Berücksichtigung der Richtlinie 97/55/ EG5 stützen durfte, deren Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war, und ob eine legislative Umsetzung der Richtlinie angesichts der geänderten Rechtsprechung zum Sittenwidrigkeitsbegriff des § 1 UWG überhaupt noch notwendig war. 6 1. Ausgangslage

Die Zulässigkeit vergleichender Werbung war in Deutschland seit langem Gegenstand streitiger rechtspolitischer Auseinandersetzungen. 7 Der BGH ging in ständiger Rechtsprechung davon aus, daß 1

2 3 4

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6 7

13*

Vgl. dazu oben Teil 2, B., IV., b), bb). Vgl. Leible, Wege, 287 f. Dagegen Leible, Wege, 287 f.; dafür Canaris, FS Bydlinski, 47 (76). BGHZ 138,55. ABI. 1997 L 290/ 18. Vgl. Ohly, GRUR 1998, 828 (829). Vgl. dazu Meyer, WRP 1991,765; Siems, ZEuP2001, 686,jeweils m. w. Nachw.

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

"ein Vergleich der eigenen Waren und Leistungen mit denjenigen der Mitbewerber grundsätzlich nicht mit den guten Sitten zu vereinbaren sei, auch wenn die aufgestellten Behauptungen wahr und die abgegebenen Werturteile sachlich richtig seien, da jede Werbung, die die eigene Leistung durch eine vergleichende Herabsetzung des Mitbewerbers herauszustellen suche, mit den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs in Widerspruch stehe. Der Mitbewerber solle sich nicht in einer unnötig herabsetzenden Form ein Urteil über fremde Waren oder Leistungen anmaßen. ,,8

Nur ausnahmsweise war ein Vergleich dann erlaubt, wenn ein hinreichender Anlaß dazu bestand, die Angaben im Rahmen des Erforderlichen blieben und lediglich in einer wahrheitsgemäßen und sachlichen Erörterung bestanden. 9 Demgegenüber sieht die Richtlinie 97/55/ EG in Art. 3a die grundsätzliche Zulässigkeit von unmittelbar oder mittelbar einen Mitbewerber oder die Erzeugnisse oder Dienstleistungen, die von einem Mitbewerber angeboten werden, erkennbar machender Werbung lO vor, sofern diese bestimmte kumulative Voraussetzungen erfüllt. Das im deutschen Recht noch 1997 vorzufindende Regel-Ausnahmeverhältnis war angesichts dieser Vorschriften somit von vornherein nicht zu halten. II Frühzeitig entbrannte jedoch Streit über die Notwendigkeit einer Änderung allein der Auslegung des Sittenwidrigkeitsbegriffs oder des Normtextes des UWG. 12 In seinem Urteil vom 5. 2. 1998 gab der BGH seine bisherige Rechtsprechung ausdrücklich auf. 13 Vergleichende Werbung sei unter den Voraussetzungen des Art. 3a der Richtlinie 97/55/ EG nunmehr auch nach deutschem Recht als nicht sittenwidrig und daher als zulässig anzusehen. 14 In den konkreten Verfahren wirkte sich diese Rechtssprechungsänderung allerdings nicht aus, da die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Richtlinie 97/55/ EG ebenfalls nicht erfüllt waren. 15 Die Befürworter einer Umsetzung der Richtlinie durch eine Rechtsprechungsänderung sahen sich durch das Urteil des BGH in ihrer Auffassung bestätigt. 16 Ungeachtet dessen fügte der deutsche Gesetzgeber zur Umsetzung der Richtlinie 97/55/ EG insbesondere einen neuen § 2 in das UWG ein. 17 Aber auch durch diesen hat sich die BGHZ 138,55 (58) m. w. Nachw. BGHZ 138,55 (58 f.); Meyer, WRP 1991,765 (766); Plaß, NJW 2000, 3161. 10 Vgl. die Definition der vergleichenden Werbung in Art. 2 Nr. 2a Richtlinie 97 I 55 lEG. 11 Sack, GRUR Int. 1998,263 (270). 12 Für das Ausreichen einer Rechtsprechungsänderung Menke, WRP 1998, 811 (819); Ohly, Richterrecht und Generalklausel, 216 ff.; Sack, WRP 1998, 241 (244); ders., GRUR Int. 1998, 263 (272); Sedelmeier, ZRP 1991, 370 (374); vgl. auch Bericht der Arbeitsgruppe "Überprüfung des Wettbewerbsrechts" vom 17. 12. 1996, GRUR 1997, 201 (208); dagegen Hartlage, Vergleichende Werbung, 215; Plassmann, GRUR 1996,377 (382); Tilmann, GRUR 1997,790 (791). 13 BGHZ 138, 55 (59). 14 BGHZ 138,55 (59). 15 BGHZ 138,55 (58). 16 Ohly/Spence, GRUR Int. 1999,681 (696). 17 Gesetz zur vergleichenden Werbung und zur Änderung wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vom 1. 9. 2000, BGBI. I, 1374. Siehe dazu Plaß, NJW 2000,3161; Siems, ZEuP 2001,686. 8

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B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts

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Frage einer hinreichenden Umsetzung der Richtlinie 97/55/ EG nicht völlig erledigt, da der Gesetzgeber sie nicht wörtlich umgesetzt und z. B. auf eine ausdrückliche Regelung der Beweislastumkehr - entgegen Forderungen aus der Literatur 18 - unter Berufung auf die von der Rechtsprechung zu § 242 BGB entwickelten Grundsätze verzichtet hat. 19 Auch im Hinblick auf die vergleichende Werbung bedarf es daher weiterhin einer richtlinienkonformen Auslegung des UWG sowie anderer einschlägiger Vorschriften?O Die Möglichkeit zu einer solchen wird allerdings teilweise bestritten. 21 Auf diese Einzelfragen soll hier nicht eingegangen werden. Wichtiger für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit ist demgegenüber eine Auseinandersetzung mit den grundsätzlichen Aussagen des BGH zur Berücksichtigung einer Richtlinie bei der Auslegung einer Generalklausel des nationalen Rechts vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist.

2. Die Urteilsbegründung

Der BGH stützt die Änderung seiner Rechtsprechung ganz deutlich auf die Richtlinie 97/55/ EG und die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung. Lediglich ergänzend wird darauf abgestellt, daß die Existenz der Richtlinie auch die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Sittenwidrigkeit unmittelbar beeinflußt. 22 Diese Einschätzung ergibt sich zum einen daraus, daß sich der BGH zunächst über viereinhalb Seiten mit der Berücksichtigung der Richtlinie vor Ablauf der Umsetzungsfrist sowie mit den gegen eine solche vorgebrachten Bedenken auseinandersetzt, 23 hingegen die aus nationalen Methodenaspekten heraus begründete Einflußnahme auf die Auslegung der Generalklausel lediglich unterstützend und vergleichsweise knapp auf einer halben Seite anfügt. 24 Die Auseinandersetzung mit der Position der Gegner einer richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist erscheint im übrigen nur dann sinnvoll, wenn man von der grundsätzlichen Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Gebots zur richtlinienkonformen Auslegung ausgeht. Hätte der BGH eine rein von nationalen Methodenerwägungen getragene Rechtsprechungsänderung beabsichtigt, dann wäre dies über eine Änderung der Reihenfolge der Überlegungen und ihrer Gewichtung leicht möglich gewesen. Die Berufung auf die Auslegungsfähigkeit des deutschen Rechts bedeutet für sich genommen gerade nicht, daß der BGH hinsichtlich der Konkretisierung der Generalklausel auf nationale MethodenerwägunVgl. Tilmann, GRUR 1997,790 (791). Vgl. BR-Drucks. 128/00, 13 f. 20 Siehe beispielsweise Sack, WRP 2001,327 (328). 21 Plaß, NJW 2000, 3161 (3169). Vgl. zu den Problemen der Umsetzung auch Marx, EWS 2001,353. 22 BGHZ 138, 55 (64). 23 BGHZ 138, 55 (59 ff.). 24 Vgl. den Wortlaut des Urteils bei BGHZ 138,55 (64) wo es heißt: "Hinzu kommt. .. ". 18

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

gen abstellt, sondern ist allein notwendige Bedingung für eine richtlinienkonforme Auslegung?5 Der BGH geht grundsätzlich davon aus, daß eine Berücksichtigung einer Richtlinie vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist für die Ermittlung des Sinngehalts einer Generalklausel des nationalen Rechts geboten sein kann, auch wenn er zutreffend feststellt, daß eine gemeinschaftsrechtliche zwingende Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist einsetzt. 26 Begründet wird dies insbesondere mit einer Bezugnahme auf das im Urteil Inter-Environment Wallonie 27 ausgesprochene "Frustrationsverbot,,28 und die darin zum Ausdruck kommende Rechtspflicht, alles Nötige zu tun, um ein Erreichen der Ziele der Richtlinie bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist zu ermöglichen?9 Hinzu tritt die Überlegung, daß eine frühzeitige Anpassung der Rechtslage durch die Rechtsprechungsänderung unterstützt wird, da den Gerichten dann die Möglichkeit gegeben ist, bereits während der Umsetzungsfrist Vorlagefragen zu der umzusetzenden Richtlinie an den EuGH zu richten und dadurch zu einer schnellen Harmonisierung der Rechtslage in der Gemeinschaft beizutragen. 3D Nach Ansicht des BGH sind zudem die gegen eine richtlinienkonforme Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist gerichteten Bedenken dann unbegründet, wenn sich die Richtlinienkonformität durch Auslegung herstellen läßt und den Mitgliedstaaten durch die Richtlinie kein Umsetzungsspielraum eingeräumt wird?! Beide Voraussetzungen sah der BGH vorliegend als gegeben an. 32 Unterstützend verwies der BGH zudem darauf, daß der Begriff der Sittenwidrigkeit auch für Wertungen offen sei, die Ausdruck in anderen Bestimmungen der nationalen oder europäischen Rechtsordnung gefunden haben. 33 Dies sei schon unter dem Aspekt der Einheit der Rechtsordnung angezeigt. 34 Der BGH 25 Verbreitet ist hingegen auch die Auffassung, der BGH habe sich hier nur aus nationalen methodenrechtlichen Erwägungen für eine Änderung der Rechtsprechung entschieden, vgl. Franzen, Privatrechtsangleichung, 319; Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; diesen folgend Ehricke, EuZW 1999, 553. Ansatzweise in diese Richtung wohl auch Lindacher; DZWiR 1998,514 sowie Staudinger; JR 1999, 198 wenn sie davon sprechen, daß eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Rechtsprechungsänderung im vorliegenden Fall mangels Ablaufs der Umsetzungsfrist nicht bestand. 26 So auch die Interpretation des Urteils des BGH bei Menke, WRP 1998, 811 (815. Gegen diese Auffassung wendet sich Franzen, Privatrechtsangleichung, 318 f., der auch während des Laufs der Umsetzungsfrist bereits eine aus Art. 36 EGBGB analog folgende normative Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung entnehmen will. 27 EuGH, Rs. C-129 /96, Slg. 1997,1-7411, Inter-Environnement Wallonie. 28 V gl. dazu ausführlich oben Teil 2, B., IV., 1., b). 29 BGHZ 138,55 (62).

BGHZ 138, 55 (63 f.). BGHZ 138, 55 (62 f.). 32 BGHZ 138, 55 (63 f.). 33 Zur bereits früher bekannten Problematik der Heranziehung internationaler Normen und Kodizes für die Bestimmung der Sittenwidrigkeit vgl. Meessen, NJW 1981,1131. 30

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B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonforrnen Richterrechts

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hat seine Rechtsprechungsänderung noch vor Änderung des UWG in einer Reihe von Urteilen bestätigt. 35 111. Reaktionen in der Literatur In der Literatur hat das "Testpreis-Angebot"-Urteil ein geteiltes Echo hervorgerufen, auch wenn das Ergebnis überwiegend Zustimmung erfahren hat. 36 Teilweise deutliche Kritik wird dabei insbesondere an der gemeinschaftsrechtlichen Begründung des BGH37 sowie an der dem Gesetzgeber vorgreifenden "zukunftskonformen" Auslegung 38 geübt. Zurecht, für die vorliegende Arbeit aber ohne größeren Belang, wird zudem kritisiert, daß der BGH seine Rechtsprechungsänderung auch rückwirkend auf Fälle erstreckt hat, die zeitlich sogar vor Erlaß der Richtlinie liegen?9 Das läßt sich allenfalls damit begründen, daß der Erlaß einer Richtlinie auf ein bereits im Vorhinein gewandeltes Sittenverständnis hindeuten muß. Allein die Tatsache, daß im Ergebnis der Bereich zulässiger Werbung dadurch rückwirkend ausgeweitet worden ist genügt nicht, da dadurch zugleich die Duldungspflicht der Wettbewerber erweitert wurde. Insbesondere Staudinger hat die Begründungsansätze des BGH im "TestpreisAngebot"-Urteil ausführlich und scharf kritisiert. 4o Zunächst wendet er sich gegen die Behauptung, eine richtlinienkonforme Neuausrichtung der Rechtsprechung zur vergleichenden Werbung sei aufgrund der Richtlinie 97/55/ EG geboten. 41 Gestützt wird diese Kritik auf die in der Literatur vorherrschende Auffassung, daß ein gemeinschaftsrechtliches Gebot der richtlinienkonformen Auslegung erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist beginne. 42 Eine vorherige Berücksichtigung der Richtli34 BOHZ 138, 55 (64). Nordmann, ORURlnt. 2002, 297 sieht hierin den Hauptbegründungsansatz des BOH. 35 Vgl. BOH, NJW 1998, 3561; BOHZ 139, 378; BOH, NJW-RR 2000, 631. 36 Canaris, FS Bydlinski, 47 (76); Eck/lkas, WRP 1999, 251; Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; Lindacher, DZWiR 1998,514; Uecker, RlW 1998,961. Kritisch dagegen Staudinger, JR 1999, 198; Wambach, MDR 1998, 1239. 37 Hellert, Einfluss, 98; Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; Lindacher, DZWiR 1998, 514; Staudinger; IR 1999, 198 (199). Kritisch gegenüber einer Verallgemeinerung Bayreuther; EuZW 1998,478. Zustimmend hingegen Canaris, FS Bydlinski, 47 (74); Menke, WRP 1998, 811 (814); Ohly, ORUR 1998,828 (829). 38 Staudinger; JR 1999, 198 (200). 39 Vgl. kritisch hierzu Canaris, FS Bydlinski, 47 (76, Fn. 133). Keine unzulässige Rückwirkung sieht unter Berufung auf die liberalisierende Wirkung der Rechtsprechungsänderung Staudinger; JR 1999, 198 (201). Ähnlich auch Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507 (2509) mit dem schon vom BOH verwendeten Argument, es handele sich nicht um eine Rechtsänderung, sondern lediglich eine Auslegung aufgrund eines gewandelten Rechtsverständnisses. 40 Staudinger; JR 1999, 198. Ebenfalls sehr kritisch zur Rechtsprechung des BOH Ehricke, EuZW 1999,553. 41 Staudinger; JR 1999, 198 (199). 42 Vgl. zu dieser Position ausführlich Teil 2, B., IV., 1., b).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

nie greife daher in unzulässiger Weise in die Rechtssetzungskompetenz des Gesetzgebers ein, und zwar zumindest insoweit, als dieser die Befugnis habe, die Rechtslage bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht zu ändem. 43 Diesem werde von Art. 249 Abs. 3 EGVausdrücklich die Wahlfreiheit hinsichtlich Form und Mitteln der Richtlinienumsetzung eingeräumt. 44 Auch aus dem Frustrationsverbot lasse sich allenfalls eine Pflicht ableiten, nicht durch eine richtlinieninkonforme Rechtsfortbildung die Umsetzung zu gefährden. 45 Zudem könne eine Richtlinie auch nicht unmittelbar auf eine normative Generalklausel wie die Sittenwidrigkeit einwirken. Eine Berücksichtigung der Richtlinie aus dem Gedanken der Einheit der Rechtsordnung heraus scheitere bereits daran, daß eine nichtumgesetzte Richtlinie mangels unmittelbarer Wirkung kein Teil der nationalen Rechtsordnung sei. 46 Den Nachweis eines gewandelten tatsächlichen Verständnisses, der Staudinger zufolge für eine auf nationale Erwägungen gestützte Rechtsprechungsänderung notwendig gewesen wäre, habe der BGR hingegen nicht geführt. 47 Der Tatsache, daß die richtlinienkonforme Auslegung von § 1 UWG möglich sei, komme keine Bedeutung zu, da diese conditio sine qua non einer jeden richtlinienkonformen Auslegung sei. 48 In die gleiche Richtung weisend hat zudem Ehricke sich kritisch mit der vom BGR im Urteil "Testpreis-Angebot" eingenommenen Position auseinandergesetzt. 49 Diesen kritischen Stimmen steht allerdings auch eine nicht ganz unbeachtliche Literaturmeinung gegenüber, die unter Berufung auf die Urteile Kolpinghuis Nijmegen50 bzw. Inter-Environment Wallonie 51 des EuGR von einer gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Richtlinie schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist ausgeht. 52

Ehricke, EuZW 1999,553 (556); Staudinger; JR 1999, 198 (200). Staudinger; JR 1999, 198 (200). In die gleiche Richtung gehen die Überlegungen von Ehricke, EuZW 1999,553 (554 ff.), wenn er von einer richtlinienkonforrnen Auslegung ohne vorherige .. mitgliedstaatliche" Umsetzung spricht. Richtigerweise muß von einer fehlenden "legislativen" Umsetzung gesprochen werden, vgl. dazu oben Teil 2, B., IV., 1., b). 45 Staudinger; JR 1999,198 (199). 46 Staudinger; JR 1999, 198 (199). 43

44

48

Staudinger; JR 1999, 198 (199). Staudinger; JR 1999,198 (200).

49

Ehricke, EuZW 1999,553.

47

EuGH, Rs. 80/86, Sig. 1987,3969, Kolpinghuis Nijmegen. 51 EuGH, Rs. C-129/96, Sig. 1997, 1-74l1, Inter-Environnement Wallonie. 52 Arnull, ELRev. 1988, 42 (43); Curtin, CMLRev. 1990, 709 (719); Franzen, Privatrechtsangleichung, 300 ff.; Lenz, DVBI. 1990, 903 (908); Sack, WRP 1998, 241 (243); Scherzberg, Jura 1993, 225 (232). 50

B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts

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IV. Stellungnahme 1. Kein Verbot der vorrangigen Berücksichtigung von Richtlinien vor Ablauf der Umsetzungsfrist

Im Ergebnis soll der Judikative nach Ansicht der wohl überwiegenden Literaturmeinung eine vorrangige Berücksichtigung von Richtlinien aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Erwägungen bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist verboten sein. 53 Inwieweit sie in den Auslegungsvorgang nach nationalen Methodenregeln als ein Aspekt einfließen können oder eventuell sogar müssen, wird unterschiedlich beantwortet. 54 In jedem Fall zulässig sein soll lediglich, daß die Gerichte eine Richtlinie zum Anlaß nehmen, ihre Position zu überdenken, dies jedoch frei vom Einfluß eines Postulats der Richtlinienkonformität. 55 Die Kritik an der Begründung des Urteils "Testpreis-Angebot" überzeugt aber ebensowenig wie die generelle Kritik an einer richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist.

a) Beginn der gemeinschaftsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung

Bereits die Grundannahme der herrschenden Auffassung, die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beginne erst mit Ablauf der Umsetzungsfrist, ist falsch. Die Verpflichtung ist lediglich zeitlich dahingehend konditioniert, daß die richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts erst bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist erreicht sein muß. 56 Zwar läßt sich hieraus kein konkreter Zeitpunkt oder ein bestimmtes Urteil während der Umsetzungsfrist ableiten, in dem dementsprechend bereits richtlinienkonform judiziert werden müsse, es ist aber ebenso klar, daß ein Zuwarten der Judikative bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht geeignet ist, eine richtlinienkonforme Judikatur ab diesem Zeitpunkt sicherzustellen. 57 Aus einer fehlenden gemeinschaftsrechtlichen Pflicht kann aber nicht der Umkehrschluß gezogen werden, eine Berücksichtigung von Richtlinien wäre den Gerichten auch verboten.

53 So wohl Brechmann, Richtlinienkonforme Auslegung, 264 f.; Ehricke, EuZW 1999, 553 (555 f.); Götz, NJW 1992, 1849 (1854); Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; Staudinger; IR 1999,198 (199, 201). 54 Für eine rein auf nationale Methodenerwägungen gestützte Berücksichtigung namentlich Ehricke, EuZW 1999,553 (556); Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; Leible, Wege, 288. Canaris, FS Bydlinski, 47 (75 f.) will wohl darüber hinausgehend die Richtlinie selber als einen möglicherweise sogar ausschlaggebenden Auslegungsaspekt berücksichtigt wissen. 55 Ehricke, EuZW 1999,553 (556); Leible/Sosnitza, NJW 1998,2507; Leible, Wege, 288. 56 Vgl. dazu oben Teil 2, B., IV., 1., b). 57 Vgl. auch Menke, WRP 1998,811 (818).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

b) Wahlfreiheit der innerstaatlichen Stellen

Auch der Verweis auf die Wahlfreiheit hinsichtlich Form und Mitteln der Umsetzung greift im Ergebnis nicht durch. Zunächst einmal ist festzustellen, daß diese Wahlfreiheit nicht dem Gesetzgeber58 oder dem Mitgliedstaat59 eingeräumt ist, sondern den innerstaatlichen Stellen. Der Mitgliedstaat selber kann naturgemäß ohnehin keinen entsprechenden Willen bilden. Die Wortwahl des Art. 249 Abs. 3 EGV spricht dann aber eher gegen die Annahme, das Wahlrecht stünde allein dem Gesetzgeber zu. 60 Die Umsetzungspflicht, damit aber als ihre Kehrseite auch die Umsetzungsbefugnis, trifft nach der Rechtsprechung des EuGH alle innerstaatlichen Stellen im Rahmen der ihnen eingeräumten Kompetenzen. 61 Soweit sich also die Judikative im Rahmen der ihr eingeräumten Befugnis zur Auslegung nationalen Rechts bewegt, kommt ein Übergriff in den Bereich der Legislative von vornherein nicht in Betracht. Dies wird besonders klar, wenn man eine Situation zugrunde legt, in der die richterliche Auslegung nationalen Rechts beispielsweise im Bereich unbestimmter Rechtsbegriffe nur sehr leicht von den Anforderungen einer Richtlinie abweicht. In einem solchen Fall kann wohl kaum erwartet werden, daß der Gesetzgeber zunächst legislative Änderungen an einer Norm vornimmt, die bereits vor ihrer Änderung von ihrem Wortlaut her vorzüglich geeignet ist, die Anforderungen einer Richtlinie zu erfüllen. Einer im Hinblick auf die Richtlinienumsetzung erneuerten "Präzisierungsbefugnis,,62, gegebenenfalls durch Erlaß einer wortgleichen Norm oder einer "bewußten" Nichtänderung, bedarf es jedenfalls nicht. Soweit Normen ihrem Wortlaut nach Auslegungsspielräume beinhalten, spricht nichts dagegen, daß die Judikative diese grundsätzlich zur Erfüllung des sie treffenden Teils der Umsetzungspflicht nützt.

c) Vorauseilende Umsetzung

Wenn die Rechtsprechung grundsätzlich im Rahmen ihrer Auslegungsbefugnis einen eigenständigen Umsetzungsauftrag hat, dann muß ihr hinsichtlich des Zeitpunkts ihrer Umsetzungsanstrengung das gleiche Wahlrecht zukommen, wie der So Staudinger; JR 1999, 198 (200). So Ehricke, EuZW 1999,553 (556). 60 So führt etwa Menke, WRP 1998, 811 (814) aus, daß dieses Umsetzungserrnessen in erster Linie vorn Gesetzgeber auszuüben sei. Diese Ansicht übersieht jedoch, daß sich die Aufgaben- und Ermessensteilung bei der Richtlinienumsetzung nach dem durch das vorgefundene nationale Recht gezogenen Kompetenzrahmen richtet. Richtigerweise stellt Menke, a. a. 0., 815 daher selber fest, daß anderes gelte, wenn der Gesetzgeber der Rechtsprechung die Rechtsfortbildung überlassen habe. 61 EuGH, Rs. 14/83, Sig. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26. Nahezu identisch auch EuGH, Rs. 80/86, Sig. 1987, 3969, Kolpinghuis Nijmegen, Rn. 12; Rs. C-106/89, Sig. 1990,14135, Marleasing. 62 So Ehricke, EuZW 1999,553 (556). 58

59

B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonformen Richterrechts

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Legislative hinsichtlich des Zeitpunkts gesetzgeberischer Umsetzungsmaßnahmen. Anders als die Legislative kann aber die Rechtsprechung den Zeitpunkt von Rechtsprechungsänderungen nicht tagesgenau steuern. Sie muß daher, will sie den ernsthaften Versuch einer judikativen Richtlinienumsetzung unternehmen, eine gewisse Wirkungsverzögerung mitberücksichtigen. 63 Da sich die Frage, wie die Rechtsprechung die Auslegungsfähigkeit nationalen Rechts im Hinblick auf eine neu erlassene Richtlinie einschätzt, von deren Erlaß an stellt, spricht allerdings vieles dafür, bereits das erste sich anbietende, d. h. inhaltlich geeignete, Urteil zum Anlaß zu nehmen, eine richtlinienkonforme Rechtsprechungsänderung mindestens anzukündigen. Ansonsten könnte die Rechtsprechung dahingehend verstanden werden, daß die nationale Norm nicht richtlinienkonform auslegbar sei. Bei der Ausübung dieses Wahlrechts kann andererseits die Schärfe eines Bruchs einer Richtlinie mit traditionellem nationalem Rechtsverständnis 64 ebenso eine Rolle spielen, wie die Frage, inwieweit eine Rechtsprechung auch in der nationalen Auseinandersetzung umstritten war. 65 Die Judikative kann zudem bereits bestehende legislative Umsetzungsbemühungen oder Einschätzungen von deren Notwendigkeit in die Auslegungsentscheidung miteinbeziehen. Auch aus Sicht der Legislative ist eine frühzeitige Rechtsprechungsänderung wünschenswert. Läßt sich doch erst aus einer solchen mit hinreichender Zuverlässigkeit beurteilen, ob ein gesetzgeberisches Handeln für die Umsetzung einer Richtlinie notwendig ist. 66 Erst dann ist auch eine Mitteilung an die Kommission, die nationalen Vorschriften seien bereits richtlinienkonform, überhaupt möglich. 67 Sofern der Gesetzgeber auch nach vollzogener Rechtsprechungsänderung noch Handlungsbedarf sieht, ist es ihm selbstverständlich freigestellt, die gesetzlichen Vorschriften weitreichender anzupassen. Gerade der Fall der Richtlinie 97/55/ EG kann dabei als Musterbeispiel für ein methodisch gelungenes Zusammenwirken zwischen Judikative und Exekutive bei der Richtlinienumsetzung angesehen werden. Hierin klingt im übrigen ein weiterer Kritikpunkt an der Auffassung Staudingers wie Ehrickes bereits an. Sie wird nämlich von einern, im Hinblick auf die notwendige Kooperation zwischen Rechtsprechung und Rechtssetzung bei der Umsetzung von Richtlinien unangemessen konfliktiven Gewaltenteilungsverständnis getragen.

63 Vgl. hierzu auch Lindacher, DZWiR 1998, 514 (515). Ebenso geht auch Bayreuther, EuZW 1998, 478 (479) davon aus, daß eine Umsetzung nur dann rechtzeitig erfolgen kann, wenn ein höchstinstanzliches Gericht vor Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonform judiziere. 64 Basedow, FS Brandner, 651 (6570; Canaris, FS Bydlinski, 47 (76). 65 Canaris, FS Bydlinski, 47 (76). 66 Vgl. zu dieser Überlegung Winter, DVBI. 1991,657 (658). 67 So auch Sack, WRP 1998, 241 (244).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

d) Zwischenergebnis

Für die Annahme einer generellen, d. h. von den Auslegungsspielräumen des nationalen Rechts losgelösten Umsetzungsprärogative68 des nationalen Gesetzgebers besteht daher im Ergebnis kein Grund. Genauso wie bei einer legislativen Umsetzung einer Richtlinie der Erlaß der Umsetzungsvorschriften zeitlich vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu geschehen hat, und in diesem Sinne geboten ist, auch wenn sein Unterlassen erst mit Ablauf der Frist sanktionierbar wird, ist eine richtlinienkonforme Rechtsprechungsänderung vor Ablauf der Umsetzungsfrist geboten, wenn dadurch zur fristgemäßen Umsetzung der Richtlinie beigetragen werden soll und das nationale Recht einen Auslegungsspielraum bietet, der bei objektiver Betrachtung für einen Umsetzungsversuch geeignet erscheint. 69 Eine solche Berücksichtigung ergibt sich aber keineswegs allein aus nationalen methodenrechtlichen Erwägungen, sondern knüpft unmittelbar an das Bestehen der Umsetzungspflicht sowie die Richtlinienvorschriften selber an. Zur Erforschung der Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts im Hinblick auf die Richtlinienkonformität ist diese daher dann auch als vorrangige Auslegungsregel verwendbar. 2. Umfang der richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist

Die Möglichkeit zu einer richtlinienkonformen Auslegung vor Ablauf der Umsetzungsfrist kann naturgemäß nicht weiter reichen als die gemeinschaftsrechtliche Pflicht nach deren Ablauf. Fraglich ist allerdings, ob ihr nicht sogar engere Grenzen gesteckt sind. a) Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln

Unproblematisch erscheint grundsätzlich eine richtlinienkonforme Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln vor Ablauf der Umsetzungsfrist. Hier bewegt sich die Rechtsprechung allein im Bereich der Auslegung des Gesetzesrechts, mithin in ihrem ureigensten und ausschließlichen Kompetenzbereich. Eine ausdrückliche gesetzgeberische Umsetzungsverweigerung wird sich während der Umsetzungsfrist in den seltensten Fällen feststellen lassen. Innerhalb des möglichen Wortlauts des nationalen Rechts ist diese zudem nach der in der vorliegenden Arbeit entwickelten Position ohnehin unbeachtlich. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist, da auch 68 So geht Menke, WRP 1998, 811 (814) davon aus, die Gerichte seien nur "sekundär" verpflichtet. 69 Zu beurteilen, ob eine solche Umsetzung hinreichend ist, obliegt dann letztlich dem EuGH.

B. Zulässigkeit der Bildung richtlinienkonforrnen Richterrechts

205

während deren Laufs die Umsetzungspflicht, wenn auch zeitlich konditioniert, bereits gilt. Bei der richtlinienkonformen Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklausein während der Umsetzungsfrist geht es darum, dem Ziel der Richtlinie in den Grenzen des Wortlauts zur Wirksamkeit zu verhelfen. In einem solchen Fall vom Gesetzgeber einen erneuten "Präzisierungsauftrag" als notwendige Voraussetzung für die Berücksichtigung einer Richtlinie zu verlangen geht an der Realität der Gesetzgebungstätigkeit vorbei. Dienen doch Generalklausein und unbestimmte Rechtsbegriffe dem Gesetzgeber gerade dazu, in einem bestimmten Bereich von rechtspolitisch gebotenen Anpassungen entlastet zu werden.

b) Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung

Anderes muß im Gegensatz dazu für die Rechtsfortbildung vor Ablauf der Umsetzungsfrist gelten. Im vorangehenden Teil wurde herausgearbeitet, daß die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auch die Rechtsfortbildung über den Wortlaut des Gesetzes hinaus umfaßt und die Richtlinien dabei für die Ermittlung des Vorliegens der Voraussetzungen mitherangezogen werden können. 7o Diese Überlegung läßt sich auf die Zeit vor Ablauf der Umsetzungsfrist jedoch nicht übertragen. Dies ergibt sich daraus, daß die Rechtsfortbildung ihrem Charakter nach eine judikative Ersatzvornahme zur Heilung eines Versäumnisses auf legislativer Ebene darstellt. Die Rechtsfortbildung findet demnach in einem Bereich statt, in dem primär der Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen ist. Soweit es um eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung geht, muß die Rechtsprechung daher in der Tat zunächst abwarten, ob der Gesetzgeber eine angesichts der Richtlinie notwendig gewordene Anpassung des nationalen Rechts während der Umsetzungsfrist vornimmt, bevor sie ersatzweise dieses fortbildet. Hieraus ergibt sich auch kein Wertungswiderspruch zur Pflicht der Gerichte, nach Ablauf der Umsetzungsfrist auch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung zu betreiben. Während die Judikative vor Ablauf der Umsetzungsfrist nur den Umsetzungsbeitrag beisteuern darf, der in ihren primären Kompetenzbereich fällt, verpflichtet sie das gemeinschaftsrechtliche Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung nach deren Ablauf auch zu einer teilweisen Heilung von legislativen Umsetzungsmängeln im Rahmen des ihr methodisch Möglichen. 71 Richtigerweise stellte der BGH daher im Urteil" Testpreis-Angebot" darauf ab, daß sich die Richtlinienkonformität mittels Auslegung des § 1 UWG herstellen ließ. Der Verweis des BGH auf die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung ist daher auch keineswegs eine überflüssige conditio sine qua non. 72 Der Ak70

71 72

Vgl. oben Teil 2, B., VI., 1. Vgl. hierzu oben Teil 2, B., VI., 2., c). Ähnlich auch Götz. NJW 1992, 1849 (1854). So aber Staudinger; IR 1999, 198 (200).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

zent des BGH liegt nämlich nicht darauf, daß sein Auslegungsergebnis richtlinienkonform ist, sondern daß diese Konformität mittels Auslegung erreichbar sei. Dies entspricht aber vollauf der vorliegend getroffenen Unterscheidung hinsichtlich der Zulässigkeit richtlinienkonformer Auslegung und richtlinienkonformer Rechtsfortbildung für den Lauf der Umsetzungsfrist. c) Zwischenergebnis Solange sich die Rechtsprechung in den Grenzen einer durch den Wortlaut des nationalen Rechts gezogenen Auslegung hält, ist ihr eine vorrangige Berücksichtigung der verbindlichen, d. h. keinen Umsetzungs spielraum gewährenden, Teile einer Richtlinie nicht verboten. Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist während des Laufs der Umsetzungsfrist hingegen nicht zulässig. 3. Zusammenfassung

Dem "Testpreis-Angebot"-Urteil ist im Ergebnis, mit Ausnahme der Erstrekkung der Rechsprechungsänderung auf Fälle vor Erlaß der Richtlinie, zuzustimmen. 73 Insbesondere die gemeinschaftsrechtliche Begründung der Rechtsprechungsänderung mit der Umsetzungspflicht des Art. 249 Abs. 3 EGV trifft zu. Da sich der BGH bei der Auslegung der Generalklausel im Besitz einer weitreichenden Konkretisierungsbefugnis befand, hat er durch eine frühzeitige Anpassung der Rechtsprechung an die Vorgaben der Richtlinie nicht in den Kompetenzbereich der Gesetzgebung übergegriffen sondern einen legitimen Versuch einer judikativen Richtlinienumsetzung unternommen. Die zusätzliche Begründung durch einen Verweis auf den Einfluß der Existenz der Richtlinie auf den Begriff der Sittenwidrigkeit war daneben nicht notwendig, aber überzeugend. Der von Staudinger vorgetragene Einwand gegen diese74 geht fehl. Wenn auch die nicht umgesetzte Richtlinie nicht Teil der nationalen Rechtsordnung ist, so ist doch über Art. 249 Abs. 3 EGV, der - wie immer wieder hervorgehoben werden muß - in der Bundesrepublik kraft Zustimmungsgesetz unmittelbar gilt, zumindest die Verbindlichkeit der Ziele und die Umsetzungsverpflichtung Bestandteil der in Deutschland geltenden Rechtsordnung. Im übrigen verweist der Begriff der Sittenwidrigkeit gerade nicht allein auf Rechtsnormen, sondern auch auf den Bereich der Sozialnormen. 75 Möchte man analog zum Begriff der Rechtsordnung den der "Sozialordnung" verwenden, ist festzustellen, daß hier keine vergleichbar klare Trennung zwischen einer deutschen und einer europäischen "So73 Ebenso im Ergebnis Canaris, FS Bydlinski, 47 (76); Menke, WRP 1998, 811 (815); Ohly, GRUR 1998, 828. Zustimmend auch Streinz, Europarecht, Rd. 393b. 74 Staudinger, JR 1999, 198 (199). 75 Vgl. insgesamt zur Bedeutung des Begriffs der Sittenwidrigkeit im Lauterkeitsrecht Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 34 ff.

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

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zialordnung" bestehen kann. Die europäische "Sozialordnung" ist insbesondere von der deutschen räumlich nicht völlig verschieden, wie dies z. B. im Hinblick auf eine ausländische "Sozialordnung" der Fall wäre, auf die für die Ausfüllung des Begriffs der guten Sitten naturgemäß nicht zurückgegriffen werden könnte, sondern ist Ausdruck eines gemeineuropäischen Sittenverständnisses, welches auch in gesetzgeberischen Maßnahmen auf Gemeinschaftsebene Niederschlag finden kann. Ein gewandeltes tatsächliches Verständnis brauchte der BGH nach zutreffender Ansicht darüber hinausgehend nicht mehr nachweisen. 76 Somit bleibt festzuhalten, daß die Rechtsprechung nur durch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklausein vor Ablauf der Umsetzungsfrist richtlinienkonformes Richterrecht entwickeln kann. Ein Vordringen in den Bereich der Rechtsfortbildung ist ihr zu diesem Zeitpunkt versagt.

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung Dem Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV nach überlassen Richtlinien den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel zur Erreichung der in ihnen vorgeschriebenen Ergebnisse. Sie stellen damit eine obligation de resultat dar,l wobei Ipsen frühzeitig herausgearbeitet hat, daß der zutreffende deutsche Wortlaut des Art. 249 Abs. 3 EGV "Ergebnis" und nicht "Ziel" lauten müßte. 2 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Anforderungen an den Umsetzungs akt vom Urteil Royer3 bis zum Urteil Klause/richtlinie am 10. 5. 2001 4 hat diese Wahlfreiheit allerdings weitgehend zur Makulatur gemacht, so daß sie nicht mehr die Regel, sondern die Ausnahme darstellt. 5 So hat der EuGH insbesondere einer zuvor in Deutschland regelmäßig praktizierten Umsetzung durch eine ständige Verwaltungspraxis 6 wie auch durch Verwaltungsvorschriften7 eine Absage erteilt. 8 76 Der Schluß des BGH von der Richtlinienexistenz auf die Auslegung der Sittenwidrigkeit hat überwiegend Zustimmung geerntet, vgl. Leible, Wege, 288; Leible / Sosnitza, NJW 1998,2507 (2509); Uecker, RIW 1998, 961. 1 Ehricke, EuZW 1999,553 (555). 2 lpsen, FS Ophüls, 67 (73 ff.). Die Literatur ist ihm darin gefolgt, vgl. Brechmann, Richtlinienkonforrne Auslegung, 8; Franzen, Privatrechtsangleichung, 245; Leible, Wege, 266; Prechal, Directives, 44 f. 3 EuGH, Rs. 48175, Sig. 1976,497, Royer. 4 EuGH, Rs. C-144/99, Sig. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande. 5 Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH insgesamt GelIermann, Beeinflussung, 22 ff.; Himmelmann, DÖV 1996, 145 ff.; Jarass, Grundfragen, 52 ff.; Prechal, Directives, 86 ff.; Rengeling, DVBI. 1995,946; Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 46 ff. 6 EuGH, Rs. 102179, Slg. 1980, 1473, Kommission/Belgien, Kommission/Belgien, Rn. 10 ff.; Rs. 96/81, Sig. 1982, 1791, Kommission/Niederlande, Rn. 12; Rs. 97/81, Sig. 1982, 1819, Kommission/Niederlande, Rn. 12; Rs. 300/81, Sig. 1983,449, Kommission/ Italien, Rn. 10; Rs. 160/82, Sig. 1982, 4637, Kommission / Niederlande, Rn. 4; Rs. 131/ 88, Sig. 1991,1-825, Kommission/Deutschland, Kommission/Deutschland, Rn. 8.

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Ob und inwieweit Richterrecht eine Umsetzung von Richtlinien bewirken kann und darf, wird in der Literatur streitig diskutiert. Zum ersten Mal hat wohl Easson die Frage 1981 ausdrücklich aufgeworfen,9 was angesichts der Bedeutung des case-law im englischen Recht nicht verwundert. In der deutschen Literatur hat insbesondere Salzwedel Argumente für eine Umsetzung durch richtlinienkonforme Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe für den Bereich des Umweltrechts vorgetragen. 1O Hierbei handelt es sich aber nicht um eine richterrechtliche Umsetzung, sondern es geht darum, inwieweit in verwaltungsrechtlichen Gesetzen enthaltene unbestimmte oder offene Rechtsbegriffe durch richtlinienkonforme Verwaltungsvorschriften konkretisiert werden können. In jüngerer Zeit hat sich die Diskussion stärker auf den Bereich des allgemeinen Zivilrechts, insbesondere des Rechts der allgemeinen Geschäftsbedingungen, aber auch des Wettbewerbsrechts, verlagert. 11 Letztere Diskussion kreiste dabei vor allem um die Richtlinie 97/55/ EG (Vergleichende Werbung) und das "TestpreisAngebot"-Urteil des BGH. 12 Der Gerichtshof hat sich im Urteil Klauselrichtlinie nunmehr erstmalig mit dieser Frage grundlegend und ausdrücklich auseinandergesetzt, 13 wobei er eine sehr restriktive Haltung an den Tag legte. 14 Inwieweit die in diesem Urteil getroffenen Feststellungen allerdings zu verallgemeinern sind, bedarf ebenso ausführlicher Analyse wie die Auswirkungen der allgemeinen Anforderungen an die Richtlinienumsetzung für die Möglichkeit einer solchen durch Richterrecht. I. Anforderungen des EuGH an die hinreichende Umsetzung von Richtlinien

Naturgemäß ergeben sich die inhaltlichen Anforderungen an den Umsetzungsakt vor allem aus dem Umsetzungsprogramm der Richtlinie. Hier kommt es darauf an, ob das inhaltlich von der Richtlinie vorgegebene Ergebnis von den innerstaatlichen Umsetzungsanstrengungen erreicht wird. Soweit Mängel auftreten, ist die Richtlinienumsetzung in jedem Fall gescheitert. Die hierfür im Einzelfall erforderlichen Feststellungen sind oft mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, da sie eine ge7 EuGH, Rs. 361/88, Slg. 1991, 1-2567, Kommission/Deutschland, Kommission/ Deutschland, Rn. 10 ff.; Rs. C-58/89, Slg. 1991,1-4983, Kommission/Deutschland, Kommission/Deutschland, Rn. 9 ff. 8 Letzteres ist in Deutschland auf teilweise heftige Kritik gestoßen. Vgl. dazu Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 57 m. Nachw. aus der Literatur. 9 Easson, YEL 1 (1981), 1 (29). IO Salzwedel, UTR 1989,65; ders., UPR 1989,41; ders.lViertel, ZAU 1989, 131 (133 ff.). II Siehe dazu ausführlich unten Teil 3, C., III. 12 Zu diesem vgl. ausführlich oben Teil 3, B., 11. I3 Vgl. Micklitz, EWS 2001, 486. 14 Siehe dazu unten Teil 3, c., I., 3., b).

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

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naue Auslegung sowohl der Richtlinie als auch des nationalen Rechts veriangen. 15 Der Gerichtshof hat aber zusätzlich auch allgemeine inhaltliche wie formale Anforderungen an Umsetzungsakte entwickelt. 1. Allgemeine Anforderungen an Umsetzungsakte

a) Grundsatz der Effektivität, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit

Seit dem grundlegenden Urteil Royer hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß "die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, innerhalb der ihnen nach Artikel 189 [nunmehr Art. 249 EG] belassenen Entscheidungsfreiheit die Formen und Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit (effet utile) der Richtlinien unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zweckes am besten eignen.,,16

Aus diesem Effektivitätsgebot folgt unmittelbar, daß ein Mitgliedstaat eine Nichtumsetzung nicht durch die Berufung auf Schwierigkeiten rechtfertigen kann, die ihren Ursprung in seiner nationalen Rechtsordnung habenY Aber auch andere Rechtfertigungsgründe, wie etwa eine fehlende Umsetzung durch andere Mitgliedstaaten I 8, besondere Merkmale der Richtlinie wie deren mehrfache Änderung l9 oder vermeintlich fehlende Binnenmarktrelevanz2o , erlauben nicht ein Absehen von der Umsetzung. In der Folge hat der Gerichtshof des weiteren den Grundsatz der Rechtssicherheit bei der Verwirklichung des Richtlinienrechts in den Vordergrund gerückt, und diesen im Hinblick auf die Publizität, Bestimmtheit und Klarheit der Umsetzung individualrechtsschützender Richtlinien weiter ausdifferenziert. 21 Im einzelnen ergeben sich aus diesen Grundsätzen sowie aus expliziten Richtlinienbestimmungen daher bestimmte formale wie inhaltliche Anforderungen an nationale Umsetzungsmaßnahmen. b) Formale Anforderungen an den Umsetzungsakt

In formaler Hinsicht müssen die Umsetzungsmaßnahmen mindestens den gleichen rechtlichen Rang einnehmen, wie das zuvor die Materie regelnde nationale Macrory, CMLRev. 1992,347 (354). 16 EuGH, Rs. 48/75, Slg. 1976,497, Royer, Rn. 69/73. 17 EuGH, Rs. 100/77, Slg. 1978,879, Kommission/Italien, Rn. 21/22; Rs. 102/79, Slg. 1980,1473, Kommssion/Belgien, Rn. 15. 18 EuGH, Rs. 52/75, Slg. 1976,277, Kommission/Italien, Rn. II / 13. 19 EuGH, Rs. C-263/96, Slg. 1997,1-7453, Kommission/Belgien, Rn. 32. 20 EuGH, Rs. C-263/96, Slg. 1997,1-7453, Kommission/Belgien, Rn. 30. 21 Vgl. Gellennann, Beeinflussung, 23. 15

14 Hemnann

210

Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Recht. 22 Auch wenn nicht notwendigerweise der Erlaß einer ausdrücklichen, besonderen Gesetzesvorschrift erforderlich ist, und im Einzelfall ein allgemeiner rechtlicher Rahmen bestehender verfassungs- und verwaltungsrechtlicher Grundsätze genügen kann, soweit dieser die tatsächliche und vollständige Anwendung einer Richtlinie sicherstellt,23 bedarf es jedenfalls außenverbindlicher normativer Akte, und zwar sowohl hinsichtlich Richtlinienvorschriften, die Rechte begründen wollen, als auch solcher, die Pflichten einzelner festlegen?4 Diese müssen zudem in einem geeigneten Publikationsorgan veröffentlicht werden, um dem Bürger die Möglichkeit zu eröffnen, sich über seine in einer Richtlinie möglicherweise begründeten Rechte und Pflichten hinreichend informieren zu können. 25 Hinzu kommen gegebenenfalls ein von jüngeren Richtlinien regelmäßig ausgesprochenes Zitiergebot26 sowie die Miueilungspflicht an die Kommission 27 , die dieser die Kontrolle der Umsetzung erleichtern soll.28

c) Inhaltliche Anforderungen an den Umsetzungsakt

Darüber hinausgehend hat der EuGH auch gewisse generelle inhaltliche Anforderungen an Umsetzungsrecht entwickelt. So muß die Umsetzung von Richtlinien, deren Ziel die Begründung individueller Rechtspositionen im nationalen Recht ist, 22 EuGH, Rs. 102/79, Slg. 1980, 1473, Kommission/Belgien, Rn. 10; Rs. 168/85, Slg. 1986,2945, Kommission/Italien, Rn. 13; Rs. 116/86, Slg. 1988, 1323, KommissionIItalien, Rn. 14. 23 EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Kommission/Deutschland, Rn. 23 und 28; Rs. 363/85, Slg. 1987, 1733, Kommission/Italien, Rn. 7; Rs. 247/85, Slg. 1987,3029, Kommission/Belgien; Rn. 9; Rs. 262/85, Slg. 1987,3073, KommissionIItalien; Rn. 9; Rs. 339/ 87, Slg. 1990,1-851, Kommission/Niederlande, Rn. 6 f.; Rs. 360/87, Slg. 1991,1-791, KommissionIItalien, Rn. 11 ff.; Rs. 131188, Slg. 1991,1-825, Kommission/Deutschland, Rn. 6; Rs. 361/88, Slg. 1991,1-2567, Kommission/Deutschland, Rn. 15; Rs. C-58/89, Slg. 1991, 1-4983, Kommission/Deutschland, Rn. 13; Rs. C-59/89, Slg. 1991,1-2607, Kommission/ Deutschland, Rn. 18; Rs. C-190/90, Slg. 1992,1-3265, Kommission/Niederlande, Rn. 17; Rs. C-365/93, Slg. 1995, 1-499, Kommission/Griechenland, Rn. 9; Rs. C-433/93, Slg. 1995,1-2303, Kommission/Deutschland, Rn. 18; Rs. C-96/95, Slg. 1997,1-1653, Kommission/Deutschland, Rn. 35. 24 EuGH, Rs. 361188, Slg. 1991,1-2567, Kommission/Deutschland, Rn. 16; Rs. C-59/ 89, Slg. 1991,1-2607, Kommission/Deutschland, Rn. 19; Rs. C-58/89, Slg. 1991,1-4983, Kommission/Deutschland, Rn. 13. 25 GelIermann, Beeinflussung, 24. 26 Vgl. Art. 11 Richtlinie 97/5/ EG, ABI. 1997 L 43/25; Art. 3 Abs. 2 Richtlinie 97/55/ EG, ABI. 1997 L 290/18; Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 2001/97/EG, ABI. 2001 L 344/76. 27 Vgl. Art. 8 Richtlinie 84/250/EWG, ABI. 1984 L 250/20; Art. 3 Abs. 1 und 3 Richtlinie 97/55/EG, ABI. 1997 L 290/18. 28 Die Verletzung der Mitteilungspflicht allein rechtfertigt bereits die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens, auch wenn sie die Kommission nicht zu der Vermutung berechtigt, daß die Verpflichtung zum Erlaß von Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie verletzt worden sei, vgl. EuGH, Rs. 96/81, Slg. 1982, 1791, Kommission/Niederlande, Rn. 8 ff.

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

211

inhaltlich hinreichend klar, transparent und bestimmt sein, so daß der einzelne seine Rechte in vollem Umfang erkennen und sich vor den nationalen Gerichten auf sie berufen kann?9 Das gilt insbesondere, wenn die Bestimmungen der Richtlinie den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Rechte verleihen sollen, und diese die Tragweite einer Gesetzesänderung ohne die Heranziehung von dem nationalen Recht eigenen Auslegungsgrundsätzen nicht erfassen können. 3o Auch hierdurch wird der Kommission die Kontrolle der Umsetzung erleichtert. 31 Im Hinblick auf die erforderliche Klarheit und Bestimmtheit der Umsetzungsmaßnahmen ist insbesondere die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie Generalklauseln problematisch?2 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs ist hier nicht einheitlich. Eine wörtliche Umsetzung wird regelmäßig nicht verlangt. In einem Verfahren hatte der Gerichtshof auch gegen die Verwendung einer "Generalklausel" bei der Umsetzung des in Art. 5 der Richtlinie 76/207/ EWG niedergelegten Gleichbehandlungsgrundsatzes hinsichtlich der Arbeitsbedingungen nichts einzuwenden?3 Etwas anderes gelte nur, wenn der Nachweis erbracht würde, daß das mit der Richtlinie verfolgte Ziel in Wirklichkeit nicht erreicht worden sei. 34 Auf der anderen Seite soll die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die im Einklang mit den gemeinschaftsrechtlichen Erfordernissen durch die Verwaltung richtlinienkonform ausgelegt werden können, zur korrekten Erfüllung der Umsetzungspflicht nicht ausreichen. 35 Letzteres soll insbesondere dann gelten, wenn die Richtlinienbestimmungen sehr detailliert sind und die Begründung von Rechten und Pflichten einzelner beabsichtigen. 36 So dürfte die Bestimmtheit und Klarheit von Umsetzungsnormen nicht hinter den Bestimmtheitsgrad zugrunde liegender Richtlinienbestimmungen zurückfallen. 37

29 EuGH, Rs. 360/87, Slg. 1991,1-791, Kommission/Italien, Rn. 12; Rs. C-220/94, Slg. 1995,1-1589, Kommission/Luxemburg, Rn. 10. Vgl. jüngstens EuGH, Rs. C-162/99, Slg. 2001,1-541, Kommission/Italien, Rn. 22. 30 EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Kommission/Deutschland, Rn. 23; Rs. C-162/99, Slg. 2001, 1-541, KommissionIItalien, Rn. 23 f. 31 GelIermann, Beeinflussung, 24; ders./Szczekalla, NuR 1993, 54 (56); Langen/eid! Schlemmer-Schulte, EuZW 1991,622 (624). 32 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV /EGV, Art. 249, Rn. 53. 33 EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983,3273, KommissionIItalien, Rn. 9. Zu der Frage, inwieweit es sich bei der fraglichen Vorschrift tatsächlich um eine "Generalklausel" im methodologischen Sinne handelt siehe unten, Teil 3., C., IV., 4., c), cc), (1). 34 EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983,3273, KommissionIItalien, Rn. 9. 35 EuGH, Rs. 29/84, Slg. 1985, 1661, Kommission/Deutschland, Rn. 28 ff.; Rs. 131188, Slg. 1991,1-825, Kommission/Deutschland, Rn. 19. Siehe dazu GeIlermann, Beeinflussung, 27 ff. 36 GelIermann, Beeinflussung, 29. 37 Jarass, Grundfragen, 54.

14*

212

Tei13: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht 2. Ungeeignete Umsetzungstechniken

Unter Berufung auf diese Kriterien hat der Gerichtshof verschiedentlich mitgliedstaatliehe Umsetzungsbemühungen als generell ungeeignet verworfen. So kommt eine richtlinienkonforme Verwaltungspraxis aufgrund ihrer jederzeitigen Abänderbarkeit und ihrer fehlenden Publizität ebenso wenig in Betracht38 wie eine Umsetzung durch den Erlaß inneradministrativer Vorschriften, denen keine Außenverbindlichkeit zukommt. 39 Auch eine in einer Gesetzesvorschrift enthaltene allgemeine Verweisung auf das Gemeinschaftsrecht gewährleistet die vollständige Anwendung von Richtlinien, die darauf abzielen, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Rechte zu verleihen, nicht in hinreichend klarer und bestimmter Weise. 4o Als Umsetzungsaufwand überhaupt nicht in Betracht kommt eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie. Diese stellt lediglich eine Mindestgarantie dar und kann einem Mitgliedstaat daher grundsätzlich nicht als Rechtfertigung für das Versäumen der Umsetzung dienen. 41

3. Stellungnahmen des Gerichtshofs zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Neben diesen abstrakt-generellen Anforderungen hat sich der Gerichtshof bis zum Urteil Klauselrichtlinie42 nur im Urteil Dillenkojer43 und in diesem lediglich in einem Nebensatz am Rande zur Bedeutung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Erfüllung der Umsetzungspflicht geäußert. Entgegen anderer Stimmen44 enthält insbesondere das Urteil in der Rs. 104/86 (Kommission / Italien) keine Aussage zur Umsetzung durch Richterrecht. In diesem Verfahren hatte die italienische Regierung vorgetragen, daß eine von der Kommission beanstandete Bestimmung des italienischen Rechts wegen zweier Urteile des Corte Costituzionale keine dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufende Wirkungen habe, weil infolge dieser Urteile nationale Gerichte dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehende Vorschriften außer acht zu lassen hätten. 45 Ein staatliches Ände38 EuGH, Rs. 102/79, Slg. 1980, 1473, Kommission/Belgien, Rn. 11; Rs. 361/88, Slg. 1991,1-2567, Kommission/Deutschland, Rn. 10 ff.; Rs. C-58/89, Slg. 1991,1-4983, Kommission/Deutschland, Rn. 9 ff. 39 EuGH, Rs. 361/88, Slg. 1991,1-2567, Kommission/Deutschland, Rn. 10 ff.; Rs. C58/89, Slg. 1991,1-4983, Kommission/Deutschland, Rn. 9 ff. 40 EuGH, Rs. C-96/95, Slg. 1997,1-1653, Kommission/Deutschland, Rn. 36. 41 EuGH, Rs. 102/79, Slg. 1980, 1473, Kommission/Belgien, Rn. 12; Rs. C-96/95, Slg. 1997,1-1653, Kommission/Deutschland, Rn. 37. 42 EuGH, Rs. C-144/99, Sig. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande. 43 EuGH, Verb. Rs. C-178/94, 179 /94und 188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer. 44 Ehricke, EuZW 1998, 553 (558). 45 Vgl. EuGH, Rs. 104/86, Sig. 1988, 1799, Kommission/Italien, Rn. 9.

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

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rungsgesetz könne auch keine über diese Urteile hinausgehende Wirkung entfalten. 46 Der EuGH wies dieses Vorbringen zutreffend mit dem Hinweis zurück, daß auch wenn die Vorschriften nicht angewendet würden, sie doch immer noch Bestandteil der nationalen Rechtsordnung seien. 47 Die (negative) unmittelbare Wirkung entbinde nicht von der Pflicht, mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbare Vorschriften zu entfernen, um Unklarheiten auf Seiten der Norrnadressaten zu beseitigen. 48 Das entspricht der ständigen Rechtsprechung, wonach die (positive) unmittelbare Wirkung ebenfalls die Pflicht zur Umsetzung nicht entfallen läßt. 49 a) Urteil Dillenkofer

Ausdrücklich offen ließ der Gerichtshof die Frage der Umsetzungstauglichkeit einer ständigen Rechtsprechung im Verfahren Dillenkofer. In diesem, primär mit Staatshaftungsansprüchen gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtumsetzung der Pauschalreiserichtlinie50 befaßten Vorlageverfahren hatte das LG Bonn dem Gerichtshof unter anderem die Frage gestellt, ob "die Bundesrepublik Deutschland angesichts des "Vorkasse-Urteils" des Bundesgerichtshofs vom 12. März 1987 (BGHZ 100, 157; NJW 86, 1613) ganz auf eine normative Umsetzung des Artikels 7 der Richtlinie [hätte] verzichten dürfen[?]".51

Diese Frage wäre in der Tat geeignet gewesen, eine Antwort hinsichtlich der generellen Geeignetheit einer höchstrichterlichen Rechtsprechung für die Richtlinienumsetzung zu geben, hätte das "Vorkasse-Urteil" im Ergebnis den Anforderungen tatsächlich entsprochen. Dies war aber gerade nicht der Fall, wie der Generalanwalt Tesauro in seinen Schlußanträgen hervorhob. 52 So meldete er zwar auch grundsätzliche Zweifel hinsichtlich der Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Umsetzung durch eine bestimmte Rechtsprechung an, um aber dann darauf zu verweisen, daß der Verbraucher auch nach dieser Rechtsprechung eine Reihe von Risiken zu tragen habe, die ihm Artikel 7 der Pauschalreiserichtlinie gerade abnehmen wolle. 53 Auf diese inhaltliche Unzulänglichkeit stützte dann auch der EuGH Vgl. EuGH, Rs. 104/86, Sig. 1988, 1799, KommissionIItalien, Rn. 9. EuGH, Rs. 104/86, Sig. 1988, 1799, Kommission/Italien, Rn. 12. 48 EuGH, Rs. 104/86, Sig. 1988, 1799, KommissionIItalien, Rn. 12. Ebenso Prechal, Directives, 94 f. 49 EuGH, Rs. 102/79, Sig. 1980, 1473, Kommission/Belgien, Rn. 12; Rs. C-96/95, Slg. 1997,1-1653, Kommission/Deutschland, Rn. 37. 50 Richtlinie 90/413 /EWG, ABI. 1990, L 158/59. 51 Vgl. die Schlußanträge des GA Tesauro zu den Verb. Rs. C-178/94, 179/94 und 188 bis 190/94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Nr. 7. 52 Schlußanträge des GA Tesauro zu den Verb. Rs. C-178/94, 179/94 und 188 bis 190/ 94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Nr. 24. 53 Schlußanträge des GA Tesauro zu den Verb. Rs. C-178/94, 179/94 und 188 bis 190/ 94, Sig. 1996,1-4845, Dillenkofer, Nr. 24. 46 47

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

seine Beantwortung der vom LG Bonn vorgelegten Frage, wobei er die generelle Frage der Umsetzungstauglichkeit einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ausdrücklich offen ließ. Danach sei ,,[u]nabhängig von der Frage, ob eine bestimmte Rechtsprechung geeignet ist, die korrekte Umsetzung einer Richtlinie zu gewährleisten, [... ] festzustellen, daß sich die Beantwortung dieser Frage jedenfalls aus den Antworten auf die fünfte Frage und den zweiten Teil der siebten Frage ergibt. Da Artikel 7 den Verbraucher gegen die in dieser Bestimmung genannten Risiken schützen soll, die mit der Zahlungsunfähigkeit oder dem Konkurs des Veranstalters verbunden sind, kann das Vorkasse-Urteil des Bundesgerichtshofs nicht den Anforderungen der Richtlinie genügen, soweit es dem Verbraucher sowohl das Risiko der Zahlungsunfähigkeit oder des Konkurses des Veranstalters hinsichtlich der zulässigen Anzahlung als auch das Risiko aufbürdet, daß, wenn der Verbraucher werthaltige Unterlagen erhalten hat, der tatsächliche Leistungserbringer diese nicht anerkennt oder zahlungsunfähig wird.,,54

Zu den vom Generalanwalt Tesauro geäußerten Zweifeln äußerte sich der EuGH nicht. Gegenüber dieser klaren Urteilsbegründung erscheint der 3. Leitsatz des Gerichtshofs mißverständlich, da er bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck erwecken kann, der EuGH habe in diesem Urteil dem Verweis auf eine höchstrichterlich Entscheidung als Beleg für eine hinreichende Umsetzung eine generelle Absage erteilt. b) Urteil Kommission/Griechenland

Eine erste, ablehnende Stellungnahme des Gerichtshofs findet sich in einem Verfahren gegen Griechenland. 55 Griechenland hatte in diesem Verfahren eingeräumt, nicht rechtzeitig die zur förmlichen Umsetzung notwendigen Maßnahmen zur Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen getroffen zu haben. Der im griechischen Recht vorhandene allgemeine Regelungsrahmen böte jedoch im Ergebnis, unterstützt durch jüngere Entwicklungen in der Rechtsprechung des Staatsrats, einen den Anforderungen der Richtlinie genügenden Rechtsschutz. Im übrigen sei bereits ein Präsidialdekret im Stadium der endgültigen Unterzeichnung. 56 Der Gerichtshof akzeptierte zwar, daß der griechische Staatsrat die in Rede stehenden Vorschriften richtlinienkonform auslegte, sah aber angesichts des Wortlauts dieser Vorschriften die Anforderungen an die Rechtssicherheit der Umsetzung nicht gewährleistet. 57

54 Verb. Rs. C-178/94, 179/94 und 188 bis 190/94, Slg. 1996, 1-4845, Dillenkofer, Rn. 67. 55 EuGH, Rs. C-236/95, Slg. 1996,1-4459, Kommission/Griechenland. 56 Vgl. EuGH, Rs. C-236/95, Slg. 1996,1-4459, Kommission/Griechenland, Rn. 8. 57 EuGH, Rs. C-236/95, Slg. 1996,1-4459, Kommission/Griechenland, Rn. 10 ff.

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c) Urteil" Klauselrichtlinie ,,58

Im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Niederlande wegen Nichtumsetzung der Klauselrichtlinie59 setzte sich der Gerichtshof dann ausführlich mit der Frage nach der Bedeutung höchstrichterlicher Entscheidungen bei der Beurteilung einer Vertragsverletzung durch eine unzureichende Richtlinienumsetzung auseinander. 6o Da er in diesem Verfahren umfassend auf den Schlußantrag des Generalanwalts Tizzano verwies, ist eine Auseinandersetzung auch mit diesem angezeigt. aa) Ausgangssachverhalt Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob die Niederlande ihrer Pflicht, die Richtlinie 93/13 / EWG über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in ihr innerstaatliches Recht umzusetzen, durch im innerstaatlichen Recht bereits vorhandene Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs nachgekommen waren. Dabei stand insbesondere die Frage im Raum, inwieweit die Niederlande hierzu auf ungeschriebene Regeln des niederländischen Rechts und die Anwendung der fraglichen Bestimmungen in der Rechtsprechung verweisen konnten, um zu belegen, daß die mit der Richtlinie verfolgten Ziele im nationalen Recht erreicht seien, und zwar insbesondere dann, wenn ein höchstrichterliches Gericht bereits festgestellt hat, daß die fraglichen Bestimmungen richtlinienkonform auszulegen seien. 61 Die Kommission hatte demgegenüber vorgetragen, daß das Wahlrecht, eine Umsetzung, die sich auf im nationalen Recht vorhandene richtlinienkonforme Vorschriften stützt, nur in sehr engen Grenzen zulässig sei. Dies gelte um so mehr dann, wenn die Richtlinie Zwecke des Verbraucherschutzes verfolge. 62 In solchen Fällen verlange das Gemeinschaftsrecht eine klare und eindeutige Umsetzung, die dem Verbraucher die volle Kenntnisnahme von den Ansprüche ermögliche, die ihm in der Richtlinie gewährt würden. 63 Unabhängig davon bestritt die Kommission, daß die fraglichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs tatsächlich das von der Richtlinie angestrebte Ergebnis sicherstellten. 64 58 EuGH, Urteil vom 10. Mai 2001, Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande; EuZW 2001, 437 m. Anm. Leible; EWS 2001, 329 m. Anm. Staudinger; EWS 2001,484 m. Anm. Micklitz. 59 Richtlinie 93 /13 /EWG, ABI. 1993, L 95/29. 60 Ebenso Micklitz, EWS 2001, 486. 61 VgI. den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission / Niederlande, Nr. 8 ff. 62 VgI. den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 9. 63 VgI. den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001,1-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 9. 64 VgI. den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 9.

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

bb) Schlußanträge des Generalanwalts Tizzano Der Generalanwalt Tizzano folgte in seinen Schlußanträgen in Ergebnis wie Begründung der Kommission. Zunächst verwies er auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Anforderungen an die Umsetzung von Richtlinien. Zwar sei in der Tat anerkannt, daß es nicht in jedem Fall eines förmlichen Umsetzungsaktes und erst recht nicht eines gesetzgeberischen Aktes bedürfe, es sei jedoch zu berücksichtigen, daß es sich hierbei um eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen handele, die grundsätzlich eng auszulegen sei. 65 Eine allgemeine Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit der Richtlinie reiche daher nicht aus, um eine Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats auszuschließen, sondern es müsse eine klare und genaue Konformität gegeben sein. Es dürften keinerlei Zweifel hinsichtlich der Reichweite der von der Richtlinie den einzelnen eingeräumten Rechtspositionen bestehen bleiben. Besonders strenge Voraussetzungen seien anzulegen, wenn eine Richtlinie beabsichtige, Verbraucher gegenüber stärkeren Vertragspartnern zu schützen, und zwar insbesondere dann, wenn die Richtlinie darauf abzielt, Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen, da diese über die Rechtsvorschriften anderer Mitgliedstaaten nicht unterrichtet seien. Als nächstes wandte sich Generalanwalt Tizzano der Richtlinienkonformität des niederländischen Rechts ZU. 66 Dieses sei weder völlig richtlinienkonform, noch weise es die Klarheit, Offensichtlichkeit und Eindeutigkeit auf, die vom EuGH allgemein verlangt würden, um die Begünstigten von allen ihren Rechten in Kenntnis zu setzen und sie damit in die Lage zu versetzen, diese vor Gericht geltend machen zu können. So zeigten insbesondere die Diskussionen zwischen den Parteien indirekt, daß die Auslegung nicht frei von Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten sei. Verstärkt würden diese Zweifel zudem dadurch, daß sich die Diskussionen vornehmlich um die Frage drehten, welche Bedeutung und Tragweite den einschlägigen höchstrichterlichen Entscheidungen zuzumessen sei. Auch die Tatsache, daß die niederländische Regierung es für erforderlich gehalten habe, ein klarstellendes Gesetz zu erlassen, beweise, daß die Regierung die Notwendigkeit der Beseitigung der von der Kommission gerügten Mängel gesehen habe. Im folgenden prüfte der Generalanwalt die Vereinbarkeit des nationalen Regelungsrahmens mit den einzelnen inhaltlichen Vorgaben der Richtlinie. 67 So erschiene aufgrund der von der Kommission angeführten höchstrichterlichen Rechtsprechung die Geltung des contra proJerentem-Grundsatzes im niederländischen Recht zumindest zweifelhaft. Das Vernünftigkeitskriterium zur Auslegung unklarer oder unverständlicher Klauseln, wie es in den Artikeln 3:35 und 6:248 des nieder65 Vgl. den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 15 ff. 66 Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 19 ff. 67 Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 22 ff.

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ländischen BGB niedergelegt sei, stimme nicht notwendigerweise mit dem Gebot der für den Verbraucher günstigsten Auslegung überein. Für Klauseln, die gegen den Transparenzgrundsatz verstoßen, sähe das niederländische BGB in Artikel 6:233 hingegen stets die Anfechtbarkeit vor, wohingegen der Grundsatz der günstigsten Auslegung auf eine Aufrechterhaltung einer fraglichen Klausel hinausliefe. Den gleichen "Rechtsfolgenfehler" bewirke auch eine Heranziehung des Artikels 3:35 NL-BGB, demzufolge unvernünftig oder unbillig auslegbare Klauseln dem Verbraucher nicht entgegengehalten werden könnten. Auch gewährleiste das niederländische Recht nicht, daß auch hinsichtlich Klauseln, welche die Hauptleistung des Vertrages betreffen, zwar keine Mißbrauchs-, wohl aber eine Transparenzkontrolle möglich sei. Auch sei nicht sichergestellt, daß sich der Gewerbetreibende im Untersagungsverfahren nicht auf den contra proJerentemGrundsatz berufen könne. Auch die volle Beachtung des Transparenzgebots sei durch die fraglichen Vorschriften nicht in hinreichender Weise gesichert, da die insoweit angeführten Vorschriften lediglich die Kriterien von Treu und Glauben verwendeten, denen aber nicht die gleiche Direktheit und Unmittelbarkeit im Hinblick auf das angestrebte Ergebnis zukäme, wie es eine Vorschrift täte, die dem Grundsatz ausdrücklich Rechnung trüge. Nachdem der Generalanwalt diesen, aus seiner Sicht unzureichenden, Regelungsrahmen geschildert hatte, nahm er die Frage ins Visier, inwieweit die Anerkennung der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der fraglichen Vorschriften, wie sie der Hoge Raad ausgesprochen habe, Abhilfe schaffe. 68 Der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung habe mit den Anforderungen an die Richtlinienumsetzung allerdings nichts zu tun und beantworte die Frage, ob eine bestimmte nationale Regelung zur vollständigen und ordnungsgemäßen Umsetzung geeignet sei, daher auch nicht. Der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung sei vielmehr ein Mittel, welches bis zur ordnungsgemäßen Umsetzung einer Richtlinie oder solange die Umsetzung nicht ordnungsgemäß oder unvollständig sei, anzuwenden sei. Als Rechtfertigung für eine unzureichende oder fehlende Umsetzung käme er hingegen nicht in Betracht. Die alle Träger öffentlicher Gewalt, namentlich den Gesetzgeber, treffende Umsetzungsverpflichtung werde nicht durch ein Urteil eines nationalen Gerichts beseitigt. Eine solche Annahme verstieße gegen die grundlegenden Erfordernisse der Rechtssicherheit und Publizität. Hinzu käme, daß die Rechtsprechung des Hoge Raad nicht einmal geeignet erschiene, die Richtlinienergebnisse zu erreichen, da er auch nach Inkrafttreten der Richtlinie zumindest in einem Urteil den contra proJerentem-Grundsatz nicht als im niederländischen Recht enthaltene Rechtsregel anerkannt habe. Dies zeige, daß es einer höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht nur an der notwendigen Klarheit und Offenkundigkeit mangele, sondern zugleich auch an Sicherheit und Endgültigkeit, da sie gewissen Schwankungen unterläge. Die angeführte Rechtsprechung sei 68 Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 32 ff.

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daher im Ergebnis nicht geeignet, die festgestellte mangelnde Eignung der Rechtsvorschriften der Niederlande zur klaren und eindeutigen Durchführung der Richtlinie zu beheben. cc) Entscheidungsgründe Der EuGH faßte sich demgegenüber in seinen Entscheidungsgründen sehr knapp und verwies weitreichend auf die Argumentation des Generalanwalts hinsichtlich der Ungeeignetheit der niederländischen Vorschriften, das von der Klauselrichtlinie beabsichtigte Ergebnis zu gewährleisten. 69 Besonderes Gewicht maß der Gerichtshof dabei dem Umstand zu, daß die Richtlinie den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen beabsichtigt. Der Klarheit und Bestimmtheit der Vorschriften käme daher besondere Bedeutung zu. Anders als von Micklitz behauptet,70 nimmt der EuGH damit aber keine Akzentverschiebung gegenüber dem Generalanwalt vor. Dieser hatte den gleichen Umstand in seinem Schlußantrag ebenfalls unter Berufung auf den 6. Erwägungsgrund der Klauselrichtlinie dargetan. 7l Auch das Vorbringen der niederländischen Regierung, der Grundsatz der richtlinienkonformen Auslegung erlaube es im vorliegenden Fall, Unterschiede zwischen den Bestimmungen des niederländischen Rechts und denen der Richtlinie zu beheben, wies der Gerichtshof unter Verweis auf die vom Generalanwalt in Nummer 36 seiner Schlußanträge vorgetragenen Gründe zurück. Danach fehle einer nationalen Rechtsprechung die Klarheit und Bestimmtheit, die notwendig sei, um dem Erfordernis der Rechtssicherheit zu genügen. Dies gelte insbesondere im Bereich des Verbraucherschutzes. 72 dd) Reaktionen in der Literatur Das Urteil Klauselrichtlinie ist in der Literatur auf ein geteiltes Echo gestoßen, wenn auch zu bemerken ist, daß die ersten Besprechungen der Entscheidung sich mit Kommentaren eher zurückhielten. Eine Ausnahme in dieser Hinsicht bilden Staudinger und Reich, die dem Urteil in Ergebnis wie Begründung voll zustimmen?3 Teilweise wird kritisiert, daß der Gerichtshof umfangreich auf die Schlußanträge des Generalanwalts verweist. Hierdurch sei das Urteil selber nicht hinreichend klar. 74 Dieser Kritik wird entgegengehalten, daß dies weniger dem EuGH EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001,1-3541, Kommission/Niederlande, Rn. 19 ff. Micklitz, EWS 2001, 486. 71 Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Nr. 18. 12 EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Rn. 21. 73 Reich, EWiR 2001,969 (970); Staudinger; EWS 2001, 330. 74 Leible, EuZW 2001, 438 (439); Streinz, JuS 2001, 1113. Anders hingegen Reich, EWiR 2001,969. 69

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anzulasten sei, als der deutschen Unsitte, die Schlußanträge der Generalanwälte in der Regel nicht mit abzudrucken. 75 In der Konsequenz des Urteils wird vor allem die schon früher eingeforderte76 Einfügung des Transparenzprinzips in das deutsche Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen als nunmehr zwingend erachtet, um ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik zu vermeiden. Dies sei allerdings durch die Vorschläge zur Schuldrechtsreform in hinreichender Form vorgesehen. 77 Überwiegend wird zudem eine Einschränkung der Möglichkeit zur Umsetzung von Richtlinien durch Generalklauseln und den Verweis auf eine richtlinienkonforme Auslegung durch die Gerichte konstatiert. 78 Völlig ausgeschlossen soll sie zum Schutz der Lesbarkeit und Integrität nationaler Kodifikationen aber nicht sein.79 Darüber hinausgehend wird das Urteil als Bestätigung der Änderung des UWG zur Umsetzung der Richtlinie vergleichende Werbung gewertet. 80

d) Urteil Klauselrichtlinienanhanl' Jüngst hatte der EuGH dann erneut in einem Vertragsverletzungerverfahren über die hinreichende Umsetzung der Klauselrichtlinie zu urteilen, diesmal hinsichtlich der Umsetzung in Schweden. In diesem Verfahren warf die Kommission Schweden vor, dessen Umsetzungsmaßnahmen seien unzureichend, weil der Text des Anhangs der Klauselrichtlinie, in dem in beispielhafter und nicht-abschließender Weise mißbräuchliche Klauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen aufgezählt sind, nicht in die schwedische Umsetzungsgesetzgebung aufgenommen wurde. Stattdessen hatte Schweden den Anhang in die Gesetzesmaterialien aufgenommen und vorgetragen, diese stellten bei der Auslegung schwedischer Gesetze eine wichtige Hilfsquelle für die Auslegung von Gesetzen dar. Der EuGH wies die Klage der Kommission ab und begründete dies damit, daß dem Anhang nur Beispielscharakter zukäme und er daher nicht beabsichtige, Verbrauchern Ansprüche zuzuerkennen. Seiner Funktion als Informationsquelle werde aber auch eine Veröffentlichung in den Gesetzesmaterialien gerecht, insoweit diese nach nordischer Rechtstradition ein wichtiges Hilfsmittel für die Auslegung darstellten. 82 Micklitz, EWS 2001, 486. Vgl. Reich, Europäisches Verbraucherrecht, Rn. 156r; dens., VuR 1995, 1 (3 ff.); Staudinger; WM 1999, 1546 (1550); a.A. Ulmer; EuZW 1993,337. 77 Leible, EuZW 2001, 438 (439); Micklitz, EWS 2001, 486 (488); Reich, EWiR 2001, 969 (970); Staudinger; EWS 2001, 330 (331). Nunmehr niedergelegt in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB. 78 Leible, EuZW 2001, 438 (439); Streinz, JuS 2001,1113 (1114). 79 Leible, EuZW 2001, 438 (439); Streinz, JuS 2001,1113 (1114). 80 Staudinger; EWS 2001, 330 (332). 75

76

81 82

EuGH, Rs. C-478/99, Kommission/ Schweden, EuZW 2002, S. 465. EuGH, Rs. C-478/99, Kommission/Schweden, EuZW 2002, S. 465, Rn. 21 ff.

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Für die Frage einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht läßt sich aus diesem Urteil allerdings nichts Zwingendes ableiten, da der fragliche Anhang gerade nicht zu dem normativ verbindlichen Teil der Richtlinie gehört. Allerdings betont der EuGH einmal mehr die Wichtigkeit der Transparenz der Umsetzung, und zwar auch im Hinblick auf solche Teile von Richtlinien, denen lediglich Hinweisfunktionen zukommen. 11. Frühere Stellungnahmen der Generalanwälte zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Auch in früheren Verfahren hatten sich bereits vereinzelt Generalanwälte zur Möglichkeit eines Verweises auf eine richtlinienkonforme höchstrichterliche Rechtsprechung geäußert und überwiegend eine ablehnende Haltung eingenommen. So hatte Generalanwalt da Cruz Vilar;a als erster vorgetragen, daß "die Verpflichtung der Gerichte jedes Mitgliedstaats, ihr nationales Recht im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, die dieser Staat durchzuführen hat, [... ] nicht die Verpflichtung aller Träger öffentlicher Gewalt dieses Mitgliedstaats, namentlich des Gesetzgebers, im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten alle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, die Umsetzung und damit die Erreichung der Ziele der Gemeinschaftsnorrn zu gewährleisten, [beseitigt].83

Der Gerichtshof ging in seiner Entscheidung auf diesen Teil der Schluß anträge allerdings nicht ein. Im Gegensatz dazu bejahte der Generalanwalt van Gerven in einem späteren Schlußantrag die Möglichkeit des Verweises auf eine höchstrichterliche Rechtsprechung. Er führte aus: "Wie die deutsche Regierung und die Kommission bin ich der Auffassung, daß diese Frage in einem Fall, wie ihn die vorlegenden Gerichte vor sich haben, in der Tat bejaht werden kann, nämlich wenn die richterliche Auslegung sich auf die ständige Rechtsprechung des höchsten Gerichts mit Zuständigkeit in Arbeitssachen stützt und auf eine Vorschrift bezieht, im vorliegenden Fall § 613a BGB, die selbst eine Rechtsvorschrift im Sinne der Richtlinie ist und zu der die ständige Rechtsprechung als integrierender Bestandteil gehört. Da diese richterliche Auslegung bereits zu dem Zeitpunkt bestand, als § 613a BGB an die Richtlinie angepaßt wurde [... ] kann man nämlich davon ausgehen, daß sie von dem nationalen Gesetzgeber bei der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht implizit gebilligt worden ist und deshalb im Sinne von Artikel 7 der Richtlinie als Vorschrift angesehen werden kann, die der Mitgliedstaat weiterhin anwenden darf.,,84

Der Gerichtshof folgte dem Antrag des Generalanwalts in seiner Entscheidung und berief sich dazu auf seine ständige Rechtsprechung, wonach die Bedeutung 83 Schlußanträge des GA Da Cruz Vilara zur Rs. 412/85, Slg. 1987,3503, Kommission/ Deutschland, Nr. 19. 84 Schlußanträge des GA van Gerven zu den Verb. Rs. C-132, 138 und 139/91, Slg. 1992, I-6577, Katsikas, Nr. 20.

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nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften unter Berücksichtigung der Auslegung zu beurteilen sei, welche die nationalen Gerichten ihnen geben. 85 Skeptischer zeigte sich wiederum Generalanwalt Tesauro im Verfahren Dillenkofer, wo er aus Gründen der Rechtssicherheit Zweifel an der Umsetzungstauglichkeit einer höchstrichterlichen Rechsprechung anmeldete, um dann aber darauf zu verweisen, daß das in Frage stehende Urteil ohnehin nicht das von der Richtlinie angestrebte Ergebnis zu erreichen vermochte. 86 Dementsprechend ließ der Gerichtshof die Frage in seinem Urteil unentschieden. In einem weiteren Verfahren nahm Generalanwalt Leger Stellung zu dieser Problematik, und zwar obwohl sich Griechenland eine dahingehende Argumentation nicht zu eigen gemacht hatte. Es könne jedoch, so Leger, der Schluß naheliegen, "eine ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie könne durch die Rechtsprechung gewährleistet werden, wenn anerkannt würde, daß die angeführte Rechtsprechung Verzögerungen beim Erlaß der Umsetzungsmaßnahmen rechtfertigen kann.,,87

Nachdem er die Frage aufgeworfen hatte, verneinte er sie unter Hinweis auf die grundlegenden Erfordernisse der Rechtssicherheit und Publizität. 88 Eine nationale Rechtsprechung, die Rechts- oder Verwaltungs vorschriften im Einklang mit den Anforderungen einer Richtlinie auslege, genüge nicht, um diesen Vorschriften die Qualität von Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verleihen. 89 Der Gerichtshoffolgte diesem Vorschlag. 9o Erneut stellte sich die Frage dem Generalanwalt La Pergola in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich. 91 Die Kommission hatte bemängelt, daß das französische Recht zur Umsetzung der Richtlinie über die Auftragsvergabe im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrs versorgung sowie des Telekommunikationssektors 92 in unzulässiger Weise die Festlegung der Höhe eines Zwangsgeldes dem Richter überlasse, und daß daher gesetzlich nicht gesichert sei, daß solche 85 EuGH, Verb. Rs. C-132, 138 und 139/91, Slg. 1992, 1-6577, Katsikas. Siehe auch EuGH, Rs. C-347 /89, Slg. 1991,1-1747, Eurimpharrn, Rn. 15; Rs. C-382/92, Slg. 1994,12435, Kommission/Vereinigtes Königreich, Rn. 36; Rs. C-300/95, Slg. 1997,1-2649, Kommission / Vereinigtes Königreich, Rn. 37. 86 Schlußanträge des GA Tesauro zu den Verb. Rs. C-178/94, 179/94 und 188 bis 190/ 94, Slg. 1996,1-4845, Dillenkofer, Nr. 24. 87 Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-236/95, Slg. 1997,1-4459, Kommission/Griechenland, Nr. 23. 88 Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-236/95, Slg. 1997,1-4459, Kommission/Griechenland, Nr. 24 ff. 89 Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-236/95, Slg. 1997,1-4459, Kommission/Griechenland, Nr. 26. 90 Siehe dazu oben Teil 3, C., 1., 3., b). 91 Schlußanträge des GA La Pergola zur Rs. C-225/97, Slg. 1999,1-3011, Kommission/ Frankreich. 92 Richtlinie92/13/EWG,ABI.1992L 76/14.

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Zwangsgelder abschreckende Höhe hätten. 93 Der Generalanwalt wies diese Ansicht der Kommission unter Verweis auf die Richtlinie zurück, die alleine verlange, daß ein wirksames System zur Abstellung von Verstößen geschaffen werde. Dazu sei die Möglichkeit eines Zwangs geldes aber generell geeignet. Im übrigen sei die Festsetzung von Zwangs geldern in vielen Rechtsordnungen in das Ermessen der Gerichte gestellt. 94 Der Gerichtshof schloß sich dieser Argumentation ohne eine ausführliche Auseinandersetzung an. 95 IH. Stellungnahmen in der Literatur zur Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

In der Literatur wird die Möglichkeit einer Richtlinienumsetzung durch richtlinienkonforme Auslegung bzw. durch Richterrecht streitig diskutiert. Während sich in älteren Beiträgen die Überlegungen auf die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und GeneralklauseIn durch die Verwaltung konzentrierten, dominiert im neueren Schrifttum die Frage nach der Umsetzungstauglichkeit von Richterrecht im privatrechtlichen Bereich. Dies beruht zum einen darauf, daß der EuGH im Bereich des öffentlichen Rechts einer Umsetzung durch unbestimmte Rechtsbegriffe und deren richtlinienkonforme Konkretisierung etwa durch eine Verwaltungspraxis oder Verwaltungsvorschriften eine Absage erteilt hat und damit, ungeachtet der Kritikwürdigkeit dieser Entscheidungen,96 diesbezüglich kaum noch Diskussionsbedarf besteht, zum anderen auf der zunehmenden gesetzgeberischen Aktivität der Gemeinschaft im Bereich des Privatrechts. 97 Ob und inwieweit die im öffentlichen Recht entwickelten Grundsätze auf das Privatrecht übertragbar sind, wie es etwa Franzen vorgetragen hat,98 bedarf genauerer Untersuchung. Ausführliche Erörterungen der Problematik fehlen weitestgehend. 99 Eine überwiegende Meinung läßt sich nicht feststellen, auch wenn insbesondere infolge des Urteils Klauselrichtlinie zumeist von einem reduzierten Spielraum für eine richter93 Vgl. Schlußanträge des GA La Pergola zur Rs. C-225/97, Sig. 1999,1-3011, Kommission / Frankreich, Nr. 11. 94 Vgl. Schlußanträge des GA La Pergola zur Rs. C-225/97, Sig. 1999,1-3011, Kommission / Frankreich, Nr. 14 ff. 95 Vgl. EuGH, Rs. C-225/97, Slg. 1999,1-3011, Kommission/Frankreich, Rn. 23 f. 96 Zur Rspr. des EuGH zur Umsetzungsuntauglichkeit von Verwaltungs vorschriften Beyerlin, EuR 1987, 126; von Danwitz, VerwA 1993, 73, Everling, RIW 1992, 379; Langenfeld/ Schlemmer-Schulte, EuZW 1991,622; Pernice, EuR 1994,325; Vedder, EWS 1991,293. 97 V gl. auch Staudinger, WM 1999, 1546 sowie Ulmer, EuZW 1993, 337 (339) zu den Gründen der Akzentverschiebung. 98 Franzen, Privatrechtsangleichung, 365. 99 Siehe lediglich Ehricke, EuZW 1999, 553; Franzen, Privatrechtsangleichung, 364 ff.; Nettesheim, AöR 1994, 261 (283); Siems, ZEuP 2001, 686 (693 ff.); Staudinger; WM 1999, 1546; Ulmer, EuZW 1993,337.

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rechtliche Umsetzung ausgegangen wird. 100 Andererseits behaupten nur wenige Stimmen, daß Richterrecht generell umsetzungsuntauglich sei. 101 Erschwert wird die Einordnung der verschiedenen Positionen dadurch, daß sie auf unterschiedlichen Vorstellungen hinsichtlich Rechtsgrund, Umfang und Wirkung des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung beruhen, und daher kaum unmittelbar miteinander vergleichbar sind. 1. Argumente der Gegner einer RichtIinienumsetzung durch Richterrecht

Gegen eine Richtlinienumsetzung durch richtlinienkonforme höchstrichterliche Rechtsprechung werden vor allem die allgemeinen Anforderungen an die Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz der Richtlinienumsetzung in Stellung gebracht. 102 Eine Richtlinienumsetzung durch richtlinienkonform auslegbare unbestimmte Rechtsbegriffe rücke demgegenüber in unzulässiger Weise Effektivitätsgesichtspunkte in den Vordergrund. 103 So mangele es im deutschen Recht an einer formalen Präjudizienbindung, weshalb auch eine höchstrichterliche Rechtsprechung geändert werden könne. 104 Als schlichter Rechtserkenntnisquelle fehle es ihr an der gleichen Sperrwirkung wie einer rechtsnormativen Umsetzung. lOS Es bestehe daher die Gefahr einer disparaten Richtlinienumsetzung. 106 Auch das gemeinschaftsrechtliche Gebot der richtlinienkonformen Auslegung sei nicht geeignet, über diese mangelnde Bindungskraft hinwegzuhelfen, da die richterliche Unabhängigkeit aus Art. 97 Abs. I GG dem entgegenstehe. 107 Zudem sei eine höchstrichterliche Rechtsprechung häufig nur aus der Zusammenschau einer ganzen Reihe von Urteilen überhaupt ermittelbar. 108 Insbesondere Marktbürger aus anderen Mitgliedstaaten könnten eine solche nicht erkennen und blieben daher über ihre Rechte im Unklaren. 109 Diese, vom EuGH im Bereich des öffentlichen Rechts entwickelten Grundsätze müßten auf das Privatrecht übertragen werden, soweit mit privatrechtlichen Richtlinien Berechtigungen einzelner beabsichtigt 100

Leible, EuZW 2001, 438 (439); Streinz, JuS 1113 (1114).

So wohl Dreher; EuZW 1997,522 (523 0; Ehricke, EuZW 1999,553 (558 f.), wobei er für Rechtssysteme, die auf Richterrecht beruhen, eine Ausnahme machen will; GelIermann, Beeinflussung, 52. 102 So Dreher; EuZW 1997, 522 (524); Franzen, Privatrechtsangleichung, 364 ff.; GelIermann, Beeinflussung, 52; Nettesheim, AöR 1994, 261 (283 f.); Roth, Festgabe 50 Jahre BGH, 847 (871). 103 GelIermann, Beeinflussung, 52. 104 Ehricke, EuZW 1999,553 (558). 105 Dreher; EuZW 1997,522 (523); Franzen, Privatrechtsang\eichung, 365. 106 Ehricke, EuZW 1999,553 (558). 107 Ehricke, EuZW 1999,553 (558). 108 Staudinger; WM 1999, 1546 (1548). 109 Easson, YEL 1 (1981), 1 (29); Roth, Festgabe 50 Jahre BGH, 847 (871 f.). 101

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seienYo Auch ergäbe sich kein Unterschied zwischen der Situation einer exekutiven Umsetzung, die der Gerichtshof ausdrücklich ausgeschlossen habe, und einer jUdikativen. lll Im übrigen bestünden auch erhebliche funktionale Unterschiede zwischen dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und der Pflicht zur klaren, bestimmten und transparenten Richtlinienumsetzung. Während ersteres darauf abziele, dem Marktbürger im Einzelfall zu seinem Recht zu verhelfen, ginge es bei letzterem darum, ein möglichst hohes Maß an Rechtssicherheit zu erreichen. Dies verlange aber grundsätzlich eine möglichst genaue Umsetzung durch die Legislative, da dadurch der Erfolg der Umsetzung kontrollierbarer und verbindlicher würde. Nicht umsonst hätte der EuGH die jeweiligen Überlegungen in zwei unterschiedlichen Verfahrensarten entwickelt. 112 Eine richtlinienkonforme Auslegung könne legislative Umsetzungsdefizite allenfalls mildem, nicht jedoch diese heilen. ll3 So bestätige das Urteil Klauselrichtlinie im Nachhinein die Einfügung des § 2 UWG 1l4 wie auch die Forderungen nach Änderungen im deutschen Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen. ll5 Neuere Richtlinien verlangten zudem in aller Regel von den Mitgliedstaaten den Erlaß von Rechts- und VerwaltungsvorschriftenY6 Auf eine gesetzgeberische Umsetzung könne lediglich dann verzichtet werden, wenn das nationale Recht den Anforderungen der Richtlinie entspricht. 117

2. Argumente der Befürworter einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Diesen ablehnenden Stimmen steht eine ebenso beachtliche Zahl von Äußerungen gegenüber, die eine Richtlinienumsetzung durch eine richtlinienkonforme höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich für möglich erachten. 1l8 Zentrale Argumente sind dabei zum einen die Kontinuität und Integrität tradierter nationaFranzen, Privatrechtsangleichung, 365. Dreher; EuZW 1997,522 (523). 112 Franzen, Privatrechtsangleichung, 366 f. 113 Franzen, Privatrechtsangleichung, 366 f. 114 Staudinger; EWS 2001, 330 (332). 115 Leible, EuZW 2001, 438 (439); Micklitz, EWS 2001, 486 (488); Reich, EWiR 2001, 969 (970); Staudinger; EWS 2001, 330 (332). 116 Staudinger; WM 1999, 1546 (1547). 117 Ehricke, EuZW 1999, 553 (558, Fn. 58); Ruffert, in: Caliiess/Ruffert (Hrsg.), EUV I EGV, Art. 249, Rn. 112. 118 Bayreuther; EuZW 1998, 478 (479); Biervert, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 249, Rn. 28; Bleckmann, DB 1984, 1574 (1576); ErdmannlBornkamm, GRUR 1991, 877; Hergenröder; FS Zöllner, 1139 (1152); Jarass, EuR 1991, 211 (218); Leible, EuZW 2001,438 (439); OhlylSpence, GRUR Int. 1999,681 (696); Ohly, Comparative Advertising, 88; ders., GRUR 1998, 828 (829); Sack, WRP 1998, 241 (244); Siems, ZEuP 2001, 686 (694); Streinz, Europarecht, Rn. 393; Zöckler; JhrbjZiv 1992, 141 (146). 110 III

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ler Regelungsstrukturen, 119 anderseits aber auch Effektivitätsüberlegungen. 120 Grundsätzlich seien auch die Gerichte im Rahmen ihrer Kompetenzen zur Umsetzung verpflichtet. 121 Auch eine Generalklausei wie § 1 UWG sei, anders als Verwaltungsvorschriften, ein Parlamentsgesetz. 122 Der Charakter einer Generalklausei führe nicht dazu, daß eine Umsetzung unzureichend sei, da die Konkretisierung, welche eine legitime Aufgabe der Rechtsprechung sei, im Ergebnis zu einer hinreichenden Bestimmtheit der Rechtslage führe. 123 Solche Generalklauseln seien ein europaweit anerkanntes notwendiges Mittel der Gesetzgebung. 124 Auch reines case-law sei etwa vom EuGHMR als geeignet angesehen worden, die Rechte aus Art. 10 Abs. 1 der EMRK zu beschränken, wenn es selber hinreichend zugänglich und präzise formuliert sei. J25 Eine Generalklausel eröffne im übrigen eine flexible Annäherung an eine europarechtliche Begriffsbestimmung und sei daher einer Kodifizierung in einem Bereich wie etwa dem Wettbewerbsrecht vorzuziehen. 126 Der nationale Gesetzgeber sei durch Richtlinien nicht gezwungen, deren Terminologie "eins-zueins" zu übernehmen, sondern die Richtlinie erlaube gerade eine Transformation in die nationale Terminologie und dogmatische Struktur. 127 Abweichungen des Wortlauts nationalen Rechts von dem der Richtlinie seien daher unbedenklich, wenn die Auslegungen übereinstimmten. 128 Die Rechtsprechung des EuGH zur Umsetzung umweltrechtlicher Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften stünde einem solchen Ergebnis nicht entgegen, da es sich dabei um den Vollzug hoheitlicher Verbote durch Verwaltungsakt gehandelt habe. Im Bereich des Zivilrechts gehe es jedoch um Rechtsbeziehungen zwischen Privaten. 129 Auch sei eine langjährige, höchstrichterliche Rechsprechung in ihrer Wirkung von einer die Gerichte nicht bindenden Verwaltungspraxis zu unterscheiden, da sie gerade nicht beliebig Leible, EuZW 2001, 438 (439); Ulmer, EuZW 1993,337 (339). Ulmer, EuZW 1993, 337 (339). 121 ErdmannlBornkamm, GRUR 1991, 877 (880). 122 Siems, ZEuP 2001, 686 (694). Vgl. dazu auch Prechal, Directives, 93. 123 Bayreuther, EuZW 1998,478 (479); Siems, ZEuP 2001,686 (694). 124 Siems, ZEuP 2001,686 (694). 125 So Prechal, Directives, 93 (Fn. 51). Vgl. dazu EuGHMR, Urteil v. 26. 4. 1979, Sunday Times. / .United Kingdom, Rn. 47 "The Court observes that the word "law" in the expression "prescribed by law" covers not only statute but also unwritten law. Accordingly, the Court does not attach importance here to the fact that contempt of court is a creature of the common law and not of legislation. It would cJearly be contrary to the intention of the drafters of the Convention to hold that a restrietion imposed by virtue of the common law is not "prescribed by law" on the sole ground that it is not enunciated in legislation: this would deprive a common-Iaw State which is Party to the Convention of the proteetion of ArticJe 10 (2) (alt. 102) and strike at the very roots of that State's legal system." 126 ErdmannlBornkamm, GRUR 1991, 877 (880); Siems, ZEuP 2001,686 (694 f.). 127 Ulmer, EuZW 1993, 337 (339). 128 Ulmer, EuZW 1993,337 (339). 129 Ulmer, EuZW 1993,337 (339). 119

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änderbar sei. 130 Selbst wenn nach deutschem Verständnis keine Präjudizienbindung bestünde, so sei es doch spätestens mit Ablauf der Umsetzungsfrist aufgrund des gemeinschaftsrechtlichen Gebots der richtlinienkonformen Auslegung rechtsfehlerhaft, wenn die Gerichte nicht richtlinienkonform judizierten. 131 3. Vermittelnde Positionen

Zur Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen nationaler Systemkonformität und dem Gebot der rechtssicheren Richtlinienumsetzung werden vereinzelt Kriterien entwickelt, anhand derer im Einzelfall beurteilt werden soll, ob eine richterrechtliche Richtlinienumsetzung hinreichend ist. 132 Eine Grenze soll dabei durch den Wortlaut und -sinn der nationalen Norm gezogen sein. 133 Soweit diese die Auslegung trügen, sei eine Gesetzesänderung nicht erforderlich. 134 Lediglich eine contra legern-Rechtsprechung genüge nicht den Anforderungen an die Umsetzung, da sie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht die hinreichende Klarheit und Bestimmtheit aufweise 135 und damit zu hohe Anforderungen an die Rechtskenntnisse von Individuen stelle. 136 Die Wortlautgrenze sei im übrigen auch im Gemeinschaftsrecht anerkannt und eine Auslegung jenseits derselben stelle auch in der nationalen Rechtsordnung einen unerwünschten Zustand dar. 137 Halte eine Rechtsprechung diese Grenze ein, dann sei eine ständige Rechtsprechung jedoch ausreichend, wenn sie in ausreichendem Maße publiziert wird und hinreichend vorhersehbar iSt. 138 Sofern es sich wirklich um höchstrichterliche Rechtsprechung handele, seien diese Anforderungen aber wohl erfüllt. Ein weiterer relevanter Aspekt soll die Autorität solcher Judikate im nationalen Recht sein. 139 In eine andere Richtung geht die Position von Franzen. Dieser möchte im Wege der praktischen Konkordanz den Widerspruch zwischen gemeinschaftsrechtlichem Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung und dem Grundsatz der rechtssicheren Richtlinienumsetzung auflösen. 140 Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung beseitige im Regelfall einen Vertragsverstoß nicht, sondern verhindere lediglich ei130 Menke, WRP 1998, 811 (819); Ulmer, EuZW 1993,337 (340). Diesem folgend Frisch, Richtlinienkonforrne Auslegung, 113. 131 OhlylSpence, GRUR Int. 1999,681 (696); Ohly, Comparative Advertising, 88. 132 Siehe Franzen, Privatrechtsangleichung, 368 ff.; Lubitz, Angleichung, 77 ff.; Prechal, Directives, 93 f.; Staudinger, WM 1999, 1546. 133 Lubitz, Angleichung, 77 ff.; Prechal, Directives, 94 f. 134 Lubitz, Angleichung, 79. 135 Lubitz, Angleichung, 78; Prechal, Directives, 94 f. 136 Prechal, Directives, 95. 137 Lubitz, Angleichung, 79. 138 Prechal, Directives, 93 f. 139 Prechal, Directives, 94. 140 Franzen, Privatrechtsangleichung, 368.

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nen Staatshaftungsanspruch. Wenn aber die Rechtsfortbildung zur Richtlinienumsetzung regelmäßig nicht geeignet sei, so sei es für die innerstaatliche Judikative "wenig attraktiv", sich aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen in einen Verfassungskonflikt mit der Legislative zu begeben. Um so eher sei daher an eine richtlinienkonfonne Rechtsfortbildung zu denken, je wahrscheinlicher damit ein Vertragsverstoß des Mitgliedstaates abzuwenden sei. Dies hänge wesentlich vom Grad der Abweichung zwischen positivem nationalem Recht und richtlinienkonfonn ausgelegten nationalem Recht ab. Auch spiele die Umsetzungsbereitschaft des innerstaatlichen Gesetzgebers eine wesentliche Rolle, ebenso wie die Struktur des betroffenen Rechtsverhältnisses. Diese Auffassung Franzens beruht im Kern auf seiner Vorstellung, das Gebot der richtlinienkonfonnen Auslegung finde eine Grenze in der Umsetzungstauglichkeit einer ihm folgenden Rechtsprechung. 141 Eine solche Grenze zieht der Gerichtshof der Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung aber gerade nicht. 142 Von daher geht es auch nicht darum, einen Ausgleich zwischen dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und dem der rechtssicheren Umsetzung von Richtlinien zu finden, sondern das Gebot der rechtssicheren Umsetzung ist gegen die Freiheit hinsichtlich Fonn und Mitteln der Umsetzung und damit der nationalen Regelungssystematik abzuwägen. 143 Die umfangreichsten Überlegungen zu einem solchen Ausgleich hat Staudinger vorgelegt. 144 In Ermangelung entgegenstehender Entscheidungen des Gerichtshofs geht er davon aus, daß unter bestimmten Voraussetzungen ein allgemeiner rechtlicher Rahmen und damit auch eine Generalklausel als Richtlinienumsetzung genügen können. Dafür dürfe dieser Rahmen jedoch selbst nicht mißverständlich oder unklar gefaßt sein. Ob dies der Fall ist, sei dabei nicht aus der Sicht des deutschen Rechtsanwenders, sondern der in-, vor allem aber auch der ausländischen Verbraucher zu bestimmen. Zudem sei die Bestimmtheit der jeweiligen Richtlinienvorschrift wie auch deren Bedeutung im System der Richtlinie zu berücksichtigen. Je konkreter und wichtiger eine Vorschrift sei, um so dringender erscheine die ausdrückliche Nonnierung. 145 Aber auch hinsichtlich der Auslegungspraxis seien bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Bei einer bestehenden richtlinienkonfonnen Rechtsprechung soll einerseits deren Qualität, etwa im Hinblick auf Dauer und Streitigkeit einer solchen Rechtsprechung, andererseits die Bestimmtheit der zugrunde liegenden Rahmenvorschrift maßgeblich sein. 146 Sofern für die Herstellung der Richtlinienkonfonnität eine Rechtsprechungsänderung notwendig sei, käme es darauf an, wie gefestigt die nationale Judikatur zuvor gewesen sei, und wie weitreichend sie mit Blick auf die Richtlinie geändert werden müsse. Eine vollständige 141

142 143 144 145 146

15*

Franzen, Privatrechtsangleichung, 366. Vgl. dazu oben Teil 2, B., VI., 2., c). Vgl. auch Staudinger, WM 1999, 1546 (1547). Staudinger, WM 1999, 1546. Staudinger, WM 1999, 1546 (1547). Staudinger, WM 1999, 1546 (1547 f.).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Aufgabe einer ständigen Rechtsprechung etwa wäre zur Richtlinienumsetzung nicht geeignet. Im übrigen müsse es in jedem Fall vor Ablauf der Umsetzungsfrist zu einer höchstrichterlichen Änderung der Rechtsprechung kommen. Wenn lediglich unterinstanzliche Gerichte von der früheren Auslegung Abstand genommen hätten, so genüge dies für eine Umsetzung nicht. 147 Entscheide sich der Gesetzgeber allerdings für eine gesetzliche Regelung, so müsse diese im Zweifel die Richtlinie vollständig umsetzen und könne sich nicht neben einer teil weisen Regelung noch auf einen allgemeinen Regelungsrahmen stützen. 148

IV. Eigene Untersuchung: Zulässigkeit und Reichweite einer RichtIinienumsetzung durch Richterrecht 1. Ausgangsfrage

Zunächst ist hervorzuheben, daß es vorliegend nicht darum geht, eine Abwägung zwischen dem Gebot der richtlinienkonformen Auslegung und den im Rahmen der Umsetzung zu erfüllenden Pflichten geht. Die Frage, ob eine höchstrichterliche Rechtsprechung, die einen unbestimmten Rechtsbegriff oder eine Generalklausel konkretisiert, oder die auf Rechtsfortbildung beruht, als Umsetzungsaufwand ausreichen kann, oder bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mitgliedstaat der Umsetzungsverpflichtung nachgekommen ist, eine Rolle spielt, stellt sich unabhängig davon, daß die Gerichte nach Ablauf der Umsetzungsfrist bis zur Grenze des Möglichen sogar richtlinienkonforme Rechtsfortbildung betreiben müssen. 149 Genausogut ist es denkbar, daß eine im Ergebnis richtlinienkonforme höchstrichterliche Rechtsprechung schon vor Erlaß einer Richtlinie besteht, und das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung somit nichts verlangt, was die Gerichte nicht bereits zuvor praktiziert hätten. Die Frage ist vielmehr, wie weit es zu einer Richtlinienumsetzung positivrechtlicher Normen bedarf, und wie weit sie der Rechtsprechung überantwortet werden kann. Damit ist allerdings noch nicht gesagt, daß das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung überhaupt keinen Einfluß auf die Beantwortung dieser Frage hat. So wird insbesondere zu klären sein, ob es die fehlende Präjudizienbindung nach deutschem Recht zu kompensieren vermag, wie dies teilweise vorgetragen wird. ISO Zunächst ist es jedoch erforderlich, sich der Funktion nationaler Gerichte im Umsetzungsprozeß anzunähern.

Staudinger; WM 1999, 1546 (1548 f.). Staudinger; WM 1999,1546 (1549). 149 Ebenso im Ergebnis auch Prechal, Directives, 94. 150 Ohly/Spence, GRUR Int. 1999,681 (696); Ohly, Comparative Advertising, 88. Ablehnend Ehricke, EuZW 1999,553 (558). Vgl. dazu unten Teil 3, C., IV., 4., e), ee), (2), (a). 147

148

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

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2. Strukturüberlegungen zur Richtlinienumsetzung

a) Richtlinienumsetzung als zweistuJiger Vorgang

Die Rechtssetzung durch Richtlinien wird als zwei stufiges Rechtssetzungsverfahren beschrieben, bei dem auf die erste Stufe des Richtlinienerlasses eine zweite der Richtlinienumsetzung durch den Erlaß nationaler Rechtsnormen folgt. 151 Weniger Beachtung findet der Umstand, daß die Richtlinienumsetzung selber ein zweistufiger Vorgang ist. 152 Auch wenn eine Richtlinie nur hinsichtlich ihrer Ergebnisse verbindlich ist, so müssen diese doch sowohl rechtlich wie faktisch erreicht werden. 153 Auf einer ersten normativen Ebene verlangt eine Richtlinie die Herstellung eines richtlinienkonformen rechtlichen Rahmens. Auf der zweiten, applikativen Ebene muß dieser Rahmen auch richtlinienkonform angewendet werden. Wesentlich ist hierbei, daß sich diese bei den Ebenen nicht automatisch mit den drei Gewalten derart decken, daß zur Schaffung der normativen Ebene allein die Legislative, für deren richtlinienkonforme Anwendung allein die Exekutive und Judikative berufen sind. Entscheidend ist vielmehr, welcher konkreten Funktion eine bestimmte Maßnahme oder ein bestimmter Rechtsakt zuzuordnen sind. Soweit die Exekutive legislative Gewalt ausübt, indem sie Verordnungen erläßt, ist dies der normativen Ebene der Richtlinienumsetzung zurechenbar und genügt grundsätzlich den Anforderungen an die Richtlinienumsetzung.

b) Multifunktionalität der nationalen Gerichte im Prozeß der Richtlinienumsetzung

Dabei ist zu berücksichtigen, daß den nationalen Gerichten im Hinblick auf die Richtlinienumsetzung mehrere Funktionen zukommen. Zunächst haben sie selber das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen und gegebenenfalls fortzubilden. Gleichzeitig üben sie die Kontrolle über den richtlinienkonformen Verwaltungsvollzug aus. Hinzu kommt nach der hier vertretenen Auffassung auch die Aufgabe und Befugnis, das nationale positive Recht auf seine Richtlinienkonformität hin zu überprüfen und gegebenenfalls nicht, sowie bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen, eine Richtlinienvorschrift auch unmittelbar anzuwenden. Bei diesen Aufgaben handelt es sich zweifelsohne um applikative Elemente der Richtlinienumsetzung. Gleichzeitig bestimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung aber auch den für die Beurteilung der Richtlinienkonformität maßgeblichen Inhalt nationalen Rechts. So hat der EuGH festgestellt, daß

151 152 153

Leible, Wege, 265 ff. Ähnlich auch Breuer, WiVerw. 1990,79 (97). Prechal, Directives, 95.

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

"die Bedeutung von nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs [... ] unter Berücksichtigung der Auslegung zu beurteilen [ist], die die nationalen Gerichte diesen Vorschriften geben.,,154

Darüber hinaus maß der Gerichtshof auch in anderen Fällen dem Bestehen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung besondere Bedeutung bei. So führte er etwa im Urteil TA-Luft ausdrücklich aus, daß die Bundesregierung kein höchstrichterliches Urteil habe vorlegen können, welches den fraglichen Verwaltungsvorschriften eine bindende Außenwirkung zugemessen habe. 155 In der Literatur wird davon ausgegangen, daß ein entsprechendes Urteil den Ausgang des Verfahrens entscheidend beeinflußt hätte. Zugleich wird kritisiert, daß der EuGH die existierenden Entscheidungen von OVGen nicht berücksichtigt habe, was eine gewisse Ignoranz gegenüber dem deutschen bundesstaatlichen Gerichtssystem belege. 156 Diese inhaltsbestimmende Funktion der Rechtsprechung ist naturgemäß um so stärker, je unbestimmter nationale Rechtsnormen sind, je weiter die Rechtsprechung von der schlichten Auslegung zur Bildung von Richterrecht übergeht. Ungeachtet der fehlenden Rechtsquellenqualität des Richterrechts läßt sich in diesen Bereichen eine trennscharfe Zuordnung zur normativen oder applikativen Ebene der Richtlinienumsetzung nicht ohne weiteres vornehmen. Eine solche ist aber für die Beantwortung der vorliegenden Fragestellung entscheidend.

c) Richtlinienumsetzung als Bewertungs- und Kompetenzproblem für Kommission und EuGH

Dem grundsätzlichen Abstellen des Gerichtshofs auf die Auslegung durch die nationalen Gerichte steht die Tendenz gegenüber, in Vertragsverletzungsverfahren wegen Nichtumsetzung einer Richtlinie Vorschriften des nationalen Rechts selber auszulegen, bzw. deren Auslegung durch den Generalanwalt zu akzeptieren. Zur Auslegung nationalen Rechts ist der EuGH aber nach seiner eigenen Einschätzung weder sachkundig noch befugt. 157 Bestritte man die Kompetenz der Kommission und des Gerichtshofs zur Auslegung nationalen Rechts allerdings gänzlich, so wäre eine Überprüfung der Korrektheit der Richtlinienumsetzung von vornherein ausgeschlossen. Es bliebe allein die Möglichkeit, nationale Gerichtsurteile (und Verwaltungsentscheidungen) im Einzelfall auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben von Richtlinien zu überprüfen. Eine derartige Kontrolle sieht sich jedoch mit unüberwindbaren praktischen Hindernissen konfrontiert und wäre somit von vornherein 154 EuGH, Ver. Rs. C-132, 138 und 139/91, Sig. 1992,1-6577, Katsikas, Rn. 39. 155 EuGH, Rs. 361188, Sig. 1991,1-2567, Kommission/Deutschland, Rn. 20. 156 Auf diese Kritik ist hier nicht gesondert einzugehen, vgl. dazu GelIermann, Beeinflussung, 66 ff. 157 Vgl. EuGH, Rs. 6/64, Sig. 1964, 1141; Everling, RIW 1992,379 (383); Geiger, EUV / EGV, Art. 234, Rn. 5.

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zum Scheitern verurteilt. 158 Eine Überprüfung der normativen Ebene der Richtlinienumsetzung ist Kommission und Gerichtshof hingegen nur dann möglich, wenn sie hierfür einen eigenen Maßstab anlegen dürfen. Dabei geht es im Ergebnis auch nicht darum, den Inhalt nationalen Rechts für die Anwendung im Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln, sondern lediglich, die generelle Umsetzungstauglichkeit des nationalen Rechts, also der normativen Ebene der Richtlinienumsetzung, zu bestimmen. 159 Diese muß den Anforderungen der Klarheit, Bestimmtheit und Publizität genügen.

3. Maßstab des Gerichtshofs für die Beurteilung der Klarheit, Bestimmtheit und Publizität der Richtlinienumsetzung

Bei der Beurteilung des nationalen Regelungsrahmens geht es mithin nicht um dessen Auslegung im streng methodischen Sinne. Statt dessen beschränkt sich der EuGH auf einen reinen Textabgleich zwischen nationalem Regelungsrahmen und Richtlinienvorgabe, 160 oder überläßt diesen dem Generalanwalt. Seine Ursache findet dies nicht allein in der Vereinfachung der Kontrolle. Der EuGH versetzt sich gleichsam in die Position eines Marktbürgers, der sich über seine Rechte, gegebenenfalls nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates, informieren will. Damit setzt der Gerichtshof im Ergebnis sein Leitbild eines aufgeklärten und aufmerksamen Verbrauchers auf der Ebene der Geltendmachung von Rechten fort, auch wenn es so scheint, daß der Verbraucher vor irreführendem Umsetzungsrecht weitreichender geschützt werden soll als vor irreführender Werbung. 161 So richtig dieses Leitbild auf der Ebene etwa der irreführenden Werbung ist, so kritikwürdig erscheint dessen Übertragung auf die Ebene der Rechtstransparenz. So soll zwar einerseits dem Marktbürger keine Kenntnis rechtskultureller Besonderheiten einzelner Mitgliedstaaten abverlangt werden können, andererseits wird aber ganz selbstverständlich unterstellt, daß er die jeweilige Landessprache in einer Weise beherrscht, die ihm das Verständnis von Rechtstexten ermöglicht. Konsequenterweise müßte man viel eher die, selbstverständlich nicht mögliche, Übersetzung aller nationalen Vorschriften verlangen, die für Marktbürger aus anderen Mitgliedstaaten bei der Geltendmachung ihrer Rechte relevant sein könnten. Viel naheliegender für den einzelnen ist es daher, sich über seine Rechte auf Basis eines ihm zugänglichen Normtextes in seiner Sprache, wie er in Form der jeweiligen Richtlinie immer vorliegt, zu informieren. Diese Möglichkeit läßt der Gerichtshof hingegen ausdrücklich nicht genügen, etwa im Hinblick auf die UmsetzungsunVgl. Steinberg, AöR 1995, 547 (568 ff.). Ähnlich Vedder, EWS 1991,293 (296). 160 Steinberg, AöR 1995,549 (572). 161 Zum Verbraucherleitbild des Gerichtshofs vgl. Leible, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 28, Rn. 36. 158

159

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

tauglichkeit von Verweisungen auf Richtlinien. 162 Ungeachtet dieser Kritik ist im folgenden davon auszugehen, daß der Gerichtshof die Klarheit, Bestimmtheit und Publizität der normativen Ebene der Richtlinienumsetzung anhand einer reinen Wortlautbetrachtung überprüft, da dieser den Inhalt einer Berechtigung aus Sicht eines Rechtsunterworfenen indiziert. 4. Normativer Rahmen und Richterrecht

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man nun irrtümlich der Ansicht sein, eine Richtlinienumsetzung durch Richterrecht käme aufgrund des aufgezeigten strengen Wortlautkriteriums generell nicht in Betracht. Das erscheint aber angesichts der zu treffenden Unterscheidung zwischen Gesetzesrecht und normativem Rahmen voreilig. Diese begriffliche Unterscheidung wird von den Gegnern einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht verkannt, wenn sie vortragen, daß gesetzgeberische Umsetzungsmängel grundsätzlich nicht durch die Rechtsprechung korrigiert werden können. 163 Richtig ist vielmehr zunächst, daß Mängel auf der normativen Ebene nicht durch eine richtige Anwendung geheilt werden. Soweit Richterrecht aber selbst Teil des normativen Rahmens wäre oder die Klarheit und Bestimmtheit desselben auf Basis höchstrichterlicher Rechtsprechung festzustellen wären, besteht gegebenenfalls kein Mangel der normativen Ebene. Zu klären ist damit also, in welchem Verhältnis Richterrecht zum beurteilungsrelevanten rechtlichen Rahmen steht. a) Rechtsfortbildung zur Schließung verdeckter Lücken

Dabei gilt es zunächst herauszuarbeiten, was der EuGH im Hinblick auf die Umsetzungstauglichkeit höchstrichterlicher Rechtsprechung bisher tatsächlich entschieden hat. Bei näherer Betrachtung der Urteile Kommission/Griechenland und Klauselrichtlinie zeigt sich, daß in beiden Fällen der Wortlaut der nationalen Rechtsvorschriften einem richtlinienkonformen Ergebnis eigentlich entgegenstand. In beiden Verfahren stimmten die vom geschriebenen Recht ausgesprochenen Rechtsfolgen mit den von den fraglichen Richtlinienvorschriften verlangten nicht überein. 164 So stellte der EuGH in der Entscheidung Klauselrichtlinie ausdrücklich fest, daß die von der Richtlinie angestrebten Ergebnisse von den nationalen Vorschriften nicht erreicht werden können. 165 Auch waren in beiden Verfahren durch die Mitgliedstaaten gesetzliche Umsetzungsmaßnahmen geplant oder bereits verspätet durchgeführt worden, womit die Mitgliedstaaten letztlich die fehlende Eig162 163 164

165

EuGH, Rs. 96/95, Slg. 1997, I-1653, Kommission/Deutschland, Rn. 40. Vgl. Ehricke. EuZW 1999.553 (556). Vgl. ebenso Lubitz. Angleichung, 77 f. sowie Micklitz. EWS 2001, 486. EuGH, Rs. C-144/99, Slg. 2001, I-3541, Kommission/Niederlande, Rn. 20.

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nung nationalen Rechts selbst anerkannt hatten. 166 Die Richtlinienkonformität wurde durch die nationalen Gerichte erst durch eine Rechtsfortbildung erreicht, welcher der Wortlaut des nationalen Rechts entgegenstand. Methodisch handelte es sich somit um die Schließung verdeckter Regelungslücken, 167 da die Normtexte für die betroffenen Sachverhalte Regelungen enthielten, die aber im Hinblick auf die Richtlinienkonformität nationalen Rechts unzureichend waren und daher einer Korrektur bedurften. Unter Zugrundelegung der Perspektive eines Marktbürgers, insbesondere eines solchen aus einem anderen Mitgliedstaat, erweist sich eine derartige Konstellation in der Tat als nicht ausreichend, wird doch im Ergebnis die Rechtslage durch den Gesetzestext nicht nur nicht deutlich, sondern aufgrund der vermeintlichen Vollständigkeit der Regelung sogar verschleiert. Ungeachtet der Frage, ob eine höchstrichterliche Judikatur zur normativen Ebene der Richtlinienumsetzung zu zählen ist, kann sie jedenfalls nicht die gleiche Klarheit und Bestimmtheit wie eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erreichen, wenn die gesetzliche Regelung ihr ihrem Wortlaut nach sogar entgegensteht. So genügte wohl auch die vom BGH im Urteil "Heininger II,,168 vorgenommene teleologische Reduktion des § 5 Abs. 2 HWiG nicht den Anforderungen an eine hinreichend klare und bestimmte Umsetzung der Haustürgeschäfterichtlinie, 169 da der Wortlaut der Vorschrift zwar nicht eindeutig war, die von der h.M. ursprünglich befürwortete und mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang stehende Auslegung diesem aber eher gerecht wurde. Einem durchschnittlichen Verbraucher konnte bei oberflächlicher Lektüre der Norm jedenfalls nicht klar sein, daß ihm für den Fall von Kreditverträgen, die zugleich ein Haustürgeschäft darstellen, ein Widerrufsrecht nach dem HWiG zustand.

b) Rechtsfortbildung zur Füllung offener Lücken Auf die rechtsfortbildende Füllung offener Lücken läßt sich diese EuGH-Rechtsprechung aber nicht ohne weiteres übertragen. Anders als bei verdeckten Lücken trifft das Gesetz hier gerade keine Regelung für einen bestimmten Sachverhalt. Somit können die gesetzlichen Vorschriften aber auch nicht die Berechtigung einzelner verschleiern, indem sie den Eindruck hervorrufen, es gelte etwas anderes, als von der Richtlinie vorgegeben. Andererseits steht einer Richtlinienumsetzung durch rechtsfortbildende Ausfüllung offener Lücken entgegen, daß eine solche vor Ablauf der Umsetzungsfrist bereits nicht zulässig ist, soweit es einer Rechtsprechungsände166 Vgl. Schlußanträge des GA Leger zur Rs. C-236/95, Slg. 1996,1-4459, Kommission/ Griechenland, Nr. 16 sowie Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-I44/99, Slg. 2001, 13541, Kommission / Niederlande, Nr. 21. 167 Zum Begriff der verdeckten Regelungslücke vgl. Larenz, Methodenlehre, 377 ff. 168 BGH, ZIP 2002, 1075. Siehe ausführlich dazu oben Teil 2, B., VII. 169 Ebenso Reich! Rörig, EuZW 2002, 87 (89).

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rung in diese Richtung bedürfte. l7O Der Frühzeitigkeit einer richtlinienkonformen Rechtsprechung kommt aber für ihre Umsetzungstauglichkeit eine besondere Bedeutung zu. 17l Hinzu kommt, daß die Rechtsprechung bei der Rechtsfortbildung zwar eine ihr zustehende Befugnis wahrnimmt, daß sie dies aber auch aus der Perspektive der nationalen Methodenlehre nur darf, um ein gesetzgeberisches Versäumnis zu kurieren. Die Kompetenz zur Rechtsfortbildung ist eine gegenüber der Gesetzgebungskompetenz der Legislative grundsätzlich subsidiäre. Aus der Perspektive des Gemeinschaftsrechts bedeutet dies aber, daß der Gesetzgeber seinem Teil der Umsetzungsverpflichtung nicht in dem eigentlich notwendigen Umfang nachgekommen ist, da er es versäumt hat, eine von einer Richtlinie geforderte Rechtsvorschrift zu schaffen. Die Umsetzungsverpflichtung richtet sich nämlich an alle drei Gewalten und verlangt, daß diese im Rahmen ihrer Kompetenzen das Erforderliche tun, um die Erreichung der Ziele der Richtlinie zu gewährleisten. In Wo die Rechtsprechung aber eine Gesetzeslücke rechtsfortbildend füllen muß, hat die Gesetzgebung etwas versäumt, was primär ihre Aufgabe gewesen wäre. Wo eine Lücke existiert, fehlt es an einem gesetzlichen Rahmen, der die Anwendung der Richtlinie gewährleistet. Der einzelne kann in dieser Situation zwar erkennen, daß für einen bestimmten Sachverhalt keine gesetzliche Regelung existiert, daraus ergibt sich aber nicht notwendigerweise der Schluß, daß die Rechtsprechung diese Lücke rechtsfortbildend gefüllt hat. Daran ändert auch die Pflicht der Gerichte zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung nichts. Eine rechtsfortbildende Füllung offener Regelungslücken kommt damit als Richtlinienumsetzung ebenfalls nicht in Betracht.

c) Konkretisierung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen

Damit bleiben die Konstellationen, bei denen der Regelungsgegenstand einer Richtlinie im nationalen Recht durch eine oder mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe und Generalklause1n bestimmt wird. Diese unterscheiden sich insofern von denen der Rechtsfortbildung, als hier gesetzliche Rahmenvorschriften existieren, die ein richtlinienkonformes Ergebnis innerhalb der Grenzen ihres Wortlauts ermöglichen (Rechtsfortbildung intra legem I73 ). Die Lektüre des gesetzlichen Rahmens ist daher von vornherein nicht geeignet, die Berechtigung einzelner zu verschleiern. Auch läßt sich dem Gesetzgeber hier nicht vorwerfen, einen Sachverhalt ungeregelt gelassen zu haben und die Rechtsprechung greift auch in keiner Weise in eine gesetzgeberische Kompetenz ein. Vgl. dazu oben Teil 3, B., IV., 2., b). Vgl. dazu ausführlich oben Teil 3, B., IV. Ebenso Staudinger, WM 1999, 1546 (1548). Vgl. auch den Schlußanträge des GA Tizzano zur Rs. C-144/99, Slg. 2001, 1-3541, Kommission/Niederlande, Rn. 38. l72 EuGH, Rs. 14/83, Slg. 1984, 1891, Von Colson, Rn. 26. 173 Ohly, AcP 2001, 1 (20). 170 171

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aa) Begriffsklärung Nach dem wohl überwiegenden Verständnis meint der Begriff der Generalklausel Normen, die im Vergleich mit anderen Normen einer besonders weitreichenden, wertauffüllenden Konkretisierung bedürfen, bevor sie im Einzelfall Anwendung finden können, da sie sich zur Beschreibung von Tatbestandsmerkmalen, Rechtsfolgen oder beidem unbestimmter, normativer Rechtsbegriffe bedienen. Zu unterscheiden sind von letzteren insbesondere die unbestimmten deskriptiven Rechtsbegriffe, die lediglich einer Fixierung im Tatsächlichen bedürfen, und bei denen eine konkretere Fassung regelmäßig nicht möglich ist. 174 Ihre genaue Bedeutung kann sich mithin immer erst in Auseinandersetzung mit einem spezifischen Sachverhalt entfalten, während eine solche sich bei wertauffüllungsbedürftigen Begriffen zwar angesichts eines konkreten Sachverhalts vollzieht, aber dieser nur den Anlaß für eine Begriffsbildung unter Rückgriff auf die Gesamtheit der Rechts- und Sozialnormen bietet. Die in diesem Wege stattfindende Ableitung abstrakt-genereller aber konkreterer Normen (Fallgruppen) wäre prinzipiell auch als gesetzgeberischer Vorgang denkbar. Der Gesetzgeber hat eine solche jedoch bewußt nicht vorgenommen, da die seiner Ansicht nach bei der Konkretisierung zu berücksichtigenden Aspekte einer Fluktuation unterliegen, auf welche die Rechtsprechung flexibler zu reagieren in der Lage ist. 175 Sie sind damit gleichsam ein Stück "offengelassener Gesetzgebung".176 Eine weitergehende gesetzliche Konkretisierung unbestimmter deskriptiver Rechtsbegriffe ist demgegenüber in aller Regel von vornherein wenig sinnvoll, da sie nicht auf normativen Maßstäben beruht. Desgleichen entfaltet sich die Wirkung höchstrichterlicher Rechtsprechung weniger in diesem Bereich, da ja gerade der konkrete Sachverhalt im Mittelpunkt der Konkretisierung steht, diese also im wesentlichen Rechtsanwendung darstellt. Anders ist es indes im Hinblick auf die wertende Auffüllung von Generalklauseln. 177 Hierbei orientiert sich die Rechtsprechung streng an der jeweiligen höchstrichterlichen Judikatur, deren Aufgabe es in solchen Fällen ist, durch Bildung von Fallgruppen die Anwendung der Generalklausel auf Sachverhalte zu vereinfachen,178 auch wenn sie an dieser Systematisierungsaufgabe gelegentlich scheitert. 179 Für die weitere Untersuchung 174 Vgl. zum Vorstehenden Bydlinski, Methodenlehre, 582 ff.; Creifelds, Rechtswörterbuch, 16. Aufl., 536, 937, 1354; Haft, JuS 1975,477 (479 f.); Haubelt, Konkretisierung, 4 ff.; Larenz, Methodenlehre, 288 f.; Ohly, AcP 2001, 1; Werner, Recht und Gericht, 196 ff., der allerdings eine Unterscheidung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln danach ziehen will, ob für ihre Verwendung eher rechtstechnische oder rechtsethische Aspekte eine Rolle spielen. Diese Grenze soll jedoch fließend sein. Vertiefend zum Begriff der Generalklausel Garstka, Generalklauseln. 175 Vgl. Ohly, AcP 2001,1 (6 f.) zu den einzelnen Funktionen von Generalklauseln. 176 Hedemann, Flucht, 58. 177 Kritisch zum Begriff der Konkretisierung von Generalklauseln R. Weber, AcP 1992, 516 (537). 178 Zur Konkretisierung von Generalklauseln durch Fallgruppen siehe Ohly, AcP 2001, I (39 ff.); R. Weber, AcP 1992,516 (525 ff.). 179 So für § I UWG Ott, FS Raiser, 403 (405 f.).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

ist entscheidend, daß Generalklauseln wie den "guten Sitten" oder "Treu und Glauben" durch die Wortlautauslegung kaum beizukommen ist, da dieser infolge seines Abstraktionsgrades letztlich keine inhaltsbegrenzende Funktion auszuüben geeignet ist. 180 Auf der Basis von Generalklausein wie § 1 UWG läßt sich damit nahezu jedes von einer Richtlinie geforderte Ergebnis erreichen. Zu einem Konflikt zwischen Wortlaut einer sachlich einschlägigen Richtlinie und des nationalen Rechts kann es daher praktisch nicht kommen. Wenn aber inhaltlich der Richtlinienkonformität nichts im Wege steht, so ist zu prüfen, inwieweit Generalklauseln und die auf ihnen beruhende Rechtsprechung die formellen und allgemeinen inhaltlichen Anforderungen an Umsetzungsakte erfüllen. bb) Formelle Anforderungen an nationale Umsetzungsakte In formaler Hinsicht verlangt die Richtlinienumsetzung eine qualitativ gleichwertige verbindliche Rechtsnorm, die in geeigneter Weise publiziert wird. Ferner ist die zugrundeliegende Richtlinienvorschrift regelmäßig zu zitieren und der Kommission mitzuteilen. Hier kommt es zunächst darauf an, ob man die höchstrichterliche Rechtsprechung selbst oder die zugrundeliegenden Rahmenvorschriften als Bezugsobjekt wählt. Unproblematisch erfüllt wird unabhängig von dieser Frage allein das Diskriminierungsverbot. Sowohl vor wie nach Erlaß der Richtlinie stellt sich eine Materie als durch eine Generalklausel gesetzlich geregelt und durch höchstrichterliche Judikatur konkretisiert dar. Letzteres gilt aber nur dann, wenn es sich tatsächlich um eine hächstrichterliche Judikatur handelt. Sofern lediglich obergerichtliche Urteile vorliegen, könnte man diesen im Vergleich mit einer zuvor gegebenenfalls bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung eine geringere Wirkungsmächtigkeit zusprechen. 181 Stellt man allein auf die Generalklausel ab, dann ist das Diskriminierungsverbot in jedem Fall erfüllt. Zumindest durch höchstinstanzliche Entscheidungen wird auch das Publikationserfordernis regelmäßig erfüllt sein, wenn das richtlinienkonforme Urteil in einer amtlichen Sammlung veröffentlicht worden ist. Sofern man allein auf die Generalklausel abstellt, ist diese Voraussetzung ohnehin unproblematisch. Am schwierigsten stellt sich der Umgang mit dem Zitiergebot dar. Sofern es zur Herstellung der Richtlinienkonformität einer Rechtsprechungsänderung bedarf, wird das Gericht in dem entsprechenden Urteil wie etwa der BGH in seiner "Testpreis-Angebot" -Entscheidung unmittelbar auf die Richtlinie Bezug nehmen und damit kenntlich machen, daß die Änderung gerade zur Umsetzung einer Richtlinie erfolgt. Sofern allerdings die Rechtsprechung bereits zuvor richtlinienkonform war, fehlt es an dieser Form der Zitierung. Im Gesetzestext selbst wird sie sich regelmäßig überhaupt nicht finden, es sei denn, der Gesetzgeber hat die Generalklausel erst zur Umsetzung der Richtlinie erlassen oder anläßlich einer sonstigen Änderung des Normtextes das Zitat hinzugefügt. AI180 181

Vgl. Ohly, AcP 2001,1 (9); R. Weber, AcP 1992,516. Vgl. auch Staudinger, WM 1999,1546 (1548).

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lerdings verlangt das Zitiergebot regelmäßig nur, daß die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die von den Mitgliedstaaten als für die Umsetzung der Richtlinie erforderlich erlassen werden, die Richtlinie zitieren. Sofern das nationale Recht, vorliegend also die Rechtsprechung zu einer Generalklausel, bereits richtlinienkonform ist, und eine Änderung völlig überflüssig ist, wird man hierauf also verzichten können. Diese Konstellation dürfte aber nur absolute Ausnahmefälle betreffen. Um zu gewährleisten, daß die Gerichte in Zukunft die Generalklausel wirklich im Lichte von Wortlaut und Zweck einer einschlägigen Richtlinie auslegen, wäre ein klarstellender Hinweis durch ein höchstinstanzliches Gericht oder den Gesetzgeber aber auch in dieser Situation geboten. Die Umsetzungstauglichkeit sollte man dem richtlinienkonformen Recht aber wohl kaum allein wegen der Nichteinhaltung des Zitiergebots absprechen. Eine Mitteilung der GeneralklauseI an die Kommission unter Hinzufügung der einschlägigen Judikate erfüllt in hinreichendem Maße die dahingehende Pflicht. Im Ergebnis ist damit festzuhalten, daß die formalen Anforderungen an die Umsetzung durch eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu nationalen Generalklauseln grundsätzlich erfüllbar sind. ce) Inhaltliche Anforderungen an nationale Umsetzungsakte Kernproblem bei der Richtlinienumsetzung durch Richterrecht ist allerdings die Frage, ob sie im Hinblick auf Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz des rechtlichen Rahmens den Anforderungen des Gerichtshofs genügt. Zunächst erscheint jedoch fraglich, ob diese Anforderungen, die der Gerichtshof zunächst im öffentlichen Recht entwickelt hatte, tatsächlich auf das Zivilrecht insgesamt übertragbar sind, wie es von Franzen vorgetragen wurde. 182 Die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Urteil Klauselrichtlinie unterstützt in der Tat diesen Befund. Gegenüber einer Verallgemeinerung erscheint dennoch Vorsicht angebracht. Entwickelt wurden die Grundsätze in Konstellationen, in denen Richtlinienvorschriften einzelnen Rechte gegenüber Verwaltungsbehörden einräumten, bzw. ihnen Pflichten auferlegten. 183 Damit sind Situationen betroffen, in denen der einzelne zur Verwirklichung seiner Rechte auf die Mitwirkung der Verwaltung angewiesen ist, oder bei einem Verstoß gegen eine Pflicht mit Sanktionen zu rechnen hat. In privatrechtlichen Verhältnissen befindet sich der einzelne in einer vergleichbaren Situation, wenn die Verwirklichung eines Rechts gerade das Mitwirken eines anderen erfordert. Anders ist es aber etwa im Fall des Wettbewerbsrechts. Hier nimmt der einzelne seine Rechte wahr, ohne dazu unmittelbar in ein Rechtsverhältnis mit anderen eintreten zu müssen. Ein solches kann lediglich im Anschluß entstehen, wenn ein Wettbewerber oder ein Verband einen Verstoß behaupten und auf Unterlassung klagen. Eine unmittelbare Sanktion hat derjenige, der unter Verstoß gegen § 1 UWG geworben hat, nicht zu befürchten. Eine solche kann erst im Wiederholungsfall 182 183

Franzen, Privatrechtsangleichung, 365. Vgl. Ulmer; EuZW 1993, 337 (340).

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nach Erlaß einer Unterlassungsverfügung oder etwa in den Fällen der §§ 4 sowie 13 Abs. 6 UWG eintreten. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß etwa die Untersagung einer Werbekampagne, deren Entwurf einen erheblichen Geldbetrag gekostet haben mag, für den Gewerbetreibenden ähnlich gravierende Auswirkungen haben kann wie eine Sanktion. Zu recht wird daher auch im Zusammenhang mit § I UWG die Notwendigkeit der Rechtssicherheit betont. 184 Man wird daher in der Tat auch im Bereich des Zivilrechts an dem grundsätzlichen Erfordernis der Klarheit und Bestimmtheit festhalten müssen, auch wenn die Anforderungen im einzelnen nicht gleichermaßen streng sein dürften wie im Bereich des Sanktionenrechts. (1) Hinreichende Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen Begrifflich scheint es ausgeschlossen, daß ein unbestimmter Rechtsbegriff oder gar eine Generalklausei das Erfordernis der Bestimmtheit erfüllt. Andererseits hat der EuGH im Verfahren Kommission/Italien die Verwendung einer "Generalklausei" als für die Richtlinienumsetzung unproblematisch erachtet. 185 Und auch die immer wiederkehrende Betonung, daß es einer wörtlichen gesetzlichen Umsetzung nicht in jedem Fall bedürfe,186 läßt den Schluß zu, daß eine Umsetzung durch unbestimmte nationale Rechtsvorschriften nicht kategorisch ausgeschlossen ist. 187 Allerdings darf das Urteil im Verfahren Kommission/Italien in dieser Hinsicht auch nicht überbewertet werden. Dabei ging es nämlich nicht um eine Generalklausei im Sinne einer wertauffüllungsbedürftigen offenen Vorschrift, sondern um den unbestimmten deskriptiven Rechtsbegriff der "Arbeitsbedingungen". Zur Umsetzung der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen 188 hatte Italien einige Beispiele für Arbeitsbedingungen, bei denen eine Ungleichbehandlung verboten war, ausdrücklich normiert, sich im übrigen aber auf einen Auffangtatbestand beschränkt, der alle nicht ausdrücklich aufgeführten Arbeitsbedingungen erfaßte. 189 Da die Regelung aufgrund des Auffangtatbestandes nicht lückenhaft war, sah der Gerichtshof diese Vorgehensweise als unproblematisch an. Dem ist zuzustimmen, da es in der Praxis nicht sinnvoll erscheint, jede denkbare Art von Arbeitsbedingung ausdrücklich aufzuführen, und das Verbot der Ungleichbehandlung im Hinblick auf jede Art von Arbeitsbedingung keiner normativen Auffüllung mehr bedarf, sondern sich die Konkretisierung als normale Auslegung in Auseinandersetzung mit einem be184 185 186

1B7 1BB JB9

Ohly, AcP 2001, 1 (8).

EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983,3273, KommissionIItalien. Vgl. Ruffert, in: Calliess 1Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 51. Ebenso Staudinger; WM 1999, 1546 (1547). ABI. 1976, L 36/40. Vgl. EuGH, Rs. 163/82, Slg. 1983,3273, KommissionIItalien, Rn. 7 ff.

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stimmten Sachverhalt darstellt. Hinzu kam, daß auch Art. 5 der Richtlinie, welcher der Kommission zufolge nicht hinreichend umgesetzt worden war, selber nicht weitreichender konkretisiert war und keine einzelnen Arbeitsbedingungen aufzählte, hinsichtlich derer eine Diskriminierung verboten sein sollte. Auch der Gemeinschaftsgesetzgeber hatte sich somit einer umfassenden, nicht enumerativen Normierungstechnik bedient. Grundsätzlich kann von den Mitgliedstaaten aber nicht erwartet werden, daß sie einen höheren Konkretisierungsgrad wählen als der Gemeinschaftsgesetzgeber, da daraus die Gefahr resultieren würde, daß das nationale Recht eine spätere Konkretisierung des unbestimmten Richtlinienbegriffs durch den EuGH nicht abdeckt. 190 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im nationalen Recht ist damit für die Richtlinienumsetzung unproblematisch, soweit auch die Richtlinie keine weitergehende Konkretisierung enthält, insbesondere weil eine Einze1aufzählung aller erfaßten Sachverhaltskonstellationen praktisch nicht möglich ist. Damit ist aber über die Zulässigkeit von GeneralklauseIn aus dem Blickwinkel der Bestimmtheit, Klarheit und Transparenz der Richtlinienumsetzung noch nichts gesagt. Diese bewegen sich auf einem höheren Abstraktionsniveau und bedürfen zu ihrer Auffüllung des Rückgriffs auf außerrechtliche, gleichsam gesetzgeberische Wertungen. 191 Wenn sie insoweit ein Stück "offengelassene Rechtssetzung" darstellen liegt allerdings prima facie der Verdacht nahe, die Gesetzgebung habe wie im Fall der Gesetzeslücke nicht das im Rahmen ihrer Kompetenz Notwendige getan, um für eine Erfüllung der Richtlinienziele zu sorgen. Anders als im Fall von Gesetzeslücken hat die Legislative hier jedoch von der ihr prärogativ zustehenden Befugnis bewußt Gebrauch gemacht. 192 Die Konkretisierung von GeneralklauseIn steht daher im Gegensatz zur Auffüllung von Gesetzeslücken grundsätzlich nicht in einem Spannungs verhältnis zu Gewaltenteilungsgrundsatz und Gesetzesbindung der Gerichte. 193 Die Bindungskraft des Gesetzes ist lediglich inhaltlich schwächer ausgeprägt. Sie erlaubt den Gerichten die Berücksichtigung von Überlegungen, die ihr sonst weitestgehend verschlossen sind, um damit das inhaltlich unvollständige Programm der gesetzlichen Norm zu ergänzen. 194 Auch aus der Perspektive des Marktbürgers stellt sich eine GeneralklauseI anders dar als eine Gesetzeslücke. Während es bei der offenen Gesetzeslücke an einer Regelung zu fehlen scheint, besteht hier eine gesetzliche Regelung, aus welcher der einzelne lediglich nicht erkennen kann, welche Berechtigungen oder Verpflichtungen ihn konkret treffen. Die Generalklausel indiziert allerdings die Existenz einer konkretisierenden Rechtsprechung, eine Wirkung, welche einer offenen Geset190 Zur Aufgabenverteilung bei der Konkretisierung in Richtlinien enthaltener unbestimmter Rechtsbegriffe siehe oben Teil 2, B., IV., 1., a), cc). 191 Vgl. R. Weber, AcP 1992,516 (520). 192 Vgl. Canaris, Lücken, 28; Haubelt, Konkretisierung, 29 ff. 193 Ebenso Ohly, AcP 2001, I (34 ff.). 194 Ohly, AcP 2001, 1 (7).

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zeslücke fehlt. Ob allerdings beispielsweise eine vergleichende Werbung erlaubt ist oder nicht, läßt sich dem Begriff der "guten Sitten" nicht entnehmen. Ohne die Kenntnis der konkretisierenden Rechtsprechung ist eine Generalklausel wie § I UWG für den einzelnen daher regelmäßig nicht ausreichend, um den Umfang seiner Rechte und Pflichten zu erkennen. Einer Generalklausel wie den "guten Sitten" alleine fehlt es somit an der notwendigen Bestimmtheit, Klarheit und Transparenz für eine ordnungsgemäße Richtlinienumsetzung. (2) Hinreichende Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz von Generalklauseln unter Berücksichtigung höchstrichterlicher Rechtsprechung

Allerdings wird vorgetragen, daß die jeweilige höchstrichterliche Rechtsprechung zu einem hinreichenden Maß an Klarheit, Bestimmtheit und Transparenz führe. 195 Dazu müßte es aber überhaupt zulässig sein, diese Rechtsprechung bei der Beurteilung dieser Anforderungen mit zu berücksichtigen. Der EuGH führt nämlich grundsätzlich nur einen Textabgleich zwischen der Richtlinie und außenverbindlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften nationalen Rechts durch und hatte eine Konkretisierung durch Verwaltungs vorschriften nicht genügen lassen. Sollte ein Abstellen auf die konkretisierende Rechtsprechung möglich sein, müßte diese selbst wiederum am Maßstab der Bestimmtheit gemessen werden. a) Zu lässigkeit des Abstellens auf

eine höchstrichterliche Rechtsprechung

Gegen die Berücksichtigungsfähigkeit höchstrichterlicher Präjudizien werden im Kern vor allem deren mangelnde Bindungswirkung sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Mangelhaftigkeit einer Konkretisierung durch Verwaltungsvorschriften vorgebracht. 196 Verwaltungsvorschriften und höchstrichterliche Rechtsprechung sind aber im Hinblick auf ihre Wirkungsweisen nicht vergleichbar. 197 In vertikalen Verhältnissen ist die Verwaltung nicht nur Adressat des Umsetzungsbefehls und muß deshalb nationales Recht richtlinienkonform anwenden, sondern sie ist gleichzeitig Verpflichtete des Umsetzungsprogramms, da die Richtlinie beabsichtigt, dem Bürger gerade gegenüber der Verwaltung durchsetzbare Rechte zu verleihen. Bei der Umsetzung geht es in einem solchen Fall darum, die Berechtigung des Bürgers gegenSo Siems, ZEuP 2001,686 (694). Vgl. Dreher; EuZW 1997,522 (523); Ehricke, EuZW 1999,553 (558); Franzen, Privatrechtsangleichung, 365. 197 Ähnlich Ulmer; EuZW 1993,337 (340). Auch das BVerfG (BVerfGE 78,374 (383 läßt eine Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs durch die Verwaltung dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz nicht, durch die Rechtsprechung hingegen wohl, genügen. 195

196

ff.»

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über der Verwaltung rechtlich verbindlich zu nonnieren. Eine Selbstverpflichtung der Verwaltung als durch das Umsetzungsprogramm Verpflichteter reicht nicht aus, soweit diese den Umfang ihrer Verpflichtung selber für die Zukunft ändern könnte. Im Hinblick auf generalklauselkonkretisierendes Richterrecht ist die Konstellation aber eine grundlegend andere. Die Rechtsprechung selber wird nämlich durch das Umsetzungsprogramm der Richtlinie nicht verpflichtet. Dem Bürger soll durch eine Richtlinie kein Anspruch gegenüber der Rechtsprechung als Organ des Mitgliedstaates verliehen werden, sondern durch das Umsetzungsprogramm sollen die Rechtsverhältnisse zu anderen Rechtssubjekten beeinflußt werden. 198 Die Gerichte trifft lediglich die Pflicht aus dem Umsetzungsbefehl, nämlich für eine richtlinienkonfonne Auslegung des nationalen Rechts zu sorgen und damit die Umsetzung bis auf die Ebene des Einzelfalls sicherzustellen. Die vom Umsetzungsprogramm einer Richtlinie Betroffenen haben auf diese richtlinienkonfonne Auslegung aber keinen Einfluß. Das Problem der Außenverbindlichkeit wie der beliebigen Abänderbarkeit stellt sich damit nicht in der Weise wie bei einer Umsetzung durch eine Verwaltungspraxis oder Verwaltungsvorschriften. Schwerwiegender ist der Einwand der fehlenden Präjudizienbindung und damit die Negierung der Rechtsquelleneigenschaft von Richterrecht in der deutschen Methodologie. Danach ist eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht geeignet, eine richtlinienkonfonne Anwendung einer Generalklausei durch unterinstanzliche Gerichte zu gewährleisten, weil sie rechtlich nicht bindend ist. Die Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung kann die fehlende fonnale Bindungswirkung nur teilweise kompensieren. 199 Zwar ist es richtig, daß die Gerichte spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist nationales Recht richtlinienkonfonn auslegen müssen, andererseits gilt dieses Gebot nur "soweit wie möglich". Damit vennag die Pflicht zur richtlinienkonfonnen Auslegung zwar eine inhaltlich verbindliche Vorgabe zu machen, welche die Gerichte gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV, Art. 23, 20 Abs. 3 und 97 Abs. 1 GG auch zu beachten haben, hinsichtlich der Auslegungsfähigkeit des nationalen Rechts bleibt es aber bei der alleinigen Bestimmung durch die nationale Methodenlehre und das deutsche Recht. 2oo Hinsichtlich der Auslegungsfähigkeit nationalen Rechts kommt es also weiterhin auf die Vorgabe höchstrichterlicher Judikate an. Im Bereich der Generalklausein kommt allerdings dieser Grenze der Auslegungsfähigkeit letztlich keine echte Bedeutung zu, da diese sich ja gerade durch ihre besondere Offenheit auszeichnen, so daß etwa bei § 1 UWG kaum mit untergerichtlichem Widerstand hinsichtlich der Grenzen richtlinienkonfonner Auslegung zu rechnen sein dürfte.

Für eine ähnliche Unterscheidung vgl. auch Ulmer, EuZW 1993,337 (340). Vgl. Ohly, Comparative Advertising, 88; dens./Spence, GRUR lnt. 1999,681 (696). 200 Vgl. dazu auch Schnorbus, AcP 2001, 860 (877), der zutreffend feststellt, daß der EuGH keine Kompetenz zur Auslegung des nationalen Rechts hat und insofern Ausführungen zu einer solchen grundSätzlich vom nationalen Gericht nicht zu beachten sind. 198 199

16 Herrmann

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Auch wenn es eine formale Präjudizienbindung in der Tat nicht gibt, entfaltet die höchstrichterliche Rechtsprechung doch im Rahmen von Generalklauseln durch ihre Vermutungswirkung eine hohe, an die der Gesetze heranreichende Bindungskraft,201 so daß von einer beliebigen Änderbarkeit wie im Hinblick auf eine reine Verwaltungspraxis jedenfalls nicht gesprochen werden kann,z°2 Damit kann eine höchstrichterliche Rechtsprechung grundsätzlich als Teil des normativen Rahmens mit berücksichtigt werden, soweit sie durch die Entwicklung von Wertprinzipien und Fallgruppen abstrakt-generelle richterrechtliche Normen schafft. ß) Verbleibende Bestimmtheitsprobleme

Wenn höchstrichterliche Judikate damit grundsätzlich für die Erfüllung des Bestimmtheitskriteriums herangezogen werden können, so müssen sie selbst diesen Anforderungen genügen. Der Umfang von Rechten und Pflichten muß sich also aus einer höchstrichterlichen Rechtsprechung in hinreichend klarer, bestimmter und transparenter Form ergeben. Das ist insoweit problematisch, als sich lediglich aus einer Gesamtschau verschiedener Urteile das richtlinienkonforme Ergebnis ergibt. 203 Dann muß aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zumindest eine zusammenfassende Konsolidierung der Rechtsprechung erfolgen. Problematisch erscheint auch, wenn die Rechtsprechung selber lediglich auf das Gemeinschaftsrecht verweist. Hier wird man die gleichen Anforderungen stellen müssen wie bei gesetzlichen Verweisungen, nämlich daß auf eine bestimmte Richtlinienvorschrift unter Angabe von deren Fundstelle im Amtsblatt der Gemeinschaft verwiesen wird,z°4 Besser wäre aber die Inkorporation der Richtlinienvorschrift in die höchstrichterliche Rechtsprechung. (3) Gesamtabwägung

Aber auch bei Einhaltung aller dieser Voraussetzungen ist eine Richtlinienumsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht im Hinblick auf die Bestimmtheit, Klarheit und Transparenz der Richtlinienumsetzung weiterhin als problematisch anzusehen. Eine ausdrückliche gesetzliche Normierung erfüllt diese Anforderungen nämlich grundsätzlich besser,z°5 Während also das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich eine möglichst wortgenaue Umsetzung favorisiert, erfordert die Erhaltung nationaler dogmatischer Strukturen eine flexible Handhabung der Umsetzungsanforderungen. Die gestufte Verbindlichkeit von Richtlinien Ohly, AcP 2001, 1 (3); Röhl, Rechtslehre, 545. Menke, WRP 1998, 811 (819); Ulmer; EuZW 1993, 337 (340); Frisch, Richtlinienkonforme Auslegung, 113. 203 Vgl. Staudinger; WM 1999,1546 (1548). 204 Vgl. GeliermannlSzczekalla, NuR 1993,54 (57); Ruffert, in Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV IEGV, Art. 249, Rn. 52. 205 Vgl. Easson, YEL 1 (1981), 1 (29). 201

202

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spricht aber grundsätzlich gegen eine kategorische Auflösung dieses Spannungsverhältnisses. 206 Diese Lösung findet weitere Unterstützung darin, daß der Gerichtshof einen allgemeinen rechtlichen Rahmen genügen lassen will, soweit dieser die tatsächliche Anwendung in hinreichend klarer und bestimmter Weise sicherstellt. Es ergibt sich damit eine vergleichbare Konfliktsituation wie im Fall nationaler Verfahrensvorschriften und deren Einfluß auf die Effektivität des Gemeinschaftsrechts?07 In dieser nimmt der Gerichtshof eine Gesamtabwägung zwischen Effektivitätsgrundsatz und Verfahrensregel unter Berücksichtigung auch der Besonderheiten des nationalen Verfahrens und der Stellung der Vorschrift im Gesamtverfahren vor. Wie bei der Richtlinienumsetzung geht es bei der Frage nach der Zulässigkeit bestimmter Verfahrensrege1n aus Perspektive des nationalen Rechts um die Erhaltung der dogmatischen Struktur des nationalen Rechts. Die Anforderungen an die Richtlinienumsetzung wurden demgegenüber, ebenso wie die Anforderungen an nationales Verfahrensrecht zur Sicherung der Effektivität des Gemeinschaftsrechts entwickelt. Die Klarheit und Bestimmtheit soll gerade dazu dienen, dem einzelnen die Kenntnisnahme von seinen Rechten und deren Durchsetzung zu ermöglichen. Diese beiden konfligierenden Maximen, möglichst genaue Umsetzung auf der einen, Erhaltung der dogmatischen Struktur nationalen Rechts auf der anderen Seite, sind daher im Einzelfall umfassend gegeneinander abzuwägen. Richtigerweise wird man dabei darauf abzustellen haben, welche Bedeutung einer Richtlinienvorschrift zukommt. 208 Je zentraler eine Vorschrift für die Kenntnisnahme des einzelnen von seinen Rechten ist, um so wesentlicher erscheint deren wortgenaue Umsetzung. Besonders wichtig sind demnach alle die Vorschriften, nach denen sich der Kern der materiellen Berechtigung des einzelnen bestimmt. Geringfügigere Bedeutung kommt demgegenüber rein prozessualen Vorschriften zu, deren Auswirkung der Laie ohnehin häufig nicht wird abschätzen können. Dabei wird man auch zu berücksichtigen haben, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von dem betroffenen Rechtskreis erwartet werden können. Im Verbraucherschutzrecht ergibt sich dann eine größere Notwendigkeit für eine detailgenaue Umsetzung als beispielsweise im Wettbewerbsrecht, wo lediglich werbende Unternehmen und Unternehmer betroffen sind. Keine entscheidende Bedeutung hat hingegen die Dauerhaftigkeit und Festigkeit einer bestimmten Rechtsprechung?09 Soweit, wie durch das Urteil "Testpreis-Angebot", die Pflicht und Möglichkeit zu einer richtlinienkonformen Auslegung einer GeneralklauseI festgestellt ist, ergeben sich hinsichtlich des Inhalts der Rechtsprechung keine Zweifel mehr. In einem solchen Fall kann auch ein einziges Urteil bereits eine höchstrichterliche Rechtsprechung begründen, wenn diese Absicht hinreichend klargemacht wird. Auch ob es einer Rechtsprechungsän206 207 208 209 16*

Ähnlich Staudinger, WM 1999, 1546 (1547 ff.); Easson, YEL 1 (1981), 1 (29). Vgl. hierzu oben Teil 2, D., IV. Ebenso Staudinger, WM 1999, 1546 (1547). A.A. Staudinger, WM 1999, 1546 (1547 ff.).

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derung bedarf oder nicht, ist nicht maßgeblich. 2lO Schützenswert ist nicht der Inhalt einer bestimmten Rechtsprechung, sondern die Tatsache, daß eine bestimmte Materie richterrechtlich geprägt ist. Ebenso wie bei der Abwägung zwischen Effektivität und nationaler Verfahrensregel kommt der Stellung einer Generalklausel in einem Rechtsgebiet hervorgehobene Bedeutung zu. Die Rücksichtnahme auf nationale Regelungsstrukturen ist um so mehr geboten, je zentraler die Stellung einer Norm für das nationale System ist. Gegenüber Generalklauseln, die für eine bestimmte Materie lediglich eine gewisse Ausnahmefunktionen übernehmen, ist daher weniger Rücksicht angezeigt, als gegenüber solchen wie § I UWG, welche die zentrale Kernregelung eines ganzen Rechtsgebiet darstellen.

d) Zwischenergebnis: Umfang gemeinschaftsrechtlicher Zulässigkeit einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht Grundsätzlich ist eine Richtlinienumsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht damit aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht völlig ausgeschlossen. Die Zulässigkeit setzt allerdings in jedem Fall voraus, daß die höchstrichterliche Rechtsprechung selbst in hinreichend klarer und bestimmter Weise deutlich macht, daß eine bestimmte Generalklausei richtlinienkonform ausgelegt wird und daß die daraus folgenden inhaltlichen Konsequenzen für die Auslegung der Generalklausel durch einen eindeutigen Verweis auf die genaue Richtlinienvorschrift sowie deren FundsteIle im Amtsblatt der EG kenntlich gemacht werden. Noch besser erscheint sogar eine Übernahme des Inhalts der umzusetzenden Richtlinienvorschrift in die Urteilsgründe, um so die Rechte und Pflichten für einzelne noch leichter erkennbar zu machen. Wenn eine Richtlinienumsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht damit nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, so ist doch im Einzelfall eine Abwägung zwischen dem Gemeinschaftsinteresse an einer möglichst detail gen auen Umsetzung und dem nationalen Interesse an der Schonung nationaler Regelungsstrukturen vorzunehmen. Dabei kommt der Bedeutung der betroffenen Richtlinienvorschrift für deren Regelungsabsicht sowie der Generalklausel für die nationale Regelungssystematik die zentrale Bedeutung zu. Die Zentralität einer Richtlinienvorschrift beurteilt sich hierbei insbesondere danach, ob sie die materiellen Kernberechtigungen einzelner betrifft, oder ob sie lediglich verfahrensmäßige Nebenregelungen trifft, und zudem, welche Kenntnisse und Fähigkeiten von den betroffenen Rechtskreisen erwartet werden dürfen. Eine Änderung des UWG wäre bei Zugrundelegung dieser Kriterien aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht zwingend erforderlich gewesen. Zwar handelt es sich bei dem Grundsatz der Zulässigkeit vergleichender Werbung um die zentrale Vor210 A.A. Staudinger, WM 1999, 1546 (1548 f.). Aus ähnlichen Erwägungen spricht sich auch Ohly, GRUR 1998,828 (830) für eine (mittlerweile erfolgte), allerdings rein rechtspolitisch begründete Änderung des UWG zur Umsetzung der Richtlinie vergleichende Werbung aus.

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schrift der Richtlinie, dieser stand mit der Generalklausei des § 1 UWG jedoch die Universalnorm zur Beurteilung des Wettbewerbsverhaltens nach deutschem Recht entgegen. Ausschlaggebend ist in dieser Situation, daß § 1 UWG Rechtskreise betrifft, deren grenzüberschreitende werbende Tätigkeit es erlaubt, ein höheres Maß an Informationsbereitschaft im Hinblick auf die dabei zu beachtenden Rechtsvorschriften zu erwarten. Die Einfügung des § 2 UWG war demnach überflüssig. Hinzu kommt, daß die Änderung die Notwendigkeit einer richtlinienkonformen Auslegung der Generalklausei des § 1 UWG nichts geändert hat, da § 2 UWG lediglich normiert, unter welchen Voraussetzungen eine vergleichende Werbung verboten ist, nicht jedoch, daß sie bei Einhaltung dieses Katalogs in jedem Fall zulässig ist. 211 Damit ist die Kemvorschrift der Richtlinie vergleichende Werbung aber gerade nicht gesetzlich normiert worden. Mit einem Vertragsverletzungsverfahren ist allerdings aus politökonomischen Gründen wohl nicht zu rechnen, ein Umstand der für die Praxis der Richtlinienumsetzung grundsätzlich eine erhebliche Bedeutung aufweist. Maßgeblich ist letztlich, daß es gelingt, die Kommission von der Richtlinienkonformität des nationalen Rechts und seiner Anwendung zu überzeugen. 212

5. Methodenrechtliche und verfassungsrechtliche Hinterfragung "richtlinienkonformen Richterrechts"

Mit diesem Zwischenergebnis ist der Gedankengang aber nicht abgeschlossen. Zwar wurde herausgearbeitet, daß eine richterrechtliche Richtlinienumsetzung unter bestimmten Voraussetzungen vom Gemeinschaftsrecht zu akzeptieren ist. Die Wechselwirkungen zwischen den beiden Rechtsordnungen verlangen jedoch, dem Kemargument der Befürworter einer Richtlinienumsetzung durch Richterrecht, dem Schutz nationaler Regelungsstrukturen,213 sowohl aus methodologischer wie verfassungsrechtlicher Perspektive nachzugehen.

211 Vgl. zu dieser Überlegung Marx, EWS 2001, 353 (354); Plaß, NJW 2000, 3161 (3168); Sack, WRP 2000,327 (329); Siems, ZEuP 2001,686 (691 f.). 212 Vgl. zur "Nichtumsetzung" der Richtlinie 84/450/ EWG über irreführende Werbung in Deutschland Plassmann, GRUR 1996,377 (382); Tilmann, GRUR 1997,790 (791). 213 Vgl. zu dieser Position Leible, EuZW 2001, 438 (439); Ulmer, EuZW 1993,337 (339); Siems, ZEuP 2001, 686 (695).

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a) Der methodologische Widerspruch zwischen generalklauselkonkretisierendem Richterrecht und Richtlinienkonformität

aa) Die Vorzüge von Generalklausein Generalklausein werden überwiegend als angesichts der Vielfalt von Lebensverhältnissen unverzichtbares Mittel moderner Gesetzgebung angesehen?14 Wo eine verallgemeinernder Regelung bestimmter Fallkonstellationen wertungsmäßig vorab nicht möglich erscheint, eröffnet die Generalklausei die Möglichkeit, diese der Rechtsprechung zu übertragen und sie dabei gleichzeitig an außerrechtliche Wertungen zu binden?15 Zugleich erlaubt die GeneralklauseI, schleichende Anpassungen an Änderungen im realen oder normativen Umfeld der Generalklausei vorzunehmen?16 bb) Besonderheiten der Entstehung und Fortbildung generalklauselkonkretisierenden Richterrechts Diesen funktionalen Aspekten korrespondieren gewisse Eigentümlichkeiten des Richterrechts, die es vom Gesetzesrecht in Entstehung und Fortentwicklung unterscheiden. So entsteht Richterrecht im Regelfall nicht durch einen einmaligen Rechtssetzungsakt, sondern wächst und entwickelt sich von Fall zu Fall, was Dworkin mit dem Bild des von unterschiedlichen Autoren verfaßten Fortsetzungsromans verglichen hat. 217 Methodisch steht dabei die Suche nach einschlägigen Präjudizien und deren wertender Vergleich mit dem zu entscheidenden Sachverhalt im Mittelpunkt. Während die derart entstehenden richterrechtlichen Normen einer ständigen Überprüfung durch Rechtsprechung und Lehre unterworfen sind, kommt eine Verwerfung oder Änderung des Gesetzesrechts nur dem Gesetzgeber oder einem Verfassungsgericht zu. cc) Funktionale Entleerung des Richterrechts durch die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung Betrachtet man nun den Einfluß des Gebots der richtlinienkonformen Auslegung auf den Umgang mit Generalklausein nationalen Rechts, so erkennt man, daß diese im Regelungsbereich einer Richtlinie alle Vorzüge und methodologischen Besonderheiten verlieren. Fortan überlagert das Postulat der Richtlinienkonformität jed214 Herrmann, JZ 1955, 183 (184); Kübler, JZ 1969,650; Rösgen, OÖV 1966,528 (529); R. Weber, AcP 1992, 516 (518 f.). 215 Vgl. Bydlinski, Methodenlehre, 583; R. Weber, AcP 1992, 516 (556). 216 Vgl. Ohly, AcP 2001,1 (7). 217 Dworkin, Law's Empire, 228 ff.

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weden Spielraum, den die Generalklausel der Rechtsprechung zuvor bot. Eine Anpassung an geänderte tatsächliche Umstände scheidet ebenso aus wie eine Berücksichtigung außerrechtlicher Wertungen, die keinen Niederschlag in der Richtlinie selbst gefunden haben. Auch eine Annäherung an eine "europaweite Begriffsbestimmung,,218 bedarf keiner Generalklausel, soweit Richtlinien konkretere Begrifflichkeiten enthalten, da sich die gemeinschaftsrechtliche Begrifflichkeit nur anhand des gemeinschaftsrechtlichen Normtextes entwickeln kann. Zwar benötigt die nationale Rechtsprechung einen ebenso flexiblen nationalen Gesetzeswortlaut, um dem Gerichtshof in seiner maßgeblichen Auslegung der Richtlinienvorschriften folgen zu können, einen wesentlich weiteren Spielraum benötigt sie hingegen nicht. 219 Generalklauseln werden im Wirkungsbereich von Richtlinienvorschriften somit im Ergebnis zu einer schlichten Verweisungsnorm auf die Richtlinie und verlieren damit ihre eigentlichen Funktionen. Das Postulat der Richtlinienkonforrnität verändert aber nicht nur die Funktion generalklauselkonkretisierenden Richterrechts fundamental, sondern wirkt sich zugleich auf die methodologischen Besonderheiten dessen Entstehens aus. So entsteht richtlinienkonformes Richterrecht nicht langsam, durch eine Reihe sich schrittweise vortastender Urteile, die mit der Zeit aus einer Hypothese, einem Normentwurf eine richterrechtliche Norm herausbilden,22o sondern es bedarf lediglich, wie das" Testpreis-Angebot"-Urteil eindrucksvoll gezeigt hat, einer einzigen Entscheidung, in der die Bezugnahme auf die Richtlinie und die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der Generalklausel festgestellt werden. Fortan besteht die Anwendung der Generalklausel dann in einer mittelbaren Subsumtion von Sachverhalten unter die jeweiligen Richtlinienvorschriften. Dworkins Fortsetzungsroman findet damit ein jähes Ende. Die Richtlinie bestimmt fortan den Handlungsstrang allein, soweit sie keinen Umsetzungs spielraum läßt.

b) Veifassungsrechtliche Unzulässigkeit "richtlinienkonformen Richterrechts "?

Angesichts der aufgezeigten methodologischen "Unmöglichkeit" richtlinienkonformen Richterrechts ist im nächsten Schritt zu fragen, ob nicht sogar verfassungsrechtliche Bedenken einer Richtlinienumsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht entgegenstehen.

Siems, ZEuP 2001,686 (695). Zur Kompetenzverteilung hinsichtlich der Konkretisierung in Richtlinien enthaltener unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln vgl. oben Teil 2, B., IV., a), cc). 220 V gl. hierzu Ohly, AcP 2001, 1 (31 f.). 218

219

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aa) Zulässigkeit von Generalklauseln nach dem GG Wenn ein Schutz nationaler Regelungsstrukturen gegenüber den Anforderungen an die Bestimmtheit, Klarheit und Transparenz der Richtlinienumsetzung postuliert wird, suggeriert dies, die nationale Rechtsordnung lehne das vom Gemeinschaftsrecht Geforderte ab, weise es als Fremdkörper zurück. Das ist indes lediglich auf gesetzlicher, dogmatischer Ebene richtig, nicht hingegen auf der verfassungsrechtlichen Ebene. Auch das deutsche Verfassungsrecht kennt nämlich die Grundsätze der Klarheit und Bestimmtheit der Gesetzgebung als einer Ausprägung des von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erfaßten und sich im wesentlichen 221 aus Art. 20 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 GG ergebenden Rechtsstaatsprinzips.222 Diese Anforderungen gelten dabei in besonderer Weise, soweit ein Gesetz für die Grundrechtsverwirklichung Bedeutung entfaltet. Hier hat der Gesetzgeber alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 223 Dem Bestimmtheitsgebot kommt damit zentrale Bedeutung für die vom GG gewollte Verfassungsordnung ZU?24 Es verlangt vom Gesetzgeber grundsätzlich eine solch klare Rechtslage, daß der Bürger sein Verhalten danach ausrichten kann. 225 Generalklauseln begegnen daher grundsätzlich sowohl aus der Perspektive der Rechtssicherheit wie auch der Gewaltenteilung Bedenken, insoweit durch die Verwendung einer Generalklausei die wesentlichen Entscheidungen der Rechtsprechung übertragen und der Bürger damit Unsicherheit über seine rechtliche Position ausgesetzt wird?26 Trotzdem sind weder die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe noch die von Generalklauseln dem Gesetzgeber generell verboten. 227 Unbeschränkt zulässig sind sie hingegen auch nicht. Grundsätzlich wird vom Gesetzgeber erwartet, daß er Gesetzesnormen so bestimmt abfaßt, wie dies "nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte und mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist". 228 Dabei begründet nicht jedwede Möglichkeit einer konkreteren Regelung gleich einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Eine weiterreichende Konkretisierung, die für den Rechtsunterworfenen nicht zu einer wesentlichen zusätzlichen Erhellung seiner Rechtsposition führt, ist ebensowenig erforder221 Daneben hat es in einer Vielzahl von Bestimmungen Niederschlag gefunden, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 20, Rn. 28. Zu den Begründungsansätzen für den Bestimmtheitsgrundsatz auch Gassner; ZG 1996,37. 222 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Bd. II, Art. 20, Rn. 63; Papier/Möller; AöR 1997, 177; Sachs, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 20, Rn. 122 ff.; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. H, Art. 20, Rn. 117. 223 BVerfGE 34, 165 (192 f.); 49, 89 (126). 224

225

Papier/Möller; AöR 1997, 177 (181). BVerfGE 83, 130 (145).

226 Vgl. dazu auch Hedemann, Flucht; Ohly, AcP 2001, 1 (7 ff.); Papier/Möller; AöR 1997,177 (180). 227 BVerfGE 8, 274 (326); 41, 314 (319 f.); 90,1 (16); BVerfG, JZ 2001, 299 (300). 228 BVerfGE 49,168 (181); 59,104 (114).

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lich wie eine umständliche oder unvertretbar lange Formulierung der Norm. 229 Eine GeneralklauseI wie § 1 UWG ist danach aufgrund der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte, die der Normzweck erfassen will, grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, weil eine genauere Regelung hier kaum möglich erscheint. 23o Damit sind dem Gesetzgeber im Ergebnis unbestimmte Rechtsbegriffe und damit auch Generalklauseln erlaubt, wo er auf diese tatsächlich angewiesen ist, nicht jedoch, wo sich der Gesetzgeber lediglich aus Bequemlichkeit oder Scheu vor politischen Auseinandersetzungen seiner Pflicht zu entledigen SUCht. 231 Das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot läuft damit in seinen Grundanforderungen parallel zu den Bestimmtheitsanforderungen an die Richtlinienumsetzung, mit dem Unterschied, daß die zu erzielende Rechtssicherheit hier nicht der effektiven Verwirklichung von in Richtlinien vorgesehen Rechten, sondern der effektiven Grundrechtsgewährleistung dient. In beiden Fällen indiziert eine uneinheitliche Rechtsprechung, daß der Gesetzgeber die jeweiligen Bestimmtheitsanforderungen verfehlt hat. 232 bb) Entfall der Zulässigkeitsvoraussetzungen durch den Erlaß einer Richtlinie Wenn Generalklauseln somit generell zulässig sind, so ist dennoch zu fragen, inwieweit sich diese Beurteilung durch den Erlaß einer Richtlinie der Gemeinschaft, die eine bestimmte, bisher von der Generalklausel erfaßte Sachverhaltskonstellation regelt, ändert. Dabei sind zwei Argumentationslinien vorstellbar. So erscheint es auf den ersten Blick gleichermaßen plausibel, die richtlinienkonform ausgelegte GeneralklauseI als nun erst recht hinreichend bestimmt anzusehen, wie den Entfall der Zulässigkeitsvoraussetzungen der Generalklausel für den Regelungsbereich der Richtlinie zu behaupten. Für ersteres spricht, daß die Richtlinie ja jedwede zuvor eventuell noch bestehende Unsicherheit beseitigt, für letzteres, daß die Richtlinie gerade beweist, daß ein höheres Maß an gesetzlicher Bestimmtheit erreichbar ist. Beide Argumente haben hingegen nicht die gleiche Überzeugungskraft. Es bedarf nämlich zunächst der Rechtfertigung der Verwendung der Generalklausel auf legislativer Ebene, bevor in einem nächsten Schritt dargetan werden kann, daß die auf einer GeneralklauseI fußende Rechtsprechung die vom Gesetzgeber nicht zu leistende Konkretisierung tatsächlich gewährleistet. Die Handhabbarkeit einer Generalklausel ist in diesem Sinne nicht eine alternative, sondern eine kumulative Voraussetzung für deren Zu lässigkeit. Sie entbindet die Legislative daher nicht davon, die Notwendigkeit der Verwendung der Generalklausel nachzuweisen. Dabei wird man dem Gesetzgeber jedoch unter Gewal229

230 231 232

Papier/Möller, AöR 1997, 177 (181). BVerfGE 32, 311 (317); BVerfG, JZ 2001,299 (300). Papier/Möller, AöR 1997, 177 (200). Vgl. Ehricke, EuZW 1999,553 (558); Papier/Möller, AöR 1997, 177 (192 f.).

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

tenteilungsgesichtspunkten einen gewissen Beurteilungsspielraum zugestehen müssen. Dieser endet jedoch dort, wo die Existenz einer Richtlinie die Möglichkeit der höheren Bestimmtheit belegt. Soweit das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung zum Entfall der Vorteile generalklauselkonkretisierenden Richterrechts führt, spricht daher viel dafür, auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive die Zulässigkeit desselben zu verneinen und damit eine aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot resultierendes Spezifizierungsgebot bei der Richtlinienumsetzung anzunehmen. Die Zulässigkeit von Generalklauseln basiert nämlich gerade darauf, daß die Delegation einen Vorteil gegenüber dem Versuch einer gesetzlichen Konkretisierung aufweist. Ein solcher ist aber für den Fall der Richtlinienumsetzung nicht erkennbar. Dies führt auch nicht dazu, daß die Generalklausel als solche unzulässig wird. Ihr verbleibt außerhalb des Regelungsbereichs der Richtlinie weiterhin ein originärer Anwendungsbereich. Lediglich die von einer Richtlinie geregelte Materie ist aus der Generalklause1 durch eine Spezial vorschrift herauszulösen. Von daher scheidet eine Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot grundsätzlich aus. 233 Ungeachtet dessen gebietet das Grundgesetz in Fällen wie der Richtlinie zur vergleichenden Werbung eine ausdrückliche und bestimmte gesetzliche Umsetzung. Dieses Spezifizierungsgebot ist wiederum zwei Beschränkungen unterworfen. Zum einen verlangt auch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot nicht, daß nationale Vorschriften bestimmter sein müssen als das zugrunde liegende Richtlinienrecht. Zum anderen kann eine Konkretisierungsbefugnis auch insoweit an die Judikative delegiert werden, als eine Richtlinie den Mitgliedstaaten ein Ermessen bei der Umsetzung einräumt oder nur Mindestvorschriften festlegt. 234 Die Delegation dieser Umsetzungsspielräume an die Judikative bemißt sich dann nach den allgemeinen verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsanforderungen.

V. Zusammenfassung Auch in der deutschen, kodifikationsgeprägten Rechtsordnung kommt Richterrecht eine große praktische Bedeutung zu. So bilden die Gerichte sowohl durch Rechtsfortbildung als auch durch die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln Normen, denen zwar mangels formaler Präjudizienbindung keine Gesetzeswirkung, infolge einer Präjudizienvermutung aber trotzdem eine hohe Bindungskraft erwächst. 233 Generell neigt das BVerfG im Hinblick auf die Sanktionierung von Verstößen gegen das Bestimmtheitsgebot zu großer Zurückhaltung, vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Bd. 11, Art. 20, Rn. 63; Papier/Möller, AöR 1997, 177 (197 ff.). Siehe allerdingsjüngstens auch das Urteil des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Vermögensstrafe, BVerfG, 2 BvR 794/95 v. 20. 03. 2002, hup:/Iwww.bverfg.de. 234 V gl. zu den Folgen einer richtlinienrechtlichen Mindestvorschrift für die Anwendung nationalen Rechts Lutter, JZ 1992,593 (606 f.).

C. Richterrecht als Richtlinienumsetzung

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Grundsätzlich ist es den Gerichten auch vor Ablauf der Umsetzungsfrist erlaubt, Richtlinien maßgeblich für die Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Dieser Möglichkeit sind aber durch die Gewaltenteilung Grenzen gezogen, so daß eine Richtlinie vor Ablauf ihrer Umsetzungsfrist eine Rechtsfortbildung über die Wortlautgrenze hinaus nicht legitimiert. Eine Berücksichtigung innerhalb der Wortlautgrenze, also insbesondere bei der Konkretisierung von Generalklauseln, ist jedoch zulässig und im Hinblick auf die Herstellung der Richtlinienkonformität mit Ablauf der Umsetzungsfrist auch vor deren Ablauf bereits geboten. Einen gemeinschaftsrechtlich beachtlichen Verstoß gegen die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung kann hingegen erst deren Nichterfüllung nach Ablauf der Umsetzungsfrist begründen. Der Gerichtshof hat die Wahlfreiheit hinsichtlich Form und Mitteln der Richtlinienumsetzung aus Gründen der effektiven Verwirklichung des in Richtlinien angelegten Umsetzungsprogramm erheblich eingeschränkt. So verlangt er in ständiger Rechtsprechung insbesondere eine Umsetzung durch verbindliche Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, die in klarer, bestimmter und transparenter Weise gewährleisten, daß einzelne von den ihnen zustehenden Rechten Kenntnis nehmen und diese durchsetzen können. Aus diesem Grund genügt weder eine unmittelbare Anwendung einer Richtlinie noch eine Umsetzung durch eine Verwaltungspraxis oder Verwaltungsvorschriften den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen. Darüber hinaus hat der Gerichtshof auch eine lückenfüllende, rechtsfortbildende höchstrichterliche Rechtsprechung nicht als hinreichende Umsetzung erachtet. Eine Umsetzung kann daher grundsätzlich nur dann als gelungen betrachtet werden, wenn sie eine richtlinienkonforme Auslegung innerhalb des Wortlauts verbindlicher Rechtsvorschriften ermöglicht. Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist daher eine Umsetzung durch höchstrichterlich konkretisierte Generalklauseln im Prinzip zulässig. Im Einzelfall ist die Bedeutung der jeweiligen Richtlinienvorschrift gegen die der in Frage stehenden Generalklause1 abzuwägen. Dabei sind die Fähigkeiten des betroffenen Rechtskreises ebenfalls zu berücksichtigen. Ungeachtet der gemeinschaftsrechtlichen Zulässigkeit ist richtlinienkonformes Richterrecht methodologisch gesehen letztlich nicht möglich. Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung überlagert die methodologischen Vorteile des Richterrechts und beraubt es damit zugleich seiner Besonderheiten. Die Generalklausel wandelt sich zu einer schlichten Verweisungsnorm. Aus diesem Grund begegnet die Richtlinienumsetzung durch generalklauselkonkretisierendes Richterrecht auch verfassungsrechtlichen Bedenken. Zwar erlaubt auch das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot dem Gesetzgeber die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und Generalklauseln, diese Erlaubnis steht allerdings unter dem Vorbehalt der Unmöglichkeit einer konkreteren Normierung. Der dem Gesetzgeber diesbezüglich zustehende Einschätzungsspielraum findet dort eine Grenze, wo die Richtlinie die Möglichkeit einer genaueren Fassung einer Regelung belegt.

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Teil 3: Richtlinienumsetzung durch Richterrecht

Damit übt Richtlinienrecht nicht nur auf der inhaltlichen, sondern zugleich auf der normstrukturellen Ebene des Rechts einen erheblichen Anpassungsdruck auf die nationalen Rechtsordnungen aus, der nur ausnahmsweise zu Gunsten zentraler Besonderheiten nationaler Dogmatik eine Abmilderung erfährt. Es erscheint hingegen verfehlt, diesen Vorgang prinzipiell zu verurteilen. Die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an die Richtlinienumsetzung lassen letzten Endes das aufklärerische Kodifikations- und Gewaltenteilungsideae35 wieder verstärkt aufleben, welches durch die "Flucht in die Generalklause1" in Mitleidenschaft gezogen worden war. Problematisch erscheint dies allerdings deshalb, weil sowohl die kompetenzielle Beschränkung der Gemeinschaft wie die nationalen Beharrungskräfte dazu führen, daß die bisherigen nationalen dogmatischen Strukturen durch Richtlinienrecht teilweise aufgelöst werden, das Gemeinschaftsrecht aber (noch) nicht in der Lage ist, diese durch eine neue, gemeinschaftsrechtliche Gesamtdogmatik etwa im Bereich des Zivilrechts zu ersetzen.

235

Vgl. hierzu Kühler; JZ 1969, 645; Laufs, DRiZ 1973, 145.

Teil 4

Gesamtergebnis Richtlinien sind dem Gemeinschaftsrecht eigentümliche Rechtsakte. Auch wenn sie ihrer ursprünglichen Konzeption nach nur die erste Stufe eines zweistufigen Rechtsetzungsverfahrens darstellen und somit nicht darauf angelegt sind, Rechtsverhältnisse im nationalen Recht unmittelbar zu beeinflussen, hat doch die rechtsfortbildende Rechtsprechung des Gerichtshofs die tatsächlichen Auswirkungen von Richtlinien fundamental verändert. Ihnen kommt eine nicht auf das Verhältnis Staat-Bürger beschränkte negative unmittelbare Wirkung zu, die dazu führt, daß richtlinienwidriges nationales Recht umfassend nicht angewendet werden kann. Lediglich der Staat kann sich gegenüber dem Bürger nicht auf diese negative unmittelbare Wirkung berufen. Als "Ersatznormierung" infolge einer positiven Wirkung kommen Richtlinien aber nur ausnahmsweise und nicht im Verhältnis zwischen Privaten in Betracht. Diese Wirkungen kommen aber nur dann zum tragen, wenn das nationale Recht den Vorgaben von Richtlinien nicht entspricht. Unabhängig von einer solchen Nicht- oder Falschumsetzung ist jedwedes nationales Recht im Lichte von Wortlaut und Zweck einschlägiger Richtlinien auszulegen. Die nationalen Rechtsanwender kommen damit der gemeinschaftsrechtlichen, sich aus Art. 249 Abs. 3 EGV ergebenden Pflicht zur Erreichung der Ziele von Richtlinien nach. Dieser Pflicht kommt aufgrund ihrer primärrechtlichen Grundlage ohne weiteres Vorrang vor nationalen Methodenerwägungen zu. Sie findet ihre Grenze dort, wo die nationale Methodenlehre eine Auslegung nicht mehr trägt. Diese, grundsätzlich im Wortlaut der Norm sowie dem gesetzgeberischen Regelungszweck angelegten Grenzlinien müssen für den Einwirkungsbereich von Richtlinien modifiziert werden. Art. 23 bzw. 24 GG i.Y.m. den Zustimmungsgesetzen zu den Gemeinschaftsverträgen haben zu einer Veränderung des Gewaltenteilungsgefüges geführt. Die Übertragung legislativer Befugnisse auf die EG hat zugleich die Kontroll- und Verwerfungsbefugnisse der Judikative gegenüber nationalem Recht substantiell erweitert. In Bezug auf Richtlinien wird die formelle Rechtssetzungskompetenz zwar weiterhin auf der Ebene des Mitgliedstaates ausgeübt. Die materiell-inhaltliche Zielsetzungsbefugnis liegt für den Bereich des Richtlinienrechts aber bei der EG. Sie kann allenfalls durch die Richtlinien selber partiell rückdelegiert werden. Diese Gewaltenverschiebung schlägt auf die Methodenlehre und die Grenzen der Auslegung durch, mit der Folge, daß von einer Richtlinie abweichende gesetzgeberische Regelungszwecke von der Judikative nur insoweit zu beachten sind, als die Richtlinie diese selber zuläßt. Die Rechtspre-

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Teil 4: Gesamtergebnis

chung ist grundsätzlich auch zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung verpflichtet. Dabei dürfen aber nicht alle Voraussetzungen einer zulässigen Rechtsfortbildung nur unter Rückgriff auf die jeweilige Richtlinienvorschrift erfüllt werden können. Damit würde die Grenze zur unmittelbaren Wirkung überschritten. Eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion ist hingegen unbeschränkt zulässig und erforderlich. Sie geht bruchlos in die negative unmittelbare Wirkung über. Gemeinschaftsrechtlicher Staatshaftungsanspruch und das Gebot des effektiven und äquivalenten Rechtsschutzes ergänzen die unmittelbare Wirkung und die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auf der Ebene des Verfahrensrechts sowie des Sekundärrechtsschutzes und runden damit die möglichst effektive Gewährleistung richtlinienrechtlich begründeter Rechtspositionen ab. Die Richtlinienumsetzung erfordert zwar nicht eine wortwörtliche Übernahme der Richtlinienvorschriften in das nationale Recht. Dennoch muß die Umsetzung durch außenverbindliche, klare und bestimmte Rechts- oder Verwaltungsvorschriften sichergestellt sein, so daß einzelne den Umfang ihrer Rechte und Pflichten zur Kenntnis nehmen können. Eine Umsetzung durch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist grundsätzlich nicht zulässig. Hingegen ist eine Umsetzung durch richtlinienkonform konkretisierte GeneralklauseIn nicht prinzipiell ausgeschlossen. Sie setzt eine Abwägung zwischen dem Interesse des Gemeinschaftsrechts an einer möglichst klaren und bestimmten Umsetzung und dem mitgliedstaatlichen Interesse an der Schonung tradierter Regelungsstrukturen voraus. Wenn damit eine richterrechtliche Richtlinienumsetzung gemeinschaftsrechtlich teilweise möglich ist, ist diese dennoch methodologischen wie verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt. Diese resultieren daraus, daß das Postulat der Richtlinienkonformität das generalklauselkonkretisierende Richterrecht seiner methodologischen Besonderheiten entkleidet und es damit im Prinzip seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen beraubt. Sowohl aus gemeinschaftsrechtlicher wie verfassungsrechtlicher Perspektive ist eine Umsetzung durch den Gesetzgeber einer solchen durch die Rechtsprechung damit vorzuziehen.

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Stichwortverzeichnis Äqui valenter Rechtsschutz 182 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 248 f. CIA Security 69 ff. Daihatsu 83 deontische Logik 34 effektiver Rechtsschutz 182 ff. Ermächtigung, begrenzte 26 Fratelli Costanzo 66 f. Gemeinschaftsrecht - und nationales Recht 34 - völkerrechtliche Wurzeln 26 gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung 102 Generalklauseln, Zulässigkeit nach dem GG 248 f. Heininger-Urteile 166 ff. internationales Einheitsrecht, Auslegung 102 Klauselrichtlinie-Urteil 215 ff. - Entscheidungsgründe 218 - Reaktionen in der Literatur 218 f. - Sachverhalt 215 - Schlußanträge des GA Tizzano 216 ff. Klauselrichtlinieanhang-Urteil 219 f. Konformauslegung 94 - Erkenntnisfunktion 94 f. - Kontrollfunktion 94 f. Konformität 94 ff. mittelbare Belastung einzelner durch Richtlinien - Fundamental Rights 76 f. - Public Law Element 75 f. - Rechtsakte mit Doppelwirkung 73 ff. - schützenswertes Vertrauen 77 - Systematisierungsversuche in der Literatur 73 ff. - uneingeschränkte Zulässigkeit der negativen unmittelbaren Wirkung 78 ff. Panagis Pafitis 71 ff. Piageme 69 ff. Präjudizienbindung 191 ff. Präjudizienvermutung 193

Problemaufriß 29 f. Rechtsvakuum 52 f. Richterrecht 191 ff. - Rückwirkung 193 Richtlinie(n) - "ähnliche Wirkungen" wie Verordnungen 38 - als Maßstabsnorm 50 f. - als Mittel der Rechtsangleichung 27 - als Teil des Sekundärrechts 25 - Bedeutung für die Rechtssetzungspraxis

27

- Einwirkung auf die nationale Rechtsprechung 31 ff. - Ermessensüberschreitung bei Umsetzung 50 f. - hinreichende Bestimmtheit 48 f. - inhaltliche Unbedingtheit 49 f. - materielles Umsetzungsprogramm 48 - Regelungsintensität 27 - subjektive Rechte 54 ff. - unmittelbare Wirkung(en) 31 ff. s. auch unmittelbare Wirkung - Veröffentlichungspflicht 26 - zweistufiges Rechtssetzungsverfahren 25 richtlinienkonforme Analogiebildung 146 ff. richtlinienkonforme Auslegung, (Gebot der) 87 ff. - Ablauf der Umsetzungsfrist 115 ff. - allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts 161 ff. - Auslegung und Rechtsfortbildung 90 ff. - Auslegungsvorgang 132 ff. - Begriff der Auslegung 90 ff. - Begriff der richtlinienkonformen A. 89 ff. - einer ständigen Rechtsprechung 125 ff. - Erweiterung des Methodenkanons 104 f. - GeneralklauseIn in Richtlinien 114 f. - gesetzgeberischer Regelungszweck, Bedeutung für 138 ff.

Stichwortverzeichnis - Grenzen 134 ff. - aus dem Gemeinschaftsrecht 152 ff. - aus nationalem Recht 134 ff. - Grundlage 105 ff. - Herleitung 105 ff. - innerstaatliche Grundlage 111 f. - "mögliche Auslegung" 131 ff. - negative Konformauslegung 153 ff. - normative Verbindlichkeit 104 f. - offene Fragen 89 - positive Konformauslegung 158 ff. - Rechtsfortbildung 143 ff. - Reichweite der Konformitätsverpflichtung 128 ff. - überschießende Umsetzung 127 f. - Umsetzungsverpflichtung der Mitgliedstaaten 108 ff., 165 ff. - Unterschied zur unmittelbaren Wirkung 92 ff. - unübersteigbare Grenze 150 - verfassungsrechtliche Begrenzung 51 f. - Vergleich mit ähnlichen Instituten 96 ff. - Vorrang des Gemeinschaftsrechts 105 ff. - Vorrang vor nationalen Auslegungsmethoden 128 ff. - Vorrangregel 95 - Vorraussetzungen 112 f. - hinsichtlich nationalem Recht 124 ff. - hinsichtlich Richtlinie 113 ff. - sachlicher Regelungsbereich 114 - Vorzugsregel 95, 131 f. - Wortlautgrenze 143 ff. - zeitlicher Beginn 201 richtlinienkonforme Extension 148 richtlinienkonforme gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung 148 f. richtlinienkonforme Rechtsfortbildung 143 ff. richtlinienkonforme Reduktion 145 f. richtlinienkonformes Richterrecht - Ablauf der Umsetzungsfrist 195 ff. - Besonderheiten der Entstehung und Fortentwicklung 246 - funktionale Entleerung 246 f. - methodenrechtliche und verfassungsrechtliche Hinterfragung 245 ff. - methodologischer Widerspruch 246 18 Hemnann

273

- verfassungsrechtliche Unzulässigkeit 247 ff. Richtlinienkonformität 94 ff. Richtlinienumsetzung 190 ff. - als Bewertungs- und Kompetenzproblem für EuGH und Kommission 230 f. - Anforderungen des EuGH 208 ff. - durch Richterrecht 190 ff., 207 ff. - Stellungnahmen der Generalanwälte 220 ff. - Stellungnahmen des EuGH 212 ff. - Stellungnahmen in der Literatur 222 ff. - Zulässigkeit, eigene Untersuchung 228 ff. - Effektivität 209 - formale Anforderungen 209 f. - inhaltliche Anforderungen 210 f. - Konkretisierung von GeneralklauseIn 234 ff. - Multifunktionalität nationaler Gerichte 229f. - normativer Rahmen und Richterrecht 232 ff. - Rechtsfortbildung, offene Lücken 233 f. - Rechtsfortbildung, verdeckte Lücken 232 f. - Rechtsklarheit 209 - Rechtssicherheit 209 - Strukturüberlegungen 229 ff. - ungeeignete Umsetzungstechniken 212 ff. - vorauseilende 202 f. - Wahlfreiheit der innerstaatlichen Stellen 202 - zweistufiger Vorgang 229 Ruiz Bemaldez 71 ff. Staatshaftungsanspruch 173 ff. - Entwicklung 174 ff. - individualschützende Norm 178 - Kausalzusammenhang 179 f. - Organhandlung 177 f. - qualifizierter Verstoß 178 f. - Rechtsfolgen 180 ff. - Rechtsgrundlage 174 ff. - Voraussetzungen 176 ff. - wegen Richtlinienumsetzung 176 ff. Testpreis-Angebot-Urteil 195 ff. überschießende Umsetzung von Richtlinien 127 f. Unilever ltalia 69 ff. unmittelbare Wirkung(en) von Richtlinien 31 ff. - Abgrenzung zur Geltung 33

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Stichwortverzeichnis

- Altemativanwendung von Richtlinienbestimmungen 60 - Argumente 41 ff. - Beachtungspflicht 61 - Begriff 32 ff. - Folgen 58 ff. - Grenzen 61 ff. - Herleitung 40 ff. - horizontale Konstellationen 63 f. - inhaltliche Wirkungen 58 ff. - Kritik an der Rechtsprechung 84 - mittelbare Belastung einzelner 64 ff. s. auch mittelbare Belastung einzelner - negative unmittelbare Wirkung 58 ff. - negative Voraussetzungen 61 ff. - Pflicht zur Nichtanwendung entgegenstehenden nationalen Rechts 58 f.

- positive und negative Wirkungen 33 f. - positive unmittelbare Wirkung 60 - positive Voraussetzungen 45 ff. - Rechtsfortbildung durch den EuGH 40 f. - Sprachgebrauch des EuGH 36 ff. - im Hinblick auf Primärrecht und Verordnungen 36 f. - im Hinblick auf Richtlinien 37 ff. - Terminologie des EGV 36 - umgekehrt vertikale Konstellationen 63 - Unmittelbarkeit 34 ff. UVP-Urteile 67 ff. verfahrensmäßige Autonomie der Mitgliedstaaten 183 f. verfassungskonforme Auslegung 96 ff. völkerrechts freundliche Auslegung 100 ff.