Res publica amissa: Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik 3515116427, 9783515116428

Struktur und Krise der späten römischen Republik gehören zu den eigenartigsten und, wenn man das so steigern darf, parad

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German Pages 392 [402] Year 2017

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Inhaltsverzeichnis
Vorwort zur Neuausgabe 1997
Vorwort zur Neuausgabe 1980
Einführung zur Neuausgabe 1980
Einleitung
Grundbedingungen der Verfassungswirklichkeit der späten res publica
I Partium sensus neben necessitudo: Eine auffällige Spaltung der Politik
II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen
1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom
2. Die Funktion der Nah- und Treuverhältnisse in der späten Republik und die regelmäßige Vereinzelung der Interessen
3. Die Ursachen der dritten Phase des Bindungswesens
4. Die Grundlagen der aristokratisch geprägten Verfassung
III Die übermäßige Extensivierung der res publica
1. Der Ritterstand
2. Das niedere Volk
a) Plebs rustica
b) Soldaten und Veteranen
c) Plebs urbana
3. Die populare Methode und die großen Themen der Politik in der späten Republik
a) Die Stellung der Volksversammlung in der römischen Verfassung vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts
b) Das Strittige (Zielsetzungen und Kontroversen) in den verschiedenen Phasen der römischen Innenpolitik zwischen 151 und 50
c) Die Funktion der popularen Politik, ihre Grenzen und Möglichkeiten
4. Unverhältnismäßige Vergrößerung und Extensivierung der res publica
IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik
1. Die Regel: Faktionenbetriebsamkeit und Teilbarkeit der Politik
2. Das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme
3. Die Organisation der Macht (Einzelner, Familie, Faktion, führende Senatskreise)
4. Der Sinn der Wahlverfassung in der späten Republik
V Krise ohne Alternative
Die entscheidenden Stadien der akuten Krise
VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.
1. M. Livius Drusus’ Tribunat, bellum Italicum und bellum Mithridaticum
2. Die Koalition einiger Senatoren mit Rittern und Neubürgern gegen den Senat
3. Der Bürgerkrieg
a) Sullas Marsch auf Rom und der erste Bürgerkrieg
b) Die Zeit des cinnanischen Regimes
c) Exercitus
d) Der Senat zur Zeit der Rückkehr Sullas
4. Sullas Neuordnung
a) Sulla und die Nobilität
b) Die Proscriptionen
c) Die Gesetzgebung
d) Der Rücktritt
5. Das Ergebnis der 80er Jahre
VII Die Zuspitzung der Krise in den Jahren um 60 v. Chr.
1. Pompeius’ Rückkehr aus dem Osten und die Veränderung der senatorischen Politik durch Catos Aufstieg
2. Caesars Sieg über den Senat
3. Pompeius, Caesar und der Senat
Nec vitia nostra nec remedia pati possumus
Anhang
Register
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Res publica amissa: Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten römischen Republik
 3515116427, 9783515116428

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CHRISTIAN MEIER

RES PUBLICA AMISSA EINE STUDIE ZU VERFASSUNG UND GESCHICHTE DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK

Franz Steiner Verlag

CHRISTIAN MEIER · RES PUBLICA AMISSA

CHRISTIAN MEIER

RES PUBLICA AMISSA EINE STUDIE ZU VERFASSUNG UND GESCHICHTE DER SPÄTEN RÖMISCHEN REPUBLIK

FRANZ STEINER VERLAG

Die erste Auflage des Bandes erschien 1966 beim Franz Steiner Verlag, Wiesbaden. Es folgten drei Lizenzausgaben im Suhrkamp Verlag in den Jahren 1980, 1988, 1997, die als 1.–3. Auflage bezeichnet wurden. In Fortsetzung dieser Zählung erscheint dieser Band daher als 4. Auflage. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, 4. Auflage, Stuttgart 2017 Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11642-8 (Print) ISBN 978-3-515-11643-5 (E-Book)

Für

HANS SCHAEFER

(7. August 1906 – 23. September 1961) und

PETER SATTLER

(30. Mai 1930 – 23. September 1961)

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort zur neuen Auflage Vorwort zur Neuausgabe 1997 Vorwort zur Neuausgabe 1980 Einführung zur Neuausgabe 1980 Einleitung

*5 *7 *9 *14 1

Grundbedingungen der Verfassungswirklichkeit der späten res publica 7 I Partium sensus neben necessitudo: Eine auffällige Spaltung der Politik 7 II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen 24 1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom 24 2. Die Funktion der Nah- und Treuverhältnisse in der späten Republik und die regelmäßige Vereinzelung der Interessen 34 3. Die Ursachen der dritten Phase des Bindungswesens 41 4. Die Grundlagen der aristokratisch geprägten Verfassung 45 III Die übermäßige Extensivierung der res publica 64 1. Der Ritterstand 64 2. Das niedere Volk 95 a) Plebs rustica S. 95. –b) Soldaten und Veteranen S. 100. – c) Plebs urbana S. 107. 3. Die populare Methode und die großen Themen der Politik in der späten Republik 116 a) Die Stellung der Volksversammlung in der römischen Verfassung vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts S. 117. –b) Das Strittige (Zielsetzungen und Kontroversen) in den verschiedenen Phasen der römischen Innenpolitik zwischen 151 und 50 S. 128. –c) Die Funktion der popularen Politik, ihre Grenzen und Möglichkeiten S. 144. 4. Unverhältnismäßige Vergrößerung und Extensivierung der res publica 151 IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik 162 1. Die Regel: Faktionenbetriebsamkeit und Teilbarkeit der Politik 163 2. Das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme 168

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Inhaltsverzeichnis

3. Die Organisation der Macht (Einzelner, Familie, Faktion, führende Senatskreise) 4. Der Sinn der Wahlverfassung in der späten Republik V Krise ohne Alternative

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Die entscheidenden Stadien der akuten Krise 207 VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr 1. M. Livius Drusus’Tribunat, bellum Italicum und bellum Mithridaticum VIII Inhaltsverzeichnis 2. Die Koalition einiger Senatoren mit Rittern und Neubürgern gegen den Senat 3. Der Bürgerkrieg a) Sullas Marsch auf Rom und der erste Bürgerkrieg S. 222. –b) Die Zeit des cinnanischen Regimes S. 229. –c) Exercitus S. 237. –d) Der Senat zur Zeit der Rückkehr Sullas S. 243. 4. Sullas Neuordnung a) Sulla und die Nobilität S. 248. –b) Die Proscriptionen S. 253. – c) Die Gesetzgebung S. 255. –d) Der Rücktritt S. 260. 5. Das Ergebnis der 80er Jahre VII Die Zuspitzung der Krise in den Jahren um 60 v. Chr 1. Pompeius’Rückkehr aus dem Osten und die Veränderung der senatorischen Politik durch Catos Aufstieg 2. Caesars Sieg über den Senat 3. Pompeius, Caesar und der Senat Nec vitia nostra nec remedia pati possumus Anhang Register

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VORWORT ZUR NEUEN AUFLAGE Fünfzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen kommt dieses Buch von neuem im Franz Steiner Verlag heraus. 1980, 1988 und 1997 hatte Suhrkamp es in drei Auflagen übernommen. Dem einen wie dem andern Verlag war und bin ich von Herzen dankbar. Am Text selbst ließ sich nichts ändern. Ich habe nur 1980 eine Einführung zur Neuausgabe hinzugesetzt, mit einiger Kritik, weiterführenden Bemerkungen sowie Antworten auf meine Kritiker. Sie ist auch in dieser Auflage enthalten, neuerdings übrigens auch im Register berücksichtigt. Um dies zu erleichtern, sind die Seiten dort nicht mehr mit römischen, sondern mit arabischen Ziffern (samt je einem *) numeriert. Meine ursprüngliche Absicht, den Untergang der römischen Republik zu verstehen, war im Laufe der Arbeit in den Hintergrund getreten. Viel problematischer schien mir, daß sie sich so lange hatte halten können; trotz vielerlei Veränderung, Unvermögen und Überforderung, trotz zum Teil heftiger innerer Kämpfe bis hin zum Bürgerkrieg. Als res publica amissa eben. Sie machte eine schwere Krise durch, die man seit Theodor Mommsen gern unter dem neuzeitlichen Begriff der Revolution faßt. Doch zeigte sich, daß sich innerhalb der Bürgerschaft eine Alternative zum Überkommenen, also der Magnetismus einer in einiger Breite sich verwurzelnden gesellschaftlichen Kraft samt neuen Ansprüchen, auch neuer Sicht auf das Gemeinwesen, vielleicht gar auf die Welt nicht hat bilden können. Erst nach nahezu zwei Jahrzehnten neuerlichen zermürbenden Bürgerkriegs konnte Augustus eine neue, eine monarchische Ordnung einrichten – und zwar indem er die Republik wiederherzustellen vorgab (und in der Tat auch vieles davon restaurierte und weiterführte)1. Die Figur der Krise ohne Alternative erscheint inzwischen nicht mehr so exotisch wie vor einem halben Jahrhundert. Die Erfahrung, daß überkommene Ordnungen, etwa durch den dritten Stand, das liberale Bürgertum, das Proletariat in Frage, daß sie schließlich durch Revolution und/oder Reform auf eine neue breitere Basis gestellt werden konnten (was auf andere Weise etwa bei den Griechen geschehen war), war noch zu lebendig. Man konnte noch mit viel größerer staatlicher Kapazität rechnen. Jacob Burckhardt2 hatte Krise und Revolution noch geradezu als Kräfte auffassen 1 2

Vgl. Ch. M., Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik. In: Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar. 2. Aufl. Stuttgart 2015. Über das Studium der Geschichte. München 1982. 210. 214. 358. 359. 366.

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Vorwort zur neuen Auflage

können, sie waren ihm gleichsam auch das, was sie – zunächst – heraufführten. Heute erscheint da vieles sehr anders. Das römische Beispiel könnte an Aktualität gewinnen. Hinweisen sollte ich in diesem Zusammenhang noch auf eine neue Arbeit: „Die Ordnung der römischen Republik“3. Sie hat die Republik vor der Krise zum Thema. Es zeigt sich, daß die römische Bürgerschaft in ein enges Korsett von (teils rituellen) Vollzügen, von (teils göttlich sanktionierten) Rängen, vorgegebenen Rollen, Regeln, aber auch Anschauungen eingebunden war; eng (und sicher) begrenzt auch in präformiertem Denken und Meinen. Derart, daß anderes sich gar nicht vorstellen ließ (oder wenn, so nicht mit irgend nennenswerter Aussicht auf Resonanz). Auf diese Weise war diese Bürgerschaft ihre Ordnung, mit Haut und Haaren. Alle Versuche, sie als Mischverfassung zu verstehen, müssen auf halbem Wege stehenbleiben. Das machte diese römische Republik so besonders. Womit aber nicht gesagt sei, daß die besondere Art ihrer Krise auf Rom beschränkt sein muß. Natürlich kann man sich auch für Rom vorstellen, daß alles ganz anders gelaufen wäre. Der Senat hätte sich mit Pompeius verständigen, Caesar hätte frühzeitig umkommen, die Republik hätte sich noch eine Weile halten können; mehr oder weniger labil, mehr oder weniger korrupt. Historische Abläufe sind banalerweise voller Kontingenz. In Israel war um 1980 gar die Sentenz im Umlauf, wer nicht mit Wundern rechne, sei kein Realist. Und doch hat es seine Berechtigung, wenn Historiker Wahrscheinlichkeiten auszumachen suchen. Immer wieder erweist sich, daß Verfassungen oder besser: Ordnungen, ja daß dem ganzen Gefüge auch des Denkens, der Erwartungen, der Überzeugungen, des Selbstverständnisses von Gesellschaften eine bestimmte Kapazität zugemessen ist. Das heißt zugleich, daß ihnen (auf unterschiedliche Weise) Grenzen gesetzt sind, über die sie nicht einfach, nicht bruchlos hinwegkommen. Sie werden in der nicht nur aristokratisch regierten, sondern ganz und gar auf die Aristokratie zugeschnittenen römischen Republik auf besondere Weise eng gewesen sein. Da hätte diese Aristokratie sich selbst negieren müssen, wenn sie die Hürden hätte überspringen wollen, die ihnen das Überkommene setzte. Daß eine Ordnung (im umfassenden Sinn des Wortes) von unbegrenzter Kapazität hätte sein können, ist in der Weltgeschichte bisher nicht vorgekommen; übrigens wohl auch für die Gegenwart nicht anzunehmen; fragt sich nur, wie (und eventuell: in welchen Schritten) man damit fertig werden wird. München, Juli 2016

3

In: Historische Zeitschrift 300, 2015, 593–697. Eine Vorstufe: Ch. M., Introduction à l’anthropologie politique de l’antiquité classique. Paris 1984. 63 ff. Vgl. Ch. M., Antworten. In: M. Bernett / W. Nippel / A. Winterling, Christian Meier zur Diskussion. Stuttgart 2008. 279 ff. Von Interesse in diesem Zusammenhang auch K.-J. Hölkeskamp, Rekonstruktionen einer Republik. München 2004. F. Goldbeck. Die Morgenbegrüßungen in der Republik und der frühen Kaiserzeit. Berlin 2010.

VORWORT ZUR NEUAUSGABE 1997

Die Neuauflage dieses Buches, die dritte im Suhrkamp-Verlag, erscheint zu einem Zeitpunkt, dazubefürchten ist, daßseine zentrale These unerwartete Aktualität gewinnt: Eine politische Ordnung ist bedroht, nicht durch äußere Mächte, sondern aufgrund ihrer Unzulänglichkeit, ihrer Unangemessenheit an ihre Aufgaben; undes scheint sich keine Kraft zubilden, die eine Alternative zu ihr aufbauen könnte. Die potentiell Mächtigen sind mit ihr zufrieden, und die Unzufriedenen sind, trotz ihrer Not, über einzelne Situationen hinaus nicht in der Lage, eine Reform an Haupt und Gliedern zu tragen. Obwohl es Konflikte, Krise Mißstände, Armut undauch Unzufriedenheiten imeinzelnen genug gibt. „ ohne Alternative“also. Das widerspricht der Grundannahme, in der die westliche Welt inzwischen mehr als zweihundert Jahre lang, bis zumEnde desSozialismus, gelebt hat: Daß nämlich, bevor das Überkommene schon wirklich überholt, das Neue schon da ist, zumindest sich ankündigt. Entsprechend hatte Theodor Mommsen vor bald 150 Jahren im Niedergang der römischen Republik eine Revolution sehen wollen. Doch wardaseben ein Fehler. das war eine Republik, deren Verlust befürchtet wurde, Res publica amissa – aber nicht für wahr gehalten werden konnte. Das war ein Prozeß, der von den Kräften, die sich gegenseitig bekämpften, gemeinsam undohne, ja wider Willen angetrieben wurden; dieKonstellationen desHandelns waren derart, daßsielauter unbeabsichtigte Nebenwirkungen sich kumulieren ließen. Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die so sehr in diese Konstellationen eingespannt war, daß sie sie nicht unter ihre Kontrolle bekam. Sie vermochte sich nicht derart in Gegensätze zu spalten, daß sie die Ordnung selbst zum Gegenstand von Politik hätte machen können. So spaltete sich statt dessen ihre „ : Es entWirklichkeit“ standen Bereiche, die nicht vorgesehen, die aber virulent waren und aus denen Kräfte resultierten, mit denen man innerhalb des Bestehenden nicht fertig wurde. Auch wurden wesentliche Grundlagen der Ordnung ausgehöhlt. Undals Lösung kam nurmehr, aber erst nach langem Sträuben, nach heftigem Widerstand, nach Aufhebung mächtiger mentaler Sperren, dieMonarchie in Frage. Mitten in derakuten Krise hatte Cicero analysiert, daßdasStreben führender Senatoren nach demRecht unddasder „ besseren“Gesellschaft nach Ruhe auseinanderstrebten. Grob gesagt, wares dazu gekommen, daß der Senat, demalle Welt dieVerantwortung zusprach, indem er diepolitische Ordnung verteidigte, die Ruhe störte. Weman Ruhe lag, und das waren bis in den Senat hinein die

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Vorwort zur Neuausgabe 1997

meisten, der konnte die Ordnung, so sehr er es wollte, nurmehr bedingt mittragen. Aber je weniger am Überkommenen stimmte, um so mehr glaubten die führenden Kreise daran festhalten zu müssen –und keiner konnte ihnen widersprechen, soviele ihnen auch zuwider handelten. So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher „ Dinge; so wie auch sonst, wenn man ihn im Großen betrachtet, darin fast alles paradox ist“ , könnte man, Kants Feststellung aus seiner Schrift „ Was ist Aufklärung?“auf Rom übertragend, formulieren. Geschichte wiederholt sich nicht. ObmanzumHandeln etwas ausihr lernen kann, ist eine schwierige Frage. Aber es gibt zumindest Modelle, die einen manches besser verstehen lassen. Zuihnen gehört ohne Zweifel die römische Republik. Der Text von 1966 mußte unverändert bleiben. Es war auch nicht möglich, denweiterführenden kritischen Überlegungen der neuen Einführung von 1980 noch etwas hinzuzufügen. Verschiedene Ansätze, die in diesem Buch nicht weit genug getrieben worden sind, etwa die zur Mentalitätsgeschichte, zur Eigenart der römischen Ordnung, zum antiken Gemeinwesen überhaupt – im Unterschied , sollen an anderer Stelle wieder aufgenommen werden. Und dann, zum Staat – wie es sich gehört, in explizit vergleichendem Zusammenhang. In einem neuen Rahmen. Wirkönnen ja auch in derhistorischen Wissenschaft nicht einfach weitermachen wiebisher, indem wir so tun, als ob es ganze Bereiche, von denen wir längst wissen, nicht gäbe oder als ob sie unsnicht zubedeuten hätten. Undneue Einteilungen drängen sich auf, manch unbillig modernisierende Verständnisse erweisen sich alsüberholt, wiedieprivilegierte Verbindung vonSozial- mit Wirtschaftsgeschichte: ein Unding bei so stark politischen Gesellschaften. Nur ist deswegen das Alte ja noch nicht entbehrlich; man muß es nur weiterentwikkeln. München, Juli 1996

VORWORT ZUR NEUAUSGABE 1980 Struktur und Krise der späten römischen Republik gehören zu den eigenartigsten und, wenn man das so steigern darf, paradoxesten der Weltgeschichte. Das macht diese Epoche interessant nicht nur im Rahmen der Geschichte, als Phase des Niedergangs der Republik und einer merkwürdig unterirdischen Vorbereitung auf das Prinzipat, sondern zugleich innerhalb einer Theorie struktureller Zusammenhänge –als extremes Beispiel für die potentielle Verträglichkeit scheinbar höchst widersprüchlicher Elemente und als Typus einer „Krise ohne . Alternative“ Eine Bürgerschaft, die mit den nur leicht adjustierten Institutionen einer kleinen Gemeinde ein Weltreich regiert. Eine potentiell mächtige, reiche, breite Schicht bourgeoisen Charakters, die sich mit Selbstverständlichkeit innerhalb aristokratisch geprägter Formen bewegt. Die Parteiungen drehen sich regelmäßig um Minima, während die ganze Verfassung bedroht ist. Eine allgemein anerkannte Führungsschicht verteidigt die überkommene Verfassung, obwohl keiner sie angreift. Eine Gesellschaft zerstört ihre Ordnung, obwohl, ja: indem sie sie zu erhalten sucht. Eine virulente Krise spielt sich ab, in der sich hundert Jahre lang keine Alternative zum Herkommen bildet; in der alle potentiell Mächtigen mit dem System zufrieden und die Unzufriedenen über einzelne Situationen hinaus machtlos sind; in der die Reformen sich zumeist so schädlich auswirken wie die Mißstände, in der Effizienz und verfassungsgemäßes Handeln verschiedentlich zu Gegensätzen geraten. Wir finden Große Einzelne, die den sachlichen Aufgaben der neuen Wirklichkeiten allein gewachsen sind und die doch –über Einzelfragen hinaus –nicht mit einer Sache werben; die man um so mehr bekämpft, je mehr man sie braucht. Schließlich kann der Überwinder der Republik seine Monarchie nur begründen, indem er die Republik wieder herzustellen vorgibt: Als die Probleme der öffentlichen Ordnung, des Rechts und der allgemeinen Wohlfahrt so dringend geworden waren, daß die Erledigung des Pensums endlich als wichtiger angesehen werden konnte als die Verteidigung der überkommenen Formen (und der gesellschaftlichen Identität). In der Herausarbeitung dieser und anderer Paradoxe hat ein Rezensent geradezu ein Leitmotiv dieses Buches gesehen: Un leitmotiv revient fréquemment au cours dulivre, celui de‚paradoxe‘. Er schließt, indem er auf dasparadoxe terminal hinweist, das der Titel suggeriere: res publica amissa, la République persiste; res publica restituta, la monarchie duPrincipat l’a évincée1. 1 J. Béranger in Revue des Études Latines 45, 1967, 592. 594.

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Vorwort zur Neuausgabe 1980

Wenn es denn aber damals so paradox zuging, so ist dies einerseits Symptom für eine Krise ganz besonderer Art; und es ist danach zu forschen, warum sich hier vertrug, was scheinbar unverträglich ist. Andererseits ist aber auch nach den Voraussetzungen und Grenzen jener Erwartungen zu fragen, denen das hier Wahrzunehmende widerspricht. Das sollte, indem es über manche unserer Erwartungen aufklärt, zu jener Orientierung beitragen, die von der Historie gerade in einer Zeit des Umbruchs erwartet werden kann. Da eine Strukturanalyse nicht bei den sogenannten römischen „Eigenschaften“stehenbleiben kann, sondern soweit wiemöglich auf die Konstellationen der Interessen unddes Handelns durchstoßen muß (in denen das so Etikettierte enthalten ist), ist sie ohnehin darauf angewiesen, das Besondere von sehr allgemeinen Kategorien her zu erschließen. Das spezielle Thema, dem sich dieses Buch angesichts der späten Republik gestellt hat, ist deren Struktur sowie die Struktur des Krisenprozesses, der in ihr abläuft (soweit ernicht bloß kontingent ist). Dabei richtet sich die Frage nicht nur auf die Bedingungen desNiedergangs, sondern zugleich auf diejenigen, die dessen Prozeß so lange hinhielten, die also die jahrzehntelange Existenz der respublica amissa ermöglichten. Beides läuft in gewissem Umfang auf das gleiche hinaus. Denn die Struktur der späten Republik ist nicht nur diejenige der Reproduktion ihrer überkommenen Formen, sondern zugleich diejenige ihrer Schwächung und Auflösung und der Bildung neuer Gewalten. Will sagen: die Handlungskonstellationen der damaligen Gesellschaft waren derart strukturiert, daß diese, indem sie die Republik bewahrte, zwangsläufig und ohne es zu wissen, an deren Überwindung arbeitete. Es geht im Zentrum umdas Politische, dabei aber zugleich umdessen Krise, die gerade darin bestand, daß die eigentlichen Veränderungen politisch nicht einzufangen waren, zwar in dessen Bereich sich vollzogen, aber nicht in der Weise politischer Auseinandersetzungen und Entscheidungen, sondern in der der prozessualen Kumulation von Nebenwirkungen daraus. Noch in denheftigsten Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen stand für lange Zeit nicht die Sache zur Debatte, diesich dann in ihrer Folge herausbildete. Es zeigt sich eine sehr eigenartige Diskrepanz zwischen Kontroversität (dem relativ geringen Umfang des Strittigen) und Mutabilität (dem großen Umfang desSich-Wandelnden). Daraus ergeben sich bemerkenswerte Konsequenzen für die Frage, wieweit diese Gesellschaft noch Herr über das in ihrer Mitte ablaufende Geschehen war. Seit die Erfahrung prozessualer Veränderungen sich zunehmend auf Abläufe bezieht, die sich unbeschadet der Verschiedenheit der Parteistandpunkte als Automatische“daran zu einem potentiell höchst negativ erweisen, wird das „ vordringlichen Problem. Das Prozessuale und sein mögliches Verhältnis zum Politischen muß um so mehr zum Thema auch historischer Arbeit werden, je mehr die spezifischen Voraussetzungen neuzeitlicher Geschichte schwinden (auf Grund derer mindestens für verhältnismäßig Viele prozessuale Veränderung

Vorwort zur Neuausgabe 1980

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mindestens überwiegend erfreulich war). In diesem Zusammenhang sollte die späte römische Republik als besonderes Modell desVerhältnisses von Prozessualem und Politischem in der allgemeinen Debatte von Interesse sein.

Das Buch wird –bis auf die Korrektur einiger Druckfehler –unverändert vorgelegt. Wohl wären innerhalb des jetzigen Textes gewisse sachliche und stilistische Verbesserungen, auch Ergänzungen indiziert gewesen. Aber sie hätten das Wesentliche kaum berührt. Andererseits hätten grundsätzliche Änderungswünsche, die sich auf die Anlage desBuches beziehen, nur durch tiefere Eingriffe erfüllt werden können. Dadurch wäre der Druck stark verteuert worden; ich wüßte auch nicht, woich dieZeit undvor allem: die Muße dazu hätte hernehmen sollen. Zudem sollte die neue Ausgabe nicht länger warten: denn die Nachfrage nach dem Buch ist, wie der Absatz (und nicht zuletzt die hohe Zahl seiner aus Institutsbibliotheken gestohlenen Exemplare) zeigt, nach wievor sehr groß. Das Thema ist ja auch zentral und hat sonst noch keine vergleichbare Behandlung erfahren.

Als Ausweg aus dem Dilemma von Umarbeitungswunsch und Zeitnot erschien es praktisch, dem Buch eine kommentierende Neue Einführung beizugeben. Sie bezieht sich auf Fragestellung und Entstehung des Buches2, sucht zwei grundsätzliche Versäumnisse auszugleichen und weist zugleich auf die wichtigeren Fälle hin, in denen ich heute vomText von 1966 abweichen würde. Zusammen mit diesem sollte sie ein neues Ganzes ergeben: indem sie einen breiteren Zugang zur Sache vermittelt und zu deren theoretischer Durchdringung beiträgt. In ihr wird zugleich zu zentralen Einwänden der Rezensenten Stellung genommen.

Das eine der beiden Versäumnisse ist theoretischer Natur: Es hätte mehr zur genauen Absteckung des gesamten Rahmens sowie verschiedener einzelner Felder getan werden müssen. Wohl sind mehrere Kategorien und Modelle entwickelt und ist viel Mühe darauf verwandt worden, auf den Zusammenhang der Erscheinungen zu reflektieren und ihn möglichst umfassend in all seinen Interdependenzen einzufangen3. Aber erst durch eine genauere Absteckung desFrageRahmens wäre es möglich gewesen, den Ort der einzelnen Aussagen innerhalb des Ganzen deutlich zu markieren und dieses damit so luzid zu machen, daß überprüfbar wird, was man von ihm erfaßt hat und was nicht. Nur so läßt sich sagen, was hier gesagt, läßt sich wissen, was hier gewußt wird. Freilich grenzt diese Forderung, mindestens beim jetzigen Stand der Wissenschaft, vielleicht aber mit Notwendigkeit ans Utopische. Aber etwas näher, als es hier geschehen, 2 Dabei hat mich, soweit das nicht vom Wege abführte, zugleich die Nebenabsicht bestimmt, unter der Frage nach der Rolle der Theorie innerhalb historischer Forschung über meine Arbeitsweise Auskunft zu geben. 3 Ohne es damit entschuldigen zu wollen: es hat zuweilen auch zu einem komplizierten Satzbau geführt, in dem Wunsch, das sachliche Interdependenzgefüge auch sprachlich wiederzugeben, ohne es allzusehr aufzulösen.

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Vorwort zur Neuausgabe 1980

kann man ihrer Erfüllung schon kommen, und das soll in der Einführung zu die-

ser Neuausgabe versucht werden. Das zweite Versäumnis hängt mit dem ersten eng zusammen. Es besteht darin, daß das Problem, ja die Sache, um die es hier geht, nicht so erläutert wurde, daß die relativ fremde neue Fragestellung zugleich genügend deutlich, in der Sache legitimiert und in die Forschung eingebürgert worden wäre. Die allgemein ausgesprochen freundliche Aufnahme des Buches kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß weithin verkannt wurde, worum es ihm eigentlich ging. Ich hatte gedacht, die Fragen nach der Struktur der res publica amissa, nach dem eigentümlichen Zusammenhang der damaligen Gesellschaft, nach ihren Parteiungen, nach den Gründen des Niedergangs wider Willen der Beteiligten, nach Kategorien, um den merkwürdigen Zustand und die besondere Art der Krise zu begreifen, verstünden sich von selbst, sobald sie einmal gestellt seien. Da aber offenbar strukturgeschichtliche Betrachtungen in der Wissenschaft von der Alten Geschichte noch relativ unvertraut sind, scheint es angeraten zu sein, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß hier nicht so sehr Einzelheiten wie deren Zusammenhang interessierten, nicht so sehr demographische, wirtschaftliche, soziale Fakten und Mißstände wie das Gewicht, mit demsie in das politische Wirkungsgefüge eingingen (und überhaupt erst zu Faktoren wurden), nicht nur die Art politischer Gruppierungen, sondern insbesondere die eigentümliche Diskrepanz zwischen ihnen und dem allgemeinen Veränderungsgeschehen. Es handelt sich im ganzen umeinen Versuch, Diskussion, Kategorien, wissenschaftliche Erörterung auf ein Feld zuerstrecken, dasbislang vornehmlich Gegenstand eher pauschaler Bemerkungen in Einleitungen oder am Rande von Abhandlungen gewesen ist. Oberhalb der Frage nach politischen Regeln und Techniken (die man gleichsam vom einzelnen Politiker her betrachten kann) soll die nach dem Ganzen des Regelwerks, anders gesagt: nach der „Physiologie“der römischen Republik etabliert werden. Es scheint mir geboten, die begriffliche Erfassung verschiedener Gesellschaftszustände (in Hinsicht auf Stabilität/Labilität, Intensivierung/Extensivierung u.a.) und spezifischer Formen des Wandels zum Thema historischer Forschung zu machen. Es reicht nicht mehr, Veränderung nur im einzelnen nachzuerzählen (und gar noch beschränkt auf die Politik), es reicht auch nicht, sie auf bestimmte Faktoren zu beziehen. Man muß sie auch imganzen begreifen, unddasheißt nicht zuletzt: Manmußanfangen, bestimmte Formen davon zu unterscheiden und auf den Begriff zu bringen. Feststellungen wie die der „Extensivierung“oder der „Krise ohne Alternative“sollten nicht nur als Etikett, sondern als Möglichkeiten, wichtige Beobachtungen aufeinander zu beziehen und in ihrem Zusammenhang zu begreifen, dienen. Schließlich ist es,wieich meine, eine zentrale Feststellung über eine Epoche, wie weit, was in ihr geschieht und sich wandelt, zum Gegenstand von Politik wird, ja überhaupt zu Bewußtsein kommt; wie weit die Gesellschaft das Geschehen in Politik einfangen oder prozessualer Kumulation von Nebenwirkun-

Vorwort zur Neuausgabe 1980

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gen überlassen muß; wieweit sie, umes zu wiederholen, insofern Herr über das ist, was in ihrer Mitte sich vollzieht. Das Problem prozessualer Abläufe in den verschiedenen Epochen müßte sich heute –aktuellermaßen –geradezu aufdränFortschritt“wahrgen, woman als Prozeß nicht mehr zumal denfreundlichen „ nehmen kann, sondern insbesondere die Gefahr der unfreundlichen, zunehmend kostenproduzierenden „Sachzwänge“erfahren muß. Allein, wie auch immer es um die Empfänglichkeit der Wissenschaft für solche Fragen bestellt sein mag, sie hätten jedenfalls schärfer herausgearbeitet werden sollen. Dies Versäumnis soll hier nach Möglichkeit aufgeholt werden. Zum Schluß möchte ich meinen Rezensenten und zugleich den Freiburger, Basler und Kölner Studenten, mit denen ich verschiedene Probleme desBuches diskutieren konnte, danken für alles, wasich von ihnen lernte. Siegfried Unseld bin ich besonders verpflichtet dafür, daß er freundlicherweise diese wohlfeile Ausgabe unternahm.

Niederbachem bei Bonn, Juni 1980

EINFÜHRUNG ZUR NEUAUSGABE 1980

A state without the means of some change is without the means of its conservation. Edmund Burke, Reflexions on the Revolution in France. London 1967. 19f.

Versuche, ein weniger geläufiges, und sei es noch so zentrales Problem zu lösen, sind offenbar nur dann als Versuche, dieses Problem zu lösen, verständlich, wenn man ganz klar machen kann, um welches Problem es sich handelt undwarum es eines ist. Andernfalls erscheinen die auf dieses Problem zielenden Versuche wie Antworten auf Fragen, die der Leser sich stellen mag, die aber nicht unbedingt vom Autor beantwortet werden sollten. Der Leser mag dem Buch also einiges entnehmen, doch mit dem Problem bleiben ihm dessen Perspektive und wesentliche Aussage verborgen. Das Paradigma dieser Situation findet sich in Grimms Märchen. Da Rotkäppchen im Bett undunter der Haube der Großmutter nur diese undnicht den, Wolf vermutet, vermögen alle abweichenden Beobachtungen sie zunächst keines Besseren zu belehren. Sie nimmt Nase, Ohren und „Maul“ , aber nicht das Gesicht wahr. So kann der Wolf sie, bevor sie sich’s versieht, verschlingen. Ob es überhaupt die Großmutter war, die dort lag, hätte Rotkäppchen sich fragen sollen. Dann wäre ihr gleich aufgegangen, was gespielt wurde. Aber das hätte nicht nahegelegen, hätte der Lebenspraxis widersprochen. Darauf mußte sie erst kommen, undeben dazu hatte sie keine Zeit mehr. Dieserart Irrtümern hat dashier neuaufzulegende Buch nicht genügend vorgebeugt. Zwar meine ich, das Interesse der Untersuchung in der Einleitung umschrieben und deren Weg durch immer neue Fragen relativ genau markiert zu haben. Überdies ist vielen Lesern auch einigermaßen deutlich geworden, worum es geht. Aber es blieb doch offenbar einiger Anlaß für Mißverständnisse. Die wichtigste Ursache dafür war, wenn ich es recht sehe, daß die Frage und Thematik, obwohl sie neu waren, nicht hinlänglich herausgearbeitet worden sind. Sie hätten vielleicht gegen die vorangegangene Forschung abgesetzt, jedenfalls aber hätte der Rahmen abgesteckt werden müssen, in dem sich die Untersuchung bewegte, in dem ihre Ergebnisse etwas besagen sollten und, je nachdem, wichtiger oder unwichtiger, zentraler oder eher peripher waren. Einheit und Umfang des Themas wären zu bezeichnen gewesen, gleichzeitig hätten

Einführung zur Neuausgabe 1980

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die Grenzen des Interesses der Arbeit gegen andere Interessen deutlich gezogen und der Ausschnitt des Themas explizit im Blick auf die Gesamtheit dessen bestimmt werden sollen, was als Struktur und Geschichte der späten Republik aufzufassen ist. Das sei hier nachgeholt. 1. DIE KONZENTRATION AUF DAS POLITISCHE

Meine Absicht war zunächst zu verstehen, wie die römische Republik untergegangen ist. Als ich die einschlägigen Erklärungen dafür studierte, erschien es mir aber weniger bemerkenswert, daß sie unterging, als daß sie so lange existierte. Deswegen schob sich mit der Zeit eine zweite Frage in denVordergrund, nämlich wiedieses Gemeinwesen, diese res publica amissa so lange funktionieren konnte. Insoweit wurde deren Struktur zum Thema. Der Weg, auf dem ich die Lösung suchte, war die möglichst konkrete Ermittlung der politischen Wirkungszusammenhänge. Die sozialen Mißstände, die schweren, zumTeil blutigen politischen Konflikte, die Verfassungsänderungen, -durchbrechungen und -aufweichungen, das Versagen der Institutionen vor so vielen Aufgaben, denWiderstand gegen alle Reformen, die Diskrepanzen –oder, wie es scheint, Widersprüche –zwischen herkömmlicher Ordnung und neuen Wirklichkeiten, die Korruption und alle sonst noch üblicherweise angeFaktoren“des Untergangs mochte ich nicht ohne Weiteres als virulent führten „ ansetzen. Ich wollte vielmehr, waswir global unter diesen Ausdrücken zu fassen suchen, auf seine tatsächlichen Auswirkungen hin erforschen. Vielleicht war ja das, was uns unvereinbar oder unhaltbar anmutet, was zum Teil schon den Zeitgenossen als untragbar erschien, in Wirklichkeit gar nicht so unerträglich oder virulent? Vielleicht ist die Stringenz der Auswirkung, die Schlüssigkeit, mit der etwas sich widerspricht oder Konsequenzen zeitigt, von Fall zuFall verschieden? Wie soll man ermitteln, daß Faktoren, die eine lange Zeit über wirkten, erst nach Jahrzehnten –undnicht viel eher oder viel später –zum Unter-

gang der Republik führten? Freilich konnte es nicht ausreichen, nur die bisher genannten Faktoren auf ihre tatsächlichen Auswirkungen hin zu verfolgen. Es war vielmehr der umfassende Handlungs- und Wirkungszusammenhang, in dem sich die späte Republik reproduzierte und veränderte, möglichst bis ins einzelne nachzurechnen. Diesen Zusammenhang suchte ich zunächst und vor allem im Politischen. Und die Bedingungen des Politischen meinte ich einerseits in gewissen Grundzügen der überkommenen Verfassung (im weiten Sinne des Wortes), andererseits in den synchronen Konstellationen des politischen Handelns und der politischen Interessen (samt den Meinungen, welche diese lenkten) zu finden. Darin folgte ich, ohne viel darüber nachzudenken, der Tradition; genauer gesagt: der Tradition nicht der politischen Geschichtsschreibung, aber des primär politischen Interesses althistorischer Forschung. Diese Weise des Ansetzens erscheint mir heute als zu eng und methodisch verfehlt. Sie zog auch einige

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ungute Konsequenzen nach sich. Allein, es ist mir auch heute noch durchaus unklar, ob das Ergebnis meiner Analyse (samt den bei seiner Gewinnung erarbeiteten Kategorien und Modellen) zu erzielen gewesen wäre ohne das relativ untheoretische, langwierige, lange Zeit nach allen Seiten offene, gleichsam schwimmende Sich-Herumschlagen mit der ungeordneten Fülle des Materials: den immer wieder neu ansetzenden intensiven Umgang mit den Quellen und den daraus zuermittelnden Fakten, das immer wieder neuder ganzen Komplexität sich aussetzende Analysieren, Ermitteln und In-Beziehung-Setzen aller auszumachenden Faktoren und ihrer Zusammenhänge –bis schließlich die Pflöcke so einzuschlagen waren, daß sie den Zusammenhang des Ganzen zu tragen vermochten: des Ganzen einer historischen Konstruktion, die, wie ich fand, die Struktur der damaligen Republik im wesentlichen zutreffend wieder-

gibt. Die Konzentration auf das Politische, freilich im Sinne einer ganz neuen Auffassung seiner Problematik, scheint sich dabei an der Materie bewährt zu haben. Dies gab wohl letztlich den Ausschlag dafür, daß es dabei blieb, unbeschadet der Voraussetzungen von der Wissenschaftstradition her. Denn das scheint mir auch heute noch richtig zu sein: Der Prozeß der Krise der respublica hat sich, woher er auch gespeist war, wesentlich im Politischen vollzogen. Im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereich bildeten sich zwar wichtige Voraussetzungen, reichhaltiger Zündstoff, bedeutende Antriebe dafür, conditiones sine quanon. Allein, wann undwiesie sich auswirkten, das hing aufs Ganze des Krisenverlaufs gesehen weit weniger von ihnen selbst als von den einzelnen Konstellationen sowie vom politischen Konstellationswandel ab. Im Politischen lag die eigentliche Veränderung, der eigentliche Mechanismus, die eigentliche Dynamik (und Beschleunigung) des Krisenprozesses. Es ist durchaus unklar, wie weit der Veränderungstendenz in diesem Bereich überhaupt eine entsprechende Tendenz im Wirtschaftlichen und Gesellschaftlichen parallel gelaufen ist. In diesen Bereichen entfaltete sich ohnehin kaum eigenständige Dynamik. Sofern nennenswerte Veränderungen in ihnen vorgingen, waren sie meist von der Politik hervorgerufen: So etwa das Anwachsen der stadtrömischen Bevölkerung, respektive des Anteils der Bürger (besonders der Freigelassenen) an ihr1, das auf die Klimax der Getreideverteilungsgesetze zurückzuführen war, oder die zunehmende Bereicherung der Ritter, die diese der Ausbeutung der Provinzen (und der relativen Wehrlosigkeit des Senats ihnen gegenüber) verdankten. Und diese Veränderungen schlugen sich nicht einfach in Veränderungen der politischen Rolle von Rittern und plebs urbana nieder. Wenn der Größe der plebs in den 50er Jahren zeitweilig ein stärkerer Einfluß korrespondierte, so ist durchaus unklar, ob dieser nicht wesentlich auf P. Clodius und vor allem auf die durch Caesar völlig veränderte 1 Vgl. P. A.Brunt, Italian Manpower 225 B.C. –A.D. 14. Oxford 1971, 100ff.

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politische Lage des Senats zurückzuführen ist2. Das politische Interesse und die Macht der Ritter ist niemals einfach Funktion ihrer wirtschaftlichen Lage gewesen. Wenn ferner die politische Rolle der Veteranen zugenommen haben sollte, so folgte das, soweit wir sehen können, nicht aus einer Veränderung der ländlichen plebs (aus der sie als Soldaten rekrutiert worden waren), sondern aus derjenigen der Machtverhältnisse zwischen Senat und Großen Einzelnen, aus der politisch bedingten Anspruchssteigerung, in gewissem Sinne aus einem , des Mentalitätswandel. Hier erwies sich die Rolle des „Großen Einzelnen“ herausgehobenen Feldherrn als Strukturfaktor. So wenig die Herausforderungen zu leugnen sind, die etwa aus der Not der Bauern vor 133 oder aus verschiedenen Hungersnöten (etwa auf Grund der Sperrung der Zufuhren durch Seeräuber vor 67)3resultierten: Im ganzen hat nicht wirtschaftliche oder gesellschaftliche Veränderung auf die Politik gedrückt, sondern die Veränderungen im Politischen haben esbedingt, welchen Gebrauch manvondenwirtschaftlichgesellschaftlichen Gegebenheiten machte. Wie diese sich auswirkten, folgte also nicht aus ihrer gleichsam absoluten eigenen Stärke oder Schwäche, sondern daraus, wie stark oder schwach man sie politisch zur Geltung brachte. So sehr die Krise aus dem Reservoir der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gespeist wurde, so sehr hing es doch gleichsam von der Handhabung der Kanäle ab, wie das geschah, das heißt von der Geschichte des Politischen. Wenn man sich damit begnügen will, „Ursachen“der Krise aufzuzählen, mag es hinreichen, auf die Aushebung von Proletariern, den Einfluß von Reichtum und Sklaven und das Anwachsen von Schichten hinzuweisen, deren Loyalität gegenüber der Republik schwach war. Wenn man hingegen den Mechanismus der Krise nachzeichnen und verstehen möchte, kommt es darauf an, vielfältige Verhältnisse von Faktoren zu erkennen, und zwar wesentlich auf dem politischen Feld4. Dort also hatte die Krise ihren Zusammenhang. Sie gewann ihre Dynamik aus dem Kampf der Oligarchie gegen die Großen Einzelnen. Sie vollzog sich wesentlich in der Veränderung der politischen Machtverhältnisse und Gegensätze, der Machtlagerung, der Stellung desSenats undseiner möglichen Gegner, derin respektive hinter denverschiedenen Institutionen derVerfassung wirkenden Macht, der Ansprüche und Erwartungen und der daraus resultierenden Mentalität, siebestand im Ausleiern ehedem fester Beziehungen, imWandel der politischen Kultur, auch in einer Erschlaffung der Funktion des Politischen etc. 2 Zum Problem Clodius und plebs urbana s. jetzt W. Nippel, Die plebs urbana und die Rolle der Gewalt in der späten römischen Republik. In: H. Mommsen/K.-F. Werner (Hrsg.), Vom Elend der Handarbeit. Probleme der historischen Unterschichtenforschung. Stuttgart 1981. 3 Diese sind unten gewiß unterschätzt. Vgl. P. A. Brunt, The Roman Mob. In: Past and Present 35, 1966, 3 ff. 4 Das sei gegen Brunt (in: Journal of Roman Studies 58, 1968, 230) gesagt, der offenbar nicht sieht, daß es bei diesem Geschäft ohne gewisse Abstraktionen nicht abgeht.

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Im Politischen ist dieser Prozeß folglich nachzurechnen. Sofern außerpolitische Bedingungen in ihn hineinwirken, ist es wesentlich deren Umsetzung in politische Verhältnisse, die interessiert. Dabei ist zu beachten, daß der Krisenprozeß sich nicht so sehr im Vordergrund der jeweiligen politischen Auseinandersetzungen abspielte als vielmehr darin, daß deren Nebenwirkungen sich dahinter zu langfristiger Veränderung kumulierten. Diese Veränderung stellte eine mächtige Tendenz dar, die gleichwohl gelegentlich vom Vordergrund her gebremst und vielleicht gar zurückgedämmt werden konnte, diesich aber letztlich wohl mit Notwendigkeit durchsetzte: in Richtung auf die Auflösung der republikanischen Form und die Konzentration der Macht in der Hand Großer Einzelner. Kennzeichnend an dieser politischen Krise war, daß sie –vor der Zeit des Augustus –politisch nicht einzufangen, also auf die Tagesordnung zu bringen war.

Sie endete nach langen Bürgerkriegen in einem neuen politischen System, innerhalb dessen dann zwar eine andere, oder überhaupt: eine Sozialpolitik getrieben werden konnte, in demaber das alte Gesellschafts-(und Wirtschafts-) System beibehalten wurde. Insofern scheint es innerhalb einer Betrachtung der Krise der späten Republik indiziert zu sein, sich wesentlich auf die politischen Kräfte unddie Verhältnisse zwischen ihnen zukonzentrieren unddie wirtschaftlichen undgesellschaftlichen Umstände nur insofern in die Betrachtung einzubeziehen, als sie ins Politische transferiert wurden, respektive sie unter der Frage zu behandeln, wie weit sie dorthin transferierbar waren. Von dieser Position aus legte es sich nahe, auch bei der Frage nach der unerwartet zähen Existenzfähigkeit der Republik im Politischen anzusetzen. Das ergab auch, so scheint mir, ein im ganzen angemessenes Bild des politischen Funktionierens. Dieser thematische Ausschnitt erschien mir als so selbstverständlich, daß ich ihn nicht näher bezeichnet habe; denn die Charakteristik als „Verfassungswirklichkeit“ war natürlich ganz unzulänglich und obendrein irreführend5. Ich hätte deutlich machen müssen, daß es bei meiner Frage nur um die politische Struktur der späten Republik und deren Funktionieren ging, nicht um die Struktur des Ganzen. Zugleich wurde nicht klar genug, inwiefern mit diesem neuen Ansatz ein Themawechsel in der Behandlung der späten Republik angepeilt wurde. 5 Kritik z. B. bei J. Bleicken (in: Savigny Zeitschrift für Rechtsgeschichte 85, 1968, 452f.), G. Crifò (in: Jura 18, 1967, 239ff.). Ich würde den Begriff heute in diesem Zusammenhang vermeiden. Gleichwohl ist für die späte Republik mit einem ganz deutlichen Bewußtsein der Differenz zwischen der Ordnung, wie sie war, und der, wie sie sein sollte, zu rechnen. Das war u. Anm. 4,11 gemeint. Dagegen war in der frühen Zeit rechte Ordnung wohl die tatsächliche Ordnung abzüglich des Wenigen, was daran von Fall zu Fall als mißbräuchlich oder gefährlich bekämpft wurde. Wie man diese Unterschiede innerhalb der gewachsenen Verfassung begrifflich fassen kann, ist eine interessante Frage.

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Was hier implizit unter politischer Struktur verstanden ist, das heißt welche Aspekte davon behandelt wurden, wird gleich noch zu erörtern sein. Jedenfalls trieb mich nicht, wie Jochen Bleicken meinte, ein Interesse am „römischen Staat“ , das in irgendeiner Weise demjenigen Mommsens am „Staatsrecht“entsprochen hätte. Die Verfassung war mir nur wichtig, insofern sie bedingt/ bedingend in die Grundzüge des Funktionierens der Struktur eingeknüpft war. Andererseits konnte vieles von dem, wasin der damaligen Gesellschaft an Not und Mißständen, an sozialer Krise zu beobachten war, draußen bleiben6. Wenn etwa sehr viele Bauern ihr Land verloren oder Hunderttausende von Armen in großem Elend lebten, so besagt dies im politischen Zusammenhang für sich noch nichts. Was es ausmacht, hängt davon ab, ob daraus etwa Aufruhr, neue Gefolgschaften oder gar ein Angriff auf das Bestehende resultierten. Und das wiederum war wesentlich bedingt durch die jeweiligen Spielräume und Grenzen des politischen Handelns und Denkens, die Ansprüche, die Hemmungen sowie durch das Bedingungsgefüge, in demBauern und Arme mit anderen politischen (oder politisierbaren) Kräften standen. Peter Brunt hat mit Recht gegen den Abschnitt über die plebs urbana eingewandt, daß ich die Not und das Ausmaß der Unzufriedenheit, das Machtpotential in dieser Bevölkerungsschicht unterschätzt hätte7. Aber gerade dann wird die Grundthese des Buches um so beachtlicher, daß die plebs urbana trotz großer Not und Unzufriedenheit mit diesem und jenem und trotz, ihrer ungeheuren zahlenmäßigen Überlegenheit politisch so wenig auszurichten vermochte und sich, ohne zur Bildung einer Alternative beizutragen, im Rahmen des Bestehenden bewegte8. In Hinsicht auf die verschiedenen Kräfte wird hier ja die Frage auf drei verschiedenen Ebenen angesetzt: (1) Was sie in den einzelnen Situationen vermochten (wenn es galt, dies oder jenes durchzusetzen). Sodann was sie über die Situation hinaus ausrichteten, negativ (2), indem sie als Störfaktor in den allgemeinen Schwächungsprozeß eingingen, oder positiv (3), indem sie direkt darauf hinwirkten, daßeine Alternative gegen die Republik entstand. Mußman, wiees mir heute erscheint, die Wirkung derplebs auf den ersten beiden Ebenen höher veranschlagen, wird es um so bemerkenswerter, daß sie auf der dritten Ebene gleich null war. Gewiß wäre es zum Beispiel richtig gewesen, auch den Sklaven einen eigenen Abschnitt zu widmen, zumal sie gelegentlich ein bedrohliches Potential in Rom darstellten undvor allem durch ihre Erhebungen mindestens als Aufgabe und, 6 Dies wurde vor allem von Brunt moniert (wie Anm. 4. 229f.). Bleicken 451. 7 Brunt ebd. Ferner: The Roman Mob (wie Anm. 3). 8 Ähnlich jetzt E. S. Gruen, The Last Generation of the Roman Republic. Berkeley/Los Angeles/London 1974. Das bleibt höchst auffällig, zumal angesichts des weitgehenden Fehlens einer Polizei (dazu vgl. noch meine Besprechung von Lintotts Violence in Republican Rome in: Historische Zeitschrift 213, 1971, 395ff.). Denn es kann kaum richtig sein, wenn Brunt die Macht der Nobilität in der Stadt mechanisch auf die Größe ihrer Clientelen zurückführt (Mob 21f.).

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da sie so leicht nicht zu besiegen waren, als Störungen die Politik mitbestimmten. Ebenso hätte es gut getan, wenn die zahlreichen Auswirkungen aus dem Herrschaftsbereich eingehender charakterisiert worden wären: Einerseits die Summe der Versäumnisse in der Bewältigung der von da her sich stellenden Aufgaben, die sich auf die politische Struktur auswirkten; andererseits vor allem der Wandel in der Stellung und Mentalität der römischen Magistrate, der sich aus der Interdependenz von Krise und Provinzialverwaltung ergab9. Wenn dies hier nicht nachgeholt worden ist, so liegt es daran, daß dadurch die These zwar vervollständigt, aber im Ganzen kaum verändert worden wäre. In der Struktur und Krise des Politischen in der späten Republik hat die Arbeit ihr einheitliches und zusammenhängendes Thema. Sie versucht damit, zum Gegenstand einer Untersuchung zumachen, was bis dahin nur in gelegentlichen Äußerungen oder Überblicken oder am Rande gesellschafts- und verfassungshistorischer Monographien behandelt worden war10. Die Ergebnisse sollten zeigen, wieviel auseiner solchen Betrachtung zugewinnen ist, zwar auch für die Deutung einzelner Situationen und Handlungen (woran Althistoriker ja in erster Linie interessiert sind), vor allem aber für das Verständnis der späten Republik und ihrer Krise im Ganzen. Es fragt sich nun allerdings, was hier als Struktur des Politischen verstanden worden ist. 2. RÖMISCHE POLITISCHE STRUKTUR UND NEUZEITLICHE KATEGORIEN UND ERWARTUNGEN

Auch bei der Herausarbeitung dessen, was man grob die politische Struktur der späten Republik nennen sollte, hat mich keine Theorie geleitet. Ich suchte nach den an der Politik irgendwie beteiligten Kräften, nach ihren Interessen, nach Art und Grund ihrer Beteiligung respektive Nicht-Beteiligung; nach den Wegen politischen Wirkens, den Formen der Politik, der Gruppierungen; nach den Streitpunkten und Übereinstimmungen; nach den aus Verfassung und herkömmlichen Denkformen sowie aus der Verschränkung der Kräfte untereinander sich ergebenden Grenzen ihres Planens und Handelns und eben damit nach den Möglichkeiten zur Erhaltung und Reproduktion des Bestehenden. Schließ-

9 Dazu s. die Rezension von Ch.W. Starr in: American Journal of Philology 89, 1968, 482. Eine ungebührliche Vernachlässigung der Oberschichten der italischen Städte (ebd. 483) scheint mir insofern nicht gegeben zu sein, als Spezifisches über sie kaum auszumachen ist. Zu ihrem Verhalten zu Beginn des Bürgerkriegs s. H. Bruhns, Caesar und die römische Oberschicht. Göttingen 1978. 10Eine gewisse Ausnahme von dieser Regel bildete L. R. Taylors Party Politics in the Age of Caesar. Berkeley/Los Angeles 1949. Aber dort ging es auch nicht um eine Betrachtung der Struktur des Politischen, sondern um eine –übrigens hoch interessante –Studie politischer Techniken (Aufstieg, Wahlkampagne, Allianzen, Propaganda, Manipulation der Religion etc.). Die Fragen nach der besonderen Art der Parteiungen, der politischen Rolle von Ständen und Schichten, der Interessenlagerung, des besonderen Verfassungszustands und der Motorik der Krise sind dort kaum gründlich angepackt worden.

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lich habe ich versucht, die eigenartigen, für uns in vieler Hinsicht paradoxen Erscheinungen und Zusammenhänge im ganzen zu charakterisieren und als „Extensivierung“zu begreifen. Mechanische Erklärungen der Zustände wie diejenigen mit der „Konservativität“der Römer, den Institutionen der Verfassung, der Macht der Nobilität kraft Clientel schienen –und scheinen –mir nicht ausreichend zu sein, um das eigenartige Festhalten am Alten und die daraus resultierende bemerkenswerte Wehrlosigkeit der Republik gegenüber ihren Problemen zu erklären. Ob die Institutionen, darunter so absurd anmutende wie das Wahlrecht und die religiöse Obstruktion, galten, dieClientelen funktionierten, dieNobilität mächtig warundman amAlten festhalten konnte, hing ja nicht vombloßen Vorhandensein dieser Faktoren ab, sondern auch davon, daß sie in irgendeiner Weise noch funktionierten undnicht in Frage gestellt wurden11. Eben dies warfestzustellen und zu begründen. So wurde ich auf die Kräfteverhältnisse, in deren Rahmen solche Faktoren wirkten, verwiesen, auf die Interessen und die sie lenkenden Meinungen, auf das ganze komplizierte politische Interdependenz-Gefüge der damaligen Gesellschaft. Es bestimmte mich dabei zunächst die Annahme, daß Bewahrung und Veränderung aus dem Handeln der an der Politik Beteiligten zu erklären seien. Dabei trug ich wohl mehr oder weniger naiv neuzeitliche Erwartungen an das alte Rom heran: Etwa diejenige, daß große Veränderungen eigentlich aus dem Aufkommen einer Alternative zumBestehenden resultieren müßten, wiein den neuzeitlichen Revolutionen, und daß beim Versagen einer Aristokratie eigentlich eine breite Schicht, primär die der Ritter, diese Alternative bilden müßte, und sei es indem der Gedanke an eine Monarchie in ihr Wurzeln schlug. Damit verknüpfte sich die weitere Erwartung, daß Bürger und besonders Politiker, wenn Form und Geschick eines Gemeinwesens auf demSpiele stehen, eigentlich nach politischen, auf das ganze Gemeinwesen bezogenen und nicht nach „privaten“Gesichtspunkten handeln müßten; daß das bedrohte Ganze, insofern: das Pensum in irgendeiner Form zum Gegenstand von Politik und politischen Gegensätzen hätte werden müssen. Diese letzteren Erwartungen waren von heute gesehen wohl zumguten Teil altmodisch. Fortgesetzte und sich kumulierende Erfahrungen mit modernen westlichen Wohlfahrtsgesellschaften machen einem das Handeln der römischen Politiker und Bürger sehr viel vertrauter undweniger verwunderlich. Überdies war ich in manchem wohl weniger an der Realität des Zeitalters der Staatlichkeit als an den Lehrbüchern darüber12 orientiert gewesen. Immerhin bleibt die Neuzeit mit ihrer Staatlichkeit und ihren großen Alternativen ein hochinteressantes Gegenbeispiel. Und es scheint mir nach wie vor, daß die an ihr orientierten Erwartungen Wesentliches amrömischen Befund erschlossen haben und 11Vgl. zur religiösen Obstruktion etwa Museum Helveticum 32, 1975, 202. 12Zumal an C.Schmitts Verfassungslehre, vgl. etwa u. S. 9 zum citoyen.

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erschließen können13. Manhätte ihnen nur, nachdem sie dies geleistet, kritischer gegenübertreten und sie entschiedener auf die Besonderheit Roms hin durchdringen müssen. Es wäre erstens terminologisch größere Sorgfalt indiziert gewesen. Denn so treffend sich aus dieser Sicht die erstaunliche Ferne des römischen Alltags vom Krisenprozeß, der sich daraus nährte, erschließen ließ, so wenig angebracht war es etwa, die in diesem Teil der Politik wirksamen Motive als „privat“–undsei es in Anführungsstrichen –zu bezeichnen. Im Rahmen der Adelsgesellschaft war zweifellos jedes Knüpfen familiärer Bindungen und jedes Handeln nach deren Maßgabe durchaus politisch, auch wenn es die res publica im ganzen nicht im Auge hatte14. Zweitens hätte eine Reihe von Unschärfen vermieden werden müssen, die aus der zu raschen Übertragung moderner Kategorien auf das spätrepublikanische Rom folgten. Die neuzeitliche Unterscheidung von Staat und Gesellschaft15 zum Beispiel ist für diese Epoche im ganzen unangebracht. Es ist schon die Frage, ob mit der Anwendung des Staatsbegriffs auf vormoderne Zeiten nicht zahlreiche falsche Assoziationen sich einschleichen. Jedenfalls ist Gesellschaft in diesem eingeschränkten Sinn nur gegen den neuzeitlichen Staat abzusetzen. Wohl kann das Arbeiten mit diesen Kategorien auch in Rom etwas zutage fördern. Allein, es ist zugleich hinderlich bei dem Versuch, die Besonderheit der römischen Phänomene recht in den Blick zu bekommen. Wenn etwa S. 156 von der „altrömischen Form der Einheit von Staat und Gesellschaft“gesprochen wird, so besagt diese Formulierung eigentlich nur, daß damals ungeschieden und folglich noch nicht vorhanden war, was in der Neuzeit sich ausbildete, indem es sich voneinander schied (und was heute wieder zu verschmelzen beginnt). Obwohl sie ein Positivum auszudrücken scheint, bezeichnet diese Formulierung den römischen Tatbestand, den sie meint, negativ, als Gegenteil des entsprechenden modernen. Denn da zwei Größen, die es nicht gab, schwerlich eine Einheit bilden konnten, ist als deren Einheit nur das Fehlen einer Scheidung festzustellen. Wie sehr es in die Irre führen kann, wenn man bei diesen modernen Begriffen stehenbleibt, wird besonders sinnfällig, wenn gleich darauf behauptet wird, daß die römische Gesellschaft –als die vermeintliche Einheit den Staat zu ihrem Diener machte“ sich auflöste –„ . Wie wenn es eine Scheidung von Staat und Gesellschaft dann in der späten Republik gegeben hätte! als Summe von Zwar wird ungefähr deutlich, wasgemeint ist: Die Gesellschaft „ Individuen“wurde „ der eigentliche Beziehungspunkt des politischen Han13Auch J. Bleicken, der an sich für die Frage nach der Alternative nicht viel übrig hat, bemerkt: „ Ich bestreite allerdings nicht, daß die Art, wie M. nach der Alternative fragt und sie (vergeblich) sucht, den Blick für die Möglichkeiten und für den Charakter der römischen Republik ungemein schärft“(wie Anm. 5. 457). Vgl. R. Stuveras in: Revue Belge de Philologie et d’Histoire 46, 1968, 975. 14u. S. 13f. 47. 187. Auch Gruen (wie Anm. 8) 49. 15Vgl. dazu Bleicken 456.

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; „die Innenpolitik hatte sich im ganzen zu einer Abfolge von Balancedelns“ akten zwischen Partikularinteressen verwandelt“ . Aber begriffen ist das nicht. Um die Fragen, um die es hier geht, angemessen zu erfassen, sind vielmehr andere, aus der Sache zu entwickelnde Kategorien indiziert. Da damit eine zentrale Thematik der Struktur der römischen Republik angeschlagen ist, sei das etwas weiter ausgeführt. Zunächst ist zu betonen, daß im Text unter der Suggestion der falschen modernen Begrifflichkeit zwei recht verschiedene Tatbestände vermengt wordensind. Erstens ist es ein besonders charakteristischer Zugderrömischen Verfassung, der etwa als mangelnde Ausgliederung einer politischen Ordnung aus dem Ganzen der Gesellschaft (statt als Einheit von Staat und Gesellschaft oder als „Verstaatlichung“der Gesellschaft) zu begreifen ist. Es handelt sich umein entscheidendes Merkmal der gewachsenen Verfassung, das sich nur positiv nicht so griffig formulieren läßt. Der zweite Tatbestand ist die besondere Orientierung der römischen Bürgerschaft auf das Allgemein-Interesse der respublica, eine besondere Form der Aufgaben- und Pflichtenbezogenheit. Beides hängt nicht notwendig, aber in diesem Falle genetisch engmiteinander zusammen und wirkt auch in spezifischer Weise aufeinander im Sinne der Erhaltung und des Funktionierens der Verfassung. Die Veränderung zur späten Republik hin besteht dann (statt in einer ) in einer bemerkenswerten Schwächung der „Aushöhlung der Staatlichkeit“ Allgemein-Orientierung zugunsten von Partikular-Orientierungen, im Aufkommen tiefer Gegensätze und, was die Verfassung angeht, in einer besonderen Wehrlosigkeit der mangelhaft ausgegliederten politischen Ordnung. Allein, am Tatbestand dieser mangelnden Ausgliederung ändert sich auch dann nichts. Anders gesagt: Es tritt kein Bruch der Homogenität ein, sondern eine Extensivierung. Rom bleibt, trotz aller Krisen, im Rahmen seiner gewachsenen Verfassung. Was mit den Kategorien Ausgliederung der politischen Ordnung, gewachsene Verfassung und Homogenität gemeint ist, klärt sich am schnellsten durch einen Vergleich mit der Entstehung der athenischen Demokratie. Dort ist eine politische Ordnung aus dem Ganzen der Gesellschaft ausgegliedert worden: Trotz weiterbestehender gesellschaftlicher Ungleichheit wurde in politicis ein ganz neues Verhältnis zwischen denBürgern begründet undpraktisch wirksam, das auf Gleichgewicht beruhte. Ein solches Zerreißen der Entsprechung von politischer undgesellschaftlicher Verfassung ist nur möglich über Institutionen, die die gesellschaftlich Schwachen in der Summe zu politisch Starken werden lassen. Breite Bürgerschichten mußten also über das Zentrum der politischen Ordnung verfügen, dieses Zentrum mußte allererst überhaupt gedanklich und praktisch für Nicht-Regierende verfügbar werden. Die Herrschaft über das Gemeinwesen mußte auf die Gesamtheit der Bürger übergehen, die ganze institutionelle Ordnung daraufhin neu eingerichtet werden. Ja, die Bürgerschaft

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mußte sich neu schaffen, indem ihre Angehörigen sich künftig wesentlich als Bürger verstehen und in Anspruch nehmen mußten, wenn sie denn politisch bestimmend sein wollten. Dadurch kamen sie in ein ganz neues, intensives Verhältnis zu- und bildeten sie eine qualitativ neue Einheit miteinander. Einerseits entstand also, freilich in einer Reihe vonAkten, eine gestiftete Verfassung, andererseits eine neue gesellschaftliche Zugehörigkeitsstruktur, eine politische Identität, in der die Bürger-Eigenschaft die einzige allgemein wichtige oberhalb des Hauses war. Insgesamt war es eine ganz neue, künstliche, aus demkomplexen Ganzen gesellschaftlicher Beziehungen ausgegliederte Ebene, auf der man sich in politicis künftig bewegte. Sie war zwar nicht bewußt entworfen, aber doch einer Reihe von Setzungsakten entsprungen, die sich zunehmend auf das Ganze der politischen Ordnung erstreckten16. Seit der Entstehung der Demokratie war das politische Wissen der Griechen endgültig heterogen geworden (nachdem dessen Homogenität schon vorher stark erschüttert worden war). Denn jetzt waren gründlich, nämlich im Zentrum der Herrschaft verschiedene Ordnungen möglich. Die breiten Bürgerschichten hatten sich endgültig von der herkömmlichen einen rechten Ordnung, die aristokratisch geprägt war, gelöst. Übrigens ist auch diese politische Form in der Forschung mit den Kategorien Staat und Gesellschaft begriffen worden: als Identität der beiden Größen17. Da erscheinen dann Athen und Rom im Banne einer allein gegen die Neuzeit gesetzten Betrachtungsweise als gleich. In der römischen Republik ist dagegen, die überkommene Ordnung politisch zwar verschiedentlich im einzelnen verändert worden. Aber das Zentrum der Verfassung, die Frage, wer herrscht, ist dort nie zur Disposition gekommen. Nie hat man ein zusammenhängendes System sekundärer Institutionen aufgebaut. Nie hat die Bürgerschaft sich dort gründlich neu konstituiert. Das Äußerste in dieser Richtung stellte die Begründung der Schwurgemeinschaft der plebs dar. Dort wurde zwar in politicis aus sozialer Not und Ohnmacht Macht geschaffen, aber diese Macht begnügte sich mit Modifikationen der überkommenen Ordnung. Will man das gleiche positiv fassen, so wäre zunächst festzustellen, daß in Rom das Überkommene im ganzen immer als vorgegeben angesehen wurde. Bestenfalls Teile konnten in Frage gestellt werden, nie der Kern der Ordnung. Das bedeutete, daß das meiste an den Regeln dieser Verfassung, auch an den üblichen Praktiken und Rechten der einzelnen Organe Präzedentien, wiederholter Übung, Konventionen verdankt wurde. Einen Zusammenhang hatte diese Verfassung nicht als System von Organen und Regeln, sondern als politische Ordnung einer religiös, kulturell, gesellschaftlich und wirtschaftlich ganz bestimmt verfaßten Gesellschaft. Will sagen: Wir haben es mit einem höchst 16Vgl. Ch.Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen. Frankfurt 1980. 17So z. B. V. Ehrenberg, Der Staat der Griechen. Zürich/Stuttgart 1965. Dazu, freilich unzulänglich, Gnomon 41, 1969, 365ff. m. Literaturhinweisen.

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komplexen Gebilde zu tun, in dem untrennbar zusammenhängt, was wir heute nach politisch, religiös, gesellschaftlich, wirtschaftlich scheiden (und was dank Ausgliederung der politischen und anderer Bereiche bei uns auch wirklich zu scheiden ist, wenn auch in abnehmendem Maße). Tatsächliche Machtverhält-

nisse, Clientel-Bindungen, gesellschaftliches Wissen vielfältiger Art gehörten in Rom nicht zur Ambiance der Verfassung (als Bedingungen ihrer Möglichkeit) oder zur Verfassungswirklichkeit, sondern sie lagen zugleich im Zentrum der Ordnung und waren unmittelbare, gar nicht wegzudenkende oder heraustrennbare Teile davon. Die verschiedensten Institutionen und Regeln setzten sie unmittelbar voraus18. Was eine Institution war und vermochte, folgte weithin direkt undin potentiell höchst verschiedener Weise aus ihrer Deckung in (in der Regel durchhaltenden) Machtkonstellationen, ihrer Verquickung mit dem gesellschaftlichen Wissen, ihrem Sitz innerhalb des Austrags von Konflikten etc. Vieles wasin unserm Sinne „nur“politisch oder gesellschaftlich ist, gehörte dort zur rechtlichen Ordnung. Die Organe und Regeln der „Verfassung“waren also gegen die vorgegebene tatsächliche Gesellschaftsstruktur nie verselbständigt worden, weil sich nie eine breitere Schicht gegen dentraditionell herrschenden Adel verselbständigt hatte19. Daher war das Funktionieren der Verfassung in besonders hohem Maße darauf angewiesen, daß die Bürgerschaft im ganzen „ in Form blieb“ . Ungewöhnlich viel hing von deren „Moral“ , Disziplin, Solidarität, oder wie man es auch nennen will, ab. Entscheidendes mußte von Situation zu Situation in „Gegenwärtigkeit“geleistet werden, auch wenn es zahlreiche Mechanismen und Instanzen gab, die speziell für den geregelten, verfassungsmäßigen Ablauf der Politik sorgen konnten20. Diese Art der Verfassung ist unten als „gewachsene Verfassung“begriffen, aber nicht genauer behandelt worden. Abstrakter ließe sich von „nomistischer Verfassung“21 sprechen. Sucht man das zu ihr gehörige spezifische politische Denken zu formulieren, so bietet sich wohl am ehesten die Formel der „Homo18Vgl. u. S. 50. 119f. 124f. zu Wahlsystem und Clientel. Das Ganze soll weiter ausgeführt und begründet werden in W. Kunkels Römische Staatsordnung und Staatspraxis im Rahmen des Handbuchs der Klassischen Altertumswissenschaft. Vgl. einstweilen: Der Ernstfall im alten Rom. In: Der Ernstfall, hrsg. A.Peisl/A. Mohler. Berlin 1979, sowie in: Savigny-Zeitschrift für Rechtsgeschichte 95, 1978, 385 ff. zu Bleicken, Lex Publica 1975. 19Sie hatten andererseits nicht die weite Kapazität, wie die ebenfalls gewachsene englische Verfassung sie dank des Parlaments besitzt. Der Vergleich Roms und Englands in Hinsicht auf die Kapazität einer nicht insgesamt aus dem Ganzen ausgegliederten politischen Ordnung scheint heute besonders interessant zu werden. 20Vgl. Museum Helv. (wie Anm. 11), Hist. Ztschr. (wie Anm. 8), Ernstfall (wie Anm. 18) 53f. Wenn Brunt (wie Anm. 4) 230 fragt, was die besonders ambitionierten Senatoren des 1. von denen des 4. Jh.s unterschied, so darf man eben nicht nur auf die weit angewachsenen Möglichkeiten verweisen, sondern muß zugleich das Nachlassen der gesellschaftlichen Kontrollen und Hemmungen sehen. Dem korrespondierte die Verengung der Normen, die dann vielfach durchbrochen wurden. 21Vgl. einstweilen Entstehung (wie Anm. 16).

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genität des politischen Wissens“an. Es ist die kaum formulierte, sondern eher selbstverständlich vorgegebene, von Hoch und Niedrig geteilte Übereinstimmung über das, was rechte Ordnung ist. Sie gründet in einem relativ engen Ineinanderrasten von Erwartungen, Erfüllungen und Erwartungserwartungen22 und den daraus resultierenden Festlegungen und Begrenzungen des Handelns. Sie läßt wenig Distanz zur Wirklichkeit. Sie ist zwar vereinbar mit Konflikten, auch mit heftigen, ja blutigen Auseinandersetzungen. Aber die können immer nur Teile des Ganzen berühren (dort, woes dieje Beteiligten betrifft), nie das Ganze selbst, das vorgegeben bleibt. Auch der Schwurverband der plebs blieb partikular, seine Solidarität wurde nicht so umfassend undgrundsätzlich, daß sie sich nur in einer ganz neuen Verfassung hätte verwirklichen können. Dieser Homogenitätsbegriff läßt es zu, zugleich Veränderungen des Wissens genauer zu erfassen, etwa dort, wo wie in Griechenland dieses Wissen zunehmend erschüttert wurde, wo man in Hinsicht auf das Ganze eine Diskrepanz zwischen rechter Ordnung und status quo feststellte, wo dann zunehmend Distanz zur Wirklichkeit möglich wurde, also Ansätze zur Heterogenität des politischen Wissens erwuchsen –bis die Homogenität zerbrach und man im Politischen eine ganz neue Ordnung gegen die alte setzte23. In Rom dagegen fand die Erschütterung statt, ohne daß über lange Zeit Ansätze zu einer Heterogenität, zu einer Alternative sich bildeten. Darin bestand die besondere Wehrlosigkeit der späten Republik. Freilich fragt es sich, ob dadurch das Problem der fehlenden Alternative wirklich so viel größer wurde. Jedenfalls schälte es sich wesentlich reiner heraus (was das damalige Rom so modellhaft macht). Dies also war der eine Aspekt dessen, was ich fälschlich als Einheit von Staat undGesellschaft in der klassischen Republik bezeichnet habe. Der andere war die relativ starke Orientierung der Bürgerschaft auf Aufgaben und Pflichten im Interesse des Gemeinwesens. Die vielfältigen äußeren Gefahren nötigten dazu, und die Weise, wie man sich dieser Probleme annahm, bot so viele Beispiele undVorbilder undgab denen, die sich engagierten, so viel Überzeugungskraft, daß sich im Ineinanderrasten von Erwartungen, Erfüllungen und Erwartungserwartungen diese Einstellung stabilisiert haben muß. Damit objektivierten sich die entsprechenden politischen Maßstäbe, wurden die Instanzen mächtig, die sie zu verkörpern und einzuschärfen vermochten. Die Motivierung dieser Allgemein-Orientierung war gewiß nicht ideal, sondern durchaus irdisch. Gleichwohl wurde etwas nach irdischen Maßstäben recht Ungewöhnliches erreicht. Zeugnis dafür ist die ganze Geschichte derAußenpolitik Roms wieseiner Verfassung (im weiten Sinne des Wortes). Man darf diese relativ starke Allgemein-Orientierung nur nicht mißverstehen. Denn mit ihr ist nicht vermacht, daß die Römer dieser Zeit nicht ihre persönlichen und Geschlechter-Interessen kräftig und phantasievoll betrieben 22N. Luhmann, Rechtssoziologie. Reinbek 1972. 33 ff. 51f. 64 ff. 23Vgl. einstweilen Entstehung (wie Anm. 16).

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hätten. Das haben sie ganz sicher getan. Vielmehr mußdie Sache der respublica im ganzen und (was die andere Seite davon ist) der Instanzen, in denen sie sich konzentrierte und die sie folglich zu bestimmen hatten, so stark gewesen sein, daß eine bemerkenswerte Konvergenz allgemeiner und partikularer Interessen gegeben war. Einsatz für das Allgemeine wurde offenkundig mit so viel Ansehen, Einfluß und Macht honoriert, daß die Einzelnen ihre ganz persönlichen oder Geschlechter-Ansprüche in politischer und militärischer Leistung verwirklichten. Parallel dazu muß ein Druck gewirkt haben, der sie davon abhielt, ihre Forderungen zu weit zu treiben, so weit nämlich, daß dadurch die Solidarität des Standes und die Führungsposition des Senats bedroht worden wäre. Hier wirkten sehr verschiedene Umstände zusammen, die Macht gewisser Regeln, die Autorität (und das Einigungsvermögen) derprincipes, die auf deren Einhaltung drangen, verschiedene überkommene Prozeduren, die eine Kombination von Spielräumen und Geschlossenheit ermöglichten24, aber auch das Gewicht der Aufgaben (und die Stärke Roms, die es ermöglichte, sie auf Grund gewisser überkommener Richtschnuren zu erledigen), nicht zuletzt das Standes-Interesse und negativ natürlich das Fehlen größeren Konfliktstoffes. Gleichwohl haben auch in der klassischen Republik sicher zahlreiche Partikular-Interessen gegen die Allgemein-Orientierung verstoßen oder haben sie wenigstens kaum Rücksicht darauf genommen. Das ist nur selbstverständlich. Worauf es hier ankommt, ist nur, das relativ (!) weitgehende Ausmaß zu betonen, in demdiegemeinsame Sache der respublica damals verfochten unddurchgesetzt wurde. Es wäre unsinnig, diese Feststellung als „Idealisierung“zu bezeichnen25. Das kann nur sinnvoll sein gegenüber moralistischen Mißverständnissen der hier wirksamen Faktoren respektive einer entsprechenden Ausdrucksweise. Wenn man etwa annehmen wollte, die Römer seien besonders selbstlos gewesen oder sie hätten sich aus besonders edlen Motiven in freien Stücken für das Gemeinwohl eingesetzt und verbraucht. Ich muß zugeben, daß ich bei meinem Versuch, die Besonderheit der klassischen Republik zu beschreiben, mehrfach bei verwundert/bewundernden Beobachtungen stehengeblieben bin, die als Annahme besonderer Tugenden mindestens mißverstanden werden konnten (vgl. dagegen S. 56). Mindestens bewegten sie sich zum Teil noch im Kontext einer einfachen Absetzung gegen andere Gesellschaften. Trotz aller Vorsicht konnte dabei als bewußte ethische Haltung oder Leistung eines ganzen Volkes respektive seines Adels erscheinen, was in Wirklichkeit zum guten Teil Sache bestimmter Institutionen war. Es ist etwa fraglich, ob man die Weise, in der sich das römische Volk der Führung seines Adels fügte, als „Willigkeit“oder „Sich-Anvertrauen“richtig 24Museum Helv. (wie Anm. 11) 204ff. 25So Brunt (wie Anm. 4) 230.

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beschreibt (u. S. 45. 52. 58)26. Wohl gab es da, aufs Ganze gesehen, eine Selbstverständlichkeit, es herrschte gewiß auch vergleichsweise viel Vertrauen zum Willigkeit“erfordert mindestens die Möglichkeit der Unwilligkeit, Adel. Aber „ und die finden wir nur ausnahmsweise, auf einzelne Situationen bezogen; grundsätzlich war sie wohl nicht gegeben. Ähnlich setzt das „Sich-Anvertrauen“eine Entscheidung voraus, die in Rom vom Volk gegenüber dem Adel voluntaristischen“Etiketten sollten nur gewiß nie getroffen worden ist. Solche „ mehr als unzulängliche Versuche verstanden werden, etwas-zu charakterisieren, was mit Kategorien etwa der Institutionenlehre Arnold Gehlens oder der Wissenssoziologie mindestens ein gutes Stück weit erklärt werden kann. Dann würden die völlig anderen Umstände, unter denen in Rom gehandelt wurde, deutlich. Darin mußte ein ganz anderes Verhältnis zwischen Pflichterfüllung und Interesse, zwischen Disziplin und Einsicht bestehen und sich reproduzie-

ren. Mit diesen Bemerkungen soll –um das ausdrücklich festzustellen –nicht einfach ein Pendel zur anderen Seite gestoßen und der modischen Tendenz nachgegeben werden, Motive wie Pflichterfüllung, Opfer, Hingabe an das Gemeinwesen zu leugnen respektive eine egoistische, psychologische oder auch ideologische Triebkraft dahinter zu entlarven. Mankann auch die Nüchternheit bis zur Verfälschung übertreiben. Hier sollte dagegen nur die Betrachtung der römischen Besonderheit aus der unmittelbaren Feststellung besonderer, im Vergleich zu heutiger oder anderer Zeit auffälliger Züge herausgenommen und in den Kontext einer gesellschaftlichen Situation hineingestellt werden, in dem aus institutionellen Vorgegebenheiten heraus andere Motive stärker waren als heute (und folglich etwa, was heute selbstlos wäre, damals einen guten Schuß Egoismus enthalten haben mochte). Pflichterfüllung, Opfer, Hingabe an das Gemeinwesen hatte dann mehr Sinn, und ist für uns verständlicher, ohne daß man deswegen leugnen müßte, daß es sich um Pflichterfüllung, Opfer, Hingabe an das Gemeinwesen gehandelt habe. Es wäre interessant, ein Modell jenes Prozesses zu entwerfen, in dem Einsicht und Überzeugungskraft Einzelner zusammen mit zahlreichen Ergebnissen von momentaner Reaktion auf Situationen sowie von Auseinandersetzungen immer neu in ein je vorgegebenes Regelsystem eingingen, dieses bewahrten, modifizierten undfortbildeten. Darin müßte erklärbar und begreiflich werden, wie sich aus gewissen Ausgangspositionen auf Grund einer besonders engen Wirklichkeitsverhaftung, der Konstanz bestimmter Machtzentren sowie äußerer Erfolge der Stadt eine im ganzen einheitliche und begrenzte Verfassungs„entwicklung“ergab.

Auf diese Weise würde der so ungewöhnliche und erstaunliche Rahmen, in dem in Rom gehandelt wurde, weniger rätselhaft. Andererseits würde die Tat26Zum Verhältnis Vertrauen/Mißtrauen in der römischen Verfassung Ernstfall (wie Anm. 18) 53.

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sache verständlich, daß diese Handlungen über die Generationen hin zumeist durchschnittlichen principes und Senatoren verdankt wurden. Man braucht dann etwa angesichts dessen, was als senatorische „Weisheit“erscheinen mag, nicht mit ungewöhnlicher intellektueller Kapazität dieser Körperschaft zu rechnen, sondern wesentlich mit Institutionen undPositionen, die es vergleichsweise leicht machten, weise zu handeln (und oft auch mit einer Überlegenheit, die selbst dann zu Erfolgen führte, wenn man es nicht sehr weise angefangen hatte). Entsprechendes gilt für das Einigungsvermögen und die „Disziplin“des Adels. im Blut Alles Mögliche, wovon man sagen könnte, es habe den Römern „ dem sein, die Eingewesen gelegen“ Vorgegebenheit institutionelle , kann nur auch wurde, folglich und die mitgegeben „einversinnt“ zelnen in der Erziehung eine lange Folge von Generationen dieses Volkes kennzeichnete, die aber kaum mit demrömischen Volk, sondern erst mit seiner Geschichte entstand. Auch für die Verfassungsgeschichte (im weiten Sinne des Wortes) sind „die Römer“nicht das Agens, sondern das Referenzsubjekt27, agentes zwar je im einzelnen, aber erst die spezifische Richtung der Kumulation von Impulsen, zu der jeweils Vorgegebenheiten das Entscheidende beitrugen, machte das Ganze. Das Modell freilich, in dem das erklärbar würde, kann hier nicht entwickelt werden. Es gehörte übrigens nur am Rande zum Thema. Wichtig ist hier lediglich, daß mit seiner Hilfe zu zeigen ist, daß man keineswegs die Erstaunlichkeit und Ungewöhnlichkeit der römischen Verhältnisse herabzumindern braucht, um diese in unserer dei Vergangenheit gegenüber eher nüchternen Zeit verständlich zu machen. Zudem wird mit Hilfe eines solchen Modells deutlicher, warum die Feststellung des ganzen Ausmaßes von Erstaunlichkeit und Ungewöhnlichkeit etwa der Allgemein-Orientierung keine „Idealisierung“impliziert. Die Frage, wie die Allgemein-Orientierung unter den Bedingungen der gewachsenen Verfassung spezifisch ausgeprägt war, muß hier beiseite bleiben. Wenn nun auf die angedeuteten Weisen die klassische Republik genauer beschrieben undbegriffen wird, sind zugleich die Spezifika der späten Republik dagegen besser abzusetzen, etwa als Erstarrung und Schwächung der gewachsenen Verfassung und als Nachlassen, wenn nicht Aufhören der Konvergenz allgemeiner und partikularer Orientierung. In summa scheint sich zu zeigen, daß durch moderne Erwartungen und Kategorien, wie sie sich im Text von 1966 niedergeschlagen haben, zwar wichtige Erkenntnisse zuerzielen sind; daß aber die Eigenart der römischen Phänomene nur herauskommt, wenn entschiedener, als es hier geschehen, die Ebene der einfachen Entgegensetzung des antiken gegen moderne Befunde durchbrochen wird. Es werden dann zwar ebenfalls moderne Kategorien zu gebrau27Dieser Begriff ist von W. D. Stempel geprägt worden. R. Koselleck/W. D. Stempel, Geschichte –Ereignis und Erzählung. München 1973. 329. Vgl. H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse. Basel 1977. 75ff.

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chen (und zuentwickeln) sein, aber sie müssen geeignet sein, das Positiv-Besondere an den römischen Phänomenen in deren Zusammenhang zu erfassen28. Wenn diese heute einem Verständnis über den engsten Kreis der Eingeweihten hinaus zugänglich, das heißt vergleichbar werden sollen, so müssen die Kategorien relativ allgemein sein. Sie müssen vielfach zugleich einen Platz innerhalb bestimmter Theorien, also expliziter und konsistenter Systeme haben, die –ohne aus den Quellen abgeleitet zu sein –der Identifizierung, Erschließung und Erklärung von historischen Phänomenen dienen29. Dies soll gleich zu drei Problemen gezeigt werden, die im Zusammenhang des Buches zentral sind. Dabei geht es dann auch um einen dritten Punkt, in dem ich 1966 zunächst beim Negativen stehengeblieben war, das sich von modernen Erwartungen her ergab: die Krise ohne Alternative. Das Fehlen der Alternative ist allerdings, von heute gesehen, ein ganz entscheidendes Merkmal der römischen Krise. Seine Feststellung ist notwendig zur Orientierung der Moderne über Rom wie über ihre eigenen Erwartungen. In diesen wie in anderen Punkten sind zahlreiche Beobachtungen erst recht wahrzunehmen, einzuschätzen und zu verstehen, wenn das Fehlen von Voraussetzungen, die wir mit Selbstverständlichkeit mitzudenken pflegen, ausdrücklich registriert wird. Fehlanzeigen sind dann unerläßlich zur Kontrolle des eigenen methodischen Zugangs. So kann schon die Besinnung auf die Alternativlosigkeit der damaligen Krise Wesentliches an der Politik, am Denken, an der Ausprägung von Persönlichkeiten erschließen30. Allein, worum es sich hier handelt, wird recht erst deutlich, wenn der Begriff der Alternative genauer bestimmt wird als eine besondere Konstellation von Interessen, Handlungen und Meinungen innerhalb einer Krise. Ferner wäre die Frage eingehender zu verfolgen gewesen, wie weit in Rom damals überhaupt mit einer Alternative hätte gerechnet werden können, anders gesagt: ob hier nicht eine interessante Struktureigentümlichkeit der römischen Gesellschaft als Kapazitätsgrenze auszumachen gewesen wäre. Schließlich hätte versucht werden müssen, durch die negative Feststellung hindurch den positiven Tatbestand, der hier statt dessen vorlag, zu bestimmen. Wenn nun die Ebene der Negation moderner Erwartungen an verschiedenen Stellen nicht entschiedener durchstoßen wurde, so hängt dies damit zusammen, daß die Reflexion auf die besondere Gesamtheit der politischen Struktur Roms nicht energisch genug war. So sehr ich versucht habe, diese zu erfassen, so viele Zusammenhänge dabei ans Licht kommen sollten, so wirkte es sich doch aus, 28Das gilt, um nur noch ein Beispiel anzuführen, auch für die römische „kollektive Moral“ , die hier ebenfalls einseitig von heute (oder gestern) gesehen ist und die erst im Kontext vorchristlicher Möglichkeiten ihr spezifisches Profil gewinnt. 29Vgl. dazu J. Kocka in: J. Kocka/Th. Nipperdey, Theorie und Erzählung in der Geschichte. München 1979. 9f. 30Vgl. Ch.Meier, Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar. Frankfurt 1980.

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daß mir die Aufgabe, den Rahmen des Ganzen theoretisch abzustecken, nicht bewußt war31. Auch hier fragt sich allerdings, ob es so leicht möglich gewesen wäre, die Arbeit in ein und demselben Buch so weit über das Vorgegebene hinauszutreiben. Jedenfalls hätte mir wohl keine moderne Theorie geholfen. Die Behandlung der Frage, was eigentlich sinnvoll und unter Berücksichtigung der modernen wissenschaftlichen Debatte als politische Struktur zu verstehen sei, kann hier nicht nachgeholt werden. Das würde viel zu weit führen. Der Beitrag zumThema, der hier geboten wird, hat seine Einheit in der Frage nach dem Funktionieren der aristokratisch geprägten politischen Ordnung unter den Bedingungen der Extensivierung. Der Akzent liegt dabei auf den politischen Interessen, den Möglichkeiten, sie durchzusetzen, und der daraus resultierenden Lagerung der Macht. Innerhalb dieses Ausschnitts ist ein wichtiges Versäumnis anzumerken: Es hätte nämlich auch die Strukturgeschichte von Senat und Senatsadel während der späten Republik als besonderer Strang der Extensivierung eine eigene Behandlung verdient. Daß darüber hinaus viele Einzelfragen des Funktionierens der Verfassung, die Rolle der Gerichte, die Probleme der Gewalt32, der (offenbar sich wandelnden) politischen Erziehung, der gesellschaftlichen Identität wiederSklaven und der Provinzialverwaltung weitgehend ausgelassen worden sind, scheint mir weniger schlimm zusein: Sie hätten das Gesamtbild zwar uminteressante Züge ergänzen, aber kaum als wesentlich anders erscheinen lassen können. Zur Frage nach der politischen Struktur gehörte aber auch diejenige nach den Grenzen des politischen Systems. Dessen Funktionieren ist in Hinsicht nicht nur auf die an ihmbeteiligten politischen Kräfte, sondern zugleich auf die ihm im Gesamtsystem gestellten Aufgaben zubetrachten. Damit ist speziell die Frage nach Krise und Kapazität des Politischen in der späten Republik aufgeworfen. Es gibt einen spezifischen Zusammenhang zwischen Machtlagerung, Kapazität und Krise. Er ist nicht unabhängig von den Institutionen der Verfassung, aber nur bedingt durch sie bestimmt. In ihm sind die strukturellen Möglichkeiten einer Gesellschaft zu erfassen, mit ihren Problemen fertigzuwerden. In ihm erschließt sich der besondere Charakter der Veränderung, das besondere Verhältnis zwischen dem Politischen und dem Prozessualen und alles, was von daher bestimmt ist. Da dies die zentralen Fragen sind, diein diesem Buch nicht unbedingt immer gestellt, doch in irgendeiner Weise gemeint sind, möchte ich abschließend darlegen, wie ich sie heute anpacken und lösen würde.

31Dazu J. Rüsen in Kocka/Nipperdey (wie Anm. 29) 327ff. 32 Dazu Nippel (wie Anm. 2).

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Einführung zur Neuausgabe 1980 3. WEITERFÜHRENDE ANSATZE

a) Parteiungstheorie Das eigentliche Problem der Erkenntnis einer historisch fernen Art politischer Gruppierungen liegt darin, daß es offenbar äußerst schwierig ist, das Problem als solches zu erkennen. Die Wissenschaftsgeschichte zeigt jedenfalls, daß man zunächst lange dazu neigte, einfach das aus der eigenen –oder einer anderen, eher vertrauten –Zeit gewohnte Bild politischer Parteiungen auf die Vergangenheit zu übertragen und die beobachteten Besonderheiten in das scheinbar vorgegebene Schema einzuzeichnen. Als dann mit fortschreitender Forschung für die einzelnen Epochen mehr und mehr Fakten bekannt wurden, die mit diesem Bild nicht recht übereinstimmten, brachte man daran Modifikationen an33. Für die späte römische Republik bedeutete das etwa, daß man statt mit Konservativen und Demokraten, Senats- und Volkspartei gern mit Adelsfaktionen rechnete, die man sich mehr oder weniger geschlossen und dauerhaft vorstellen konnte. Dabei wurde aber ein anderes Faktum moderner Gewöhnung weiter für selbstverständlich gehalten undgar nicht in Frage gezogen: die Gegenstandsunabhängigkeit der Parteiungen. Das heißt, man nahm weiterhin an, daß die Gruppierungen für die gesamte Politik galten, daß also die Politiker sich unabhängig von den Gegenständen regelmäßig in den gleichen Fronten fanden. Die Frage, ob die Gruppierungen evtl. gegenstandsabhängig gewesen sein können, wurde nicht gestellt. Sie wurde allerdings wenigstens einmal abweichend vom üblichen Bild beantwortet. Doch obwohl diese Antwort von einem allgemein so hoch angesehenen Gelehrten wie Matthias Gelzer stammte34, hat man sie offensichtlich zumeist nicht einmal wahrgenommen. Mein eigener Versuch einer eingehenden Rekonstruktion der damaligen Parteiungen hat zwar, wieich glaube, ein imganzen zutreffendes Bild davon gezeichnet. Aber es fehlte auch ihm an theoretischer Durchdringung (oder anders gesagt: an der richtigen Konturierung des Ganzen). Ob man die Art politischer Gruppierungen in einer Gesellschaft erfaßt hat, ist erst klar, wenn man weiß, wasman dazu wissen muß. Beschränkt man sich darauf, das in die Augen Stechende oder das nach irgend naheliegenden Annahmen Dazugehörige zu behandeln, so läuft man Gefahr, das Ganze eines Mosaiks von einigen Steinen statt von dessen Rahmen her zu erschließen oder anders gesagt: die Spitze des Eisbergs für diesen selbst zu halten. Gerade weil wir für entferntere historische Epochen, insbesondere für die Antike oft nicht 33Vgl. etwa H. Strasburger in: RE 18, 775 ff. Taylor (wie Anm. 10) 12. Ch.Meier in RE Suppl. 10, 553f. Es würde sich lohnen, das einmal im einzelnen zu untersuchen. 34Ch.Meier in: J. Bleicken/Ch. M./H. Strasburger, Matthias Gelzer und die römische Geschichte. Kallmünz 1977. 41 ff. Weitere Abweichung bei Taylor (wie Anm. 10. Vgl. Ch. Meier wie Anm. 33. 567f.).

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genug Quellen besitzen, um alle Fragen zu beantworten, die sich in Hinsicht auf die Parteiungsstruktur stellen, ist es notwendig, sich wenigstens des Rahmens bewußt zu sein, in dem das Bekannte etwas besagen kann. Diesen Rahmen kann nur eine Parteiungstheorie bilden. Eine solche Theorie gibt es noch nicht. Denn die Parteientheorie der politischen Wissenschaft setzt die Existenz von Parteien immer schon voraus. Sie bezieht sich nur auf die Neuzeit. Eine Parteiungstheorie, die zugleich etwa den antiken und mittelalterlichen Gemeinwesen gerecht werden will, muß sehr viel weiter und elementarer ansetzen. Ihre Aufgabe wäre es, zunächst zu bestimmen, welche möglichen Faktoren und Relationen das Ganze eines Parteiungssystems ausmachen, sodann die Ebenen zu konstituieren, auf denen diese untereinander in Beziehung gesetzt werden können, schließlich den Bereich der möglichen Verschiedenheiten solcher Systeme abzustecken, innerhalb dieser Möglichkeiten bestimmte Typen herauszuarbeiten und dabei nicht zuletzt die spezifischen, einmaligen Voraussetzungen der neuzeitlichen Parteiungssysteme deutlich zu machen. Dadurch müßte es möglich werden, die gesamte Problematik, die hier liegt, in den Blick zu bringen, insbesondere die Bedingungen verschiedener unserer Vorstellungen zu markieren; kontrollierbar zu machen, wie weit Rekonstruktionen, also theoretische Nachbildungen von Parteiungssystemen das Ganze umfassen (und ggf. die Leerstellen zu kennzeichnen, die mangels Quellen verbleiben); vor allem aber zu Bewußtsein zu bringen, daß von Fall zu Fall nicht einzelne Elemente, sondern das gesamte Beziehungsgefüge besonders und je eigener Rekonstruktion bedürftig ist, das ein Parteiungssystem ausmacht. Wie sehr Parteiungen in aristokratischen Gesellschaften bei regelmäßig recht partikularen Themen der Politik unterschiedlich sein können, lehrt zum Beispiel der unten (S. 187ff.) angestellte Vergleich zwischen der späten römischen Republik und dem England des 18. Jahrhunderts. Unverkennbar hängt dabei die Art politischer Gruppierung in England mit dem Vorhandensein des Parlaments zusammen. Gleichwohl sind, wie die englische Geschichte seit dem 17. Jahrhundert zeigt, die verschiedensten Formen von Parteiungen in diesem Parlament möglich gewesen, je nach dem Verhältnis zur Krone, nach den Inhalten der Politik und nach demWahlrecht (und damit zugleich nach Maßgabe der politischen Organisation). Umein drittes Beispiel zunennen: In aristokratisch regierten Gemeinwesen ohne Parlament kann die Art der Gruppierung ebenfalls sehr verschieden ausfallen. Es kann eine eindeutige Konzentration des politischen Einflusses in einem Kreis adliger Familien diesen die Freiheit geben, sich ganz nach Gesichtspunkten ihrer Geschlechterinteressen sowie von Freundund Feindschaften zu gruppieren, und das kann dann dazu führen, daß sich daraus für einige Zeit gleichbleibende und die ganze Politik durchwaltende Faktionen ergeben35. Auch können auswärtige Hegemonialmächte, wie zeit35Vgl. etwa die athenischen Gruppierungen vor der Tyrannis des Peisistratos, Herodot

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in den mittelalterlichen italienischen Städten, die Gruppierungen auf große dauerhafte Gegensätze festlegen. Andererseits ist es fraglich, wie lange das anhält, ob es gar die Regel ist. Manches spricht dagegen; in der Regel mußten in den aristokratischen Gemeinwesen mindestens breitere Teile des Adels auch zusammenarbeiten (sonst wäre auch die Gefahr der Sprengung der Einheit zu groß gewesen), und die Faktionsbildungen scheinen jedenfalls in der Regel nur kleine Kreise umfaßt zu haben. Außerdem kann eine regierende Aristokratie so weit durch divergierende Interessen ihrer Anhänger bestimmt sein, daß feste gegenstandsunabhängige Gruppenbildungen unmöglich werden. Kurz, man wird eine brauchbare Parteiungstheorie nur im Blick auf die Fülle der Möglichkeiten erarbeiten können, also etwa auf griechische Poleis wieauf die römische Republik, auf mittelalterliche Städte wieauf die sehr verschiedenen neuzeitlichen Parteiungen auf dem europäischen Kontinent, in England und Amerika. Man muß zugleich wohl außereuropäische Kulturen einbeziehen. Erst dann wird ganz einleuchten, wie viele mögliche Beziehungen zwischen ähnlich immer wieder vorkommenden Faktoren es gibt. Um wenigstens einen Anfang zu machen, sollen im folgenden die Umrisse einer Parteiungstheorie gezeichnet werden, in allgemein formulierten Fragen undThesen, so wiesie mir nach demStudium der römischen, griechischen sowie einiger florentinischer und englischer Beispiele als angemessen erscheinen. In diesem Rahmen müßte sich dann das unten im Text gezeichnete Bild der römischen Parteiungen neu und besser erschließen lassen. Ein Parteiungssystem ist danach wesentlich bestimmt durch dreierlei Faktorenkomplexe: den Inhalt der Politik, die Konstellation der Entscheidungszentren, die Lagerung der Macht. Diese sind als gesonderte analytische Ebenen zu untersuchen. Erst so kann man sich der Fülle der möglichen Bedingungen vergewissern, bevor man sich dann der Ermittlung des gesamten Zusammenhangs eines Parteiungssystems zuwendet. Auf der Ebene des Inhalts läßt sich innerhalb eines politischen Systems die Gesamtheit der politischen (und politisierbaren) Themen zusammenfassen. Mindestens sind es partikulare Interessen Einzelner und bestimmter Gruppen, höchstens wird diegesamte Ordnung zumProblem. Dazwischen liegt ein weiter Bereich von Fragen, die sich von den verschiedensten Richtungen her auftun können, außen- undinnenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, konfessioneller, kultureller Natur bis hin zu Sinnbedürfnissen. Es mag primär um die bloße Erledigung anfallender Aufgaben oder um Strukturreformen gehen. Es fragt weilig

1, 59ff. Ferner Aristoteles, Politik 1303b 18ff. (z.T. offensichtlich ganz ähnliche Fälle wie der der Entstehung der Parteiung zwischen Guelfen und Ghibellinen nach Machiavelli, Istorie Fiorentine, 2. Buch a. A.

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sich, wasim gegebenen Rahmen einer Gesellschaft zumGegenstand politischer Aktion werden kann, was nur unter erheblicher Veränderung dieses Rahmens, was überhaupt nicht. Ferner: Was in der Regel und wasin Ausnahmefällen auf die politische Tagesordnung kommt und ggf. auch: für die Parteinahme ins Gewicht fällt. In den Inhalten schlagen sich selbstverständlich die verschiedenen Interessen und Meinungen darüber nieder. Sie erst machen sie ja zu politischen Themen und bestimmen ihr spezifisches Gewicht in der Politik. Aus ihnen erst ergibt sich etwa, ob man Fragen der politischen Existenz in äußerster Nervosität oder in Dickfelligkeit, in Streit oder Einigkeit oder welcher Graduierung davon begegnet. Entsprechend: Ob man das Verfechten partikularer Interessen für legitim oder illegitim hält und stärker oder schwächer im Verhältnis zu anderen Themen betreibt. Die eigentliche Absicht der Analyse von Parteiungen auf dieser Ebene liegt darin, vom Inhaltlichen her zu bestimmen, welcher Art Veranlassungen zur Partizipation an Politik und Parteiungen für die verschiedenen Teile einer Gesellschaft bestehen. Wie weit sind eher partikulare Probleme, wie weit Fragen der Struktur oder der politischen Existenz beherrschend? Man sollte die Parteiungen einer Gesellschaft in einer bestimmten Epoche nie behandeln, ohne genauere Kenntnis über die Inhalte der Politik, deren Art und besonders deren Relation untereinander zu verlangen und zu geben36. Dabei muß allerdings deutlich sein, daß es sich nur um eine analytische Ebene unter anderen handelt. Verschiedene Probleme, die sich auf der Ebene der Inhalte und Meinungen stellen, reichen zugleich auf andere Ebenen hinüber. So gerät man mit der Frage nach der Verknüpfbarkeit verschiedener Inhalte schon in den Zusammenhang der Lagerung der Macht (ob etwa, wie im neuzeitlichen Europa, die großen Strukturprobleme und die Vertretung kleiner Interessen von Einzelnen und Gruppen in und zwischen den gleichen Parteien ausgetragen werden). Das gleiche gilt von den Quellen, aus denen sich die Meinungen über die Inhalte der Politik speisen, sowie von den Mechanismen der Politisierung von Themen (etwa in der modernen „ Wettbewerbsdemokratie“ im Unterschied zu Parteiungssystemen ohne organisierte Parteien oder mit eher persönlichkeits- oder klientelorientierten Parteien). Bei der Konstellation der Entscheidungszentren geht es um die öffentlichen Organe, in denen formal die für das Gemeinwesen bindenden Beschlüsse gefaßt werden. Die Frage, ob die wichtigen Entscheidungen nicht in Wirklichkeit anderswo fallen, etwa in Parteizentralen oder auf Parteitagen, kann in diesem Zusammenhang vernachlässigt werden. Sie betrifft weniger die Art des Parteiungssystems als Verschiebungen zwischen Parlamentariern (evtl. einschließlich der Regierung) und Parteigremien innerhalb eines Parteiungssystems. In36Es ließe sich an unzähligen Beispielen nachweisen, welche Folgen es hat, wenn dies versäumt wird.

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sofern wäre sie bei der Lagerung der Macht zu berücksichtigen. Auf dieser Ebene geht es zunächst nur darum, wie es formal um die Zentren bestellt ist. Denn eben davon hängt die Art der Parteiungen unter anderem ab. Um beim Beispiel zu bleiben: Die Verlagerung der tatsächlichen Entscheidung in organisierte Parteien ist in einem Mehrparteiensystem daran gebunden, daß es ein Parlament gibt, dessen Mehrheit zugleich die Regierung stellt. Eben dies ist aber, wie gesagt, nur eine mögliche Konstellation von Entscheidungszentren. Allgemein ist nach der Zahl unddemrelativen Gewicht dieser Zentren zufragen. Dabei kann ein äußerlich einheitliches Zentrum –wie etwa der amerikanische Kongreß –in mehrere, auf ihren Gebieten relativ selbständige einzelne Zentren (Kommissionen) zerfallen37. Ebenso ist zu unterscheiden, ob ein Zentrum für bestimmte Perioden von gleichbleibenden oder je nach Situation wechselnden politischen Kräften oder Kombinationen bestimmt ist. Es fragt sich nach Konzentration oder Dezentration der politischen Entscheidungen, nach Hierarchien zwischen den Zentren, dem Verhältnis von Verfügung und Kompromiß, nach den Umfängen, Gebieten und möglichen Überschneidungen der Entscheidungsgewalt (etwa wie weit es für bestimmte Gebiete verschiedene Entscheidungsorgane gibt). Mit der Frage der Verknüpfung von bestimmten EntscheidungsBasis“kommt man schon zentren mit bestimmten Kräften an der politischen „ in den Zusammenhang der Lagerung der Macht. Auf dieser Ebene ist das ganze politische Feld in Hinsicht auf das, was in ihm Macht ist oder dazu werden kann, zu analysieren. Die Machtfaktoren sind auszumachen und näher zu bestimmen (etwa nach Regel und Ausnahme, nach spezifischen Hinsichten, in denen sie wirken). Schließlich sind ihre Relationen innerhalb der Gesamtheit der Machtlagerung zu untersuchen. Es fragt sich etwa, waszu Macht werden kann (übrigens einschließlich außenpolitischer Faktoren), wieweit es organisiert oder organisierbar ist, welche Formen der Organisation und Bindung (etwa zwischen Politikern, den Trägern bestimmter Interessen und Meinungen und weiteren Kreisen potentieller Teilhaber an Politik) bestehen, welche Möglichkeiten und Grenzen politischen Wirkens sie lassen. Man hat danach zu forschen, in welchem Umfang (im Verhältnis zur Gesamtheit der je aufzubietenden Macht), in welcher Kontinuität (nur von Fall zu Fall oder durchgehend in der gesamten Politik, evtl. wechselnd nach Regel- und Ausnahmesituationen) und zu welchem Grad der Verfügbarkeit (etwa der Konzentration an bestimmten Stellen oder eher nur im Rahmen je neuer Kompromisse oder schließlich je nach Gegenstand unterschieden) Macht sich zusammenfassen läßt. An dieser Stelle wäre das Potential organisierter Interessen (etwa zur Herbeiführung oder Blockierung von Entscheidungen), wären aber auch die strategischen Positionen zur Beeinflussung von Politik zu prüfen. Hier stellt sich zugleich die Frage nach der Verknüpfbarkeit verschiedener Inhalte 37Vgl. etwa jüngst zu den USA P. Graf Kielmansegg in W. Hennis/U. Matz/P. K., Regierbarkeit 2. Stuttgart 1979. 147ff.

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von Politik, nach dem organisatorischen Gewicht, das den Meinungen über die Inhalte zugeschlagen werden kann (oder mit dem man diese eindämmt), nicht zuletzt auch nach dem möglichen Eigengewicht oder der weitgehenden Funktionalisierung der Inhaber der Entscheidungszentren. Fußend auf der Analyse der verschiedenen Ebenen müßte es dann möglich sein, die Parteiungssysteme im ganzen zu begreifen. Grundunterscheidungen wie die von gegenstandsabhängigen und -unabhängigen Parteiungen wären hier zu treffen, typische Verhältnisse von Inhalten, Organisationsformen und Konstellationen der Entscheidungszentren festzustellen. Wahrscheinlich bilden die moderne westeuropäische Art der Parteiungen unddie der späten römischen Republik in wesentlichen Hinsichten die extremsten Ausformungen: Einmal ist die Gegenstandsunabhängigkeit so weit getrieben, daß die gleichen Parteien dauerhaft die großen Fragen der Gesellschaftsreform, die wichtigen Entscheidungen der Außenpolitik wie die des Alltags und schließlich die Interessenvertretung der ihnen zugehörigen oder zuneigenden Individuen oder Gruppen in Regel und Ausnahme unter sich austragen (und zum Teil sogar Heimat und Sinnerfüllung bieten). Dabei müssen ihre Anhänger Abweichungen im einen oder anderen Punkt in Kauf nehmen, weil die Geschlossenheit der Partei jedenfalls wichtiger ist, so lange die Dinge so liegen, wie sie es tun. Im anderen Fall gibt es verschiedene Arten von Parteiungen in Regel und Ausnahme, wechselnde Gruppierungen im politischen Alltag, Parteinahmen je nach Bindungen oder den Einwirkungen von anderen, die auf Grund ihrer Bindungen handeln. Einmal weitgehende Kristallisation von großen und kleinen Interessen, zum anderen weitgehende Vereinzelung der Interessen, einmal Einbeziehung der partikularen Themen in den größeren Zusammenhang, zum anderen Fragmentierung der Politik, einmal (bisher jedenfalls) ständige Konzentration von sehr viel Macht in zentralen Positionen, zum anderen Konzentration zwar in gewissen Fragen bei weitgehender Dezentration in allen übrigen. Es wäre interessant, diesen Vergleich weiter auszuführen und durch Heranziehung anderer Parteiungssysteme, etwa dessen der Vereinigten Staaten auszufalten. Dabei ließe sich fragen, ob das amerikanische nicht insgesamt dem römischen Beispiel näher ist als dem modernen europäischen. Freilich sollte man diesen wie andere Fälle weniger auf einer Skala zwischen den genannten Extremen verorten als vielmehr im Rahmen einer mehrdimensionalen Analyse. In die einzelnen analytischen Ebenen sowie in die Feststellung der Interdependenzen innerhalb des gesamten Parteiungssystems müßten zahlreiche Einzelheiten wie etwa typische Zielsetzungen und Motive von Politikern, die Rolle von Programmen oder die politische Chance von Interessen, die allen gemeinsam sind, einzubringen sein. In sie gehen zugleich vielerlei Bedingungen von Parteiungen ein, etwa die Struktur der Gesellschaft samt deren außenpolitischer Ambiance; die Verfassung; der Charakter der Staatlichkeit; Rechtsanschauungen, sittliche Gebote und Verbote, politische Tugenden, „ Mentalitä-

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; Auffassungen über Möglichkeiten und Grenzen der Politik, Erfahrungen ten“ und Erwartungen, überhaupt der zeitliche Horizont des politischen Denkens und Handelns; die Größe des Gemeinwesens, Verkehrs- und Kommunikationsverhältnisse; dasBildungsniveau; diegesellschaftliche Identität undZugehörigkeitsstruktur; der Ort des Politischen.

In einem solchen theoretischen Rahmen also wären die römischen Parteiungen zu behandeln. Wohl sind die wichtigen Feststellungen zumInhalt der Politik unten getroffen38. Auch die Vielzahl und wechselnde Besetzung der Entscheidungszentren ist behandelt, ihre Bedeutung für die römische Art der Parteiungen herausgestrichen. Das gleiche gilt von der mangelnden „Kristalli, , der breiten „Lagerung der Macht“ sation von großen und kleinen Interessen“ der Vereinzelung der Interessen, dem Wechsel der Parteiungen im Alltag und zwischen Alltag und Ausnahmesituationen. Schließlich ist auch die Gegenstandsabhängigkeit der römischen Parteiungen festgestellt worden. Aber der Begriff (und die explizite Unterscheidung zur Gegenstandsunabhängigkeit) fehlt. Ein Strang der Untersuchung endet gleichsam mit dieser Beobachtung. Daß hier die eigentliche Differenz zummodernen Parteiungssystem und zur modernen Parteienvorstellung lag, ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis und zur Identifikation der römischen Art politischer Gruppierungen sowie zu deren Vermittlung ist mir nicht oder nicht hinlänglich bewußt gewesen. Im Begriff der Gegenstandsabhängigkeit ist die offene Partikularität der verschiedenen Kräfte gemeint, die sich je nach Situation anders gruppieren. Maßgebend sind dabei freilich nicht nur der jeweilige Gegenstand, sondern auch das jeweilige Entscheidungszentrum und –natürlich auch –die jeweils ins Spiel kommenden Bindungen und sachlichen Motive. Der Begriff der Gegenstandsabhängigkeit bezeichnet den zentralen Unterschied zum modernen Parteiungssystem. Wie bedeutsam das erschließende Potential eines solchen zentralen, denwesentlichen Zugeiner Sache erfassenden Begriffs ist, was er also in der Durchdringung eines umfassend und mit verschiedenen eigens entwickelten Kategorien vorgelegten Materials zusätzlich erbringt, zeigt sich hier besonders deutlich. Die wesentliche und, wiemir nach wievor scheint, zutreffende Aussage über die relativ geringe politische Rolle von Geschlechtern und Faktionen in Rom wäre zum Beispiel in ihrem Ausmaß und in ihren Grenzen viel besser klarzumachen und zu begreifen gewesen, wenn ich diesen Schlüssel konsequent betätigt hätte. Mir hatte es so geschienen, wiewenn der Wechsel der Parteiungen von Punkt zu Punkt daseigentlich Bemerkenswerte gewesen wäre. Das brachte mich dazu, die Konstanten darin zu unterschätzen. Sobald aber die Problematik desVerhältnisses vonParteiungen undGegenständen klar ist, erweist sich, 38Gegen Crifò (wie Anm. 5) 242 ist festzuhalten, daß in der Regel (!) wirtschaftliche und soziale Gegensätze in der Politik keine Rolle spielten. Er selbst weist nur auf Ausnahmen hin (die meist auch in Bürgerkriegssituationen gehören). Vgl. auch o. S. XVI ff.

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daß die Wechselhaftigkeit nur eine Seite dessen ist, washier eigentlich vorliegt, eben der Gegenstandsabhängigkeit der Parteiungen. Dann wirdes möglich, auch die andere Seite, das Wiederkehrend-Gleichbleibende angemessen zu würdigen. Eine der Konstanten war die wiederkehrende Opposition der Senatsmehrheit gegen große Gesetzesprojekte, insofern eine Parteiung zwischen Optimaten

und Popularen (wenn auch die letzteren, abgesehen von einem Unterbau, meist von Situation zu Situation andere waren). Diese Gruppierung ist bestimmend nur in Ausnahmesituationen. Bei kleineren Agenden bezieht sie sich nur auf beschränkte Teile der Politik. Sie ist aber immer wieder mindestens in der Agitation gegenwärtig. Relativ stetig war die Zusammenarbeit einer Reihe von Persönlichkeiten, die durch Einfluß undÜberzeugung in die Lage gekommen waren, das Zentrum der senatorischen Politik zu bilden. Hier lag eine Aufgabe kontinuierlicher , die von einzelnen Persönlichkeiten wie Catulus und Cato „Verfassungspolitik“ offenbar zusammen mit einem führenden Kreis von Senatoren wahrgenommen wurde. Sie waren zumTeil untereinander verwandt, und das magihren Zusammenhalt befördert haben. Vor allem aber bildeten sie den Kern der führenden Senatskreise. Die Macht, welche sie ausübten, war nur zum Teil „Faktionsmacht“großer Patrone, entsprang vielmehr wesentlich aus steter Mühewaltung, Überzeugungsarbeit, aus dem gemeinsamen Interesse der Senatsmehrheit, schließlich aus einem Faktor, der kaum gering zu veranschlagen ist: den Prämien, die innerhalb des Senats dem gezollt wurden, der die Sache des Hauses konsequent und verantwortungsvoll wahrnahm. Diese Herren verkörperten geradezu den Führungsanspruch des Senats, hatten das Gewicht der senatorischen Verantwortung für die respublica auf ihrer Seite, auch die Kraft, die sich aus der Erfahrung des vielfältigen Versagens ableiten ließ, da die Grenzen der Macht des Senats nicht wahrzunehmen waren. Dem konnte man sich nur schwer entziehen. Auch die Herren um Catulus und Cato wirkten freilich nur in bestimmten Hinsichten zusammen. In weiten Teilen der Politik dagegen, in denen dies nicht notwendig oder aktuell war, taten sie das nicht oder nur bedingt. Den besonderen Charakter ihrer Zusammenarbeit versteht man also nur im Rahmen der Gegenstandsabhängigkeit der Parteiungen. Mit dieser wesentlichen Einschränkung kann ich Erich Gruen zustimmen, wenn er diese Gruppe cohesive and formidable nennt39. In einer ähnlichen Lage mögen die Meteller und ihre Verbündeten zur Zeit Sullas sich befunden haben (u. S. 182ff.). Auf andere Weise bildeten die Geschlechter und Geschlechterverbindungen in der regelmäßigen Politik Konstanten. Mindestens in den Fällen, in denen ihre gemeinsamen Interessen zur Debatte standen, müssen sie zusammengewirkt haben40. Nur waren das vergleichsweise wenige Situationen. Freilich 39Wie Anm. 8. 57. Vgl. 94. 40So schon u. S. 176, von Brunt (wie Anm. 4) 231 übersehen, dessen Kritik hier bedingt anerkannt ist. Nur hätte er nicht verkennen sollen, daß das Fehlen eines zweiten Kandida-

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sollte man annehmen, daß der Einzelne auch sonst nicht allein stand, sondern mindestens als Hintergrund und Kraftquelle sein Geschlecht im Rücken hatte. Freunde und Verwandte werden ihm öfter auch direkt beigesprungen sein. Gerade wenn die regelmäßige Partikularität der Themen je nur wenige durch Verpflichtungen direkt engagiert sein ließ, blieb viel Spielraum für die Unterstützung von Freunden und Verwandten. Ich habe das in meiner Darlegung unterschätzt. Allein, aufs Ganze gesehen, muß es wohl dabei bleiben, daß Geschlechter oder gar Faktionen nicht durch die gesamte Politik hin –oder auch nur durch größere Teile davon –zusammenarbeiten konnten. Die Partikularität der Themen und die ungeheure Vielfalt der Beziehungen, auf die der Senator im Laufe der Zeit angewiesen war, schlossen es gewiß aus, daß verwandtschaftliche Verbindungen mehr als eine, freilich verdichtete, Unterstützung unter anderen geboten hätten. Angesichts des unten vorgelegten Materials wäre es höchst verwunderlich, wenn es in Rom damals gegenstandsunabhängige Faktionen gegeben hätte. Wer dies behauptet, hat wohl mindestens die Vermutung der Wahrscheinlichkeit gegen sich. Der Aufweis von noch so vielen Familienverbindungen oder noch so vielen Fällen des Zusammenwirkens Verwandter spricht nur für die Fähigkeit, ein frei konstruiertes Modell mit Beispielen zu illustrieren, nicht für die Richtigkeit dieses Modells41 –es sei denn, man vermöchte die genannten Fragen anders zu beantworten als es hier geschehen ist. Einen Einwand gegen die hier vorgetragene, sachlich nur leicht modifizierte, Auffassung können solche Aufweise jedenfalls nicht darstellen. Wenn man gegen diese (zwar nicht unseren Erwartungen, aber angesichts der römischen Verhältnisse) naheliegende Rekonstruktion eingewandt hat, die römischen Politiker müßten Dilettanten gewesen sein oder Mangel an politischer Leidenschaft gelitten haben, wenn sie keine Faktionen gebildet hätten42, so verkennt man die Sachlage. Denn es kann doch wohl nicht dilettantisch sein, wenn Politiker unter Einhaltung der vorgegebenen und kaum zu erschütternden Regeln und Bindungen das tun, was der Erhaltung und Mehrung ihrer Macht dient. Eben darin –undnicht in der Herstellung eines unter den damaligen Verhältnissen unmöglichen Systems –mußte sich die ingenuity and resourcefulness of Roman politicians erweisen. Nicht der Zusammenschluß zu gegenstandsunabhängigen Parteien, sondern das Verfechten der eigenen Interessen auf den zur Verfügung stehenden Wegen –undnur nach Möglichkeit auch die Verbindung mit anderen Politikern respektive der Zusammenhalt von Geschlechtern –kann als allgemeines Element der Politik angesehen werden. ten bei Pompeius und Caesar gerade das Auffällige ist. Wären die Machtverhältnisse andere gewesen, hätte sich eben im Zweifel einer gefunden! Vgl. zur Sache seinen Aufsatz in: Proceedings of the Cambridge Philological Society 1965. 1ff. 41Vgl. Historische Zeitschrift 208, 1969, 369ff. 42Stuveras (wie Anm. 13). Gruen (wie Anm. 8) 128, 28. Viel vorsichtiger K. v. Fritz, The Theory of the Mixed Constitution. New York 1954. 248.

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Das eigentlich Bemerkenswerte an den damaligen Parteiungen sind nicht so sehr die Faktionsbildungen und deren Grenzen wie die Behandlung der großen Themen, nämlich das Problem der „Parteilichkeit“des Senats43 und der Rolle , zumal des Pompeius und seiner Militärclientelen. der „neuen Mächte“ Wenn die Senatsmehrheit sich in der Abwehr großer Projekte zusammenschloß, also zur Partei wurde und gleichwohl die Autorität des Hauses als verantwortliches Führungsorgan erhalten blieb, so ist auch dies nur innerhalb der Gegenstandsabhängigkeit der Parteiungen zuverstehen. Wohl kann man darauf verweisen, daß der Senat sich dank der allgemeinen Anerkennung der überkommenen Ordnung in diesen Fällen als die Partei erweisen konnte, die in den Augen der Öffentlichkeit das Ganze vertrat. Aber eben dies hing ja an der Bedingung, daß die Gegensätze, um die es dann ging, nur gelegentlich auftraten und zu speziellen Gruppierungen führten. Gerade der Wechsel von Regel und Ausnahme ermöglichte für so lange Zeit die Beibehaltung der alten aristokratisch geprägten Struktur. In der Gegenstandsabhängigkeit des einmütigen Auftretens der Senatsmehrheit lagen deren Stärke und Schwäche, genauer gesagt: lag die Schwäche begründet, die das Senatsregime in der Regel für die wichtigsten Interessen angenehm machte, dank derer es sich behaupten konnte, und die Stärke, die es ausnahmsweise bewies. Eben weil der Senat in der Regel eben nicht in der Hand einer Faktion (oder Faktionengruppe) war, konnte er in der Ausnahme in seiner Mehrheit so einmütig wie eine Partei handeln. Hinzu kam, daß dann ja die Verteidigung des Überkommenen auf der Tagesordnung stand, in der man sich einig war. Umgekehrt war auch Pompeius’Macht, so groß sie war, aufs Ganze gesehen, relativ gering, weil sie mangels Kristallisation großer und kleiner Interessen nicht in eine umfassendere Kräftegruppierung dauerhaft einzubinden war. Wohl gab es auch für Minderheiten die Möglichkeit, sich von Fall zu Fall mit Hilfe der Volksversammlung durchzusetzen. Und Pompeius hat das mehrfach getan. Aber soviel dabei für ihn und unter Umständen für die Aufgaben der res publica geleistet werden mochte, im Hinblick auf die Verfassung stellte dies nur eine Störung dar: Es schuf Machtverhältnisse, die im Bestehenden nicht zu integrieren waren, weil sie zu dessen Desintegration beitrugen. Auf ähnliche Weise bildeten die plebs urbana und die Ritter (sofern sie gemeinsame Interessen verfolgten) vor allem ein Störpotential. Und sie waren auf gelegentliche Wirkungen beschränkt. Dieses römische Parteiungssystem enthält für den heutigen Historiker zahlreiche Probleme. So ist etwa in der Deutung der Politik das in den einzelnen Situationen je kontingente Zusammentreffen der verschiedenen Parteiungsmöglichkeiten zu bedenken44. Allgemein bereitet das Verständnis der unüber43Gewisse Unklarheiten in diesem Punkt boten Anlaß zu der Kritik von E. W. Gray. 44 Erinnert sei etwa an dasjenige, das 58 das Wirksamwerden der „concordia ordinum“ aus Senat und Rittern zugunsten Ciceros verhinderte. An sich hätte sie damals, dem Ge-

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brückten Partikularität von Entscheidungszentren, Themen und beteiligten Interessen manche Schwierigkeiten. Wie etwa die vielfach weit von Rom entfernt Wohnenden in den jährlich in der Stadt abgehaltenen Wahlen sich ohne übergreifende Parteiungen zur Geltung bringen konnten, ist nicht einfach zu sehen (vgl. u. S. 190ff.). Als Komplement der starken Partikularität sind bestimmte Voraussetzungen anzunehmen, durch die das Ganze in irgendeiner Weise gesichert blieb (oder man sich mindestens vorstellen konnte, daß es gesichert sei). An dieser Stelle tut sich die Frage nach der Leistungsfähigkeit dieses Parteiungssystems auf. Einerseits vermochte es allen mächtigen Interessen in Rom zu genügen. Andererseits verfehlte es offensichtlich das Pensum der Republik, wenn man unter diesem Begriff einmal die Aufgaben zusammenfassen darf, deren Lösung in einem Gemeinwesen kräftig erwartet wird oder aus deren Nicht-Erledigung mindestens virulente Weiterungen für dessen Struktur erwachsen. Wenn es in manchen Zusammenhängen interessant ist, solche Mißstände in einem Gemeinwesen festzustellen, die den Zeitgenossen bewußt waren, so geht es in diesem speziell um diejenigen, die –gleichgültig ob bewußt oder unbewußt –virulent, krisentreibend waren. Und wie weit man in einem Gemeinwesen solchen Mißständen begegnen und speziell: durch politisches Handeln begegnen kann, ist fraglos eine für dessen Zustand aufschlußreiche, zentrale Frage. Da die Senatsoligarchie angesichts drängender Aufgaben eher die Macht dessen, der sie löste, fürchtete als die Erledigung wünschte, da also sachliche Effizienz und Verfassungsmäßigkeit zu einer Alternative geworden waren und da zudem eine ganze Reihe von Mißständen schon mit ihrer führenden Stellung gegeben war, bestand daseigentliche Problem despolitischen Systems in seinem Wandel. Die Frage war, wie weit er sich politisch bewirken ließ. Dabei geht es nun nicht mehr um die Gegenstandsabhängigkeit der Parteiungen. Denn das gegenstandsabhängige System war in den früheren Jahrhunderten im allgemeinen mit dem Pensum der Republik fertig geworden. Auch der erfolgreiche Angriff der plebs auf die patricischen Positionen ist in solchem politischen Rahmen erfolgt. Andererseits können auch gegenstandsunabhängige Parteiungen vermutlich unfähig sein, notwendige Reformen durchzuführen. Man kann die geringe Veränderungskapazität des politischen Systems der genstand entsprechend, zustande kommen müssen (ohne deswegen, was Cicero verkannte, gegenstandsunabhängig sein zu können. Dies wäre vielmehr nur dann möglich gewesen, wenn wirklich, wie Cicero meinte, die Verteidigung der res publica ständig der maßgebende Gesichtspunkt der Gruppierung gewesen wäre). –Übrigens sind natürlich in Hinsicht auf die Gruppierungen auch weitere Differenzierungen angebracht. E. Badian stellt z. B. (Aufstieg und Niedergang der alten Welt, hrsg. H. Temporini 1,1. 669) persönliche Ideosynkrasien gegen die Anerkennung von Politikerverbindungen fest, wo es in Wirklichkeit um die Unterscheidung zwischen Zugehörigkeit zu einem, wie immer gearteten politischen Freundeskreis und der Rolle als Exponent und Werkzeug eines solchen Kreises ging (u. S. 98).

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späten Republik auch nicht einfach auf die Macht von Clientelen45, verwandtschaftlichen oder lokalen Bedingungen zurückführen. Denn erstens ist fraglich, wie stark diese überhaupt noch waren, zumal die frei geschlossenen, dann allerdings auf längere Sicht verpflichtenden Freundschaftsbeziehungen damals gegenüber denen der Verwandtschaft und der Clientel zunehmend in den Vordergrund drängten. Zweitens konnten sich, wie das griechische Beispiel zeigt, auch unter antiken Umständen stärkere neue Solidaritäten siegreich gegen aristokratische Freundschafts- und Clientelbindungen durchsetzen. Es muß also irgend etwas anderes sein, was die Kapazität der Parteiungen zur Veränderung oder anders gesagt: die Fähigkeit der Gesellschaft einschränkte, sich zur politischen Herbeiführung von Veränderungen zu entsprechender Macht zu gruppieren. Die Lösung dieser Frage ist unten darin gesehen worden, daß die mit dem System Zufriedenen zu stark und die Unzufriedenen zu schwach waren, als daß eine solche Gruppierung sich hätte bilden können. Man muß hinzufügen, daß es strukturell wohl ausgeschlossen war, eine breitere politische Kraft zu bilden, die den Problemen des weltweiten Herrschaftsbereichs hätte begegnen können. Umgekehrt scheint gegen das Betreiben einer monarchischen Lösung die republikanische Identität der römischen Bürgerschaft (wenigstens in bestimmten maßgebenden Teilen) gesprochen zu haben. Erst ganz zum Schluß, nach langen Bürgerkriegen, hatten sich die Machtverhältnisse so weit verschoben, daß Augustus eine Alternative zum Bestehenden begründen konnte. Damit ist schon der nächste große Fragenkomplex angeschnitten, wiedenn die Krise vorangetrieben wurde, wenn sie nicht Gegenstand politischer Gegensätze war. Hier genügt es, abschließend festzustellen: Wenn es in Romnicht gelang, die krisentreibenden Handlungskonstellationen in Politik einzufangen, wenn damit der Bereich des politisch Entscheidbaren gemessen am Pensum immer geringer wurde, so rückte das Politische aus dem Zentrum des Gemeinwesens heraus. Nicht unbedingt so sehr im Hinblick auf die Aufmerksamkeit, obgleich auch die nachgelassen haben mochte, auch nicht so sehr im Hinblick auf den Veränderungsprozeß, der sich, wie gesagt, wesentlich im Politischen vollzog, aber in Hinblick auf die Auswirkungen des Pensums. Dieses wurde jetzt nicht mehr in der Form politischer Auseinandersetzungen und Entscheidungen, insofern in der Mitte der Gesellschaft erledigt, sondern es wirkte sich in der Form der Kumulation von Nebenwirkungen daraus aus, das heißt processualiter.

b) Krise ohne Alternative Der Ausdruck „Krise ohne Alternative“ist zunächst zu definieren. Zustände als Krise zu bezeichnen, ist heute modisch und wohlfeil. Man braucht 45Vgl. zu den Clientelen die sehr anschauliche Schilderung einer modernen Analogie in Sizilien bei W. E. Mühlmann/R. J. Llaryora, Klientschaft, Klientel und Klientelsystem in einer sizilianischen Agro-Stadt. Tübingen 1968.

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also ein Kriterium zur genaueren Bestimmung. Der Begriff der Krise scheint aus vielen Gründen nur angebracht zu sein, wenn man von einem System ausgeht. Krisen sind dann als Prozesse zu verstehen, die ein System gefährden46. Diese Gefährdung ist festzumachen an der Virulenz krisentreibender Faktoren: Es müssen in ihm Konstellationen gegeben sein, auf Grund derer so gehandelt wird, daß das daraus resultierende Geschehen sein Funktionieren ernsthaft in Frage stellt respektive zu seiner Auflösung führt. Diese etwas umständliche Formulierung ist in Rücksicht darauf gewählt, daß kaum einzelne Handlungen oder Unterlassungen zu einer Systemkrise führen können. Sie können höchstens dazu beitragen. Entscheidend sind die Zusammenhänge, in denen das System insgesamt von den an ihm Beteiligten praktiziert wird. Dabei geht es insbesondere auch um die Reproduktion von Ansprüchen und Erwartungen. Denn die Virulenz von Mißständen gewinnt ihre objektive Faktizität zumguten Teil aus deren Institutionalisierung. Eben daher kann sozusagen dasselbe Übel einmal erträglich unddas andere Malvirulent sein; undzwar weil durch Ansprüche und Erwartungen die Konstellationen des Handelns verschieden bestimmt sind. Wie jeder Begriff undjedes Kriterium können auch diese falsch oder fragwürdig angewandt werden. Die Frage nach der Alternative bei einer Krise hat es primär mit der Lagerung der politischen Macht zu tun, genau gesagt mit deren Neugruppierung in Hinsicht auf die Krise. Das setzt die Bildung gewisser Potentiale im Umfeld der Politik voraus, die evtl. nicht immer möglich ist. Und es impliziert zugleich eine Fähigkeit, neue Verhältnisse auch zu legitimieren. Diese Frage ergab sich mir aus der Betrachtung der Neuzeit. Sie läßt sich allerdings auch aus der der griechischen Geschichte ableiten. Denn auch dort haben breitere Schichten, zumal die Bauern, in der Krise der archaischen Zeit allmählich eine Alternative herausgebildet, die sich dann in Isonomie und Demokratie verwirklichte47: In irgendeiner Weise hat es also in Krisen verschiedentlich die Möglichkeit gegeben, daß die Notleidenden und Benachteiligten, an einem Mangel an Rechten Leidenden, allmählich eine neue Front gegen das Bestehende aufbauten, eben damit die Krise zum Gegenstand oder Anlaß vielfältiger Änderungsbestrebungen, neuer Ansprüche und Anschauungen und dann auch von Politik machten, indem sie geradezu auf Reform oder Umsturz hinwirkten. Dabei spielt es keine Rolle, wie weit der Mangel, an dem sie leiden, einer objektiven Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen und wie weit einer stärkeren Sensibilität respektive einer Anspruchssteigerung entspringt. Die Bildung einer solchen Kraft soll hier als Alternative verstanden werden, gleichgültig ob ihre Wirkung in Richtung auf eine Verbreiterung der politischen Basis (also etwa auf Demokratie) ausgeübt wird, oder auf eine Monarchie, falls dies 46Vgl. dazu R. Vierhaus, Zum Problem historischer Krisen. In: K.-G. Faber/Ch. Meier, Historische Prozesse. München 1978. 313 ff. 47Vgl. Entstehung (wie Anm. 16).

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den Interessen der Benachteiligten eher entspricht. Freilich kann dabei eine Systemkrise nur dann erledigt werden, wenn es sich nicht nur um vorübergehende Usurpationen respektive um die Bekämpfung von Symptomen handelt48.

AlsAlternative im speziellen Wortsinn sei also eine letztlich in derBreite der Gesellschaft wirksame Kraft verstanden, die sich darin äußert, daß Überzeugungen von der Notwendigkeit einer neuen Ordnung sich derart institutionalisieren, daß sie in nennenswertem Ausmaß zu realisieren sind. Alles, was davor liegt, kann bestenfalls Ansatz zu einer Alternative sein. Ob es mehr wird, muß sich herausstellen. Entsprechende Meinungen und Interessen müssen sich also derart zu Interessenschwerpunkten verschränken und in den Interessenhaushalt eines größeren Kreises von Menschen einlagern, daß ihre Verfolgung sich diesem aufzwingt; daß die betreffenden Meinungen und Interessen sich mithin versachlichen, objektivieren. Neue Maßstäbe müssen sich etablieren, wie auch immer sie sich zwischen denen, die messen, und denen, die daran gemessen werden wollen, im allmählichen Prozeß herausbilden mögen. Neue Gegebenheiten müssen sich abzeichnen, die dazu herausfordern, formuliert zu werden und in der Formulierung, im Durch- und Weiterdenken sowie in der breiter werdenden Rezeption dieser Gedanken dann schließlich gegeben sind. Einen wesentlichen Aspekt der Bildung einer Alternative stellt ein Vorgang dar, der als „Ausweitung des Interessenhorizonts“zu beschreiben ist. Dieser hat drei Seiten: Erstens besteht er in einer Sensibilisierung, also einer Steigerung der Erwartungen an die Ordnung. Diese wird dann gleichsam alternativhaltig dadurch, daß zweitens eine Abstrahierung von den unmittelbaren Interessen der Einzelnen auf universalere Zielsetzungen hin erfolgt und daß drittens eben darin soviel Solidarität entsteht, daß sich Unzufriedenheit und neue Einsicht zu einem Willen materialisieren. Nur so kann das gegenüber den jeweiligen Partikularinteressen zunächst nebensächliche allgemeine Interesse an einer neuen Ordnung zentral werden. Es streckt sich dann den Gelegenheiten, sich zu realisieren, gleichsam entgegen. So massiert sich ein Kern im politischen Feld, von dem her auf die Dauer einerseits die Legitimität des bestehenden Systems (mindestens in wesentlichen Zügen) wirksam in Zweifel gerät49, andererseits das Ganze besser vertreten wird. Für viele Unzufriedene und Suchende ist damit eine Sache gegeben, an der sie sich orientieren undfür die sie leben können. Der Vorgang der Alternativbildung konzentriert sich also im Politischen, aber seine Wurzeln und seine Auswirkungen greifen sehr viel weiter. So lange umgekehrt in einer Krise keine Alternative sich ausbildet, ist das 48 Insofern hat die Tyrannis bei den Griechen keine Alternative gebildet, obgleich sie im einzelnen vielen Mißständen abhelfen und vorübergehend ein geordnetes Regime schaffen mochte. 49u. U. in Form der „Schweigespirale“im Großen. Dazu das gleichnamige Buch von E. Noelle-Neumann. München/Zürich 1980.

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Verhältnis des betreffenden politischen Systems zu den virulenten Problemen des Gesamtsystems gestört. Als Krise ohne Alternative ist mithin zu identifizieren eine bestimmte Relation zwischen virulenten, krisentreibenden Abläufen und der Art der Parteiungen; oder auch zwischen (unerfreulicher, nicht „fortschrittlicher“ ) Mutabilität und Kontroversität. Der Begriff bezieht sich auf die Fähigkeit einer Gesellschaft, ihre Kräfte so zusammenzufassen und zu mobilisieren, daß es möglich wird, die Krise selbst (und nicht nur gewisse ihrer Symptome) zum Gegenstand der Politik (und nicht nur des Geredes) zu machen. Es sollte einleuchten, daß die Frage nach der Alternative ungemein wichtig ist. Sie ist geeignet, etwas Entscheidendes an einer Gesellschaft zu erschließen, an deren Möglichkeiten zur Problemverarbeitung, welche ihrerseits nicht nur für die Politik, sondern für psychische Orientierungen, Sinngebungen, für das geistige Leben, die Mentalität, ja die gesellschaftliche Identität in einer Epoche

ausschlaggebend sein mögen. Allgemein gesagt geht es um das Verhältnis zwischen Politischem und Prozessualem als Modi der Veränderungsbewirkung. Das Politische ist dabei primär als die Ebene genommen, auf der die verschiedenen Kräfte sich in Auseinandersetzung ausgleichen50, das Prozessuale als Wirkungszusammenhang, der sich wesentlich aus nicht intendierten Nebenwirkungen des Handelns kumuliert. Gewiß greifen politische Auseinandersetzungen und prozessuales Geschehen jeweils aufs komplizierteste ineinander. Eines wirkt auf das andere und geht aus demanderen hervor. Im Politischen selbst finden zahlreiche Prozesse statt (in denen etwa die politische Kultur sich verändert). Auch die Alternative muß im ganzen processualiter entstehen, um dann schließlich auf der Ebene politischer Auseinandersetzung aufzutreten. Gleichwohl lassen sich auf längere Strecken eines Veränderungsablaufs verschiedene Weisen der Bewirkung unterscheiden unter der Frage, wieviel an diesem Ablauf im Politischen, in politischen Entscheidungen und im komplexen Gang ihrer näheren und ferneren Vorbereitungen eingefangen worden ist. Es ist etwas grundlegend anderes, ob ein Veränderungsgeschehen nur respektive wesentlich prozessual sich vollzieht oder ob es in beachtlichem Maße auch im Kontext politischer Auseinandersetzungen verarbeitet wird. In jenem Fall erfaßt Politik eher Oberflächenrespektive Tagesfragen, unddas Entscheidende desWandels wird von ihr nicht berührt; bis schließlich die neuen Realitäten sich soweit durchgesetzt haben, daß sie politisch angepackt und „ausgetragen“werden können; aber an dem Punkt ist dann die Alternative schon gegeben, und oft genug relativ plötzlich, eher aus demNegativen der Vernichtung als auseiner schon breit verwurzelten positiven neuen Kraft resultierend. Im anderen Fall geschieht der Prozeß der Alternativbildung zugleich im Politischen, in der Verarbeitung der neuen Be50 Dabei ist die andere Seite des Politischen, die integrative (welche erst diese Auseinandersetzungen hegen kann) vorausgesetzt, für die Verhältnisse innerhalb des Gemeinwesens.

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dingungen, indem sich diese in Einsicht und politischen Willen umsetzen und zur Klarheit von letztlich politischen Gegensätzen führen. Damit vollzieht sich die Krise nicht nur gleichsam unter demTisch, sondern in der Mitte der Gesellschaft. Solches politische „Einfangen“unddiemit ihmgegebenen Auseinandersetzungen sind nicht unbedingt positiv im Vergleich zur prozessualen Kumulation von nichtintendierten Nebenwirkungen. Es besteht primär nicht darin, Gefahren abzuwenden, sondern sie auf den Tisch zu bringen. Ob man das eine dem anderen vorziehen soll, ist eine Frage, deren Beantwortung von der Einschätzung menschlicher Möglichkeiten abhängt. Beides kann irgendwann mörderisch sein. Aber jedenfalls ist es etwas anderes, ob undwieweit eine Veränderung in letztlich politischen Auseinandersetzungen erwirkt oder vorangetrieben wird oder ob sie nur processualiter geschieht. Zu diesem wesentlichen Unterschied (samt einigen daran anschließenden Phänomenen) bildet die Frage nach der Alternative den Schlüssel. Freilich ist dieser Schlüssel nur zu gebrauchen, wenn man hier ein Problem sieht. Wenn man dagegen die Frage der Beibehaltung und des Niedergangs eines Systems allein vomWillen der darin Lebenden abhängig sein läßt51 –wie wenn grundlegender Wandel nur geschieht, wenn er gewollt, also die Alter, so wird man kaum entdecken können, wie sich native schon vorhanden ist – Veränderungsprozesse aus nichtintendierten Nebenwirkungen von Handeln kumulieren können52. Und wenn man akademische Lösungsvorschläge oder gewisse Ansatzpunkte, auf denen viel später eine neue Form der Gesellschaft aufgebaut wird53, bereits für die Alternative zum Bestehenden hält, so wird man für die Problematik des Einfangens der Krise in politische Gegensätze, also des Aufkommens und der Institutionalisierung ganz neuer politischer Kräfte kaum offen sein. Das Erkenntnispotential des Begriffs der Krise ohne Alter51So Brunt (wie Anm. 4) 229. H. Schneider, Wirtschaft und Politik. Untersuchungen zur Geschichte der späten römischen Republik. Diss. Marburg 1974. 269. Vgl. Ch.Meier in: Hist. Prozesse (wie Anm. 46) 40, 66. 52Die Gesamtheit der spezifischen Konstellationen, aus denen dieser Prozeß sich speist, gilt es einzufangen. Eine einzige Ursache oder ein Ursachenbündel zu suchen (so K. Hopkins, Structural Differentiation in Rome. In: I. M.Lewis (Hrsg.), History and Social Anthropology. London/New York u. a. 1968. 70f.) schiene mir eine ungebührliche Verengung zu sein. Übrigens ist etwa die Wirkung der Lage der Veteranen in dem von ihm beschriebenen Ausmaß (ebd. 65) nur nach und in Bürgerkriegen zu beobachten. 53J. Gaudemet hat in seiner Rezension (in: Revue Historique de Droit 46, 1968, 85) darauf hingewiesen, daß die Republik doch manche fruchtbaren, zukunftweisenden Neuerungen hervorgebracht habe, etwa die außerordentlichen Imperien oder das Gewicht der Legionen. Das ist unbestreitbar. Nur waren das zunächst vor allem Störungen, erst im Zusammenhang des Principats sinnvolle Ansatzpunkte und Glieder einer neuen Ordnung. Darauf kommt es in diesem Zusammenhang an. Eine andere Frage ist, ob nicht der Vorbereitungsprozeß und die Begründung der Monarchie das Komplement dieser Arbeit über die späte Republik hätten bilden müssen. Vgl. auch Starr (wie Anm. 9) 483. Zu Bleicken (wie Anm. 5) 459 s. u. S. 100ff., freilich zu kurz.

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native erschließt sich vielmehr nur angesichts der Frage nach der Veränderungsverursachung undnach dem Verhältnis von Politik und Prozeß in diesem Zusammenhang. Mindestens muß man, um mit diesem Begriff arbeiten zu können, mit der Möglichkeit rechnen, daß sich in einer Krise lange Zeit keine Kraft bildet, die direkt undnennenswert auf eine Änderung hinarbeitet. Worauf auch immer das im einzelnen zurückgeführt werden kann, man mußzugleich strukturelle Grenzen politischer Macht- und Willensbildung jedenfalls in Erwägung ziehen. Dabei ist gegenüber den Formulierungen im Text eine Modifikation anzubringen, die sehr wichtig ist. Sie betrifft die Dauer der Alternativlosigkeit. Sofern sich nämlich die Systeme, in denen Krisen tobten, nicht einfach aufgelöst haben respektive fremden Mächten anheimgefallen sind, hat sich in der Weltgeschichte auf die eine oder andere Weise noch immer eine Möglichkeit grundlegender Veränderung, also eine Kraft gefunden, die diese bewirkte. Insofern stellt die Krise ohne Alternative zumeist nur eine Phase einer Krise dar. Vermutlich ist die Beobachtung, die man im archaischen Griechenland machen kann, gar nicht untypisch: daß die Alternative im Frühstadium der Krise fehlt und sich dann erst allmählich bildet. Wohl kann man sich fragen, ob gewisse Krisen nicht überhaupt erst dadurch entstehen, daß eine Alternative zum Überkommenen auftritt. Aber auch abgesehen von dem Problem, wie es ohne Krise zu einer solchen Alternative kommen kann, ist es jedenfalls kaum wahrscheinlich, daß dieser Fall häufig eintritt. Insofern steht die Krise der römischen Republik welthistorisch gar nicht einsam da. Freilich hat sie gewisse Merkmale, die, wenn auch wohl nicht einmalig, so doch besonders sind. Sie sind mit der „Extensivierung“gegeben, der Tatsache, daß alle möglichen Krisenmomente sich lange relativ wenig konsequent auswirkten, ferner damit, daß fast keine Gefahren von außen drohten und daß es eine vergleichsweise breite Schicht von Wohlhabenden gab, die die Tendenz auf Bewahrung des Bestehenden bestärkte. Nicht zuletzt spielt aber auch die spezifische Wehrlosigkeit eine Rolle, die sich aus den Denkweisen und der Realitätsprägung der gewachsenen Verfassung ergab, sowie allgemein die Begrenzung der antiken politischen Kapazität. Alle diese Umstände zusammen machen die Krise der späten Republik zu einem besonderen Modellfall. Zur prozessualen Motorik dieser Krise sind im Text verschiedene Beobachtungen zusammengetragen. Sie ließen sich wesentlich erweitern. Doch wenige Stichworte müssen hier genügen. Es lassen sich verschiedene circuli vitiosi oder besser: vitiöse Spiralen beobachten. Etwa die zwischen Korruption, Bereicherung, höheren Standards, Ärgernis undEinrichtung von Gerichten gesteigerter Korruption, unter anderem zur Bestechung der Richter sowie angesichts höherer „Preise“etc. Oder diejenige zwischen Versagen des Senats und vielfacher Erfahrung eigener Schwäche, Resignation, Bekundungen der Stärke, neuem Versagen etc. Mit der Summe der Übertretungen herkömmlicher Regeln in den

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verschiedensten Sektoren des Lebens erschlaffte die Übereinstimmung, Geschlossenheit und Macht der gesellschaftlichen Sanktionen, auf denen die Bewahrung der überkommenen Institutionen beruht hatte. Die Prägung der Bedingungen, unter denen Rechte wahrgenommen wurden, lockerte sich, die Abwehrmittel wurden allmählich verschlissen, es erweiterten sich die Handlungsspielräume und die Summe der Übertretungen. All diese Prozesse aber sind zwar zu beobachten oder zu erschließen, jedoch in ihrer Auswirkung kaum genauer zu erfassen. Mit Korruption54 und schwachen politischen Organen kann ein Gemeinwesen, wie man weiß, längere Zeit

leben.

Die eigentliche Dynamik erhielt der Prozeß der Krise auf dem Hintergrund solcher und ähnlicher Aufweichungen in einem anderen Zusammenhang, nämlich im Kampf der Senatsoligarchie gegen Politiker, die sich mit großen Projekten durchzusetzen versuchten. An diesen Auseinandersetzungen ist im einzelnen alles kontingent. Es wäre ganz gewiß vieles sehr anders verlaufen, wenn nicht bestimmte Männer in bestimmten Situationen auf bestimmte Weise aufgetreten wären oder gefehlt hätten und nicht verschiedene Ereignisketten zuweilen recht zufällig aufeinandergestoßen wären. Es war der respublica keineswegs verhängt, durch Caesar und in den Jahren seit 49 unterzugehen. Gleichwohl ist eine bestimmte Struktur in diesen Auseinandersetzungen wahrzunehmen, die wohl, wie auch immer, den eigentlichen Mechanismus des Krisenprozesses ausmachen mußte. Einerseits mußte die Vielfalt der Mißstände und Aufgaben mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder einzelne Politiker veranlassen, größere Projekte zu betreiben und das hieß zumeist: in größerem Stil Macht anzustreben. Andererseits sprach sehr viel dafür, daß die Senatsmehrheit sich dem mit Nachdruck entgegenstemmte. Das ist unten dargelegt worden. Mankönnte nocheiniges anfügen, umdieinstitutionellen Imperative der senatorischen Abwehrpolitik, dieinstitutionellen Chancen derer, diesie verfochten, darzulegen (vgl. o. S. XXXIX). Man könnte den Prozeß der Versteifung auf die, eben dadurch immer starrer werdende, überkommene Ordnung noch genauer nachzeichnen. Mankönnte ein Erklärungsmodell entwickeln, in dessen Rahmen dasvielfache Versagen unddiemangelnde fortune der Senatsaristokratie verständlicher würden: als Prozeß der Verengung der senatorischen Norm, des mißtrauischen Sich-Abschottens gegen neue Realitäten in der Proklamie54Dazu Gruen (wie Anm. 8) 160. Ich würde allerdings nicht so weit gehen, die Krisenhaftigkeit solcher und ähnlicher Symptome zu leugnen. Gruens Buch bildet, wie mir scheint, einen sehr wichtigen Beitrag zur Diskussion über die späte Republik. Aber er fragt nicht eigentlich nach deren Struktur. Dadurch, daß man z. B. feststellt, es seien weiterhin –oder gar, wie ich finde, mehr als vorher –nobiles gewählt worden, ist erst etwas über die Wahlchancen der nobiles, nicht schon etwas über die Macht der Magistrate oder der Nobilität gesagt. Ähnliches gilt vom Aussagebereich der anderen Abschnitte. Mit der Feststellung von dieserart Konstanten kann man kaum etwas über die Krisenhaftigkeit der Zustände aussagen, folglich diese auch nicht abstreiten.

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rung alter Väter-Art, unddasin Situationen, für die dienicht gemacht warund in denen man sie auch nicht praktizieren konnte: sozialpsychologische Auswirkungen einer Schwäche, die in der Entmutigung selbständiger Regungen, dem Beschneiden der Möglichkeiten, der Förderung von Mediokrität oder mindestens von sturer Bravheit resultieren mußten (und übrigens dadurch zum Aufstieg ungewöhnlicher Männer beitrugen, daß die, die sich dem Comment fügten, zunehmend versagten). Wichtiger wäre in diesem Zusammenhang der Versuch, das eigenartige Wechselspiel von Stärke und Schwäche des Senats eingehender zu studieren: Die merkwürdige Tatsache, daß man ihm allgemein die Verantwortung für das Ganze der res publica zusprach, daß aber eben die, die das taten, zumeist auch an den Mißständen und der regelmäßigen Schwäche des Senats interessiert waren. So kam es denn mit einiger Notwendigkeit (zum Teil auf Grund der Abfolge der Generationen) immer wieder zu demVersuch, die Zügel anzuziehen, der dann so oft mit neuen Niederlagen und Schwächungen endete. Insgesamt, um alle weiteren Einzelheiten zu übergehen, war im Senat ein starkes Potential vorhanden, das auf Selbstgewißheit, starre Verteidigung des Überkommenen und damit auf immer neue Konflikte mit denen, die sich der ausneuer Realität erwachsenden Forderungen annahmen, hinwirkte. Auf der anderen Seite konnte sich eben wegen der allgemeinen Verhaftung im Überkommenen keine Sache bilden, in der diese Forderungen sich zur Geschlossenheit hätten massieren können, um die Grundsätzlichkeit eines Angriffs gegen das Bestehende zu gewinnen. Man kam offenbar gar nicht auf die Idee, daß eine neue Ordnung fällig war. Was diese Konstellation für die Rolle von Außenseitern wider Willen wie Pompeius, was für die von mutwilligen Außenseitern wie Caesar bedeutete, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Gerade die unsachlich-persönliche „Sache“Caesars, die causa, die keine causa hatte (Cicero ad Atticum 7,3,5), weist auf das gänzliche Fehlen einer Objektivierung und „Prinzipialisierung“der Gegnerschaft gegen das Bestehende hin. Man könnte aber auch anso offenen, sensiblen, phantasievollen Männern wieClodius, Curio und Cicero zeigen, wie es ihnen auf Grund dieser Alternativlosigkeit an Position, Richtung und Realisierungschancen fehlte und wie auch sie die Krise förderten respektive an ihr scheiterten, anstatt irgendwie zuihrer Verarbeitung beizutragen. Doch waren das nur Symptome. Mangels solcher Alternative wurde die bestehende Ordnung allmählich vernichtet, ohne daß sie verneint worden wäre. Sie wurde zerrieben im heftigen Austrag von Gegensätzen. Wenn diese sich auch inhaltlich nicht auf die bestehende Ordnung erstreckten, so taten sie es in ihren indirekten Auswirkungen. Wenn die neuen, nicht zu integrierenden Kräfte keine Alternative bildeten, so störten sie doch das Funktionieren des alten Systems erheblich. Das senatorische Monopol auf wichtige Entscheidungen wurde im Endeffekt immer weiter aufgeweicht, die wichtigsten verfassungsmäßigen Abwehrmittel wurden ver-

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schlissen, die Voraussetzungen für die sinngemäße Handhabung der verfassungsmäßigen Rechte schwanden, die Spielräume des Handelns wurden stark erweitert, vor allem verlagerte sich zunehmend Macht auf Große Einzelne. Gerade indem der Senat ständig die Verfassung verteidigte, ohne daß sie angegriffen worden wäre, nötigte er Männer wie Pompeius und Caesar, sich eine Position neben und gegen ihn aufzubauen. Bis auf diesen, mindestens von Pompeius ursprünglich so nicht gewollten, Vorgang entstand der ganze Prozeß aus der Kumulation nichtintendierter Nebenwirkungen. Ja, selbst bei der Verlagerung der Macht auf Große Einzelne ist es in allen Fällen bis Augustus fraglich, ob sie um einer neuen Ordnung willen geschah, also in Hinsicht auf den Niedergang der res publica nicht ebenfalls eine nichtintendierte Nebenwirkung war. Wenn Caesars Adoptivsohn, der spätere Augustus, zuletzt unverkennbar eine neue Ordnung anstrebte, so hat er diese Problematik lange wohlweislich im Vorhof der Politik belassen. Es entstand, um es zu wiederholen, bis in seine Zeit keine Sache gegen das Bestehende, wenn man darunter einen Anknüpfungspunkt für zahlreiche Interessen im Sinne einer Ausweitung des Interessenhorizonts versteht. Man könnte sich freilich fragen, ob die Begründung der Monarchie, die unsachlich“ letztlich die Lösung brachte, nicht notwendig persönlich, also „ hätte erfolgen müssen55. Allein, wenn Monarchien zur legitimen Alternative werden sollen, müssen sie sich wenigstens mit Sachen verknüpfen und an ihnen versachlichen. So war es auch bei Augustus, der schließlich die Problematik des Gemeinwesens neu definierte, indem er neben dem defendere das curare in den Vordergrund schob: Wo der Senat als wichtigste Aufgabe die Verteidigung der alten respublica bestimmt hatte, machte Augustus es evident, daß sie in der Fürsorge für deren Probleme bestand. Nicht zuletzt war das Bedürfnis nach Frieden, Ruhe und rechtlicher Ordnung zu besorgen. Freilich vermochte der erste Princeps sich dabei zugleich in die Rolle desVerfechters der alten Ordnung einzuschleichen und den Senat unter neuen Vorzeichen gleichsam auch in Konservativität zu überholen. Es ist hier nicht der Ort, um zu fragen, warum erst Augustus und nicht schon Caesar die Alternative zum Überkommenen schaffen konnte; wie weit die Verlängerung des Zermürbungsprozesses durch 15 weitere Jahre des Bürgerkriegs und der Not die Voraussetzungen für ihn schuf; und wie weit es seine persönliche Leistung war, in günstiger Situation binnen relativ kurzer Zeit soviel Erwartungen auf sich zu konzentrieren und dann allmählich (nicht zuletzt dank langer Lebenszeit) für das Prinzipat zu institutionalisieren. Wichtig ist jedenfalls, daß sich die Alternative in Rom erst nach sehr langer Krise bildete. Und dazu hat gewiß entscheidend beigetragen, daß es in Rom kein starkes Bedürfnis nach staatlicher Effizienz gab, daß im Gegenteil –kon55Die Frage nach der Sache ist zwar modern, aber nicht unangebracht. Daß man sie auch schon in der Antike stellen konnte, zeigt das oben angeführte Cicero-Zitat.

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zentriert im Senat, aber in irgendwelcher Weise auch in der wohlhabenden Schicht –eine republikanische Identität vorhanden war, die sich so leicht nicht aufgeben konnte. Was auch immer Augustus an Ersatzlösungen bot und wie sehr er gerade breiteren Schichten der Ritter (und Italiker) neuerdings teilgab an politischen Ehren und Rechten, bei einer so stark auf den Senat ausgerichteten Bürgerschaft bedeutete sein Regime trotz aller Vorteile, die es bot, in einem entscheidenden Punkt auch Verzicht. Neben diesen Ergänzungen der unten vorgebrachten These in Hinblick auf das römische Beispiel sollte aber mit Nachdruck hervorgehoben werden, daß der Typ der Krise ohne Alternative relativ allgemein zu verstehen ist. Auch bei unsicheren und umstrittenen Führungsstrukturen und auch beim Vorhandensein zahlreicher sachlicher und evtl. sogar recht prinzipiell formulierter Einwände gegen das Bestehende ist vermutlich eine Krise solchen Typs möglich. Maßgebend für sie ist nur dies: Die Konstellationen, in denen in dem betreffenden System gehandelt wird, müssen derart sein, daß normalerweise erwartbares Handeln eine virulente Krise antreibt, ohne daß es möglich wäre, diese Konstellationen ihrerseits zum Gegenstand breiten Änderungswillens, das heißt schließlich politischen Handelns zu machen. Diese Beschaffenheit der Konstellationen führte dazu, daß die Vertretung vonnaheliegenden Interessen im Effekt in Kollision geriet mit demWunsch, das bestehende System zu erhalten. Wer etwa systemgerecht nach Maßgabe seiner Verpflichtungen handelte, mußte unter den Umständen der späten Republik im Jahre 60 Caesar zum Consul wählen. Wer bestimmte drängende Aufgaben lösen wollte, gewann dabei unter diesen Umständen so viel Macht, daß er gefährlich wurde, zumal der Senat seine Norm verengt hatte, also in Versuchung war, auch weniger ungewöhnliche Männer sich zum Gegner zu machen und ihnen dann nicht die Waage halten konnte. Diese im ganzen sinnlose Kollision war im einzelnen sinnvoll, indem sie sich aus den unter den gegebenen Konstellationen durchaus sinnvollen Handlungen der verschiedenen Politiker und Gruppen der Bürgerschaft ergab. Das führt zur letzten Frage in diesem Zusammenhang: derjenigen nach der Kapazität dieses spätrepublikanischen Systems. Was den Krisenprozeß angeht, sollte jedenfalls so viel deutlich geworden sein: Die Feststellung seiner Alternativlosigkeit bedeutet für Rom nicht nur, daß lange kein breiterer Kreis als Träger einer Reform zur Verfügung stand (was man schon lange wußte) oder daß es für eine Monarchie lange kaum Anhaltspunkte gab (was auch schon seit einiger Zeit in der Forschung bekannt wird), sondern daß wir es hier mit einem besonderen Krisentyp zu tun haben, der sich als eigenartiges Verhältnis von Mutabilität und Kontroversität oder von Prozessualem und Politischem fassen läßt und bestimmte Eigenschaften aufweist. Man sollte das Verständnis für historischen Wandel nicht nur einerseits in der Abfolge des Geschehens und andererseits von bestimmten Ursachen

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her versuchen. Vielmehr sollte es möglich sein, verschiedene Weisen des Veränderungsvollzugs zu unterscheiden, mithin das Problem der Veränderung allgemeiner anzufassen.

c) Zum Problem derpolitischen Kapazität Unter politischer Kapazität sollte man ganz allgemein die Fähigkeit eines Systems verstehen, politisch angemessen auf alle Anforderungen zu reagieren, die der gemeinsamen Behandlung bedürfen. Dazu gehört nicht zuletzt die Anpassung des politischen Systems an Veränderungen, sofern es dieser Aufgabe anders nicht gerecht werden kann. Dieser letzte Aspekt interessiert hier. Es stellt sich hier also angesichts wichtiger, die Ordnung in Mitleidenschaft ziehender Prozesse die Frage, wie weit die Kapazität des betreffenden Systems ausreicht, um die Konstellationen selbst, aus denen processualiter mit Veränderungswirkung gehandelt wird, zum Gegenstand politischer Entscheidung zu machen. Es müßte dann soviel Macht an einer Stelle versammelt werden können, um Institutionen welcher Art auch immer einzuführen, die es erlauben, die Gesamtheit der Handlungen und Prozesse innerhalb einer Gesellschaft einer wie auch immer gearteten, von dieser Gesellschaft respektive einer Mehrheit in ihr gewollten Ordnung wieder konform zu machen. Die Problematik, um die es hier geht, ist verwandt mit der der „Regierbarkeit“56, wenn denn diese ebenfalls eine breite Machtbasis voraussetzt, die es ermöglicht, bestimmte Lösungen erfolgreich und kräftig anzustreben. Freilich greift die Kapazitätsfrage, wie sie hier interessiert, tiefer. Dabei ist zu betonen, daß die Fähigkeit eines Regimes, hier und dort Reformen anzubringen, nicht gleichbedeutend ist mit der Gegebenheit solcher Kapazität. Eben die Reformen können das Institutionengefüge (im weiteren Sinne des Wortes) ja so stark belasten, daß es nur unbeweglicher wird oder auch stärker gestört, so daß seine Fähigkeit zur Erneuerung eher abnimmt. Livius hat für diesen Tatbestand im Hinblick auf die späte Republik die kurze Formel geprägt: nec vitia nostra nec remedia pati possumus57.

Das Problem der Kapazität kann man sehr verschieden zu beschreiben suchen. Man kann von unzulänglichen Institutionen, fehlender Einsicht, zu enger Basis, mangelndem Integrationsvermögen und vielem anderen sprechen. Das bleibe dahingestellt. Hier geht es vor allem darum, daß ein bestimmter Machtbedarf unbefriedigt bleibt, nämlich nach Macht nicht nur in den, sondern über die Verhältnisse. Dies wiederum ist ein Problem der Gruppierung der Kräfte. In Romkonnte das an sich vorhandene allgemeine Interesse an der Erhaltung der res publica nur im Ernstfall zur Geltung gebracht werden, beim senatus consultum ultimum58. 56Dazu s. den Anm. 37 genannten Regierbarkeitsband, samt Bd. 1. 57Weder die Gebrechen noch die Heilmittel ertragen wir mehr. 58Vgl. dazu jetzt J. von Ungern-Sternberg, Untersuchungen zum spätrepublikanischen

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Viele, diein der Verfolgung ihrer eigenen Ansprüche ständig Dinge taten, deren Nebenwirkungen sich zur Schwächung der überkommenen Verfassung kumulierten, konnten dann für den Senat ins Spiel gebracht werden. Aber das half ihm nur vorübergehend; und wie weit es der Republik half, ist sehr die Frage. Hinterher waren die Dinge meist schlimmer als vorher. Der eigentliche Mangel an Kapazität bestand darin, daß keine Macht vorhanden war, die das Ganze der bedrohten Ordnung erfolgreich verfechten oder ein neues Ganzes direkt anstreben konnte. Daraus resultierte die Wehrlosigkeit dieser Gesellschaft gegenüber dem, was sie anrichtete, wenn ihre Angehörigen unter ihren speziellen Handlungskonstellationen dastaten, wasMenschen immer tun: nämlich ihre Pflichten und Interessen wahrnehmen, ihr Leben sichern, ihren Unterhalt verdienen, ihre Lebensumstände verbessern, die ihnen sich bietenden Möglichkeiten auszuschöpfen trachten, sich auszuzeichnen suchen, verwalten, Politik machen, reformieren, Gegner bekämpfen, nach Macht streben. Die Frage, wie die Kapazität einer Gesellschaft allgemein genauer gefaßt werden kann, wird erst nach vergleichenden Untersuchungen größeren Stils zu beantworten sein. Manwird jedenfalls ausgehen können von einer Grundunterscheidung: Ob die Alternative sich durch Verbreiterung oder durch Verengung der Verfügung über politische Macht bildet, modern gesagt: durch Veränderung in Richtung Demokratisierung oder in Richtung auf Oligarchie oder Monarchie (wobei von der Problematik der streckenweisen Konvergenz dieser Richtungen abgesehen sei). Im Falle der breiteren Alternative ist für die Neugruppierung der Macht, das heißt weithin der Interessen, wieschon angedeutet, ein „Universalisierungspotential“maßgebend, also die Fähigkeit, neue allgemeinere Interessen gegen die Partikularinteressen hervorzutreiben und in kräftigen Zusammenhängen zu befestigen. Schließlich gilt es, das gemeinsame Nebeninteresse an der allgemeinen Ordnung gegen die verschiedenen viel näherliegenden Spezialinteressen stark zu machen. Dazu gehören zunächst Einsichten, Ansprüche und Positionen, von denen her diese zu entwickeln sind; sodann organisatorische Möglichkeiten als Kristallisationspunkte für neue Gruppierungen; schließlich eine irgendwie geartete Verwandlungsfähigkeit der gesellschaftlichen Identität. Denn bloße Einsichten und Ansprüche an eine wünschbare neue Ordnung bleiben leicht akademisch, und organisieren kann man nur Kräfte, die mindestens potentiell schon vorhanden sind. Diese potentielle Kraft aber muß in irgendeiner Weise aus der Verwurzelung und Stabilisierung der Einsichten und Positionen im gemeinsamen „Selbstverständnis“breiter Schichten –über die gewohnten Zugehörigkeiten hinweg59 –erwachsen. Damit ist, ohne daß ich das Notstandsrecht. München 1970. Ch.Meier, Ciceros Consulat. In: G. Radke (Hrsg.), Cicero, ein Mensch seiner Zeit. Berlin 1968. 61 ff. Ernstfall (wie Anm. 18). 59Vgl. zu dieser Problematik einstweilen meinen Aufsatz Die Politische Identität der Griechen. In: O.Marquard/K. Stierle, Identität. München 1979. 371 ff.

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schon genauer beschreiben könnte, die gesellschaftliche Identität irgendwie berührt. Deren Wandel muß in einer Umschichtung bestimmter Komponenten bestehen. In Rom war die Möglichkeit, überhaupt nur Einsicht in die Krise oder in die Voraussetzungen einer neuen Ordnung zu gewinnen, denkbar gering. Zur herkömmlichen gewachsenen Verfassung gehörte eine besonders dichte Wirklichkeitsverhaftung, die kaum auch nur Distanz zum Gegebenen zuließ. Unter den höheren Schichten gab es offenbar keine Positionen, von denen her grundsätzlich Unzufriedenheit mit dem Bestehenden hätte entwickelt werden können, und auf dieniederen Schichten ließ sich eine neue Ordnung nicht bauen. Anders kann es nur bei den Großen Einzelnen gewesen sein, die aus welchen Gründen immer eine Sonderstellung und zuletzt die Monarchie anstrebten: Dort konnte das persönliche Interesse mit dem an der Bewältigung der Krise zur Deckung kommen. Das war eine gute Voraussetzung zu neuen Einsichten; aber es ist schwer zu sehen, wie weit die verschiedenen Machthaber wirklich die Krise begriffen undwieweit sie nur von Fall zu Fall das Notwendige taten, so gut es ging, und auch das oft nur, indem sie ihr eigenes, freilich im günstigen Fall wohlverstandenes, mit dem des Ganzen verwobenes Interesse im Auge hatten. Immerhin muß mindestens Augustus gewußt haben, wie er den verschiedenen Teilen der Bürgerschaft und dem Herrschaftsbereich gerecht werden konnte. Die beschränkten Einsichtsmöglichkeiten der spätrepublikanischen Römer sind dabei nur besonders starke Ausprägungen einer bestimmten Verhaftung der gesamten klassischen Antike im Gegebenen. Bei allen Unterschieden nämlich zwischen Römern uudGriechen gab es damals in Hinsicht auf die Struktur der Gemeinwesen keinen Erwartungshorizont über eine gewisse Verbesserung der eigenen politischen Stellung bestimmter Schichten hinaus. Man kannte nicht die abstrakten Überhöhungen von Zielsetzungen im Namen eines Ganzen, die in der neuzeitlichen Geschichte trotz aller möglichen Parteilichkeit gerade dort eine gewisse Evidenz hatten, wo sich Alternativen zum Bestehenden bildeten. Damit stieß die Zielsetzungskapazität an eine Grenze, sobald die Anteile der potentiell mächtigen Schichten an den politischen Rechten gesichert waren. Bei aller Ausweitung des Verfügungsspielraums, bei aller Verfassungserkenntnis, die wenigstens die Griechen erreichten, wurde in politicis nirgends die Schwelle überschritten, jenseits derer der vorhandene Stand an Möglichkeiten von Ordnung nur als vorläufig verstanden und Erwartungen auf eine ganz andere, bessere Zukunft produziert werden können. So war auch der für NeueÜberholtheit“oder „Überrungen grundsätzlich so hilfreiche Gedanke der „ lebtheit“einer noch bestehenden Ordnung nicht denkbar. Undschon gar nicht gab es die temporale Argumentation mit dem Neuen60. Die antike gesellschaftliche Identität war bei Griechen wie Römern, wenn 60Die Griechen kamen gelegentlich wenigstens in die Nähe dieser Schwelle, s. Entstehung (wie Anm. 16) 435 ff.

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auch in recht verschiedener Weise in Bürgergemeinden institutionalisiert worden, überschaubaren, relativ unvermittelten Formen der Teilhabe am politischen Ganzen. Rom hatte diese Identität zwar stark überdehnt, aber niemals durch eine nationale, das heißt vermittelte, die Einwohnerschaft großer Gebiete umfassende Identität abgelöst. Es war in der Antike zwar möglich, daß die Teilhabe der Bürger am Gemeinwesen mehr oder weniger in bestimmten Schichten oder Ständen konzentriert war. Allein, es gab nie die Scheidung von Staat und Gesellschaft mit all ihren Spezialisierungen, die durch die nationale Identität überwölbt werden (oder wurden). Denn die Spezialisierung, die Auffächerung der Gesellschaft in relativ eigenständige Sektoren, die inneren Distanzen und als Komplement dazu eine nationale Identität scheinen mir zusammenzugehören. In der Antike dagegen war die gesellschaftliche Identität in der Regel dadurch bestimmt, daß die Bürger, die das Gemeinwesen trugen, dies gerade als Bürger taten, das heißt unter stärkster Betonung ihrer gemeinsamen Bürger-Eigenschaft und unter Vernachlässigung oder sehr geringer Ausbildung von Spezialisierungen (die nur in ein relativ abstraktes Ganzes einzufangen gewesen wären). Indem in der Antike das Ganze von konkreten, handfesten, nicht relativierbaren Teilen, den Bürgern, ausgemacht wurde, war politische Ordnung dort eher Sein als Aufgabe oder Mittel. Man gewann nicht den Abstand, um das Ganze so umfassend zu begreifen, daß die politische Ordnung als Teil, als äußerlich erscheinen konnte. Das Ganze war so wenig abstrakt und fern, daß man sich nicht so leicht ihm gegenüber, von ihm abhängig fühlen und folglich ihm auch nicht mit so hohen Erwartungen begegnen konnte (die dann ideologisch auch noch ihre Partikularität verschleiern können). Auf Grund der mangelnden Ausgliederung eines eigenen wirtschaftlichen Bereichs konnte auch das Ideal der efficiency kaum aufkommen. Unzählige Aufgaben etwa der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Bildungspolitik stellten sich gar nicht. Selbst die Gewährleistung der öffentlichen Ordnung wurde zumguten Teil von den Bürgern selbst erledigt. Schließlich gab es auch keine organisatorischen Möglichkeiten als Kristallisationspunkte für die Bildung einer breiteren Alternative. Das Fehlen des Gedankens an eine Repräsentativverfassung (abgesehen von Städtebünden) ist offensichtlich nur Ausdruck der Tatsache, daß man über die Bürgergemeinde hinaus einen politischen Zusammenhang breiterer Schichten nicht herstellen konnte. Dasmußdie Kehrseite derrelativ konkreten, engen gesellschaftlichen Identität gewesen sein. Breitere Alternativen gab es daher nur in Gemeindestaaten. Insofern war das Universalisierungspotential völlig überfordert angesichts der Größe der Probleme und schon der Größe des Raums in der spä-

ten Republik. Das Endergebnis dieser Überlegungen ist, um das in Parenthese anzufügen, für keinen Kundigen überraschend: Es kam nur die Monarchie als Lösung in

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Frage. Insofern bieten sie demAlthistoriker nichts Neues. Sie sind sinnvoll nur, wenn man den Vorgang von außen, das heißt von der Gegenwart her betrachtet und die Besonderheit Roms von allgemeinen Kategorien her zu begreifen (und vergleichbar zu machen) sucht. Die Frage, welche Kapazität die Monarchie als die andere denkbare Alternative voraussetzt, reicht über den Themenkreis dieses Buches hinaus. In Hinsicht auf die Identität ging es eher um Abbau und Schwächung. Wohl haben die Principes sich gern und immer weitergehend auf Angehörige von Schichten und Völkern gestützt, die noch nicht zum Senatsadel gehörten (respektive herangezogen worden waren). Aber so sehr diese ihnen gute, verläßliche Beamte stellen mochten, so sehr blieben sie doch ebenfalls auf die alten Adelsideale fixiert. Im ganzen ging es darum, vom neuen Machtzentrum her allmählich und unter zahlreichen Zugeständnissen Widerstände abzubauen und neue Einsichten, Maßstäbe in der gesamten Bürgerschaft zur Geltung zu bringen. So konnte sich die neue Ordnung allmählich legitimieren, gestützt auf eine Macht, deren Voraussetzungen in der späten Republik entstanden, die eigentliche Alternative aber erst schaffend, als diese Macht schon da war, und auch dann noch unter dem Mantel einer res publica restituta.

EINLEITUNG Wenn Cicero seit dem Januar des Jahres 60 v. Chr. immer wieder klagte, die respublica sei verlorengegangen (amissa), zugrunde gerichtet (adflicta) oder nicht vorhanden (nulla)1, so meinte er damit nicht den „Untergang der römischen Republik“. Denn erstens hieß res publica damals nicht „Republik“ 2, sondern es bezeichnete, sofern es auf Rom angewandt wurde3, den Staat, wie er seit Jahrhunderten bestanden hatte und anders als in der überkommenen Form gar nicht denkbar war. Zweitens glaubte man nicht an die Möglichkeit einer grundlegenden Veränderung. Man kannte für Rom nicht die Alternative zwischen verschiedenen Staatsformen, sondern nur zwischen Staat und Unstaat, und da es schwer war sich vorzustellen, daß Rechtlosigkeit und UnordZur Zitierweise: Mommsens Staatsrecht ist regelmäßig nach der letzten Auflage, (= 3. Aufl. von Bd. 1 und 2, 1. von Band 3, alles 1887), Mommsens Römische Geschichte nach der 13. Auflage (1921–1923), die Cicero-Scholien sind nach der Ausgabe von Stangl zitiert worden. Ungebräuchliche Abkürzungen: Badian, FC = Foreign Clientelae (264 –70 B. C.), Oxf. 1958. GCG = A. H. J. Greenidge and A. M. Clay, Sources for Roman History 133 –70 B. C. Second Edition revised by E. W. Gray. Oxf. 1960.

1 Cic. Att. 1,18,6 (amissa re publica, vgl. 3: adflicta). Q. fr. 1,2,15 (rem publicam funditus amisimus). pop. grat. 6 (res publica ... ea, quae paene amissa est). Att. 4,18,2. rep. 5,2. Att. 9,5,2. off. 2,29. Die Wendung begegnet schon bei Naevius (cedo, qui vestram rem p. tantam amisistis tamcito?Cic. Cato maior 20). –adflicta noch: fam. 2,5,2 (etoppressa). Att. 8, 11 D 6. –nulla: de or. 1,38. Q. fr. 3,4,1. 5,4. fam. 9,9,3. off. 1,35. parad. 28. –Ferner: res p. labens et prope cadens (Phil. 2,51. vgl. sen. grat. 18. off. 2,45). deleta (Sest. 33. Att. 9,19,2). violata (ebd. 7,17,2. vgl. Sest. 78), infirma, misera, commutabilis (Att. 1,17,8), senescens magis quam acquiescens (Q. fr. 2,14 [13], 5) rei publicae paene extremis temporibus (Cael. 70. vgl. Sall. Cat. 52,11). Vgl. Vogt, Ciceros Glaube an Rom 50,76. 2 Erste Belege dafür Tac. hist. 1,16,1. 50,3. ann. 1,3,7 (vgl. R. Stark, Res publica. Diss. Gött. 43 ff.). Die geistreichen Bemerkungen Dornseiffs (Serta Kazaroviana 1 [Sofia 1950] 281 ff.), nach denen res publica diese Bedeutung schon im Jahre 44 gehabt habe, scheinen in zeitgebundener Absicht übers Ziel hinausgeschossen zu sein. 3 Im Wortgebrauch spiegelt sich dies nicht deutlich, da res publica zugleich allgemein „ Staat“heißt (und in der Theorie wie für auswärtige Staaten dann auch Monarchien und Demokratien bezeichnen kann: W. Suerbaum, Vom ant. z. frühmittelalterl. Staatsbegriff, 1961, 16 ff.). Interessant ist es, den Sprachgebrauch in Bezug auf Caesars Dictatur zu beobachten, vgl. z. B. Cic. fam. 4,4,4. 10, 1,1. 6,2,2. Dolabella ebd. 9,9,3. Cic. Phil. 2, 118: bald hat res publica nur den allgemeinsten Sinn staatlicher Behausung, bald wird die Bezeichnung ausdrücklich dem Unstaat Caesars versagt. 1 Meier

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nung künftig auf immer herrschen sollten, konnte nur äußerste Hoffnungslosigkeit zu der Annahme führen, daß die res publica endgültig dahin sei. So weit hat auch Cicero –von wenigen dunklen Momenten vielleicht abgesehen –im Ernst nicht gehen wollen4. Res publica amissa est bedeutete daher nur, daß auf kürzere oder längere Zeit wesentliche staatliche Funktionen ganz oder teilweise aussetzten, daß der Staat also der sehr hohen Norm, die ihm gesetzt war, nicht entsprach. Angesichts dieser Norm konnte man, wenn man im Ausdruck nicht sparen wollte, in solchen Situationen wirklich feststellen, daß die respublica verschwunden oder zerstört sei. Andererseits waren jedoch noch alle Institutionen des tausendfach bewährten, unendlich erfolgreichen5 Staates der Vorfahren in Übung, die res publica war also trotz allem noch vorhanden. Sie litt, genau besehen, nur an einer Krankheit, einer Krisis6, und das Schlimmste, was man über deren Ausgang sagen konnte, war, daß er ungewiß sei. Die Geltung der ciceronischen Aussagen wird im einzelnen dadurch beschränkt, daß ihr Autor aus übergroßer Reizbarkeit und Idealismus die Dinge oft über Gebühr dramatisierte. Immerhin gibt uns aber die Haltung der maßgebenden unter denprincipes –die Resignation der einen und die krampfhafte Verbissenheit der anderen –zu erkennen, daß Cicero im Grunde mit seinem Urteil über den Verlust an staatlicher Substanz und die Krankheit der res publica nicht allein stand. Er liefert, aufs Ganze gesehen, vermutlich seismographische Aufnahmen einer Erschütterung, deren stärkere Äußerungen von den meisten wahrgenommen wurden. Auch ist anzunenmen, daß schon die Generation, die um das Jahr 90 die römische Politik bestimmte, einen geschärften Sinn für die erhöhte Gefährdung der überkommenen Ordnung besessen hat. Daß die res publica verlorengegangen, das heißt: daß eine schroffe Diskrepanz zwischen Norm und Wirklichkeit zu ihrem wesentlichsten Merkmal geworden sei7, ist also der späte, gesteigerte Ausdruck eines schon älteren, weiter verbreiteten Gefühls. 4 Vgl. z. B. Att 1,18,2: necesse est res Romanas diutius stare non posse (dazu aber: Verr. 2,1,20: ... populus R. iudicaret isto absoluto rem p. stare non posse. Ähnlich Sull. 76. Val. Max. 8,5,4). Wirklich verzweifelte Stimmung z. B. Att. 4,8 B, 2 (56). fam. 7,13,1. 7,28,3 (46). Dagegen auch: res p. quae in perpetuum iacere non potest, necessario revivescat atque recreetur (ebd. 6,10,5 vgl. 12,4; ebenfalls 46). 6,2,2 (45). Bezeichnend die Prognose aus dem Jahre 55: de toto statu rerum communium..: sunt quidem certe in amicorum nostrorum potestate, atque ita, ut nullam mutationem umquam hac hominum aetate habitura res esse 5 Polyb. 1,2. videatur (fam. 1,8,1). 6 Vgl. die zahlreichen medizinischen Metaphern, die man damals für die Konstitution des Staates und seine Behandlung gebrauchte. Zum Beispiel: Cic. Sull. 76. Att. 1,18,2. 2,1,7. 9,5,2. Vgl. auch fam. 5,13,3, ferner u. S. 304, sowie Sall. Cat. 36,5. Cic. div. in Caec. 70. Allg.: Klaus Weidauer, Thukydides u. d. hippokr. Schriften 1954. Für die Übertragung des Begriffs der Krise aus dem Medizinischen in das Politische (im England des 17. Jh.) vgl. R. Koselleck, Kritik und Krise, Freiburg/München 1959, 211, 124. 7 Vgl. dazu Cic. Att. 4,8,2: Amisimus ... omnem non modo sucum ac sanguinem sed

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Fragt man nun nach den Ursachen der großen Krise, so findet man bei Cicero und seinen Zeitgenossen außer Hinweisen auf die Wirkung besonderer Ereignisse und Männer nur die eine Antwort, daß die römische Moral zerrüttet sei. Heute dagegen sieht man im Sittenverfall eher ein Symptom und meint – , die tiefe Kluft zwischen den gemeindewiees schon Montesquieu getan hat8 – staatlichen Formen der Verfassung und der Wirklichkeit des weltweiten Herrschaftsbereichs habe den Fortbestand der römischen „Republik“auf die Dauer ausgeschlossen. Trotz größter Veränderungen in Gesellschaft und Herrschaftsbereich hatte Rom seine alte aristokratisch geprägte, auf einen kleinen Gemeindestaat zugeschnittene Verfassung und Denkweise beibehalten. Die tanta et tamfuse lateque imperans res publica9 wurde von einer kleinen erblichen Aristokratie mit dem Senat als zentralem Regierungsorgan und ganz wenigen jährlich wechselnden Magistraten regiert. Obwohl die Bürgerschaft am Ende alle Italiker umfaßte, blieben die Wahlen der Magistrate und die Abstimmungen über Gesetze an Rom gebunden. Obwohl eine breite wohlhabende Bourgeoisie herangewachsen war, die mit der Zeit gute Möglichkeiten auch zu politischer Einflußnahme gewann, blieb die römische Gesellschaft durchwaltet von adelsstaatlichen Nahund Treuverhältnissen, die weiterhin als einzige regelmäßige Möglichkeit der Vertretung galten. Zugleich erlag dieAristokratie zunehmend denVersuchungen der Macht unddes Reichtums, so daß ihre alte straffe Disziplin sich bedenklich lockerte; Korruption undallerhand Mißstände breiteten sich aus; undandererseits konnten sich die verschiedensten Interessen mit Hilfe der Volksversammlung gegen den Senat durchsetzen. Mit dem Schwinden der alten Moral und der Integration der Gesellschaft verlor eben die technisch erstaunlich primitive Verfassung die Voraussetzung ihres sinngemäßen Funktionierens. Trotzdem ist es zu keiner gründlichen Änderung, zu keiner Neugründung gekommen. Ansätze zu Reformen blieben vereinzelt, wirkten nur an der Oberfläche undhaben die Lage oft verschlimmert. Endlich gewann das Machtstreben der kräftigsten Persönlichkeiten in den stehenden Armeen ein neues höchst gefährliches Instrument. Denn die Berufsarmeen, die sich jetzt bildeten, waren innerlich zu etiam colorem et speciem pristinam civitatis. nulla est res publica quae delectet, in qua acquiescam. rep. 5.2: rem publicam verbo retinemus, re ipsa vero iam pridem amisimus. –Sehr anschaulich ist die Formel, in der Cicero einmal die Labilität der res publica ausdrückt: fuit quondam ita firma haec civitas et valens, ut neglegentiam senatus vel etiam iniurias civium ferre posset. iam non potest (har. resp. 60). –Interessant für den Begriff der res publica ist, daß diese ihre Qualität dauernd wechselt. Ihre „Verfassung“(status) ist wie die eines Lebewesens stets anders. Z. B.: qualem Kalendis Januariis acceperim rem p. (Cic. leg. agr. 2,8.

vgl. fam. 1,9,12). dom 84. fam. 1,7,10. 5,18,1. Att. 1,16,6. Q. fr. 1,2,15. Planc. 94. Verr. 2,1,18. u. v. a. Grundsätzlicher ist der Terminus im Gutachten der haruspices i. J. 56 gemeint: ne rei publicae status commutetur. 8 Betrachtungen über die Ursachen von Größe und Niedergang der Römer, Übers. v. L. Schuckert, Bremen 1958, 73 ff. 9 Cic. rep. 5,1 (vgl. Rosc. Am. 50). 1*

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wenig mit der respublica verbunden, um nicht in der Hand befähigter Soldatenführer auch gegen den Senat und den Staat eingesetzt werden zu können. Daher konnten die inneren Konflikte –die es in der römischen Republik, wie schon Montesquieu gesehen hat10, immer geben mußte –bedrohliche Ausmaße an-

nehmen. Es war also kein Zufall, daß es zu blutigen Bürgerkriegen kam, daß, sobald Rom einmal stärker mit sich beschäftigt war, schwere äußere Krisen sich anschlossen und daß dann –mittelbar oder unmittelbar aus der Bewältigung dieser Krisen –einzelne große Herren mächtig wurden, die sich aus der Gleichheit des Adelsstandes emanzipierten und zuletzt mehr vermochten als der Staat. Doch auch darin sah die Mehrheit der Bürgerschaft keinen Einwand gegen das Überkommene, sondern eher den Anlaß, sich noch fester und enger daran zu klammern. Warum aber hat man die alte Ordnung angesichts der so stark verwandelten Aufgaben und Zustände nicht verändert? Wie war es möglich, daß sie über so viele Erschütterungen und Manifestationen des Ungenügens hinweg so lange hielt und als die einzig wahre, rechtmäßige, mögliche verstanden wurde? Daß die Bürgerschaft –von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen –im Ganzen oder in Teilen nie unzufrieden mit dieser Verfassung gewesen ist? Irgendwie müssen die staatlichen Verhältnisse auch der späten Republik dann doch den Anforderungen der Bürgerschaft noch entsprochen haben. Andererseits haben die Institutionen des Gemeindestaats mindestens bis in die Mitte des zweiten Jahrhunderts den Bedürfnissen eines großen Reiches noch einigermaßen gerecht werden können. Es fragt sich also, wie die alte Verfassung in der späten Republik funktionierte, das heißt, wie sie sich bei aller Bewahrung von Institutionen und Prozeduren innerlich verwandelte, um der Wirklichkeit auch der späten Republik noch zu genügen. Daraus mag dann zugleich zu entnehmen sein, warum sich keine Alternative zum Bestehenden anbot. Mit anderen Worten: Es muß einmal der Versuch gemacht werden, die Verfassungswirklichkeit11 der späten Republik im Zusammenhang zu rekonstruieren. Sie kann nicht nur als eine Entartungserscheinung, sondern muß auch 10 ebd. 76 ff. 11Es könnte gefragt werden, ob dieser Begriff einer gewachsenen Verfassung wie der römischen angemessen sei. Darauf wäre sehr vieles zu antworten, hier kann jedoch der folgende Hinweis genügen: Wenn das Recht „sowohl Sein der Wirklichkeit als überwirkliches Sollen“ist (Wieacker, V. röm. Recht2 6), und wenn in einer gewachsenen Verfassung die Wirklichkeitsseite des Rechts besonders stark betont ist, so werden wichtige Teile der Wirklichkeit doch auch dort nicht einfach deswegen als ein Stück Recht empfunden, weil sie tatsächlich vorhanden sind, sondern weil man glaubt, daß sie –im Zweifelsfall, weil sie schon immer so waren –gut und recht sind. Von solcher „ normalen“Wirklichkeit kann die Wirklichkeit, wie sie hic et nunc ist, durchaus abweichen, und wenn die Quantität der Abweichung so stark geworden ist, daß sie zur Qualität wird, kann der Ausdruck „ Verfassungswirklichkeit“als Gegensatz zur Verfassungsnorm durchaus indiziert sein. Daß die Zeitgenossen es so empfanden, ergibt sich einfach daraus, daß sie von res publica amissa sprachen. Und man täte Unrecht, wenn man die Richtigkeit dieser Beobachtung bestritte.

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als ein status rei publicae verstanden werden, der bei aller Erstarrung und Labilität und bei allen unerfreulichen Zügen doch immerhin unter gründlich gewandelten und sich wandelnden Verhältnissen ein staatliches Leben ermöglichte – und vielleicht, wenn nicht die Zufälle des politischen Ablaufs dem entgegen gewesen wären, noch länger ermöglicht hätte, als es geschehen ist. Außerdem ist die Geschichte der respublica amissa zwar, aufs Ganze gesehen, sehr gut bekannt, aber auffälligerweise, wohl wegen desReichtums anQuellen, an vielen problematischen Punkten noch nicht eingehender erforscht worden. Einer großen Zahl von juristischen und philologischen Untersuchungen stehen wenige historische gegenüber, und noch dazu ist die Betrachtung der Geschichte vielfach durch eine falsche Vorstellung vonder politischen Grammatik der Zeit und meistens, bewußt oder unbewußt, durch die Kategorie „Entwicklung“beherrscht gewesen: Mindestens seit Sulla scheint die Abfolge der Ereignisse fast geradlinig auf die Machtnahme der großen Einzelnen zuzulaufen. Aber wie es dazu kam, über wie viele Wendungen hinweg sich diese Richtung einstellte, und vor allem wie Leistung und Versagen einzelner Persönlichkeiten sowie Glück und Unglück sie im einzelnen bestimmten, ist an verschiedenen wichtigen Stellen nur ungenügend gewürdigt worden. Man soll die Geschichte allerdings nicht banalisieren und auf das Niveau einer Reihe von Zufällen herunterzerren, aber es scheint sich doch erst im einzelnen und besonderen das Gesetz zu offenbaren, nach dem es auch in der Zeit zwischen Sulla und Caesar vernünftig zuging. Wenn hier nun die Verfassungswirklichkeit und das Geschick der respublica amissa in umfassendem Sinne studiert werden sollen, so braucht nicht gesagt zu werden, daß sich diesem Unternehmen große Schwierigkeiten in denWegstellen. Die überkommenen Methoden der Quellenkritik und der Rekonstruktion von Ereignissen und Institutionen (im weitesten Sinne des Wortes) reichen dafür nicht aus. Um das Ganze eines Staatswesens zu erfassen, muß man nicht nur eine weitere Entfernung zum Gegenstand einnehmen, als dies gewöhnlich geschieht, und eine gewisse Unschärfe einkalkulieren, sondern muß auch Begriffe und eine Kenntnis historischer und politischer Zusammenhänge besitzen, die nur von einer auf breitester Basis vergleichenden Wissenschaft und Theorie der Politik –die es noch nicht gibt –erarbeitet werden können; umvon den Schwierigkeiten der Darstellung abzusehen. Die vorliegende Arbeit leidet also notgedrungen unter vielen Mängeln (unter denen das Fehlen ausreichender theoretischer Grundlagen wohl der schwerste ist). Sie will und darf daher nur als ein Versuch verstanden werden, zentrale Probleme, die nicht länger übersehen oder nur in allgemeinen Überblicken behandelt werden sollten, zur Diskussion zu stellen und eine mögliche, wahrscheinliche Antwort auf sie zu geben. Da die späte römische Republik in vielen sehr bedeutsamen Beziehungen eine ähnlich extreme, nur entgegengesetzte Ausprägung von Staatlichkeit darό λ ε ις , könnte sie ein ähnlich ideales Studienobjekt stellt wie die griechischen π

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bilden. So mag die Betrachtung dieses Staates, der zugleich vorhanden und nicht vorhanden war, der trotz einer schweren Krise keine Alternative kannte, in demdie Menschen sich umso mehr an die überkommene Ordnung hielten, je mehrdiese versagte, über ihren eigentlichen Gegenstand hinaus vonInteresse sein.

* Dankbar habe ich überall die Erkenntnisse vieler Historiker, Juristen und Philologen benutzt, vor allem diejenigen Matthias Gelzers. Von dessen Entdeckungen und den darauf aufbauenden Hermann Strasburgers ist diese Arbeit ausgegangen. Sie ist in einer früheren Fassung am 28. August 1962 der Philosophischen Fakultät der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt als Habilitationsschrift eingereicht worden. M. Gelzer, H. Strasburger und besonders auch Hermann Langerbeck haben durch Kritik, Anregung und Ermunterung viel zu ihrem Entstehen und zu ihrer Verbesserung beigetragen. Auch meine Studenten, vor allem die Heidelberger, mit denen ich die meisten Materien dieses Buches noch einmal behandelte, haben die Sache durch Fragen, Widerspruch und manche Vorschläge befördert. Gertrud Flügge, Uta Schuckert, Michael Markert undOtto Behrens halfen beim Korrekturenlesen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat einen großen Zuschuß zu den Druckkosten gegeben, und dem Verleger, Herrn Franz Steiner, bin ich für vielfältiges Entgegenkommen bei der äußeren Ausstattung des Buches zu Dank verpflichtet. Nicht zuletzt aber möchte ich hier meines Lehrers Hans Schaefer undmeines Freundes Peter Sattler gedenken. Hans Schaefer hat uns –um auf ihn anzuwenden, waser über die Schule Helmut Berves sagte –angehalten, „eine strenge Methode des Ausgehens von der Überlieferung mit einer wirklich historischen .12 Er hat uns den Sinn für Staat, Recht und Fragestellung zu verbinden“ Verschiedenheit ihrer Ausprägungen in der Gegründliche für die Politik und schichte geschärft. Er hat uns etwas mitgeteilt von seiner Unruhe, von der Intensität seines Fragens undseiner Kritik, von seinem Anspruch, die Dinge in der Fülle ihrer Zusammenhänge zu begreifen. Damit ist uns ein Maß gesetzt worden, dessen verpflichtende Kraft anstrengend, aber auch befreiend sein kann; wir haben bei Schaefer vieles vondem Reiz des Abenteuers erfahren, das im Wesen recht verstandener Wissenschaft liegt. Der gemeinsamen Schule bei Schaefer verdanke ich die Freundschaft von Peter Sattler. Es ist hier nicht der Ort, den ganzen Reichtum und die Präzision seines Denkens, Wissens und seiner Phantasie und seine ungewöhnlichen Freundestugenden zu schildern. Es sei nur gesagt, daß er mir bei der Vorbereitung dieser Arbeit ein willkommener Gesprächspartner gewesen ist. Daher soll dieses Buch Hans Schaefer und Peter Sattler als ein Zeichen des Dankes und der steten Erinnerung gewidmet sein.

Basel, im April 1966 12Probleme der alten Geschichte 442.

Grundbedingungen der Verfassungswirklichkeit

der späten res publica I PARTIUM SENSUS NEBEN NECESSITUDO EINE AUFFÄLLIGE SPALTUNG DER POLITIK

Die Politik der späten res publica ist uns genauer nur für die ausgehenden 60er und die 50er Jahre bekannt. Damals hat das politische Geschehen, so will es scheinen, ganz im Banne der großen zwischen Pompeius, Caesar und ihren Gegnern geführten Auseinandersetzungen gestanden. Diese beherrschen das Bild, das uns die Quellen von den damaligen Ereignissen zeichnen; sie hatten diewichtigsten politischen Probleme derZeit zumGegenstand, wurden in ungemeiner Heftigkeit ausgetragen und zogen schließlich alles öffentliche Leben in Mitleidenschaft; und in ihnen entschied sich –welches immer die Ziele der beiden großen Machthaber gewesen sein mögen –das Schicksal der respublica. So liegt es nahe anzunehmen, daß dieser Konflikt der gesamten Politik sein Gesetz aufprägte, das heißt, daß er wie ein Kristallisationspunkt die anderen politisch wirksamen Interessen, Gegensätze etc. an sich heranzog oder doch aus der Mitte der Politik heraus maßgebend beeinflußte. Aber der Schein und die rückblickende Einsicht in die Konsequenzen des Geschehens trügen. Denn die großen Gegensätze der Zeit haben die Politik keineswegs beherrscht. Sie bildeten zwar den Gegenstand jener heftigen Auseinandersetzungen, die uns aus den Quellen als Höhepunkte der Politik so geläufig sind, undhaben auch sonst dieses oder jenes Ereignis mitbestimmt. Aber in der täglichen, regelmäßigen Politik stellten sie nur ein Thema neben anderen dar und, so unwahrscheinlich dies klingen mag, nicht das wichtigste. Denn, wie Matthias Gelzer verschiedentlich angedeutet hat, vollzogen sich weiteste und wichtigste Teile der Politik damals fast unabhängig von dengroßen politischen Gegensätzen der Zeit1. Das wird besonders sinnenfällig bei den Wahlen: Die 1 Kl. Schr. 1,164. Vgl. 68. 205. Pomp.2 120. u. A. 163,2. –Es sei gleich hier angemerkt, daß ich die Verfasserschaft des Q. Cicero für das Commentariolum Petitionis (vgl. zuletzt Till Historia 11, 1962, 315 ff.) und des Sallust für die Briefe an Caesar (Gelzer, Caes.6 166, 357. Kl. Schr. 3, 294 ff. Wistrand Eranos 60, 1962, 160ff.) annehme. Wie dem aber sei,

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Wähler pflegten sich in erster Linie nach Maßgabe der necessitudines zu entscheiden, das heißt jener Unzahl vielfältigster Bindungen, die damals das Handeln in so auffälliger Weise bestimmten: Verwandtschaft und enge Freundschaft, Clientelverhältnisse, Verpflichtungen aus den –überaus häufigen und vor allem eben: stets als sehr verpflichtend empfundenen2 –beneficia und endlich solche für unser Gefühl weitläufigen Gemeinsamkeiten wie die Zugehörigkeit zur gleichen tribus, Region oder Stadt3. Es waren in der Hauptsache Bindungen einzelner Bürger, Municipien oder kleinerer Interessengruppen, nur ausnahmsweise handelten breite Schichten oder Stände hier gemeinsam4. Auch die Kandidaten standen in der Regel für sich, waren unabhängig und alles andere als Exponenten bestimmter Gruppen oder Interessen5. Neben den necessitudines aber galt eine zweite Gruppe von Beweggründen, die sich zur existimatio zusammenschlossen: der Glanz berühmter Adelsnamen6, die Erinnerung an hervorragende Leistungen des Kandidaten oder seiner Vorfahren7, an prächtige Spiele8, Bauten9, Getreidespenden10 sowie das Urteil der Consulare11, die Einschätzung der Erfolgschancen12, Auftreten, Temperament etc.13. jedenfalls ist sicher damit zu rechnen, daß die Verfasser beider Schriften eine ausgezeichnete Kenntnis der Zeitumstände besaßen, also als Quellen sehr ernst zu nehmen sind (vgl. 2 Note 1, u. S. 307. für die epistulae Latte JRS 27, 1937, 300). 3 Gelzer a. O. 1,62 ff. Zur Unterstützung durch Nachbarn (im weitesten Sinne) und tribules noch: Cic. Cluent. 49f. 56. Mur. 42. 56. 69. har. resp. 56. Sest. 10. 114. Vat. 36. 39. Planc. 21f. 43 ff. 47. 54. Q. fr. 3,1,1 (mit Mur. 73). fam. 13,58. Lig. 32. Q. Cic. Com. Pet. 17 (vgl. 18. 30 und die RE Suppl. 8,597, 53 angeführten Belege). Zur Gemeinsamkeit der Bürger 4 s. u. S. 38 ff. einer Stadt: off. 1,53. S. auch u. S. 38.

5 Gelzer Kl. Schr. 1, 68. 203 ff. 6 Gelzer 40. Ferner Cic. fam. 15,12,1. leg. agr. 2,100. Att. 4,8 a,2. Sall. ep. ad Caes. 2,11,3. Hor. Serm. 1,6,15 ff. Plaut. Trin. 642f. 7 Cic. fam. 2,6,3. 15,12,1. Mur. 21 ff. off. 2,45 ff. Sall. Jug. 85,8. Plut. Sull. 5,1 mit Diod. 37,25 (dazu Q. Cic. Com. Pet. 28). Athenaeum 40, 1962, 109, 21. –Sall. Jug. 85,4. ep. ad Caes. 2,11,3. Cic. off. 1,121. Att. 4,16,6. Pis. 2. Heinze, Urs. d. Größe Roms 30. Vgl. aber

allgemein die vielleicht etwas tendenziöse, jedoch gewiß auch für die Consulwahlen nicht ganz falsche Feststellung Ciceros: eos, qui suffragium ferant, quid cuique ipsi debeant considerare saepius quam quid cuique a re publica debeatur (Planc. 10. vgl. Att. 1,1,1). 8 Cic. off. 2,57f. fam. 2,6,3. Att. 4,16,6 (Asc. 23,27). 11,16,3. Mur. 38 ff. 67. 72. Plut. Sull.

5,1 ff. u. v. a. 9 Cic. off. 2,60. 1,138. Att. 1,1,2. Plut. Caes. 5,9 (vgl. Albertini Mél. d’Arch. et d’Hist. 24, 1904, 249f. Taylor, Party Politics 195,19). 10Cic. Verr. 2,3,215. fam. 2,6,3. Planc. 67. Exup. 6. Vgl. Gelzer 1,111 f. 11Q. Cic. Com. Pet. 4. Cic. Att. 1,1,2. 2,2. 12Vgl. Cic. leg. agr. 2,4. Pis. 3. Mur. 43f. 52f. Q. Cic. Com. Pet. 34. Hierher gehört bedingt auch die Autorität der praerogativa centuria (RE Suppl. 8,593 ff. Die dortigen Bemerkungen sind aber zu modifizieren. Offenbar hat sich die Beispielwirkung der praerogativa damals vornehmlich nur zu Gunsten des primus renuntiatus ausgewirkt, wie Cic. Planc. 49 schreibt. Denn die meisten Wähler werden an einen der Kandidaten gebunden gewesen sein, so daß sich nur bei den zweiten Stimmen größerer Spielraum ergab. Der primus renuntiatus profitierte davon mutatis mutandis ähnlich wie Phidias von dem Stimmver-

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Diese beiden Motivkomplexe, amici und existimatio, waren in der Regel die einzig maßgebenden für die Wähler14. Sieht man nun zunächst von dem Auffälligsten ab, davon nämlich, daß politische Momente hier anscheinend keine Rolle zu spielen pflegten, so scheint das Gesicht der Wahlen vor allem durch die mächtige Geltung der necessitudines bestimmt gewesen zu sein. Denn so wenig die Bedeutung der existimatio unterschätzt werden darf15, und so charakteristisch manche ihrer Elemente für die damalige Politik– besonders für das Ansehen des Adels und die unvermittelte Wirkung des Persönlichen– waren, so kann darin doch nicht das eigentliche Spezifikum der römischen Wahlen gesehen werden. Die Geltung der necessitudines nun besagt, daß der Einzelne bei den Consulwahlen zumeist, in der Regel mindestens mit einer seiner beiden Stimmen, nach „privaten“Verpflichtungen entscheidet. Daraus wird auch gar kein Hehl gemacht, unverblümt erörtert man sie –und zwar in einer Sprache, die feste, , beruft sich auf sie, vielfach aus dem Juristischen entlehnte Formen besitzt16 – und es ist offenkundig völlig in der Ordnung, daß man sich nach ihnen richtet17. Der modernen oder jedenfalls bis in unsere Tage maßgebenden Auffassung, für , Repräsentant des ganzen dieder Einzelne, wenn er zurWahl geht, als „citoyen“ Staates und nicht als Privatmann oder Interessent handelt, muß dies sehr befremdend vorkommen. Man könnte freilich einwenden, daß diese moderne Auffassung nur die ideale Voraussetzung der Wahl und oft weit genug von der Wirklichkeit entfernt war und ist, und könnte daraus ableiten, daß man in 124. Vgl. auch Asc fahren der ephesischen Künstler-jury: E. Hohl Hermes 83, 1955, 122– 72,20. Cic. fam. 15,7 mit 12,1 und 8,4,1 sowie Taylor Party Politics 56f.). 13Zum Beispiel Att. 4,16,6 (σ ) –Q. Cic. Com. Pet. 34 u. Anm. 21 (Gefolge) – ϑ ια ά ε π μ υ de or. 1,112 (Val. Max. 4,5,4). Planc. 9 ff. 24. 69 (Hände schütteln und supplicare) –Plin. n. h. 35,23, Plut. Cato min. 50,2 (comitas) –Plut. ebd. 8,4. Cic. 7,1 f. Apophth. Scip. 9. Rutilius de vita sua 1 frg. 7 (Peter). Q. Cic. Com. Pet. 31. 42 (die Namen aller kennen) – Cic. Mur. 43 ff. (erfolgsgewisses Verhalten) –Plut. Mar. 14,3 ff. Val. Max. 7,5,2 (Behandlung Einzelner) –Caelius bei Cic. fam. 8,4,1 mit der einzig annehmbaren Lesart [nos] nostri{s}que (Hermann Rh. Mus. 5, 1847, 616: Sicherheit des Auftretens vor den Comitien). 14 Einer, der keine Chancen hat, wird genannt: inops et ab amicis et ab existimatione (Cic. Att. 1,1,2. vgl. Q. Cic. Com. Pet. 16. 41 ff. bes. 49). 15 Dafür spricht vor allem die Überlegung, daß viele mindestens mit einer Stimme nicht durch necessitudines gebunden waren. Im allgemeinen wird die Rolle der existimatio unterschätzt (auch bei Gelzer Caes.6 3. 59. 61). Dabei besteht der Vorsprung der Nobilität vermutlich gerade auch darin: A. 6f. Vgl. u. S. 257f. 16Reitzenstein, Zur Sprache der lateinischen Erotik. SB Heid. 1912, 20 ff. Gelzer Kl. Schr. 1,164 f. 17 Gelzer 62 ff. Cic. Att. 1,1,1 (debere). Für die verpflichtende Kraft der Bindung ist besonders aufschlußreich der Grundsatz, daß man um des Freundes willen auch Unrecht tun soll: ut, etiam si qua fortuna acciderit, ut minus iustae amicorum voluntates adiuvandae sint, in quibus eorum aut caput agatur aut fama, declinandum de via sit, modo ne summa turpitudo sequatur; est enim, quatenus amicitiae dari venia possit (Cic. Lael. 61). Vgl. Fritz Schulz, Prinzipien des römischen Rechts (1934) 158 ff. Ferner Val. Max. 6,4,4.

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Rom nur ehrlicher oder, wenn man so will, unverfrorener war als in neuerer Zeit. Allein es bliebe zu fragen, ob die öffentliche Sprache allgemein so kraß von den idealen Voraussetzungen des Staates und der Politik absehen kann. Müssen nicht die allgemein gültigen und anerkannten Kategorien der Wahlentscheidung vielmehr eng zusammenhängen mit dem Wesen der damaligen

Politik? Äußerlich betrachtet ist zu bemerken, daß die Wahlen –zumal in einem Gemeinwesen, in demjede politische Macht sich recht unvermittelt zur Geltung bringen kann –der Regel nach nur der Spiegel der übrigen Politik sein können. In derTat zeigt sich, daß die Nah- undTreuverhältnisse, diesich hier zuseinen Gunsten auswirken, den Kandidaten vorher und nachher verpflichten, für die Freunde undClienten vor Senat und Magistraten, Gericht undVolksversammlung einzutreten18. Und wenn das Gros der Wähler bei der wichtigsten Gelegenheit seiner Teilhabe an der Politik sich nach diesen Bindungen richtete, so müssen diese unddie von ihnen abgeleiteten Regeln in demweiten Bereich des politischen Lebens, in dem die Angelegenheiten der einzelnen Bürger, Municipien und Berufsgruppen zur Sprache kamen, äußerst wichtig gewesen sein. Die ganz eigentümliche römische Anschauungsweise, die in jedem Tun zu Gunsten eines anderen, ja schon in jedem Einander-nahe-kommen19 die Begründung einer praktisch wirksamen Bindung sah, bestätigt dies besser als alle Aufzählung von Einzelheiten. Dazu stimmt es gut, daß die existimatio des Kandidaten in der Regel wesentlich durch die Art bedingt war, in der er sich für seine Freunde eingesetzt hatte und darüber hinaus für jedermanns Sorgen undWünsche zugänglich war20. Die Stimmen der Freunde undClienten konnten sich auf diesem Umweg potenzieren21. Bei ihrer so außerordentlichen Bedeutung können die Verpflichtungsverhältnisse aber nicht nur eine Erscheinung der damaligen Politik neben anderen gewesen sein, sondern sie müssen das ganze öffentliche Leben geprägt haben. Sokann auchdie Bekümmerung umdie Angelegenheiten deseinzelnen Bürgers – die bei jedem Senator gewiß Tausende von Großen und Kleinen betraf22 – nicht nur als eines der Argumente angesehen werden, die die Wähler bestachen, 18Zum Beispiel Gelzer 81 f. 89 ff. 19Siehe Note 1, S. 307. 20Cic. Phil. 8,31: facere omnibus conveniendi sui potestatem (vgl. de or. 1,200). Att. 6,2,5: ante lucem inambulabam domi ut ohm candidatus. Planc. 66. Q. Cic. Com. Pet. 49 (vgl. 44 ff.): haec omnia non tam ad amicorum studia quam ad popularem famam pertinere. Ähnlich Cic. Att. 2,22,3. 1,4,2. Ferner: imp. 1f. Plut. Cic. 8,6. Gelzer Kl. Schr. 1, 67f. 86f. 106f. Kroll, Kultur d. cic. Zt. 2, 65 ff. –Für die frühere Zeit: Polyb. 31, 23, 11. vgl. 29, 8 ff. Plaut. Trin. 651. 21Die Zahl der Freunde tritt selbstverständlich in Rom sehr konkret in Erscheinung: Q. Cic. Com. Pet. 34–38. 50. Cic. Att. 1,18,1. Mur. 67. 71. Planc. 21. Kroll a. O. 2,61. Vgl. Heinze, Hermes 64, 1929, 152: Man darf nicht vergessen, daß die Zahl derer, die in fide eines Großen sind, gleichsam der sichtbare Ausdruck seiner fides selbst ist. 22Vgl. Anm. 20. Ferner Cic. Mur. 70f. off. 2,63. 70.

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sondern sie muß in irgendeiner, noch näher zu bezeichnenden Weise doch zu den Tugenden gezählt haben, die der Kandidat für sein Amt und vor allem für die damit verbundene Stellung im Senat wirklich mitbringen mußte. Welches die Voraussetzungen und der Sinn der alltäglichen, die Angelegenheiten derEinzelnen behandelnden Politik waren, kann hier noch nicht erörtert werden. Ebenso muß es einstweilen offen bleiben, wie sich dieser weite Bereich des öffentlichen Lebens in den Rahmen der gesamten Politik einfügt, als einer ihrer Teile, aber gewiß auch als eines derwichtigsten ihrer Charakteristika. In diesem Zusammenhang ging es vorerst nur darum, kurz zu umreißen, nach welchen Gesetzen, positiv gesehen, sich das politische Leben in einem jedenfalls sehr weiten Bereich abspielte. Das eigentlich Auffällige daran ist zunächst eher das Negative: Die Verpflichtungsverhältnisse und die Elemente der existimatio hingen doch nur zum kleinen Teil oder indirekt mit Leistungen für das, was wir unter Gemeinwohl verstehen, zusammen und beruhten vor allem insgesamt auf Verdiensten, die eine Zeitlang, teilweise sogar um Generationen, zurücklagen23. Mit dem Vorhandenen aber, der jeweils aktuellen Situation, können sie in der Regel kaum etwas zu tun gehabt haben24. Ebensowenig war vomBevorstehenden die Rede, also etwa von Plänen undAbsichten der Kandidaten (abgesehen von den Versprechungen, die sich mehr im Rahmen der privaten Beziehungen bewegten25). , das heißt auf das Ganze Dementspricht es, daß man fast nie von „politischen“ der res publica bezüglichen Argumenten hört. Offenbar war es nicht einmal üblich, Wahlreden zu halten26. Es wurde sogar dem Cicero, als er sich um das Consulat bewarb, ausdrücklich der Rat gegeben, jegliche Stellungnahme zur politischen Lage zu vermeiden: nec tarnen in petendo res publica capessenda est (Q. Cic. Com. pet. 53); unddas kann nicht die Ausnahme gewesen sein. Was diese Gepflogenheiten in der Praxis bedeuten konnten, kann ambesten ein Beispiel lehren: Im Jahre 54 wardie politische Ordnung in Romaufs tiefste erschüttert. Die Macht des Pompeius war inzwischen relativ fest begründet, aber der Senat dachte noch nicht daran, sich in das Unvermeidliche zu fügen; Anarchie breitete sich aus; manmunkelte von der möglichen Einrichtung einer Dictatur27. Gleichwohl ist bei der Beurteilung der Aussichten der Consulatsbewerber von all demmit keiner Silbe die Rede28: Einer von ihnen, M. Aemilius Scaurus, hat gute Chancen vor allem dank seiner glänzenden Aedilität und der guten Erinnerung an seinen Vater29. Der wesentliche Vorteil des zweiten, M. Valerius Messala, ist der Eifer, mit dem sich neben anderen vor allem sein 23 Vgl. o. Anm. 7. u. 33.24 Vgl. Anm. 33. 25 Q. Cic. Com. Pet. 44. vgl. 47f. 26 Taylor, Party Politics 64. 27 Ed. Meyer, Caesars Monarchie und das Principat des Pompeius3 191 ff. Gelzer, Pompeius2 162ff. Vgl. zu den dort angeführten Belegen noch Asc. 23,20. 28 Cic. Att. 4,16,6. Vgl. 15,7. 17,3. Q. fr. 3,2,3. 7(9),3. 29 Att. 4,17,4. Dazu vgl. Asc. 23,7. Val. Max. 8,1 abs. 10.

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angesehener Onkel Q. Hortensius für ihn einsetzt. Später versucht Cicero, auch dessen Gegner Caesar für ihn zu gewinnen oder mindestens zur Neutralität zu bewegen30. Die beiden anderen stehen unter sich und zu ihnen ungefähr gleich, indem der eine, Cn. Domitius Calvinus, mächtig ist durch seine Freunde, ohne freilich sehr dankenswerte Spiele gegeben zu haben, der andere, C. Memmius, von Caesars Soldaten empfohlen wird und sich auf Pompeius’ gallische Clientelen stützen kann. Also nur ein kleiner Teil der Wähler31 entscheidet sich mit Rücksicht auf Pompeius und Caesar, und auch er nur auf Grund von Clientelbindungen und nur mit einer von zwei Stimmen32. Das Gros nimmt offensichtlich weder Rücksicht auf die Erfordernisse der aktuellen Situation noch hat es mit den großen Gegensätzen zwischen Pompeius, Caesar und ihren Gegnern etwas zu tun. Ähnlich anschauliche Beispiele kennen wir sonst nicht33. Aber wir besitzen für das Gegenteil, die Ausnahme, einen interessanten Bericht aus dem Jahre 50: Caelius schreibt damals von den Augurwahlen: magna illa comitia fuerunt et plane studia ex partium sensu apparuerunt; perpauci necessitudinem secuti officium praestiterunt (fam. 8, 14,1). Praktisch das gleiche bezeugt Hirtius für die Consulwahlen dieses Jahres34, nur mit dem Unterschied, daß die regelwidrige Mißachtung der necessitudines einmal für den Kandidaten Caesars, einmal gegen ihn zu Buch geschlagen sein soll. Das könnte dadurch bedingt sein, daß die Augurwahl in einer modifizierten Form der comitia tributa, die der Consuln dagegen in den comitia centuriata vorgenommen wurde35. Aber beide Zeugnisse sind nicht frei von Tendenz35, so daß es selbst in dieser äußersten 30Cic. Q. fr. 3,6(8),3. 7(9),3. In Wirklichkeit hat Messala dann die Wahl mit maßlosen Bestechungen gewonnen (fam. 8,2,1. 4,1). 31 Denn es ist in dieser Aufzählung selbstverständlich nur von den hervorstechenden Vorteilen der Kandidaten, nicht vom Grundstock ihrer Wähler die Rede. Zur suffragatio militaris vgl. Athenaeum 40, 1962, 109,21; o. Anm. 7. 32Vgl. u. A. 96 zu S. 178. Wenn, wie man wegen des späten Termins (Cic. Att. 4, 13,1) vermuten sollte, auch bei der Wahl für 54 Caesars Urlauber eine große Rolle spielten (vgl. u. Anm. 78), so konnten sie damals ebenfalls nur einem Kandidaten, Ap. Claudius, zum Siege verhelfen. Stimmenkumulation kann nicht möglich gewesen sein. 33Vgl. freilich noch Cic. fam. 2,6,3 über Milos Wahlaussichten in dem nicht weniger erregten Jahr 53 (auch Asc. 30,18). Hier spielt wenigstens ein politisches Argument, Milos Einsatz für Ciceros Rückberufung i. J. 57, eine Rolle, wie sehr die Eitelkeit des Redners diese auch überschätzt haben mag. Aber es betrifft die Vergangenheit, man vergilt ein beneficium, ein politisches Faktum hat sich in eine Verpflichtung weiter Kreise umgesetzt. Von der Situation des Jahres 53 ist mit keinem Wort die Rede. Dabei hatte sich Milos Stellung sehr verändert, zumal er vom Freund zum Gegner des Pompeius geworden war (Cic. Q. fr. 3,2,2. 8,6. fam. 3,10,10). Ähnlich wohl umgekehrt Cic. Sest. 113f. Schol. Bob. 135. Caelius bei Cic. fam. 8,4,3 (vgl. u. A. 38), auch Cic. Brut. 224. 34b. Gall. 8,50,3: ereptum Servio Galbae consulatum, cum is multo plus gratia suffragii (? Text: suffragiisque) valuisset. 35 Taylor, Party Politics 60 ff. 36Bei Caelius ergibt sich dies daraus, daß er sein eigenes Verhalten rechtfertigen will (vgl. fam. 8,12,1). Für die Wähler des Antonius auch Cic. Phil. 2,4.

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Situation, da die Gefahr des Bürgerkrieges drohte, für uns nicht ganz klar wird, wie weit die necessitudines hinter den mehr politischen Gesichtspunkten –wie man partium sensus wohl am besten wiedergibt37 –zurücktreten mußten38. Wenn aber die großen politischen Gegensätze bei den Wahlen und in jenem privaten“necessitudines maßgebend waren, in der weiten Bereich, in dem die „ Regel nur sehr leise mitsprachen38a, so scheint es, daß das öffentliche Leben sich damals auf zwei voneinander relativ unabhängigen Ebenen abgespielt hat. Allerdings muß im Hinblick auf die eben benutzten Adjektiva hier eine Einschränkung gemacht werden: Abgesehen davon, daß „ privat“und „politisch“ in einem aristokratischen und von weitgehender Identität zwischen Staat und Gesellschaft geprägten Gemeinwesen wesentlich schwerer voneinander zu trennen sind als sonst, waren jene „privaten“Bindungen in Rom als Grundlagen der Macht sowie als Möglichkeit der Vertretung zahlloser Interessen und immer neuen Ausgleichs der Kräfte ein bedeutender und durchaus legitimer Bestandteil der staatlichen Ordnung39. Indem aber das „Private“die Politeia derart durchdrang und bestimmte, war auch das „Politische“dort viel weniger eigengesetzlich, viel weniger herausgelöst aus dem Ganzen der Vergesellschaftung als zum Beispiel in den modernen Staaten40. Diese Problematik sei hier zunächst nur angedeutet, um dem Mißverständnis der verwendeten Begriffe vorzubeugen. Beide Ausdrücke gelten also mangels besserer als erste grobe Etikettierungen, wie sie sich bei der Betrachtung aus größerem historischen Abstand nicht ganz vermeiden lassen. Weit entfernt davon, etwa den im Sinne des 18. und 19. Jahrhunderts geschiedenen „Staat und Gesellschaft“41zugeordnet zu sein, sind sie nur ganz relativ zu verstehen: In jenem großen Bereich der regelprivate“Interessen mäßigen Politik bezog sich das Handeln fast einseitig auf „ oder doch auf die moralische Gesetzmäßigkeit der mehr „privaten“Bindungsverhältnisse und nicht auf die Politeia, ihren Zustand und ihre jeweils akuten Probleme, welche ihrerseits Gegenstand und zum Teil Ergebnis der größeren, mehr „politischen“Auseinandersetzungen waren. 37Siehe Note 2, S. 307f. 38 Auch die Rolle, die die promulgatio de dictatura von 54 damals bei Lucilius Hirrus spielt (Caelius bei Cic. fam. 8,4,3, vgl. Cic. Q. fr. 3,6,3), ist nicht durch die damalige Situation bedingt. Vgl. dazu o. Anm. 33. 38a Vgl. auch u. S. 19. 163f. 169f. 197ff. 39 u. S. 34 ff. 41. 40Vgl. Otto Brunner, Land und Herrschaft4 111ff. Auch seinen Aufsatz: Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte. In: Herrschaft und Staat im Mittelalter = Wege der Forschung 2, 1956, 1ff. Die Antike und insbesondere die römische res publica sind aber doch in manchem näher an der Neuzeit als am Mittelalter, wie an anderer Stelle zu zeigen ist (vgl. als Einzelheit u. S. 94). 41 Daß diese Scheidung erst seit dem 18. Jahrhundert sinnvoll und möglich ist, hat vor allem O. Brunner gezeigt (a. O. 114ff. 157f. 123. 161. Brunners Datierung: spätes 18. Jahrhundert geht wohl zu weit hinab. Vgl. R. Koselleck, Kritik und Krise, 1959. 41 ff. und überall.

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privat“und „politisch“könnte allerdings Gegen diese Scheidung zwischen „ die Frage vorgebracht werden, ob die beiden Bereiche nicht innerhalb der aristokratisch regierten res publica derart ineinander verzahnt waren, daß etwa Verwandtschaften, Freundschaften und Clientelen sich zum guten Teil nach Maßgabe der politischen Gegensätze (und umgekehrt diese nach Maßgabe jener) aufgliederten. Diese Anschauung, die die Entstehung der Parteiung zwischen Guelfen und Ghibellinen in Florenz als Musterbeispiel zitieren kann42, liegt für die römische Geschichte der vor allem seit Ronald Syme’s Roman Revolution um sich greifenden Faktionsthese zu Grunde43. Daß sie in einzelnen Fällen immer wieder recht hat, läßt sich nicht bezweifeln. Aber darum geht es hier nicht. Zu fragen ist jetzt allein, wie sich necessitudines undpartium sensus, um es schlagwortartig zu sagen, im ganzen zueinander verhielten. Das Zeugnis des Caelius spricht für einen Widerspruch zwischen beiden, die Wahl des Jahres 54 dafür, daß das nach necessitudo entscheidende Gros der Wähler die großen politischen Gegensätze der Zeit nicht für sehr wichtig hielt. Diese Folgerung klingt zunächst sehr unwahrscheinlich, undman ist leicht versucht, sich ihr zu entziehen. Man könnte für die Wahlen einwenden, daß die Kandidaten doch einer im ganzen noch homogenen Adelsschicht angehörten undoft alle zugleich für die Erhaltung der überkommenen Form derrespublica und gegen Pompeius und Caesar gesonnen waren44. Das ist auch gewiß nicht falsch, denn fraglos liegt die Homogenität des Adels der gesamten Wahlverfassung auch der späten Republik als Voraussetzung zu Grunde45. Aber wenn diese Tatsache angesichts der großen politischen Gegensätze schon für sich mehr Erklärung sucht als bietet, so besagt sie jedenfalls in diesem Zusammenhang wenig. Denn es war niemals gleichgültig, konnte vielmehr bei der unvermittelten Weise, in der damals mangels Verfestigung der Politik in Institutionen und Prozeduren jede Persönlichkeit zur Geltung kam, von entscheidender Bedeutung sein, ob etwa energische undeinfallsreiche Magistrate an die Spitze der res publica traten46. Schon geringe Unterschiede in Auffassung, Temperament und Urteilsfähigkeit konnten sich sehr kräftig auswirken. In den Jahren 42Vgl. Macchiavelli, Storie Fiorentine 2. Kap. am Anfang. 43Als ihre wichtigsten Vertreter sind Scullard und Badian zu nennen. Vgl. BJ 161, 1961, 507 ff. und Athenaeum 40, 1962, 112, 35. Für die frühere Zeit Gelzer Kl. Schr. 1,213 ff. 2,15. 44So implicite Taylor, Party Politics 75. 143f. 45 unten S. 191. 46Vgl. etwa die entscheidende Bedeutung Ciceros (Gelzer RE 7A,865 ff.) und Catos (Athenaeum 40, 1962, 117. 121ff.) in den Auseinandersetzungen der Jahre 63 und 62 oder des Metellus Celer im Jahre 60 (Gelzer Pomp.2 127ff.), um abzusehen von so außerordentlichen Leistungen wie derjenigen Caesars im Jahre 59 (u. S. 280 ff.) und so kritischen Situationen wie derjenigen, vor der der Consul Octavius 87 in so verhängnisvoller Weise versagte (u. S. 238f.). Es gab keine Fraktionen imSenat, Wesentliches hingjeweils von Autorität und Rhetorik der Verfechter einer Sache ab, die Polizei fehlte (dazu u. S. 157ff.), ebenso eine Bannmeile um den Senat, auch die Entscheidungen der Volksversammlungen waren zum Teil offen (u. S. 112).

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70 und 57 hat sich, umzwei extreme Beispiele zu zitieren, die politische Situation dadurch stark verändert, daß bestimmte Herren Consuln wurden oder daß ihre Wahl oder ihr Magistratsjahr unmittelbar zu erwarten war47. Das Verhalten der Wähler aber ist, soweit man sieht, auch in diesen Jahren im wesentlichen allein von necessitudines und existimatio bestimmt gewesen48. Welchen Sinn es hat, kann hier beiseite bleiben. Deutlich ist vorerst nur derWiderspruch, der zwischen der politischen Problematik und den privaten Motiven des Handelns zu walten scheint. Die Folgerung, daß sich das Gros der Bürger um die politischen Gegensätze wenig kümmerte, scheint also unausweichlich zu sein. Dabei sind die bisher vorgetragenen Fälle noch harmlos. Einige andere scheinen ans Groteske zu streifen, von denen einer schon hier erwähnt sei: In den zwischen Pompeius, Crassus und Caesar einerseits und den führenden Senatskreisen andererseits so heftig umkämpften und politisch so wichtigen Consulwahlen für 59 hat ein guter Teil der Wähler wahrscheinlich gleichzeitig Caesar und dessen Gegner Bibulus gewählt49. Interessant ist als Einzelheit die Lage der tribus Fabia. Zu ihr gehörten sowohl Caesar als auch sein Gegner L. Domitius Ahenobarbus, die beide unter den Tribulen sehr viel Einfluß besessen haben müssen und beide nach alter lebendiger Tradition auf deren Unterstützung Anspruch hatten50. Domitius aber hat sich gewiß für seinen nahen Verwandten Bibulus stark eingesetzt. So sprach bei den Angehörigen der Fabia damals vieles dafür, beide Gegner zugleich zu wählen51. Taten sie es, so handelten sie politisch im Widerspruch zu sich selbst, sie sagten ja undnein in einem. Allerdings ist zu fragen, ob man ihr Verhalten nur vom Politischen her beurteilen soll. Derartige Widersprüche mußten sich vielfach ergeben. Denn die Verpflichtungsverhältnisse der Individuen, Städte, Berufsgruppen etc. verliefen, wie Matthias Gelzer gezeigt hat, regelmäßig zugleich nach vielen Seiten52, wobei es 47Cic. Verr. 1,19. 27. Gelzer RE 7A,844. –u. S. 286. 48Hinzu kommen i. J. 70 große Bestechungssummen (Verr. 1,25. 29). Besonders interessant ist, daß damals eine außergewöhnlich große Anzahl von Wählern aus ganz Italien in Rom war (ebd. 1,54). –57 ist Pompeius sogar für Marcellinus eingetreten (Plut. Pomp. 51,8). Bei der Wahl für 55 spielten dann politische Motive eine große Rolle (u. S. 294), aber das war erst durch die Kandidatur des Pompeius und Crassus bedingt (Gelzer Pomp.2 154). 49u. S. 197ff. Vor April 56 konnte man damit gewiß nicht rechnen. 50Taylor, Voting Districts of the Roman Republic 211. 221. Vgl. Cic. Planc. 45. leg. agr. 2,21. Q. Cic. Com. Pet. 30 (mit Taylor 121). 32 u. a.: Taylor, Party Politics 62f. sowie RE Suppl. 8,597,53. 51Miss Taylor hat Party Politics 62 f. auf ein ähnliches Problem, vor dem dieselbe tribus sich im Jahre 64 fand, hingewiesen. Sie meint freilich, da sie übersieht, daß jeder zwei Stimmen hatte, daß die damalige Rivalität zwischen Caesar und Domitius das Votum der tribus gespalten haben müsse. 52 Kl Schr. 1,89f. (zu Capua vgl. Brunt JRS 52, 1962, 77,87). Dalemberg-Saglio, Artikel Hospitium 300. Vgl. dazu Cic. fam. 13,66,1. Q. Cic. Com. Pet. 3: habes .. multa propria municipia (mit 35. 40). Als Patrone (nicht unbedingt im technischen Sinne) von Pergamon

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dann oft genug dazu kam, daß man nebeneinander Herren zuFreunden hatte, die sich gegenseitig befehdeten, und besonders auch: daß man zu den führenden Persönlichkeiten der beiden Seiten des großen politischen Gegensatzes gute Beziehungen unterhielt. DerSizilianer Sthenios ausThermai hatte unter anderem Marius und Pompeius, Verres, dessen Verteidiger L. Cornelius Sisenna und dessen Ankläger Cicero zu Gastfreunden53. Marseille gehörte im letzten Jahrhundert zur Clientel sowohl des Pompeius wie seines Gegners L. Valerius Flaccus, zu der Caesars und wohl auch der des L. Domitius Ahenobarbus, der Caesar und lange Zeit auch Pompeius heftig bekämpfte54. Der Galaterfürst Deiotaros hat mit allen Feldherrn, die in seiner Gegend operiert haben, Freundschaften angeknüpft, das heißt mit Sulla, L. Licinius Murena, P. Servilius Isauricus, Lucullus und dessen Gegner Pompeius, später mit Bibulus; er war außerdem seit 59 mit dessen Gegner Caesar und schon vom Vater her mit Cato durch hospitia verbunden55. Unter den römischen Bürgern bietet –um von den Senatoren abzusehen56 – Ciceros Freund Atticus ein interessantes, freilich wohl schon nicht mehr typisches Beispiel. Er verstand sich mit Cato so gut wie mit Caesar, mit Hortensius wie mit Pompeius, war außer mit Cicero auch mit Clodius befreundet undunterhielt endlich sogar zu den verschiedenen Bürgerkriegsparteien (wohl teilweise von früher her) gute Beziehungen57. Es kann aber kein Zweifel sein, daß man analog zu den angeführten Fällen bei der Mehrzahl mindestens der einflußreicheren Bürger und Städte, das heißt bei Römern wie Provinzialen, mit einer Pluralität verschiedenster Bindungen zu rechnen hat58. Angesichts der vielsind zum Beispiel in der späten Republik bezeugt: Sempronii Gracchi (vom Consul 177 her: Badian FC 160,2), Claudii Pulchri (wohl vom Consul 185 her: Albertini, Mel. d’Arch. et d’Hist. 24, 1904, 260), Caesar, Consul 59 (bezeugt allerdings erst nach 48: AE 1909 Nr. 40, vielleicht aber schon vom Vater her: Broughton MRR 2,22), der Redner M. Calidius (Praetor 57: ebd. 1913 Nr. 181), Metellus Scipio, Consul 52 (Ditt. Syll. 757), P. Servilius Isauricus, Consul 48 (Ditt. OGIS 449), L. Antonius, Consul 41 (ebd. 452), vielleicht auch L. Calpurnius Piso, Consul 58 (Inschr. v. Perg. 2,425). 53 Cic. Verr. 2,2,110 ff. 117. Vgl. 96. 100. Ferner: Diodoros von Malta: ebd. 2,4,41. 54 Caes. b. c. 1,34,3. 35,4. Cic. Flacc. 63. 100 (14 für die Feindschaft des Pompeius gegen Flaccus). Zu Domitius: Syme RR 44,4. Badian FC 264f. 313. Ferner sind die Scipiones als Patrone bekannt: Cic. rep. 1,43. Sest. 7. Schol. Bob. 126. 55 Gelzer a. O. 94. Vgl. Ariobarzanes, von dem nebeneinander Beziehungen zu Pompeius (Gelzer Pomp.2 100 m. Anm. 142, ferner Cic. Att. 6,1,3. 3,5), Brutus (ebd. 6,2,7. 3,4) und 56 Dazu u. S. 18 ff. 169ff. Cato (fam. 15,4,6. 15. 5,1) bezeugt sind. 57 Nepos, Att. 15,3 –Nepos 7,3. vgl. Cic. Att. 5,13,3. 7,1,2 f. –5,4. 15,3. 16,1. Cic. Att. 1,19,6. 2,25,1. 5,2,2. 6,6,2 –Nepos 7,1. vgl. Cic. Att. 7,7,7. –Clodius: Cic. Att. 1,12,3. 2,9,1. 3. 22,1. 4. 5 u. a. –Brutus: Nepos 8,2 ff. 9, 3. 10,1. 16,1. Cic. Att. 5,18,4. 20,6. 21,10. 6,1,7. – Antonius: Nepos 8,6. 9,3. vgl. 11. Allg. Cic. Att. 1,2,2. 19, 6. 1,20,2. 2,1,6. Nepos 6,1: ut semper optimarum partium et esset et existimaretur (vgl. noch für die sullanische Zeit Nepos 2,2 mit 4,1 f. 16,1). 58 Vgl. zum Beispiel die Roscii aus Ameria, die mit den Metelli, Servilii (unklar, welchen), Scipiones und Messalae verbunden sind (Cic. Rosc. Am. 15. 77. 119. 149). Hinzu kommt

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fältigen Funktionen der Nah- und Treuverhältnisse und des ungeheuer weiten Ausmaßes ihrer Geltung mußten sich die Bindungen in der Regel multiplizieren. Man brauchte bald diesen bald jenen, durch Vermittlung des einen gewann man den anderen59, und durch ihre fortwirkende Kraft erhielten alle diese Verpflichtungen Dauer. Dabei spielte die –ebenfalls auf der Homogenität des Adels basierende –römische Art des jährlichen bzw. in den Provinzen spätestens nach zwei oder drei Jahren60 erfolgenden Ämterwechsels eine besondere Rolle. Die Beispiele des Sthenios und Deiotaros zeigen sehr anschaulich, wie politische Gegner, die einander in einem Magistrat folgen, nebeneinander zu Freunden derselben Männer werden. Aus dem Nacheinander des Wirkens entsteht so ein Nebeneinander politisch möglicherweise sich widersprechender Bindungen61. Wie in Asien Pompeius seinen Gegner Lucullus ablöste, so regierten in Gallien, durch wenige Jahre getrennt, C. Calpurnius Piso undsein Gegner Caesar. Im Jahre 69 folgten Q. Hortensius und Q. Metellus Creticus als Consuln auf Pompeius und Crassus, mit denen sie politisch nicht viel gemeinsam hatten. Da die Magistrate je nach Maßgabe des von der lex Annalis vorgeschriebenen Alters wie von necessitudines und existimatio besetzt wurden, konnte es gar nicht ausbleiben, daß die verschiedensten Herren nacheinander in die für Bürger wie Nichtbürger so wichtigen Positionen kamen. Teilweise hoben sie dann die Maßnahmen der Vorgänger wieder auf, indem sie diejenigen begünstigten, diejene benachteiligt hatten62. Zumeist aber müssen sie notgedrungen denselben Individuen, Gesellschaften und Städten wie jene ihr Wohlwollen und Vertrauen geschenkt haben, und ebenso mußten viele sich genauso an sie wie an jene wenden. Das lag in der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung jener so umfassend und differenziert gewordenen Amtsbereiche. Eigenartig war eben nur, daß diese Verwaltung vielfältig durch die Verpflichtungsverhältnisse und die mit ihnen zusammenhängenden Regeln undAnschauungsweisen durchdrungen

war.

Es zeigt sich also, daß in dem Bereich der regelmäßigen, alltäglichen Politik die politischen Gegensätze sich weitgehend aufhoben und das bunteste Geflecht von Bindungen entstehen ließen. Diese Pluralität der Verpflichtungen durch seine Verteidigung Cicero (der nach 62 mit dem Brudersohn der wichtigsten Patronin

des Roscius sich befehdet: fam. 5,1 f. Att. 3,12,1). 59z. B. Cic. Rosc. Am. 4. 149. off. 2,67. 60Vgl. die Aufstellungen bei W. Feemster Jashemski, The Origins and History of the Proconsular and the Propraetorian Imperium to 27 B.C. 1950. Von besonderen Ausnahmen wie den Kommanden des Servilius Isauricus, Lucullus, Pompeius, Caesar ist hier abzusehen. 61 Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,89f. 62 Das ist in großem Maßstab bei der Ablösung des Lucullus durch Pompeius geschehen (vgl. Athenaeum 40. 1962. 110. 28 mit etwas übertriebenen Folgerungen). Vgl. allgemein, wenn auch in dieser Hinsicht wenig aufschlußreich, das Verhalten des Q. Metellus als Nachfolger Verres’(Cic. Verr. 2,2,10. 62 f. 140. 3,44 ff. 123f.) und Ciceros als Nachfolger des Ap. Claudius (Att. 5,20,1. 6,1,6. 2,9), auch Verr. 2,2,81 und, wohl zu stark tendenziös, Scaur. 33. 2 Meier

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mußte natürlich in den Ausmaßen, in denen damals verwaltet und Politik betrieben wurde, fortwährend die verschiedensten Konstellationen heraufführen. Sie setzte zum Beispiel, wenn das System funktionieren sollte, voraus, daß man seine Freunde, auch wenn sie sich untereinander befehdeten, auf die Vertretung seiner Interessen vereinigen konnte. Auch dafür lassen sich bezeichnende Beispiele anführen. Interessant ist, daß sowohl C. Gracchus wie Caesar die ihnen im übrigen nicht unbedingt freundlich gesonnene Senatsmehrheit dazu bewegen konnten, für ihre spanischen Clientelen günstige Beschlüsse zu fassen63. Man kann diesen Erfolg kaum anders als durch das Zusammenwirken verschiedener –unter sich im übrigen kaum übereinstimmender –Patrone erklären. Diese Vereinbarkeit ermöglichte es, daß man zu gleicher Zeit Bindungen etwa zu Pompeius und zu seinen Gegnern anknüpfen konnte, daß also die Entstehung solcher politisch widersprüchlicher Beziehungen nicht nur der Zeit oder dem Zufall zu verdanken war. Auch unter den „Politikern“64konnte diese Vereinbarkeit zum Teil bemerkenswerte Konsequenzen ergeben. Im Jahre 54 wurde M. Aemilius Scaurus bei seinem Prozeß zugleich von Pompeius und Hortensius, Cicero und Clodius und anderen verteidigt oder gelobt65. Wenn ferner Cicero, wie erwähnt, imJahre 54 hoffte, neben Hortensius auch Caesar für den gleichen Kandidaten gewinnen zu können, so war das keineswegs wider die üblichen Gepflogenheiten66. 64 haben zum Beispiel sowohl Pompeius als auch einige seiner entschiedensten Gegner die Wahl Ciceros zum Consul gefördert, und zwar weniger auf Grund einer von Catilina befürchteten Gefahr67 (von der noch kaum die Rede war), als weil er sich Jahre lang um ihre Unterstützung bemüht hatte68. Im Jahre 60 waren Pompeius und Crassus, untereinander noch in unversöhnter Rivalität, die wichtigsten suffragatores Caesars69. Wahrscheinlich sind 61 Q. Metellus 63 Plut. Gracchi 27,1f. –Auct. b. Hisp. 42. 64 Der Ausdruck soll hier nur zur schärferen Kennzeichnung dienen, an sich ist er nur „ ein unzulänglicher Notbehelf“. Denn „die Welt des römischen Aristokraten ist eine vollkommen und unausweichlich politische“(Strasburger, Caesars Eintritt in die Geschichte 133). Politik ist für den Senator also eigentlich weder Funktion noch Beruf. 65Asc. 23. 28. Auch Clodius’anderer erbitterter Feind Milo setzte sich für Scaurus ein. 66Hortensius trat selbstverständlich vor Gericht auch für Valerius’Vetter, den Consul von 61, ein, obwohl dieser damals (Ende 60) politisch schon mehr seinen Gegnern zuneigte (Cic. Att. 2,3,1 mit der Konjektur von Tunstall: Auli filio, d. h. Pompeius’ Gefolgsmann Afranius [1,18,5]. Vgl. Historia 10, 1961, 74,24). 67So, den Sinn ihrer Entdeckung gleich wieder verhüllend, L. Ross Taylor, Party Politics 65. 118. Sall. Cat. 21f. und Plut. Cic. 10 haben die Verschwörung fälschlich um ein Jahr vordatiert (Gelzer RE 2A, 1699). Für Geringschätzung Catilinas noch 63: Athenaeum 40, 1962, 114. Es ist bestenfalls anzunehmen, daß manche Cicero deswegen unterstützten, weil er als einziger die Chance hatte, sich gegen die coitio zwischen Catilina und Antonius durchzusetzen. 68 Plut. Cic. 10,1. Q. Cic. Com. Pet. 5. 51. Cic. Att. 1,1,2f. (Piso, Domitius, Pompeius. Dazu leg. agr. 2,49). Vgl. off. 2,59. Pis. 3. Asc. 72,20. 69 Dio 37,54,3.

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Celer,

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58 sein Bruder Nepos, 57 Cn. Lentulus Marcellinus ebenso von Pompeius

wie von verschiedenen seiner Gegner unterstützt worden70. Die gemeinsame Wahlhilfe des Pompeius und Crassus für Caesar könnte nunals eine besondere Art des Rivalisierens betrachtet werden. Auch in anderen Fällen mages nahe liegen, daran zudenken. Denn die Zahl der Kandidaten war dank der lex Annalis jeweils eng begrenzt, undda die Mehrheit der Wähler sich nach den großen Gegensätzen nicht zu richten pflegte, die Macht sich also nur zum geringen Teil in diesen konzentrierte, mußten die Bewerber vor allem eigenen Einfluß besitzen und waren folglich politisch recht selbständig. Man mußte daher eher um die vorhandenen Bewerber ringen, als daß man eigene aufstellen konnte71. Aber mit solcher Art Erklärungen wird das Problem nur ein kleines Stück weitergeschoben. Denn daß die lex Annalis gelten konnte, und daß derEinzelne sehr unabhängig war, spricht doch schon dafür, daß es schwer war, ihn an die eine oder andere politische Macht zu binden. So ist es also sehr fraglich, ob man mit dieser auf Umwegen schon wieder die Kategorie der Parteilichkeit ins Spiel bringenden Erklärungsform an das Wesen dieser auffälligen Gepflogenheit überhaupt herankommt. Es gibt außerdem noch andere, krassere Beispiele der Vereinbarkeit: Im Jahre 62 kam M. Pupius Piso aus dem Osten nach Rom, umsich für 61 um das Consulat zu bewerben. Es war klar, daß er dies im engsten Einvernehmen mit Pompeius tat, um diesem als Consul zur Durchsetzung weitreichender Forderungen zu verhelfen72. Gleichwohl hat er von seinem Vetter C. Calpurnius Piso, einem der entschiedensten Gegner des Pompeius, offensichtlich wertvolle Unterstützung erhalten73. Daß dies keine Ausnahme war, wird deutlich, wenn 70Die Unterstützung durch die Gegner ist wohl sicher. Für diejenige durch Pompeius: Dio 37,49,1 (Dio schreibt ebd. 3, da sich Pompeius von Celers Halbschwester oder Cousine Mucia geschieden habe, sei dieser dann sein Feind geworden. Die Scheidung lag jedoch der Wahl in Wirklichkeit um 11/2 Jahre vorauf [Cic. Att. 1,12,3]. Aber sie muß nicht gleich die Feindschaft zur Folge gehabt haben; auch Celers Bruder Nepos stand weiter gut mit Pompeius. Da andererseits Celer Pompeius’ Legat gewesen war und ihn wahrscheinlich auch 63 unterstützt hatte [Athenaeum a. O. 114, 41], erscheint Dios Aussage in § 1 durchaus glaubwürdig, zumal Tatsachen in der damaligen Historiographie wesentlich zuverlässiger als Motive berichtet werden [vgl. Historia 10, 1961, 76 f.]). –Für Nepos gelten entsprechende Überlegungen wie für seinen Bruder. Vgl. Münzer RE 3,1217 –Plut. Pomp. 51,8. –Vgl. auch die Wahl des Vaters Catulus im Jahre 103: Plut. Mar. 14,14. Badian Historia 6, 1957, 322 f. Dazu BJ 161, 1961, 508. 71 Denn die in großer Zahl zur Verfügung stehenden älteren Praetorier, von denen der eine oder andere zuweilen eine solche Gelegenheit wahrnahm, um mit fremder Hilfe Consul zu werden (vgl. Cic. leg. agr. 2,2 mit Athenaeum a. O. 108, 18, ferner vielleicht Sulpicius Rufus, der von 63 bis 52, Rutilius Rufus, der von 116 bis 106 wartete), werden zumeist keine sehr fähigen Helfer abgegeben haben. 72Plut. Cato 30,1 f. Pomp. 44,1. Dio 37,44,3 (zur Sache vgl. Stein, Senatssitzungen 19,99. Athenaeum a. O. 123, 80). 73Anders ist Cic. Att. 1,13,2 nicht zu verstehen, denn die Pazifikation der Allobroger war nur der äußere Grund. Vgl. auch Dio 37,44,3. Zur Sache Gell. 4,10,3. 2*

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man die Förderung gewahrt, die im Jahre 59 ein anderer Piso, Lucius –der gerade Caesars Schwiegervater geworden war und als Consul 58 dessen Inter, offenbar von weiten Kreisen auch der optimatischen essen vertreten sollte – Gegner Caesars erfuhr74. Ähnliche Konflikte –denn darum muß es sich mindestens bei den führenden Senatoren handeln –lassen sich bei anderen Gelegenheiten beobachten. Bekannt ist derjenige, dem sich der Redner M. Antonius im Jahre 95 ausgesetzt fand, als er sich wider seine politische Einsicht verpflichtet fühlte, seinen sodalis C. Norbanus vor Gericht zu verteidigen75. Nicht viel anders wird es sich 61 verhalten haben, als C. Curio sehr gegen das Interesse des Senats die Verteidigung des Clodius übernahm76. In dem Prozeßkrieg des Jahres 56, der wesentlich mit Crassus’Unterstützung gegen Pompeius’Anhänger geführt wurde, hat Crassus gleichwohl, wenn auch animo non amico, dem wichtigsten Angeklagten Milo beigestanden77. Andere Fälle der gleichen Art ließen sich rekonstruieren: 55 etwa müßte L. Marcius Philippus die vom Dreibund so heftig bekämpfte Bewerbung seines Schwiegersohnes Cato um die Praetur unterstützt haben, obgleich er wohl damals schon Caesars Nichte Atia geheiratet und sich jedenfalls schon als Consul 56 mehr auf Caesars als auf Catos Seite gestellt hatte78 (so daß er bei den Consulwahlen dieses Jahres kaum gegen Pompeius und Crassus gestimmt haben kann). 59 ist ein Servilius Caepio als Verlobter der Julia und Helfer Caesars gegen Bibulus bezeugt. Verschiedentlich wird angenommen, es sei Catos Neffe Brutus gewesen79. Jedenfalls muß er mit Cato verwandt gewesen 74Cic. Sest. 20 ff. Vgl. Q. fr. 1,2,16. sen. grat. 17. Pis. 11. In mancher Hinsicht ähnlich könnten sich weite Schichten bei der Wahl der M. Aemilius Lepidus im Jahre 79 verhalten haben (vgl. Sall. hist. 1,77,6: qui gentis Aemiliae benefacta extollebant [vgl. Cic. Phil. 13,7]). Wegen der Besonderheit der damaligen Situation und des Mangels an Quellen ist freilich nichts sicher auszumachen (Plut. Pomp. 15,1ff. Sull. 34,7f.). 75Cic. de or. 2,197 ff. Badians Zweifel (a. O. 332) überzeugt nicht. Vgl. BJ a. O. 76 Cic. Att. 1,14,5. Schol. Bob. 85. 17. Miss Taylor meint dagegen, Curio habe dauernd die Seite gewechselt (Party Politics 15). In Wahrheit scheint er nur besonders unvoreingewie übrigens viele principes (vgl. u. S. 169ff. 186) –nicht nommen gewesen zu sein undsich – starr an die senatorische Politik gehalten zu haben (vgl. Gelzer RE 7A,855, Strasburger ebd. 18,794 über L. Marcius Philippus). 77Cic. Q. fr. 2,3,2. 4. Vgl. seinen Beistand für Sestius: Schol. Bob. 125. 78 Vgl. Plut. Cato 39,5. Münzer RE 14,1569, in der Formulierung vielleicht zu kraß. Miß Taylor (a. O. 228,12) hat jedoch seine Argumente nicht widerlegt. Ihre eigenen sind falsch, zumal Pompeius und Crassus die Wahlen deswegen verschoben haben, weil sie auf Caesars Urlauber warteten (Plut. Crass. 14,7. Pomp. 51,5 [vgl. Att. 4,16,6]. Dio 39,27,3 erwähnt wohl nicht zufällig namentlich nur Philippus’ Collegen). Die Gunsterweisungen gegen Cato aber bewegten sich im Rahmen der necessitudines. 79 Suet. Jul. 21. Für die Identifikation Münzer RA 338 f. (vgl. aber RE 2A, 1779). Gelzer Kl. Schr. 2,260 (1934). Syme RR 34 f. Diese Annahme leuchtet sehr ein, wenn man daran denkt, wie gern Servilia ihre Töchter mit Pompeius verheiratet hätte (Plut. Cato 30,4). Politische Hemmungen hätte sie gewiß nicht gehabt. Wie viel andererseits Cato

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sein. Konnte er dann aber im Jahre 60 demGatten der Tochter Catos, Bibulus, seine Stimme vorenthalten? Vermutlich gehörte er eher zu denen, die Caesar und Bibulus zugleich wählten. Endlich: Wie stellten sich die Meteller, die zum großen Teil zu Pompeius’Gegnern zählten, als Metellus Nepos sich 63 als Abgesandter des Feldherrn um das Volkstribunat bewarb80? Die Wahrscheinlichkeit, daß wir auch in diesen konstruierten Fällen, wenn es in ihnen nach der Regel zuging, mit demVorrang der mehr privaten vor den politischen Argumenten rechnen dürfen, ergibt sich besonders daraus, daß das Zusammengehörigkeitsgefühl und der Ehrgeiz der römischen Adelsgeschlechter traditionell sehr stark waren, wenigstens sobald ihre eigene Sache auf demSpiel stand81. Darüber hinaus kann angesichts der mächtigen Kraft der Verpflichtungsverhältnisse und des weiten Ausmaßes ihrer Geltung82 nicht der geringste Zweifel daran bestehen, daß die Vernachlässigung eines officium eine Beleidigung darstellte. So ist es auch ausdrücklich bezeugt83. Und da die persönliche Ehre im damaligen Adel selbstverständlich sehr hochgehalten wurde, war man sehr empfindlich84. So gab es sich von selbst, daß jeder seinen Verpflichtungen im ganzen mehr oder weniger automatisch nachkam85, wobei sich natürlich das Maßdes Einsatzes verschieden dosieren ließ. Die Pluralität der Bindungen ließ ein strenges Sortieren nach partium sensus in der Regel kaum zu86. Deswegen kann es als sicher gelten, daß das Zusammenwirken von Gegnern im Interesse gemeinsamer Freunde und überhaupt die Vereinbarkeit großer politischer Gegensätze in einem weiten Bereich der Politik in der Regel eher als automatischer Vollzug der officia denn als Form politischer Rivalität zu verstehen

ist.

Als Gegner des Pompeius dessen Kandidaten unterstützen –weil der Ehrgeiz des Geschlechts oder andere Verpflichtungen es so wollen, einen Prozeßdamals über Brutus vermochte, wissen wir nicht. Anders: Cichorius in Festgabe Bezold 69f. Gelzer RE 10,975 (1917). Kl. Schr. 1,200 (1920). Caes6 72,60 (1960). 80 Plut. Cato 20,2 ff., Cic. in cont. Met. frg. 6 Sch. Vgl. Gelzer Pomp.2 115. Zu seinen Verwandten u. S. 170. 81z. B. CIL 12 6 ff. = Degrassi ILLR 390 ff. (Scipionen-Inschriften). Dazu G. Möbus’ Bemerkungen in Neue Jahrb. NF 5, 1942, 290. Ferner Asc. 18,16. Cic. off. 1,121. Planc. 51. Sall. Jug. 4,5. Kroll, Kultur d. ciceron. Zeit 1,33ff. Ihne RG 12 436ff. Earl Historia 9, 1960, 236. 82 Gelzer, Nobilität (Kl. Schr. 1,17 ff.) passim. Als anschauliches Beispiel etwa Cic. fam.

13,64. 83Cic. off. 1,23. 28ff. Sull. 6. 10 (religio privati officii). Mur. 9 (amicorum neglectio improbitatem coarguit). Planc. 80. Reitzenstein a. O. (Anm. 16) 19. Att. 9,2a,2 (ingrati 84 Vgl. u. A. 35,57. S. 37f. animi crimen abhorreo). 85Einmal hören wir, daß Cicero gleichzeitig drei Kandidaten für das Consulat unterstützt (Cic. Q. fr. 3,1,16). 86Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,164f.: „Die Abhängigkeit dieses Verhältnisses (der Freunde) von der jeweiligen Konstellation der persönlichen Interessen bewirkte eine große Beweglichkeit dieser Beziehungen und häufige Pflichtenkollisionen“. Ferner u. S. 40f. 163f.

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I Partium sensus neben necessitudo

krieg entfesseln und dann einem der wichtigsten Angeklagten beistehen –weil irgend eine necessitudo dazu nötigt; Caesar und Bibulus zugleich wählen –weil Bindung oder Ansehen beide empfiehlt ...; dieses ganze Treiben mutet angesichts der Bedeutung der zur Debatte stehenden politischen Probleme absurd an. Freilich muß gerade im Hinblick auf die auffälligsten der besprochenen Widersprüche zwischen necessitudines und partium sensus gesagt werden, daß sie nicht für die Regel stehen können. Denn wenn, umbeim Beispiel zu bleiben, regelmäßig Exponenten der großen Gegensätze kandidiert hätten, hätten diese Gegensätze auch in der übrigen Gesellschaft stark ausgebildet und verbreitet gewesen sein müssen. Eins wäre ohne das andere nicht denkbar. Dann hätte also das Gros der Wähler keineswegs mehr von den großen Gegensätzen absehen können. So aber war es doch gerade die Regel, daß fast alle Bürger und mit ihnen die Kandidaten relativ unabhängig davon waren und daß die Materien, um die es in der alltäglichen Politik ging, wenig damit zu tun hatten. Aus dieser Regel folgen unter den damaligen Umständen solche Widersprüche wiediezitierten als durchaus notwendige Ausnahmen. Auf welche Weise dabei die Auseinandersetzungen zwischen Pompeius und dem Senat ausgetragen werden konnten, bleibe zunächst offen. Einstweilen läßt sich nur feststellen, daß es in ihnen nach anderen Gesetzen als in der regelmäßigen Politik zugegangen sein muß. Man kann –nach Erledigung der inzwischen wachgewordenen Einwände –nur nochmals betonen, daß die Politik sich in den späten 60er und den 50er Jahren –nur davon kann hier die Rede sein –offenbar auf zwei voneinander relativ unabhängigen Ebenen abspielte. Denn kennzeichnend an dieser Art von Politik ist nicht so sehr, daß die Vielzahl unpolitischer Beweggründe und Interessen, welche in vergleichbaren Zeiten doch bei Wählern wie Politikern immer stark mitsprechen, damals in Rom so viel vermochte und bei so bedeutenden Entscheidungen den Ausschlag gab, sondern: daß die großen, mehr auf das Ganze des Gemeinwesens gerichteten Parteiungen und Probleme nicht genügend Kristallisationsvermögen besaßen, um die kleineren, privateren Interessen und Gegensätze an sich zu ziehen. Vielleicht auch waren diese kleineren Interessen und Gegensätze so vielfältig und verschlungen und so mächtig, daß sie sich von der Anziehungskraft der großen Politik freihalten konnten. Manweiß nicht gleich, ob man das Phänomen mehr durch die Schwäche des einen oder durch die Stärke des anderen beschreiben soll. Jedenfalls fehlte die –in vergleichbaren Situationen meist vorhandene –Gelegenheit zur Bildung einer größeren Gruppierung, die sich auf den verschiedensten Gebieten der Politik aufs Ganze gesehen als Einheit bewährt hätte. Die großen politischen Gegensätze reichten also nicht tief, und zwar in doppeltem Sinne: indem das Gros der Bürger bei wichtigen Gelegenheiten praktisch keine Notiz von ihnen nahm und indem die Senatoren (deswegen auch) in zumTeil überraschender Weise von ihnen absahen. Ausder Ferne und

Eine auffällige Spaltung der Politik

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summarisch betrachtet herrscht dabei ein eklatanter Widerspruch zwischen den aktuellen und im eigentlichen Sinne politischen Problemen und der durch das Walten der necessitudines bestimmten täglichen Politik. Anders jedoch sieht es sich an, wenn man etwas näher herangeht: Die Zeitgenossen haben jenen Widerspruch nur für die äußersten Situationen des Notstands und des Bürgerkrieges als ernst empfunden und dann, mindestens der Forderung nach, sogleich im Sinne der res publica gelöst87. Und da es nicht die Regel gewesen sein kann, daß der partium sensus eine Rolle spielte, so ergibt sich aus diesem Blickwinkel in der Tat nur, daß die tägliche Politik sich relativ unabhängig von den großen Gegensätzen und Problemen abspielte. Erst daraus und aus den gelegentlichen, unvermeidlichen (und nicht zu überschätzenden) Konflikten entsteht –mittelbar –der Widerspruch, der sich in der Ferne so deutlich abzuzeichnen scheint. Aber wenn damit auch die Ausnahme ins rechte Verhältnis zur Regel gesetzt ist und die Politik statt durch einen direkten Widerspruch eher durch eine Art von Schizophrenie beherrscht zu sein scheint, so werden die geschilderten Verhältnisse dadurch nicht weniger bemerkenswert. Sucht man nach deren Ursachen, so liegt für uns vielleicht am nächsten die Erklärung, daß damals überkommene Normen und Vorstellungsweisen, automatisch weiter vollzogen, die Erkenntnis und tätige Respektierung der politischen Wirklichkeit vereitelt hätten. Aber wenn eine ganze Gesellschaft (im weiten, ursprünglichen Sinne des Wortes), welche viel Freiheit genießt und einen Staat trägt, der praktisch allein auf der Welt ist, trotz großer Veränderungen nach alten Normen lebt, so gehört dies ebenso sehr zur politischen Wirklichkeit wiedie Forderungen und Probleme, die sie dabei vielleicht übersieht oder praktisch nicht berücksichtigt; dann stellt sich die Frage, ob ein Eingehen auf solche Probleme noch Sache der Einsicht und des guten Willens ist und nicht vielmehr vom Wesen dieser Gesellschaft ausgeschlossen wird. Mit oberflächlichen Erklärungen ist also der eigenartigen politischen Grammatik der damaligen respublica nicht beizukommen. Die geschilderten Erscheinungen müssen vielmehr als Ausdruck der gesamten Verfassungswirklichkeit –und erste interessante Zeugnisse über deren Besonderheit –begriffen werden. 87Cic. Lael. 33–43. fam. 2,15,3. 11,27f. (Briefw. m. Matius). Lentulus Spinther fil. ebd. 12,14,7. Phil. 5,6 (vgl. App. 1,446). 50. Sall. Cat. 51,16. Tac. ann. 1,10,3 u. v. a.

DIE ARISTOKRATISCHE PRÄGUNG DER RES PUBLICA UND DAS BINDUNGSWESEN Die weithin maßgebende Rolle, die die necessitudines in der späten res publica spielten, ist nicht nur im Blick auf die Tragweite der in den 50er Jahren brennenden politischen Probleme, sondern auch angesichts der mächtig gewordenen Bourgeoisie und der Ausmaße des römischen Herrschaftsbereichs eine erstaunliche, wohl einzigartige Erscheinung. Das wird heute wenig beachtet, Nobilität”innerhalb der politischen obwohl oder eher weil man seit Gelzers „ Grammatik mit diesen patriarchalischen Bindungen wie selbstverständlich rechnet. Es stellt sich also die Frage, aus welchen historischen Ursachen und welchen aktuellen Funktionen sich deren damalige Bedeutung erklärt. Freilich ist es unmöglich, ihre Geschichte genau zu rekonstruieren. Aber gewisse grundlegende Zusammenhänge sinddochwahrzunehmen, aus denen die Gesamtheit der Erscheinung und ihre zentrale Rolle als bestimmender Faktor der römischen Verfassung und ihrer Geschichte deutlich werden. Dabei braucht kaum hinzugefügt zu werden, daß alle Erörterungen hier zugleich die Besonderheit der aristokratischen Prägung der res publica im Auge haben müssen und endlich nur in deren Behandlung Ziel und Grund finden können. 1. DIE DREI PHASEN DER GESCHICHTE DES BINDUNGSWESENS IN ROM1

, „GehorCliens ist dem ursprünglichen Wortsinn nach der „Hörende“ .2 Verschiedene Anhaltspunkte und Berichte sprechen dafür, daß in chende“ 1 Man unterscheidet heute im allgemeinen zwei Ausprägungen des Bindungswesens: Den Urzustand, der durch die rechtlich streng geregelte Beziehung zwischen Patron und Client charakterisiert ist, und das in der späten Republik anzutreffende System der mehr formlosen, vielfach einander konkurrierenden, vornehmlich nur noch moralisch verpflichtenden Nah- und Treuverhältnisse (vgl. Herzog, Röm. Staatsverfassung 1,990. Premerstein RE 4,51ff., die vor allem von dem früheren Zustand ausgehen und dem späteren nicht gerecht geworden sind. Gelzer, der zum ersten Mal die späten Formen in ihrer Bedeutung erkannte, hielt sie für eine „analoge Neubildung“[Kl. Schr. 1,168f. 97,297]. Das scheint mir weder begründet noch gar denkbar zu sein: Das Bindungswesen muß vielmehr in all seinen Phasen als Komplement der römischen Form des Adelsregimes angesehen werden). Auf die Behauptungen, die neuerdings Horst Kaufmann in seinem Buch Die altrömische Miete, 1964, 122 ff. über das frühe Clientelwesen aufgestellt hat, gehe ich nicht ein, da sie allesamt reiner Konstruktion entspringen (womit nichts über den –wie mir scheint, sehr hohen –Wert der übrigen Teile des Buches gesagt sei).

II

1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom

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einer sehr frühen Zeit die römischen Adelsgeschlechter jeweils viele Clienten besaßen, die –wie nun auch ihr genauer Status gewesen sein mag –in sehr hohem Maße von ihren Herren abhängig waren. In relativ geschlossenen Territorien wohnend bildeten sie wohl zumeist kompakte Hausmachten der GeSchutz undSchirm“durch ihre Herren undwaren dafür – schlechter, genossen „

in der Sprache des Mittelalters3 –zu „Rat und Hilfe“verpflichtet. So mußten die Clienten jener Zeit nicht nur gewisse wirtschaftliche Leistungen erbringen, sondern auch an den Adelsfehden teilnehmen4. Es ist anzunehmen, daß diese frühen Clientelverhältnisse sich in genauen, strengen Formen und Regeln bewegten5. Möglicherweise waren die Clienten jener Zeit nur domus, nicht rei publicae pars, gehörten also bestenfalls mittelbar der damaligen Vorform der respublica an6. Die gleiche Erscheinung ist mutatis mutandis auch in anderen frühen „Geschlechterstaaten“ weit verbreitet gewesen. Noch in historisch faßbarer Zeit, teilweise auch nach der Überwindung ε dieser staatlichen Struktur, sind eine Art von Clienten, griechisch π ν έσ τ α ι – im Sinne von 7) weitgehend ν Abνϰ α ὶδούλω ρ ω έ ϑ υ ὺἐλ ε ξ (= Menschen μετα hängigen, mit ihrer ganzen Person Verpflichteten, nicht unmittelbar den Staaten Zugehörigen –in vielen Teilen Griechenlands bezeugt8. Außerdem finden wir sie in Spanien, Gallien und Britannien wie in Etrurien und bei den Sabinern9. Später bildet sich das gleiche Verhältnis in der Spätantike und im 2 Mommsen, Röm. Forschungen 1,368, Premerstein RE 4,40. 3 Vgl. Otto Brunner, Land und Herrschaft4 269 mit weiteren Hinweisen. 4 Premerstein RE 4,24 ff. bes. 40f. Siber RE 21,163 ff. zuletzt Ernst Meyer, Röm. Staat2 31 ff. –Zur Teilnahme an den Fehden: Latte NGG, Philol.-hist. Klasse 1934, 66f. U. v. Lübtow, Das römische Volk, 1955, 35. Hampl HZ 184, 1957, 268f. 5 Vgl. die commendatio, für die frühe Zeugnisse nicht vorliegen (die späteren zum großen Teil bei Gelzer Kl. Schr. 1,73f.); die applicatio (Cic. de or. 1,177, weitere Belege bei Voigt, Ber. üb. d. Verh. d. sächs. Ges. d. Wiss. 30, 1878, 151 ff. Badians Ausführungen [FC 7ff.] betreffen allein den späteren Zustand); die Berücksichtigung der Clientelverhältnisse im Recht (Gelzer Kl. Schr. 1,69ff.), ferner die klare Rangfolge der Verpflichtungen in Catos Äußerung bei Gellius (5,13,4).

4 Tacitus berichtet von den freien Söhnen der Germanen, sie seien vor der Einführung in die Gemeinde: domus pars, mox rei publicae (Germ. 13,1). Daß die Stellung der Söhne unter dem pater familias ursprünglich auch in Rom –und dort auch, nachdem sie erwachsen waren –derjenigen der Clienten vergleichbar war, ist deutlich: vgl. Siber RE 21,163f. Zur Sache: Voigt a. O. 161ff. Premerstein RE 4,48. Ernst Meyer a. O. 7 Pollux 3,83 (aus Aristoph. v. Byz.). Vgl. das gleichnamige Buch von D. Lotze, 1959. Dazu die Bespr. von H. J. Wolf, Sav. Zeitschr. 77, 1960, 442 ff. 8 Vgl. Dion. Hal. 2,9,2 (dazu Gabba Athen. 38, 1960, 183), ferner Ed. Meyer G. d. A. 33, 289. J. Hasebroek, Griech. Wirtschafts- u. Gesellschaftsgesch. 74f. Lotze. 9 Spanien: z. B. Liv. 26,50,4. Gallien: Caes. b. G. 1,4,2. 6,19,4. 7,4,1. 32,5. Vgl. 6,13,2. 19,4. 7,40,7 (zu unterscheiden ist das Phänomen des comitatus: 1,18,5. 6,15,2. Polyb. 2,17,12. Tac. Germ. 13,2 ff. Jullian, Hist. de la Gaule 2,75f. 79f. Norden, German. Urgesch. in Tac. Germ. 124 ff.). Germanien: Tac. ann. 1,57,3. 2,45,1. 3,42,2. Britannien: Tac. Agr. 12,1 u. a. Sabiner und Etrusker: Premerstein RE 4,24, zuletzt H. Rix, D. etrusk. Cognomen, 1963, 373 ff. m. Lit.

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

Mittelalter auf anderen Grundlagen neu. Wie groß der Anteil der Clienten an der Gesamtbevölkerung Roms damals war, ist nicht auszumachen. Es ist keineswegs anzunehmen, daß die Römer sich ursprünglich nur aus Patriciern und Clienten zusammensetzten10, aber man muß gewiß damit rechnen, daß weite Teile der Gesellschaft durch Clientelbindungen an eine Adelsschicht –ob diese nun mit dem späteren Patriciat identisch war oder nicht –gebunden und daß die clientelfreien Teile der Bevölkerung unbedeutend waren. Diese ursprüngliche, strenge, umfassende Form der Clientel wurde zumeist abgelöst von einer zweiten, gelockerten. Dies geschah in Rom wohl in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, und zwar vor allem dadurch, daß alle oder doch das Gros der Clienten zu Vollbürgern wurden und dem Adel nun selbständiger gegenübertreten konnten. Ein Gefälle zwischen Patron und Client blieb zwar bestehen, ebenso eine gewisse Förmlichkeit, mit der Clientelverhältnisse geknüpft wurden und sich auswirkten11, aber die alte Intensität der Abhängigkeit begann nachzulassen. Wie es dazu kam, ist im einzelnen unklar. Erster sicherer Ausdruck des Wandels ist für uns die Bildung der in politicis mitwirkenden Heeresversammlung der comitia centuriata. Eine wesentliche Voraussetzung waralso dieEinführung derHoplitenphalanx11a. Die –zuirgendeinem Teil dadurch bedingten –politischen Vorgänge, die zur Bildung der Sondergemeinde derplebs führten, werden ebenfalls eine Rolle in diesem Prozeß gespielt haben. Keinerlei Wahrscheinlichkeit spricht freilich für die Behauptung12, die Patricier hätten die Clienten vor allem deswegen zu Vollbürgern gemacht, um durch sie die –„ursprüngliche“–plebs zu majorisieren. Wir wissen nicht, wieundworaus dieplebs entstanden ist undobundwieweit siesich vom Gros der Clienten unterschied. Weder läßt sich zeigen, daß die ursprüngliche plebs keine oder wenige oder auch nur: daß sie bloß in der Minderheit Clienten enthalten habe13, noch können wir sagen, daß die Clienten oder auch nur deren Gros immer auf der Seite der Patricier gestanden hätten14. Anders gesagt: man kann nicht finden, daß die Ständekämpfe sich im ganzen zwischen 10 Kunkel, Sav. Ztschr. 72, 1955, 307 ff. 11Vgl. die in Anm. 5 zitierten Belege und Bücher, ferner Siber RE 21,163. 11a Vgl. Altheim, Röm. Gesch. 2 (1953), 167f. 12Lange RA 1,294. Gelzer Kl. Schr. 1,168 f. 13De Franciscis Vermutung, daß die Organisation der plebs in einer Kultvereinigung um das Heiligtum der Ceres, Liber und Libera ihren Ausgangspunkt gehabt habe (Primordia Civ. 781 f.), ist nicht unwahrscheinlich. Aber der Charakter der Gottheiten (Latte, Röm. Rel. 70f. 161f.) spricht dagegen, daß sie vornehmlich spezifisch städtische Bevölkerungsschichten enthielt (so Meyer, Röm. Staat2 34. Altheims Vermutungen über die Bedeutung des Diana-Heiligtums [s. De Francisci] überzeugen mich nicht). Es ist nicht einzusehen, warum nicht: auch oder gar: überwiegend Clienten zu dieser Kultgemeinde gehört haben sollen.

14Denn es ist sehr zu fragen, ob eigens zu besagtem Zweck entlassene Clienten ein zuverlässiges Werkzeug hätten bilden können. Die plebs müßte denn so schwach gewesen sein, daß ihre Erfolge wieder unbegreiflich würden.

1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom

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Patriciern und Clienten einerseits und einer „heterogenen“plebs (gleich Nichtclienten) andererseits abgespielt hätten. Wenn spätannalistische Autoren es so darstellen, so übertragen sie damit nur eine Tatsache und zumTeil tendenziöse Behauptung der späten Republik in die frühe15. Es ist im Gegenteil ganz unwahrscheinlich, daß der Adel nur mit Hilfe eines konservativen Blocks von Clienten geherrscht habe. Dann hätte nämlich sein Regime und die innere Geschlossenheit des Gemeinwesens nicht so kräftig bewahrt werden können. Man sollte also eher annehmen, daß einerseits allgemeine Empörungen oder weit verbreitete Forderungen Clienten kaum weniger als Nichtclienten bewegten16und daß andererseits im ganzen Nichtclienten kaum weniger als Clienten sich willig der Führung des Adels überließen. Die Festigkeit, mit der das Patriciat so lange die Führung behauptete, macht es aber auch wahrscheinlich, daß die Clientelbindungen im fünften und vierten Jahrhundert weiterhin breiteste Teile der Bürgerschaft durchwalteten. Im römischen Staat war damals die herrschaftliche Komponente sehr stark ausgeprägt, und die Gesellschaft war –bei grundsätzlicher privatrechtlicher Gleichheit17 –derart nach Autorität und Rang in sich gestuft, daß nicht nur die staatlichen Positionen sich noch in der Hand einer kleinen Adelsschicht befanden, sondern daß insgesamt im öffentlichen Leben und vor Gericht eine gewisse Ungleichheit herrschte: Der Wert eines Mannes gab imZweifel eher den Ausschlag als der seiner Sache, als ein abstrakter Rechtsanspruch18. So war der einfache Bürger nur als Client voll geschützt, voll in die Gesellschaft einbezogen19. Es bestand daher ein starkes Bedürfnis nach Vertretung vor Gericht, Magistraten und Senat. Und da es der plebs weder an Selbstachtung noch an der Möglichkeit zu gelegentlicher starker Machtentfaltung gebrach, so mußte diesem Bedürfnis gut undverantwortungsvoll entsprochen werden, wenn Staat und Adelsregime weiter auf dem inneren Einverständnis der Bürgerschaft be15 Siehe Note 3, S. 308. 16ZumBeispiel müssen Verschuldung und Schuldknechtschaft, die zu den schlimmsten Beschwerden der Zeit gehörten (Hoffmann RE 21, 82. 87. Wieacker, V. röm. Recht2 56. Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1, 110 ff. Altheim a. O. 230. 361 ff.), die einen kaum weniger als die anderen geplagt haben. 17Wirszubski, Libertas 14. 18Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 1,80 ff. 19Vgl. z. B. Wieacker 88: Die Gerichtspatronage, die, aus der Fürsorge des ansehnlicheren Mannes für den Schutzhörigen entsprungen, allein in einem hierarchischen GemeinRechtwesen dem Geringen eine Schutzstatt vorm Übermut der Großen verbürgt. Denn „ haben“hat in der sozialen und politischen Wirklichkeit immer noch geheißen: nicht eine Norm für sich geltend machen können, sondern seine öffentliche Existenz im sozialen Kampf behaupten. –Interessant sind ferner die Ergebnisse Kunkels über das summarische Polizeiverfahren, dem offenbar schon in der Republik Sklaven und personae viles aus der Bürgerschaft anheimfallen konnten (Unters. z. Entw. d. Kriminalverf. 75 ff. 91 f. 135). Auch hier galt Ungleichheit (s. bes. 78), wenn sie nicht durch Eingreifen eines Patrons ausgeglichen wurde.

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

ruhen sollten. Das Bindungswesen war also keineswegs bloß Ursache des Adelsregimes. Nur die Macht der Einzelnen und der Geschlechter beruhte zumguten Teil auf Verpflichtungsverhältnissen. Die Herrschaft des gesamten Standes lebte dagegen aus einem viel umfassenderen Grund20. Freilich entstand mit der Begründung der plebeischen Schwurgemeinschaft undder Einrichtung desVolkstribunats zugleich eine neue Form der Vertretung der Interessen gerade auch des einzelnen Plebeiers21. Sowohl Nichtclienten wie solche Clienten, die keine mächtigen Patrone hatten oder von ihren Patronen vernachlässigt wurden, konnten auf diese Weise geschützt und gefördert werden. Aber das brachte, wie sich zeigte, nur eine Ergänzung der üblichen Vertretungsformen: wirksame Abhilfe in Ausnahmefällen. Die Regel blieb die Clientelbindung, und das um so mehr, als die mächtigen Familien der plebs das Volkstribunat gewiß als Mittel benutzten, die eigenen Clientelen zumehren. Denn aus der Dankbarkeit der Vertretenen resultierten dauerhafte Bindungen. Diese Familien gewannen also mit der Zeit ähnlich große Clientelen wie das Patriciat22. Indem aber sehr viele der Nichtclienten ihre Clienten wurden, stellten sie die Geltung dieser Institution des Adelsregimes nicht nur nicht in Frage, sondern verstärkten sie sogar: Nicht zuletzt dank dieser dem Patriciat konkurrierenden Aristokratie bewahrte das Clientelwesen seinen Charakter als Ferment der gesamten Gesellschaft. So führten auch die Ständekämpfe endlich nicht zum Sturz, sondern nur zu einer Modifikation des Adelsregimes, unter anderem zur Bildung desneuen Adels der Nobilität, demPatricier undPlebeier angehörten23. Der Kampf und die Erfolge der plebs waren zugleich auf andere Weise für den Bestand von Adelsregime und Clientelwesen von Bedeutung. Denn es stellte sich dadurch jene einmalige Ausgewogenheit zwischen Rat und Volk 20 Vgl. u. S. 45 ff. 21Altheim, Lex Sacrata 22 ff. (vgl. Welt als Gesch. 7, 1941, 217 ff.). Zum Schutz der Rechte des Einzelnen: Wirszubski 24 ff. Wieacker 28 ff. Ferner: RE Suppl. 10, 590f. 22 Gelzer Kl. Schr. 1,169. Es ist eine offene Frage, woher die führenden Familien der damaligen plebs stammten. Einige werden aus dem Adel benachbarter Gemeinden zugewandert sein (Münzer, Röm. Adelspart. 46 ff. Gelzer 190ff. 197 mit den als Einschränkung sicher ernst zu nehmenden Einwänden Belochs, Röm. Gesch. 337 ff.). Das Gros wird sich aus römischen Großbauern rekrutiert haben, von denen einige sich durch Handel hervorgetan serrata“des Patriciats haben mögen (Beloch m. Einschr.). Manches spricht dafür, daß die „ erst im frühen 5. Jh. stattfand und daß dabei auch eine Reihe vornehmer Geschlechter (vielleicht sogar von den ehrgeizigsten, wenn diese nämlich mit der plebs paktiert hatten) ausgeschlossen wurde, die dann also zu den führenden der plebs gehörten (Last JRS 35, 1945, 30 ff. Kunkel, Sav. Ztschr. 77, 1960, 369). p. s. Vgl. zum römischen Handel in der frühen Republik noch Cassola, Gruppi polit. rom. nel III. sec. 27ff. (freilich übertrieben). 23Vgl. Gelzer 3, 379. –Hoffmann weist sehr einleuchtend auf die Rolle hin, die Roms Kriege in diesem Zusammenhang spielten: Angehörige neuer Familien konnten sich dort bewähren und brauchten nicht, um ihre Ansprüche durchzusetzen, das Volk aufzuwiegeln (RE 21, 84).

1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom

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her, die für die römische Verfassung so charakteristisch ist. Es entstand Opposition im besten Sinne des Wortes24. Und gerade indem die plebs sich kräftig zur Wehr setzte, trug sie viel mehr zur Erhaltung des Überkommenen bei, als sie es durch Gehorsam hätte tun können. Der Adel wurde gezwungen, Maß zu halten und seine Pflichten zu erfüllen25. Zugleich war durch die Möglichkeit, sich in der Not gegen ihn durchzusetzen –die endlich 287 dahin gesteigert wurde, daß die Resolutionen derplebs die Gesamtgemeinde banden 26– , ein Mittel gegeben, um ungebührliche Mißstände zu beheben, bevor daraus frontale Angriffe gegen die herkömmlichen Staats- und Lebensformen hätten erwachsen können.

So kam es, daß das römische Clientelwesen in seinem zweiten Stadium – grob gesprochen im fünften undvierten Jahrhundert –erstaunlicherweise nicht einfach traditionell in Teilen der Gesellschaft, und das hieße wohl notwendig: bei allmählich nachlassender Kraft27 fortlebte, sondern daß Clientel- wie Gastfreundschafts- und Nachbarschaftsbindungen und die aus beneficia erwachsenden Dankbarkeitsverhältnisse auf einem breiten Entstehungsgrund sich weiterhin ständig aktualisierten und neu geknüpft wurden. Besonders zu erwähnen ist dabei noch die Freilassung von Sklaven unddie Aufnahme von Neubürgern, die beide demAdel immer wieder zahlreiche Clienten einbrachten. Wie nun die Festigkeit der adelsstaatlichen Ordnung die Existenz des Bindungswesens bedingte, soblieb die Senatsaristokratie durch dessen Vermittlung an allen Angelegenheiten der Bürger zutiefst beteiligt undhielt diese, indem sie ihre Nöte beheben half, in einer gewohnheitsmäßigen stetigen Abhängigkeit von sich28. Dabei mußten sich aber natürlich mit der Zeit die Formen der 24Gelzer 1,235f. 293. Wieacker 28. Vgl. Dion. 2,10,1. 11,3. Dazu Sternberger, Der Bedes Politischen (Abdruck in: Ruperto-Carola 29, 1961) 63, wo freilich die Kapazität des Volkstribunats im Vergleich zum englischen Parlament überschätzt ist. Zu vergleichen sind die italienischen capitani del popolo, deren Geschichte so ganz verschieden verlief (G. Dahm, Unters. z. Verf.- u. Strafrechtsgesch. d. italien. Stadt im Mittelalter, Hamburg 1941, 24ff.). 25Bleicken, Das Volkstribunat d. klass. Rep. 21. 28. Vgl. die in die 12 Tafeln aufgenommene Bestimmung: patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto (8,21. Dazu Kunkel, 26Vgl. u. S. 116. Unters. 41, 153). 27Andernfalls müßte man nämlich annehmen, daß sich aus Adel und Clienten ein relativ fest abgeschlossener Block gebildet hätte, und das ist wieder durch die wohl bezeugte Einheit des frühen römischen Gemeinwesens ausgeschlossen. –Anders war es in Griechenland: Dion. Hal. 2,9,2 (vgl. o. Anm. 8). Für den Übergang von einer im Sinne der zweiten Phase noch clientelbestimmten zu einer unabhängigen Gesellschaft in Athen: Arist. Pol. 1319 b 25 und meinen demnächst erscheinenden Aufsatz: Kleisthenes’politische Leistung. 28 Vgl. Liv. 9,46,5f. Gelzer Kl. Schr. 1, 293f. K. W. Nitzsch, HZ 7, 1862, 154: Wie wir es schilderten, beruhte das innere Leben der Armee und der Volksversammlung zumTeil auf der Lebendigkeit einer Menge persönlicher Beziehungen und Erfahrungen, die sich gegenseitig bestimmten und bedingten. Aus den Erfahrungen des Einzelnen im Felde, aus seinen geschäftlichen Verbindungen daheim entwickelte sich der politische Takt der griff

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

Bindungen verwandeln, indem sie sich teils den veränderten Bedingungen anpaßten, teils diese aber auch prägten. Das Bindungswesen hat also –anfangs höchst elastisch, später erstarrend29 –dazu beigetragen, die beachtlichen Veränderungen der römischen Wirklichkeit in der bestehenden Staatsform aufzufangen. So erreichte es in einem wohl seit demspäten vierten Jahrhundert einsetzendenlangsamen Prozeß ein drittes Stadium, welches außerhalb Roms keine auch nur entfernte Entsprechung mehr kennt. Dieses Stadium wird vor allem durch drei Merkmale gekennzeichnet: Erstens durch dasVorwalten relativ formloser30 Dankbarkeits- und Nahverhältnisse31, das heißt: neben der eigentlichen förmlichen Beziehung zwischen Patron und Client traten zunehmend lockerere Beziehungen von gleich zu gleich in den Vordergrund. Zweitens wurde das Nebeneinander von konkurrierenden und im Einzelfall natürlich schwächeren Bindungen, eben die eingangs geschilderte Pluralität32, mit der Zeit zur Regel oder doch vorherrschend im Verhältnis zwischen Regierenden und Regierten. Damit mußte es sich ergeben, daß die überkommenen Clientelen, soweit sie noch bestanden, kaum mehr in den alten Konsequenzen aufgefaßt werden konnten33. Auch sc aber blieben alle Beziehungen weiter erstaunlich kräftig undlebendig34. Drittens wuchsen nun die necessitudines, die sich vorher zumeist noch in den engen Maßen des Gemeindestaates und seiner weiteren Umgebung bewegt hatten, bei der Vergrößerung des Herrschaftsbereichs mit, um endlich die ganze Welt in fast unwahrscheinlicher Dichte und Intensität zu durchwalten35. Hier blieb natürlich ein starkes, mit der Zeit noch wachsendes Gefälle zwischen Patron und Client die Regel, wiewohl sich auch diese Beziehungen bald vielfach verzweigten 36. Durch diese drei Merkmale unterscheidet sich die dritte Phase des Clientelwesens relativ weit von den beiden vorangegangenen. Und da in ihr einerseits das eigentliche Clientelverhältnis nicht mehr beherrschend ist, andererseits Verwechslungen mit den früheren Zuständen allzu naheliegen, empfiehlt es Comitien und daraus auch bildete sich das, was man den politisch-militärischen Kredit der einzelnen Häuser nennen könnte (auch: Gesch. d. röm. Rep. 2,72).

29 Vgl. u. S. 201 f. m. 63. 30Gelzer Kl. Schr. 1,75. –Unbeschadet dessen gab es natürlich sehr ausgeprägte Vorstellungen von den Pflichten der amici und necessarii und eine „offizielle Sprache der amicitia“(Reitzenstein, Zur Sprache der lateinischen Erotik, SB Heid. 1912, 18ff. 28). 31Vgl. u. S. 31 o. S. 8. 10 32 o. S. 15 ff. So auch Gelzer a. O. 90f. Vgl. u. S. 174 ff. 33Gewisse Ausnahme: Die Clienten, die mit Scipio Aemilianus nach Spanien gingen. Dabei handelte es sich aber offensichtlich um Freiwillige, übrigens großenteils Nichtrömer (Gabba Athenaeum 29, 1951, 183f. Helmut Simon, Roms Kriege in Spanien, 1962, 173f. u. S. 36). Ferner: Caes. b. c. 1,34,2. 56,3 (Domitius Ahenobarbus, wohl in kleinem Umfang). Man pflegte außerdem für die zum Teil handgreiflichen Auseinandersetzungen der Straße Clienten nach Rom zu holen (u. Anm. 73). 34 Vgl. o. S. 7 ff. 35s. unten Abschnitt 2. 36 o. S. 16f.

1. Die drei Phasen der Geschichte des Bindungswesens in Rom

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sich, hier nicht mehr von „Clientelwesen“ , sondern nur noch in weiterem Sinne „ Bindungswesen “ von zu sprechen. Eines veränderte sich in den Jahrhunderten nicht: Die Führung der res publica blieb in der Hand einer kleinen und in ihrer Zusammensetzung nur sehr allmählich sich wandelnden Amtsaristokratie. Noch in der letzten Generation vor dem Bürgerkrieg zwischen Caesar und Pompeius stammten die 62 Consuln der Jahre 80 bis 49 aus 37 Familien, von denen mindestens 28 mit 52 Consuln zur Nobilität gehörten, höchstens 8 mit 9 Consuln zum praetorischen Senatsadel und nur eine mit einem Consul ritterlich war. Drei Geschlechter stellten allein fünfzehn, drei weitere je drei, 12 zusammen 36 Consuln, also mehr als die Hälfte37. DieGrundlage der Macht des Adels jedoch und sein Verhältnis zur Bürgerschaft modifizierten sich mit der Zeit. Die Geschlechter verzweigten sich38. Viele vonihnen besaßen zwar noch lange beachtliche Hausmachten im engeren Sinne des Wortes39, aber deren Anteil an der Bürgerschaft ging mit der Zeit erheblich zurück40. Die römische Bürgerschaft wurde einfach zu groß (sie umfaßte zur Zeit der Gracchen über 300 000 und nach der Aufnahme der Italiker in den 80er Jahren 1 bis 2 Millionen männliche erwachsene Mitglieder41). Die Angehörigen der breiten wohlhabenden Bourgeoisie geboten außerdem ihrerseits oft über größere Clientelen, zumal zu ihnen die lokale Aristokratie Italiens zählte42. Cicero sagt einmal ausdrücklich: qui se locupletes, honoratos, beatos putant.. patrocinio vero se usos aut clientes appellari mortis instar putant (off. 2,69)43. Diese Kreise fügten sich zwar aufs Ganze gesehen willig der Führung desSenats, bewegten sich aber doch ziemlich frei zwischen den Ansprüchen seiner Angehörigen und ihrer Familien. Daß daneben seit Marius und Sulla eine neue Art von geschlossener Gefolgschaft, nämlich die Heeresclientel sich bildete (deren fraglos große Bedeutung heute zumeist noch überschätzt wird44), kann einstweilen beiseite bleiben. 37Siehe Note 3a, u. S. 308f. 38Vgl. Taylor, Voting Districts 282f. 288 ff. 294. Badian FC 4. Cassola 20f. 39 Berühmteste Beispiele: Scipio Aemilianus (o. Anm. 33) und Pompeius (Gelzer Kl. Schr. 1,95ff.). Es ist aber zu beachten, daß der Ausdruck clientelae vielfach (wenn nicht meistens) nur die Summe der Beziehungen bezeichnet (vgl. TLL s. v. Abschnitt 1b). 40Vgl. für die frühere Zeit Cic. rep. 2,16. Dion. 2,9,2. Die Claudii sollen am Anfang des 5. Jahrhunderts mit 5000 Clienten gekommen sein, die gleiche Zahl wird für diejenigen der Fabier angegeben (E. Meyer, Röm. Staat2 31). Die Gesamtbevölkerung Roms wird für die erste Hälfte des 5. Jahrhunderts auf ca. 100000 Bürger beziffert (Frank ESAR 1,21f.). Wahrscheinlich sind diese Zahlen aber allesamt weit übertrieben: vgl. Kunkel, Sav. Zeitschr. 77, 1960, 367,35. 41Frank ESAR 1,315 vermutet für 85: 1,5 Mill., für 50: 2 Mill. Anders Beloch, D. Bevölk. d. griech.-röm. Welt 315 (900 000). 42u. S. 85. 43Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1, 76, 94 zucliens. 77 zu patronus (dazu noch Q. Cic. Com. Pet. 2. 44 u. S. 237 ff. Cic. Planc. 69).

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

Eine solche Modifikation warnatürlich die notwendige Voraussetzung dafür, daß das Bindungswesen in den bedeutsamen Veränderungen überlebte, die das Gefüge der res publica und ihres Herrschaftsbereichs und mit ihm die Struktur von Gesellschaft und Wirtschaft im Laufe der Geschichte erfuhr. Das Ergebnis dieses Prozesses aber war, daß verschiedene urtümliche Vorstellungen, oder besser: Apperzeptionsweisen, kraftvoll und lebendig blieben bis tief in eine Zeit hinein, in der die Menschen sich in vielen anderen Hinsichten schon relativ weit aus den Bindungen urtümlicher Moral emanzipiert hatten. So blieb der Sinn für patriarchalische Verpflichtung bei Patronen wie Clienten wach und ausgeprägt. Denn anders hätte der senatorische Adel seine Clienten und das heißt praktisch: die gesamte Bürgerschaft nicht über alle –selbstverständlichen –Störungen hinweg jahrhundertelang in einer gewissen politischen Unselbständigkeit, einer Art von Mediatisierung halten können, ohne daß sie damit unzufrieden geworden wären45. Es erhielt sich ferner jene seelische Disposition, die die mannigfaltigsten Vorgänge des öffentlichen und privaten Lebens (beides stets miteinander vermengend) sehr stark unter dem Gesichtspunkt der bestehenden, zu knüpfenden oder sich ergebenden Verpflichtungen verstand und behandelte46. Dazu gehörte eine eigentümliche konkrete und zwingende Form der Dankbarkeit, eine Art Nicht-abstrahieren-können von Erlebtem und Erfahrenem, ein besonders empfindliches Gefühl für Verantwortung. Im Adel selbst mußte eine in gewissem Sinne archaische Verletzlichkeit und Anspruchsfülle weiterleben, wenn er seine Verpflichtungen in angemessener Weise wahrnehmen sollte47, insgesamt aber mußte ein ausgeprägtes Bewußtsein für die Gewichtigkeit der Person und ihrer Geschicke wach bleiben, durch das jede Wohltat erst Bedeutung gewann. Ferner wäre die Erblichkeit jener Verhältnisse nicht denkbar gewesen, wenn dieEinzelnen sich nicht weiter innerhalb derGenerationenfolge derGeschlechter, Vereine und Städte verstanden hätten. Schließlich aber muß auch ein lebendiges Gefühl für Gemeinsamkeiten und für die fortwirkend bindende Kraft jedes Einander-nahe-seins vorausgesetzt werden48. Viktor Pöschl hat einmal darauf aufmerksam gemacht, daß man verschiedene auffällige Erscheinungen der römischen Welt am ehesten verstehen kann, wenn man annimmt, daß die kollektive Moral der Urzeit in Rom besonders lange in Kraft geblieben sei49. 45Vgl. Wieacker, V. röm. Recht2 27: Die Bindung der Clienten an die alten Geschlechter, die Herrschaft der Väter blieb stärker als ein rein ideenbestimmtes Gerechtigkeitsverlangen. 46Vgl. Note 1, u. S. 307 Auch Badian FC 156: the effect of a beneficium wasprobably a 47u. A. 35, 57. S. 37f. deep-seated and ancient part of the Roman ethic. 48 Vgl. zum Beispiel das Verhältnis von Magistrats- und Priestercollegen: Note 1, u. S. 307, ferner Cic. Brut. 1. fam. 13,10,1. 26,1. div. in. Caecil. 61: neque graviorem causam necessitudinis reperiri posse quam coniunctionem sortis, quam provinciae, quam officii quam publici muneris societatem. Etwas anders Verr. 2,1,41. div. 46: sortis religione. 49 Historia Mundi 3,464. Adcock, Rom. Pol. Ideas ... 52: the virtues of the Romans

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Wenn dies richtig ist, so wird die starke Geltung der Verpflichtungsverhältnisse dadurch besser verständlich. Es ist jedenfalls nicht möglich, deren Walten nur isoliert, etwa in der Art von leeren Konventionen zu verstehen, denen sich der Einzelne aus praktischen Erwägungen anzupassen pflegte50. Denn dort, wo die ganze Gesellschaft (im weitesten, ursprünglichen Sinne dieses Wortes) stark nach Maßgabe solcher Kategorien lebte, müssen sich auch die diesen entsprechenden Apperzeptionsweisen eingestellt und fortwährend regeneriert haben, da der Zwang einer so mächtigen Konvention auch innerliche Respektierung zu erzeugen pflegt51. Diese personalen, also nicht primär sachlichen oder zweckmäßigen Bindungen nun, die durch Dauer und Erblichkeit in den verschiedensten Situationen Momente zur Geltung brachten, welche mit diesen nicht im geringsten zu tun hatten, scheinen –um es zu wiederholen –auf den ersten Blick in einem auffallenden Kontrast zu stehen nicht nur zu den im engeren Sinne politischen Problemen der späten res publica, sondern auch zu dem weiten Bereich, den Roms Herrschaft damals umfaßte, zu der breiten, mächtigen bürgerlichen Schicht, die sich gebildet hatte, den Interessen einer differenzierter gewordenen Wirtschaft und nicht zuletzt zu der seit den Gracchen stärkeren Geltung der Volksversammlung. Mindestens macht es zunächst einmal große Mühe, das

eine auf das andere zu reimen. Man mag zwar geneigt sein, die Unstimmigkeiten, die sich hier aufzutun scheinen, durch die Annahme zu lösen, die Übermacht derTradition und des darauf sich gründenden Adels habe im Bindungswesen wie anscheinend in so vielen Zügen des Verfassungsrechts zu einem Anachronismus geführt. Aber das Geheimnis der politischen tended to be community virtues. Pöschl meint sogar, daß „ Begabung der Römer und ... der politischen Begabung überhaupt ... in der Bewahrung urtümlicher sozialer Bindungen, in der Konservierung von Zügen einer kollektiven Moral auch noch in entwickelteren Lebensverhältnissen“besteht (in: Vom Menschen in der Antike, hrsg. v. Hörmann 183. Vgl. Gymnasium 1956, 197. Grundwerte röm. Staatsges. 93,1 über die Bedeutung der „Anerkennung der Gemeinschaft“. Auch Schulz, Prinzipien des römischen Rechts 15). Zur primitiven Mentalität gehört nach den Forschungen Lévydie Hartnäckigkeit ..., mit der der Primitive nichts als zufällig gelten läßt“ Bruhls „ (Bergson, Die beiden Quellen der Moral und der Religion, übers. Lerch 1933, 144) –auch dies eine wichtige Quelle für das Wichtig-nehmen jeder Wohltat und jeden Einander-nahekommens. Vgl. u. Anm. 179. 50 Wenn Cicero das Vollziehen der antiqua officii ratio als etwas Besonderes darstellt (Quinct. 59. Planc. 22), das sich fast nur noch auf dem Lande –und bei seinen Clienten – findet, so ist dies gewiß tendenziös übertrieben, und soweit es zutrifft, besagt es nur, daß bei der Pluralität und Fülle der Bindungen die officia nicht mehr in alter Rigorosität erwiesen werden. Entsprechend ist auf Brunt, JRS 52, 1962, 77, zu erwidern, daß natürlich Clientel damals nicht starr und außerdem nur in der Regel gilt. Für den von ihm behandelten besonderen Fall ist seine Beobachtung sicher richtig. 51Vgl. die Ergebnisse der modernen Sozialpsychologie: H. Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters4 1956. 46 ff. mit weiteren Hinweisen.

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Meier

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

dieser Begriff, der ohnehin, sofern er für die Form und die gesamte Prägung eines Staates gebraucht wird, oft im Bereich agitatorischer Behauptung besser als in dem eines auf seine Maße bedachten Urteils zu Hause ist, wird vollends dann problematisch, wenn man ihn auf ein Gemeinwesen anwendet, in dem es für alle nennenswerten Mächte so viele Möglichkeiten gab, sich durchzusetzen. Ein Gemeinwesen also, in dem eine Stauung neuer Strömungen, aus der ein Gegensatz etwa zwischen Staat und Gesellschaft oder zwischen Institutionen und Wirklichkeit erwachsen konnte, nicht hätte entstehen können52. Welches soll denn das Maß der Zeit sein? Vielleicht das einer Intelligenz oder république des lettres, die ohnehin nicht vorhanden waren? Oder das eines Auslands, das man nicht kannte? Oder endlich das des eventus, das so trügerisch sein kann? Möglicherweise ist es also nur ein Augenfehler moderner Betrachtung, wenn wir in der Verfassungswirklichkeit der späten Republik und insbesondere in der anhaltenden Geltung des Bindungswesens eine Unstimmigkeit zu entdecken zeitgemäß“ glauben. Vielleicht war dieses doch noch notwendig oder gar „ , das heißt: wurde es noch den herrschenden Verhältnissen gerecht? 2. DIE FUNKTION DER NAH- UND TREUVERHALTNISSE IN DER SPÄTEN REPUBLIK UND DIE REGELMÄSSIGE VEREINZELUNG DER INTERESSEN

An einem Punkt ist die Entsprechung zwischen dem Bindungswesen und den herrschenden Verhältnissen fast auf den ersten Blick zu beobachten: In der Regierung, Verwaltung und Vertretung des weiten römischen Herrschaftsbereichs. Alle Städte hatten, so schreibt Appian, einen π ρ ο σ τά η τ ςin Rom53. Das ist zwar nicht wörtlich, aber doch im wesentlichen richtig, denn notfalls konnte eine Stadt sich die Patronatsverhältnisse befreundeter Gemeinden zunutze machen54. Zumeist hatten mindestens die bedeutenderen Städte, Stämme und Fürsten mehrere Patrone nebeneinander, wofür auf die oben zitierten Beispiele verwiesen sei55. Mit Hilfe der π ρ ο σ τά τ α ιnun konnten die socii ihre Wünsche und Klagen im Senat zu Gehör bringen und sich gegenüber Statthaltern und Publicanen derart schützen, daß wenigstens das Schlimmste verhütet oder nachträglich wieder gut gemacht werden konnte56. Die Gewähr dafür boten unter anderem die beachtlichen Vorteile, die sich aus dem Besitz auswärtiger Clientelen für die Adligen ergaben, nicht zuletzt die Tatsache, daß das Ansehen 52u. S. 125. 127f. 150. Daher sind die Vorstellungen, die uns vom ancien régime her geläufig sind, hier nicht anwendbar. 53 2,14. Vgl. Gelzer Kl. Schr. 3,171. 54 Gelzer 1,91f. Zu Syll.3 656 vgl. Robert BCH 1935, 507– 513. 55 S. 16. Ferner die bei Gelzer 90 ff. zitierten Beispiele. 56 Vgl. Gelzer 91. Anschauliche Beispiele bieten vor allem Ciceros Verrinen: 2,2,10. 23f. 36 (besonders bezeichnend: Heraklios aus Syrakus kann zum Opfer des Verres werden, weil: eumpraeter Marcellos patronum, quem suo iure adire aut appellare posset, habere neminem), 62 f. 96. 117 f. 140. 3,18. 45. 4,41. Allerdings auch 2,4,89. 5,143. Ferner Cic. Q. fr. 1,2,4 f. (mit 1,36 für die Verbindungen von Asia nach Rom). Vgl. u. S. 164.

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dergroßen Herren auch davon abhing, daß undwiesie sich für diese einsetzten57. Der Unterschied zwischen Herren und Untertanen hat sich dabei freilich so wenig verwischen können, wiesichdieMißstände derProvinzialverwaltung leugnen lassen. Indem diese Bindungen aber gleicherweise Patronen und Clienten zugute kamen, warzugleich der respublica gedient, undes ist gewiß kaum übertrieben, wenn Badian sie ein Herrschaftsinstrument, das solider war als die Legionen, nennt, oder wenn er an anderer Stelle ihre extreme importance infashioning and preserving thefabric of Roman rule through generations of trial and (often all but fatal) error in policy and administration rühmt58. Anders aber als durch Verbindungen zu den Senatoren konnten bei dem Senatsregime Schutz und Vertretung der Unterworfenen nicht gewährleistet werden. Sie waren dabei umso wichtiger, als die Statthalter in ihren Provinzen praktisch die Stellung absoluter Monarchen innehatten59. Da andererseits deren Amtsdauer höchstens zwei bis drei Jahre währte60, ihr Verwaltungsapparat minimal war und meistens mit ihnen antrat und wechselte61, konnten sie ihre Sprengel in der Regel nur ungenügend kennenlernen. Daher übten die Clientelbindungen zu Nichtrömern zugleich in der unmittelbaren Verwaltung sehr bedeutende Funktionen aus, indem sie unzählige Aufgaben erledigen halfen, die durch die wenigen Magistrate undPromagistrate nicht hätten bewältigt werden können. Denn die Patrone besaßen selbstverständlich nachhaltigen Einfluß auf ihre Clienten, legten zum Beispiel bei wichtigen Entscheidungen Wert darauf, um Rat gefragt zu werden62, und es bildete sich bei ihnen –oft durch Generationen vererbt –eine intime Vertrautheit mit den lokalen Verhältnissen. So haben sie gewiß in einer Unmenge von Fällen Ordnung und Frieden innerhalb der Städte und Völker oder zwischen diesen gestiftet, indem sie teils im Auftrage des Senats, vielfach aber auch von sich aus eingriffen63. Sie haben ferner durch ihren Einfluß privatim verschiedene Beschlüsse des Senats bei den Bundesgenossen durchsetzen geholfen, die man diesen als Befehle nicht recht 57Gelzer 100 ff. Badian FC 161ff. Vgl. Cic. Cat. 4,23. off. 2,64. Q. fr. 1,1,26. 42. Planc. 28. fam. 13,64,2. Att. 14, 12,1. Auct. bell. Hisp. 42,2 (patrocinio suscepto multis legationibus ab se in senatum inductis simul publicis privatisque causis multorum inimicitiis susceptis defendisse. Vgl. Suet. Jul. 71. Cic. div. in Caec. 67. Tac. dial. 36,5). Vgl. o. S. 10. 58 FC 289. 165. Vgl. Harmand, Le Patronat sur les Collectivitées publiques (1957) 145: le patron devint l’instrument nécessaire de sa domination, puis, à partir du moment où apparaissent les provinces, l’agent indispensable destiné à inspirer confiance dans son administration en atténuant les rigueurs. 59Cic. Q. fr. 1,1,22. Verr. 2,5,22. 39. Meyer, Röm. Staat2 87f. 129f. 233f. Gelzer Kl. Schr. 1,241. 60 o. A. 17, 60. 61Arnold, Roman Provincial Administration 59. J. M. Cobban, Senate and Provinces 78–49 BC(1935) 138 ff. Mommsen St.-R. 13 337 ff. 23 696 ff. 62 Z. B. Liv. 36,31,5. 63So Mommsen, Röm. Forschungen 1,354 A (gewiß richtiger als St.-R. 3, 1202f. Vgl. z. B. Gelzer Kl. Schr. 1,92). –Wirken im Auftrag des Senats: Allgemein: Dion. Hal. 2,11,1. Stiften von Ordnung: Liv. 9,20,10. Cic. Verr. 2,2,122. Sull. 21. 60 f. Schlichtung von Streitig3*

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

übermitteln konnte64. Man besaß damit ein nützliches Hilfsmittel, um mit den schonenden Formen der teils indirekten, teils wesentlich auf Selbstverwaltung aufgebauten direkten Herrschaft möglichst wirkungsvoll zu regieren. Das Ausmaß, in dem durch diese Drähte amtlose Senatoren die öffentliche Verwaltung entlasteten, kann schwerlich überschätzt werden. Aber auch wenn die öffentlichen Organe, der Senat oder die Magistrate eine Sache von sich aus entschieden, waren sie vielfach auf die Hilfe und den Rat der Patrone angewiesen. Diese waren oft auf gewisse Gegenden geradezu spezialisiert65 und vielfach auch über die jüngsten Ereignisse in den unzähligen kleinen Teilen des römischen Herrschaftsbereichs unterrichtet66, die die Magistrate teilweise nicht kennen konnten, teilweise nicht vorbringen mochten (wenn sie nämlich selbst irgendwie unrühmlich in die Dinge verwickelt waren). Sofern es nötig war, konnte der Senat die Patrone bitten, in den ihnen verbundenen Städten Erkundigungen einzuziehen, wie er es etwa im Jahre 91 bei Beginn der Unruhen in Italien getan hat67. Die Patrone waren also in ihren aus Kenntnis undEinfluß resultierenden Zuständigkeiten in Senat, Senatskommissionen und Gesandtschaften, im consilium der Magistrate und in anderen Zusammenhängen praktisch unentbehrlich. Es braucht nicht hinzugefügt zu werden, daß viele von ihnen vor allem dadurch für eine Provinz zuständig geworden waren, daß sie sie als Statthalter einmal verwaltet hatten. Endlich ist auch nicht zu vergessen, daß, wieTadasuke Yoshimura es wahrscheinlich gemacht hat, auch die militärische Zusammenarbeit mit den socii innerhalb und außerhalb des unmittelbaren römischen Herrschaftsbereichs durch die Patronatsverhältnisse wesentlich erleichtert wurde68. Oft genug hat man daher Söhne aus Familien, die in bestimmten Gegenden gute Beziehungen unterhielten, dort zu Legaten ernannt69. Das Bindungswesen war also bei der Regierung und Verwaltung des Herrschaftsbereichs ein notwendiges Komplement des römischen Adelsregimes. Nur keiten: Dessau ILS 5946 u. a. (s. Badian 147. 160, dazu gewiß verschiedene der bei Momm64Liv. 39,17,4 (litterae hospitum). sen St.-R. 3,1200f. genannten Belege). 65 Z. B. die Domitii Ahenobarbi in der Gallia Transalpina (Badian 264 ff. Ebd. 252 ff. allgemein über die Vererbung auswärtiger Clientelen), ferner die Claudii Marcelli und Scipiones in Sizilien (Gelzer Kl. Schr. 1,90). Spezialisten auf Grund der eigenen Laufbahn: Kienast, Cato der Zensor. 153,125. Badian FC 63. 66. 90. 101. 160. 66Vgl. Sall. Cat. 41,4 f. App. 2,14 f. Plut. Cato min. 19,4. Liv. 8,3,3 (per quosdam privatis

hospitiis necessitudinibusque coniunctos indicia ... Romam emanarunt). 67App. 1,170: ὡ ςδ᾽ἐπ π ύ ὸσ ά λ το ό ιςἀ σ ις ϑ ε ο ςπ ςἑϰ φ ῶ ὺ ντο ν ςτὰ τ ο π ο ιέπ εμ νἐ ,π ερ . Vgl. als einzelnes Beispiel: Diod. ιν ζε μ ά ισ λ τ αἐπ ιτη δ είο αἐξετά υ ε ν ς, ἀ α φ ν ῶ ςτ ὰγιγνόμ 37,13 (mit Caes. b. c. 1,20,3). 68Historia 10, 1961, 473ff. 69Z. B. die Ernennung des Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus zum Legaten in Nordafrika im Seeräuberkrieg (App. Mithr. 434. Dazu Sall. hist. 2,43. Liv. frg. 72. Reynolds JRS 52, 1962, 97 ff.). Ferner die Gesandtschaft der tres adulescentes nach Afrika (Sall. Jug. 21,4 mit Badian FC 193). Oft nahm man solche legationes wahr, um seine auswärtigen Clientelbindungen aufzufrischen (vgl. Harmand a. O. 32f.).

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durch seine Vermittlung konnte die Kluft zwischen Gemeindestaat und Reich überbrückt werden. Die auf Minimisierung der Macht bedachte Senatsaristokratie konnte die beschränkten Verwaltungsmittel des Gemeindestaats kaum vermehren70. Sie wollte und konnte sich nicht darauf einlassen, Macht an eine Bürokratie zu delegieren.71 Daher mußte sie praktisch in ihrer Gesamtheit mit einem Mindestmaß an Exekutive ihren weiten Herrschaftsbereich regieren. Daher war sie auch nicht in der Lage, eine rationale Ordnung in ihren Provinzen zu schaffen. Auf die interessante Frage, wie stark und in welcher Weise der Sinn für Verpflichtungen undDankbarkeitsbeziehungen in den verschiedenen Teilen des Herrschaftsbereiches ausgebildet war72, kann hier nicht eingegangen werden. Jedenfalls waren die Anschauungen des römischen Adels für alle maßgebend. Daß es für die socii bei dieser Art der Verwaltung nicht unbedingt ideal zuging und daß sich theoretisch sehr viel geordnetere und wirkungsvollere Arten denken lassen, ist dabei ebenso klar, wiedaßunter denin Romherrschenden Verhältnissen eine andere Art der Regierung und Verwaltung nicht möglich war. Kaum weniger bemerkenswert aber als diese Funktionen scheinen diejenigen zu sein, die die Verpflichtungsverhältnisse innerhalb der Bürgerschaft im Verhältnis zwischen regierender Schicht und Regierten erfüllten. Das hat Matthias Nobilität“in klassischer Weise gezeigt. Auch hier gab es wieder Gelzer in seiner „ privat“ . Sie kommen enge Verquickungen zwischen „politisch“ und „ sinnenfällig etwa darin zum Ausdruck, daß der Consul Cicero im Jahre 63 eine Gruppe junger Ritter aus dem ihm verpflichteten Municipium Reate als Polizeitruppe nach Rom holte. Als Gegenleistung vertrat er die Stadt in einem Streit mit Interamna im Jahre 54, wie er es schon vorher ähnlich bei anderer Gelegenheit getan hatte73, und wie es allgemein die Senatoren für ihre Clienten und Freunde vor Senat und Volksversammlung, Magistraten und Gericht zu tun pflegten. Wie mächtig und selbstverständlich die necessitudines auch noch in der späten Republik galten, ist vielfach belegt und folgt zugleich daraus, daß im einzelnen so vieles und im ganzen diefides des Senators und jedes Bürgers auf deren Wahrung und Pflege beruhte74. So machte man sich Feinde, um seinen 70 Gelzer Kl. Schr. 1,268. 71 Vgl. u. Anm. 88. 72 Sicher war er bei den immanes ac barbarae nationes im Westen (Cic. Q. fr. 11,27) stärker ausgebildet als bei den Griechen (z. B. Auct. bell. Afr. 32,3 Caes. b. c. 2,18,7. Vgl. aber auch Gelzer 91f.). 73Cic. Cat. 3,5. Sall. Cat. 26,4. Dio 37, 29,4 (54: Att. 4,15,5). Für das größere Aufgebot an Rittern, über das Cicero i. J. 63 verfügte: Athen. 40, 1962, 116, 50. Note 9, u. S. 314. Entsprechend setzten adlige Patrone zuweilen auch in handgreiflichen Auseinandersetzungen ihre Clienten ein, z. T. solche, die sie von auswärts geholt hatten, z. B. Q. fr. 1,2,16.

2,3,4. Att. 3,23,5. 4,7,3. 74Vgl. Heinze Hermes 64, 1929, 150ff. Ferner als anschauliches Beispiel Cic. de orat. 2,198 ff. Gelzer 1,81f.

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

Clienten zu helfen, und es wurde nicht nur für die Prominenteren, die sich wirksam revanchieren konnten, sondern auch für die Unbedeutenderen gesorgt75. Aufdiese Weise kamen alle wichtigeren Interessen im Senat zuWort76. Allein, wie kam es, daß die Verpflichtungsverhältnisse noch in der differenzierten und überall in der damaligen Welt engagierten Gesellschaft der späten Republik das doch gewiß sehr groß und angesichts der Stärke des Bürgertums auch sehr drängend gewordene Bedürfnis nach einer geregelten Vertretung in der Politik befriedigen konnten? Offenbar hat es keinen Anlaß gegeben, diese eingewurzelten undbewährten alten Formen durch andere zu ersetzen. Das ist sehr auffällig, es wird aber erklärt durch die durchschnittliche Beschaffenheit der Interessen, umdie es damals ging. Diese wird wiein einem Spiegel sichtbar in den Berichten über dieWahlen, dieja für diemeisten die wichtigste Gelegenheit zur Ausübung und Sicherung ihres Einflusses bildeten. Liest man die Aussagen über amici und clientes der Kandidaten, so fällt auf, daß es sich bei ihnen in der Regel umEinzelne oder kleine Gruppen handelt, die der Bewerber teils durch Erbschaft, teils als Redner, Senator, Magistrat oder etwa als Curator einer der großen Straßen in jahrelanger Bemühung sich verbunden hatte77. Es ist für diese Wählerschaften also charakteristisch, daß sie sich aus einer Unzahl von kleinen Einheiten zusammensetzten. Allerdings organisierte sich ein guter Teil des Einflusses über die tribus. Diese waren damals zwar zumeist ganz abstrakt nach nüchternen Zweckmäßigkeitserwägungen aus zum Teil weit auseinanderliegenden Gebietsteilen zusammengestückelt78, aber das ursprünglich vielfach unmittelbar begründete Nahverhältnis der tribules warin ihnen gleichwohl weiter lebendig undbezog auch die neuen Angehörigen mit ein79. In diesen tribus nungab es jeweils mehrere gratiosi, meistens künftige Kandidaten oder quasi-berufsmäßige Wahlmanager, die die Entscheidung der tribules stark beeinflussen konnten80. Sie oder wenigstens die meisten von ihnen auf seine Seite zu bringen, gehörte zu den wichtigsten Aufgaben des Bewer75Vgl. Cic. Mur. 70. Cato 32 (mit Gelzer 76,94). Plut. Luc. 42,5. Cic. Rosc. Am. 149. 76 Gelzer 189. Ferner o. Anm. 57. 77Vgl. allg. das Commentariolum Petitionis sowie Ciceros Reden pro Murena und pro Plancio. Dazu u. S. 175f. Gelzer 62 ff. Zu den Vorteilen des Curator-Amtes o. A. 8,9. 78Vgl. Taylor, Voting Districts of the Roman Republic 85 ff. 95 ff. 270 ff. 79Mommsen St.-R. 3,196 ff. Taylor, Party Politics 62f. (Cic. Q. fr. 3,1,1. Mur. 69. 73. har. resp. 56. Sest. 114. Vat. 36. 39. Planc. 43 ff. 54. fam. 13,58. Q. Cic. Com. Pet. 17 u. v. a.: Vgl. A. 8,3). 80leg. agr. 2,21 (tribuum noti homines), Q. Cic. Com. Pet. 32 (propter suam ambitionem qui apud tribulis suos plurimum gratia possunt ... et ... qui apud aliquam partem tribulium propter municipi aut vicinitatis aut conlegi rationem valent). Ferner folg. Anm. und u. A. 85, 126. –Cic. fam. 2,6,3 (iuventutis etgratiosorum in suffragiis studia). Zur iuventus noch: Com. Pet. 6. Cic. Cael. 10f. Mur. 69. Pis. 55. Planc. 45. Phil. 2,4. Att. 1,1,4. Verr. 1,25, zu den Wahlmanagern: Com. Pet. 19 (zumeist waren die Wahlvereine tributim organisiert: Taylor a. O. 68, Voting Districts 122).

2. Die Funktion der Nah- und Treuverhältnisse in der späten Republik

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bers81. Er erwarb sich ihre Unterstützung in der Regel dadurch, daß er ihnen in seiner eigenen tribus oder bei Freunden dieselben Dienste leistete82. Bei alledem waren die tribus jedoch nur Gefäße, innerhalb derer sich unzählige kleine lokale undindividuelle, teilweise auch berufliche83 Interessen zusammenfanden, und die in ihnen maßgebenden Kreise waren oft sehr heterogen84. Und da auch sie nicht einfach über ihre tribus verfügen konnten und aussichtslose Kandidaten kaum gefördert haben werden, galt es jedenfalls, in jeder Region, ja, wie es einmal heißt, in jedem der über 300 Municipien, Colonien und Praefecturen, kurzum an jedem Ort Italiens, seine Stützen zu haben85. In allen –193 bzw. 37386 –Centurien sollte man „durch viele und verschiedenartige Freundschaften“seinen Einfluß befestigen87. In einem Wort: Die Macht lag bei den Wahlen

außerordentlich breit gestreut. Die Kandidaten mußten ihre Wählerschaft von Fall zu Fall –und jeder natürlich auf seine Weise, das heißt jedes Mal völlig anders –aus unzähligen Individuen und kleinen Gruppen zusammensetzen. Sehr bezeichnend ist dafür, daß die Wahlvorbereitungen in der Regel sehr viel länger dauerten als die eigentliche prensatio, die Bewerbung in der toga candida, mit der man offenbar etwa ein Jahr vor demWahltermin zubeginnen pflegte88. Zumeist hatte man sich nämlich vorher schon jahrelang durch unablässige Tätigkeit bemüht, die verschiedensten Individuen, Vereine, Municipien etc. für sich einzunehmen89. Wie sehr sich die Wählerschaft einer anderen Art der Stimmensammlung widersetzte und wie wenig Einfluß auf sie direkt vermittelt werden konnte, ergibt sich schon aus der Tatsache, daß wir, obwohl jeder Wähler zum Beispiel bei den Consulwahlen zwei Stimmen zu vergeben hatte90, doch nie davon hören, daß zwei Kandidaten auf die gleichen Wähler rechnen konnten oder ihre Wähler zusammenzuführen versuchten oder daß 81 Vgl. Cic. Planc. 48 (nam ut quas tribus tu tulisti, si iam ex te requiram, possis quorum studio tuleris explicare, sic egohoccontendo, metibi ipsi adversario cuiuscumque tribus rationem poposceris redditurum). Auch: Phil. 2,4 (dazu fam. 2,6,3). 82Cic. Planc. 45 (neque hoc liberis nostris interdicendum est, ne observent tribulis suos, ne diligant, ne conficere necessariis suis suam tribum possent, ne par ab iis munus in sua petitione respectent). 47. 54. Att. 2,1,9. Q. Cic. Com. Pet. 18 (qui abs te tribum aut centuriam ... aut habeant aut ut habeant sperent, eos prorsus ... confirma; nam ... homines ambitiosi vehementer omni studio atque opera elaborarunt ut possent a tribulibus suis ea quae peterent impetrare). Vgl. 24. Mur. 42.

83 Q. Cic. Com. Pet. 32 (o. Anm. 80). vgl. 30. Liv. 40,51,9. 84 Vgl. Taylor, Party Politics 62 ff. Voting Districts 211. 221. o. S. 15. 85 Q. Cic. Com. Pet. 30. Zur Zahl der Städte: Brunt JRS 52, 1962, 71. L. Ross Taylor führt, Voting Districts 160ff., über 230 auf. 86 Ε . Meyer, Röm. Staat2 88ff. im Anschluß an Mommsen und Tibiletti. Diese Lösung scheint mir jetzt (gegen RE Suppl. 8, 576f.) unbezweifelbar zu sein. Freilich sind RgDA 8 und Suet. Aug. 40, 2 als Argumente kaum zwingend. Aber es ist gut möglich, daß die Zahl 193 damals schon als kanonisch angesehen werden konnte (vgl. vielleicht Pap. Oxyrrh. 17. 2088 [Meyer 482,18]). 87 Q. Cic. Com. Pet. 29. 88 Vgl. Cic. Att. 1,1,1. Mommsen St.-R. 13 478. 89 s. u. A. 175,72. 90 Mommsen St.-R. 3,403. U. A. 178, 96.

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

eine größere Anzahl von Wählern sich auf zwei Kandidaten einigte, um ihnen dadurch einen besonderen Vorsprung zu geben. Denn die sogenannten coitiones basierten regelmäßig nur auf einem kleinen, zumeist käuflichen Teil derWählerschaft91. Nie hören wir auch davon, daß Einzelne oder Geschlechter ihre „Gefolgschaften“bei der Wahl aufboten92. Selbst bei der mächtigen und relativ geschlossenen Gruppe der Publicanen ist nicht anzunehmen, daß sie ihr Gewicht öfter gesammelt zu Gunsten deseinen oder anderen Kandidaten in die Waagschale warf oder werfen konnte93. Daß die gemeinsamen Belange des Publicanenstandes auch gar nicht dazu angetan waren, sich außer in besonderen Fällen gegenüber den individuellen seiner einzelnen Mitglieder durchzusetzen, wird sich unten zeigen94. Es ergibt sich also, daß auch in der späten Republik bei den Wahlen und das heißt entsprechend: in der alltäglichen Politik größere Gruppen nicht in Erscheinung traten. Die Interessen, um die es dort ging, waren vielmehr bemerkenswert stark vereinzelt. Und man sieht zugleich, daß allein dieser Umstand es möglich machte, daß deren Vertretung innerhalb des politischen Lebens weiterhin durch die Verpflichtungsverhältnisse vermittelt werden konnte. Denn diese waren doch nicht einfach ein zusätzliches Moment der Bindung, das andere Beziehungen mehr sachlichen Inhalts bloß verstärkte, sondern unterlagen ihrer eigenen Gesetzmäßigkeit. Gewiß war es möglich, daß man in einer besonderen Situation, um einer besonderen Sache willen führende Senatoren gewann, auch wenn man noch keine Beziehungen zu ihnen unterhalten hatte95. Aber um dies zu können, und um es wirkungsvoller als die Gegenseite zu können, war es wichtig, daß man schon andere Senatoren zu Freunden oder Patronen hatte96, und so war eigentlich jeder, der auch nur entfernt mit der Politik in Berührung kam, darauf angewiesen, necessitudines zu unterhalten. Diese vererbten sich dann, konkurrierten mit anderen, und so bildete sich ein unentwirrbares Geflecht von Beziehungen. Aber das ganze System konnte nur funktionieren, wenn jeder seine officia mehr oder weniger strikt erfüllte. So konnte es passieren, daß man bei den Vorbereitungen auf die Wahl eines Consulpaares zugleich drei Kandidaten fördern mußte und auch tatsächlich förderte97. Undso mußte es sich häufig ereignen, daß, schematisch gesagt, über demeinen Punkt derTagesordnung A undB gemeinsam gegen CundD standen, während schon beim nächsten B und D es mit A und C als Gegnern zu tun hatten, je nachdem, wiedieEinzelnen jeweils gebunden waren98. Hätten jedoch größere Interessen mit einer gewissen Regelmäßigkeit in der Politik gewaltet, so hätten sich häufigere schwere Kollisionen zwischen den Verpflichtungen, die im Effekt zueiner Durchbrechung desSystems geführt hätten, kaum vermeiden

91u. S. 178 ff. 92 u. S. 175. 93 u. S. 87f. 94 u. S. 87f. 95 z. B. Sall. Jug. 13,7, GeIzer Kl. Schr. 1,89f. 96Cic. Rosc. Am. 4. 149. off. 2,67. fam. 13,8. Sall. a. O. Caes. b. c. 1,74,5. Vgl. u. S. 164 f. 97 Cic. Q. fr. 3,1,16. 96 u. S. 163.

3. Die Ursachen der dritten Phase des Bindungswesens

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lassen. Denn solche Gruppen hätten dann die Bindungen auf sich konzentriert und wären auf die Dauer in die Lage gekommen, eigene Kandidaten aufzustellen oder in ihren Dienst zu ziehen. Dann aber wäre die Treuverpflichtung wirklich nur noch ein zusätzliches Band von einer gewissen traditionellen, auf die Dauer nachlassenden Kraft gewesen. Dann wäre vor allem die Unabhängigkeit und Selbständigkeit der Aristokratie zerstört worden99, aus deren Normen allein das Bindungswesen Kraft und Halt gewinnen konnte. So aber liefen die Bindungen in den Händen des Adels zusammen, und dessen Überlegenheit aktualisierte sich gegenüber der potentiell großen Macht des Bürgertums praktisch darin, daß seine Angehörigen allein die Organisation der Macht und Vertretung der Interessen besorgen konnten. Insofern ist die wohl bezeugte Macht des Senatsadels und die Tatsache, daß er bis zum Ende der Republik in den Fasten dominiert, ein zusätzliches Argument für die regelmäßige Vereinzelung

der Interessen. Wie das Bindungswesen aber die Vereinzelung der Interessen voraussetzt, ist umgekehrt diese ohne jenes in der damaligen Situation nicht denkbar, zumal das eine wie das andere zugleich mit weiteren Erscheinungen der damaligen Politik auf das Innigste zusammenhängen. Die Nobilität undder kleine, relativ geschlossene übrige Senatsadel besetzten die Magistrate nach Maßgabe der lex Annalis praktisch im Turnus, wobei jeder in der Regel nur einmal jeden Magistrat bekleiden durfte und der Bürgerschaft nur die Auswahl zwischen sehr wenigen, unter sich mehr oder weniger gleichartigen Bewerbern blieb100. Und der Senat ergänzte sich in jedem Jahr nur umein Dreißigstel. Es war also nur durch die dauerhaft verpflichtende Kraft der Bindungen möglich, daß die Unterstützung, die die einzelnen Individuen, Städte, Vereine etc. dem einen oder anderen Bewerber geliehen hatten, sich gleichsam verewigte und auch Jahre später noch bezahlt machte. Nur durch das Bindungswesen konnte also das natürliche Bedürfnis eines mächtigen Bürgertums nach Vertretung seiner Interessen befriedigt werden, ohne daß in den Wahlen periodisch über die gesamte Zusammensetzung der regierenden oder der vertretenden Körperschaft bestimmt werden mußte. Welches die Voraussetzungen der regelmäßigen Vereinzelung der Interessen waren, mag zunächst dahingestellt bleiben. Hier fragt es sich, unter welchen Bedingungen die –nach Dimensionen wie Struktur einzigartige –dritte Phase des Bindungswesens in Rom entstanden ist. 3. DIE URSACHEN DER DRITTEN PHASE DES BINDUNGSWESENS

Manist leicht versucht, die auffällige Dauer desBindungswesens in Romauf „ Nationaleigenschaften“zurückzuführen. Aber das genügt nicht. Wohl kann 99 Vgl. u. S. 189.

100 u. S. 191.

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II Die aristokratische Prägung ler res publica und das Bindungswesen

man sich auf die römische fides berufen101, auch auf den eigentümlich römischen Sinn für Beziehungen hinweisen, der sich etwa in der Kunst äußert, wo die Dinge weniger für sich als in ihren Zusammenhängen gesehen werden102, denn Wahrnehmung bedeutet, solange sie nicht beliebig ist, zugleich Wertnehmung. Aber diefides ist zwar in ihrer besonderen Ausprägung römisch, nicht jedoch in ihrer Intensität, in welcher sie vielmehr den entsprechenden Werten etwa der Perser, Gallier und Germanen kaum überlegen gewesen sein wird103. Und vor allem bilden solche Eigenschaften keine Konstanten. Wenn sie in späterer Zeit mächtig sind oder schon wenn sie nur die frühesten Zeiten überleben, so versteht sich das nicht von selbst, sondern bedarf vielleicht nicht weniger einer Erklärung als die auffälligen Erscheinungen, die auf diese Weise begründet werden sollen. Vermutlich erwächst es sogar aus den gleichen Wurzeln wie diese. Sucht man also die Fortdauer des Bindungswesens in Rom zu verstehen, so wird man vor allem nach ihren historischen Bedingungen zu fragen haben. Daß sich die eigentlichen Ursachen erst ergeben, wenn man diese mit jener Unbekannten multipliziert, die sich aus den „Nationalanlagen“zusammensetzt, braucht nicht gesagt zu werden. Ein sehr wichtiger Faktor bei der Fortbildung des Clientelwesens von der zweiten zur dritten Phase ist fraglos die römische Expansion gewesen. Zur Zeit der großen Eroberungen in Italien stellte sich dieAufgabe, in demwachsenden Bereich der Herrschaft Ordnung und Frieden zu sichern, das heißt: für diesen Bereich irgendeine Form der Verwaltung zu finden. Damals fehlten zum Aufbau einer eigentlichen Administration alle Voraussetzungen, insbesondere hätte die Struktur der Senatsaristokratie dafür gar keine Ansatzpunkte bieten können. Aber es bestand in Rom auch kein Interesse an einer intensiven staatlichen Erfassung undAusbeutung der socii. So nahm manbei den Italikern die Wehrkraft ihrer Bürger und außerhalb Italiens dann Steuern und Zölle in Anspruch, beließ jedoch im übrigen weithin die gewohnte Selbstverwaltung undversuchte, sich so wenig wie möglich in die Angelegenheiten der „Verbündeten“einzumischen103a. Es folgte also aus dem Gesetz der Trägheit, wenn man den Problemen des wachsenden imperium fast ohne Änderung der altersgeheiligten Institutionen104 101Vgl. R. Heinze, Fides (Hermes 64, 1929, 140ff.). F. Schulz, Prinzipien des römischen Rechts 151ff. Wieacker, V. röm. Recht2 15. 102Vgl. H. Kaehler, Rom und seine Welt, 1958, 12ff. 21. 103Perser, Ed. Meyer, Gesch. d. Alt. 45 20f. 34. Bengtson, Griech. Gesch.2 175. Reinhardt, Vermächtnis der Antike 133 ff., bes. 140ff., 162f. Gallier: vgl. Caes. b. G. 6, 19,4. 7, 40,7. Germanen: Mitteis, Der Staat des hohen Mittelalters6 56. Wieacker a. O. 103a Dies ist eindrucksvoll und überzeugend im ersten Teil des Buches von E. Badian „Foreign Clientelae (264– 70 B. C.)“ , Oxford 1958, gezeigt worden. Vgl. Mommsen St.-R. 3,645 ff. 686 ff. Heuß, Die völkerr. Grundl. d. röm. Außenpolitik 99 ff. Wieacker, V. röm. Recht2 33f., der auf den Zusammenhang zwischen der Belassung von Selbstverwaltung und dem Erfolg Roms beim Aufbau seines Herrschaftsbereichs hinweist.

3. Die Ursachen der dritten Phase des Bindungswesens

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einfach durch eine erweiterte Anwendung aristokratischer Gepflogenheiten gerecht zu werden versuchte. So muß es sich von selbst ergeben haben, daß man zumBeispiel die alten Formen des hospitium weiter benutzte: Wenn eine Stadt neu in den römischen Herrschaftsbereich geriet, blieben ihre römischen Gastfreunde –oder die der in ihr herrschenden Familien –so zuständig für sie, wiesie es immer gewesen waren, oder es wurden neue Beziehungen nach Muster oder in Analogie zu den alten geknüpft. Je dichter die Berührung mit Rom wurde –oder je länger dessen Herrschaft dauerte – , umso mehr intensivierten undvermehrten sich diese Verpflichtungsverhältnisse, sei es anläßlich der Verhandlung von Klagen und Wünschen, sei es daß Magistrate oder Offiziere mit den einzelnen Städten in engeren Kontakt kamen etc. Sobald dann das Gefälle zwischen Rom und den verbündeten Gemeinden zunahm, bildete sich aus den hospitia des römischen Adels zu diesen eine neue Art der Clientel105. In dieser Modifikation haben dieBindungen aber bis zuletzt gedauert und sind ständig erneuert worden, wofür in Ciceros Reden gegen Verres bekannte Beispiele überliefert sind106. Eine besondere Rolle unter den neugeknüpften Verpflichtungsverhältnissen spielten die Dankbarkeitsbeziehungen. Sehr früh scheint sich ferner die eigentümlich römische Form derBindung zwischen denFeldherrn unddenvonihnen eroberten Städten und Ländern herausgebildet zu haben (die sich teilweise mit den Dankbarkeitsbeziehungen überschnitt). Sie mag auf den ersten Blick als sehr rätselhaft undunvereinbar mit demrobusten Charakter der frühen Römer erscheinen, so daß man heute teilweise versucht ist, sie auf die verfeinerte Moral einer späten Zeit107 oder speziell auf das vermeintlich suggestive Vorbild des M. Claudius Marcellus zurückzuführen, dessen Eintreten für die von ihm eroberte Stadt Syrakus im Jahre 212 berühmt war108. Aber es ist nicht nötig, die Glaubwürdigkeit der Berichte über ältere Beispiele109 anzuzweifeln, denn genau betrachtet bietet diese Form der Bindung kein besonderes Problem. Es war doch nicht besonders edel, eine Frage von Feinheit, Mitleid oder gar Güte, wennderjenige, der eine Stadt oder ein Land erobert hatte, innerhalb des Senats für diese zuständig wurde. Er kannte die Gegend, hatte in der Regel – falls er die Stadt nicht zerstörte und so weit er das Land nicht verwüstete – Gastverhältnisse zu den führenden Häusern geknüpft undwar amAbschluß des Friedens ausschlaggebend beteiligt gewesen. Angesichts der Regierungsweise der römischen Aristokratie und der Geltung urtümlicher Moralvorstellungen konnte seine Zuständigkeit dabei weder vorübergehend noch abstrakt sein, 104Erst 227 erhöhte man die Zahl der Praetoren von zwei auf vier, um die 241 und 238 gewonnenen ersten Provinzen Sizilien und Sardinien besser verwalten zu können (E. Meyer, 105Badian FC 154ff. Röm. Staat2 86f.). 106Sthenios (2,2,96. 110f. 117). Diodoros aus Malta (2,4,41). 107so Hampl HZ 184, 1957, 250,1. 108 so Badian FC 6f. 157. 109Gelzer Kl. Schr. 1,69. (Anders, kaum überzeugend: Forni Athenaeum 31, 1953, 177f.)

II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

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sondern schloß Verantwortung mit ein, die er im Interesse Roms zuüben hatte, die ihn und seine Nachkommen aber auch zu dauerhafter Bekümmerung um die Unterworfenen anhielt, wiesie sie zugleich in den Genuß verschiedener Vorteile brachte110. So muß es jedenfalls die herrschende Anschauung gewesen sein; daß es im Einzelfall teilweise ein umständlicher oder weiter Weg vom Ideal zur Wirklichkeit sein konnte, sollte so wenig betont werden müssen, wie daß auch die hier wirksamen „Tugenden“ihre Kehrseite oder doch: korrespondierenden Mängel hatten, worin auch immer111. Auch in diesem Fall erweist sich also, was zunächst befremdend und erstaunlich anmutete, als selbstverständlich. Rätselhaft und schwer zu begreifen sind weniger die geschilderten Erscheinungen als deren Voraussetzungen: die rapide Expansion und die Bewahrung des Adelsregimes. In deren Folge also erreichten die Clientelbindungen immer weitere Dimensionen undwurden je länger je mehr zu einem unentbehrlichen Herrschaftsmittel. Eine andere Seite der Expansion war, daß der römische Adel mit der Gloriole beispielloser Erfolge umgeben wurde. Seine Staatsweisheit und sein Feldherrntum, die Normen seiner Führung und die durch ihn geprägten Institutionen und Gesinnungsgrundlagen des Gemeinwesens hatten sich glänzend bewährt und erschienen im Lichte späteren Preises112 als noch herrlicher als sie eigentlich gewesen waren. So mehrten sich dasCharisma und die Überzeugungskraft der Führung der alten Geschlechter113 durch vielfältige Leistung. Macht und Größe der respublica dokumentierten mit aller Deutlichkeit, daß Roms Aristokratie fortune hatte und –so hat man bis in die Zeit Caesars im Grunde geglaubt –immer haben würde114. Allerdings waren die Erfolge Roms zugleich durch die einzigartige Wehrbereitschaft und -kraft der italischen Bauern bedingt; aber das bedeutete weder Einwand noch Beschränkung, sondern nur das Komplement der aristokratischen Leistung: dadurch waren die Bauern miteinbezogen in den großen Prozeß, in demsich die ganze innere Ordnung Roms so eindrucksvoll als götterbegnadet bestätigte. Daß sich andererseits aber kein Zweifel an der adligen Führung erhob, war endlich durch eine dritte Begleiterscheinung der Expansion bedingt. Daß nämlich die Bauern und später die wachsende Bourgeoisie sich politisch mit dem Besitz der wichtigsten Freiheitsrechte undgewisser demokratischer Vollmachten zufrieden gaben, ohne je über einzelne Situationen hinaus eigenständigen politischen Ehrgeiz zu entfalten; daß sie stets gleichsam Volk in einem (konsti110 o.

Anm. 57.

111Vgl. Pöschl in: Vom Menschen in der Antike (hrsg. v. Hörmann 1957) 192. U. S. 60. 112Vgl. Polyb. 6, 53f. Cic. Brut. 62. Adcock, CAH 7, 582f. Ihne, Röm. Gesch. 12 436 ff. 113Wie weit die großen Staatsmänner und Feldherrn aus nicht-senatorischen Familien

stammten, spielte dabei auf die Dauer keine Rolle. Im Effekt schlug auch deren Leistung, nicht zuletzt wegen dessen starker Assimilationskraft, für den alten Adel zu Buch. 114Vgl. u. S. 86f. 111 f. 257 f.

4. Die Grundlagen der aristokratisch geprägten Verfassung

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tutionellen) Adelsstaat blieben115, wurde dadurch ermöglicht, daß sich alle wirtschaftlichen Forderungen dieser Schichten relativ leicht aus den eroberten Gebieten erfüllen ließen116. Aus den selben Gründen nun mußte der Prozeß der römischen Expansion zugleich entscheidend dazu beitragen, daß das Bindungswesen auch im Innern der Bürgerschaft unter den genannten Modifikationen117 in Kraft und Geltung blieb. Denn alles wasaufErhaltung undBefestigung desAdelsregimes hinauslief und außerdem darauf hinwirkte, daß ein Bedürfnis nach neuen Vertretungsformen nicht aufkam118, mußte andererseits die weitere Bewahrung der alten Formen befördern. Allein, wie kam es, daß die aristokratische Prägung der res publica so festgefügt und wirksam war, daß sie nicht nur wesentlich zu den großen äußeren Erfolgen beitrug, nicht nur unter den steigenden Anforderungen der Verwaltung des Herrschaftsbereichs sich nicht abnutzte, sondern daß sie sogar im Laufe der Expansion dem gesamten imperium tief und nachhaltig ihren Stempel einzudrücken vermochte, umsich gleichsam an dieser riesengroßen Materie dauerhaft zu befestigen? Aber dieses Problem führt nur vor weitere Fragen. Da diese jedoch die Bestandteile und Zusammenhänge dieser auffälligen Erscheinung klarer hervortreten lassen, können sie hier kaum beiseite bleiben, zumal es für das Verständnis der späten Republik unerläßlich ist, deren verfassungsgeschichtliche Voraussetzungen wenigstens in Umrissen zu begreifen. 4. DIE GRUNDLAGEN DER ARISTOKRATISCH GEPRÄGTEN VERFASSUNG

Woher erklärt sich das ausgezeichnete Herrschaftsvermögen des römischen Adels, die Willigkeit, mit der das Volk sich dessen Führung anvertraute, oder , daß beide zusammen aus besser –denn diese Summe ist mehr als die Teile – sich heraus eine so gut gefügte, kräftige staatliche Geschlossenheit hervorlösen“ , sondern hier wiein derweitebrachten? Mankann diese Fragen nicht „ ren Erörterung nur versuchen, das Phänomen möglichst weit bis in seine Bestandteile und Wurzeln zu zerlegen, beschreibend und öfter in Fragen als in Antworten endend, wobei sich dann im Einzelnen mancher Aufschluß ergeben, im Ganzen aber nur die Rätselhaftigkeit der römischen Verfassung deutlicher herauskommen kann. Wie wurde es möglich, daß der Adel und mit ihm die ganze Gesellschaft sich in so auffälliger Intensität auf den Staat zu orientieren vermochten? Nicht so sehr in glanzvollen Lebensbedingungen, in Siegen bei großen Wettkämpfen, in Reichtum, Schönheit undMacht –worin etwa der griechische Adel seinen Wert 115u. S. 52f. 69. 75. 86. 117o. S. 30.

116u. S. 53. 65 ff. 201. Vgl. Badian FC 152f. (für die Italiker). 118 Dazu im einzelnen (für die späte Zeit) u. S. 163 ff. 190 ff.

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II Die aristokratische Prägung der res publica und das Bindungswesen

, sondern in der Leistung für vornehmlich dokumentiert und bewundert sah – dasGemeinwesen gipfelte derTugendkanon desrömischen Adels. DerAnspruch auf dignitas, das heißt auf Ehre und gesellschaftliche Geltung war tief und gründlich auf den Staat bezogen, war nur durch Bewährung als Staatsmann, undeventuell alsJurist undPriester –zubegründen119. Feldherr undDiplomat – So wurde die Bekleidung der höchsten Magistraturen zum Kriterium des seit demvierten Jahrhundert sich bildenden neuen Adels der Nobilität120. So wurdenpolitische undmilitärische Taten immer wieder in eindrucksvollen, Vorbild setzenden Demonstrationen bei den Leichenbegängnissen vornehmer Herren gefeiert121. Zudieser Staatsbezogenheit gehörte es ferner, daß der gesamte senatorische Adel sich in derErfüllung deröffentlichen Aufgaben ständig undohne Reserven erschöpfte122. Noch in späterer Zeit galt es als selbstverständliche Pflicht der jungen nobiles und Senatorensöhne, sich der Politik zu widmen. Wer es nicht konnte, versagte sich diesem Anspruch nur mit schlechtem Gewissen123. Die Politik wardas einzige wesentliche Lebenselement, die einzige wirklich standesgemäße Beschäftigung. Und gegenüber den Nicht-Adligen war einerseits der Abstand so groß, daß jeweils nur wenige ihn zu überwinden sich getrauten, andererseits bewirkte eine mächtige Assimilationskraft, daß die Nachrückenden124 rasch im Senatsadel aufgingen. Daher kam es, daß Adel und Führung 119Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 1, 239. Plaut. Trin. 642ff. Polyb. 32, 23. Die Scipioneninschriften (bes. CIL 12 15 = Degrassi ILLR 1, 316). Cic. off. 1,72. 118. 121. Pompon. Dig. 1,2,2, 35 ff. Wieacker 134 ff. 169 ff. 120Vgl. Artemis Lexikon d. A. W., Art. Nobilität. E. Meyer, Röm. Staat 514, 4 (m. Lit.). 121Polyb. 6, 53, 6 ff. Bes. zu beachten, daß die Masken der toten Vorfahren in der Kleidung des Consuls, Censors oder gar Triumphators, je nachdem, welche als höchste dem Einzelnen zukam, auftraten (vgl. Harder, Eigenart der Griechen 18ff.). 122Es begegnet zwar häufiger, daß Nobilitätsgeschlechter generationenlang nicht im Consulat vertreten sind, aber sie haben dann vielfach gleichwohl im Senat gesessen und sind nur (zeitweilig oder für immer) auf die Stufe der praetorischen Familien zurückgesunken. Beispiele finden sich sowohl unter den Praetoren zwischen 200 und 167 wie in der späten Republik so häufig, daß es sich erübrigt, sie hier im einzelnen aufzuzählen. –An dieser Stelle liegt ein wichtiger Unterschied zwischen dem römischen und dem englischen Adel (vgl. Adcock, Rom. pol. Ideas 62. Taylor, Party Pol. 25, die aber verkennt, daß die Kleinheit, das gänzliche Aufgehen in der Politik und die Unvollkommenheit des Abschlusses nach außen die römische (Senats-)Aristokratie auch von der venezianischen unter123Vgl. Anm. 119. scheidet). 124Es ist natürlich im einzelnen sehr schwierig, Genaueres über die Geschichte der Ergänzung von Nobilität und Senatsadel auszumachen. Immerhin ergibt schon eine Stichprobe, wie viele Möglichkeiten für eine eingehende Untersuchung dieser Frage gegeben sind: Von den Consuln der Jahre 133 bis 100 stammte ungefähr ein Viertel nicht aus der Nobilität, in den folgenden Jahrzehnten hingegen durchschnittlich nur ein Sechstel (vgl, u. S. 257 f. auch Badian, Gnomon 36, 1964, 384). In demhalben Jahrhundert vor 241 finden sich 13, in den fünfzig Jahren danach 9 neue Namen in den Consulfasten (Taylor AJPh. 78,

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der respublica in einer wohl beispiellosen Weise praktisch das gleiche bedeuteten: Wer Politik trieb, gehörte zum Adel, und wer zum Adel gehörte, trieb Politik. Diese Konstellation aber brachte es mit sich, daß die Senatsaristokratie sich tief und gründlich mit ihrem Staat identifizierte (so daß privat und politisch für sie auf weite Strecken kaum mehr zu unterscheiden waren). Der Akzent, unter dem dies geschah, veränderte sich mit der Zeit: Erst wurde der Staat mehr als Aufgabe, dann mehr als Besitz verstanden. Aber bis zumEnde der Republik galt diese Identifikation unbezweifelt. Der Inhalt des aristokratischen Staatsethos aber war vor allem Macht und Größe der res publica. Das Gemeinwesen war stark nach außen orientiert und vermochte dabei in erstaunlicher, wiederum: beispielloser Weise alle Kräfte zu massieren. In Romentstand, wieHans Freyer gesagt hat, eine neue Art, Macht zuentfalten undOrdnung zustiften, zuschlagen unddurchzuhalten, kurz: eine neue Art des politischen Willens, dem alle sonstigen Begabungen, Leistungen und Neigungen des Volkes dienstbar gemacht wurden125. Woher sich dies erklärt, darüber lassen sich nur Mutmaßungen anstellen. Jedenfalls scheint es, daß Rom schon frühzeitig eine besondere, aus dem Kreis der umliegenden Städte herausgehobene Existenz geführt hat126. Dies mochte zusammen mit der Schwierigkeit, die von der etruskischen Monarchie ererbte Hegemonie in Latium wiederherzustellen und zu behaupten, den Ansporn zu großen Kraftanstrengungen bieten. Frühzeitig wird sich auch das eigentümliche, stark religiös begründete Überlegenheitsgefühl der Römer ausgebildet haben127. Die spätere Geschichte der Expansion spiegelt dann eine außerordentliche Empfindlichkeit gegen äußere Bedrohungen, Mißtrauen und ein starkes Sicherheitsbedürfnis wider, die vielleicht ebenfalls schon von frühester Zeit her nachwirkten128. Endlich mag die geographische Situation, die enge Berührung mit den fort1957, 348,30). Für die Ergänzung des übrigen Senatsadels aus dem Ritterstand: Gelzer 125Weltgesch. Europas2 308. Kl. Schr. 1,28ff. 223. 126Vgl. Altheim, Röm. Gesch. 1, Frankf. 1951, 228. Auch die wohl alte Sage, nach der das römische Volk aus zusammengelaufenen Hirten, Landstreichern, Tagedieben und Verbrechern entstanden sei (Altheim 2, 78f.), wird –wie und wo sie sich nun auch bildete – als Zeugnis dafür dienen können. 127Altheim 1, 211ff. Hierher zählt vor allem das Bewußtsein, die Formen des Verkehrs mit den Göttern bes. gut zu beherrschen, deren Willen erfahren und exakt befolgen zu können (vgl. zur Sache etwa Latte, Röm. Rel. 40f. 61f. 195ff. u. v. a.), die Vorstellungen, aus denen u. a. die Forderung des bellum iustum erwuchs (Heuß, Röm. Gesch. 544. Gelzer, Kl. Schr. 2, 6ff. 319,34. 3, 91).s. auch Polyb, 1,37,7. 128Vgl. die sehr wichtigen Ausführungen von Heuß, a. O. Dazu ist einerseits hinzuzufügen, daß gerade hier ethische Wurzeln des Machtstrebens liegen, die wohl bessere Erfolge versprechen als Eroberungslust, andererseits, daß bei aller defensiven Grundhaltung eine naive Freude an Eroberungen sich natürlich auch in Rom in vielen Zügen zeigt (s. etwa Val. Max. 4,1,10 zumCensorengebet. 2,8,4 zumTriumph). Pöschl, Hist. Mundi 3, 465f. a. O. (o. Anm. 111) 185 ff. Vgl. auch Latte a. O. 62f. 211f.

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geschrittenen Etruskern und Griechen wie die ständigen Kämpfe mit den die fruchtbaren Ebenen bedrohenden Bergvölkern, besondere Anforderungen und Chancen für Romenthalten haben. Damit die Stadt jedoch auf äußere Anforderungen in ihrer Weise antworten –und wohl schon damit sie sich derart nach außen orientieren –konnte, mußten bestimmte innere Voraussetzungen da sein, und die lassen sich nicht recht erkennen. Sichtbar ist nur das Ergebnis, das im Laufe der frühen Geschichte Roms aus irgendwie vorgegebenen Anlagen, Situationen und den Leistungen der römischen Gesellschaft resultierte, wobei übrigens ein Prozeß besonderer Disziplinierung nach dem Galliereinfall, dessen Frucht etwa die Reformen von 367 gewesen wären, wohl zu vermuten ist129. Die Behauptung nach außen zwang einerseits zur Zusammenfassung aller Kräfte, begünstigte also die Bewahrung oder weitere Befestigung der herrschaftlichen Komponente des römischen Staates. Andererseits setzte sie ein strenges Maß staatlicher Anforderung, an dem gemessen der Wert der Männer sehr ungleich war. Sie wirkte also zugleich dahin, die Überlegenheit Einzelner herauszustellen und zur Anerkennung zu bringen. Und diese Chance wurde in eigenartiger Weise von der Gesamtheit des römischen Adels genutzt, der hier seine großen Qualitäten bewährte, und zwar in dem umfassenden Sinne der Einheit politischer und militärischer Führung. Wenn das alte Patriciat seine Legitimität und seine Ansprüche mehr aus seiner Beziehung zu den Göttern abgeleitet haben wird129a, so gründete jedenfalls die Nobilität wesentlich in ihrer Leistung für den Staat. Führung durch einen Adel nun und starke Bewahrung des herrschaftlichen Prinzips sind schwer vereinbar. Aber diese Vereinbarung gelang in Rom in einem ebenfalls: erstaunlichen Ausmaß. Das herrschaftliche Prinzip war offenbar sehr tief angelegt in der römischen Gesellschaft, in welcher Über- und Unterordnung, Befehl und Gehorsam in vielen Weisen das Verhältnis zwischen den Bürgern bestimmten130. Wer befehlen wollte, mußte gehorchen gelernt haben. Eigentümlich ist, wie stark sich dieses Prinzip bis in den Adel –in dem Regieren und Regiertwerden wechselte –erstreckte. Es fand freilich einen sehr günstigen Ansatzpunkt in der sakral begründeten Stellung der Magistrate. Nach dem Sturz der etruskischen Monarchie haben Senat und Magistrate in Rom offenbar einen sehr eigenartigen Modus gefunden, sich in deren Macht zu teilen131. Einerseits blieb der Senat keineswegs nur beratendes Organ, sondern gewann die ausschlaggebende Rolle in der Lenkung und Formung des Gemeinwesens. Andererseits haben die Magistrate offenbar viel von der 129Zur Schaffung bzw. Wiederherstellung der Consulatsverfassung vgl. die Tatsache, daß in der Zeit des Militärtribunats –welche Gründe auch im einzelnen dafür anzuführen sind (Adcock, Journ. of Rom. Stud. 47, 1957, 9ff.) –die Magistratur doch jedenfalls eine schwere Krise erlitt. Vgl. weiter Note 3b, u. S. 309. 129a Vgl. Mommsen, St.-R. 1,90f. 3,1041 Cornelius, Unters. z. fr. röm. Gesch. 97. 130Vgl. Wieacker, Vom röm. Recht2 30f. 131 s. Note 4, u. S. 309f.

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Respekt heischenden Überlegenheit der Könige bewahrt und entsprechend gewiß großen Einfluß auf die Festlegung der senatorischen Politik ausüben können. Das ist um so auffälliger als es, wie Alfred Heuß bemerkt hat132, eigentlich viel näher liegt, daß eine Aristokratie, die ein Königtum gestürzt hat, die Exekutive schwächt und so weit wie möglich von sich abhängig, das heißt zum ausführenden Organ ihres Willens macht133. Auch hier muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß eine spätere Disziplinierung manches wiederherstellte, was zeitweise nicht verloren, aber doch geschwächt worden

war.

Der Anspruch auf Respekt, die hohe Würde des Amtes –die schon in der , die umfassenden, forBezeichnung als Magistrat zum Ausdruck kommt134 – mell kaum beschränkten Vollmachten der Inhaber der höchsten Staatsstellen wären freilich kaum denkbar gewesen, wenn nicht die Regel geherrscht hätte, daß sie ihre Macht im Einverständnis mindestens mit der Senatsmehrheit gebrauchten. Unddafür daß dies geschah, sorgten neben den Grundsätzen der Annuität undCollegialität vor allem sakrale Satzung, Väterbrauch, das außerordentlich geachtete und gefürchtete Urteil der Standesgenossen und später – als dessen oberste Instanz –die Censur134a. Zugleich bewies die Gesamtheit des Adels eine bemerkenswerte Solidarität. Das manifestierte sich in der Geschlossenheit, die die römische Führung jahrhundertelang in zahlreichen, zum Teil schwierigen Situationen zeigte, sowie darin, daß die Ständekämpfe und die adligen Faktionsstreitigkeiten sich vor 133 stets auf dem Boden des Gegebenen und innerhalb eines relativ engen Rahmens hielten135. Das eigentlich Auffällige aber in diesem Zusammenhang stellt der Umstand dar, daß solche Leistungen mit einem Mindestmaß an institutionellen Fixierungen vollbracht wurden. Wo etwa die venezianischen Geschlechter sich in mühseligem Prozeß ein ausgeklügeltes System von Ein132Sav. Ztschr. 64, 1944, 66. 133Dies scheint nur vorübergehend im letzten Drittel des 5. und im ersten des 4. Jha. 134Vgl. E. Meyer, Röm. Staat2 106f. gelungen zu sein (o. Anm. 129). 134a Wieacker

a. O. 12. Lübtow, Röm. Volk 21. 135Vgl. Heuß, Röm. Gesch. 37f. Ferner u. S. 119 f. Gött. Gel. Anz. 216, 1964, 40, 8 (wo zu dem Hdt.-zitat Arist. Pol. 1308 a 31 hinzuzufügen ist). Anz. f. d. Altertumsw. 1966 (Bespr. Lippold) gegen eines der wichtigsten Argumente Münzers für die Annahme heftiger Faktionsstreitigkeiten. Gelzer betont freilich, Kl. Schr. 2, 74, zu Recht die große Rolle der inimicitiae im Adel, aber damit ist nichts gegen die –notwendig relativ zu verstehende – Geschlossenheit des Adels gesagt. Zu den Vermutungen von Cassola, Gruppi pol. rom. nel III. sec., vgl. meine Bespr. i. d. Hist. Ztschr., wohl 1967: gerade wenn es richtig ist, daß zeitweise eine mehr auf die Interessen der Bauern, d. h. auf Landgewinnung in Norditalien, und eine mehr auf die Erschließung des Handels und das Ausgreifen in denMittelmeerraum gerichtete Tendenz im Senat sich gegenüberstanden, wird deutlich, wie mächtig die Solidarität im römischen Adel war; gefördert freilich durch zahlreiche Zwangsläufigkeiten der so vielfältig engagierten römischen Politik, die zusammen mit gewissen Gegebenheiten der Verfassung die Freiheit der Verfolgung bestimmter Richtungen so stark beschnitten. 4 Meier

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richtungen schufen, zwischen denen die Macht und die Rollen so geschickt verteilt waren, daß am Ende ein relativ harmonisches Zusammenspiel entstand136, da half sich Rom mit wenigen Magistraten undder Festlegung weniger Institutionen, die zwar manchem Mißbrauch zu steuern vermochten, aber doch von sich aus die Möglichkeit zu schärfsten Auseinandersetzungen, ja zu einer Lahmlegung des gesamten Staatsapparats offenließen oder geradezu schufen137. Die Einrichtung der Collegialität, der tribunicischen Intercession, vor allem auch die Tatsache, daß die 300 köpfige Körperschaft des Senats das zentrale Führungs- und Regierungsorgan darstellte –dies undvieles andere konnte zwar hervorragend wirken, wenn Solidarität vorhanden war, aber es konnte kaum Solidarität erzeugen, abstützen oder auf weite Strecken ersetzen. Heuß hat deswegen geschrieben, daß hinter dem fixierten oder in Institutionen, Vollmachten und Prozeduren geronnenen Recht „eine ordnende und ausrichtende Kraft stehen mußte, welche einem unsichtbaren Gesetz gehorchte und den ‚richtigen‘ Gebrauch der an sich höchst unvollkommenen äußeren . Das Geheimnis der römischen Größe Verfassungsapparatur gewährleistete“ beruhe eben nicht auf der technischen Zubereitung des Staates, sondern in dem der Gesellschaft innewohnenden „Regulationsvermögen“138. Das ist natürlich nur ein Name für etwas, dessen Wirkensweise und Ursachen uns im Grunde unbekannt sind, aber mehr als solche Namen zu geben, ist bei der Beschreibung desWesenskerns der an Wunderbarem undWunderlichem so reichen römischen Verfassung unmöglich. Es ist schon viel, wenn mit denAufschriften das Rätselhafte der einzelnen Erscheinungen nicht verdeckt wird. Die Solidarität im Adel nun, die eines der Elemente dieser Legierung, aber ihrerseits ebenfalls nur die Resultante aus verschiedenen Komponenten darstellt, könnte befördert sein durch die Notwendigkeit desZusammenstehens im Ständekampf sowie gegenüber verschiedenen äußeren Gefahren. Aber möglich warsie nur, indem durch innere Voraussetzungen –ob mansie nunHerrschaftsinstinkt, Korpsgeist, Selbstzucht oder wiesonst immer nennen will –derZusammenhalt des Adels im wesentlichen gesichert war. Eine massive moralische Kraft mußalso zu Grunde gelegen haben. Undsie warumso größer, als es sich 136Die venezianische Verfassungsgeschichte ging von ganz anderen Voraussetzungen aus als die römische: Tiefes Mißtrauen und andererseits die überlegenen rationalen Fähigkeiten, die sich teils im Klerus bewahrt hatten teils in der Praxis der kaufmännischen Geschäftsführung einstellten, führten dank des aus einer Gemeinsamkeit der Interessen erwachsenden Behauptungswillen des Adels frühzeitig zu einer beachtlichen institutionellen Versachlichung des Staatswesens. So konnte eine Staatseinrichtung von kräftigem Eigengewicht undfür die auswärtigen Gebiete –nachdem man da lange auf die Hilfe von Kirchen und Klöstern zurückgegriffen hatte –eine wirksame Administration aufgebaut werden, vgl. H. Kretschmayr, Gesch. v. Venedig 2,68 ff. Max Weber, Wirtsch. u. Ges., Studienausg. 1964, 765. 963 ff. Als Überblick G. von Pölnitz, Venedig, 1949. 137Vgl. Heuß, Röm. Gesch. 37. U. v. Lübtow, Röm. Volk 313. Vgl. Gelzer, Kl. Sehr. 138a. O. 1,293.

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um eine archaisch urwüchsige Schicht handelte, die sich ohne Bruch mit ihrer Art und ohne von einem Monarchen oder vom Volk dazu gezwungen zu sein, eingestaatet hatte, aus sich heraus138a. Innerhalb des Senats prägte sich ihre Solidarität dahin aus, daß hier das Prinzip der Rangordnung nicht weniger als in der ganzen Gesellschaft galt. An der Spitze stand der kleine Kreis der principes, welcher sich nach objektivem Kriterium, nämlich aus den ehemaligen Inhabern des höchsten Magistrats zusammensetzte139. In ihm vereinten sich Alter, Erfahrung und Weisheit, die als auctoritas überall anerkannt wurden. Sein Verhältnis zum übrigen Senat wird demgemäß in der Regel das von Führung und Gefolgschaft gewesen sein. Dabei ist es besonders interessant, daß im Senat offensichtlich der öffentliche Rang, die Leistung für den Staat wichtiger war als die Macht der Geschlechter: Im Zweifel hat derprinceps aus weniger mächtigem Hause das noch nicht zumConsulat gelangte Haupt einer stärkeren Familie an Einfluß und Ansehen überragt140. Das ergibt sich schon aus der Reihenfolge des Aufrufs, in der hohen Versammlung141. Es zeigt sich darin nur einmal mehr, daß die Geschlechter weitgehend mediatisiert waren: Nur in gewissen Reservaten konnten sie als konstituierende Größen der Politik auftreten142, im übrigen galten primär staatliche Kriterien. Die Bürger standen wesentlich als Einzelne in der res publica. Und fraglos konnte nur dadurch, daß die eifersüchtige Macht der 138a Es

ist vielleicht nützlich, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß man sich den römischen Adel auch der frühen Zeit wohl nicht zu bäuerlich vorstellen darf (vgl. Hampl, Hist. Ztschr. 188, 1959, 510f. Sordi, Rapporti rom.-ceriti 87 u. pass. [vgl. Gnomon 35, 1963, 220f.]). Es waren Großgrundbesitzer, die sich z. T. durchaus auch auf Handel und Seeraub verstanden haben mögen undrecht weitreichende internationale Beziehungen unterhielten. 139Gelzer, Kl. Schr. 1, 53 ff. Heuß 39. Entsprechendes gilt sicher mindestens seit der Mitte des 4. Jhs. 140Dabei war Cato Censorius gewiß nach der einen, Cicero z. T. nach der anderen Seite Ausnahme. 141Mommsen, St.-R. 3, 965 ff. Innerhalb der Rangklassen scheinen die Patricier gewisse Vorrechte gehabt zu haben, so wenig eindeutig die Argumente und Belege Mommsens in diesem Punkt auch sind. Jedenfalls blieb die Stellung des princeps senatus, solange es sie gab (vgl. u. A. 258, 340). immer den Patriciern vorbehalten. 142Die Stellung der Geschlechter in Rom ist sehr schwer präzis zu beschreiben. Für die späte Republik vgl. u. S. 174 ff. Für das 3. Jh. vgl. einige Andeutungen in meiner Bespr. von Lippolds Consules, Anz. f. d. Altertumsw. 1966. Die Tatsache, daß das staatliche Recht nirgends in den Bereich der Familie eingriff (E. Meyer, Röm. Staat2 257 f. Lübtow a. O. 144, dazu Gött. Gel. Anz. 216, 1964, 49, 32), spricht für eine bemerkenswerte Fähigkeit der Geschlechter, sich zu disziplinieren, allerdings keineswegs für geringe Macht. Aber eine genaue Untersuchung der Politik z. B. des 3. Jhs. lehrt unverkennbar, daß es eine Geschlechtspolitik nur in den unmittelbaren Interessen der Geschlechter (Schutz ihrer Angehörigen, Wahlen und Wahrnehmung gemeinsamer Clientelbindungen) gab und daß auch dabei der Eigennutz der Geschlechter von der Solidarität des gesamten Standes stark in , was er vorausgesetzt Schach gehalten wurde. Münzer hat in diesem Punkt nur „bewiesen“ hatte. Darüber an anderer Stelle mehr. 4*

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Geschlechter so relativ weit zurückgedämmt wurde, die auctoritas der principes in der Regel die Geschlossenheit des Standes bewirken143. Andererseits läßt sich als notwendiges Komplement des wohl begründeten Zusammenhalts im Adel die Bereitwilligkeit des Volkes beobachten, sich mit Selbstverständlichkeit in die aristokratisch geprägte Ordnung zu fügen. Kein Streit ging –vor der Zeit der Gracchen –so tief, daß er das Vertrauen in die Führung des Adels nachhaltig hätte erschüttern können. Die militärische Disziplin der Legion durchdrang auch das innere Leben der Bürgerschaft144. Aber zugleich besaß das Volk die wichtigsten Freiheitsrechte145 und gewisse demokratische Vollmachten. Das bedeutete einerseits einen Rechtsschutz für den Einzelnen, andererseits die Manifestation der Teilhabe aller am Staat. Wieacker spricht von einem starken stadtstaatlichen Pathos146. Vermutlich ist es nicht einmal falsch, von einem demokratischen Bewußtsein zu sprechen – wenn man nur die Vorstellung griechischer Demokratie fernhält und nicht vergißt, daß diese demokratische Komponente eingebettet war in eine im ganzen aristokratisch geprägte Ordnung. Die Volksversammlung wurde zum Beispiel als Herr des Staates geehrt147. Das ist freilich nur so zu verstehen, daß die von einem Magistrat einberufene öffentliche Versammlung als repräsentativ für die Gesamtbürgerschaft angesehen wurde148. Aber jeder Einzelne konnte sich als Teil dieses Ganzen fühlen. Nur war nicht jeder dem andern gleich. Das kam 143Möglicherweise hat man die Aufstellung der Senatsliste –mit der Maßgabe: ut .. ex omni ordine optimum quemque .. legerent (Fest. 246) –eben deswegen um 312 auf die Censoren übertragen, weil sie am ehesten kraft Autorität und Staatsgesinnung den Mißbräuchen vorbeugen konnten, die sich einschleichen mußten, wenn jeweils die Consuln jedes Jahres den Senat ergänzten (und zu leicht in Versuchung kamen, Ansprüchen der Geschlechter nachzugeben: denn natürlich bestand zwischen staatlichen und GeschlechtsAnsprüchen immer eine Spannung). Das plebiscitum Ovinium gewinnt ein besonderes Interesse daraus, daß es wohl in die letzte Phase der Bildung der Nobilität fällt. 144Sehr schön ist das von K. W. Nitzsch ausgedrückt worden, der nach der Schilderung der Beziehung zwischen Volk und Adel schreibt: So fein und fest organisiert die Maschine erscheint, die scheinbar ohne die rohe Einmischung von Menschenhand arbeitet, so wunderbar und selbständig ihre Wirksamkeit, wir können uns nicht mit dem mechanischen Gesetz genügen lassen und suchen nach den unsichtbaren Gewalten, die durch ihren Druck und Gegendruck diese gewaltigen Massen regeln und bewegen. Als eine solche unsichtbare Kraft entdeckte Tocqueville in der Verfassung der Vereinigten Staaten den tiefreligiösen Geist der alten Colonien; als eine ebensolche Kraft tritt uns der militärische Geist der Legion ... entgegen (HZ 7, 1862, 142). 145Vgl. Wirszubski, Libertas pass. Wieacker, Vom röm. Recht2 29. Zu beachten ist aber, daß Rom fast keinen Schutz vor willkürlicher Verhaftung gekannt hat. An dieser Stelle mußten die Volkstribunen wohl einspringen (vgl. o. S. 28). 147RE Suppl. 10, 597. 146a. O. 28f. 148Vgl. etwa, daß man der contio für die Wahl zum Consul dankt, wozu das dort versammelte Straßenvolk in der Regel kaum etwas beigetragen haben dürfte (Cic. leg. agr. 2,1ff. Vgl. imp. 2. 51). Trotz größter Unterschiede galt da eben jede Art der Volksversammlung als „das Volk“ .

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schon in demhöchst eigenartigen korporativen Prinzip der römischen Comitien zum Ausdruck149. Und es spiegelte sich zugleich in der doch recht beschränkten Rolle, die die Comitien in der Politik spielten, wider. Sie haben nie das Recht der Initiative erhalten150, ihre Teilnahme an der Bestellung der Magistrate beschränkte sich zunächst darauf, daß sie vorgeschlagene Bewerber bestätigen durften151, und auch nachdem sie ein eigentliches Wahlrecht erhalten hatten, unterlag dieses fühlbaren Beschränkungen152. Die wichtigste Form der Volks-

versammlung, die comitia centuriata war in der Weise der Heeresversammlung geordnet, auf Befehl des Magistrats trat sie an und stimmte ab, wobei bis ins dritte Jahrhundert die adligen Ritter als erste aufgerufen wurden und ein Herold deren Votum vor Fortsetzung des Wahlgangs als Vorbild verkündete153. Das Recht der Gesetzgebung war in enge Schranken gehalten154, und bei den Wahlen pflegte man ausschließlich adlige Bewerber zu berücksichtigen: so sehr der Einfluß von Teilen der Bürgerschaft mit der Zeit wuchs155, immer blieben die Nah- und Treuverhältnisse der maßgebende Gesichtspunkt der Wähler. Fragt man sich, wiedieses Verhältnis zwischen Adel und Volk auf die Dauer möglich war, so wird man an das Volkstribunat denken, das als Ventil für viele Stauungen fungieren konnte, magfür später dieAuswirkungen desEntlastungsraums entdecken, den die römische Expansion bot156, man wird auch auf das Bindungswesen und die vorwaltende Orientierung nach außen hinweisen und nicht zuletzt gewisse römische Nationaleigenschaften feststellen können. Aber so sehr mit jedem dieser Faktoren etwas Mitwirkendes bezeichnet ist, so sehr , wie weit man auf fragt es sich –sobald maneinmal einen Schritt zurücktritt – diese Weise nicht letztlich dieselben Dinge, die erklärt werden sollen, als Erklärung einführt. Sind nicht all diese Faktoren nurTeil undAusdruck des Verhältnisses zwischen den Ständen? So muß es wiederum mit einem Etikett genug sein: Adel und Volk in Rom bildeten eine im Grunde monistische Gesellschaft. Sofern sie in Gegensatz gerieten, sofern in Auseinandersetzungen zwischen Senat und Volksversammlung ein Dualismus sichtbar zu werden scheint, geschieht es auf dem Boden dieser grundlegenden Einheit.

149Vgl. Ursula Hall, Historia 13, 1964, 267f. 150Meyer, Röm. Staat2 192f. Vgl. Sternbergers interessante Ausführungen über die drei Elemente des vollen Wahlrechts in: Kandidaturen zum Bundestag, die Auswahl der Bundestagskandidaten 1957 in zwei Bundesländern, hrsg. von K. Kaufmann u. a., 1961, 11ff. 151 RE Suppl. 8,586. 152Die Aufstellung der Kandidatenliste lag wie die Ernennung der Gewählten immer in der Hand des Wahlleiters (vgl. u. S. 120). Darüber hinaus s. Note 5, u. S. 310 ff. 153Vgl. Varro 1. 1. 6, 88. 93. Gell. 15,27 u. a. Mommsen St.-R. 3, 294 f. 379 f. 387 f. Siber, Verfassungsr. 123f. Nitzsch HZ 7, 1862, 133 ff. bes. 138. –Zur Verkündung des 155Vgl. u. S. 84 f. 154u. S. 121. Ergebnisses u. S. 311f. 156Vgl. für die Bauern: Hoffmann RE 21, 80f. 83. 85 ff. Gelzer, Kl. Schr. 2, 253. Tibiletti, Athen. 28, 1950, 218f. Für die Ritter u. S. 65 ff. 201.

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Das bedeutet umgekehrt, daß nicht Vieles undWesentliches strittig gewesen sein kann. Darauf weist zugleich das Einigungsvermögen und die Solidarität im Senat, denn sie wären nicht denkbar, wenn regelmäßig –und, um banalerweise das Gegenteil hinzuzufügen: nicht nur in Ausnahmesituationen –tiefere Probleme zur Debatte gestanden hätten. Schon die Struktur der senatorischen Politik setzt also –vor allem in den bewegten Frühzeiten –eine sehr beachtliche Homogenität im Adel und in der ganzen Gesellschaft voraus. Franz Wieacker hat darauf hingewiesen, daß die römische Politik eine fraglose Sicherheit des Fühlens und Handelns bewährt habe157. Man besaß bzw. erwarb sich offensichtlich schon früh ein System von bemerkenswert brauchbaren, für sehr viele Situationen geeigneten Antworten, Vorstellungen wie Regeln158, die dem Zusammenhalt des Adels gleichsam als Knochengerüst dienten. Man kannte , an denen man die objektive Maßstäbe –oder einigte sich frühzeitig darauf – Menschen messen konnte, es gab Tugenden, die leidlich klar und allgemein erkennbar waren, nach denen man bestimmen konnte, wie viel Ehre einer beanspruchen durfte und ob ihm ein Magistrat zukam159. All das ergab sich für die Nachkommenden dann aus der Überlieferung. Denn man lebte nach Maßgabe des Herkommens, des mosmaiorum, aus der Summe der von Vätern und Vorvätern gemachten Erfahrungen160. Das Alte, Ausprobierte, Bewährte war im Zweifelsfall das Bessere161. Man war gleichsam umstellt von Lebensbildern und Leitwerten der Vergangenheit, bewegte sich wie unter den Augen der Vorfahren162. Die Selbstverständlichkeit der alten Werte bezeugt sich vielleicht in nichts so gut wiedarin, daß mansie im vierten unddritten Jahrhundert zuverehrten Gottheiten erhöhte, also „nicht als Ergebnis dersittlichen Anstrengung des Individuums, sondern als objektive Gewalten, die von außen das Han, empfand163: denn diese objektiven Gewalten deln der Menschen bestimmen“ haben, solange die res publica gesund war, nie versagt. Regeln wie Vorstellungen waren in den Instinkt zumal des Adels eingegangen. Freilich bleibt die Frage, wie es zu der Eindeutigkeit, Geschlossenheit und verpflichtenden Kraft dieser Tradition kam. 157Vom röm. Recht2 61. Auch die folgenden Ausführungen sind Wieacker sehr verpflichtet, s. bes. 32. 58 ff. Vgl. auch Latte, Röm. Rel. 212. Andererseits o. Anm. 135. 158 Vgl. z. B. Gelzer, Kl. Schr. 3, 380, Abschn. g. Badian FC 15 ff. 159Formuliert in Anlehnung an Snells Schilderung des entsprechenden Zustands im frühen Griechentum, Dichtung und Gesellschaft 31f. 160Vgl. u. a. Latte, Röm. Rel. 63. 107. 211f. 161Adcock, Rom. pol. Ideas 17. Das Gegenteil und ein anderer Begriff des Guten bei den Griechen seit dem 5. Jh.: Arist. Pol. 1269 a 3. 162Vgl. Polyb. 6, 53 sowie die Bedeutung der exempla im täglichen Leben, Gelzer, Kl.

Schr. 2, 365. 3, 91,10. 234,48. 258. 272. 163Latte 241. Vgl. bes. auch A. 2: .. daß für dieses Denken auch das eigene Handeln unter dem Zwang unsichtbarer Gewalten steht.

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Weiter, wie kam es, daß die Bindung an Überkommenes –wie Wieacker fragt164 –nicht zur Verkrustung des Lebens unter dem Panzer der Vergangenheit führte, sondern zu dem tatenfrohen Ausgriff, von dem Roms große Geschichte erzählt? Wieacker antwortet, daß gerade die Beschränktheit des Vorstellungsvermögens der sicher zugreifenden Tat so günstig sei, die Vitalität der unbewußten Kräfte stärke, da sie den Kraftaufwand eigenen Suchens und des Irrens auf neuen Wegen einspare. Voraussetzung dafür sei freilich gewesen, daß sie sich mit einer Härte im Angreifen und Standhalten verbunden habe, deren ein reicheres Menschentum selten fähig sei165. Wahrscheinlich muß man das Phänomen noch zentraler zu fassen suchen: Das Problem, wie Rom trotz ständiger stärkster Beteiligung an den vielfältigsten Welthändeln mit einem im ganzen sich gleich bleibenden Grundbestand von Regeln auskam, besteht doch wohl zumguten Teil darin, daß es einen so eindeutigen, durchschlagenden Willen in die Dinge zu legen hatte, daß es die Welt mehr nach seinem Bild formte –und die Situationen bestimmte –als sich von ihnen formen zu lassen. Rom war in seiner Geschichte stärker als die Zeit166. Wo aber die alten Regeln nicht genügten oder gar der Bewältigung neuer Probleme im Wege standen, hat man es lange Zeit teils freiwillig, teils unter dem unmittelbaren Zwang inneren oder äußeren Kampfes vermocht, neue Mittel zufinden undVerhaltensweisen einzuüben167 –ohne daß dabei dieselbstverständliche Grundlage des Gegebenen erschüttert worden wäre. Das war möglich, zumal es sich bei der Vorbildwirkung der Vergangenheit nicht eigentlich umTraditionalismus handelte, sondern darum, daß die Vergangenheit von der Welt der jeweils Lebenden nicht getrennt war168. Mos maiorum war –mit Wieacker169 zu sprechen –ein Bündnis mit den Vorfahren. Ein Dogma ist es erst im vorletzten undletzten Jahrhundert der Republik geworden. Die Fähigkeit zur bruchlosen Fortbildung des Gegebenen fand ihren wohl schönsten, erstaunlichsten Ausdruck in der Entfaltung der römischen Rechtswissenschaft, in der Geschichte des römischen Rechts. Wie weit diese aber auch durch besondere Anlagen der Römer begünstigt gewesen sein mag, Voraussetzung undAnsatzpunkt mußjedenfalls die auctoritas des Adels unddie höchst eigentümliche Stellung des Praetors gewesen sein, der –wie alle Magistrate – einerseits „moralisch“170 besonders stark gebunden, andererseits aber eben dadurch auch wieder von formalen Schranken ungewöhnlich frei war171. Nur durch diese beiden Momente konnte in den entscheidenden Epochen die Not164a. O. 32. 165Vgl. ebd. 61. Latte a. O. 61. 166Freyer, Weltgesch. Europas2 315. Vgl. Latte 61: die ungebrochene Selbstsicherheit, die den eigenen Erfolg als normal betrachtete. 167Vgl. Adcock a. O. 17. Badian FC pass. 168Wieacker 58. 169a. O. 32. Nur im Zweifel galt das π νals das Bessere, weil es überkommen war, ά ιο τρ ν(vgl. die eben zitierte Arist.-Stelle). ό ϑ α γ im übrigen fragte man durchaus auch nach dem ἀ 170 Vgl. dazu u. S. 57f. 171Vgl. Wieacker 83 ff. (Der Prätor).

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wendigkeit umfassender Fixierungen des Rechts erübrigt, also der Raum erst geschaffen werden, in dem zum ersten Mal (d. h. ohne die in aller weiteren Geschichte nicht wegzudenkende Präexistenz des römischen Rechts) eine differenzierte Rechtswissenschaft aufblühen konnte. Es ist neuerdings die Frage aufgeworfen worden, wie es kam, daß die Griechen keine Rechtswissenschaft hervorgebracht haben172. Aber man muß wohl eher oder gar ausschließlich fragen, warum die Römer dies konnten. Denn das ist das eigentlich Problematische, Unwahrscheinliche. Nun wird man vielleicht zweifeln, ob es denn wirklich wahr sei, daß die Römer ein solches Übermaß an Tugenden besessen hätten. Dagegen wäre zunächst die Gegenfrage zu stellen, ob wir es hier wirklich mit einem solchen Übermaß zu tun haben. Mit Gewißheit läßt sich doch nur sagen, daß es die besondere Verknüpfung, die Legierung, die Konzentration aller Kräfte in eine Richtung war, die Rom vor allen auszeichnete. Dadurch mages nach der Meinung dessen, dem staatliche Größe und Expansion sowie die entschiedene Staatsbezogenheit, Disziplin und Homogenität einer Gesellschaft als das eigentliche Gut politischer Vereinigung erscheinen, einen Überschuß an Glück erzielt haben. Aber das ist eine Frage der Wertung. Hält man die andere Seite der Bilanz dagegen, so stellen sich die Dinge schon anders dar173. Die Tatsache jedoch, umdie es hier geht –daß ganz seltene Faktoren die römische Geschichte , duldet keinen Zweifel. Schon oberflächliche Kenntbedingt haben müssen – nisse der römischen Verfassung und ein Blick in den Geschichtsatlas lassen sie als gewiß erscheinen. Denn es kann nicht sinnvoll sein zu erwägen, daß das römische Reich auch vom Himmel gefallen sein könnte. Dank der genannten und mancher anderer Elemente nun blieb die staatliche Ordnung in Rom so fest gegründet, daß es bis zu Caesars Bürgerkrieg niemals zu einem eigentlichen Bruch der Kontinuität gekommen ist. Zu allen Zeiten –von den entscheidenden Epochen der Prägung vielleicht abgesehen – war die Quantität der Veränderungen so klein, daß dadurch eher das Wachstum reguliert als durch einen Prozeß des Regelns und Stiftens ersetzt wurde. Die Qualität des Gewachsenen blieb beherrschend. So lange also die Republik bestand, lebte sie in einer gewachsenen Verfassung174. Das aber heißt nicht nur, daß sich das römische Verfassungsrecht allmählich gebildet hat undimmer 172H. J. Wolff, Festschr. f. d. 45. deutschen Juristentag, Karlsruhe 1964. Vgl. auch Gelzer, Kl. Schr. 3,24. 173Vgl. etwa Wieacker 4. 58. Pöschl beruft sich auf das Wort von Jacob Burckhardt: Die Bilanz des Sittlichen kennt nur Gott, a. O. (o. Anm. 111) 182. 174Dieser Ausdruck ist rein deskriptiv gemeint und nicht romantisch zu verstehen. Er scheint mir besser geeignet zu sein als die rein negative Bezeichnung „ungeschriebene Ver, zumal sein Gegensatz nicht eigentlich die geschriebene, sondern die gestiftete – fassung“ nämlich wesentlich auf Neugründung beruhende –Verfassung ist, darüber an anderer Stelle mehr.

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viel stärker und umfassender aus Konventionen175 als aus Gesetzen bestand; und ebensowenig betrifft es nur den relativ hohen Grad von Unausgeglichenheiten undMoralabhängigkeit, dereine solche Verfassung notwendig kennzeichnet (und bis in die Interpretation ihrer einzelnen konventionellen Normen hinein berücksichtigt werden muß176). Vielmehr gehören zur gewachsenen Verfassung offenbar gewisse spezifische Gesinnungsgrundlagen und Einstellungen, die deren eigentliche Stärke –und unter anderen Umständen Schwäche –ausmachen. Der mos maiorum und der grundlegende Monismus der römischen Gesellschaft sind eben schon erwähnt worden. Man könnte sie zusammenfassen in demBegriff der Rechtssouveränität, wenn nicht zuviele falsche Vorstellungen darin mitschwängen177. In Wirklichkeit handelt es sich um einen gleichsam vorsouveränen Zustand, in demdie Frage nach der Souveränität noch gar nicht gestellt ist. Das findet seinen bezeichnendsten Ausdruck wohl darin, daß die innere Ausnahmesituation keine eigentliche Entscheidungssituation war, sondern wie alles Leben auf dem gewachsenen Boden sich abspielte. Ob der Senat oder die Comitien sich dann durchsetzten, immer ging es nur um die Beseitigung von Mißbräuchen, also die bessere Bewahrung des Überkommenen178. Eine andere Seite der gleichen Sache ist es, daß die Maße undRichtschnuren des Handelns allgemein anerkannt sind und als natürlich empfunden werden. Unter solchen Umständen ist die Moral besonders stark nach außen gerichtet: auf denNachvollzug dieser Regeln unddas Urteil der Gesellschaft. Zurgewachsenen Verfassung in ihrer römischen Ausprägung gehört also wohl notwendig eine kollektive Moral179. Dabei ist vorausgesetzt, daß eine funktionierende Urteilsinstanz da ist, letztlich die auctoritas des Adels, aber getragen von dieser auch jener eigentümlich römische Magistrat der Censur, der für die soziale und vor allem: moralische Infrastruktur der Gesellschaft aufzukommen hatte und von Amts wegen Urteile über die Persönlichkeiten von Senatoren, Rittern und anderen Bürgern zu fällen hatte. Das geschah nach freiem Ermessen undmußte es, denn für solche Urteile kann es keine genauen Normierungen geben. Als Komplement dieser Willkür ist anzunehmen, daß die Urteile oder jedenfalls die ihnen zugrunde liegende Autorität dessen, der sie fällte, für die Allgemeinheit überzeugend waren180. 175So im Sinne der Definition Max Webers, Wirtsch. u. Ges., Studienausg. 21. 24. 240 ff., und insbesondere in Anlehnung an die englischen constitutional conventions. 176Vgl. z. B. u. S. 119f. 124f. 177Insbesondere der Gedanke an die aristotelische und liberale Lehre von der Gesetzessouveränität, vgl. vor allem H. Krabbes „Lehre von der Rechtssouveränität“, Groningen 1906. Andererseits die Einwände O. Brunners, Land und Herrschaft, 4. Aufl. 142f. 178Kein senatus consuitm ultimum hatte etwas anderes im Auge, zumVolk vgl. u. S. 121ff. 179Vgl. o. Anm. 49. Dazu Lübtow, Röm. Volk 21. Wieacker a. O. 14. 31. Vgl. die Schilderung der entsprechenden Erscheinung im frühen Griechentum bei Heuß, Antike und Abendland 2, 1946, 38 und ihrer Überwindung dort bei W. Jaeger, Paideia 1, 166f. 180Vgl. Mommsen St.-R. 2,356f. 341. 389f. Zum Vergleich ist vielleicht die –freilich auf

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Solange aber die kollektive Moral und die auctoritas des Adels wirklich galten und das Volk nicht unzufrieden war, war kein Bruch mit dem Herkommen, keine Suche nach einer neuen, göttlich oder philosophisch begründeten Gerechtigkeit und Wertordnung möglich. So lange gab es keine Distanz zum Herkömmlich-Natürlichen. Damit aber ist eine eigentümliche Einstellung zur gesellschaftlichen Wirklichkeit gegeben. Wenn mantrotz vieler Unausgeglichenheiten zwischen den Vollmachten verschiedener Verfassungsorgane davon absehen kann, diese zuregeln, so bedeutet das, daß die gesamte Gesellschaft letztlich Vertrauen in sich hat181. Das schließt natürlich nicht aus, daß man immer wieder viel Mißtrauen walten läßt –Institutionen wie die Collegialität und die tribunicische Intercession sind ja nur als Ergebnis von Mißtrauen denkbar. Aber im ganzen überwog das Vertrauen zu den Mächtigen, daß sie keinen Mißbrauch mit ihrer Macht trieben, und das Selbstvertrauen der Gesellschaft, daß sie mit Ausnahmen fertig würde. Wenn ferner die Fortbildung der Verfassung in so Vielem durch Präzedentien, das heißt durch Ergebnisse von Machtkämpfen und Augenblicksentscheidungen bestimmt wurde, so zeigt sich darin, daß Recht und Macht noch kaum voneinander zu scheiden waren182. Das gleiche ergibt sich daraus, daß die Macht beim Adel undder Adel gut war. Andererseits besah man die Dinge nicht darauf, ob sie gut oder schlecht seien, sie waren da (zumeist schon lange), das war genug. So vermochte man es auch, Neuerungen hinzunehmen undaus ihnen etwas zumachen, indem mansie integrierte, etwa das Volkstribunat, das nun einmal da undnicht abzuschaffen war. Es wird heute gern von der Weisheit gesprochen, mit der das Patriciat rechtzeitig zu so vielen Konzessionen bereit war. Diese Tatsache ist nicht näher zu erklären. Aber wenn es um die richtige Einordnung geht, so wäre zu fragen, ob manhier nicht eher eine Äußerung jenes unmittelbaren Bezugs zur Wirklichkeit sehen sollte, der zu einer lebendigen gewachsenen Verfassung gehört: Wirklichkeit in all dem verstanden als etwas, was im Grunde gut war. Mit dieser Einstellung gehen endlich eine Unfähigkeit zuplanen, ja eine Abneigung dagegen183 und ein Unvermögen, unter Inkonsequenzen zu leiden184, einher. Die „natürliche“Wirklichkeit wargleichsam zudicht, umdenBlick zuder Stelle durchzulassen, wosie nur noch als System und logisch sinnvoller Zusammenhang hätte überzeugen können. anderem Feld sich bewährende –Autorität des englischen Richters heranzuziehen, Radbruch, D. Geist des engl. Rechts 17 ff. 181Vgl. etwa Latte, Röm. Rel. 61 (o. Anm. 166). Wieacker betont, daß die Römer Recht

mehr als Sein denn als überwirkliches Sollen verstanden (a. O. 6f. Vgl. 59). 182Ein Aspekt dieser Tatsache ist es, daß die Geltung vieler Rechte in ungewöhnlichem Ausmaß von den Situationen und beteiligten Personen abhing (vgl. o. S. 14f. u. S. 157f.). 183Wieacker 5. 58. Interessante Ausnahmen C. Gracchus (vgl. u. S. 131ff.) und Caesar. 184Vgl. G. Radbruch, Der Geist des engl. Rechts 8 ff. Beispiel wohl u. S. 147 m. A. 517. RE Suppl. 10,604.

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, Alle diese Beobachtungen ergeben –um das Bisherige zusammenzufassen – daß der römische Staat ungewöhnlich stark auf seiner Gesellschaft beruhte. Diese hatte in den entscheidenden Epochen ihrer Geschichte sehr viel Einheit und Form schon in sich, sie war in sich gegliedert und hat unter der Führung ihres Adels den Staat völlig durchdrungen185. So konnte man weitgehend auf institutionelle Fixierungen undeine Versachlichung der staatlichen Funktionen verzichten. Das bedeutet: das Eigengewicht des Staates blieb gering. Er konnte nicht in einem Monarchen und dessen Apparat und nur bedingt in bestimmten Institutionen ein eigenes, von der Gesellschaft gleichsam künstlich über sich hinausgestelltes spezifisch staatliches Leben führen. Wenn die Republik auch von der etruskischen Monarchie die sakral begründete Überlegenheit der Magistrate geerbt hatte, so hing deren Bewahrung doch ganz von den Persönlichkeiten ab, diediese höchsten Staatsämter bekleideten, undvondemRespekt, der ihnen –zumal aus dem ebenfalls durch sakrale Vorzüge ausgezeichneten Patriciat –gezollt wurde. Überhaupt setzten die wichtigsten Institutionen unmittelbar die Selbstverständlichkeit gewisser Gebundenheiten voraus. Wie das Senatsregime auf der Geschlossenheit, dem Einigungsvermögen und Prestige der Aristokratie beruhte, so wurden das Zusammenwirken von Senat und Magistraten mit der Volksversammlung und die strenge militärische Disziplin in der Armee wohl nicht nur ergänzt, sondern auf die Dauer ermöglicht durch die engen Bande der Clientel und Freundschaft, die die Bürgerschaft dicht durchwalteten. Die politische Führerschaft des Adels wurde also unterbaut durch die Autorität und Fürsorge des Patrons, wie der Gehorsam des Volkes in der Unterordnung vieler Bürger als Clienten vorgebildet war. Dank dieser Bindungen war der gesamte Staat persönlich geprägt, der Einzelne eingebunden in Zusammenhänge, in denen die staatliche Ordnung für ihn konkret sichtbar und mit Leben erfüllt wurde. So erblühte ein Staatsvon der Blässe staatsbürgerlicher Pflichterfüllung oder gar pflichtgefühl, das „ schuldigen Untertanengehorsams kräftig absticht“186. Eine andere Seite der gleichen Sache war es, daß der Adel weiterhin an den Angelegenheiten der Bürger vertretend, vermittelnd, ausgleichend beteiligt blieb. Das zeigt sich wohl am sinnfälligsten in jener höchst merkwürdigen römischen Sitte, daß die Vertretung der Bürger vor Gericht in sehr weitem Umfang nicht von Advokaten, sondern von Politikern wahrgenommen wurde187. Entsprechend beschäftigte eine Unsumme von unbedeutenden Fragen ständig die Gesamtheit oder doch große Teile der Aristokratie. Im Grunde nahmen alle an allem teil188. 185Vgl. dazu auch Latte, Röm. Rel. 193f. zur „ Vergemeindlichung“d. Kulte i. früher Zeit. 186Wieacker 31f. Vgl. 33. 99. 187Vgl. o. S. 27f. Gelzer, Kl. Schr. 1,75 ff. 86 ff.

188Da darauf die Macht der Einzelnen und der Geschlechter wie in gewissem Sinne des ganzen Senats beruhte und keiner gern etwas preisgibt, ergeben sich einfach aus dieser Wirklichkeit (und vermutlich nicht aus einer diese reflektierenden Einsicht) die mächtigen Hemmnisse gegen den Aufbau einer Bürokratie, und sei sie zunächst noch so subaltern.

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Vieles also, was sonst Gegenstand einer sachlich arbeitenden Bürokratie oder eines von der Person absehenden Gerichtswesens ist, wurde in Rom durch Auseinandersetzungen im Senat, Beziehungen zwischen Senatoren und Magistraten, persönliche Geltung, Auftreten und Macht entschieden189. Aber so wenig manverkennen darf, daß dieses System –wiejedes andere auf der Erde – seine Schattenseiten hatte, sollte man übersehen, daß die römische Gesellschaft der klassischen Republik durch ihre Gebundenheit an selbstverständliche Normen ebenfalls einen hohen Grad von Objektivierung erreichte. Wenn nun aber der Staat so stark auf der sich verstaatlichenden Gesellschaft beruhte, so war er ganz darauf angewiesen, daß die Gesellschaft diesen hohen Grad innerer Ordnung und staatlicher Prägung behielt und überhaupt die zahlreichen erstaunlichen Tugenden bewahrte, die ihre Einzigartigkeit ausmachten. Die fast unwahrscheinlichen Stärken der frühen und –oder: jedenfalls –der mittleren Republik konnten also zu ebenso fatalen Schwächen werden. Die Wirklichkeitsverhaftung, die bei der starken „ Anwesenheit“der Bürger zu großer politischer Schlagkraft verhelfen konnte, konnte Ohnmacht und Unfähigkeit bedeuten, sobald es darum ging, aus einer gewissen Distanz Widersprüche und Unstimmigkeiten zu erkennen. Die kollektive Moral, die zu großen Taten wie zu Verantwortung befähigte, mußte zu Hilflosigkeit führen, wenn einmal die Gesellschaft versagte oder ihre Maßstäbe sich aufweichten. Die Bindung an den mos maiorum mochte das öffentliche Leben erstarren machen, wenn die Wirklichkeit nicht mehr zu den vorgeprägten Vorstellungen und selbstverständlichen Regeln paßte. Der ganze Staatsapparat konnte durcheinander geraten, wenn die Solidarität schwand. Freilich, theoretisch ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß durch das Versagen der moralischen Grundlagen entweder ein Prozeß ihres Ersatzes durch neue, auf die neuen Verhältnisse gemünzte Institutionen oder gar ein Bruch der Kontinuität mit nachfolgender Neugründung des Staates heraufgeführt wird. Ein solcher Prozeß setzt freilich Not und dadurch bedingte Einsicht voraus, und er geht zumeist von neuen, politisch bis dahin benachteiligten Schichten aus, von der vorhandenen Führungsschicht nur dann, wenn ein starker Druck von außen –sei es durch den Zwang andrängender Aufgaben oder eben durch die Forderungen anderer Schichten –ausgeübt wird. Gerade daran hat es in Rom glücklich-unglücklicherweise gefehlt. Daher wurde die gewachsene Verfassung trotz größter innerer und äußerer Veränderungen des römischen Lebens bewahrt. Darin liegt nundiezweite große Eigentümlichkeit derrömischen Verfassungsgeschichte, undsie ist in sich nicht weniger eigentümlich als die erste. Wieweit sie sich aus Anlagen und Volkseigenschaften und wie weit aus der Geschichte 189Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 1, 78 ff. Vgl. o. S. 10. Kunkel, Unters. z. Entw. des Kriminalverf. 124 ff.

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erklärt, ist letzten Endes eine philosophische Frage. Aber wie man diese auch beantwortet, so scheint es jedenfalls zu eng zu sein, vereinzelte, vornehmlich intellektuelle Besonderheiten, also etwa eine „Unfähigkeit oder Abneigung zu prinzipiellen Konstruktionen“190für die Beibehaltung der gewachsenen Verfassung verantwortlich zu machen. Es war weniger der Akt des „Schreibens“ als der des „Stiftens“, des Neugründens der Verfassung, an dem es fehlte. Und nichts spricht dafür, daß die Römer sich unter anderen Umständen nicht auch dazu hätten durchringen können, mit dem Althergekommenen zu brechen und eine neue, sekundäre Ordnung zu schaffen. Denn es läßt sich schlechterdings nicht beobachten, daß sich ihnen während ihrer Geschichte eine Gelegenheit, eine innere Not dazu ergab, vor der sie dann auf Grund ihrer besonderen Prägung versagt hätten. Zwar vollzogen sich im Laufe der Zeit –schon lange vor der späten Republik, die auch hier außerhalb der Betrachtung bleiben soll191 –einfach durch das ungeheure Wachstum des Herrschaftsbereichs, die zunehmenden Anforderungen an den Adel und die allmähliche Bildung einer breiten wohlhabenden Schicht unterhalb des Adels sehr große Veränderungen an Inhalt und Aufgaben des Staates. Aber viele davon bestätigten –indem sie Ausdruck höchst glücklicher Erfolge waren –die herkömmliche Ordnung nur, und die übrigen konnten sich politisch nicht auswirken. Denn die rasche Aufeinanderfolge von mächtigen Anspannungen und weiten Eroberungen brachte es mit sich, daß bis zur Mitte deszweiten Jahrhunderts immer wieder alle Kräfte vonaußen her absorbiert und mögliche innere Krisen 192schon im Keim erstickt wurden193. Wo Volk und Adel sich vorher verschiedentlich zusammengerauft oder in verantwortlichem Ausgleich Spannungen vermieden hatten, bot nun zunehmend der Überfluß an wirtschaftlichen Gewinnen die Voraussetzung dafür, daß in Romund–zumTeil von dort gestützt194 –in denverbündeten italischen Gemeinden die aristokratische Ordnung sich hielt. Indem der römische Senatsadel, wie vor allem die Geschichte des Bindungswesens zeigt, die eroberten 191Vgl. dazu u. S. 151ff. 190so Wieacker 5. 192Eine gewisse Krise wird sich zwischen den beiden ersten punischen Kriegen abgespielt haben (Heuß, Röm. Gesch. 77 ff. Bleicken, Volkstribunat 27 ff. Dazu ist aber zu sagen, daß die Deutung der Centurienreform in manchem rein hypothetisch [vgl. RE Suppl. 8, 575 ff.], in anderem ersichtlich falsch ist [s. Note 5, u. S. 311]. Zu Flaminius vgl. die Einschränkungen von Kienast, Gnomon 29, 1957, 107f. Zu dessen Feststellung, daß Fl. kaum der einzige Senator war, der die lex Claudia unterstützte, vgl. Athenaeum 40, 1962, 113, 37. Gelzer, Kl. Schr. 2,178,190. Zur lex Claudia Note 6, u. S. 313). Für eine mögliche Krise im Adel: Staveley, Historia 8,1959, 427 ff. Cassola, Gruppi pol. 125. p. s. Entgegen meiner Skepsis, RE Suppl. 8, 578, 51 ff., kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Angehörigen der städtischen tribus durch die Centurienreform benachteiligt wurden, wie auch immer die Centurien vorher zusammengesetzt waren. Nur: was besagt das? 193 Vgl. die Wirkung des zweiten punischen Krieges: Heuß 94f. 194Vereinzeltes Beispiel: Liv. 33, 36, 1 f. Dazu H. Rix, Das etrusk. Cognomen, 1963,

373f.

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Gebiete auf seine Art in Aufsicht und Verwaltung nahm, befestigte er sich und seine Regierungsweise immer weiter an der Riesenmaterie des Weltreichs. Was ihmmit der Zeit an Solidarität undinnerer Kraft verlorenging, wurde auf andere Weise ersetzt: woetwa seine auctoritas in der großen Zeit wesentlich auf steter voller Bewährung beruht hatte, bildete jetzt die Leistung und Größe der Vorfahren und die Heiligung der alten Ordnung durch den Erfolg zunehmend die Grundlage seiner Legitimität195. Wo vorher die mächtigen Geschlechter aus innerer Disziplin und angesichts äußerer Aufgaben zusammengestanden hatten, schlossen jetzt die damals geschaffenen Konventionen196 sowie die Machtverhältnisse tiefer gehende Parteiungen aus. Denn es war zwar –nach Max Weber –„nirgends sonst in der Welt eine derartige politische Patronage in den Händen einzelner, formell rein privater Familien vereinigt gewesen“197, aber auf Grund der Pluralität der Bindungen waren die Wurzeln dieser Macht, je weiter sie wuchs, um so vielfältiger untereinander verschlungen. Weithin trat also Ersatz an die Stelle der ursprünglichen Faktoren und bald dann auch Zement an die Stelle des gewachsenen –undwachsenden –Holzes. Das äußerte sich zuletzt amaugenfälligsten in verschiedenen Gesetzen, diewiedielex Annalis von 180198, vor allem aber die Bestimmung von ca 151, nach der keiner mehr als einmal Consul sein durfte199, der politischen Ordnung ihre Elastizität nahmen. Aber wenn es ihr auch zunehmend schwerer wurde, mit Ausnahmen fertig zu werden200, so funktionierte sie doch in der Regel bis in die späte Republik hinein so gut, daß fast keiner einen Anlaß dazu sah, sie zu ändern, und der einzige, der es versuchte, C. Gracchus, einerseits maßvoll und andererseits so erfolglos war, daß er keine Nachfolger fand201. Von irgendeinem, bestenfalls vermutungsweise –vielleicht am Ende des dritten Jahrhunderts202 –festzusetzenden Zeitpunkt an trat also eine Versteifung undErstarrung der gewachsenen Verfassung an die Stelle, die deren Fortbildung oder die Neugründung einer gestifteten Verfassung hätte einnehmen können undunter „ normalen“Umständen wohl eingenommen hätte. Die Kapazität der alten Verfassung war damit noch nicht erschöpft, es war noch möglich, hier an-, dort auszubauen, aber die Ordnung als Ganzes wuchs nun nicht mehr mit, sie war überfordert, und damit entstand, zunächst unmerklich, dann deutlicher eine Diskrepanz zwischen ihren Institutionen und ihren Aufgaben. 195Es ist gewiß charakteristisch, daß die Senatoren es 194 für angebracht hielten, ihre Besonderheit dadurch zu manifestieren, daß sie sich Ehrenplätze in Zirkus und Theater einräumen ließen: Liv. 34, 54. Val. Max. 2,4,3. 196Beispiel dafür wohl u. S. 173. 179. 197Wirtsch. u. Ges., Studienausg. 1031. Ältestes Beispiel wohl: Ap. Claudius Caecus (Taylor, Voting Distr. 137. Albertini, Mél. d’Arch. et d’Hist. 24, 1904, 249f.). 198Dazu G. Rögler, Klio 40, 1962, 76 ff. 199Liv. per. 56. Cato ORF2 185f. 200 Vgl. u. S. 168 ff. 195 f. 201 Vgl. u. S. 70 ff. 131 ff. 202Für die Zeit davor vgl. etwa u. Note 5, Abs. 4, S. 311. Rögler a. O.

4. Die Grundlagen der aristokratisch geprägten Verfassung

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Es mag also, um zum Ende zu kommen, zum Teil wohl eine Frucht der Selbstsicherheit der auf so einzigartiger politischer Moral beruhenden römischen Gesellschaft, aber es wird kaum weniger das Ergebnis der –wesentlich durch den damaligen Zustand der außeritalischen Welt bedingten –äußeren Geschichte Roms gewesen sein, wenn nun die alte Verfassung immer tiefer einrastete. Wie auch sonst historische Prägungen an einer entscheidenden Stelle Endgültigkeit annehmen können, so scheint die gewachsene Verfassung in Rom irgendwann den Punkt überschritten zu haben, an demsich der Wegnoch hätte gabeln können. Seitdem wurde der mos maiorum auf ein Podest gehoben, aus dem Bündnis mit den Vorfahren wurde ein Satellitenverhältnis: Das Althergebrachte wurde eingefroren mitsamt seinen Einzelheiten, die künftig als so unabänderlich erachtet wurden wie vorher wohl nur der Wesenskern der Verfassung203. Die Schwelle zu einem Wandel scheint unübersteigbar hoch geworden zusein. So ließ sich zwar bewirken, daß die alte Verfassung trotz der Überforderung unddesnachfolgenden Ungenügens der alten Moral noch lange erhalten bleiben konnte, aber spätestens seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts waren das alte Ideal der Republik und der Status quo zweierlei. Dabei mußte sich die einzigartige Stärke der frühen römischen Gesellschaft zuletzt darin besonders verhängnisvoll auswirken, daß die äußere Zurichtung der Verfassung und die gesamte Weise des Denkens und Handelns, die zu ihr gehörte, –undvon der das Bindungswesen einen wichtigen Teil ausmachte –besonders unvollkommen waren204. Allein, wie war es möglich, daß noch in den schweren Krisen der späten Republik alle Welt in Rom demÜberkommenen anhing, ja je mehr es versagte, umso enger sich daran festhielt? Wie fügte sich die immer breiter, wohlhabender undeinflußreicher werdende Großbourgeoisie darein? Mußte sie nicht allein durch ihre Existenz –selbst wenn sie keine größeren politischen Forderungen erhob –wichtige Veränderungen nach sich ziehen? Undwiekonnte sich dieser Staat mit denverarmten Bauern, denBerufsarmeen unddemgroßen städtischen Proletariat vertragen, das seit den Gracchen eine so bedeutende Rolle in der römischen Politik gespielt zu haben scheint? 203Für einen entsprechenden, schon sehr frühen Vorgang auf dem Gebiet der Religion 204Vgl. u. S. 159. s. Latte 147.Vgl. u. S. 156.

III DIE ÜBERMÄSSIGE EXTENSIVIERUNG DER RES PUBLICA 1. DER RITTERSTAND

Die römische respublica bestand seit alters aus senatus populusque Romanus. Daran hat sich rechtlich gesehen im Laufe der republikanischen Geschichte nichts geändert. Praktisch aber begannen wohl schon seit der Mitte des dritten Jahrhunderts neben dem Senat die Ritter sich aus dem übrigen Volk herausο ϑ ςzählt1, so ist das ῆ λ zuheben. Wenn Polybios die Publicanen noch zum π nicht wörtlich zu nehmen. Gaius Gracchus hat die Ritter dann durch Verleihung besonderer Vorrechte zu einem zweiten Stand zu machen versucht und hat ihre führende Schicht iudicum appellatione, wie Plinius schreibt, von den anderen abgesondert2. Cicero hat endlich nach weiterer Konsolidierung des Standes nur die Konsequenz gezogen, wenn er in vielen Aufzählungen senatus, equites undpopulus oder plebs nebeneinander nennt3. Der Rittercensus war vergleichsweise niedrig, so daß man annehmen kann, daß die breite wohlhabende Schicht der späten Republik zum wesentlichen Teil dem Ritterstand angehörte. Sie ist also ungefähr mit den Rittern gleichzusetzen4. Im folgenden soll nun, teilweise über die unmittelbaren Bedürfnisse unserer Fragestellung hinaus, die politische Geschichte dieser Schicht 1 6,17,3 (einschränkend Gelzer Kl. Schr. 1,225). Vgl. Sall. Jug. 42,1. 40,5 (plebs = Gracchani iudices? [Cic. Brut. 128]). 2 u. S. 73. Plin. n. h. 33,34. (Der Plural Gracchi ist ungenau. Vgl. allerdings u. Anm. 41). Den Begriff equester ordo verwendet nach Pl. als erster Junius Gracchanus, der um 143 v. Chr. geboren wurde (Wissowa RE 10,1031 ff.). 3 Erstmals i. J. 64: tog. cand. frg. 16–18 Sch. Ferner dom. 74. prov. 29. Pis. 24. Phil. 5,49. Vgl. Cat. 1,32. Sest. 38. har. resp. 5. 22. später Plin. 33,29: tertium ordinem mediumque plebei et patribus, App. 1,91. 2,47. 205. 276. In Plinius’ (wohl aus Varro übernommener: Münzer, Beiträge zur Quellenkritik der Naturgeschichte des Pl. 164) Aussage: ab illo tempore (63 a. Chr. n.) plane hoctertium corpus in re publica factum est coepitque adici senatui populoque R. et equester ordo, kann sich die Datierung nur auf die ausdrückliche Formulierung der Tatsache beziehen. –Vgl. Augustus’Wendung: senatus et equester ordo populusqueR. universus (RgDA 35. 14. Tab. Hebana 8,11f. Stein, D. röm. Ritterstand 57f. Schaefer, Probl. d. alten Gesch. 337f. 352. Für die veränderte Stellung des Ritterstandes unter der Monarchie: Stein 54 ff. Ferner: Artemis Lexikon d. alten Welt s. v. Ritterstand. 4 Vgl. Cic. fam. 9,13,4. Gelzer Kl. Sehr. 1,25. Vgl. 35.

1. Der Ritterstand

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in ihren wesentlichen Punkten besprochen werden. Denn es fehlt bislang an einer überzeugenden eingehenderen Behandlung dieses Themas5; im allgemeinen wird die Rolle der Ritter überschätzt, und es wird in falscher Generalisierung verkannt, wie unterschiedlich nach Macht und Anspruch ihre Position in den verschiedenen Phasen der Politik der späten Republik gewesen ist.

*

Ein Kreis von ungefähr 20000 wehrfähigen Bürgern, die wohlhabend genug waren, um auf eigenen Pferden zu dienen (equites equo privato), wird uns schon für die Zeit vor dem 2. Punischen Kriege bezeugt6. Ihr Vermögen wird zumeist in Grundbesitz bestanden haben7. Aus dieser Schicht, die vornehmlich den lokalen Adel der verschiedenen Gegenden des ager Romanus umfaßt haben oder aus ihm hervorgegangen sein muß, ergänzte sich der Senat8. Es ist freilich zu vermuten, daß das Gros ihrer Angehörigen damals weniger wohlhabend war als das der Senatoren9. Je weiter nun der römische Herrschaftsbereich mit der Zeit wuchs, je vielfältiger und anspruchsvoller die aus ihm sich ergebenden Aufgaben wurden, 5 Gelzer 223. –Die Skizze, die Hans Schaefer in seinem Akademie-Vortrag (a. O. 352) zeichnete, hat zwar viele bedeutende Einsichten gebracht, aber doch zugleich 337– mehrere wichtige Fragen offengelassen, die Schaefer in einer umfassenden Arbeit klären The Equites in the late Republic“(Deuxième Conwollte. P. A. Brunts wertvolle Studie „ férence d’Histoire Économique 1962. Bd. 1, Den Haag 1965, 117ff.) beschränkt sich ebenfalls auf die Zeichnung von Umrissen. 6 Polyb. 2,24,3. 9. 13f. (wohl auf Fabius Pictor zurückgehend). Mommsen RF 2,400. Gelzer a. O. 22. Gewiß muß für diese Zeit schon ein census equester angenommen werden (Gelzer 224f.).

7 Hill, The Roman Middle Class 47. Gelzer 225. Andererseits auch Lippold, Consules 92. 99f. 8 Gelzer 19ff.223 f. Brunt 122f. Mit der Ausdehnung des römischen Gebiets ist sie natürlich durch Aufnahme neuer Bürger wie durch Ansiedlung und Bereicherung alter (vor allem wohl auch jüngerer Söhne) stark angewachsen. Vgl. für den Umfang des vor allem nach dem 2. Punischen Krieg in Italien brachliegenden Landes T. Frank, An Econ. Surv. of Anc. Rome 1,109 ff. Die Untersuchungen L. Ross Taylors über die tribus-Zugehörigkeit der Senatoren haben neue Anhaltspunkte dafür erbracht, wie stark sich die Senatoren bei der Landnahme in den neuen Gebieten beteiligten (Vot. Distr. of the Rom. Rep. 184ff. 294).

Das gleiche gilt selbst für die Bundesgenossen (vgl. Cic. rep. 3,41. 1,31. Schol. Bob. 118. App. 1,79. 162. Lex agraria [Riccobono 8] Z. 29. 31. Gelzer, Kl. Schr. 2,75. Badian FC 170 ff. 175 m. Anm. 6), um so mehr für die römischen Ritter. Vgl. die Bevorzugung von Rittern (equites equo publico? Junge Offiziere? Jedenfalls wohl zumeist Angehörige der wohlhabenden Ritterschaft) bei der Gründung von Colonien (Tibiletti Athenaeum 28, 1950, 222 ff. Gabba ebd. 32, 1954, 339). 9 Selbstverständlich traten vornehmlich besonders Wohlhabende in die senatorische Laufbahn ein, auch besaß die kleine Schicht der Senatoren größere Quellen zur Bereicherung (Bevorzugung bei der Occupation von ager publicus, Beute, munera der Clienten, Erbschaften zum Dank für Verteidigung vor Gericht etc.). Vgl. u. a. Frank ESAR 1,296 ff. (was mutatis mutandis auch für die frühere Zeit gilt), auch Beloch, D. Bevölk. d. griech.röm. Welt 368f. Gelzer Kl. Schr. 1,35. 5 Meier

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

desto weniger war die geringe Zahl der Magistrate mit ihren relativ kleinen Verwaltungsapparaten in der Lage, sie zu meistern. An eine Ausdehnung von Magistratur oder staatlicher Administration konnte und mochte man nicht denken. Wahrscheinlich hätten auch die Mittel, die man dazu hätte investieren müssen, von der Staatskasse nicht leicht aufgebracht werden können. Vor allem aber sollte der römische Senatsadel –wie es eine strenge Richtung wollte, die sich um 220 durchsetzte10 –mit der Ausbeutung der Staatsgefälle wie mit Handelsunternehmen, lateinisch gesagt mit quaestus, nichts zu tun haben11. Da es endlich nur einer weit verbreiteten Gepflogenheit entsprach, die publica zu verpachten, zog man mit der Zeit die Angehörigen der breiteren wohlhabenden Schicht unterhalb des Senats immer stärker zur Bewältigung der wirtschaftlichen Aufgaben der res publica heran12. Umnun den steigenden Anforderungen zu genügen, schlossen sich die Publicanen spätestens umdie Zeit der Punischen Kriege zusocietates zusammen, und so wurde auf die Dauer ein immer weiterer Kreis von Bürgern –als Pachtende, Teilhaber, Bürgen undAngestellte –an denpublica beteiligt13. Denn trotz gewissen Zögerns und einiger Widerstände hat man die Dienste der Staatspächter immer stärker in Anspruch genommen, nicht zuletzt vielleicht, um deren Energien abzulenken14. Polybios’ Behauptung, um die Mitte des zweiten Jahrhunderts habe fast das ganze Volk irgendwie mit Staatsaufträgen zu tun gehabt, ist fraglos stark übertrieben, kann aber doch insoweit kaum ganz falsch sein, als sie einen erstaunlichen Umfang dieses Kreises andeutete. Zur Zeit der Gracchen war also eine recht breite wohlhabende Schicht herangewachsen, in der es sehr viele Männer gegeben haben muß, die dem Vermögen nach dem Durchschnitt der Senatoren nicht viel nachstanden15. Äußerlich und von weitem gesehen bestand diese Schicht aus zwei Teilen: denjenigen, die auf dem Lande oder besser: in den vielen Städten des ager Romanus saßen und vor allem von ihren Gütern lebten16, und den anderen, 10 Heuß, Röm. Gesch. 77 ff. Dazu aber o. A. 61, 192. 11 s. Note 6, u. S. 313. 12Allgemein vgl. Rostovtzeff, Gesch. d. Staatspacht 332 ff. bes. 368. Im einzelnen Hill 51 ff. (der freilich die Geschwindigkeit und das Ausmaß des Prozesses übertreibt. Vgl. Frank ESAR 1,148 ff., dessen Tendenz entgegengesetzt ist: Ganz unsinnig ist es zum Beispiel, wenn er aus der geringen Macht der Ritter im Staat und der geringen Zahl derer, die aus ihren Reihen in den Senat aufstiegen, auf deren geringes Vermögen schließen will. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Vgl. jetzt Brunt 138ff.). K. W. Nitzsch, Die Gracchen 13 Hill 54. Polyb. 6,17,2 ff. und ihre nächsten Vorgänger 370f. 14 Vgl. Kienast, Cato der Zensor (1954) 71 ff. Schaefer 343. –Cic. Verr. 2,2,6. Poseid. (FgrHist. 87) frg. 108,3. 15Genaueres läßt sich darüber nicht ausmachen. Franks Feststellung in ESAR 1,156f. ist aber gewiß weit untertrieben (vgl. Anm. 12). Für die spätere Zeit vgl. Gelzer Kl. Schr. 2,252. 16Cic. Att. 1,19,4. 4, 16, 6. 7, 7, 5. 8, 13, 2. 9, 13, 4. 15,3. Rosc. Am. 47. 143. Vgl. Verr. 2,1,127. Sest. 97. Q. Cic. Com. Pet. 31. Fast alle diese Belege über agricolae, rusticani etc. müssen vornehmlich Ritter betreffen (s. bes. Rosc. Am. 43: homines illius ordinis ex

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die sich als publicani betätigten. Zur letzteren Gruppe kann man auch die Bankiers und Kaufleute rechnen, die den Staatspächtern gegenüber vermutlich nicht sehr ins Gewicht fielen, da man die Bank- und Handelsgeschäfte –soweit sie sich nicht bei der Staatspacht ergaben17 –infolge der hohen Beanspruchung des römischen Kapitals18 und aus ethischen Motiven19 eher Italikern und Freigelassenen überließ20. Die beiden Teile der ritterlichen Schicht sind aber untereinander aufs engste verbunden gewesen, zumal die publicani zum größten Teil aus der landbesitzenden Schicht hervorgegangen sein müssen, vielfach selbst Güter besaßen oder doch ihr Geld bevorzugt in Land anlegten21. Viele von denen, die „ auf dem Lande“lebten, oft genug ihre Väter, Brüder oder Vettern, waren ihre Teilhaber oder Bürgen, wie denn auch bezeugt ist, daß die Staatspächter praedia oder (doch wohl: praedia besitzende) praedes als Sicherheit stellen mußten22. Nicht zuletzt daher wird es sich auch erklären, daß die Ritter zu den Gegnern der gracchischen Ackergesetze zählten23. Die hier wichtigste Frage nun ist, in welchem Verhältnis die Angehörigen dieser Schicht in der Mitte des zweiten Jahrhunderts zum Senat standen. Matthias Gelzer hat darauf hingewiesen, daß Senatoren und Ritter miteinander durch zahlreiche Nah- und Treuverhältnisse verbunden waren und daß die Ritter in den Comitien über großen Einfluß verfügten24. Aber es fragt sich, ob sie diesen, zunächst nur: potentiellen Einfluß auch ausübten, genauer: ob die Überlegenheit von Senat und Magistraten schon aufgehört hatte, für die Ritter

municipiis rusticanis). Sall. Cat. 17,4 (ex coloniis et municipiis domi nobiles) Frank ESAR 1,295. Beispiele: T. Vettius (Diod. 36,2,2 u. 2a), P. Sittius (Cic. Sull. 56 ff.), ferner u. 17z. B. beim Verkauf der decuma. Vgl. Frank ESAR 1,256. Anm. 126. 18Frank ESAR 1,157. 19Cic. off. 1,150f. 20 Kaufleute: J. Hatzfeld, Les Trafiquants Italiens dans l’Orient Hellénique 238 ff. vgl. Gabba Athenaeum 32, 1954, 60 ff. 302 ff. 316 f. Badian FC 152f. Frank, Roman Imperialism 288 f. Brunt 125 ff. Selbstverständlich gab es aber auch in Rom alte Kaufmannstraditionen: Hill 49, Frank ESAR 1,202. Cassola, Gruppi pol., Kap. II (wohl etwas übertrieben). – Bankiers: Hatzfeld 238 ff. vgl. 197 ff. Frank ESAR 1.206 ff. 21Cato, agr. praef. Cic. off. 1,151. Vgl. Hatzfeld 215f. 244. Kroll, Kultur d. cic. Zt. 1,94. Gabba a. O. 60 ff. mit weiterer Literatur. Sehr viele Publicanen stammten aus den Municipien (vgl. Frank ESAR 1,345). Interessant ist das Beispiel der Roscii aus Ameria (gleichgültig, wann Ameria municipium wurde, CIL 11 S. 638): Der Vater widmet sich in Rom den Geschäften, der Sohn zu Hause den Gütern (Cic. Rosc. 18.38.43 u. ö.). Cicero betont dabei, seine Tribulen und Nachbarn hielten es so, daß sie diejenigen ihrer Kinder, die sie am meisten schätzten, gerne zu agricolae adsidui machten. Nicht nur in Umbrien, sondern überhaupt in den alten Municipien (so!) würde diese Beschäftigung am meisten geschätzt (ebd. 47f.). An dem Grad der Schätzung mag man Zweifel hegen, die Tatsache der Aufteilung der Bereiche unter den Söhnen wird Cicero nicht erfunden haben. 22Gelzer Kl. Schr. 1,226. Rostovtzeff, Gesch. d. Staatspacht 368. F. Kniep, Societas Pulicanorum (Jena 1896) 204 ff. Brunt a. O. (o. Anm. 5) 122. 23vgl. Anm. 37. 24 a. O. Vgl. Brunt 117. 5*

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selbstverständlich zu sein. Die Verpflichtungsverhältnisse verbanden doch nur einzelne von ihnen oder ihren Gesellschaften mit einzelnen Senatoren, und in den Comitien standen regelmäßig nur einzelne Angehörige eines noch homogenen Standes zur Wahl. Wie weit sich dort spezifisch ritterliche Interessen geltend machen konnten und vor allem unter welchen Voraussetzungen die Ritter mit den Senatoren verkehrten, kann also nur eine Funktion desgesamten Verhältnisses zwischen den Ständen gewesen sein. Wie viel der Einzelne galt, hing in der Regel von der Geltung des Standes ab. Darüber aber gibt es das Zeugnis des Polybios, das, nachdem man es von einigen Übertreibungen gereinigt hat, doch wohl glaubwürdig aussagt, daß damals die Führung des Senats und der Magistrate im ganzen auch gegenüber den Rittern durchaus gesichert und selbstverständlich war25. Der Bereich der Staatspachten dehnte sich mit dem Umfang des imperium und demBedürfnis nach öffentlichen Bauten fast von selbst aus. Der Ausbau der Straßen und Häfen diente außer den politischen und militärischen zugleich den wirtschaftlichen Ansprüchen26. So verbesserten sich die Möglichkeiten der Kaufleute und Publicanen ständig, ohne daß es darüber zu nennenswerten Streitigkeiten kommen konnte. Im übrigen aber fehlte es fast ganz an Gelegenheiten, bei denen wirtschaftliche Fragen zum Gegenstand der Politik hätten werden können. Seit 167 wurden in Rom keine Steuern mehr bezahlt27, und die Ordnung und der Ablauf von Industrie und Handel interessierten die Regierung nicht. Seit wann nichtagrarische wirtschaftliche Interessengruppen in der Bestimmung der Außenpolitik eine nennenswerte Rolle spielen, ist nicht zu sehen. Das erste mit Wahrscheinlichkeit auszumachende Beispiel gehört ins Jahr 166 (wobei noch die Frage bleibt, wie weit man damals neben der Schädigung fremder Interessen überhaupt eine Förderung der römischen und italischen im Auge hatte). Vermutlich hat es vorher außenpolitische Einflußnahmen der Ritter kaum gegeben28. Immerhin ist für 169 zum ersten Mal eine größere Auseinandersetzung zwischen den Censoren und einigen Pachtgesellschaften bezeugt, die zuletzt vor dem Volksgericht ausgetragen wurde und nur knapp zu Gunsten der Censoren entschieden werden konnte29. Aber sie scheint ein Einzelfall geblieben 256, 17, 2 ff. Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 3, 196 f. Die Übertreibung ergibt sich daraus, daß Polybios nach seinen Erfahrungen die Abhängigkeit einer breiten wohlhabenden Schicht vom regierenden Adel rätselhaft fand und dann, weil er deren wahre, eher irrationale Ursachen nicht sah, die für ihn erkennbaren Ursachen viel zu hoch veranschlagte (vgl. u. 26 Vgl. Frank ESAR 1, 201 ff. Anm. 93). 27 Plin. n. h. 33,56. Vgl. Cic. off. 2,76. Plut. Paul. 38. 28 Hill 96 ff. (anders Gabba Athenaeum 32, 1954, 70 f. in wohl starker Überschätzung der Ritter). Gelzer a. O. 226. Frank, Roman Imperialism 282 ff. ESAR 1,202. Brunt 130. Eine Ausnahme könnte allein das Verbot des Weinbaus in den westlichen Provinzen bilden (Rostovtzeff, Wirtsch.- u. Sozialgesch. der römischen Kaiserzeit 1,244,17). Sie erklärt sich wohl daraus, daß es sich um agrarische Interessen handelte (ebenso Brunt 127). Anders Cassola a. O. 68 ff. 121 ff. 159 ff. u. ö. 29 Vgl. Brunt 140. Schaefer 343.

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zu sein. Die eigentlich interessante Frage, ob ein Zurückstecken der Ritter oder des Senats oder ein neuer Ausgleich beider die Ursache dafür war, daß weitere Konflikte vermieden wurden, läßt sich nicht beantworten. Auch sonst hat es natürlich zahlreiche Differenzen zwischen Rittern und Magistraten als ihren Auftraggebern, als Statthaltern und Gerichtsherren gegeben. Aber sie wurden oft gewiß vermittels Verpflichtungsverhältnissen schon in der Wurzel beseitigt30, und wie weit immer die Senatoren den Rittern im einzelnen Fall entgegengekommen sein mögen, deren Wünsche werden vergleichsweise bescheiden, der Kreis der Betroffenen vergleichsweise begrenzt gewesen sein, und jedenfalls können wirtschaftliche Interessen nicht zu nennenswerten Einmischungsversuchen in die Politik geführt haben. Andere Probleme aber, die zu anderen Zeiten das Bürgertum zu nachhaltiger politischer Wirksamkeit angeregt haben –etwa das Fehlen von Freiheiten und Grundrechten –waren nicht vorhanden. So gab es wahrscheinlich kaum Ansatzpunkte für ein geschlossenes Auftreten der Ritter in der Politik oder nur dafür, daß sie sich bewußt wurden, gemeinsame politische Interessen zu haben. Es kam hinzu, daß viele Senatoren auch mit Kapitalien an ritterlichen Unternehmen beteiligt waren31, und nicht zuletzt muß die konservative Einstellung die noch vielfach agrarisch geprägte, in sich zusammenhängende Schicht in ein gutes Verhältnis zum Senat gebracht haben32. Die Ritterschaft spielte also damals eine durchaus gesunde Rolle im Ganzen der res publica. Sie nahm dem Senat große staatliche Aufgaben ab, und dabei waren ihre Menschen und ihre Mittel so glücklich beschäftigt und ausgelastet, daß sie die adelsstaatliche Ordnung und Politik kaum störten. In dieser durch Tradition und Reichsbildung bedingten Scheidung und relativ klaren Abgrenzung der Bereiche beider Stände scheint es möglich gewesen zu sein, eine wohlhabende breite Großbourgeoisie33 in ein aristokratisch geprägtes Gemeinwesen reibungslos einzugliedern.

30Vgl. Gelzer a. O. 78, Ernst Meyer, Römischer Staat und Staatsgedanke2 280. Wie sehr Statthalter und Ritter aufeinander angewiesen waren, zeigt anschaulich Jenny, Der röm. Ritterstand. Diss. Zürich 1936. 25. 31Plut. Cato maior 21.6. Gelzer 1,36. –Der Patricier M. Aemilius Scaurus, dessen Vater mit Kohlen gehandelt hatte, schwankte, ob er die senatorische Laufbahn einschlagen oder ins Bankgewerbe gehen sollte (Auct. vir. ill. 72,2). P. Rupilius soll unmittelbar vor dem Consulat noch Publican gewesen sein (Ps. Asc. 264. Vgl. aber Gelzer 29f. Zu seiner Bewerbung Cic. Lael. 73), auch Marius ist es gewesen (Diod. 34/35, 38,1). Vgl. Val. Max 6,9,7f. (T. Aufidius) Cic. fam. 13,10,2. Schaefer 341f. 32Vgl. Poseidonios FgrHist 87 111b = Diod. 35,25 von C. Gracchus: τ ὴ ν π ρ ο υ π ά ρ χ ο υ σ α ν ς. Liv. per. 60: equestrem ordinem tune α σ ή τ σ νδια ο ία π ν υ μ ςσ υ ο π ὺ ςἵπ ςτο ὸ ρ π ίῳ ρ δ ε ν υ σ ῷ τ (123) cum senatu consentientem. Rostovtzeff a. O. 19f. 33Das französische bourgeois paßt dank seiner deutlichen Unterscheidung vom citoyen . So auch Gelzer a. O. 224. Vgl. auf diese Schicht fraglos besser als das deutsche „Bürger“ u. Anm. 74.

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Zur Zeit der Gracchen begann dieser glückliche Zustand sich aber zu verwandeln, wobei es fraglich ist, wie weit C. Gracchus –zum Teil vielleicht im Anschluß an Pläne seines Bruders –nur Konsequenzen vorwegnahm, die sich auf die Dauer ohnehin nicht hätten vermeiden lassen. Er übertrug den Rittern zunächst –entgegen dembis dahin in allen anderen Provinzen geübten Brauch34 –für Asien die Einsammlung auch der bedeutenden direkten Steuern35. Damit wird er eine gerechtere Behandlung der Provinzialen und die Erzielung höherer Einnahmen für den Staatsschatz beabsichtigt haben36, wesentlich muß es ihm aber auch darum gegangen sein, die Interessen der Ritter zu fördern. Doch auch dies hatte nicht allein taktische Gründe. Vielmehr hing es einerseits eng mit der Ackergesetzgebung des Tiberius zusammen37. Denn die Ritter erhielten hiermit eine Entschädigung für die Verluste, die sie in deren Folge erlitten hatten: Dem dadurch frei gewordenen Kapital wurde nun eine neue, äußerst lukrative38 Möglichkeit zur Anlage in Asien geboten. Die Konsequenz aber war, ob beabsichtigt oder nicht, daß Wohlstand und Macht der Publicanen sich ganz erheblich vergrößerten und die Akzente sich innerhalb des Standes in einem schwer abzuschätzenden Ausmaß zugunsten der Pachtinteressen verschoben39. Andererseits zielte das Gesetz, indem es die Ritterschaft im ganzen aufwertete, auf ein neues Kräfteverhältnis im Staat. Und gerade das scheint Gracchus aus tieferen Erwägungen dringend für geboten gehalten zu haben. An dieser Stelle fielen taktische Erfordernisse des Augenblicks und der Wunsch nach einer neuen, besseren Ordnung in eins40. Diese weitere, wesentlichere Absicht desC.Gracchus wird besonders deutlich in zwei seiner bedeutendsten Gesetzesanträge. Erstens bestimmte er, daß 300 oder 600 Ritter neben den Senatoren in die allgemeine Richterliste aufgenommen werden sollten41. Das warangesichts der starken Beanspruchung der Rich34 Frank ESAR 1,150f. Hill 67. 35 GCG 36. Vgl. 8. 29. Magie, Roman Rule in Asia Minor 1,164f. Wesentlich ist, daß die Steuern künftig in Rom verpachtet wurden. Ob die Publicanen die übrigen Einkünfte aus Asien schon verwalteten, ist unklar. Günstig für sie war auch die Einrichtung neuer Zölle durch C. Gracchus (ebd.). 36 Vgl. Gracchus bei Gell. 11,10. Cic. Tusc. 3,48. (ORF2 41.44). Brunt Latomus 15, 1956, 23. Badian FC 184. Für seinen wirtschaftlichen Sinn: K. W. Nitzsch, Geschichte der röm. Republ. 2,107f. Schaefer 344. 37 Vgl. Frank ESAR 1,239. 252. Caspari Klio 13, 1913, 192f. So waren auch die Bundesgenossengesetze von 125 und 122 zum Teil zur Wiedergutmachung von Konsequenzen des Ackergesetzes von 133 gedacht. Dazu die Feindschaft der Ritter gegen Tib. Gracchus. Liv. per. 58. Vell. 2,3,2. 38Cic. imp. 14. 16f. Broughton in Frank ESAR 4,536. Nitzsch nennt Asien „die Säule des Ritterstandes“(a. O.). 39 Freilich kam auch das aufgeteilte Land bald in die Hand der Ritter zurück (App. 1,121 ff.). Vgl. dazu das gewiß ähnliche Schicksal der sullanischen Landanweisungen: Cic. 40Vgl. u. S. 131ff. leg. agr. 2,78. 3,8 (Praeneste). 41 Plut. Gracchi 26, 2f. 42, 1. Liv. per. 60. Gelzer, Kl. Schr. 1, 222. 3, 293, 2. Brunt

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ter sachlich gerechtfertigt42, aber es bedeutete außerdem, daß der Senat ein Herrschaftsmittel oder besser: eine Manifestation seiner selbstverständlichen Überlegenheit fast ganz verlor43. Darüber hinaus brachte Gracchus oder einer seiner Freunde (M.’Acilius) ein noch erheblich weitergehendes Gesetz ein, nach dem künftig in den wichtigen Repetundengerichtshöfen –vor denen die Senatoren wegen unrechtmäßiger Bereicherung in den Provinzen angeklagt wurden –die Ritter allein die Richter stellen sollten44. Varro hat darüber geschrieben: bicipitem civitatem fecit, discordiarum civilium fontem. Er stützt sich im zweiten Teil seiner Behauptung unter anderem auf einen Ausruf, den der Volkstribun offenbar selber getan hat: Er habe die Dolche aufs Forum geworfen, mit denen sich die Bürger fortan zerfleischen würden, ohne daß er noch etwas dazu

tun müsse45. Mandarf sich aber durch diese, noch in der Hitze des Abstimmungskampfes gefallenen mutwilligen Worte nicht dazu hinreißen lassen, dem Gesetz jedes allgemeinere sachliche Motiv abzusprechen. Die Art, in der manche Senatoren die Provinzen –zumal das neu gewonnene und Gracchus besonders nahestehende46 Asien –verwalteten, und die Nachsicht, auf die sie bisher bei der senatorischen Gerichtsbarkeit hatten rechnen können, waren gewiß arg genug, umauf jeden Fall eine Änderung zu empfehlen. Als Ausweg bot sich aber kein anderer als der, die so mächtigen und hochmütigen Senatoren unter die Kontrolle eines zweiten unabhängigen Standes47 zustellen48. Manhatte vermutlich mit den Rittern noch keine so schlechten Erfahrungen gemacht, daß dies als sinnlos erscheinen mußte49. Jedenfalls konnte Gracchus bei der Aufstellung der ersten Richterliste –die ihm übertragen war50 –die Fähigsten aussuchen undtraf wohl auch gewisse Vorkehrungen dafür, daß künftig diepraetores peregrini bei Ergänzung bzw. Neuaufstellung der Liste die Rechten aufnähmen51. Die nächsten Auswirkungen des Gesetzes haben denn auch der Absicht seines

141ff. –Angeblich nahm er damit einen Plan seines Bruders auf: Plut. 16,1. Dio. frg. 83, 7. Vgl. Plin. n. h. 33, 34 (Macrob. 3,14,6 bezieht sich wohl auf die richterlichen Kompetenzen der Ackerkommission, vgl. App. 1, 79. Liv. 58. Mommsen, RG 2,99). 42 Kunkel RE 24, 738. 43 Vgl. Polyb. 6, 17, 7 ff. Nitzsch a. O. Dazu Kunkel, Unters. z. Entw. d. vorsullan. Kriminalverf. 90, 334. 91, 335. 96, 347. 44 GCG 34f. Kunkel RE 24, 749f. Brunt 141ff., der zeigt, daß beide Richtergesetze ungefähr gleichzeitig gewesen sein müssen (gegen Last CAH 9, 49 ff.). 45frg. 114 Rip. Meyer, Kl. Schr. 12 377,1 und Schaefer 344 (die beide andere Versionen über Gracchus’ Ausspruch bevorzugen). Vgl. Cic. leg. 3, 20. Diod. 34/5, 27. 37, 9. 46 Badian FC 184f. 47 Der im übrigen technisch gute Voraussetzungen dazu mitbrachte: Cic. Verr. 2, 2, 176. 48 Badian a. O. Evins JRS 50, 1960, 102. 49 Badian. Last, CAH 9, 77. Vgl. Brunt 145f. 50 Plut. Gracchi 27,1. 51Vgl. Kunkel RE 24, 750. u. S. 73 ff.

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Schöpfers entsprochen52, die weiteren –die freilich nicht so schlimm waren, wie man immer liest53 –hat er kaum vorausgesehen54. Es kann keine Frage sein, daß Gracchus mit dem Repetundengesetz einen tiefen Einschnitt in die römische Verfassung vorzunehmen suchte. Er deklarierte, daß der Senat nicht mehr mit denmißbräuchlichen undverbrecherischen Praktiken seiner Mitglieder fertig werden, daß man sich auf den Senat nicht mehr wie bisher verlassen könne. Freilich wollte er die hohe Versammlung deswegen nicht ab-, nicht einmal beiseitesetzen; aber wie er ihr durch andere Gesetze die Möglichkeiten zu willkürlich parteiischem Regime abzuschneiden suchte55, so stellte er sie durch dieses unter Kontrolle. Seine Absichten zielten also darauf hin, durch Beschränkung und Institutionalisierung das Senatsregiment zu verbessern, aber das hieß eben –wie an dieser Stelle vollends deutlich wird –zum Teil neue politische Machtverhältnisse schaffen. Die althergebrachte Einheit der staatlichen Gewalt und Verantwortung hatte versagt; also versuchte Gracchus nun, die Ritter gegen den Senat aufzuwerten, um eine gewisse nicht: Konkurrenz, schon gar nicht: Zweiköpfigkeit des Staates, aber doch: Überwachung des Senats herbeizuführen. Insofern haben seine eben zitierten Worte –wenn man sie nur der Zutaten entkleidet, die ihm die Hitze des Kampfes eingegeben hatte –ihren guten Sinn: ein gewisses mißtrauisches Gegeneinanderstehen der Stände war allerdings von Nöten, wenn die Rechnung aufgehen sollte. Ritter und Senatoren durften nicht wie die Krähen einander schonen. Diese Deutung scheint sich unmittelbar aus der Intention des gracchischen Gesetzeswerkes zu ergeben. Aus ihr folgt, daß der große Volkstribun, indem er die Ritter an der politischen Verantwortung beteiligte, versuchte, den Staat auf eine breitere Basis zu stellen. Er wollte also die Konsequenzen ziehen aus der Überforderung des Senats, den gesellschaftlichen Veränderungen und dem Anwachsen des Herrschaftsbereichs mit all seinen Versuchungen. Vielleicht meinte er auch, unter denverwandelten Umständen dasalte Verhältnis zwischen Senat und Volk wiederherzustellen: daß die Ritter jetzt tun und sein sollten, 52s. u. S. 78 f. 53 u. S. 77 f. 54Sein wichtigster Fehler lag darin, daß er die beginnende große Aporie der Zeit nicht erkannte, in der die vitia und remedia gleich schlimm waren (u. S. 304 ff.). Aber wie sollte er einen archimedischen Punkt außerhalb seiner Welt erreichen? Und selbst wenn er die Aporie erkannt hätte, ehrt es ihn nicht, daß er alles versucht hat, um die res publica zu verbessern? (vgl. u. S. 131 ff.). 55Vgl. RE Suppl. 10, 606 zur lex deprovinciis consularibus. Kunkel, Unters. 28, 89 zum Verbot der Einsetzung von quaestiones extraordinariae, 70, 263 a zu der Klausel: ne quis iudicio circumveniatur. Auch das Gesetz über die Steuerpacht der Provinz Asien gehört in gewissem Sinne hierher, denn es setzte an die Stelle des relativ uneinsehbaren, schwer zu regelnden Geschäfts zwischen Statthaltern und Provinzialen die öffentliche, kontrollierbare Versteigerung in Rom (vgl. Cic. Q. fr. 1, 1,22). Alle drei Gesetze hätten in der Aufstellung RE 605 ff. angeführt bzw. wiederholt werden müssen.

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wasdas Gesamtvolk und insbesondere die ärmere plebs urbana undrustica nicht mehr vermochte. Jedenfalls sollte derStatus quo überwunden unddie gute alte Ordnung in neuer Form wieder geschaffen werden. Dabei bedeutete, wie P.A. Brunt sehr gut hervorgehoben hat56, die neue Stellung für die Ritter nicht nur machtpolitische Vorteile, sondern insbesondere auch einen Zuwachs an dignitas, auf den sie sehr großen Wert legten. Demwürde es entsprechen, wenn C. Gracchus –wie zu vermuten ist57 –ferner verfügt hat, daß die Ritter auch gesonderte Sitzreihen im Theater, wie die Senatoren sie schon besaßen, und eigene Standesabzeichen erhielten. Auch das mußte sie in dem Bewußtsein ihrer Besonderheit, in dem Gefühl, ein zweiter Stand zu sein, bestärken58. Aber ließen sich die tieferen Absichten des gracchischen Gesetzes verifizieren, hatten also die Ritter das Zeug dazu, einen zweiten, fast neben demSenat stehenden Stand darzustellen, spürten sie so viel politische Verantwortung und konnten sie sich zu einer Instanz gerechter Überwachung entfalten? Das mußte die weitere Geschichte zeigen. Wenn nun die Angehörigen der wohlhabenden Schicht iudicum appellatione künftig stärker vomVolk abgesondert waren, sowares doch nureinsehr kleiner Teil von ihnen, der als Richter fungieren konnte. Voraussetzung dafür war nämlich der Wohnsitz in Rom oder seiner näheren Umgebung59. Nach welchen Grundsätzen der praetor peregrinus jeweils die Auswahl unter den so in Frage kommenden traf, ist unbekannt60. Vermutlich schrieb dasGesetz vor, dieBesten 56a. O. 120, fußend bes. auf Cic. Rab. perd. 20: omnem dignitatem iudiciorum. 57Alföldi, D. frühröm. Reiteradel u. s. Ehrenabzeichen 26f. 69 ff. Lange RA 3,202. Heuß RG 146 f. u. A. 140. Vgl. allg. Schaefer 344 f. –Eine ähnliche Tendenz muß das 129 beantragte plebiscitum equorum reddendorum (Cic. rep. 4,2) verfolgt haben. Denn der praktische Vorteil, den es den Rittern verschaffen sollte, war nicht groß (Ciceros Klage entspricht der senatorischen Kopfscheu gegen alle Neuerungen [vgl. u. A. 129, 400]. Ob die sex 4, u. S. 310f.] überhaupt noch ausüben konnten, suffragia ihren alten Einfluß [Note 5, Abs. 2– ist unklar. Die übrigen 12 Rittercenturien aber spielten gewiß keine große Rolle, waren im übrigen schon immer in der Hand der eigentlichen Ritter gewesen (dazu auch u. Anm. 62). Vgl. Hill a. O. 105f. über den anscheinend geringen Widerstand des Senats). 58Es ist noch zu erwähnen, daß Gracchus verschiedene Ritter auch bei seinen Coloniegründungen begünstigte (Plut. 30,3). Entsprechendes hatte es bisher nur in latinischen Colonien gegeben (Tibiletti Athen. 28, 1950, 222). Hinzukam, daß Gracchus nun wichtige Handelsplätze wie Tarent und Karthago besiedelte. 59Vgl. Lex repet. (Riccobono Nr. 7) Z. 13. 16f. Selbst wenn es sich bei der Inschrift nicht um das Gesetz von 123 handelt (dazu Kunkel Unters. 96, 349 mit Lit. Zu Kunkels Ansicht aber auch RE 24, 738), werden ähnliche Bestimmungen auch für dieses anzunehmen sein. Mommsen, Ges. Schr. 1,51. 60Es ist vor allem auch unklar, wie weit die Praetoren die Listen ihrer Vorgänger zu übernehmen pflegten (für den möglichen Einfluß des Praetors vgl. Cic. Att. 1,14,1 mit 16,2). Möglicherweise wurden die Geschworenen oft ausgetauscht, denn ihr Dienst konnte sehr lästig sein (vgl. Cic. Verr. 2,1,22. Mur. 42. Att. 2,2,3. Q. fr. 2,11,2 [dabei wurden damals nur Freiwillige aufgenommen: Pis. 94]. Noch: Sall. ep. ad Caes. 2,11,6). Allg. Kunkel RE 24,750.

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in die Listen aufzunehmen61, und gerade dieses Maß scheint damals trotz der Gegensätze zwischen Senat und Rittern noch nicht ganz willkürlich gewesen zu sein62. So hat Cicero in den späten 50er Jahren die ritterlichen Richter wohl nicht ganz zu Unrecht als principes equestris ordinis tituliert63. Jedenfalls war das Ergebnis, das sich im Laufe der Zeit mit einer wohl statistischen WahrBlüte des Standes“64, die scheinlichkeit immer wieder herausstellte, daß die „ Publicanen, in den Gerichten den Ausschlag gaben65. Sie waren die Tätigsten unter den Rittern, hingen untereinander vielfach eng zusammen66 und waren in Rom durch zahlreiche rührige Herren vertreten67. Außerdem hatten sie als einzige ihres Standes vielfach mit Senat und Magistraten zu tun und hegten jetzt –wiebewußt undlebhaft nun auch in denverschiedenen Zeitabschnitten – das gemeinsame Interesse, ihre Stellung diesen gegenüber zu verbessern. So kam es, daß unter den iudices, die nach Plinius’(im einzelnen schwer verständlicher) Aussage den Ritterstand jetzt verkörperten, die Publicanen die einzigen ritterliche Politik“machen konnten. Viele andere Ritter wurden waren, die „ durch Bindungen, Beteiligung an den Pachtgeschäften oder einfach durch das Gesetz der Schwere dazu veranlaßt, sie zu unterstützen68. Die Staatspächter wurden also, zumal infolge der gracchischen Gesetze, zum Kern des Standes, gewannen Gewicht und Geschlossenheit in sich69, so eng die Bindun61ebd. Z. 15 mit Mommsens Ergänzung: optumos eos ioudices futuros esse quosque oetiles io]udices existimaverit esse. 18. Vgl. dazu die entsprechende Bestimmung der Gesetze von 91 (App. 1,158) und 70 (Cic. Cluent. 121). Für die Praxis sind die Ausführungen interessant, in denen Cicero die Veränderungen des Jahres 55 gegenüber der lex iudiciaria von 70 beschreibt: neque legetur quisquis voluerit, nec quisquis noluerit, non legetur; nulli conicientur in illum ordinem, nulli eximentur; non ambitio ad gratiam non iniquitas ad aemulationem conitetur; iudices iudicabunt, quos lex ipsa, non quos hominum libido delegerit (Pis. 94, vgl. Asc. 21). Vgl. Kunkel RE 24,753. 62 Vgl. etwa Mommsen St.-R. 13 317. Brunt 120,4: Nach Q. Cic. Com. Pet. 33 scheinen noch in der späten Republik (für das 2. Jh. vgl. Liv. 43, 16, 14) die Publicanen bzw. deren Söhne sehr stark in den Rittercenturien vertreten gewesen zu sein. Das spräche dafür, daß die Censoren bei deren Auswahl bes. auf den flos equitum Romanorum Rücksicht nahmen, also ein gewisses objektives Maß des Ranges immer noch galt. Ähnliches sollte dann auch für die Praetoren angenommen werden. 63 Planc. 41 (dabei ist nicht ausgeschlossen, daß nuper auch auf die Zeit vor Sulla zurückweist, gegen Kunkel RE 24, 751 vgl. Cic. Verr. 2,2,122. Font. 26. Q. Cic. Com. Pet. 11). Flacc. 4. de orat. 2, 198, werden die Ritter, die im maiestas-Verfahren gegen Norbanus zu Gericht saßen (vgl. ebd. 199) optimi cives genannt. 64u. Anm. 76. 65 Vgl. Diod. 37, 5,1. Val. Max. 2, 10,5. Cic. Verr. 2, 2,174. 3,94. 168 u. a. (vgl. u. Anm. 77). Vielleicht geht das u. a. auch auf C. Gracchus’Einfluß zurück (vgl. Plut. Gracchi 27,1), zumal es mindestens bei prominenten Rittern, die von ihm aufgenommen worden waren, hätte Anstoß erregen müssen, wenn man sie bald wieder von der Liste gestrichen hätte. 66 Cic. fam. 13,9,1. Vgl. Q. fr. 2,12(11),2. Planc. 35, Rostovtzeff, Gesch. d. Staatspacht 370. 67Gerade wenn die Teilnahme an den Geschworenengerichten wechselte, war dadurch die Gewähr gegeben, daß die Publicanen in der Regel immer relativ stark in diesen ver68Vgl. Badian FC 184. treten waren. 69Vgl. Hill 113.

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gen gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und verwandtschaftlicher Art zu den übrigen Rittern (wie zu den Senatoren) auch blieben. Ein sehr großer Teil, wohl die Mehrheit der Ritterschicht, besaß auch weiterhin keine Interessen, die mit denen der –sozial mehr oder weniger zu ihnen gehörenden –Senatoren kollidiert hätten. Sie hatten vermutlich auch kein ritterliches“Standesgefühl und bildeten in ihrer konservativen besonderes „ Gesinnung dank ihres beherrschenden Einflusses in weiten Teilen des ager Romanus eine der wichtigsten Stützen der Nobilitätsherrschaft. Wenn die Ritter bald als boni aufgefaßt und bezeichnet wurden70, so galt das nicht zuletzt diesen Kreisen. Sie haben demSenat gerade in der Zeit zwischen denGracchen und Sulla immer wieder geholfen71 (durch die Gefolgschaften, die sie in Rom besaßen oder dorthin bringen konnten, vielleicht auch schon durch Resolutionen ihrer Municipien und auf andere Weise72). Diese handgreifliche Unterstützung beschränkte sich allerdings auf besonders wichtige Situationen73. Auch die Publicanen blieben im Grunde konservativ und ohne eigentliches Interesse an der Politik74. Sie wurden nur durch die nun hemmungsloser verfolgten wirtschaftlichen Interessen mehrfach dazu veranlaßt, in die Politik einzugreifen. Da sie aber geschlossen und organisiert auftreten konnten75 und die angesehensten und tätigsten der Ritter gewiß zu ihnen zählten76, okkupierten sie dabei den Namen des Standes77. Fast immer, wenn wir „den Ritterstand“in der folgenden Zeit politisch in Erscheinung treten sehen, sind in 70 Vgl. für diese Zeit evtl.: Plut. Gracchi 34,3. Mar. 29,10 [Rutilius Rufus?]. C. Gracchus ORF2 17. 24. Strasburger RE 18, 774). Für die ständische Bedeutung des Wortes: Cic. rep. 1,31. Att. 2,19,4 mit 1,19,4. Phil. 13,16 und Publius Syrus sent. v. 14. Vgl. u. Anm. 176. Arist. Pol. 1293 b 39. 71 Allg. Cic. Sest. 103. har. resp. 60. 133: o. A. 37, vgl. Strasburger RE 18, 791,21. 121: u. A. 70, 100: u. Anm. 107. 99: Cic. Sest. 37. 72 Vgl. u. Anm. 149. –Cic. dom. 75. Sest. 32. 73Cic. Sest. 100. Strasburger, Concordia ordinum 63. Wirszubski, Libertas 91 ff. 74Vgl. auch Badian FC 202. Allgemein Hegels Definition des Bourgeois in Wissenschaftliche Behandlungsarten des Naturrechts (1802) Ausgabe v. Lasson S. 383. 75 Concursus: Cic. Att. 2,1,8. Rab. Post. 18 (ferner u. Anm. 149). Vgl. Q. fr. 1,4,4 (wo von den übrigen Rittern bemerkenswerterweise kein Wort fällt. Dazu: Att. 1,19,4. 2,19,4. Q. fr. 1,1,6. 2,16). Vermutlich sind die Publicanen auch Dio 38,16,2 gemeint (vgl. ferner Cic. fam. 11,16,2 u. a. mit Q. fr. 2,12(11),2 für ihren Wortführer Lamia). Decreta: Cic. dom. 74. Sest. 32. Vat. 8. Phil. 2,16. 76Cic. Planc. 23: flos enim equitum R., ornamentum civitatis, firmamentum rei p. publicanorum ordine continetur. imp. 17. (dagegen 18: ex ceteris ordinibus [vgl. Att. 7,7,5] homines gnavi atque industrii). Brunt 123. 77Beim Prozeß des Rutilius Rufus zum Beispiel: ἱπ π ε ῖς(Dio frg. 97,1), invisus equestri ordini (Liv. per. 70), conspiratio publicanorum (Val. Max. 2,10,5). Ferner eindeutig bei der concordia ordinum (u. Note 9, S. 314). Außerdem die Belege bei Hill 113,1, bes. Plinius n. h. 33,34. Gelzer Kl. Schr. 1,223. Last AJPh 58, 1937, 473. Auch Ciceros viel berufene Beziehung zum Ritterstand (Gelzer 99,314) betraf zunächst nur die Publicanen, erst das beneficium seines Consulats umfaßte alle Reichen (Q. fr. 1,1,6. Vgl. Verr. 2,2,181 und u. Anm. 141).

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Wirklichkeit die Publicanen die einzigen oder der Kern derer, die handeln, und zwar möglicherweise gegen den Willen oder doch ohne die Zustimmung der anderen. Diese Unterscheidung zwischen dem ordo publicanorum und den übrigen Rittern, die meist außerhalb Roms in Italien lebten, ist im Folgenden stark zubeachten, wofast ausschließlich von jenen die Rede ist, da diese einerseits kaum faßbar sind, andererseits und vor allem nur ein gleichbleibendes Element im Lauf der Ereignisse bildeten. Da jedoch die Eingriffe auch der Publicanen in die Politik –wie sehr zu betonen ist –Ausnahmen bildeten, blieb in der Regel alles beim Alten. Trotz der wachsenden Macht der Ritter bei den Wahlen dachte zum Beispiel keiner ihrer Führer daran, sich um einen Magistrat zu bewerben78. Nur die Voraussetzungen der regelmäßigen Politik sollten zu Gunsten der Publicanen verändert werden. Wie weit dies geschah, und wie weit sie die im Besitz der Gerichte beschlossenen Möglichkeiten nutzen konnten und wollten, ist nun zu fragen. Zunächst scheint sich wenig verändert zu haben. Wahrscheinlich haben die Publicanen und andere Ritter anfangs Gaius Gracchus dankbar den Rücken gestärkt. Sobald aber der Senat zum Gegenstoß ansetzte, wechselten sie die Front und halfen bei der Beseitigung des Tribunen mit79. Sallust schreibt darüber: nobilitas .. per socios ac nomen Latinum, interdum per equites Romanos, quos spes societatis a plebe dimoverat, Gracchorum actionibus obviam ierat (Jug. 42,1). Dabei verbirgt sich unter dem Ausdruck spes societatis vermutlich die Zusage, den Rittern die Gerichte und die asiatischen Steuern zu belassen. So viel war dem Senat ihre Unterstützung wert, als es um die Beseitigung des verhaßten Volkstribunen ging80. Man mag sich gesagt haben, man werde die Rittergerichte bei anderer, günstigerer Gelegenheit oder, wenn sie Anstoß erregten, immer noch beseitigen können. Gleichwohl, auch wenn der Senat die Übereinkunft nur als vorläufig ansah, müssen beide Parteien von der Annahme ausgegangen sein, daß die Gerichte keinen unmittelbar brennenden Streitpunkt zwischen ihnen bildeten, daß es wenigstens eine Zeitlang gut gehen werde, und das heißt vermutlich: das Verhältnis zwischen den Ständen war noch so ausgeglichen, daß das gracchische Richtergesetz den Zeitgenossen noch nicht unbedingt –wie den Späteren81 –als gefährlich erschien. 78Cic. Cluent. 153. Brut. 224. Die Ritter, die die Ämterlaufbahn einschlagen wollten (Brunt 120), können kaum repräsentativ für ihren Stand gewesen sein. Sie fanden wohl auch nur zeitweilig, vielleicht zwischen 110 und 100, sicher unter Cinna (u. S. 219), dessen besonderes Interesse. 79Plut. Gracchi 35,4. Ed Meyer Kl. Schr. 12415 (zu den Colonien vgl. aber o. Anm. 58). 80Plut. Gracchi 30,2 (was allerdings nicht wörtlich zu nehmen ist, da Drusus’ Versprechungen kaum ernst gemeint waren). Für das Maß, in dem Rachegelüste beide Seiten beseelten, s. ebd. 37,7. 81App. 1,94 ff. Diod. 37,5,1 (= Poseid. FgrHist 87, 108a,3). 34/35, 25,1 (Poseid. 111b). 37,9. Vgl. Cic. Verr. 2,3,94. Vell. 2,13, 2. Zu Cic. de or. 1,225 u. Anm. 102.

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13 Jahre lang ist dann anscheinend auch alles gut gegangen82. Freilich besagen einige Zeugnisse, denen auch die Communis Opinio heute folgt, daß die Ritter durch die Herrschaft über die Repetundengerichte die Senatoren dazu veranlaßt hätten, ihnen in den Provinzen zu Willen zu sein, indem sie diejenigen, die es nicht waren, verurteilten. So heißt es bei Appian, der Senat hätte bald nur noch Ansehen und Würde, die Ritter aber hätten die Macht gehabt83. Merkwürdigerweise kennen wir jedoch fast keine Probe dieser Macht und, von zwei gleich noch zu erwähnenden Ausnahmen abgesehen, nur ein Beispiel publicanischer Klassenjustiz, denberühmten Prozeß gegen denConsular P. Rutilius Rufus im Jahre 9284. Dieser Fall aber ist sehr eigentümlich. Denn es handelte sich nicht einfach darum, daß ein Statthalter gegen die Publicanen streng auf Ordnung und Gerechtigkeit gehalten hatte, sondern offenkundig waren Rutilius als Legat undsein Statthalter Q. Mucius Scaevola Träger einer neuen, anscheinend vom princeps senatus M. Aemilius Scaurus inspirierten Senatspolitik, die die Zustände in den Provinzen, in erster Linie in dem bitter heimgesuchten Asien85, grundlegend ändern, mit anderen Worten: die eingewurzelte Mißwirtschaft vornehmlich der Publicanen ausrotten wollte86. Und in dieser den eigenen Interessen so gefährlichen Situation wagten diese sich nicht an den mächtigen undgeschickten Scaevola heran –so feindlich sie ihm geson, sondern nur an seinen vornehmsten Gehilfen, einen ebenso intenen waren87 – gren wiestarren Mann, eine Art „Prinzipiennarr“(mit Mommsen zusprechen88), der es ablehnte, sich wirkungsvoll zu verteidigen89. Möglicherweise konnten sie dies vorher vermuten, jedenfalls warhier dieschwächste Stelle, umein Exempel zu statuieren. Die skandalöse Verurteilung des Rutilius hat dann zu einer Machtprobe zwischen den beiden Ständen geführt, indem gleich im folgenden Jahre M. Livius Drusus im engsten Einverständnis mit den führenden Senatskreisen die Gerichte dem Ritterstand wieder zu nehmen trachtete90. Es zeigt sich also: Das (von einer besonderen, gleich zu besprechenden Ausnahme abgesehen) erste Beispiel publicanischer Klassenjustiz, das uns bekannt ist, findet fast 30 Jahre nach Einführung der Rittergerichte statt. Es ist die Antwort auf einen Vorstoß des Senats zur Neuordnung der Provinzialverwaltung und ruft sogleich dessen scharfe Reaktion hervor. Dieser Fall kann 82s. Note 7, u. S. 313. 83 1, 94 ff. Vgl. Flor. 2,5 (3,17). 84 GCG 125 ff. 85 Vgl. Diod. 37,5,1 ff. 86 Badian, Athenaeum 34, 1956, 104 ff. Vgl. u. S. 212 f. 87 Cic. fam. 1,9,26. Planc. 33. 88Mommsen hat diesen Ausdruck allerdings auf Cato Uticensis geprägt (RG 3, 213). Vgl.

aber auch Cic. de orat. 1,230 mit Att. 2,1,8. 89Cic. Brut. 115. Quint. Inst. Orat. 11,1,12. Ob die Verfeindung mit Marius (Dio frg. 97,3) in diesem Zusammenhang viel ausmachte, ist mir unklar. Für eine mögliche Schuld des Rutilius vgl. die Vermutungen Balsdons CR 1937, 10. 90 GCG 131. Vgl. Cic. Brut. 115: quo iudicio convulsam penitus scimus esse rempublicam. Zubemerken ist noch, daß nach dem Rutiliusprozeß Q.Caepio (nimis equestri ordini deditus: Cic. Brut. 223) auch Scaurus anklagte (GCG 127. Badian FC 215).

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also nurfür die Ausnahme, nicht für die Regel gelten (und hätte wohl sonst auch nicht solch ein Aufsehen erregt). Überhaupt sollte man –bei aller Bereitschaft, mit großer Verworfenheit der Staatspächter zu rechnen –die Frage stellen, ob es denn wirklich so einfach für sie war, unschuldige Senatoren derepetundis zu verurteilen, wie es etwa Velleius Paterculus glaubt, der schreibt, daß die Ritter in multos clarissimos atque innocentissimos viros grausam vorgegangen seien (2, 13,2). Immerhin wäre es hier keineswegs der übliche Fall von Klassenjustiz: die Selbstverteidigung einer in ihrer Herrschaft bedrohten Schicht, die aus einem gewissen, wenn auch erstarrten Legitimitätsgefühl eher unrechtmäßige Urteile fällen kann als eben der römische Ritterstand, den in der Regel keiner bedrohte und der es außerdem mit dem mächtigen, immer noch aus selbstverständlicher Legitimität lebenden Senat zu tun hatte. Endlich war es ein alter Brauch in Rom, daß Personen von Stand in allen nur möglichen Zweifelsfällen freigesprochen wurden91, und auch damit konnten die Ritter nicht leicht brechen. , daß die Rittergerichte Wir hören allerdings –und kennen Beispiele dafür – strenge Urteile gefällt haben. Insofern hat es sich offenbar ausgewirkt, daß sie weniger Rücksichten als die senatorischen zu nehmen brauchten. Aber das bedeutet nicht, daß sie dabei ungerecht verfahren wären92. Die anderslautenden summarischen Behauptungen der Quellen unterliegen allesamt dem Verdacht starker Tendenz93. Und die Tatsache, daß uns außerhalb von drei be91Die Belege dafür möchte ich an anderer Stelle im Zusammenhang vorlegen. –Deswegen scheinen mir Freisprüche wie der des Decius (119: Badian JRS 46, 1956, 91f.), des Norbanus (Heuß RG 157), des Fimbria, Memmius und M. Marcellus Aeserninus (Cic. Font. 24. 26, vgl. Bonner Jahrb. 161, 1961, 509 ff.) politisch so wenig zu besagen wie etwa der des Scaevola Augur (119: Broughton MRR 1, 523 f.). 92Cic. Verr. 1,51: optima iudicia severissimique iudices. 2,4,22. So war die Verurteilung

des C. Porcius Cato im Jahre 113 (GCG 61) und anderer (Cic. 2,1,26) wohl gerechtfertigt (vgl. dazu Henderson, JRS 41, 1951, 85). Auch beim Prozeß gegen C. Carbo 119 (s. Cic. Brut. 103. GCG 52f.), der wohl ein Repetundenverfahren war, verlautet nichts Gegenteiliges, vor allem spricht nichts dafür, daß Carbo wegen der Verteidigung des Opimius verurteilt wurde. –Endlich ist bei verschiedenen der eigentlich interessanten Prozesse (z. B. die Prozesse gegen Caepio und Mallius 103. Ferner: Cic. Att. 1, 16,4) nicht zu sehen, ob es Ritter waren, die richteten. 93Poseidonios (108,3) hat z. B. die Tendenz, den Rittern die Schuld an dem schlechten Verhalten der Senatoren in den Provinzen zu geben. Dabei unterläuft es ihm, daß er Vorgänge aus dem Jahre 134 mit der im Jahre 123 eingeführten Rittergerichtsbarkeit erklärt (vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,78). Wahrscheinlich überschätzt er hier, ähnlich wie Polybios (o. A. 25), die erkennbaren äußerlichen Ursachen. Er spricht übrigens nirgends von Verurteilungen. Eine andere, wohl starke Vergröberung im gleichen Sinne, vielleicht ebenfalls aus Poseidonios, bei Diod. 36,5. –Auffällig ist Ciceros weiche –und nicht durch Tendenz bedingte –Formulierung: ... ut qui unum equitem R. contumelia dignum putasset, ab universo ordine malo dignus iudicaretur (Verr. 2,3,94). Für die Ausmaße der ritterfeindlichen Tendenz in Agitation und Geschichtsschreibung vgl. Gabba Athenaeum 32, 1954, 45. Rutilius Rufus

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sonderen Ausnahmesituationen keinerlei ungerechte Urteile bekannt sind, spricht entscheidend für das Gegenteil. Freilich wissen wir nicht, wielange diese Strenge anhielt; die Beispiele gehören fast alle in das Jahrzehnt nach 123. Jedenfalls haben die Ritter über kurz oder lang aufgehört, eine wirksame Kontrollinstanz darzustellen. Denn die improbi et rapaces magistratus pflegten sich mit den Staatspächtern gut zu stellen94, und wer diesen zu Willen war, den werden sie nicht verurteilt haben, wenn sie unter den Geschworenen den Ausschlag gaben. Im ganzen verfehlte die Rittergerichtsbarkeit also ihren Zweck: Statt jener heilsamen Überwachung der Senatoren, die Gracchus beabsichtigt hatte, fand ein neuer Ausgleich zwischen Senat und Rittern auf Kosten der Provinzialen statt. Auch bei den Rittern beherrschten eigensüchtige Interessen das Feld. Da dies aber offenkundig zumguten Teil eine Folge der gracchischen Gesetze war, bewirkten diese also auf die Dauer genau das Gegenteil ihrer Absicht. Das zweite, zeitlich gesehen erste Beispiel ritterlicher Klassenjustiz geschah imJahre 109. Damals verurteilten die Gracchani iudices vier führende Consulare undeinen jungen Priester aus vornehmer Familie auf Grund eines gerade erlassenen Gesetzes des C. Mamilius, weil diese sich angeblich von Jugurtha hätten bestechen lassen95. Davon konnte nun kaum die Rede sein96: das Verhalten der Richter scheint also deutlich von Feindseligkeit gegen den Senat bestimmt gewesen zu sein97. Was war zwischen den Ständen vorgefallen? Daß die Art, wieder Senat die Jugurthinische Affaire behandelte, den ritterlichen Interessen unmittelbar zuwider war, läßt sich kaum sagen98, jedenfalls war sie es nicht als zu vermutende Quelle des Poseidonios: Gelzer Kl. Schr. 2,48f. Münzer RE 1A 1278. – Andererseits s. Diod. 37,10 (GCG 135). Badian FC 215. 94 Verr. 2,3,94. Vgl. B. Jenny, D. rörn. Ritterst. 54. 95Cic. Brut. 128 u. a. (GCG 68f. mit falscher Datierung: Sall. Jug. 37,3. 39,2). 96 Vgl. De Sanctis, Problemi di Storia Antica (Bari 1932) 187ff. bes. 194. Badian FC 192ff. (mit BJ 161, 1961, 513,35). Der Senat hat sich offenbar sehr vernünftig verhalten. Es handelte sich zunächst einfach um einen Streit zwischen Clienten. Anders als mit Phlegma und laissez faire konnte Rom auf die unzähligen Affairen, die sich an den Grenzen seines Herrschaftsbereichs abspielten, gar nicht reagieren. Die Übergabe von Geschenken aber an die Senatoren war üblich. Jugurtha scheint sich zwar –in dem für seine Maßlosigkeit bezeichnenden Glauben, in Rom sei alles käuflich –in dieser Hinsicht besonders hervorgetan zu haben, aber es ist nicht wahrscheinlich, daß der Senat deswegen unverantwortlich 97 So auch Sall. Jug. 40,5: quaestio exercita aspere violenterque. gehandelt hat. 98 Frank überschätzt die Macht, De Sanctis auch das Interesse der Ritter stark (vgl. auch Badian FC 193,1). Betroffen waren sie höchstens durch die Ermordung der in Cirta ansässigen römischen Bürger, vor allem Kaufleute (Sall. 26,3). Aber Frank hat sehr berechtigt die Frage gestellt, ob dies nicht bloß Abenteurer gewesen seien (Roman Imperialism 267f. vgl. Sall. 21,2. 26,1). Insbesondere konnte man es dem Senat weder zum Vorwurf machen, daß er dies verschuldet, noch daß er nicht gleich darauf die Bekämpfung Jugurthas energisch angegriffen habe: Sall. 27,3 (die behaupteten Motive sind ganz unsicher, und der Gesamteindruck ist falsch, da Sallust das Geschehen zusammengezogen hat, so daß man

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entfernt so sehr, daß sie die Schärfe dieser Urteile98a hätte motivieren können. Ebensowenig ist anzunehmen, daß die wilde Agitation, mit der die Volkstribunen die Masse des Volkes von den Bestechungen überzeugten99, auf die nüchternen Geschäftsleute tiefen Eindruck gemacht hat. So bleibt als einzige mögliche Erklärung, daß diese Affaire nur denAnlaß bot, umlänger angestaute Spannungen zu entladen oder weiter reichende Absichten zu verfolgen. Dabei ist es unwahrscheinlich, daß es den Rittern um eine grundsätzliche Änderung der Außenpolitik zu Gunsten einer größeren Annektions- oder Interventionsfreudigkeit gegangen sei100. Aber selbst wenn mandamit rechnen will, somußten offenbar zunächst einmal die Machtverhältnisse in Rom im Sinne der Ritter verändert werden. Daher ist es in jedem Fall richtig, zu sagen, daß die Ritter damals die Gelegenheit wahrnehmen wollten, um den Senat ihre Macht spüren zu lassen. Vermutlich hatte Mamilius seinen Antrag schon im Einverständnis mit einflußreichen Rittern eingebracht101. Diese Vorgänge machen es also jedenfalls sehr wahrscheinlich, daß der Senat damals, 13 Jahre nach der Änderung der Richterliste, den Rittern offenbar noch unter der alten Voraussetzung seiner gesicherten Überlegenheit begegnete, unddaß diese, das heißt vor allem die Publicanen, ihr neues Selbstbewußtsein und ihre neuen Möglichkeiten erst demonstrieren konnten, als der Senat in eine kritische Situation geriet, nicht unbedingt weil er versagte, aber doch weil er Unglück hatte. Wenn diese Beobachtungen undSchlüsse nicht trügen, ergibt sich zunächst, daß die Übertragung der Gerichte an die Ritter keineswegs mechanisch deren Position gegenüber demSenat irgend wesentlich verbesserte oder die Senatoren zwang, ihnen in denProvinzen zuwillfahren. Anfangs werden vielmehr das alte gute Verhältnis zwischen den Ständen und –nicht zu vergessen –auch Hemmungen durch persönlichen Anstand und Respekt gegenüber dem Senat einer interessengebundenen Ausnutzung der neuen Chance im Wege gestanden haben. Erst im Jahre 109 waren der Anspruch (oder die innere Befreiung von nicht merkt, daß zwischen Memmius’ Agitation [31] und der rogatio Mamilia [40] ein volles Jahr liegt, aus demwir von Angriffen gegen den Senat nichts hören. Was Lucullus und Annius beabsichtigten [37,1], ist unklar). 28,2. 29. 35,2f. 39,3. Das Unglück lag nur darin, daß erstens Jugurtha in völliger Verkennung römischer Politik alle konventionellen Erwartungen zuschanden machte und daß ihm zweitens militärisch so schwer beizukommen war. 98aGanz unerhört (und wohl u. a. auch auf die Ritter zurückzuführen) war ferner, daß 111 Jugurtha durch Volksbeschluß nach Rom beordert wird, um dort gleichsam gegen die Regierung auszusagen (Sall. Jug. 32 ff.). 99Sall. 40 u. a. 100Vgl. Sherwin-White, JRS 45, 1955, 169. Ferner: Gnomon 36, 1964, 67. Auch Sall.

33,4.

101Interessant ist, daß dann M. Aemilius Scaurus zum quaesitor gewählt wurde (Sall. 40,4). Aber man braucht deswegen nicht im Gegensatz zu allen Quellen anzunehmen, daß die Untersuchung vom Senat ausging (so Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 201).

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der Achtung gebietenden Macht des Senats) und wohl auch der Ärger über die Senatoren mächtig genug, um mindestens einige der Ritter zu bewegen, ein unmißverständliches Exempel zu statuieren. Auch damals blieben ihnen aber die Gegner die Antwort nicht schuldig. Im Jahre 106 hat der Consul Q. Servilius Caepio durch eine lex Servilia die Gerichte praktisch wieder an den Senat zurückgebracht102. Aber es war die Zeit des Einfalls der Cimbern und Teutonen; die meisten Feldherrn des Senats erlitten schmerzliche Niederlagen, Caepio selbst geriet obendrein in den Verdacht, die Tempelschätze von Tolosa veruntreut zu haben103. Zugleich machte sich in Rom eine von breiteren Kreisen, vor allem gewiß den Publicanen, getragene Opposition gegen den Senat bemerkbar. Sie setzte sich in verschiedenen Abstimmungen durch104 und hat wohl auch in den Wahlen von 108 sowie 105 bis 101, dazu beigetragen, daßdieNobilität mehrere Niederlagen erlitt, undMarius unddessen Verbündete gewählt wurden105. So kam der Senat in eine sehr mißliche Lage und mußte es sich im Jahre 101 gefallen lassen, daß die Gerichte wieder dem Ritterstand übertragen wurden106. Nach 100 scheint sich das Verhältnis zwischen den Ständen aber rasch wieder ausgeglichen zu haben, nicht unbedingt im Sinne der Freundschaft, aber jedenfalls zu einem wesentlich an Frieden und Ruhe interessierten Einvernehmen. Als „der Ritterstand“dem Senat bei der Niederschlagung des Saturninus half, werden auch viele der Publicanen dabei gewesen sein107. Damals gewann der Senat seine Macht zurück, aber man kam wohl zugleich den Rittern entgegen. Was im einzelnen schon immer geschehen war, ist vielleicht erst jetzt, 102GCG 78 (dazu Brunt 148, 2. Kunkel, Unters. 96, 348. Tac. ann. 12,60,3 wird im wesentlichen recht haben. Vermutlich sollten die Ritter fortan nur als Minderheit in den Gerichten sitzen). Die Ritter hatten sich damals offenbar durch die Prozesse nach der lex Mamilia verhaßt gemacht (Cic. Brut. 164. Damals war auch die Stimmung gegen Q. Metellus Numidicus umgeschlagen: Sall. Jug. 88,1 mit 73,4; auch 65,5). In diesen Zusammenhang gehört Crassus’ Äußerung vor der Contio: eripite nos ex miseriis... nolite sinere nos cuiquam servire nisi vobis universis (Cic. de orat. 1,225). 103GCG 80. 91. 104u. S. 135 ff. 105s. Note 8, u. S. 313 f. 106GCG 100 f. Schon i. J. 103 hatte Saturninus für die von ihm eingerichteten maiestasVerfahren (Vgl. u. Anm. 455.517) wieder eine ritterliche Geschworenenliste eingeführt (Cic. de orat. 2,199 mit 107). 107Cic. Rab. perd. 20 ff. Plut. Mar. 30,4. Oros 5,17,3. Val. Max. 3,2,18. Ein solches Auftreten des Ritterstandes ist ohne die Mitwirkung vieler Publicanen kaum denkbar. Außerdem konnten sich viele von ihnen dem Aufruf der Consuln gewiß nicht entziehen, fühlten sich wohl auch angesichts der drohenden Unruhen nicht behaglich. Bemerkenswert ist, daß im Jahre 98 die Ritter auch einige der Anhänger des Saturninus verurteilten (Cic. Rab. perd. 24. GCG 115f.). Dieses Verhalten ist um so auffälliger, als sie durch Saturninus’ Freund Glaucia die Gerichte gerade zurückbekommen hatten (GCG 100f.), und wenn nicht die Dankbarkeit, so doch ihre Verstimmung gegen den Senat viele unter ihnen von diesen Aktionen hätte abhalten müssen. Aber vielleicht waren die Gerichte 98 nicht mit exponierten Vertretern des Standes besetzt, vielleicht überwogen die ihnen vom Senat zugestandenen Vorteile alle anderen Motive.

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nach den Erfahrungen der Jahre von 109 bis 100, zur Regel geworden: Senat und Magistrate lockerten die Aufsicht über die Publicanen und ließen die Mißwirtschaft in den Provinzen wuchern. Selbst die führenden Kreise scheinen sich fürs erste mit diesem stillschweigend einreißenden faulen Kompromiß abgefunden zu haben. Sie waren in mancher Hinsicht nicht viel besser. Aber so sehr der erneute Verlust der Gerichte dieses Nachgeben befördert haben wird, so sehr ist auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß es eher aus demVersagen der Senatoren als aus der Macht der Publicanen erwachsen ist. Daß die senatorische Historiographie das Gegenteil behauptet, ist nur natürlich. Im ganzen waren beide Stände überfordert. Bei all dem darf die Macht der Ritter108 undjener Senatoren, die ihnen allzu willfährig entgegenkamen, nicht überschätzt werden. Man brachte es in dem hohen Haus durchaus noch fertig, den üblen Praktiken der Ritter mit energischen Beschlüssen zu begegnen109. Auch ist es nicht wahrscheinlich, daß die Ritter damals Einfluß auf die römische Außenpolitik genommen haben oder hätten nehmen können110. So hat der Senat auch um die Mitte der 90er Jahre, als ihm die Mißwirtschaft in den Provinzen offensichtlich zu kraß wurde, kein Bedenken getragen, die alte strenge und verantwortliche Aufsicht über die Provinzen wieder anzuwenden unddann nach demUrteil gegen Rutilius mit der Rittergerichtsbarkeit wieder aufzuräumen. Die Initiative des Livius Drusus, die in grandiosem Ausmaß angelegt war, sollte die Grundlage des Senats durch Aufnahme von Rittern verbreitern undzugleich die politisch unverantwortliche Großbourgeoisie wieder auf ihren Bereich beschränken111. Drusus hatte freilich seine Kraft weit überschätzt, denn über demWiderstand der Ritter bzw. Publicanen und weiterer durch andere Pläne betroffener Kreise spitzten sich die politischen Auseinandersetzungen aufs äußerste zu; Drusus unterlag, starb unter geheimnisvollen Umständen, undals gleich danach der Bundesgenossendie Ritter“ , die Schuld daran ihren Gegnern krieg ausbrach, verstanden es „ zuzuschieben und mit Hilfe eines neuen Gesetzes, der lex Varia, viele von diesen zu Fall zu bringen112. Dies war der dritte Fall einer Klassenjustiz, auch ihm folgte sogleich ein Versuch, den Rittern die Gerichte wieder abzunehmen, jetzt mit Erfolg: Im Jahre 89 wurde die Richterbestellung auf die tribus übertragen, die in ihrer Auswahl an Standeszugehörigkeit nicht gebunden waren113. Wir finden also, um zusammenzufassen, daß die Rittergerichte nur ganz selten und in ganz besonderen Situationen ungerechte Urteile fällten, daß der 108Vgl. Cic. Font. 26. Rab. perd. 20: qui tum magnam partem rei publicae atque omnem dignitatem iudiciorum tenebant. Auch in dieser Hinsicht ist Cicero die Vergangenheit wohl in etwas zu kräftigem Lichte erschienen. 109 Vgl. –wohl als Beispiel zu nehmen –das SC von 104: Diod. 36,3. 110Gabba Athenaeum 32, 1954, 74f. hat für die gegenteilige Behauptung keine schlüssigen Argumente. Vgl. auch Brunt 129 ff. 111u. S. 211 ff. 112 u. S. 215. 113 Cic. Cornel. 54 Sch. Asc. 61.

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Senat sich in keinem dieser Fälle geschlagen gab, sondern jeweils gleich darauf versuchte, den Rittern die Gerichte wieder zu nehmen. Diese waren im ganzen weit davon entfernt, den Erwartungen, die C. Gracchus in sie gesetzt hatte, zu genügen. Sie taugten nicht dazu, die Basis der res publica zu verbreitern. So nutzten sie ihre Stellung vornehmlich dazu aus, um freier in den Provinzen schalten zu können. In den Jahren nach 91 haben die Publicanen dann das einzige Mal in ihrer Geschichte starken, im eigentlichen Sinne politischen Ehrgeiz entwickelt oder mindestens eine Führerschicht besessen, die weit über ihre partikularen Interessen hinaus Einfluß auf die respublica nehmen wollte114. Offensichtlich gehörte diese Schicht zu den Verbündeten des P. Sulpicius Rufus115. Ihr wichtigstes Ziel war, durch eine gleichmäßige Verteilung der italischen Neubürger über alle tribus die Machtverhältnisse wesentlich zu ihren Gunsten zu verändern. Anschließend verbanden sie sich eng mit Marius und Cinna und gehörten dann zu den wichtigsten Stützen des cinnanischen Regimes. Fragt man nach den Ursachen dieses einzigartigen politischen Engagements der Ritter, so muß man wohl zeitlich etwas differenzieren. Am Anfang muß, im Erlaß der lex Varia unddenfolgenden Prozessen gipfelnd, diegrenzenlose Wut eines weiten Kreises durchgebrochen sein, der Rache für seine geplante Entmachtung heischte. Gleichzeitig keimte in diesen Herren wohl die Erkenntnis, daß sie doch aktiver an der Politik teilnehmen müßten, da derAusgleich mit demSenat sonst immer prekär bleiben würde. Sie könnte sich mit demSelbstgefühl unddenAmbitionen der zweiten Generation getroffen haben, deren Vertretern wir wohl in dem 600 junge Ritter umfassenden „Gegensenat“ des Sulpicius begegnen116. In der Folge scheint dann, begünstigt durch die Abwesenheit vieler Senatoren und Senatorensöhne, eine ganze Reihe von ihnen, darunter gewiß manche Angehörige der italischen Aristokratie, in die Ämterlaufbahn eingetreten zu sein, so daß mandascinnanische Regime als das der homines novi kennzeichnen konnte. Dadurch also sowie durch die beträchtlichen Gewinne, die sie damals erzielte, und endlich durch die Befürchtungen, die sie mit Sullas bewaffneter Rückkehr verknüpfen mußte, wurde die führende Schicht der Ritter bzw. Publicanen – keineswegs der ganze Stand117 –mit der Zeit dazu geführt, sich immer enger mit 114Vgl. zum Folgenden u. S. 216 ff. 253 f. 115Interessant ist als Einzelheit dessen Gesetz, nach dem kein Senator mehr als 2000 Drachmen Schulden haben durfte (Plut. Sulla 8,4). Zielte es vielleicht darauf, die senatorischen Schuldner zum Verkauf von Land zu bewegen (vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,36f. dazu das Beispiel eines Ritters: Diod. 36,2,2. 2a), um dieses relativ billig an die Ritter zu bringen? Diese waren in der damaligen wirtschaftlichen Krise (Gelzer Caes.6 32,21. Plin. n. h. 33,46. Cic. off. 3,80. imp. 19. Bennett, Cinna and his time 42f.) dringend an sicheren Möglichkeiten, ihr Geld anzulegen, interessiert (vgl. Frank ESAR 1,269. Hill 142,5 mit Hinweis auf Liv. per. 74. App. 1,232 ff. Val. Max. 9,7,4). Vgl. auch u. A. 220, 85. 116 Plut. Mar. 35,2. Sulla 8,3. vgl. u. S. 218. 117Vgl. auch Brunt, Latomus 15, 1956, 23. 6*

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Cinna undden Seinen zu engagieren. Dieser Politisierung undim größeren Stil betriebenen Machtnahme der Ritter bereitete Sulla dann ein jähes Ende, indem er nicht nur die Gerichte an den Senat zurückgab117a, sondern vor allem in den Proscriptionen ihre gesamte politische Führerschicht –fast 1600 Herren, unter denen die alten Richter und die Ankläger besonders erwähnt werden – beseitigte118. Daß er am Pachtsystem viel änderte, ist unwahrscheinlich119. Infolge dieses gewaltsamen Eingriffes undder gleichzeitigen anderen Veränderungen hat sich die Stellung der Publicanen von neuem stark verwandelt. Ihre wirtschaftliche Macht hatten sie zwar bald wieder gewonnen und konnten sie noch erheblich mehren120, und die Verluste an Menschen und Kapital121, machten die Neubürger wett122. Politisch aber warihre Stellung künftig wesentlich anders als vor 91. Dazu mögen der Untergang der Führerschicht und die Aufnahme vieler anderer Ritter in den Senat beigetragen haben. Wichtiger war jedoch der Wandel der gesamten staatlichen Struktur. Der Senat123 war durch Sulla zwar auf das Doppelte vermehrt worden, aber wegen desTodes fast aller principes undder Einbuße an Disziplin und Tradition fehlte die Kraft, die neuen Senatoren zu integrieren, so daß die Basis des alten Adelsrates damals eher aufgeweicht als verbreitert wurde. Innerlich schwach, fast führerlos, von schlechtem Gewissen gequält und moralisch ungefestigt, wurde er dann gleich mit allen Konsequenzen der den ganzen orbis terrarum aufwühlenden Kriege der 80er Jahre konfrontiert und vermochte die ihm von Sulla bescherten Rechte auf die Dauer gar nicht zu behaupten, zumal er den daraus folgenden Pflichten nicht nachkommen konnte. Im Jahre 70 unterstützten die Ritter die Bemühungen umdie volle Wiederherstellung des Volkstribunats und bekamen die Gerichte zurück, genauer: sie und die ihnen nahestehenden tribuni aerarii erhielten zwei Drittel der Sitze in allen Gerichtshöfen124. Mit den daraus erwachsenden Vorteilen verbanden sie einen vergrößerten Einfluß bei den Wahlen. Denn der Ritterstand hatte sich durch die Aufnahme der Italiker in das Bürgerrecht mindestens verdoppelt125, 117a Diese waren mindestens

de facto wieder in die Hand der Ritter gelangt. 118s. u. A. 253, 300. 301. 119Die Einziehung von Steuern durch Soldaten in Asien geschah offenbar nur in der Eile seiner Vorbereitungen zum Rückmarsch nach Rom (vgl. Brunt. a. O. Gabba Athenaeum 34, 1956, 133). Im übrigen vgl. zu Asien Rostovtzeff, Wirtsch. u. Sozialgesch. d. hell. Zt. 747. Anscheinend hat Sulla aber die spanischen Silberminen und vieles andere verkauft. Vgl. Frank ESAR 1,257f. 120Frank ebd. 342 ff. Hill 151ff. Vgl. Cic. Verr. 2,3,18. Zur Situation u. S. 267 ff. 121Besonders zu nennen sind noch die Auswirkungen des Bürgerkrieges, der Wirtschaftskrise und der ephesischen Vesper des Mithridates. Gelzer Caes.6 32. 122Frank a. O. 345. 123u. S. 243 ff. 265 ff. 267 ff. 124Athenaeum 40, 1962, 108. Ps. Asc. 220. –GCG 272 f. bes. Schol. Bob. 94 tribuni aerarii et equites R., eiusdem scilicet ordinis viri. Gabba Athenaeum 32, 1954, 337. 125Für die Bedeutung auch der ferner Wohnenden bei den Wahlen s. u. S. 193.

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undals domi nobiles, homines in suis vicinitatibus et municipiis gratiosi, pagorum ... et vicinitatum principes126 verfügten seine Angehörigen über große Clientelen. Viele der mächtigsten und angesehensten Ritter aus allen Teilen Italiens aber zählten zu den Publicanen127 und konnten (neben den Senatoren) diese Macht am ehesten organisieren: Sie hatten also die Möglichkeit, bei den Wahlen großen Einfluß geltend zu machen128. Endlich waren die wirtschaftlichen Ansprüche und Verpflichtungen der Senatoren so sehr gewachsen, daß sich viele von ihnen durch Aufnahme größerer Darlehen immer tiefer in die Abhängigkeit von reichen Rittern, vor allem Staatspächtern, verstrickten129. So kam es, daß die Publicanen in der nachsullanischen Epoche, mindestens aber seit 70, einen starken, in ihren unmittelbaren Angelegenheiten oft sogar ausschlaggebenden Einfluß gewannen. Er manifestierte sich –von ausdrücklichen Quellenzeugnissen abgesehen130 –etwa darin, daß sie den Senat vermochten, seinem Feldherrn Lucullus die Statthalterschaft Asia zu nehmen, in der dieser gerade begonnen hatte, nach entsetzlicher Not und Zerrüttung geordnete Verhältnisse herzustellen131. Lucullus verlor dadurch eine wichtige Grundlage seines Kommandos. Bezeichnend ist ferner, daß es später trotz heftigster Anstrengungen nicht möglich war, den Senat zur Ablehnung einer offenbar unverschämten Forderung der Publicanen Asiens auf einen Pachtnachlaß zu bewegen132. Jetzt konnten sie den Senat auch von innen besiegen. Nicht nur Einzelne waren in weit höherem Maße als früher gebunden133, sondern auch der Stand im ganzen konnte sich den Ansprüchen der Staatspächter nicht mehr 126Q. Cic. Com. Pet. 24 (vgl. Cic. Mur. 47. Planc. 44. Flacc. 88. Verr. 2,3,30. 4,42). 30 (vgl. Cic. Rosc. Am. 15: Sex Roscius = vicinitatis primus). 32. Als Beispiele für domi nobiles: Cic. fam. 6,6,9: A. Caecina aus Volaterrae = homo in parte Italiae minime contemnenda facile omnium nobilissimus. Cluent. 11: A. Cluentius. Vgl. 23. 109. 196. 197: Ferentani, homines nobilissimi, Marrucini item pari dignitate ... Lamia (Hor. od. 3,17,1). Ciceros Vater (Cic. leg. 2,3). Cic. Arch. 8. Sall Cat. 17,4. Plut. Sert. 3,1 (vgl. Gelzer Kl. Schr 1,48,309. Syme JRS 34, 1944, 93f. o. Anm. 16). Allgemein vgl. Cic. Att. 1,1,3f.: A. Caninius Satyros: fuit et mihi et Q.fratri magno usui in nostris petitionibus. Ferner Atticus: Cic. Att. 1,1,2. Nepos Att. 4,4. Cic. off. 3,74: M. Satrius = patronus agri Piceni et Sabini. Dessau ILS 5318: C. Quinctius Valgus, Patron von Aeclanum. Für die z. T. großen Clientelen von Rittern noch: Cic. Phil. 7,24. Vell. 2,16,2. –Der Einfluß der Publicanen bei den Wahlen war selbstverständlich auch vor Sulla schon groß: Cic. Brut. 224. Note 8, u. S. 313 f. 127o. S. 75. 128Vgl. Cic. Planc. 23. 129Plut. Luc. 20,5. App. 2, 47. Gelzer Kl. Schr. 1,36. 110f. 130 s. vor. Anm. 131Plut. Luc. 20,5. Gelzer, Pomp.2 70. Von einer Aufhebung der Anordnungen des Lucullus hören wir allerdings nichts. –Brunt a. O. (Anm. 5) 132f. 148f. weist richtig darauf hin, daß viele Senatoren auch aus anderen Gründen für Lucullus’ Ablösung waren. Aber wenn diese das ausschlaggebende Motiv gebildet hätten, dann hätte man ihn vermutlich gleich abgesetzt und nicht zunächst seinen Kommandobereich verkleinert. 132Cic. Att. 1,18,7 (vgl. 1,17,8f. 2,1,8). Vgl. dazu, wie Cato sonst zuweilen mit dem Senat fertig wurde (am 5. Dez. 63: Gelzer RE 7 A 888f., i. J. 62: Plut. Cat. 30, 1f.). Zur Sache: Balsdon JRS 52, 1962, 135ff. 133Vgl. Cic. prov. cons. 10. Beispiele: Q. fr. 1,1,32 f. fam. 1,9,26, aber auch Att. 6,1,15. 16.

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entziehen, wurde gleichsam durchlässig. Es ist allerdings hinzuzufügen, daß das allein für deren engere wirtschaftliche Interessen galt, die „nur“Geld und das Ansehen des Senats, aber nicht, oder jedenfalls nicht unmittelbar, eine Position in den großen Auseinandersetzungen gegen Pompeius oder Caesar kosteten. Sobald es um diese ging, willfahrte der Senat ihnen nicht. Allein, die Publicanen griffen jetzt auch dort stärker und bedenkenloser ein, sobald ihre wirtschaftlichen Interessen es erforderten. Erinnert sei nur an die wohl entscheidende Unterstützung, die sie und der weite Kreis der am Handel interessierten Ritter in den Jahren 67 und 66 Pompeius bei der Erlangung der großen Kommanden gegen die Seeräuber und Mithridates geliehen haben134. Sie hatten an sich nicht unrecht, wenn sie auf die Gewährleistung der Sicherheit zur See und in Asien drangen, zu der der schwache Senat sich nicht fähig zeigte135. In gewissem Sinne folgten sie auch nur dem Gesetz der Macht, nach dem ein entstehendes Vakuum andere Kräfte anzieht, und wenn sie dabei nun offen expansionistische Tendenzen verfolgten, so scheinen sie sich darin mindestens mit Pompeius, wenn nicht mit weiteren Kreisen im Senat getroffen zu haben. Aber all das zeigt nur, daß eben das Wachsen ihrer Macht und die steigende Kühnheit ihrer Ambitionen Teil einer tieferen Wandlung in den Verhältnissen der späten res publica war. Freilich bildeten solche folgenreichen Eingriffe in die Politik die Ausnahme. Es gab selten Anlaß dafür, und die Publicanen waren im Grunde wohl noch unpolitischer und konservativer als vorher, zumal sie es nun um so beruhigter sein konnten, je besser es ihnen ging. Sie beließen also dem Senat die Führung der Politik und haben auch das fest verwurzelte Vorrecht der Nobilität auf das Consulat in keiner Weise bestritten. Im Gegenteil, es trat damals offenbar eine Versteifung auf die alten Adelsrechte ein, wiewenn mandenwachsenden Übeln der Zeit durch ein um so dogmatischeres Festhalten an der alters- und erfolgsgeheiligten Führerschicht glaubte begegnen zu sollen, und diese consuetudo horum annorum136 muß sich auch das Gros der Ritter zu eigen gemacht haben. Vielleicht scheuten sie sich, ihresgleichen, vor allem Neubürger, in die führenden Stellungen hineinzulassen. In die anderen Magistrate rückten freilich seit Sulla wesentlich mehr junge Ritter ein als vorher137. Aber die älteren dachten im allgemeinen nicht daran, sich um die mit persönlichen Gefahren und anstrengendster Mühewaltung verknüpften –und bei dem hohen Ansehen von Nobili134Für 66: Cic. imp. 4. 16 ff. (wiederum vor allem die Publicanen!). Für 67 ist gewiß das gleiche anzunehmen (vgl. Dio 36. 24, 1. u. S. 88). Anders Brunt 132ff. Er mag insoweit recht haben, als die Initiative nicht von den Rittern ausging. Was der Senat aber über die Seeräuber dachte (vgl. auch Dio 36, 23,2. Stein, Senatssitzungen d. cic. Zt. 5), war herzlich gleichgültig, da er das Notwendige nicht tat. Daß die Ritter endlich wegen der Annektion Ägyptens nichts unternahmen, besagt nur, daß sie nicht einfach willkürlich planen konnten, was sie wollten. 135Gelzer, Pomp.2 68 ff. 80 ff. 136Q. Cic. Com. Pet. 14. Vgl. u. S. 258. 137Cic. Plane. 60. Auct. bell. Afr. 57,4. Syme RR 81,1.

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tät und Senatsadel nicht leicht zu gewinnenden –honores zu bewerben138, und die jüngeren kamen als einzelne, nicht als Vertreter ihres Standes, der seinerseits auch keinen Anlaß dazu sah, seine Angehörigen in den Wahlen besonders zu fördern139. So blieb die Scheidung der Stände nach dem teilweisen Bruch der Tradition zugleich als Selbstverständlichkeit und nützliche Arbeitsteilung im ganzen bestehen. In ihrem Rahmen wurden die Ritter freilich dadurch auch offiziell als zweiter Stand herausgehoben und geehrt, daß sie im Jahre 67 gleich den Senatoren wieder, wie zwischen den Gracchen und Sulla, eigene Sitzreihen im Theater erhielten140. Ganz selten nur trat das Gros der Publicanen einmal geschlossen für einen umsie besonders verdienten Kandidaten ein141. Der vermehrte Einfluß bei den Wahlen diente also zwar der Verbesserung ihrer gesamten Position im Staate, aber es war selten nötig, ihn geschlossen geltend zu machen. Vielmehr hatten gewiß die meisten Kandidaten Beziehungen zu den Rittern gepflegt142, so daß die einzelnen Herren oder Pachtgesellschaften ganz frei ihren besonderen Verpflichtungen nachgehen konnten143. Die Tatsache, daß sich in den Fasten auch dieser Jahre fast nur nobiles oder Angehörige des älteren Senatsadels finden, spricht ja, für sich genommen, noch nicht dafür, daß die Macht der Nobilität unvermindert war. Das Verhalten der Publicanen bei denWahlen entsprach demUmstand, daß es für sie in derregelmäßigen Politik nurumkleine undkleinste Probleme ging, das Auskommen etwa mit Magistraten undStatthaltern, einen Streit mit anderen Pächtern, mit Kaufleuten oder auswärtigen Gemeinden, die Erlangung eines Staatsauftrags oder die Ausgestaltung eines Pachtvertrages und endlich die Fülle von Dingen, von denen im 13. Buch der ciceronischen Briefe adfamiliares die Rede ist144. All das erledigte man am besten nach der Weise der Zeit durch befreundete Senatoren. Da die Publicanen von der Regel der Vereinzelung der Interessen keine Ausnahme machten, konnten sie sich das Fortbestehen der adelsstaatlichen 138Cic. Cluent. 153. Rab. Post. 16ff. Syme RR 13. 97. Vgl. Lucrez 2,11–13. 139Planc. 23f. Vgl. Jenny, D. röm. Ritterstand 33f. 140Liv. per. 99. Plut. Cic. 13,2. Cic. Mur. 40. Vell. 2,32,3 u. a. (Hill 160,4). Vgl. o. S. 73. Offenbar handelte der Tribun im Einverständnis mit dem Senat (vgl. Dio 36,24,4. 30,3.

Hill. Lange RA 23, 336). 141Cicero: Q. Cic. Com. Pet. 3.33. Gemeint sind vor allem die Publicanen: Cic. Q. fr. 1,1,6. 32. Verr. 2,2,181. imp. 4. Pis. 41. fam. 13,9,2. Gelzer Kl. Schr. 1,99,314. Plancius: Cic. Planc. 23 f. (wohl vor allem demVater zuLiebe und von Cicero im Ausmaß übertrieben). Vgl. Servilius Glaucia: Cic. Brut. 224. Q. Caepio ebd. 223. 142Vgl. Juventius Laterensis: Cic. Planc. 63. Murena: Cic. Mur. 69 (zur Sache: Verr. 2,2,172). Lentulus Spinther: fam. 1,9,26. Domitius Ahenobarbus: Ditt. Syll.3 747,24. Crassus: Cic. Att. 1,17,9. Strasburger, Conc. Ord. 46. Vgl. Cato: Cic. Att. 1,18,7. Hortensius: Dio 38,16,2. Scribonius Curio: Dio. Cic. imp. 68? Nitzsch, Die Gracchen 371 f. 143 Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,94 f. mit Belegen. 144Vgl. die Belege bei Hill 165,2. Cic. Att. 2,1,10 (mit 1,20,4).

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Vertretungsformen durchaus gefallen lassen. In besonderen Fällen, wie den oben genannten, war es ihnen ja möglich, geschlossen auf den Senat Einfluß zu nehmen, und zur Not blieb immer der Umweg über Volkstribunen145 und Comitien, die –wie schon hier angedeutet sei –die Funktion eines Ventils erfüllten, mit dessen Hilfe das alte Bindungswesen unter neuen Umständen weiterleben konnte. Die Ausnahme ermöglichte die Regel. Unter den Consuln der Jahre 67 und 66 erwies sich zum Beispiel je einer als entschiedener Gegner des Pompeius, undderen Collegen sind mindestens nicht für diesen eingetreten. Man könnte nun die Frage stellen, warum in dieser kritischen Situation nicht andere Herren gewählt wurden. Denn es ist sehr wohl denkbar, daß die Publicanen undandere, am Handel interessierte Ritter zur Zeit der Wahlen schon an die Schaffung der großen Kommanden gedacht haben und daß sie die Comitien hätten beherrschen können146. Aber wenn dem so war, so scheint es entweder nach Maßgabe der lex Annalis damals keine Kandidaten gegeben zu haben, die ihren Wünschen entsprachen, oder die Mehrheit der Ritter sah sich durch Verpflichtungen an Pompeius feindliche Kandidaten gebunden147. Mit anderen Worten: das System der Magistratswahlen stand der Berücksichtigung solcher besonderen Situationen imWege. Warum es dann aber nicht gesprengt wurde, wird an dieser Stelle deutlich: Eine Stauung von Kräften, aus der ein frontaler Angriff gegen den Senat und seine Ordnungen hätte erwachsen oder in deren Folge tiefe Gegensätze in denSenat hätten hineingetragen werden können, blieb dank jenes Ventils ausgeschlossen. Freilich konnte dieses nur so lange funktionieren, als solche Ausnahmen selten blieben. Dafür sorgte jedoch das Fehlen größerer, kontinuierlich zu berücksichtigender Probleme. Andererseits hat es trotz schreiender sozialer Mißstände nach Sulla kein ernstzunehmender Politiker gewagt, dieVermögensordnung oder gar dieStruktur der Gesellschaft anzutasten148. Er hätte auch gegen das vereinte Aufgebot von Senat und gesamter Ritterschaft149 kaum Aussicht auf Erfolg gehabt. Den Beweis dafür konnte –wenn es dessen bedurft hätte –das Schicksal Catilinas 145Das Problem des patronum causae nancisci (Liv. 43,16) war für sie nicht groß. Unter denen qui contiones tenent (Q. Cic. Com. Pet. 51) fand sich leicht jemand, der sich so mächtiger Interessen annahm. 146Wenn die Ritter an einer Sache interessiert waren, schrumpfte der gewöhnlich große Unterschied zwischen comitia centuriata und comitia tributa (Taylor, Party Politics 60f.) zusammen. 147Zwar versuchte Lollius Palicanus, ein Freund des Pompeius, sich für 66 um das Consulat zu bewerben, aber er wurde vom Consul C. Piso abgewiesen (Val. Max. 3,8,3). Es fragt sich, ob dies so einfach möglich gewesen wäre, wenn er starken Anhang in den Comitien gehabt hätte (vgl. den freilich etwas anders gearteten [App. Samn. 5?] Fall: Cic. Brut. 55. Dazu Q. Cic. Com. Pet. 18. Cassola, Gruppi pol. 15. u. A. 192, 182). 148 u. S. 145 f.

149Für ihre Macht auf dem römischen Forum vgl. Cic. Q. fr. 1,2,16. 2,12,2. Att. 2,1,8. Rab. Post. 18. Phil. 7,21. App. 2.47. Syme RR 14 und Note 9 zur Heranziehung auswärtiger Clientelen: Sall. Jug. 40,2. 42,1 (dazu RE Suppl. 10,596). Cic. fam. 11,2,1.

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liefern150. Freilich sind die boni, wie Cicero sagt151, durch die fortgesetzten anarchischen Unruhen der 50er Jahre gestört worden. Aber eine ernsthafte Gefahr haben sie darin sicher nicht gesehen. Weder vom Volk also, noch vom Senat sind die Ritter in irgendeiner Hinsicht künftig bedroht worden. Ihnen den Besitz der Gerichte zu nehmen, hat keiner mehr versucht152. Den nur allzu berechtigten Antrag, sie wegen Bestechung strafbar zu machen, hat man weder 61 noch 55153 gegen ihren handfesten Widerstand durchsetzen können. Nichts zeigt anschaulicher als dies, welche Stellung die Ritter in diesem Staate einnahmen: Sie besaßen weitgehende Immunität. Keiner konnte ihnen etwas anhaben, und in einem weiten Bereich staatlicher und wirtschaftlicher Aufgaben schalteten sie fast unbeschränkt. Was bedeutete das nun für die damalige Politik? Unter anderen, unserer Urteilsbildung näher liegenden Umständen besitzt die Bourgeoisie im ganzen oder in ihren Teilen meistens kompakte Interessen oder Tendenzen, die sie kontinuierlich in der Politik verfolgt, so daß sie in festere Verbindung zu politischen Parteiungen gerät, das heißt zu einem dauerhaften Engagement genötigt wird. Letztlich dank des großen Überflusses an Mitteln und Möglichkeiten, die der weite römische Herrschaftsbereich bot, konnte eine derartige innige Verknüpfung von politischen mit ursprünglich unpolitischen Interessen hier nicht erfolgen. Dadurch blieben der römischen Innenpolitik einerseits tief greifende festere Parteiungen erspart, andererseits wurde ihr aber auch die Möglichkeit versagt, daß sich aus ihrer Mitte heraus eine Alternative zum Bestehenden entwickelte. Der römische Ritterstand wurde nicht auf einem solchen Umwege zur politischen Verantwortlichkeit geführt. Seine Mehrheit, auf die Cicero anspielt, wenn er von tota Italia spricht154, blieb konservativ und anhänglich an den Senat155. Ob diese Schicht nach den 150s. Note 9, u. S. 314 f. 151 Sest. 100. Vgl. 98. Strasburger, Conc. Ord. 63. J. 55 hat man nur ein neues Ausleseverfahren in der Richterbestellung eingeführt (Kunkel RE 24, 753. Gelzer, Pomp.2 159). Ferner wurde die Wahrnehmung des Geschworenenamtes obligatorisch (Cic. Pis. 94. Rab. Post. 17. Att. 8,16,2). Auch in den Spezialgesetzen von 52 ist die ständische Zusammensetzung der Gerichte nicht verändert worden (Kunkel 754), wenngleich man annehmen sollte, daß Pompeius eine strenge und wohl auch parteiische Auswahl traf (Cic. Mil. 21).

152I.

153Cic. Att. 1,16,8 –Rab. Post. 13. 154 Vgl. Syme RR 78f. 285f.

155Cic. Sest. 21. har. resp. 60. Vgl. Att. 8,3,4 und –voller Hohn –9,1,3. Das Verhältnis zwischen Senat und boni, das wir nur in der Brechung des in dieser Hinsicht etwas tendenziösen Cicero kennen, ist bisher noch kaum untersucht worden (wichtig allein Strasburger a. O. 59 ff.). Aber die Unterstützung, die der Senat von dieser Seite immer wieder erfuhr (o. S. 75. har. resp. 22. Vgl. Att. 2,6,2. 13,2), sein hohes Ansehen und vornehmlich die Tatsache, daß bis in die 50er Jahre er es ist, der gegen alle Widersacher Ruhe und Ordnung garantiert (vgl. Sull. 41. Att. 2,9,1. Sest. 110. prov. cons. 39. Pis. 9. Q. Cic. Com. Pet. 53 u. a.), lassen die im Text getroffene Formulierung als gesichert erscheinen. Für den gewöhnlich guten Einklang zwischen Senat und boni spricht auch, so sehr sie zugleich per-

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Erschütterungen und Niederlagen der 80er Jahre noch ebenso bereit war, sich im Notfall tatkräftig für den Senat einzusetzen, wie vorher, läßt sich schwer ausmachen. Man sollte diese Frage jedoch eher verneinen, da solche Bereitschaft in gewissem Maße vonder Macht des Senats unddemzuletzt doch siegesgewissen Überlegenheitsgefühl seiner Anhänger abhing, und da die Lockerung der inneren Disziplin in der respublica eine Relativierung der staatlichen Maße zur Folge haben mußte, die die klare Unterscheidung zwischen normalen und äußersten Fällen erschwerte. Bei verschiedenen wichtigen Gelegenheiten, bei denen der Senat die Unterstützung der boni dringend gebraucht hätte, standen, wieerwähnt, weite Kreise vonihnen damals auf der Gegenseite (70, 67, 66). Im Jahre 63 leisteten sie dem Consul Cicero zwar große Dienste gegen Catilina, aber das will nicht viel besagen, weil der ihre wirtschaftlichen Interessen unmittelbar bedrohte156. Immerhin zeigten sie sich 59 auf das heftigste empört über die groben Verletzungen der Verfassung durch Caesar und die Willkürherrschaft der „popularen“Machthaber157. Diese Empörung konnte sich jedoch nicht in Taten umsetzen, da Caesar den Senat zu schwer geschlagen hatte und alle kritischen Situationen meisterhaft zubewältigen verstand158. Danach haben die boni im Jahre 57 geholfen, die Rückberufung Ciceros aus dem Exil durchzusetzen –bei der Pompeius und der Senat sich einig waren159! –und sind 55 offenbar in großer Zahl zu den Wahlen gekommen, bei denen die Freiheit der Republik auf demSpiel zustehen schien160. Aber gegen die organisierte Gewalt, die Pompeius, Crassus und Caesar einsetzten, erwiesen sie sich damals trotz zahlenmäßiger Überlegenheit als machtlos. Cicero hat im Sommer 56 die Befürchtung geäußert, daß die boni bald nicht mehr durch einen Wink des Senats mobilisiert werden könnten, wenn nicht rasch ein geordnetes Senatsregime wiederhergestellt würde161. Schon im März hatte er erklärt, eine Gruppe sehr mächtiger Senatoren ließe sich in ihrem Anspruch auf dignitas so weit treiben, daß sie nicht mehr für das otium sorge, und umgekehrt wollten viele andere auch unter Verzicht auf dignitas sich ihr otium wahren162. In diesem Urteil spricht sich zwar auf Lateinisch eine Erfahsönlich bedingt ist, Ciceros Rücksichtnahme auf die von ihnen repräsentierte öffentliche Meinung (vgl. u. Anm. 176), endlich die verschiedenen Belege, in denen von senatus et (omnes) boni die Rede ist, zum Beispiel: Cael. bei Cic. fam. 8,4,2. Cic. Sest. 1. 36 f. Pis. 4. 156Vgl. Note 9, u. S. 314 f. Phil. 5,49. Vgl. Cat. 1,32. Sest. 38. har. resp. 5. 22. 157Cic. Att. 2,16– 24. Historia 10, 1961, 88f. 158s. u. S. 282 ff. 159Vgl. Untersuchungen zur römischen Innenpolitik zwischen 63 und 56 v. Chr. Diss. Heid. 258 f. 273 ff. 280 ff. Für das Verhalten der boni: Strasburger, Conc. Ord. 63. 160Vgl. u. S. 294 f. 161har. resp. 60. Zur Datierung der Rede: Gelzer Kl. Schr. 2,229 ff. (August/September. Vgl. RE 7 A 945 f.). Neuerdings trat K. Kumaniecki Klio 37, 1959, 140ff. mit guten Gründen für Mai/Juni ein (zum Datum der Rückkehr Catos aus Zypern auch Oost CP 50, 1955, 110). 162Sest. 98. Zum Streben des Senats nach dignitas noch Sall. Jug. 41,5, zu dem der Ritter nach otium: Sest. 100. Cluent. 153. Sull. 41. Att. 4,8a,2. 7,7,5. Q. Cic. Com. Pet. 53 (vgl. 1,17,5. Sall. hist. 1,55,9).

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rung aus, die man zu vielen Zeiten machen kann, aber es kann kaum zufällig sein, daß Cicero es gerade damals äußert undgleichzeitig zum ersten Mal die programmatische Formel des otium cumdignitate vorträgt163. So sehr die Voraussetzungen von Urteil und Programm spezifisch ciceronisch waren164, so scheint ihm doch eine sehr wahre Beobachtung gelungen zu sein: Nachdem der Senat so tief verwundet worden war, konnte er nicht mehr in alter Weise die Ruhe garantieren, er mochte gar den Eindruck erwecken, sie eher zu stören165. Nachdem er bisher im Zweifel immer das führende Organ des Staates gewesen war, konnte jetzt ernsthaft gefragt werden, ob seine Häupter nicht doch mehr dazu neigten, Partei zu sein. Mithin durfte ein scharf blickender Beobachter schon feststellen, daß die führenden Senatoren so einseitig die dignitas –ihre eigene wie die der res publica –verfolgten wie die weiten Kreise der boni ihr otium. Beide Ziele lagen nicht mehr unbedingt in einer Richtung, eines begann sogar dem anderen zu widersprechen. Und so sehr die breite konservative Schicht trotz alledem senatorisch gesinnt und grundsätzlich bereit blieb, den Senat notfalls zu unterstützen, so fehlte es jetzt an einem Anhaltspunkt, um die auctoritas des Senats neu zu begründen, an Einmütigkeit, innerer Sicherheit undGelegenheit166. Manmußte sich vielmehr mit denMachthabern mindestens einstweilen abfinden. Daher trat dem Effekt nach –so sehr beide Teile dasGegenteilglauben mochten-, eineEntfremdung zwischen Senat undboniein167. 163Otium cum dignitate (Sest. 98) ist zwar ein ciceronisches Programm (fam. 1,9,21), aber es umreißt ausgezeichnet die Grundlage des stabilen Senatsregimes: Die Vereinigung von Macht und Ansehen des Senats (und damit der res publica: Cic. Rosc. Am. 136) mit allgemeiner Ruhe und Ordnung (Wirszubski, Libertas 94. JRS 44, 1954, 1ff.). Der höchst aktuelle Anlaß dieser Problematik ist in den sehr gelehrten Erörterungen über die Formel (Remy, Musée Belge 32, 1928, 113 ff. Boyancé, REA 43, 1941, 172ff.) in den Hintergrund geraten. Andeutungen bei Wirszubski. –Es braucht nicht hinzugefügt zu werden, daß diese breitere (alle Ritter und boni umfassende) Neuauflage der concordia ordinum (Note 9, u. S. 314 f.) auch abgesehen von der Unmöglichkeit, die Ritter zu ständiger Teilnahme an der Politik zu bewegen, gerade in diesem Augenblick utopisch war. 164Er reagierte einerseits seismographisch auf alle politischen Veränderungen und liebte es andererseits, die politischen Probleme der Zeit auf den Gegensatz zwischen Guten und Bösen zu reduzieren, wobei er in solider Ichbezogenheit die Nebensache (das anarchische Treiben seines Feindes Clodius) zur Hauptsache machte. 165Vgl. vor allem die Zusammenarbeit mit Clodius (Unters. z. röm. Innenpolitik 264 ff., 301 ff.). 16658 war die Senatsmehrheit zum Beispiel nicht bereit, die Bestrebungen zur Ungültigerklärung der acta Caesaris zu unterstützen, so daß die führenden principes dafür auf Clodius zurückgreifen mußten (s. vor. Anm.). 56 stellte sich die Einheit des Senats dann zwar gegen Pompeius wieder her (z. B. Cic. Q. fr. 2,3,2 ff.), aber es ist sehr fraglich, ob sie ausgereicht hätte, um entscheidende Schritte gegen diesen zu tragen. Man muß bedenken, daß das probateste Mittel, mit mächtigen Gegnern fertig zu werden, gewesen war, sie zu erschlagen, und daß Pompeius sich einerseits zu geschickt im Hintergrund hielt, um dazu Gelegenheit zu bieten, und andererseits zu mächtig war, als daß man ihn noch so einfach hätte kaltstellen können, wie es vor 59 wohl möglich gewesen wäre (u. S. 271ff. 293 ff.). 167Vgl. für 49: non ... boni, ut putantur, consentiunt (Cic. Att. 7,5,4 vgl. 7,7,5).

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Die Publicanen aber suchten ihre Sache bald hier bald dort. Da sie an der Sicherheit der Meere undeiner schnellen Behebung äußerer Krisen stark interessiert waren, hatten sie eine gewisse Affinität zu den großen Einzelnen, die dies besser garantieren konnten. So gaben sie in den Jahren 67 und 66 den Ausschlag bei der Betrauung des Pompeius mit den großen Kommanden, das heißt: sie schufen eine der wichtigsten Voraussetzungen seines Aufstiegs, der sonst nach 70 vielleicht hätte aufgehalten werden können. Andererseits war ihnen dieser Aufstieg an sich nicht sympathisch168, siegerieten damals also politisch gesehen in Widerspruch zu sich selbst. Im Jahre 63, als sie gegen Catilina mit demSenat engverbunden waren, haben sie nicht daran gedacht, diegleichzeitigen Bemühungen zur Vorbereitung der Rückkehr des Pompeius aus dem Osten zu unterstützen169, wobei es mitgesprochen haben mag, daß der große Feldherr ihnen dort nicht so zu Diensten gewesen war, wie sie es wohl erhofft hatten170. 60 und Anfang 59 unterstützten sie wieder Pompeius und dessen Verbündete, mindestens zeitweilig, weil diese ihnen nun, nachdem Cato es verhindert hatte, den schon erwähnten Pachtnachlaß verschafften171. Dagegen gerieten sie wahrscheinlich im Sommer 59, jedenfalls in der Mitte der 50er Jahre mit Pompeius in Kollision, da er undseine Freunde sich für die Ordnung in den Provinzen unddann auch in Romjetzt stärker verantwortlich zufühlen begannen als der Senat172. Beim Ausbruch des Bürgerkrieges endlich standen sie wie das Gros ihrer ritterlichen Standesgenossen an sich auf Seiten des Pompeius und des Senats, da sie sich in deren Schutz am sichersten fühlten173, wünschten aber noch dringender den Frieden174, arrangierten sich dann nach Ausbruch der Feindseligkeiten mit Caesar, da er siegreich war175, wobei sie aber innerlich weiter mit der Sache desPompeius sympathisierten undes Cicero verübelten, daßer sich nicht recht zur offenen Teilnahme auf dessen Seite entschließen konnte176. Kurzum:

168Denn auch sie waren sicher gegen ein regnum (trotz Cic. Att. 7,7,5). Als man Pompeius’Freunde i. J. 65 vor Gericht verfolgte (vgl. Sall. Cat. 39,2), scheinen sie sie allerdings ihm zum Dank freigesprochen zu haben (Asc. 50,3). 169Athenaeum 40, 1962, 119. 170Frank, Roman Imperialism 316f. Anders: Rostovtzeff, Wirtsch.- u. Sozialgesch. d. hell. Welt 1341. 171 Hill 173,1. Vgl. o. S. 85. 172Cic. prov. cons. 11 ff. Pis. 41. 48. har. resp. 1. Q. fr. 2,12(11),1. 3,22. Hill 179 f. 173Cael. bei Cic. fam. 8,14,3. Att. 8,16,1. 9,5,4. Tusc. 1,86. Vell. 2,48,2. Plut. Pomp. 57, 1ff. Dio 41,6,4. Gelzer Pomp.2 191. Für ihre Befürchtungen: Cic. Att. 5,3,1. 7,3,5. 7,7. 11,1. 174Cic. Att. 7,5,4. 6,2. 7,5. 9,3. 15,2. 8,13,2. Das allgemeine Verhalten bei den Aushebungen: ebd. 7,13,2. Plut. Pomp. 59,2. Dio 41,5. 175Vgl. die Belege bei Brunt a. O. (o. Anm. 5) 122,1, dessen Folgerungen aber wohl im Sinn der obigen Ausführungen zu modifizieren sind. 176Cic. Att. 7,7,5. 8,9,2. 13,1f. 16,1 vgl. 9,5,3. 13,4. –Att. 9,1,3. 11,7,6. 12,1. fam. 9,5,2 (severitas otiosorum). Es kann kein Zweifel sein, daß boni hier im weiteren Sinne die besseren Schichten meint (vgl. 7,7,5. 9,2a,3. Das Verständnis wird dadurch erschwert, daß auch die Pompeianer im engeren Sinne als boni bezeichnet werden: Cael. bei Cic. fam. 8,9,1 [vgl.

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Sie bildeten ein Element der Störung undder Unsicherheit in der Politik177, gleichsam einen nicht vertäuten schweren Ballast im römischen Staatsschiff. Am Beginn der antiken Gemeindestaaten hatte das Gesetz Solons gestanden, nach dem bestraft werden sollte, wer in einem Bürgerkriege nicht Partei ergriffe. Cicero erinnert sich gerade in jenen Tagen daran178. Kaumzwei Wochen später aber erhält er einen Brief von Caesar, der ihn in seiner Neutralität bestärken soll, und in dem es heißt: postremo quid viro bono et quieto et bono civi magis convenit quam abesse a civilibus controversis179. Darin äußerte sich –in der Form der Sentenz –die neue, caesarische Auffassung vom Bürger, eine erste Vorausdeutung auf die monarchische Auffassung der Ruhe als erster Bürgerpflicht, und Caesar hatte recht, da dieses ohnmächtige Gemeinwesen sich damals zwischen den streitenden Parteien kaum mehr zu Wort melden konnte180. Auch der Senat war zuletzt schwankend und haltlos gewesen, da er nicht mehr tun konnte, was er wollte, sondern das Gesetz des Handelns von den großen militärischen Führern bestimmt sah181. Auf keinen aber paßte die von Caesar konzipierte Umkehrung der Werte besser als auf die neue, über ganz Italien ausgebreitete Großbourgeoisie der Ritter. Nicht zufällig hat die Monarchie dann in dieser Schicht mit der Zeit immer mehr dieTräger ihrer Administration gesucht182. Sall. hist. 1,12]. Cic. Att. 8,1,3. fam. 16,11,2. 12,2. Caes. b. c. 3,32,3). Syme (RR 86) rechnet mit starken antirömischen Ressentiments bei den Teilen des Ritterstandes, die erst nach 91 das Bürgerrecht erhalten hatten. Aber dafür liegt nicht der geringste Anhaltspunkt vor. Wesentlich geht es ihnen vielmehr um ihren Besitz und ihre Ruhe (Att. 7,7,5. 17,1. 8,13,2. 4. 9,15,3). Außerdem ließen sie sich durch den Ablauf der Ereignisse bestimmen: Pompeius erwies sich als schwach (Gelzer Pomp.2 199 f.), er überzeugte nicht (Cic. Att. 9,1,3): Interessant ist der Stimmungsumschlag bei seiner Flucht: Att. 7,7,5–10. 11,4–7,13,1. 8,3,4. 13,2. fam. 16,12,1. Vgl. zu dem Problem seiner damaligen Strategie Kurt von Fritz, TAPhA 73, 1942, 145ff. Ferner: Caesars Bürgerkrieg. Einl. zu H. Simons Übers., Bremen 1964, LXV ff. 177Cic. Att. 7,7,5 (numquam firmi) u. a. Hill 164, vgl. Nitzsch, Die Gracchen (1847) 373: Es ist bekannt, daß die Capitalisten nur in dem Bereich ihres Gewerbes den Umsturz der Verfassung fürchten. Sie haben später den Pompeius, der auf sie baute, ruhig im Stich gelassen, weil Caesar nurdie Verfassung, aber nicht ihre Geschäftsverbindungen vernichtete. 178Att. 10,1,2. Das Problem der Echtheit (dazu zuletzt Hignett, A History of the Athenian Constitution, 1958, 26 f.) kann hier nicht erörtert werden. 179ebd. 10,8b,2. Die Bedeutung dieser Stelle hat –wie so vieles –als erster Ed. Meyer erkannt (Caes. Monarchie3 353). Man hätte gerne Ciceros Kommentar. Mußte er nicht meinen, zum besten gehalten zu werden? Andererseits muß es Caesar todernst mit seinen Worten gemeint haben; darüber an anderer Stelle. 180 Vgl. Cic. Att. 10,7,1: regnandi contentio est ... ergo in hac contentione neutrum tibi palam sentiendum et tempori serviendum est. mea causa autem alia est, quod beneficio vinctus ingratus esse non possum ... –Die tiefe Problematik des längst über seine eigentlichen Maße hinausgewachsenen Gemeinwesens hat auch Cicero in manchen Augenblicken sicher geahnt, so wenn er schreibt: cedamus igitur et, ut boni cives simus, bellum Italiae terra *marique inferamus (Att. 9,1,3). 181s. Note 10, u. S. 315. 182Gelzer, Kl. Sehr. 2,369.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Man kann nicht übersehen, daß dieses große, mächtige Element der damaligen Republik in einem Gemeindestaat fehl am Platze war. Ursprünglich, als es im dritten und zweiten Jahrhundert langsam heranwuchs, hatte man es mühelos in fast harmonischem Ausgleich innerhalb der adelsstaatlich geordneten res publica integrieren können, indem man seine freien Energien auf die äußerst schnell wachsenden wirtschaftlichen Aufgaben ablenkte. Dann präsentierte sich seit dem Ende des zweiten Jahrhunderts diese Ablenkung, oder besser die ihr zu Grunde liegende reinliche Scheidung der Stände von ihrer Kehrseite. Die unpolitische Großbourgeoisie war mächtig geworden, sie griff in die Politik ein, aber sie verspürte wenig Verantwortung. Ohne eine neue positive Kraft zu besitzen, die die alte Basis hätte verbreitern können, blieb sie ein Fremdkörper in diesem Staate. Sie entzog sich der Moral und dem Geist, in denen er regiert werden und den wichtigsten Halt finden mußte, da er – kaum durch Institutionen oder einen Staatsapparat von eigenem Gewicht befestigt –ganz dem unmittelbaren Walten aller Kräfte hingegeben war. Durch den anschließenden Machtgewinn der den Ritterstand verkörpernden . Publicanen wurde die respublica zwar nicht, wie Varro meinte, „doppelköpfig“ Diese hatten ja keinen andern politischen Ehrgeiz als den, ihre wirtschaftliche Sphäre zuerweitern undvonallen Eingriffen frei zuhalten. Aber siebehinderten, beengten und schwächten den Senat und dessen Verantwortungsbewußtsein. Die Befriedigung der ritterlichen Interessen schließlich kostete –trotz des lange anhaltenden Widerstandes eines maßgebenden Kreises im Senat –mit der Zeit die Ausdehnung des Gefälligkeitsstaates und kam der res publica deswegen wohl teurer zu stehen, als heftige Auseinandersetzungen es getan hätten. Der Umsturz und Traditionsbruch der 80er Jahre beschleunigte den Prozeß, in der Zeit nach Sulla waren die Ritter bald mächtiger als vorher. Die Geschichte des Verhältnisses zwischen den Ständen lehrt, daß der Senat den Publicanen verschiedentlich deshalb unterlag, weil er aus anderen Gründen in eine sehr ungünstige Lage geraten war. Aber kann es als barer Zufall gewertet werden, daß er keine fortune hatte? Die Senatoren waren durch die ins Riesige gewachsenen Dimensionen ihrer Aufgaben längst überfordert183. Ihre moralische Integrität ließ mindestens seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts ständig nach, viele von ihnen waren nicht besser als die Ritter. Krisen waren also für die res publica vor und dann besonders nach den 80er Jahren fast konstitutiv. Angesichts der wachsenden Macht der Publicanen wäre es dem Senat deswegen wohl unter keinen Umständen mehr möglich gewesen, die alte, nahezu unbeschränkte Führung und im besonderen den Besitz der Gerichte auf die Dauer zu behaupten. Man könnte sich fragen, ob es denn nicht möglich gewesen wäre, eine unabhängige Gerichtsbarkeit zu schaffen unddie Senatoren von dorther unter Kon183 Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,173. 180. 252 f.

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trolle zu stellen184. Aber wie es keinen „neutralen Staat“gab, konnte es für politische Strafsachen auch keine neutralen Gerichte geben. Denn das hätte in der damaligen Situation eine Überwindung des aristokratischen Elementes der res publica, eine durchgreifende Institutionalisierung mit Herstellung einer justizförmigen Verwaltung und jedenfalls das Aufkommen einer dritten Kraft oder eines äußerlich und innerlich spürbaren Drucks von Seiten der eigentlich Leidtragenden, der Provinzialen, vorausgesetzt. UmzumSchluß zu kommen: Die große, mächtige Schicht der Ritter konnte von der schmalen Basis des Adelsstaates aus nicht mehr verkraftet werden. Diese Basis zu verbreitern undzu befestigen, trug sie nicht einmal die Absicht, geschweige denn die Macht in sich. So konnte sie nur vermittels einer fortschreitenden bedenklichen Lockerung der staatlichen Einheit und Ordnung ihren Platz in der respublica finden. Der Form nach blieb sich fast alles gleich, aber gerade darin liegt doch nach einem merkwürdigen Wechselverhältnis unter solchen Umständen das beste Indiz für eine um so tiefere Verwandlung des Wesentlichen. Bevor jedoch diese Verwandlung eingehender studiert werden kann, stellen sich andere Probleme. Zunächst: wenn die Interessengemeinschaft zwischen Rittern und Senatoren so mächtig war, daß sie sich kaum je zu aktualisieren brauchte, also der Politik im allgemeinen vorauslag, so ist zu fragen, wiedenn das übrige Volk, die Bauern, dieplebs urbana –die in denVolksversammlungen über so viele Stimmen verfügte –undnicht zuletzt die Soldaten undVeteranen der Berufsarmeen sich in diese Ordnung fügten? Lag es nicht zumBeispiel für die städtische Masse, wenn sie denn die gesetzgebenden Comitien beherrschen konnte, nahe, ihre bedauerliche Lage durch Beschlüsse zu verbessern, die den Wohlhabenden keineswegs genehm waren? 2. DAS NIEDERE VOLK

a) Plebs rustica Der Bauernstand, der so lange neben dem Adel das römische Volk verkörpert hatte und aus dem Roms Armeen sich rekrutierten, geriet im zweiten Drittel des zweiten Jahrhunderts in eine sehr mißliche Lage185. Die spanischen 133), die besonders langwierig, strapaziös, verlustreich und an ErKriege (154– 184Vorübergehend hat man nur durch die lex Plautia vom Jahre 89 versucht, die Herrschaft von Ständen über die Gerichte zu verhindern (GCG 151. Hill 138,2). Aber erstens ist nicht klar, ob durch den Einfluß auf die tribus nicht doch die eine oder andere Gruppe dort wieder die Oberhand gewonnen hätte, zweitens konnten die Ritter angesichts der herrschenden Machtverhältnisse auf die Dauer kaum daran gehindert werden, diese Position wieder einzunehmen. 185Die Datierung ergibt sich daraus, daß vor 170 ein Bedürfnis nach Versorgung mit neuem Land noch kaum bestand (Tibiletti, Athenaeum 28, 1950, 183ff., dessen Folgerungen

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

folgen arm waren, führten mitsamt den stark sich verändernden wirtschaftlichen Bedingungen dazu, daß zahlreiche Familien Haus und Hof verloren186. Die Folge war Verbitterung gegen die Reichen –denen man verschuldet war, die die Preise bestimmten und denen man sich nun ausgeliefert sah –und damit , endlich eine gewisse gegen den Senat –der außerdem keine Abhilfe schuf – Entfremdung vom Staat, dem zu dienen so einseitig als nachteilhaft, wenn nicht als sinnlos erscheinen mußte. Bei den Aushebungen zu den beuteversprechenden Kriegen im Osten und gegen Karthago fanden sich noch genügend Soldaten; bei denen für Spanien aber kam es teilweise zu Widerstand von ungeahnter Heftigkeit, 151 und 138 gingen die Auseinandersetzungen so weit, daß die Volkstribunen die Consuln ins Gefängnis warfen187. Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, faßte Scipio Aemilianus’ Freund Laelius zwischen 146 und 140 den Plan, durch ein Ackergesetz neues Siedlungsland zu schaffen. Aber die Hindernisse, die sich dagegen auftürmten, waren so hoch, daß er es aufgab188. Ti. Gracchus hat dann 133 die Notwendigkeit der Reform über alles gesetzt. Seine Absicht war die Wiederherstellung des rechten alten Zustands: der Bauernstand sollte wieder aufblühen, um seinet- wie vor allem auch um des Staates willen, der so dringend auf die bäuerlichen Soldaten angewiesen war189. Tiberius und seine Anhänger dachten dabei zurück an viele alte Ackergesetze undwollten nichts anderes als deren Anhänger gewollt hatten: einen Anteil an den durch Eroberung –das heißt durch den eigenen oder genauer: durch der Väter soldatischen Dienst –in Roms Eigentum gelangten auf die Absicht des Ti. Gracchus [210] aber nicht überzeugen: Äcker in der Cisalpina konnten dessen Zwecken in keinem Fall genügen. Es ist auch zu bedenken, daß vermutlich schon Laelius keinen anderen Ausweg als die Aufteilung von ager publicus in Italien gesehen hatte). Freilich waren die neuen wirtschaftlichen Bedingungen damals bereits angelegt, aber soweit die Bauern darunter schon litten, scheinen sie dies noch für vorübergehend gehalten zu haben. –Zu den Censuszahlen der Zeit s. Gabba, Ath. 27, 1949, 173 ff. 29, 171 ff. 30, 161ff., dazu aber Bourne, Class. Weekly 1951/2, 129 ff. Brunt, JRS 52, 1962, 74, 55. E. Meyer, Röm. Staat2 525. Plut. Gracchi 8,3. ORF2 S. 107f. (u. Anm. 189). 186 Herzog, Röm. Staatsverf. 1, 407. De Sanctis, Storia dei Rom. 3,2. H. Simon, Roms Kriege in Spanien (1962) pass. (vgl. das Register: Verluste der Römer). –Altheim, Epochen d. röm. Gesch. 2 (1935) 203 ff. Plin. n. h. 18,35: latifundia perdidere Italiam. Vgl. Cic. leg. agr. 2, 14. 84 (agros desertos a plebe et a cultura hominum liberorum). 3, 14. Att. 1, 19,4 (Italiae solitudo). Liv. 6, 12,5. 187Plut. Gracchi 8,3. Taylor, JRS 52, 1962, 19. 21 f. 26. Simon a. O. 42 ff. (zugleich zu den bes. Umständen der Aushebung für Spanien). 143. Auch 173 (wo die Argumente des Senats wohl nicht nur als Vorwand zu verstehen sind). Gelzer Kl. Schr. 2, 60 f. Vgl. u. S. 128. 188Plut. Gracchi 8,5. 189GCG 1f. (mit App. 1,43). Badian FC 169f. Earl, Ti. Gracchus (1963) 30 mit Brunt, Gnomon 37, 1965, 189 (dazu Cic. leg. agr. 2,84 [o. Anm. 186]). Vgl. Cato agr. praef.: ex agricolis et viri fortissimi et milites strenuissimi gignuntur. Vgl. zur Problematik auch die berühmte Rede des Censors Q. Metellus Macedonicus 131/30 de prole augenda (ORF2 S. 107f.). –Hinzu kam vermutlich die Einsicht in die Gefahr der sich ausbreitenden Sklavenwirtschaft, wie sie der seit 135 auf Sizilien tobende Aufstand vermitteln konnte.

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Ländereien. Aber die Lage, vor der sie sich fanden, war neu und kompliziert. Wenn früher jeweils frisch gewonnene Äcker verteilt worden waren, so standen jetzt in Italien nur mehr solche zur Verfügung, die vor mindestens zwei Generationen erobert unddann vonEinzelnen mit staatlicher Einwilligung okkupiert worden waren. Die Besitzer hatten viel in diese Güter investiert und sich vermutlich mit der Zeit daran gewöhnt, sie kaum anders denn als Eigentum anzusehen. Wir wissen nicht, ob bei Erbschaften, Veräußerung von Rechten etc. noch große Unterschiede zwischen dem ager occupatorius und dem eigentlichen ager privatus gemacht wurden190. Jedenfalls brachte die Einziehung dieser Güter, selbst wenn man gewisse Entschädigungen für die Investitionen vorsah und den Besitzern bis zu 1000 iugera Land beließ191, viele Ungerechtigkeiten mit sich, nicht zuletzt gegen die italischen Bundesgenossen, von denen viele durch das Recht der Okkupation für ihre Beteiligung an Roms Kriegen belohnt worden waren192. Aber es gab keinen anderen Weg, und so griff Ti. Gracchus auf den ager occupatorius zurück. In dieser Situation nun bewies einerseits der Bauernstand noch einmal in der römischen Politik seine alte Macht. Unzählige verarmte, verschuldete oder enteignete Bauern strömten nach Rom und unterstützten den Antrag des Tribunen193. Bäuerlicher Stolz und Trotz, das Bewußtsein soldatischer Leistung und früherer politischer Erfolge des Standes wuchsen in der Empörung über das erlittene Unrecht zu kaum widerstehlicher Durchschlagskraft an. Aber andererseits war der Widerstand des Senats und der Besitzenden –aus verschiedenen, stark eigennützigen, aber wohl auch staatsmännischen Motiven194 –so kräftig, daß er den Tribunen M. Octavius dazu instand setzte, ausdauernd zu intercedieren195. Ti. Gracchus konnte also sein Gesetz nur durchbringen, nachdem er Octavius unter Verstoß gegen eine der zentralsten Regeln

der römischen Verfassung abgesetzt hatte196. Wie alle historischen Situationen steckte auch diese voller zufälliger Faktoren. Aber es ist kaum zu verkennen, daß gewisse tiefere Veränderungen sich in ihr auswirkten. Nicht nur die Schwierigkeiten, die sich aus der schon konstitutiv gewordenen Not der Bauern und dem Mangel an frisch eroberten Ländereien ergaben, waren neu, sondern zugleich das große Gewicht der beati possidentes. Denn dank der ergiebigen Reichtumsquellen im Herrschaftsbereich war diese Schicht relativ sehr breit und mächtig geworden. Da außerdem das 190Vgl. auch Cic. off. 2,79. Sest. 103 (possessiones diuturnae). Vielleicht waren auch die Abgaben dafür nur sehr gering (Plut. Gracchi 8,1. Vgl. die Literatur bei Gabba zu App. 1,27). 191App. 1, 37. Plut. Gracchi 9,3. Vgl. die Beschreibung des Gesetzes bei Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 188. 192Vgl. o. Anm. 8. 193 Strasburger RE 18, 790 ff. Gelzer Kl. Schr. 2,91 f. 194Dazu zählte vor allem die Rücksicht auf die Bundesgenossen (bes. Cic. rep. 1,31. 195GCG 6 f. (mit Cic. Sest. 103). Zum Intercessionsrecht vgl. u. S. 157 f. 3, 41). 196Vgl. u. S. 129 f. 7 Meier

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

politische Geschehen, das sich gut gemeindestaatlich noch immer ganz in Rom konzentrierte, für die über Italien sich ausbreitende Bürgerschaft nicht mehr so greifbar, wirksam, überzeugend war, zwang sich die Notwendigkeit der Reform –die man theoretisch wohl einsehen mochte –den Betroffenen nicht mehr so unmittelbar auf, wie das in begrenzteren Verhältnissen der Fall hätte sein müssen. Endlich war die Not so groß, daß jeder Versuch, sie zu beheben, mit hohem Machtgewinn verbunden sein mußte. Mit einem Wort: die Reform mußte tiefer, grundsätzlicher ansetzen und hatte viel mächtigere, schwerer zu überzeugende Gegner als alle früheren Ackergesetze. Folglich drängte manches darauf hin, daß ein vom Senat entfremdeter, hochbegabter, willensstarker Mann aus einem der ersten Häuser der Stadt vor dieser Aufgabe zu einem Anspruch emporwuchs, der mit der aristokratischen Gleichheit nurmehr schwer zu vereinen war197. Denn es ist eine ganz neue Art von Subjektivität, die in Ti. Gracchus begegnet: eine für Rom ganz ungewöhnliche Überzeugung vom Wert der eigenen Person, die nicht mehr aus Leistung (dignitas), sondern aus Adelsstolz und Begabung wie zumal aus Reformwillen und der Erkenntnis des Versagens der Herrschenden resultierte. Auch daß der Tribun nicht warten konnte, daß er durchdrungen war von dem Bewußtsein, nur durch ihn und jetzt könne die Krise behoben werden, hob ihn weit aus allen anderen heraus. „Der Abstand des gewaltigen moralischen Druckes, den hervorzurufen Tiberius Gracchus gelungen war, ... von der vereinzelten Intercession des Octavius“konnte als so ungeheuer erscheinen, „daß Tiberius Gracchus das objektive Recht, auf dem doch eine Staatsordnung beruht, nicht mehr zu sehen vermochte“.198 Die Unausgeglichenheiten der gewachsenen Verfassung boten besondere Möglichkeiten, die kollektive Prägung der Moral (angesichts der den dringenden Forderungen sich verschließenden Gesellschaft) besondere Freiheit, es konnte also sehr leicht einer versucht sein, das Herrische seines Aristokratentums zu verabsolutieren und sich über die wichtigsten Rücksichten hinwegzusetzen. Dabei war es gewiß von größter Bedeutung, daß eben der Bauernstand, die alte Grundlage der römischen Gesellschaft, es war, dessen Not und drohenden Verfall es zu beheben galt. Wohl nur an dieser Stelle mochte angesichts des noch ganz unangefochtenen Senatsregimes von alten legitimen Maßen her der Inhalt der Verfassung –im weiten Verstande des Wortes respublica –als wichtiger erscheinen als deren Form. So bestand der Beitrag des Bauernstandes zur 197Vgl. J. Martin, Die Popularen in der Gesch. d. Sp. Rep., Diss. Freiburg 1965, 141. Heuß übernimmt, a. O. 186f. Röm. Gesch. 138, die alte Annahme, Ti. Gracchus habe seinen Reformplan als Exponent oder gar Werkzeug einer Adelsfaktion vorgebracht. Dafür spricht nichts (denn die prosopographischen Daten, Münzer, RA 257 ff., deuten zwar auf gewisse Verbindungen, besagen aber nichts über die Initiative, die Festigkeit des Zusammenhalts und das Ausmaß, in dem die Autorität der Älteren wirkte). Die Berichte der Quellen weisen vielmehr darauf hin, daß die Reform vor allem von Ti. Gracchus ausging. Vgl. zur Sache auch Brunt, Gnomon 37, 1965, 190 ff. 198Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 189.

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Geschichte der späten Republik vor allem darin, daß er damals die Rechtfertigung dafür hergab, daß eben mit der Absetzung des Octavius der Prozeß der Lockerung des alten Verfassungsgefüges und der zahlreichen popularen Störungen der Politik ausbrach. Denn seine unmittelbare Rolle war bald ausgespielt. Gracchus wurde genötigt, auf der einmal eingeschlagenen Bahn fortzuschreiten, unddamit erhielt die mächtige Gruppe seiner Gegner den Anlaß, ihn zu erschlagen199. Gleich darauf erwies sich noch einmal die Kraft des Bauerntums: der Senat sah sich in die Enge gedrängt, hielt es für gut, den Urheber der Gewaltaktion, P. Scipio Nasica, für eine Weile aus Rom zu entfernen, und tastete das Ackergesetz zunächst nicht an200. Aber indem das Volk dengewaltsamen Tod dessacrosancten Tribunen hinnahm, wurde zugleich sichtbar, daß die Schicht der Wohlhabenden schon die stärkere geworden war. 129 wurde dann auch das Ackergesetz erheblich eingeschränkt201. C. Gracchus hat es zum Teil wiederhergestellt und durch weitere Gesetze, unter anderem zur Gründung von Colonien202, ergänzt. Er hat außerdem eine Verkürzung der Militärdienstzeit eingeführt. Aber damals war es auch schon das letzte Mal, daß die Bauernschaft sich geschlossen zur Geltung brachte. Kennzeichnend für die neue Lage war, daß Gracchus zugleich den Beistand der Ritter undeinen neuen Ausgleich zwischen ihnen undden Bauern suchte203. Nach seinem Tod hat man die Ansiedlungen anfangs nicht behindert204, ist dann aber sehr bald daran gegangen, den ager occupatorius in reguläres Eigentum zuverwandeln. Damit wurden nicht nurLandaufteilungen nach dem Muster der gracchischen für die Zukunft ausgeschlossen205, sondern es wurde auch die Veräußerungssperre des Reformgesetzes aufgehoben, so daß die Siedlerstellen zum Teil bald wieder in die Hand von Großgrundbesitzern kamen206.

Keines der erfolgreichen Ackergesetze der folgenden Jahrzehnte ist mehr wesentlich zu Gunsten verarmter oder enteigneter Bauern erlassen207, undes ist 199GCG 7ff. Heuß 189f. 200Vgl. u. A. 413. Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 190f. Von einer Versöhnung der Senatspolitik mit der Agrarreform ist in den Quellen allerdings keine Spur zu finden. Zur Inschrift des Popillius (ILS 23. Degrassi, ILLR 454) vgl. Zancan, Ager Publicus (1935) 107 (Gelzer, Kl. Schr. 2, 94). Degrassi a. O. m. weiteren Hinweisen. F. T. Hinrichs, Ansiedlungsgesetze und Landanweisungen im letzten Jh. d. röm. Rep., Masch. Diss. Heidelberg 1957, 103ff. 201GCG 21. Vgl. 34. 202 u. Anm. 422. 203 u. S. 132. 204Vgl. Broughton MRR 1, 522. 525. 526. Nur die Colonie Junonia (Karthago) ist aufgehoben worden (ebd. 521). 205Last, CAH 9, 98 ff. Gelzer, Kl. Schr. 2, 82 ff. 92 ff. Heuß, Röm. Gesch. 149f. 206Vgl. o. Anm. 39. 207Leges Appuleiae, 103 u. 100: u. Anm. 214. Lex Plotia, 70: Dio 38, 5,1. Entsprechend: rogatio Flavia, 60: Dio 37,49,2. 50,1. Cic. Att. 1,18,6 (zu 1,19,4 s. RE Suppl. 10, 591). Leges Juliae, 59: Dio 38, 1,3 (vgl. 5,1. RE a. O.). Cic. Phil. 2,101. Plut. Cic. 26,4. Anders mag es sich mit der rogatio Servilia von 63 verhalten haben (Gelzer, Caesar6 38f., wobei aber Cic. leg. agr. 2,70 nicht unbedingt ernst zu nehmen ist, vgl. u. Anm. 316. Dazu auch: Brunt JRS 7*

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auch auf andere Weise nicht für sie gesorgt worden208. Die Gewichte zwischen den Ständen hatten sich inzwischen wohl so weit verschoben, daß an tiefer eingreifende soziale Reformen nicht mehr zu denken war. Es gab freilich auch künftig einen zahlenmäßig nicht geringen Bauernstand209, aber wer nicht dazu gehörte, scheint sich nun daran gewöhnt zu haben, Proletarier zu sein. Künftig war die plebs rustica also teils zufrieden und konservativ, teils resigniert, und bestenfalls in äußersten Situationen, wie während des catilinarischen Aufruhrs, mochte sie noch als „Reservearmee“für Desperados dienen210. Dies wurde, wenn nicht gar ermöglicht, so doch erleichtert durch die Aushebungsreform des Marius von 107, die die verbliebenen Teile des Bauernstandes weitgehend von den Bürden desWehrdienstes entlastete211 und zugleich dazu führte, daß sich den tüchtigeren und unruhigeren Elementen der armen Landbevölkerung neue Verdienstmöglichkeiten als Soldaten boten. Auch nach der Reform des Marius rekrutierten sich die römischen Armeen im wesentlichen vom Lande, aus Bauernsöhnen, Tagelöhnern und Arbeitslosen212. Welche Rolle nun haben die Soldaten und Veteranen der neuen Heere in der Politik gespielt?

b) Soldaten und Veteranen Entscheidend für die Beteiligung der Veteranen an der Politik der späten Republik war, daß Marius und–oder in seinem Namen –L. Appuleius Saturninus 103 und 100 die Behauptung aufstellten, daß jedem der Veteranen, die damals –nach zumeist sehr kurzer Dienstzeit213 –entlassen worden waren (oder gerade werden sollten), ein Bauernhof zustünde214. Vielfach wird behauptet, Marius habe dies schon bei der ersten Aushebung von Proletariern versprochen; doch das ist wenig wahrscheinlich215. Ebensowenig kann man damit rechnen, 52, 1962, 72. Unbekannt ist der Inhalt der Anträge des Philippus von ca 104 (Cic. off. 2,73) und Titius von 99 (GCG 113). 208Sofern sie nicht nach Rom gingen und dort in den Genuß verbilligten Getreides kamen (Sall. Cat. 37,5. App. 2, 505). 209Vgl. Brunt a. O. 71. Wie weit dazu die gracchischen Ansiedlungen beigetragen haben, ist wohl trotz App. 1,121 ff. nicht genauer auszumachen, zu den Censuszahlen vgl. aller210 Brunt 72f. dings o. Anm. 185. 211Vgl. dazu R. E. Smith, Service in the Post-Marian Roman Army 44 ff. Brunt 75. 212Gabba, Athen. 27, 1949, 203 ff. 29, 1951, 178 ff. Brunt 74 f. Viele davon stammten 213Vgl. Badian FC 198f. gewiß aus den kleinen Städten. 214Das ist den leges Appuleiae agrariae (GCG 90f. 105 ff.) gewiß zu entnehmen. Vgl. auch die zu vermutende Beteiligung der Soldaten anderer Armeen (Badian 204 f. Dazu BJ 161, 1961, 514). 215Sallust berichtet für die Aushebung von 107 nur von der Hoffnung auf Beute (Jug. 84,4. Vgl. 87,2). Außerdem konnte Marius kaum etwas versprechen, über dessen Erfüllung er so wenig Macht hatte. In der früheren Zeit waren die ausgedienten Soldaten zwar vermutlich bei den Landverteilungen besonders bedacht worden, aber ein Anspruch darauf ist offenbar nur denen des älteren Scipio Africanus zuerkannt worden (Liv. 31,4,1ff. 49,5. 32,1,6. Gabba, Athen. 27, 1949, 194 ff. 29, 1951, 214 ff.). Nach welchen Gesichtspunkten die

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daß solche Landversorgung sachlich erforderlich gewesen wäre, weil die Veteranen sonst keinen Lebensunterhalt gehabt hätten. Denn es wären, wenn es denn sein sollte, durchaus andere Möglichkeiten der Versorgung oder Abfindung denkbar gewesen216. So ist es das Wahrscheinlichste, daß Marius diesen neuen Anspruch der Veteranen außer aus Lust an der Machtentfaltung aus seiner übermäßigen Liebe zu ihnen begründet hat. Denn seine Soldaten, Römer wie Bundesgenossen217, scheinen ihm alles gewesen zu sein. Was er sonst an Enttäuschungen und Beleidigungen erfuhr, überhaupt den Mangel an ständischer Solidarität scheint er übertönt zu haben in seiner Fürsorge für sie wie in der übermäßigen Akzentuierung des Militärischen. Voraussetzung dafür, daß er diesem Bedürfnis nun stattgeben konnte, war die große Gunst der Situation. Auch ersah er sich eine Gelegenheit, um Land zu schaffen, ohne römische Besitzinteressen zu verletzen. In den Provinzen, in denen sie gekämpft hatten, auf frisch erobertem Gelände, sollten die Soldaten ihre Siedlungen erhalten, die des jugurthinischen Krieges in Africa, die der nördlichen Feldzüge in Gallien. Ferner scheinen Marius und Saturninus die Mannschaften, die damals auf Sizilien undin Makedonien gekämpft hatten, in ihr Programm einbezogen zuhaben, denn es waren auch in diesen beiden Provinzen Verteilungen vorgesehen218. Diese Methode der Landverteilung außerhalb Italiens warnicht ohne Logik: sie setzte in weiteren Dimensionen fort, was vorher in den engeren Italiens praktiziert worden war, und konnte zudem an die gelegentlichen Ansiedlungen ausgedienter Soldaten in Spanien undauf den Balearen anknüpfen219. Doch der Umfang und das Prinzip des Unternehmens waren neu: daß eben jeder Veteran –und nicht erst nach vielen Dienstjahren –einen Anspruch auf Land erhielt. Dieses Prinzip aber brauchte, für sich genommen, kaum Bedenken zu erwecken. Denn an Provinzialboden konnte es so leicht nicht fehlen, und die Gründung außeritalischer Colonien hatte fraglos ihre positiven Seiten: sie vergrößerte den römischen Bauernstand, behob soziale Not in der plebs rustica220 und vermochte zur Sicherung und, falls das als gut empfunden wurde, zu einer gewissen Romanisierung des Herrschaftsbereichs beizutragen. Was sachlich dagegen sprach, ist nicht so leicht zu sehen: Konnte man etwa befürchten, daß Siedler für die Colonien im 2. Jh. ausgesucht wurden, wissen wir nicht (vgl. dazu o. Anm. 185, ferner: Liv. 35,9,7. 40,5. 40,34,2. Plut. Gracchi 9,5. Evtl. wurden die Soldaten des Consuls C. Laelius bei der Gründung von Placentia und Cremona bevorzugt, vgl. Liv. 37, 46, 10. Hinrichs a. O. 45). 216 Vgl. etwa Gabba 1951, 203f. Brunt a. O. 77 ff. Liv. 42, 32,6 (allerdings ein Sonderfall). 217Vgl. etwa GCG 104. App. Mithr. 411 mit Smith a. O. 37,1. 218S. o. Anm. 214. Zu erwähnen ist noch eine Colonia Mariana auf Korsica, Plin. n. h.

3,80. 219Vgl. Vittinghoff, Röm. Kolonisation und Bürgerrechtspolitik, Abh. Akad. Mainz 1951, 53ff. 72f. Gabba 1951, 219ff. 220Ob auch bundesgenössische Soldaten beteiligt wurden (so Badian FC 206 ff. Heuß, Prop. Weltgesch. 4,206), ist durchaus nicht klar (vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2,75. 91 f. 3, 289).

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die Colonisten zu eng mit der Provinzialbevölkerung verwuchsen und auf die Dauer mehr Gallier oder Africaner als Römer wurden, oder daß sie die Provinzialverwaltung erschwerten? Wohl kaum. So bleiben als mögliche Negativa nur, daß dieser Plan neu war und von einem Mann ausging, der in einem gewissen Gegensatz zum Senat stand; daß der auf diese Weise Stützpunkte in den Provinzen erhielt und überhaupt zu mächtig wurde. Diese Gründe müssen für den Senat denAusschlag gegeben haben. Denn er setzte denAckeranträgen heftigen Widerstand entgegen und scheint die Ausführung der im Jahre 100 erlassenen Gesetze sehr bald verhindert zu haben221. Dieses Verhalten wird heute gern als kurzsichtig bezeichnet. Dabei rückt man dann den Aspekt der sogenannten sachlichen Notwendigkeiten, der Sozialpolitik, einseitig in denVordergrund und läßt den des Politischen ganz außerhalb der Rechnung. Gewiß können wir heute mit einigem Recht erklären, daß Marius dem Senat, auch wenn die Ackergesetze hätten verwirklicht werden können, nicht gefährlich geworden wäre. Aber konnten die damaligen Senatoren das wissen? Gewiß spricht auch die Herrschaft einer vieles dafür, daß das Senatsregime jener Jahre durch „ kleinen Gesinnung und gedankenarmer Mittelmäßigkeit“ gekennzeichnet war222. Aber ist es unser Amt, von den Politikern dieser Zeit eine nahezu unmenschliche Überlegenheit, die Kunst nämlich, über den eigenen Schatten zu springen, zu fordern? Die Verhältnisse sind nicht immer so, daß es einzig an Verdienst und Versagen der Beteiligten liegt, welche Schattierung zwischen kleinlicher Mittelmäßigkeit und imponierender Größe nun die vorherrschende ist223. Sollten wir den Senatoren von 103 bis 100 nicht das Recht zubilligen, daß sie, wenn sie nun mal nach allgemeinem Einverständnis allein die Verantwortung für den Staat trugen224, sich dagegen wehrten, daß andere so mächtig wurden, umsie in der Ausübung dieser seit langem festgelegten Verantwortung stören zu können? Sollten wir nicht lieber, statt sie nach einem fragwürdigen, vom Koeffizienten der Sachlichkeit übermäßig bestimmten Maßzu verurteilen, versuchen, die Wirklichkeit der damaligen Situation darin zu erkennen, daß Politisches und Sachliches auseinandergingen? Um das gern gebrauchte Bild weiterzuspinnen: wenn derSenat kurzsichtig war, so waren die großen Einzelnen weitsichtig; was auffälligerweise fehlte, ist die Normalsichtigkeit. Oder anders: wenn die Träger der herkömmlichen Verfassung dem Veteranenproblem nicht gewachsen waren, die, die es lösen konnten, aber eine gewisse Gefahr für diese Verfassung darstellten, so fragt sich doch, ob wir uns auf die eine Seite schlagen 221Cic. Balb. 48. Dazu Passerini, Athen. 12, 1934, 348f. Badian, Historia 11, 1962, 219, 87. Die Gesetze von 103 dagegen sind offenbar mindestens zum großen Teil ausgeführt 223 Vgl. u. S. 304f. 222 Heuß, Röm. Gesch. 148. worden (Badian FC 199f.). 224Dabei spielt es keine Rolle, daß sie ihr Regime mehr als Besitz denn als Aufgabe verstanden: es blieb die Verantwortung, solange nicht andere da waren, die berechtigten Anspruch auf Teilnahme daran anmelden konnten. Es war nicht Sache des Senats zu weichen, sondern anderer, ihn zum Weichen zu bringen.

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und Schuld und Versagen auf der anderen Seite suchen sollen, oder ob wir hier nicht vielmehr eine tiefer begründete Aporie, ein Aufeinanderprallen zweier Wirklichkeiten zu beobachten haben. Aber das geht an dieser Stelle über das Thema hinaus225. Hier genügt es, festzuhalten, daß das Ansiedlungsprojekt des Marius am senatorischen Widerstand gescheitert ist. Damit war der Anspruch der Veteranen auf Land wirksam bestritten, aber freilich nicht aus der Welt geschafft. Künftig lag es immerhin nahe, ihn von neuem zu erheben. Die nächste Gelegenheit dazu ergab sich, als Sulla im Bürgerkrieg von seinen Soldaten abhängig wurde. Obdiese damals eine Versorgung mit Land forderten, ist nicht bezeugt226. Jedenfalls fand Sulla es günstig, sie zur Sicherung seines Regimes über ganz Italien in geschlossenen Verbänden anzusiedeln227. Der Nutzeffekt war freilich gering, da viele ihre Höfe schon bald durchgebracht hatten228.

Auch danach war die Landversorgung der Veteranen noch keineswegs anerkannt. Für die Soldaten der gewöhnlichen Besatzungstruppen hat er in der späten Republik nie gegolten229, und für die der zu größeren Feldzügen ausgehobenen Armeen hat ihn nur Pompeius erhoben und durchgesetzt (70 für die spanischen230, 59 für die östlichen231). Auch er siedelte auf italischem Boden an, aber teilweise auf Grundstücken, dieer dazu aus Beutegeldern erstand, teilweise auf den Resten des ager publicus232. Ob er es den Soldaten vorher versprochen hatte, ist unklar, sicher aber sah er es als Ehrensache an, diese von Marius proklamierte Fürsorgepflicht zu erfüllen. Wenn ein gewöhnlicher Consular seine Armee ohne Schaden mit einer herkömmlichen Abfindung entlassen konnte, so fand Pompeius gewiß, daß seine Vorzugsstellung undder Anspruch, Reichsfeldherr zu sein, eine weitergehende Bekümmerung um die Veteranen erforderlich machten. Außerdem brauchte er sie als Clienten. Daß auch ein staatsmännisches Motiv ihn bewegte, die Hoffnung, den Bauernstand zu mehren, sollte man endlich nicht ganz von der Hand weisen. 225Vgl. dazu bes. u. S. 203 ff. 226Vgl. nur Plut. Sulla 12, 6ff. u. evtl. Sall. hist. 1,50 M. (welche Äußerung Kritz Sulla zuschrieb). In ähnlicher Situation, aber später versprach L. Domitius Ahenobarbus seinen 227u. S. 247. Soldaten Landanweisungen aus eigenem Grundbesitz (Caes. b. c. 1,17,4). 228Cic. leg. agr. 2,78. 3,8. Cat. 2,20. Mur. 49. Sall. Cat. 16,4. 28,4. Brunt 82f. 229Vgl. dazu Smith a. O. 28ff. (Brunts Zweifel, a. O. 75, gegen die Unterscheidung zwischen standing und emergency armies gilt nur, sofern man diese zu schematisch auffaßt). 51 ff. Dabei ist anzumerken, daß, wo man die Soldaten oft nur im Wege der Aushebung gewinnen konnte (47f.), die Dienstzeit in der Regel kaum sehr lang gewesen sein wird (vgl.

auch Brunt 80). 230Dio 38,5,1 f. Plut. Luc. 34,3 (die Bestätigung mit der Ausführung verwechselnd). Gabba, Par. del Pass. 5, 1950, 66ff. Brunt a. O. 69,3. Dabei wurden auch die Soldaten des Metellus Pius bedacht. 231Vgl. o. Anm. 207. Zur Größe des Heeres: Gelzer, Pomp.2 257,40. 232Gelzer, Caesar6 65. 72f.

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Insgesamt läßt sich beobachten: der Wunsch der Soldaten nach Landversorgung wird damals bei vielen zwar ernsthaft und teilweise auch ein wichtiger Grund für den Eintritt in die Armee gewesen sein233; aber er war, außer vielleicht im Bürgerkrieg, nicht so stark, um innerhalb der Politik eigene Schwerkraft entfalten zu können. Und so weit er trug, hat er niemals die Besitzverhältnisse in Rom gestört. Darüber hinaus aber hegten die Soldaten keinen Anspruch, der über das normale Verlangen nach Beute und Geldgeschenken234 hinausging. Sie dachten auch nicht daran, etwas für andere zu fordern, etwa für die plebs rustica, aus der sie stammten235. Bei der plebs urbana waren sie noch dazu unbeliebt236. Andererseits waren in allen Fällen, in denen Ackergesetze für die Veteranen beantragt wurden, starke persönliche Interessen der Feldherrn im Spiel, und es ist noch bei Sulla und Pompeius durchaus nicht unwahrscheinlich, daß sie die Ansiedlungen nur als Ausdruck eigener Fürsorglichkeit, als Geschenk und Mittel, Clientel zuschaffen, betrachteten. Jedenfalls spielten die Veteranen eine politische Rolle nur als Werkzeuge ihrer Feldherren. Es fragt sich, wozu sie dienen konnten. Freilich konnten sie jetzt geschlossene Gefolgschaften bilden, die in den Comitien eine wichtige Rolle spielen mochten. Aber man darf das nicht überschätzen. Im Jahre 100 haben Marius’Veteranen zwar den Gesetzen des Saturninus zum Erfolg verholfen237, aber danach konnten sie es nicht verhindern, daß diese mißachtet wurden238. Und die Veteranen des Pompeius hatten erst Erfolg, als Caesar sie 59 rücksichtslos einsetzte239. Es hing also ganz von der Persönlichkeit des Feldherrn und seiner Helfer und von der Situation ab, wieviel diealten Soldaten ausrichteten. Dabei ist es auffällig, daß Marius’undPompeius’Veteranen unsnur in je einer Situation –in derihre eigene Sache auf dem Spiele stand –als erfolgreiche Minderheit in der Innenpolitik begegnen. Marius wurde von vielen der seinen später –im Jahre 87 –unterstützt, als er im Bürgerkrieg seine Rückkehr nach Rom erzwingen wollte. Pompeius’ Veteranen aber haben offensichtlich nach 59 keine nennenswerte Rolle in der Politik mehr gespielt, wohl auch nicht 49, als sie gegen Caesar zu den Waffen gerufen wurden240. Andererseits hätte Caesar gewiß einen viel weitgehenderen Gebrauch 233Brunt 82. 234Vgl. die o. Anm. 216 zitierten Belege. –Freilich wurden jeweils politische Parolen ausgegeben, zumal libertas scheint eine Rolle gespielt zu haben (Brunt 76), aber das wirkte sich politisch praktisch nicht aus. 235 Gabba 1951, 181 Brunt 78. 236RE 609. 237 u. Anm. 300. 238 o. S. 102. 239Historia 10, 1961, 82. Dazu u. S. 271. Interessant ist, daß Pompeius es 61 nicht wagte, die Veteranen, wie es Brauch war (Mommsen, St.-R. 1,129), zum Triumph nach Rom zu holen (Dio 37,21,1. App. Mithr. 578). Ob er sie 60 bei der Verhandlung über die rogatio Flavia zur Hilfe rief, ist sehr fraglich. 240Zu Marius: Badian FC 223f. Zu Pompeius vgl., daß er 56 seine Knüttelbanden nicht unter den Veteranen rekrutierte (Cic. Q. fr. 2,3,4), daß er sich 54 bei den Wahlen nicht oder

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vondiesem Werkzeug gemacht. Ob es ihm freilich dazu hätte verhelfen können, sich mit friedlichen Mitteln eine Vorzugsposition aufzubauen, ist sehr zweifelhaft241. Denn dazu hätte es nicht gereicht, in den Comitien dieses oder jenes Gesetz durchzusetzen oder diese oder jene Vollmacht sich geben zu lassen, sondern dazu hätte Caesar im Senat und in der gesamten Gesellschaft Kredit und Ansehen erlangen müssen –wenn er sich nicht mehr oder weniger mit Gewalt und Beharrlichkeit ihnen aufzwingen wollte. Mit anderen Worten: solange die alte Ordnung noch einigermaßen intakt war –und das ist sie bis 60 und in eingeschränktem Sinne auch danach noch gewesen – , fügten sich die Veteranen im ganzen darein. Aber sie bildeten eine Macht, die in der alten Republik nicht einfach integriert werden konnte. Sie bereiteten demSenat 103 und 100 manche Schwierigkeiten, trugen 59 wesentlich zum Aufstieg des Pompeius undCaesars und zur Erschütterung der überkommenen Verfassung bei und hätten dazu helfen können, diese vollends zu zerstören. Welche Bedeutung hatten nun die stehenden Armeen in der Politik? Sie waren im letzten Jahrhundert v. Chr. so weit aus demVerband der Gesellschaft herausgelöst, daß ihre Loyalität gegen die Feldherrn stärker sein konnte als gegen den Senat. So wurde es möglich, mit ihnen Bürgerkriege zu führen242. Aber bei genauem Zusehen ergibt sich, wie viele besondere Umstände erst zusammenkommen mußten, damit diese Möglichkeit ausgenutzt werden konnte243. In den 80er Jahren boten schwere akute Krisen und innere Zerwürfnisse den Ausgangspunkt dafür. Erst Caesars Übergang über den Rubico –der jedoch seinerseits auch wieder die Folge vorangegangener Krisen war 244–ging ganz auf die Initiative des Feldherrn zurück. Aber wenn es immer schwierig ist, aus der Verwendung eines Mittels auf seine Verwendbarkeit zu schließen, so wird dies fast unmöglich, sobald es sich nicht umein regelmäßiges, sondern

um ein ausnahmsartiges handelt. Sicher ist, daß seit Sulla ein sehr begabter Feldherr und Soldatenführer mit einer schlagkräftigen Armee alle Macht im Staate hätte an sich reißen können, wenn er es gewollt hätte. Allein Gelegenheiten zurBildung dieser Waffe undzur Knüpfung eines engen Zusammenhangs zwischen ihr und dem, der sie führen wollte, boten sich nur selten245. Und es ist mindestens höchst zweifelhaft, ob ein führender Politiker –undandere kamen ja als Feldherrn nicht in Frage –damit rechnen konnte, daß sich auf die Armee eine dauerhafte Macht hätte gründen lassen. So war die Eröffnung eines Bürgerkrieges nur als Verzweiflungstat nur wenig auf sie stützte (Att. 4,16,6). Für 49: Cic. Att. 7,14,2. Vgl. 21,1. 23,3; wohl auch 13a,2. Plut. Pomp. 59,2. Anders, aber in keiner Weise schlüssig: 8, 11 b,2. fam. 16,12,4. Vgl. 241Vgl. dazu u. S. 296ff. noch Caes. b. c. 1,14,4. 242Gabba 1951, 183ff. Brunt 75f., der aber die Schwierigkeiten, die damit verbunden waren, wohl unterschätzt. 243u. S. 273ff. 244Vgl. Einl. zu H. Simons Übers. von Caesars Bürgerkrieg, 1964, XVff. XLVIIff. 245 u. S.

241.

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denkbar. Aber auch daß man ohne Kriegshandlungen mit einer Armee Druck auf Rom ausübte, war nur in Ausnahmefällen möglich. Vor Sulla ist keiner auf diesen Gedanken gekommen, und dann hat einerseits Sulla es offenbar verboten, ein Heer nach Italien hineinzuführen246, und bedingten es andererseits die Erfahrungen des Bürgerkrieges, daß der, der es trotzdem tat, mit weitverbreiteter Ablehnung und Haß rechnen mußte247. So konnte Pompeius zwar im Jahre 71, da der Senat ihn zur Hilfe gegen Spartacus rief, seine Soldaten auf Rom führen und dann seine Wahl zum Consul durchsetzen248, aber 62 hat er dies nicht gewagt249 und damit gezeigt, wie gut er wußte, daß auch die dem Feldherrn ergebenen Berufsarmeen inder Politik nureinen Faktor unter anderen bildeten, mit dem nicht nur in der Regel nichts, sondern selbst in Ausnahmefällen oft nur wenig auszurichten war. Freilich wäre man ihm unter Umständen in der Furcht vor einem Marsch auf Rom in manchem entgegengekommen250, undCaesar hätte sich an seiner Stelle dieses Druckmittels sicher nicht so leicht begeben. Aber damit ist noch nicht gesagt, daß Caesar damals entscheidende Vorteile für sich hätte aushandeln können. Doch ist es wenig sinnvoll, sich diese Möglichkeiten genauer auszumalen. Mit der Veränderung der Heeresverfassung ist jedenfalls ein neuer potentieller Machtfaktor in die römische Politik eingeführt worden, der nicht mehr recht in die überlieferte Verfassung paßte, der vondurchschlagender Kraft sein konnte, aber nur in Ausnahmefällen entstand und noch seltener einzusetzen war. In den 80er Jahren war mit seiner Hilfe die bestehende Ordnung tief erschüttert worden, undindem er seitdem Unsicherheit verbreitete unddie maßgebende Stellung desSenats unddespolitischen Lebens der Stadt einschränkte, veränderte er die Verfassungswirklichkeit. Doch so banal es ist, angesichts vielfacher Überschätzung desmöglichen Einflusses derArmeen mußbetont werden, daß es nicht einfach von ihren Führern, sondern damit zugleich von der geistigen Verfassung der römischen Aristokratie und der Gesellschaft und insbesondere von den jeweiligen politischen Situationen abhing, wozu ein Heer politisch dienen konnte. Bis 50 war die alte Republik noch etwas ganz Selbstverständliches, und so war in den 80er Jahren selbst den Zielen der Bürger246 Athenaeum 40, 1962, 107,14. 247 Vgl. Dio 37,20,6. Athen. a. O. 107,14. 123. 248 Athen. 106ff. (vgl. u. S. 289). 249Es ist zu bezweifeln, ob Pompeius je ernsthaft erwogen hat, sein Heer auf Rom zu führen. Er hätte seine Rückkehr in die Innenpolitik lieber anders vorbereitet (Athen. 103 ff.) und hat, nachdem er damit gescheitert war, schon im Frühjahr 62 in einem Brief auf den Einmarsch verzichtet (Cic. fam. 5,7,1 mit Ath. 123,81). Gleichwohl grassierten die wildesten Gerüchte über seine Absichten (Plut. Pomp. 43,1. Vell. 2,40,3). Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Gegner diese Gerüchte –die darauf hinausliefen, er wolle eine Diktatur errichten – bewußt verstreut oder wenigstens genährt haben, um ihm einen Marsch auf Rom gänzlich unmöglich zu machen (Plut. § 2 m. Ath. 123,82). 250Nur die besondere Konstellation und darin das kräftige Eingreifen Catos haben dies

verhindert (s. Athen. 112ff.).

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kriegsführer eine enge Grenze gesetzt251. Darüber hinaus läßt sich vieles für die These vorbringen, daß Caesar –der dann über diesen Rahmen hinausging – eine ganz außerordentliche Persönlichkeit und sein Aufstieg durch das Zu-

sammentreffen besonders glücklicher (oder unglücklicher) Umstände bedingt war252. Aber andererseits ist nicht zu leugnen, daß die damalige Situation dazu angetan war, Männer dieses Schlages hervorzubringen253. Doch eben weil so vieles von der gesamten Situation abhing und weil die Erörterung von Ausnahme-Möglichkeiten nie in der Studie einer Verfassung aufgehen kann, muß hier ein relativ großer Rest stehen bleiben.

c) plebs urbana Von der politischen Rolle der plebs urbana endlich, der dritten Komponente des niederen Volkes, gewinnt man leicht den Eindruck, den Sallust in seinem Buch über die catilinarische Verschwörung mit folgenden Worten geschildert hat: Sie war insgesamt auf Umsturz bedacht, unddas entsprach ganz ihrer Art, denn immer sind im Staate diejenigen, die nichts haben, neidisch auf die Guten und heben die Schlechten empor, hassen das Alte, begehren mächtig nach Neuem. Aus Verdruß an der eigenen Lage trachten sie danach, alles umzuwerfen, durch Tumult und Revolten werden sie ohne eigene Bekümmerung gepäppelt, da ja Armut leicht ohne Einbuße erhalten wird. Die plebs in der Stadt überstürzte sich noch in dieser Richtung. Denn werirgendwo in Schande geraten war, wer sein Eigentum schimpflich verloren oder Verbrechen begangen hatte, alle die waren in Rom wie in der Bilge eines Schiffes zusammengeströmt, ebenso diejenigen, die das urbanum otium mit seinen zahlreichen Vergünstigungen (largitiones) einer Arbeit vorzogen. Sie und viele andere ernährte das allgemeine Unheil. Um so weniger ist es zu verwundern –so schließt er , daß diese Armen, von üblen Sitten und höchsten Erwartungen sarkastisch – erfüllt, für den Staat ebenso wie für sich selbst sorgten254. Zur Zeit Caesars waren es 320000 Familien, die in Rom verbilligt Getreide bezogen255. Die plebs urbana scheint also allein durch ihre Zahl ungewöhnliche Macht besessen zu haben. Es mutet daher auf denersten Blick nicht übertrieben an,wenn Matthias Gelzer im Hinblick auf sie von einer „sozialrevolutionären Bedrohung der römischen Gesellschaft“spricht256. Wie vertragen sich diese Daten aber mit der Tatsache, daß die aristokratische Prägung der res publica und die Vorherrschaft der Wohlhabenden bis zuletzt erhalten blieb undniemals ernstlich gefährdet wurde? 251Vgl. u. S. 233f. 259f. 263f. –230f. 236f. Vgl. 143f. 289f. 295ff. 252Vgl. i. E. den o. Anm. 244 zitierten Essay über Caesars Bürgerkrieg. 253Ebd. XLVII. 254 Cat. 37,1– 8. 255 Suet. Jul. 41,3. Brunt JRS 1962, 69. 256So der Titel seines Vortrags auf dem Historikerkongreß in Rom 1955 (s. Kl. Schr. 1,13. Dazu die modifizierende Bemerkung in der Diskussion Atti 251. RE 7 A 867f.).

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Im Gegensatz zu Sallust stehen Äußerungen Ciceros: An einer Stelle, die kaum zu tendenziösen Entstellungen Anlaß gab, in seinem Werk de legibus nämlich, hat er über die Einrichtung des Tribunats gesagt: inventum est temperamentum, quo tenuiores cum principibus aequari se putarent, in quo unofuit civitatis salus. invidia summus ordo caret, plebs de suo iure periculosas contentiones nullas facit257. Er macht zeitlich keine Einschränkung für die Gültigkeit dieser Feststellung. Danach scheint die plebs also eine Verbesserung ihrer politischen Stellung –so viel sie im einzelnen aufbegehren und fluchen mochte –nicht ernstlich angestrebt zu haben. Eine andere Äußerung besagt das gleiche über ihre soziale Lage. In seiner Rede de lege agraria vom Jahre 63 spricht Cicero nämlich vor versammeltem Volke davon, daß die Plebeier mit den süßen Vorteilen des hauptstädtischen Lebens, im Mittelpunkt der Welt, angesichts der trägen Freuden zahlloser Theateraufführungen und öffentlicher Wettkämpfe sowie im Genuß verbilligter Getreideverteilungen und anderer Spenden im Grunde zufrieden sein könnten258. Jedenfalls –so könnte man modifizieren –haben sie anscheinend, wenn sie es denn nicht waren, nicht gewußt, wie sie ihre Lage ändern sollten. Man darf auch diese Äußerungen nicht wörtlich nehmen. Die plebs urbana, oder jedenfalls größere Teile vonihr standen mit ihren Gefühlen durchaus in der popularen Tradition259. Immer wieder ist davon die Rede, daß die Taten und Reden der Popularen der Menge gefallen260. Die Gracchen, durch deren gewaltsame Hinrichtung –oder, wie die populares sagten, Ermordung –die causa populi ihre besondere Weihe und Bekräftigung erhalten hatte, wurden noch in der späten Republik in fast religiösen Formen verehrt261. Es galt als besonders demagogisch, wenn man sich als ihren Sohn oder Nachfahren ausgab262. Als Cicero im Brutus davon spricht, daß das Volksgericht den Consular L. Opimius, derdenentscheidenden Angriff gegen C.Gracchus geführt hatte, freisprach, fügt er den Konzessivsatz hinzu: cum is contra populi studium stetisset263. Wenn 257 leg. 3, 24. 258leg. agr. 1,71: vos ... retinete istam possessionem gratiae, libertatis, suffragiorum, dignitatis, urbis, fori, ludorum, festorum dierum, ceterorum omnium commodorum Die Alternative war damals freilich nach Cicero die Ansiedlung in dürren oder verseuchten Gebieten. Aber er hätte dem Volk diese Worte nicht sagen können, wenn sie wie offener Hohn gewirkt hätten. Vgl. ferner Liv. 3,1,7. Sall. Cat. 37,7. Cic. Verr. 2,3,215. off. 2,58. Dio

....

frg. 96 u. v. a. Tibiletti, Athen. 28, 1950. 211. Brunt, JRS 52, 1962, 72. Grimal, Röm. Kulturgesch. 371.400. 259s. RE Suppl. 10, 555f. 612. 260 RE 571. Dazu noch App. 2,20. 261Plut. Gracchi 39,3. (vgl. den Kult für Marius Gratidianus: Cic. off. 3,80. Sen. de ira 3,18. A. Alföldi, Studien über Caesars Monarchie, Lund 1953, 72). Vgl. 21,8 mit Brunt a. O. 70,19. Ferner die Belege bei Münzer RE 2 A 1424f. –Causa populi: RE 569. Zur Bedeutung von Gracchus’ Tod: Cic. rep. 1,31 (u. S. 131). Vgl. tog. cand. 9. 262Cic. Verr. 2,1,151. Vgl. Sest. 101. App. 1,141. 263Brut. 128 (dazu RE Suppl. 10,598,13, wodiese Stelle hinter Lael. 95 zu ergänzen ist). Vgl. Plut. Gracchi 39,3f. –Cic. Sest. 140.

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ihren Freunden etwas zustößt, ist die Masse noch nach vielen Jahren betroffen; demjenigen, der diese verteidigt hat, ist sie freundlich gesonnen264. In der späten Republik hängt sie an Pompeius wie später an Caesar und zeitweilig an Clodius265. Sie ärgert sich über die Übermacht und das rücksichtslose Gebaren führender Senatoren und freut sich, wenn man ihnen –wie zum Beispiel im Jahre 59 –hart zusetzt266. Für die Spontaneität gerade solcher Empörungen über potentia spricht, daß sie auch gegen populare Politiker heftig ausschlagen konnten; wofür der weitere Verlauf des Jahres 59 gute Anschauung liefert267. Ähnlich heftig reagiert die Masse auf Gerichtsurteile, die nach ihrem Empfinden ungerecht sind268. Sie besteht auch auf ihren Freiheitsrechten, etwa dem der geheimen Abstimmung oder dem besonders populären der provocatio269, und diese Rechte sind im ganzen immer respektiert worden270. Andererseits schreibt Cicero im Jahre 60, wenn er sich mit Pompeius und Caesar verbände, werde er pax cum multitudine haben271. Und es bedarf dieser und verwandter Aussagen nicht, um zu sehen, daß die plebs weitgehend unter dem Einfluß der Popularen stand. Letzten Endes hing es von ihnen ab, welche Meinungen oder Stimmungen in der einzelnen Situation im Volk erzeugt, gehegt oder erstickt und wie diese dann in Politik umgesetzt wurden272. Dies ergibt sich nicht einfach daraus, daß das Volk in Rom niemals wie etwa der attische Demos das Recht der Initiative erlangt hat273, denn das betraf die Ritter nicht weniger als die Masse der Armen. Es lag vielmehr an den Machtverhältnissen. Denn dieplebs urbana hatte keine eigene Dynamik, sie war nur ein gefügiges Werkzeug. Die Regeln der popularen Politik brachten es zwar mit sich, daß der popularis sich –im Sinne der seit den Gracchen sich entfaltenden popularen Tradition –gegen denSenat stellen unddemVolke schmeicheln mußte. Bei anspruchsvollen Plänen empfahl es sich auch, materielle Zusagen und Leistungen zubieten, etwa Getreidegesetze, Spenden oder die Beteiligung an Ackergesetzen, welche an sich für andere bestimmt waren274. Aber keiner der popularen Volkstribunen hatte primär oder nur wesentlich das Wohl der städtischen Masse im 264Cic. tog. cand. 9 Sch. Q. Cic. Com. Pet. 51. 265 RE Suppl. 10,587ff. 266 RE 612. Bes. Cic. Att 2,9,2: invidiosa senatus potentia. 267Cic. Att. 2,19,2f. 20,4. 21,1. 3f. Daher auch die gegen die großen Popularen gerichteten Beschuldigungen, diese wollten ein regnum errichten. Hierher mag ferner das Drängen des Volkes auf Entlassung der Heere im Jahre 70 gehören (App. 1,562ff. Plut. Crass. 12,5). 268 Cic. Att. 1,12,1 (vgl. 2,2,3). 16,11. Rosc. Am. 11. div. in Caecil. 8. Verr. 1,45. Cluent. 138f. fam. 8,2,1. Dio 39,63, 1f. vgl. 62,2. 269RE 600f. Wirszubski, Libertas 24 ff. Schulz, Prinzipien d. röm. Rechts 95 ff. 99ff. 270 RE a. O. (m. u. S. 147). Vgl. 611 zu Sulla. 271Cic. Att. 2,3,4. Vgl. prov. cons. 41. Cat. 4,9. 272 Vgl. Cic. Cluent. 77.138. 271Es gab nicht einmal das Recht freier Rede in der Volksversammlung: Wirszubski a. O. 18. Schulz 116. Entartungserscheinung: Cic. Q. fr. 1,4,3. Ein weiterer Unterschied war, daß die römische Volksversammlung stand, nicht saß (Cic. Flacc. 15f.). 274RE 591 f. Hinzuzufügen ist Dio 38,1,3 (Ähnlich wie Cic. Att. 1,19,4. leg. agr. 2,70. Vgl. dazu o. Anm. 207).

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Auge. Wenn man für die Rechte der Comitien eintrat, so handelte es sich um den Willen und die Begünstigung weitester Teile der Bürgerschaft275. Ti. Gracchus wollte nur den Bauernstand restaurieren, das heißt es ging ihm um die Erreichung einer alten Norm, um das, was das Volk sein sollte. Die andere Seite des Problems, was das Volk inzwischen zum Teil geworden war, eben die Existenz eines breiten städtischen Proletariats, interessierte ihn nicht276. Sein Bruder hat das dann zwar nachgeholt, indem er ihre Versorgung mit billigem Getreide gesetzlich verfügen ließ277. Aber soweit das nicht nur Taktik war, suchte er damit im Rahmen seiner umfassenden Konzeption zur Neuordnung des Staates278 auch der städtischen Masse gerecht zu werden. Alle anderen endlich, die der plebs urbana Vorteile zu verschaffen suchten, taten dies fast nur, um sie für ihre Pläne zu mobilisieren. Dabei ist es besonders auffällig, daß man diese Kraft, nachdem man sie einmal gerufen hatte, auch leicht wieder loswerden, gleichsam im Arsenal der popularen Politik wieder abstellen konnte. Sie besaß keine eigene Schwere, nicht einmal die Eigenbewegung der Trägheit. Denn niemals vermochte sie, die popularen Tribunen über die Situation hinaus, in der sie sie gebrauchten, zu verpflichten. Das ist nicht leicht zu verstehen. Warum hat dieses durch Armut und Not gequälte unruhige Volk sich seine Mitwirkung bei der Durchsetzung so vieler Absichten nicht teurer bezahlen lassen? Hat seine Kraft nicht ausgereicht, um wirklich ehrgeizige, fähige Politiker für sich zu gewinnen, das heißt: selbst zur Grundlage einer besonderen Politik (und nicht nur einer politischen Methode) zu werden? Wir wissen, daß die Ackergesetze auch beim Stadtvolk populär waren279. Manche mögen ernsthaft eine Siedlerstelle angestrebt haben, anderen ging es wohl nur um eine Rente. Man könnte sich ferner fragen, ob nicht eine Wirtschaftspolitik denkbar gewesen wäre, die Beschäftigung oder Investitionen zumAufbau von Werkstätten oder dergleichen geboten hätte280. Auch wäre es nicht ausgeschlossen, daß eine zugleich mächtige undarme Masse auf Erleichterungen etwa in Form von Mietbeihilfen oder -ermäßigungen gedrungen hätte281. Endlich hätte die plebs, um ihre Position zu verbessern, eine 274u. S. 128f. 135ff.. 276 Vgl. dazu Brunt 69f. (der vielleicht etwas zu weit geht). 277GCG 32f. Last CAH 9,57f. Heuß hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß es auch in

Rom schon länger als Aufgabe des Staates angesehen worden sei, dafür zu sorgen, daß der Getreidepreis nicht zu hoch stieg (Prop. Weltgesch. 4, 194. Vgl. Mommsen St.-R. 3, 502f.). Die Praxis der Aedilen war nur etwas dilettantisch und abhängig von den jeweiligen Möglichkeiten. Dagegen veranlaßte Gracchus nun mit seinem ungewöhnlichen Organisationstalent die Anlage von Silos (Plut. Gracchi 27,3. Festus 392 L.) und die Einführung einer Vorratspolitik aus Staatsmitteln. Zu möglichen hellenistischen Vorbildern: Hirschfeld, Kaiserl. Verwaltungsbeamte 230,1. Evtl. hat schon Ti. Gracchus daran gedacht, einen Teil der pergamenischen Erbschaft zu Geldspenden an das Volk zu verwenden (GCG 7f.). Vgl. allgemein: Sall. ep. ad Caes. 1,7,2. 8,6. 278u. S. 131ff. 279 RE 591 f. 608f. Dazu wohl Dio 38,1,3. Brunt 72 ist daher nur z. T. richtig. 280Vgl. Sall. ep. ad Caes. 1,7,2. Plut. Gracchi 27, 4 ff. (auch Arist. Pol. 1320a 35 ff.). 281Vgl. etwa die Pläne des Caelius 48: GeLzer, Caesar6 208f.

2. Das niedere Volk

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weitere Übertragung von politischen Kompetenzen auf die Comitien fordern können282. Wenn alle diese und andere Verbesserungen –von unbedeutenden Ausnahmen abgesehen283 –nie angestrebt worden sind, so lag das offenbar daran, daß dies angesichts der Überlegenheit von Senat und Rittern283a wenig aussichtsreich und jedenfalls für den Antragsteller sehr nachteilhaft gewesen wäre, daß folglich dieplebs zuschwach war, umeine entschiedene Politik zuihrem Vorteil herauszufordern oder nur zu tragen. Diese grundlegenden Machtverhältnisse waren so festgefügt, daß nach allem, waswirsehen können, die städtische Masse sich ganz undgar als Teil der bestehenden Ordnung verstand. Alle Mängel, die diese Ordnung aufwies und die von den Popularen immer wieder stark herausgestrichen wurden, schienen nicht deren Kern zu betreffen, sondern einzelne Fehler der jeweiligen Politiker284. Und eine Möglichkeit, die eigene Not nicht nur zu lindern, sondern zu beheben, sah man anscheinend nicht. So hatte der Geist der überkommenen Verfassung Macht auch über die Gemüter des Volkes. Daher erklärt es sich, daß Senat und Magistrate mit der Masse immer ohne nennenswerte Polizeikontingente ausgekommen sind285, daß das Volk nie die Initiative bei Wahlen oder Gesetzesanträgen gewann. Dazu stimmt es ferner, daß dieplebs urbana den Senat unddessen principes hoch geschätzt undverehrt und sich ihrer Führung selbstverständlich gefügt hat. Als Marius und andere im Jahre 108 das Volk von Rom durch Briefe gegen Metellus Numidicus aufstachelten, war diesem seine vornehme Abkunft nach Sallust aus einer Zierde zu einem Gegenstand des Hasses geworden. Als er aber im Jahre darauf nach Rom zurückkehrte, wurde er wider sein Erwarten auf das Freundlichste empfangen und war Senat und Volk gleich lieb, da sich die invidia inzwischen verflüchtigt hatte286. Dieses Beispiel ist um so wertvoller, als es jener Zeit entstammt, für die gerade Sallust bezeugt, daß man „damals zuerst dem Hochmut der Nobilität entgegengetreten ist287. Ähnliches wird auch sonst berichtet. In den 60er Jahren waren zum Beispiel Q. Catulus und Q. Hortensius die heftigsten undprominentesten Gegner der popularen Politik. Trotzdem stand Catulus damals auch bei derplebs in hohem Ansehen288, undvon Hortensius heißt es im Jahre 51, er habe von Pfeifkonzerten unberührt das Alter erreicht289. Und so sehr Nobilität, Reichtum undder Besitz großer Clientelen denEinzelnen inVerruf bringen konnten290, so sehr faszinierten altadlige Abkunft, prächtiges Auftreten mit zahlreichem Gefolge und die kostspielige Inszenierung von Spielen 282Vgl. RE 603. Eingreifende Veränderungen schafft erst Caesar nach 46 (Suet. Jul. 42,1), unklar wie weit nach Wunsch der Betroffenen. 283RE 603ff. (Dazu evtl. Plut. Gracchi 16,1 mit u. Anm. 410). 608ff. (mit u. Anm. 422). 283a Vgl. u. S. 146ff. 284 Vgl. RE 594ff. 610f. 285Strasburger RE 18, 795, dazu aber u. S. 157. 286 Sall. Jug. 73,3f. (vgl. 65,3f.). 88,1. 287 ebd. 5,1 (vgl. Note 11, u. S. 315f.). 288Vgl. Gelzer Pomp.2 72. 289 Cael. bei Cic. fam. 8,2,1. 290 Rhet. ad Her. 1,8.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

und Wettkämpfen gerade die plebs urbana291. Unter den Gesichtspunkten, die sie bei den Wahlen bestimmten, wird unter anderem die Weise, in der der Kandidat sich für Freunde und Hilfesuchende eingesetzt hat, erwähnt292. Viele ihrer Angehörigen waren Clienten von Senatoren293. Die tägliche Mühewaltung um den Einzelnen und daneben der Respekt, mit dem man nach außen dem Volke begegnete294, waren wichtige versöhnliche Momente zwischen dem Senat und der Masse auch der armen Bevölkerung der Stadt. Wenn die plebs 121 C. Gracchus im Stich ließ295, so mag man darin die Reaktion auf die furchterregenden Maßnahmen des Consuls Opimius sehen. Aber wenn sie 63 den Ackerantrag des Servilius Rullus fallen ließ, als Cicero gefolgt vom Senat in die Contio kam und alle Mittel seiner Rhetorik entfaltete296, so zeigte sie damit, wie wenig sie sich der Autorität des Senats entziehen konnte. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat sie sich durch mutiges Auftreten von Gegnern imponieren und umstimmen lassen297. In allen diesen Fällen stand die plebs urbana freilich für sich. Waren dagegen weitere Interessen mit starken Anhängerschaften im Spiel, so waren der Senat und seine stärksten Persönlichkeiten machtlos. Aber gerade das ist nun wieder höchst bezeichnend –undwird , daß bei den großen erfolgreichen popularen zu Unrecht allgemein übersehen – Aktionen die städtische Masse niemals die alleinige oder ausschlaggebende Kraft der Gegner des Senats gewesen ist. Die „Schiffsjauche der Stadt“(sentina urbis)297a hat keineswegs die wichtigsten Entscheidungen über Roms Politik und das weltweite Imperium getroffen. Die beiden Gracchen stützten sich auf ländliche Bevölkerung, Gaius auch auf die Ritter298. In dem Jahrzehnt vor 100 wurde die Opposition gegen den Senat offenbar von weiteren Schichten getragen299. Saturninus hat seine Gesetze vornehmlich mit Hilfe der Veteranen des Marius durchgebracht300. Bei den verschiedensten Gelegenheiten, so außer 291Vgl. etwa die Beliebtheit des Lucullus beim Volk (Val. Max. 7,8,5. Plut. Luc. 43,3). Cic. Mur. 68ff. Q. Cic. Com. Pet. 50ff. (Ciceros Bewerbung sollte pompae plena .. illustris .. 292o. S. 10. splendida .. popularis sein). O. A. 10, 21. 8, 8. 9. 293Vgl. Cic. Mur. 70f. Sall. ep. ad Caes. 2,5,4 f. Taylor, Party Politics 42 ff. 294RE 597. Bes. Cic. leg. agr. 2,1 ff. 295 Plut. Gracchi 37. Dazu aber 39, 3 f. 296 Plut. Cic. 12,6. Vgl. auch Gelzer RE 7 A 869f. 297z. B. Athenaeum 40, 1962, 122 (ferner App. 2,25. Plut. Cic. 13,4. 19,4. Caes. 14,12). Cic. Brut. 222. Asc. 25 (GCG 127). Gelzer Kl. Schr. 2, 276 f. 297a Cic. leg. agr. 2,70 (der Inhalt der Äußerung ist sicher falsch. Vgl. auch Luc. 144). Att. 1,19,4. 298 Strasburger RE 18, 790 ff. Gelzer a. O. 92. (dazu noch Cic. Cat. 4,4. –o. S. 76). 299 u. S. 135ff. 300 Plut. Mar. 28, 7. App. 1, 132. Vgl. 133f. 139f. 143. Appian geht von einem Gegensatz ίaus. Ἰτα ο ο ιϰ ίwird entweder auf Verwechsλ τιϰ σ ο ιϰ ιund ἀ ρ ο γ ίbzw. ἄ zwischen Ἰτα ο ιϰ λ lung (Gelzer, Kl. Schr. 2,75. 91ff. 3,289) oder auf Verleumdung (im Stile von Sall. Jug. 40,2. 42,1, s. Note 3, u. S. 308) zurückgehen. Richtig ist aber gewiß, daß die vom Lande kommenden Veteranen (vielleicht auch Teile der übrigen plebs rustica) den Kern der Anhängerschaft des Saturninus ausmachten. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, daß die plebs urbana gegen

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in der Zeit vor 100 im Jahre 91 bei der Abstimmung über die lex Varia, im Jahre 88, bei den Reformen von 70 und der Verleihung der großen Kommanden an Pompeius 67 und 66, stellten die Publicanen mit ihren Anhängerschaften ein wichtiges, wahrscheinlich entscheidendes Kontingent301. Wie schwach er ohne die Unterstützung der Ritter war, sollte Pompeius vor und nach seiner Rückkehr aus dem Osten erfahren, bis er bereit war, seine eigenen Veteranen einzusetzen302. Wesentlich mit deren Hilfe erzielte Caesar seine popularen Erfolge im Jahre 59303. 58 und in den anschließenden Jahren waren es dann verschiedentlich organisierte Banden, auf die die Tribunen sich stützten304. Dabei hätte schon ein Bruchteil der 320000 Getreideempfänger der späten Republik genügt, um das Forum bei Abstimmungen rein körperlich zu füllen. So wird deutlich, daß die „elende und dürftige plebs“ 305 nicht dazu taugte, auch nur große Einzelaktionen gegen den Senat zu tragen. Man konnte nicht auf sie verzichten –nur durch sie erreichte man im Zweifelsfall die Mehrheit , aber ihre Mitwirkung war nur eine und nicht unbedingt die in den Comitien – wichtigste Bedingung popularer Politik. Diese Schwäche nun war nicht nur durch die Machtverhältnisse, sondern zugleich durch die Beschaffenheit derplebs urbana bedingt. Es wirkte sich darin aus, daß diese aus den verschiedensten Menschengruppen zusammengewürfelt war, darunter nicht zuletzt zahlreiche Freigelassenen, die aus aller Herren Länder stammten306. Außerdem taten Getreideverteilungen –an denen sich bald , Spenden und auch der Senat und die Verfechter seiner Politik beteiligten307 – Vergnügungen das Ihre, um Willenlosigkeit und eine Stimmung zu erzeugen, die im Effekt der Zufriedenheit gleichkam. In der „durch private und öffentliche Vergünstigungen anziehenden städtischen Muße“ließ es sich gut leben308. den Tribunen gestanden habe (so Badian FC 207). Dagegen: Plut. 14,2. 28, 7. 29,9 sowie ιτιϰ λ ο Rhet. ad Her. 1,21 (Getreidegesetz, vgl. Brunt JRS 52, 1962, 70,10). Unter dem π ς ὸ ί, die nach Appian dem Tribunen so heftigen Widerstand entgegenο τιϰ σ ὄ λ ο χ ς, den ἀ το ι Plutarchs (29,10) zu verstehen, die boni (o. Anm. 70). τισ έλ setzten, sind daher eher die β Vgl. dazu allg. RE Suppl. 10, 598 (wo Plut. Pomp. 52,2. Tac. hist. 1,4,3 zu ergänzen ist) 302 Vgl. Athen. 40, 1962, 120ff.; u. S. 271 ff. 301o. S. 86. und bes. o. S. 75. 303 Plut. Pomp. 48,1. Caes. 14,10.14. Luc. 42,6. Historia 10, 1961, 82f. 304RE Suppl. 10, 615. Dazu Cic. Att. 4,3,2ff. Q. fr. 2,1,3. 3, 2ff. 3,6[8],6. –Für die Zeit 46 (67). Sull. 68 (66/65). Att. 1,13,3. 14,5 (61). Allg.: F. B. Marsh, davor: Cic. Cornel. 1, 43– The Gangster in Roman Politics, Class. Journ. 28, 1932, 168ff. 305 Cic. Att. 1,16,11. 306Taylor, Hommages J. Bidez et F. Cumont 323ff. Voting Districts 132ff., bes. 141. Brunt JRS a. O. 70 (wohl etwas übertrieben). Vgl. Cic. Flacc. 17. Tertull. ad nat. 1,10. Apol. 6,8. Arnob. adv. nat. 2,73. Ferner: Sall. ep. ad Caes. 2,5,6: multitudo .. in artis vitasque varias dispalata, nullo modo inter se congruens, 11,3. 307App. 1, 122. Liv. per. 70f. (vgl. Dio frg. 96. Flor. 2,5 = 3,17). GCG 256. Plut. Cato min. 26,1. Caes. 8,6f. praec. reip. ger. 24, 818 D. Auch Cic. off. 2,72 mit Brut. 222. Gelzer Caesar6 32. Vorher schon: Scullard, Rom. Pol. 23f. 308Sall. Cat. 37,7. App. 2, 505. Cic. Sest. 103 (frumentaria lex: iucunda .. plebei, victus enim suppeditabatur sine labore, repugnabant boni, quod et ab industria plebem ad desidiam 8 Meier

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III Die übermäßige Extensivicrung der res publica

So mochte die plebs urbana also zwar Unruhe stiften und für zündende Parolen anfällig sein. Gassensteher309, Handwerker und Krämer mochten bei vielen Gelegenheiten Consuln und mächtige Senatoren mit feindlichen Blicken verfolgen oder gar auspfeifen310 (was freilich wohl selten war), wenn sie ihnen Unrecht zu tun schienen –aber das alles waren nur Bewegungen an der Oberfläche. Und so sehr die plebs in der popularen Tradition stehen mochte, darin gab es keine Konsequenz, weder der Sache311 noch der Haltung nach. Solche Konsequenz ist vermutlich auch nichts Natürliches, vielmehr in der Geschichte nur selten möglich. Man muß sich nur vor Augen halten, daß die Zustände, an die wir aus unserer Erfahrung gewöhnt sind, die Ausnahme, nicht die Regel bilden312.

Entsprechend war es für die popularen Tribunen meist nicht leicht, weitere Teile des Volkes zu mobilisieren313. An dem täglichen populariter agere314 hat vermutlich nur ein Bruchteil der städtischen Masse teilgenommen, die plebs contionalis315. Diese scheint sich vor allem aus den tabernarii, den kleinen Krämern aus dem Umkreis des Forums, zusammengesetzt zu haben. Es war charakteristisch für a ufrührerische‘Volkstribunen, daß sie im entscheidenden ‘ Moment die Schließung der tabernae anordneten. In jenen Leuten, die man in der guten Gesellschaft als exules, servi, insani, multitudo imperita oder sentina urbis bezeichnete316, lag der Stoff zu Unruhe und Wirren bereit, von dem Sallust in seiner berühmten Schilderung der plebs spricht. Zu ihnen gehörten Schlechten“, die mit Catilina sympathisiert hatten, die dann alle viele der „ Angriffe gegen Cicero unterstützten und von ihm so sehr gefürchtet wurden317. avocari putabant et aerarium exhauriri videbant. Für die Bedeutung des aerarium als membrum rei p. vgl. har. resp. 60. Sest. 98. Cat. 2,25. Phil. 4,14. off. 3,88. Dazu noch: Sall. Jug.

41,7. hist. 1,55,13). 309 Vgl. Cael. bei Cic. fam. 8,9,5 (columnarii). Cic. Cael. 21. Juv. sat. 1,2,51 f. 310Vgl. Cael. bei Cic. fam. 8,2,1. 311 RE Suppl. 10, 599 ff. 312 Daher sind auch die verschiedenen Aussagen über die egentes atque improbi (Cic. leg. agr. 1,22) und die von den Armen drohende Gefahr (z. B. Plut. Caes. 8,6. Cato min. 26,1) nur insoweit ernst zu nehmen, als gewisse Unruhen und Wirren einmal von diesen ausgehen konnten. Zu Cic. leg. agr. 2,70 s. o. Anm. 297 a u. Anm. 316. 313 RE a. O. 612ff. 314 Ebd. 590f. 315 Ebd. 614. 316 Ebd. Cic. Luc. 144: expromam primum illa invidiosa, quod eos omnes qui in contione stabunt exules servos insanos esse dicatis. –dom. 54 –Cic. Att. 1,19,4 vgl. leg. agr. 2,70 (Beispiel für die Luc. 144 beschriebene Taktik!), Sall. Cat. 37,5 –vgl. Att. 1,16,11 (illa contionalis hirudo aerarii, misera ac ieiuna plebecula), 8,3,4. 10,8,6 –Q. fr. 2,5,3 [4,5] (.. apud perditissimam illam atque infimam faecem populi). 317 Sall. Cat. 37 (vgl. für die frühere Zeit hist. 1,77,7). Cic. Cat. 1,32. 4,22. Att. 1,16,6– 7. 11. 19,8 (odium in me improborum; zur Jugend ebd. noch 1,14,5. 2,7,3. Cael. 10ff.). sen. grat. 33. Sest. 43 u. v. a. –Da Cicero seine Lage regelmäßig verallgemeinerte, sich selbst mit der res publica identifizierte und nicht einsehen wollte, daß seine persönliche Gefährdung für Senat und Bourgeoisie nur ein Problem unter anderen war, stellt er in Reden und Briefen die Dinge viel prinzipieller dar, als sie waren, und betont über Gebühr die Bedeutung der Gegensätze zwischen Senat und Volk oder vielmehr: zwischen Guten und Schlechten (dazu

2. Das niedere Volk

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Diese potentiellen Aufrührer waren überall dabei, wo etwas mit Geschrei und Gewalt gegen den Senat in Szene gesetzt wurde. Sie gewannen an der popularen Politik besonderes Vergnügen und zogen Vorteile daraus. Sie waren zum Teil auch in Vereinen organisiert, die als Kader oder Banden eingesetzt werden konnten318. Dabei wurden die popularen Kerntruppen natürlich gerne als „ das die plebs urbana“a usgegeben. Sie werden freilich selten Volk“oder wenigstens „ zur Gesamtheit der städtischen Masse im Widerspruch gestanden, werden auch kaum anders als deren Gros die bestehende Ordnung als selbstverständlich angesehen haben. Aber durch ihr Interesse und die Entschiedenheit ihrer Beteiligung an der Politik unterschieden sie sich doch so sehr von den übrigen, daß es gut ist, plebs urbana undplebs contionalis auseinanderzuhalten.

* Einerseits also, so ergibt sich, verstanden sich Ritter wie Bauern, Veteranen wie plebs urbana bis in die späte Republik noch ganz im Rahmen der alten Ordnung und waren praktisch zufrieden darin. Andererseits gingen von ihnen allen –am wenigsten noch von der plebs urbana (die nur jeweils mittat) –empfindliche Störungen der Politik und der Machtverhältnisse aus, auf die jene Ordnung zugeschnitten war, ja in denen sie zum guten Teil bestand. Wie ist das zu verstehen, was folgt daraus für die Verfassungswirklichkeit der Zeit? Wenn weiterhin jetzt deutlich ist, daß sich in der späten Republik keine Revolution abspielte, so fragt es sich, worin denn dann die Besonderheit der Politik seit Ti. Gracchus bestand. Tacitus spricht in Hinblick auf diese Zeit von assidua senatus adversus plebem certamina319. Zahlreiche Gesetze wurden auf popularem Wege gegen den Senat, zum Teil mit Gewalt durchgesetzt, endlich kam es so weit, daß die Volksversammlung einzelnen mächtigen Herren direkt oder indirekt außerordentliche Macht verschaffte und dabei zunehmend auch in die Außenpolitik eingriff320. Was bedeutete also die populare Politik damals? Was besagt es, daß sich Minderheiten auf diesem Wege gegen den Senat durchsetzen konnten? Und auf welchen Nenner ist die lange Reihe heftiger, zum Teil blutiger Auseinandersetzungen zu bringen? Gelzer RE 7A 864f. 947f.). Eben die egozentrische Überschätzung dieses letzteren Gegensatzes hat zum guten Teil zu den Illusionen beigetragen, die Cicero über die Haltbarkeit und Wirksamkeit der concordia ordinum hegte. Er machte gern die Nebensache (hier die Nachwirkung der catilinarischen Verschwörung und das anarchische Treiben des Clodius) zur Hauptsache und verkannte dabei die zentralen politischen Probleme. 318 RE 614f. Zu den collegia noch: Taylor, Party Politics 43f. Accame, La legislazione rom. intorno ai collegi nel I. sec. a. C. In: Boll. Mus. Imp. Rom. 13, 1942, 13ff. A. Alföldi, Schweizer. Münzbl. 5, 1954, 30f. sowie –in gutbürgerlicher Entrüstung –vor allem über die Mißstände: Kroll, Kultur d. ciceron. Zt. 2, 96ff. 319dial. 36, 3. Vgl. Sall. Jug. 41,1: mos partium, dazu Note 2, u. S. 307f. 320Vgl. Montesquieu, Größe und Niedergang Roms, übers. v. L. Schuckert 74 8*

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

3. DIE POPULARE METHODE UND DIE GROSSEN THEMEN DER POLITIK IN DER SPÄTEN REPUBLIK

Die populare Politik war eine Methode, eine Modalität, politisch zuhandeln undzwar: seinen Willen gegen die Senatsmehrheit durchzusetzen. Manbezeichnet sie am besten als populariter agere321. Sie erschöpfte sich oft darin, daß Volkstribunen durch heftige „populare“Agitation Druck auf Senat, Magistrate oder ein Gericht auszuüben suchten322. Aber vielfach, und in den wichtigen Fällen, verfolgte sie das Ziel, durch die Comitien Anträge beschließen zu lassen, mit denen man im Senat gescheitert war oder für die im Senat keine Aussicht bestand. Diese Methode, die es seit den Ständekämpfen –in freilich sehr stark wechselnden Formen und Dimensionen –wohl immer gegeben hat, wurde ermöglicht durch sehr eigentümliche Bedingungen der römischen Verfassung: Die Volkstribunen hatten offenbar das Recht, über sehr viele Gegenstände, beliebig Anträge zu stellen, genauer: wir wissen nicht und können nicht annehmen, daß (von vereinzelten unwichtigen Bestimmungen abgesehen323) irgendwelche Materien ausdrücklich von ihrem Rogationsrecht ausgenommen gewesenwären; undso Vieles ihnen durch andere als gesetzliche Schranken verwehrt gewesen sein mag, sobald etwas wahrhaft strittig war, konnte ihnen offenbar keiner die Kompetenz bestreiten, darüber ein Gesetz zu beantragen. Und die von ihnen präsidierten plebeischen comitia tributa durften seit 287 über alle ihnen vorgelegten Anträge die Gesamtgemeinde bindende Beschlüsse fassen324. Voraussetzung der popularen Methode war also, daß zwischen Senat und Comitien eine erstaunlich weitgehende Konkurrenz bestand. Wenn auch im Normalfall bis zuletzt als Regel galt: pauca per populum, pleraque senatus auctoritate et instituto ac more (Cic. rep. 2,56), so konnte das Volk theoretisch doch anscheinend über alle Fragen einschließlich derer, die gewohnheitsmäßig zur Domäne des Senats gehörten, auch gegen den Senat entscheiden undhat dies verschiedentlich –und nicht erst in der späten Republik –getan. Wo Volks321RE Suppl. 10, 549 ff. bes. 569. 322 Ebd. 591. 323Vgl. G. Nocera, Il potere dei comizi e i suoi limiti, Milano 1940, 31. 69ff. 324Mommsen St.-R. 3, 159,1. Wesentlich daran ist weniger, daß Comitien, zu denen die Patricier keinen Zugang hatten, künftig solche Beschlüsse fassen konnten, sondern daß diese Comitien nicht der auctoritas patrum unterlagen: Es ging also um die Emanzipation

des Rogationsrechts von denpatres. –Da die Beschlüsse der Comitien ursprünglich nur kraft patrum auctoritas Gesetz wurden und da sie nur auf Rogation der –im ganzen dem Senat ergebenen –Magistrate gefaßt werden konnten, hat man der Volksversammlung in alter Zeit gewiß keine Grenzen zu setzen brauchen (zumal die bestehende Ordnung wohl zum größten Teil selbstverständlich war). Diese Unbeschränktheit der Vollmacht scheint dann 287 auf die concilia plebis übertragen worden zu sein, da die lex Hortensia doch wohl nur die Beschlüsse der einen Comitien denen der anderen in der bindenden Wirkung gleichstellte.

3. Populare Methode und Themen der Politik in der späten Republik

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Die rechtmäßige Gegesetz gegen Senatsbeschluß stand, galt das Gesetz324a. „ walt des gesamten römischen Volkes ist die höchste“(universi populi Romani potestas ... est maxima), sagt Cicero einmal (dom. 80), wobei er nur gewisse Freiheitsrechte von dessen Entscheidungsbefugnis ausnimmt. Sallust spricht von der summa potestas der Volksversammlung (ep. ad Caes. 2,3,2), und populare Tribunen haben bei verschiedenen Gelegenheiten behauptet, daß die Volksversammlung alles könne, auch in Übertretung der von ihr selbst früher gegebenen Gesetze325. Daher scheint Alfred Heuß recht zu haben, wenn er schreibt, daß „das objektive Staatsrecht die Souveränität des Volkswillens anerkannte“326. Diese Beobachtungen aber werfen verschiedene schwierige Probleme auf, sowohl für die Periode der heftigeren popularen Politik seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts, in der verschiedene weitgehende Anträge vor die Volksversammlung gebracht wurden, als auch für die Zeit davor.

a) Die Stellung der Volksversammlung in der römischen Verfassung vor der Mitte des zweiten Jahrhunderts 327

Denn wie kann ein Volk souverän sein, das tief von mannigfaltigen Verpflichtungsverhältnissen durchwaltet ist? Das Gleichheit vor allem privatrechtlich versteht und sich im öffentlichen Leben die verschiedensten Rangabstufungen gefallen läßt328? Wie verträgt sich die anscheinend vorhandene Volkssouveränität mit der Tatsache, daß die politische Ordnung Roms bis in die späte Republik hinein ganz aristokratisch geprägt war und darin auch vom Volk respektiert wurde? Heuß spricht an der zitierten Stelle weiter von einer Modifizierung des objektiven Staatsrechts durch den Senat und meint, diese nur auf die Gewohnheit berufen“können. Aber abgesehen von dem habe sich „ Zweifel, ob die Geltung der Gewohnheit in Rom in diesem Zusammenhang nur“eingeschränkt werden darf, ist zu fragen, ob nicht allein durch das Wort „ derUmstand, daßMagistrate undSenat niemediatisiert wurden, ihre Macht also nicht von der Volksversammlung hatten329, schon entscheidend gegen die Be324a Und gegen den vollendeten Volksbeschluß kann –anders als beim Senatsbeschluß – nicht intercediert werden (Bleicken, Volkstribunat 7f. Nocera 178ff.). S. a. Polyb. 6,16,3. 325 RE Suppl. 10, 574. 598f. 604. Vgl. Cic. Rab. perd. 5: Quirites, quorum potestas

proxime ad deorum immortalium numen accedit. Sall. ep. 2,5,5. 326Prop. Weltgesch. 4,199. 327Im folgenden Abschnitt spielen Resultate eine Rolle, die sich mir bei Untersuchungen

über die Besonderheiten der „gewachsenen Verfassung“in Rom ergaben. Sie sollen an anderer Stelle näher begründet werden. 328 Vgl. Wirszubski, Libertas pass., bes. 13ff. 31 ff. Wieacker, Vom röm. Recht2 28ff. 329Cic. leg. agr. 2,17 besagt (gegen Lübtow, Röm. Volk 192f.) nur, daß der einzelne Magistrat sein Amt dem Volk verdankt. Die Amtsgewalt bestand unabhängig davon (vgl. auch u. S. 120). Sie ist zwar im Laufe der Zeit eingeschränkt, aber nie definiert (vgl. RE Suppl. 10, 606f.), geschweige denn vom Volk abgeleitet worden. –Übrigens muß man bei der zitierten Stelle auch bedenken, daß sie einer Rede vor dem Volk entstammt (vgl. Athenaeum 40, 1962, 105,8).

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

hauptung einer Volkssouveränität spricht. Kann man nämlich einem Organ Souveränität vindizieren, neben dem andere Organe sui iuris nicht nur existieren, sondern überlegene Macht besitzen und im Kleinen wie im Großen die wichtigsten Entscheidungen –auch über die Fortbildung der Verfassung330 – treffen? Einem Organ zudem, das von sich aus gar nicht in Funktion treten kann, da es nur von einem Magistrat oder Volkstribunen, das heißt in der Regel einem Angehörigen des regierenden Adels, einberufen werden darf und da ihm das Recht der Initiative und des Amendements gänzlich mangelt331? Aber es geht hier nicht um das Wort „Volkssouveränität“und seine Anwendbarkeit auf Rom. Manmüßte sonst zunächst bestimmen, wasSouveränität undim besonderen Volkssouveränität sei, undschon das würde in die schwierigsten Erörterungen führen332. Es fragt sich auch, unter welchen Umständen es überhaupt Souveränität geben kann, denn manches spricht dafür, daß Begriff und Wesen der Souveränität nur in bestimmten Zeiten und bei bestimmten Ausprägungen der Staatlichkeit entstehen können333. Weiter würde die Frage nicht zu umgehen sein, wie weit die römische Republik überhaupt einen Staat gebildet habe334. Danach würde sich das Problem der Übertragbarkeit von Begriffen einer Zeit auf eine andere stellen. Und endlich und vor allem würden die eigentlichen Fragen erst dann beginnen: Worin bestand, wie weit reichte die , Souveränität des römischen Volkswillens –wenn es sie denn gegeben hat – worin war sie beschränkt, worin konnte sie sich auswirken? Wieweit besaßen andere Verfassungsorgane Rechte, die zu den Merkmalen der Souveränität gehören334a? Mit andern Worten: in diesem Zusammenhang kann es nur darum gehen, unabhängig von der Problematik der Souveränität die Rolle der Volksversammlung in der römischen Verfassung zu bestimmen. Interessant erscheint dabei ein Ausspruch, dender Jurist P. Mucius Scaevola, Consul von 133, nach dem Zeugnis des Plutarch getan hat, als man ihn bewegen wollte, mit Gewalt gegen Ti. Gracchus vorzugehen: Er werde keinen civis indemnatus töten335; wenn jedoch die römische Volksversammlung, von Ti. 330 Vgl. etwa die Centurienreform (RE Suppl. 8, 575), die Regulierung der Ämterbewerbung vor 180 (Rögler, Klio 40, 1962, 76ff.), die Prorogierung von Imperien durch den Senat (Mommsen, St.-R. 1, 642f.) u. v. a. 331 Siber, Röm. Verfassungsr. 11. Lübtow a. O. 248 ff. Schulz, Prinzipien des röm. Rechts 116ff. Es kommt hinzu, daß gegen jeden Antrag intercediert werden konnte (vgl. u. S. 157f.). 332 Vgl. H. Krüger, Ber. d. deutschen Ges. f. Völkerr. 1, 1957. Allg. Staatslehre 853ff. 333 Vgl. vor allem C. Schmitt, Pol. Theologie 1ff. 49ff. Verfassungsl. 107. O. Brunner, Land und Herrschaft4 141 ff. 243. 387 ff. 334Vgl. Krüger 1 ff. 9. Schmitt, Positionen und Begriffe 51. 334a Vgl. Lübtow 309. U. S. 147. 335 Eigenartig ist, daß er seine Auffassung darüber nachher geändert hat (Cic. dom. 91. Flacc. 88. Und zur Exekution gegen C. Gracchus: Dig. 24,3,66). War das ein Ausdruck senatorischer Solidarität gegenüber heftigen Angriffen (u. S. 131)? Vermutlich fassen wir hier ein Stück der Überlegungen, die dann zur Konzeption des senatus consultum ultimum führten (vgl. dazu auch Heuß, Propyl. Weltgesch. 4, 190).

3. Populare Methode und Themen der Politik in der späten Republik

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ό Gracchus überredet oder genötigt, etwas Widerrechtliches beschließe (ψ ιτ α η ίσ φ ν μ ω ), werde er dies nicht als gültig ansehen336. Die Abstimmung, ό ν α ρ α νπ τ ι τῶ umdie es dabei ging, scheint allerdings nicht ein Gesetz, sondern nur eine Wahl zum Thema gehabt zu haben 336a. Scaevolas Ausspruch besagt also nicht, daß das Volk nicht über alles gültige Gesetze beschließen, sondern bestenfalls, daß es bei den Wahlen nicht die bestehenden Gesetze übertreten durfte. Gleichwohl herrschte offenbar die Überzeugung, daß das Volk zahlreiche Rechte und Institutionen nicht antasten dürfe336b. Verschiedene davon hat Guglielmo Nocera in seinem aufschlußreichen Buch: Il Potere dei Comizi e i suoi Limiti (Mailand 1940) herauszuarbeiten versucht337. Daran mag einiges fragwürdig sein, aber sicher ist jedenfalls, daß in der klassischen Republik –etwa von 366 bis 133 – (und, wenn auch unter anderem Vorzeichen und gewissen Einschränkungen, bis in die Zeit Caesars338) der Kern und alles Wesentliche der Verfassung stets vorausgesetzt wurden: das Senatsregime mit all seinen Implikationen samt der Autorität des Adels, die umfassende Vollmacht und Eigenständigkeit der Magistrate einschließlich der Volkstribunen339, darunter die Tatsache, daß sie allein die Initiative für Gesetzgebung und Wahl340 besaßen, andererseits die Grundsätze der Annuität und der Collegialität, das korporative Prinzip der Volksversammlungen mit allen merkwürdigen Einzelheiten, die Bindung an die Religion (die es zum Beispiel mit sich brachte, daß ein in bezug auf sakrale Normen fehlerhafter Volksbeschluß vom Senat annulliert werden konnte341) und vieles andere. Diese gesamte Grundordnung nun, die den Römern bei allem Denken und Handeln offenbar selbstverständlich war, müssen wir –da sie sich für uns nicht von selbst versteht –bei der Interpretation der Normen der römischen Verfassung wieder hinzudenken. Denn eine gewachsene Verfassung kann nicht 336Gracchi 19, 3 f. 336a Anders

Taylor, Athen. 41, 1963, 51 ff. Dagegen jetzt Earl. ebd. 43, 1965, 95ff., dessen Argumente keine Sicherheit, aber alle Wahrscheinlichkeit für sich haben. Vgl. die Consulwahlen des Scipio Aemilianus (u. S. 126f.). 336b So erkannte Octavius offenbar seine Absetzung nicht an (u. Anm. 404), und so hatte der Ausspruch des Scaevola vielleicht auch eine weitere Bedeutung als aus dem Zusammenhang ersichtlich. 337 Bes. 43ff. 70 ff. 85ff. Vgl. auch Lübtow 511. 338 u. S. 146. 339 Bleicken, Volkstribunat 3. 25 f. bestreitet, daß die Volkstribune als Magistrate verstanden wurden. So gewiß er mit allen Feststellungen über den Unterschied zwischen ihnen und den „eigentlichen“Magistraten recht hat, so bleibt doch die Frage, ob die Römer ihren Magistratsbegriff so scharf gefaßt haben. Sollte man nicht eher damit rechnen, daß sie die Volkstribunen –bei all ihrer Besonderheit –dazu rechneten, einfach weil das Tribunat zu den öffentlichen Funktionen zählte, weil es zu einem Teil des cursus honorum wurde und mehr oder weniger von den gleichen Personen wie die magistratus patricii bekleidet wurde? (Vgl. Mommsen, St.-R. 1, 16, 1). –Polybios’ Behauptung (6,16,5), die Tribunen müßten tun, was das Volk wolle, galt sicher nicht bis zur letzten Konsequenz (vgl. dazu Taylor, JRS 52, 1962, 20). 340 Vgl. u. Anm. 345. 341 Vgl. Mommsen, St.-R. 3, 364ff. Nocera 106ff. 223ff.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

sein, ohne daß wichtigste Regeln von vornherein klar und unbestritten sind (und gar nicht jeweils erwähnt werden müssen)342. Was ein Recht gilt, ja was es ist, wird –abgesehen von dem Wenigen, was gesetzlich festgelegt ist –vom Ganzen her bestimmt343. Wie stellen sich nun auf dem Boden dieser Verfassung die Rechte der Volksversammlung dar? Das Recht, alle Magistrate344 zu wählen, war offensichtlich eine Form der Beteiligung des Volkes an der Besetzung der führenden Positionen des Staates. Wie jeder Volksbeschluß so war auch die Wahl eine Vereinbarung zwischen Magistrat und Comitien345. Das drückte sich lange Zeit darin aus, daß in der Regel nicht eigentlich gewählt, sondern praktisch nur ein Vorschlag des Wahlleiters gutgeheißen wurde346. Und immer stand einerseits die Zulassung zur Bewerbung im Belieben des Wahlleiters347 und wurde andererseits die Wahl erst dadurch gültig, daß der leitende Magistrat den Gewählten als Consul, Praetor usw. ausrief (renuntiierte)348. Genau betrachtet ging dasimperium nicht vom Volk aus, sondern es wurde weitergegeben vom Vorgänger auf den Nachfolger, unter Beteiligung der Comitien an der Auswahl, aber auch unter Beachtung des Willens der Götter, der nur vom Magistrat (oder demdurch die patricischen Senatoren bestellten Interrex) in rechter Weise wahrgenommen werden konnte349. Doch auch soweit die Bestellung der Magistrate Wahl war, ging es in ihr nicht darum, daß ermittelt würde, welche Kandidaten die meisten Stimmen bekämen, also gleichsam demVolk am liebsten wären, sondern nur darum, daß die erforderliche Zahl von Kandidaten die absolute Mehrheit erhielte (wobei es durchaus vorkommen konnte, daß der Kandidat, demdie meisten Stimmen zugedacht waren, durchfiel)350. Es ist schwer, diese Erscheinung begrifflich klar zu erfassen. In diesem Zusammenhang mag es aber genügen zu sagen, daß die römischen Comitien den Weg von der Akklamation zur Wahl niemals voll zu342Vgl. als Parallele die englischen constitutional conventions: K. Loewenstein, Der britische Parlamentarismus, 1964, 93f. 129ff. 343Zu diesen Rechten gehört gewiß die nicht näher definierte Gesetzgebungskompetenz. Denn was daran durch Gesetz –die lex Hortensia –geregelt war, besagte ja nur, daß das concilium plebis bindende Beschlüsse fassen könne, wie die Comitien der Gesamtgemeinde; diese aber waren vom Gegenstand her sicher nicht beschränkt. (vgl. o. Anm. 324). 344Außer Dictator, Magister Equitum und Interrex (Mommsen 1,10). 346Note 5, u. S. 310. 345Mommsen 3, 301 ff. 347Mommsen 471 f. U. A. 192,182. Vgl. allg. die sehr aufschlußreichen Erörterungen von Dolf Sternberger über die drei Teile des Wahlrechts in: K. Kaufmann u. a., Die Auswahl der Bundestagskandidaten 1957 in zwei Bundesländern, 1961, 11 ff. 348Mommsen 1, 472. 3, 415. In früher Zeit spielte daneben noch die patrum auctoritas eine Rolle (a. O.3 1037 ff. u. Anm. 357). 349Ebd. 1, 89ff. Lübtow a. O. 192f. Aufschlußreich ist auch die Formulierung des Gebets, das der Magistrat am Anfang der Wahlen sprach: ut ea res mihi fidei magistratuique meo, populo plebique Romanae bene atque feliciter eveniret (Cic. Mur. 1). 350Note 5, u. S. 312(7).

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rückgelegt haben. Das gilt weniger für die comitia tributa, mehr für die wichtigeren comitia centuriata, in denen noch dazu die Formen der Abstimmung es bedingten, daß ähnlich wie bei der Akklamation, nur hier: nicht durch die lautesten, sondern durch die gewichtigsten Stimmen eine suggestive Wirkung auf die übrigen ausgeübt wurde. Schließlich ist die Funktion der Magistratswahlen zu bedenken, daß es sich nämlich in der Regel nur darum handelte, eine Auswahl innerhalb einer homogenen Schicht zu treffen. Das war keine soziologische Eigentümlichkeit, sondern die Bewahrung eines Stücks Ungleichheit und eine starke Beschränkung des Themas der Wahl. Verschiedene politische Richtungen standen, so weit wir sehen, höchstens ausnahmsweise zur Debatte (und da der Gewählte dann mit dem Senat auskommen mußte, war der Erfolg eines Wahlsiegs auch dann begrenzt), und nur selten ging es darum, den geeigneten Mann für schwierige Aufgaben zu finden351. Die Rolle, die die Comitien als gesetzgebendes Organ undGerichtshof spielten, war nicht viel bedeutender. Auch hier war es wichtig, daß sie nur auf Initiative eines Magistrats in Funktion treten konnten352. Aber wesentlicher waren die Schranken, die sich aus der Sache, eben daraus ergaben, daß keiner an der Selbstverständlichkeit der überkommenen Ordnung rütteln wollte. Auch besagt es nicht viel, daß die Beschlußfassung über Gesetze in Rom ausschließlich den Comitien vorbehalten war. Denn sie waren keineswegs die einzige, auch nicht unbedingt die wichtigste Rechtsquelle. Nur ein relativ kleiner Teil des Rechts ist im Laufe der Zeit –undkeineswegs immer gegen denSenat –gesetzt worden, weite Teile desöffentlichen wiedesprivaten 353Rechts gingen aufandere Quellen zurück, so die Vollmacht der Magistrate, die Autorität desSenats samt allen Domänen seines Regimes, die Aufteilung der Kompetenzen zwischen den Comitien und deren innere Ordnung, um nur weniges zu nennen. Gleichwohl gewann dieplebs mit der Zeit wichtige Rechte: Die Konstitution ihres Schwurverbandes, die Einrichtung des Volkstribunats und die Fülle der Möglichkeiten, die dieses auf die Dauer usurpierte354, die Erstreckung des passiven Wahlrechts auf alle Bürger, die Milderung des Schuldrechts355, die Schaffung des ius provocationis sind beachtliche Zeugnisse dafür, zuletzt die lex Hortensia, die die vom Senat nicht abhängigen concilia plebis in den Stand setzte, über alles Mögliche bindende Beschlüsse zu fassen. Doch all dies bedeutete genau besehen nur eine Beschränkung des Senats- und Magistratsregimes 351Vgl. u. S. 195f. Headlam hat, Election by Lot at Athens2 26, richtig darauf hingewiesen, daß Wahlen politische Bedeutung nicht haben können, wenn der Gewählte nicht für einige Zeit considerable independance of action hat. 352 Bei den Comitien der Gesamtgemeinde kam hinzu, daß sie der auctoritas patrum bedurften (Mommsen 3, 1037ff.). 353Schulz, Prinzipien des röm. Rechts 5 ff. Wieacker, Vom röm. Recht 45ff., bes. 56.

61 ff. 354Wenn auch viele Rechte erst aus dem Zusammenwirken mit dem Senat hervor355Wieacker a. O. 64f. 56. gingen (Bleicken, Volkstribunat 43ff. 93f.).

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in konstitutionellem Sinne: Schutz und Rechtssicherheit und das Mindestmaß der Beteiligung an der Politik, das man einem freien Volk zu bieten hat. Das passive Wahlrecht konnte nur von einer dem Patriciat konkurrierenden plebeischen Adelsschicht genutzt werden356, und bei der lex Hortensia ist es charakteristisch, daß die plebs die neuen Möglichkeiten nicht dazu gebraucht hat, neue Einrichtungen zu schaffen oder ihre Macht im Staat stärker zur Geltung zu bringen357. Daher hat Jochen Bleicken wohl zu Recht geschlossen, daß diese Legislative (nach allgemeinem Einverständnis) für Sachen gemeint war, die vornehmlich die plebs betrafen358, also etwa dazu, berechtigte Gravamina zu beheben: drückende Schuldennot oder Landmangel (wobei manunter dengegebenen Verhältnissen jedoch nur an Verteilung von eroberten Ländereien dachte). Insgesamt waren Art undUmfang der Rechte desVolkesjedenfalls aufArt undUmfang der Rechte und Vollmachten vonSenat undMagistraten bemessen (und sind nur von daher zu verstehen). Es hätte theoretisch vielleicht auch die Möglichkeit bestanden, daß manSenat undMagistrate direkt beschränkt, also geschwächt hätte, wiees mutatis mutandis in dergriechischen Geschichte zumeist geschah. Aber das tat man in Rom nicht, es wurden vielmehr Gegenmittel gesucht, die nun ihrerseits relativ stark ausfallen mußten, um wirksam zu sein. So entsprach das Volkstribunat samt seinen Kompetenzen der fast unbeschränkten Vollmacht der Magistrate. Und das inhaltlich offenbar unbegrenzte Beschlußfassungsrecht der Comitien entsprach der unbestrittenen Überlegenheit und tief in die Bürgerschaft hineinreichenden Macht des Adels. So beachtlich also die Rechte des Volkes, für sich betrachtet, sich ausnehmen, aufs Ganze gesehen begründeten sie nur die Möglichkeiten zu einer Opposition: eine gewisse Kontrolle der regierenden Schicht359, rechtsstaatliche Sicherheiten360, die Chance, sich zur Not legal 356Dazu o. S. 28. 357Freilich mag es sein, daß sich angesichts der neuen Vollmacht der concilia plebis das Adelsregime innerlich reformierte, darin könnte nämlich sehr wohl ein wichtiges, für uns nicht greifbares Ergebnis der Ständekämpfe liegen: daß der Adel fortan der plebs anders gegenüberzutreten sich angewöhnte. Denn auch wenn vor- und nachher mehr oder weniger die gleichen Adligen gewählt wurden –es ist etwas anderes, ob sie auf das Volk Rücksicht nehmen müssen oder nicht. Die wirksame Milderung des Schuldrechts, die Einführung der provocatio (Heuß, Sav.-Ztschr. 64, 1944, 114f.), die Vorgänge um die Freigelassenen (Taylor, Voting Districts 133ff.), die alle gegen Ende des 4. Jhs. stattfinden, zeigen, daß für diese Zeit mit einigen Unruhen im Volk zu rechnen ist. Eine Folge der lex Hortensia könnte die (ungefähr in diese Zeit fallende) lex Maenia darstellen, durch die die patricischen Senatoren genötigt wurden, ihre auctoritas vor den Wahlen in incertum eventum abzugeben (Mommsen St.-R. 3, 1042). Vermutlich bestand die patrum auctoritas seitdem in der Genehmigung der Kandidatenliste (so wohl Siber, Vcrfassungsr. 141), so daß eine gewisse Kontrolle, wenn auch Vorderhand“behaftet, bestehen blieb (zuletzt als bloße Formsache). mit den Risiken der „ Weil wir über das Verhältnis von patricischen und plebeischen Senatoren, über die Wahlverfassung und die allgemeinen Machtverhältnisse in dieser Zeit fast nichts wissen, wird die 359Vgl. Cic. Verr. 2,5,175. Bedeutung des Gesetzes nicht deutlich. 358a. O. 25. 360 Das Bewußtsein davon artikuliert sich etwa Liv. 2,1,1: imperia legum. Cluent. 146. RE Suppl. 10, 600.

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gegen den Senat durchzusetzen, in einem Wort: die Befestigung der Stellung eines selbstbewußten Volkes in einem aristokratisch geprägten Gemeinwesen361. Freilich brachte es die eigentümliche Unausgeglichenheit zwischen den Verfassungsorganen mit sich, daß die Comitien verschiedentlich auch über die Wahrung der unmittelbaren Volksrechte hinausgingen. Wir hören von einzelnen Eingriffen in die laufende Politik, von der Einführung einiger Reformen, ferner von mehreren Rechenschaftsprozessen, die die Tribunen vor dem Volksgericht gegen gewesene Magistrate und Staatspächter führten362. Die Volksgerichtsverfahren aber gingen, wie Bleicken gezeigt hat, fast alle auf die Initiative des Senats zurück363. Offenbar erwies sich diese Form des Prozesses als praktisch, waren die Comitien ein sehr brauchbarer Gerichtshof für krasse Fälle von Mißbrauch der Amtsgewalt. Und wenn nur selten eine Anklage im Widerspruch gegen die Senatsmehrheit erhoben worden ist, so ist niemals, soweit wir wissen, ein Schuldspruch gegen den erklärten Willen des Senats erfolgt364. Dabei ist zu bedenken daß Kapitalverfahren nur von den comitia centuriata entschieden werden konnten365. Ebenso sind die Beschlüsse über Fragen der laufenden Politik fast alle vom Senat initiiert worden, der etwa im zweiten punischen Krieg verschiedentlich die Kommanden der Magistrate durch die Comitien verlängern ließ366. Das gleiche gilt von den meisten der wenigen Reformen, für die etwa die Regulierung der Ämterlaufbahn durch die lex Villia Annalis von 180 als Beispiel dienen kann367. Unter den gegen die Senatsmehrheit gefaßten Beschlüssen sind folgende zunennen: dielex Claudia von 218, die den Senatoren den Besitz von Seeschiffen verbot368, ein für das dritte Jahrhundert zu vermutendes Gesetz, das die Bestellung des pontifex maximus auf die Comitien übertrug369, sowie als Eingriff in die laufende Politik der Beschluß von 217, durch den der magister equitum Minucius dem Dictator Fabius im Kommando gleich sein sollte370. 361Bleicken spricht von „Kampfmitteln der Plebs gegen die Patrizier und die neu zu ihnen gestoßenen vornehmen Plebejer“(25). 362Vgl. Mommsen St.-R. 2, 317ff. 363a. O. 131 ff. 364Bleicken ebd. Erste eindeutige Ausnahme: das Verfahren gegen P. Popillius 123

(GCG 32). Entsprechendes ist für die Einsetzung von quaestiones extraordinariae durch die Comitien (bis 109) anzunehmen, s. Kunkel RE 24, 732. 737. 365Mommsen, St.-R. 3, 357,4. Der Volkstribun war dabei darauf angewiesen, daß ein Consul oder Praetor ihm diese Comitien einberief (Bleicken, Volkstrib. 109. 112f. 117f.). 366 Bleicken a. O. 46ff. Auch Simon, Roms Kriege in Spanien 141. 367Bleicken a. O. (S. 61 kommt er für die Zeit seit dem 2. Pun. Krieg zu dem Schluß, daß

der Senat die Leitung der plebeischen Comitien mit Hilfe der Tribunen weitgehend an sich gerissen habe). Vgl. Rögler, Die Lex Villia Annalis. Klio 40, 1962, 76ff. 368 Vgl. o. A. 61, 192. Note 6, u. S. 313. Im Zusammenhang damit stand wohl der Antrag de fullonibus des M. Metilius (Bleicken 31f. 67). 349Mommsen 2, 27. Wahrscheinlich lag diese Änderung nicht im Sinne der Senatsmehr370 Bleicken 37f. heit und wird deswegen wohl auf ein Gesetz zurückgehen.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Diese Beispiele sind nicht die einzigen, aber die weitgehendsten unter den Volksbeschlüssen dieser Kategorie, die vor 150 gegen den Senat gefaßt wurden. Sie zeigen, daß die gesetzgeberische Tätigkeit der Comitien im ganzen recht harmlos war. Nur umden Beginn des zweiten punischen Krieges ging sie etwas weiter als gewöhnlich, aber auch die lex Claudia war in der Konzeption ganz konservativ undderBeschluß von217 mußangesichts der aufgeregten Situation jenes Jahres als Ausnahme gelten. Es waren insgesamt Unregelmäßigkeiten, wie sie bei der Unschärfe der Abgrenzung zwischen den Verfassungsorganen dann und wann zwangsläufig eintreten mußten371. Dabei ist nunerstens hervorzuheben, daß es keineswegs von der Wichtigkeit der jeweils auf der Tagesordnung stehenden Probleme abhing, ob die Comitien ins Spiel gezogen wurden, sondern davon, ob einzelne Senatoren oder Gruppen stark genug waren, um sie gegen den Senat ins Feld zu führen –und ob sie es sich getrauten. Das aber ist dank der starken Solidarität im Adel bei zentralen Themen nie der Fall gewesen. Nicht wegen der Eröffnung des zweiten und dritten punischen oder der makedonischen Kriege, sondern wegen einer Kriegserklärung an Rhodos hat sich zumBeispiel im Jahre 167 ein Praetor –übrigens erfolglos –an die Volksversammlung gewandt372. Zweitens fungierte das Volk bei den erwähnten Gelegenheiten wohl vornehmlich eben als Werkzeug mächtiger Adliger. Nichts spricht dafür, daß es von sich aus maßgebend in die Politik oder gar in die Verfassung hätte eingreifen wollen373. Alle diese Tatsachen und Erwägungen lassen es als sicher erscheinen, daß man, als manVolkstribunen undComitien das vomGegenstand her nicht näher definierte und von der auctoritas patrum freie Gesetzgebungsrecht konzedierte, stillschweigend und als ganz selbstverständlich vorausgesetzt hat, daß sie es auf dem Boden der überkommenen aristokratisch geprägten Verfassung ausübten. Das war sozusagen die Geschäftsgrundlage der lex Hortensia. Nur deswegen ist jene Kompetenz nicht genauer bestimmt worden (wie übrigens auch das Intercessionsrecht der Tribunen374 und viele andere). Das Volk, das durch371Bleickens Ausdruck „revolutionär“für die lex Claudia ist –falls man ihn nicht als Symptom der heutigen Wort-Inflation auffassen will –viel zu hoch gegriffen. Wenn sich Senat und Comitien in der angegebenen Weise ausgleichen, so können die Akte der Volksversammlung, zumal wenn sie sich in so engen Grenzen halten wie hier, nichts Revolutionäres an sich haben (auch wenn der eine oder andere negativ Betroffene sie u. U. als novae res brandmarkte. Das kann für uns kein Maßstab sein). 372Gelzer, Kl. Schr. 2, 55. Beim ersten punischen Krieg sind die Vorgänge nicht ganz deutlich (vgl. dazu Heuß, HZ 169, 1949, 460ff.), zumal Polybios’Darstellung dem Verdacht tendenziöser Entstellung unterliegt (Gelzer 3, 59. 65). Es spricht aber alles dafür, daß der Volksbeschluß damals mindestens nicht gegen den Willen des Senats gefaßt worden ist. 373Sonst hätten wir davon gehört. Bestenfalls sind uns einige Aufregungen entgangen, aber die zählen nicht. Zur Funktion als Werkzeug: Bleicken 64ff. Vgl. 61f. 374Dazu Bleicken 138. Man muß den offensichtlichen Mangel an Eingrenzungen geradezu als Argument dafür ansehen, daß keiner an eine Ausübung dieser Rechte in demokratischem Sinne überhaupt gedacht hat. Vgl. u. Anm. 554.

3. Populare Methode und Themen der Politik in der späten Republik

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waltet warvon Clientelbindungen, erfüllt von Respekt gegenüber demAdel und sich im ganzen willig der Führung des Senats unterwarf, wurde in gewissem Umfang und nicht eigentlich als selbständige Größe an der Politik beteiligt und mit konstitutionellen Rechten ausgestattet. Die Verfassung, die so entstand, läßt sich am besten als „konstitutionelles Senatsregime“bezeichnen. Wenn ihren rechtlichen Bestimmungen nach ... Alfred Heuß dagegen meint, sie sei „ eine Art von (gemäßigter) Demokratie“gewesen375, so ist darauf zu erwidern, daß die konventionellen Normen einer gewachsenen Verfassung –in denen sich

geltende Auffassungen ungefähr aussprechen –anders als die genau formulierten Sätze einer gestifteten auch nicht im formalen Sinne abstrakt genommen werden können. Sie waren im allgemeinen nicht ohne die Bedingungen, unter denen sie galten, zu denken376. Es ist nicht ausgeschlossen, daß man, hätte man in Rom gefragt, worüber die Volksversammlung beschließen dürfe, zumeist unbedenklich zur Antwort bekommen hätte: über alles. Hätte man dann aber weiter gefragt, ob sie denn also auch Volkstribunen absetzen oder etwa die Lebenslänglichkeit des Senatssitzes abschaffen dürfe, wäre im Zweifelsfall ebenso unbedenklich geantwortet worden: nein, das natürlich nicht. Wenn die Volksversammlung die selbstverständlichen Grenzen politischen Denkens und Handelns überschritten hätte, so wäre dies gewiß in sehr weiten und zumal in den maßgebenden Teilen der Gesellschaft als verfassungswidrig empfunden worden377.

Indem die Volksversammlung aber Mißbrauch verhinderte und wichtige Forderungen zur Not gegen den Senat durchsetzen half, wirkte sie wieein Ventil: manche Krisen oder Probleme wurden überwunden oder entkräftet, bevor es zu gefährlichen Stauungen und in deren Folge zu grundsätzlichen Angriffen gegen die bestehende Ordnung hätte kommen können. So bildete sich immer wieder ein fruchtbarer Ausgleich zwischen beharrenden und fortschreitenden Tendenzen heraus378, das Verhältnis zwischen den Ständen wurde harmonisch ausbalanciert379. Doch diese positive Funktion konnte die Volksversammlung nur ausüben, solange die alte Ordnung intakt war. Denn daß der Satz von ihrer praktisch unbeschränkten Entscheidungsbefugnis von allen so eng verstanden wurde, war ja dadurch bedingt, daß alles Wesentliche selbstverständlich war. Sobald diese Selbstverständlichkeit ihren Umfang und ihre zwingende Kraft einbüßte, konnte er seinen guten alten Sinn verlieren: er konnte dann leicht aus demZusammenhang gelöst und von mächtigen Teilen der Bürgerschaft für absolut genommen werden. Wenn dann Dinge beschlossen wurden, die der alten 375 Prop. Weltgesch. 4, 183. 376Ti. Gracchus hat offenbar schon damit Schwierigkeiten genug gehabt, seinen Anhängern die Theorie von der weitgehenden Ausnutzung der Entscheidungsgewalt des Volkes plausibel zu machen (Plut. Gracchi 15). 377Man sprach dann von miscere omnia o. ä. (vgl. u. a. Plut. Cato min. 26,5). 378Gelzer, Kl. Schr. 1, 235. Wieacker, V. röm. Recht2 83. 379 o. S. 52f.

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III Die übermäßige Extensivicrung der res publica

Verfassung –im weiteren Sinne des Wortes –widersprachen, konnte die Gegenseite zwar einwenden, daß das verfassungswidrig sei, und das war gewiß nicht leicht zu nehmen, aber es ließ sich dann eben doch erwidern, daß die Volksversammlung der Herr des Staates sei380. Die Teile der Verfassung konnten dann also gegeneinander gekehrt werden; wenn nicht so viel Falsches dabei mitschwingen würde, könnte man sagen: gegen die Rechtssouveränität konnte ein Anspruch auf Volkssouveränität gesetzt werden. Wie weit das führte, wie weit dann eine neue Verfassungswirklichkeit entstand, war eine andere Frage, das hing stark von den Machtverhältnissen ab. Die geschilderte Problematik deutete sich im Jahre 148 an, eine halbe Generation vor dem Auftreten des Ti. Gracchus. Damals wählten die comitia centuriata Scipio Aemilianus zum Consul, obwohl er nach den Bestimmungen der lex Annalis nicht hätte gewählt werden dürfen, sich nicht beworben hatte und vom Wahlleiter auch nicht auf die Kandidatenliste gesetzt worden war381. Man erklärte, das Volk sei Herr der Wahlen und könne seinem Willen entgegenstehende Gesetze für nichts achten, wenn es wolle382. Der Wahlleiter weigerte sich jedoch, Scipio zu ernennen383, der Senat setzte sich ebenfalls zur Wehr, und erst nach Auseinandersetzungen und in der Furcht vor einer Zuspitzung des Konflikts384 fand man sich zu einem Kompromiß bereit385: Scipio wurde zum Consul ernannt; dafür verstanden sich die Volkstribunen dazu, die im Wege stehenden Bestimmungen in ordentlichem Beschlußverfahren durch die Comitien aufheben und durch ein weiteres Gesetz für die Zukunft wieder in Kraft setzen zu lassen386. Der Senat ließ also den Comitien ihren Willen, wenn sie sich nur wieder in die Legalität einfangen ließen, indem sie selbst bekräftigten, daß sie gegen die geltenden Gesetze nicht verstoßen dürften387. Bei den 380 Vgl. RE Suppl. 10, 597. 598. 381 Cic. Lael. 11. Simon a. O. 171, 72. 382 App. Lib. 531 (vgl. Mommsen, St.-R. 1, 539, 1. Wenn hier auf den Satz, daß der spätere Volksbeschluß den früheren breche [Liv. 7,17,12. 9,34,6], angespielt wird, so beruht das aber auf einer Fehlinterpretation, Nocera, II potere dei comizi e i suoi limiti 31 ff.). 383 Das muß mit σ υ ν ϑ ε ῳgemeint sein (App. 532). Vgl. vor allem Liv. per. 50, ῖντῷ ή δ μ wo deutlich unterschieden wird: consul a populo dictus .. legibus solutus et consul creatus est (Mommsen a. O.). 384 Appian berichtet, einer der Tribunen habe gedroht: το ά το ὺ π ςὑ ή υ ςἀ σ εσ α ι ϑ φ α ιρ ῳ . Damit sind wohl nur die Consuln von 147 geή μ δ τ οτῷ ῖν ο ϑ υ ν ὴσ ὴ νχειροτονία ν τ , εἰμ meint. Aber auch insoweit war diese Drohung höchst unangenehm. 385 Liv. per 50: cum magno certamine suffragantis plebis et repugnantibus aliquamdiu

patribus. Rhet. ad Her. 2,2. App. 386So App. 532 und entsprechend Ib. 364. Er kann das kaum erfunden haben. Wenn die Formulierungen der Livius-Perioche (50. Vgl. 56) eher an ein vom Senat verliehenes Privileg denken lassen, so sollte man das also dem abkürzenden Verfahren des Exzerptors zuschreiben. Bleickens Einwände gegen Appian (59,1) sind mir unverständlich. Denn daß die Wahl längst stattgefunden hatte (nur eben die creatio noch nicht erfolgt war) steht doch auch bei Livius, o. Anm. 383. 387Dieser Schluß würde abgemildert auch dann gelten, wenn man i. S. der Liv.-per. nur um einen Dispens eingekommen wäre.

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Wahlen von 135 soll sich der Vorgang wiederholt haben, ohne daß es allerdings zu einer neuerlichen Machtprobe gekommen zu sein scheint388. Diese Geschehnisse waren bedeutsam, da sie Zeichen einer beginnenden Vertrauenskrise und das Vorspiel für weitere Verfassungsdurchbrechungen bildeten.

Wie weit und worin änderte sich nun die Stellung der Volksversammlung seit der Mitte deszweiten Jahrhunderts? Worin bestanden seitdem die Möglichkeiten der auf sie gestützten popularen Methode, die nun zunehmend praktiziert und fortgebildet wurde? Es ist weder nötig noch sinnvoll, hier noch einmal auf die zahlreichen Mißverständnisse einzugehen, die sich um die Popularen gesponnen haben389. Das populariter agere ist nach- und nebeneinander von den verschiedensten Kräften angewandt worden390. Zwar brachte jeder im allgemeinen ungefähr die gleichen Argumente vor, Behauptungen etwa über die Güte und die Rechte des Volkes und die Schlechtigkeit der gegenwärtigen391 Senatoren sowie den Gegensatz zwischen beiden392, und darüber hinaus entstand ein bestimmtes Verhaltensmuster, eine Weise des Verfahrens, die sich nun einmal als praktisch und angemessen erwiesen hatte. Aber die populare Tradition, die sich so ergab, wurde nicht wie eine Stafette innerhalb einer im ganzen homogenen Mannschaft weitergegeben, sondern stellte eine Rolle im Repertoire der römischen Politik dar, die bald in diesem bald in jenem Sinne übernommen werden konnte. Spitzte sich dann eine Streitigkeit so weit zu, daß darüber ein Gegensatz zwischen Senat und Volksversammlung zu entstehen schien, so besagte das nur, daß die letzte Möglichkeit, sich gegen die Senatsmehrheit durchzusetzen, von irgendwem ausgenutzt wurde. Und da die populare Politik dergestalt dazu führte, daß alle mächtigen Forderungen ziemlich unmittelbar erfüllt werden konnten, beeinflußte sie die Art der politischen 388 Vgl. Liv. per. 56: delatus est ultro Scipioni Africano a senatu populoque R. consulatus. Simon 171f. Wenn es wahr ist, daß der Senat die Gesetze wieder erst außer und dann in Kraft setzen ließ (App. Ib. 364), so mußte dieses Mittel stark an Sinn einbüßen. Denn die Ausnahmen wären dann zu dicht aufeinandergefolgt, um noch durch eine so formale Konstruktion eliminiert werden zu können. Das spricht wohl dafür, daß Appian sich diesen Fall in Analogie zu 147 ausgemalt hat und in Wirklichkeit ein Dispens erteilt worden war, durch Senat oder Comitien. Daß sich Scipio gleichwohl nicht bewarb (Simon), muß dann eine Frage des Stils gewesen sein, vgl. u. A. 196, 211. 389 RE Suppl. 10, 552f. Hinzuzufügen ist, daß die Sekundärquellen nicht nur dadurch, daß sie nur die wichtigsten Ereignisse anführen, zu diesen Mißverständnissen verleiten, sondern auch durch ihre eigentümliche Ereignisauffassung (vgl. etwa Dio 37, 43,1, als ob Nepos nicht Pompeius’ Abgesandter gewesen wäre, u. v. a., dazu von einer anderen Seite: Historia 10, 1961, 76f.). Zweitens geht die Analogie zu den modernen Parteien in Bezug nicht nur auf die Form, sondern auch auf die Funktion in die Irre: Die Adelsfaktionen bestanden nicht kontinuierlich und brachten sich nur jeweils auf ganz beschränkten Gebieten der Politik zur Geltung (u. S. 163 ff. 174 ff.). 390 RE 558f. Die Beispiele: 588. 391 RE 594. 392 RE 593 ff.

ng der res publica III Die übermäßige Extensivieru

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Gruppierungen nur in der Weise, daß sie der Bildung dauerhafter Gegensätze entgegenwirkte 393. Fragt man nun, wozu die Volksversammlung in der späten Republik dienen und was mit dem populariter agere ausgerichtet werden konnte, so zielt diese Frage zum wenigsten auf die Methode als solche. Denn es geht vielmehr darum, was strittig und was unstrittig sowie was möglich und was unmöglich war. Fortschritte der popularen Technik undeine damit vielleicht verbundene Lockerung derDisziplin inAdel undBürgerschaft mögen zurAusweitung desStrittigen, auch des Möglichen beigetragen haben, aber im wesentlichen war dieses durch die Machtverhältnisse bedingt. Die Frage darf also nicht zu eng gefaßt werden: Wir müssen zusehen, welche Probleme –nicht: bestanden, sondern: –zum Gegenstand und Thema der Politik wurden. Von daher bestimmen sich der Entscheidungsbereich der Volksversammlung, die Möglichkeiten und Grenzen der popularen Methode wie der gesamten Politik. Da die Machtverhältnisse aber starken Wechseln unterworfen waren, müssen alle Aussagen darüber von einer geschichtlichen Betrachtung ausgehen.

b) Das Strittige (Zielsetzungen und Kontroversen) in den verschiedenen Phasen der römischen Innenpolitik zwischen 151 und 50 Die seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts einsetzende Vertrauenskrise zwischen Senat und Volk manifestierte sich außer in den erwähnten Wahlen einerseits in den großen Konflikten, die 151 und 138 bei den Aushebungen für Spanien ausbrachen und in deren Verlauf beide Male die Volkstribunen die Consuln ins Gefängnis warfen394, andererseits in verschiedenen Gesetzesanträgen oder -plänen. 139 und 137 wurde durch die ersten leges tabellariae die geheime Abstimmung bei Wahlen und fast allen Volksgerichtsverfahren eingeführt, 145 die Übertragung der Priesterbestellung an das Volk beantragt; gleichzeitig oder wenig später plante Laelius ein Ackergesetz395. Welches auch immer die Motive der Antragsteller waren, ihre Rogationen setzen voraus, daß eine gewisse aggressive Tendenz gegen die Nobilität im Volk vorhanden war. Zahlreiche Bauern litten große Not396, aber auch unter den Rittern mögen viele mit der Art, in der das Senatsregime praktiziert wurde, unzufrieden gewesen sein397. Dabei kam erschwerend hinzu, daß mit solchen Praktiken auch ein 393Vgl. o. S. 87 f. Vgl. Sternberger, Der Begriff des Politischen. Heid. Antrittsvorl. 1960. Abdruck in Ruperto Carola 29, 1961, 63. Selbstverständlich war die Kapazität des Tribunats wesentlich geringer als die des englischen Parlaments. 394Vgl. Taylor, JRS 52, 1962, 19. 395Möglicherweise gehören die lex Calpurnia de repetundis von 149 (Taylor 24 f.) und die leges Aeliae et Fufiae (RE Suppl. 10, 607, anders Taylor 22f. 25) ebenfalls in diese Kategorie. 396

o.S.

95f.

397 Die suffragandi nimia libido (Cic. leg. 3,34. 39. Herzog, Gesch. u. System d. röm. Staatsverf. 422) der Adligen, die Anlaß für die leges tabellariae war, braucht z. B. nicht allein

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zunehmendes Versagen des Senats einherging: die Disziplin im Adel begann sich zu lockern, seine Grundsätze sich zu versteifen398. So mochte sehr wohl in breiten Kreisen der Wunsch erwachen, dieses Regime hier und da zu beschränken und Macht und Freiheit399 der Volksversammlung stärker dagegen zur Geltung zu bringen. Sie setzten dabei nur die alte konstitutionalisierende Tendenz angesichts neuer Mißstände fort. Denn nichts spricht dafür, daß etwa jemand die Absicht hatte, grundsätzlich andere Herren zu wählen oder gar in Comitien oder Volksgericht die Stellung der Nobilität zu erschüttern400. Die Formen der Auseinandersetzung freilich, eine sich verschärfende Agitation und endlich die Verhaftung der Consuln deuteten darauf hin, daß die engen Regeln des politischen Comments brüchig zu werden begannen401. Ein tieferer Wandel trat dann ein, als Ti. Gracchus die Not des Bauernstandes zum Thema der Politik machte. Es ist keine Frage mehr401a, daß seine Zielsetzung dabei durch und durch konservativ gewesen ist; aber indem sie das unter so stark gewandelten Verhältnissen war, bedeutete sie mehr Wiederherstellung als Bewahrung, einen Rückgriff über den schon eingewurzelten Status quo auf das gute alte Ideal. Gracchus riß damit die Politik aus den eingefahrenen Gleisen heraus, erschloß ihr neue Dimensionen. Und darüber hinaus übersprang die Entschlossenheit und Ungeduld, mit der er den Beschluß des Acker, den gesetzes erzwang –eben durch die Absetzung seines Collegen Octavius – Rahmen des Herkömmlichen an entscheidender Stelle. Noch nie war ein Volkstribun seines Amtes enthoben worden, die Magistrate galten vielmehr nach wie vor als Verfassungsorgane eigenen Rechts, und dieVolkstribunen wurden, wenn nicht als Magistrate, so doch in Analogie zu diesen verstanden402. Vor allem waren sie durch lex sacrata für sacrosanct, das heißt heilig-unverletzlich erklärt worden. Da außerdem auch unter den Anhängern des Gracchus erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Maßnahme bestanden403, ist es

in Bestechungen und einem unbilligen Druck auf die kleinen Clienten und Freigelassenen des Adels bestanden zu haben, sondern man sollte vermuten, daß die Überwachung und Bevormundung auch den Rittern ein Ärgernis war (vgl. RE Suppl. 10, 585). 398 Vgl. o. S. 61f., bes. das Gesetz ne quis bis consul fieret (ORF2 S. 75f.). 399Die leges tabellariae zählten später zu den wichtigsten Freiheitsrechten (RE 602), es ist nicht einzusehen, warum sie damals nicht so verstanden worden sein sollen. 400Worauf die entgegengesetzte Behauptung Cic. Lael. 41 und überhaupt die scharfe Ablehnung, auf die die leges tabellariae im Senat stießen (vgl. Cic. leg. 3, 34 ff. Sest. 103), sich stützt, ist schlechterdings nicht zu sehen. Nur die lex Calpurnia von 131 oder 130, die die gesetzgebenden Comitien betraf, könnte auf das Ergebnis der Abstimmungen größeren Einfluß ausgeübt haben. Im übrigen scheint der Widerwille gegen diese Gesetze zu der optimatischen Verkrampfung zu gehören, die jede Neuerung zu verteufeln geneigt war, da man in solchen Einzelheiten die Ursache für die desolate Situation der res publica suchte (vgl. u. S. 156). Bezeichnend ist, daß Sulla die leges tabellariae nicht abschaffte. Vielleicht ist der starke Widerwille gegen sie erst der letzten Zeit der Republik eigen. 401Vgl. aber auch RE Suppl. 10, 584. 401a S. o. S. 96 f. 402 Vgl. o. Anm. 339. 401Vgl. Plut. Gracchi 15. 9 Meier

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gar nicht zu verkennen, daß sie weithin und mit Recht als verfassungswidrig angesehen wurde404. Der Consular T. Annius Luscus machte diese ihre Bedeutung vollends klar, als er den Tribunen fragte: Wenn Du mich öffentlich beschimpfen und mißhandeln wolltest und ich einen Deiner Amtsgenossen zur Hilfe herbeiriefe, dieser dann aufstände, um sich meiner anzunehmen, und Du darüber in Zorn gerietest –wirst Du ihn dann wohl seines Amtes entsetzen? 406Alle Schutzgarantien, die das Volk durch die Tribunen besaß, waren gefährdet. Tiberius soll durch diese Frage so betroffen gewesen sein, daß er keine Antwort wußte. Nicht ganz so deutlich wider die Verfassung, aber mindestens an der Grenze des herkömmlich den Comitien Zustehenden bewegte sich der Tribun, als er die Comitien über die Erbschaft des pergamenischen Königs Attalos verfügen ließ – ein tiefer Eingriff in die dem Senat vorbehaltene Domäne406. Wieder näher an den Kern der Verfassung rührte er endlich, als er sich für das folgende Jahr nochmal zum Tribunen wählen lassen wollte407. Solche Iterationen hatte es bis zur Mitte des vierten Jahrhunderts verschiedentlich gegeben, danach waren sie außer Gebrauch gekommen, anscheinend auch verfemt oder gar verboten worden408. Das hatte seinen guten Sinn, denn andernfalls hätte ein einzelner Tribun allzu mächtig werden können. In allen drei Fällen scheint Ti. Gracchus denGlauben gehegt oder unter dem Druck der Ereignisse gewonnen409 zu haben, daß die Comitien sich innerhalb der ihnen zustehenden Entscheidungsbefugnis hielten. Er hatte auch durchaus einen Schein von Recht für sich. Es zeigte sich die fatale Bedeutung, die dieses Recht annehmen konnte, sobald einmal die selbstverständlichen Voraussetzungen, in denen es wurzelte, nicht mehr mitgedacht wurden. Aber man darf auch nicht übersehen, daß es sich um Akte der Notwehr und der Verzweiflung handelte, die letztlich in jeder Verfassung vorkommen können, und nichts spricht dafür, daß der Tribun mit ihnen mehr wollte als diese eine Ausnahmesituation regeln, also etwa daran gedacht habe, daß künftig die Volksversammlung stärker an der Politik beteiligt werden sollte410. Objektiv waren seine Maßnahmen zunächst nur „verfassungsmißachtende Verfassungsdurchbre, das heißt Handlungen, durch die die verfassungsrechtliche Norchungen“ mierung nicht geändert, sondern nur im Einzelfall –unter Aufrechterhaltung 404Octavius hat die Absetzung denn auch nicht anerkannt: Poseid. FgrHist. (Nr. 87) 405 Plut. Gracchi 14,4. Ed. Meyer, Kl. Schr. 12 405. 110 d (Diod. 34, 7,1). Plut. 12,5. 406 Plut. 14, 1ff. Gelzer, Kl. Schr. 2, 79. Es ist ein bedauerlicher Fehler, daß das Gesetz wie verschiedene andere in die gleiche Rubrik gehörende in RE Suppl. 10, 605 nur gleichsam im Nebensatz aufgeführt worden sind. So richtig die dort gemachten Aussagen wohl sind, so wenig erschöpfen sie –wegen ungenügender Kenntnis der vorgracchischen Rechte der Volksversammlung –die Problematik. 407Vgl. o. Anm. 336a. 408 Lange RA 13 712. 409Vgl. Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 189. 410Die Echtheit der ihm Plut. Gracchi 16,1 zugeschriebenen Absichten ist durchaus nicht erwiesen (vgl. Fraccaro, Studi sull’età dei Gracchi, 1914, 154ff.). Jedenfalls kann es sich nur um Akte der Notwehr gehandelt haben.

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ihrer Geltung im übrigen und im allgemeinen –eine abweichende Anordnung getroffen wurde411. Sie konnten natürlich als Präzedenzfälle wirken, aber das hing von der weiteren Geschichte ab, die sie durch Wiederholung erst zum Vorbild erheben mußte, damit die Verfassung eine andere würde. Nicht zuletzt deswegen412 waren zahlreiche Senatoren der Ansicht, daß man an Ti. Gracchus ein Exempel statuieren müsse. Allein, der Akt der Lynchjustiz, zu dem sie unter Führung des P. Scipio Nasica schritten, und das außerordentliche Strafgericht gegen die Anhänger des Tribunen, das man ihm 132 folgen ließ, hatten nur bedingten Erfolg. Die Gegner waren zu stark. So überwog fürs erste zwar die abschreckende Wirkung, aber sie konnte nicht verhindern, daß weithin heftige Empörung aufkam413. Ti. Gracchus wurde zum Märtyrer. Man war voller Unruhe und Wut über den grausamen Verstoß gegen das Freiheitsrecht der Provocation und forderte Rache. So trifft es gewiß die Situation von 129 recht gut, wenn Cicero für sie feststellt: nam ut videtis mors Tiberii Gracchi et iam ante tota illius ratio tribunatus divisit populum unum in duas partis (rep. 1,31). In dieser Atmosphäre nun, die weiter gestört wurde durch die teilweise Aufhebung des gracchischen Ackergesetzes im Jahre 129414, wirkte eine Gruppe von Senatoren, die durch die blutige Niederschlagung der Reformbewegung betroffen oder zutiefst verletzt waren. Sie suchten neue Verbesserungen ins Werk zu setzen –dehnten vor allem die geheime Wahl auf Abstimmungen über Gesetze aus415 –und wollten weitere Schichten, vor allem die Ritter, für sich gewinnen416. 123 faßte dann Gaius Gracchus alle diese Bemühungen in seinem groß angelegten Reformversuch zusammen. Es ist nicht möglich, hier auf die verschiedenen Lehrmeinungen über C.Gracchus einzugehen. Sein Ansatz undseine Zielsetzung scheinen in seinem Werk hinlänglich deutlich zu werden. Das Senatsregime sollte erhalten bleiben, aber es wurde durch genauere Vorschriften, insbesondere auch –nach den Erfahrungen von 133/132 –durch eine Bekräftigung und Ausdehnung der Freiheitsrechte417, versachlicht418. Wesentlich war, daß Gracchus die Provinzial411Die Formulierung in Anlehnung an C. Schmitt, Verfassungslehre 99f. 106f. Daß dessen weitere Ausführungen über Souveränität auf Roms gewachsene Verfassung zutreffen oder nur zutreffen sollen, ist nicht anzunehmen. 412Vgl. Cic. leg. agr. 3,24. Brut. 95. Ensslin, Philol. 1927, 321. Der Obertitel aller Vorwürfe war, Gracchus strebe nach einem regnum (Belege bei Ed. Meyer 408,2). 413Plut. Gracchi 21. Broughton MRR 1, 502 (Carbo). C. Gracchus ORF2 32f. Vgl. Alföldi, Stud. zu Caesars Monarchie, 1953, 72. O. Anm. 335.

414GCG 21. Vgl. 34. 415Cic. leg. 3,35. 416O. Anm. 57. 417Das Verbot der Einsetzung von quaestiones extraordinariae außer durch Volksbeschluß (GCG 31. Kunkel, Unters. z. Entw. des Kriminalverf. in vorsullan. Zt. 28,89. 58. 89. 135). Die Bestimmung, ne quis iudicio circumveniretur (GCG 36. Kunkel 70, 263a). Die Verfahren gegen Popillius und vielleicht gegen Rupilius (GCG 32). 418Lex de provinciis consularibus (RE Suppl. 10, 606). Dazu vermutlich das Gesetz über die asiatischen Steuern (o. Anm. 55). 9*

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

verwaltung unter die Kontrolle der Ritter stellte, die nun zu politischer Verantwortung herangezogen werden sollten, um die zu schmal gewordene Basis des Staates zu verbreitern419. Indem er den Rittern zugleich große neue Staatspachtgeschäfte eröffnete, scheint er versucht zu haben, ihre Interessen mit denen der Bauern neu auszugleichen420: Die Provinzen, die so viel dazu beigetragen hatten, die Lage der Bauern zu verschlechtern421, sollten die Energien der Ritter noch mehr auf sich ziehen. Die verarmte plebs rustica erhielt neue Höfe, zum Teil ebenfalls in den Provinzen422, die Not der plebs urbana wurde durch ein Getreidegesetz gelindert423. Die drückende Militärdienstpflicht wurde verkürzt, die Ausrüstung der Soldaten auf die Staatskasse übertragen424. Der Herrschaftsbereich sollte gerechter verwaltet, die gesamte Staatswirtschaft intensiviert werden425. Zum Schluß versuchte der Tribun, auch die italischen Bundesgenossen durch Verleihung teils des römischen, teils des latinischen Bürgerrechts gegen die zunehmende Belästigung durch römische Magistrate zu schützen und ihnen überhaupt einen besseren, angemesseneren Status zu verleihen426.

Dieses ganze Werk spiegelt unverkennbar eine umfassende Konzeption 419 S. o. S. 70 ff. 420 O. S. 70.99. 421O. Anm. 186. 422Wiederherstellung des brüderlichen Ackergesetzes und Coloniengründung (GCG 34. 38f. Dabei ist fraglich, ob und wie weit die Äcker der Bundesgenossen neuerdings wieder einbezogen wurden, vgl. ebd. 21. Badian FC 175f.). Nach F. T. Hinrichs’sehr einleuchtenden Vermutungen waren auch mit der lex viaria des C. Gracchus Landansiedlungen verbunden (in den Straßen-fora, in denen die viarii Land erhielten, wofür sie die Pflege der Straßen übernehmen mußten). Hinrichs meint, daß verschiedene der Colonien, deren Gründung sowohl Plutarch (Gracchi 27,3) wie Appian (1,98) in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Straßengesetz erwähnen, solche fora waren (Ansiedlungsgesetze und Landanweisungen im letzten Jh. der Rep., Masch. Diss. Heid. 1957, 103ff. 111. Vgl. Cael. bei Cic. fam. 8,6,3 zu Curios Anträgen: legem viariam non dissimilem agrariae Rulli. Die Deutung der leges viariae in RE Suppl. 10, 609f. ist entsprechend zu verbessern undzu ergänzen, vgl. auch Plut. 28. App. a. O.). Im einzelnen ist an der lex viaria manches strittig (Münzer RE 2 A 1389), es handelte sich wohl im wesentlichen darum, daß C. Gracchus auch hier –in Bewährung seines neuen Maßes der „efficiency“–eine systematische, intensivere Ordnung 423O. Anm. 277. einzurichten suchte (vgl. o. Anm. 277). 424 Plut. 26,1. Diod. 35,25. Möglicherweise schon von Ti. Gracchus geplant (Plut. 16,1). 425Gesetz über die asiatischen Steuern (o. S. 70). Repetundengesetz (o. S. 71). Interessant als Einzelheit: ORF2 frg. 23–28. –Die Einrichtung neuer Zölle (Vell. 2,6,3. ORF2 frg. 44: ut vectigalia vestra augeatis, quofacilius vestra commoda et rem publicam administrare possitis. Cic. Tusc. 3,48: patronus aerarii). Intensivierung der Straßenwartung (evtl. auch des Straßenbaus. o. Anm. 422). Anlage von Getreidesilos (o. Anm. 277). Schaefer, Probl. d. Alten Gesch. 344. 426 GCG 41. Badian FC 185 f. 299 f. –Ob der Plan, die Ordnung des Aufrufs in den Centurien zu ändern (Sall. ep. ad Caes. 2,8,1), ernsthaft von C. Gracchus erwogen wurde, ist unklar. Wenn dem so war, so spricht wohl angesichts seiner ritterfreundlichen Tendenz die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß es in der letzten Phase des Tribunats geschah, in der der Tribun –wohl aus Enttäuschung über die Ritter –sich auf die Masse der Armen zu stützen versuchte (RE Suppl. 10, 596).

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wider. Denn es ist nach den bisher gültigen Axiomen historischer Wissenschaft nicht möglich anzunehmen, daß ein Teil der wichtigeren Gesetze, etwa die zu Gunsten der Ritter, nur Mittel im Dienst der Agrarreform gewesen seien427. Das hieße die inneren Relationen dieser imposanten Gesetzgebung verkennen. C. Gracchus müßte sonst ein geradezu besessener Ackerreformer oder Coloniengründer gewesen sein, und dafür gibt es kein Argument. Also sollte man vermuten, daß er sein Gesetzgebungswerk so geplant hat, wie es sich präsentiert: als einen Versuch, das überkommene Gemeinwesen so weit zu reformieren, daß es denAnforderungen der Zeit genügen könne. Dabei deutet keine Spur darauf hin, daß er versucht hätte, griechische Gedanken oder Vorbilder auf Rom zu übertragen. Eher wird er die Verachtung, die seine Standesgenossen für die griechischen Verfassungen hegten, geteilt haben. So könnte bestenfalls die relative Voraussetzungslosigkeit des Ansatzes, das glänzende Planungs- und Organisationsvermögen und die Sicherheit, mit der der junge Tribun von den Möglichkeiten des Herrschaftsbereichs Gebrauch machte, durch die Schulung in griechischem Denken befördert sein. Aber alle seine Überlegungen gingen, soweit man sehen kann, ganz vom Gegebenen aus und zielten auf das Gegebene hin. Und indem dabei ein Glied ins andere schloß, zeigte sich, daß C. Gracchus die gesamten Verhältnisse Roms gleichsam gründlich nachgerechnet hatte und nun seine Konsequenzen daraus zog. Einzigartig in der römischen Geschichte war, wieer das Überkommene dabei in Frage stellte, selbst die Güte des Senatsregimes428, wie er zahlreiche Mißstände anpackte und Möglichkeiten zu einer Intensivierung des gesamten Staatswesens auftat. Er sublimierte damit gleichsam seinen Rachedrang zu einem höchst positiv gemeinten Werk. So wurde der Bereich des Diskutablen an der römischen Verfassung und damit zugleich der Entscheidungsbereich der Comitien erheblich ausgedehnt. Dabei ist für Gracchus’Auffassung von den Rechten der Volksversammlung seine rogatio deabactis besonders interessant. Sie bestimmte, daß der, den die Volksversammlung seines Amtes enthoben habe, sich nicht mehr um weitere Ämter bewerben dürfe. Damit wäre das Recht der Comitien, Beamte abzusetzen, in427So etwa Fraccaro Opuscula 2,34. Heuß a. O. 193. 194. Vgl. 197. Z. T. dadurch verführt: RE Suppl. 10, 552. 428O. S. 72. Interessant ist, daß damals offenbar erregt darüber gestritten worden ist, wer gut und wer böse sei, der Senat oder Gracchus und dessen Anhänger. Die Optimaten kehrten natürlich ihren alten Anspruch, die Guten zu sein, um so stärker heraus, je gefährlicher ihnen die Gracchen wurden (vgl. Strasburger RE 18, 773 ff. Das Wort schon bei Plaut. Men. 4,2). Gaius Gracchus dagegen drehte den Spieß schlicht um, indem er behauptete: pessumi Tibcrium fratrem meum optimum interfecerunt (ORF2 17. Vgl. vielleicht 24). Ähnlich die Äußerung der Licinia, Plut. Gracchi 36, 4. Umgekehrt die des Antyllius, ebd. 34,3. Diese Häufung der Belege kann kein Zufall sein. Fraglich bleibt, ob und wie weit später noch die Güte der boni ausdrücklich in Frage gezogen worden ist (Sall. hist. 1,12 spricht eher dagegen, gilt aber vielleicht nur für die nachsullanische Zeit. Einen besonderen Fall stellen Ciceros Zweifel in den Jahren seit 57 dar, z. B. Att. 4,3,2. 7,7,5 u. ö.).

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direkt bestätigt worden (und zugleich die unbeschränkte Entscheidungsbefug nis des Volkes die im Falle einer direkten Bekräftigung als zweifelhaft hätte erscheinen müssen429). Außerdem wäre die Absetzung des Octavius und eventueller Nachahmer seines Beispiels dadurch erheblich verschärft worden. So erhob sich vermutlich starker Widerstand gegen diesen Antrag, und C. Gracchus ließ ihn fallen430. Damit hielt er zwar einerseits –möglicherweise –den Anspruch, daß die Comitien Magistrate absetzen dürften, nicht mehr aufrecht, andererseits blieb jedoch die Unsicherheit bestehen, daß künftig ein hartnäckig intercedierender Tribun nicht nur abgesetzt, sondern vor allem um die Fortsetzung seiner politischen Laufbahn gebracht werden könne431. Allein durch den Vorschlag erreichte Gracchus also eine weitere Relativierung des Intercessionsrechts, und wenn sich auch der Versuch der Absetzung eines Tribunen nur noch einmal wiederholte432, so ist doch damit zu rechnen, daß vielfach Intercessionen eben aus Furcht vor der Absetzung und möglichen weiteren Konsequenzen gar nicht erst erhoben oder nicht lange durchgehalten worden sind. Gegen C. Gracchus hat unseres Wissens keiner je intercediert –Livius Drusus , und auch sonst suchte ihn vielmehr durch positive Vorschläge auszustechen – ist es überraschend, wie selten in der späten Republik gegen bedeutsame Gesetze dieses Mittel eingelegt worden ist432a. Die Frage, wo der Fehler, wo das Utopische des gracchischen Ansatzes lag, kann hier beiseite bleiben. Ebenso wenig braucht es erörtert zu werden, wie weit seine Anträge über das alte Recht der Volksversammlung, Abhilfe in wirtschaftlicher Not und konstitutionelle Garantien zu schaffen, hinausgingen. Einerseits spricht nichts für und vieles gegen die Absicht einer Demokratisierung, also etwa einer stärkeren Beteiligung der Comitien an der Politik433, andererseits war die starke Aufwertung der Ritter und ihre Betrauung mit der Kontrolle der magistratischen Provinzialverwaltung etwas ganz Neues. Wesentlich ist hier vielmehr der Geist, mit dem Gracchus an die Dinge heranging, die Schärfe der Analyse des Bestehenden, die Findigkeit im Ausdenken von Reformen und insgesamt die Tatsache, daß er im einzelnen wie im ganzen so viel Selbstverständliches in Frage gezogen hat434. 429 Vgl. RE Suppl. 10, 604. 430 Plut. Gracchi 25, 1f. Als Begründung führte er an, seine Mutter habe für Octavius ein gutes Wort eingelegt. (Plut. 3f. Diod. 34,35,2. Ed. Meyer, Kl. Schr. 12 371). Das wird aber kaum der einzige Grund gewesen sein. 431 104 ist nochmal ein in die gleiche Richtung zielender Antrag eingebracht (und durchgesetzt) worden, von L. Cassius Longinus, in dem aber von abigere keine Rede war, sondern nur von imperium abrogare (wohl nur auf das prorogierte imperium zu beziehen), und in dem die Strafe nur in der Entziehung des Senatssitzes bestand (Asc. 61). 432 I. J. 67: Cic. Cornel. 1,31 Sch. Asc. 57,2. Dio 36,30,1f. 432a So 104.88. Vgl. u. S. 145. 433RE Suppl. 10, 606. Wenn es Gracchus darum gegangen wäre, wäre er außerdem um Mittel kaum verlegen gewesen. 434Wenn er auch den Kern der Verfassung kaum anrührte, RE 611.

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Man sollte nun annehmen, daß davon neue Impulse, ein Durchbruch zu neuen Zielen ausgegangen wären. Doch es geschah das Gegenteil, die Reformbewegung erstarb, und ähnliche Bemühungen um eine irgend wesentliche Veränderung der Verfassung sind künftig nur noch zweimal – von M. Livius Drusus im Jahre 91 und dann von Sulla –unternommen worden, aber beide Male ganz im Sinne des Senats. Die Ursache dafür muß wesentlich darin gelegen haben, daß kein Ansatzpunkt für umfassende Reformen oder nur für jene frische Art, zu zweifeln und nach einer neuen Ordnung zu suchen, vorhanden war. Das politische Verantwortungsgefühl und Nachdenken über den Staat beschränkte sich auf die kleine Schicht derer, die die Politik auch ausübten (und die sich in Hinsicht auf Reformen selbst im Licht standen), und wer in dieser Schicht das Zeug gehabt hätte, Neues zu ersinnen, oder wer gar aus ihr ausscheren wollte, fand weder genügend Resonanz noch gar eine tragfähige Stütze für eine reformerische Politik: Die Ritter435 und weite Teile des Volkes436 hatten C. Gracchus trotz aller Vorteile, die sie durch ihn empfangen, als es hart auf hart ging, im Stich gelassen. Sie dachten an nichts als an ihre eigenen Interessen, auf sie war nichts zu gründen. Die beiden Gracchen haben also zwar den Bereich des Strittigen ausgedehnt und neue Themen zumKlingen gebracht, sie haben bewiesen, daß man auch außerhalb der selbstverständlichen Spielregeln des Senatsregimes Politik machen konnte, und damit einen Bann gebrochen, und sie haben endlich durch ihr Werk wie durch ihren märtyrerhaften Tod der popularen Sache einen gewissen Tiefgang gegeben. Aber sie haben zugleich durch die imponierende Kühnheit ihrer Politik, ja durch die Gründlichkeit ihrer Einsichten und Konsequenzen in der Aporie ihrer Zeit die Eitelkeit tiefgreifender Reformversuche erwiesen und haben dadurch vielleicht mehr, als der Senat es durch die groß angelegte Polizeiaktion gegen C. Gracchus vermocht hätte, lähmend auf alle weitere Politik gewirkt. Der Status quo wurde nicht überwunden, nicht einmal verbessert, sondern nur modifiziert, der Prozeß der Desintegration der Regierungskreise wie der gesamten Gesellschaft nur befördert. Nach zehn Jahren der Restauration 487hat dann 111 eine neue Phase heftiger popularer Agitation gegen den Senat eingesetzt. Sie kristallisierte sich zunächst um die jugurthinische Affaire, verband sich dann angesichts des Versagens der senatorischen Kriegführung gegen Cimbern und Teutonen mit Marius, auf dessen stets erneute Wiederwahl zumConsul sie drang undfür dessen Veteranen sie sich einsetzte. Mit der Niederschlagung des Saturninus im Jahre 100 kam sie zum Abschluß. Interessant ist, daß die Ritter sich relativ stark an dieser 435 O. S. 76.

436O. Anm. 295. Vgl. schon die Wahlen für 121: Plut. Gracchi 33,7 (mit Hall, Historia 13, 1964, 295. Zu vermuten ist wenigstens eine starke Einbuße an Stimmen gegenüber den beiden vorangehenden Wahlen). Zu den Bauern o. S. 99. 437Ausnahmen bildeten nur die Gesetze über die Colonie Narbo Martius (Note 7, u. S. 313) und Marius’ Gesetz zur Verengung der pontes (RE Suppl. 10, 602).

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Politik beteiligten. Das wird deutlich sowohl bei der jugurthinischen Affaire438 wie bei den Wahlen des Marius zum Consulat439, und es ergibt sich daraus, daß sie 106 die Geschworenensitze ganz oder zum großen Teil verloren und nun wieder in deren vollen Besitz zu gelangen trachteten (was 101 geschah)440. Weiter sprechen einige Gesetzesanträge der Zeit dafür: 106 wird die geheime Abstimmung auf die letzten noch mündlichen Volksbeschlüsse (bei Perduellionsverfahren) ausgedehnt441, 104 die Priesterbestellung auf die Comitien übertragen442 und es wird ad minuendam nobilitatis potentiam verfügt, daß wer vom Volk verurteilt oder seines Imperiums enthoben sei, nicht mehr Senator sein dürfe443. Die Antragsteller handelten jeweils aus höchst persönlichen Gründen444. Da sie jedoch zu den besten ihrer Generation zählten und das Consulat erreichen wollten, konnten sie die Nobilität auf diese Weise nur verärgern, falls sie dadurch andere mächtige Schichten gewannen445. Es scheint also, daß die durch sie bewirkten Verbesserungen der Stellung der Comitien in breiteren Kreisen auch der Ritterschaft günstige Resonanz fanden. Endlich beteiligten sich nur in diesen Jahren so viele der markantesten jüngeren Politiker an der popularen Politik446, nur für sie ist bezeugt, daßdaspopulariter agere unmittelbaren447 Nutzen bei der Wahl brachte wie auch die homines novi damals besonders große Chancen hatten448. Dabei mögen zeitweilig die Stimmen der marianischen Soldaten mitgesprochen haben449. 438 O. S. 79f. 439 Note 8, u. S. 313f. 440 o. Anm. 106. 441Cic. leg. 3,36. 442 GCG 86f. Vgl. Liv. per. 67. 443O. Anm. 431. 444 Cic.: ut opprimeret C. Popillium. Asc.: propter simultates cum Q. Servilio. Domitius war beleidigt, weil er nicht in die durch den Tod seines Vaters freigewordene PontifexStelle kooptiert worden war (Priestertümer wurden oft an den Sohn oder einen anderen Verwandten des letzten Inhabers weitergegeben: Liv. 27,6,15. 30,26,7. 41,13,4. 21,8f. [drei

Mal! zum zweiten vgl. Geer AJPh 60, 1939, 466f.]. Cic. Att. 2,5,2 [vgl. 9,2. Vat. 19. Schol. Bob. 147]. Broughton MRR 2,171. 187 n. 2. Caesar wurde 73 pontifex an Stelle seines verstorbenen Vetters C. Cotta [Gelzer, Caesar6 22]. Vgl. Liv. 26,23,7. Taylor AJPh 63, 1942, 398. 405. 412. Münzer RA 111). 445 Sie wurden deswegen freilich keine „ Ritter-Kandidaten“, wurden vielmehr, da sie mächtig blieben und es bei wenigen Seitensprüngen beließen, recht bald gewiß auch für die Nobilität wieder annehmbar. Vgl. für die Toleranz gegenüber Angehörigen hoher Adelsgeschlechter etwa Sall. hist. 1,77,6. Liv. 44,36,12; o. A. 9, 17. 446 Es handelt sich vor allem um C. Memmius, tr. pl. 111, aussichtsreicher Kandidat für das Consulat 99. C. Coelius Caldus, tr. pl. 107 oder 106, Consul 94, sowie die nobiles L. Cassius Longinus, tr. pl. 104, und Cn. Domitius Ahenobarbus, tr. pl. 104, Consul 96, Censor 92. Ferner sind zu erwähnen C. Marius, tr. pl. 119, Consul 107. 104 ff. L. Licinius Crassus, Befürworter eines popularen Antrags 118, Consul 95, Censor 92. Auch L. Marcius Philippus, tr. pl. ca 103, Consul 91, Censor 86, der ein Ackergesetz einbrachte, zeigt –sowenig er den Rittern zu Gefallen war –, wie aufgelockert die Verhältnisse damals waren. Ciceros Aussage zur lex Domitia: silentio, favente nobilitate (Corn. 2,6) ist kaum zu glauben. Vgl. auch Domitius’ Gegnerschaft gegen Scaurus und Silanus (GCG 86). 447 Vgl. dagegen u. S. 141 f. 448 RE Suppl. 10, 586. Vgl. BJ 161. 1961, 511, 29. –Gelzer, Kl. Schr. 1, 59f. U. S. 257 Note 8, u. S. 313f.

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Gleichgültig also wie es um die jeweiligen Motive und Ziele der Einzelnen und Gruppen und um die Besonderheit der einzelnen Situationen bestellt war, in diesem Jahrzehnt scheint sich eine oppositionelle Stimmung gegen den Senat mehrfach erneuert zu haben. Sie wurde genährt durch das Unglück und zum Teil beachtliche Versagen der senatorischen Kriegführung, möglicherweise aber auch, wie Sallust sagt450, durch die superbia nobilitatis, die unter solchen Umständen vielleicht gesteigert wurde, jedenfalls besonders anstößig wirken mußte. Hinzu kam, daß die Publicanen damals offenbar ihre Macht gegen den Senat möglichst wirkungsvoll demonstrieren wollten451. Daher trugen breitere Schichten als nur die plebs urbana die populare Politik452. Deren Tendenz richtete sich außer auf die Erweiterung der Rechte der Volksversammlung auf eine bessere Überwachung der Staatsführung und die Bestrafung der vermeintlich oder tatsächlich an den Mißerfolgen schuldigen Senatoren. Wegen Bestechung durch Jugurtha wurden 109 vier Consulare und ein Priester aus vornehmem Geschlecht durch ein aus Rittern gebildetes Sondergericht verurteilt453. Q. Caepio, der Consul von 106, verlor nach seiner Niederlage in Gallien sein (prorogiertes) Imperium durch Volksbeschluß und wurde anschließend zusammen mit Cn. Mallius, dem Consul von 105, vom Volksgericht verurteilt454. 103 brachte dann Saturninus eine lex demaiestate ein, nach der –was nun auch im einzelnen ihr Inhalt und ihre Absicht gewesen sein mag455 –Magistrate 449 Plut. Mar. 7,6. Vgl. Sall. Jug. 65,4. Wahrscheinlich waren die Soldaten auch bei den Wahlen für 100 dabei (trotz Plut. Mar. 28,8), vgl. Liv. per. 69. 450Jug. 5,1. Vgl. 31,4. 30,3. Dazu Note 11, u. S. 315f. 451O. S. 79f. 452Vgl. Note 11 (2), u. S. 316. Freilich waren sich die verschiedenen Träger dieser Politik keineswegs immer einig (vgl. z. B. Cic. Brut. 164 über das schlechte Ansehen der Ritter beim Volk [o. Anm. 102]. Danach hat sich ihr Prestige wohl erst langsam wieder gebessert, so daß sie erst 101 die Repetundengerichte zurückerhielten). Es handelte sich vielmehr um ein zeitweiliges Zusammengehen verschiedener Kräfte und eine zeitweilig alle umgreifende Stimmung. Vgl. u. Anm. 464. 453Cic. Brut. 128. Vgl. Sall. Jug. 40,5: quaestio exercita aspere violenterque ex rumore et lubidine plebis, auch Brut. 164. Steidle, Sallusts hist. Monogr. 48. 454GCG 85. 91. Für das Volksgericht: Cic. de orat. 2,164 (vgl. Brut. 135. Rhet. ad Her. und Licin.). Münzer RE 17, 928. Lengle, Hermes 66, 1931, 302ff. Die quaestio gegen Caepio wegen des aurum Tolosanum könnte nach der lex Appuleia de maiestate vor einem Rittergerichtshof (o. Anm. 106) stattgefunden haben (vgl. Oros. 5,12,21). Die übrigen Anklagen gegen vornehme Herren, wie gegen M. Junius Silanus und M. Aemilius Scaurus 104 und T. Albucius 103 (GCG 86. 92), besagen für sich wenig. Dergleichen kam zu allen Zeiten vor. Es geht hier um das Thema und vor allem den Erfolg der Anklagen. 455Sicher ist jedenfalls, daß es sich nicht, wie Mommsen (Röm. Gesch. 2, 180 A.) meinte, um die Einrichtung eines Sondergerichts wegen der „Landesverrätereien“im Krieg gegen die Cimbern handelte. Sonst hätte Norbanus nicht nach diesem Gesetz angeklagt werden können (GCG 118). Es ist mindestens eine allgemeine Klausel darin enthalten gewesen. Aber daß das Gesetz –wie die lex Mamilia von 109 und die lex Varia de maiestate von 90 (Note 12, u. S. 317) –vornehmlich auf einen speziellen Tatbestand gemünzt war, ist durchaus möglich. Dann hat erst Sulla den Tatbestand des Vergehens gegen die maiestas allge-

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wegen Vergehen gegen die maiestas populi Romani vor eine mit Rittern besetzte quaestio gezogen werden konnten456. So wurde in diesen Jahren zum ersten Mal Ernst gemacht mit der Konzeption, die C. Gracchus bei der Einrichtung der Rittergerichte vorgeschwebt hatte; die Schaffung des Majestätsverfahrens führte sie fort und manche Ungerechtigkeit der Rittergerichte von 109 pervertierte sie schon wieder. Darin wie in der sechsmaligen Wahl des Marius zum Consul äußerte sich eine neue innere

Dynamik, so daß es nicht so verkehrt ist, wenn Sallust sagt, daß damals zum ersten Mal ein wirksamer Angriff auf die Nobilität unternommen worden sei457. Mit dieser Strömung verband sich zuletzt der Versuch des Marius und Saturninus, die Veteranen mit Land zu versorgen. Da man die Äcker dafür in den Provinzen nahm, wurde kein römisches Interesse –außer dem des Senats458 –davon negativ berührt, und da man 103 auf Marius angewiesen war und er 100 seine Veteranen zur Abstimmung nach Rom holte, kamen beide Gesetze durch. Die plebs urbana wurde mit einer Verbilligung der Getreideversorgung geködert459. Nachdem schon die mehrfachen Iterationen des Marius gegen die bestehenden Gesetze verstoßen hatten460, häuften sich seit 103 Gewalttätigkeiten461 und Rechtsbrüche, Intercessionen wurden teils mißachtet462, teils durch gewaltsame Vertreibung der Tribunen verhindert463. Im Jahre 100 schließlich versuchte Saturninus, sein Volkstribunat zu iterieren, und sein Freund Glaucia wollte ohne das gesetzlich vorgeschriebene Intervall unmittelbar von der Praetur zum Consulat überwechseln. Als die Wahl zu scheitern drohte, ermordete man den erfolgreicheren Mitbewerber464. Doch damit war offenbar für Senat wie Öffentlichkeit das Maß des Erträglichen erfüllt. Das senatus consultum ultimum wurde beschlossen, und Senat und mein genauer formuliert (u. A. 259, 346), ohne daß man aber damit rechnen kann, daß er in Punkten, die nicht so aktuell erschienen, sehr ins einzelne ging. –Für eine möglicherweise wichtige Absicht der lex s. u. Anm. 517. 456O. Anm. 106. Die partielle Ersetzung des Volks- durch ein Rittergericht, die das Gesetz vornahm, könnte z. T. durch den Freispruch des Silanus 104 (GCG 86) veranlaßt 457 Vgl. Note 11, u. S. 315f. 458 S. o. S. 101 f. sein. 459 Rhet. ad Her. 1,21. Vgl. Brunt, JRS 52, 1962, 70,10. 460 Diejenigen, die Einwände dagegen vorbrachten, wurden mit Hinweisen auf den Präzedenzfall der Wahl des Scipio Aemilianus 135 abgewiesen (Plut. Mar. 12,1f.). Ob bei einer oder mehreren dieser Wahlen ein Dispens ausgesprochen wurde, ist nicht bekannt. Interessant ist, daß 101 dann auch ein Gegner des Marius, Metellus Numidicus, um Marius zu bekämpfen, sich trotz des Iterationsverbots bewarb (Plut. 28,8). Vgl. Note 8,u. S. 313f. 461 App. 1, 132ff. Cic. de or. 2, 197ff. u. a. (GCG 90f. 105f. 118). 462 Rhet. ad. Her. 1,21. 463 App. 1,133. 464GCG 108f. Der Mitbewerber war C. Memmius, der 111 als Volkstribun diese Phase senatsfeindlicher Agitation eingeleitet hatte –ein weiterer Hinweis darauf, wie locker und vorübergehend die Verbindung zwischen den verschiedenen Kräften war, die damals zusammenwirkten (o. Anm. 452).

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Ritter warfen gemeinsam unter Führung desConsuls Marius die seditio nieder465. Interessanterweise verurteilten die ritterlichen Geschworenen 99 und 98 einige Anhänger des Saturninus, den einen, wie es heißt, weil er zu Hause ein Bild des Tribunen hatte466. Eine tiefere Störung der öffentlichen Ordnung war nicht in ihrem Sinn, und da der Senat ihnen gleichzeitig wohl neue Zugeständnisse machte467, fand damit die zweite große Phase innenpolitischer Auseinandersetzungen ihren Abschluß. Saturninus’ Gesetze von 100 wurden nicht ausgeführt. Die Veteranen gingen, soweit sie nicht schon vorher versorgt worden waren, leer aus, ebenso dieplebs urbana, Marius selbst begab sich auf eine Reise undspielte auch nach seiner Rückkehr zunächst keine bedeutende Rolle mehr. Das Senatsregime festigte sich von neuem, spannte vor allem, nachdem es eine Weile lang notgedrungen einige Toleranz gegen aristokratische Popularen hatte walten lassen, die Disziplin innerhalb des Hauses wieder fester an. Und dank Marius’Siegen war auch die Gelegenheit zu manifestem Versagen in der Staatsführung fürs erste beseitigt. Aber wenn der Senat auch letztlich als Sieger aus den Kämpfen dieser Jahre hervorging, so konnten doch die wiederholten Niederlagen und die Erfahrung, wie stark die Ritter zu sein vermochten, nicht einfach wieder aus der Politik eliminiert werden Zunächst gewannen die Ritter in der Ausbeutung der Provinzen offenbar an Freiheit. Darauf versuchte Mucius Scaevola, die Ordnung in dem am meisten betroffenen Asien wiederherzustellen. Die Ritter antworteten, indem sie seinen bedeutendsten Gehilfen, P. Rutilius Rufus, de repetundis verurteilten. Es folgte der große Reformversuch des M. Livius Drusus, der unter anderem den Rittern die Gerichte wieder nahm468, und noch einmal deren Rache, als sie ein neues Majestätsgesetz einbringen ließen und Drusus’Freunde danach verurteilten. Soweit ging es nur um Reform im Sinne des Senats und Verteidigung des Status quo durch die Ritter. 88 aber beantragte P. Sulpicius Rufus, die Italiker gleichmäßig auf alle tribus zu verteilen, und scheint damit die Stellung der alten Senatsaristokratie zum ersten Mal stärker, wenn auch keineswegs grundsätzlich bedroht zu haben469. Das war jedoch kaum mehr als eine Auswirkung der Schwierigkeiten, die das Bundesgenossenproblem nun einmal in der zwischen Senat und Rittern angespannten Situation aufgeben mußte. Sulpicius hat ferner die starke Gruppe der Freigelassenen für sich eingenommen, indem er sie ebenfalls gleichmäßig auf alle tribus verteilen lassen wollte470. Endlich ließ er das Kommando gegen Mithridates durch die Comitien vom Consul Sulla, der es rechtmäßig erlost hatte, auf Marius übertragen: ein recht willkürlicher Eingriff in die Exekutive, der, wenn er Schule machte, erhebliche Störungen der Politik und Kriegführung nach sich ziehen mochte, der 465Cic. Rab. perd. 20ff. GCG 108f. Von der Mühll, De L. Appuleio Saturnino, Diss. 466Cic. Rab. 24. 467 O. S. 81 f. 468 U. S. 211 ff. Basel 1906. O. Anm. 107. 469 U. S. 219f. 470 RE Suppl. 10, 610.

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allerdings ebenfalls stark durch die ausnahmsartige Situation bedingt war471. Die Durchsetzung der Anträge war mit offener Gewalt und Erpressung der Consuln verbunden, undzumersten Malwar der Senat nicht in der Lage, einen großen Tribunen, der einschneidende Veränderungen unter Verstoß gegen das Recht erzwungen hatte, von sich aus unschädlich zu machen. Der Consul Sulla hat es nachgeholt, aber er mußte dafür gegen den Willen der Senatsmehrheit seine Legionen nach Rom führen472. Die weiterreichenden Konsequenzen des dann liquidierten und anschließend von Cinna wieder für gültig erklärten Italiker-Gesetzes wurden imBürgerkrieg undin densullanischen Proskriptionen vereitelt473. Nach demBürgerkrieg hat Sulla im Rahmen seines umfassenden Versuches, das Senatsregime wiederherzustellen, die Gesetzgebung der Comitien wieder an die Zustimmung des Hohen Hauses gebunden474. Allein, der Senat war damals so geschwächt und wurde dann vor so schwere Probleme gestellt, daß er in der Führung der respublica immer wieder versagte und sich schon nach zehn Jahren die Wiederherstellung der Vollmachten von Volkstribunat und Comitien gefallen lassen mußte475. Dies hätte sich auf die Dauer aber ohnehin kaum vermeiden lassen, zumal breiteste Schichten darauf drängten476. Man brauchte die Volksversammlung außerdem nötiger als je, um die Bewältigung der äußeren Probleme zu ermöglichen, denen auf herkömmliche Weise nicht beizukommen war477. Das zeigte sich 67 und 66, als mit Hilfe der Ritter die großen Kommanden für Pompeius eingerichtet wurden478. 67 erhielten die Ritter auch die gesonderten Sitze im Theater, die ihnen C. Gracchus eingeräumt und Sulla genommen hatte, durch Volksgesetz zurück479. Gleichzeitig brachte C. Cornelius eine Reihe von interessanten Gesetzen ein, die einer Versachlichung des öffentlichen Lebens, der Ausschaltung von Willkür und Korruption dienen sollten: Der Praetor solle in der Rechtsprechung an sein Edikt gebunden sein. Privilegien sollten nur von den Comitien beschlossen werden dürfen. Als dieser Antrag scheiterte, setzte Cornelius durch, daß bei den Senatsverhandlungen darüber mindestens 200 Mitglieder anwesend sein müßten. Ein dritter Antrag verfügte, auswärtigen Gesandtschaften dürften in Rom keine Darlehen gegeben werden (was angesichts der Bestechungen und der Cliquenwirtschaft, zu der diese Geschäfte stark beitrugen, sehr wichtig sein 471Diod. 37,29,2: π α ρ α ν ό μ ω ς. Es ist ein großer Unterschied, ob –wie bei Scipio Aemilianus und Marius –die Volksversammlung ein noch freies Kommando verleiht oder ob sie ein bereits –und zwar an einen durchaus tüchtigen Mann –verliehenes Kommando dem einen nimmt und einem andern gibt. Auch der Vorgang von 192 (Liv. 35, 20) ist hier nicht zu vergleichen, da die Änderung damals auf Anregung des Senats und auf Grund einer veränderten Lage beschlossen wurde (vgl. Bleickcn, Volkstrib. 55). 472 U. S. 222ff. 473 U. S. 254. 474 U. S. 255. 475 U. S. 269. 476Vgl. Cic. leg. 3,26 477Gelzer, Kl. Schr. 2,161. Vgl. 1,243. 2, 177. 181. 295. 478O. S 86. 479O. S. 87.

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konnte)479a. Endlich sollten härtere Strafen für Wahlbestechung ausgesetzt werden. Im folgenden Jahre beantragte C. Manilius noch einmal, die Freigelassenen auf alle tribus zu verteilen, und hegte weiterhin den Plan, die Reihenfolge der Abstimmung in den comitia centuriata künftig durch das Los bestimmen zu lassen480. Wenn Cornelius’Anträge die alte institutionalisierende Tendenz481 wieder aufnahmen, so suchte Manilius mit den seinen, die unmittelbaren Werkzeuge der popularen Politik aufzuwerten482. Auffälligerweise fanden

beide Richtungen, abgesehen von den sich jagenden ambitus-Gesetzen, keine Fortsetzung. Soweit sie nicht nur persönlich bedingt waren, sind sie wohl als erste Versuche zu verstehen, die popularen Möglichkeiten neu zu erkunden483. Als die besagten Pläne des Manilius scheiterten, beide Tribunen vor Gericht gestellt wurden, Manilius auch in dieVerbannung gehen mußte483a, warerwiesen, wie die Dinge standen: Die Förderung der plebs urbana bzw. contionalis stieß auch jetzt auf so harten Widerstand, daß es aussichtslos war, sie weiter zu betreiben, und die institutionalisierende Tendenz scheint kein sonderliches Interesse mehr hervorgerufen zu haben: der Senat stand feindlich dagegen, und den Rittern –die jetzt mächtiger im Staate waren als je484 –war nichts daran gelegen. Die Situation von 111 bis 100, in der solche Gesetze vermutlich weitere Resonanz gefunden hätten, kehrte nicht wieder485. Das Populare an der popularen Politik interessierte nur noch die städtische Masse und um derentwegen lohnte es sich nicht, nennenswerte Aktionen ins Werk zu setzen. Überhaupt sind politische Impulse, die über Machtgewinnung und Interessenverfolgung hinauszielten, in der folgenden Zeit nicht mehr zu beobachten. Das populariter agere ist damals vielmehr ganz in den Dienst der großen Einzelnen, vor allem des Pompeius, getreten. Nurmehr mittelbar, indem eshalf, diese zu gewinnen, konnte es für eine Laufbahn von Wert sein. Die Machthaber konnten diesen Weg zwar nicht monopolisieren, aber größere politische Aktionen waren unabhängig von ihnen kaum mehr möglich. Caesar in seiner 479a Asc. 47 f. Dio 36, 38,4 ff. 40, 1f. Der Antrag wegen der Darlehen ist leider RE Suppl. 10, 577 vergessen worden. 480 Broughton, MRR 2, 153. –Cic. Mur. 47. RE Suppl. 10, 610. 481RE 605ff. Dazu u. Anm. 510a. 482RE 610. 614. Beim letzteren mag eine Einschränkung des ambitus mit beabsichtigt gewesen sein. 483 Beide Tribunen waren mit Pompeius verbunden (vgl. Manilius’ lex de imperio und Asc. 50). Aber ihre Gesetze können kaum als taktische Mittel in dessen Dienst verstanden werden. Manilius wollte sich wohl für Pompeius interessant machen, Cornelius scheint mehr die Sache im Auge gehabt zu haben (obwohl er zugleich zu den „Managern“popularer Politik gehörte: RE 577. 614). 483a Asc. 49. Schol. Bob. 119. Vgl. Cat. 39,2: iudiciis terrere, quo plebem in magistratu placidius tractarent. 484 O. S. 84 ff. 485O. S. 135 ff. Ähnlich in der Tendenz nur noch Clodius’Census-Gesetz von 58 (RE 606) und die lex Maria Porcia von 62 (Val. Max. 2,8,1), von der wir aber nicht behaupten können, daß sie popular gewesen wäre.

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frühen Laufbahn486 und Clodius in den Jahren seit 58487, die eine gewisse Ausnahme zu bilden versuchten, bestätigten die Regel488. Damit war das Thema der Politik bestimmt. Nachdem Pompeius die äußere Not des Staates beseitigt hatte, suchte er –berechtigtermaßen –eine seinen Leistungen entsprechende anerkannte Vorzugsposition zu erlangen. Dazu gehörte zunächst489 der Versuch, zwei Forderungen, die sich aus seiner Kriegführung im Osten ergaben: auf Ratifikation der dort getroffenen Verfügungen und Landversorgung der Veteranen durchzusetzen. Der Widerstand des Senats nötigte ihn, alle Mittel zu gebrauchen: Pompeius verband sich mit Caesar, holte seine Veteranen nach Rom undwilligte ein, daß Caesar mit Gewalt und Rechtsbruch für die Erfüllung der Forderungen sorgte. Zum Lohn und zur Sicherung mußte er ihm dafür helfen, ein fünfjähriges Kommando in der Gallia Cisalpina und danach auch die Transalpina zu bekommen, um sich damit ebenfalls eine außerordentliche Machtposition aufzubauen. Damals verfielen die Gegner auf eine neue Taktik: Sie ließen den Consul Bibulus gegen jeden der zahlreichen Anträge obnuntiieren, so daß Caesar sich vielfach strafbar machte und seine Gesetze allesamt für nichtig hätten erklärt werden können. Der Sinn dieser Taktik kann nur darin gesehen werden, daß man hoffte, die stets erneute Übertretung geheiligter Verfassungsgrundsätze werde genügend moralische und 486Vgl. die Belege RE 580. Er hat offenbar auf popularem Wege zahlreiche Interessen zu fördern gesucht, die im Senat wenig Anklang fanden, insbesondere die des Crassus und Pompeius, Gelzer Caesar6 29f. 35f. 38ff. 41 (mit Athenaeum 40, 1962, 114, 41). 45ff. (dazu ebd. 115ff.). 51. Für die übrigen vgl. Suet. Jul. 5. Vell. 2,43,4 mit Gelzer 38,58. Dabei spielten die Marianer eine besondere Rolle (vgl. noch Plut. Caes. 5,1ff. 6,1. Cic. leg. agr. 3,7). Durch diese vielfältige Aktivität scheint sich Caesar eine sehr mächtige, angesehene Position bei der plebs aufgebaut zu haben. Das sprach entscheidend bei seiner Wahl zum pontifex maximus mit. Aber Wesentliches war damit nur zu erreichen, indem er dadurch für Pompeius und Crassus interessant wurde. Vgl. allg. Einl. zu H. Simons Übers. v. Caesars Bürgerkrieg, 1964, XXXV ff. bes. XLV. 487RE Suppl. 10, 588ff. Zu den Gesetzesanträgen vgl. Cic. Sest. 55: legum multitudo cum eorum quae latae sunt, tum vero quae promulgatae fuerunt. Bekannt sind neben der Verbannung Ciceros ein Getreidegesetz, das Vereinsgesetz (RE 615), die Einschränkung der leges Aelia et Fufia (dazu zuletzt Taylor, JRS 52, 1962, 22,21 m. Lit. Ferner: RE 603. 607. Ich frage mich, ob die glatteste Lösung der alten Frage nach dem Inhalt des Gesetzes nicht die ist, daß erst Clodius einführte, die obnuntiatio müsse von dem betreffenden Magistrat persönlich vor der Volksversammlung vorgebracht werden. Das war wohl 59 noch nicht [Suet. Jul. 20,1. Dio 38, 6,5 mit Mommsen St.-R. 3, 1058,2], jedoch 57 anscheinend [Cic. Att. 4,3,4] erforderlich. Damit wäre ein sehr wesentlicher Vorteil der obnuntiatio [gegenüber der Intercession] beseitigt worden –nach den Erfahrungen, die man 59 mit Bibulus gemacht hatte). Viertens ist die Einschränkung der Censur zu nennen (Lange RA 3, 297f.). Neben zahlreichen Vergünstigungen (Cic. Sest. 66. har. resp. 58. dom. 129 f. Mil. 73) ist endlich der Plan zu nennen, das für die Bewerbung um das Consulat erforderliche Mindestalter herabzusetzen (Cic. Sest. 66. Vgl. dom. 129). 488 Die übrigen Gesetzesanträge bezogen sich auf ambitus, Änderungen der Gerichtsverfassung, Pachtnachlaß für Publicanen u. dgl. 489 Nach dem Vorspiel von 63/62: Athenaeum 40, 1962. 103 f.

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politische Energien alarmieren, daß man Caesar am Ende zu Fall bringen könnte wie einst die Gracchen und Saturninus490. Die Verfechter eines konsequenten Senatsregimes waren so schwach, hielten aber zugleich die allgemeine Anhänglichkeit an die alte Verfassung noch für so stark, daß sie hofften, mit deren Niederlage werben, aufrütteln, siegen zu können. Die Rechnung war nicht ganz falsch, aber Caesar erwies sich als noch stärker: Nachdem die Übertretung des Rechts für ihn unvermeidlich geworden war, scheint er zum Teil geradezu hohnvoll mit den alten Institutionen umgegangen zu sein491, und endlich ent-

kam er der Rache. Damit war der Beweis erbracht, daß man die geheiligten Grundsätze der Verfassung offen und hemmungslos mißachten konnte, ohne dafür bestraft zu werden. Das bedeutete nicht nur, daß Intercession und Obnuntiation noch weiter entwertet undder Gewaltsamkeit Tor undTür geöffnet waren –58 stellte , sondern es war dem Senat und der Verdann Clodius seine Banden auf492 – fassung eine Niederlage beigebracht, wie sie schwerer kaum sein konnte. Das war um vieles schlimmer als der Inhalt der Gesetze. Eine Gruppe führender Senatoren scheint das auch erkannt zu haben. Denn wir hören davon, daß man Caesar gegen Ende des Jahres anbot, alle Gesetze noch einmal rechtmäßig einzubringen; dagegen sollte dann weder intercediert noch obnuntiiert werden493. Ein ähnlicher Versuch wie bei den Wahlen des Scipio Aemilianus, die Legalität künstlich wiederherzustellen494. Allein, Caesar lehnte ab. Er wollte dem Senat nicht wieder aufhelfen, seine Taten nicht verleugnen. So tief und kaum heilbar aber die Wunden waren, die der Senat erlitten hatte, so wenig war Pompeius am Ziel. Wohl konnte nichts mehr gegen ihn geschehen, aber damit war seine Sonderstellung noch nicht etabliert. Es bedurfte weiterer Gesetze, 57 der Einrichtung einer cura annonae, 55 der Verleihung der spanischen Provinzen (während Crassus Syrien erhielt)495. Aber auch diese Vollmachten, wie sie mit popularer Politik alten Stils zu erlangen waren, reichten nicht aus. Nur übergroße Not konnte den Senat zum Einlenken bringen. So ließ Pompeius es geschehen und förderte es, daß ständig Unruhen erregt wurden und durch Intercessionen und andere Störungen ein geregelter Ablauf des öffentlichen Lebens zunehmend verhindert wurde496. 54 war die Anarchie schon so weit, daß er mit dem Gedanken spielen konnte, durch Volksgesetz eine Dictatur einsetzen zu lassen. 52 endlich gab der Senat nach undschloß ein Bündnis mit Pompeius. Was in der Politik dieser Jahre vorging, mutet auf den ersten Blick wie ein großes Mißverständnis an. Denn im Grunde wollte weder Pompeius noch der 490Vgl. dazu wie zum Folgenden u. S. 282ff. 491Vgl. die Anm. 486 zit. Einleitung XVff. XLVIf. Historia 10, 1961. 86f. 492 RE Suppl. 10, 589. 615. 493 Cic. prov. cons. 46. RE 588. 494O. S. 126f. 495 U. S. 286f. 496 Ed. Meyer, Caesars Monarchie u. d. Principat d. Pomp.3 191 ff. Gelzer, Pomp.2 162ff

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Senat, was geschah. Pompeius lag nichts daran, daß Caesar so schwere Schläge auf den Senat austeilte und große Statthalterschaften gewann, und wenn die cura annonae und das Kommando in Spanien ihm angenehm waren, so litt er doch unter dem Konflikt mit dem Hohen Haus und hätte gewiß auf sie verzichtet, wenn er dafür allgemeine Anerkennung erfahren hätte. Er wurde also mehr durch die Gegnerschaft des Senats getrieben, als daß er selbst der Treibende gewesen wäre. Er hegte außerdem großen Respekt gegen Senat und Verfassung und wollte nichts anderes als im Rahmen des Gegebenen einen besonderen Platz einnehmen, keinen monarchischen, aber doch die Stellung eines Ersten und Besten, des leitenden Staatsmanns innerhalb des Senats497. Aber schon diese Absicht widersprach den auf Gleichheit ausgerichteten Grundsätzen des öffentlichen Lebens in Rom, und das wurde doppelt empfunden, weil der damalige Senat schwach und dogmatisch war. Die Macht, die Pompeius sowie Crassus und Caesar als einzelne gewannen, veränderte auch in der Tat die Verfassungswirklichkeit, zumal seit 55, als sie eindeutig eine höhere Klasse von principes bildeten, zu der nur gehörte, wer langjährigen Oberbefehl über Heere und Provinzen hatte. Aber so tief diese Veränderung der Machtverhältnisse war, so sehr sie faktisch den Rahmen des Gegebenen sprengte, man zog keine Konsequenzen daraus. Die alten Magistrate wurden weiter besetzt, der Senat als das verantwortliche Regierungsorgan verstanden, keine Institution wurde auf die neue Lage zugeschnitten, es sah aus, wie wenn die drei Machthaber sich nur im alten Gehäuse etwas besser einrichten beziehungsweise –wenn man vom Urteil der Gegner ausgeht –sich dort ungebührlich breitmachen wollten. Entsprechend spielte auch die alltägliche Politik sich ab wie eh und je (wenn man von der zunehmenden Korruption absieht). Paradoxerweise also wurde in dieser Zeit, in der im Grunde nichts mehr unmöglich war, wo alles hätte strittig sein können, besonders wenig in Frage gestellt. Hier wo größte Veränderungen in den Machtverhältnissen eintraten, findet sich am allerwenigsten von ernsthaft betriebenen Reformplänen, kein Impetus zu Neuerungen, die über das unmittelbare Behandeln vonSymptomen, etwa durch die Einführung einer anderen Richterauswahl und neue Strafgesetze, hinausgingen. Nichts stimmte mehr in diesem Staat, zuletzt machte offene Anarchie sich breit, jedem war klar, daß es so nicht weitergehen könnte. Aber keiner sah, was man anders machen konnte –bevor der Senat sich mit , und so versuchte man sich offenbar getreuer und enger an Pompeius vertrug – die alten Normen zu halten als je498.

c) Die Funktion der popularen Politik, ihre Grenzen und Möglichkeiten Der Überblick über die Phasen der römischen Innenpolitik lehrt zunächst in vielleicht überraschender Weise, daß alle politischen Pläne sich im Rahmen 497U. S. 289f.

498Vgl. u. S. 258.

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enger Grenzen bewegten. Das kann nicht dadurch bedingt gewesen sein, daß die Initiative zur Gesetzgebung formal bis zuletzt in der Hand der Magistrate oder Volkstribunen lag und daß auch die umfassenden Möglichkeiten der Intercession, Obnuntiation und anderer Arten der Obstruktion gültig blieben499. Denn mächtige Interessen mußten über kurz oder lang immer einen Magistrat finden, der sich ihrer Sache annahm500. Unter den Möglichkeiten des Vetos aber sind die religiösen, soweit wir wissen, in größerem Ausmaß erst in den verzweifelten Situationen nach 59 angewandt worden, andernfalls hätten sie sich auch sehr rasch verschlissen501. Und die Intercession, die wohl nie als absolutes Recht verstanden worden ist502, warseit Ti. Gracchus vollends relativiert: man konnte sie umgehen, verhindern oder brechen503. Freilich war der allgemeine Respekt vor dieser geheiligten Institution so groß, daß, wer sie mißachtete, sehr an Prestige einbüßen konnte oder gar mit einem Gerichtsverfahren rechnen mußte504. Insofern bildete sie überall da, wo nicht starke Mächte oder Notwendigkeiten am Werk waren, weiterhin eine wirksame Barriere505. Wenn also mit diesen Mitteln gegen wirklich entschlossene undauf kräftige Interessen gestützte Magistrate nichts auszurichten war, so waren die Grenzen der popularen Politik durch die Machtverhältnisse bedingt. Erstens war die wirtschaftliche undsoziale Ordnung fast unbestritten. Insbesondere ist niemals außer in den Zeiten des Bürgerkrieges das Privateigentum römischer Bürger, auch nicht der Großgrundbesitzer, angetastet worden: Ti. Gracchus und Livius Drusus wollten nur okkupiertes oder verpachtetes Staatsland verteilen506, und die übrigen erfolgreichen rogationes agrariae haben teils Land in den Provinzen, teils den Ankauf des nötigen Bodens vorgesehen, für den beim ersten Ackergesetz von 59 zum Beispiel die Erlöse aus der Beute des Pompeius verwendet 499Intercession: Plut. Cato min. 20,8. Mommsen, St.-R. 1, 260ff. 283f. 2, 293f. Bleicken, Volkstribunat 74ff.- Obnuntiation: Mommsen St.-R. 1, 110 ff. Frank CAH 8, 367. Weinstock RE 17, 1726ff. JRS 27, 1937, 215ff. (Zu den leges Aelia et Fufia vgl. die Hinweise o. Anm. 487). –Ansetzung vonferiae (iustitia) und Spielen: Plut. Sulla 8,3f. App. 1, 244f. 268. Macrob. sat. 1,16,6. Cic. Q. fr. 2,5,2 [4,4] ff. Mommsen 1,263 mit 3,1058,2. Taylor, Party Politics 78ff. Einen gewissen, freilich begrenzten (Taylor 59f.) Schutz gegen tribunicische Rogationen sollte auch die Anordnung bieten, daß über Gesetze erst 24 Tage nach deren Bekanntmachung abgestimmt werden dürfe (GCG 115. Gegen den letzten Satz bei Taylor 207,61: Last, Gnomon 22, 1950, 362f.). Vgl. allg. Cic. Att. 2,9,1. leg. 3, 42. 500Vgl. Cic. leg. 3,24, freilich kam es darauf an, daß er dem Druck der Gegner gewachsen war (vgl. Cic. de orat. 2,197. Taylor 73). 501Vgl. Mommsen 1,112. Einige Vermutungen bei Weinstock RE 17,1726ff. Für die besondere Situation von 59 u. S. 282 f. Allg. vgl. Wieacker, V. röm. Recht2 75. 502 U. S. 157 f. 503Vgl. z. B. Cic. Sest. 77. Auct. vir. ill. 73. App. 1,166: Einschüchterung und Terror. App. 1,133. Cic. Vat. 5: Verjagung. Rhet. ad Her. 1,21: anscheinend einfache Nichtbeachtung. Ferner die Absetzung 133 und 67 (o. S. 134). Diese vier Möglichkeiten sind bekannt. 504Vgl. o. Anm. 483 a. Vorher konnte man natürlich mit den Tribunen verhandeln. 505Vgl. Einl. zu H. Simons Übers. v. Caesars Bürgerkrieg XXI f. 506O. S. 97. –Badian FC 217f. 10 Meier

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Der seit 90 verschiedentlich laut werdende Wunsch nach Schuldenerlaß, der selbst von Senatoren geteilt wurde508, hatte so mächtige Widerstände gegen sich, daß –abgesehen von der besonderen Situation der 80er Jahre –nur Verzweifelte wie Catilina, Caelius oder Dolabella ihn sich zu eigen machten; realisierbar war er nicht509. Zugleich ist aber auch die politische Ordnung kaum zentral angetastet worden. Die Einführung der Rittergerichte wie die gesamte Aufwertung des Standes durch C. Gracchus bildete für lange Zeit den weitestgehenden Eingriff510. Die anderen Gesetze bis 70 betrafen die Verfassung unmittelbar schlimmstenfalls an der Peripherie. Denn indem hier und da die Kompetenz der Comitien sowie die Freiheitsrechte des Volkes etwas erweitert unddas Regime von Senat und Magistraten an einigen Stellen versachlicht510a wurde, ging es im Grunde immer nur um Abschaffung von Mißständen und Verhinderung von Willkür, vollzog sich nur ein Prozeß vereinzelter äußerlicher Anpassungen an die veränderten Verhältnisse. Schon der Antrag, die unmittelbare Iteration des Volkstribunats zu ermöglichen, und die Versuche, die Stimmordnung in den comitia centuriata zu modifizieren, scheiterten. Anders wurde es erst, als immer mehr Ausnahme-Regelungen zuGunsten desPompeius getroffen wurden, dadamit der sehr wesentliche Grundsatz der Gleichheit innerhalb der Oligarchie verletzt wurde. Aber subjektiv hielt sich Pompeius fast ganz im Rahmen des Überkommenen und objektiv stellten sich die Vollmachten, die er –jedenfalls bis 56 –erhielt, für weiteste Kreise wohl nur als Mittel zur Bewältigung besonderer Situationen dar. In dieser Begrenzung der Politik wirkte sich (zumal nach demScheitern des C. Gracchus) allgemein die vorherrschende konservative Gesinnung der Römer und besonders die Überlegenheit der boni aus, denen jede Störung der guten alten Ordnung (es sei denn sie geschähe zu ihrem Vorteil) unheimlich war511. wurden507.

507 Dio

38,1,4.

508RE Suppl. 10, 609 (Dazu Cic. off. 2, 84 z. J. 63, sowie die Befürchtungen, die sich 50/49 an Caesars Rückkehr hefteten, Gelzer, Caesar6 172. Zur Situation noch Cic. Att. 5,21,3 abzügl. einiger Übertreibungen). Yavetz, Historia 12, 1963, 487ff. Syme, Rom. Rev. 89. Gelzer, Kl. Schr. 1,36f. Früchtl, Geldgeschäfte b. Cic. Diss. Erl. 1912, 60f. 509Vgl. Note 9, u. S. 314 f. 510Vgl. zum Folgenden die Zusammenstellung RE Suppl. 10,603 ff. Dort fehlen die drei angeblichen Pläne des Ti. Gracchus (Plut. 16,1; o. Anm. 410). Strasburger RE 18, 795. 510a Zur institutionalisierenden Tendenz ist in Ergänzung zu RE Suppl. 10, 605 ff. auf o. Anm. 55; u. Anm. 517 (zur lex Appuleia de maiestate) sowie vielleicht auf die leges Licinia et Aebutia de magistratibus extraordinariis hinzuweisen, quae non modo eum qui tulerit de aliqua curatione ac potestate sed etiam collegas eius, cognatos, adfinis excipit, ne eis ea potestas curatiove mandetur (Cic. leg. agr. 2,21. Vgl. dom. 51), zwei interessante, in ihrer Tendenz zur Versachlichung mit vielen popularen Anträgen übereinstimmende Gesetze (vgl. auch Plut. Gracchi 31,1. Dio 38, 1,7), die sich aber zugleich gegen manche Popularen (z. B. die Gracchen, s. Plut. a. O.) richteten und geeignet waren, einen Anreiz popularer Politik zu beseitigen, also vermutlich eher im Sinne des Senats erlassen worden sind. 511Vgl. o. S. 75. 86. 89 f.

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Sie beherrschten die Wahlen und konnten notfalls große Macht in Rom konzentrieren512. Und durch sie gewann jene Waffe ihre durchdringende Schärfe, die der Senat seit 121 im Falle stärkerer Gefährdung der überkommenen Ordnung anwandte, das senatus consultum ultimum, das heißt die Verhängung des Ausnahmezustands und Übertragung unbeschränkter Vollmachten an die Magistrate. Da Rom keine größeren Polizeikontingente kannte, war der Senat in solchen Fällen auf die Unterstützung der Bürgerschaft angewiesen513, und er hat sie bis 63 jeweils erhalten, sobald ein radikales Eingreifen gerechtfertigt erschien. Allerdings führte das fast mit Notwendigkeit dazu, daß die Magistrate mit äußerster Härte und unter Mißachtung des Provocationsrechts vorgingen, und der Senat hatte an sich keineswegs das Recht, das Provocationsgesetz zu suspendieren. Aber er hatte die Verantwortung für den Staat, und das mußte im Notfall dieses Recht implizieren514. Er nahm damit ein wichtiges, wenn nicht das wichtigste Stück Souveränität in Anspruch, die Entscheidung über den Ausnahmefall (die bisher nicht aktuell gewesen war, da es solche Ausnahmen nicht gegeben hatte)514a. Gleichwohl ist es wahrscheinlich, daß die Gegner des Senats dieses usurpierte Recht nicht, oder doch: nicht gleich anerkannten und dagegen die absolute Gültigkeit des Provocationsgesetzes behaupteten. Aber wenn es richtig ist, daß P. Decius 120 den Consul Opimius wegen der Durchführung seiner Polizeiaktion gegen die Gracchaner vor dem Volksgericht anklagte, so erfuhr das senatus consultum ultimum durch dessen Freispruch eine Bestätigung durch die Comitien515. Und es spricht vieles dafür, daß das Notstandsrecht in der folgenden Zeit kaum je mehr ernsthaft umstritten gewesen ist516, wenn auch einige Tribunen zuweilen auf die Problematik dieser Einrichtung hingewiesen und versucht haben mögen, deren Anwendung zu erschweren517. Vermutlich haben die boni das extremis rei p. temporibus refugium et 512O. S. 75. 84 f. 513 Gött. Gel. Anz. 216, 1964, 47. Vgl. u. S. 157. 514Ich möchte das an anderer Stelle noch näher begründen. Hier sind zahlreiche Fragen der Staatspraxis und des Verfassungsbegriffs noch offen, so daß die bisherigen Lösungen etwas eng anmuten. Manches wird auch durch Vergleich mit dem englischen Notstandsrecht 514a Vgl. U. v. Lübtow, Röm. Volk 309. erhellt. 515Die Quellen sind da nicht ganz eindeutig: RE Suppl. 10,575. Es ist nicht auszuschließen, daß der Gegenstand der Anklage wirklich, wie Kunkel meint, sehr begrenzt war. Dann würde das aber bedeuten, daß die optimatische Propaganda nachträglich mit dem Gegenstand zugleich das Ergebnis des Verfahrens stark aufgebläht hat, so daß eben jenes ius der Magistrate, auch contra leges zu handeln, von dem Cicero spricht, von den Comitien 516RE 600 f. bestätigt zu sein schien. 517So beim Rabirius-Prozeß, RE 601 mit Athenaeum 40, 1962, 114,41. Man sollte aber auch vermuten, daß hier mindestens ein sehr wichtiges Motiv der lex Appuleia de maiestate lag. Denn da die Niederschlagung eines sacrosancten Volkstribunen und überhaupt die Verletzung des Provocationsrechts fraglos die maiestas des römischen Volkes verletzte, wurde nun statt der comitia centuriata ein Rittergericht (o. Anm. 106) für solche Handlungen zuständig; das mochte in der damaligen Situation eine durchaus wirksame Abschreckung 10*

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praesidium salutis518 immer als wesentlichen Teil der Verfassung angesehen und

garantiert. So viel man sich also auf die summa potestas der Volksversammlung berufen mochte, so müssen doch allen die engen Grenzen des Bereichs gegenwärtig gewesen sein, in dem dieser Anspruch nur galt. Die causa populi hatte keine Konsequenz, es wurde bei ihr Unzähliges als selbstverständlich mitgedacht, was ihr widersprach519. So ist es wahrscheinlich nicht falsch zu sagen, die Popuauf die Souveränität des Volkswillens berufen“–denn ihre laren hätten sich „ , wenn man dabei Worte und auch die Vorwürfe der Gegner klangen danach 520– war, eine Behauptung dies daß die nur sehr bedingt galt nur im Auge behält, (und auch gemeint war). In diesen Schranken aber konnte die auf die Comitien gestützte Politik verschiedenen Notwendigkeiten gerecht werden, wirkte sie also nach wie vor als Ventil zur Erfüllung überfälliger mächtiger Forderungen. Dabei ist zu wiederholen, daß in solchen Fällen keineswegs die plebs urbana die Entscheidung traf, sondern daß starke Interessengruppen den Ausschlag gaben und daß die Anträge fast ausnahmslos sachlich durchaus berechtigt waren.

Aber so wenig die populare Politik unmittelbar zentrale Sätze der alten Ordnung berührte, so wurde doch die Verbindlichkeit dieser Ordnung durch die verschiedenen Eingriffe und die lange Reihe der Unregelmäßigkeiten, die seit der Absetzung desOctavius und derDrohung mit der rogatio de abactis521 vorgekommen waren, empfindlich geschwächt, die moralischen Grundlagen der Verfassung wurden aufgeweicht. Insbesondere wurden durch den Aufstieg der Ritter und der großen Einzelnen die Machtverhältnisse so stark verwandelt, daß die alte Verfassung immer weniger funktionierte. Mit andern Worten: die populare Politik unterlief mehrfach die Grenzen, die ihr äußerlich gesetzt waren, und die ihre Verfechter auch an sich meist respektierten. Wohl kaum einer der Popularen und ihrer Hintermänner wollte die Auflösung der politischen Kultur522, zu der so viele von ihnen beitrugen. Besonders interessant ist in diesem Zusammenhang die Behandlung der großen Anträge von 67 und 66. Die sehr breiten Schichten, die damals auf die Einrichtung außerordentlicher Kommanden für Pompeius drangen, dachten gewiß nur daran, außerordentliche Notlagen durch ein ungewöhnliches Mittel zubeheben. Das wesentliche, fortwirkende Ergebnis der Kommanden aber mußte ein anderes sein: daß Pompeius so mächtig wurde, daß er sich nicht mehr recht in die alte Ordnung einfügen konnte. Die führenden Senatoren haben das auch ganz deutlich ausgesprochen523. Aber obwohl den Rittern vermutlich der Aufstieg des Pompeius keinesbedeuten (vgl. o. S. 81. 135 ff. A. 455f.). Aber es ist jedenfalls interessant, daß man niemals geradezu das Notstandsrecht geregelt hat (RE a. O. Vgl. 604). 518Cic. Rab. perd. 4. 519RE 599. 520 Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 199. –RE 598. 521O. S. 133f. 522Zum Ausdruck vgl. H. Buchheim, Totalitäre Herrschaft, 1962, 70ff. 523Gelzer. Pomp.2 71. 81.

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wegs erwünscht war, obwohl mindestens –wenn sie denn in diesem Punkt mehr gleichgültig waren –die alte Verfassung wesentlich auch auf ihnen beruhte, stand dieses Argument für sie natürlich ganz im Hintergrund. Sie dachten primär nur an die äußere Ordnung, von der der Gang ihrer Geschäfte abhing. Wann soll es auch je vorgekommen sein, daß breite Schichten bourgeoisen Gepräges politische Gesichtspunkte für die maßgebenden gehalten hätten524! Die wichtigste Auswirkung der beiden großen Anträge stand also für die entscheidenden Teile der Bürgerschaft nicht zur Debatte. Und ähnlich kann man auch sonst in dieser Zeit beobachten, daß das Wesentliche an dem politischen Geschehen nicht zum Thema der Politik, nicht von den Auseinandersetzungen und ihren Gegensätzen erfaßt wurde, sondern sich unter dem Tisch vollzog525. Das scheint freilich eine Eigentümlichkeit vor allem der nachsullanischen Zeit zu sein. Denn bei den Gracchen und in den Jahren vor 100 stimmten Thema und Problematik der Politik noch weithin überein. Was zum Beispiel C. Gracchus ins Werk setzte, war voll undganz in seinen Gesetzen enthalten undeigentlicher Gegenstand der Debatte. Wenn das endgültige Ergebnis etwa des Richtergesetzes seinen Absichten nicht entsprach, so geschah es, weil er sich in den Rittern geirrt hatte. Und die Ritter der Jahre nach 110 wollten die Schwächung des Senats. Entsprechend war es mit den zahlreichen Reformplänen dieser Jahre. Daß dabei auch vor Sulla die Kluft zwischen Verfassungsnorm und -wirklichkeit immer weiter aufgerissen wurde, war dem Senat klar, so wenig diese Erkenntnis auch damals gegen die Übermacht der zumeist vordergründigen Absichten und Ansprüche aufkommen konnte. Die Sicherheit nun, mit der man sich einerseits selbstverständlich und treu auf dem Boden des Überkommenen bewegte, andererseits in relativ großem Umfang seine Ansprüche auf popularem Wege zu befriedigen suchte, ist ein Ausdruck der Tatsache, daß es in Rom keine Kraft gab, die auf Änderung des Bestehenden drängte. Damit zugleich wird nun deutlich, was das Besondere der Zeit nach der Mitte des zweiten Jahrhunderts war. Nicht eine Revolution fand statt, sondern eine Unzahl von Störungen. Aus der Not der Bauern, den Ansprüchen und Wünschen von Rittern, Veteranen und großen Einzelnen und aus den Schwierigkeiten der äußeren und inneren Politik entstanden so viele Probleme, daß immer wieder die Mittel der popularen Politik bemüht werden mußten. Und wenn diese Probleme auch im einzelnen zu lösen waren oder doch nach kurzer Zeit wieder zur Ruhe kamen –abgesehen von den Auseinander, so blieb doch in den meisten Fällen setzungen zwischen Senat und Pompeius – Ackergesetz die Absetzung des Octavius und Gracchus ’ Tiberius Wie ein Rest. indirekt die Erschlagung des Tribunen nach sich zog, so weckten Gaius’ Gesetze die Begehrlichkeit der Ritter. Die heftigen Auseinandersetzungen um Ritter und Veteranen hatten zur Folge, daß die Mißwirtschaft der Publicanen 524 Vgl. o. Anm. 177. 525

Vgl. u. S. 159f.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

immer tiefer einrastete, unddaraus wieder ergab sich die Klimax der vier großen Reformversuche zwischen 95 und 80, die alle, indem sie die brennendsten Probleme des Staates zu bewältigen suchten, dessen Situation jeweils um vieles schwieriger machten, als sie vorher gewesen war526. Endlich zog die Lösung der äußeren Aufgaben den Aufstieg des Pompeius nach sich mit all den Konsequenzen, die daraus wiederum folgten. Daß es so viele Probleme gab, daß sie nicht mehr einfach zu eliminieren waren, daß sich große Machtkomplexe außerhalb des Senats bilden konnten, dies und das vielfältige populariter agere sowie die Summe der Störungen, die es bedingte, machte die Besonderheit der Politik seit derMitte des zweiten Jahrhunderts aus. Die populare Methode war nur eine Funktion des allgemeinen Desintegrationsprozesses. Um es etwas grob zu sagen: Die Basis des Staates war längst zu eng geworden für die Last, die sie zu tragen hatte527, das wirkte sich wie überall so gerade auch hier aus. Wasdiese eigenartige Politik, die sich in derengen Begrenzung desStrittigen bei starken Veränderungen der Verfassungswirklichkeit äußerte, bedeutete, wird gleich noch zu fragen sein. Deutlich sind aber schon zwei naheliegende Ursachen: daß nämlich einerseits die breitesten Schichten im ganzen zufrieden waren und andererseits die Eingriffe in die Machtverhältnisse unmittelbar immer nur den Senat betrafen. Darin wird sichtbar, daß ein sehr wichtiger Schlüssel zum Verständnis der popularen Politik, die so viel und so wenig vermochte und anstrebte, der Ritterstand ist: Er bildete keine Alternative, stand der Bildung einer Alternative (auch jeder Kraftentfaltung derplebs urbana) im Wege, war aber andererseits daran interessiert, daß der Senat schwach war, und trug immer wieder dazu bei, daß wichtige, folgenreiche Beschlüsse gegen den Senat gefaßt wurden. Damit aber die Bourgeoisie dieses beides konnte, mußte, wieschon gesagt, die Möglichkeit der popularen Politik vorhanden sein. So wird deren Rolle nun vollends klar: Indem sie immer wieder zur Lösung anstehender Probleme führte, vergrößerte sie auf die Dauer nur die Krise des Staates. Man könnte sich fragen, ob die Geschichte der Republik nach Sulla – um es an der letzten, größten Auswirkung zu demonstrieren –nicht glücklicher verlaufen wäre, wenn es die mit fast unbeschränkten Kompetenzen ausgestattete Volksversammlung nicht gegeben hätte. Vielleicht hätte der Senat, wenn die äußeren Nöte des Staates zu drängend geworden wären, sich frühzeitig und zum Heil der res publica mit Pompeius arrangieren müssen. Oder die Mißstände und Unzufriedenheiten hätten sich so summiert, daß es zu einem frontalen Angriff gegen den Senat und sein Regime gekommen wäre. Diese Frage ist akademisch, aber sie lehrt doch eine Auswirkung der der römischen Verfassung eigenen offenen Konkurrenz zwischen Senat und Volksversammlung deutlicher erkennen. Hat diese nicht dazu geführt, daß einerseits der Aufstieg des Pompeius und Caesar sich relativ glatt vollziehen und andererseits doch der Senat einen großen Teil seiner Macht –und seines Gegensatzes gegen die großen 526U. S. 262f. 527 U. S. 152 ff.

4. Unverhältnismäßige Vergrößerung und Extensivierung der res publica

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Herren –behaupten konnte? Daß die ganze Verfassung unter so stark veränderten Umständen bleiben konnte, wie sie war? Ist also nicht das Nebeneinander der Mächte durch dieses Ventil stärker konserviert worden, als es nötig war, so daß die res publica einer um so langwierigeren Krise und schließlich viel schlimmeren Explosion entgegenging? 4. UNVERHÄLTNISMÄSSIGE VERGRÖSSERUNG UND EXTENSIVIERUNG DER RES PUBLICA

ιςunter dem ε λ ό Aristoteles hat gewisse Veränderungen der griechischen π γ ο νzusammengefaßt. Eine solche unverhältὸἀνάλο τ ὰ ρ α ιςπ σ η ξ Begriff der α ὔ nismäßige Vergrößerung –das starke Anwachsen einiger Teile der Bürgerschaft im Vergleich zu anderen –führt nach seiner Lehre zum Verfassungsumsturz528. Diese Erkenntnis wurzelt selbstverständlich in den Beobachtungen, die er an den in vieler Hinsicht einzigartigen griechischen Gemeindestaaten des fünften und vierten Jahrhunderts gemacht hatte. In der Enge und Intensität ihres Lebens, bei der Kleinheit des Raumes, der Beschränktheit der Mittel, dem Mißtrauen zwischen den Ständen (deren Ansprüche sich kaum vereinbaren ließen) sowie bei der wachen Lebhaftigkeit des Menschenschlages konnte jede nennenswerte Veränderung an einer Stelle leicht Konsequenzen für dasGanze nach sich ziehen. Die Macht unddie Güter, umdie es in der Politik ging, waren so begrenzt, daß bei Verschiebungen der eine fast unmittelbar gewinnen mußte, was der andere verlor, und umgekehrt. Die Dinge standen weniger nebeneinander als in engen Zusammenhängen von Ursache und Wirkung. Wennnunaber vonsolchen Zusammenhängen in Romkeine Rede sein kann, ὰ ρ α so hat sich dort doch seit Beginn der großen Expansion eine αὔξη ιςπ σ νvon solchen Ausmaßen vollzogen, daß es gleichwohl als erstaunlich ο γ ὸἀνάλο τ ς ὴτ ο λ β ῆ ςπολιτεία τα ε erscheinen muß, daß es in deren Folge nicht zu einer μ kam. Die Verfassung war gemeindestaatlich im Zuschnitt, und man hatte zuletzt ein Weltreich zu regieren und die Bürgerschaft erstreckte sich schließlich über ganz Italien. Die Verfassung blieb aristokratisch in der Prägung, und eine breite wohlhabende Großbourgeoisie bildete sich und gelangte zu kräftigem Einfluß; in der Bewältigung kritischer äußerer Situationen wurden Einzelne so mächtig, daß sie in der Senatsaristokratie keinen Platz mehr fanden, undin den Berufsarmeen bekamen sie einen Machtfaktor in die Hand, der sich der überkommenden Ordnung nicht unbedingt einfügte. Es bestand also längst kein ausgewogenes Verhältnis zwischen Formen und Inhalt, Mitteln und Aufgaben der Verfassung mehr. 528Pol. 1302b 33ff. γίν ο ν τ α ν ιδ ὲϰ ὶτῶ α ὶδ ι᾽α α λ ο β ετα ρ ὰτ νμ ὸἀ ο α γ ὴ ά ο νπ ν λ ιντ σ η ξ ὔ ηἡ ν έ π ο λ ιτειῶ ,ὥ γ ϰ ρσ ῶ ύ ειτ σ νσ π ὰ μ ρ ιϰ ε α ο αμ ργ ῶ αἐ α γ νἵν ὶδ ῖα ε ϰμ ιἀ ο ν α ν ά ε ὐ λ ϑ ξ ά ν εσ ις ϰ ϑ ά είρ λ λ ε ο ῶ ,ϕ ο ή τ ὕ τωϰ νὧ α ι νπ ἰδ ρ α σ υ μ μ ὶπ ία ὲμ ε ύ γ , ε ιἐ ϰ α ε ό ϰμ λ ιςσ ειτ τρ . α ν λ ϑ ο ν μ ε ν ά ὐ ό α ν ξ ιτια ν ε

...

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Andererseits erfüllte dieser Staat zugleich eine andere Bedingung, die nach Aristoteles für die Erhaltung einer Verfassung wesentlich ist: „Damit eine Verfassung erhalten wird, müssen alle Teile des Staates wollen, daß sie sei unddieselbe bleibe“529. Und es kann an dieser Stelle keine Frage mehr sein, wie es kam, daß man nicht mit dem Herkommen brach, die Verfassung neu gründete oder mindestens wesentliche Institutionen veränderte; wodurch also die Kraft der Trägheit die Grundkomponente der römischen Verfassungsgeschichte wurde. vor sich? Etwas muß sich doch ή λ ο β ετα Allein, wasging an Stelle der äußeren μ verändern, wenn in einem Staat so vieles ganz anders wird. Irgendein Wandel in Geist und Wesen, im Vorzeichen der Verfassung muß dann doch eintreten. Es stellt sich also die Aufgabe, diesen Wandel, dessen einzelne Formen und Ursachen schon sichtbar wurden, im ganzen zu begreifen. Die Institutionen gesetzlicher und konventioneller Art sowie der Geist der Gesellschaft, aus dem sie lebten, auf den sie berechnet waren und mit dem zusammen sie erst ein Ganzes ergaben, stellten, umes in einem Bilde zu sagen, die Form dar, in der der römische Staat seine Einheit und Funktionsweise fand, oder anders: die Basis, die ihn trug und prägte. Die Veränderung nun, die im Laufe der Expansion eintrat, bestand zunächst darin, daß dieser Basis immer mehr aufgeladen, aufgegeben wurde, bis sie endlich weit überlastet war. Aber so sehr sie eingedrückt wurde, Risse bekam oder sich aufweichte, so wenig zerbarst sie. Vielmehr hinderte irgend etwas die Last daran, voll zumAufliegen zu kommen. Oder, um das andere Bild noch einmal zu bemühen: wenn die Form auch weit über ihre Kapazität hinaus gefüllt wurde, so sprang sie doch nicht. Bei allen Schwierigkeiten undKonflikten, bei allem Versagen fand alles Hinzukommende neben dem schon Vorhandenen in der alten Form letztlich friedlich seinen Platz. Die Form dehnte sich also immer weiter, das heißt ihre Spannung oder –um das Bild nun wieder dranzugeben –der staatliche Zusammenhang lockerte sich, grob gesagt: er leierte aus. Eine Überdehnung der moralischen und institutionellen Gurte staatlicher Einheit und Ordnung trat ein. Die Tendenz dieses Vorgangs sollte man Extensivierung nennen (in Anlehnung an den weithin schon gebräuchlichen Terminus für ihr Gegenteil: die Intensivierung). Damit ist aber nur eine Richtung staatlicher Verwandlung bezeichnet. Spezifisch für die römische Republik ist jedoch, daß der Staat nicht in der weniger angespannten, mehr auf das Gesellschaftliche orientierten Form neugegründet wurde, daß man also Form und Inhalt nicht auf veränderter Basis zu neuer Übereinstimmung brachte. Nur dadurch entstand ein so arges Mißverhältnis zwischen Verfassungsmitteln und -aufgaben. Entscheidend ist hier also das ungewöhnliche Ausmaß der Extensivierung, die erst nachdem sie ein gewisses Stadium erreicht hatte und indem sie unaufhaltsam war, zu einem wesentlich negativen Prozeß wurde. 5291270b 21. vgl. 1320a 15.

4. Unverhältnismäßige Vergrößerung und Extensivierung der res publica

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Es spielt sich hier demnach ein mit den gewohnten Vorstellungen schwer zu erfassender Vorgang ab. Welche Form läßt sich schon in solchem Maß überdehnen? Das Ergebnis der ungewöhnlichen Extensivierung widerspricht also dennormalen Erwartungen. Aber es kann kein Irrtum sein: Romhat in der Tat mit den geradezu primitiv anmutenden Institutionen einer stark moralabganzen Wertsystem eines hängigen gewachsenen Verfassung und mit dem „ punktförmigen Stadtstaats“530einen weltweiten Herrschaftsbereich regiert. Was aber die Form vor demPlatzen bewahrte, warnicht sosehr deren eigene Beschaffenheit531 wie die Eigenart des Raumes, in dem sich der geschilderte Vorgang abspielte. Es herrschte ein immenser Überfluß an Mitteln undMöglichkeiten. So wurden die Energien der Bourgeoisie abgelenkt, und umgekehrt ergoß sich ein breiter Strom von Reichtümern durch die Hände von Senatoren, Publicanen, Kaufleuten und Soldaten ständig nach Italien und gelangte in seinen letzten Verästelungen –als öffentliche und private Spenden, Bezahlung für Arbeiten, Wählerbestechung oder durch die Vorteile von Gebäuden und Spielen –überall hin. Man zahlte keine Steuern. Wenn man dem einen geben wollte, brauchte man dem anderen nicht zu nehmen, translatio pecuniarum gab es nur im Bürgerkrieg und in der äußersten wirtschaftlichen Not nach der Eroberung Asiens durch Mithridates 532. So war es immer wieder möglich, Minderheiten mühelos zu befriedigen, undes war zu ertragen, daß Minderheiten in der Volksversammlung den Ausschlag gaben. Auch die Außenpolitik bot nur bei wenigen großen Gefahren –dem Angriff der Cimbern und Teutonen, Mithridates’Einfall in Asien und der Seeräubernot –Probleme allgemeineren Interesses. „Mag Verres (wenn er Senator bleibt) für den Krieg gegen die Kreter stimmen, für die Freiheit von Byzanz oder die Anerkennung des Ptolemaios als König ... das interessiert uns weniger“–mit diesen Worten bezeichnet Cicero die wichtigsten äußeren Probleme, die den Senat im Jahre 69 beschäftigen sollten, wiedie Beziehungslosigkeit zwischen ihnen unddemGros der Bürger533. Man kann sie als Beispiel für die Regel nehmen. Der Raum, in dem sich die römische Politik vollzog, wargleichsam so groß undso wenig dicht besetzt, daß mansich in ihmrelativ sehr wenig stieß. (Dabei ist „Raum“nicht so sehr im geographischen wieim übertragenen Sinne zu verstehen, eben als Raum der Politik, dem hier durch die ungeheuren Mittel eine neue Dimension zuwuchs.) So veränderten sich alle Verhältnisse. Was sich , sozusagen dreidimensionalen, letztlich doch irgendwie durch unter „normalen“

Recht2 35 f.531 Obwohl diese mitsprach, vgl. o. S. 124 f. 150f. 532Cic. off. 1,43. vgl. 2,78. Zur Schuldenregelung zu Beginn der 80er Jahre: GCG 150f. 180. Da das Eigentum der res publica ursprünglich in sehr konkreter Weise als allgemeines Eigentum verstanden wurde (vgl. Cic. Tusc. 3,48: nolim mea bona, Gracche, tibi viritim dividere libeat: bei der lex frumentaria), konnte die largitio aus Staatsmitteln ebenfalls als „bona aliena largiri“aufgefaßt werden (Sall. Cat. 52,11), aber man wird sich schnell daran gewöhnt haben. 533Verr. 2,2,76. 530 Wieacker, V. röm.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

Begrenztheit der Mittel bedingten Umständen widerspricht, kam hier relativ gut miteinander aus. Voraussetzung war freilich immer, daß die Provinzialen sich ausbeuten ließen. Aber da es daran nicht fehlte, konnte nicht einmal der Widerspruch zwischen gemeindestaatlicher Form und weltweitem Herrschaftsbereich sich unmittelbar und deutlich auswirken534. Was normalerweise Gegeneinander gewesen wäre, wurde hier Nebeneinander, imGroßen wieimKleinen 535. So war es schon oft in Rom gewesen, zumal zwischen Patriciat undplebs, fast möchte man sagen, es habe römischem Temperament entsprochen (wenngleich das zur Erklärung natürlich wenig beiträgt536). Aber wenn vorher die potentiell gegensätzlichen Kräfte durch Auseinandersetzung zu einer neuen Einheit zusammenfanden, so entstand jetzt eine unausgeglichene Vielheit von Kräften. Die magnitudo imperii half also den zahlreichen Veränderungen, die sie heraufführte, zugleich Schärfe und Konsequenz nehmen. So kam es, daß die Dinge nicht ihr „normales“Gewicht geltend machten. Aber diese Auswirkungsschwäche war nur die eine Seite einer tieferen Veränderung, denn eben darin, daß sich die Dinge nicht auswirkten, äußerte sich eine andere Form von einschneidendem inneren Wandel. Die alten Gesinnungsgrundlagen der Verfassung weichten auf. Die Solidarität, Mäßigkeit und das Verantwortungsgefühl des Adels konnten auf die Dauer den Versuchungen ungeheurer Macht nicht standhalten. Manbegann, die Herrschaft mehr als Besitz denn als Aufgabe aufzufassen. Korruption breitete sich aus und damit stiegen die Bedürfnisse und der Drang nach weiterer Ausbeutung der Provinzialen537. Gleichzeitig lockerte sich die Disziplin in der Bürgerschaft. Die Ritter gewannen an Macht, ohne Berufung und Ehrgeiz zu spüren, an der Lenkung und Formung des Gemeinwesens teilzunehmen, so daß sie dessen Basis hätten verbreitern können; und der Senat mußte sich schließlich mit ihnen auf Kosten der Provinzialen ausgleichen. Die bäuerliche plebs wurde schwach, die städtische korrumpiert. So begann die Gesinnung des Gefälligkeitsstaats zu grassieren. Sallust hat für diesen Zustand eine sehr eindrucksvolle knappe Formulierung gefunden: Unsere Bürger sind liberales ex sociorum fortunis, misericordes in furibus aerari538. An 534Für die indirekten Auswirkungen i. Folg. u.u. S. 204 f. 535Vgl. Reitzenstein, Zur Sprache der lateinischen Erotik. SB Heid. 1912, 20. –Bei den Wahlen konnte sich dabei die Collegialität in neuem Sinne geltend machen (vgl. o. A. 15, 51. Cic. Q. fr. 3,1,16). Freilich ließ sich der vom Prinzregenten Luitpold bei der Einweihung des Münchner Amtsgerichts geäußerte Wunsch, daß dort nur Prozesse gewonnen und keine verloren würden, auch in Rom nicht erfüllen. 536 Anders U. v. Lübtow, Das röm. Volk 27f. Es ist jedoch zu bedenken, daß das stärkste Temperament in diesem Sinne nicht hätte wirken können, wenn nicht die äußeren Möglichkeiten zu einem Nebeneinander potentiell gegensätzlicher Kräfte dagewesen wären. 537 Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 1, 182. 252. Wieacker 37f. 538Cat. 52,12: genau: sint sane, quoniam ita se mores habent, liberales ne illi sanguinem nostrum largiantur ... Vgl. Cic. fam. 3,8,8. Sall. 11 (mit Wirszubski, JRS 51, 1961, 15,21). Cic. leg. 3,18. Zur psychologischen Situation des Gefälligkeitsstaates noch Cic. Q. fr. 1,1,11:... cum hi mores tantum iam ad nimiam lenitatem ... incubuerint.

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anderer Stelle kennzeichnet er in einer auf verblüffende Weise aktuellen BeVerfassung“: is incessit mos, ut merkung die psychologische Situation dieser „ homines adulescentuli sua atque aliena consumere, nihil libidinei atque aliis rogantibus denegare pulcherrimum putent, earn virtutem et magnitudinem animi, pudorem atque modestiam pro socordia aestiment539. Kennzeichnend ist im gleichen Sinne eine Szene, die sich im Jahre 54 in Rom abspielte. Damals gab der Consul L. Domitius Ahenobarbus den Rittern die Schuld an dem Zustand der res publica mit der Begründung: dissolute enim iudicatis. Deren Sprecher erwiderte: nos iudicamus, vos laudatis540. Der Geist der Gefälligkeit war also so beherrschend geworden, daß die Aufgabe, gegen Schuldige das rechte Urteil zu fällen, gerade jetzt, da sie wichtiger war als je, auch schwieriger wurde, als sie je gewesen. Wie der Senat lobte, so sprachen die Ritter frei. Es trat damit eine tiefe Aushöhlung der Staatlichkeit ein. Die öffentlichen Angelegenheiten wurden immer mehr unter dem Gesichtspunkt privater, wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Interessen behandelt. Als Beispiel dafür dürfen die Wahlen gelten, in denen unpolitische Kriterien –neben dem Glanz vonAdelsnamen der Prunk von Spielen unddie Summe der Dienste für Clienten und Freunde –nicht nur: den Ausschlag gaben, sondern fast ausschließlich das Feld beherrschten. Das kann in den guten Zeiten der Republik nicht der Fall gewesen sein, in denen alles Tun in ganz anderer Weise auf den Staat bezogen warundentsprechend das objektive Maßder Bewährung im Dienst am Staat541 eine vielleicht nicht immer ausschlaggebende, aber doch sehr wesentliche Rolle gespielt haben muß542. Man mag dagegen fragen, wie weit sich in der späten Republik überhaupt noch die Gelegenheit zu solcher Bewährung ergeben habe. Der Militärdienst war weitgehend Sache von Spezialisten geworden543; nennenswerte diplomatische Missionen gab es nicht mehr; die Innenpolitik hatte sich im Ganzen zu einer Abfolge von Balanceakten zwischen Partikularinteressen verwandelt. Andererseits konnten die eigentlichen Mißstände kaum zum Gegenstand der Politik werden. Lediglich die großen Auseinandersetzungen gaben dann und wann noch einmal Gelegenheit, sich im Sinne des Senats auszuzeichnen544. Aber mit dieser Feststellung ergänzt man die Beobachtungen über die Wahlen nur um die andere Seite derselben Sache: Beides weist eben auf ein Aufhören, Erlahmen oder mindestens eine starke Verdün539ep. ad Caes. 1,5,5. Unter diesen Umständen versiegt auch die Kraft zur Empörung, und das trägt wieder zur „Auswirkungsschwäche“der Ereignisse und Veränderungen bei. 540Cic. Q. fr. 2,12[11],2. 541 Vgl. o. S. 45 f. 54. Note 3b, u. S. 309 542Soweit ich die Materie überblicke, kann man diese Feststellung mit einiger Sicherheit treffen. Genauere Resultate kann nur eine Untersuchung der Wahlen jener Zeit ergeben (vgl. dafür einstweilen meine Bespr. von Lippolds Consules, Anz. f. d. Altertumsw. 1966). 543Abgesehen natürlich von den großen Feldherrn, wie Lucullus und Pompeius, auch P. Servilius Isauricus. Vgl. z. B. M. Petreius (Sall. Cat. 59,2), L. Valerius Flaccus (Sall. 45,2. Cic. Flacc. 100f.), C. Pomptinus (Sall. 45,2). Gelzer, Kl. Schr. 1,86. Gabba, Athen. 29, 1951, 206. Cic. de orat. 3,136. 544 Vgl. z. B. Milo: Cic. fam. 2,6, 3.

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nung von Staatlichkeit und staatsorientierter Politik. Damit verabsolutierte sich das Streben nach dignitas544a. Wenn nun aber, wie aus den Wahlgepflogenheiten zu erschließen ist, die Gesellschaft als Summe von Individuen der eigentliche Beziehungspunkt politischen Handelns wurde, so bedeutete dies, daß die altrömische Form der Einheit von Staat und Gesellschaft sich auflöste und die Gesellschaft den Staat zu ihrem Diener machte. Das geschah in einem langsamen Prozeß, der nach einigen Wechseln in der Zeit nach Sulla sein Ziel erreichte. Damals war die Gesellschaft nur mehr bedingt von Norm undAutorität beherrscht. Es wirkte in ihr keine Idee mehr über die alltäglichen Dinge hinaus. Gerechtigkeits- und Staatsethos waren erlahmt. Das Regime des Adels hatte seine Evidenz nur mehr darin, daß es sowohl dem Herkommen entsprach und vielfältig bewährt war als auch den Ansprüchen der Gesellschaft in ihrer neuen Form gehorchte. Daß alle Positionen weiter in der Hand des Adels blieben, bedeutete also –um es etwas überspitzt zu sagen –unter den gewandelten Umständen nur, daß der Adel nicht mehr Führer, sondern Diener der Gesellschaft war545. Jedenfalls war vorausgesetzt, daß seine Regierung lax war undalle Mächtigen befriedigte. Was also in der römischen Gesellschaft der späten Republik als auffallend starke Konservativität erscheint, war in weitesten Teilen nicht wahrhaft der Wille oder wenigstens der entschiedene Wunsch nach Wiederherstellung des guten alten als Norm empfundenen Zustands. Man mochte sich das einbilden, man wird es vermutlich sogar ehrlich geglaubt haben (denn es war kein Ansatz für Zweifel gegeben), man hat sogar Kraft und Legitimität aus dieser Norm gezogen, aber die weitesten Teile von Senat und Bourgeoisie waren primär an der Erhaltung des Status quo interessiert: man fühlte sich in dem extensivierten, schwachen Staat unglaublich wohl. Dessen Schwäche wurde damit zu einer wichtigen Voraussetzung seiner Dauer. Gleichzeitig klammerte man sich wie immer, wenn die lebendige Einheit eines Ganzen zerbrochen ist, an die Einzelheiten, wie wenn sie die Dauer des Ganzen garantierten. Daher fand der Senat mit seinem Grundsatz, daß nichts geneuert werden dürfe546, die Zustimmung undin manchen Fällen auch die Unterstützung der Bürgerschaft. Daher wurde, wer das Gegenwärtige verteidigte, für gut gehalten547. Daß mit der alten Staatsorientierung, dem alten Aufbau und den alten Gesinnungsgrundlagen der Gesellschaft aber auch die Bedingungen für das sinngemäße Funktionieren der alten Institutionen schwanden, braucht nicht mehr eigens gesagt zu werden. Es ist zumBeispiel längst deutlich, daß etwa die gesetzgebenden Comitien die Schwierigkeiten des Staates im ganzen nur vergrößern konnten. Sie wurden in einem Ausmaß gebraucht, das der herkömmlichen Verfassung widersprach. Aber man konnte sie nicht abschaffen. Sullas Versuch, ihre Macht wesentlich zu beschränken548, erwies sich rasch als unhalt544a S.

u. S. 297 f. 545Vgl. o. S. 87. u. S. 189. 546Cic. imp. 60. Dio 38, 3, 1. 547Sall. hist. 1,12. Vgl. Macrob. sat. 2,4,18. Vgl. u. A. 292, 152. 548 U. S. 255.

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bar. Erstens war die umfassende Kompetenz der Volksversammlung ein Kernstück des überkommenen, zweitens waren die weitesten Kreise sich darin einig, daß dieses Mittel vorhanden sein müsse, damit sie sich notfalls gegen den Senat durchsetzen könnten, und drittens waren, da es im allgemeinen möglich war, die verschiedenen Interessen auf Kosten von Nichtrömern zu befriedigen, fast nie weitere Kreise fühlbar negativ betroffen, sondern in der Regel „nur“die Ordnung des Staates und die Macht des Senats. Man mag nun fragen, warum man dann nicht wenigstens die Mißbräuche beseitigte, die bei den Comitien vorkamen. Aber an der Tatsache, daß regelmäßig Minderheiten entschieden, ließ sich nichts ändern; wenn es gedanklich und technisch möglich gewesen wäre, eine repräsentative Körperschaft an die Stelle der Volksversammlung zu setzen549, so war doch jedenfalls keinerlei Anlaß vorhanden, der mächtig genug gewesen wäre, um die Gedanken so weit und hoch zu treiben, daß sie die Schwelle der herkömmlichen gemeindestaatlichen Denkweise überwinden konnten. An der Organisation der Abstimmung hat man einiges geändert, wofür die leges tabellariae als Beispiel dienen können550. Aber gegen die Gewaltsamkeiten, die dabei immer wieder –und schon vor Sulla –vorkamen551, hat sich kein Mittel gefunden. Die einzige Möglichkeit wäre die Aufstellung eines starken, ständigen Polizeikontingents gewesen. Doch daran war nicht zu denken. Nicht, daß es den Römern an politischer Phantasie gemangelt hätte –ad hoc hat man von Fall zu Fall durchaus Polizeimannschaften aufgestellt und eingesetzt552 –aber daraus ließ sich keine ständige Einrichtung machen. Denn Senat und Öffentlichkeit hätten gewiß die stärksten Bedenken gegen eine so wirksame Stärkung der Exekutive gehabt, zumal diese Polizei sehr mächtig hätte sein müssen und nicht als ein neutrales Stück Staat, sondern nur als politisches Werkzeug hätte fungieren können. Wie hätte man sie kontrollieren sollen? Vor allem aber hätte der ganze Staat neu gegründet werden müssen, um eine ständige größere Polizeitruppe zu vertragen. Das ergibt sich schon aus einer sehr einfachen Überlegung. Die Quelle zahlreicher Gewalttätigkeiten war die Intercession, die Hartnäckigkeit eines einzelnen Volkstribunen, der alles verhindern konnte und den man deswegen gern unter Druck setzte553. Das Recht auf Intercession war theoretisch fast unbegrenzt, wiedas Rogations-, das heißt das Gesetzgebungsrecht von Tribunen und Comitien auch. Nur war es ähnlich wie dieses de facto durch eine ganze Reihe 549Vgl. für gewisse Ansätze Gelzer, Kl. Schr. 1, 246, 43, aber das kam von außen, und überhaupt hat die Antike repräsentative Vertretungen nur im Bereich der Außenpolitik, bei Staatenbünden oder Bundesstaaten, gekannt (Rüstow, Rev. Fac. Sc. Econ. Univ. Istanbul 5, 1944, 237ff.). Wieviel hätte passieren müssen, damit die Römer ihren Staat als Italischen Bund hätten verstehen können! Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2,231 und allg. 551 RE 613. O. Hintze, Staat und Verfassung2 140 ff. 550 RE Suppl. 10, 602, Vgl. 607. 552Vgl. die Skizze zum Problem der Polizei in der späten Republik: Gött. Gel. Anz. 216, 1964, 44ff. Dazu Suet. Jul. 16. Cic. Mil. 27f. Plut. Cic. 16,1. 29,6. Dio 37,46,2. 40,50,2. Asc. 49,12. 553Cic. Sest. 77. RE 613.

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von Selbstverständlichkeiten sowie durch die Machtverhältnisse beschränkt554 und erwies sich dann seit den Gracchen gegenüber mächtigen Interessen als unbrauchbar555. Mehr als früher hing es jetzt von der Kraft der Persönlichkeit und dem Gewicht der Sache, die er vertrat, ab, ob ein Tribun mit seinem Veto Erfolg hatte556. Hätte man nun durch Einführung einer Polizei den Ablauf der Volksversammlungen kontrolliert und die Ausübung aller Rechte gewährleistet, so wäre das Intercessionsrecht gleichsam ablösbar von Person und Situation geworden. Der Senat hätte jeden Terror und Anträge auf Absetzung ausschließen, jeder Tribun hätte jeweils alles verhindern können, und einen der zehn Tribunen hätte der Senat –so wiedie Dinge zunächst standen –gewiß jeweils für sich gehabt oder gewinnen können. Das Ergebnis wäre also gewesen, daß das Gesetzgebungsrecht vom Senat abhängig geworden wäre. Damit wäre das Ventil verschlossen worden, das bisher der Entstehung von Überdruck entgegenwirkte, und man hätte über kurz oder lang heftigste grundsätzliche Gegensätze heraufbeschworen; die verschiedensten Kräfte hätten sich vermutlich gegen den Senat zusammengeschlossen, das Bindungswesen wäre sinnlos geworden, die Wahlen hätten nicht mehr so einfach –wenn überhaupt –vom Adel beherrscht werden können, undes hätte sich wohl über kurz oder lang die Alternative: Polizeistaat oder Revolution ergeben –wenn man nicht durch Versachlichung und genaue Institutionalisierung dem vorgebeugt hätte. Man hätte etwa das Intercessionsrecht auf bestimmte Gegenstände eingrenzen oder ihm nur aufschiebende Wirkung belassen oder ein Vermittlungsverfahren einführen müssen. Das aber hätte zugleich eine genauere Eingrenzung der Kompetenz der Volksversammlung erfordert, man hätte gewisse Voraussetzungen der Beschlußfähigkeit festlegen müssen, zugleich wären die magistratischen Befugnisse insgesamt näher zu umschreiben gewesen. Kurz: Man hätte eine neue Verfassung mit genauen Regelungen stiften müssen. Zum gleichen Ergebnis könnte man auch auf anderen Wegen gelangen557. Mit anderen Worten: Rom 554Vgl. Mommsen, St.-R. 1, 272f. 275. 283. 286 f. 2, 148. 165. 308. 357, der die aus den Quellen bekannten teils legalen, teils herkömmlichen Grenzen der Intercession aufweist. Bleicken, Volkstribunat 74 ff. bes. 93f., der zeigt, wie stark das Intercessionsrecht bis 133 praktisch durch mos (und Machtverhältnisse) auf bestimmte Anwendungen festgelegt war (vgl. bes. die sehr treffenden Formulierungen S. 91). Andernfalls wäre es kaum tragbar gewesen. Wie es im 2. Jh. in Streitfällen das Mittel des rem ad senatum reicere gab, begegnet im 1. –freilich nicht mit solcher Durchschlagskraft –das agere cum tribunis (Cael. bei Cic. fam. 8, 13, 2. Cic. Att. 7,7,5. Q. fr. 2,1,2. Phil. 2,52). 555O. S. 129f. 133f. 145. 556Selbst der Erfolg Catos gegen Metellus Nepos i. J. 62 (Plut. Cato min. 27f.), der so stark durch Catos mutiges Auftreten bedingt war, wäre kaum denkbar gewesen, wenn Nepos’ Sache stärker gewesen wäre (Athen. 40, 1962, 122). 557Z. B. aus einer Erwägung all der Schritte, die nötig gewesen wären, um die Wahlverfassung zu ändern (zu deren Sinn u. S. 190 ff.), oder das Verhältnis zwischen Senat und Magistraten und insbesondere die Provinzialverwaltung (für deren Schwierigkeiten u. a. Cic. Flacc. 87. fam. 1,9,26 [u. S. 319]. Gelzer RE 7 A 984 f. Catos Appell [Cic. Att. 6,1,13 mit Gelzer 982] konnte nur vorübergehend wirken).

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konnte seine alte Form damals nicht mehr mit einzelnen hier undda angebrachten Erweiterungen für die neuen Anforderungen passend machen. Ein gründlicher Wandel wäre notwendig gewesen, Senat und Bourgeoisie hätten sich in dem Willen zu durchgreifender Neuformung des ganzen Staatswesens zusammenfinden müssen 558. Dabei ist deutlich, daß eine gestiftete Verfassung zwar in vergleichbarer Lage mehr Widerstandskraft hätte entfalten können. Das Korsett einer genauen Verfassungsgesetzlichkeit kann dann mehr Halt bieten, die bessere Ausbildung staatlicher Institutionen –zum Beispiel eben das Vorhandensein einer Polizei –kann eine höhere Schwelle gegen Unregelmäßigkeiten darstellen, das ganze System ist mehr auf innere Schwierigkeiten zugeschnitten. Auch vermag die Fähigkeit zu planendem Handeln, zur Schaffung neuer oder zur bewußten Modifikation von alten Einrichtungen eine ganze Reihe von Auswegen zu finden559. Doch die Möglichkeit einer unverhältnismäßigen Überlastung der Basis ist selbstverständlich auch hier gegeben. Mangels Neugründung aber entfaltete die Extensivierung in Rom immer mehr ihre eigene Dynamik, die sich um so freier auswirken konnte, als Rom praktisch allein auf der Welt war560. Indem die unverantwortlichen Teile des Staates immer größer und mächtiger wurden, wurden die Machtverhältnisse diffuser, das Versagen häufiger. Mit dem unvertäuten Ballast im Laderaum des Staatsschiffes nahm Unbeweglichkeit und Labilität zu. Was im Augenblick Lösung schuf, vermehrte aufdieDauer dieSchwierigkeiten. Es war, wiewenn alle Lösungen auf Kredit beruhten, aber nichts einbrachten als den Lebensunterhalt einzelner Teile desStaates, so daßdann amEnde –übertragen gesprochen – Schulden und Zinsen zu immensen Summen aufliefen. Ein unwahrscheinlich großer Rest des Unbewältigten. Dieser Prozeß hatte eine eigentümliche politische Seite. Um die politische Thematik einer Zeit zu beurteilen, ist es wichtig, nach dem Umkreis dessen, was Gegenstand politischen Planens und Handelns werden konnte, zu fragen, dem Verhältnis zwischen Strittigem und Unstrittigem also. Dieses Verhältnis war in der späten Republik, wie sich ergab, wesentlich dadurch bestimmt, daß die staatliche, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung fast nicht in Frage gestellt wurde. Eine andere Frage, die weniger das politische Geschehen als die Geschichte einer Epoche betrifft, ist, wie viel sich verändert, welches Verhältnis zwischen Festem und Unfestem besteht. Da die Stellung des Adels, 558Vgl. auch Gött. Gel. Anz. 216, 1964, 46 ff. 559Interessant sind hier Aristoteles’ Bemerkungen zur karthagischen Verfassung. Er beobachtet auch dort einen „Entlastungsraum“ (dazu Schmitt, Nomos der Erde, 1950, 60ff.), mit dessen Hilfe „sie die Schäden der Verfassung heilen und derselben Bestand geben“(Pol. 1273b 20. Vgl. 1320b 4), aber er fügt hinzu, daß dies Sache eines glücklichen Zufalls sei, während man vielmehr durch Gesetzgebung inneren Unruhen vorbeugen müsse. 560Vgl. zum römischen Bewußtsein davon Timpe, Historia 14, 1965, 199f.

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III Die übermäßige Extensivierung der res publica

der Ritterschaft, die Gesinnungsgrundlagen unddie Funktion der Verfassungseinrichtungen damals einen tiefen Wandel erfuhren und da mit der Entstehung der Berufsheere und dem Aufstieg der großen Einzelnen sich Tendenzen abzeichneten und endlich durchsetzten, die auch in der extensivierten res publica keinen Platz mehr finden konnten, ergibt sich, daß die Mutabilität –wie man auch im einzelnen dieses Verhältnis bestimmen will –relativ groß war. Nur gab es keinen Hebel, diese Veränderungen zu erfassen. Was soll ein ganz in der Gesellschaft ruhender Staat gegen eine Mißwirtschaft tun, von der alle profitieren? Woher soll er Geschlossenheit gewinnen, wenn seine Schwäche zu den wichtigsten Voraussetzungen seines Bestehens gehört? Endlich bildeten die letzten großen Veränderungen in ihrem entscheidenden Stadium nur zeitweise den eigentlichen Gegenstand der Politik561. 67 und 66, bei den großen Kommanden des Pompeius, taten sie es nicht, und dem entsprach im Kleinen das Verhalten der Bürger bei den Wahlen und in der täglichen Politik, das fast ganz auf deren eigene kleine Interessen ausgerichtet war. Hier ergibt sich nun die eigentliche Bedeutung der fehlenden Kristallisation zwischen kleineren Interessen und den großen Gegensätzen der Zeit: Wenn der Umkreis des Kontroversen so weit hinter dem des Mutablen zurückbleibt, so zeigt sich darin, daß die Gesellschaft nicht mehr Herr über ihre Angelegenheiten, daß sie überfordert ist. Sie verwickelt sich gleichsam immer tiefer in sich selbst, orientiert sich um so mehr auf die alten Normen, je weniger diese passen, und muß es sich schließlich gefallen lassen, daß man sie von außen zu entwirren sucht562. Und es überstieg nicht nur die Kräfte dieser Gesellschaft, die Dynamik der Veränderungen in den Griff zu bekommen, sondern es war ihr auch unmöglich, sie zu erkennen. Der Senat stand sich selbst im Licht: denn jeder erwartete von ihm die Lösung, und er wußte nichts Besseres als das Hergebrachte weiter zu praktizieren. Außerhalb des Senats aber pflegte man über Politik nicht nachzudenken, undda es trotz Unordnung undAnarchie allen gut ging, war auch kein Anlaß da, jetzt damit anzufangen. So machte sich jenes Gemisch von borniertem Stolz und weichem Laisser-Aller, innerer Verhärtung und schlechtem Gewissen, Dickfelligkeit und dumpf-gereizter Resignation breit, das einzutreten pflegt, wenn eine Gesellschaft überfordert ist. Die Lösung der Krise muß dann auf langen Umwegen erfolgen. Mittelbar, indem es zu so vielen inneren Veränderungen, endlich zur Bildung von Berufsarmeen, zum Aufstieg großer Einzelner kam und das schlechte Gewissen der Senatoren wuchs563, machte es sich denn doch geltend, daß der Herrschafts561O. S. 148f. Anders 59 (o. S. 90, aber auch 197 ff). 55 (u. S. 294 f. Vgl. vielleicht A. 179, 102) war die Entscheidung schon gefallen. 562 Vgl. ihre Ohnmacht am Vorabend des Bürgerkrieges (o. S. 92 f) und die Stellung der großen Einzelnen (u. S. 289f. 295ff.). 563 Bei aller Hartgesottenheit muß ein Adel, dessen Großväter für ihre Unbestechlichkeit berühmt waren (Polyb. 6, 56, 1ff.), dessen Väter noch lebhafte Verantwortung für das

4. Unverhältnismäßige Vergrößerung und Extensivierung der res publica

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bereich nicht bewältigt war. Und sobald Pompeius und Caesar einmal eine mächtige, unabhängige Stellung außerhalb des Senats begründet hatten, gewannen auch die politischen Auseinandersetzungen wieder an Folgerichtigkeit: Denn diese Kräfte konnten nicht abgelenkt werden, da sie politische Macht anstrebten, das heißt: nur gewinnen konnten auf Kosten ihrer Gegner. Aber ob von da aus ein gerader Weg zur Lösung der Krise sich eröffnete, das heißt ob die großen Einzelnen wirklich eine Alternative zum Bestehenden darstellen konnten, muß noch gefragt werden. Zunächst stellt sich jetzt das Problem, wie sich die geschilderten Verhältnisse auf die politische Grammatik der späten Republik auswirkten.

Wohlergehen der Provinzen gespürt hatten (u. S. 212 f.) und der unter demEinfluß stoischer Philosophie stand, unter dem Zustand der Provinzen und seiner Ohnmacht demgegenüber gelitten haben. S. den Zusatz Note 15, u. S. 318f.

11 Meier

IV ZUR POLITISCHEN GRAMMATIK IN DER SPÄTEN REPUBLIK Inzwischen ist es deutlich geworden, woher es kommt, daß die römische Politik es in der späten Republik in der Regel mit kleinen vereinzelten Interessen zu tun hatte, und entsprechend: warum sie sich trotz der Entstehung einer breiten Großbourgeoisie und des städtischen Proletariats weiter in den Formen des Bindungswesens abspielen konnte. Daß dabei die großen Auseinandersetzungen zwischen Pompeius und dem Senat relativ unabhängig von der übrigen Politik ausgetragen werden mußten, kann jetzt ebenfalls nicht mehr überraschen. Wären Probleme, die große Teile der Bürgerschaft stärker bewegten, politisch umstritten gewesen, so hätte sich der Machtkampf der Politiker gewiß mit ihnen verknüpft. Die große Politik zwischen Pompeius, Caesar und dem Senat hätte sich dann mit wirtschaftlichen und sozialen Gegensätzen, das heißt mit unpolitischem Stoff angereichert und dauerhaft in die Bürgerschaft hinein verlängert. So aber überwog für das Gros der Bürger das Unstrittige in der Politik das Strittige bei weitem, und sie gewannen in der Regel keinen rechten praktischen Zugang zu den politischen Auseinandersetzungen und Krisen. Man fragt sich, nach welchen Regeln das politische Handeln sich unter diesen Umständen vollzog. Dabei würde sich aber ein weites Feld von Problemen auftun, denn es ginge ebenso sehr um viele Züge des politischen Bewußtseins, ethische Grundbegriffe, um alte und neue Comments wie um die Machtverhältnisse, die Formen der Willensbildung und die komplizierten Möglichkeiten ihres Aufeinanderwirkens. Das würde eine eigene Arbeit erfordern. So muß es genug sein, wenn hier eine kurze Skizze von Teilen der politischen Grammatik gegeben wird, in der einerseits dargetan wird, was für das Verständnis der Vorgänge und Situationen der damaligen Politik wichtig ist, andererseits, wie die alten Formen des Adelsregimes im einzelnen den Bedürfnissen der Bürger gerecht wurden1.

1 Zur popularen Methode vgl. RE Suppl. 10, 549 ff.

1. Die Regel: Faktionenbetriebsamkeit und Teilbarkeit der Politik

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1. DIE REGEL: FAKTIONENBETRIEBSAMKEIT UND TEILBARKEIT DER POLITIK

Für die alltägliche Politik im damaligen Rom hat Matthias Gelzer die Bezeichnung „Faktionenbetriebsamkeit“ geprägt. Er spricht auch von dem „ geschäftigen Treiben der Koterien“2. Einmal zitiert er mit Zustimmung den Satz von Gaetano de Sanctis: „Man muß sich davor hüten, diese Parteien oder besser Factionen oder Koterien auf eine zu starre und mechanische Weise zu betrachten. Wir haben es zu tun mit Gruppen, die sich ständig bildeten und auflösten, nur um in verschiedenen Formen wieder zu erscheinen“ 3. Diese Äußerung bezieht sich freilich auf das zweite Jahrhundert unddenkt vor allem an die Behandlung der großen Fragen der damaligen Außen- und Innenpolitik. Für die Alltagsgeschäftigkeit jedenfalls der späten Zeit stellt sich die Art der Gruppierungen in der Regel noch verwickelter dar. Das folgte schon aus der starken Vereinzelung der Interessen. Jeder hatte zahllose Verpflichtungen oder mußte sie knüpfen, und die in diesen Formen behandelte Summe von Materien war außerordentlich groß. Als Anhaltspunkt wenigstens –Beispiel wäre schon zu viel gesagt –kann folgende Aufzählung dienen. Von Cicero wird im Jahre 65 gesagt, er habe multa propria municipia. Bekannt sind uns seine Beziehungen außer zu seiner Heimat Arpinum zu Reate, Cales, Volaterrae, Atella, Placentia, Capua und allen Städten von Brundisium bis Vibo4. Die Anlässe, bei denen sie uns berichtet werden, sind zufällig, in Wirklichkeit müssen es viel mehr gewesen sein. Aber alle entstammen sie der Laufbahn des einen homonovus. Je nachdem welche Gegenstände gerade behandelt wurden, und wer gerade gegen wen seine Freunde aufbot, wechselten also die politischen Konstellationen. Und da immer mehrere Probleme nebeneinander auf der Tagesordnung standen, gab es immer gleichzeitig die verschiedensten Gruppierungen. Der Redner Calidius, der unter anderem Patron von Pergamon und Tenedos war, mußte, wenn es umpergamenische Interessen ging, mit Caesar, wenn umtenedische mit dessen Gegnern Cicero, Bibulus und Favonius zusammenarbeiten5. Cicero hat vor Gericht dieselben Herren bald bekämpft, bald auf seiner Seite gehabte, und dies darf, da es dort nicht anders als in der übrigen regelmäßigen Politik zugegangen sein kann, durchaus als Beispiel für die Wechselhaftigkeit der Faktionsbetriebsamkeit genommen werden. Die Namen „Faktion“oder „Koterie“sind, so richtig sie in Gelzers Ausdruck das Ganze dieses Treibens 2 Pomp.2 245. Vgl. 57. 64f. 72. 120. 126. Caes.6 25. 3 Kl. Schr. 1.203 (s. Riv. di Filol. 64, 1936, 194 vgl. ebd. 65,85f.). 4 Q. Cic. Com. Pet. 3. Gelzer a. O. 99,314. Freilich werden diese Städte zumeist auch andere Freunde im Senat gehabt haben (zu Capua vgl. Brunt, JRS 52,1962, 77,87). Zu proprius vgl. Com. Pet. 35 (evtl. nur im Hinblick auf die competitores gemeint?) 5 Pergamon: AE 1913, 181. 1909, 40 (Caesar ist freilich erst für 48 als Patron bezeugt), vgl. aber vielleicht Plut. Caes. 2,1.6: Beziehungen vom Vater her, der ca. 91 Proconsul von Asia war? Tenedos: Cic. Q. fr. 2,10(9), 2. 6 Strasburger, Concordia Ordinum 35f. 11*

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

charakterisieren, im einzelnen für das dort übliche vorübergehende Zusammenwirken wahrscheinlich schon zu anspruchsvoll. Wir hören davon, wie sich auswärtige Gemeinden in Rom an ihre Patrone , oder „Gastfreunde und andere, deren Autorität zur Zeit viel im Senat vermag“ wenden7, und wie die Patrone ihrerseits Freunde und Freundesfreunde in dieser oder jener Sache für sich einzunehmen trachten, um im Senat die Mehrheit zu gewinnen8. Dabei spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß an der Verhandlung solcher Einzelfragen, wenn sie allein auf der Tagesordnung standen, sich oft nur die jeweils unmittelbar Interessierten beteiligten. Bis zum Jahre 67 sind zum Beispiel, wie uns zufällig bekannt wird, Befreiungen von Gesetzen vielfach per pauculos beschlossen worden. Als der Volkstribun C. Cornelius dagegen beantragte, solche Befreiungen sollten nur noch per populum erfolgen können, stieß er auf so heftigen Widerstand, daß er nachgab. Er modifizierte deswegen seinen Antrag dahin, daß Privilegien vomSenat nur verliehen werden dürften, wenn mindestens 200 (von insgesamt 600) Senatoren anwesend seien. Dieses Gesetz kam durch „gegen den Willen der Optimaten, die durch Wenige solche Gratifikationen zu verleihen pflegten“ , weil man sich anständigerweise nicht offen dagegen wehren konnte9. Die Zahl 200 nun zeigt, daß man vorher offenbar häufig mit wesentlich weniger, das heißt etwa einem Zehntel (60) oder Sechstel (100) der Senatoren diese Beschlüsse faßte. Hätte man die Kompetenz einfach auf die Volksversammlung übertragen, wäre freilich auf andere Weise das gleiche geschehen. die derart durchgesetzt Cicero spricht nämlich einmal von solchen Anträgen, „ werden, daß kaum fünf Männer je tribus, und die noch aus einer fremden tribus, ihre Stimme abgeben“10. Wie sehr dies auch übertrieben sein mag, so konnte doch in den Volksversammlungen zumeist nur ein noch viel kleinerer Bruchteil des Ganzen als im Senat über die Privilegien beschließen. Der Unterschied hätte im übrigen allein darin gelegen, wer auf die Gewährung der gratificationes den unmittelbaren Einfluß ausüben konnte, die Tribunen oder die potentissimi quique ex senatu11. Auch so wurden gewiß manche Wünsche, die im Senat keinen Anklang fanden, populariter erfüllt12. Was in diesem Raum geschah, ging selten viele etwas an, er war so groß, undder Druck in ihm so gering, daß eine Menge von Dingen in ihm unabhängig voneinander, wiein vielen kleinen Räumen, zwischen denen es kaum Oszillation gab, geschehen konnte. Daraus folgt, daß auch dann, wenn etwa der ganze Senat mit einer Angelegenheit befaßt war, die Politik in der Regel von kleinen Grup7 Sall. Jug. 13,6f. Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,91 f. 8 Vgl. Cic. off. 2,67. Rosc. Am. 4. 149. fam. 13,8. Für die Macht, die selbst junge Adlige dann kraft Beziehungen entfalten konnten, s. z. B. Diod. 40,1,2. Münzer RE 4,1394. 9 Asc. in Cornel. 47,15 ff. 10 Sest. 109. RE Suppl. 10,590 f. 11Asc. 48,4. Dabei ist zu beachten, daß Cornelius offenbar zu den Managern popularer 12 RE a. O. Politik gehörte (RE 614f.).

1. Die Regel: Faktionenbetriebsamkeit und Teilbarkeit der Politik

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pen gegeneinander ausgetragen wurde. Man hatte relativ wenige Freunde und Patrone und brauchte auch nicht mehr, da der Gegner im Zweifelsfall ebenso wenige besaß. Manmußte eben jeweils versuchen, möglichst viele Herren, eventuell auch solche, die zugleich zu beiden Seiten oder sogar nur zu den Gegnern Beziehungen unterhielten13, zu gewinnen. Dabei bemühten sich natürlich auch die Patrone, Freunde herbeizuziehen und im übrigen dann durch auctoritas und Redekunst die Mehrheit des Senats zu überzeugen. Diese hochgradige Teilbarkeit der Politik ist gewiß vom Gegenstand her mitnichten überraschend. Aber es ist doch bemerkenswert, daß solche Materien, die man sonst zumeist in Administration und Rechtsprechung erledigt, in Rom von den wenigen Magistraten, die es gab, undteilweise vom Senat oder gar von der Volksversammlung behandelt wurden und dabei immer auch eine ganze Reihe von „Politikern“14beschäftigten. Vor allem ist es eigentümlich, daß sie das eigentliche und einzige Thema der alltäglichen Politik bildeten, so daß es in ihnen also um die wesentlichen Grundlagen der Macht des Einzelnen und der Familien ging, und damit zugleich auch um eine wichtige Voraussetzung des Adelsregimes. Denn so vielfältig die Ursachen waren, aus denen dieses lebte, so wäre seine Bewahrung doch ohne die Mühewaltung aufdiesen Gebieten nicht möglich gewesen. Gegen diese Art der Verwaltung lassen sich viele Einwände erheben: Man kann finden, daß sie unrationell undungerecht war, daß sich bei demjährlichen Ämterwechsel die Consuln damit begnügen mußten, schlecht und recht die laufenden Geschäfte zu erledigen, so daß infolge mangelhafter Führung Schlendrian sich ausbreitete. Man wird auch eine „zielbewußte Regierungspolitik“ unter diesen Umständen für unmöglich halten und vor allem einsehen müssen, daß den Bedürfnissen eines weltweiten Imperiums mit den überkommenen Formen des Gemeindestaats auf die Dauer nicht genügt werden konnte15. Endlich läßt sich vermuten, daß dieses Treiben die Senatoren überforderte. Das gilt schon ganz äußerlich, wie etwa Sallust schreibt: fere his tempestatibus alii iudiciis publicis, alii privatis suis atque amicorum negotiis inplicati, haud sane rei publicae consiliis adfuerunt16. Fraglos führten all diese Dinge zu einer entsetzlichen Verzettelung und nahmen, wie Matthias Gelzer schreibt, „unver. hältnismäßig viel Zeit, Kraft und Geld in Anspruch“ Diese Einwände sind gewiß richtig, aber die Schlüsse, die aus ihnen vielfach gezogen werden, sind zumTeil sehr fragwürdig. So folgerte Gelzer aus der Verzettelung der Kräfte, „ daß sich die meisten mit höheren politischen Gesichtspunkten kaum mehr befaßten. Eben daher blieb die politische Ideologie hinter den Forderungen derZeit zurück“ .17Aber dagegen ist zubetonen, daßdieErsten des Senats, die principes, sich an dem hektischen Getriebe im allgemeinen 13 Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1,92. 14 Vgl. o. A. 18,64. 15Vgl. Gelzer Pomp.2 64. 115. DLZ 43, 1922, 873ff. 16cp. ad Caes. 2,11,6. Vgl. zu amicorum negotia Plut. Luc. 42,5.

17Pomp.2 120.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

wenig beteiligten. Cicero bezeichnet den führenden Kreis unter ihnen zum Beispiel einmal als piscinarii, meint also, sie kümmerten sich um ihre Fischteiche mehr als um die Politik18. Auch sonst ist uns bezeugt, daß die homines illustres honore ac nomine19 die Angelegenheiten des Alltags den Jüngeren, zumal denen, die noch in höhere Ämter aufsteigen wollten, überließen20. Abgesehen davon sprechen, wie schon angedeutet21, andere Argumente mit aller Wahrscheinlichkeit dafür, daß die Belastung durch die Alltagsgeschäftigkeit nicht die eigentliche Ursache für das Zurückbleiben des politischen Erkenntnisvermögens gewesen sein kann, vielmehr die Schwierigkeit der Verhältnisse das Erkenntnisvermögen von Zeitgenossen weit überstieg. Weiter wäre es eine Untersuchung wert zufragen, unter welchen Umständen überhaupt zielbewußte Regierungspolitik entstehen kann. Gewiß hatte es in Rom an dem „vorausschauenden, vorsorglichen Handeln das aller Politik heute22 im Blute liegt“23, schon immer gefehlt und das geschilderte Verhältnis zwischen Staat undGesellschaft bot wenig Anlaß, daran etwas zu ändern. Aber das war ein Grundtatbestand, der so tief in der römischen Welt verwurzelt war, daß an ihm so leicht nichts geändert werden konnte. Daher kann man die Art der Verwaltung schlecht für sich kritisieren24.

...,

Auch Sallusts Vorschlag, die Zahl der Senatoren zu vermehren, verrät im Grunde eine gänzliche Verkennung der eigentlichen Problematik. Denn allem Anschein nach war bereits die Zahl von 600 Mitgliedern, die der Senat seit der Verdoppelung durch Sulla umfaßte, zugroß, weil sich so viele, die diesen Pflichten gewachsen waren, gar nicht fanden oder weil doch so viele nicht zu der Einheit zuintegrieren waren, die der Senat darstellen mußte, umdie respublica führen zu können25. Gelzer hat schon darauf hingewiesen, daß die Nobilität nicht nur aus Eigennutz, sondern in wahrer Kenntnis der Gesetze ihres Regimes Die Zahl der Politiker ... einer Vermehrung der Magistrate widerstrebte. „ durfte nicht über ein Maß anschwellen, das eine einheitliche Behandlung der Geschäfte im Senat unmöglich machte“26. Es galt der Grundsatz: Alle sind an allem beteiligt27, und das Terrain, das das Senatsregime dadurch besaß, wollte keiner aufgeben. Auch eine Verlängerung der Amtsfristen wäre nur denkbar gewesen, wenn der Senat freiwillig (und ohne Alternative) auf ein zentrales Prinzip seiner Herrschaft und seiner Teilhabe an allem verzichtet hätte, und 18Att. 1,18,6. 19,6. 20,3. 2,1,7. 9,1. An sich traf der Name nur für Hortensius, Lucullus und wenige andere zu. Vgl. parad. 38. Macrob. 3,15,6. Varro r. r. 3,3,10. 17,5 ff. Columella 8,16 (p. 84c). 19Q. Cic. Com. Pet. 18. 20 Cic. Planc. 45. fam. 2,6,3. O. A. 39,82. Cicero und Crassus (vgl. u. S. 274 f.) bilden Ausnahmen. Vgl. auch fam. 3,13,1. 21 S. 135; u. S. 203f. 292 f. 301 ff. 22 Noch? 23 Wieacker, Vom röm. Recht2 59. 24 Vgl. o. S. 34 ff. 25 ep. 2,11,5 ff. Vgl. auch u. S. 256ff. 26 Kl. Schr. 1,268. 27 Vgl. dazu auch Tac. ann. 15,21,1: olim quidem non modo praetor aut consul, sed privati etiam mittebantur, qui provincias viserent et quid de cuiusque obsequio videretur referrent, trepidabantque gentes de aestimatione singulorum. Dazu Cic. leg. 3, 18.

1. Die Regel: Faktionenbetriebsamkeit und Teilbarkeit der Politik

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sie hätte nur sinnvoll sein können, wenn eine Administration im eigentlichen Sinne des Wortes zu schaffen gewesen wäre, auf die die Magistrate sich statt auf den Adel hätten stützen können. Nureine Instanz oberhalb derAristokratie hätte also den Schlendrian beenden, die Gesinnung des Gefälligkeitsstaats ausrotten und aus neuem Geist28 eine andere Form der Verwaltung aufbauen können. Dazu aber war vor 49 keine Macht imstande, dafür gab es überhaupt keinen Ansatzpunkt, da alle Beteiligten (außer denen, auf deren Kosten man lebte, unddie unmittelbar keine Berücksichtigung heischten) bei demgeltenden System sich wohl fühlten oder wenigstens sich ernsthaft nichts Besseres denken konnten. Ein schwaches Regiment war den meisten nur erwünscht. In der wechselseitigen Abhängigkeit aller von allen schien die beste Gewähr gegen eine Revolutionierung gegeben zu sein. So finden wir uns hier vor zwangsläufigen Konsequenzen ausder Organisation der respublica, das heißt aus der Regierung unter stärkster Teilhabe des Senatsadels und aus der Art, in der die Regierten an der Politik, zumal als Wahlversammlung, beteiligt waren. Nur in diesem Rahmen ist die Alltagsgeschäftigkeit zu beurteilen. Macht erfordert die Fürsorge für die, auf die sie sich gründet, oder wie Namier einmal im Blick auf verwandte Erscheinungen im England des 18. Jahrhunderts schreibt: if personal disinterestedness is expected from independent members, they hadat least to secure benefits and advantages for their constituents29. Immer denkt am meisten an seine Angelegenheiten, an die gemeinsamen weniger oder jeder „ nur, soweit sie denEinzelnen berühren“30.Das Besondere in Rom ist eben nur – , daß die egoistischen Interessen der Einzelnen und der umes zu wiederholen – Verbände sich auf freiem Felde austobten, das heißt nicht in das Gehäuse größerer Parteien einschlüpfen und sich dort verstecken konnten31. Dadurch sind sie weniger gehemmt und können sich auch nicht, wie in vergleichbaren Situationen, politisch nützlich machen, indem sie zur materiellen Grundlage größerer Parteien beitragen. Wie konnte nun bei der geschilderten Lagerung der Interessen und der um sie sich entfaltenden Faktionenbetriebsamkeit auf besondere Situationen reagiert werden? 28Vgl. P. Sattler, Augustus und der Senat 96, 221. Ferner: Einl. zu H. Simons Übers. von Caesars Bürgerkrieg, 1964, XXXIV f. Allg. Max Weber, Wirtsch. u. Gesellsch. Stud. ausg. 709 ff. zu den Voraussetzungen der Bürokratisierung. 29The Structure of Politics at the Accession of George III 1 (1929) 22. 30 Arist. Pol. 1261 b 33. 31O. S. 22f. 89. Vgl. Namier a. O. 21. In einem Parlament, das von Parteien beherrscht ist: Such struggles assume the decorous forms of wholesale transactions, glorified by the mutual loyalties and the common joys or sorrows of the contending teams.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik 2. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN REGEL UND AUSNAHME

Die Alltagsgeschäftigkeit bewegte sich offenbar nicht nur unter der Voraussetzung, daß die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung im wesentlichen gesichert war, sondern es war ihr zugleich dadurch ein Maß gesetzt, daß sich in Ausnahmefällen das Gros der Senatoren zu einigen pflegte. So sind die großen Probleme der Außenpolitik offenbar bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts immer und zum guten Teil auch danach noch in hergebrachter Weise nach den in Jahrhunderte alter Erfahrung gebildeten Normen unter der Autorität der führenden Kreise und Sachverständigen entschieden worden32. Man kann dem Senatsregime vorhalten, daß es wenig zweckmäßig war und daß zwangsläufig mit demWachsen desrömischen Herrschaftsbereichs Zynismus und Phlegma seine Handlungen zu bestimmen begannen33. Freundschaften, Fehden und archaische Reaktionsweisen sowie mehr persönlich als sachlich bedingte Meinungsverschiedenheiten haben bei der ungebrochenen inneren Kraft des Adels eine besondere Rolle gespielt und den Gang der Ereignisse oft wenig sachdienlich beeinflußt34. Seit dem zweiten Jahrhundert haben zunehmend auch unrechtmäßige Praktiken gegenüber den Unterworfenen um sich gegriffen, um schließlich stillschweigend vom ganzen Stande geduldet zu werden35. Doch scheint die Einheit der Außenpolitik trotz mancher Differenzen im Ganzen immer gewahrt worden zu sein36, und es gibt kaum Anhaltspunkte dafür, daß Schichten außerhalb desSenats in sie eingreifen konnten37. Selbst in denJahren, als Marius mehr oder weniger gegen den Willen des Senats Consul war, hören wirnicht davon, daß es über die Methoden undZiele der Außenpolitik Differenzen gegeben habe38. Aber auch sobald bedeutsamere innenpolitische Veränderungen oder Machtverschiebungen angestrebt wurden, finden wir die Senatsmehrheit in der Regel einig. Gelang es, solche Pläne mit Hilfe der Volksversammlung durchzusetzen, so nahm man das Ergebnis in dennormalen Fällen hin, gegen die bedeutenden Volkstribunen dagegen, die Gracchen und Saturninus hat man zuletzt zu den Waffen gegriffen, sie und die in ihrer Umgebung befindlichen Freunde erschlagen und danach andere ihrer engeren Anhänger vor Gericht gestellt39. 32Vgl. Badian FC 81 f. 89. 95,4. 286f. 33 Vgl. jedoch BJ 161, 1961, 505f. o. A. 79,96. 34U. A. 297,185. Kunkel, Unters. z. Entw. d. vorsull. Kriminalverf. 124. 35Vgl. Badian 148f., die Notwendigkeit der lex de repetundis im Jahre 149 und die außerordentlich nachlässige Rechtsprechung der senatorischen Richter (Last CAH 9,69f., o. S. 71). 36Streitigkeiten wie die, welcher Clientelfürst im einzelnen Fall vorzuziehen sei, können nur als Bewegungen an der Oberfläche angesehen werden. Vgl. o. S. 68. A. 49,135. 37Zu der einzigen Ausnahme, bei der dies nicht von vornherein ausgeschlossen zu sein scheint, vgl. die überzeugenden Ausführungen von Badian FC 192ff., auch Sherwin-White JRS 45, 1955, 169 (Badian 173f. scheint mir unglaubhaft); o. S. 79f. 38Vgl. z. B. Carney, A Biogr. of C. Marius 31 zumFrieden in Africa Dazu aber Gnomon 36, 1964,67. 39O. S. 131. 76. 138f.

2. Das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme

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Solche Auseinandersetzungen blieben freilich selten und entspannen sich vor allem, wiesich schon zeigte40, nicht um feste Gegensätze, sondern es waren jeweils verschiedene Kräfte, die aus der Situation heraus und ohne lange Vorbereitungen etwas gegen den Senat erreichen wollten. Dieses grundsätzlich gesunde Verhältnis zwischen Regel undAusnahme nun wurde erst in der Zeit nach Sulla durch den Gegensatz zwischen Pompeius undder Senatsmehrheit stärker gestört. In Pompeius erstand der Senatsmehrheit zum ersten Mal ein Gegner, der sie aus sehr mächtiger Position relativ kontinuierlich bekämpfen konnte und mußte41. Damit wurde die Ausnahme zur Regel, ohne daß aber die alltägliche Politik mangels Kristallisation an die großen Gegensätze sich darauf einstellen konnte. Pompeius verfügte während der Dauer seiner großen Kommanden nacheinander in den verschiedensten Teilen des Herrschaftsbereiches wie in Rom über außerordentliche Möglichkeiten. Er konnte am besten den militärischen Ehrgeiz der jungen Aristokraten , und man brauchte befriedigen –und hat es in verschiedenen Fällen getan42 – ihn in den zahlreichen Geschäften, die die Senatoren und die übrigen Bürger in den Provinzen betrieben. Bewußter und in weit umfassenderen Ausmaßen, als Marius es je getan, knüpfte er überall seine Bindungen und schuf seine Clientelen, die sein ganzer Stolz waren43. Das daraus resultierende Nebeneinander von Beziehungen zu Pompeius und zu seinen mächtigen Gegnern im Senat wird noch besser als in den im ersten Kapitel zitierten Beispielen deutlich, wenn man das Verhalten führender Senatoren innerhalb der großen Gegensätze betrachtet44. Wir kennen zunächst eine ganze Reihe von prominenten Consularen, die bald Pompeius gefördert haben, bald zu den entschiedensten Vorkämpfern der senatorischen Politik zählten, wie etwa P. Servilius Isauricus (Consul 79) und C. Scribonius Curio (Consul 76)45. Andere, wieetwa der Consul von 72 L. Gellius Poplicola, sind einige Jahre lang enger mit Pompeius verbunden gewesen und haben später teilweise entschieden Stellung gegen ihn genommen. Wieder andere waren, nachdem sie erst auf Seiten des Senats gestanden hatten, später mit Pompeius und Caesar liiert46. Verschiedene jüngere Herren haben Pompeius in seinen Feldzügen als Legaten gedient und finden sich dann später zumeist unter seinen Gegnern47. 40 O. S. 7ff. 127 ff. 41 Vgl. u. S. 288 ff. 42 Syme, Rom. Rev. 32. 43Dolabella bei Cic. fam. 9,9,2; vgl. Dio 37,20,4. 44 Da das Material in den prosopographischen Artikeln der RE im allgemeinen übersichtlich und vollständig gesammelt ist, sind im folgenden durchweg keine Belege gegeben 45 In diese Reihe gehört auch Cicero. worden. 46 z. B. M. Valerius Messala, Consul 61, vielleicht L. Volcatius Tullus. 47Z. B. Q. Metellus Celer, Consul 60, sein Bruder Nepos, Consul 57, Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus, Consul 56. Vielleicht L. Manlius Torquatus, Consul 65. Der fünfte nachmalige Consul, M. Pupius Piso (61) blieb mit Pompeius mindestens bis zu seinem Consulat eng verbunden.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

Interessant sind die wenigen Anhaltspunkte, die wir für das Verhalten von Mitgliedern der gleichen Familien innerhalb der großen Gegensätze besitzen. In den Jahren 66 bis 64 bzw. 63 haben die Brüder Metellus Celer und Nepos, die mit Pompeius durch dessen Gattin Mucia verschwägert waren, die Vorteile einer Legatenstellung bei ihm wahrgenommen. Die daraus resultierende necessitudo legationis mußte nicht ausschließlich sein, zumal auch Pompeius dankbar dafür sein konnte, daß die erlauchten jungen Adligen ihn begleiteten48. Immerhin hat sich Nepos 63 und62 in Romaußerordentlich entschieden für Pompeius gegen den Senat eingesetzt und ist von seinem Bruder dabei unterstützt worden49. In der gleichen Periode aber bekämpfte Metellus Pius, der schon von den spanischen Feldzügen her nicht die besten Erinnerungen an Pompeius hegen konnte, dessen Anhänger in Rom, undgeriet Metellus Creticus im Osten heftig mit Pompeius aneinander. 63 und 62 hintertrieben dann Nepos’pompeianische Freunde den Triumph seines Onkels Creticus. Im Jahre 60 jedoch gehörte Celer als Consul zusammen mit Creticus zu den erbittertsten Gegnern des Pompeius, und zwar nicht unbedingt deswegen, weil dieser sich inzwischen von Mucia hatte scheiden lassen50. Von den Calpurnii Pisones warschon die Rede51. Ein weiteres Beispiel bieten die Valerii Messalae, von denen wir in den 60er und 50er Jahren zwei Vettern ersten oder zweiten Grades, die Consuln von 61 und 53, kennen. Der erstere bewährte sich 61 als tapferer Verfechter senatorischer Politik, auch gegen Pompeius. Seit 60 begegnen wir ihm dagegen verschiedentlich auf Seiten des Dreibundes. Im Jahre 55 aber, als der Consul von 61, gewiß im Einverständnis mit dem Dreibund, die Censur bekleidet, sieht Pompeius es sehr ungern, wenn dessen Vetter, der überdies Schwestersohn des Hortensius ist, für 53 zumConsul gewählt würde. Pompeius bekämpft dann auch dessen Kandidatur, während Cicero gleichzeitig versucht, Caesar für ihn einzunehmen. Ferner stehen von den Cornelii Lentuli zeitweilig einige mehr auf dieser, andere mehr auf jener Seite, teilweise entstehen darob auch Differenzen zwischen ihnen, zu anderen Zeiten schließlich findet man sie wieder gemeinsam handeln52. 48Vgl. o. A. 36, 69. Smith, Service in the Post-Marian Army 64. 49s. Athenaeum 40, 1962, 103 ff. Für Metellus Celer ebd. 114, 41. 50 Vgl. o. A. 19,70. 51O. S. 19f. Vgl. auch, daß C. Piso als Consul das Gesetz heftig bekämpfte, durch das Pompeius dann das Kommando gegen die Seeräuber erhielt, bei dem Pupius Piso sein Legat wurde. L. Piso, Consul 58, der mit Caesar verbunden war, stand jedoch nicht auf Seiten des Pompeius (vgl. sein Verhalten im Jahre 58!). 52 Cn. Lentulus Clodianus (Consul 72), zwischen 72 und 66 verschiedentlich in Pompeius’ Interesse tätig. –Cn. Lentulus Marcellinus, vielleicht schon in Spanien, jedenfalls im Seeräuberkrieg und gegen Mithridates Pompeius’ Legat und von ihm immer stark gefördert, als Consul 56 dann sein entschiedener Gegner. –P. Lentulus Spinther, 58 und als Consul 57 eng mit Pompeius verbunden, wohl auf Grund starker Förderung bei der Consulwahl (aus der er übrigens als primus renuntiatus hervorging: Taylor-Broughton, Mem. Am. Acad.

2. Das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme

171

Aus einer etwas früheren, aber vergleichbaren Zeit stammen folgende Beispiele: Als der Consul Lepidus 78 seine antisullanische Agitation betrieb, klagte er „die Nachkommen der berühmten Lepidi, Bruti und Catuli“an, Sullas Knechtschaft verfallen zu sein53. Ein Lepidus stand also gegen ihn, es war der Consul von 77 Mamercus. Der zweite Consul von 77 aber, Decimus Brutus, hatte ebenfalls einen Verwandten im Gegenlager: Marcus Brutus, der damals, nachdem er schon unter Cinna eine Rolle gespielt hatte54, zu Lepidus’ vornehmsten Verbündeten gehörte. In den 50er Jahren war es dann umgekehrt: Der Sohn des Consuls war Legat bei Caesar, während der des Lepidus-Anhängers mit Cato und dem Senat eng verbunden war55. Catulus endlich, der dritte, den Lepidus angriff, war mit Sulla im Osten gewesen, galt jetzt als der zweite Sulla, aber sein Vetter ersten Grades war Cn. Domitius Ahenobarbus, der Cinnas Tochter geheiratet und sich auch im Sinne der Cinnaner stark exponiert hatte und anschließend von dem Sullaner Pompeius ermordet worden war, während sein Bruder Lucius sich an den Proscriptionen erheblich bereicherte56. Man könnte diese Aufzählung noch eine Weile fortsetzen. Dabei ließen sich nicht häufig so krasse Fälle anführen, wie derjenige des M. Claudius Marcellus (Consul 51), der zu den schärfsten Gegnern Caesars gehörte und doch mit dessen Großnichte Octavia verheiratet war, oder der des jungen C. Memmius, Pompeius’Schwestersohnes, der 54 den Gabinius anklagte, für dessen Verteidigung Rom 19, 1949, 4). Aber diese Verbindung kann weder vor 58 (vgl. Ciceros erstaunte Feststellung Att. 3,22,2) noch nach 56 (vgl. fam. 1,8 und 9) sehr eng gewesen sein. –P. Lentulus Sura (Consul 71) wurde von den mit Pompeius eng verbundenen Censoren von 70 (einer von ihnen war Lentulus Clodianus) aus dem Senat geworfen (was nicht unbedingt parteiisch zu verstehen ist, sich aber mit guten Beziehungen zu Pompeius nicht verträgt). – L. Lentulus Niger war der Kandidat der Gegner des Dreibunds für das Consulat von 58. – L. Lentulus Crus (Consul 49) wird von Cicero 58 als praetor designatus in einer Reihe mit Domitius und Memmius, den energischsten Vorkämpfern gegen den Dreibund, zu den amicissimi et acerrimi viri gezählt (Q. fr. 1,2,16), war aber vielleicht vorher (Syme, Rom. Rev. 44,2) mit Pompeius in Spanien. Wie die sechs Herren untereinander verwandt waren, ist gänzlich unklar. Man kann jedenfalls nicht aus politischen Gründen annehmen, daß die drei zuerst genannten einem anderen Zweig des Geschlechtes angehörten als die letzteren. Dagegen spräche auch, daß im Jahre 61 Crus mit einem Lucius, wohl dem Sohn des Niger, und einem Gnaeus, das heißt dem Marcellinus oder einem Sohn des Clodianus, gemeinsam die Anklage gegen Clodius vorbrachten. 53Sall. hist. 1,55,3. Badians Erklärungsversuch (FC 277) überzeugt mich nicht. 54Auf Seiten Cinnas und Carbos spielte auch ein anderer Junius Brutus (L. Damasippus, Praetor 82) eine prominente Rolle. 55 Wenn die mit C. Marcellus (Praetor 80) verheiratete Junia Decimus’ Schwester war, ist der Legat zugleich der Vetter von Caesars entschiedenem Gegner im Consulat von 50 gewesen (dessen Vetter Marcus, Consul 51 und ebenso entschiedener Gegner Caesars, Caesars Großnichte Octavia zur Frau hatte). 54Syme meint, “ the Domitii”hätten im marianischen Lager gestanden (a. O. 19). Das ist nicht ausgeschlossen, aber es spricht andererseits nichts dafür, daß wir Domitius hier einfach in den Plural setzen dürfen.

172

IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

sich sein Onkel mit allen Mitteln ins Werk legte57. Aber immer wieder würde sich zeigen, daß die Familienangehörigen in verschiedenen wichtigen Fragen keine gemeinsame Politik betrieben, und daß sie sich nicht auf die Seiten der großen Auseinandersetzungen einfach aufteilen lassen58 Die angeführten Tatsachen sind um so auffälliger, als der Zusammenhang innerhalb der römischen Adelsfamilien gewiß sehr eng war. Es ist hinzuzufügen, daß die Angehörigen einer Familie oder Familiengruppe in den Fällen, in denen wir sie gemeinsam handeln sehen, sich jeweils in einer besonderen Situation befanden, die ihnen eine Familienpolitik oder das Zusammengehen mit Verwandten erlaubte oder nahelegte59. Unter den wenigen Anhaltspunkten, die wir für das Verhältnis Verwandter in den großen politischen Auseinandersetzungen besitzen, sind also diejenigen, die für die eine oder andere Situation Differenzen bezeugen, relativ sehr zahlreich. Selbstverständlich haben gleichwohl die Mitglieder der großen Geschlechter innerhalb der Gegensätze zwischen Pompeius unddemSenat zumeist die gleiche Stellung bezogen. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Mehrheit des Senats und vor allem seine führenden Kreise sich lange in der Regel gegen Pompeius einig waren. Aber gerade deswegen besagen die zitierten Beispiele, wie vielfältig die Möglichkeiten der einzelnen Adligen waren, und wie groß die Zahl derer gewesen sein muß, die zeitweise, sei es mehr in einem Abschnitt ihrer Laufbahn, sei es mehr in einzelnen Situationen auf die Seite des Pompeius traten60. Denn was die nobiles taten, mußten die übrigen Senatoren noch mehr zu tun versucht sein. Dabei entstanden zahlreiche Verpflichtungen gegen Pompeius. Aber diese haben sich zunächst, so viel wir sehen, kaum ausgewirkt. Wohl mages sein, daß 57 Ein Onkel dieses Memmius, Gaius (Praetor 58) hoffte im Juni/Juli dieses Jahres auf Pompeius’ Unterstützung bei den Wahlen und deckte im September Pompeio auctore die coitio der Consuln mit zwei Bewerbern auf. Das früheste Zeugnis für die Anklage stammt die Tribunen“schon im Feebenfalls vom September (Cic. Q. fr. 3,1,16), jedoch hatten „ bruar schwere Drohungen gegen Gabinius ausgestoßen (ebd. 2,12 [11], 3). 58Vgl. u. S. 182 ff. Weitere Beispiele bieten die Julii Caesares, die Atii Balbi, die Sulpicii Rufi, aber es würde zu weit führen, dies hier alles aufzuzählen. Für die vorangegangene Generation vgl. u. a. BJ 161, 508 f. 69Vgl. etwa das Zusammengehen der Geschlechter, zu denen Sex. Roscius aus Ameria ein Gastverhältnis unterhielt, beim Rosciusprozeß, das der Marceller bei der Wahrnehmung ihres sizilischen Patronats. Ferner die politisch interessanten Beispiele u. S. 182 f. 60 Das Gros der principes bleibt für uns fast immer anonym. Im Jahre 67 erscheint zum Beispiel in den Sekundärquellen außer dem Consul Piso nur Catulus als Vorkämpfer des Senats gegen Pompeius. Aus Ciceros Rede de imperio erfahren wir dagegen, daß damals neben Catulus Hortensius stand. Unter denen, die zeitweilig enger mit Pompeius verbunden waren, sind uns verschiedene dadurch bekannt, daß uns die Liste seiner Legaten für die Jahre 67/66 überliefert ist. Sonst hat sich zumeist schon die Tatsache, daß auch Pompeius Fürsprecher unter den principes fand, vergessen (vgl. Historia 10, 1961, 74, 24. Athenaeum 40, 1962, 113, 37).

2. Das Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme

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sie mitsprachen, als man Pompeius in den Jahren 63 und 62 auf Siegesnachrichten hin Dankfeste von zehn und zwölf Tagen beschloß. Dies war eine besondere Ehrung, da die Wiederholung neu war und die Zahl der Tage größer als die, die die vorangegangene Generation dem Marius bewilligt hatte61. Aber für diesen Beschluß sprachen damals auch andere Motive62. Ähnlich war es, als man Pompeius 62 vor den Toren der Stadt einen glänzenden Empfang gab63. Das gehörte sich einfach so. Bei der Behandlung der bedeutsameren Fragen jedoch, etwa derjenigen der Ratifikation der Verfügungen im Osten scheinen die von Pompeius empfangenen beneficia die Entscheidungsfreiheit der Senatoren nur in besonderen Fällen (wenn sie ihm etwa wie später Cicero ihre politische Existenz verdankten64) eingeschränkt zu haben. Tradition und Anspruch65 sowie die Pluralität der Bindungen sicherten den Senatoren also in der Regel großen Spielraum. Allerdings mag die Haltung der Senatsmehrheit zum Teil auch dadurch bestimmt worden sein, daß das Gros der principes im ganzen bis 59 doch mehr vermochte als Pompeius66. Nachdem nämlich Caesar diesen als Consul eine höchst empfindliche Niederlage beigebracht hatte, gerieten sie im Senat zunächst in die Minderheit. Danach erholten sie sich zwar wieder und konnten die Senatsmehrheit gegen Pompeius einigen, aber sehr bald erwies sich, daß ihr Einfluß im Senat doch geschwächt bleiben sollte67. Diese Veränderung, die die politische Grammatik seit dem tiefen Einschnitt des caesarischen Consulats erfuhr, braucht uns hier jedoch nicht näher zu beschäftigen. Denn es ist auch ohnedies schon deutlich, daß nach dem Verlust der senatorischen Einheit und Überlegenheit das Nebeneinander von partium sensus und necessitudines zu einer Art von Schizophrenie führte. Der Widerspruch zwischen beiden war im einzelnen stets möglich gewesen. Denn immer konnte zum Beispiel in den Wahlen nach mehr privaten Gesichts61Cic. prov. cons. 27 (die längsten supplicationes, die uns aus der Zeit vor 63 bekannt sind, gehören dem frühen 2. Jh. an und dauerten fünf Tage, Liv. 30,21,10. 33,24,4. 45,2,1), Marius bekam möglicherweise ein längeres Dankfest (Cic. 26), aber jedenfalls weniger als zehn Tage (vgl. auch Sternkopf Rh. Mus. 40, 1892, 468 ff). 62 Vor allem dasjenige, daß man Pompeius dadurch mit relativ geringem Aufwand günstig stimmen konnte, damit er nicht bewaffnet auf Rom marschiere. 63 Gelzer Pomp.2 118. Vgl. später den Empfang Catos nach seiner Rückkehr aus Zypern (Plut. Cato min. 39), bei dem die Mitwirkung seines Schwiegervaters L. Marcius Philippus sich von selbst gehört und keinerlei Aufschluß über dessen damalige Stellung zu Caesar bietet (wie Miss Taylor, Party Politics 228,12 annimmt. Dazu auch o. A. 20,78). 64 Vgl. Cic. fam. 1,8,2. 9,6. 21. 3,10,10. Q. fr. 2,3,2. 3,4,2. Att. 4,13,2. Phil. 2,38. –Ferner Pompeius’ Klage über das Verhalten des Marcellinus: Plut. Apophth. Pomp. 12 (204C); 66 U. S. 181 f. 65 Gelzer Kl. Schr. 1,207f. vgl. Pomp. 51,8. 67 U. S. 286 f. Auffällig ist, daß die bis dahin maßgebenden principes samt andern, die führende Kreise sich ihnen anschlossen (dazu u. S. 185f), gleichwohl offenbar weiterhin als „ des Senats“angesehen worden sind, auch wenn noch so viele Beschlüsse zu Gunsten von Pompeius und Caesar im Senat gefaßt wurden (Stein, Senatssitzungen d. cic. Zt. 40 ff.). Vgl. U. A. 231,150a.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

punkten eine Entscheidung gefällt werden, die sich bei wichtigen Fragen verhängnisvoll auswirkte. Da die Homogenität des Adels selbstverständlich nie vollkommen war, konnte der Bereich der großen Politik vor manchen Störungen aus der Alltagsgeschäftigkeit nicht bewahrt werden. Aber daß es in einer Situation langwieriger, gefährlicher Bedrohung des Senatsregimes nicht möglich war, jeweils die Herren zu wählen, die am ehesten in der Lage waren, dieser Gefahr zu begegnen –wenn man sich denn scheute, die lex Annalis zu , zeigte doch eine noch nicht dagewesene tiefe Schwäche und durchbrechen – Unzulänglichkeit der herrschenden Staatsordnung an. Einen dauerhaften Gegensatz gegen eine auf kontinuierliche Behauptung und Kräftigung ausgehende Macht konnte das Senatsregime offenbar nicht vertragen. Dadurch wurde der Senat zur Partei, die geltende Verfassung wurde praktisch angefochten, hilflos und geriet in Widerspruch zu sich selbst. Die Ausnahme wurde, wie gesagt, zur Regel. Aber es ist nochmals zu betonen, daß dieser –im ersten Kapitel geschilderte –Zustand erst die Entartung eines an sich gesunden Verhältnisses zwischen Regel und Ausnahme war und erst den letzten Jahren der Republik angehört.

3. DIE ORGANISATION DER MACHT

(Einzelner, Familie, Faktion, führende Senatskreise) Angesichts der beobachteten Vereinzelung der Interessen und der Unzahl vielfältig sich überschneidender Bindungen wird nun die bisher zumeist wie selbstverständlich gemachte Annahme problematisch, nach der die damalige Politik weitgehend von Adelsgeschlechtern und -faktionen getragen wurde. So scheint es gut, noch einmal ausdrücklich die Frage aufzunehmen, wie damals Macht wirken und zusammengefaßt werden konnte. Von den besonderen Möglichkeiten des Pompeius undCaesar, die sich vor allem seit 60 geltend machten, sei dabei abgesehen. Mit dem außerordentlichen Wachstum der römischen Bürgerschaft und des römischen Herrschaftsbereichs hatten die relativ kompakten Clientelen, auf denen die Macht der römischen Adelsgeschlechter ursprünglich zumgroßen Teil beruht hatte, erheblich an Bedeutung eingebüßt oder sich überhaupt aufgelöst. Auch die mehr lockeren, mehr von gleich zu gleich geknüpften und oft einander konkurrierenden necessitudines der späten Zeit blieben zwar erblich. Daher war der junge Angehörige derNobilität oder des übrigen Senatsadels gegenüber allen anderen von Haus aus weiterhin stark begünstigt. Aber mit derStruktur der Macht mußte sich nun auch die Bedeutung dieser Bindungen und damit das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Familie wesentlich verändern. Die oft weitläufigen und wie alles in der Politik ständigem Wechsel ausge-

3. Die Organisation der Macht

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setzten68 Beziehungen der Familien mußten stets neu belebt werden69. Vor allem aber kam jeder „Politiker“von früh an mit einer Unzahl von Individuen, Municipien, Gesellschaften etc. in Berührung undverdiente sich deren Dankbarkeit. Und bei der Fülle der Angelegenheiten, die auf diese Weise verhandelt wurden, ist es zu vermuten, daß die dabei erworbenen Beziehungen für ihn oft wichtiger, im Umfang aber mindestens ebenso bedeutend waren wie die ererbten. Noctes atque dies niti praestanti labore –ist nach Lucrez für den Senator unerläßlich. Niemals hören wir davon, daß ein Geschlecht zusammen mit befreundeten anderen seinen Einfluß einfach aufbot, um die Wahl eines seiner Angehörigen zu sichern; wenig Einfluß war übertragbar70. Der Kandidat knüpfte vielmehr, wie schon erwähnt, eine Unzahl von einzelnen Fäden. Das gilt nicht nur für die homines novi, für die es uns dank der besonderen Quellenlage besonders gut bezeugt ist71. Grundsätzlich scheinen sich vielmehr die Wahlkampagnen der nobiles nicht von denen der anderen unterschieden zu haben. Auch die vornehmsten adulescentes beschäftigten sich jahrelang damit, ihren Einfluß zu pflegen, zu aktualisieren und zu vergrößern72. Sie gehörten wie alle anderen zur officiosissima natio candidatorum73. Der der Nobilität entstammende Redner Cotta galt als in ambitione artifex, weil er allen seine Hilfe versprach, soweit es nicht contra officium ging, und sie dann denen zu Teil werden ließ, bei denen er sie am besten angelegt wähnte74. Ap. Claudius, dessen Vaterbruder als ein Mann von besonders großem Einfluß geschildert wird75, scheint im Jahre 58 geglaubt zu haben, er könne sich erst nach einem weiteren Jahr intensiver Mühewaltung um die Praetur bewerben76. So sehr war die Wahl auch von Herren, die vornehmsten Geschlechtern Roms angehörten, von der Summe an Fleiß undZeit abhängig, die sie auf die Sammlung vongratia verwandt hatten. Ein großer Teil desEinflusses mußte also vom Kandidaten selbst –großenteils über die tribus77 –organisiert werden. Die ererbten Bindungen und der 68 Vgl. Badian FC 164 f. 69 Tac. dial. 37,1. 70Vgl. Cic. Planc. 51. Etwas besser stand es mit der Fürsprache sehr mächtiger principes (vgl. u. Anm. 91.102, aber auch Cic. Lael. 73). Interessant ist Cic. Att. 4,16,6 über die Nachwirkung des mächtigen princeps senatus Aemilius Scaurus: est pondus apud rusticos in patris memoria. 71Q. Cic. Com. Pet., Cic. Mur., Planc. Vgl. aber auch Vell. 2,59,2 und für die Macht, die einer, der mit nichts anfing, sammeln konnte: Cic. Brut. 237. 242f. Planc. 67 (indirekt auch Brut. 233. Plut. Crass. 3). 72 Cic. fam. 2,6,3. Cael. 10. Planc. 45. Q. Cic. Com. Pet. 6. 18. 32. Vgl. im einzelnen: fam. 2,6. Phil. 2,4. Att. 1,1,4. 2,1,9 (Gelzer, Kl. Schr. 1,100,317), Verr. 1,25. Aus früherer Zeit: Polyb. 31,29,8. Lucrez 2,11–13. 3,995 ff. 73 Cic. Mur. 69. Pis. 55 (vgl. die Belege aus der vorigen Anmerkung). 74Com Pet. 47. Vgl. de orat. 1,112. Val. Max. 4,5,4 (L. Crassus, der Redner). 75Cic. Planc. 51. Brut. 166. 76 Cic. dom. 12, wohl etwas übertrieben. Vgl. Att. 1,14,7 mit 17,11 (Lucceius). 77 Vgl. o. S. 38f.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

Name des dem consularischen oder praetorischen Senatsadel Entstammenden bildeten dabei nur das Anfangskapital78. Erst wenn er stetig damit gearbeitet und es wesentlich vermehrt hatte, konnte er die Wahlen zu den höheren Magistraten gewinnen. Denn es hieße Agitation und die Redensarten von homines novi ungebührlich ernst nehmen, wollte man Ciceros Ausspruch wiederholen, daß das Consulat ihnen in die Wiege gelegt sei79. So standen die Einzelnen, so sehr sie sich als Glieder ihrer Familien fühlten und von diesen getragen wurden, doch damals in so vielen Zusammenhängen, daß es ihnen in den meisten Fällen schwer gefallen sein muß, unmittelbar Familienpolitik zu betreiben. Die Verwandten wirkten zusammen, sobald ihre gemeinsamen Interessen auf dem Spiele standen, wie etwa die Marceller ihr Patronat über Sizilien imVerresprozeß ausübten80, und Meteller, Servilier und Scipionen auf Grund alter hospitia dem Sex. Roscius aus Ameria vor Gericht beistanden81. Ebenso selbstverständlich unterstützten sich die Angehörigen der Geschlechter, selbst wenn es aus politischen Gesichtspunkten nicht so geraten sein mochte, gegenseitig vor Gericht und bei den Wahlen und zahllosen anderen Gelegenheiten82. Mittelbar wirkten außerdem alle immer im Interesse ihrer Geschlechter, indem sie mächtig wurden und honores gewannen83. Aber bei der Größenordnung, in der damals Politik betrieben wurde, konnten die Familien ihre Mitglieder in der Regel –von vorübergehenden Ausnahmen wird noch zusprechen sein –nicht so eng zusammenbinden undnicht so starkes Interesse an allem nehmen, daß sie für sich oder zusammen mit anderen in nennenswerter Weise als politische Subjekte fungieren konnten84. Wir hören auch nicht ein einziges Mal davon. Als Beispiele, wie unabhängig voneinander und oft genug verschieden oder gar gegensätzlich die einzelnen Brüder und Vettern handeln konnten, kennen wir leider nur diejenigen (zum Teil oben schon erwähnten85), welche das Verhalten innerhalb der großen politischen Gegensätze betreffen. Aber diese zeigen schon zur Genüge, wie groß die Selbständigkeit der Einzelnen auch gegenüber ihren Geschlechtsgenossen gewesen sein muß. Denn es wäre abwegig, wollte man annehmen, daß die verschiedenen Herren getrennt vornehmlich das gemeinsame Interesse ihrer Geschlechter wahrnehmen wollten86. Was aber für die an sich durch kräftiges Solidaritäts78 Vgl. etwa Sall. Jug. 85,4. ep. ad Caes. 2,11,3. 79Cic. leg. agr. 2,100. vgl. Att. 4,8a,2. 80Cic. div. in Caec. 13. Verr. 2,2,36. 103. 122. 3,45. 4,86. 90. 81Cic. 15. 77. 149. Vgl. 119. 82Vgl. o. S. 19f.; u. S. 182f. Gelzer Kl. Schr. 1,204. Ferner die Ehrung des Verwandten durch den Aufruf an hervorragender Stelle im Senat (o. A. 19,73) und die Unterstützung, die Cato im Jahre 50 dem Anspruch des Bibulus auf einen Triumph angedeihen ließ. 83Vgl. Cic. off. 1,55, ferner die Scipioneninschriften, CIL 12 6ff., mit Möbus, Neue Jahrb. 5,1942,290. 84Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2,74. Hampl, Anzeiger für die Altertumswiss. 6, 1953, 91 f. 85 O. S. 169 ff., die übrigen u. S. 182 ff. 86Auch das ist natürlich vorgekommen (vielleicht bei den Claudiern im Osten, als der

3. Die Organisation der Macht

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bewußtsein beseelten Adelsfamilien gilt, muß mutatis mutandis auch für Faktionen angenommen werden. Interessant ist es, nun noch kurz die Wirkensweisen und Konzentrationsmöglichkeiten der Macht zu studieren. Voll und ungebrochen kommt der gesamte Einfluß, den der einzelne Senator besitzt, zur Geltung, wenn er in den Brennpunkt des Geschehens tritt und seine, seiner Freunde und Verwandten Bindungen anspannt, das heißt vor allem, wenn es sich um das vel honori vel periculo servire (Cic. Brut. 242) handelt, wenn er also kandidiert oder angeklagt ist. Dank der weitgehenden Teilbarkeit der Politik kann der Bruchteil der Bürgerschaft oder des Senats, den clientes oder amici bilden, dann durchaus einen Ausschlag gebenden Teil, vielleicht gar die Mehrheit der Bestimmenden darstellen87. Ging es jedoch um die Angelegenheiten Dritter, so mußte es sehr von den Umständen abhängen, wieviel Einfluß man mobilisieren konnte. Bei den Wahlen konnte man gewiß oft die eigene tribus oder doch die Stimmen von vielen Freunden und Nachbarn aufbieten; von dem jüngeren Scribonius Curio wird sogar einmal gesagt, daß allein sein Einfluß in sämtlichen tribus die Wahl desAntonius zumAuguren gesichert habe88. Aber er mußte sich dann auch, wie es in einem anderen Zusammenhang einmal heißt, quasi candidatus einsetzen89, das heißt, mit großer Rührigkeit umhergehen oder -reisen, um überall zu werben. Diese eifrige Werbung für andere war in der Regel eine Sache der adulescentes, der officiosissima natio candidatorum. Man muß sich dabei besonders vor Augen halten, daß es bei einem Teil der Wählerschaft nicht so sehr darum ging, wemsie ihre Stimmen geben, als darum, ob sie überhaupt die Reise zur Wahl nach Rom antreten sollten90. Ältere Senatoren, vor allem Consulare beteiligten sich selten an diesem Treiben91. Denn es ist kein Zufall, wenn es im Commentariolum Petitionis von den Consularen nur heißt, ihr Beistand bringe den Kandidaten aliquid dignitatis ein und trage zum rumor bei92. Im allgemeinen nämlich begnügten sie sich, wie wir auch sonst hören, mit wenigen Kundgebungen, gaben dem Kandidaten ab und an das Geleit undbrachten ihn wohl eine Bruder bei Lucullus blieb, während der andere zu Pompeius überging: Albertini, Mél. d’arch. et d’hist. 1904, 257, sowie: Unters. z. röm. Innenpolitik zw. 63 u. 56 v. Chr. Diss. Heid. 1956. Anm. 40 zu Kap. I). 87Anders war es natürlich bei den Gerichten, wo jedoch die Entscheidung ebenfalls oft nach dem Maß der gratia getroffen wurde (Gelzer, Kl. Schr. 1,80ff.). 88Cic. Phil. 2,4 (vgl. o. S. 12 mit Anm. 36). 89Q. Cic. Com. Pet. 31. 90 Taylor, Party Politics 57. Vgl. 5.55. 91Ausnahmen: Hortensi calor (Cic. Q. fr. 3,7 [9], 3), Caesar für Antonius (Hirt. b. G. 8,50), Cicero für Plancius (Planc. 24), Milo (fam. 2,6) und Lamia (fam. 11,16,3), ferner wohl Scipio für P. Rupilius (Lael. 73). Ähnlich wollte es wohl Pompeius im Jahre 62 machen (Plut. Cato 30. Pomp. 44,1. Dio 37,44,3 mit Athenaeum 40, 1962, 123, 80). Auf eine einzige Gelegenheit beschränkt scheint dagegen die Wahlhilfe des Metellus Pius für Calidius ge92 18. 50 vgl. 2. wesen zu sein (Cic. Planc. 69. Val. Max. 2,5,7). 12 Meier

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

auch auf das Marsfeld am Tage der Wahl93. Bei der hohen Autorität der principes und der Öffentlichkeit des römischen politischen Lebens war schon dies recht wirksam, es sprach sich schnell herum, man schlachtete es aus94. Aber es war wohl mehr ein Element der existimatio als der necessitudines, und welches immer die Motive waren, der Wirkungsweise nach war es die Stellungnahme eines einflußreichen, hoch angesehenen Mannes, nicht das Aufbieten von Clientelen einer Familie. Charakteristisch ist auch, daß sich die Kandidaten in der Regel als einzelne bewarben95. Das wird allgemein als selbstverständlich hingenommen, ist jedoch an sich nichts weniger als das. Denn jeder Wähler hatte jeweils so viele Stimmen, wie Stellen zu besetzen waren. Weshalb taten sich nicht häufig zwei Consulatskandidaten zusammen, um ihre Gefolgschaften und Freunde zu addieren? Man wird einwenden, daß dies doch verschiedentlich in den sogenannten coitiones geschehen sei. Mommsen schreibt dazu: Jedem einzelnen pflegt eine persönliche Wahlclientel zur Seite zu stehen, und insoweit er auch über deren weitere Stimmen verfügt, liegt der Austausch solcher Gefolgschaften nahe96. So hat man im kleinen gewiß manche Absprachen getroffen, besonders wo es sich um die zweiten Stimmen der eigenen tribus handelte97. Aber es ist sehr zweifelhaft, ob man weit darüber hinaus über mehr als eine Stimme verfügen konnte. Auffälligerweise hören wir nie etwas davon, daß zwei Kandidaten vor der gesamten Wählerschaft paarweise auftreten. Erst für die Zeit des verschärften Wettbewerbs nach 70 sind uns Wahlbündnisse zu zweit in größerem Umfang bezeugt, und da handelt es sich im wesentlichen um Stimmenkauf98.

93 Cic. Mur. 70. Gelzer Kl. Schr. 1,108f. Vgl. u. Anm. 208. 94 Freilich waren die Absichten der Consulare oft nicht genau zu erkennen (vgl. Cic. Q. 95 Vgl. Hall, Historia 13, 1964, 300f. fr. 3,1,16). 96 Strafr. 871. Zur Zahl der Stimmen: St.-R. 3,403. Hall 297ff. Dazu wohl die Münze Sydenham, Rom. Rep. Coinage Nr. 615b. 97Cic. Planc 54 (tribum concedere). Vgl. 45. Wahlabmachungen waren an sich auch nicht strafbar (Mommsen a. O. Hall 302). 98 Dio 36, 38,2 (aus der Zeit davor ist nur die ganz andersartige coitio von 185 bekannt, s. Anm. 105). Schol. Bob. 152. Cic. parad. 46. Athenaeum 40, 1962, 108,20 –Auffällig ist die Formulierung, mit der Sueton über die coitio von 60 berichtet: Caesar ... Lucceium sibi adiunxit, pactus ut is, quoniam inferior gratia esset pecuniaque polleret, nummos de suo communi nomine per centurias pronuntiaret (Jul. 19): Was Caesar dem Lucceius für sein Geld bot, bleibt unklar. Bestand sein Anteil vielleicht wesentlich darin, daß er Lucceius erlaubte, sich so stark und einseitig zu ihm zu bekennen, so daß dadurch bewirkt würde, was unmittelbar zu versuchen nicht tunlich war: daß nämlich viele der Wähler Caesars ihre Zweitstimmen Lucceius gaben? Ich würde es nicht für ausgeschlossen halten, eher das Gegenteil! Bemerkenswert ist ferner, daß Cicero auf den Vorwurf gegen die Aedilitätsbewerber von 55: At non nullas (tribus) punctis paene totidem (tulerunt) nicht antwortet, daß die beiden sich eben gemeinsam beworben hätten, sondern sich mit allgemeinen Redewendungen aus der Affaire zu ziehen sucht (Planc. 53).

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Zuweilen beteiligten sich auch mächtige Consulare an solchen Bündnissen99, aber es ist nicht zu sehen, worin dann ihr Anteil an der Wahlwerbung bestand. Interessant ist jedenfalls, daß uns nur wenige coitiones bekannt sind und daß einige von ihnen, und zwar gerade die erfolgreichen, sich deutlich als Ausnahme

zu erkennen geben100. Vermutlich widersprach es nicht nur dem Stil und den Normen der römischen Wahlverfassung, sondern auch der Art des Bindungswesens und der durchschnittlichen Interessen, daß man als Kandidat zugleich für einen Mitbewerber offen eintrat101. Wären nämlich Clientelen und Freundschaften in nennenswertem Umfang soweit verfügbar gewesen, daß man sie hätte addieren können, so wäre es undenkbar, daß paarweise Bewerbung so selten war und daß Pompeius und seine Gegner, wenn sie sich besonders stark um die Besetzung der Consulate bemühten, immer nur einen Kandidaten unterstützten102. Offensichtlich war es –von Ausnahmen abgesehen, die die Regel bestätigen103 – nicht möglich, bei den Wählern zugleich um beide Stimmen anzuhalten104. Dazu waren diese zu frei und zu vielfältig gebunden. Ein über die Bestechung der Bestechlichen hinausgehendes allgemeines Bündnis zu zweit hätte diejenigen Wähler verärgert, die nur einen der Verbündeten wählen wollten und auch, oder sogar mehr noch als an ihn, an einen Dritten gebunden waren. Deswegen kann das Commentariolum Petitionis nur empfehlen, man solle sich auch den Freunden der competitores gefällig erweisen und, soweit es geht, dartun, 99 Asc. 64. Cic. Q. fr. 3,1,16 (Hall 302, 142): u. Anm. 102. Gelzer, Kl. Schr. 1,121f. Unklar ist, ob die von Scipio Africanus i. J. 193 unterstützten Kandidaten untereinander verbunden waren (Liv. 35,10). 100Bekannt sind fünf Fälle (Athen. a. O. und das Bündnis Pompeius-Crassus i. J. 55), erfolgreich außer der coitio für die Aedilenwahl für 54 nur die beiden in ihrer Art besonderen Bündnisse zwischen Pompeius und Crassus. 101Der Stil der Wahlbewerbung mag in früherer Zeit etwas anders gewesen sein, wenngleich mir sehr fraglich ist, ob Münzers und Scullards Vermutungen darüber ihm gerecht werden (vgl. dazu vorläufig meine Bespr. von Lippolds Consules, Anz. f. d. Altertumsw. 1966). 102Pompeius i. J. 62: Pupius Piso. 61: L. Afranius. 60: Caesar und vermutlich Lucceius (u. S. 197; es fällt aber kein Wort darüber, daß er an deren coitio beteiligt gewesen sei, vgl. im Gegenteil Cic. Att. 1, 17, 11). 58 wohl L. Lentulus Spinther (vgl. o. Anm. 52). 57 oder 55: T. Ampius Balbus (Schol. Bob. 156 zu Cic. Planc. 25). 55 wahrscheinlich Ap. Claudius (auffälligerweise sind die Wahlen auch damals, unter dem Consulat des Pompeius und Crassus!, bis ganz ans Ende des Jahres verschoben worden [Cic. Att. 4,13,1], offenbar weil man sie wiederum nur durch Caesars Urlauber [u. S. 294] gewinnen zu können meinte). 54 Memmius (o. S. 12). 53 Gutta (Cic. Q. fr. 3, 6 [8], 6). Ausnahme wohl 59 (vgl. Historia 10, 1961, 96. vgl. o. S. 20). Die Gegner: 60: Bibulus. 56/55: L. Domitius. –Andere, wohl zu enge, Erklärung der Einzelbewerbung bei Hall a. O. 303 f. 103Athenaeum a. O.; Note 8, u. S. 313f. Ferner Liv. 10,22,2 ff. Plut. Cato maior 16,7. 10,5 mit u. S. 225f. 104Daß u. U. verschiedenen Kandidaten gleichzeitig von einem gemeinsamen Freund verschiedene Dienste geleistet wurden (Cic. Q. fr. 3,1,16), war etwas anderes. 12*

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

daß man den Mitbewerbern selbst freundlich gesinnt sei105. Daher muß es sich auch erklären, daß zwei coniuncti die zweiten Stimmen ihrer tribus, über die sie mehr oder weniger frei verfügen können, jeweils einem dritten und vierten Mitbewerber vermitteln106. Nichts kennzeichnet besser als diese Gefälligkeit selbst gegen die Konkurrenten einer coitio, über wie wenig Einfluß damals bei denWahlen einfach verfügt werden konnte, wie sehr sich die Wählerschaft also allen Zusammenfassungen entzog. Die Wahlen bilden aber insofern einen Sonderfall innerhalb der regelmäßigen Politik, als man es in ihnen mit der Mobilisierung von größeren Massen von Bürgern zu tun hatte, während sonst meistens nur ein kleiner Kreis von Senatoren und Magistraten gewonnen werden mußte. So konnte der Einzelne vor den begrenzten Themen der übrigen Politik seinen Einfluß zumeist schwerer ins Gewicht fallen lassen. Gleichwohl können die Wahlen insoweit als Beispiel dienen, als sie zeigen, daß bei der damaligen Lagerung der Macht Gruppen nicht oder nur partiell oder vorübergehend zu konstituierenden Faktoren der Politik werden konnten107. Natürlich konnte sich aber in der Hand einzelner Senatoren großer Einfluß konzentrieren. Einer der mächtigsten Männer der späten Republik, M. Licinius Crassus, ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie man durch eine weit über das Normale hinausgehende schier unermüdliche Tätigkeit im Interesse anderer wie durch umfangreiche geschickte Geldgeschäfte eine ganz außerordentliche potentia sammeln konnte108. Eine zweite beachtliche Größe auf diesem Gebiet war P. Cornelius Cethegus, der zur Zeit der inneren Schwäche des Senats in den 70er Jahren berühmt undberüchtigt geworden ist. Er soll im Senat wie in der Volksversammlung eine beherrschende Rolle gespielt haben, ohne je das Consulat erreicht zuhaben109. Lucullus, so heißt es, habe ihmsein Kommando gegen Mithridates verdankt, und von Antonius berichtet Pseudo-Asconius, er habe seine unbeschränkte Befehlsgewalt gegen die Seeräuber gratia Cottae consulis et Cethegi factione erhalten110. Cethegus scheint sich demnach ausgezeichnet auf die Organisation von Abstimmungen verstanden zu haben und hatte einen Klüngel vonSenatoren undanderen, die ihm dabei zur Hand gingen. So standen 105Q. Cic. Com. Pet. 40: quorum voluntas erit abs te propter competitorum amicitias alienior, iis quoque eadem inservito ratione qua superioribus et, si probare poteris, te in eos ipsos competitores tuos benevolo esse animo ostendito. Vgl. Att. 1,2,1. Von hier aus ist offenbar die coitio der sieben Mitbewerber Catos bei der Censorwahl zu verstehen (Liv. 39,41. Vgl. Plut. Cato maior 16,5ff. Gelzer RE 22,126): Der Versuch, Cato zu Fall zu bringen, wirkte sich darin aus, daß die natio candidatorum, die die Bürger ständig bearbeitete, gemeinsam gegen ihn agitierte. Das mochte ihm empfindlich schaden, es war zugleich das höchste, was von den Bewerbern zu erwarten war (denn das probateste Mittel –daß 5 von den 7 zurücktraten und alle sich auf 2 konzentrierten –war offenbar nicht anwendbar). 106Cic. Planc. 54. 107Gelzer, Kl. Schr. 1,203. 108Plut. Crass. 7. Cic. off. 1, 109. Brut. 233.242. fin. 2, 57. Sall. Cat. 48,5 u. v. a. 109Cic. parad. 40. Plut. Luc. 5,4. 6,1. 4ff. 110259.

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ihm besonders viele Wege offen, er konnte jeweils eine Fülle von Beziehungen spielen lassen. Eine andere Seite seines Könnens bezeugt Cicero im Brutus, wenner schreibt, Cethegus habe dieganze respublica in- undauswendig gekannt und deswegen im Senat die Autorität von Consularen erreicht111. Aber das ist fast das einzige Mal in der späten Republik, daß wir von einer solchen factio hören, und die wenigen anderen Fälle sind nicht vergleichbar112. Es ist daher kaum möglich, die Cethegi factio anders denn als eine Sumpfblüte der bei der damaligen Schwäche desSenats besonders korrupten Verhältnisse der70er Jahre zuverstehen113. In der gewöhnlichen Situation konnten die Einflüsse mächtiger Herren nicht in die Form fester Zusammenschlüsse gerinnen. Aber auch soweit sie sich nicht so sehr an der täglichen Politik beteiligten, besaßen die Consulare starken Einfluß114, der sich insbesondere auch in den großen Auseinandersetzungen auswirkte. Es war niemals gleichgültig, wo sie standen. Sie konnten einer Sache Ansehen verleihen115, den jungen Herren, die sich für diese exponierten, Sicherheit geben und viele durch das Gewicht ihrer Stimme veranlassen, sie zu unterstützen. So konnten auch größere politische Aktionen gegen den Willen des Senats durch die Mitwirkung von Consularen stark begünstigt werden116. Aber die Möglichkeiten der Einzelnen waren auf die Dauer beschränkt. Denn immer konkurrierte der Anspruch anderer, stand der Turnus im Wege, und vor allem wehrte sich die Mehrheit der principes gegen jedes Streben nach übermäßigem Machtgewinn. In den Händen dieser Mehrheit aber konzentrierte sich so viel dignitas und Einfluß, daß sie in den entscheidenden Momenten bis 59 immer den Senat auf ihre Seite bringen konnte, unddaß auch immer wieder das Gros der Magistrate sich bereit fand, im Großen wie im Kleinen ihre gemeinsamen Gegner zu bekämpfen. Sallust bezeichnet die principes deswegen etwas gehässig als einen Klüngel (factio) oder als die wenigen (pauci)117. Aber es wäre falsch, ihm darin 111178: totam enim tenebat earn penitusque cognoverat; itaque in senatu consularium auctoritatem adsequebatur. Vgl. de orat. 3,136. 112Vgl. die Aufstellung bei Taylor, Party Politics 189,30. Zufactio= führende Kreise des Senats u. Anm. 117. Cic. Att. 7,9,4 ist der Dreibund gemeint. Agitatorisch sprach man 118U. S. 268f. natürlich gern von factio (Rhet. ad. Her. 1,8). 114 Vgl. z. B. Cic. fam. 3,10,9: homo nobilissimus atque honoratissimus, cuius opes, ingenium, liberi, adfines, propinqui mihi magno vel ornamento vel praesidio esse possent (Ap. Claudius). Gelzer weist 1,207 darauf hin, daß die hervorragenden principes ihre Kreise hatten. Nur insofern kann es richtig sein, wenn Syme (Rom. Rev. 16) sagt: The Roman politician had to be the leader of a faction (s. i. Folg.). 116Vgl. etwa Cic. leg. 3,37. Brut. 97. 115Vgl. etwa Cic. imp. 68. 117hist. 1,12: pauci potentes, quorum in gratiam plerique concesserant. 3,48,6 (zu ebd. 8 s. Henderson, JRS 41, 1951, 115. Badian FC 280f.). Weiter Note 3, u. S. 308. Ähnlich Hirt. ρ ῶ το ι, b. G. 8, 50,2. RgDA 1,1. Der gleiche Kreis wird sonst mit Termini wie optimales, π potentes, δ υ ν α τ ο ί, ϰ ρ α το ῦ ,τ ν τ ε ῆ ςσ ή ς γ τ υ ϰ λ ο υο ο ιϰ α ὶ δυ τ ισ ν γ α τώ ι bezeichnet έ ο τα τ ίμ oder mit umfaßt. Plut. Pomp. 25,7 (vgl. Caes. 10,6). Die übrigen Belege bei Strasburger RE ·

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zufolgen. Sie waren sich nur in der Defensive einig, undhandelten nur bei wichtigen Gelegenheiten relativ geschlossen. Nicht einmal der kleine Kreis um Catulus undCato, von demgleich noch die Rede sein wird, war mächtig genug, um als Faktion fungieren zu können. Er bildete nur den Kern unter den maßgebenden Senatoren118. Aus ihm heraus erhielt die senatorische Politik zwar gewiß viele Impulse, und da in ihm einige der Ersten unter denConsularen sich zusammenfanden, wird er auch die Richtung dieser Politik wesentlich bestimmt haben. Aber er vermochte dies –da er den 600köpfigen Senat nicht einfach von sich abhängig machen konnte –nur, wenn er nach außen offen war und die auctoritas seiner Mitglieder sich mit derjenigen anderer principes vereinigte. So muß man sich die senatorische Politik als sehr locker und wenig organisiert vorstellen. Im Senat konzentrierte sich letzten Endes bis in die Zeit nach Sulla alle Macht, seine Mehrheit war sich im wesentlichen einig und stützte sich auf die Sympathien der breiten konservativen Schichten119. Daher waren kleinere Faktionen als Zentren senatorischer Politik im allgemeinen weder möglich noch nötig.

* Die Faktionsthese, die heute vor allem von Ronald Syme, H. H. Scullard, Lily Ross Taylor und E. Badian vertreten wird120, scheint damit für die späte Republik widerlegt zu sein121. Der Irrtum dieser Anschauungsweise beschränkt sich aber nicht nur auf die Art der politischen Gruppierung und die Deutung und Rekonstruktion politischer Handlungen und Situationen122. Er betrifft vielmehr die Gesamtheit der politischen Struktur des damaligen Roms. Deswegen und weil dabei die Eigenart der römischen Verhältnisse noch klarer herauskommen kann, ist es vielleicht nützlich, auch die Ausnahmen von der geschilderten Regel noch kurz zu betrachten und anschließend die Voraussetzungen jener These zu überprüfen123. Es gab damals einige auffällige Manifestationen des möglichen Zusammenhalts innerhalb der Adelsgeschlechter. In den Jahren um 80 war zum Beispiel ein Kreis von Verwandten um Q. Metellus Pius außerordentlich mächtig. Sulla war mit einer Metella verheiratet; Pius wurde 81 pontifex maximus und war 18, 789f Dabei mag sich verschiedentlich ebenfalls Tendenz niedergeschlagen haben, ρ ῶ τ ο ι, δυ etwa bei Dio, der für unsere Zeit nur π ν α το ί und ϰ ρ α το ῦ ν τ ε ςhat, ἄρισ ι daο τ gegen nur frg. 21,1 (498 v.), frg. 40,2 (291 v.). 69,7,3 (117 n. Chr.). Vgl. dazu Note 3. 118U. S. 185f. Vgl. o. A. 67. 119O. S. 75.89f. Vgl. Stellen wie Cic. de orat. 1,214. 120Scullard hat sie explicite freilich nur für die Zeit bis 150 vertreten. 121Vgl. auch die verschiedenen Kritiken an Scullards Buch und dessen wenig überzeugende Erwiderung: Bull. Inst. Class. Stud. Univ. of London Nr. 2, 1955, 15 ff.; ferner Heuß HZ 182, 1956, 593ff. Sherwin-White, JRS 46,1956,1. Dazu Athenaeum 40, 1962, 112, 35. Zur Entstehung der Faktionsthese einerseits BJ 161, 1961, 510. Balsdon, Gnomon 37, 1965, 580; andererseits u. S. 187. 122Vgl. etwa Last Gnomon 22, 1950, 361f. 123Für die Zeit vor Sulla vgl. BJ. 161,1961,508 ff.

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im Jahre 80 Sullas College im Consulat; P. Servilius Vatia und Ap. Claudius Pulcher, Sohn beziehungsweise Gatte von anderen Töchtern des Hauses, waren ihre Nachfolger im Jahre 79. Syme sieht deswegen in ihnen sogar „Kern und Herz der sullanischen Oligarchie“124. Man beobachtet jedoch, daß Sulla auf diese Verwandten nicht viel Rücksicht nahm. Sie scheinen im Gegenteil die bedeutendsten Träger von Bestrebungen gewesen zu sein, die auf größere Selbständigkeit gegenüber dem Dictator drängten. Da sie sich außerdem zwei Jahre lang im Zentrum der Macht befanden, werden sie gewiß eng zusammengearbeitet haben125. Aber diese –so günstige und seltene –Konstellation verflüchtigte sich schon im Jahre 78. Alle drei Consuln gingen in ihre Provinzen, und die verschiedenen Meteller trieben dann, wie schon erwähnt, vornehmlich ihre eigene Politik, nicht anders als die Angehörigen so vieler anderer Adelsfamilien es damals taten. Eine Generation später, am Ende der 50er Jahre, waren ferner zwei Brüder und ein Vetter aus dem Hause der Claudii Marcelli in der vorteilhaften Lage, in drei Jahren nacheinander das Consulat bekleiden zukönnen. Sie nahmen sich gemeinsam vor, der gallischen Statthalterschaft Caesars ein Ende zu setzen. Ein dritter Fall solcher Familienpolitik begegnet in den Jahren 58 bis 56, als P. Clodius, Ap. Claudius und ihr Stiefbruder oder Vetter Q. Metellus Nepos in politisch sehr bewegter Situation neben- bzw. nacheinander Consul, Praetor und Volkstribun waren und gemeinsam versuchten, angelehnt an Crassus und Caesar zwischen Pompeius undden führenden Senatskreisen eine entscheidende Rolle zu spielen126. Wiederum ballte sich die Macht einer Familie zusammen, bildete einen Kern im politischen Feld, nach demsich vieles ausrichtete, ohne daß wir allerdings von einer Zusammenarbeit mit ferneren Verwandten hören. Vorher wie nachher jedoch gehen auch die Claudier je ihre eigenen, teilweise recht verschiedenen Wege127. Ein verwandtes, wenngleich in mancher Hinsicht besonderes Beispiel bietet endlich der schon erwähnte Kreis prominenter Herren um Catulus und Cato. Fast alle Consulare und Senatoren, die uns wiederholt als die vornehmsten 124Rom. Rev. 20. 125Sullas Verhältnis zu ihnen: u. S. 251. Ihr Streben nach Selbständigkeit: Badian

FC 249. 126S. einstweilen Unters. z. röm. Innenpol. zw. 63 u. 56 v. Chr. Diss. Heid. 1956, 253ff. 127Appius und Publius waren zu Beginn der 60er Jahre Legaten bei ihrem Schwager Lucullus. Dann stiftete Publius eine Meuterei an, floh und trieb in Antiochia weiter Politik gegen Lucullus (vgl. Unters. Anm. 40 zu Kap. I), während sein Bruder bei Lucullus blieb. Publius verband sich dann mit Pompeius, bei dem auch der Schwager Metellus Celer eine gute Stellung inne hatte. Zugleich weigerte sich der mit einer dritten Schwester verheiratete Q. Marcius Rex, den militärisch in Not geratenen Lucullus zuunterstützen. –Vgl. ferner Cic. har. resp. 42 (für gewisse Meinungsverschiedenheiten zwischen Clodius und seiner Familie). –Nach 56 hören wir von einer Zusammenarbeit der Brüder nichts mehr. Sie werden sich in ihren Angelegenheiten unterstützt haben, aber das spielte nun keine wichtige Rolle mehr.

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Träger des Widerstandes gegen Pompeius und Caesar bezeugt werden, saßen in zwei untereinander verfilzten Stammbäumen128. Catulus war durch seine Schwester Lutatia Schwager des Hortensius. Er war ferner Vetter ersten Grades des L. Domitius Ahenobarbus129. Domitius wiederum war mit der Schwester Catos verheiratet, Catos (67 verstorbener) Stiefbruder Servilius Caepio mit einer Tochter des Hortensius, Caepios Schwester Servilia mit L. Lucullus, Catos Tochter mit M. Bibulus. Dadurch nun, daßCatos Mutter Livia zuerst mit einem Caepio verheiratet130 und daß Catulus’ Mutter Servilia dessen Tante war, lassen sich alle diese Herren in die Stammbäume der Livii und Caepiones eintragen. Es sieht also so aus, wie wenn die Äste dieser ineinander gewachsenen Bäume das Gerüst einer politischen Faktion gebildet hätten131. Betrachtet man die einzelnen Biographien der Insassen dieser Bäume aber genauer, so zeigt sich zunächst, daß die Verbindungslinien, die auf dem Papier so augenfällig den Zusammenhang der Familien dokumentieren, bis in die 70er Jahre im eigentlich politischen Sinne fast nichts besagen. Catulus und Hortensius wurden in den 90er Jahren Schwäger. Sie waren untereinander sicher verbunden, aber wir wissen nicht, wie weit sie politisch zusammenarbeiteten132. Catulus’Vetter Cn. Domitius liierte sich, wie erwähnt, verwandtschaftlich und politisch eng mit Cinna, während sein Bruder dann von den sullanischen Proscriptionen profitierte. Die familiären Bande zu Caepio und dessen Nachkommen aber können damals –so lebendig man sie privatim gepflegt haben mag –politisch schon deswegen sich nur wenig ausgewirkt haben, weil Caepio bereits vor 91 in heftige Fehde gegen den Senat geraten war, zu dessen prominentesten Vorkämpfern Catulus’Vater gehörte133. Eine Tochter dieses Caepio, die berühmte Servilia, die später Caesars Geliebte war, hat auch spätestens in der Mitte der80er Jahre M.Junius Brutus geheiratet, jenen Cinnaner, der dann zu den wichtigsten Verbündeten des von Catulus erbittert bekämpften Consuls Lepidus gehörte. Mit diesen Familien war es damals also nicht anders bestellt als mit den oben134 besprochenen. Sie standen zumeist an der Peripherie der Politik, und so hatte ihre Verwandtschaft im Austrag der großen Gegensätze wenig zu bedeuten. In den 70er Jahren trat jedoch eine Veränderung ein. Catulus und Hortensius zählten damals zu den prominentesten Senatoren und hielten regelmäßig zusammen. Wie stark sich dies auf ihre weiteren Verwandten auswirkte, ist 128S. die Tafel II in Symes Rom. Rev. 129Dazu gibt es bei Münzer zwei Versionen! S. zuletzt RE 2 A, 1817. 13,2073. Anders 130S. dazu jetzt: Badian Historia 6, 1957, 325ff. Badian JRS 52,1962,53,7.

131So Syme, Rom Rev. 26f. Vgl. Taylor, Party Politics 119. 132Badian, JRS 52f.hat immerhin gezeigt, daß nichts dafür spricht, daß Catulus (im Gegensatz zu Hortensius) zu Sulla in den Osten ging. 133Für die frühere Biographie des Catulus vgl. Badian Historia 322f., dazu BJ 161, 134S. 170f. 1961, 509.

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allerdings zunächst unklar. Denn die Heiraten zwischen Caepio junior und Hortensia und zwischen Porcia und L. Domitius mögen anfangs ähnlich „privat“gewesen sein, also ebensowenig politisch relevante und eindeutige Bindungen geknüpft haben, wie die zwischen Hortensius und Lutatia zwanzig Jahre zuvor. Wir wissen zum Beispiel auch, daß Cato mit Pompeius verwandt war, und wenn die Überlieferung die freundliche Aufnahme, die ihm der große Feldherr im Osten zuteil werden ließ, nur als Respekterweisung gegen den tugendvollen Jüngling ausgibt135, so hat sie sie vielleicht ex eventu etwas umgedeutet. Catos Schwiegervater, L. Marcius Philippus, gehört keineswegs in den Kreis seiner engeren politischen Freunde, tendiert vielmehr im Jahre 56 als Consul stärker zu Caesar (dessen Nichte er in jener Zeit geheiratet hat)136. Ähnlich zufällig und politisch vieldeutig war das von Cato ererbte Verhältnis zu dem Adoptivsohn seines Mutterbruders, M. Livius Drusus Claudianus, der seit 59 verschiedentlich auf Seiten des Dreibunds zu finden ist137. Interessant ist auch, daß Pompeius noch im Jahre 61 gehofft hat, Catos Freundschaft zu gewinnen, indem er für sich und seinen Sohn um die Hand zweier Töchter von Catos Stiefschwester Servilia anhielt. Mutter und Töchter waren davon entzückt und die Freunde waren überrascht, als der Onkel es ablehnte138. Wenig später hat sich, wieerwähnt139, ein Servilius Caepio, vielleicht sogar der Bruder jener beiden Fräulein, M. Caepio Brutus, mit Caesars Tochter Julia verlobt und seinen Schwiegervater 59 auch handfest gegen Bibulus unterstützt. So scheint diepolitische Verbundenheit der Herren umCato zudenentfernteren Einsitzern dieser Stammbaumgruppe auch damals nicht sehr eng gewesen zu sein. Erst gegen Ende der60er Jahre finden wirCato ganz entschieden an Catulus’ Seite und mit Domitius auch politisch eng vereint; damals werden auch die politischen Beziehungen Catos zu Bibulus und Lucullus für uns zumersten Mal sichtbar; sie wurden gleichzeitig durch deren Ehen mit Porcia beziehungsweise einer Junia bekräftigt 140. Im folgenden Jahrzehnt begegnen dann Hortensius, Bibulus, Domitius und Cato immer wieder unter den bedeutendsten Verfechtern senatorischer Politik. Aber waren sie deswegen eine Faktion? Verfolgten sie eine besondere Politik? Aus den weiten Reihen der Konservativen, oder besser –da zu diesen im Grunde auch Pompeius zählte141 –aus denen der Gegner des Pompeius hoben sie sich, so könnte es scheinen, durch zwei Merkmale heraus. Erstens durch 135 Plut. Cato 14,1 ff. 136 Vgl. o. A. 20,78. 137Ein anderer Mutterbruder, Mam. Aemilius Lepidus Livianus (Consul 77) war mit

Caesar verwandt (Suet. Jul. 1,2), ohne daß dies allerdings –so weit wir sehen –politische 138Plut. Cat. 30.3 ff. 139O. S. 20f. Konsequenzen gehabt hätte. 140Vielleicht fand um diese Zeit auch die Versöhnung zwischen Servilius Isauricus und

Lucullus statt (Cic. prov. cons. 22). Servilius’ Sohn ist damals als aemulator Catonis beAtt. 2,1.10) und hat –wohl um diese Zeit –eine Nichte Catos geheiratet. 141Vgl. Gelzer Pomp.2 244 ff. u. pass.

zeugt (Cic.

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besondere Prominenz, Energie, und auctoritas. Aber verschiedene andere Consulare, die nicht mit ihnen verwandt waren, kamen ihnen darin gleich, etwa P. Servilius Vatia Isauricus, C. Scribonius Curio, M. Licinius Lucullus, Q. Metellus Creticus, C. Calpurnius Piso, teilweise Cicero. Auch Q. Metellus Celer und Cn. Lentulus Marcellinus wären vermutlich in diese Reihe aufgestiegen, wenn sie länger gelebt hätten. Zweitens zeichneten jene Herren sich aus durch die Konsequenz, mit der sie über viele Jahre hin die Ansprüche des Senats verfochten undbesonders in der Gegnerschaft gegen Pompeius undCaesar den auf jeden Fall wichtigsten Sinn senatorischer Politik sahen142. Sie unterschieden sich darin von Servilius, Curio, Cicero und anderen, denen zuweilen außenpolitische oder private Interessen mehr galten143. Aber ein großer Teil der principes, unter anderem die übrigen der eben Genannten, hat sich mindestens auf weite Strecken hin konsequent an der senatorischen Politik beteiligt. Wir hören nur nichts von ihnen, weil die Quellen nur immer einen oder zwei, bestenfalls drei Wortführer desSenats namentlich erwähnen, während die anderen in ο τ ί, optimales etc. für uns unsichtbar bleiben144. α der Summe der principes, δυν Wo wir jedoch einmal genaueren Einblick erhalten, etwa bei der Frage der Rückführung des Königs Ptolemaios nach Ägypten im Jahre 56, finden wir, daß Hortensius und Bibulus sehr viel konzilianter waren als Curio und andere Consulare, welche damals Lentulus Spinther energisch bekämpften, weil er Pompeius’ Freund war145. Auch wären die zahlreichen Beschlüsse des Senats gegen Pompeius und Caesar nicht denkbar gewesen, wenn nicht das Gros der principes diese Politik jeweils entschieden unterstützt, das heißt mitgetragen hätte146. Es war ein seltener Zufall, daß in Catulus, Hortensius und Domitius drei der stärksten politischen Potenzen jener Zeit eng verwandt waren und daß sich Cato als vierter frühzeitig mit ihnen verbunden hatte. Indem sie dann den Mittelpunkt der Senatspolitik einnahmen, ergab sich die Möglichkeit, den Kreis durch weitere Heiratsbündnisse zu erweitern. Wie immer, wenn eine Familie oder Familiengruppe große Macht auf sich vereinigte, wurden diese Herren zu einem Kern im politischen Feld. Zum Unterschied jedoch von den Metellern der Zeit 80/79 oder den Claudiern von 58/57 und den drei Brüdern Marcellus beruhte der besondere Einfluß dieser Herren weniger auf ihren jeweiligen Amtspositionen als auf ihrer immer von neuem bewährten, durch kräftigen Einsatz ihrer Person erworbenen Autorität im Senat. Ihre Verwandtschaft war also mehr Ausdruck und Komplement als Grundlage ihrer Politik, und es war eine –zum Teil auch durch die außergewöhnliche Problematik der 60er und 50er Jahre bedingte147 –Besonderheit, daß partium sensus und necessitudo in 142Vgl. etwa Plut. Luc. 38,2 (dazu 42,4f.). Pomp. 46,5 u. u. S. 273ff. 143Taylor, Party Politics 124 m. Anm. 23. 144Vgl. o. Anm. 60. Ausnahme: Asc. 49,18. 146Cic. fam. 1,1,3. 2,1. 4,1. 146Vgl. o. S. 181 f. 147 Vgl. o. S. 169.

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ihnen auf längere Zeit in eins fielen. So wird die oben beobachtete Regel durch die Ausnahmen nur bestätigt. Scullard, Syme unddie Ihren haben nun ihre These niemals aus den Quellen begründet, in denen von solchen Faktionen keine Silbe steht148. Sie setzen diese vielmehr wie selbstverständlich voraus, und ihre prosopographische Methode besteht zum guten Teil darin, daß sie verwandt- und freundschaftliche Beziehungen unter den Adligen nicht nur für etwas Politisches halten, was diese zweifellos sind, sondern ohne weiteres mit einseitiger politischer Bindung im Sinne ihrer Faktionsthese identifizieren149. Der Fehler liegt im Grunde darin, daß es bisher nur angewandte, keine theoretische Prosopographie gibt. Dieses Versäumnis kann hier nicht aufgeholt werden, aber es soll kurz auf die Voraussetzungen Symes und Scullards hingewiesen werden. Diese sind mit Selbstverständlichkeit davon ausgegangen, daß die Politik im Rom dieser Zeit kaum anders betrieben worden sein kann als im –ebenfalls aristokratisch regierten – England des 18. Jahrhunderts150. So mag es von Nutzen sein, wenn die Unterschiedlichkeit der Verhältnisse hier und dort jetzt noch kurz dargelegt wird. Auch das England jener Tage kannte kaum große politische Probleme und Gegensätze151. Die alten Parteiungen zwischen Whigs und Tories spielten schon seit 1688, vor allem aber dann seit 1714 nur noch eine geringe Rolle152. Die Politik wurde damals in der Regel in terms of office betrieben153. Ihr wesentlicher Gegenstand war einerseits the control and composition of the executive government und andererseits das, was mindestens die meisten Anhänger der politischen Führer von der Beherrschung des government erwarteten: posts of honour, places of benefit, contracts, pensions und dergleichen154. Lewis Bernstein Namier, derführende Parlamentshistoriker, demauch Syme dieentscheidenden Anregungen verdankt, sagt einmal, indem er einen Ausspruch Chesterfields aus dem Jahre 1753 zitiert: the difficulty of Administration was merely to find pasture enough for the beasts that they mustfeed‘155. Oder er bezeichnet die‘Ämter als currency of politics156. Local or personal connections andfamily prestige waren 148Vgl. o. Anm. 112.117. Die Angabe Tac. dial. 36 ist zu summarisch, um ernst genommen werden zu können. 149Vgl. Athenaeum 40, 1962, 112, 35. 150Scullard, Roman Politics 220–150 B. C. S. 30. Sherwin-White, JRS 46,1956,1. Mo-

migliano Gnomon 33, 1961, 55. 151R. Pares, George III and the Politicians (1953) 4f. 31. 119. L. B. Namier, The Structure of Politics at the Accession of George III 1 (1929), 22. 163. 152Namier, England in the Age of the American Revolution 1930. 206 ff. Monarchy and Party System, 1952, 24ff. Pares 55ff. 71 ff. Zu der Zeit von 1688 bis 1714: P. Kluxen, Das Problem der politischen Opposition (1955) 41 ff. modifiziert von Walcott in: Essays in modern English History in Honour of Abbott (1941) 81 ff. Dazu vgl. aber Pares 1. 71. 153Namier, England 218; vgl. Structure 21. Pares 84. 154Namier, Structure 264. 155 England 73. 156ebd. 218. Vgl. Pares 127. Zur positiven Bedeutung und Notwendigkeit dieser Patronage außerdem Pares 5 ff. 8ff. 16f. 26 ff. Namier, Structure 23f.

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in der Regel die maßgebenden Motive157. Undes ist wahrscheinlich, wie R. Pares es einmal sagt, daß sie es auch sein mußten: when andwhere political interests, in the more usual sense of term, arefeeble and political questions unimportant158. So erklärt sich the attention given to what we should be inclined to dismiss as questions of patronage, or of ins and outs159. VomGegenstand der Politik her ist das England des 18. Jahrhunderts also offensichtlich der späten römischen Republik sehr ähnlich. Aber dabei bestehen zwei große Unterschiede: Anders als der römische Senat ist das englische Parlament nicht die Regierung, sondern es steht der Regierung gegenüber. Der König und sein Ministerium brauchen zwar eine Mehrheit im Parlament, aber sie sind in deren Wahl relativ frei160. Die Verfügung über die erstrebten Ziele der regelmäßigen Politik, die Ausgabe und Verteilung der „Währungsmittel“ ist fest in ihrer Hand161. Wer politischen Ehrgeiz besitzt, muß sich weitgehend nach ihnen richten. Was in Rom in fast unwahrscheinlicher Breite verteilt ist, ist hier also an einem Punkt konzentriert. Entsprechend verschieden ist jeweils der Zugang zur Macht. Im englischen Parlament empfiehlt sich ein relativ fester, dauerhafter Zusammenschluß zu kleinen Faktionen, die der Regierung eine bestimmte Zahl von Stimmen anzubieten haben oder sie mit tragen162. Da gab es einerseits Gruppen, die sich an einen der großen Politiker angeschlossen hatten. Ihre Stärke konnte mit der Position unddenAussichten ihres Führers wechseln, und selbstverständlich konnten sie dessen Tod kaum überdauern 163.Andererseits besaßen die Familien oft bis zuvier, in selteneren Fällen sogar bis zuzwölf Wahlkreise164. Die Verfügung darüber lag bei ihren Häuptern, welche sie an ihre Söhne, jüngeren Brüder und an fähige Politiker gaben. Zwischen den Verwandten und ihren Freunden –nicht nur denen, die ihre Unterhaussitze einnahmen –herrschte eine starke Solidarität, die relativ unabhängig war von Todesfällen oder politischen Konstellationen. Darin bestand der zweite große Unterschied zu Rom: Ein relativ sehr großer Teil der Macht (vgl. Anm. 162) war verfügbar. Die Verteilung der Macht im Großen wie ihre Verfügbarkeit im Kleinen165 ermöglichten also und erzwangen teilweise sogar eine Faktions- und Familien157Pares 1. 158 Vgl. Namier, Structure 21 (zitiert o. Anm. 31). 159 Pares 5. 160Namier, Monarchy passim. 161Namier, England 209f. vgl. Mon. 12. Structure 21. Pares 10 f. 196 f. 162Da nahezu ein Drittel der Mitglieder des Unterhauses grundsätzlich in Opposition stand, ein weiteres Drittel in der Hand des Kō nigs war, gaben etwa 200 den Ausschlag. Unter ihnen konnten also zwei Gruppen von je 50 bis 60 Abgeordneten bereits entscheiden (Pares 73f. 190. 197f. Namier, Monarchy 12ff.). 163Pares 75ff. 117. Namier, England 240ff. Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 1,207. 164Pares 34f. 76. Namier, Structure 176 ff. 165Wie mechanisch Scullard die englischen Verhältnisse auf Rom übertragen hat, ergibt sich aus seiner Äußerung (a. O.), ein römischer nobilis hätte sich im damaligen England zu Hause gefühlt, denn (u. a.): the Roman nobles had their equivalents to ‘pocket’, ‘rotten’

and ‘crown’boroughs.

3. Die Organisation der Macht

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politik166. Es sei angefügt, daß sich die weiteren verwandtschaftlichen Bindungen auch damals oft vielfältig überschnitten167. Wenn sich aber größere Probleme stellten, so entstand von Fall zuFall eine andere Gruppierung. Austrophile und Prussophile konnten sich dann nebeneinander im Kabinett finden. Onecannot trace any consistent party attitude –not even a whig and tory attitude to these issues168. Diese Spaltung der Politik konnte freilich nie so kraß werden wie in Rom, da sie den grundlegenden Gegensatz zwischen Regierung und Opposition nicht zu berühren vermochte169. Wir können Syme und Scullard für den Hinweis auf die englische Politik des 18. Jahrhunderts also sehr dankbar sein, zumal bei deren Betrachtung deutlicher wird, was die Vertreter der Faktionsthese in Rom übersahen: Im Unterschied zum England des 18. Jahrhunderts wurde die tanta et tamfuse lateque imperans respublica im Turnus mit Hilfe des Bindungswesens praktisch von der Gesamtheit der Senatsaristokratie170 verwaltet. Daraus ergeben sich hier vor allem zwei wichtige Folgerungen: Die besondere Art der Spaltung der Politik in Regel und Ausnahme und die gegenüber dem frühen Adelsstaat wesentlich veränderten Voraussetzungen der Macht der Aristokratie. Wenn die Adelsherrschaft ursprünglich darin bestanden hatte, daßdieBürgerschaft mehr oder weniger in die kompakten Gefolgschaften der Geschlechter zerfiel, so konnte sie jetzt nur mehr erhalten bleiben, wenn diese so wenig wiemöglich in größeren politischen Einheiten zusammengefaßt war. Denn bei der kräftigen

Entwicklung der Wirtschaft, dem Steigen von Reichtum und Wertschätzung des Geldes und der Differenzierung der Gesellschaft wardie Entstehung mächtiger wirtschaftlicher und sozialer Interessenverbände an sich keineswegs ausgeschlossen. Diese hätten aber, wenn es sie gegeben hätte, die Senatoren vermutlich bald in ihren Dienst genommen. Dann wäre die Geschlossenheit der Aristokratie nicht mehr aufrecht zu erhalten gewesen. Wie das Fortleben des Bindungswesens so ist eben auch die Unabhängigkeit und Überlegenheit des Adels nurdurch dieregelmäßige Vereinzelung der Interessen möglich geworden. Sie lebten zumTeil daraus, daß der Adel fast allein Macht organisieren konnte. Aber er mußte dabei aufgehen im Dienst an den Bürgern undder Unzahl ihrer Interessen. Nur indem die Aristokraten sich diesem Dienst nicht versagten, konnten sie noch die Herren sein. Auch und gerade indem sie politisch kaum hervortraten, bestimmten die Ritter Machtverhältnisse und politische Gram-

matik.

Die besondere Art der Gruppierungen in der späten Republik ist also außer durch ein Nachwirken der alten Solidarität des Adels –das man nicht unter166Namier, Monarchy 10. 167 Namier, England 212. 228ff. 233. 168Pares 4 f. 169Das Verhältnis zwischen „großer“und „kleiner“Politik ist mir aus den zu Rate gezogenen Büchern nicht vollends deutlich geworden. 170Für einen anderen wichtigen Unterschied zwischen römischem und englischem Adel

vgl. o. A. 46, 122.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

schätzen sollte –durch die breite Streuung aller Macht und den daraus resultierenden Zwang bedingt, den eigenen Einfluß auf den verschiedensten Wegen zu erhalten, zu aktualisieren und zu vermehren. Man konnte nicht einfach Anhängerschaften aufbauen und in Positionen zu bringen suchen wie in England171. Da das Volk sich nicht in Parteien gliedern ließ, fehlte unter diesen Umständen auch den Politikern die Möglichkeit dazu. Denn es besteht kein natürliches Bedürfnis nach politischer Gruppierung, sondern nur eines nach Interessenvertretung. 4. DER SINN DER WAHLVERFASSUNG IN DER SPÄTEN REPUBLIK

Die Tatsache nun, daß es keine Parteiungen von nennenswerter Macht und Dauer gab, und überhaupt daß die Politik bei der starken Vereinzelung der meisten Interessen in hohem Grade teilbar war, ermöglicht nun auch ein besseres Verständnis der damaligen Wahlverfassung. Daß es zu den Merkwürdigν ο γ erweiterten respublica gehört, daß die großen politiο λ ά ν ἀ ὸ τ ὰ ρ α keiten der π schen Gegensätze in der regelmäßigen Politik keine wichtige Rolle spielen und daß „private“Gesichtspunkte dort beherrschend wurden, ist inzwischen deutlich geworden. Aber es bleibt ein anderer Zweifel: Die Bürgerschaft erstreckte sich damals über ganz Italien, sie zählte nach vielen Hunderttausenden, von denen hinwiederum mehrere Zehntausende in den zum Teil weit entfernten Provinzen sich aufhielten172. Ist es da nicht –um von anderem abzusehen173 – völlig widersinnig, daß die Wahlen der Magistrate und indirekt des Senats weiterhin durch die in den Formen der Heeresversammlung174 auf dem Marsfeld vor Rom antretenden comitia centuriata oder durch die, ebenfalls nur in Rom tagenden, comitia tributa, das heißt von einem kleinen Bruchteil der civitas vorgenommen wurden175? Nunist eine Wahlverfassung aber nicht nur danach zubeurteilen, werwählt, und wie die Bürger im allgemeinen und die Wählenden im besonderen dabei zur Geltung kommen, sondern wesentlich ist zugleich, was gewählt wird. Miß 171Vgl. auch das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika: M. Weber, Wirtsch. u. Ges.4 847. 172Frank ESAR 1. 314f. –Für die Zahl der Römer in den Provinzen ist aufschlußreich die Ziffer der auf Mithridates’ Befehl im Jahre 88 in Asia Ermordeten: 80 000 (auch wenn sie Italiker [Frank 278] und Familienmitglieder einschließt). Vgl. für die anderen Provinzen etwa V. Pârvan, Die Nationalität der Kaufleute im römischen Kaiserreiche. Diss. Breslau 1909,6ff. –Dort sind jedoch nur die Angaben über die negotiatores (unvollständig) zusammengestellt. Hinzu kommen zahlreiche Veteranen (etwa in Spanien, Africa, Asia etc.). Eine eingehende Behandlung der Römer in den Provinzen zur Zeit der Republik fehlt leider noch, obwohl ihre Ergebnisse sehr interessant sein müßten (u. a. für den Zusammenhalt des Imperiums in den Bürgerkriegen). 173Vgl. die Ungleichheiten der Einteilung in die tribus (Taylor, Voting Districts 153 ff.) 174O. A. 53,153. und Centurien (Cic. de rep. 2,40). 175Vgl. Gelzer Kl. Schr. 1, 175. 243. Ernst Meyer, Röm. Staat2 242.

4. Der Sinn der Wahlverfassung in der späten Republik

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Taylor hat schon darauf hingewiesen, daß Programme und die großen Fragen der Politik in der Regel nicht zur Wahl standen176. Es ging vielmehr nur um die Auswahl von Magistraten aus einem als homogen verstandenen Adel. Jeweils gab es nur eine begrenzte Zahl von Bewerbern, diejenigen nämlich, die das Mindestalter und eine bestimmte Stufe des cursus honorum gemäß den Vorschriften der lex Annalis erreicht hatten, und jeder konnte jedes Amt in der Regel nur einmal bekleiden. Beim Consulat war die Iteration seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts verboten, Sulla führte dann zwar die ältere Bestimmung wieder ein, daß man sich zehn Jahre nach dem ersten Consulat um ein zweites bewerben dürfe, aber dies scheint praktisch verpönt gewesen zu sein177. Man besetzte die Ämter also in einem mehr oder weniger von den Geburtsjahrgängen vorgeschriebenen Turnus. Ein solches System setzt die Geschlossenheit des Adels nicht nur voraus, sondern befestigt sie zugleich. Denn die erschwerenden Alters- und Laufbahnbestimmungen wirkten natürlich –im Verein mit der Notwendigkeit, jahrelang selbst seine Wählerschaft zu sammeln –auf die Erhaltung einer classe politica hin. Das Volk aber hat nie mehr als eine solche Auswahl unter Gleichen gewollt. Das zeigt sich schon darin, daß homines novi nur selten und dann zumeist nur für die Ämter unterhalb des Consulats gewählt wurden (und sich dem Senatsadel rasch assimilierten). Gerade in der Generation nach Sulla ist das Recht der Nobilität auf die Consulate in fast dogmatischer Versteifung anerkannt worden178. Die Zugehörigkeit zur Nobilität war eine der wichtigsten Komponenten auch der existimatio179. Besonders charakteristisch ist die auch in der Zeit nach Sulla noch verschiedentlich begegnende Bereitschaft der Wähler, die Solidarität der Adelsgeschlechter dadurch zu achten, daß sie dem die Wahl leitenden Magistrat zu Gefallen dessen Bruder oder Vetter wählten180. 176Party Politics 8. 13. 15. 64. 177Mommsen St.-R. 1, 521. RG 2, 69 Anm. Zu Sulla: App. 1,466. Vgl. Caes. b. c. 1,32,2. Dio 40,51,2. Für die Verpönung der Iteration spricht vor allem, daß nach Sulla keiner außer Pompeius und Crassus sich um ein 2. Consulat beworben hat (vgl. u. S. 197.) 178 U. S. 257 f. 179Vgl. o. A. 8,6. 7. 180 Folgende Brüder oder Vettern folgten sich zwischen 78 und 49 im Consulat: 76/5: Cn. und L. Octavius, 75/4: C. und M. Aurelius Cotta, 74/3: L. und M. Lucullus, 69/8: Q. und C. Caecilius C. f. Q. n. Metellus, 51/50/49: drei Claudii Marcelli (unklar: 57/6 zwei Cornelii Lentuli, deutlich ohne Einfluß des Vorgängers 78/7: zwei Aemilii Lepidi). Für die frühere Zeit: Münzer, Röm. Adelsparteien u. Adelsfamilien 14ff., 245ff. u. passim. Man führt diese Erscheinung allgemein auf den hohen Einfluß zurück, den der das Consulat innehabende Bruder oder Vetter als Wahlleiter –wenn er es war –auf die Comitien auszuüben vermochte: Münzer 124ff. Scullard, Roman Politics 220–150 B. C. 20. RE Suppl. 8,584 m. weiterer Literatur. Aber so wenig man die Einflußmöglichkeiten des Wahlleiters unterschätzen soll, so sehr fragt es sich auch, ob er wirklich durch Manipulationen das Votum der Comitien wesentlich bestimmen konnte. Wahrscheinlicher scheint es, daß man die Verpflichtung des Wahlleiters gegen seine nächsten Verwandten gerne respektierte (wobei gewiß eine alte aristokratische Tradition mitsprach): Vgl. einstweilen meine Bespr. von Lippolds Consules, Anz. f. d. Altertumsw. 1966.

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

Die Homogenität des Adels aber war im größten Teil der Geschichte der Republik durch Instinkt, Tradition und Erziehung in den jahrhundertealten Erfahrungen senatorischer Staatskunst gesichert181. Sie verstand sich von selbst, undwosie fehlte, gab es wohl Mittel undWege genug, umin der Regel Unfähige oder aus dem Rahmen Fallende mindestens aus den höheren Rängen des Senats herauszuhalten182. Von Ausnahmen abgesehen wird man sich ihrer auch bedient haben. Erst am Maß der Schwankungen und Krisenzustände, der erhöhten Anforderungen und der starken Differenzierung der Gesellschaft in der späten Republik erscheint die Gleichartigkeit des Adels uns zunehmend als Fiktion183. Aber es ist die Frage zu stellen, wie weit dieses Maß damals realisiert wurde und werden konnte, dieselbe Frage also, die sich ähnlich bei so vielem in jener extensivierten res publica aufdrängt; das heißt: Wir berühren hier ein allgemeines Phänomen, das mit den Wahlen im besonderen wenig zu tun hat. Deswegen genügt einstweilen die Feststellung, daß jener strengere Maßstab in der alltäglichen Politik, um die es den Wählern in erster Linie ging, zweifellos nicht gegolten hat184. Wenn es nun aber der Bürgerschaft wesentlich darum ging, ihre Freunde zu wählen und sich indirekt dann durch diese im Senat vertreten zu lassen185, war das alte Wahlsystem in den letzten Zeiten der Republik im ganzen186 noch 181Selbstverständlich wies die Höhe der Begabungen die größten Unterschiede auf (vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2,15). „Homogenität“ bezieht sich nur auf den Grundstock der politischen Substanz und die Geschlossenheit, durch die die Aristokratie sich weit aus allen anderen heraushob. Für die Möglichkeiten, die geringeren Fähigkeiten eines Consuls elastisch auszugleichen s. Gelzer a. O. 15. 111. 182Das Com. Pet. erwähnt ausdrücklich, der Bewerber solle sich des Wohlwollens der Magistrate, vor allem der Consuln und Volkstribunen ad ius obtinendum vergewissern (18). Diese Äußerung kann sich nur auf die Zulassung zur Bewerbung beziehen (über die die Consuln entschieden, auf die die Tribunen aber Druck ausüben konnten, vgl. Cic. Brut. 55). Beispiele für Zurückweisung von Kandidaten: Val. Max. 3,8,3 (o. A. 88,147). Vell. 2,92,3 f. mit Sattler, Augustus und der Senat 85. Cic. Pis. 4. Asc. 69,5 ff. u. a.: Mommsen St.-R. 1, 471f. Da ferner die Meinung der nobiles, insbesondere der Consulare, bei den Wahlen sehr schwer wog (Com. Pet. 4. Cic. Att. 1,2,2. 1; 2), muß es auch durch deren Kundgebungen möglich gewesen sein, unpassende Kandidaten auszuschließen. Vgl. auch die –allerdings aus Gründen, die die Regel bestätigen, erfolglose –coitio gegen Catos Censorwahl (Liv. 39,41; o. Anm. 105). p. s. Vgl. Cassola, Gruppi pol. 15, dazu H. Z. 1967. 183Vgl. o. S. 14. 184Über die Entsprechung zwischen der Art der Wahlbewerbung und den Anforderungen der regelmäßigen Politik o. S. 10f. Interessant sind im Vergleich dazu die Gesichtspunkte, die heute bei der Aufstellung der Bundestagskandidaten zumeist bestimmend sind (vgl. das oben Anm. 120, 347 zitierte sehr lehrreiche Buch aus dem Schülerkreis Dolf

Sternbergers). 185Viele erwarteten selbstverständlich auch, daß der Kandidat als Magistrat oder Promagistrat ihre Interessen förderte. Vgl. Q. Cic. Com. Pet. 44 (homines non modo promitti sibi, praesertim quod a candidato petant, sed etiam large atque honorifice promitti volunt), Cic. Mur. 42 (illud cogita non nullorum amicorum studia minui solere in eos a quibus provincias contemni intellegunt). 186 Für die Ausnahmen vgl. u. S. 195 ff.

4. Der Sinn der Wahlverfassung in der späten Republik

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so passend wie seit eh und je. Bei der Vereinzelung der Interessen genügte es im allgemeinen, wenige Patrone im Senat zu haben. Und da der Senat gleichsam aus dreißig Wahlen (im Laufe einer Generation) hervorging, war es ausreichend, wenn man etwa fünf- bis sechsmal in dieser Zeit nach Rom kam, nämlich dann, wenn sich ein Freund oder Patron bewarb, und zwar vor allem, wenn es umeins der höheren Ämter ging187. Wer drängendere Interessen oder solche, die ihn ständig in Berührung mit der Politik brachten, verfocht, wohnte ohnehin in Rom oder hielt sich dort häufig und lange auf. Die, auf die es ankam, hatten Zeit. Darüber hinaus gab es für die ferner Wohnenden die Möglichkeit, ihre Wünsche brieflich durch Empfehlung an Freunde und Verwandte geltend zu machen188. Aus Ciceros Rede für Murena wissen wir, daß nach dessen Wahl zumConsul seine hospites aus der Provinz Gallia Transalpina nach Rom kamen, um ihm zu gratulieren189. Um wieviel stärker muß die Verpflichtung der Bürger gewesen sein, bei der Wahl ihrer Freunde dort mitzuwirken190! Ihr Entschluß mußte nach Sulla dadurch erleichtert werden, daß auch die zu gleicher Zeit abgehaltenen großen Spiele191, ihre Geschäfte, zuweilen auch die Censur, und immer die verschiedenen Gelegenheiten und Möglichkeiten der Hauptstadt, die in diesen Wochen zu einem großen Treffpunkt der römischen Welt wurde, sie anzogen192. Zu jeder Wahlversammlung kamen auf diese Weise neben einem gewissen Stamm von in Rom oder nahebei Wohnenden eine große Anzahl anderer Bürger193. Gewiß war es jeweils nur ein kleiner Teil des Volkes, der zur 187Atticus pflegte, auch als er in Athen wohnte, den Freunden die urbana officia nach Möglichkeit zu erweisen, vor allem zu ihren Comitien zu kommen (Nepos 4,3f.). Als Cicero für die Praetur kandidiert, werfen gemeinsame Freunde ihm vor, daß er nicht kommt. Cicero meint jedoch, er solle ruhig seinen Geschäften nachgehen (1,10,6). Anders bei der Consulwahl, wo er ihn bittet, recht zeitig zu kommen (1,2,2). Vgl. 1,1,2: illam manum tu mihi praestes, quoniam propius abes, Pompei, nostri amici. nega me ei iratum fore si ad mea comitia non venerit. Anscheinend mußte selbst ein Feldherr, wenn es ging, zusehen, zu der Wahl eines Freundes in Rom zu sein. Die Stelle aus dem Juli 65 ist übrigens interessant dafür, daß man damals meinte, Pompeius werde den Krieg im Osten sehr schnell abschließen. Zu manus vgl. Asc. 72,22: vermutlich handelte es sich um eine Reihe von adulescentes etgratiosi in suffragiis (vgl. fam. 2,6,3 und S. 38 f.), die mit Pompeius eng verbunden waren (vgl. RE Suppl. 10, 588f. 614 [Cornelius]). 188Vgl. Cic. Att. 1,1,2 (vor Anm.). fam. 11,16,3. Sall. Jug. 65,4. 73,3. Vell. 2,11,2. Plut. 18989; vgl. zu den Provinzen Cat. 4,23. Mar. 7,6 (zu den Soldaten auch: Cic. Mur. 38). 190Außer den in Anm. 187 zitierten Belegen: Plut. Luc. 42,5. 181Cic. Mur. 39f. Verr. 1,54. Taylor, Party Politics 59. 192Vgl. Cic. Verr. 1,54: frequentia Italiae comitiorum, ludorum, censendique causa. Pis. 3. Sest. 125. Sull. 24. Gelzer, Kl. Schr. 1,109 (auf Grund der zitierten Stelle ist es fraglich, ob der Census damals schon in den Municipien vorgenommen wurde: Mommsen, St.-R. 2,368f.). Besondere Fälle: Plut. Gracchi 24,2. RgDA 10. p. s. Ähnl. Brunt JRS ‘65,103f. 198Dafür spricht besonders, daß die am weitesten Entfernten, nämlich die Bewohner der Gallia Cisalpina relativ großen Einfluß bei den Wahlen auszuüben pflegten (Belege Historia 10, 1961, 85, 58). Vgl. Cic. Planc. 21f. Taylor, Voting Districts 14. Auch Liv. 34,1. 13 Meier

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

Wahl ging, aber jedesmal waren es andere (je nachdem, wer kandidierte194), das heißt im Laufe der Zeit ergab sich doch in den Wahlen eine gewisse Repräsentation der gesamten Bürgerschaft. Nicht der Arithmetik, aber doch der Bedeutung nach. Wenn dabei die ärmeren Schichten Italiens zu kurz kamen, so entsprach dies dentatsächlichen Verhältnissen, unddaran hätte sich auch durch die Einführung eines anderen Wahlsystems nichts geändert. Die Verpflichtungsverhältnisse aber sorgten dafür, daß die in wenigen Wahlen erworbenen Ansprüche weiter galten. So wurde es mit Hilfe des Bindungswesens möglich, daß die im Blick auf die Dimensionen der damaligen Bürgerschaft an sich geradezu absurd erscheinende

alte Wahlverfassung desGemeindestaats praktisch sinnvoll beibehalten werden konnte: Daß primär nur Magistrate gewählt wurden, unddiese natürlich je vom gesamten Volk (nicht von einzelnen Wahlkreisen) und derart, daß jeder Wähler jeweils so viele Stimmen hatte, wie Stellen zu besetzen waren195; daß die Zusammensetzung und –so bedeutsame –innere Gliederung des Senats zwar theoretisch durch die Volkswahlen bestimmt wurde196, daß aber der Einfluß darauf in Wirklichkeit stark dosiert war, indem in jedem Jahr nur gut drei Prozent aller Senatoren und bestenfalls sieben bis acht Prozent der ausschlaggebenden Gruppe der Consulare gewählt wurden197; daß endlich der Senatssitz lebenslänglich war, undvor allem die mächtigen principes nicht wieder zu Wahl oder Rechenschaft standen198. Nur ein Einwand könnte noch erhoben werden: In den römischen Wahlen waren schon seit dem frühen zweiten Jahrhundert, vor allem dann seit Sulla unmittelbare Bestechungen anderTagesordnung199. DadieWählerschaft jeweils relativ klein war, konnten sie wohl einen unverhältnismäßig größeren Einfluß üben, als wenn die Hunderttausende von möglichen Wählern tatsächlich abgestimmt hätten. Aber wie weit diese Bestechungen gingen, ist nicht mehr abzuschätzen, und da alle Bewerber sehr reich waren und große Mittel einsetzten, beeinflußten sie weniger den jeweiligen Ausgang der Wahlen als den gesamten Charakter der Politik. Denn was man für ein Amt anlegte, mußte es mindestens wieder einbringen. Folglich haben die Bestechungen, so schlimm 194Miss Taylor hat sehr richtig darauf hingewiesen, daß es das eigentliche Problem der Kandidaten war, viele Freunde nach Rom zu bringen (Party Politics 57, vgl. 5. 55). Es ging also wesentlich darum, die Zusammensetzung der Comitien zu bestimmen. 195Cic. Planc. 53. Liv. 24,7,12. 26,22,2. 27,6,3. Diese Stellen werden durch die Überlegungen, die Mrs. Hall gegen ihren eigenen Mann (297, 130) anstellte, bestätigt (Historia 196Mommsen St.-R. 3, 857. 965f. 13, 1964,297 ff.). Vgl. o. Anm. 96 197Genaue Angaben über die durchschnittliche Zahl der jeweils lebenden Consulare besitzen wir nicht. Vgl. aber die u. A. 243,225 erwähnten Belege. 198Wenn sie sich nicht um die Censur bewarben! Aber das kann hier beiseite bleiben. 199Vgl. Mommsen Strafr. 866 ff. Taylor, Party Politics 67ff. Zuletzt: Cic. har. resp. 60. Plut. Caes. 28,4.

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sie gewesen sein mögen, den Sinn der Wahlverfassung nicht so sehr gestört, daß ihretwegen an eine Änderung hätte gedacht werden können. Vielleicht empfiehlt es sich, auch hier zum Vergleich einen Blick auf das England des 18. Jahrhunderts zu werfen. Man hat früher viel Kritik an der damals sehr ungleichen Verteilung der Wahlkreise geübt. Wilhelm Dibelius schreibt etwa: Das Wahlrecht war durch allerhand verzwickte Künste der Gesetzgebung außerordentlich beschränkt und unübersichtlich geworden mit dem einzig erkennbaren Leitmotiv, sowohl städtische wie ländliche Wahlkreise völlig einer Clique von hochadligen Familien auszuliefern; konnte es doch dahin kommen, daß in Gatton sieben, in Tavistock zehn Wähler, in Bute viele Jahre hindurch ein einziger Wähler (der gleichzeitig Wahlkommissar war) den Abgeordneten wählten200. Namier berichtet, daß im Jahre 1761 eine Wahl nur in 11 der 22 boroughs mit mehr als tausend Wählern, in 12 der 22 boroughs mit 500 bis 1000 Wählern und nur in 18 der übrigen 202 boroughs stattfand201. Aber Namier betont auch, es habe keinen Unterschied in outlook and morals zwischen volkreichen Städten undrotten boroughs undden von ihnen ins Unterhaus entsandten Abgeordneten gegeben. Eine Änderung des Wahlmodus hätte deswegen nicht zu einer Änderung in der Zusammensetzung des Unterhauses geführt202. Auch die großen Handels- und Industriestädte schickten –mit Ausnahme von London –im Jahre 1760 zum Beispiel nur 6 Angehörige der bürgerlichen Mittelschicht neben 8 Söhnen von peers und 24 country gentlemen ins House of Commons203. Die rotten boroughs dagegen dienten vielfach dazu, Beamte und Kaufleute, eben die administrative andcommercial classes concentrated in London zu versorgen, die in independent provincial constituencies nicht entsprechend zur Geltung gekommen wären204. Namier nennt die boroughs daher nurseries of statesmen und betont, daß gerade die glänzendsten Wählerschaften oft die dullest members schickten. Dibelius’ Feststellung muß also geradezu umgekehrt werden, wenn sie richtig sein soll: Ohne diese boroughs hätte praktisch allein eine Klasse, eben das landed interest das Haus besetzt205. Wenn Namier sagt: as it usually happens with us, dead forms were made to serve live forces206, so kann man diesen Satz auch über die Wahlverfassung der späten römischen Republik setzen. Hier ist allerdings eine wichtige Einschränkung zu machen. Eine Regel kann nicht nur aus sich heraus beurteilt werden, sondern es ist zugleich zuzusehen, wie sie sich zur Ausnahme verhält. Wir kennen, um dieses Problem an einem Beispiel deutlich werden zulassen, verschiedene Wahlen aus demzweiten Jahrhundert, in denen –zum Teil entgegen der lex Annalis und dem Gesetz nequis iterum consul fiat –solche Kandidaten gewählt wurden, die die besondere 200England 1,247. 201The Structure of Politics at the Accession of George III 1 (1929), 104. 202 Ebd. 103. 203 126. 204 80f. 205England in the Age of the American Revolution. 1930. 4 f. 206 Structure 80. 13*

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

Situation gerade erforderte207. Wahrscheinlich ist dies in verschiedenen Fällen durch das mehr oder weniger geschlossene Auftreten der Nobilität zu erklären. Wenn etwa die meisten principes und Magistrate und eine große Anzahl von Senatoren einen oder zwei Kandidaten zu Hause abholten und vor die Comitien brachten208, konnten sich diese –allen voran die kleine praerogativa centuria209, auf die sich erwartungsvoll aller Augen richteten –diesem Eindruck kaum entziehen210. Andererseits wird es vor den Wahlen des Scipio Aemilianus eine gewisse populare Agitation gegeben haben, ebenso wie vor denen des Marius211. Aber eine solche Elastizität, wie sie sich in derartigen geschlossenen Kundgebungen des Adels oder entschiedenen Stellungnahmen des Volkes äußert, hat die nachsullanische Zeit kaum mehr gesehen212. Besonders kennzeichnend ist, daß man damals Pompeius nicht mehr wie vorher Marius zum Consul wählte, als man ihn brauchte, sondern ihm ein außerordentliches Kommando einrichtete213. Das war ein Zeichen dafür, daß auch in bezug auf die Magistratswahlen 207Zum Beispiel: P. Sulpicius Galba für 200, L. Scipio für 190 (Gelzer, Kl. Schr. 2,15), L. Aemilius Paullus für 168 (Plut. Aem. 10), M. Claudius Marcellus für 152 (Simon, Roms Kriege in Spanien 30f.), P. Scipio Aemilianus für 147 und 134 (o. S. 126f.). Unwahrscheinlich: Simon 76f. über die Wahl für 145: Es ist nicht zu sehen, warum Plinius (n. h. 35, 23) Unrecht haben soll, wenn er sagt, daß es sich um comitas handelte (vgl. o. A. 9, 13). Für 9. 26,22. die frühere Zeit etwa Liv. 10,21,13–15. 24,7– 208Ein solcher Vorgang vielleicht: Plut. Aem. 10,3. Sonst sind uns nur einerseits Fälle bekannt, in denen Einzelne ihre Kandidaten zur Abstimmung brachten (Val. Max. 7,5,1. Plut. Gracchi 29,2. Varro r. r. 3,2,1f. 7,1. 17,1 u. 10 u. a.), und andererseits solche, in denen der Senat bei anderen Gelegenheiten dem Consul oder anderen Persönlichkeiten das Geleit gab (z. B. Plut. Cic. 12,6. 14,7. Dio 38,3,2). Gleichwohl muß man m. E. mit solchen sinnenfälligen Demonstrationen rechnen (vgl. vielleicht App. 2,34?), und man kann dadurch, scheint mir, diese Wahlen im ganzen besser erklären als durch mechanische Konstruktionen von Faktionspolitik und den Einsatz massierter Gefolgschaften. Teilweise sind bei derartigen Gelegenheiten auch Reden gehalten worden (z. B. Liv. 10,21,11 ff. Taylor, Party Politics 204,40. 209,84). 209 Vgl. RE Suppl. 8, 584. 594 f. 210Eine weitere Möglichkeit der Einflußnahme auf die Comitien war zeitweilig und in solchen kritischen Fällen wohl noch lange in den VI suffragia gegeben (vgl. Note 5 u. S. 311). 211O. S. 126 f. Es gab vor den Wahlen oft sehr eindeutige Kundgebungen des Volkswillens, bei denen Spontaneität von der Wirkung geschickter Agitation schwer zu scheiden ist (z. B. Cic. leg. agr. 2,4. Pis. 3). Man kann sich gut vorstellen, daß in einer solchen Acclamation Scipio praktisch zum Kandidaten gemacht und danach allgemein gewählt worden ist. Einer Kandidatur hätte die lex Annalis bzw. das Verbot der Iteration des Consulats im Wege gestanden, an einen Antrag auf Befreiung war wohl mindestens 147 nicht zu denken, außerdem kündigt sich in der Zurückhaltung Scipios wohl schon eine Taktik an, die später Pompeius zur Meisterschaft entwickelte: Man greift nicht nach außerordentlichen Aufträgen oder Vorteilen, sondern läßt sie sich aufdrängen. Vgl. Béranger, Mus. Helv. 5, 1948, 178ff. Zu Marius’ Wahlen Note 8, u. S. 313 f. 212Auch bei Ciceros Wahl zum Consul ist dies kaum anzunehmen, da die Berichte darüber auf Grund der Vordatierung der catilinarischen Gefahr übertrieben sind (vgl. S. 18

m. A. 67). 213Vgl. dazu Gelzer, Kl. Schr. 2,186 mit Hinweis auf Cic. Divin. 2,76. Bachofen Gesammelte Werke 1.383.

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die Regel erstarrt war, und die Ausnahme auf andere Weise zu ihrem Recht kommen mußte. Dazu paßt es, daß in dieser Zeit keiner der großen Consulare in kritischer Situation sich um ein zweites Consulat bewarb, wie es im Jahre 101 noch Metellus Numidicus getan hatte, um aus dieser Position desto wirkungsvoller einen innenpolitischen Gegner bekämpfen zu können214. Dabei war die Iteration im Jahre 101 verboten, nach Sulla nur eingeschränkt. Das Beste, was man für diese Zeit an Berücksichtigung besonderer Erfordernisse erwarten kann, ist, daß politische Gesichtspunkte im Austrag großer Gegensätze die Wahlen bestimmten. Das ist in größerem Umfang für das Jahr 71 anzunehmen, als die Reform der sullanischen Verfassung bevorstand215, und es ist für die Consulatswahlen von 55 bezeugt, als die Gefahr für die libertas durch die Kandidatur des Pompeius und Crassus evident geworden war216. Ein drittes Beispiel begegnet am Vorabend des Bürgerkrieges im Jahre 50217. Zu fragen ist, wie es sich im Jahre 60 damit verhielt. Wir wissen, daß damals nur drei Kandidaten sich stellten: Caesar, Lucceius und Bibulus. Caesar und Lucceius waren sowohl durch eine coitio wie dadurch verbunden, daß sie beide Freunde des Pompeius waren, der damals das existentielle Interesse hatte, seine beiden großen, vom Senat bisher mit Erfolg bekämpften Forderungen durchzusetzen. Nichts konnte ihm deswegen erwünschter sein, als daß beide Bewerber gewählt würden. Und wiegroß die Gefahr war, ergibt sich daraus, daß die führenden Kreise des Senats alles taten undauch – mit stillschweigender Einwilligung Catos! –vor einer groß angelegten Bestechungsaktion nicht zurückscheuten, um den Sieg des dritten Kandidaten Bibulus zu sichern218. Das Ergebnis war jedoch, daß an erster Stelle, und zwar offenbar omnibus centuriis, Caesar219, an zweiter Bibulus gewählt wurde. Das bedeutet zunächst 214Plut. Mar. 28,7f. Ähnlich hatte 133 Ti. Gracchus’ Schwiegervater Ap. Claudius die Absicht, sich für 132 um ein zweites Consulat zu bewerben (Dio frg. 83,8). Ob es zu einer regelrechten Kandidatur kam (so Simon a. O. 190), ist in diesem Fall jedoch unklar. Für den politischen Charakter verschiedener Wahlen aus jenen Jahren Note 8, u. S. 313f. 215Vgl. Athenaeum 40, 1962, 108, 18. Die Contio, in der Pompeius sein Programm öffentlich bekanntgab, fand allerdings erst nach der Wahl statt (Cic. Verr. 1,45). 216Plut. Crass. 15,4. Cato. min. 41,3. (Ähnlich vielleicht 55/54: o. Anm. 102). Vgl. für die Tribunenwahlen i. J. 63: ebd. 20,7 ff. 217o. S. 12 f. 218Drei Kandidaten: Cic. Att. 1,17,11 (bezeichnend, daß Lucceius im Dezember 61 noch nicht genau wußte, ob er sich mit Caesar oder mit Bibulus verbinden sollte). Zur Rekonstruktion der Lage u. S. 278f. Die Aussichten: Cic. Att. 2,1,6. Suet. Jul. 19,1. Zu der coitio o. Anm. 98. Zum Senat: Suet a. O. App. 2,34. 219Plut. Caes. 13,2: λ α μ π ρ ῶ ς . Dio 37, 54,3: ὁμ ο ϑ υ μ δ α ό ν(wohl auf die Centurien, nicht nur auf Caesars Verbündete zu beziehen. Vgl. 44,3). Zur Wahl an erster Stelle: Broughton –Taylor, Mem. Am. Acad. Rome 19, 1949, 4. Linderski hat dies neuerdings (Historia 14, 1965, 423ff.) mit dem Argument bestritten, Bibulus habe 59 das Recht gehabt, die Wahlen zu leiten. Allein, es ist keineswegs zu erweisen, daß dieses Recht dem primus renuntiatus zukam (in 5 [nicht 6: denn für 56 ist nichts darüber auszumachen] von 8 bekannten Fällen

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IV Zur politischen Grammatik in der späten Republik

nur, daß mehr Centur ien Caesar und Bibulus als Caesar und Lucceius wählten. Aber was taten die Einzelnen? Will man politisch konsequentes Verhalten annehmen, so muß man folgern, daß die einen nur Bibulus, die anderen zum Teil Caesar allein, zum Teil Caesar und Lucceius ihre Stimme gaben. Um es an einem Schema klarzumachen: Bei der Mehrzahl der Centurien müßten dann im äußersten Fall220 von 100 Wählern 51 Caesar, 49 Bibulus und unter jenen 51 höchstens 48 zugleich Lucceius gewählt haben. Das würde bedeuten, daß in diesen Centurien 49 + (51 – 48) = 52 Prozent aller Wähler nur von einer ihrer Stimmen Gebrauch machten. Aber das ist selbstverständlich nur das äußerste Minimum. Hätten die Kandidaten in der Gunst der Wähler so dicht beieinander gelegen, wäre es ganz unwahrscheinlich, daß Caesar omnibus centuriis Consul wurde. Mandarf auch nicht vergessen, daß seine Wahlaussichten trotz der coitio und der gemeinsamen Unterstützung durch Pompeius wesentlich besser waren als die des Lucceius221. Immerhin sind auch jene 52 Prozent der Angehörigen der Mehrzahl aller Centurien schon eine auffallend hohe Zahl222.

war es der primus, in 2 –wenn man von 59 absieht! –der secundus renuntiatus: a. O. 430f., andere Argumente als diesen möglicherweise zufälligen Befund gibt es nicht). Ebensogut kann man damit rechnen, daß das Los darüber bestimmte (so Taylor und Broughton jetzt, s. Linderski 429). Entscheidend scheint mir zu sein, daß Caesar die Senatssitzung am 1. 1. 59 leitete (was sich doch wohl aus Suet. Jul. 21 ergibt), denn dieses Recht muß am ehesten dem primus renuntiatus zugestanden haben (vgl. Dion. 6,57. U. Anm. 258,340), so wenig auch im übrigen Jahr die Leitung des Senats mit der Führung der fasces verknüpft gewesen sein muß (Historia 10, 1961, 69,2. Dem ist zu Linderski 435, 49 hinzuzufügen, daß, während kein stichhaltiges Zeugnis für seine These vorliegt, dagegen spricht, daß die Consuln kaum jeweils in der Hälfte des Jahres schlechter gestellt gewesen sein können als jeder Volkstribun. Wer sollte ein Interesse daran haben, hier mit starren Regelungen einzugreifen? Warum sollte der Senat sich dieser Möglichkeit, einen Consul gegen den anderen auszuspielen, begeben? Man sollte deswegen höchstens annehmen, daß im Falle der Kollision der die fasces führende Consul den Vortritt hatte [so ließe sich auch Liv. 9,8,1f. verstehen. Dion. 10,57 darf man nicht überbewerten]). 220Wenn Caesar und wenn Bibulus dort mehr Stimmen erhielten, so muß die Zahl derer, die eine Stimme verfallen ließen, größer gewesen und Lucceius noch weiter hinter Caesar zurückgeblieben sein. 221Att. 1,17,11. 2,1,7. Ferner: Caesars Popularität (o. S. 142), die sich auch 63 in seiner Wahl zum pontifex maximus ausdrückte (Gelzer Caes.6 42), die Unterstützung des Crassus (Dio 37,54,3), der wohl –anders als vielleicht (vgl. o. Anm. 102) Pompeius –nicht an der coitio mit Lucceius teilgenommen hat. Daß Caesar auch durch seine Soldaten gefördert wurde (vgl. Athenaeum 40, 1962, 109,21), ist –abgesehen von der Möglichkeit schriftlicher Empfehlung (o. Anm. 188) –nicht anzunehmen, da es nicht mehr Sitte war, die Soldaten zum Triumph auf Rom zu führen (Athen. 107,14), und da Caesars Soldaten zum Teil in Spanien frisch ausgehoben worden waren (Plut. Caes. 12,1). Für ihn sprach jedoch der Ruhm seiner militärischen Leistung, der sich in dem Beschluß des Triumphs geäußert hatte (vgl. Diod. 37,25. Liv. 35,10,2f. App. Hann. 17,74. Liv. per. 75, allerdings auch Plut. Sulla 5,1). 222Falls die Kandidaten in diesen Centurien wirklich so dicht aufeinander gefolgt sein sollen, hätte es in vielen der übrigen kaum wesentlich anders –nur mit umgekehrter

4. Der Sinn der Wahlverfassung in der späten Republik

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Aber es ist nicht wahrscheinlich, daß wir mit so viel Enthaltsamkeit zu rechnen haben. Gegen die Überschätzung der politischen Motive der Wähler des Jahres 60 spricht zunächst, daß bei den damaligen Tribunenwahlen, die wesentlich einfacher zu bestehen waren, der entschiedene Anhänger Catos, M. Favonius, durchfiel223. Ferner ist zu beachten, daß zwar die einsichtigen Politiker ungefähr vermuteten, was von Caesar zu befürchten war224. Als sicheres Zeugnis dafür besitzen wir ihr Verhalten vor der Wahl225 sowie die Aussage Ciceros aus jenen Wochen, in der Pompeius und Caesar als die vitiosae partes rei publicae erscheinen 226. Aber Cicero selbst gab sich der Illusion hin, er könne die beiden meliores reddere, und ein großer Teil der Senatoren227 sah damals keine Veranlassung, Catos scharfe auf Verhinderung der Kandidatur Caesars zielende Politik zu unterstützen228. Necessitudines und existimatio schließlich sprachen gewiß bei vielen Wählern sowohl für Caesar wie für Bibulus229. Wie wenig selbst führende Consulare sich auch gegen ihre politischen Ansichten in der Regel solchen Motiven entziehen konnten, ist schon gesagt worden230. Wie viel weniger konnten da die weiteren Schichten der Wähler geneigt sein, aus politischen Rücksichten gegen ihre officia zu verstoßen! Die Publicanen erhofften sich ohnehin von Caesar eine Durchsetzung ihrer Forderung auf Pachtnachlaß231. Aber es ist nicht gesagt, daß deswegen oder wegen des verschlechterten Verhältnisses zu Cato232 nicht manche von ihnen zugleich Bibulus wählten. Ausall diesen Gründen erscheint es als wahrscheinlicher, daß wirklich ein großer Teil der Wähler damals Bibulus und Caesar zugleich wählte, als daß ein so großer Teil von ihnen, wesentlich mehr als die käuflichen, nur von Reihenfolge –sein können. Denn bei einem so harten Ringen wäre es unmöglich gewesen, daß sich Bibulus und seine Verbündeten bei ihren intensiven Bemühungen auf eine knappe Mehrheit der tribus bzw. Centurien beschränkt hätten. 223Historia 10, 1961, 97 f. (Zur ersten Bewerbung des Favonius vgl. jetzt die Vermutungen Miss Taylors, Class. Med. and Renaiss. Studies in Hon. of. B. L. Ullman I [1964] 82 ff.). Die Zusammensetzung der comitia tributa war in der Zeit der Wahlen stark durch die Anwesenheit vieler Italiker bestimmt (Taylor, Party Politics 59). 224Vgl. dazu Strasburger HZ 175. 1953. 235 (zu dessen weiteren Folgerungen Historia a. O. 86.62). 225 U. S. 278f. Zu Cato vgl. noch Gelzer, Festgabe Kirn (1962) 49f. 226 Att. 2,1,7. 227App. 2,29. Plut. Caes. 13,1f. Cato 31,4 ff. Immerhin ergab die Verhandlung über die Provinzen damals eine Mehrheit gegen Caesar (Suet. Jul. 19,2). 228Vgl. für die Zielsetzung u. S. 278f. 229Auch Bibulus hatte gewiß viel Ansehen und Beziehungen (vgl. Cic. Att. 1,17,11). – Erinnert sei an die tribus Fabia (o. S. 15), Servilius Caepio (S. 20). Nicht viel hätte gefehlt, und man könnte auch Q. Marcius Philippus hier nennen (ebd.). 230 S. 18ff. 331Vgl. u. S. 276 m. Anm. 61. Da die Staatspächter untereinander eng zusammenhingen (o. S. 74 m. Anm. 66), wurden nicht nur die unmittelbar Betroffenen durch die zu vermutende Zusage für Caesar gewonnen. 232Cic. Att. 1,17,9. 18,7. 2,1,7f. 10. Für die Zeit davor: 1,18,7: publicani quos habuit amantissimos sui.

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einer Stimme Gebrauch machte. Es entsprach nicht der Art der boni, schon den Anfängen zu wehren233. Damit soll freilich nicht verkannt werden, daß für viele Wähler damals auch die politischen Gesichtspunkte den Ausschlag gaben. Nachdem sich nun gezeigt hat, daß in der alltäglichen Politik, so vieles auch durcheinanderging und so unerfreulich zahlreiche Einzelzüge waren, doch die alltäglichen Bedürfnisse der Gesellschaft noch hinreichend (und besser) befriedigt werden konnten, scheint es an der Zeit, die Summe aus den bisherigen Betrachtungen zu ziehen. 233Cic. Sest. 100.

KRISE OHNE ALTERNATIVE

Im Blick auf das weltweite Imperium erscheint es heute durchweg als rätselhaft oder vielmehr: als widersinnig, daß Rom noch in der späten Republik die Verfassungsformen des Gemeindestaates und das Regime der Nobilität beibehielt. Man drückt das Verhältnis zwischen dem einen und dem anderen deswegen konzessiv aus: trotz des Imperiums wurde Rom weiter in den zum Teil seit Jahrhunderten überkommenen Formen von einer kleinen Aristokratie regiert. Dagegen scheint sich jetzt zu ergeben, daß dieses Verhältnis vielmehr kausal war: denn daß die res publica angesichts so wesentlicher äußerer und innerer Veränderungen Form und Zuschnitt im ganzen bewahrte, wie sie seit alters gewesen, war vor allem durch die römische Expansion bedingt. Wie in früherer Zeit die Forderungen des römischen Bauerntums auf Land, so ließen sich später die Energien der erstarkenden Bourgeoisie in die eroberten Gebiete ablenken. Der Prozeß der Expansion entfaltete gleichsam eine solch einzigartige Dynamik, daß er die Veränderungen, die er im Siegerstaat hervorrief, lange Zeit hindurch gleich wieder absorbierte und an politischer Realisierung hinderte. Dazu gehörte zugleich, daß die Senatsaristokratie durch die hohen Anforderungen der Kriege so intensiv in Anspruch genommen wurde und durch ihre Art, den Herrschaftsbereich zu verwalten, ihre Geschlossenheit so gut befestigen konnte, daß sie ihr Regime jahrhundertelang vor Zersetzungserscheinungen und den zahllosen Versuchungen von Macht und Reichtum relativ gut bewahren konnte. Aber die Expansion trug nicht nur zur Bewahrung, sondern darüber hinaus zu einem tieferen Einrasten der alten Formen, besonders der Senatsregierung bei. Die lange Geschichte der Erfolge und der ständigen Ausdehnung des Herrschaftsbereiches umgab dieNobilität mit außerordentlichem Ansehen. Vor allem vermochte diese alle Kräfte, die sich in der Bürgerschaft bildeten, und alle Städte und Länder, die in Roms Herrschaftsbereich gerieten, in einer Weise in den Staat einzugliedern oder an ihn zu binden, daß die Wurzeln ihres Regimes sich nur immer weiter verzweigten. Am meisten charakteristisch dafür ist die Art, in der der Aufbau und die Verwaltung des Herrschaftsbereiches geordnet wurden. Die alten Institutionen wurden kaum verändert, die Magistrate nur zögernd und in geringem Maße vermehrt. Dafür sprang der gesamte Adel mit V

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V Krise ohne Alternative

seinen Verpflichtungsverhältnissen ein, so daß es möglich wurde, die tanta et tamfuse lateque imperans res publica1 mit den Mitteln des adligen Gemeindestaates zu verwalten. Das notwendige Komplement dieses Vorgangs war, daß sich die Aristokratie an dem gewaltigen Stoff, den sie derart bewältigte, mitsamt ihren Normen befestigte und immer mehr zum unentbehrlichen Zentrum des Staates wurde. Um diesen Prozeß und die Besonderheit und innere Gesetzmäßigkeit des Bindungswesens zu verstehen, ist es gut, sich klar zu machen, daß dieses in seiner Funktion dem mittelalterlichen Lehnswesen genau entspricht. Vor der Notwendigkeit, ohne die dazu erforderlichen verfassungsmäßigen, geistigen und wirtschaftlichen Voraussetzungen immer größere Gebiete zu beherrschen, half man sich, indem man Formen, die bis dahin nur in kleinerem Umfang gegolten hatten, ausdehnte, ummit ihnen ein großes Reich zudurchdringen und zusammenzuhalten. Dadurch aber, daß diese Formen dessen Aufbau prägten, leiteten sie weit über die Zeit hinaus, da man ohne sie nicht hätte fertig werden können, alles in ihre eingefahrenen Wege2. Die Umstände undErgebnisse der beiden Spielarten desErsatzes staatlicher Einrichtungen durch personale Beziehungen sind freilich im einzelnen völlig verschieden3. In Romging der Prozeß von einer Aristokratie aus, die gebunden war durch eine bewundernswerte Disziplin4. Diestaatliche Konzentration war schon relativ weit und fest ausgebildet, als die res publica anfing, ihren Herrschaftsbereich zu erobern. Alle Nah- und Treuverhältnisse liefen im Senat zusammen, und es bestand ein eindeutiges starkes Machtgefälle zwischen Rom Unterworfenen“sowie –dielängste Zeit über – undseinen „Verbündeten“und „ zwischen Senat und Volk. Rom fand sein imperium außerdem nicht vor, sondern baute es erst schrittweise auf. Endlich blieben so schwierige Aufgaben wie die der Sicherung des Heeresaufgebots dem Bindungswesen fast ganz5 erspart. Trotz dieser und anderer Unterschiede gehören Feudalismus und Bindungswesen aber gewiß unter einen gemeinsamen Oberbegriff, der hier allerdings nicht entwickelt werden kann. Und wenn dieses auch in Ausmaß und Bedeutung hinter jenem weit zurücksteht, so wird doch seine geschichtliche Rolle durch den Vergleich mit jenem deutlicher.

1 Cic. rep. 5,1. 2 Vgl. Otto Hintze, Staat und Verfassung2 (1962) 84 ff. –Wichtig ist an dieser Stelle auch der Hinweis Max Webers, daß die intensive und qualitative Erweiterung sowie innere Entfaltung des Aufgabenkreises der Verwaltung mehr als die extensive und quantitative Anlaß für Bürokratisierung ist (Wirtschaft und Gesellschaft Stud.-Ausg. 1964, 715). Ferner ebd. 723 ff. über die Bedeutung einer mindestens relativen Nivellierung der ökonomischen und sozialen Unterschiede für die Entstehung bürokratischer Organisation. 3 Sehr berechtigt sind zum Beispiel die Einwände, die Otto Brunner gegen die Anwendung des Begriffs Feudalismus auf die späte römische Republik erhebt („ Feudalismus“. Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte. Abh. Akad. Mainz, Geistes- u. Sozialwiss. Klasse 1958. Nr. 10, 4f. und passim). 4 Vgl. o. S. 48f. 5 o. S. 36.

V Krise ohne Alternative

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Im Innern der Bürgerschaft drückte sich die Bewahrung deradelsstaatlichen Ordnung zuletzt darin aus, daß die einflußreich gewordene Bourgeoisie im Grunde unpolitisch blieb, ohne politischen Ehrgeiz und ohne Verantwortung. Sie blieben Bürger in einem Adelsstaat, nur darauf bedacht, innerhalb des Bestehenden besser zu ihrem Vorteil zu kommen. So erkannten sie auch –freilich gegen erhebliche Zugeständnisse –die Führung der adligen classe politica an. Die weitgehende Identifizierung der Nobilität mit dem Staat wurde nirgends bezweifelt, behielt also Evidenz. Kurz, äußerlich blieb sich fast alles gleich: der gemeindestaatliche Zuschnitt, die aristokratische Prägung, Institutionen und Denkweise der res publica. Mankonnte sich bis zuletzt vorstellen, noch in denalten Formen der Väterzeit zuleben, so wenig manderen Anspruch erfüllte. Die auf dieser Grundlage nicht mehr glatt undohne Rest zu bewältigenden Probleme, die sich gleichzeitig bildeten, brauchen hier nicht noch einmal genannt zu werden. Wesentlich ist allein, daß –letzten Endes durch die Größe des Herrschaftsbereichs bedingt6 –zahlreiche Veränderungen eintraten, in deren Folge es zu dauerhaften Störungen des Gleichgewichts und endlich zum Bürgerkrieg undzu einem gegenseitigen Sich-Treiben von wachsenden äußeren Aufgaben undzunehmendem Versagen der Aristokratie kam, woraus wiederum der Aufstieg der großen, sich teilweise aus ihrem Stande emanzipierenden Einzelpersönlichkeiten resultierte. In der Regel destäglichen Lebens hat –wiediepolitische Grammatik lehrt – weiterhin alles zueinander gestimmt. Die Unstimmigkeiten mußten Ausnahme bleiben undals solche erscheinen. Alle Mächtigen profitierten vomBestehenden unddiejenigen, auf deren Kosten manlebte, konnten sich nicht wehren. Allein, das bedeutete, daß sich das Vorzeichen veränderte, unter demdie Verfassung stand. Eine übermäßige Extensivierung trat ein, die Zahnräder der Staatsmaschine stumpften gleichsam ab undgriffen nicht mehr recht ineinander. Die Gesellschaft war nicht mehr Herr ihrer Dinge, der Staat hielt sich nur noch mole sua aufrecht. Daßnundie Krise dieses Staates keine Alternative zumBestehenden kannte, ist eine Vorstellung, die uns ungewohnt ist und die wir angesichts der uns immernoch leitenden Vorstellungen vondensehr großen Möglichkeiten staatlichen Handelns ungern hegen, die man aber dennoch nicht gleich ausschließen sollte. Keiner der großen Mißstände der Zeit bot einen Ansatzpunkt zu Reformen oder eine Kraft, auf die gestützt eine andere Verfassung hätte angestrebt werden können. Die Eigentümlichkeiten der übermäßig extensivierten res publica standen einer konsequenten unddirekten Auswirkung dieser Mißstände auf die Politik im Wege. Mankonnte zwar nicht verkennen, daß die alte Verfassung immer weniger funktionierte, daß mansich von der alten Norm immer 6 Liv. praef. 4: quae ab exiguis profecta initiis co creverit, ut iam magnitudine laboret sua ... 7,29,2 ... ut in hanc magnitudinem, quae vix sustinatur, erigi imperium posset. Ferner Cic. rep. 5,1. Sall. Cat. 14,1.

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weiter entfernt hatte, aber man fand kein besseres Ziel als die Wiederherstellung des Alten und wußte doch keinen Weg, um dorthin zu gelangen. Was das bedeutet, wird am besten deutlich, wenn man bedenkt, was „nor, in den uns vor allem naheliegenden Fällen einer schweren Krise, malerweise“ eines offenkundigen Versagens von Verfassungsorganen und herrschender Schicht geschehen ist: Es empören sich die Opfer der Mißstände und daraus folgt Revolution oder wenigstens ein Andrängen neuer Schichten gegen die bis dahin herrschenden, das zu Reformen, wenn nicht zu einer Neugründung der bestehenden Ordnung führt. Mit anderen Worten: auf irgendeine Weise und in irgendeinem Ausmaß spaltet sich die Gesellschaft, tun sich tiefere, ernstere Gegensätze in ihr auf, und in diesem Dualismus vermag sie sich, aufs ganze gesehen, gleichsam auszudehnen und ihre Aufgaben, ihre Welt neu zu erfassen. So haben sich in den Revolutionen und Gegensätzen der modernen Geschichte immer wieder die innere Regenerationsfähigkeit und die immer noch zu steigernde Kapazität der europäischen Staaten erwiesen. Entsprechend hätte es in Rom sein können, wenn die Bourgeoisie politischen Ehrgeiz entfaltet und in irgendeiner Form –etwa nach den Plänen des C. Gracchus –die Basis des Staates zu verbreitern gestrebt hätte. Theoretisch wäre es auch denkbar, daß von den Unterworfenen oder dem Proletariat her ein Druck auf Gerechtigkeit oder Intensivierung der staatlichen Verwaltung ausgeübt worden wäre. All das hätte durch äußere Probleme gefördert werden können. Doch da weder äußere Gegner da waren noch irgendwo eine Kraft, die auf Änderung drängte, spaltete sich die römische Gesellschaft nicht, sondern zog sich in ihrer immer dogmatischer werdenden Verhaftung im Alten nur enger zusammen. Das bedeutete aber, daß sich statt dessen ihre Welt spaltete, oder genauer: daß ganze Teile ihrer Wirklichkeit nicht recht erfaßt, verarbeitet, bewältigt wurden: eben der Herrschaftsbereich mit seinen Problemen. Wohl waren die Provinzen fest in der Hand Roms, sie gehörten dazu, alle lebten von ihnen. Und sie wirkten auf Rom: der ganze Staat hatte sich durch ihren Besitz verwandelt, der Prozeß der Extensivierung war durch sie bedingt. Und dennoch hatten sie in der tanta et tam fuse lateque imperans res publica, in deren Denkweise und Institutionen fast keinen Platz, waren sie nicht darin integriert. So übten sie denn lauter Wirkungen aus, die nicht vorgesehen waren, auf die Rom nicht eingerichtet war. Sie korrumpierten Senatoren und Ritter, verursachten der herrschenden Schicht ein schlechtes Gewissen. Ihre Probleme boten Gelegenheit zur Bildung der Berufsarmeen, deren Loyalität unter Umständen mehr dem Feldherrn als dem Senat gehörte, sowie zu ungewöhnlicher Bewährung und damit zum Aufstieg der großen Einzelnen. Tacitus hat später geschrieben: vetus ac iampridem insita mortalibus potentiae cupido cumimperii magnitudine adolevit erupitque7. Von hier kam also zwar kein unmittelbarer 7 hist. 2,38,1; vgl. Timpe, Historia 14, 1965, 209,80.

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Druck, aber diese abgespaltenen Teile der römischen Wirklichkeit waren gleichwohl virulent, indem sie mittelbar wirkten. Und es ist keineswegs anzunehmen, daß das für die Beteiligten weniger schlimm war. Denn die Auseinandersetzung mit den unbewältigten Problemen konnte unter diesen Umständen nur auf beschwerlichen Umwegen möglich sein: Sie vollzog sich etwa in dem Ringen mit Pompeius, mit Caesar, endlich im Bürgerkrieg, und das scheint nach den bisherigen Beobachtungen nicht ganz zufällig gewesen zu sein, da sich die Gesellschaft eben fast zwangsläufig vor jeder Veränderung verschloß und keine Notwendigkeiten sich ihr aufzwangen. Wie sollten da Pompeius und vor allem Caesar mit ihren auf die neuen Wirklichkeiten zugeschnittenen Tugenden, mit ihren von diesen bestimmten Anschauungsweisen und ihren aus diesen erwachsenden Ansprüchen überzeugen, wie sollten sie eine Sache finden, der sie sich verknüpfen, auf die gestützt sie eine Alternative hätten bilden können? Denn mit Legionen allein ließ sich Rom zwar unter Umständen erobern, aber nicht gewinnen.

Die entscheidenden Stadien der akuten Krise In der Skizze der Verfassungswirklichkeit konnte das Problem der großen Einzelnen, die in Gegensatz zur Senatsmehrheit gerieten undsich teilweise aus den senatorischen Normen emanzipierten, noch nicht behandelt werden. Deren Aufstieg und Existenz gehörte zwar so notwendig zur späten Republik, daß sie fast ein Stück ihrer Struktur bildeten. Und doch können sie sinnvoll nur im Rahmen der Geschichte behandelt werden. Ausden Grundbedingungen der Verfassungswirklichkeit scheint sich außerdem –wenigstens bis zum Jahre 60 –nicht zu ergeben, daß die res publica ein schnelles Ende finden mußte. Sie besaß nicht mehr viel Kraft undGeschlossenheit, warkrank undanfällig, aber dasbedeutet noch nicht, daßsielebensunfähig war. Hätte sie nicht, wenn sie etwas mehr Glück im Unglück gehabt hätte, noch einige Generationen lang so dauern können? Mit den Grundbedingungen ist überhaupt nur eine allgemeine Einsicht in die Voraussetzungen und Zusammenhänge des damaligen politischen Geschehens gewonnen. Manche Fragen mußten schon dabei offenbleiben. So ließ sich der Wandel der Struktur zwar bei der Geschichte der Ritter undder popularen Politik wie bei der Rekonstruktion der politischen Grammatik nachzeichnen, aber seine Ursachen konnten nur äußerlich markiert werden. Eine solche querschnittliche Betrachtung kann nicht aufhellen, wie es in den 80er Jahren und in Caesars Consulat 59 zu den tiefen Einschnitten kam, die den Charakter der res publica amissa so wesentlich veränderten. Sie kann überhaupt, wiedie Soziologie, nur den Hintergrund und die allgemeine Disposition des Bildes einer Zeit zeichnen1. Darin ist sie unentbehrlich und von größtem Interesse. Farbe und eindeutige Konturen aber kann dieses Bild erst aus einer historischen Betrachtung gewinnen. So sehr gerade in Zeiten der Krise und des Verfalls die Macht übergreifender Gesetzmäßigkeiten und Tendenzen sich geltend macht, sosehr waltet doch auch hier die Kontingenz alles Geschichtlichen. Ohne eine historische Betrachtung wenigstens der entscheidenden Phasen der Krise kann also das bisher gezeichnete Bild nur halb sein. 1 Vgl. dazu Bagehots Äußerung über den background of a picture which looks obvious, easy, just what any one might have painted, but which, in fact, sets the figures in their right position, chastens them, and makes them, what they are. The Engl. Const. Ausg. in „ The World’s Classics“, London 1958. 122f.

VI

DER AUSBRUCH DER AKUTEN KRISE IN DEN JAHREN SEIT 91 V. CHR.

Es ist oben schon deutlich geworden, daß die schwärende Krankheit des Staates, die mit den Gracchen zum ersten Mal aufbrach, über eine Generation lang im ganzen unter der Kontrolle des Senats geblieben ist. Nach demTribunat des Saturninus (100 v. Chr.) gelang es, ein Jahrzehnt fast ungestörten Friedens zu sichern2, in dem der Senat sogar zu dem Versuch ansetzen konnte, den Staat wieder fester zusammenzufassen und in seine Gewalt zu bringen. Darauf brachen, ausgelöst durch das Scheitern des Volkstribunen von 91 M. Livius Drusus, der Krieg mit den italischen Bundesgenossen, dann, teilweise in dessen Folge, der Krieg mit Mithridates und schließlich auf Grund älterer, durch die Problematik dieser Kriege erheblich verschärfter Gegensätze der Bürgerkrieg aus. Damit erreichte die Krise ihr akutes Stadium. Es fragt sich, wiees dazu kam, wie die Krise entstand, wie sie sich austobte und was sie an Veränderungen bewirkte, bis sie um das Jahr 80 vorläufig zur Ruhe kam. Die äußere Abfolge der Ereignisse und auch die ins Auge fallenden Beziehungen zwischen ihnen sind selbstverständlich gut bekannt. Aber es scheint doch, daß die verschiedenen Vorgänge bisher zu isoliert betrachtet wurden. Vor allem ist wohl der innere Zusammenhang der im Sinne des Senats zwischen 95 und80 ins Werk gesetzten Reformen, die Problematik Sullas und seines Verhältnisses zur Senatsmehrheit und damit die für die damalige Krise so charakteristische Dialektik zwischen jenen Reformbestrebungen und der Extensivierung der res publica noch nicht recht erkannt worden. 1. M. LIVIUS DRUSUS’ TRIBUNAT, BELLUM ITALICUM UND BELLUM MITHRIDATICUM

In den Jahren vor 91 hatte sich der Wunsch der italischen Verbündeten nach Teilhabe amrömischen Bürgerrecht zu einer kräftigen, von breiten Kreisen getragenen Forderung massiert3. Die römische Herrschaft war im Laufe des 2 Gegen Badians (Historia 6, 1957, 318 ff.) und Gabbas (Athenaeum 31, 1953, 259 ff.) gegenteilige Behauptungen Bonner Jahrb. 161, 1961, 507 ff. 3 Gabba, Ath. 32, 1954, 41 ff. (dazu Balsdon, Gnomon 26, 1954, 343 f. Sherwin-White JRS 45, 1955, 169f., anscheinend auch Broughton, Deux. Conf. Intern. d’Hist. Écon. 1962.

und bellum Mithridaticum It 1. M. Livius Drusus’ Tribunat, bellumalicum

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zweiten Jahrhunderts drückender geworden4, außerdem hatten sich die Gewichte zwischen Rom und den verbündeten Gemeinden wesentlich verschoben. Rom war zur Weltstadt herangewachsen und bot außerordentliche Möglichkeiten. Alfred Heuß meint deswegen: Es konnte gar nicht ausbleiben, daß das Bewußtsein der Eigenstaatlichkeit allmählich dahinschwand und das Gefühl der Zugehörigkeit zu Rom sich mehr in den Vordergrund schob5. Die einen wollten das Recht, sich in Rom um die Ämter zu bewerben, andere wollten an den Staatspachtgeschäften teilnehmen oder Vorteile im Verkehr mit Magistraten und Steuerpächtern erhalten, manche mögen sich Erleichterungen bei den Aushebungen erhofft haben, fast alle wollten die volle Gleichberechtigung mit den Bürgern der Stadt, zu deren Wohlergehen und Größe sie so wesentlich beigetragen hatten6; einige glaubten auch, die Stunde sei gekommen, in der sie Roms Herrschaft abschütteln könnten –aber die standen zunächst im Hintergrund7. Wenn sich jedoch das Streben der alten Bundesgenossen nach Gleichberechtigung zu einer akuten Forderung zuspitzte, so scheinen dabei zugleich innerrömische Veränderungen wesentlich mitgewirkt zu haben, daß nämlich die den führenden italischen Familien entsprechende Schicht der römischen Ritter seit 123 einen immer schnelleren Aufschwung nahm8. Damit wurden die Unterschiede zwischen Italikern9 und Römern kraß und unerträglich10. Endlich mußten die zum Teil heftigen innerrömischen Auseinandersetzungen der Jahre vor 100, die 92 wieder aufflammten, den Respekt vor Rom erschüttern. Nach Emilio Gabba hätten die Italiker mit den Rittern weithin gemeinsame Interessen gehabt undsich vor allem deswegen zurückgesetzt gefühlt, weil wirtschaftliche Probleme damals zum Gegenstand der Politik geworden seien und die Ritter Einfluß auf die Außenpolitik gewonnen hätten11. Damit ist zunächst der Anteil der Handeltreibenden unter ihnen12, sodann die Macht und die Beteiligung der Ritter an der Politik überschätzt13. Vor allem aber scheint Vol. 1, 1965, 155 ff., mir nur aus dem Hinweis von Brunt ebd. 125,9 bekannt). Badian FC 220 (dazu Bonn. Jahrb. a. O. 506 ff.). Ähnlich wie Gabba auch De Martino, Labeo 8, 1962, 16 ff. p. s. Vgl. jetzt allg. Brunt JRS 55,1965,90 ff. s. Note 14, u. S. 318. 4 Badian 141ff. Balsdon, Sherwin-White a. O. Aber auch Gelzer, Kl. Schr. 2, 90. McDonald JRS 34, 1944, 14. 22. 33 u.ö. 5 Röm. Gesch. 131f. Vgl. Göhler, Rom und Italien, 1939, 31 ff. Brunt a. O. 97 ff. 6 Vgl. K. v. Fritz, A Theory of the Mixed Const. 244 und bes. Sherwin-White. U. S. 318 7 U. S. 215. 8 O. S. 70 ff. Vgl. Gabba a. O. 56ff. Badian 213. Note 14(2), u. S. 318. 9 Diese hatten an sich an den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Herrschaftsbereichs immer reichen Anteil gehabt. Badian 152f. Dazu die Beteiligung am ager occupatorius o. A. 65, 8. 10Die Belege, die Gabba a. O. 77 für den gleichzeitigen Aufschwung des Handels anführt, sind nicht schlüssig. Ein solcher Aufschwung ist wahrscheinlich, aber er blieb gewiß weit hinter dem der römischen Ritter zurück. 11 81 ff. 12Sherwin-White. Brunt 104 13Vgl. die sehr beachtenswerte Kritik von Sherwin-White, auch Badian Historia 11, 1962, 224. O.S. 75 ff. 14 Meier

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

das Trennende zwischen Rittern und Italikern stärker gewesen zu sein als die Gemeinsamkeiten. Gabba ist in dieser Hinsicht von der irrigen Annahme bestimmt, die Ritter und Marius hätten damals auf längere Zeit im Bunde gegen die Senatsmehrheit gestanden und in den Italikern einen geeigneten Verbündeten gesehen. Die Quellen bieten für diese Annahme jedoch keinen rechten Anhaltspunkt, vielmehr spricht alles, was wir über Marius und die Ritter wissen, dagegen14. Gegenüber den Bundesgenossen war man sich in Rom im ganzen so einig wie sonst in der Außenpolitik, wobei die Ritter wahrscheinlich zu den entschiedensten Gegnern einer Ausdehnung der civitas gehörten15, da dadurch der Kreis möglicher Konkurrenten bei der Staatspacht außerordentlich erweitert worden wäre undda politische Gesichtspunkte ihnen nichts bedeuteten. Andererseits bestanden zwischen Publicanen und Kaufleuten immer viele Konfliktstoffe. Selbst die römischen Kaufleute hatten unter den Publicanen zu leiden16, wieviel mehr die italischen! Die von den Publicanen repräsentierten Ritter werden also eher dazu beigetragen haben, die Unzufriedenheit unter den alten Bundesgenossen zu steigern. So zeigt sich in interessanter Weise, wie die Wandlungen in der politischen Struktur Roms sich gegenseitig bedingten und –in jenem Zeitpunkt –sogar einander trieben: Die Extensivierung der res publica entstand aus dem Herrschaftsbereich, wirkte umgekehrt dorthin, indem sie wichtige Veränderungen bei Verbündeten (und Untertanen) hervorrief17, die wiederum auf Rom zurückprallten, eine ständig hin- und hergetriebene, ständig wachsende Welle. 14Die gelegentliche Zusammenarbeit zwischen Marius und den Rittern in den Jahren 107 bis 100 hatte besondere Gründe (o.S. 135 ff., vgl. besonders ihre überraschende Stellungnahme gegen Saturninus. Zu dem Interesse der Ritter im Jugurthinischen Krieg o. S. 79f. Sherwin-White a. O., zur Heeresreform Gabba Athen. 31, 1951,192, was aber nichts über die Situation hinaus besagt. Das Seeräubergesetz von 100 [Passerini Athen. 12, 1934, 134f. 17, 1939, 62 ff.] war wohl ritterfreundlich, aber ein Zusammenhang mit Marius ist nicht ersichtlich). Auf keinen Fall hatte sie etwas mit den Italikern zu tun (zu Badians entgegengesetzten Behauptungen: Bonn. Jahrb. a. O. 507. Gegen FC 206,1. 214 auch Taylor, Voting Districts 19,4). Zur Weihung der Italiker auf Delos für Marius (virtut]is beneficique ergo [CIL 3.7241]) Gnomon 36, 1964, 68. In den 90er Jahren finden wir Marius nur noch einmal –beim Rutiliusprozeß (Dio frg. 97.2) –mit den Rittern zusammenwirken, auch das besagt nichts. Wie Marius sich 91 zu den Bundesgenossen stellte, wissen wir nicht (Badian, FC 220. Historia 11, 1962, 224, bringt nur Vermutungen –wobei zu FC 222. 224. 297 zu bemerken ist, daß nicht ganze Landschaften „marianisch“gewesen sein werden). Gegen die Rückschlüsse aus der Haltung der Ritter i. J. 88 u. S. 219. Sehr treffend urteilt m. E. über das Verhältnis des Marius zu den Italikern Heuß, Röm. Gesch. 166. Prop. Weltgesch. 4,213, wobei freilich nichts dafür spricht, daß Marius die ganze „Versöhnungsstrategie“ inspiriert hat. –Vgl. jetzt auch Brunt a. O. 106 f. 15Vgl. Note 12, u. S. 317. 16Vgl. Cic. Q. fr. 1,1,33; auch 7 (graves controversiae, multae ... iniuriae, magnae contentiones). Att. 2,16,4. 17 Dazu gehört ferner die zunehmende Rücksichtslosigkeit der römischen Magistrate und Senatoren (Liv. 42,1,6ff. C. Gracchus bei Gell. 10,3,3 [ORF2 S. 191], Badian FC 148f.

1. M. Livius Drusus’Tribunat, bellum Italicum und bellum Mithridaticum

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C. Gracchus hatte schon –teilweise anknüpfend an einen voraufgegangenen Antrag seines Freundes Fulvius Flaccus18 –die Absicht gehabt, den Latinern das Bürgerrecht und den übrigen italischen sodi die latinitas zu verleihen19. Er wollte sie dadurch gegen Übergriffe der Magistrate sichern und ihnen überhaupt einen angemesseneren Status verleihen20. Teile der Italiker scheinen damals großen Wert auf diecivitas gelegt zuhaben21. Obundwiestark siejedoch danach drängten, ist unklar. Außerdem mußte sich aus der Steigerung der Unzufriedenheit nicht gleich ein aktives Streben nach Änderung ergeben22. Wirklich kräftig und unnachgiebig finden wir die Forderungen der Italiker erst in den Jahren nach 95, undes spricht manches dafür, daß sie es erst infolge der damals erlassenen lex Licinia Mucia –die eine Verhärtung der römischen Politik anzeigte –geworden sind23. Man hatte schon seit längerer Zeit nur noch vereinzelte Italiker in das römische Bürgerrecht aufgenommen24. Jetzt fand man sich auf einmal einer breiten Front gegenüber, und es ist begreiflich, daß viele vor den möglichen Konsequenzen scheuten, die eine erhebliche Vermehrung der Bürgerschaft nach sich ziehen mochte. Andererseits sind die Pläne zur gewaltsamen Erhebung, die die Italiker vorbereiteten25, mindestens: einigen Senatoren in Rom hinterbracht undvon ihnen auch ernst genommen worden. Im Jahre 91 suchte also der Volkstribun M. Livius Drusus, die neue Lage noch im letzten Moment zu bewältigen26. Er faßte den Plan, die Italikerfrage auf einen Schlag mit dem zuletzt wieder brennend gewordenen27 Problem der Gerichtsbesetzung zu lösen28: 300 Ritter sollten in den Senat oder jedenfalls in eine neue Richterliste aufgenommen werden undkünftig zusammen mit den bisherigen Senatoren die Gerichte besetzen29. Gleichzeitig wurde der plebs ein Getreide- sowie ein großO. Anm. 4), die ihrerseits eine Folge der Expansion (und Ausdruck der Lockerung der alten 18Badian FC 177 ff. Bonner Jahrb. 507. 19Badian FC 299f. Ordnung) ist. 20 GCG 41. Badian FC 185f. 299f. Vgl. o. A. 132, 422 mit 65, 8. 21App. 1,87 vgl. 152. 22 Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2, 221. 23 Asc. 54. BJ 507 f. Brunt 92. 95 Zum Inhalt der lex zuletzt Badian FC 214. 297, R. 24Vgl. Badian 168 ff. Bonn. Jahrb. a. O. Die letzte größere Verleihung war erfolgt, als die Magistrate der latinischen Städte samt ihren Nachkommen ex officio die civitas erhielten (nach Tibiletti um 124: Rendic. Ist. Lomb. 86, 1953, 54f. Ebenso Badian 179f., anders Sherwin-White, der diesen Akt in die 90er Jahre des letzten Jhs. datiert: Roman Citizenship 105). 25Vgl. sehr einleuchtend Heuß, Prop. Weltgesch. 4,211. Brunt 92. 107 (m. Vell. 2,15,1). 26Vgl. Cic. dom. 50. de or. 1,26. Badian 215. BJ 508. Nitzsch HZ 7, 1862, 157. 27 O. S. 77. 28Vgl. zum Folgenden den ausgezeichneten Artikel von Münzer (RE 13, 864 f.). 29 Die Überlieferung (GCG 131f.) ist sich in diesem Punkt nicht einig; s. Thomsen Class. et Med. 5. 1942. 18 ff., zuletzt Gabba, Par. d. Pass. 11, 1956, 363f. für das Erstere. Appians Formel läßt offen, in was für eine Liste die 300 Ritter „dazugeschrieben“werden sollten, evtl. handelte es sich also nur umeine Wiederaufnahme der lex Servilia von 106, o. A. 81, ρ ισ τίν δ η νausgewählt werden. Diese Bestimmung 102. Die 300 Ritter sollten nach Appian ἀ ist nicht gleichgültig (o. S. 73 f.), aber es hätten kaum viele der veteres iudices (vgl. Cic. Cluent. 151) Aufnahme in die Liste gefunden. 14*

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zügiges Ackergesetz angeboten (zu dem diejenigen Italiker, die ager publicus occupiert hatten, beitragen sollten)30. Darüber hinaus setzte Livius eine UnEs ist das Wort von ihm überliefert, summe weiterer Vergünstigungen durch. „ er habe keinem mehr etwas zum Verschenken (ad largitionem) übriggelassen, außer wenn einer den Kot oder den Himmel (aut caenum aut caelum) verteilen .31Auf diese Weise sollten die Voraussetzungen geschaffen werden für wollte“ die Verleihung des Bürgerrechts an die Italiker oder –wie man eher vermuten sollte –an die Latiner und des latinischen Status an die übrigen32. Was nun die Motive des Drusus undseiner Ratgeber angeht, so ist es durchaus unwahrscheinlich33, daß sie die Bundesgenossenfrage nur aufgeworfen haben, um mit Hilfe der Italiker den Kampf gegen die Ritter bestehen zu können34. So schlecht war es um den Senat noch nicht bestellt, und vor allem wog diese Frage viel zu schwer, als daß sie nebenbei hätte aufgeworfen werden können35. Eher war es umgekehrt, gehörte also der Versuch, die Ritterschaft zu spalten und zu schwächen –denn darauf lief es hinaus –zu den Voraussetzungen einer Aufnahme der Italiker ins Bürgerrecht. Der Widerstand dieser mächtigen Kreise36 konnte nämlich nicht –wie der der plebs –durch Bestechung überwunden werden. In erster Linie aber sind die beiden Absichten nicht in ihrem Verhältnis zueinander, sondern als Teile einer großen Konzeption zu verstehen: Seit 95 versuchte eine Gruppe von mächtigen principes, den allgemeinen Schlendrian zu beseitigen und ein geordnetes Senatsregime wiederherzustellen. Der princeps senatus M. Aemilius Scaurus undQ. Mucius Scaevola, der Consul von95, wirkten damals offenbar zusammen bei dem Versuch, die Mißwirtschaft der Publi-

30Thomsen a. O. 17, zum Beitrag der Italiker Badian FC 216ff., zum Getreidegesetz Brunt, JRS 52, 1962, 70,10. 31 Auct. vir. ill. 66. Flor. 2,5 (3,17). Vgl. sein Münzgesetz: Plin. n. h. 33,3,46, dazu Cic. off. 3,80, Bennett, Cinna and his times 42f. 32So der Plan des C. Gracchus (Badian FC 299f.). Man konnte damit auf die Dauer der gesamten maßgebenden Schicht der Italiker (die vor allem danach drängte: Gabba 56 ff.) in einem langsamen Prozeß die civitas zukommen lassen. Genauso entsprach es den römischen Interessen, und man konnte vielleicht noch die Hoffnung hegen, daß den Bundesgenossen dieses Entgegenkommen genügte. Eine Spur davon mag sich beim auct. vir. ill. 66 erhalten haben: tribunus pl. Latinis civitatem ... permisit. Ferner: ... Latinorum postu lata. Vgl. auch Liv. per. 71: socios et Italicos populos spe civitatis ... sollicitavit. 33Wie Badian Hist. 6, 1957, 325 ff. FC 215f. Thomsen a.O. 15. ebenso Cic. off. 2,75. Liv. per. 71. Flor. 2,5 (3,17) (offenbar zum Teil ein Niederschlag der damaligen Agitation: Gabba a. O. 45) annehmen. Dagegen auch Brunt a. O. 107. 34Offenbar haben ihn viele Italiker bei den ersten Abstimmungen unterstützt: Flor. 2,5 (3,17), 7. Liv. per. 71. Sen. brev. vit. 6. Diod. 37,2,12. 13,2 (?). 35Da die Tragweite der Sache allen klar war, kann dieser Fall nicht zu denen gezählt werden, in denen, um Geringes zu erreichen, Großes in Bewegung gesetzt wird. 36Vgl. o. Anm. 14. Note 12, u. S. 317. Zu der beabsichtigten Spaltung der Ritter: Heuß, Röm. Gesch. 159.

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canen in der asiatischen Provinz zubeheben37. Zurgleichen Zeit traten Scaevola undsein College L. Crassus –wiederum mit Unterstützung des Scaurus –durch ihr eben erwähntes Gesetz der heimlichen Usurpation des römischen Bürgerrechts durch einige Italiker entgegen38. Dafür sprach nicht nurdas Streben nach juristischer Korrektheit, sondern auch die Gerechtigkeit gegenüber dem Gros der Betroffenen. Beide Maßnahmen führten jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten: Die Ritter verurteilten den wichtigsten Helfer des Scaevola, P. Rutilius Rufus, und unter den Italikern erreichte die Unruhe bedrohliche Ausmaße. Nunstrebte Drusus in umgekehrter Richtung die gleichen Ziele an: Den Publicanen sollten die Gerichte oder jedenfalls die Herrschaft über diese genommen werden, und die Bundesgenossen sollten, mindestens zum großen Teil, das Bürgerrecht erhalten und künftig den Senat –zu dessen Mitgliedern die Angehörigen der maßgebenden Schichten natürlich viele Beziehungen unterhielten – stützen. Scaurus und Crassus werden in den Quellen ausdrücklich unter den auctores des Livius Drusus genannt, man hört nur nicht, ob das für alle seine Pläne galt39. Die Konzeption war weit gespannt und höchst ehrgeizig (wie der, der sie verwirklichen sollte40), aber es ist durchaus wahrscheinlich, daß dies notwendig war. Alle Probleme waren ineinander verzahnt, die Lösung des einen setzte die des anderen voraus, wenn alles zu Gunsten des Senats entschieden werden sollte. Freilich wurden die Schwierigkeiten dadurch außerordentlich erhöht. Das Tribunat des Drusus scheint gleichwohl zu Anfang unter guten Auspicien gestanden zu haben. Er gewann so viel Einfluß, wie wohl kein Tribun je besessen hatte: sowohl die Senatsmehrheit wie das Volk haben ihn nach Kräften unterstützt41. Den Widerstand seiner Gegner konnte er mit Gewalt brechen. So wurden unter anderem die Acker-, Getreide- und Richtergesetze bestätigt. Im Spätsommer jedoch, während er das Bundesgenossen-Gesetz vorbereitete, wurde sein Tribunat –nach Cicero –„gelähmt und entkräftet“.42 Nach einigen Wochen erwies sich die Koalition seiner Gegner selbst innerhalb des Senats als stärker43. Außer den Rittern, die unter der Führung des Consuls L. Philippus und des Q. Caepio, Drusus’ persönlichen Gegners44, von vornherein in heftigster Opposition zu ihm gestanden hatten, waren zuletzt auch Teile der Italiker –besonders Großgrundbesitzer aus Etrurien und Umbrien – 37 Badian, Athen. 34, 1956, 104 ff. Vgl. Note 15, S. 318 f. 38O. Anm. 23, Fraccaro, Opusc. 2, 133f. 39 Cic. dom. 50. Asc. 24, vgl. de orat. 3,1. Cichorius Röm. Stud. 116 ff.; Bonn. Jahrb. 161, 1961, 508; ferner Note 12, u. S. 317. Für den Kreis um Livius Drusus vgl. die Vermutungen von Gabba, Annali Sc. Norm. Sup. Pisa 33, 1964, 3ff. Vgl. Note 14(3), u. S. 318. 40Vgl. auct. vir. ill. 66,1– 2. Flor. 2,5 (3,17) 4. Münzer RE 14, 861. 41Senat: Cic. Mil. 16. de orat. 1,24. Liv. per. 70. Sall. ep. ad Caes. 2,6,4. Flor. 2,5 (3,17). Volk: Plin. n. h. 25,5,52. Liv. per. 71. 42 de orat. 1,24. 43GCG 134 f. Ferner App. 1,162. Vell. 2,13. Sall. ep. ad Caes. 2,6,4. auct. vir. ill. 66 Plin. n. h. 25,5,52. 44 Badian Historia 6, 1957, 318 ff. Zu Philippus vgl. FC 217,4.

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gegen Drusus aufgetreten45. Seine Gesetze wurden daraufhin vom Senat annulliert, der Bundesgenossen-Antrag nicht mehr eingebracht oder wenigstens nicht mehr zur Abstimmung gestellt46, Drusus selbst kam wenig später auf nie geklärte Weise um47. Daß die Lösung des Livius Drusus in der stark extensivierten res publica hätte von Dauer sein können, läßt sich gewiß nicht behaupten. Da dieser großartige, wahrhaft staatsmännische Plan aber scheiterte, wurde alles viel schlimmer, als es gewesen war. Die Teile der res publica, die der Tribun hatte neu zusammenbinden wollen, strebten nur noch heftiger auseinander. Zum ersten Malergab sich, wassich in der folgenden Zeit immer wieder als geradezu grundlegende Tatsache der Politik erweisen sollte, daß nämlich die gefährlichsten Übel der res publica durch den Versuch einer Heilung im Endeffekt nur gesteigert wurden48. Die schlecht integrierten Teile der res publica, die sich in der Regel im Rahmen des Gefälligkeitsstaats und des Niemandem-Wehe-Tuns zufrieden gaben, bäumten sich auf, sobald der Schlendrian zu Gunsten eines gefestigten und entschieden praktizierten Senatsregimes bedroht wurde. In diesem Fall kam hinzu, daß zunächst die gratia nimia des Tribunen49 und die Art, in der er von ihr Gebrauch machte50, Ärger erregte unddaß man fürchtete, er werde durch sein maximum beneficium für Latiner und Italiker eine fast monarchische Machtfülle gewinnen51. Da wurden denn alle anderen Probleme und Kontroversen in den Schatten gestellt von dem Gegensatz zwischen der eigenwilligen, unkonventionellen, kräftigen Einzelpersönlichkeit und der Senatsmehrheit. Da fiel es kaum mehr ins Gewicht, daß Drusus doch patronus senatus hatte sein wollen (und gewesen war)52, da rückte er vielmehr in die Nähe der Gracchen (und unterlag dann auch der gleichen Versuchung wie sie, das Herrische seines Aristokratentums übermäßig nach außen zukehren53) undkonnte desStrebens nach der Tyrannis verdächtigt werden. Dabei war Livius besonders verwundbar, da er sich vornehmlich auf den Senat gestützt hatte. Die gleiche Problematik zwischen großer Persönlichkeit und Senat begegnet in anderer Form wieder bei Sulla, nur daß dieser den Vorteil hatte, sich mit Hilfe seiner Armee durchsetzen zu können. Danach rückte die Figur des großen Einzelnen ganz ins Zentrum der politischen Problematik, so daß alle überragenden unkonventionellen mächtigenPersönlichkeiten vomSenat verdächtigt undbefehdet wurden undhöchstens, sofern sie weniger gefährlich erschienen als andere, sich noch mit diesem ver45 App. 1,162 ff. Badian FC 217 ff. Historia 11, 1962, 226. Vgl. E. Marcks, Die Überlieferung des Bundesgenossenkrieges 91– 89 v. Chr. Diss. Marburg 1884,9. Zumal Brunt 94 f. 46 Liv. per. 71. Vell. 2,14. App. 1,155 (mit Gabbas Kommentar). De Martino, Labeo 8, 1962, 17. 47GCG 135f. 48 Vgl. u. S. 262 ff. 301 ff. 49 auct. vir. ill. 66. 50 Vgl. Vell. 2,14. Val. Max. 9,5,2. 51 Sall. ep. ad Caes. 2,6,1.4. 52 Diod. 37,10. Vgl. Cic. Mil. 16. de orat. 1,24. 53Vgl. o. S. 98. Die betreffenden Szenen (Anm. 50) gehören wohl alle in die Endphase des Tribunats, s. auch Diod. 37,10.

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binden konnten. Die ganze Schwäche und das Versagen des Senats zeigt sich aber am deutlichsten bei Livius Drusus, der vor dem Bürgerkrieg und mit herkömmlichen Mitteln wirkte und der doch beim Senat nicht die nötige Unterstützung fand, weil die Probleme sogroß waren, daß der, dersie anpackte, von besonderer Art sein mußte und einen Machtgewinn erzielte, den der Senat nicht ertragen konnte; das heißt, weil die Probleme die Kapazität des Senatsregimes überstiegen. Daß für viele der Senatoren angesichts der Macht der entgegenstehenden Interessen auch Bequemlichkeit –mit der Illusion, daß man noch alles beim alten lassen könnte –und private Motive stärker waren als das gemeinsame Interesse des Hauses, war nur eine andere Seite der gleichen Erscheinung53a.

Nach Drusus’Tod gaben die Italiker alle Hoffnungen auf undbegannen den Krieg. Da aber machten sich dieinnenpolitischen Konsequenzen des Reformversuchs geltend: Die Ritter nutzten, alarmiert durch die gerade vorübergezogene Gefahr und in hemmungsloser Wut, die Schwierigkeiten des Staates aus, um gewaltsam durch eine lex Varia die Einrichtung einer neuen quaestio durchzusetzen, mit der sie die entschiedensten Verfechter der senatorischen Politik zu Fall zu bringen hofften: Es sollten diejenigen vor Gericht gestellt werden, mit deren Hilfe oder Rat die Bundesgenossen die Waffen gegen das römische Volk ergriffen hätten. Die Geschworenen sollten aus dem Ritterstand genommen werden54. Nachdem dadurch einiges Unheil angerichtet worden war, glückte es demSenat 89, die Rittergerichtsbarkeit insgesamt wieder abzuschaffen, freilich nicht unmittelbar zu seinen Gunsten, sondern dadurch, daß er die Bestellung der Richter auf die tribus übertragen ließ55. Der Aufstand der Italiker aber, der mit äußerster Erbitterung geführt wurde, beschwor nicht zufällig eine andere große Gefahr herauf. Als ihre Lage immer ungünstiger wurde, riefen die Entschlossensten unter ihnen, die den Krieg weniger zur Aufnahme ins römische Bürgerrecht als zur Vernichtung der alten Feindin führten56, den König Mithridates zur Hilfe. Dieser hatte ohnehin schon die Absicht gehabt, sich die Not derStadt zunutze zumachen. Aber Rom hatte Glück: Er war mit seinen Rüstungen noch nicht fertig. So lehnte er die Aufforderung fürs erste ab; viele Italiker gaben den Kampf auf57. Nach zwei Jahren voll entsetzlicher Mühen underheblicher Zugeständnisse konnten darauf wenigstens weite Teile der Halbinsel befriedet werden. Doch die Samniten und 53a S. Note 14(4), u. S. 318. 54 S. Note 12, u. S. 317. 55 Asc. 61 (GCG 151). Vgl. Gabba, Annali Sc. Norm. Sup. Pisa 33,1964,6. 56 Diod. 37,2,12. GCG 283 f. Zur Datierung Gardiner CAH 9, 194 f. Diese mußten im Laufe des Krieges in den Vordergrund kommen, zumal nachdem Rom die ersten Konzessionen gemacht hatte. Vgl. allg. Balsdon, Sherwin-White a. O. (mit vielleicht zu weit gehenden Rückschlüssen von dieser späten Phase auf den Anfang des Krieges), sowie Sydenham, Coinage of the Roman Republic, 1952, 89 ff. Voirol, Gazette Numism. Suisse 1953/4, 64 ff. (zitiert nach Badian, Historia 11,1962,227). S. Note 14(5), u. S. 318 57 Diod. a.O. (GCG 167). Zum Anlaß des Krieges App. Mithr. 35ff.

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Lukaner waren noch unter den Waffen, als Mithridates dann 88 in die Provinz Asia einfiel und von dem gnadenlos ausgebeuteten Lande mit Jubel empfangen wurde. Er ließ an einem Tage alle dort befindlichen Römer und Italiker –man spricht von 80 000 –umbringen und machte sehr bald auch Anstalten, nach Griechenland überzusetzen58. Indem die Mißwirtschaft, die die Publicanen und viele Senatoren in den Provinzen betrieben, diesen Krieg, wenn nicht mit hervorrief59, so doch gefährliche Ausmaße annehmen ließ, war er auf andere Weise eine Folge der starken Extensivierung der res publica. Seine bedeutendste Wirkung aber war, daß er neuen Sprengstoff in die inneren Auseinandersetzungen hineintrug und dadurch im Endeffekt die innere Situation in Rom wesentlich verschärfte.

* Die schwierige Situation am Ende der 90er Jahre entstand also mindestens zumwesentlichen Teil einerseits aus der starken Extensivierung der res publica und andererseits infolge der seit 95 einsetzenden Versuche, deren Auswirkungen zu überwinden. Als die Forderungen der Italiker höchst dringend wurden und die Publicanen sich energisch zur Wehr setzten, versuchten führende Senatoren 91 noch einmal auf andere Weise, der Dinge Herr zu werden. Aber die starke Extensivierung schuf nicht nur Probleme, sondern setzte jetzt auch ihrer Lösung größte Hindernisse entgegen. Die Befriedigung der Italiker wurde gerade durch die Macht der Ritter zugleich notwendig und schwierig. Man mußte alle Übel auf einmal anpacken undscheiterte damit, zumal der Senat der sehr hohen Aufgabe nicht gewachsen war. Das Ausmaß derbetroffenen Interessen war aber sogroß, daß der Fehlschlag des Reformversuches verhängnisvolle Folgen nach sich zog. Vor allem brachte die außerordentliche Gefahr zunächst des Krieges gegen die alten Bundesgenossen und dann der Offensive desMithridates die inneren Gegensätze statt zum Verstummen zum offenen, harten Austrag. 2. DIE KOALITION EINIGER SENATOREN MIT RITTERN UND NEUBÜRGERN GEGEN DEN SENAT

Nach kurzer Unterbrechung im Jahre 89 hat die Aufnahme der meisten Italiker ins Bürgerrecht die inneren Kämpfe in Rom wieder angefacht und außerordentlich verschärft. Es stellte sich nämlich dieFrage, wiemandie neuen Bürger auf die tribus verteilen sollte. Wären sie gleichmäßig in die schon bestehenden eingewiesen worden, so hätten sie diese majorisieren können. In der Regel gab sich kein Anlaß dazu, zumal die alten Gastverhältnisse und anderen Bindungen zwischen ihnen und dem Senatsadel sich gewiß bald wieder belebt 58 GCG 167 ff. 59

GCG 159.

2. Die Koalition einiger Senatoren mit Rittern und Neubürgern

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hätten60. Aber nach der Entfremdung in den Jahren des Krieges war es doch nicht ausgeschlossen, daß sie in der einen oder anderen Situation ihr Gewicht entscheidend in die Waagschale warfen, und auf jeden Fall mußte der Einfluß des Senatsadels und der alten Bürger durch ihre gleichberechtigte Aufnahme in die Stimmabteilungen geschmälert werden. Deswegen war mit Zustimmung der Senatsmehrheit gesetzlich festgelegt worden, daß für die Italiker wenige neue tribus einzurichten seien61. Dagegen beantragte nun im Jahre 88 der Volkstribun P. Sulpicius Rufus, sie gleichmäßig auf die bisherigen 35 tribus zu verteilen 62. Sulpicius war einer der begabtesten jungen Aristokraten, war ein Freund des Livius Drusus gewesen63 und hatte in guten Beziehungen zu mehreren principes gestanden. Mit seinem Antrag wollte er wohl ein Vermächtnis des Drusus erfüllen. Jedenfalls war es ihm völlig klar, daß es nicht anging, das nach harten Kämpfen unter Druck gewährte Bürgerrecht in seinem politischen Wert gleich wieder stark zu mindern. Das mußte böses Blut schaffen, es mochte neue Kämpfe heraufbeschwören, es schickte sich einfach nicht. So sollte der Antrag des Sulpicius einen wesentlichen Schritt zur Integration der Italiker erzwingen. Aber so lauter und gut die Motive des Tribunen vermutlich waren, sein Antrag mußte mit hohem Machtgewinn verbunden sein. Mankann ihn deswegen nicht isoliert betrachten, sondern muß seine Bedeutung innerhalb der innenpolitischen Gegensätze der Zeit auszumachen suchen. Eduard Meyer hat geschrieben, der Schlüssel zumVerständnis desTribunats des Sulpicius liege darin, daß dieser den Rittern die verlorene Stellung wieder verschaffen wollte64. Er weist darauf hin, daß diese im Jahre 89 schon die Gerichte verloren hatten und nun zusammen mit einer Gruppe von Senatoren die Gelegenheit wahrnahmen, ihre Macht mit Hilfe politisch interessierter Italiker – welche sich durch das Verhalten des Senats verletzt fühlten –sicherer zu begründen. Zieht man von dieser Äußerung ab, daß Sulpicius sicher nicht einfach einWerkzeug derRitter war, undbedenkt man,daßeshöchstens eine Führungsschicht der Ritter, vornehmlich Publicanen, gewesen sein kann, die hier wirkte, so scheint Ed. Meyer etwas sehr Richtiges getroffen zu haben65. Die in der Politik engagierten Teile des Ritterstandes mußten durch die wiederholten 60 Vgl. Cic. Phil. 12,27. Badian 219. 250f. 61 GCG 142. 152. 162f. Zu den Problemen, die die zum Teil widersprüchlichen Berichte der Quellen uns aufgeben, sowie den Einzelheiten s. zuletzt L. R. Taylor, Voting Districts 101ff. 62GCG 162ff. 63Cic. de orat. 1,25. 64 Kl. Schr. 12, 415,1 (vgl. Tac. ann. 12,60,3f. K. W. Nitzsch, Gesch. d. röm. Republik 2,120. Gelzer, Kl. Sehr. 1,179). 65Für die Zeit vor 91 hat er jedoch den politischen Ehrgeiz der Ritter (o.S. 75 ff.) und die Möglichkeiten des Marius weit überschätzt. Brunts Erwägungen a. O. (o. A. 65,5) 128f. scheinen dagegen in die Irre zu gehen. Der Ritterstand von damals ist mit dem von 49 nicht zu vergleichen. Daß gleichwohl viele Ritter auf Sullas Seite standen, ist nur eine

Banalität.

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Versuche, ihnen die Gerichte zu nehmen und überhaupt: sie aus der erreichten Stellung im Staat herauszudrängen, zutiefst beunruhigt und daher veranlaßt sein, alles zu tun, um ihren Einfluß wiederherzustellen und zu sichern. Wir γ ϰ η λ ύ τισ ν hören denn auch, daß Sulpicius ein Gefolge von 600 Rittern, das er ἀ ι, alsoeine Art Leibwache bezeichο τ ο ςnannte, besaß. Da diese auch als δορύφ ρ ο net werden66, ist anzunehmen, daß es sich vornehmlich um jüngere Herren handelte. Aber das schließt nicht aus, daß vielfach auch ältere Repräsentanten des Standes zu ihnen stießen67 und daß unter ihnen vor allem deren Söhne sich befanden, um dem Tribunen Unterstützung zu leihen und zugleich den Anspruch ihres Standes zu dokumentieren. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Liste der zwölf Bürger, die Sulla nach seinem Marsch auf Rom zu hostes erklären ließ. Zehn von ihnen sind namentlich bekannt: Neben Marius, seinem Sohn und Sulpicius zwei weitere nobiles, der Praetor von 88, M. Junius Brutus, und der junge P. Cornelius Cethegus; die übrigen fünf aber gehörten Familien an, die uns wenig oder gar nicht bekannt sind; für die zwei anderen, gewiß am wenigsten prominenten, wird das gleiche gelten68. Zwei dieser Herren, die Brüder Granii ausPuteoli, sind sicher Ritter undVertreter ritterlichen Interesses gewesen, ein dritter, Q. Rubrius Varro, ist als accusator bezeugt undhatte sich gewiß bei den Prozessen nach der lex Varia hervorgetan69. Unter ihnen τ ο ςbefunden haben; und η λ ϰ γ ύ τισ ν müssen sich die Führer des sulpicischen ἀ nach ihrer Verbannung bemühte sich ein Kreis von Damen und Herren, als deren vornehmstes Merkmal ihr Reichtum genannt wird, ihre Rückkehr zu erwirken70. So ist zu vermuten, daß die weniger bekannten unter den zwölf Verbannten zumeist Exponenten jener ritterlichen Kreise waren, die damals zur Macht strebten. Für ihre Verbindung mit einer einflußreichen Gruppe unter den Neubürgern spricht, daß der gleiche Kreis der „Freunde der Verbannten“ im Jahre 87 den Consul Cinna für die Verteilung der Italiker auf alle tribus zu gewinnen suchte71. DieGruppe vonSenatoren, die in denfolgenden Jahren mit Cinna zusammenarbeitete72, und die Schichten, auf die sie sich vornehmlich stützte, müssen im 66 Plut. Mar. 35,2. Sull. 8,3 (vgl. Caes. 8,2. Strasburger, Concordia Ordinum 40). Badians Zweifel an der Bezeichnung „Gegensenat“(FC 234,1) überzeugen mich nicht. Vgl. auch Cic. de orat. 3,2 (Val. Max. 6,2,2). Vgl. u. Anm. 101. 67 Vgl. Cic. Att. 2,1,7 (Atticus i. J. 63), Cluent. 153 (C. Flavius Pusio, Cn. Titinius, C. Maecenas u. a. i. J. 91. Rab. Post. 16). 68 Die Namen: App. 1,271. 280. Cic. Brut. 168. Vgl. Pais, Ricerche sulla Storia 2,340 ff., dessen Vermutungen sich aber zum Teil nicht halten lassen. 69 Zu den Granii vgl. RE 7, 1817 ff., Syme, Rom. Rev. 90f., zu Rubrius: Cic. a. O. (vgl. u. Anm. 300). Die beiden übrigen: M. Laetorius, P. Albinovanus (vgl. Pais). 70 App. 1,282, zu den Damen die Vermutung von Carney, A Biogr. of Marius 60,265. 71 Ebd. 287. 72App. 1,302 erwähnt π ο λ λ ο ὶϰ α ὶτῶ νἐ ώ νῬ η μ δ υ ν α τῶ νunter denen, die 87, als er zum Marsch auf Rom rüstete, zu Cinna kamen. Einer davon war Q. Sertorius (Plut. Sert. 4,7).

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ganzen die gleichen gewesen sein wie bei Sulpicius. Cicero nennt die Cinnaner einmal homines novi73. Diese Bezeichnung trifft zwar auf die Consuln außer Norbanus74 und die meisten der wenigen uns namentlich bekannten Magistrate nicht zu, muß arg übertrieben sein, wird aber den relativ großen Anteil neuer Männer in den niederen Magistraten richtig kennzeichnen75. An einer anderen Stelle läßt Cicero das cinnanische Regime durch equester splendor charakterisiert sein76, womit er sowohl das Aufrücken vieler Ritter in die Ämter wie vor allem den Einfluß der Führer des Standes auf die gesamte Politik zu meinen scheint. Endlich bezeugt Asconius ausdrücklich: equester ordo pro Cinnanis partibus contra Sullam steterat und fügt hinzu, sie seien wegen der großen Gewinne, die sie damals erzielt hätten, saccularii genannt worden77. Was wir über den Kreis der von Sulla Proscribierten hören, bestätigt dieses Zeugnis vollauf78. Inzwischen hatten also die Fronten gewechselt: War die Aufnahme der Italiker ins Bürgerrecht den Rittern wesentlich unangenehmer gewesen als der Senatsmehrheit, so waresbei demProblem ihrer Verteilung auf dietribus umgekehrt; so lag es jetzt für die politisch Interessierten unter den Rittern nahe, ihrerseits die Italiker durch ein maximum beneficium79 zu gewinnen, um dadurch gegen die Senatsmehrheit mächtiger zu werden80. Darin lagen auch für Sulpicius ausgezeichnete politische Chancen. Was wäre die Folge gewesen, wenn Sulpicius’Gesetz nicht von Sulla annulliert worden wäre? Die Ritter wären gestärkt worden und hätten vermutlich die Gerichte zurückgewonnen; neue heftige Auseinandersetzungen hätten sich entsponnen, unddie respublica wäre labiler geworden. Es hätte wohl mit einer Verschärfung der Wahlkämpfe und einer Vergrößerung der Chancen von 73Verr. 2,1,35. Teilweise das Gleiche meint er Brut. 227, wo er die cinnanische res publica: sine iure et sine ulla dignitate nennt (vgl. Tac. ann. 11,22,6. Cic. Rosc. Am. 8. 136). 74Norbanus fehlt begreiflicherweise unter den von Cicero genannten Vorgängern (Gelzer Kl. Schr. 1,59f.). Er könnte aber sehr wohl in ihre Reihe gehören (vgl. Münzer Hermes 67, 220 ff.). 75Bekannt als Neulinge (und Neubürger) sind die beiden Söhne des Minatus Magius aus Aeclanum, die es damals bis zur Praetur brachten (Vell. 2,16,3). Ein anderer homo novus war Q. Sertorius, pr. 83 (Plut. 2,1), vielleicht Burrienus, pr. 83, C. Carrinas, pr. 82, Hirtuleius, qu. 86 (?), L. Critonius, aed. 83 (?), die –soweit wir sehen –als erste aus ihren Familien in den Senat kamen. Aber die Namen besagen wenig, zumal immer mit einem gewissen Anteil von Neulingen in den unteren Rängen des Senats gerechnet werden muß. 76 Rosc. Am. 140. 7766,19. Vgl. die Deutung Hills, The Roman Middle Class 146 und Carneys a. O. 67. 78 U. S. 253 f. 79So Sall. ep. ad Caes. 2,6,4 über Livius Drusus. 80 Heuß hält es (Prop. Weltgesch. 4, 217) für möglich, daß sich Sulpicius auf ungefähr dieselben Ritter stützte wie 91 Livius Drusus. Das heißt aber wohl die Parallele zu weit ziehen, die Verschiedenheit der Situationen und auch die Tatsache verkennen, daß Sulpicius aus den Erfahrungen von 91 gelernt hatte. Wenn einer die ritterliche Politik verkörperte –und entsprechend zu den Freunden des Sulpicius gehörte – , so war es der Kreis um die veteres iudices, und gerade gegen die richtete sich doch offensichtlich Livius Drusus.

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homines novi aus Ritterstand und Neubürgern gerechnet werden müssen81. Aber deswegen wäre die Macht des Senats und seiner Führungsschicht noch nicht am Ende gewesen82. Wenn die ersten Folgen der Entfremdung und Erbitterung zwischen Senat und Rittern, Römern und Italikern durchgestanden gewesen wären, hätte wohl eine neue Beruhigung eintreten können83. Aber das

ist wieder vom fernen, sicheren Standpunkt des Historikers aus geurteilt: von weitem undaufs ganze gesehen nehmen sich die Dinge anders aus, als wenn man mitten in ihnen steht und der drohende Machtverlust den Blick auf weite Perspektiven verstellt. Gleichwohl wird man hier wohl einmal sagen dürfen, daß der Senat damals kurzsichtiger handelte als es nötig war. Er hatte inzwischen bedeutende principes verloren und scheint durch die vorangegangenen Ereignisse etwas kopfscheu geworden zu sein. Da Sulpicius sich aber einmal gegen den Senat durchsetzen mußte, brachte er zugleich andere Gesetze ein, die ihm Anhang gewinnen sollten oder angebracht schienen. So beantragte er, daß auch die Freigelassenen gleichmäßig auf die tribus zu verteilen seien84, daß ein Senator, der mehr als eine bestimmte Summe Schulden habe, aus der Senatsliste zu streichen sei85. Vor allem verband er sich –vermutlich schon am Anfang des Tribunats, spätestens jedoch in der kritischen Zeit, als seine Anträge zur Debatte standen86 –mit demalten Abgott 81Viele Neubürger wohnten gar nicht weit von Rom in Latium, Campanien, Etrurien und Umbrien. Unter den homines novi der Zeit (o. Anm. 75) stammten mindestens die Minati Magii aus ihren Reihen. Vgl. allg. Gabba, Athen. 32 1954, 101 ff. 82Nichts spricht z. B. dafür, daß die Italiker eine repräsentative Körperschaft nach dem Muster ihres improvisierten Rats in Corfinium an die Stelle des Senats hätten setzen wollen (dazu Gelzer, Kl. Schr. 1, 246, 43 und die neuere Behandlung von H. D. Meyer, Historia 7, 1958, 74 ff.). 83Ed. Meyer a. O. hat die Absichten des Sulpicius und der Ritter sicher übertrieben. 84 Liv. per. 77. 85O. A. 83, 115. Andere Deutung Heuß, Prop. Weltgesch. 4, 216 („ ein Hieb gegen Sulla persönlich“ ). Das Gesetz fehlt in der Aufstellung RE Suppl. 10, 599ff., wo es wohl unter der Rubrik B 2 einzuordnen gewesen wäre. 86Badian FC 232 ist für den späten Termin. Diese Annahme beruht aber auf seiner Ansicht, Sulpicius habe seine Pläne als Verbündeter der „Meteller“gefaßt. Wir wissen jedoch weder etwas von der Existenz einer metellischen Faktion in dieser Zeit (Bonn. Jahrb. 161, 1961, 508f.) noch davon, daß die guten Verbindungen, die der Tribun ursprünglich nach vielen Seiten unterhalten hatte, zur Zeit des Tribunats noch bestanden oder mindestens: daß sie mit seinen Plänen zu tun hatten. Andererseits braucht das Zusammenwirken mit Marius angesichts der Bewerbung des C. Caesar Strabo –das durch Diod. 37, 2,12 wahrscheinlich ist –keineswegs zufällig gewesen zu sein. Die Affaire ist schwer zu enträtseln, aber es ist immerhin interessant, daß ein Tribun die widerrechtliche Bewerbung eines Aediliciers verhindern muß, woein starker Consul –Pompeius Strabo! – , der überdies ein Heer bei sich hatte (Badian 231,5), die Wahlen leitete. –Für Badian könnte der Wechsel in der Haltung sprechen, die Sulpicius zur Rückberufung gewisser Verbannter einnahm (Rhet. ad Her. 2,45). Aber wir wissen nicht, worum es sich da handelte. Wenn es um Verurteilte nach der lex Varia gegangen sein soll (= quibus causam dicere

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des Volkes und Retter des Vaterlands C. Marius. Dieser verlangte dafür aber als Gegenleistung das Kommando gegen Mithridates, das heißt: Sulpicius sollte dieses durch Volksbeschluß dem Consul Sulla, der es bei der Verlosung der Amtsbereiche87 ordnungsgemäß erhalten hatte, wegnehmen und auf Marius übertragen lassen. Soviel wir sehen, war dieser Antrag ohne Beispiel88, und er bedeutete jedenfalls einen gefährlichen Eingriff der Volksversammlung in die Exekutive. Sachlich gab es nicht den geringsten Anlaß dafür, da Sulla sich militärisch mehrfach rühmlich ausgezeichnet hatte. Offenbar war Marius von einem versengenden Ehrgeiz angetrieben89. Wenn er aber alle inneren und äußeren Hemmungen überwinden konnte, so scheint dies wesentlich in der Situation begründet gewesen zu sein. Einerseits entsprach sein Wunsch wohl den Interessen der Publicanen, die von ihm mehr Entgegenkommen in ihrer asiatischen Domäne erwarten konnten als von Sulla90, andererseits aber waren die Gegensätze, die damals aufgerissen wurden, so tief und kraß 91,daß sie mit einer gewissen Folgerichtigkeit alle bedeutenden politischen Fragen in ihren Bann ziehen mußten. Darin lag Marius’Chance, von daher muß der Antrag des Sulpicius beurteilt werden, der dann bald nach demNeubürgerGesetz ratifiziert wurde. Sulla aber weigerte sich, diesen Beschluß anzuerkennen, marschierte mit seinem Heer auf Rom und eroberte die Stadt. In Folge davon brach dann zu dem noch immer nicht ganz beendeten bellum Italicum unddemdrohend sich ausweitenden bellum Mithridaticum als drittes das bellum civile aus92.

* Daß ein so gefährlicher Krieg, wie das bellum Italicum, in dem ein Teil der Armeen, die Roms Weltherrschaft begründet hatten, gegen den anderen antrat, Krisen im Herrschaftsbereich nach sich zog, warbei demGrad an Labilität und Mißwirtschaft, den die res publica damals erreicht hatte, wahrscheinlich93. Ebenso, daß über einem Problem, dessen Lösung die inneren Machtverhältnisse entscheidend bestimmen mußte, erbitterte Auseinandersetzungen ausbrachen. Aber es war dabei doch bemerkenswert, daß Rom einerseits Kraft und Glück genug hatte, um mit den äußeren Krisen relativ schnell fertig zu werden, und daß auch ein für den Senat ungünstiger Ausgang jener Auseinandersetzungen die politische Struktur der res publica kaum wesentlich verwandelt hätte. An non licuisset?), so müßte man annehmen, daß zunächst die Ritter gegen deren Rückkehr waren, später die Neubürger –oder andere –sich zu ihren Gunsten durchsetzten. 87 App. 1,241. Vgl. Heuß, Röm. Gesch. 167. 88 O. Anm. 140, 471. 89Plut. Mar. 33f. (nicht durchweg Marius feindlich: 32,3). Sulla 7. 90 Badian FC 233. Vgl. Ed. Meyer, Kl. Schr. 12,415.1. 91 Vgl. u. Anm. 101. 92Oros. 5,19,1: Nondum finito sociali bello Romae primum bellum civile commotum est, eodemque anno Mithridaticum bellum etsi minus infame non tamen minus grave coeptum est. Vgl. Diod. 37,2,12 ff. für den Zusammenhang der drei Kriege. 9386 oder 85 folgte auch noch ein Thraker-Einfall (Liv. per. 82. Broughton MRR 2, 58).

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sich bestand also noch gute Aussicht darauf, daß Rom selbst die schweren Erschütterungen, die in mittelbarer Folge des Tribunats desLivius Drusus eingetreten waren, glimpflich hätte überstehen können. Dann jedoch wurden alle Verhältnisse tief verwandelt durch den Ausbruch des Bürgerkrieges. 3. DER BÜRGERKRIEG

a) Sullas Marsch auf Rom und der erste Bürgerkrieg Unsere Quellen sind leider zu dürftig, widerspruchsvoll und unpräzis, um eine genaue Rekonstruktion der Vorgänge, die Sullas Marsch auf Rom voraufgingen, zuzulassen. Wir wissen, daß Sulla und sein College Q. Pompeius Rufus angesichts der Anträge des Sulpicius ein langfristiges iustitium erlassen hatten, durch das unter anderem die Abhaltung von Volksversammlungen rechtens unmöglich wurde. Sulpicius bedrohte jedoch die Consuln mit Gewalt –der Sohn des Pompeius, Sullas Schwiegersohn, wurde auf offener Straße ermordet –und zwang Sulla zur Aufhebung des Edikts94. Nach Appian begab sich Sulla darauf zu seinem Heer, während Sulpicius denAntrag zuGunsten der Neubürger und ς ) die Betrauung des Marius mit dem Oberbefehl im Osten ύ ϑ ὐ gleich darauf (ε Appian fügt hinzu, daß Sulla, als er Rom verließ, noch nicht durchsetzte95. wußte, wasSulpicius undMarius gegen ihn imSchilde führten. Plutarch scheint diese Version an einer Stelle zu bestätigen96, läßt aber an einer anderen –wohl auf Grund einer anderen Vorlage oder eigener Kombination –Sulla bis zur Abstimmung über den Oberbefehl des Marius in Rom bleiben und dann mit knapper Not vor dessen97 Offizieren bei seiner Armee eintreffen98. Sicher ist jedenfalls, daß Sulla erst, als er das Kommando gegen Mithridates verloren hatte, vor seine Soldaten trat und sie mit so geschickten Argumenten bearbeitete, daß sie ihn aufforderten, ja nötigten, sie auf Rom zu führen99. Das bedeutet freilich, auch wenn Wochen zwischen der seditio des Tribunen unddemMarsch auf Romverstrichen, noch nicht, daß die Wegnahme desOberbefehls das einzige oder nur hauptsächliche Motiv für den folgenreichen Entschluß Sullas war. Sie warnur insofern die Voraussetzung dazu, als die Soldaten kaum allein wegen der Ungesetzlichkeiten des Sulpicius und der schmachvollen Behandlung des Consuls zum Eingreifen in die Innenpolitik hätten veranlaßt werden können. Ob Sulla diesen Schritt zu tun versucht gewesen wäre, wenn nicht die für ihn tief verletzende100 persönliche Beleidung alle Hemmungen überwunden hätte, wissen wir nicht. 94 GCG 163f. 95 1,248f. 96 Sulla 7,3. 97 Wörtlich: den von Sulpicius gesandten (8,8). 98 Ebd. 8f. Unklar: Marius 35. 99 App. 1,250 ff. Plut. Mar. 35,6. Er marschiert mit vier von sechs Legionen auf die Stadt: Oros. 5,19,4, Wiehn, Die illegalen Heereskommanden, Diss. Marburg 1926,5. 52 ff. 100 App. 1,251 (vgl. übr. Caes. b. c. 1,7,1).

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Andererseits ist aber zu betonen, daß die Übertragung des Oberbefehls an Marius nicht nur persönliche Bedeutung für Sulla hatte. Sie verzögerte vielmehr die dringend gewordene Verteidigung im Osten und war als gefährliche Machtanmaßung der Volksversammlung umso bedenklicher angesichts der Radikalisierung der politischen Auseinandersetzungen101 –deren Ausdruck sie war – sowie der Gefahren, die durch das Neubürger-Gesetz heraufbeschworen worden waren. Mankonnte wirklich meinen, es mit perniciosae leges zu tun zu haben102. Undzum ersten Malwarzubefürchten, daß derSenat nicht amEnde mächtiger war als der aufrührerische Tribun, das heißt die Ergebnisse eines großen Tribunats durch senatus consultum ultimum aufheben konnte. Als einer der ihm entgegengeschickten Gesandten Sulla fragte, warum er gegen seine Vaterstadt heranrücke, antwortete er: um sie von den Tyrannen zu befreien103. Nach umdie Rechtsgültigkeit der Cicero entbrannte der offene Kampf mit Sulpicius „ Gesetze, von denen Sulla sagte, sie seien mit Gewalt durchgebracht worden“104. Das waren die offiziellen Parolen. Aber so wenig man bei Sulla die Kraft persönlicher Antriebe unterschätzen sollte: spielte nicht die Tatsache, daß er für die Sache des Senats antrat, im Haushalt seiner Motive eine entscheidende Rolle? War es selbst dem innerlich unabhängigsten Römer dieser Zeit schon möglich, ohne eine solche Überzeugung mit einer Armee auf Romzu marschieren undin die durch die sakrale Stadtgrenze abgesteckte bürgerliche Friedenszone einzudringen? Wie man diese Fragen aber beantworten mag, ob er mehr von den persönlichen oder mehr von den sachlichen Motiven bestimmt gewesen ist, so steht jedenfalls fest, daß es Sulla um die Bekräftigung des Senatsregimes sehr dringend zu tun war105. Dafür sprachen damals in erster Linie die Reformen, die er –nach Annullierung der Gesetze des Sulpicius –in Romins Werk setzte. Er bestimmte vor allem, daß Gesetze künftig nur noch mit Genehmigung des Senats und nur durch die comitia centuriata beschlossen werden dürften106. Ferner ließ er beschließen, dendurch dieVerluste des Krieges dezimierten Senat ρ ἀ ν ῶ ω ν δ τ νzu erweitern. Er wollte also –indem er teilweise ίσ ρ ἀ ν ῶ τ ϰ um 300 ἐ 101Vgl. den Ausspruch des Sulpicius: Plut. Mar. 35,1. Ferner seinen „Gegensenat“ (o. S. 218f), der in fataler Weise an das berühmte Wort des L. Philippus aus dem Jahre 91 erinnert, er müsse sich ein anderes consilium suchen (Cic. de orat. 3,2 Val. Max. 6,2,2). Außerhalb der Jahre 91 und 88 sind vergleichbare Äußerungen gegen den Senat nicht überliefert (vgl. RE Suppl. 10,594). 102Vell. 2,18,6. Vgl. Caes. b. c. 1,7,5: das senatus consultum ultimum wurde erlassen: in perniciosis legibus, in vi tribunicia, ... templis locisque editioribus occupatis (dazu o. 104Phil. 8,7. 103App. 1,253. Anm. 94). 105Dio frg. 102,2 B (π ρ ὸ ςτ ὸἐπ ιτη δ ειό τα τ ο ῆ ν α νἑα ιϰ υ τ ῷπ ρ ὶνἐξορμ η α ϑ τεσ τή σ α τ ) ο ist wohl zu tendenziös. 106GCG 165. Zu der Bestimmung über die comitia centuriata bietet, trotz vielfachen Widerspruchs (s. Gabbas Kommentar zu App. 1,266), immer noch die Interpretation Ed. Meyers (Hermes 33, 1898, 652 ff.) die überzeugendste Lösung.

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oder ganz den Plan despatronus senatus M. Livius Drusus wieder aufnahm 107– offenbar die Grundlage des Hohen Hauses durch prominente Ritter verbreitern108. Ebenfalls wie Drusus ließ er die Aussendung von Colonien zur Versorgung von Teilen der plebs urbana beschließen109. Die Gerichte brauchten den Rittern nicht mehr genommen zu werden, da sie sie seit der lex Plautia nicht mehr besaßen110. Es war ein zweiter großer Versuch, in gewandelter Situation die überkommene res publica zu befestigen. Er ging weiter als derjenige des Drusus –konnte es, da diesmal ein Consul ihn trug, und mußte es vielleicht sogar, wenn er Sinn haben sollte, nach den Erfahrungen des Jahres 88 –und verwirklichte nun durch die Beschränkung des Volkstribunats das Senatsregime in einer Folgerichtigkeit, in der es seit zwei Jahrhunderten nicht mehr bestanden hatte. Man muß sich endlich vor Augen halten, daß Sulla mit seinem Marsch auf Rom nicht den Bürgerkrieg eröffnete. Er unternahm vielmehr zunächst nur eine Polizeiaktion gegen den seditiosus tribunus und dessen factio und bewirkte mit seiner Armee und ohne Senatsbeschluß, was früher auf Grund des senatus consultum ultimum auf nicht weniger gewaltsame und viel blutigere111 Weise ins Werk gesetzt worden war112. Aber gerade indem er ohne Senatsbeschluß handelte, und gerade mit dieser hohen, strengen Auffassung vom Senatsregime, die auch ungewöhnliche, gefährliche Mittel heiligte, scheint Sulla sich mindestens vom Gros der Senatoren stark unterschieden zu haben. Wenn man also seine sachlichen Beweggründe hoch veranschlagen will, so muß man hinzusetzen, daß sie einer besonders eigenwilligen Interpretation dieser Sache entsprangen. Als er den Befehl zum Marsch auf Rom gab, verließen ihn bis auf einen Quaestor alle Offiziere113. Der Senat schickte ihm mehrfach Gesandte entgegen, die ihn zur Umkehr veranlassen sollten, und es ist nicht anzunehmen, daß er dies nur unter dem Druck des Marius getan habe114. Sulla trat dann zwar in Rom, nachdem er es erobert, Anm. 29. 108GCG 165. Vgl. Diod. 37. frg. 10. Cic. Mil. 16. de or. 1, 24. Sall. ep. ad Caes. 2,6,3. 107 S. o.

Zur sachlichen Notwendigkeit: Kunkel, Unters. z. Entw. d. vorsull. Kriminalverf. 96f. Die Meinungen darüber, ob diese Erweiterung wirklich ausgeführt wurde, sind geteilt. Dafür: Syme, Pap. of the Brit. Sch. at Rome 14, 1938, 10f. Bennett, Cinna and his times 3. Mommsen St.-R. 3,847, Drumann-Groebe, Röm. Gesch. 2,372,1. Dagegen: Willems, Sénat 109Liv. per. 77, vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2, 258. de la Rép. Rom. 1,405. 110Ich sehe keinen Grund zu der Annahme Kunkels a. O. 116, die lex habe sich nur auf die Prozesse nach der lex Varia bezogen. 111Vgl. Plut. Gracchi 19,10. GCG 9f. 13. 45 ff. 108f. Heuß, Röm. Gesch. 168. 112lex perniciosa, factio (Vell. 2,18,6), die Tatsache der seditio (GCG 162 ff.). Dazu Caes. b. c. 1,7,5 (o. Anm. 102). Es fehlte nur der Beschluß des senatus consultum ultimum. 113App. 1,253. Vgl. Carney, A Biogr. of Marius 33,165. 114App. a. O. Plut. Sulla 9,3. 9. Gegen Plutarchs wohl tendenziöse Aussage über den Druck des Marius auf den Senat (9,3) die folgenden Ausführungen. Ebensowenig ist

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sehr rücksichtsvoll auf, hielt vor allem auf unbedingte Disziplin bei den Soldaten115, und im Blick auf die Ereignisse der nachfolgenden Jahre erscheint es auch als außerordentlich milde, daß er nur zwölf prominente Gegner durch den Senat zu Staatsfeinden erklären ließ. Gleichwohl war die Ächtung des Marius ein Skandal116 und der Senat hat sie, wie wir wissen, nur unter Zwang beschlossen117. Sehr deutlich scheint sich die Schwäche der damaligen Position Sullas, und das heißt sicher zugleich: sein schlechtes Verhältnis zumSenat, bei den Wahlen für 87 kundzutun. Das wichtigste Problem, vor demer stand, wardie Sicherung seines Erfolges. Denn er selbst mußte so schnell wie möglich die Stadt und Italien verlassen, um den Kampf mit den vordringenden Heeren des Mithridates aufzunehmen. Sein ihm gleichgesinnter College Pompeius Rufus, der den Befehl über das größte in Italien stehende Heer erhalten hatte, wurde unmittelbar, nachdem er ihn übernommen, von den Soldaten ermordet118. Wir wissen nicht genau, wann dies geschah 119. Jedenfalls aber war der Ausfall der Consulwahlen zur Stabilisierung des sullanischen Werkes mindestens ebenso wichtig wie die Sicherung dieser Armee. Da ist es nun angesichts seiner vorher bewiesenen skrupellosen Entschlossenheit höchst auffällig, daß Sulla bei dieser Gelegenheit in schwer verständlicher Weise den Dingen freien Lauf ließ. Er hatte zwei eigene Kandidaten empfohlen, beide jedoch fanden bei den Comitien keine Gnade, undstatt ihrer gewannen die meisten Stimmen ein Gegner Sullas, L. Cornelius Cinna, und Cn. Octavius, ein etwas sonderlicher Mann, der später vor seiner Aufgabe gewachsen ist120, dessen Bereitschaft, Sullas Werk zu verteidigen, aber damals noch nicht deutlich, dessen Energie jedenfalls nicht sehr ausdauernd war und

es wahrscheinlich, daß nur Marianer an den Gesandtschaften teilnahmen (so Pais, Ricerche 115 App. 1,264. sulla Storia 2,340ff.). 116Cic. de orat. 3,8. Val. Max. 3,8,5 (vgl. folg. Anm.). 117Plut. Sull. 10.4 Val. Max. 3.8.5: dispulsis prostratisque inimicorum partibus Sulla occupata urbe senatum armatus coegerat ac summa cupiditate ferebatur ut C. Marius quam celerrime hostis iudicaretur. cuius uoluntati nullo obuiam ire audente solus Scaeuola de hac re interrogatus sententiam dicere noluit. quin etiam truculentius sibi instanti Sullae ‘licet’ inquit ‘mihi agmina militum, quibus curiam circumsedisti, ostentes, licet mortem identidem miniteris’. Vgl Münzer RA 279. RE 16,448, auch den Ausspruch des Vetters Scaevola bei Cic. Att. 8,3,6. ferner Rosc. Am. 33. –Ob man Velleius’ Aussage ernst nehmen darf, über die Verbannung sei eine lex ergangen (2,19, 1 vgl. evtl. Plut. Mar. 43,3. Bennett 2,7), ist mir nicht klar. 118Vgl. Gelzer Kl. Schr. 2,120 f. (vielleicht ist angesichts des senatorischen Widerstandes gegen die Consuln die Version Appians aber doch nicht ganz abwegig. Falls sie stimmt, müßten sie dieses Gesetz allerdings vor den anderen erlassen haben). 119Sulla ging nach Appian (2,286) kurz darauf zu seinem Heer nach Capua. In der Zwischenzeit mag er die Wahlen –nach der damaligen Gepflogenheit gegen Ende des Jahres (u. S. 258f.) –abgehalten haben. 120Vgl. u. a. Cic. Brut. 176, u. Anm. 191. 15 Meier

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dem es vor allem nicht gegeben war, eine Armee zu führen 121. Plutarchs Bericht spiegelt noch die Überraschung wider, mit der man gewahrte, daß Sulla die Comitien daraufhin nicht abbrach, sondern die beiden ihm weniger oder gar nicht genehmen Kandidaten als Consuln ausrufen ließ122. Er begnügte sich damit, Cinna den Eid schwören zu lassen, er werde am Bestehenden nichts ändern. Eine sträfliche Inkonsequenz, ein unerhörter Leichtsinn angesichts seines bevorstehenden Abmarschs in den großen Krieg, und mit Sullas auch sonst zu beobachtender aristokratischer Lässigkeit123 wohl nur insoweit zu erklären, als der Widerstand so groß gewesen sein muß, daß ihm dessen Überwindung zu anstrengend erschien. Dieser Widerstand nun ging nach Plutarch vom Volke aus. Auch die Ritter haben ihn gewiß zumTeil getragen. Man fragt sich aber, ob Sulla ihn nicht hätte brechen können, wenn er den Senat wirklich entschlossen auf seiner Seite gehabt hätte. Insbesondere ist zu bedenken, daß er der sehr starken Gruppe innerhalb der Altbürgerschaft, die den sulpicischen Antrag heftig bekämpft hatte124, noch einmal zum Siege verholfen hatte. Anscheinend also haben der Senat und weite Kreise der diesem anhängenden Bürgerschaft den skrupellosen Consul damals, wenn überhaupt, nur lau unterstützt. Dieses Verhalten des Senats ist durchaus begreiflich. Für Sullas Tat gab es kein Beispiel in der Geschichte, er handelte ganz auf sich gestellt –ohne daß ein Senatsbeschluß ihn legitimiert oder ermuntert hätte –undgegen die Ansicht fast aller Standesgenossen, die sich bei seiner Armee befanden (und die er nach altem Herkommen im consilium hätte befragen müssen). Auch wenn sein 121Plut. Mar. 42. Liv. 80 u. a.

122 Plut. Sulla 10,4 ff. Danach war der Wille der Wählerschaft, die Kandidaten Sullas

nicht zu wählen, von Anfang an deutlich. Einer von diesen war vermutlich der nachmalige Consul von 79, P. Servilius Vatia (vgl. zuletzt Badian, Proc. Afr. Class. Ass. 1, 1958, 7 f.), ein ausgezeichneter Mann. Nach Bennett (a. O. 6) war Cinna damals noch nicht mit den Italikern liiert. Das ist gut möglich (wenn auch App. 1,288 nicht sehr viel Vertrauen erweckt). Jedenfalls mußte Sulla mit Cinnas Gegnerschaft rechnen (Bennett 3). – Das wiederholte ϰ α ϑ ισ τά ν α ιbei Plutarch bezeichnet offensichtlich das erste Maldie Stimmabgabe an sich keineswegs selbstverständliche (vgl. Val. Max. 3,8,3) – durch das Volk, danach die – creatio (bzw. renuntiatio) durch den Wahlleiter. Nur auf diesen Vorgang bezieht sich die geheuchelte Freude, mit der Sulla Cinna zum Consul „machte“(so auch Dio frg. 102,2. Gegen die aus dem falschen Verständnis des Wortes gezogenen Folgerungen Bennetts [S. 3ff.] mit anderen Argumenten auch E. Wiehn, a. O. 56). –Für die sonst häufig wahrgenommene Möglichkeit, die Comitien abzubrechen: Mommsen St.-R. 3,415. –Bei den Tribunenwahlen hat Sulla anscheinend herzhafter eingegriffen (Plut. Sert. 4,6), aber wir wissen nicht, wie sie sich zeitlich zu den Consulwahlen verhielten. Wenn das iustitium um die Mitte des Jahres schon oder noch erlassen war, fanden sie vielleicht auch erst an dessen Ende (aber gewiß vor dem 10. Dezember) statt (vgl. Historia 10, 1961, 90 f. Taylor, Ath. 41,1963,61,19 [übrigens ohne Argumente für die ciceronische Zeit]). 123Vgl. etwa Sullas Verhalten gegen Pompeius in den Jahren 80/79: Gelzer Pomp.2 39f. Ihne, Röm. Gesch. 5,443f. (wobei nicht einzusehen ist, warum die Berichte nicht zu124 App. 1,244. 288. verlässig sein sollen).

3. Der Bürgerkrieg

227

vor Rom zu ihm stieß undeine Abteilung seines Heeres übernahm, war 125, daß er die gees „für römisches Rechtsempfinden die schlimmste Felonie“ heiligte Stadtgrenze mit einem Heer überschritt. Schließlich ließ sich nicht übersehen, daß persönliche Motive bei seinem Schritt mindestens kräftig mitsprachen. Wer ein so hohes Maß an innerer Freiheit besaß, um unter solchen Umständen einen so revolutionären Schritt zu wagen, mußte ein Fremder in der Senatsaristokratie sein. Alle guten Motive zählten dann nichts gegenüber seiner Art126. Der Senat hatte auch recht, wenn er das schlimme Vorbild, das Sulla gegeben hatte, verabscheute127. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, die im ganzen doch erträglichen Konsequenzen des sulpicischen Tribunats in Kauf zu nehmen. Nachdem aber Sulla einmal –und faktisch im Interesse des Senats –auf Rom marschiert war und die Verfassung reformiert hatte, konnte man ihn schlecht verleugnen. Und der Senat konnte die von ihm bescherten Vorteile nicht kostenlos behalten oder auch nur den vorigen Zustand einfach wiederherstellen. Es galt vielmehr, die neue Lage wahrzunehmen. Einerseits bot sich als Frucht dessullanischen Consulats derfür denSenat denkbar beste Abschluß der seit 91 akut gewordenen Krise. Andererseits wardieGefahr außerordentlich groß, daß es auf Grund des schlechten Beispiels Sullas zumBürgerkrieg kommen könnte. Denn die radikalisierten Gegensätze zu Publicanen und Neubürgern waren dadurch, daß man die zwölf führenden Persönlichkeiten in Acht und Bann erklärt hatte, keineswegs behoben, sondern eher verschärft. Manhätte in dieser Situation also trotz aller Abneigung gegen Sulla und damit wahrscheinlich gegen die von ihmgeförderten Kandidaten eigentlich alles tun müssen, was zur Sicherung der durch Sulla geschaffenen Lage diente. Da der Senat dies anscheinend nicht in dem nötigen Ausmaß tat, trug er, ohne es zu wollen, zur Stärkung der Gegner unddamit dazu bei, daß aus der Polizeiaktion der BürgerCollege

krieg wurde. Die Verantwortung Sullas wird damit nicht geringer. Er hatte die ohnehin gefährliche Situation verschärft, und gewiß nicht nur aus Verantwortungsgefühl. Doch kann man sich mit dieser Feststellung nicht begnügen. Denn wenn das Senatsregime gelten und bestehen bleiben sollte –und von dieser , dann war, wasSulla tat, damals Voraussetzung gingen damals gewiß alle aus – ebenso berechtigt wiedie Bedenken desSenats. Senatsmehrheit undweite Teile der Altbürgerschaft waren sich mit Sulla darin einig gewesen, daß Sulpicius’ Gesetze verderblich und gefährlich seien. Die Art, wie Sulpicius vorging und 125Heuß, Röm. Gesch. 167. 126Vgl. Plut. Sulla 6,18 f. für den Ruf, den Sulla bei vielen seiner Standesgenossen schon zu Beginn seines Consulates genoß. Liv. 75 (vgl. Plut. 5,1 f.) für das militärische Ansehen, das wahrscheinlich seine Wahl stark beförderte, und neben dem man die mysteriösen Meteller nicht gar zu sehr zu bemühen braucht (wie etwa Badian FC 231 es tut). 127 Vgl. Cic. Att. 8,3,6. 15*

228

VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

selbst gegen die Consuln Gewalt anwandte, war ohne Beispiel128. Konnte es also nicht, da die Gefahr für das Senatsregime besonders groß war, als geraten erscheinen, ihr mit besonders starken Mitteln zu begegnen? Konnte der Consul Sulla da nicht –in der Atmosphäre jener Jahre, in denen so vieles auf dem Spiel stand –die Meinung gewinnen, die Senatsmehrheit vertrete ihre Sache schlecht, sei zu eng in der Konvention befangen und zu arglos in ihrer Annahme, alles sei besser als offene Gewalt, das heißt: in ihrer Erwartung, sie würden schon wieder –wie noch immer in der langen Geschichte des Hauses –zuletzt die stärkeren

bleiben?

* Cinna wiederholte nach Sullas Abgang, wie schon erwähnt, den sulpicischen Antrag zu Gunsten der Neubürger und versuchte, die sullanischen Gesetze zu annullieren129. Er und jener Kreis von Senatoren, Rittern und Neubürgern, dessen Forderungen seit 88 die Politik bestimmten 130, wollten die Zeit, da Sulla im Osten gebunden war, ausnutzen, um ihre Ziele doch noch zu erreichen. Aber der Senat wehrte sich jetzt mit aller Kraft und behielt auch zunächst die Oberhand. Er ging so weit, Cinna das Consulat und das Bürgerrecht abzuerkennen – , aber er ließ ihn interessanterweise nicht weiter verwas er gar nicht durfte131 – folgen132. Cinna erhielt dadurch Gelegenheit, eine Armee zu sammeln, Marius landete in Etrurien und tat das gleiche, dann zogen sie gemeinsam vor Rom. Nach wechselvollen Kämpfen siegten sie, zogen in die Stadt und richteten ein fünf Tage und Nächte währendes Blutbad an, dem unter anderen Senatoren und Rittern mehrere der führenden Consulare zum Opfer fielen133. Cinna wurde wieder als Consul anerkannt und für 86 zusammen mit Marius gleich nochmal gewählt134. Die neuen Herren etablierten sich in Rom und sehr bald auch in den westlichen Provinzen. Damit begann das cinnanische Regime, die Zeit, da Cinna und seine Freunde und Nachfolger einen ungewöhnlich starken, beherrschenden Einfluß in Rom ausübten. Drei Jahre dauerte es, bis Sulla den Krieg wieder eröffnete, und diese Jahre sind vielleicht nicht nur Episode gewesen. 128O. S. 222. Das ging über die Verhaftung der Consuln 151 und 138 (o. S. 128) hinaus. 129GCG 171f. Vgl. Bennett7. Dazu der Antrag delibertinorum suffragiis (Schol. B ob.286).

130 Es ist durchaus möglich, daß Cinna –anders als Sulpicius –wesentlich das Werkzeug dieser Kreise war, wie Mommsen behauptet (Röm. Gesch. 2, 305. Vgl. App. 1, 288). 131Mommsen, St.-R. 1, 630. 132Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2, 307: „ Der Senat in seiner gewöhnlichen Schlaffheit unterläßt es, die Flüchtlinge rasch wenigstens zur Räumung Italiens zu veranlassen“. Vgl. Heuß, Prop. Weltgesch. 4,218. Zum vorangegangenen Widerstand des Senats und dem unter Cinnas Anhängern angerichteten Blutbad: GCG 171f. Münzer RE 17, 1816. 133U. Anm. 140. 134 Liv. per. 80. App. 1, 345. Plut. Mar. 45,3. auct. vir. ill. 69,3. Die Wahl geschah wohl in der Form der Acclamation (citra ulla comitia, Liv.).

3. Der Bürgerkrieg

229

b) Die Zeit des cinnanischen Regimes Über Cinnas Regime herrscht in unseren Quellen das Urteil vor, daß es eine Gewaltherrschaft, sine iure et dignitate135 gewesen sei. Die Cinnaner werden improbi etperditi cives genannt136. Fast der gesamte Senat, so heißt es137, sei zu Sulla in den Osten geflohen. So scheinen diese Jahre eine kurze schreckliche Unterbrechung der legitimen Kontinuität gebildet zu haben, von der man anders als mit Abscheu nicht sprach und von der auch fast nichts zu berichten war. Nur klischeehaft werden die führenden Männer uns bekannt. Gegen diese Urteile haben sich neuerdings E. Badian und Christoph Bulst gewandt138. Sie fußen dabei zum Teil auf der Dissertation von Harold Bennett, Cinna and his Times139. Danach kann kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß Cinna –nachdem er und Marius die kleine Gruppe ihrer entschiedensten Gegner beseitigt hatten 140–sich nach Kräften bemühte, ein ordentliches gesetzmäßiges Leben in Rom herzustellen. Cinna und die Seinen haben manches zur Konsolidierung der Wirtschaft beigetragen141. Sie haben vor allem die Integration der Neubürger entscheidend gefördert unddamit wohl eine beachtliche, fortwirkende Leistung vollbracht142. Sie haben dem Senat relativ großen Spielraum gelassen, und es ist nachweislich nur ein kleiner Teil der Senatoren gewesen, der mit Sulla in den Osten ging oder –vor seiner Landung in Italien –zu ihm flüchtete143. 135Cic. Brut. 227. 136Cic. fam. 1,9,11. Vgl. de orat. 3,12: improborum dominatus. Phil. 8,7 (Sulla führt Krieg, ne dominarentur indigni). Auct. bell. Afr. 22,2 (Cato spricht von nefarii sceleratique 137Vell. 2,23,3. Plut. Sulla 22,1. Vgl. App. b. c. 1, 340. 350f. Mithr. 204. cives). 138 JRS 52, 1962, 47– 61. –Historia 13, 1964, 307– 337. Vgl. Gabba, Annali Sc. Norm. Sup. Pisa 33, 1964, 13, 95. 139 Diss. Chicago 1923. Vgl. Gelzers Besprechung Kl. Schr. 2, 98 ff. 140Dio frg. 102,8 ff. Diod. 38,4. Oros. 5,19,19 u. a. (GCG 175 ff.). Dazu Bennett 25 ff., der sich vor allem auf Diod. 38,4 beruft, wenn er feststellt, daß die Mordtaten auch von Cinna geplant waren. Was freilich Cicero angeht, so sollte man nicht vergessen, daß er geneigt war, Marius’ Andenken hochzuhalten, während er über Cinna nur schlecht sprach. Man braucht daher die Berichte keineswegs zu verwerfen, die darauf hindeuten, daß das Morden vornehmlich auf Marius’ Konto ging. Zu den Opfern Bulst 313 ff., der zwar den Wert seiner Argumente überschätzt (seinen Aufsatz in dieser Form aber wohl auch nicht veröffentlichen wollte), jedoch im ganzen sicher recht hat: es ging darum, die entschiedensten Gegner zu beseitigen. 141GCG 180. Bulst 329. 334 f. 142Bulst 325.328 f. Vgl. Kunkel RE 24,780. o. A. 193,192. 143Vgl. u. S. 244f. –Bennett 65f. Dafür spricht vor allem das Verhalten des Senats unter Cinna und die Tatsache, daß das Gros erst zu Sulla stieß, als er in Italien gelandet war (u. S. 241f). Einige interessante prosopographische Argumente steuert Badian a. O. 52 ff. bei. Dazu ist aber zu sagen, daß das Bleiben in Rom kein Bekenntnis zu Cinna war, der Vergleich mit 49 (S. 54) ganz schief ist, weil er die Unterschiede der Situation über einer Art von Statistik völlig verkennt, und daß allein ein Blick in den Broughton schon lehrt, daß die Reihe der „Sullaner“doch sehr viel länger war, als sie bei Badian erscheint (Munatius

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

Dies alles soll man keineswegs übersehen, man darf es aber andererseits auch nicht für das Ganze halten. Denn was auch immer sie Gutes taten, so mäßig sie sich auch gaben, so übten die Cinnaner doch eine letzten Endes auf Gewalt beruhende Herrschaft über Rom aus. Sie hatten die Stadt mit Heeresmacht besetzt. Sie hatten einige derprincipes und andere führende Senatoren –entgegen ihrer demSenat vorher gegebenen Zusage144 –ermordet. Cinna undsein College und Nachfolger Cn. Papirius Carbo145 iterierten drei- bzw. zweimal das Consulat, vermutlich ohne andere Bewerber zuzulassen146. Schon diese wenigen , daß hier eine Partei Daten zeigen –man muß das heute anscheinend betonen – oder Faktion die Herrschaft angetreten hatte –auch wenn manche zeitweise sich noch so mühten, das zu mildern oder zu verschleiern. Es fragt sich nun, worin diese Herrschaft bestand, von welchen Vorstellungen sie ausging und welche Ziele sie verfolgte. Mit Sicherheit ist anzunehmen, daß die Cinnaner die überkommene Verfassung an keiner Stelle ändern wollten. Sie haben keinerlei neue Formen ent, wickelt –und sei es nur, um die Italiker besser an der Politik zu beteiligen – sahen dies vermutlich nicht einmal als notwendig an. Ihr sachliches Programm scheint sich darin erschöpft zu haben, daß sie die Neubürger auf die 35 tribus verteilen wollten147, und darüber hinaus ging es ihnen nur umdie Begründung der eigenen Macht und –soweit davon noch die Rede sein konnte –um die Schwächung der bis dahin im Senat Ausschlag gebenden Kreise147a. Um nichts als dies hatten sie 87 Gewalt mit Gewalt beantwortet und sie waren vermutlich Plancus, C. Antonius, L. Manlius, vermutlich M. Lucullus, M. Junius Silanus, Cn. Dolabella. Ferner gewiß P. Servilius Vatia [vgl. Anm. 122] und unter den Flüchtlingen bzw. Verbannten, an deren Existenz doch wohl nicht zu zweifeln ist [Liv. 84. App. 1,350], wohl Ap. Claudius, C. Cotta, die Lentuli [Cic. Brut. 311], um Badians Aufstellung nur um wenige Namen zu ergänzen, er selbst wüßte sicher noch mehr). Die Einwände von Candiloro (Gabba a. O.) kenne ich nicht. 144Plut. Mar. 43,1. 145Was Badian 57 zu dessen Wahl sagt, ist hypothetisch. 146App. 1,354. Liv. 83. Vgl. allgemein Bennett 37. 59 f. Badian 58,12. Genaueres über die Zulassung der Kandidaten und den Vorgang der Abstimmung läßt sich nicht ausmachen. Zu creare noch Sattler, Augustus und der Senat 80. Der Ton liegt aber wohl auf a se ipsis (creati), Liv. 83. 147Badian (FC 240f. a. O. 56) liest aus Livius 84, Cinna habe dieses Programm erst i. J. 84, angesichts der von Sulla unmittelbar drohenden Gefahr, verwirklicht. Aber Cinnas Rüstungen waren schon 85 in vollem Gange, und man hat dabei auf die Neubürger nicht verzichtet (App. 1, 348. 354. Vgl. u. S. 232). Es scheint deswegen nicht sehr wahrscheinlich, daß Cinna das Ziel des de novorum civium suffragiis geführten Bürgerkrieges (Cic. Phil. 8,7) nicht bald nach dem Sieg realisiert habe (s. vielmehr App. 1,339. Taylor Voting Districts 105. Zur Deutung von Liv. 84 könnte aber auch erwogen werden, daß es sich nur um bestimmte Gruppen von Neubürgern handelte, wie etwa per. 80 mit Italici populi auch nur die“italischen Völkerschaften gemeint sind. Gegen Badian a. O. 56,8 ist gewisse, nicht „ einzuwenden, daß auch moderne Regierungen ihre Versprechungen dann einzulösen pflegen, wenn sie von denen, denen sie sie gemacht haben, weiter unmittelbar abhängig 147a Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2,101 f. sind).

3. Der Bürgerkrieg

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überrascht, als sie dank des Sieges im Bürgerkrieg dann plötzlich mehr in der Hand hatten, als sie hatten haben wollen, nämlich die volle Herrschaft über Rom. Da sie sie nun aber einmal gewonnen hatten und weithin mit Anfeindungen, Kritik und Mißtrauen rechnen mußten, mußten sie nun auch konsequenter verfahren und ihre Ziele höher stecken, als sie es ursprünglich vorgehabt hatten. Es ist uns mindestens nichts bekannt, was dafür spräche, daß sie sich dieser Gesetzmäßigkeit politischen Handelns hätten entziehen können. Freilich ist es auffällig, daß sich die Cinnaner so getreu an die Verfassung hielten, mit dem Senat zusammenarbeiteten und insbesondere auch die lex Annalis –abgesehen von den Iterationen –strikt beachteten. Gerade wenn sie die homines novi148 förderten, hätte es an sich doch nahegelegen, diese unter Umgehung der Laufbahn-Vorschriften gleich auch in höhere Ämter hineinzulassen. Statt dessen begegnen uns mehrere Angehörige alter Nobilitätsgeschlechter in den Ämtern149. Aber solche prosopographischen Daten besagen hier wenig: wesentlich sind nicht so sehr dieNamen wiedasGewicht der Einzelnen und nicht so sehr, wer regiert, wie in welchem Sinne regiert wird. Kein Anzeichen deutet darauf hin, daß die hochadligen Magistrate der Zeit repräsentativ waren für ihre Schicht. Teilweise hatten sie sich denCinnanern angeschlossen, in derHauptsache werden esMitläufer gewesen sein, bei einigen wenigen wie den Censoren von 86 ist zu vermuten, daß sie aus der Situation das Beste machen, das heißt sich nicht ausschließen lassen wollten. Wenn die Cinnaner aber relativ großzügig undversöhnlich waren, so entsprach das einerseits ihren Absichten, andererseits demGebot der Klugheit: sie wollten ja keine Tyrannis und sie wußten vermutlich, daß in der aristokratisch geprägten römischitalischen Welt eine enge Faktionsherrschaft sich nicht verwurzeln ließ. Wollte mansich in Romdauerhaft etablieren, so mußte man versuchen, denführenden Kreis des Senats neu zu bilden. Cicero hat später gesagt: non illi nullam esse rempublicam, sed in ea quae esset se esse principes ... voluerunt (Catil. 3, 25). Harold Bennett kommt zum gleichen Ergebnis, wenn er es als Cinnas Ziel bezeichnet: a new oligarchy with himself as the central figure and the Italian citizen body as the guarantor of power150. Damit ist in Kürze alles gesagt, was wir ausmachen können. Dazu gehörte aber, daß man sich mit dem Gros der Senatoren gut stellte, man brauchte sie. Und man mußte sich vor allem –und sei es in einer Art Umarmungsstrategie –eng mit den Resten der führenden Kreise verbinden. Denn allein dadurch gewann man unmittelbaren Anschluß an die legitime Kontinuität der Senatsführung150a. 148O. S. 219. 149 Vgl. Broughton MRR 2, 53 ff. 150A. O. 68. Auch 65.69. ist es nicht nur nützlich, sondern unerläßlich: quorum in locum ac numerum pervenire velis, ab iis ipsis illo loco ac numero dignum putari (Q. Cic. Com. Pet. 4). Die ersten der principes bildeten den Kern der Nobilität, ein Zentrum, keine bloße Summe vornehmer Herren, der man einfach Kraft adligen Namens sich zuzählen konnte –so liegt es in der Logik des Senatsregimes. Man muß daher sehr ernstlich in Erwägung ziehen, ob nicht die 150a Hier

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

Alle Großzügigkeit basierte im übrigen auf einer relativ soliden Machtbasis: Man hatte eine Armee151, die Schrecken des Bürgerkrieges waren noch wach undlebendig, das Consulat war fest in der Hand der Machthaber152 undendlich verfügte man unter den Neubürgern und in Teilen des Ritterstandes153 über eine breite, feste Stütze in der Bürgerschaft. Wie mächtig diese Stütze war, zeigte sich bei der Wiederaufnahme des Bürgerkrieges, denn der große Zuzug, den die Cinnaner erhielten, läßt sich nicht nur mit geschickter Technik und Propaganda oder gar damit erklären, daß ihr Regime für legal gehalten wurde154. In dem Moment, als Sulla landete, ging der größte Teil des Senats zu ihm über155: da konnte es mit der Legitimität der Consuln nicht mehr weit her sein. Außerdem hatte Sulla schon 85 den Italikern ihre Rechte zugesagt undwiederholte es nach der Landung156. Und trotzdem mußte noch anderthalb Jahre gekämpft werden, bis der Sieg errungen war157. Gestützt auf jene Schichten also wollten Cinna und die Seinen wohl allmählich den Senat mit ihren Freunden durchdringen, unter dem Schutz ihrer Herrschaft sollte eine neue maßgebende Schicht entstehen, die den Wünschen von Rittern und Neubürgern –und vielleicht überhaupt der veränderten Situation des Staates –aufgeschlossener gegenüberstehen sollte als die bisherige Führerschicht. Aber so gut dies alles überlegt sein mochte, wie meinte Cinna, mit Sulla fertig zu werden? Er hatte Sulla Anfang 87 durch einen Volkstribunen anklagen lassen. Damals war der aber schon auf dem Weg in den Osten und dachte nicht daran umzukehren158. Ende 87 dann hat Marius oder Cinna –oder haben beide –ihn von den Comitien zum Staatsfeind erklären, sein Vermögen konfiszieren und auch sein Haus zerstören lassen159. 86 schließlich –nach dem eigentliche Legitimität von diesem –sich allmählich ergänzenden und umbildenden –Kreis ausging (so daß, wer ihn beiseite schob, wenn er auch legal ebenso ein Consular wie alle anderen war, als eine Art Usurpator erscheinen mußte. Vgl. o. A. 173, 67). 151Denn man wird die Kontingente, mit denen man den Bürgerkrieg geführt hatte (u. Anm. 184f.), nicht so bald wieder entlassen haben, es können auch nicht alle mit Valerius Flaccus und Scipio Asiagenus in den Osten geschickt worden sein (u. Anm. 160. 164). 152Auch wenn sie 84 genötigt worden sein sollten (vgl. evtl. App. 1, 358f.), eine richtige Wahl zu veranstalten, ist anzunehmen, daß deren Ergebnis ganz im Sinne der Cinnaner

lag.

153Dagegen mag die Schuldenreduzierung von 86 sprechen, vgl. jedoch Brunt a. O. (o. 155 U. S. 241 f. 154Vgl. u. S. 241. A. 65,5) 129. Bulst 334 f. 156App. 1, 352 (gegen Badians Einwände a. O. 57f. s. Anm. 147). –Liv. 85 (vgl. Cic. 157GCG 194 ff. 205 ff. Phil. 12, 27). 86. 158Plut. Sulla 10,8. Cic. Brut. 179. Badian hat JRS a. O. 52.54 die Rolle, die diese Sache im Bewußtsein der Zeitgenossen spielte, weit überschätzt. Erstens handelte es sich nicht um einen Akt der Justiz, sondern um einen reinen Parteiakt (so berechtigt die Anklage auch war), und zweitens: hätte Sulla den Feldzug gegen Mithridates um Wochen verschieben sollen, nur um sich in höchst politische Auseinandersetzungen in Rom zu verwickeln? Diese Affaire konnte höchstens gegenüber dem unwissenden Volk propagandistisch ausgeschlachtet werden. 159App. Mithr. 204 f. b. c. 340. 351.

3. Der Bürgerkrieg

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Tode des Marius –wurde der Suffektconsul L. Valerius Flaccus mit zwei –87 oder erst jetzt ausgehobenen Legionen –in den Osten gesandt160. Diese Maßnahme ist einesteils sehr begreiflich: man konnte die Niederwerfung des Mithridates unddendaraus erwachsenden Ruhmestitel nicht allein demGegner überlassen; außerdem wäre es sehr ungünstig gewesen, wenn dieser unbeschränkt in den östlichen Provinzen hätte walten können. Aber eben aus diesem Grunde ist es andererseits schwer verständlich, daß man demsehr tüchtigen Feldherrn mit seinen fünf kriegserfahrenen Legionen einen militärisch nicht sonderlich geschulten161 Mann mit einem so schwachen Kontingent entgegenstellte162. Mußte man nicht damit rechnen, daß Sulla –sobald einmal der äußere Gegner geschlagen war –mit Valerius Flaccus leichtes Spiel haben würde? Man kann nach den Erfahrungen von 88 den Cinnanern nicht so viel Naivität zutrauen, daß sie geglaubt hätten, Sulla würde sein Kommando einfach an den Consul abtreten oder die Soldaten würden dessen Befehlen mehr folgen als denen ihres Feldherrn163. Es läßt sich auch nicht annehmen, daß Flaccus nur eine Vorhut anführen sollte. Denn, soweit wir wissen, haben die Cinnaner erst 85 mit größeren Rüstungen begonnen, und sie waren jedenfalls erst 84 (nachdem der Friede zwischen Sulla und Mithridates schon geschlossen war) in der Lage, das erste neue Kontingent von Italien nach demOsten abzusenden164. Sie können 86 also gewiß nicht die Absicht gehabt haben, Flaccus bald weitere Truppen folgen zu lassen. Wie also läßt sich diese Expedition er-

klären?

Das Rätsel scheint sich zu lösen, wenn man bei Memnon den Auftrag liest, den der Senat demConsul mitgab: er solle den Krieg zusammen mit Sulla führen, wenn dieser mit dem Senat übereinstimme, andernfalls zuerst mit diesem den Kampf aufnehmen165. Wenn dieses Zeugnis zuverlässig ist, so mußFlaccus die Vollmacht gehabt haben, Sulla die Annullierung der Ächtung anzubieten und zugleich: ihn in seinem Kommando zu bestätigen.

160App. Mithr. 204 f. Plut. Sulla 20, 1 ff. (mit Sullas bezeichnender Reaktion). Reinach, 162Vgl. Elsa Wiehn, Illeg. Heereskomm. 12. 161App. Mithr. 205. Mithrid. 179. 163So etwa Volkmann, Sullas Marsch auf Rom 29 f. Man muß in diesem Zusammenhang auch an die Ermordung des Pompeius Rufus durch die Soldaten des Pompeius Strabo erinnern (o. S. 225). 164U. Anm. 173. Woher die Truppen kamen, mit denen Scipio Asiagenus 85 in Makedonien operierte (Badian 57), ist unklar. 165frg. 24,1 Jac.: ἡδ ὲσ ύ γ ϰ λ η το ςΦ λ ά ϰ ϰ ο ρ ία νΟ β νπ ὐ α μ π μ ε ῖν έ λ ε ιο ε ιμ ι·π ο λ έρ νϰ ὶΦ α ᾳ . σ τ ῳ ή υλ λ β ύ ά ϰ α α α μ ὶΣ ν λ σ λ α τ ε ο ϰ λ ιν γ ια ρ ο ῦ π έψ υ λ μ ο ν ιτρ ο έ μ ο φ ο , ἐπ ὅ υ ῦ τιτ ν η ῆσ ά τ ρ ιδ Μ ιϑ ό γ μ ῳ ὲ νἐ π ὶ ό ὸ ρ νπ τε ρ τ ο ςα ὐ ὸ ὴ ρ νσ ,τ νπ . Anders Plut. Sulla 20,1: λ υ ψ ιμ ά η ή ν α ν ά χ ὲμ ἰδ ε ῳ δ ’ἐ π γ ’ἐϰ ε ῖν ο να ὐ τό , wohl auf Sullas Memoiren zurückgehend. Woher ν , ἔρ ν ρ ιδ ά τη Μ ιϑ die Behauptung, Flaccus habe Sullas Nachfolger sein sollen (Liv. per. 82. App. Mithr. 205), stammt, ist unklar. Wiehn a. O., Bennett 45 nehmen den Nachsatz nicht ernst. Dazu im folgenden.

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

Die Entsendung des Flaccus war demnach in erster Linie ein Versöhnungsversuch. Er ging aus von der Voraussetzung, daß Sulla einerseits in seiner äußerst schwierigen Lage166 die Verstärkung gegen Mithridates und vor allem die Legalisierung seines Kommandos –ohne die er vonjeder Zufuhr aus Italien abgeschnitten war –höchst willkommen war und daß andererseits sein persönlicher Wunsch nach militärischem Ruhm stärker war als seine Rachsucht und die sachlichen Motive, die ihn zur Bekämpfung des Sulpicius undzur Aufrichtung eines konsequenten Senatsregimes bewogen hatten. Da Marius tot war, konnte man ihm in Bezug auf das Kommando entgegenkommen. Als Gegenleistung mußte man die Anerkennung der inzwischen eingeführten Veränderungen in Rom –vor allem der gleichmäßigen Verteilung der Italiker auf die 35 tribus –und die Aufgabe seines Anspruchs auf Rache für das beim Einzug des Marius und Cinna angerichtete Unrecht verlangen167. Vonwemdie Initiative zu diesem Schritt ausging, wissen wir nicht. Da aber der Senat auch später in für ihn verschlechterter Situation relativ unabhängig von Cinna und Carbo undzumTeil gegen deren Willen versucht hat, eine Versöhnung herbeizuführen, ist es jedenfalls wahrscheinlich, daß er die entsprechenden Beschlüsse nicht unter Druck gefaßt hat. Sie lagen durchaus in seinem Interesse. Denn er mußte alles tun, damit der Bürgerkrieg nicht neu–unddann vermutlich noch viel schrecklicher –entfesselt würde, so daß er vollends in die Hand des Siegers geriete. Bei einer friedlichen Heimkehr Sullas mußten auch die anderen verbannten oder geflohenen Adligen zurückkommen und selbst, wenn dann Cinna und die Seinen gestützt auf die Italiker stärker waren als die anderen, so war das einem neuen Blutvergießen doch durchaus vorzuziehen. Der Vermittlungsversuch wird aber auch denAbsichten Cinnas entsprochen haben. Wenn Sulla dadurch veranlaßt wurde, den Krieg im Osten in aller Ruhe zu beenden, gewann Cinna Zeit, den Rückhalt, den er bei den Italikern hatte, zu verstärken. Nichts spricht dafür, daß er eine Tyrannis errichten wollte. So brauchte er Sullas Heimkehr –falls sie im Frieden geschah –keineswegs zu fürchten. Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Entsendung des Flaccus in den Osten zu verstehen. Daher erscheint das Zeugnis Memnons durchaus als glaubwürdig. Der Nachsatz: andernfalls solle der Consul zuerst Sulla bekämpfen, kann, wenn er nicht auf falscher Überlieferung beruht168, nur eine leere Drohung oder –wahrscheinlicher noch –der Ausdruck eines Zugeständnisses des Senats an Cinna gewesen sein. Enthielt er doch die Erklärung, daß, falls Sulla sich unversöhnlich gab, auch der Senat dessen offene Bekämpfung für vordringlich halte. Manhat wahrscheinlich nicht geglaubt, daß Sulla das Angebot ausschlagen könnte. 166Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2,289f. 167 Vgl. etwa App. 1.360. 168Denn was bei Memnon stand, mag von Photios verfälschend zusammengezogen worden sein.

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Ob es in Griechenland zu Verhandlungen zwischen Valerius und Sulla gekommen ist, erfahren wir nicht. Als sich das neue Heer näherte, rückte Sulla ihm nach Thessalien entgegen, mußte dann jedoch rasch umkehren, da ein großes Heer des Mithridates in Boiotien gelandet war. Vorher sollen noch einige Soldaten des Consuls zu ihm übergelaufen sein. Jedenfalls zog dieser rasch nach Osten weiter und begann einen eigenen Feldzug gegen Mithridates169. Da Sulla einstweilen in Griechenland gebunden war, bot sich ihm die Chance, durch einen Vorstoß in das Kernland des Gegners den entscheidenden Schlag zu führen. Jedenfalls bestanden für Verhandlungen nicht viel Aussichten. Sulla konnte es zwar fürs erste nur recht sein, daß ein neues römisches Kontingent half, Mithridates’Lage zu verschlechtern. Entsprechend hat er auch in Makedonien, wo die Thraker eingefallen waren, vielleicht zeitweise neben dem aus Rom gesandten Statthalter Krieg geführt170, jedenfalls sich gefallen lassen, daß der die Sache bereinigte. Aber in seinen weiteren Absichten wich er stark von Cinnas Wünschen und wohl auch von dessen Erwartungen ab. Er wollte den Sieg allein erringen. Das hatte noch jeder römische Feldherr gern gemocht, aber Sulla brauchte den Titel des Siegers zur Selbstbehauptung bei undnach der Heimkehr. Deswegen ist im weiteren Verlauf der Kampfhandlungen auch sein Flottenbefehlshaber Lucullus der Konkurrenzarmee nicht zur Hilfe gekommen, als die Chance bestanden hätte, Mithridates gefangen zu nehmen171. Sulla hatte sich inzwischen daran gewöhnt, ohne Nachschub aus Rom auszukommen, undwollte vermutlich bei seinen Soldaten schon den Verdacht vermeiden, er stelle sich gut mit den Machthabern in Rom. Das hätte nur Verwirrung gestiftet. Zweitens aber lag es Sulla keineswegs daran, den Krieg im Osten bis zu einem befriedigenden, endgültigen Abschluß zu führen, sondern er wollte offensichtlich rasch heimkehren172. Er war sich wahrscheinlich darüber im klaren, daß die Zeit in Romgegen ihn arbeitete, undCinna hatte sich getäuscht, wenn er angenommen hatte, es sei Sulla vor allem um das Kommando gegen Mithridates und nicht um die Ordnung in Rom zu tun. Endlich wollte Sulla Rache nehmen, für sich und alle, die zu ihm geflohen waren. Dabei ging es ihm wiederum gewiß zugleich um die res publica. Denn sein alter Wille, das Senatsregime konsequent wieder herzustellen, muß durch die Ereignisse der Zwischenzeit stark herausgefordert worden sein. 169App. Mithr. 206. Anders Badian 56, der übersieht, daß Sulla plötzlich gegen Dorylaos abrücken mußte (Plut. Sulla 20,1). 170Broughton MRR 2, 58. Bezeugt ist nur, daß sie im gleichen Jahr dort kämpften. 171Plut. Luc. 3, 6 ff. 172Wenn es nach dem Frieden von Dardanos noch ein gutes Jahr dauerte, bis Sulla

nach Italien übersetzte, so lag das teilweise daran, daß er noch Kontributionen einsammelte, um seine Kriegskasse aufzufüllen, teilweise daran, daß er durch Krankheit aufgehalten wurde (Plut. Sulla 26,4).

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

Doch von all dem hat Sulla zunächst gewiß nichts verlauten lassen. Des–aber wohl auch, weil er Sullas Möglichkeiten unterschätzte und nicht zuletzt, weil er es mit dem Senat und den weiten friedliebenden Teilen der Bürgerschaft nicht verderben wollte –hat Cinna erst 85 mit neuen Rüstungen begonnen173. Denn für einen Krieg mit Sulla konnten die Kontingente, die er vom Bürgerkrieg her noch besaß, nicht genügen. Um die gleiche Zeit174 sandte Sulla nach dem Frieden mit Mithridates einen Brief an den Senat, in dem er seine Leistungen für den Staat sowie den daraus resultierenden Anspruch auf dignitas hervorhob undankündigte, er werde sich an denGegnern rächen, allen übrigen aber –einschließlich der Neubürger –nichts tun. Der Senat schickte darauf sofort eine Gesandtschaft an den Feldherrn, die es offenbar auch fertig brachte, ihm den Racheanspruch abzuhandeln. Aber er verlangte für sich und alle von den Cinnanern Verbannten bzw. vor diesen Geflohenen volle Wiedereinsetzung in alle Rechte. Auf die Forderung, daß er sein Heer nicht nach Italien hineinführe (wie dies an sich üblich gewesen wäre), ging er nicht ein175. Der Senat war trotzdem bereit, die Restitution der Sullaner zu beschließen, wurde aber von dem Consul Carbo daran gehindert176. Gleichzeitig widersetzte er sich Carbo, als der von allen Städten Italiens Geiseln nehmen wollte177. wegen

* Wie einst Ti. Gracchus und Saturninus war jetzt also Cinna durch den Widerstand des Senats weiter getrieben worden, als er gewollt hatte. Der Unterschied bestand nur darin, daß dies einerseits erst durch Absetzung geschah und daß er andererseits dann, indem er Sullas Beispiel aufnahm, mitsamt einer Armee auf Rom marschieren und die Herrschaft an sich reißen konnte. Da er aber die Herrschaft über Romgewann, wurde zugleich sichtbar, daß er unddie Schicht, auf die er sich stützte, keinerlei revolutionäre Ziele verfolgten. Es ging umdie Integration der Italiker undumeine gewisse Auswechslung der führenden Senatskreise; eine Alternative zumBestehenden bot sich nicht. Cinna und seine Freunde mögen in manchem einsichtiger, elastischer gewesen sein als die 173App. 1, 353 ff. Liv. per. 83. Dazu Badian JRS 52, 1962, 58f. 174App. 1, 353f.: nach Beginn der Rüstungen –wenn App. da zuverlässig ist. 175App. 350 ff. 360 ff. Liv. 83 f. 176Liv. 84. Vgl. App. 1, 360ff. Bulst übersieht bei seinen Einwänden (322f.), daß die Gesandten des Senats durchaus nach Rom zurückkehrten undman auf Grund ihres Berichts dort verhandeln konnte. Badians Konstruktionen (59) leuchten mir nicht ein. Wie sollte es Carbo angenehm sein, wenn Sulla und alle anderen Verbannten restituiert wurden (vgl. Ihne, Röm. Gesch. 5,366), ohne darauf zu verzichten, mit dem Heer auf Rom zu marschieren? Warum sollte er nicht später beschließen lassen, daß alle Heere entlassen würden –wenn er dann in Italien so viel stärker sein mußte als Sulla (vgl. u. Anm. 234)? Vgl. auch Bulst gegen Badian. 177Liv. per. 84. Damals trat eine Radikalisierung des Regimes ein, wofür besonders der Freigelassenen-Beschluß spricht (Er fehlt RE Suppl. 10,610 wie Cinnas Antrag, o. A. 129).

3. Der Bürgerkrieg

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Sullaner. Aber eine Lösung der großen Krise konnte nicht durch Einsicht allein gebracht werden, sondern nur indem Einsicht auf starke änderungswillige Kräfte stieß und sich mit ihnen verband. Davon war auch hier keine Rede. Die alte res publica war für die Cinnaner so verpflichtend wie für Sulla und die Seinen. Deswegen spiegelt das Werk dieser Usurpatoren wider Willen imganzen eher Ratlosigkeit als bestimmte Richtung undentschlossenes Streben zu angemessenen Zielen wider. Daher erscheint auch die Wiederaufnahme des Bürgerkrieges so sehr als willkürlich und vermeidbar. Keine der beiden Parteien wollte diesen Krieg. Es war offenkundig vor allem nur Mißtrauen zwischen ihnen (und insbesondere gegen den großen Hasser Sulla), was den erneuten Ausbruch der Feindseligkeiten unvermeidlich machte. Aber die Heftigkeit des Kampfes bewies dann, wie wichtig doch die Frage war, welche Stellung einige führende Persönlichkeiten und die Schichten, auf die sie sich stützten, in der res publica haben sollten. Über sachliche Gegensätze hätte man sich eher einigen können177a. Der Senat, der in seiner Mehrheit wohl immer mehr neutral oder abwartend gewesen war178, war zu schwach, um etwas für denFrieden tun zu können. Nun fragt sich, unter welchen Bedingungen der Sieg erfochten wurde.

c) Exercitus

Es war auch bei den nach der Heeresreform des Marius wesentlich aus proletarii gebildeten Heeren keineswegs selbstverständlich, daß sie sich im Interesse ihres Feldherrn gegen ihre Landsleute schlugen. Sullas Marsch auf Rom kam wohl für alle, besonders aber für Marius selbst179, völlig überraschend. Badian und Heuß haben ferner darauf hingewiesen, daß er es zur Voraussetzung hatte, daß die Soldaten sich damals in dem gegen die alten Bundesgenossen und Kameraden geführten bellum Italicum schon an eine Art von Bürgerkrieg gewöhnt hatten180. Es kam hinzu, daß die Soldaten glauben konnten, im Sinne des Senats und der rechtlichen Ordnung zu handeln181. Aber das Wichtigste war, daß ein Mann wie Sulla ihnen beibrachte, es gehe darum, wer den mithridatischen Krieg mit seinen verlockenden Aussichten auf Beute führe, sie oder ein anderes Heer. Ein sehr konkretes ihnen mit Sulla gemeinsames Interesse wares also, das sie veranlaßte, bewaffnet in dierömische Innenpolitik einzugreifen182. Das gleiche Motiv scheint später negativ bei der Legion gewirkt zu haben, die Sulla vor Nola belassen mußte: sie fühlte sich zurück177a Das ist denn auch rasch geschehen (Cic. Phil. 12,27). 178Das galt auch für Metellus Pius u. a., wie Badian gezeigt hat (a. O. 54). 179Cic. Att. 10,8,7. 180FC 234. Heuß, Röm. Gesch. 160. 163. 181Solche politischen Argumente spielen auch später noch für die Soldaten eine –freilich geringe –Rolle, Brunt JRS 52,1962,76. 182App. 1,250ff. H. Volkmann, Sullas Marsch auf Rom 10.

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gesetzt und beleidigt, außerdem bot Cinna ihr hohe Belohnung an. Jetzt versagten sich auch die Offiziere nicht mehr183. Sullas Soldaten waren im Jahre 88 aber keinem anderen Heer begegnet. Im Jahre 87 dagegen trafen verschiedene Armeen unter einander feindlichen Feldherrn zusammen. Cinna und Marius waren mit mehreren Legionen vor Rom gerückt, welche sich außer aus Söldnern undSklaven184 aus vielen kampferprobten und anhänglichen Veteranen sowie Neubürgern rekrutierten185. Diese Heere waren also größtenteils auf den Bürgerkrieg hin aufgestellt, und ihre Führer waren vomMutderVerzweiflung angetrieben. Die demSenat ergebenen Feldherrn begegneten ihnen mit regulären, besser ausgebildeten undgerüsteten und wohl auch zahlenmäßig stärkeren Truppen186. Aber das Unglück wollte es, daß das größte Kontingent von der Armee des Cn. Pompeius Strabo gestellt wurde, des Consuls von 89, der zu den erfolgreichsten Feldherrn des italischen Krieges gezählt hatte und sich nun offenbar mit weitgehenden Plänen trug: er wollte zum zweiten Male Consul werden und bei dieser Gelegenheit eine bevorrechtigte Sonderrolle als Retter des Vaterlandes spielen187. So war er nicht bereit, sich bedingungslos gegen Cinna und Marius zu schlagen. Zum dritten Mal –nach Livius Drusus undSulla –hing der Senat von einem überragenden, eigenwilligen Manne ab, dessen Übermacht er fürchtete, und wiederum versagte er sich dessen Ansprüchen. So konnten die senatorischen Armeen ihre Übermacht nicht ausnutzen. Sie sahen sich in die Defensive gedrängt, undnachdemdie erste Abwehrschlacht –mit Hilfe einiger Cohorten des Pompeius –gut bestanden war188, trat Untätigkeit ein. Die Soldaten, die Metellus Pius herangeführt hatte, kannten diejenigen Cinnas, und manbegrüßte sich von Lager zu Lager. Metellus scheint deswegen befürchtet zuhaben, daß sein Heer überlaufen könnte, und hielt es ängstlich zurück189. Nach Pompeius Strabos Tode waren dessen Truppen offenbar bereit zu kämpfen, aber sie glaubten, unter demConsul 183Schol. Gronov. D 286,7 (corrupit milites). Liv. per. 79. Vell. 2,20,3. App. 1,298 ff. Vgl. aber auch Brunt, JRS 1962,76. 184 Plut. Mar. 41,3. Schol. Gronov. a. O. App. 1,316. Sall hist. 1,29. Wiehn, Heereskommanden 8,22. 11,36. Bennett, Cinna 23,112 (zu den Vardaeern). Badian FC 222. 237 f. 185Veteranen: Badian FC 238; Neubürger: App. 1,294. 302. Vell. 2,20,4 vgl. Plut. Mar. 41,2f. mit Exup. 7. Liv. per. 80. Allgemein: Gran. Lic. p. 17 Fl. (legio voluntariorum). –Für die Stärke ihrer Streitmacht: Bennett, Cinna ... 10. 13. Wiehn 9, die mit 12 Legionen (gegen 30: Vell. 2,20,4) wohl immer noch zu hoch greifen. 186App. 1,315. Vgl. Liv. 80 (segnitia). Anschaulich dafür ist der Erfolg der Schlacht auf dem Janiculum. 187Gelzer, Kl. Schr. 2,123 ff. Ein Zeichen für die Emanzipation des Machtstrebens, wie sie ferner –außer bei Sulla –bei C. Caesar Strabo damals zu beobachten ist (vgl. seine vorzeitige Consulatsbewerbung, GCG 161, vielleicht in stillem Einverständnis mit Pom188Gelzer a. O. peius: o. Anm. 86). 189Gran. Lic. p. 23 Fl. Metellus hat offenbar eine Weile vor Rom gestanden (es folgte die Bitte der Soldaten des Pompeius an ihn [Bennett 20,100], dann die Verhandlungen mit Cinna).

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Octavius kein Glück zu haben und verlangten Metellus zum Feldherrn. Als dieser sich aus verfassungsmäßigen Gründen ärgerlich versagte, begannen sie überzulaufen190. In dieser Situation wird bereits die Problematik des Bürgerkrieges deutlich. Die Heere sind nur bedingt verläßlich, sie haben immer die Möglichkeit, ohne Risiko den Einsatz zu verweigern oder zum Gegner zu desertieren. Außerdem besitzen sie bereits ein waches Bewußtsein von der Rolle, die ihnen in dem neuen Spiel zukommt. Von entscheidender Bedeutung aber ist die Persönlichkeit ihres Führers. Mit dem Absinken der selbstverständlichen auctoritas des Magistrats wurde das Feldherrnheil zur notwendigen Tugend des Heerführers. Man muß dem Consul Octavius zugute halten, daß er sich einige Wochen vorher, als er der Angegriffene war, tüchtig geschlagen hat191. Aber der neuen Lage, in der er seine Truppen zusammenhalten mußte, und die sich am besten in der Offensive meistern ließ, waren weder er noch seine Collegen gewachsen. Dazu fehlte es ihnen an Mut, Unvoreingenommenheit und vor allem an dem Format, das die Führung dieses Bürgerkrieges verlangte, in dem sie mangels einer völlig loyal an den Staat gebundenen Truppe mehr wie eine Partei denn wie die Vertreter der legitimen Staatsmacht hätten handeln müssen. Aber sie konnten auch, wenn sie nicht die Grundlagen der Position des Senats und der durch diesen geführten res publica untergraben wollten, in verantwortungslosem Handeln nicht unbeschränkt mit ihren Gegnern in Konkurrenz treten. Octavius konnte schlecht Sklaven zu den Waffen rufen192. Außerdem scheiter-

ten die Friedensverhandlungen, die der Senat mit den Samniten einleiten ließ, an der Höhe von deren Forderungen, während Cinna ihnen alles bewilligte und ihre Unterstützung gewann193. So erscheint der Sieg Marius’ und Cinnas fast als konsequenter Ausgang dieser Situation, die Sulla im Sinne, aber nicht mit Willen des Senats geschaffen hatte undin der man den außerordentlichen Aufgaben kaum mehr mit ordentlichen Mitteln begegnen konnte. Wenn jedoch die Truppen des Marius und Cinna sich in der damaligen Situation als überlegen erwiesen, so hat doch erst Sulla gezeigt, wie man eine Armee auf einen lang andauernden heftigen Bürgerkrieg vorbereiten kann. Als das Heer des L. Valerius Flaccus sich demjenigen Sullas in Griechenland näherte, fingen dessen Soldaten –wie schon erwähnt194 –an, zu Sulla überzu190Plut. Mar. 42,5 f. Vgl. auch seine schnelle Bereitschaft, mit Cinna zu verhandeln (Gran. Lic. 23 Fl., dazu Plut. Mar. 43,1. Diod. 38,2). Sie ist kaum nur mit der –durch das salutare und resalutari noch gar nicht erwiesenen, sondern wohl erst infolge der unsicheren Führung und den schlechten militärischen Aussichten eintretenden –vermeintlichen Unzuverlässigkeit der Truppen zu erklären. Abwegig scheint mir Heuß, Rum. Gesch. 168, über die Soldaten zu urteilen. 191App. 1,312. Vell 2,21,2. Gran. Lic. 19. Bennett 17f. 192 Plut. Mar. 42,4.7. 193App. 1,309f. Dio frg. 102,5 ff., Gran. Lic. 20 Fl. Der Senat gab außerdem noch das Bürgerrecht an die dediticii, ohne dagegen von diesen den erwarteten Zuzug zu erhalten 194O. Anm. 169. (Gran. Lic. 21).

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laufen. Das gleiche wiederholte sich bei der zweiten Begegnung beider Heere in Asien195. Als Cinna im Jahre 84 eine Armee gegen Sulla auf den Balkan übersetzen wollte, ging ein großer Teil der Soldaten von der Fahne; die anderen meuterten und erschlugen den Consul196. Selbst Sulla, der sich 84 vor den Abgesandten des Senats stolz gerühmt ν υ ) zu besitzen197, war sich νεὔνο ὸ τ α τρ hatte, ein ihm wohlgesonnenes Heer (σ vor der Überfahrt nach Italien nicht recht sicher, ob es sich nicht gleich nach der Landung auflösen werde. Aber diese Sorge erwies sich als grundlos. Sie schworen, ihm treu zu bleiben, sie sammelten sogar, um ihm in seinen Geldnöten beizustehen198. So sehr fühlten sie sich als Teilhaber des Unternehmens, dessen Gelingen ihnen eine gute Versorgung eintragen sollte. Gleichwohl entstand noch einmal eine Krise angesichts der starken zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners. Da brachte die erste Schlacht, die mit einem überraschend glücklichen Sieg endete, die Entscheidung: sie begannen, den Gegner zu verachten –auch das eine wichtige Voraussetzung für die Loyalität von Bürgerkriegs-Armeen –und gaben sich wieder zuverlässig in die Hand ihres Feldherrn199.

In den folgenden anderthalb Jahren sind dann etwa 12 bis 15 Legionen, das heißt fast die dreifache Zahl derer, die Sulla aus dem Osten mitgebracht hatte, zu ihm übergelaufen200. Kein einziges Mal dagegen hören wir davon, daß sullanische Soldaten desertierten. Die Voraussetzung dieses Erfolges war einerseits, daß Sulla sein Heer im mithridatischen Kriege jahrelang verwöhnt und bestochen hatte201. Als der große Heeres verderber ist er in die römische Geschichte eingegangen. Es sei nur an Sallusts berühmte Worte erinnert: „Lucius Sulla hatte das Heer, dessen Führung er in Asien gehabt hatte, um dessen Ergebenheit zu gewinnen, gegen die Sitte der Väter üppig und allzu locker gehalten. Reizende verführerische Gegenden hatten während der Ruhe den rauhen Sinn der Soldaten schnell verweichlicht. Da zuerst gewöhnte sich das Heer des römischen Volkes ans Huren und Saufen, lernte Bildwerke, Gemälde und Gefäße von getriebener Arbeit bewundern, sie aus privatem und öffentlichem Besitz rauben, Tempel ausplündern, Heiliges und Weltliches schänden. Daher ließ denn auch solches Kriegsvolk, wenn es einen Sieg errungen hatte, den Besiegten nichts übrig“.202 195GCG 188f. Vgl. Bennett, Cinna 47,65. 196 App. 1,355 ff. Liv. per. 83. Wiehn 13f. Badian, JRS 52,1962,58f. 197 App. 1,361. 198 App. 361 –Plut. Sulla 27,5. Wiehn 93. 199 Plut. a. O. 6. 10f. Wiehn 84. 200S. die sorgfältige Zusammenstellung bei Elsa Wiehn 18 ff., die aber wohl etwas zu

hoch greift. Andererseits geht Brunt a. O. 75,63 sicher viel zu weit, wenn er gestützt auf Gabba nur mit 4 Legionen rechnet. 201Brunt a. O. 78. Vgl. schon Val. Max. 9,8,3. Plut. Sulla 6,9. 202Cat. 11,5f. (oben im Text fast wörtlich die Übersetzung von Volkmann a. O. 18). Vgl. Plut. Sull, 12,12–14. 6, 16f. Volkmann 16 ff.

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Andererseits war es von größter Bedeutung, daß die Truppe bereits unter Sullas Führung gegen äußere Gegner in Italien wie im Osten gekämpft und gesiegt hatte203. Aber eins wie das andere hätte kaum ausgereicht, wenn Sulla es nicht verstanden hätte, durch persönliche Tapferkeit und Schneid204, durch die begnadete Fähigkeit, einfache Menschen an sich zu fesseln, vornehmlich aber durch die ihmeigene fortune, an die er geglaubt haben muß, unddie er mit Sorgfalt immer wieder in Szene setzte205, ein faszinierendes Verhältnis zu seinen Soldaten herzustellen. Er war nicht nur als Feldherr, sondern auch als Soldatenführer in vielem seinem größeren Nachahmer Caesar ebenbürtig206. Und er wußte genau, was er wollte. Beseelt von einem unbändigen Willen zu siegen, Rache zu nehmen und eine Ordnung zu begründen, die nicht wieder von den verachteten niedrigen Gegnern eingerissen werden konnte, setzte er jedes Mittel ein. Daher gehorchten ihm seine Soldaten, daher ging von seiner Armee auf die des Gegners eine so suggestive, werbende Kraft aus. All dem hatten die Magistrate des in Rom etablierten Regimes nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Sie verfügten zwar zum Teil über ausgezeichnete, zu jedem Einsatz bereite Soldaten aus den Reihen der marianischen Veteranen207 und der Neubürger, vornehmlich der Samniten und Lukaner, die –obwohl auch Sulla ihre Rechte zu respektieren bereit war208 –ihre eigene Sache auf dem Spiel zu sehen meinten 209. Aber diese guten Kräfte waren in der Minderzahl, und der Hauptteil der Streitmacht rekrutierte sich aus wenig ausgebildeten und noch nicht bewährten Söldnern. Es spielte zwar eine Rolle, daß Cinna, Carbo und die Ihren in den letzten Jahren Rom regiert hatten: In vielen Augen umgab sie ein Schein von Legalität210. Dagegen hatte Sulla jedoch seit der Landung in Italien211 das Gros der Nobilität auf seiner Seite, die ihren angestammten Platz in der Führung des Staates wieder voll einnehmen wollten212. Freilich hatte er davon wesentlich nur ideologische Vorteile. Denn eine nennenswerte Stärkung seiner Macht bot 203Entsprechend wollte Cinna sein Heer offenbar zunächst in Illyrien einsetzen. Badian 204Vgl. z. B. Plut. Sulla 21,2. 205Volkmann 36 ff. Wiehn 95. Latte, Röm. Rel. 187 ff. 279. Vgl. Balsdon JRS 41. 1951, 1 ff. H. Erkell, Augustus, Felicitas, Fortuna (1952) 79 ff. 206H. Volkmann 16ff. Dabei ist anzumerken, daß Sulla bei seinen sehr begrenzten Geldmitteln sich durchschnittlich in einer viel schlechteren Lage befand als Caesar. 207Diod. 38,15. 208S. o. Anm. 156. Für die Furcht, die man vielfach vor Sulla hatte s. App. 371. 406, was freilich ex eventu wohl stark übertrieben ist. Vgl. u. S. 248. 209App. 1,348. 354. 372f. 388. 393. 419f. 427 ff. Plut. Sulla 29,1 ff. Exup. 7. Wiehn 82. 210App. 1,374. Vgl. aber auch: Liv. 84. Val. Max. 6,2,10. 211Liv. per. 85 (nobilitas omnis), Vell. 2,25,2. App. 1,365 ff. Dio. frg. 106. Daß diese Herren mit einem gewissen Gefolge von Clienten kamen, versteht sich von selbst (vgl. App. 370. Dazu 305). Badian JRS 1962,59 ff. 212Cic. Rose. 15 (cum omnium nobilium dignitas et salus in discrimen veniret). 21. 135. 137. 138 (causa nobilitatis). 141 (exspectata nobilitas armis atque ferro rem publicam recipera-

JRS 1962, 58f.

16 Meier

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neben dem Praetorier Q. Metellus Pius und dem jungen nobilis M. Crassus, deren jeder ein Kontingent von wenigen tausend Mann aus Ligurien213 beziehungsweise Spanien214 mitbrachte, vornehmlich nurder23jährige Cn. Pompeius, der in Picenum drei volle Legionen auf eigene Faust aufgestellt hatte. Als dieser zu ihm stieß, begegnete ihm Sulla in Formen wie sonst keinem215 und begrüßte als einen im eigenen Naihn wider alles Herkommen als imperator, das heißt „ men kommandierenden, nicht unter, sondern neben ihm stehenden Offizier“.216 In dieser Auszeichnung sprach nicht nur, wie Mommsen meint, Ironie gegen die in Sullas Lager mit vielen Ansprüchen und wenig Macht sich einfindenden Senatoren217. Dazu ging sie zu weit und mußte diese zu tief kränken. Es ist auch überliefert, daß Sulla erklärte, er wundere sich, daß die an Alter und dignitas dem jungen Mann so weit überlegenen Herren es nicht einmal fertig brächten, ihre eigenen Clienten zum Kampf zur Verfügung zu stellen218. So wollte Sulla wohl durch die dem Pompeius erwiesenen Ehren vor aller Augen unmißverständlich zu verstehen geben, was allein in dieser Situation die zum Heil des Staates sich wollten zählte, der die hochmögenden nobiles, „ retten lassen“219so wenig gewachsen waren. Der skrupellose, längst über die herkömmlichen Normen weit hinaus gewachsene und vom Senat voller Argwohn und Abneigung betrachtete220 Proconsul Sulla und neben ihm vor allem der Sohn des dis ac nobilitati perinvisus Cn. Pompeius Strabo –welcher als erster bewußt eine Ausnahmestellung angestrebt hatte221 –waren die einzigen, die den Senat wieder in Rom etablieren konnten. Das sollten sich die stolzen Herren nur merken. Sulla war nicht willens, ihnen etwas zu ersparen222. Interessant ist, daß auch Cicero in der Rede pro Roscio Amerino den Anteil der vit). 142. 149. Verr. 2,1,35. 37 (ut honos et dignitas nobilitati restitueretur). Vgl. off. 2,27. Phil. 8,7. Val. Max. 9,2,1. Gelzer Kl. Schr. 1,132f. 213App. 1,365ff. Gegen Lindens Konjektur Λ υ ιβ σ τίδ ι, für die zuletzt Badian Gnomon 33, 1961, 495 eingetreten ist, scheinen mir die Argumente von E. Wiehn noch immer überzeugend zu sein (a. O. 71 ff.). –Dieser Versuch, eine Heeresmacht unabhängig von Sulla zu bewahren, ist sehr beachtlich. Aber er wäre auf die Dauer nicht gelungen, wenn Sulla nicht eine wesentlich stärkere Armee besessen hätte. 214 Plut. Crass. 6,1 ff. Wiehn 30 f. 215Z. B. Val. Max. 5,2,9. Plut. Pomp. 8,3. Crass. 6,5. Sall. hist. 5,20. Zu der Aufstellung des Heeres: Gelzer, Kl. Schr. 2,127f. Für die psychologischen Voraussetzungen: Gelzer 130 ff. 216So Mommsen, Röm. Gesch. 2, 322. Vgl. Eutrop. 5,8,2 zu Pompeius’ Entsendung nach Sizilien und Africa: adulescentem Sulla ... exercitibus praefecerat, ut secundus a Sulla 217 Vgl. auch Wiehn 28. haberetur. 218Diod. 38/39,10. Vgl. Plut. Crass. 6,4 (ein Ausbruch des Unwillens gegen diese gewiß mit guten Ratschlägen nicht sparenden selbstsicheren Herren, die vor allem fordern, nicht selbst etwas beitragen wollten). Vgl. aber auch Anm. 211. 219 Mommsen a. O. 321. 220 Vgl. Plut. Sulla 6,18f. Dio frg. 106. 221Cic. Cornel. 1,54 Sch. Gelzer, Cn. Pompeius Strabo und der Aufstieg seines Sohnes Magnus, Abh. Preußische Akademie d. Wiss. 1941. Nr. 14 (Kl. Schr. 2.106ff.). 222 Vgl. u. S. 248ff.

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am Sieg im bellum civile nicht erwähnt. Denn er schreibt nur: ea omnia deorum voluntate, studio populi Romani, consilio et imperio etfelicitate L. Sullae nobiles

gesta esse intellego223.

Dem mächtigen Sieger im Bürgerkrieg aber stand ein Senat gegenüber, der inzwischen eine äußerst empfindliche Einbuße an Blut, Ansehen, Macht und innerer Sicherheit erlitten hatte.

d) Der Senat zur Zeit der Rückkehr Sullas Der Senat hat in den 80er Jahren –vornehmlich durch das bellum Italicum und das bellum civile –24 Consulare, 60 Praetorier, insgesamt 200 Senatoren verloren; das war mindestens die Hälfte seines Bestandes224 und vor allem fast die ganze Generation der damaligen principes civitatis. Soweit wir wissen, haben nur vier der principes, nämlich L. Valerius Flaccus, Consul 100, C. Valerius Flaccus, Consul 93, M. Perperna, Consul 92, und L. Marcius Philippus, Consul 91, die Rückkehr Sullas nach Rom erlebt225. Zur Zeit Cinnas lebten noch sechs226. Was allein dieser Verlust an Substanz in einer Führungsschicht bedeutete, in der alles darauf angelegt war, daß die Jüngeren in einem ständigen Erziehungsund Formungsprozeß unter Anleitung der erfahrenen Älteren allmählich in die höchsten Rangstufen hineinwuchsen227, kann kaum überschätzt werden. Eine Generation später, im caesarischen Bürgerkrieg, hat Cicero sich in einem Brief an den jungen M. Caelius nach einigen hoffnungslosen Erwägungen wie in einem plötzlichen Sich-Aufraffen gefragt, ob er nicht nur unke und alles einen besseren Ausgang nehmen werde. Er erinnere sich nämlich der 223 136. Ebd. 141 widerspricht dem nicht. Vgl. imp. 30. 224Oros. 5,22,2 (mit der Verbesserung von Willems, Sénat de la Rép. Rom. 1,403). Eutrop. 5,9. Zusammenstellung der Consulare: Mommsen, Röm. Gesch. 2, 339 Anm. (dazu im einzelnen noch Bennett, Cinna 35,53). Sicher falsch: Heuß, Röm. Gesch. 163. –Ob Sulla 88 seine Senatsvergrößerung vornahm (o. Anm. 108), ist unklar. 86/85 haben die Censoren die Liste aber sicher ergänzt. Doch der Verlust an Substanz ist kaum in Zahlen anzugeben. 225Angesichts der Iterationen (Marius 6mal, Cinna 3mal, Carbo 2mal) war die damalige Generation der Consulare ohnehin kleiner als andere. Vgl. für die Lebenserwartung der Senatoren Willems a. O. 161ff. Wenn Willems für 179 auf 45 und für 55 auf 36 Consulare kommt, so ist zu bedenken, daß er jeweils alle aufführt, deren Tod nicht bezeugt ist, also viel zu viele. –Die Zahl der Consulare, die ihr Consulat nicht lange überlebten, muß jeweils relativ groß gewesen sein (vgl. Cic. leg. agr. 2,37. 35 für die Zeit vor 63 und zahlreiche Beispiele, die ich an anderer Stelle zusammentragen möchte). Es kann deswegen angenommen werden, daß es wirklich außer Sulla nur jene vier genannten principes damals gab, von denen einer –C. Flaccus –bis 81 wohl in seiner Provinz war (Broughton MRR 2,64). 226Q. Mucius Scaevola, Consul 95, und L. Domitius Ahenobarbus, Consul 94, kamen 82 um (App. 1,403. Vell. 2,26,2. Oros. 5,20,4 u. a.). 227Vgl. etwa, daß die Praetorier bei der Behandlung wichtiger Fragen zumeist am consilium des Consuls noch nicht teilnahmen (Cic. Sull. 11. Gelzer, Kl. Schr. 1,54,421). –

Ferner die Verluste an künftigen principes. 16*

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Verzweiflung jener, die zur Zeit seiner Jugend alt waren; vielleicht ahme er sie jetzt nach und begehe damit einen Fehler des Alters228. Wir brauchen dieses Zeugnis nicht, um zu sehen, daß desperatio in der Mitte und am Ende der 80er Jahre die Grundstimmung des Senats war229. Ciceros väterlicher Freund, der pontifex maximus Q. Mucius Scaevola, der Rom nicht verlassen wollte und im Jahre 82 auf Befehl des Sohnes Marius ermordet wurde, hatte mit diesem Ende immer gerechnet. Aber er meinte, es sei besser als in Waffen auf das Vaterland zu marschieren230. Die anderen Consulare scheinen seine Ansicht geteilt zu haben. Keiner von ihnen ist zu Sulla in den Osten gegangen; und die Zahl der Senatoren, die dann bei dem zum Staatsfeind erklärten Proconsul ein σχ μ α ῆ β ο υ λ ῆ ςbildeten, ist nicht groß gewesen231. Unter Cinna hat der Senat dann bei allen notwendigen Konzessionen232 verschiedentlich auch Widerstand gegen die Machthaber geleistet233, er hat mit dem Staatsfeind Sulla offizielle Verhandlungen gepflogen und war bereit, diesem recht weit entgegenzukommen, so daß der Consul Carbo schließlich eingriff, um einen entsprechenden Beschluß zu verhindern234. In diesem Versuch, einen friedlichen Ausgleich zwischen den streitenden Parteien herzustellen, lag die einzige Chance, die Führung des Senats wieder geltend zu machen, und es ist beachtlich, mit welcher Beharrlichkeit der kleine, vielfach dezimierte und bedrohte Senat dieses Ziel verfolgte235.

228fam. 2,16,6 (Anfang Mai 49): recordor enim desperationes eorum, qui senes erant adulescente me. eos fortasse nunc imitor et utor aetatis vitio (vgl. zur Pointe im ganzen Caelius’ voraufgegangenen Brief ebd. 8,16 sowie als Einzelheit zu diesem Satz eine Äußerung 8,13,2: quidnam rei publicae futurum sit, ... vos senes divites videritis). Ferner ebd. 229Jedenfalls seit dem Scheitern der Verhandlungen mit Sulla (o. S. 234ff.). 6,2,2. 230 Cic. Att. 8,3,6. 231Plut. Sulla 22,1. Oros. 5,20,1. Vell. 2,23,3. Unter ihnen war kein Consular, und ein

großer Teil der Senatoren ist erst nach der Landung in Italien zu Sulla gestoßen (o. Anm. 211). Allgemein vgl. Bennett a. O. 65 f. 232Vgl. Cic. Att. 8,3,6. Liv. 80. 233 Vgl. Liv. 84. Vgl. App. 1,358. 234Ein Eingehen auf Sullas Forderungen, wie der Senat es vorhatte (o. S. 236), hätte dessen Position wesentlich verbessert. Wenn er sein Heer mitgebracht hätte, wäre für den Notfall nichts verloren gewesen. Hätten die Gegner klein beigegeben, so hätte Sulla sich vermutlich an seine Zusage, sie zu schonen, gehalten, andernfalls hätte er den Kampf mit ihnen aufnehmen können. –Man versteht also, warum Carbo den Senat daran hinderte, auf Sullas Angebot und Forderungen einzugehen (Liv. 84). Man versteht auch die Wut der Machthaber in Rom auf die Initiatoren der Versöhnung (Cic. Rosc. Am. 33). Carbo hat dann vom Senat den Beschluß erwirkt, daß alle Heere entlassen werden sollten (Liv. 84). Das entsprach genau seinem Interesse, denn gestützt auf die Italiker war er in diesem Fall vermutlich stärker. 235Beachtlich ist, daß Cinna damals zwei relativ unabhängige Herren zu Censoren werden ließ. Diese scheinen trotz gewisser Konzessionen (Cic. dom. 84) die Zusammensetzung des Senats kaum wesentlich zu Gunsten der Cinnaner verändert zu haben: das hätte wohl auch deren versöhnlicher Politik widersprochen.

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3. Der Bürgerkrieg

Allein, es erwies sich, was man im Jahre 49 von neuem erfahren sollte: pacis spem a publico consilio esse exclusam (Cic. Brut. 329). Als Sullas Armee dann wieder auf italischem Boden und der Frieden endgültig und unwiderruflich dahin war, begaben sich einerseits zahlreiche Senatoren in deren Schutz235, viele von ihnen nicht wirklich ausgesöhnt mit Sulla, sondern nur dem Vorbild von Männern wie Q. Metellus Pius folgend, die erkannt hatten, daß Sullas Sieg besser für sie wäre als der der –wohl notwendig nun radikaler werdenden – Gegner237. Der Rest des Senats aber verstand sich –erst jetzt –unter Druck dazu, das senatus consultum ultimum zu erlassen und außerdem zu beschließen, daß die Tempelschätze einzuschmelzen seien, damit Carbo und der jüngere Marius ihre Soldaten besolden könnten238. Als das bedeutendste Kennzeichen jener Jahre hat Cicero die perturbatio disciplinae veteris genannt239. Diese sollte ihren Höhepunkt erst nach Sullas Sieg erreichen240, aber schon damals war vieles geschehen, was im besten Fall erst nach längerer Zeit wieder gutgemacht werden konnte. Die Entdeckung der Möglichkeit, mit einer Armee auf Rom zu ziehen, das Wüten der Sieger, die tiefe Ohnmacht des Senats, der nicht nur unterlag, sondern sich teilweise zum Werkzeug von Bürgerkriegsparteien erniedrigen mußte, der von sich aus wenig galt, vielmehr auf die Hilfe selbstherrlicher Feldherrn angewiesen war, endlich alle die großen und kleinen Unregelmäßigkeiten, die sich unter dem Schutze solcher Verhältnisse einzustellen pflegen –das alles mußte die auf Tradition basierende politische Ordnung in Rom von Grund auf zerrütten. Ex eventu betrachtet haben die damaligen senes, wie Cicero meint, sich vielleicht geirrt: Senat und res publica hatten noch eine Zukunft, und die jüngeren Herren waren entschlossen, sie zugewinnen. Offensichtlich waren es die Besten, Energischsten, die künftigen principes, die schon zuSulla in denOsten gegangen waren oder sich jetzt zu ihm begaben und den Staat wieder zu erobern trachteten241. Aber so gesund ihre Reaktion war, so recht sie hatten, so sehr muß man doch den noch ungebrochen in der Tradition einer jahrhundertealten Weisheit und instinktiven Sicherheit stehenden alten Herren eines zugeben: Der Senat war damals wohl zum ersten Mal in seiner Geschichte nicht mehr in der Lage, eine Ausnahmesituation aus eigener Kraft zu meistern. In den durch denEinsatz des Heeres erschlossenen Dimensionen konnte er nicht mithalten242. Ließ sich dieses Mittel in Zukunft wieder ausschließen? 236 O. Anm. 211. 237Dio frg. 106. Woraus man sieht, welche Autorität ein Mitglied der vorher führenden Familien damals noch auf die Senatoren ausüben konnte. Das spricht zwar nicht für Sulla, aber gegen die Cinnaner. Vgl. vielleicht Plut. Pomp. 5,4 238 Exup. c. 7. Val. Max. 7,6,4. 239 de orat. 1,3. 240Vgl. u. S. 255. 241Plut. Sull. 22,1. 34,2. App. 1,370. Cic. Phil. 12,27: nobilitatis flos. 242Vgl. Cic. Font. 6: ... cum adventu L. Sullae maximi exercitus in Italiam cives vi dissiderent, non iudiciis

ac legibus, atque hoc rei publicae statu desperato

...

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Wenn es möglich sein sollte, so hing wesentliches davon ab, wie die politischen Verhältnisse nach derRückkehr Sullas undderNobilität geordnet wurden. Der schwache, praktisch führerlose Senat konnte gegen Sullas Willen kaum Einfluß darauf nehmen. Den Ausschlag mußten inzwischen auch in seinen Reihen jene Herren geben, die mit Sulla gekämpft hatten. Aber auch sie standen ganz in dessen Schuld und besaßen kaum eigene Macht. Der eigenmächtige Proconsul, dessen ganz außerordentliches persönliches Format und dessen Armee allein den Sieg hatten herbeiführen können, hatte alles in seiner Hand. Er hatte unter der Devise gekämpft, die Nobilität wieder einzusetzen und Rache zu nehmen an seinen und ihren Feinden243. Wer ordnete nun den Staat, und nach welchen Grundsätzen sollte es geschehen? 4. SULLAS NEUORDNUNG

Die eben aufgeworfene Frage wird sich für die meisten Senatoren nicht von selbst verstanden haben. Sie waren wieder in Rom, die Gegner waren besiegt, nun mußte die Staatsmaschine wieder in Gang gesetzt werden, also: manmußte Wahlen veranstalten, und die verschiedenen staatlichen Organe mußten ihre Funktionen wieder aufnehmen, dann war alles wieder im Lot. So und kaum anders werden die Senatoren in ihrer Mehrheit gedacht haben244. Sulla jedoch schrieb dem auf seine Empfehlung als interrex eingesetzten princeps senatus L. Valerius Flaccus, man müsse eine Dictatur schaffen mit dem Auftrag, die res publica neu zu ordnen und Gesetze zu geben, und zwar nicht auf eine bestimmte Zeit, sondern bis die Stadt, Italien und die Provinzen wieder völlig befriedet seien245. Er vergaß nicht zu erwähnen, daß er selbst der Stadt auch bei der Lösung dieses Problems glaube nützlich sein zu können. Der interrex ließ also von derVolksversammlung ein Gesetz beschließen, das ihn ermächtigte, einen Dictator zu ernennen, und festsetzte: ut omnia quaecumque ille fecisset essent rata246. In den Einzelbestimmungen war ausdrücklich erwähnt: ut dictator quem vellet civium vel indicta causa impune posset occidere247. Dann wurde Sulla in aller Form mit diesem Amt betraut248. 243Cic. Phil. 8,7. App. 1,352, o. S. 236. 244Vgl. Mommsen, Röm. Gesch. 2, 335. 245 App. 1,459 ff. Mit gewissen durch die Situation (Kriegsschauplatz und politische Problematik) bedingten Unterschieden taucht die gleiche Formel dann bei Caesar auf (b. c. 3,57,4: quies Italiae, pax provinciarum, salus imperii). 246Cic. leg. agr. 3,5 vgl. Verr. 2,3,82. Rosc. Am. 139. Zur Ernennung durch den Interrex: Att. 9,15,2. Schwartz, Griech. Geschichtsschr. 375. Dazu zuletzt C. Castello, Studi De Francisci 3,37 ff. (nicht in allem überzeugend). 247Cic. leg. 1,42; vgl. Rosc. Am. 125. Plut. Sull. 33,2. GCG 203f. (wo nachzutragen ist: Schol. Gronov. 314). Lange RA 32, 151. 248Wilcken, Zur Entwicklung der römischen Diktatur (Abh. d. preußischen Akademie d. Wiss. 1940) S. 8ff. Dort zugleich zur Bezeichnung des Amtes: dictator rei publicae constituendae et legibus scribundis (App. 1,462 vgl. RgDA 1).

4. Sullas Neuordnung

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Gestützt nun auf diese sine dubio .. regalis potestas249, auf die 120000 Veteranen, die er jetzt, wahrscheinlich in geschlossener militärischer Formation250, unter ihren Offizieren an verschiedenen Schlüsselpunkten über ganz Italien hin anzusiedeln begann251, und schließlich auf die 10000 von ihm freigelassenen Sklaven der Proscribierten, die Cornelier, errichtete Sulla eine dominatio, ein regnum252. Cicero verglich im Jahre 80 Sullas Macht –cum solus rem publicam regerei orbemque terrarum gubernaret imperiique maiestatem quam armis receperat iam legibus confirmaret –mit derjenigen des Jupiter Optimus Maximus, cuius nutu et arbitrio caelum terra mariaque reguntur253. Und durch nichts konnte die Verwandlung des alten Amtes der Dictatur besser zum Ausdruck gebracht werden als dadurch, daß Sulla, was noch nie jemand getan, auch in der Stadt mit 24 Lictoren auftrat254. Es wäre falsch, wollte man nundie Ordnung, die Sulla als Dictator herstellte, losgelöst von den Modalitäten ihres Zustandekommens und überhaupt von der damaligen Politik betrachten. Die bisherigen Behandlungen Sullas und seiner Zeit scheinen fast alle darunter zu leiden, daß man Sulla und die Nobilität oder, wie etwa Mommsen sagt, die „konservative Partei“oder die „Oligarchen“ mehr oder weniger einander gleichsetzt255. Nachdem zunächst die vorwiegend juristisch bestimmte Betrachtungsweise angesichts des Inhalts seines Werkes dieses nahegelegt hatte, hat sich jetzt die prosopographische in die gleiche Richtung verführen lassen, geblendet nämlich durch die Tatsache, daß Sulla seit 88 mit einer Angehörigen des in den letzten Jahren von ihr nahezu mystifizierten256 Geschlechts der Meteller verheiratet war257. Die einzige nennenswerte Ausnahme von dieser Regel bildet das Buch von Jérôme Carcopino mit demTitel: Sylla oula monarchie manquée (Paris 1931, 10. Aufl. 1950), das von der Behauptung ausgeht, Sulla habe eine Monarchie aufrichten wollen. Diese These, die auf verschiedenen eindeutig falschen Argumenten aufgebaut ist, ist mit Recht allgemein abgelehnt worden258. Aber Carcopino scheint doch insofern etwas sehr Wesentliches gesehen zu haben, als er die Gegensätze zwischen 249Cic. har. resp. 54. 250Vgl. Tac. ann. 14,27. Wiehn, Heereskommanden

22. Herzog, Röm. Staatsverf. u. Staatsverw. 1.517f. (auch: Ewins PBSR 1955, 93 zu Caesar). 251 Liv. per. 89 (mit Herzog a. O.). App. 1,448. 470 (vgl. 440). Sall. hist. 1,77,21. GCG 272, Badian Historia 6, 216f. Ihne, Röm. Gesch. 5,409 ff., Gabba, Athen. 29, 1951, 270– 1957, 346. 252 Cic. leg. agr. 1,21. Att. 8,11,2. 9,10,6. off. 2,51. Phil. 2,108. 5,44. Sall. Cat. 5,6. hist. 3,48,11. Tac. hist. 2,38,1 u. v. a. Zu den Corneliern: Wiehn 22. Badian Historia 11,1962,231 Anm. 253 Rosc. Am. 130f. Vgl. 91. 139. 254 Liv. 89. App. 1,465. 255 RG 2, 336 ff. 256Vgl. Symc, Rom Rev. passim, Badian FC Teil II passim (vgl. Bonner Jahrb. 161, 257Plutarch, Sulla 6,18. Carcopino, Sylla10, 187 ff. 1961, 508). 258 Vgl. vor allem Gelzer, Kl. Schr. 2,103 ff. Syme JRS 34, 1944, 104 f. Zuletzt Cesano, Rend. Pontif. Acad. Archeol. 1945/6, 187 ff.

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Sulla und der Nobilität betont und annimmt, daß der eigenwillige große Herr eher vom Schlage Caesars war, als daß er in die Reihe der senatorischen principes im ordentlichen Sinne des Wortes gehörte259.

a) Sulla und die Nobilität260 Alle Quellen stimmen darin überein, daßSulla nach seinem Sieg sich völlig verwandelt habe. Honestam causam non honesta victoria secuta est, meint Cicero (off. 2,27), bonis initiis malos eventus habuit, Sallust (Cat. 11,4)261. Im allgemeinen beschäftigt sie dabei das menschlich Eindrucksvollste: der Wechsel von bemerkenswerter Milde und Rücksichtnahme262 zu schrecklichster, systematischer Grausamkeit. Andererseits hatte Tacitus mehr eine politische Wendung vor Augen, als er schrieb, daß Marius und der Grimmigste unter den nobiles, L. Sulla, die mit denWaffen gewonnene Freiheit in eine Herrschaft (dominatio) verwandelten. Nach ihnen sei Pompeius gekommen, mehr aus demVerborgenen wirkend, aber nicht besser263, und niemals danach sei etwas anderes als ein principatus angestrebt worden264. Ähnliches besagt ein interessantes Fragment des Cassius Dio (108), in dem berichtet wird, Sulla habe, als er sich seines Sieges in Italien sicher zu werden begann, seine vornehmen Verbündeten nur mehr wenig geachtet und sich vielmehr auf einfache Leute, die ihm bedingungslos ergeben waren, gestützt. Dieses Zeugnis ist im ganzen durchaus glaubwürdig, wird auch durch andere bestätigt265. Man fragt sich lediglich, ob Sullas Verhalten nicht auch dadurch bedingt war, daß die nobiles ihm, je gewisser der Sieg wurde, um so selbstherrlicher begegneten. Alles, waser nach der Rückkehr nach Rom ins Werk setzte, bewegte sich auf der gleichen Linie. Auf die Ernennung zum Dictator mit unbeschränkter Vollmacht folgte die berühmte Senatssitzung im Bellona-Tempel, die erste, an der Sulla wieder teilnahm. Ihre Debatte wurde übertönt durch die Schreie der 6000 gefangenen Samniten, die auf seine Anordnung gleichzeitig in der unmittelbaren Nachbarschaft niedergemetzelt wurden. Den erschrockenen Senatoren erklärte er mit gleichgültiger Miene, sie sollten sich nicht darum kümmern, er ließe nur einige schlechte Leute züchtigen 266. Um die gleiche Zeit ließ Sulla in den Wahlen für 81 keinen der teilweise seit 259Vgl. Balsdon Gnomon 30, 1958, 69: an account of Sulla which makes sense, and even if it is demonstrably wrong, it still, paradoxical as this may seem, cannot ever be disregar-

ded. 260Zum folgenden Abschnitt jetzt Gabba, Annali Sc. Norm. Sup. Pisa 33,1964,10 ff., der ebenfalls auf die Gegensätze zwischen Sulla und der Nobilität hinweist. 261Ferner: Dio frg. 109. Liv. 88. Val. Max. 9,2,1. Vell. 2, 25,3. 262Dazu auch App. Mithr. 248. 263 Dazu Gelzer Pomp.2 288. 264hist. 2,38,1. Vgl. Exup. 5. 265 O. S. 242 f. 266Plut. Sulla 30,3 ff. Dio frg. 109,5. Vgl. App. 1,432. Liv. 88. Val. Max. 9,2,1. Dion. 5,77.

4. Sullas Neuordnung

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Jahren an der Bewerbung verhinderten führenden nobiles267, sondern zwei völlig unbedeutende Herren aus der Reihe seiner Offiziere zu Consuln wählen268. Eine schlimmere Brüskierung der großen Adelsgeschlechter war kaum denkbar Schon vorher hatten auf Sullas Befehl die Morde unter seinen Gegnern begonnen. Auch sie geschahen im ganzen269 gegen den Willen des Senats270. Aber das Hohe Haus konnte nichts tun als murren. In aller Bescheidenheit fragten sie an, ob Sulla nicht wenigstens denjenigen, die er leben lassen wollte, die Ungewißheit über ihr Geschick nehmen könnte. Er sagte daraufhin zu, er wolle die Namen der zu Tötenden anschlagen lassen; soweit sie ihm gleich einfielen, sofort, die übrigen später, jedoch alle bis zum ersten Juni271. Wir wissen nicht genau, wann jene Senatssitzung stattfand, aber es ist wahrscheinlich, daß es noch Wochen, wenn nicht Monate vor jenem Termin war272. Dann erließ Sulla seine Gesetze, ganz aus eigener Einsicht undeigenem Entschluß, anscheinend ohne den Senat zu Rate zu ziehen, jedenfalls ohne ihm die Entscheidung zu überlassen273. Er legte die Anträge aber der Volksversammlung zur Bestätigung vor274. Die nobiles und der Senat fügten sich offenbar in ihr Geschick. Im Jahre 80 wagten einige ihrer mächtigsten Geschlechter es nicht, ihren Clienten Sex. Roscius aus Ameria gegen Sullas Freigelassenen und Kanzleichef Chrysogonus offen zu verteidigen275. Propter iniquitatem temporum, sagte Cicero, wobei er das gleiche Wort gebraucht, mit dem er später in einer anderen Rede die Zeit Cinnas bezeichnete276. Sie fürchteten, Sulla könnte es als Kritik an seinem gesamten Werk auffassen277. Cicero aber, der auf ihre Bitte die Verteidigung übernahm, versuchte mit großer Mühe, zwischen Sulla und seinem mächtigen278 Günstling zu unterscheiden279. Er berief sich auf die causa nobilitatis, derentwegen der ganze Krieg unternommen, und leitete daraus die Forderung ab, daß die nobiles sich nun auch so verhalten müßten, wiees ihrem Anspruch zukomme, daß durch sie der populus Romanus wiederhergestellt 267 Z. B. Metellus Pius, Ap. Claudius (praetores 89), P. Servilius Isauricus (praetor ver268Vgl. Carcopino, Sylla10, 130ff. mutlich schon 93 oder 92, vgl. o. Anm. 122). 269Im einzelnen erhoben natürlich manche der Heimkehrer Anspruch auf Rache (Sall. Cat. 51,32ff. Vgl. Lanzani Historia 5, 1931, 356. 369. Gelzer RE 2 A 1695. Nur auf Einzelfälle ist gewiß auch Diod. 38/9,6 zu beziehen). 270Vgl. die Auseinandersetzung im Senat (GCG 198ff., dazu Schol. Gronov. 350). Cic. 271GCG 198ff. 211 f. (dazu Cic. leg. 1,42). Rosc. Am. 153. 272Zum Termin vgl. Ihne, Röm. Gesch. 5,407, der meint, die lange Frist habe nur dazu gedient, um die Proscriptionen auch in den entfernteren Teilen des Herrschaftsbereiches noch ausführen zu können. 273Es gibt keinen Beleg für eine Beteiligung des Senats an der Gesetzgebung. Dagegen sprechen die Aussagen Ciceros in der Rosciana (z. B. 131. 139. 22). Anders bei der Exekutive: Gelzer, Kl. Schr. 2,131 f. 274Das ergibt sich mit Wahrscheinlichkeit aus zwei Beispielen: Gell. 2,24,11. App. 1,468. 275Cic. Rosc. Am. 1ff. Vgl. 6. 28. 30. Badian FC 250f. 276Rosc. Am. 1. Vgl. dom. 83 (dazu Bennett, Cinna 29,25). 277Ebd. 2. 2786. 279 6. 22. 91. 127. 130ff. 140. 143.

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Er tat so, wie wenn er nur die Parolen und nicht die Wirklichkeit kenne. So war er auch ängstlich darum bemüht, Sulla und die führenden Herren des Senats unter der Überschrift „Nobilität“zu identifizieren281. Nur Chrysogonus stünde der wahren Verwirklichung ihrer Sache im Wege282. Es mag nun sein, daß Cicero die Atmosphäre des Terrors283 in der schriftlichen Fassung mit kräftigeren Farben ausgemalt hat als in der wirklich gehaltenen Rede284. Gleichwohl muß man annehmen, daß wir in ihr ein im ganzen echtes Dokument dieser Zeit vor uns haben, und daß Cicero –trotz und wegen seiner gegenteiligen Beteuerungen –die Meinung der hinter ihm stehenden nobiles wiedergab285. Es klingt wie eine Mahnung dieser Kreise an die Richter und zugleich an die Gesamtheit ihres Standes, wenn er sagt: dumnecesse erat

sei280.

resque ipsa cogebat, unus omnia poterat,

qui postea quam magistratus creavit sua cuique procuratio auctoritasque est restituta (139). Dies kann nichts anderes heißen als: Die Macht der Magistrate und des Senats ist förmlich wiederhergestellt, nun wollen wir sie auch nutzen! Es soll wieder erlaubt sein, frei zu sprechen und Kritik zu üben286. Und die Richter sollen auf Sullas Vertrauensleute und Agenten keine Rücksicht nehmen. Deren ganzer Klüngel soll wohl die Ehren und Reichtümer genießen, die ihm zuteil geworden287, aber er soll aufhören, seine erdrückende Übermacht auszuüben und die gute Sache zu schänden. In erster Linie jedoch sollte damals Sulla selbst –so

legesque constituit,

ängstlich er scheinbar geschont wurde –getroffen werden. Cicero bezeichnete später diese Rede als contra L. Sullae dominantis opes gerichtet (off. 2,51). Es sollte ernst gemacht werden mit der Wiedereinsetzung des Senats, Sulla sollte zu seinen Worten und zu seinem Werke stehen und seine Herrschaft lockern. Später haben Cicero und sein Freund Atticus diese Zeit mit derjenigen um das Jahr 47 verglichen. Sullas Sieg erschien ihnen also wie derjenige Caesars als eine Eroberung des Staates, mit der man sich abfinden muß. Zwar bestand der Unterschied, daß unter Sulla alles genere ipso praeclarissima war288, aber das 280 137. 281 135 ff. 284 Dazu Gabba a. O. 10f. m. weit. Lit. 282 138. 2835. 285 129. 143. 286 137. 140. 287Dies muß der Sinn des Satzes im § 137 sein: quod viris fortibus quorum opera eximia in rebus gerendis exstitit honos habitus est, laudo. Denn sonst stellte dieser nur eine Tautologie des in § 136 Geäußerten dar. Das „quae utfierent “des folgenden Satzes muß sich demnach auf den ganzen vorangegangenen Passus beziehen. Für die Selbstherrlichkeit dieser Sullaner ist bezeichnend die Bewerbung des Lucretius Ofella um das Consulat (δ ιὰ ὸμ έ γ ϑ τ ε ο ςτῶ νεἰργ α σ μ έ ν ω ν ), die selbst Sulla zu viel wurde (App. 1, 471. GCG 204f.). Für die Verachtung, die sie erfuhren, vgl. Cic. Q. fr. 1,1,21. Mur. 42 (tendenziös dargestellt).

...

Verr. 2,3,81. Sall. hist. 4,1 (Taylor TAPhA 73, 1942, 12). Dio 37,10,2f. Plut. Cato 17,5 ff. 288Att. 11.21.3: Atticus hat Cicero geraten, sein Verhalten ad tempus einzurichten. Cicero antwortet, er würde es tun, wenn es irgend möglich wäre. Dann folgt der interessante Passus: Sullana confers, in quibus omnia genere ipso praeclarissima fuerunt, moderatione paulo minus temperata ... haec autem eius modi sunt ut obliviscar mei ... Der Rest des Satzes ist verdorben. Vgl. auch Atticus’ Urteil im Jahre 83 (Nepos 4,1 f.) sowie Ciceros auffallend unsichere Formulierungen Rose. Am. 136. 142. Zwei Jahre vorher, als die Ent-

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besagt doch nur, daß Sulla Nobilität und Senat auf seiner Seite hatte und den Vorteil besaß, nicht gegen, sondern für sie in den Krieg ziehen zu können. An der Tatsache der dominatio, des regnum ändert es nichts. Interessant ist, daß im Jahre 80, als Cicero seine Rosciana hielt, ein Angehöriger des bedeutendsten unter den Geschlechtern, die für Roscius eintraten, Q. Metellus Pius zusammen mit Sulla Consul war. Denn inzwischen hatte Sulla die Wahl dieses mächtigen Angehörigen der Nobilität zugelassen. Aber für das Verhältnis zwischen den beiden durch Verschwägerung eng untereinander verbundenen Herren ist höchst aufschlußreich, daß Sulla später erklärte, dieser Mann, von dem er große Schwierigkeiten befürchtet habe, habe sich als sein College höchst sanft und nachgiebig gezeigt. Er pries dies als einen besonderen, gottgesandten Glücksumstand289. Für das folgende Jahr wurde der Gatte der vornehmsten Patronin des Roscius, Ap. Claudius, zum Consul gewählt290. Es deutet also alles darauf hin, daß Sulla die führenden Herren der Nobilität an seinem Werk nicht angemessen beteiligte und ihnen noch im zweiten Jahre nach seiner Rückkehr, 80 v. Chr., als einer der Ihren schon wieder das Consulat bekleidete, seinen Willen aufzwang und seine Herrschaft in straffer Form bewahrte. Es war ihm nicht genug damit, daß das wieder eingerichtete Senatsregime auf seinem imperium und seinen Bürgerkriegslegionen beruhte –was unumgänglich war – , auch nicht damit, daß er seine Ordnung als Dictator mit unbeschränkter Kompetenz schuf –was sich wohl deswegen empfahl, weil der Senat allein eine wirklich durchgreifende Reform nicht tragen konnte – , sondern Sulla hat auch die Zusammenarbeit mit Nobilität und Senat nicht oder nur bedingt gesucht. Er hat diese zunächst weitgehend aus der Politik ausgeschaltet und ihnen seine Verfassung oktroyiert. Gewiß mochte er sich der unglücklichen Situation des Jahres 88 erinnern; die Differenz zwischen ihm und ihnen war alt; für viele seiner Pläne, angefangen mit denProscriptionen, hätte er ihre Zustimmung nicht erhalten, andere hätte er, wenn er sich mit ihnen verständigt hätte, nicht so konsequent ausführen können. Allein, dies alles zugegeben, bleibt es doch höchst auffällig, daß er gegen sie ein Werk vollbrachte, und zwar ein höchst eigenwilliges und anstößiges, das auf die Dauer von ihnen bewahrt und verantwortet werden mußte.

*

Eben dieser Aspekt der Dauer muß es allerdings gewesen sein, der die künftigen principes civitatis und Senatoren, allen voran Q. Metellus Pius, davon scheidung noch offen war, hatte Cicero erklärt, Pompeius strebe nach einem Sullanum regnum. Von Caesar unterscheide er sich nur dadurch, daß er der bessere rex sei. Es wird dabei leider nicht klar, ob er nur an die Grausamkeit des Siegers Sullano more exemploque denkt –die gewiß im Vordergrund stand –oder auch an die auf Dauer gedachte dominatio eines Einzelnen (vgl. u. S. 260 f. Att. 8,11,2. 9,7,3. 10,6. 11,3 [dazu 10,2. Phil. 5,43. parad.

6,2,46]. Phil. 2,108. 5,17). 289Plut. Sulla 6,9. Vgl. o. S. 182 f. 290 Cic. 27. 147. Vgl. Münzer RE 3.2848.

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abgehalten hat, in offenen Gegensatz zu Sulla zu treten. Bei seinem Triumph am 28. Januar 81 zogen sie im Zuge mit, und dieses Gefolge der zurückgekehrten Emigranten soll das Glänzendste und Schönste an dem eindrucksvollen Schauspiel gewesen sein. Sie waren bekränzt, hatten Frauen und Kinder bei sich und nannten Sulla „Retter und Vater“291. Eine mächtige Demonstration, die freilich von hintergründiger Ironie erfüllt war, da er die Situation, aus der er sie rettete, durch den Marsch auf Rom im Jahre 88 letzten Endes selbst geschaffen hatte. Schon gleich nach der Rückkehr hatte der Senat beschlossen, für Sulla eine vergoldete Reiterstatue vor den Rostra aufzustellen, mit der Inschrift: Dem L. Cornelius Sulla Felix Imperator292. Es war das erste und blieb auf lange Zeit das einzige Mal, daß eine solche Ehre auf Senatsbeschluß einem Lebenden erwiesen wurde293, und es machte deutlich, daß der Sieg im Bürgerkriege wesentlich der gottbegnadeten294 Führung des einen Mannes zu verdanken war. Um die gleiche Zeit erhielt die Victoria Sullana besondere Spiele, die wohl das Vorbild für die späteren Ludi Victoriae Caesaris bildeten. Kurt Latte schreibt dazu: Die Beziehung auf den Sieg eines einzelnen Mannes setzt sich an die Stelle der Victoria Populi Romani undbereitet die kaiserzeitliche Entwicklung vor295. Diese Ehrungen wurden aber nur den Tatsachen gerecht. So haben denn auch die Frauen der Senatsaristokratie nach Sullas Tod ein Jahr lang Trauer getragen. Damals stand freilich die Schöpfung des Dictators schon auf der Probe. Im Jahre 70 hat Cicero dann den Grund ihrer Bewahrung so formuliert: „Alle seine“–mit so schweren Hypotheken behafteten –„Einrichtungen erhalten wir nicht nur, sondern verteidigen wir mit staatlicher Autorität aus Furcht vor größeren Nachteilen und Katastrophen“296. Was Sulla dann als Dictator ins Werk setzte, bewegte sich, soweit es die Gesetzgebung anging, im ganzen auf der Linie seiner Reformen vom Jahre 88. Entscheidend warjedoch, daß er sich jetzt nicht auf Gesetzgebung beschränkte, Plut. 34,1 f. 292App. 1,451. Da es sich vor allem um eine Ehrung des Siegers Sulla handelt, darf man die Aussage Appians ἡ γ ε μ ώ ν(= imperator) nicht –wie Carcopino, Sylla10 115f., es tut –auf Grund verschiedener Dedikationen für Sulla den Dictator modifizieren (vgl. Dessau 870. Gabbas Kommentar). Diese wichtige Stelle ist von D. Kienast in seiner Studie „Imperator“(Sav. Ztschr. 91, 1961, 403ff.) übersehen worden (409f. 415), ebenso wie der für Sulla aufschlußreiche Beleg Plut. Sulla 35,8 und der enge Zusammenhang zwischen imperator und felicitas, der von Sulla offensichtlich in neuem Sinne erfahren und betont worden ist: Cic. Rosc. Am. 136. Mur. 38. Phil. 14,11. Plut. Mar. 14,14 u. d. Anm. 294 erwähnte Literatur (zu S. 410 oben vielleicht noch CIL 12 733 = ILLRP 1,366 mit Degrassis Ausführungen z. St.). 293Cic. Phil. 9,13. Reiterstatuen für schon Verstorbene: Cic. Att. 6,1,18. 294 Cic. Rosc. Am. 136. Vgl. besonders Balsdon JRS 41, 1951,1 ff. zu Felix und Epaphroditos, ferner Altheim, Röm. Gesch. 1,1954,225f. H. Erkell, Augustus, Felicitas, Fortuna. 1952. 79 ff. Auch Syme, Historia 7, 1958, 172 ff. Carney, Marius 39,190. 295 Röm. Religionsgeschichte 235. 296 Verr. 2,3,81. 291

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sondern zuvor seinen Neuaufbau tiefer zu fundieren versuchte durch die gründliche Liquidierung der Gegner.

b) Die Proscriptionen Nach den heftigen Kriegen gegen Bundesgenossen und Bürger, besonders nach dem Wüten des Marius und Cinna im Jahre 87 und den Morden, die Marius’ Sohn kurz vor Ende des Krieges noch in Rom hatte verüben lassen, schließlich nach der barbarischen Vesper von Ephesos lag die Anwendung von Grausamkeiten anscheinend in der Luft. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, daß Sulla sich bei der seit langem offen erstrebten Rache für die Morde an den Optimaten297 ursprünglich mit den unmittelbar Schuldigen begnügen wollte und diese, falls er friedlich in Rom aufgenommen worden wäre, nur gerichtlich verfolgt hätte. Merkwürdigerweise hat er nämlich als Stichtag, von dem ab er die Zusammenarbeit mit seinen Gegnern für strafwürdig erklärte, den Bruch der Abmachungen von Teanum Sidicinum festgesetzt, in denen die sachlichen Gegensätze zwischen den Parteien ausgeräumt worden sind298. Man kann also annehmen, daß erst die Härte des nach dem Bruch dieser Abmachungen entbrannten, noch ungefähr anderthalb Jahre dauernden Ringens ihn von der Unversöhnlichkeit seiner Gegner und der Unmöglichkeit, wahren inneren Frieden und ein gefestigtes Senatsregime ohne deren Vernichtung zu erreichen, überzeugt hat299. Tiefer als alle anderen hatte er das Ausmaß der damals – offen erst durch ihn –erschlossenen neuen Dimensionen der Politik erkannt. Umso mehr war er jetzt gewillt, Ungewöhnliches und Schreckliches zu wagen, umsie wieder einzudämmen. In diesem Sinne hat er die gesamte Schicht derer, die in den vorangegangenen zehn Jahren die Politik gegen den Senat unddie in ihm maßgebenden Kreise getragen hatte, 40 Senatoren, 1600 Ritter, das heißt deren gesamte politisch führende Schicht im weitesten Sinne –veteres iudices und accusatores werden besonders erwähnt300 –und die mit ihnen verbündeten Neubürger systematisch liquidiert301. Wie sehr im einzelnen Rachlust und zum 297Ciceros Angabe über sein Ziel: ne dominarentur indigni et ut clarissimorum hominum crudelissimam puniretur necem (Phil. 8,7). App. 1,352. Plut. Crass. 6,4. 298App. 1,441. Cic. Phil. 12,27. 299 Ihne, Röm. Gesch. 5,393ff. Lange RA 32, 151. 300Cic. Cluent. 151: acerbitas proscriptionis suae qua est usus in veteres iudices. Rosc. Am. 89: et accusatores et iudices sustulerunt (für deren Zusammenhang in ähnlicher Situation: Brut. 164). 301App. 1,442. Vgl. 443. 482 (nicht nur auf die Proscriptionen zu beziehen). Die Zahl der umgebrachten Senatoren war wohl dadurch verhältnismäßig gering, daß viele Protektion fanden und Sulla die hohen Herren gern schonte. (vgl. Suet. Jul. 1,2 f. Cic. Sull. 72). – Höhere Zahlen: Flor. 2,9 (= 3,21), 25. Oros. 5,21,3. Über die ersten Listen: Plut. Sulla 31,5. Verschiedene flohen zu Sertorius (Plut. Sert. 22,4. App. 1,507). Zu den Rittern: Cic. Cluent. 151: odium ... in equestrem ordinem, Asc. 69,19. Ein einzelnes, zufällig bekanntes Beispiel: C. Titinius (Cluent. 153. Q. Cic. Com. Pet. 9). Wir erfahren ferner, daß man aus

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Teil höchst selbstsüchtige Motive der Anhänger dazu beitrugen, kann man sich ausmalen302, in erster Linie jedoch ging es, wie Sallust schreibt, um das supplicio hostium partis suas munire303. Dieses Ziel ist fürs erste auch erreicht worden. Zugleich wurden durch die Proscriptionen –wohl eher unbeabsichtigt –die Konsequenzen der Aufnahme der Italiker ins Bürgerrecht wesentlich gemildert. Die Ergänzung dazu bildete die Ansiedlung von 120000Veteranen auf demden Feindlichsten der Italiker weggenommenen Gebiet, durch die die Romanisierung Italiens stark vorangetrieben wurde304. Zur Befestigung dieses Ergebnisses wurde den Kindern der Proscribierten die Bewerbung um die Magistrate verboten 305. Man könnte nun freilich behaupten und gegen Sulla einwenden, daß Rom zugleich in der Integration Italiens einen großen Schritt zurückgeworfen wurde. Syme hat zum Beispiel betont, daß die in den 80er Jahren den Italikern zugefügten Wunden nur sehr langsam verheilten306. Das wird für eine Minderheit zutreffen. Im ganzen werden die alten guten Beziehungen307 bald wieder aufgenommen worden sein308, und die Verluste des Ritterstandes boten große neue wirtschaftliche Möglichkeiten für viele Neubürger309. So wird sich weithin bald wieder ein friedliches Verhältnis zwischen Senat und Italikern hergestellt haben. Aber dieses warselbstverständlich wenig politisch, basierte vielmehr auf der Grundlage politischer Gleichgültigkeit unter der Voraussetzung weiterer Extensivierung.

jeder Region Italiens diejenigen gefaßt und proscribiert habe, die man für Gegner hielt (Cic. Rosc. Am. 16). Sorgfältige Inquisitionen wurden überall angestellt (Diod. 38/9,13. Plut. Sulla 31,9. App. 1,446f. Dio frg. 109,7 ff.). Teilnahme an der Führung der gegnerischen Heere, Kriegsdienst, Beisteuern von Mitteln und Ratschlägen, Gastverhältnisse, Freundschaften und pekuniäre Verpflichtungen, sogar bloßes Entgegenkommen und Zusammenkünfte mit den Gegnern konnten die Einzelnen zu Fall bringen (App. 446. Vgl. Cic. Phil. 5,6). Verschiedene Städte mußten insgesamt für ihre Stellungnahme büßen (App. 447. Cic. dom. 79. Caec. 101. Sall. hist. 1,55,12). 302 Es ist im übrigen gut bezeugt: Plut. Sulla 31,10. 41,5. Dio frg. 109,10. App. 1,446. Cic. off. 2,27. Att. 7,7,7. Lig. 12. Der gleiche Vorwurf übrigens schon gegen Marius (Dio 304Vgl. o. S. 247. frg. 102,9). 303 Ep. ad Caes. 2,4,1. Ihne, Röm. Gesch. 5,405f. 305GCG 201 (nachzutragen Cic. Pis. 4. Rosc. Am. 153. Plin. 7,117). 306 Rom. Rev. 86. Vgl. o. Anm. 92, 176. 307Vgl. z. B. Cic. Phil. 12,27. Rosc. Am. 15. 149 (falls Ameria vor 91 noch nicht das Bürgerrecht hatte, was möglich ist: s. zuletzt, wenn auch nicht überzeugend: Taylor, Voting Districts 85,18). Plut. Cato 2,1. Ferner die zahlreichen Heiratsbündnisse zwischen Senatoren und Töchtern aus italischen Häusern (z. B. Cic. Sulla 25. Phil. 3,15 f. Tac. ann. 4,3. Syme, JRS 34, 1944, 94). 308 Vgl. z. B. f. Volaterra Cic. dom. 79. Att. 1,19,4. fam. 13,4 f. –Ferner die guten Beziehungen des L. Domitius Ahenobarbus zu den Marsern (Diod. 37,13,91. Caes. b. c. 1,20,3: 49. Freilich auch: Dio 41,11,2. Während des cinnanischen Regimes wurden sie gewiß von dem mit Cinna eng verbundenen Bruder Gnaeus gepflegt, danach von dem Sullaner Lucius. Zu Diod. vgl. App. 1,170). 309 Frank ESAR 1,345.

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Manche Italiker, die sich von Cinnas Regime ferngehalten, und darunter selbst Verwandte derer, die auf dessen Seite gekämpft hatten, sind wahrscheinlich von Sulla in den Senat aufgenommen worden310. Aber man darf den Erfolg der Proscriptionen nicht unabhängig Von den Mitteln betrachten, mit denen er herbeigeführt wurde. Mehr als auf den Kreis der unmittelbar Betroffenen wirkte die Weiterführung des Krieges gegen Unbewaffnete, der Terror dieser kaltblütigen Morde und die Summe der von Sulla gedeckten oder in seinem Namen geschehenen Verbrechen und Zügellosigkeiten auf diegesamte Bürgerschaft311. Zwar kann die Unmoral der späteren Zeit nicht Sulla allein angelastet werden, wie es bei Cicero und anderen geschieht312. Entsprang sie doch zum Teil denselben Verhältnissen, die Sulla auf so brutale Art zu bewältigen suchte. Aber es ist jedenfalls sicher, daß die Wirkung des Dictators auf die römische Moral außerordentlich tief und einschneidend war313. Und die negativen Folgen seiner Tätigkeit wogen auf die Dauer gewiß schwerer als die positiven.

c) Die Gesetzgebung Sulla hat in seinen Gesetzen zunächst konsequenter als 88 die Beschränkung des Volkstribunats angestrebt. Dessen Anträge wurden wiederum von der vorherigen Zustimmung des Senats abhängig gemacht. Ferner wurde neu festgesetzt, daß, wer Tribun gewesen sei, sich nicht mehr um andere Magistrate bewerben dürfe314. Das ius auxilii blieb bestehen, das ius intercedendi wurde nur teilweise beschränkt315. Anders als 88 wurde das Recht der Ratifikation aber jetzt den comitia tributa belassen, vielleicht sogar deren Vollmacht erweitert: Denn es könnte sein, daß Sulla bestimmt hat, künftig sollten die (von diesen gewählten) Quaestoren unmittelbar auf Grund der Wahl, nicht erst auf Grund der censorischen lectio in den Senat aufgenommen werden316. Die Änderung wäre für die Zusammensetzung des Senats unbedeutend gewesen, mußte jedoch den Beifall des Volkes ernten317 und damit eine gewisse Entschädigung für die Beschneidung der tribunizischen Vollmachten darstellen. Dann würde 310S. u. Anm. 329. 311Oros. 5,21,2: in bello armatos in pace inermes occidimus. 312 off. 2,26 ff. Sall. Cat. 11,4 ff. 313Vgl. Volkmann, Sullas Marsch auf Rom 60 ff. 314 GCG 212 f. 315Cic. leg. 3,22. Zur Intercession GCG 212. Mommsen, St.-R. 2,308,1. Dies war grund-

sätzlich nichts Neues und widersprach dem Wesen des Amtes nicht, zumal auch C. Gracchus solche Beschränkungen eingeführt hat (Cic. prov. cons. 17. Gelzer Caes.6 58, 153). 316So die übliche Annahme auf Grund von Tac. ann. 11,22,6 kombiniert mit Cic. leg.

3,27. (Mommsen a. O. 421 ff.). Dagegen neuerdings mit guten Gründen Gabba Athen. 34, 1956, 124 ff. Zu Cic. a. O. vgl. auch Sest. 137. Mommsen 3,858. Gabba meint –wahrschein, daß Sulla die Censur nicht beschränkte. Wenn zwischen 78 und 70 keine lich zu recht – Censoren eingesetzt wurden, so muß dies aber nicht allein auf den Widerstand gegen die Neubürger zurückgeführt werden. Es kann vielmehr ein Personalproblem gewesen sein 317Cic. leg. 3,27. (vgl. u. S. 269).

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sich auch darin zeigen, was in anderen Zügen unverkennbar ist318, daß Sulla die Rechte des Volkes so weit respektierte, wie es seine Konzeption zuließ319. Dies war um so nötiger, als er die verbilligte Getreideverteilung abschaffen mußte320 und auch keine Möglichkeit hatte, um wie 88 ein Coloniengesetz für andere als seine Veteranen zu erlassen. Andererseits konnte er wohl nach der Vernichtung der Opposition jetzt großzügiger sein321. Ein zweiter großer Komplex von Verfügungen sollte das Senatsregime gegen einen neuen Einsatz der Berufsarmeen in der Innenpolitik sichern. Künftig sollte es offenbar nicht mehr erlaubt sein, ohne Senatsbeschluß eine Armee nach Italien hineinzuführen, auch nicht zum Triumph322. Durch eine Vermehrung der Magistrate323 sollte die Entstehung langfristiger Statthalterschaften verhindert und dadurch wie durch eine Beschränkung der statthalterlichen Befugnisse die wichtigste Gelegenheit, sich eine treu ergebene Armee zu schaffen, besser unter Kontrolle gebracht werden324. Diese Verfügungen regelten alles, was sich gesetzlicher Regelung erschloß. Den wichtigsten Effekt hat Sulla wahrscheinlich auch auf diesem Gebiet durch die Ausrottung der Opposition zu erzielen gemeint. Einen weiteren, in Wahrheit bedeutenderen bewirkte die tiefe und weit verbreitete Abscheu gegen eine Wiederholung des Bürgerkrieges325.

Die Gerichte wurden vom Ritterstand wieder auf den Senat übertragen, gleichzeitig –was ohne Beispiel, aber sehr sinnvoll war –auch die alte Volksgerichtsbarkeit abgeschafft326. Die Senatoren sollten künftig wieder nur durch ihresgleichen kontrolliert werden. Die wirtschaftlichen Aufgaben der Staatspacht dagegen scheinen die Ritter fast ungeschmälert behalten zu haben, auch in Asien327. Entsprechend den erweiterten Aufgaben des Senats wie der Vergrößerung der Zahl der Magistrate vermehrte Sulla auch den Senat und setzte die Zahl seiner Mitglieder wiederum auf 600 fest328. Neben vielen nobiles und anderen 318O. Anm. 129, 400. 319 Vgl. Badian, Historia 11,1962,231 Anm. 320 GCG 216. Vgl. allerdings auch Plut. Sulla 35,1.

321Vgl. die Vorlage der Gesetze bei den Comitien (o. Anm. 274), ferner Sall. hist. 2,21. 322S. Athenaeum 40, 1962, 107, 14. Vgl. Cic. Mur. 37. Plut. Pomp. 43,3 (dazu Dio

37,20,6). Unklar Sall. Cat. 30,3. Für die Zeit unmittelbar vor Sullas Gesetzgebung vgl. App. 1,361 (wo Sulla es offenbar für selbstverständlich hält, daß er sein Heer nach Italien hinein323GCG 213. führen wird). 324Beschränkung der Befugnisse: Cic. Pis. 50. Cluent. 97. Last CAH 9,297. Vgl. o. S. 241. 326 Dio 37,20,6. Heuß HZ 182, 1956, 17. Vgl. Athen. a. O. 123. 326Cic. Verr. 1,38. Lengle, Römisches Strafr. b. Cic. u. d. Hist., 1934, 13. Vgl. Kunkel, Unters. z. vorsull. Kriminalverf. 60 f. 327Vgl. Gabba, Athen. 34, 1956, 133. Brunt, Latomus 15, 1956, 17 ff. Zahlreiche Belege und Übersicht über die Literatur bei Magie, Roman Rule in Asia Minor 2,1116 ff. –Sulla scheint den Rittern allerdings die bevorzugten Plätze im Theater genommen zu haben (Carcopino, Sylla10 48). 328GCG 215. Willems, Sénat de la Rép. Rom. 1,405. Syme Pap. Brit. School Rom 14,

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Angehörigen des Senatsadels –die auf Grund der Mißbilden der Zeit noch nicht oder nicht mehr Senatoren waren –nahm er gewiß vor allem eine ganze Reihe von Rittern, vornehmlich aus dem Municipaladel auf, nicht zuletzt vermutlich Angehörige mächtiger Neubürgergeschlechter, die ihm und der Nobilität die Treue bewahrt und wichtige Dienste geleistet hatten329. Diese Vergrößerung des Senats war angesichts des Umfangs der Aufgaben wie der Erweiterung der Bürgerschaft330 fraglos notwendig331. Aber wenn es ohnehin eine schwere Anforderung an den Senat gewesen wäre, die gleiche Anzahl von neuen Senatoren im Sinne der alten Traditionen zu formen und zu assimilieren, so war jetzt die Gefahr außerordentlich groß, daß die echten Elemente –wie Carcopino geschrieben hat –durch den Zustrom so vieler neuer Senatoren wie in einem Sturzbach ertränkt wurden332. Der fast völlige Verlust der alten Führerschicht333, die überall noch schwelenden Kriege, die die nachwachsenden Consuln oft noch auf Jahre hinaus beschäftigen sollten, weiter die Unterbrechung des Herkommens und die moralische Verwilderung durch Krieg undNachkrieg mußten den Aufbau eines tüchtigen undallseits voll respektierten neuen Senats unter den damaligen Umständen fast zu einer Sisyphusarbeit werden lassen. Auch wenn sie gelang aber, blieb die innere Struktur des Hauses zwangsläufig verwandelt. Es hatte schon immer neben dem consularischen Adel der Nobilität eine Reihe von praetorischen Familien gegeben334, und schon vor Sulla waren zahlreiche Herren in den Senat aufgenommen worden, die nie über das Volkstribunat oder die Quaestur335 hinauskamen. Aber wenn vorher doch jeder dritte Praetor auch Consul wurde, wurde es jetzt nurmehr jeder vierte. Nicht einmal jeder zweite Senator konnte die Praetur erreichen und nur jeder zehnte noch das Consulat. Die mögliche Folge, daß die Consulate künftig von einer größeren Zahl von Kandidaten um so heftiger umkämpft würden, trat freilich nicht ein. Man hielt vielmehr an dem Vorrecht der Nobilität auf diese Stellen noch dogmatischer fest. Hatte die Generation vor Sulla noch vier homines novi im Consulat gesehen, so kannte die folgende nur einen336. Und wenn in jener ungefähr ein Viertel der Consuln aus praetorischer Familie

1938, 22 ff. Gabba, Athen. 34, 1956, 125 ff. –Zur Frage der neuen Mitglieder Hill CQ 26, 1932, 170 ff. Gabba a. O. –Zur Wahl der neuen Senatoren vgl. die Vermutungen von Gabba

a. O. 128f. Taylor, Voting Districts 292 f. 329Herzog, Röm. Staatsverf. u. Staatsverw. 1,514. Syme a. O. Gabba a. O. 32, 1954, 106 ff. Dazu Brunt a. O. (o. A. 65, 5) 120,4. Vgl. Badian FC 243. 330Vgl. Heuß, Röm. Gesch. 175. 331Vgl. Kunkel a. O. 97. 332Bloch-Carcopino, Hist. Rom. des Gracques à Sylla 465. 333 O. S. 243. 334Der Ausdruck: Cic. Planc. 15. Beispiele bei Gelzer, Kl. Schr. 1,44. Tac. ann. 3,30,1 (Syme, Historia 13,1964,156). 335 Gabba Athen. 33, 1955, 218 ff. 336 Gelzer Kl. Schr. 1,60. Vgl. Q. Cic. Com. Pet. 18. 17 Meier

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stammten, so waren es in dieser nur ein Sechstel337. Diese Tatsachen sind sehr überraschend, sie sind nur damit zu erklären, daß damals aus verschiedenen Gründen338 eine klarere Scheidung zwischen den führenden und den übrigen Senatoren entstand. Aber es konnte dabei nicht ausbleiben, daß mit der Vergrößerung der senatorischen Masse339 der Geist und die Geschlossenheit des Hauses sowie die unentbehrliche souveräne Überlegenheit seiner Mitglieder fühlbar absanken oder ermatteten. Mochte sich die Basis des Senats noch so sehr verbreitern, einschneidender war vermutlich, daß seine Kraft und Ausstrahlung nachließen. Wenn man jedoch das Senatsregime beibehalten wollte – und es ist nicht zu sehen, was man an seine Stelle hätte setzen können –blieb keine andere Wahl. Von den Verfügungen, durch die Sulla die Arbeit des Senats und überhaupt die Politik praktischer gestaltete, seien hier nur zwei erwähnt340: Sulla hat offenbar bestimmt, daß Consuln und Praetoren regelmäßig den größten Teil ihres Amtsjahres in Rom zubringen und dann erst in die Provinzen gehen sollten340a; so wurde indirekt eine Vermehrung der jeweils zur Verfügung stehenden Magistrate erreicht. Zweitens hat Sulla offenbar denTermin der Wahlen zuden 337Dies ergibt sich aus einer Zusammenstellung, die ich an anderer Stelle veröffentlichen möchte. Es ist anhand des Broughton leicht nachzuprüfen. 338 Q. Cic. Com. Pet. 14: Consuetudo horum annorum, daß viele der Wahl von homines novi abgeneigt seien. Einer der Gründe mag gewesen sein, daß zahlreiche Ritter –darunter viele Neubürger –in den Senat einströmten, und nun weithin wenig Meinung bestand, diese gleich in die höchsten Stellen gelangen zu lassen. Ein anderer, daß man sich in der Krise der Zeit um so dogmatischer an den alten Adel hielt. 339Vgl. den Typ des homo novus parvusque senator: Auct. bell. Afr. 57,4. Syme JRS 34, 1944, 93 f. 340Nicht ganz deutlich wird, wie weit Sulla Änderungen an der Reihenfolge des Aufrufs im Senat vornahm. Einen princeps senatus hat die Zeit nach Sulla nicht mehr gekannt (Mommsen St.-R. 3,970). Hat Sulla oder haben die Censoren von 70 ihn abgeschafft bzw. nicht mehr ernannt? Nach 70 haben die Consuln außerhalb des –von wem und nach welchen Gesichtspunkten bestimmten? –ordo (Gell. 4,10,3 ff.) zuerst einige Consulare aufgerufen, und zwar richtete sich diese Bevorzugung nicht nach dem Gegenstand der Debatte (wie vorher zuweilen: Mommsen 974,2), sondern geschah in einer am 1. Januar festgelegten Reihenfolge (Suet. Jul. 21. Gell. 4,10,5. 14,7,9 [aus Varro]). Beispiele: Cic. Att. 1,13,2 (62.61). sen. grat. 17. Pis. 11 (58). Sest. 73f. (57). fam. 2,1,2 (?56). Dieser Brauch scheint sich allmählich eingebürgert zu haben (Gell. 14,7,9). Bei der Einigung zwischen den Consuln (Mommsen 975) genoß vermutlich der Consul, der als erster aus der Wahl hervorgegangen war und die erste Sitzung leitete, gewisse Vorrechte (vgl. Taylor-Broughton, Mem. Am. Acad. Rom 19, 1949, 3ff., zu deren Aufstellung übrigens D. Junius Silanus, Consul 62, hinzuzufügen ist: App. 2,18. Sall. Cat. 50,4. Vgl. Cic. fam. 8,4,4 mit 15,12,1 sowie Q. fr. 2,1,1f. mit fam. 1,2,1. Ferner o. Anm. 197, 219). 340a Die Scheidung in Magistrats- und Promagistratsjahr war nicht scharf und sie war auch vorher schon häufiger vorgekommen (Balsdon, JRS 29, 1939, 61 ff. Carney, Acta Class. 2,1959, 72 ff.). Gleichwohl scheint Sulla auch hier regelnd und systematisierend eingegriffen zu haben (vgl. Mommsen, Ges. Schr. 4, 118 ff. Last 294 f. Gegen einige übertriebene Folgerungen auch Cic. Att. 8,14,3). Meyer, Röm. Staat2 321 f.

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curulischen Ämtern vom Ende des Jahres in den Juli verlegt341 und wohl zugleich angeordnet, daß die designierten Consuln von da ab als erste im Senat zu befragen seien342. Diese Änderung war dadurch möglich geworden, daß die Consuln nicht mehr Roms Kriege führten343 und daß die Bürgerschaft kaum mehr aus Bauern bestand. Sie hatte denVorteil, daß wesentlich mehr Bürger zu den Wahlen –die nun mit den wichtigsten Spielen zusammenfielen –anwesend sein mußten. Damit konnte das konservative Italien auch in den traditionell um diese Zeit abgehaltenen Tribunenwahlen stärkeren Einfluß gewinnen344. Ferner konnten sich die designierten Consuln nach dem anstrengenden Wahlfeldzug in Ruhe auf ihr Magistratsjahr vorbereiten. Indem sie an erster Stelle aufgerufen wurden, mußte sich in der Regel eine enge Zusammenarbeit mit den amtierenden Consuln, Ausgleich und vor allem bessere Kontinuität in der Staatsführung einstellen. Der alte Grundsatz der Annuität, auf den man nicht verzichten konnte und wollte, wurde also elastisch in seinen Konsequenzen gemildert. Dieses sind die inhaltlich wichtigsten Punkte der sullanischen Gesetzgebung. Daneben sind zahlreiche Strafrechtsgesetze zu nennen, die zum Teil bis tief in die Kaiserzeit hinein galten345. Hervorzuheben ist die lex de maiestate, in der, soweit wirsehen, zum ersten Mal derVersuch unternommen wurde, zusammenfassend weitere Teile der magistratischen Tätigkeit genauer zu regeln. Leider wissen wir von ihrem Inhalt zu wenig, umuns ein genaueres Urteil über sie zu bilden. Das oben zitierte Verbot, eine Armee nach Italien hineinzuführen, gehörte wahrscheinlich ebenso zu ihr wie nachweislich die Bestimmung, daß kein Magistrat sein Heer ohne einen Auftrag desSenats über die Grenzen seiner Provinz hinausführen dürfe346. Es war also ein imponierendes Werk, das Sulla in den zwei Jahren seiner Dictatur vollbrachte. So weit wir es beurteilen können, hat er im Großen und im Kleinen und unter Anwendung aller nur denkbaren Mittel, gerechter wie verbrecherischer, alles getan, was überhaupt getan werden konnte, um ein 341In den Jahren vor 100 (Sall. Jug. 36. 37. 114,3. Plut. Mar. 11ff. App. Lib. 9) sowie 89 (Badian FC 230f., bes. 231,5) fanden die Wahlen noch nachweislich erst am Ende des Jahres statt. 70 finden wir zum ersten Mal die Sitte der späteren Zeit, sie im Juli abzuhalten (Cic. Verr. 1,30). Mommsen St.-R. 1, 583ff. E. Meyer vermutet, man habe durch die Verlegung Gelegenheit zu ambitus-Klagen geben wollen. 342App. 2,18. Gell. 4,10,2 u. a. Mommsen 3,973. 343Mommsen 1, 584, der wohl fälschlich damit rechnet, daß dies die Ursache für die Verschiebung war. Zu der „Verbürgerlichung“als Voraussetzung: Tibiletti, Stud. Doc. Hist. Jur. 29, 1959, 123,112. 344Taylor, Party Politics 59. Zum Datum zuletzt Historia 10, 1961, 90f. dazu nachzutragen Cic. Att. 3,13,1 vgl. 14,1. 12,1 (58). Miss Taylor hat, Athen. 41,1963,60f., für ihre Vermutung, die Tribunenwahlen seien ebenfalls erst durch Sulla in den Juli verlegt worden, keine Argumente beigebracht. 345 Vgl. Kunkel RE 24,740 ff. 346GCG 221 (m. o. Anm. 322). Kunkel RE 24, 743. O. A. 137,455. 17*

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konsequentes Senatsregime herzustellen347. Schließlich hat er aus seinem Werk noch die letzte Konsequenz gezogen und Ende 80 oder Anfang 79 seine Dictatur –zur allgemeinen Überraschung –freiwillig und ohne Einschränkung niedergelegt348.

d) Der Rücktritt

Die Niederlegung der Dictatur ist bisher zumeist bei aller Bewunderung als unproblematisch empfunden worden: Sie mußte der Restitution des Senats folgen. Eine andere Lösung bietet Carcopino, der wie gesagt von der Voraussetzung ausgeht, Sulla habe eine Monarchie begründen wollen. Er bestreitet nicht, daß Sulla aus freien Stücken zurücktrat, meint aber, er habe es getan, weil der Widerstand der Gegner ihm die Ausübung monarchischer Gewalt unmöglich gemacht hätte349. Nun hat Carcopinos These so, wie sie ist, nichts für sich. Sollte sie richtig sein, müßte sich doch mindestens eine Spur der behaupteten Absichten in Sullas Werk finden. Andererseits spricht aber die Niederlegung der Dictatur nicht unbedingt für das genaue Gegenteil, und zwar vor allem deswegen nicht, weil Sulla sich gleichzeitig fast völlig aus dem politischen Leben zurückzog350. , Er versuchte nicht einmal –was ihm ohne weiteres möglich gewesen wäre – noch seine allzu und schwache bewahren zu Schöpfung angePrincipat Art eine sichts der sogleich auftauchenden großen Schwierigkeiten zu behüten. Manches spricht dafür, daß er es müde war, sich mit immer neuen Problemen und Gegnern herumzuschlagen. Er war enttäuscht351, und da seine politische Leidenschaft zwar außerordentlich stark, aber nicht beherrschend war352, ist es gut denkbar, daß er nicht mehr Geduld und Spannkraft genug besaß, um sich nach nahezu zehn Jahren härtester Anstrengungen noch den kleinlichen Reibungen des politischen Alltags aussetzen zu wollen. Es ist deswegen nicht auszuschlie347Vgl. Plut. Cic. 10,2 mit Gabba, Annali Sc. Norm. Sup. Pisa 33,1964, 14. 348App. 1,480 ff. Plut. Sull. 34,6f. Oros. 5,22,1. Auct. vir. ill. 75. Badians Datierung ans Ende von 81 (Historia 11,1962,230) ist aus der Luft gegriffen. Die Niederlegung der Dictatur fand vor Wahlen statt, bei denen Sulla nicht kandidierte (Plut.), danach war er privatus (Plut. Oros.), dafür kommt nur 79 in Frage. Orosius’Angabe: creatis ... consulibus ist also nicht wörtlich auf die Wahlen des Jahres 80 zu beziehen. Vermutlich hat er seine formelle Überlegenheit über Metellus Pius während ihres gemeinsamen Consulates gewahrt und ist dann bald zurückgetreten. Für Ende 80: Syme, Harv. Stud. Class. Phil. 64,1959,33. 349Sylla10, 205 ff. sowie die Kapitel 10 bis 12. 350Auct. vir. ill. 75. App. 1,488. Plut. Sulla 36f. Ebd. 35,5 für einen späteren Aufenthalt in Rom. Charakteristisch, wie er auf die Bewerbung und Wahl des Lepidus reagierte: Plut. Sulla 34,7 f. Pomp. 15. Zu seinem späteren Aufenthaltsort Carcopino 212 ff. 351Vgl. die Auseinandersetzung mit Pompeius (Gelzer, Kl. Schr. 2,136f.) und die Reaktion auf die Bewerbung des Lepidus (vor. Anm.). Dazu Ihne, Röm. Gesch. 5,445f. 352Vgl. seine Grabschrift u. S. 262. Sallust schreibt: cupidus voluptatum, sed gloriae cupidior (Jug. 95,3). Aber für den Ruhm waren große Taten –deren er genug vollbracht hatte –, nicht die tägliche Verwaltung gut (vgl. auch Suet. Jul. 86,2. Cic. Marc. 25 ff.).

4. Sullas Neuordnung

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ßen, daß zwar nicht die Niederlegung der Dictatur, aber doch der damit verbundene Rückzug aus der Politik wirklich, wie Carcopino behauptet, durch Widerstand und Schwierigkeiten bedingt war. Ebenso gut könnte Sulla freilich gemeint haben, der Senat müsse nun selbst wieder zusehen, wie er mit seinen Aufgaben fertig würde. Die Gegner waren beseitigt, die verfassungsmäßigen Möglichkeiten, dem Senat und den Magistraten Schwierigkeiten zu bereiten, fast völlig ausgeschaltet, undzur Not warSulla immer noch da und konnte, gestützt auf seine 120000 Veteranen, jeder Gefahr wirkungsvoll begegnen.

Aber wie dem auch sei, und wie es um die innersten Motive seines Handelns bestellt gewesen sein mag, entscheidend für die Beurteilung der Schöpfung Sullas ist in erster Linie deren Art und die Weise ihrer Entstehung. Es ist eigentümlich, daß derAufbau einer fast ausschließlich auf demSenat beruhenden Ordnung ganz undgar von einem mit schrankenloser Vollmacht waltenden Dictator ausging, der überdies in mehr oder minder scharfem Gegensatz zu vielen der führenden Senatoren stand. Statt denMitgliedern des hart geschlagenen Senats Gelegenheit zugeben, im Vollzug des Aufbaus alles wieder in Besitz zu nehmen, hat er sie gedemütigt, in Schrecken versetzt und müßige Zuschauer eines höchst eigenwilligen Werkes sein lassen, das sie doch später selbst verantworten sollten. Er hat, mit Mommsen zu sprechen, die Oligarchie nicht mit, sondern trotz der Oligarchen auf eigene Hand restauriert353. Offenbar meinte er in einer ungestümen Entschlossenheit, durch Proscriptionen und Gesetze eine Staatsform aus einem Guß schaffen und dem Senat und der res publica einfach aufzwingen zu können. Wie Sulla dabei den Senat behandelte und konsequent und überlegen sowie ungehemmt durch alle kleinlichen Bedenken vernünftige und teilweise kühne Pläne verwirklichte, erinnert in vielem an Caesars Handlungsweise in den Jahren 59 und nach 49354. Hans Volkmann hat schon im Verhältnis zu den Soldaten viele Ähnlichkeiten zwischen beiden entdeckt355. Vor allem aber war es, wie schon angedeutet, Eines, das die beiden großen Herren verband: Die alles in den Schatten drängende archaische Kraft des persönlichen Anspruchs. Sulla hat zwar wahrscheinlich nicht wie Caesar einen Bürgerkrieg um der eigenen dignitas willen entfesselt. Aber persönliche Motive hatten doch auch bei seinem ersten Marsch auf Rom und der –wesentlich auch mit verletzter dignitas begründeten –Wiedereröffnung des Bürgerkrieges keine geringe Rolle gespielt; soweit sie es nicht taten, waren es sehr persönliche Maße und eigenwillige Vor353Röm. Gesch. 2, 336. 354U. S. 281 ff. Zu 49 vgl. etwa b. c. 1,32,7: postulat ut rem publicam suscipiant atque una secum administrent. sin timore defugiant, illis se oneri non futurum et per se rem publicam administraturum (Anfang April). Vgl. Cic. Att. 10,4,9 (Mitte April) auf Grund eines Berichts Curios: ad senatum ‘a me’inquit omnia proficiscentur’ (zum Text Sjögren, zur Sache ‘ Gelzer, Caesar6 192, 86). 355 Sullas Marsch auf Rom, 1958, 14ff.

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VI Der Ausbruch der akuten Krise in den Jahren seit 91 v. Chr.

stellungen von der Sache des Senats, die ihn bestimmten, ganz auf sich gestellt und im Gegensatz zur Senatsmehrheit etwas zu wagen, was 88 nicht weniger außergewöhnlich war als 49 Caesars Übergang über den Rubicon. Und für den archaischen Geist seines Handelns hat uns Sulla selbst das beste Zeugnis in seiner Grabschrift geliefert, die besagte, daß er im Erweisen von Gutem alle Freunde, von Bösem alle Feinde übertroffen habe356. Man darf sich dabei durch die Unterschiede nicht beirren lassen, die außer aus dem verschiedenen Format und Lebensgrund der Persönlichkeiten vor allem daraus resultieren, daß Sulla im Gegensatz zu Caesar den Senat trotz allem auf seiner Seite, und daß Caesar Sullas abschreckendes Vorbild und die Eitelkeit seines Erfolges vor Augen hatte. Aber gerade wegen dieser Unterschiede sind die Gemeinsamkeiten so verblüffend. Jedenfalls scheint es, daß der Mann, der damals das oligarchische Regiment so folgerichtig restaurierte, seiner Eigenart undseinem Verhalten nach nicht in die Reihe der senatorischen principes gehörte, sondern eher vom Schlage Caesars war. Anders als bei Sulla war die politische Leidenschaft bei Caesar jedoch beherrschender. Er stellte sich ganz in ihren Dienst und behauptete von seinem Vorgänger, dieser habe das ABC nicht gekannt, da er seine Dictatur niederlegte367. Aber es spricht doch vieles dafür, daß am Ende selbst Caesar vor den Schwierigkeiten seiner Aufgabe zu entfliehen suchte, freilich nicht ins Privatleben, sondern in den Krieg gegen die Parther358. Wie es also auch imeinzelnen umSullas Motive gestanden haben mag: erwar der erste und das Vorbild für die großen, ihre Standesgenossen weit überragenden Einzelpersönlichkeiten. Sulla wies die Dimensionen undMöglichkeiten auf, in denen diese Herren sich dann bewegten. Was er im Sinne desSenats tat, mochten andere nach ihm gegen den Senat ins Werk setzen. Seine ganze Art und sein Beispiel standen in heftigstem Widerspruch zu seinem Werk. Daran konnte auch sein Rücktritt –so viel Bewunderung er verdienen mochte –nichts ändern. 5. DAS ERGEBNIS DER 80ER JAHRE

Es ist sehr auffällig, daß in der halben Generation von 95 bis 80 vier bedeutende Versuche, das Senatsregime zu befestigen und konsequenter zu praktizieren, stattfanden. Sie hatten alle mit dem Aufstieg der Ritter und auf diese oder jene Weise mit dem Problem der Aufnahme der Italiker in die civitas zu tun. Sie versuchten alle, die Extensivierung der respublica zuüberwinden. Aber wenn die Führung des Senats im politischen Alltag bei nicht allzu strenger Handhabung unbestritten war, so bäumten doch die nur noch schlecht inte356 Plutarch 38,6. Vgl. Fröhlich RE 4,1565. 357 Suet. Jul. 77. 358 Strasburger HZ 175, 1953, 261 f. Auch Gelzer, Caesar6 302.

5. Das Ergebnis der 80er Jahre

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grierten Teile der res publica in dem Moment, in dem man den Staat neu konzentrieren wollte, sich auf und erwiesen eine in diesem Ausmaß wohl unerwartete Macht. Mit jedem Reformversuch wurden die Gegner und die Probleme höher getrieben, jeder folgende Eingriff ging tiefer, bis schließlich Sulla nach zwei Bürgerkriegen durch die Liquidierung der gesamten Schicht, die seit 95 die größten Schwierigkeiten bereitet hatte, eine endgültige Lösung zu finden suchte. Das Geschehen dieser Jahre wurde also immer wieder durch die Vertreter eines entschiedenen Senatsregimes entscheidend bestimmt. Die Ritter und teilweise auch die Italiker reagierten nur darauf. Je weiter aber die Auseinandersetzung sich steigerte und die Gegensätze sich radikalisierten, um so weniger war sich der Senat über die Nützlichkeit der Reformen einig. Im Jahre 95 fanden die Wiederherstellung einer gerechten Verwaltung in Asien und der Versuch, die stillschweigende Usurpation des Bürgerrechts durch verschiedene Italiker zu unterbinden, wahrscheinlich noch den Beifall der Mehrheit des Hauses. Als Livius Drusus darauf 91 –nach der Verurteilung des Rutilius Rufus –die Herrschaft der Ritter über die Gerichte brechen wollte, konnte er sich ebenfalls noch auf die Senatsmehrheit stützen. Über den heftigen Gegensätzen aber, die die Italikerfrage aufrührte, zerfiel diese Mehrheit, undes gelang der mit den Rittern zusammenhaltenden Gruppe von Senatoren sogar, die schon ergangenen Beschlüsse für ungültig erklären zu lassen. Nach dem bellum Italicum wechselten die Fronten, indem die Ritter sich zusammen mit den politisch Interessiertesten der Neubürger gegen den Senat stellten. Als Sulpicius Rufus darauf mit Gewalt die gleichmäßige Verteilung der Neubürger auf die tribus und die Übertragung des mithridatischen Krieges an Marius durchsetzte, war die Senatsmehrheit bereit, dies hinzunehmen. Sullas Marsch auf Rom wurde mindestens von einer sehr starken Gruppe im Senat abgelehnt. Damals ging die Klimax der Reformbestrebungen über die Korrektur der in der letzten Generation eingetretenen Übelstände hinaus, indem Sulla auch die in vielen Generationen gewachsenen Vollmachten der Volkstribunen wesentlich beschnitt. Im Jahre danach leistete der Senat zwar dem Versuch Cinnas, Sullas Eingriff wieder rückgängig zu machen, heftigen und erfolgreichen Widerstand; nachdem jedoch die Gegner im Bürgerkrieg gesiegt und Rom erobert hatten, versuchte (nach Marius’Tod) mindestens ein großer Teil der Senatoren, Cinna und Sulla wieder auszusöhnen, umeinen Wiederausbruch des Bürgerkrieges zu verhindern. Damals war die Mehrheit der Senatoren weniger für Sulla als für den Frieden, undes war schließlich nur konsequent, daß Sulla ohne und gegen den Senat dessen Regime wieder aufrichtete. Sulla handelte also zwar aus höchster Subjektivität, aber er bewegte sich damit in einer seit 95 aufgekommenen Tradition senatorischer Politik, die fortschreitend in eine sich zuspitzende Dialektik innerhalb desSenats wie zwischen dem Senat undden Rittern und Neubürgern hineinführte. Wie weit persönliche

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Verbindungen zwischen den jeweiligen Trägern dieser Politik bestanden359, wie weit also etwa Scaurus und Livius Drusus mit denselben Freunden zusammenwirkten wie später Sulla, ist unklar. Aber auf jeden Fall waren 95 und 91 Bestrebungen in Gang gebracht worden, die Sulla wieder aufnahm, und man kann sicher sein, daß die seitdem wach gewordene Erkenntnis der Notwendigkeit einer Befestigung des Senatsregimes wesentlich zu dem hohen Ethos beitrug, aus dem Sulla fast zehn Jahre lang höchste Anspannungen ertrug und Äußerstes wagte. Mit dem senatorischen Interesse –wie er es verstand –traf sich freilich der kräftige persönliche Ehrgeiz dieser archaischen Persönlichkeit (die nach Sallust weniger durch das Ideal der magnitudo animi als durch einen animus ingens ausgezeichnet war360). Beide Antriebe wiesen Sulla seit 88 stets in diegleiche Richtung unddas Geheimnis seiner außerordentlichen Leistungen, seiner felicitas, ist wohl nicht zuletzt aus ihrer innigen Verknüpfung zu verstehen361.

Es war wahrscheinlich charakteristisch für den römischen Adelsstaat, daß bei der ersten Gelegenheit, bei der ein Einzelner mehr vermochte als der Senat und die res publica, bei der die Dimensionen aufgerissen wurden, in denen die überragenden Persönlichkeiten der folgenden Jahrzehnte sich dann bewegten, der Gegensatz zwischen demEinzelnen unddemSenat darin bestand, daß jener senatorischer war als dieser. Die senatorische Gesinnung schlug sich dann zwar in seinem Werke nieder, aber überall widersprachen die Mittel dem Zweck, und es fragte sich, ob das sachliche Werk oder das persönliche Vorbild die größere Nachwirkung entfalten würde. Man darf allerdings der sullanischen res publica nicht einfach auf Grund der nachfolgenden Ereignisse die Prognose stellen. Gleichwohl sind einige wesentliche Momente deutlich: Der Senat stand zwar nach der rechtlichen Ordnung der Verfassung so gut da wie seit zwei Jahrhunderten nicht mehr. Aber er besaß so wenig wie je wirksame Mittel zur unmittelbaren Verteidigung seines Regimes und im beson359Badian meint, daß M. Scaurus, M. Livius Drusus, Sulla und dessen College Q. Pompeius Rufus und zu Anfang seines Tribunats auch P. Sulpicius Rufus zu der von ihm so genannten „Metellerfaktion“gehörten. Daß gewisse Beziehungen zu dem mächtigen Haus besonders bei Scaurus und Sulla bestanden, ist sicher. Daß es jedoch eine derartige Faktion als bedeutenden Faktor der Politik gab, ist ganz unwahrscheinlich (BJ 161, 1961, 508 ff. gegen Badian Historia 6, 1957, 318 ff. FC 231). Scaurus wie Sulla trieben gewiß vor allem ihre Politik und die des Senats, nicht die der Meteller. Daß sie und Drusus –dessen Beziehungen zu den Metellern sehr indirekt gewesen sein müssen –sich zum Teil auf dieselben Herren stützten, ist zu vermuten, aber auch damit entstünde keine Faktion, sondern eine Tradition bestimmter Auffassungen, die zum Teil von dem gleichen Kreis prominenter 360Sall. Jug. 95,3. Senatoren getragen wurden. 361Zu Sullas felicitas Balsdon JRS 41, 1951, 1ff. o. Anm. 292. An dieser Stelle wird der Unterschied zwischen Sulla und Cn. Pompeius Strabo, der ihm in mancher Hinsicht verwandt war (Gelzer, Kl. Schr. 2,123 ff. 133), besonders deutlich.

5. Das Ergebnis der 80er Jahre

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deren der sullanischen Gesetze 362. Die neue Ordnung bezog ihre Legitimität nur aus dem strapazierten Boden der Tradition, ihre politische Chance aus der Ausrottung der Gegner. Da jedoch die übermäßige Extensivierung als gesellschaftliche Tatsache bestehen blieb, konnte –sobald die Ritter ihre Ohnmacht überwunden hatten –die alte Problematik wieder aufleben, undob mandann weiterhin die Beschränkung des Volkstribunats und die Ausschließung der Ritter von den Gerichten aufrecht erhalten konnte, war sehr zweifelhaft. Außerdem konnte Sulla das Mittel, mit dessen Hilfe er das Senatsregime wieder hergestellt hatte, nicht vergessen machen, und dies war um so schlimmer, als verschiedene Kriegsherde auf Grund der Schwächung Roms in den 80er Jahren wie der sullanischen Eingriffe363 erhöhte Anforderungen stellten. Es mochte sein, daß der Senat die Männer fand, die ihm ergeben und doch fähig waren, mit allem fertig zu werden. Aber es war doch eine besondere Gefahrenquelle. Vor allem war der Senat innerlich schwächer als je. Er hatte eine Einbuße an Substanz erlitten, wie sie schwerer kaum denkbar war, war an der Zukunft verzweifelt und bekam dann, als er nach Sullas Sieg das Heft wieder in die Hand nehmen wollte, erst das volle Ausmaß seiner Ohnmacht zu spüren. Die perturbatio disciplinae veteris hatte auch in seinen Reihen um sich gegriffen. Sullas ratio vincendi364, die Proscriptionen, die weiteste Kreise in Mitleidenschaft ziehende Wegnahme undNeuverteilung des Eigentums undals besonderer Eindruck die bewußt zur Schau getragene Willkür des Siegers, der das Vermögen seiner Gegner als „seine Beute“zum Teil für sich behielt, zum Teil versteigerte oder verschleuderte365, gehörten zu den unauslöschlichen Erlebnissen der damaligen Generation. Cicero wie Sallust datieren in diese Zeit das entscheidende Anwachsen des moralischen Versagens der römischen Bürgerschaft, gleichsam den Umschlag von seiner Quantität in die Qualität366. Dagegen –wiegegen die Versuchungen der unbeschränkten Macht –war auch der Senat nicht gefeit, und auf ihm lastete zudem das ganze Unrecht, das er als Erbe Sullas zu verantworten hatte, wie eine schwere Hypothek, so daß er in seinen Besten nun auch noch von schlechtem Gewissen gequält war367. Somußte es für die wenigen führenden Persönlichkeiten, die langsam nachwuchsen, 362 O. S. 157. 343 Vgl. Flor. 2,10 (3,22), 10 zum spanischen Krieg: quid amplius quam Sullanae proscriptionis hereditas fuit? Zu der von dort drohenden Gefahr: GCG 240 f. Dazu Plut. Pomp.

20,7 f. Sall. hist. 2,98: Man befürchtete, daß Sertorius über die Gallia Narbonensis seine Macht schnell bis in den „Nacken Italiens“ausdehnen könnte. 364 Vgl. Caesar bei Cic. Att. 9,7c,1. 365Cic. off. 2,29. Verr. 2,3,81. Plut. Sulla 41,5. Flor. 2,9 (3,21). GCG 202. 366 Cic. off. 2,27 ff. Sall. Cat. 11,4 ff. Volkmann, Sullas Marsch auf Rom 63 ff. Syme, Rom. Rev. 22. Vgl. Cic. Cat. 3,24. 367Cic. Verr. 1,44. 2,3,81. Pis. 4. Proscr. lib. (ed. Schoell S. 435). Flor. 2,11 (3,23), 2. – Vgl. u. S. 269. o. A. 160, 563.

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außerordentlich schwer sein, das –noch dazu um mehr als die Hälfte seines Bestandes vermehrte –Haus moralisch und geistig in die Lage zu versetzen, Zentrum und Führer der res publica zu sein. Aber wie das Senatsregime nicht konsequent neu begründet werden konnte , so konnte ohne den Marsch auf Rom unddie Bürgerkriege –mit ihren Folgen – die so groß gewordene respublica auf diese Weise nicht mehr regiert werden, ohne eine beträchtliche Vergrößerung der Zahl der Senatoren368. Diese Gesetzmäßigkeit, nach der die Beseitigung des einen Übels immer die Inkaufnahme eines anderen erforderte, wirkte sich zugleich darin aus, daß man nach den Erfahrungen der 80er Jahre ängstlicher als je auf strenge Einhaltung der oligarchischen Regeln bedacht sein mußte, so daß die Mittelmäßigkeit weiter einzementiert und das Wirken außerordentlicher Persönlichkeiten erschwert werden mußte. Es ist bezeichnend, daß Sulla zwar das in der Mitte des zweiten Jahrhunderts erlassene Verbot, zweimal das Consulat zu bekleiden, aufhob und nur ein zehnjähriges Intervall vorschrieb369, daß jedoch keiner der großen Vorkämpfer des Senats davon Gebrauch gemacht hat 370. So konnte man einerseits weniger elastisch als vorher auf Krisen reagieren undesdrohte andererseits eine gefährliche Dialektik zwischen den größten Persönlichkeiten und dem Gros des Standes. Daher war es mindestens höchst zweifelhaft, ob dieser vierte große Reformversuch, der am weitesten ging und als erster einstweilen erfolgreich war, auch insofern die Ausnahme von der Regel bildete, als er mehr zum Guten als zum Bösen ausschlug. Ex eventu betrachtet scheint die Senatsmehrheit besser geurteilt zu haben, wenn sie den weniger guten, dafür aber schlecht und recht auf die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte eingestellten status rei publicae ohne Erschütterungen erhalten wollte. Die Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten des Senats und den übrigen Mächten sowie den Aufgaben war zu groß, als daß man dem Haus mit der Herstellung eines entschiedenen Regimes einen Gefallen hätte tun können. Aber das konnte Sulla nicht wissen; es mußihm zugute gehalten werden, daß man –wenn nun einmal dasSenatsregime erhalten bleiben sollte –alles tun mußte, umes in Ordnung zu bringen. Indem aber das Gros der Senatoren wie die großen Reformer, jeder auf seine Weise, recht hatten, äußerte sich in jenen Jahren zum ersten Mal und wiederholt ganz deutlich die Aporie der Zeit, daß die Heilmittel so schlimm wie die Übel waren, die sie bekämpfen sollten. Die Probleme waren zu groß, die Ärzte überzeugten nicht recht, und daher war die Kur zu anstrengend, sie griff mehr an, als daß sie nützte. 348 S. o. S.

256f. 369 GCG 214.

370 Vgl. o. S. 197.

VII DIE ZUSPITZUNG DER KRISE IN DEN JAHREN UM 60 V. CHR. Die sullanische res publica geriet dadurch unmittelbar nach dem Tod ihres Schöpfers in eine Krise, daß der Consul Lepidus in Etrurien einen Aufstand anfachte. Freilich zeigte sich bald, daß dessen Stärke nur in der Unentschlossenheit undSchwäche des Senats1 lag. Denn sobald mansich zuenergischen Maßnahmen aufraffte, ließ sich der Aufstand schnell niederschlagen2, allerdings – nachdem es einmal so weit gekommen war –nur mit Hilfe des Pompeius. Dann wollte es das Unglück, daß der Senat auch dem in Spanien übriggebliebenen Cinnaner Sertorius keinen genügend erfolgversprechenden Feldherrn entgegenstellen konnte außer –wiederum –Pompeius3. Nach der Rückkehr von dort wurde Pompeius im Jahre 70 Consul undschaffte die wichtigsten Teile der sullanischen Verfassungsreform –die Beschränkung des Volkstribunats und die senatorische Gerichtsbarkeit –ab. In den folgenden Jahren jedoch hielt er sich zurück und spielte politisch keine große Rolle4, bis 67 und66 ihm ergebene Tribunen durch Volksgesetz außerordentliche Kommanden gegen die Seeräuber und Mithridates einrichteten und ihm übertrugen. Damals hat der Senat dem Feldherrn zumersten Mal5offen undheftig Widerstand geleistet. Dabei hatten Pompeius und die Schichten, die auf die Bekämpfung der Seeräuber und des Mithridates größten Wert legten, gewichtige Gründe für sich. Es waranderZeit, energisch undin großem Maßstab einzugreifen6, undunter dengerade amtierenden Magistraten war keiner, der ähnliche Leistungen oder Fähigkeiten aufzuweisen hatte wiePompeius. Allein, derSenat fühlte sich, undebenfalls mit guten Gründen7, durch den weiteren Aufstieg des Pompeius bedroht und hielt diesen inneren Aspekt der großen Kommanden für sehr viel bedeutender als den äußeren. Er geriet also in einen schweren Konflikt zwischen den –übrigens von manchen auch der principes anerkannten8 –sachlichen Notwendigkeiten und 1 Er hatte viel weniger Zulauf als erwartet (vgl. Oros. 5,22,18. Suet. Jul. 3). Das Verhalten des Senats: Wiehn, Die illegalen Heereskommanden 34. 2 GCG 237ff. 3 Ebd. 238 (dazu Cic. imp. 60. Oros. 5,23,8. Cichorius, Röm. Stud. 193). Für die Gefahr 4 Plut. Pomp. 23,3 ff. 5 Vgl. u. S. 289. noch Sall. hist. 2,98,4. 6 Vgl. die Beratungen des Senats wegen der Seeräuber Ende 68: Stein, Senatssitzungen d. cicer. Zt. Diss. Münster 1930. 5. –Die von Mithridates drohende Gefahr hat man in Rom wohl geringer eingeschätzt: Gelzer Pomp.2 110. Cic. Att. 1,1,2 mit o. A. 193, 187. 7 U. S. 289 ff. 8 Cic. imp. 68.

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der Rücksicht auf die eigene Macht. Es schien sich eine Alternative zwischen der senatus auctoritas wie der inneren Freiheit der res publica und andererseits der äußeren Ordnung zu stellen9. Dem Aufstieg des Pompeius scheint ein ständiger Abstieg des Senats entsprochen zu haben. Schon vor 70 hatte man auf ein wichtiges Gesetz Sullas verzichten müssen10. Kurz nach dem Consulat des Pompeius erwies sich dann, daß die Ritter so viel Einfluß auf den Senat hatten, daß sie ihn von innen her zu verhängnisvollen Entschlüssen bewegen konnten11. Wenn sie jetzt –außer 67 und 66 –politisch wenig in Erscheinung traten, so war dies also nur ein Zeichen dafür, daß sich die Situation gegenüber der Zeit vor Sulla zu ihren Gunsten verändert hatte. Außer 88 haben sie außerdem vorher nie, wie 67 und 66, in größerem Umfang in die Exekutive des Senats und die „Außenpolitik“ einzugreifen versucht. Infolge der großen Kommanden aber wurde Pompeius so mächtig, daß es –so glaubt man–nur ein Scheinerfolg war, wenn der Senat ihn nach der Rückkehr aus dem Osten zwei Jahre lang an der Durchsetzung seiner aus der Kriegführung sich ergebenden Forderungen zu hindern vermochte. Er besaß neben der ererbten Hausmacht eine starke Gefolgschaft in seinen Veteranen; und überall in den Provinzen hatte er mit größtem Aufwand sich beträchtliche Clientelen geschaffen12. Konnte es nun ausbleiben, daß er in Rom eine dem entsprechende Stellung gewann? Es scheint also von 78 bis 60 und darüber hinaus eine „Entwicklung“stattgefunden zu haben. Aber es ist zu fragen, ob dieser Eindruck richtig ist. Waren in der kritischen Situation um das Jahr 60 nicht doch mehrere Möglichkeiten enthalten? Gewiß hatte Pompeius’Macht bis dahin stetig zugenommen. Aber die Geschichte des Senatsregimes zwischen 78 und60 war komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Seine Rechte wurden freilich geschmälert, aber dabei fiel nur hin, was auf die Dauer keineswegs haltbar gewesen wäre. Andererseits ist zu beherzigen, daß der Senat nach denaußerordentlichen Einbußen an biologischer undmoralischer Substanz sich erst sehr allmählich wieder regenerieren konnte. In der Zeit nach Sullas Tod wurden alle fähigen Consulare auf Jahre hinaus in ihren Provinzen festgehalten, während diesenatorische Politik nach demim Jahre 75 oder bald darauf erfolgten Tode des Philippus13 lange Zeit allein von Catulus geleitet werden mußte, der dabei an den sehr mittelmäßigen, zum Teil nach 9 Interessant ist der Vergleich mit der Haltung, die der Senat 148 und 135 bei den Wahlen des Scipio Aemilianus zum Consul einnahm (o. S. 126 f.); ob der Senat sich der Verleihung des afrikanischen Kommandos an Marius widersetzte, ist nicht bekannt, mit dem Krieg gegen die Cimbern hat er ihn vielleicht selbst betraut (Gnomon 36, 1964, 70). Vgl. zu 67 noch das Verhalten des Consuls Piso, Gelzer Pomp. 2 74f. 10 Das Gesetz, das den Tribunen die Bewerbung um weitere Ämter verbot (GCG 245). 11 O. S. 85 f.

12Gelzer, Kl. Schr. 1,96ff., bes. Dolabella bei Cic. fam. 9,9,2. Cic. Att. 8,11,2. Balb. 9. Caesar b. c. 3,43,3. 13Cicero (Quaestor 75) hat ihn noch mehrfach im Senat sprechen gehört: leg. agr. 2,42.

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den milden Maßen der Restauration gewählten anderen Consularen wenig Stütze fand. Im Jahre 74, für welches das unwürdige Treiben des einflußreichen Intriganten Cethegus bezeugt ist14, waren außer Catulus bestenfalls M.Perperna (Consul 92), M. Tullius Decula und Cn. Cornelius Dolabella, die Consuln von 81, D. Junius Brutus und Mam. Aemilius Lepidus Livianus, die Consuln von 77, sowie Cn.Octavius, Consul 76, als Consulare in Rom. Es ist nicht ausgeschlossen, daß einige von ihnen schon tot waren. Die Consuln von 81 nun hatten ihr Amt offensichtlich ihrer politischen Unbedeutendheit zu verdanken15. Die Unzulänglichkeit der Consuln von77 war notorisch16. Cn. Octavius warzwar tüchtig, aber offenbar ein kranker Mann. Die Rückkehr des P. Servilius Vatia aus dem kilikischen Kriege und die des C. Scribonius Curio aus Makedonien stand noch bevor17.

Trotz der Mitarbeit Jüngerer, in erster Linie seines Schwagers, desmächtigen Redners Q. Hortensius, der 72 Praetor wurde, konnte Catulus den Geist des Senats nicht bestimmen. Er mußte die Unfähigkeit und Bestechlichkeit18 sehr vieler Mitglieder des groß gewordenen Hauses mit ansehen, das Versagen ihrer Gerichtsbarkeit19 unddieschamlose Ausbeutung der Provinzen20. Als Pompeius im Jahre 70 dem Senat seinen Antrag auf Restitution des Volkstribunats vorlegte, gab Catulus zu, daß die Forderung nicht so heftig (und auch berechtigt) wäre, wenn die Senatoren die Gerichte nicht male etflagitiose verwaltet hätten21. Eine Integration des Senats im Sinne der alten Normen scheint also nicht geglückt zu sein. Als unter dem Schutz des Pompeius im Jahre 70 eine Censur abgehalten wurde, wurden 64 Senatoren, das heißt ein Zehntel aller Mitglieder, aus der Liste gestrichen22. Wenn man nicht schon vorher Censoren gewählt hatte, so kann sich dies einfach aus dem Mangel an Autorität bei den wenigen tüchtigen principes erklären. Es ist wahrscheinlich bezeichnend, daß im Jahre 70 offensichtlich alle Veränderungen ohne Widerstand hingenommen worden sind23. Wenn der Senat dann 67 und 66 Pompeius energischen Widerstand leistete, so mag nicht nur die erhöhte Gefahr, die man von ihm befürchtete, sondern auch die inzwischen erfolgte innere Kräftigung des Senats –zu der Pompeius selbst im Jahre 70 beigetragen hatte –dazu geführt haben. Während Pompeius’ Abwesenheit 14Cic. parad. 40. Plut. Luc. 5,4 f. 6,2 f. Ps. Asc. 259 St. o. S. 180f. 15 O. S. 248 f. 16Cic. imp. 62 u. a. (GCG 238). 17Liv. per. 93. 95. Cic. Verr. 2,3,211 (Servilius war 5 Jahre abwesend). Octavius: Cic. Brut. 216f. fin. 2,93. Sall. hist. 2,26. Allgemein zu den Wahlen dieser Jahre: Sall. 1,86. 18Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2, 163 f. und die Belege der folgenden Anmerkungen. 19Cic. Verr. 1,20.36 ff. 2,1,43 f. 2,2,77. 3,223. Cluent. 61. 77. 131 u. a. 20Cic. div. in Caecil. 7f. Verr. 1,40f. 45. 2,3,107. 5,126. off. 2,27. Heuß, Röm. Gesch. 179f. 21Cic. Verr. 1,44. 22GCG 270f. Gelzer a. O. 173 (zur Wahl: Athenaeum 40, 1962, 108,18). Das Wirken der Censoren muß keineswegs als pompeianische Parteipolitik aufgefaßt werden. 23 U. S. 289.

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scheint der Aufstieg des Hauses sich fortgesetzt zu haben. Jedenfalls stand es am Ende der 60er Jahre kräftiger da als je nach 78; darüber sollte die Geschichte des Verfassungsrechts nicht täuschen. Durch Pompeius’Siege über die Seeräuber und Mithridates waren außerdem die letzten äußeren Nachwirkungen der 80er Jahre beseitigt sowie die Not des Staatsschatzes behoben24. Es ist also zu fragen, ob der Ausgang der nun mit Pompeius’Rückkehr zu erwartenden Auseinandersetzungen nicht doch offen war und wodurch die Ereignisse um das Jahr 60 eine so verhängnisvolle Wendung nahmen. 1. POMPEIUS‘ RÜCKKEHR AUS DEM OSTEN UND DIE VERÄNDERUNG DER SENATORISCHEN POLITIK DURCH CATOS AUFSTIEG

Pompeius hatte die Absicht25, solange er noch im Osten an der Spitze einer mächtigen Armee stand, soviel wie möglich von der Macht, die er dort besaß, in die Innenpolitik zu transferieren. Dazu hatte er mit seinem Schwager und Legaten Q. Metellus Nepos verabredet, daß dieser ihm als Volkstribun die Möglichkeit verschaffen sollte, sich um das Consulat für 61 zu bewerben. Ein dahin lautender Antrag hätte gewiß alle Aussicht auf Erfolg gehabt, und die Wahl wäre so gut wie sicher gewesen. Dann hätte Pompeius wahrscheinlich – wie 71 –am letzten Tage des Jahres 62 seinen Triumph gefeiert und anschließend gestützt auf die Veteranen und beglänzt vom Ruhm seiner Eroberungen im Besitz des höchsten Magistrats die Forderungen durchsetzen können, die sich aus dem Kriege im Osten ergaben: Versorgung seiner Veteranen und Bestätigung der –wesentlich auch zur Befestigung seiner Macht in den Provinzen dienenden –Verfügungen im Osten. Er hätte damit nur die im ganzen berechtigte Konsequenz aus seinen Kommanden und aus der innenpolitischen Geschichte seit Sulla gezogen. Hätte sich dieser Plan ausführen lassen, so wäre damit zu rechnen gewesen, daß Pompeius sich trotz möglicher Auseinandersetzungen im ganzen friedlich in die Innenpolitik wieder eingefügt hätte. Nach seinem Consulat hätte er sich vor allem der Ansiedlung seiner Veteranen gewidmet, die diesmal nicht wie 70 durch den Mangel an Mitteln hätte vereitelt werden können26. Das Senatsregime hätte er aber vermutlich so wenig beeinträchtigt wienach seinem ersten Consulat, hätte nur im einzelnen größeren Einfluß üben können. Daraus hätten sich bei der Höhe seiner Ansprüche und der Weite seines über den ganzen Herrschaftsbereich sich erstreckenden persönlichen Engagements manche Konflikte ergeben können, aber nichts sprach dafür, daß es darüber zu schwereren, das ganze Gefüge der res publica bedrohenden Kämpfen kommen mußte. Mitten in die Vorbereitungen des Nepos fiel jedoch die catilinarische Verschwörung. Nepos fand die Gelegenheit günstig, um–wie es seine Verabredung 24Gelzer Pomp.2 123. 25 Zum Folgenden s. Athenaeum 40, 1962, 103 ff.

26 Ebd. 109,22.

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mit Pompeius ebenfalls als Möglichkeit vorsah –den Antrag zu stellen, man solle den Feldherrn mit seinem Heer zu deren Bekämpfung herbeirufen. Es hätte sich damit die Situation von 71 fast genau wiederholt. Allein, die führenden Kreise des Senats vermochten –in dieser Situation der Gefährdung der Gesellschaft von den Rittern unterstützt –Pompeius’Freunde in der entscheidenden Sitzung am 5. Dezember 63 zu besiegen undgewannen, nachdem sie ein Exempel gegen die Catilinarier statuiert hatten, eine Machtposition, wie sie sie seit den80er Jahren nicht mehr besessen hatten. Zumersten Mal warder Senat mit einer akuten Krise wieder aus eigener Kraft fertig geworden und hatte sich stark und entschlossen gezeigt. So gelang es auch, den Antrag des Nepos zu vereiteln. Letztlich dank eines Zufalls also konnte der Senat Pompeius zumersten Mal besiegen. Die innenpolitischen Machtverhältnisse verkehrten sich völlig, der Trend der Jahre seit 78 schien aufgehoben zusein. Nachdem Pompeius Ende 62 in Brindisi gelandet warundsein Heer dort entlassen hatte, bereitete ihmzwar die Bevölkerung aller Städte Italiens und endlich der Senat und das Volk von Rom einen glänzenden Empfang, danach jedoch wurde er die Beute seiner Gegner. Seine Situation war so schlecht, daß er es wider das Herkommen nicht einmal wagte, seine Veteranen zum Triumph nach Rom zu rufen27. Von den Ehrenrechten, die ergebene Tribunen ihm 63 durch die Volksversammlung hatten verleihen lassen undin denen sein Anspruch, Reichsfeldherr zusein, sich und das war dokumentieren sollte, hat er nur einmal Gebrauch gemacht, „ , wie es bei Velleius Paterculus heißt23. Offenbar stieß wahrlich schon zuviel“ er also damals auf so spürbaren Widerstand, daß er künftig darauf verzichtete. Pompeius hat dann 61 oder 60 demSenat seine Verfügungen zurBestätigung vorgelegt, und zwar en bloc. Seine Gegner, unter denen sich neben Cato und seinem Rivalen Crassus besonders die von ihm im Osten und von seinen Anhängern in Romso schlecht behandelten Feldherrn L. Lucullus undQ. Metellus Creticus befanden, sahen darin jedoch das Verfahren eines Despoten und forderten, daß über jede Anordnung einzeln verhandelt werden sollte. Man muß dabei bedenken, daß Pompeius 66 sogleich nachAntritt seines Kommandos alle Verfügungen des Lucullus annulliert hatte, was seinen Grund offenbar auch darin hatte, daß er besonders starke Clientelbindungen im Osten knüpfen wollte29. Aus dem gleichen Grunde hatte er es auch unterlassen, bei der Ordnung der östlichen Provinzen gemäß dem Herkommen eine Senatskommission hinzuzuziehen30. Seine Laufbahn stand immer unter dem Gesetz ihres Anfangs im Bürgerkrieg, auf dessen mögliche Wiederholung Pompeius sich vorberei27O. Anm. 104, 239. 28 2,40,4. Athen. a. O. 111,34. 29Athen. 110 (zu Anm. 28) geht zu weit, aber in dem normalen Bündel der Beziehungen sollte sein Strang sicher der stärkste sein.Vgl. Syme, Rom. Rev. 26. 30Athenaeum 110. Vgl. für den Zusammenhang zwischen auswärtigen Clientelen und Machtstreben die freilich übertreibende Äußerung Cic. Att. 8.11.2. Ferner ebd. 9,10.2.

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tete31. Dagegen aber –wie überhaupt gegen die übermäßige Macht und den Anspruch des eitlen großen Mannes –war es leicht, die Senatsmehrheit zu gewinnen, und da Pompeius sich mit gutem Grund weigerte, in endlose Debatten über die einzelnen Bestimmungen einzutreten, blieb diese wichtige Forderung unerfüllt. Aber auch seinen Feldherrnwunsch, die Veteranen mit Land zu versorgen, konnte er nicht erfüllen. Der Consul Q. Metellus Celer leistete mit Unterstützung desSenats so starken Widerstand, daß Pompeius offenbar befürchtete, eine Abstimmungsniederlage in der Volksversammlung zu erleiden, und den Antrag fallen ließ. Bezeichnend war, daß der Consul, als er von dempompeianischen Tribunen Flavius im Laufe der Auseinandersetzungen ins Gefängnis geworfen worden war, dasAngebot anderer Tribunen, ihn zubefreien, ablehnte. Er berief vielmehr den Senat dorthin und war gerade in seiner äußerlichen Ohnmacht so mächtig, daß Pompeius den Flavius eiligst bewog, ihn herauszulassen32. Es gelang also, Pompeius in eine Situation zu drängen, wie er sie in seiner ganzen Laufbahn noch nicht erlebt hatte. Seine Forderungen waren zwar auf ihre Weise berechtigt, aber sie waren nicht populär. Auch soweit die Neigung vorhanden sein mochte, sie in Anerkennung seiner Leistungen zu unterstützen, wurde sie durch die offenbar sehr geschickte Agitation seiner Gegner aufgehoben, die ihn beschuldigte, ein regnum anzustreben33. Zum ersten Mal fand sich Pompeius also mit seinen Anhängern allein und mußte einsehen, daß er anders als durch eine über das übliche Maß hinausgehende Anwendung handgreiflicher Gewalt, nämlich den Einsatz seiner Veteranen, nicht zum Ziel kommen konnte. In den Jahren 77, 71 und 70 waren ihm seine Erfolge in den Schoß gefallen, 67 und66 hatte es zwar eine harte Auseinandersetzung gegeben, aber Pompeius konnte sein persönliches Interesse hinter demjenigen weiter Schichten und den sachlichen Notwendigkeiten verstecken, konnte sogar den Unwilligen spielen, der sich erst lange bitten lassen mußte, die ersehnte Aufgabe zu übernehmen 34.Jetzt dagegen ging es vor allem nur um seine Sache und diejenige seiner –wenig beliebten35 –Veteranen, und wenn er immer den Senat im Grunde hoch geachtet hatte36 und auf seinen guten Ruf bedacht gewesen war, so war es ihm nach den fraglos großen Taten, die er für Rom vollbracht hatte, jetzt mehr als je darum zutun, es mit demSenat undder breiten konservativen Schicht im Bürgertum nicht zu verderben. Zum ersten Mal stand er also vor der Alternative, die ihn in seiner weiteren Laufbahn stets von neuem unsicher machte, ob er nämlich besser daran tue, durch Zurückhaltung ein 31S. u. Anm. 145. 82Dio 37,50. Cic. Att. 2,1,8. 33Zu den Forderungen Gelzer, Pomp.2 127f. Vgl. Gabba Athenaeum 29, 1951, 178 ff.: zur Herkunft der Soldaten, zu der Agitation: Plut. Pomp. 46,2. 6f. Dio 37,49,5. 50,6. Cic. Att. 1,19,4. ferner sein ängstliches Verhalten beim Triumph und bezüglich der ihm ver34Gelzer Pomp.2 72. 81 f. 35 RE Suppl. 10,609. 36U. S. 289f. liehenen Ehrenrechte.

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gutes Einvernehmen mit Senat und boni anzustreben oder seine Position gewaltsam mit Hilfe der Volksversammlung zu verbessern. Pompeius’ Eitelkeit und innere Unsicherheit verführen zwar dazu, sein Zögern und seinen ausgesprochenen Widerwillen gegen entschiedene Aktionen auf sein persönliches Temperament zurückzuführen. Man sollte jedoch die Frage stellen, ob dieses wenig imposante Verhalten nicht auch aus einem richtigen Gefühl für die politischen Machtverhältnisse entsprang. Dies kann jedoch nicht für eine einzelne Situation geschehen, sondern nur im Zusammenhang

nach der Betrachtung der 60er und 50er Jahre. Der heftige Widerstand des Senats nun zeigt, daß dessen Intentionen sich seit Pompeius’ Abgang in den Seeräuberkrieg nicht geändert hatten. Neu war jedoch, daß er gute Erfolge erzielte, so ungewiß es auch sein mußte, wie lange das gut ging. In der senatorischen Politik hatten sich dabei einige beachtliche Veränderungen vollzogen. Die eigentliche Wende in ihr war nicht einfach der Gunst der Situation um den Jahreswechsel von 63 auf 62 zu verdanken, diese hatte vielmehr nur durch die außerordentliche Leistung des jungen M. Porcius Cato genutzt werden können. Nur mit knapper Not hatte dieser am 5. Dezember 63 den Senat bewogen, entgegen dem wesentlich auch in Pompeius’ Interesse vorgebrachten Votum Caesars für die Hinrichtung der Catilinarier zu stimmen37. Er hatte dann in bemerkenswerter Unvoreingenommenheit und mit großem Geschick die Position des Senats zu sichern gewußt und schließlich nur durch ungewöhnlichen persönlichen Schneid die Niederlage des Nepos vor der Volksversammlung herbeiführen können38. Das Verdienst nun, dem Senat zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zu eindrucksvollen Siegen verholfen zuhaben, lieh Cato hohes Ansehen. Zusammen mit der starken Autorität seiner von stoischer Philosophie tief durchdrungenen und von hohem Ethos beseelten kraftvollen Persönlichkeit bewirkte dies, daß er in den folgenden Jahren einen für sein Alter und seinen niedrigen Rang als Tribunicier kaum erklärlichen außerordentlichen Einfluß auf die senatorische Politik gewann. Es wäre jedoch verkehrt, dieses auffällige Phänomen allein aus der Persönlichkeit Catos zu verstehen, es gehört vielmehr in einen weiteren Zusammenhang. Am Ende der 60er Jahre vollzog sich nämlich ein eigenartiger, in seiner Weise unvergleichlicher Generationenwechsel in Rom. Ähnlich wie 30 Jahre vorher um M. Livius Drusus drängten jetzt mit Cato die besten der jüngeren Senatoren auf verstärkte Teilnahme an der Politik und eine Reihe von Änderungen, freilich mit bezeichnenden Unterschieden in Temperament und Zielsetzung. Anders als damals aber verloren gleichzeitig die Älteren an Einfluß auf das politische Geschehen. Dies wird sichtbar, wenn mandieBedeutung unddie 37 Athenaeum a. O. 115 ff. 38 18 Meier

Ebd. 121 ff.

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Auswirkungen des in der zweiten Hälfte des Jahres 6139 erfolgten Todes des Q. Catulus betrachtet. Catulus war seit vielen Jahren, vermutlich schon seit seinem Consulat im Jahre 78, omnium confessione senatus princeps oder, wie Cicero sagt, princeps huius ordinis et auctor publici consilii gewesen40. Er hatte eine ähnliche Stellung eingenommen wie vorher M. Aemilius Scaurus, von dem Cicero bezeugt, daß er von C. Gracchus bis Q. Varius sich allen seditiosi entgegengestellt hatte, ohne sich jemals durch Gewalt, Drohungen oder Haß erschüttern zu lassen41. Bis 61 hatte er kontinuierlich als der wichtigste Vorkämpfer senatorischer Politik fungiert und sich dabei vor den übrigen Consularen dadurch ausgezeichnet, daß er den Gang der Politik sehr stetig zu überwachen und zu bestimmen suchte, so daß Cicero später jene Zeit als Catuli tempora charakterisieren konnte42. Mit seinem Tode stellte sich also praktisch43 das Problem seiner Nachfolge als Vorkämpfer der Aristokratie und Verteidiger gegen Pompeius44. Die führenden Senatskreise45 traten deswegen zunächst an Lucullus heran, der nach Catulus wohl der bedeutendste unter den principes war und zudem das dringende Bedürfnis hatte, sich an Pompeius zu rächen46. Allein, Lucullus lehnte ab, und von den anderen Consularen, für die Cicero damals den bösen Namen piscinarii zu gebrauchen pflegte, dachte keiner daran, die anstrengende Aufgabe zu übernehmen47. So hätte sich, wenn Cato nicht gewesen wäre, allein Crassus umdie Nachfolge des Catulus bemüht. Denn dieser ersah jetzt die Gelegenheit, nach dem Tode des Gegners48 die lange erstrebte führende Stellung zu erlangen. Seine Rivalität gegen Pompeius konnte ihn empfehlen, auch sein großer Einfluß auf zahlreiche Senatoren49, schließlich der Eifer, den er, von einem anarchischen Ehrgeiz getrieben, entfaltete. Aber er hätte die Rolle des Catulus nicht spielen können. Er blieb „stets der Mann der kleinlichen Kampfmittel“, „stets ein Taktiker, war nie ein Stratege“.60 Vor allen entscheidenden Situationen war er ratlos51 und versuchte, sich durch Halbheiten aus der Affäre zu ziehen. Er diente 39 Nach Cic. Att. 1,16,5, einige Zeit vor 1,18,6; vgl. 20,3. 40 Vell. 2,43,2. Cic. Pis. 6. Vgl. off. 1,76. 109. Dio 36,30,4. Plut. Pomp. 16,2. Val. Max. 6,9,5. Münzer RE 13,2086. Vogt Hermes 68, 1933, 90 f. 41 Sest. 101. 42 Att. 1,20,3. Sest. 122. 43 Princeps senatus im eigentlichen Sinne ist Catulus nicht gewesen, diese Stellung gab es seit Sulla nicht mehr (o. A. 258,340). 44Vgl. Plut. Luc. 38,2: ἀ ν τίτα ρ ισ ῆ ςἀ ὶτ α το αϰ ϰ γ μ ρ α ΐο υτυρα ν ίδ ν α ς π ρ τία ὸ η ςτ μ π ο Π ὴ ν 45 S. Note 13, u. S. 317 f. ό μ α ρ π . Vgl. Cic. Sest. 101 u. a. (propugnator). ο ς χ 46 Plut. Luc. 38,3. Cato 24,5. –Plut. Pomp. 46,5f. Luc. 42,4f. Cato 31,1. 7. App. 2,32. Dio 37,49,4. Vell. 2,40. 47Cic. Att. 1,18,6. 19,6. 20,3. 2,1,7 (dazu Peter Sattler, Studien aus dem Gebiet der alten Geschichte, 1962, 53,3). 9,1. Sie waren freilich nicht gänzlich desinteressiert an der Politik (vgl. o. S. 165f.). 48 Vgl. bes. Plut. Crass. 13,1 f. 49 Sall. Cat. 48,5f. vgl. 19,2. Plut. Pomp. 22,1. 3 (dazu allerdings u. Anm. 141). Dio 37,56,5. 39,30,2. Sein Eifer: Plut. Crass. 7. 50 Geizer RE 13, 330. 51 Ebd. 312. 330.

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jedem52, stieß nach Möglichkeit nirgends an –Cicero charakterisiert ihn einmal mit den Worten: verbum nullum contra gratiam53 –und glaubte, indem er Unsummen von Gefälligkeiten und Geld anhäufte, schließlich hoch genug zu kommen, um ein Principat begründen zu können54. Marsh hat geschrieben, Crassus sei wohl der Typ des reinen und simplen Politikers gewesen, der das Spiel um seiner selbst willen liebte und damit zufrieden war, Ämter und Belohnungen auszuteilen und als eine Art von Boß angesehen zu werden55. Das ist teilweise richtig gesehen, nur darf man darüber die andere Komponente seines Charakters nicht übersehen, den nach höchsten Zielen strebenden Ehrgeiz, der freilich so weit von seiner „Wolfsnatur“56 differierte, daß er ihn nicht mit Spannung lud, sondern nur unglücklich machte und zu diffuser Betriebsamkeit aufputschte. In dieser Situation hat, wie uns glaubhaft bezeugt ist57, Cato sich bemüht, die Rolle des Catulus zu übernehmen. Er war der einzige, der dazu bereit war, derjenige, der es am ehesten konnte. Crassus aber fühlte sich nun von Cato um die Früchte vieler Bemühungen betrogen und begann, so sehr die gemeinsame Feindschaft gegen Pompeius andauerte, ihm mit den gewohnten kleinlichen, aufreibenden Kampfmitteln zuzusetzen. Es war schlimm und zugleich typisch für jene Epoche, daß ein Mann, der so gar nichts Großes, Staatsmännisches an sich hatte und jeglicher Idee ermangelte, die führende Rolle im Senat anstreben konnte und, da sie ihm strittig gemacht wurde, mit unerfreulichen und keineswegs harmlosen Intrigen reagierte. Undes warein sehr schlechtes Zeichen, daß das Verantwortungsbewußtsein der principes so gering war, daß keiner von ihnen diese Aufgabe erfüllen wollte. In gewissem Sinne war es noch die Folge der Ereignisse der 80er Jahre. Denn alle fähigen Senatoren waren schon sehr früh vor schwierigste Aufgaben gestellt worden und wurden, da sie vor ihnen immer wieder ihr Ungenügen empfanden und Niederlagen erlitten, früh zu Resignation geführt57a. Schließlich war es nicht gut, daß ein junger Mann, der seinen Platz in den hinteren Rängen des Senats hatte, zum bedeutendsten Vorkämpfer des Senats wurde. Denn so wenig es den Zeitgenossen bewußt geworden sein wird, so äußerte sich darin doch die Tatsache, daß der selbstverständliche Wert der in langer Laufbahn erworbenen dignitas der Consulare hinter demjenigen der persönlichen Qualität zurückzutreten begann, wie es sich auf andere Weise schon bei den Feldherren im Bürgerkrieg gezeigt hatte58. Aber daran war im Augenblick nichts zu ändern.

52 Cic. off. 1,109. Plut. Crass. 7. vgl. o. S. 180. 53 Att. 1,18,6. 54 Vell. 2,44,3. Cic. off. 1,25. Vgl. Plin. n. h. 33,134 Gelzer 300. 314. u. S. 281 f. 55 A History of the Roman World 180. 56 Gelzer 331. 57 S. Note 13, u. S. 317 f. 57a Vgl. zu den damaligen principes auch Heuß, Röm. Gesch. 181, der allerdings zu O. S. 239. stark von psychologischen Kategorien ausgeht. 58 18*

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Cato wurde, wie schon angedeutet, unterstützt von einer Reihe jüngerer Herren, unter denen der Consul von 60, Q. Metellus Celer, Catos Schwager L. Domitius Ahenobarbus, später Consul 54, sein Nachahmer P. Servilius Isauricus (Gatte seiner Nichte Junia und Sohn des Consuls von 79, der selbst im Jahre 48 Consul werden sollte) und vermutlich auch Catos Schwiegersohn L. Calpurnius Bibulus, der Consul von 59, namentlich zu nennen sind. Kennzeichnend für die hohe Schätzung, die Cato damals erfuhr, ist Ciceros ironische Redensart vom heros ille noster Cato59. Diese jungen Herren hatten schon vor dem Tode des Catulus ihre neue Initiative zu entfalten begonnen. Die Notwendigkeit der Nachfolge wird Catos Eifer dann aber neuen Antrieb und Inhalt gegeben haben. Sein und seiner Verbündeten gemeinsames Ziel war es, den eingewurzelten Schlendrian abzustellen und eine kräftige, entschiedene, verantwortungsbewußte senatorische Politik zu betreiben. Sie nahmen die Provinzialen in Schutz, versuchten, nach dem skandalösen Freispruch des Clodius die Richter wegen Bestechlichkeit strafbar zu machen unddann die großen Geldverteilungen, mit denen Pompeius die Wahl seines Anhängers L. Afranius zum Consul von 60 erkaufen wollte, zu vereiteln. Schließlich verhinderten sie, daß der Senat die unverschämte Forderung der Steuerpächter Asiens auf Gewährung eines Pachtnachlasses bewilligte60. Crassus hatte –offensichtlich aus seiner Rivalität gegen Cato heraus –die Publicanen zu dieser Forderung animiert. Cicero unterstützte sie um seiner Freundschaft zu den Rittern willen, obwohl er einsah, daß man sie eigentlich nicht gewähren dürfte. Die Senatsmehrheit aber war zu abhängig und schwach, um sie ablehnen zu können. So hat Cato unter Ausnutzung der senatorischen Geschäftsordnung monatelang das Zustandekommen eines Beschlusses durch Dauer-Reden verhindert, bis man die Sache schließlich –wir wissen nicht, ob durch eine Abstimmung in Catos Sinne –von der Tagesordnung absetzte. Dies war der einzige größere Erfolg der damaligen catonischen Politik, und er hielt gerade ein Jahr an, bis nämlich Caesar den Publicanen durch ein Volksgesetz ihren Wunsch erfüllte61. Cicero hat damals geschrieben, Cato handele, wie wenn er in Platons Staat und nicht im Bodensatz des Romulus lebe62. Er hatte recht63, denn es war an59 Att. 1,17,9. –Celer: 1,17,10 –Domitius: ebd. 1,16,12 –Servilius: ebd. 1,19,9. 2,1,10. 60 Att. 1,16,12. 1,17,8 ff. 18,7. 19,6. 2,1,8. Schol. Bob. 157. Dio 38,7,4. Für die Fortsetzung dieser Politik u. S. 278 f. 282 ff. und zu den Provinzialen: Cic. fam. 15,4,15. 5,3. Att. 6,1,13 (mit Gelzer RE 7 A, 982). Plut. Cato min. 19,4. Allg. Gelzer, Kl. Schr. 2,265. 268 f. 61 Für 59: Dio 38,7,4. Cic. Att. 2,16,2 u. a. Zur Bedeutung der Politik gegen die Staatspächter: o. A. 199,231. Anders als in Att. 1,17,9 urteilt Cicero in Q. fr. 1,1,33, wohl ad usum Delphini. 62 Att. 2,1,8. 63Wenn dieses Urteil auch im Zusammenhang seiner Rechtfertigung für den Übertritt auf die Seite des Pompeius steht (vgl. Historia 10, 1961, 80,38).

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gesichts der großen Differenzen mit Pompeius sehr unklug, eine Forderung der mächtigen Publicanen unbefriedigt zu lassen. Auch zeugte es kaum von politischem Instinkt, daß Cato seinen Willen durch krampfhafte Obstruktion der widerstrebenden Senatsmehrheit aufzwang. Er sah nicht, daß der Senat zwar noch gegen Pompeius, aber nicht mehr gegen die Staatspächter geschlossen auftreten konnte, und daß diese überhaupt inzwischen zu mächtig geworden waren, als daß man gegen sie hätte regieren können. Außerdem muß er die Kraft seiner Person und der kleinen Gruppe der ihm Gleichgesinnten in ganz utopischer Weise überschätzt haben. Aber es ist wahrscheinlich nicht richtig, diese Politik nur aus Catos Stoizismus und der Starrheit seines in mancher Hinsicht skurrilen Charakters zu erklären, zumal er vorher wie nachher bei verschiedenen Gelegenheiten durchaus gezeigt hat, daß er Situationen klug zu erkennen und auch mit einer gewissen Elastizität undpolitischem Takt auf sie zureagieren verstand64. Möglicherweise hat er sich durch die Schwäche, die Pompeius in diesen Jahren an den Tag legte, durch seine eigenen Erfolge während des Tribunats (63/2) sowie durch die Anerkennung, die ihm dafür zuteil wurde, täuschen lassen. Vermutlich ließ er sich aber auch durch die Resignation und das Versagen der meisten principes dazu verleiten, sich allzu bewußt, entschieden und trotzig in Gegensatz zu deren lässigem Verhalten zu setzen. Noch nie hatte eine junge Generation von römischen Politikern so viel Anlaß gehabt, an den Älteren zu verzweifeln. Es war also ein Teil und eine Erscheinungsform der seit den 80er Jahren virulent gewordenen Krise, daß diese jungen Herren –zumal nach Catulus’Tod –ohne Vorbilder und damit relativ isoliert dastanden65. Nur in einer solchen Situation war es möglich, daß Cato und die Seinen fast ungehemmt eine so unerfahrene, krampfhafte Politik entfalteten. Mommsen hat sehr gut beobachtet, wenn auch etwas überspitzt formuliert: Fand sich hier und da ein Mann, der diesem Treiben undnicht zugleich demöffentlichen Leben sich entzog, so war er sicher wie Marcus Cato ein politischer Don Quixote66. Die schwerwiegenden Fehler, die Cato beging, waren also wesentlich auch Folge und Ausdruck seiner Zeit. Es war an sich ein gutes Zeichen, daß er und andere prominente junge Herren sich den eingerissenen Mißständen entgegenstemmten, und es war an sich gar nicht verkehrt, daß sie dort anpackten, wo sie deren eklatante Äußerungen meinten verhindern zu können. Wenn das Senatsregime weiterhin als das einzig mögliche galt, so wares dringend geboten, es zu verbessern. Da dies jedoch bei der übermäßigen Extensivierung der res publica und der akuten Schwäche des Senats nur sehr schwer möglich war, mußte der Wille, dieses Regiment konsequent zu erhalten, utopische Züge an64Vgl. Unters. z. röm. Innenpol. zw. 63 und 56 v. Chr. Diss. Heid. 1956, 133 ff. wenig später die –freilich recht spitzzüngige –Äußerung des Caelius gegen die senes divites (Cic. fam. 8,13,2). Auch Sall. Cat. 20.10. Vgl. Caesars Bürgerkrieg (Einl. zu H. Simons Übers. 1964) XLf. 66 Röm. Gesch. 3, 8.

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nehmen. Dies war eine Gesetzmäßigkeit, die weit über Catos Person hinausging. Nicht zuletzt daher, daß seine rigorose, etwas verkrampfte Strenge ein typischer Ausdruck der späten Republik war, mag sich deren große Wirkung erklären. Sie imponierte nicht nur und stellte nicht nur für viele eine Anfechtung dar67, sondern es gab auch ein Bedürfnis danach. Diese entschiedene Politik Catos nun erreichte einen kritischen Punkt im Sommer 60. Damals war Caesar in größter Eile68 aus Spanien zurückgekehrt, um für das Consulat von 59 zu kandidieren. Seine Aussichten waren sehr günstig69. Vor allem bemühte sich Pompeius um ihn und mußte nach den Niederlagen der letzten Monate bereit sein, eine Unterstützung bei der Durchsetzung seiner beiden Forderungen gut zu honorieren. Caesar konnte daher hoffen, mit seiner Hilfe ein großes Kommando zu gewinnen70. Gleichwohl scheint Cato gemeint zu haben, er könne den so ehrgeizigen, energischen Mann von der Bewerbung abhalten. Zunächst71 beschloß nämlich der Senat –wohl , daß die Consuln von 59 nach ihrem Consulat keine auf seine Veranlassung – eigentlichen Statthalterschaften, sondern unerhörterweise72 zwei Sinekuren zu Provinzen bekommen sollten73. Vielleicht aus dem gleichen Grunde hatte man Caesar schon zu Beginn des Jahres einen Triumph bewilligt74. Nach demgeltenden Recht durfte er nämlich einerseits vor dem Triumph die sakrale Grenze Roms nicht überschreiten und mußte andererseits doch seine Kandidatur in der Stadt persönlich anmelden. Da der Termin drängte, stellte Caesar den Antrag, ihm die Bewerbung in Abwesenheit zu gestatten. Dessen Annahme wurde aber von Cato (im Einklang mit zahlreichen Senatoren75) vereitelt. Darauf ließ Caesar den Triumph fahren und wurde nach einem heftigen, von beiden Seiten mit größtem Aufwand geführten Wahlkampf zusammen mit seinem Gegner M. Calpurnius Bibulus gewählt76. 67Vgl., daß Cicero nach so viel Kritik (o. A. 62) 59 doch schreibt: quid enim nostri optimales, si qui reliqui sunt, loquentur? ... Cato ille noster qui mihi unus est pro centum mili69Cic. Att. 2,1,6. 68 Sueton Jul. 18,1. bus ... (Att. 2,5,1). 70Wenn Caesars Ehrgeiz –wie es seine Laufbahn vor dem Consulat wahrscheinlich macht –dahin ging, eine ähnliche Stellung zu erlangen wie Pompeius, so war der Weg über ein großes Provinzialkommando der einzig mögliche. 71So muß man wohl die –nicht bezeugte –Reihenfolge der beiden Beschlüsse rekonstruieren. 72 Vgl. Balsdon, JRS 29,1939,181. Gegen dessen Folgerungen Gelzer, Caesar6 58. 73 Gelzer a. O. Dazu ist aber zu bemerken, daß man Caesars Wahl kaum auf diese Weise „unschädlich“ machen konnte (vgl. Pomp.2 130: ... verhindern, daß Caesar durch die Wahl in den Besitz eines Heeres gelange ...). Man wollte ihn vielmehr –wenn die hier angenommene Abfolge der Ereignisse richtig ist –von der Kandidatur abschrecken oder andernfalls: ihn die eigene Macht (und Wut) spüren lassen. Denn es ist nicht einzusehen, welchen Schaden Caesar hätte anrichten können, wenn er etwa Kilikien oder Asien, oder – wenn man denn Vorsicht walten lassen mußte –Bithynien oder Sizilien als Statthalter74App. 2,28. Plut. Caes. 12,1. schaft bekommen hätte. 75 Suet. Jul. 18,2 (multi contra dicerent). Gelzer, Caesar6 58. 76 Gelzer a. O.; o. S. 197 ff.

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Cato und seine Freunde haben also damals die Gefahren, die Caesars Consulat für sie bedeuten konnte, erkannt77. Aber sie scheinen dabei doch die Ambition und den Wagemut Caesars ebenso stark unterschätzt zu haben – wie wenn es ihm in einer solchen Situation vor allem um den Triumph und die sichere Aussicht auf eine gewöhnliche, bestenfalls lukrative Provinz zu tun , wie sie ihre eigene Macht und die Möglichkeiten der Obstrukgewesen wäre78 – tion überschätzten. War es ihnen überhaupt klar, wie ihr Verhalten auf den doch auch nach ihrem Urteil ungewöhnlichen Mann wirken mußte? Was blühte ihm, falls er jetzt nachgab, im Jahre 59, wenn Pompeius’Forderungen wunschgemäß auch dann noch unerfüllt waren79? Es ist also zu fragen, ob Caesar nicht gerade durch das ungewöhnliche Vorgehen Catos aufs äußerste dazu angespornt wurde, sich zusammen mit Pompeius gegen den Senat durchzusetzen. Allein, hätte er im Besitz einer durchschnittlichen Provinz darauf verzichtet, die in einer Verbindung mit Pompeius beschlossenen Vorteile wahrzunehmen80? Oder wäre er dann wenigstens angesichts des heftigen Widerstandes der Gegner zurückgeschreckt? Es fällt schwer, diese Fragen zu bejahen. Solange man dies aber nicht tut, darf man die negativen Auswirkungen der damaligen Politik Catos nicht zu hoch veranschlagen. Er versuchte, was möglich war, um Caesars Bewerbung zu verhindern, hoffte , daß Pompeius, wenn es gelang, mit der vielleicht –und nicht ohne Grund – Zeit schwächer und das Senatsregime fester würde. Scheiterte der Plan jedoch, so war wenig verloren, da man von Caesar sich ohnehin nur des Schlimmsten versehen konnte.

Man hat Cato außerdem vorgeworfen, daß er der wahre Urheber des Dreibunds gewesen sei. Aber Pompeius wurde damals als der größte und gefährlichste Gegner des überkommenen Senatsregimes angesehen, und es verstand sich folglich von selbst, daß man ihn mit allen Mitteln bekämpfte und ihm die Erfüllung seiner großen Forderungen so teuer wie möglich machte. Ob es denkbar gewesen wäre, durch Nachgiebigkeit gegen die Publicanen Crassus daran zu hindern, sich Caesar undPompeius anzuschließen, ist ganz fraglich, und selbst, wenn man dies bejahen wollte, bliebe das Problem, ob damit am Gang der Dinge viel geändert worden wäre. 77Vgl. Cic. Att. 2,1,7. 78 Für seinen hohen Ehrgeiz vgl. schon die Wahl zum pontifex maximus (Gelzer 42). Die Tatsache, daß es für die Bewerbung eines so jungen Mannes um dieses Amt ein Präzedenz gab (Strasburger, Caesars Eintr. i. d. Gesch. 138. Münzer RA 186 ff.), nimmt der Sache nichts von ihrer Ungewöhnlichkeit. Vgl. Einl. zu H. Simons Übers. von Caesars Bürgerkrieg, 1964, XLI ff. 79 Es war nicht auszuschließen, daß man den Triumph so lange verhindert –wie etwa bei Lucullus (Gelzer RE 13,406) –und Caesar dann wieder vor dieselbe Alternative gestellt hätte. 80 Die Verbindung mit Pompeius war gewiß schon vor den Wahlen, wahrscheinlich auch schon vor den Maßnahmen Catos gegen Caesar geschlossen: T. Rice Holmes, Rom. Rep. 1,474 Ed. Meyer, Caesars Monarchie3 60,2.

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VII Die Zuspitzung der Krise in den Jahren um 60 v. Chr.

Der Senat war früher immer mit den großen Gefährdern der senatorischen „Gleichheit“fertig geworden. Warum sollte es nicht gelingen, Pompeius bei dieser Gelegenheit zu Fall zu bringen? Die folgende Geschichte erwies diese Rechnung als falsch, aber sie enthält kein Argument dafür, daß es nach damaliger Voraussicht nicht richtig war, sie anzustellen. 2. CAESARS SIEG ÜBER DEN SENAT

Asinius Pollio hat seine Geschichte des Untergangs der res publica mit dem Jahre 60 begonnen. Für ihn war also der Abschluß des Dreibundes der entscheidende Wendepunkt in der römischen Geschichte. Ähnlich dachte Cato, der immer wieder betonte, daß die Freundschaft und nicht die Feindschaft zwischen Pompeius und Caesar das eigentliche große Übel gewesen sei81. Das Bündnis zwischen Pompeius, Caesar und Crassus ist jedoch, genau betrachtet, zwar der Anfang, aber nur zum Teil auch die Ursache des großen Umsturzes gewesen, der sich in Caesars Consulat und unmittelbar danach vollzog. Mit Recht ist schon in der Antike bemerkt worden, daß sich im Dreibund

außerordentlich große Macht zusammengeballt hat82. Aber diese Macht war nicht sehr fest gefügt. Die Abmachungen, die man Ende 60 beim Abschluß des Bündnisses traf, sahen nur die Befriedigung der unmittelbar anstehenden Forderungen der drei Herren vor: Pompeius’ Verfügungen im Osten sollten bestätigt unddie Ansiedlung seiner Veteranen gesichert werden. Crassus zu Liebe –und zugleich um die Publicanen freundlich zu stimmen –wollte man den lange diskutierten Pachtnachlaß für die asiatischen Steuerpächter bei den Comitien erwirken. Außerdem sollte Crassus bei denAckeranweisungen beteiligt werden. Schließlich wurde vereinbart, daß Caesar zugleich zur Entschädigung, Belohnung und Sicherung eine wichtige Provinz –die Gallia Cisalpina mit Illyrien –erhalten sollte, in der er Reichtum und militärischen Ruhm erwerben könnte83. Darüber hinaus aber wurde –abgesehen von der Erfüllung kleinerer Wünsche –nur verabredet: ne quid ageretur in re publica, quod displicuisset ulli e tribus (Suet. Jul. 19,2). Kein Anzeichen deutet also darauf hin, daß die drei Herren beabsichtigten, künftig gemeinsame Politik zu betreiben oder Pläne zu verfolgen, die über diejenigen hinausgingen, die sie in den letzten Jahren betrieben hatten, und die allesamt berechtigt und im Grunde bescheiden waren. Daß man sich zugleich für die Zukunft auf die zitierte blasse Formel einigte84, besagt nichts gegen den 81 Hor. carm. 2,1. Plut. Pomp. 47,4. Caes. 13,5. 82 Vgl. Plut. Crass. 14,3: ἰσ χ ὺ ςἄ μ α χ ο . Dio 37,57,2. Carcopino, César 678. ς 83 Die Vereinbarungen beim Abschluß des Dreibundes sind gewiß aus den bis April eingebrachten Gesetzen abzulesen: Historia 10, 1961, 70 ff., zu Caesars Provinz besonders 84 ff. Dio 37,57,1: Jeder strebte seine persönlichen Ziele an (Marsh, A History 178 ff. Syme, Rom. Rev. 35. Maschkin, Zwischen Republik und Kaiserreich 23). 84 Vgl. Historia a. O. 75,26.

2. Caesars Sieg über den Senat

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Schluß, daß der Dreibund ursprünglich nicht mehr gewesen ist als eine vorübergehende Verbindung der drei Herren zur gemeinsamen Durchsetzung von Absichten, mit denen sie einzeln gescheitert waren. Etwas anderes lag auch gar nicht im Bereich der Möglichkeiten. Denn da Pompeius undCrassus –wie, obgleich auf längere Sicht, auch Caesar –vor allem das Ziel verfolgten, Erste zu sein in der res publica85, mußte stets heftige Eifersucht zwischen ihnen obwalten86 und ihre Verbindung auf die Dauer unwirksam machen und zerstören. Crassus befand sich gegenüber dem mächtigeren Rivalen in einer natürlichen Interessengemeinschaft mit dem Senat, und im Grunde stand wohl auch Pompeius den im Senat führenden Kreisen näher als seinem künftigen Partner. Wenn sie sich damals verbanden, so war dies allein der Initiative Caesars zu verdanken, der groß und kühn genug war, um sich der Suggestion der scheinbar unabänderlichen Gegebenheiten der Politik zu entziehen undnach anderen Maßen zu handeln, undder außerdem ein faszinierendes diplomatisches Geschick besaß. Allerdings befand er sich auch in einer sehr günstigen Lage. Pompeius war nach den empfindlichen Schlappen der letzten Jahre weitgehend auf ihn angewiesen. Falls Caesar ihn also –was unwahrscheinlich ist –nicht davon überzeugen konnte, daß für eine Durchsetzung seiner Forderungen die Mithilfe deseinflußreichen Crassus dringend geboten sei, so konnte er dessen Hinzuziehung zur Bedingung machen. Da andererseits die Aussichten einer Allianz zwischen Pompeius undCaesar auf keinen Fall schlecht standen undCaesar entschlossen war, die für ihn daraus erwachsenden großen Vorteile wahrzunehmen, war es auch für Crassus besser, mitzuhalten als zu opponieren. Dafür sprach außer dem Wunsch, sich Caesars Freundschaft zu bewahren, und dem zu erhoffenden Machtgewinn schon die Rivalität gegen Pompeius. Denn wenn diese zu den wichtigsten Antrieben der ganzen damaligen Politik des Crassus gehörte, so muß sie auch dessen Beitritt zum Dreibund entscheidend bestimmt haben87. Es konnte nun kein Zweifel sein, daß die drei Herren dank ihrer großen Gefolgschaften und vor allem der Tatsache, daß der äußerst geschickte und energische Caesar das Consulat bekleidete, beste Aussichten auf Erfolg hatten. Caesar ging zunächst sehr diplomatisch vor. Er stellte seine rogatio agraria im Senat zur Diskussion, wobei er sich bereit erklärte, jeden Verbesserungsvorschlag zu berücksichtigen. So zwang er die Senatoren zu dem Eingeständnis, daß sie sachlich nichts an dem Vorhaben auszusetzen hatten. Allein, Cato erklärte, es dürfe am Bestehenden nichts geändert werden, und die Senatsmehr85 Pompeius: Vell. 2,29,2. 33,3. Drumann-Groebe, Röm. Gesch. 4,547f. Gelzer, Kl. Schr. 2,153 ff. Crassus: Vell. 2,30,5. 44,2. Dio 37,56,4f. Cic. off. 1,25. Gelzer RE 13, 300. 314. 86 Suet. Jul. 19,2. Dio 37,54,3. Sall. Cat. 17,7. Schon 59: Cic. Att. 2,21,4. 22,5. 87Auch die Quellen rechnen durchweg damit, daß jeder der drei die anderen übervorteilen wollte: Dio 37,56,1 ff. Plut. Pomp. 47,2. Crass. 14,3.

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heit schloß sich ihm an88. Caesars Gegner im Consulat, M. Bibulus, und drei Tribunen versuchten dann, das Zustandekommen eines gültigen Volksbeschlusses durch Intercession und Obnuntiation zu vereiteln. Caesar ließ sie jedoch gewaltsam vom Forum vertreiben –nachdem er dem Bibulus einen Korb voll Mist hatte über den Kopf schütten lassen –und scherte sich nicht an ihre Verfügungen und Einsprüche. So wurde das Gesetz mit Hilfe der in die Stadt gekommenen Veteranen des Pompeius beschlossen, und anschließend zwang man die widerstrebenden Senatoren, einen Eid auf seine Gültigkeit zu leisten89.

Bei der Einbringung der weiteren Gesetze war Widerstand unmöglich. Es , ein wohl schon altes empfahl sich vielmehr –wie Cicero damals schrieb90 – Rezept91 zu befolgen: transitum tempestatis exspectare. Aber die entschiedenen Verfechter der senatorischen Sache taten dies nur bedingt. Zwar hat keiner von ihnen sich mehr offen gegen Caesar zur Wehr gesetzt, vielmehr beschloß die Mehrheit des Senats, die Politik konsequent zu boykottieren92, und Bibulus hat für den Rest des Consulatsjahres, immerhin mindestens zehn Monate93, nicht einmal sein Haus mehr verlassen. Aber gerade durch dieses Verhalten demonstrierten Consul und Senatsmehrheit, daß die höchste Alarmstufe erreicht sei, zumal ein solcher Rückzug aus der Politik, so weit wir sehen können, ohne Beispiel war94. Bibulus und die drei Volkstribunen gaben außerdem an jedem Tage, an dem die Comitien einberufen wurden, durch Edikt bekannt, daß sie den Himmel beobachtet hätten, so daß sämtliche Volksbeschlüsse formal rechtswidrig waren95. Auch dies hatte es, so weit wir sehen können, noch nie gegeben. Denn weder hatte man jemals ein ganzes Jahr lang von Tag zu 88 Dio 38,3,1 ff. Gelzer, Caesar6 65. Freilich erfolgte kein formeller Beschluß. 89Gelzer 66f. Vgl. Mommsen, St.-R. 3,1058,2. 90 Att. 2,21,2. 91Vgl. Cic. Cat. 1,7, zum Ausdruck Verr. 1,8. har. resp. 4.11. dom. 137. 92Bibulus hat offenbar am Tage nach der Abstimmung über die erste lex agraria versucht, vom Senat den Beschluß der Kassation des Gesetzes zu erreichen (Dio 38,6,4f.), es wurde jedoch weder ein Antrag gestellt, noch ein Beschluß gefaßt (Suet. Jul. 20,1). So war jeder weitere Widerstand sinnlcs. Darauf folgte der konsequente Boykott der Politik durch ihn wie durch drei Tribunen und die Senatsmehrheit (Historia 73,19). Dies war die entschiedenste Form der Distanzierung und des Protestes. Eindrucksvoller konnte man die Unrechtmäßigkeit der gesamten Tätigkeit Caesars nicht demonstrieren. Andererseits vermied man es, unnötig Anstoß zu erregen und die eigene Munition in vielen kleinen Scharmützeln zu verschießen. So war es die politisch klügste Reaktion, die möglich war, und zeugt zugleich gerade nicht von Starrsinn (Mommsen, Röm. Gesch. 3, 214), sondern von einer gewissen Wendigkeit und politischen Phantasie. 93Suet. Jul. 20,1. Dio 38,6,6. 8,2 f. u. a. Die erste lex agraria wurde wohl Ende Februar eingebracht (Historia 69,2), möglicherweise war zwischen Februar und März noch ein Schaltmonat (Drumann-Groebe, Röm. Gesch. 3,774), so daß man auf elf Monate käme. 94 Dieselbe Taktik ist dann 56 nochmal angewandt worden, u. S. 294. 95Sueton Jul. 20,1. Cic. dom. 40. har. resp. 48. Att. 8,3,3. Dio 38,6,1. 5. (mit Mommsen, St.-R. 3,1058,2). Es hätte nur eines Senatsbeschlusses bedurft, um alles zu kassieren (vgl. dom. 40. Cic. Cornel. 25. Asc. 55. leg. 2,14.31. Mommsen 3,368.).

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Tag die Tätigkeit der Volksversammlung rechtlich ausgeschlossen, noch war von dem in der alten Religion begründeten undetwa seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts gesetzlich neugeregelten96 Mittel der obnuntiatio je so ausgiebiger Gebrauch gemacht worden97. Aber dieses Mittel war natürlich sehr praktisch: Denn anders als die Intercession konnte man es aus der Entfernung anwenden, es ließ sich also auf dem üblichen Weg der gewaltsamen Sperrung des Forums nicht unwirksam machen98. Die Gefahr, daß man es auf diese Weise ad absurdumführte, war wohl nicht groß99. Bibulus pflegte endlich durch Pamphlete in der Art des Archilochos die drei Machthaber zu verhöhnen und fand großen Anklang damit100.

Es kann nun kein Zweifel darüber bestehen, daß diese neue Taktik101, diese zum Äußersten getriebene Ausnutzung aller Möglichkeiten ein Teil der neuen Politik Catos war. Denn allzu deutlich trug sie das Siegel seiner Strenge, seines krampfhaften Willens, im Kampf umdierespublica keinen Meter mehr preiszugeben, undendlich seines Glaubens an die Kraft des Überkommenen. Nicht nur die überlegene Energie des Consuls Caesar also, der unter allen Umständen die Forderungen des Dreibunds durchsetzen wollte, sondern in erster Linie die Tatsache, daß dessen Angriff auf jene kaum weniger entschlossene Bewegung stieß, die die dringend gewordene Befestigung desSenatsregimes zumZiel hatte, kennzeichnete die Situation des Jahres 59102. Es trafen damals also zwei mächtige politische Strömungen aufeinander, diesich zumVerhängnis derrespublica gegenseitig steigerten. Die Taktik der Opposition war auf die Dauer außerordentlich wirkungsvoll. Noch war das Ansehen des Senats groß genug, daß man mit seiner Niederlage werben konnte103. In aller Ruhe und ohne Caesar Gelegenheit zu neuen offenen Siegen zu geben, bereitete man sich auf den Gegenschlag vor, um dessen Gesetze unddie Niederlage desSenats amSchluß dieses Jahres oder zuBeginn des nächsten zu annullieren. Vielleicht sogar vermochte die Agitation noch schneller zu einem greifbaren Erfolg zu führen: Pompeius nämlich fühlte sich bei Caesars Gewaltaktionen und der Verletzung so vieler geheiligter Gesetze –oder, wie 96Weinstock RE 17, 1726 ff. JRS 27, 1937, 215 ff. Frank CAH 8,367. Taylor, Party Politics 213,22. Ferner: RE Suppl. 10,607. 97 Wir hören vor 59 nichts von ihrer Anwendung. (Mommsen 1,112) Später dann 57: Cic. Att. 4,3,3f. u. a. 98 Vgl. Cic. de orat. 2,197. Plut. Cat. 27,5. Vgl. o. Anm. 142, 487. 99Vgl. Cic. leg. 3,27, Wieacker, V. röm. Recht2 77 undvor allem den Erfolg dieser Taktik. 100Att. 2,19,5. 20,6. 21,3f. Suet. Jul. 9,2. 49,2. Plut. Pomp. 48,4. –Att. 2,18,1. 19,2 f. 20,3. 21,1 f. 5. 22,6. 101Das Problem der damaligen Politik des Bibulus ist bisher noch nicht beachtet worden. Mommsen (Röm. Gesch. 3, 214 vgl. 211. 213) sieht in ihr nur eine Reaktion des Trotzes und Starrsinns (Suet. Jul. 20,1), einen Ausdruck der Verzweiflung (Vell. 2,44,5), eine Dummheit. Die neueren Darstellungen beschränken sich auf die bloße Erwähnung. 102Vgl. auch Cic. Att. 2,9,1 (culpa Catonis). 21,1 (qui Catoni irati omnia perdiderunt). 103Denn darum ging es. Daß Caesar sich, nachdem er einmal Gewalt angewandt hatte, abschrecken ließ, war nicht zu erwarten.

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Cicero es nannte, der Ausschüttung aller Heilmittel des Staates104 –äußerst unbehaglich. Caesar hatte zwar, so weit wir sehen können, alles vermeiden wollen, was ihn mit den Gesetzen hätte in Konflikt bringen können105. Als sich dann aber herausstellte, daß er anders nicht nur eine schmähliche Niederlage erleiden mußte, sondern zu völliger Untätigkeit verurteilt gewesen wäre, und als es überdies deutlich wurde, daßdie Gegner ihmnicht dengeringsten Pardon geben wollten, hat er, aufsÄußerste gereizt, geradezu seinen Spott mit den ehrwürdigen Institutionen getrieben106. Vorher schon hatte er Pompeius genötigt, sich mit seinem gewaltsamen Vorgehen zu identifizieren107. Um so größer war jetzt, sobald nach der Durchsetzung der verabredeten Anträge einmal Ruhe eingetreten war, dessen Neigung, sich wieder von Caesar zu distanzieren108. Hätte man ihn wirklich dazu bringen können, so wäre Caesars Sturz fast sicher gewesen. Denn sein Einfluß beruhte ganz auf der Macht des Pompeius109. Aber in dieser Situation vomEnde April gelang es dem Consul, den scheinbaren Erfolg der Gegner in eine um so größere Niederlage zu verkehren. Er vermochte Pompeius nämlich dazu, sich auf das engste mit ihm zu verbinden: Pompeius nahm Caesars Tochter Julia zur Frau, und die beiden Herren verabredeten, wesentlich über das im Februar und März Erreichte hinauszugehen: Auch der ager Campanus sollte, unter Pompeius’Leitung und vornehmlich an dessen Veteranen, aufgeteilt werden, und außerdem sollte Caesar auch die Gallia Transalpina zur Provinz erhalten110. Die Cisalpina warihmschon auf die Dauer von fünf Jahren zugesprochen worden111, aber ursprünglich war Pompeius offenbar nicht bereit gewesen, ihm eine bessere Gelegenheit zu Feldzügen, als Illyrien sie bot112, zu gewähren. Jetzt stand ihm ganz Gallien offen, und er gewann die Möglichkeit, ein noch größeres Heer zu bilden, wesentlich weitere Eroberungen zu machen und immense Reichtümer zu sammeln, kurz: eine Stellung zu gewinnen, wie auch Pompeius sie besaß (wenngleich dieser damals gewiß nicht ahnte, wie gut Caesar seine Chance zu nutzen vermochte). Neben den großen Vorhaben der beiden Herren wurde außerdem eine ganze Reihe von kleineren vereinbart, die in der Summe gewiß ebenfalls großen Machtgewinn versprachen113. Wie weit Crassus an den Abmachungen vom April beteiligt war, ist nicht zu sehen. 104Att. 2,9,1. 105Gelzer, Caes.6 65 f. Kl. Schr. 2,296. Auch vorher war er immer vor dem Äußersten zurückgeschreckt (z. B. Gelzer 51 f.). 106Cic. Att. 2,9,1. 16,2. fam. 8,3,3. Z. B. Cic. Vat. 14f. (Äußerung des Vatinius), Plut. Cato 32,3. Pomp. 48,2 (Korb voll Mist auf den Mitconsul). Historia 1961, 86 f. (Verhalten bei der Adoption des Clodius). Vgl. RE Suppl. 10,580. 107Historia a. O. 108Ebd. 70. 109Strasburger, Caes. Eintr. i. d. Gesch. 53 ff. Historia a. O. 86,62. 110Historia 70 f. 80 f. 88. 111Gelzer, Kl. Schr. 2,225f. Zur Beurteilung aber: Historia a. O. 85. 112Historia 87 f. Zu den Aussichten, die vielleicht auch Illyrien bieten konnte, s. die

ebd. 85,60 angeführte Literatur.

113Cic.

Att. 2,17,1. 18,1.

2. Caesars Sieg über den Senat

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Die römische Öffentlichkeit ist damals tief erschrocken. Cicero meinte, wenn dies das Äußerste wäre, wäre es schon zu viel des Bösen, aber nach der Natur der Sache könnte es das Äußerste noch nicht sein114. Zum ersten Mal war Pompeius über das Notwendige hinausgegangen und hatte er begonnen, offen nach größeren Vorteilen zu streben. Die heftige Opposition der Gegner ist von Caesar sicher als Argument dafür benutzt worden, daß alle bisherigen Erfolge prekär seien und man –allein schon, um diese zu sichern –eine stärkere Position aufbauen müsse. Pompeius’Gegensatz zumSenat wurde damit wesentlich vertieft und die Niederlage der Gegner erheblich erschwert. Dadurch wie durch die Verleihung der Transalpina an Caesar waren die Abmachungen vom Ende April 59 viel bedeutsamer als diejenigen, die manbeim Abschluß des Dreibunds getroffen hatte. Nachdem es aber soweit gekommen, schien es der senatorischen Opposition natürlich nur um so dringender, die Erfolge Caesars zu annullieren. Sie haben zwar versucht, zu einem Übereinkommen mit ihm zu gelangen, um wenigstens die Folgen seiner Verfassungsbrüche einzudämmen; doch das schlug fehl114a. Darauf bereiteten sie ihm auch im Laufe des Sommers beachtliche Schwierigkeiten115. Aber es gelang ihnen nicht, die Consulwahlen im Herbst zugewinnen, undvor allem konnten sie Caesar weder während noch nach Ablauf seines Amtsjahres zu Fall bringen, wie es ihre Väter und Großväter mit den Gracchen und Saturninus vermocht hatten. Er konnte vielmehr, als ihm der Boden zu heiß wurde, Rom verlassen116, blieb jedoch zunächst vor der Stadt stehen undunterstützte von dort ausdenihmergebenen Volkstribunen P. Clodius, der denOptimaten heftig zusetzte und dafür sorgte, daß Cicero wegen der Hinrichtung der Catilinarier (das heißt der entschiedenen Ausführung dessenatus consultum ultimum) verbannt, undanschließend auch Cato mit einem außerordentlichen Auftrag aus Rom entfernt wurde. Bevor noch dies Letztere geschah, mußte Caesar auf alarmierende Nachrichten hin Mitte März überstürzt nach Gallien aufbrechen. Daß er so lange geblieben war, beweist wohl, daß er der Lage in Rom noch nicht traute. Er ließ auch drei seiner vier Legionen, obwohl er sie dringend brauchte, bis in den April hinein bei Aquileia stehen. Als dann jedoch in Rom alles nach Wunsch gelaufen war, verließ er Italien endgültig117 und eröffnete den gallischen Krieg, weiterhin heftig befeindet von seinen Gegnern, aber einst-

zu fassen118. Als erster –undzugleich letzter –der großen populares hatte Caesar es damit fertiggebracht, nach der Durchsetzung weitgehender Anträge und der Übertretung wichtiger Gesetze sich einen guten Abgang zu sichern. Er unterschied sich von den Gracchen und Saturninus dadurch, daß er nicht als Volkstribun,

weilen für sie nicht

114 Ebd. 17,1.

114a

s. o. S. 143.

115 Historia 88 ff.

117Gelzer 88f. Historia 87,71. 116Gelzer, Caesar6 86f. 118Für die großen Schwierigkeiten, denen er auch weiter ausgesetzt war: Gelzer 91.

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sondern als Consul seine Gesetze einbrachte119. Darin lag ein großer Vorteil für ihn und eine schlimme Erfahrung für die res publica. Ein weiterer, noch bedeutsamerer Unterschied war, daß er unmittelbar nach seinem Amtsjahr eine Statthalterschaft und das Kommando über eine große Armee antreten konnte. Als ihn ein Volkstribun vor Gericht ziehen wollte, erwirkte er von den anderen Tribunen das Gutachten, er könne nicht in Anklagezustand versetzt werden, solange er rei publicae causa von Rom abwesend sei120. Damit war die Niederlage des Senats besiegelt. Caesar hatte alle Defensivmittel für nichts erwiesen und war doch nicht dafür bestraft worden121. Auch mit dem höchsten Einsatz war es nicht gelungen, ihn zu Fall zu bringen, sondern es war nur das Ausmaß der Niederlage stark vergrößert worden. Wie sehr sich die Situation damit verändert hatte, wurde deutlich, als Hortensius und Bibulus sich mit Clodius verbündeten und mit Hilfe von dessen Banden ihre Behauptung von der Ungültigkeit der acta Caesaris auf die Straße trugen122. Offenbar war die Senatsmehrheit nicht bereit, sie dabei zu unterstützen. Es wäre auch sinnlos gewesen. Denn Pompeius’ Macht war jetzt fest etabliert. Ohne oder gegen ihn warnichts Bedeutendes mehr ins Werk zusetzen. Und er schien auch im Innern das Ganze der respublica besser zu vertreten als die im Senat maßgebenden Kreise: Anfang 57 begann er, das zügellose Treiben des Clodius zu bekämpfen, und indem er sich mit großem Eifer für die Rückberufung Ciceros einsetzte, machte er dessen Sache, die zugleich die des Senats und der res publica war123, zu seiner eigenen124. Der Senat gab sich deswegen noch nicht geschlagen, es gelang ihm sogar Ende 57 und Anfang 56, vor allem dank der energischen Führung des Consuls von 56, Cn. Lentulus Marcellinus, im Bunde mit Crassus und angesichts des erwarteten Consulats des L. Domitius Ahenobarbus große Macht wiederzugewinnen125 und Pompeius in beträchtliche Schwierigkeiten zu bringen126. Domitius verkündete schon, daß er für die Absetzung Caesars sorgen wolle127. Aber alle Rechnungen waren auf Grund der bestehenden politischen Verhältnisse gemacht und enthielten einen großen Fehler: sie übersahen den Willen unddie Fähigkeiten Caesars. War es nicht mehr –wie Ende 60 –auf der alten Basis 119Vgl. Gelzer 90f. Syme, JRS 34, 1944, 98. 120Suet. Jul. 23,1. 121Clodius hat dann 58 die lex Aelia Fufia teilweise beschränkt. Vgl. o. A. 142, 487. 122 Vgl. Unters. z. röm. Innenpolitik 264 ff. 123Vgl. Unters. 246. 124Unters. 260 ff. 280 ff. 125Die Politik des Marcellinus: Cic. Q. fr. 2,1,2. 4,4f. fam. 1,1,2. 2,2. 4,2. har. resp. 2.22.

prov. cons. 39. Plut. Pomp. 51,8. Apophth. Pomp. 12 (204 C), u. Anm. 161. Die Wahl des Domitius erschien wohl als sicher (Cic. Att. 4,8a, 1). Neben dem Bündnis mit Crassus und der vorauszusetzenden wohlwollenden Neutralität Caesars ist dasWirken dieser zwei Persönlichkeiten offenbar von größter Bedeutung gewesen. 126Vgl. etwa die Reaktion des Senats auf die Frage des ager Campanus Ende 57 (Cic. Q. fr. 2,1,1) und im April 56 (fam. 1,9,8. Q. fr. 2,5 [6], 1), ferner Unters. 302 ff. 127Suet. Jul. 24,1.

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möglich, so erschloß er jetzt in den Abmachungen von Lucca gänzlich neue Dimensionen, um sich mit Pompeius und Crassus auszugleichen und dadurch gegen alle Angriffe zu sichern. Künftig sollten auch Pompeius und Crassus große Statthalterschaften und Armeen erhalten. Dabei ist Folgendes sehr interessant: Pompeius erhielt Spanien und damit ein Heer in Caesars Flanke. Crassus bekam Syrien, was ihm einerseits die Möglichkeit gab, endlich kriegerischen Lorbeer zu erwerben, womit er andererseits aber auch Pompeius den Zugang zu dessen starken östlichen Clientelen erschwerte128: manhielt sich also gegenseitig nicht nur die Waage, sondern verflocht die Positionen untereinander. Damals war Crassus –anders als 59 –als Dritter im Bunde unerläßlich. Damit wurde gleichsam eine neue Rangstufe des wesentlich auf sich stehenden, außerordentlich mächtigen princeps civitatis geschaffen, zuder nur gehörte, wer über Provinzen und mehrere Legionen auf längere Zeit verfügte. Es ist schwer zu sehen, wie der Senat seine Macht wieder begründen wollte, ohne mindestens einen der großen Machthaber anzuerkennen und für sich zu gewinnen.

* Infolge des eigentümlichen Zufalls, daß einerseits gerade seit 63 die Autorität des Senats wesentlich gestärkt worden war und die Forderungen des Pompeius bis 60 hatten vereitelt werden können, und daß andererseits gerade in jenen Jahren ein Mann wie Caesar, der an Größe, politischer Energie, Geschick und innerer Unabhängigkeit alle Zeitgenossen weit überragte, sich um das Consulat bewerben konnte, ist also die Geschichte der späten Republik aufs tiefste beeinflußt worden. Damals ist der Prozeß ihrer Krise in einem Augenblick außerordentlich beschleunigt worden, in dem gerade der Impetus, den er durch die Ereignisse der 80er Jahre empfangen hatte, aufgehalten zu werden schien. Da aber Caesars Sieg im Jahre 59 nur durch eine Reihe ganz ungewöhnlicher Leistungen möglich geworden ist, so erscheint die damalige senatorische Politik in einem anderen Licht. Wenn man nämlich nicht annehmen will, daß Cato mit diesen Leistungen von vornherein rechnen konnte, muß man zugeben, daß die Aussichten seiner heftigen und alle Mittel einsetzenden Opposition nicht ungünstig waren. Das Risiko, das er undseine Freunde eingingen, war hoch, aber nicht sinnlos. Daß sie dann im Effekt die Krise wesentlich verschärften, beweist nur, wie stark deren Ausmaß von den Persönlichkeiten Caesars und Catos und –freilich –den besonderen Verknüpfungen der damaligen Politik bedingt wurde. Damit stellt sich eine der für die Beurteilung der nachsullanischen res publica bedeutendsten Fragen neu. Bisher ist man sich fast durchweg einig darüber, daß der Senat sich spätestens am Ende der 60er Jahre mit Pompeius 128Vgl. o. S. 271. Yoshimura, Historia 10, 1961, 477 f. –Vgl. allg. Marsh, The Founding

of the Rom. Empire 118.

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hätte arrangieren sollen129. Man glaubt zu wissen, daß ein Zusammenwirken mit Pompeius, rechtzeitig begonnen, vom Senatsregime erhalten hätte, was zu erhalten war, und zugleich auf friedlichem Wege so viel Monarchisches in die res publica eingefügt hätte, wie diese zur Bewältigung aller aus ihrer Größe und Labilität erwachsenden Probleme brauchte. Pompeius respektierte den Senat und suchte sogar Verbindung mit ihm130. Er hätte am liebsten im Einverständnis mit demSenat gestanden. Warum verband mansich nicht mit ihm? Diese Frage hängt auf das Innigste zusammen mit der schon oben aufgeworfenen, ob Pompeius und Caesar eine Alternative zum Bestehenden darstellten. 3. POMPEIUS, CAESAR UND DER SENAT

Wie die Nobilität sich in der Zeit Sullas zu Pompeius stellte, ist nicht deutlich zu sehen131. Danach haben sie seine Hilfe, wenn auch zögernd, verschiedentlich in Anspruch genommen und haben in den Jahren vor 70 gehofft, ihn zum socius dominationis machen zu können132. Pompeius jedoch stellte sich 71 auf die Seite jener mächtigen Strömung, die damals die Restitution des Volkstribunats und die Aufhebung der senatorischen Gerichtsbarkeit anstrebte133. Es gab gar keine andere Möglichkeit für ihn. Denn er konnte von denprincipes kaum Anerkennung und wahre Freundschaft oder auch nur –wenn er es gewollt hätte –gleichberechtigte Aufnahme in ihren Kreis erhoffen. Sein Vater war dem Senat verhaßt gewesen134, Pompeius selbst aus der Art geschlagen. Als 23jähriger hatte er die Senatoren im Bürgerkrieg an Macht und Verdienst weit übertroffen und war ihnen von Sulla in verletzender Weise vorgezogen worden135. Dann hatte er ihnen zwar mehrfach geholfen, aber gerade durch diese Leistungen überragte er sie alle. Außerdem wollte er sieben Jahre vor der Zeit und ohne einen Magistrat bekleidet zu haben, Consul werden. So viele Ausnahmen, so viel Ärgernis; so viele Leistungen, so hohe Ansprüche136. Offen oder latent mußte sein Verhältnis zu den führenden Senatoren daher von Rivalität bestimmt sein. Vor allem war er mit seinen 36 Jahren noch lange nicht am Ende seiner Pläne, legte gewiß Wert darauf, auch weiterhin mit den schwierigsten Aufgaben betraut zu werden, und konnte nicht erwarten, daß der Senat ihm dies ohne weiteres zubilligte. Wenn er die sullanische Ordnung bewahrt hätte, wäre er aber darauf angewiesen gewesen. 129Vgl. die u. Anm. 143 genannte Literatur. 130Vgl. u. Anm. 144. 131Vgl. dazu Carcopino Sylla10 186 ff. Gelzer, Kl. Schr. 2,136 ff. Badian FC 249. 273 ff. 132Sall. hist. 3, 48, 21 ff. (vgl. Athen. 40, 1962, 108, 17. Es ist gar nicht einzusehen, warum sie diese Gelegenheit, den sullanischen Staat wiederherzustellen und zu befestigen, nicht wahrnehmen sollten. Sie mochten sich einbilden, mit dem in der Innenpolitik wenig erfahrenen [vgl. Sall. 21] jungen Mann auf die Dauer kein allzu schwieriges Spiel zu haben). 133Athenaeum a. O. 108,18 (mit Ps. Asc. 220). Gelzer, Kl. Schr. 2,158 ff. 134Cic. Cornel. fr. 54. Plut. Crass. 6,5. Pomp. 37,4. 136Vgl. Cic. imp. 61 f. 135O. S. 242 f.

3. Pompeius, Caesar und der Senat

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Gleichwohl ist der Senat Pompeius 71/70 weit entgegengekommen und hat ihn nicht nur, als er mit seiner Armee vor Rom stand, von der lex Annalis befreit137, sondern offenbar auch alle seine Anträge mindestens hingenommen. Er hat sogar demAckergesetz nachweislich (als einzigem in der späten Republik außer dem des Drusus 91)138 und vermutlich auch dem zur Wiederherstellung des Volkstribunats139 seine Zustimmung erteilt. Dabei mögen Schwäche und schlechtes Gewissen mitgesprochen haben140, aber gerade im Falle des Ackergesetzes liegt es doch sehr nahe, damit zu rechnen, daß der Senat weiterhin auf ein gutes Einvernehmen mit dem–im Grunde recht gemäßigt vorgehenden141 – mächtigen jungen Herrn Wert legte142. Dies wurde erst anders, als Pompeius 67 und 66 die großen Kommanden gegen die Seeräuber und Mithridates einrichten undsich übertragen ließ. Erst vonda an gab es denfast unversöhnlichen Gegensatz zwischen den beiden Mächten, der die weitere Geschichte so ver-

hängnisvoll bestimmte. Der Widerstand, den der Senat Pompeius seitdem in allem und jedem entgegensetzte, ist nicht leicht zu verstehen143, wenn man daran denkt, daß Pompeius durchaus konservativ gesonnen war144 und dem Senat helfen wollte. Nichts wäre ihm lieber gewesen, als im Auftrage des Hohen Hauses alle Krisen undbesonderen Aufgaben zu bewältigen und dafür dann entsprechende Aner137Cic. imp. 62. Die Truppen des Pompeius sind entgegen dem Bericht Plutarchs gewiß gleich nach dem Triumph (29 Dez. 71) entlassen worden. Gelzer a. O. 164f. 138Dio 38,5,1 f. (Gabba, Parola del Passato 5, 1950, 66 ff.). Die restaurativen Ackergesetze der Jahre vor 111 können hier unberücksichtigt bleiben. 139Da Gesetze damals –nach der sullanischen Ordnung (o. S. 255) –nur mit Genehmigung des Senats erlassen werden konnten, mußte Pompeius größten Wert darauf legen, und wenn man ihm, nachdem dies nicht mehr erforderlich war, zum Ackergesetz die Zustimmung gab, wird man sie ihm für jenen fast überfälligen (Cic. Verr. 1,44. leg. 2,36) Beschluß 140Cic. Verr. 1,44. kaum verweigert haben. 141Vgl. das Richtergesetz (GCG 272 f.), das vermutlich unter Pompeius’ Einfluß zustande kam (Verr. 1,45) und hinter den ursprünglichen Forderungen zurückblieb (vgl. div. in Caecil. 8. Verr. 1,1 f. 38 u. a.). –Plut. Pomp. 21,7. 22,3 f. besagt dagegen wenig, da es sich teils aus der Agitation ergibt (nicht alle Senatoren waren der gleichen Ansicht), teils offenα ὶγ ὰ ). Der Gegenρ bar aus dem üblichen Gegensatzschema herausgesponnen ist (vgl. 22,4: ϰ satz der beiden Consuln wird wesentlich persönlich bestimmt gewesen sein (vgl. Suet. Jul. 19,2. Sall. Cat. 17,7. Plut. Crass. 12,3). Zur Censur o. Anm. 22. Zum Verresprozeß ist zu beachten, daß Cicero den Kreis der Helfer des Angeklagten wohl aus agitatorischen Rücksichten übertrieben dargestellt hat. Freilich ist nicht gesagt, daß die Senatsmehrheit begeistert über Pompeius’ Tätigkeit war. 141Man muß auch bedenken, daß der Senat nur bedingt vom Wert der sullanischen Reformen überzeugt war (Cic. Verr. 2,3,81. Vgl. Plut. Cic. 10,2; o. S. 251. 263. 266.). 143Vgl. etwa Wickert in: Rastloses Schaffen, Festschrift Lammers, 1954, 103. Marsh, A History 171. Vogt, Röm. Gesch.2 270. Heuß, Röm. Gesch. 182. Anders McDonald, JRS 43, 1953, 163. 144Plut. Caes. 14,6. Vgl. Cic. Att. 1,14,2. Sall. hist. 2,16 (mit Plin. n. h. 7,53.37,14). Vgl. Plut. Pomp. 44,2 f. Cato 30,3 ff. 45,2 ff. Dazu gehört wohl auch die Identifikation mit Scipio Aemilianus (Cic. Q. fr. 2,3,3, fam. 5,7,3). 19 Meier

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kennung zu erlangen. Er hätte sich gewiß gern als der erste und wichtigste, als unentbehrlicher Senatsfeldherr verstanden. Aber da alle in Rom konservativ waren, besagte das nicht viel, und vor allem ging es hier nicht um Einstellungen , sondern um Taten und und Wünsche –das war etwas sehr akademisches – deren Konsequenzen. Aus allen Leistungen, die Pompeius vollbringen wollte (und vollbrachte), mußte ihm hohes Ansehen und Macht erwachsen. Und diese Macht brauchte er auch, im täglichen politischen Leben wie bei den großen Entscheidungen. Die Vorzugsstellung eines princeps vor den anderen principes, eines vornehmsten Senatsfeldherrn fand ihren Inhalt notwendig und besonders auch nach dem Geschmack des Pompeius im Besitz weiter, kräftiger Clientelen im ganzen Herrschaftsbereich. Überall hatte er –angesichts der Erfahrungen des Bürgerkrieges145 – alle Möglichkeiten, Macht zu begründen, in einer bis dahin unbekannten Intensität ausgenutzt146. Das bedeutete, daß Pompeius zahlreiche Interessen in Rom wahrnehmen und –wenn er denn eine Vorzugsstellung innehaben wollte –erfolgreich vertreten mußte. Man konnte ihn also keineswegs einerseits als Werkzeug für die Bewältigung von Krisen benutzen und im übrigen auf eine bloße Ehrenstellung beschränken. Sein Principat mußte sich vielmehr auf vielen Gebieten der Politik kräftig zur Geltung bringen, wobei zahlreiche Kollisionen mit anderen Senatoren nicht zu vermeiden waren. Vor allem lief Pompeius’Anspruch darauf hinaus, daß er jeweils über die Ausnahme entscheiden wollte. Der Senat mußte also befürchten, er entzöge sich seiner Kontrolle und werde einfach durch die Konsequenzen seiner Stellung, ganz unabhängig von Temperament undguten Absichten, genötigt, eine im Zweifelsfall ausschlaggebende Machtstellung anzustreben. Wäre er Pompeius zu Willen gewesen, so hätte er ihn legitimiert, ohne doch sicher zu sein, daß Pompeius sich künftig an das Arrangement hielt. Auch mochten andere –wenn er weiter reussierte –ihn zumVorbild nehmen, umsich ebenfalls über die herkömmlichen Grenzen zu erheben. Denn Pompeius war, wie Alfred Heuß es formuliert hat, der lebendige Spiegel all der Möglichkeiten, die einst in Sulla Wirklichkeit geworden waren147. So hätte die Senatsmehrheit sich mit Pompeius nur verbinden können, wenn die Aufgaben, die sie als die dringendsten empfand, von Pompeius und nur von Pompeius in ihrem Sinne hätten gelöst werden können. Heute denkt man gern daran, daß Pompeius in Zusammenarbeit mit dem Senat einschneidende Reformen hätte durchführen können. Aber dafür war gar kein Ansatzpunkt da. 145Seine Äußerung aus dem Jahre 49: Sulla potuit, ego non potero? (Cic. Att. 9,10,2) enthüllt vermutlich den Plan, nach dem er sich sein Leben lang gerichtet hatte. Er hat wohl immer mit der Möglichkeit einer Wiederholung des Bürgerkrieges gerechnet und sich darauf vorbereitet. 146Vgl. Badian FC (Register S. 339). Dolabella bei Cic. fam. 9,9,2. Caes. b. c. 3,43,3. HZ 182, 1956, 21. ferner Att. 8,11,2.

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3. Pompeius, Caesar und der Senat

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Nichts spricht in dieser uns so gut bekannten Zeit dafür, daß Pompeius oder irgendein anderer von deren Notwendigkeit gesprochen oder gar ernsthafte Vorschläge vorgebracht hätte148. Man hat vermutlich kaum daran gedacht. Hätte man beispielsweise an der in der Provinzialverwaltung eingerissenen Mißwirtschaft auf irgend lohnende Weise etwas ändern wollen, so wäre man sofort mit den mächtigen Interessen vieler Senatoren und weiter Kreise der Ritterschaft und möglicherweise auch der plebs urbana in Konflikt gekommen, ohne andererseits mehr als das schlechte Gewissen weniger zart besaiteter Römer und die guten Wünsche der im Grunde verachteten Provinzialen auf der eigenen Seite zu haben. Manhätte das Bindungswesen, das heißt die wichtigste Grundlage der Macht des Senats und der darauf aufgebauten res publica einschränken müssen. Man hätte eine Administration schaffen, unparteiische Richter finden und mit vielen schon allzu lieb gewordenen Bräuchen aufräumen müssen, ohne daß in der römischen Gesellschaft ein irgendwie mächtiges oder drängendes Bedürfnis danach bestand. Solche Absichten wären also ohnehin utopisch, geschweige denn als Grundlage für ein Bündnis zwischen mißtrauischen Gegnern geeignet gewesen. Freilich hätte man –wiesich etwa in denJahren seit 52 zeigte –im einzelnen viele Mißstände mit Hilfe des Pompeius besser bekämpfen können. Aber dem Senat waren alle anderen Mißstände –bevor die Anarchie unerträglich wurde – weniger schlimm als dieMacht undAusnahmestellung desPompeius149. Er beurteilte also die Rangfolge der Probleme gerade umgekehrt wieder große Feldherr und Organisator. Ihm war die Erhaltung der Freiheit –die ihm zunächst darin bestand, daß kein Einzelner eine Macht besaß, die ihn weit aus allen anderen herausgehoben hätte –wichtiger als die Behebung äußerer und innerer Schwierigkeiten, zu der Pompeius ihm hätte verhelfen wollen. Mit diesen Schwierigkeiten würde man –so mußte man meinen –auf die Dauer schon fertig werden. Warum sollte Pompeius der einzige sein, der sich darauf verstand? Man besaß doch in Catulus, Lucullus, Servilius Isauricus, Cato undanderen durchaus noch Männer, die als Feldherrn und Politiker befähigt waren und sich doch dem Senatsregime gut einfügten. Von heute aus scheint es freilich, daß alle diese Herren zu eng auf die alten Wirklichkeiten zugeschnitten waren und daß Probleme wieetwa die Ausrottung der Seeräubergefahr ein bestimmtes Maß an Unvoreingenommenheit und vor allem Größe erforderten, die ihren Träger dann mitsamt dem aus seiner Leistung erwachsenden Anspruch leicht in 148Pompeius war zwar für eine musterhafte Verwaltung der ihm jeweils unterstellten Gebiete bekannt (vgl. etwa Cic. imp. 36 ff.), aber die einzige Bemühung um eine allgemeine Verbesserung der Provinzialverwaltung, von der wir (abgesehen von Caesars Repetundengesetz) hören, ging von Cato aus: Gelzer, RE 7A 982. (o. S. 276,60). Vgl. freilich o. S. 92. 149Manche Mängel waren erst die Funktion der großen Auseinandersetzungen, so daß man meinen mußte, wenn man erst Pompeius geschlagen habe, werde man auch mit ihnen fertig. 19*

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Gegensatz zum Senat brachten. So scheinen die großen Einzelnen vomSchlage Sullas oder Pompeius’ oder Caesars geradezu konstitutive Vorteile vor den Tüchtigsten derbraven senatorischen principes besessen zuhaben. Aber umdies nicht gleich: zuzugeben, sondern nur: zu sehen, hätte der Senat sich selbst negieren müssen. Das aber war unmöglich, da nicht nur die gesamte Bürgerschaft, sondern gerade auch Pompeius mit seinem Respekt gegen die alte Verfassung ständig dazu beitrugen, den Senat zu bestätigen. Pompeius hatte keine Sache und konnte deswegen nur beanspruchen, daß er vieles besser könne. Doch selbst soweit man ihm das zugab150, blieb doch der Nachteil seiner Betrauung mit großen Aufgaben für den Senat größer als die möglichen Vorteile: Denn ein überragender Retter aus einer Not erhält nicht nur, sondern verändert auch, es entsteht das Problem seiner Eliminierung. Freilich hat der Senat die von Pompeius drohende Gefahr überschätzt. Denn er war damals fraglos recht starr, und zwar so sehr, daß er die Ausnahme nicht mehr als solche zu behandeln und zu bekämpfen wußte161. So hatte er es in seiner Schwäche geradezu zum Dogma erhoben, ne quid novi fiat contra exempla atque instituta maiorum152. Man hielt um so krampfhafter am Überkommenen fest, je mehr es versagte, und diese –vornehmlich durch das Erlebnis der 80er Jahre bedingte –Verengung der Norm machte den Gegensatz zu Pompeius grundsätzlicher, als er eigentlich war. Aber der Senat konnte nicht über den eigenen Schatten springen. Es ist ein Mangel der bisherigen Geschichtswissenschaft, daß ihr die Probleme derpolitischen Anthropologie noch kaum bewußt geworden sind. So besteht in entscheidenden Fragen nicht einmal Klarheit über die Axiome. Aber ohne künftigen Ergebnissen vorgreifen zu wollen, wird man wohl feststellen dürfen, daß politisch Handelnde in ihren Urteilen und Einsichten nicht frei sein können von den Voraussetzungen, die mit ihrem Standpunkt gegeben sind. Das heißt in diesem Falle: Der Senat war mit seinem gesamten Sein eingespannt in die herkömmliche Ordnung der Dinge. Er hatte die Verantwortung für die res publica, und keiner hat ihm die je streitig gemacht153. Sein Regime wurde also, so sehr es versagte, von allen Seiten bestätigt, undgerade indem es versagte, mußten die Senatoren folglich besondere Sorgen hegen, besonders empfindlich sein und die Gefahren eher überschätzen. Daher konnten sie gar nicht anders, als in aller Sicherheit nach den alten Maßen zu urteilen und zu schließen, daß sie Pompeius, da er sich ihrem Regime nicht recht einfügte, bekämpfen müßten. Das gegen die Gracchen und Saturninus angewandte Rezept mußte also auch gegen Pompeius und Caesar als das probateste er150Vgl. Dio 36, 32, 3. 151Vgl. o. S. 156 f. 169. 152So Catulus nach Cic. imp. 60. Vgl. Catos Ausspruch 59 (Dio 38,3,1). Afzelius, Class. et Med. 4, 1941, 128 ff. Gelzer, Kl. Schr. 2,266 ff. Wieacker, Vom röm. Recht2 58. 153Vgl. Strasburger Hist. Ztschr. 175,1953,235. –Ausnahmen, die die Regel bestätigen,

o. A. 133,428. 223,101.

3. Pompeius, Caesar und der Senat

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scheinen: vitiosas partes rei publicae exsecare154. Daß die Senatsmehrheit die großen Einzelnen fast um so heftiger bekämpfte, je dringender die res publica sie hätte brauchen können, war nicht einfach ein –bei besserer Einsicht vermeidbarer –Fehler, sondern es ist gar nicht zu sehen, daß sie, wenn sie so viel Offenheit und Verstand besessen hätte, wie sie die führende Schicht eines Staates in einer Krise überhaupt je besitzen kann, anders hätte handeln können. Daß es im Hinblick auf die Machtverhältnisse nicht unbedingt ein Fehler war, den Kampf mit Pompeius aufzunehmen, ist oben schon deutlich geworden. Freilich bestand 67 und66 kaum Hoffnung, daß man die Anträge für die großen Kommanden zu Fall bringen könne155. Auch 61/60 mußte man damit rechnen, daß Pompeius sich mit Gewalt durchsetzen werde. Aber dies war erstens keineswegs sicher, und zweitens war es sehr gut möglich, daß man ihm bei dieser Gelegenheit einen so hohen Kaufpreis abfordern konnte, daß seine Stellung wirksam erschüttert werden mußte. Nach 59 stellten sich die Dinge freilich anders dar. Aber damals hatten sich nicht nur die Aussichten des Senats sehr verschlechtert und die Mißstände wesentlich vergrößert, sondern auch der Gegensatz zu Pompeius war erheblich vertieft worden. Man war ja nicht einfach in einer konstitutionellen Auseinandersetzung unterlegen, sondern mit der Konstitution zusammen, und die Sieger bildeten eine kleine Minderheit und hatten sich in den Augen der Mehrheit disqualifiziert. Es war also eher dringender geworden, Pompeius zu bekämpfen, und wenn dies auch schwierig war, so konnte es den Zeitgenossen doch nicht als ausgeschlossen erscheinen, daß man auf die Dauer die Wendung von59 wieder rückgängig machen könnte. Vor allem ist sowohl für diese Zeit wie auch für diejenige nach den Abmachungen von Lucca (durch die eine Wiederherstellung der alten Autorität desSenats in weite Ferne gerückt schien) immer zu fragen, was dem Senat anderes übrig blieb, als den Kampf fortzusetzen. Waren Pompeius und seine Gegner damals wirklich frei dazu, sich miteinander zu arrangieren? Man sieht keine rechte Basis dafür. Einerseits war Pompeius für den Senat noch immer der mächtigste, das heißt der gefährlichste Gegner, andererseits aber konnte er seine Verbindung mit Caesar kaum völlig abreißen lassen, geschweige denn diesen stürzen helfen, denn dann hätte er leicht in die Hand der Gegner geraten können156. Zu einer entschiedenen Bekämpfung Caesars hat er sich, auch nachdem er im Jahre 52 das Bündnis mit dem Senat geschlossen hatte, nur langsam und zögernd bereit gefunden157. Dabei besaß er schon seit 55 eine starke, unabhängige Position in Spanien, dabei war 54 Julia gestorben und Caesar mit der Zeit so mächtig geworden, daß auch Pompeius ihn trotz aller eitlen Selbstüberschätzung als Rivalen fürchten mußte158. Man 154Cic. Att. 2,1,7. 155Vgl. o. S. 86. 156Vgl. Heuß, Röm. Gesch. 197. 157Gelzer Pomp.2 173f. 180. 184 ff. 158Plut. Pomp. 29,4. Gelzer 190 ff. Ed. Meyer, Caesars Monarchie3 241 ff. Sein Selbstgefühl: Historia 10, 1961, 81,43. Vgl. Montesquieu, Betrachtungen, übers. L. Schuckert 87 f.

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muß endlich betonen, daß der Senat seit 55, soweit wir sehen, Pompeius nicht mehr unmittelbar bekämpft hat, sondern ihm nur die Zustimmung und Legitimation verweigerte159, und daß auch kein Grund einzusehen ist, warum man ihm diese ohne sichere Gegenleistung hätte gewähren sollen. Die führenden Senatskreise haben gerade in jenen Jahren gezeigt, daß Pompeius gegen oder ohne sie keine befriedigende Stellung erlangen konnte. Wahrscheinlich hätten sie sonst im Jahre 52 nicht so günstige Bedingungen erhandelt160. Vielleicht war es also wirklich erst 52 Zeit zum Einlenken für den Senat. Freilich ist es durchaus möglich, daß die Senatoren nach 59 die Bedeutung der Vorgänge innerhalb Roms überschätzten und nicht voll würdigten, wieviel sich vor allem durch Caesars gallische Statthalterschaft verändert hatte. Andererseits ist jedoch hervorzuheben, daß sie nach den Maßen, nach denen bisher in Rom Macht bemessen worden war, wirklich noch sehr viel vermochten. Dies zeigte sich besonders bei den Consulwahlen für 55, mehrere Monate nach Lucca. Als es ruchbar wurde, daß Pompeius und Crassus sich um ein zweites Consulat bewerben wollten, legte der Senat Trauer an, trat in Streik, und man veranstaltete viele Kundgebungen gegen die Verbündeten161. Eine lebhafte Agitation verbreitete die Überzeugung, daß es in den Consulwahlen um die Freiheit der res publica ginge162. Pompeius und Crassus aber ließen durch Tribunen die Abhaltung der Comitien ein halbes Jahr lang verhindern163. Dann kam Anfang 55 ein großes Kontingent von Urlaubern aus Caesars Legionen nach Rom164, und selbst dann noch wagten es die beiden großen, mächtigen Herren nicht, eine freie Abstimmung zuzulassen, sondern hielten alle Mitbewerber durch Drohung oder offene Gewalt vom Platz fern, so daß sie die einzigen Kandidaten waren165. Was diese Tatsachen bedeuten, wird klar, wenn man die Wahlen für 59 zum Vergleich nimmt, als die Autorität des Senats noch intakt war, als Crassus, Pompeius und Caesar noch bei weitem nicht so mächtig waren, als vor allem nicht Crassus und Pompeius, sondern der viel weniger bekannte und an Einfluß ärmere Caesar sich bewarb, und als dann doch dessen Sieg so glänzend ausfiel166. Die führenden Kreise der principes konnten in dieser Situation, da es um die Freiheit ging, also noch außerordentlich große Kräfte mobilisieren167 undwaren getragen von der Zustimmung einer breiten Mehrheit in der Bürgerschaft168 159Ed. Meyer a. O. 191ff. 160Gelzer, Kl. Schr. 2,278. 161Dio 39,27 ff. Liv. per. 105. Plut. Pomp. 51,6 ff. Crass. 15. Stein, Senatssitzungen 43. 162 Plut. Cato 41,3. Pomp. 52,1. Crass. 15,4. 163 Liv. per. 105. Dio 39,27,3. 28,2 ff. 30,3f. 164 Dio 39,31,2. Plut. Pomp. 51,5. Crass. 14,7. vgl. Pomp. 58,1. Cic. Att. 4,16,6. 165Dio 39,31,1. App. 2,64. Plut. Cato 41,3 ff. Pomp. 52,2. 166O. S. 197. 167Man kann die Unterschiede gewiß nur zum geringeren Teil dadurch erklären, daß

Domitius bei den Wahlen größeren Einfluß aufbieten konnte als Bibulus (Cic. Att. 4,8a,2. vgl. 1,1,3). 168Es kommt hinzu, daß unter denen, die nicht kamen, der Anteil ihrer Anhänger gewiß wesentlich größer war als der der Freunde des Pompeius und Crassus. Vgl. auch die

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Wenn diese sich nicht durchsetzen konnte –um so schlimmer für das Prestige der Machthaber. Außerdem war Pompeius’ Stellung im ganzen prekär. Er war groß geworden dank der Not, in die der Staat nach Sullas Tod geriet, undder überragenden Leistungen, zu denen sie ihm die Gelegenheiten bot. Aber als er überall Ordnung geschaffen hatte, war er schwächer als je. Die Ritter zum Beispiel, die ihn 67 und66 zuseinen großen Kommanden emporgetragen hatten, hatten kein Interesse daran, ihn in seiner Sonderstellung weiter zu stützen. 61/60 stand er allein mit seinen Veteranen. Diese aber stellten nur einen Bruchteil der Bürgerschaft, eine Interessengruppe, eine Clientel dar169. Sie konnten ihmzwar zubestimmten Volksbeschlüssen und damit zur Erfüllung seiner Forderungen im Jahre 59 und eventuell zurVerleihung von Vollmachten verhelfen, aber nicht zu einem soliden Aufbau und zur Legitimierung seiner Stellung. Die Machtverhältnisse in Rom standen –wiesich etwa bei den Wahlen zeigte170 –der Aufrichtung eines Parteiregimes entgegen. Entsprechend war der eigentliche Vorteil, den er 59 (abgesehen von der Erfüllung seiner Forderungen) erzielte, durch die Niederlage des Senats, nicht durch einen positiven Machtgewinn bedingt: Sobald sich der Senat wieder etwas erholte, geriet Pompeius wieder in die Enge. Was Pompeius gebraucht hätte, umseine Position direkt aufzubauen –und was nötig gewesen wäre, um die Sicherheit des Senats zu erschüttern –wäre die Verknüpfung mit einer Sache gewesen, die Verbindung mit einer Schicht, die auf Änderungen drängte und der seine großen Tugenden des Organisators, Administrators, Heerführers und Admirals wichtig gewesen wären. Einer Schicht mithin, der es wesentlich um die bessere Bewältigung des Herrschaftsbereichs und äußere Ordnung gegangen wäre unddie die Basis desStaates hätte verbreitern können, einer Alternative. Da es daran fehlte, konnte Pompeius, wenn er nicht systematisch Gewalt anwenden undeine Diktatur begründen wollte (wozu keine auch nur beschränkt legitime Möglichkeit bestand), trotz aller Fortschritte keine befriedigende Stellung gewinnen –sofern nicht neue Not ihm wieder weiterhalf: Erst als die Anarchie unerträglich wurde und er nicht daran dachte, sie ohne dauerhafte Zugeständnisse zu beheben171 (sie eher förderte)172, lenkte der Senat ein, und verband sich mit ihm, und dieses Bündnis gewann Inhalt und Festigkeit durch das gemeinsame Interesse gegen Caesar. Damit Pompeius dies aber erreichte, brauchte er gewiß die Reste an Vertrauen, die er sich stets bewahrt hatte, indem er immer wieder vor dem Äußersten zurückgeschreckt und ängstlich darauf bedacht gewesen war, sein „rechtschaffenes Gesicht“(os probum)173 zu wahren oder rasch wieder aufzusetzen174. Gerade also seine stets schwankende, dunkle, damaligen Aussichten Catos bei der Praetonvahl: Dio 39,32. Plut. Cato 42,2 ff. Pomp. 52,3. Cic. Q. fr. 2,7,3. 169 O. S. 104 f. 170O. S. 19. 190 ff. 171 Vgl. Gelzer, Pomp. 169. 172Gelzer 162 ff., 169f., 171 f. 173Sall. hist. 2,16. Plin. n. h. 7, 53. 37,14. 174Vgl. April 59: Historia 10, 1961, 70. Juli: ebd. 89.

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unzuverlässige und feige Politik war es, die ihn zusammen mit seinem Feldherrnruhm zuletzt doch vertrauenswürdig und annehmbar machte. Viel anders konnte eine Macht, die im Grunde aus den abgespaltenen Teilen der römischen Wirklichkeit erwachsen war, sich im damaligen Rom wohl friedlich nicht eta-

blieren.

Die Entscheidung in dem offensichtlich unvermeidlichen Kampf zwischen Pompeius und dem Senat fiel also nicht dadurch, daß Pompeius den Senat besiegte, daß er sich ihm als überlegen erwies, sondern dadurch, daß er –nicht zuletzt dank Caesars Eingreifen von 59 –den Senat endlich so weit schwächen unddas öffentliche Leben so weit in Unordnung geraten lassen konnte, daß der Senat des Terrors und der Anarchie ohne ihn nicht mehr Herr werden konnte. Dadurch aber, daß die Verbindung der beiden Mächte ihren dauerhaften Halt ausdemGegensatz gegen Caesar bezog, warmit ihr imGrunde wenig gewonnen, denn nuntrat Caesar an dieStelle des Pompeius unddie Problematik verschärfte sich, da dieser neue Gegensatz nicht mehr in den Formen der Innenpolitik ausgetragen werden konnte. Denn Pompeius und der Senat beherrschten Rom und hätten Caesar dort zu Fall bringen können, wenn der nicht an seine Armee appelliert hätte. In Caesar aber trat demSenat wieder ein Mann gegenüber, der vom Schlage Sullas war175. Er kannte die Schwächen und verwundbaren Stellen der res publica und des Senats so gut, wie man sie nur kennen konnte. Er besaß eine überaus reiche politische Phantasie und gewann offenbar einen ungewöhnlich mächtigen Anspruch daraus, daßer fest undmit guten Gründen überzeugt war, unvergleichlich viel mehr Kraft, Geschick und Einsicht zu besitzen als alle anderen Senatoren, die Lenker des Staates. Das gab ihm den herrscherlichen Willen sich durchzusetzen. Er konnte also alle Chancen, die sich boten, bis zum letzten ausnutzen. Er hat gewiß auch ganz neue Vorstellungen gehegt und Formen entwickelt. Es sei nur erinnert an seine Auffassung vom Bürger176, an diemaßlose Unvoreingenommenheit, mit der er denSenat als zwar erwünschtes, aber nicht unentbehrliches Glied des Staates behandelte177, schließlich an die neuen Formen der Kanzlei178 undüberhaupt der Administration179 undseine gewaltigen organisatorischen Leistungen180. Aber, wie Matthias Gelzer geschrie175Vgl. vorläufig die Hinweise o. S. 261 f. 176O. S. 93. 177Vgl. b. c. 1,32 f. Cic. Att. 10,4,9. Gelzer Caesar6 270. Vgl. o. A. 261, 354. 178Gelzer, Kl. Schr. 2,298f. Caes. 288. 179Vgl. daß er ständig beschäftigt war (Cic. Att. 14,1,2. 2,3. fam. 6,14,2. 19,2. Gelzer, Kl. Schr. 1,106f. Caesar6 269). Zu der alten, freien Gesellschaft gehörte aber, daß man Zeit hatte (vgl. A. 10,20 und andererseits 167,28). 180Gelzer, Caesar 262. 266 f. 277. Mit all dem war vermacht, daß er eine neue Haltung

zum imperium einnahm. Ich glaube allerdings nicht, daß man dies seiner Äußerung b. c. 3,57,4 entnehmen kann (so Gelzer Caes. 213,191). Dagegen Altheim, Röm. Gesch. (Göschen) 22,74 ff. Vgl. App. 1,459 mit gewissen, nicht unbedeutenden, aber unmittelbar aus der Verschiedenheit der Situationen sich ergebenden Unterschieden.

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ben hat, lag seine „Größe als Staatsmann“darin, „ daß er über der historischen Das war die Voraussetzung seiner taktischen Erfolge, Gesellschaft stand“.181 aber es bedingte zugleich, daß er in dieser Gesellschaft keine rechte Stütze fand182. Manbegegnete ihm weithin mit unverhohlenem Mißtrauen, wenn nicht Haß183. Und seine einzige Legitimation waren seine „ so großen, so glückhaft vollbrachten Leistungen“.184Wie kam es dazu, daß er daraus zuletzt sogar den Anspruch ableiten konnte, mit Heeresmacht auf Rom zu marschieren, das heißt den Bürgerkrieg zu eröffnen? Damals erreichte ein eigentümlicher Vorgang seinen Höhepunkt, der mit Sulla begonnen hatte. Der Prozeß der Staatsbildung in Rom hatte zum guten Teil darin bestanden, daß sich der gesamte Adel mit allen seinen Ansprüchen auf den Staat bezog. Dabei wurde die alte archaische Anspruchsfülle teils gebändigt, teils gesteigert: Leistung für denStaat wurde das Maß, nach demEhre und Geltung, lateinisch: dignitas bemessen wurde. Aber das Streben danach erhielt zugleich vom Gegenstand her neue Würde und Kraft. Der dignitasAnspruch wurde also als mächtiger Ansporn zumilitärischer undpolitischer Leistung ein bedeutsames Ferment des Staatslebens. Damit nun aber die ungebrochenen Ansprüche der Adligen und ihrer Geschlechter nicht dazu führten, daß diese ihre eigenen Interessen über die der Gesamtheit stellten unddaß der, der Überragendes geleistet hatte, eben daraus die Forderung ableitete, über allen anderen zu stehen, mußten Einzelne und Geschlechter durch die starke Anziehungskraft desGemeinwesens gebunden bleiben. Es mußte also ein fruchtbares Spannungsverhältnis zwischen demdignitas-Streben der Einzelnen und derSolidarität der res publica bestehen. Das ist in Rom –trotz vieler kleinerer und größerer Konflikte185 –bis ins erste Jahrhundert stets der Fall gewesen. 181Kl. Schr. 1,184. 182Vgl. Gelzer, Kl. Schr. 2,297ff. Strasburger HZ 175, 1953, 245 ff. 183Strasburger a. O. 238 ff. für den Senat, das gleiche gilt aber auch für den Ritterstand

(o. S. 92 f., teilweise gegen Strasburger 249: Man kann die dortigen Zusammenstellungen noch erweitern, wobei sich zeigen würde, daß es sich schon lohnt, der „wankelmütigen Stimme“der öffentlichen Meinung zu folgen. Hätte es einen „gebildeten Mittelstand“gegeben, hätte er sich gewiß nicht anders verhalten). Für die Zeit nach 49 fehlt noch eine eingehende Untersuchung. Wichtige Hinweise aber bei Strasburger 245 ff. Gelzer, Caesar6, 260,26. 261. 269f. 278. 184Zusammengezogen aus b. c. 1,13,1. 85,10. Vgl. 3,73,3. Cic. fam. 1,9,12. Suet. Jul. 30,4 (dazu Gelzer, Caesar6 177, 401). Strasburger a. O. 244. Ferner: Einl. zu H. Simons Übers. v. Caesars Bürgerkrieg (1964) IX ff. 185So wurde die Zusammenarbeit römischer Feldherrn aus persönlichen Gründen oft gestört (vgl. Dio frg. 91. Kroll, Kultur d. ciceron. Zt. 1, 73 ff.) und ließen sich Heerführer wesentlich dadurch in ihren Entschlüssen leiten, daß sie einen Krieg selbst beenden oder ihrem Nachfolger Schwierigkeiten bereiten wollten (vgl. etwa Liv. 34, 33, 14. Zu dem krassesten Beispiel [Val. Max. 9,3,7] allerdings Simon, Roms Kriege i. Span. 140, 76, auch 70,1. Gelzer, Kl. Schr. 2,57. 3, 63. 77. 145). Im Großen könnte der Konflikt des Senats mit dem älteren Scipio Africanus als Beispiel dienen, der mindestens verdächtigt wurde, eine Ausnahmestellung anzustreben.

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Aber die Bindung derEinzelnen wurde im wesentlichen durch eine kollektive Moral bewirkt, das heißt sie war in besonders hohem Maße abhängig von dem Respekt, den die Gesellschaft als Ganzes heischte. Sobald dieser Respekt nachließ, bestand die Gefahr, daß das Spannungsverhältnis sich auflöste und das dignitas-Streben verabsolutiert wurde186. Sallust urteilt, daß die principes schon in der zweiten Hälfte des zweiten Jahrhunderts in der Verfolgung ihrer dignitas die Maße verloren hätten: coepere nobilitas dignitatem ... in lubidinem vortere (Jug. 41,5). Aber das kann sich nur auf gewisse Rücksichtslosigkeiten gegenüber demVolk undden Geboten des Gemeinwohls beziehen, die es immer gegeben hatte, die nur mit der magnitudo imperii jetzt in weitere Dimensionen wuchsen187. Eine eigentliche, weitgehende Emanzipation vom Urteil der Standesgenossen und der ganzen Gesellschaft finden wir –nach gewissen Ansätzen bei Gaius Gracchus –zuerst bei Sulla, der 88 aus verletzter Ehre und seiner sehr persönlichen Auffassung von den Notwendigkeiten senatorischer Politik auf Rom marschiert188 und 85, während er seine bewaffnete Rückkehr nach Italien vorbereitet, seine Forderungen wesentlich mit seinem Anspruch auf dignitas begründet: Er zählt in seinem Schreiben an den Senat auf, was er gegen Jugurtha, gegen die Cimbern, die Kiliker, die italischen Bundesgenossen und endlich als Consul in Rom für die res publica geleistet habe189. Freilich spielt es bei Sulla eine sehr wesentliche Rolle, daß er bei aller Selbstverständlichkeit, ja Selbstherrlichkeit die Sache des Senats vertrat. Vonda aus war aber der WegzuCaesar nicht mehr weit. Demmitten in dem von Sulla entfachten Bürgerkrieg Aufgewachsenen, der durch Schicksal und Veranlagung in kritische Distanz zu den Dingen geraten war, erschien die alte Ordnung nicht mehr als selbstverständlich. Da die Gesellschaft in ihrem Versagen die engste Mittelmäßigkeit zur Norm erklärte, konnte ihmihr Urteil nicht mehr maßgebend sein. Die Leistung allein und nicht mehr die Zustimmung der sogenannten Guten wurde seine Richtschnur. So wurde es –nach der Eroberung Galliens –möglich, daß er einen Bürgerkrieg wesentlich um seiner dignitas 186 Vgl. vorläufig Einl. zu Caesars Bürgerkrieg LIXff. 187Das konnte bei den Versuchungen der übergroßen Macht gar nicht ausbleiben (vgl. als Einzelheit, daß manche Statthalter in den Provinzen sogar ἰσ α ί genossen, ι τιμ ϑ ο ε ό Cerfaux-Tondriau, Un Concurrent du Christianisme, Le Culte des Souverains, 1958, 279 ff. Heuß, Röm. Gesch. 131). 188O. S. 222 ff. 189 App. 1, 350 ff. 361 f. Vgl. Liv. 75 schon für 89: quantis raro quisquam alius ante consulatum rebus gestis ... (Zu Sullas Hypertrophierung des archaischen Adelsideals in anderer Hinsicht: Plut. Sulla 38,6 mit Solon, Eleg. 1,5. Phokyl. 17. Archil. 66. Pap. Oxyrrh. 2310. Pind. Pyth. 2, 83f. Sappho 5 L.-P. u. v. a.). I. J. 63 hat dann Catilina nach Sallust erklärt: quod ... statum dignitatis non obtinebam, publicam miserorum causam ... suscepi (Cat. 35,3). Ähnlich haben nach Caesars Tod Brutus und sein Gegner Antonius höchst bedeutsame Beschlüsse mit ihrem dignitas-Anspruch motiviert (Cic. ad Brut. 1,2,4. Reitzenstein, Gött. Gel. Nachr. 1917, 435. App. 5, 111f. mit Buchheim, D. Orientpol. d. M. Antonius, 1960, 32. Auch von Pompeius behauptet Cicero 49 Ähnliches (ego incolumitati civium primum ut postea dignitati possemus, ille praesenti dignitati potius consulebat, Phil. 298 2,38).

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willen eröffnete. So weit hatte die Krise ohne Alternative geführt190, daß das alte Maß der Leistung für den Staat einen Krieg legitimieren konnte, der nicht nur von der überwältigenden Mehrheit der Bürgerschaft abgelehnt wurde, sondern nun nicht einmal eine Sache mehr für sich aufweisen konnte. Doch das führt schon über den Rahmen dieser Arbeit hinaus. Denn die Problematik Caesars wird erst in den Jahren nach 49 ganz deutlich191, als er keinen rechten Boden findet für seine Neugründung undsich beialler umfassenden Macht im wesentlichen als ohnmächtig erweist. Nicht einmal seine engsten Gefolgsleute vermochten sich positiv über die alten Normen der res publica hinauszuheben. Und die Verschwörung, der der Dictator endlich zum Opfer fiel, kann kaum als bloß zufälliger Betriebsunfall verstanden werden. Caesar hatte zwar die neuen Wirklichkeiten in vieler Hinsicht klug erkannt, aber es ist nicht zu sehen, wie er sie mit den alten, die noch so mächtig waren, hätte vereinen wollen. AusdemNichts ließ sich eben eine neue feste Ordnung nicht aufbauen. Noch diehöchste menschliche Einsicht hat einen Anknüpfungspunkt im Bestehenden nötig. Es scheint, als habe Pompeius die Machtverhältnisse in Rom instinktiv besser eingeschätzt.

* Es ist völlig deutlich, daß die Überwindung des Bestehenden von überragenden Persönlichkeiten ausgehen mußte, die sich durch hohe Leistungen legitimierten und bei der Lösung der drängendsten Aufgaben der res publica außerordentliche Macht gewannen. So hat schon Montesquieu geschrieben: Da die Republik notwendigerweise untergehen mußte, war es nur noch die Frage, wieunddurch wensie gestürzt werden würde.... Wenn Caesar undPompeius wie Cato gedacht hätten, würden andere wie Caesar und Pompeius gedacht haben192. Es scheint ein Gesetz gewaltet zu haben, nach demdie einen sich von der Norm teilweise emanzipierten, während die anderen um so krampfhafter daran festhielten. Infolge dieser Dialektik mußte also wieder eine treibende Kraft in der römischen Geschichte entstehen. Aber es ist einerseits sehr beachtlich, daß Pompeius lange Zeit der einzige war, der den Ehrgeiz besaß, für sich zu stehen und die durch Sulla aufgewiesenen neuen Möglichkeiten der Machtbildung zunutzen, unddaß sein Sinnen und Trachten sich fast ganz im Rahmen der überkommenen Verfassung bewegte; daß er sich durch lauter Inkonsequenzen derDialektik zwischen großen Einzelnen und Senat zu entziehen suchte. Andererseits war die große Drehung des , die nach oben brachte, wasunten war, und Rades –von der Cicero spricht193 – 190Vgl. zu diesem Zusammenhang Einl. zu Caesars Bürgerkrieg passim. 191Die obigen Darlegungen beruhen hier, wie teilweise schon auf den vorangegangenen

Seiten, auf Studien zum Problem der Monarchie Caesars, die in hoffentlich nicht allzu langer Zeit zur Veröffentlichung reif werden. 192Betrachtungen ... 84. 92. 192 Att. 2,9,1. 21,2.

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nach unten, was oben, durch eine besonders unglückliche Verknüpfung der Ereignisse bedingt. Die alte res publica bewies also auch nach Sulla noch eine erstaunliche Zähigkeit und Haltbarkeit. Das Fehlen einer Alternative machte die Lösung der Krise unsagbar schwer.

NEC VITIA NOSTRA NEC REMEDIA PATI POSSUMUS

Die alte res publica und das überkommene Senatsregime hatten sich lange Zeit hindurch mit der Erweiterung des römischen Herrschaftsbereichs und den Verwandlungen der römischen Gesellschaft immer breiter verwurzelt. Die Verwaltung des Herrschaftsbereichs wurde durch das aristokratische Bindungswesen geprägt, die Großbourgeoisie verstand sich, da sie all ihre Energien ablenken konnte und über immense wirtschaftliche Möglichkeiten verfügte, bis zuletzt ganz im Rahmen des Adelsstaats und blieb unpolitisch. Was sich unter anderen Umständen zu widersprechen pflegt, glich sich in den weiten Dimensionen des damaligen politischen Feldes aus. Alles, was hinzukam, und alles, was sich veränderte, wuchs um den Senat herum, erhielt von dort seinen Platz im Rahmen des Ganzen angewiesen und blieb dorthin ausgerichtet. So wurde in fast paradoxer Weise das Alte zunächst kräftiger und bis zuletzt jedenfalls immer unentbehrlicher, je mehr Neues sich ansetzte oder entstand. Wenn jedoch die Veränderungen in Gesellschaft und Herrschaftsbereich keinen Wandel in den Formen des staatlichen Lebens, in der Verteilung der staatlichen Verantwortung und in der gemeindestaatlichen Denkweise heraufführten, so hatten sie doch am Ende eine umso tiefere Verwandlung des Staatsganzen in Gestalt einer starken Extensivierung zur Folge. Die Basis des Staates wurde weit überlastet, die Gesellschaft desintegriert. Die Disziplin innerhalb des Adels lockerte sich, die Verfassung stimmte nicht mehr zur Wirklichkeit, die Verwaltung der Provinzen wies immer mehr Mißstände auf und die Machtverhältnisse wurden so verändert, daß große Labilität eintrat. Seit der Mitte des zweiten Jahrhunderts kam es zu einer Reihe von heftigen Konflikten und empfindlichen Störungen der öffentlichen Ordnung. Trotzdem herrschte im Grunde allgemeine Zufriedenheit. Alle mächtigen Interessen –auch die plebs urbana, soweit sie dazu zählte –ließen sich in der Weise des Gefälligkeitsstaats befriedigen; die Provinzialen, auf deren Kosten man lebte, blieben ohnmächtig. Noch nach der Aufnahme aller Italiker in die römische Bürgerschaft sind die alten gemeindestaatlichen Verfassungsformen in der Regel allen unmittelbaren Bedürfnissen der Bürgerschaft gerecht geworden. In der alltäglichen Politik hat also bis weit in die Zeit nach Sulla hinein noch alles einigermaßen zueinander gestimmt. Daher hat keiner die bestehende Ordnung irgend wesentlich angefochten. In allen Konflikten ging es fast ausschließlich darum, daß die eine oder andere Macht im Rahmen des Bestehenden besser zur Geltung kommen wollte.

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In dem weiten politischen Raum1 der späten Republik pflegten sich die Dinge also kaum zu stoßen und die einzelnen Veränderungen und Probleme sich kaum unmittelbar auszuwirken. Mittelbar brachte die Expansion zwar große gesellschaftliche Verschiebungen in Rom hervor, führte zu Änderungen der Heeresverfassung sowie zumAufkommen der einzelnen großen Machthaber. Und die Veränderungen und Probleme, die damit gegeben waren, ließen über Bürgerkrieg und unzählige Mißstände hinweg Machtverhältnisse entstehen, die mit der alten Form der respublica wirklich nicht mehr zu vereinen waren. Aber in diesem Vorgang war die römische Bürgerschaft mehr Objekt als Subjekt. So viel etwa Entscheidungen der Volksversammlung zu ihm beitrugen, das Gros der Bürgerschaft hatte dann zumeist nicht gesehen, worum es eigentlich ging, es schien sich ihr jeweils um Beschlüsse von begrenzter Konsequenz zu handeln, während der Senat in dogmatischer Versteifung bald jeden ungewöhnlichen Beschluß perhorreszierte. Mit anderen Worten: die Gesellschaft war damals nicht mehr Herr ihrer Angelegenheiten. Das politische Geschehen nahm einen eigentümlichen Grad von Unwirklichkeit an, da ständig Dinge passierten, die imGrunde keiner wollte, da das Handeln derEinzelnen widersprüchlich war: man gewinnt den Eindruck, wie wenn selbst die Stringenz politischer Logik einer Extensivierung anheim gefallen wäre. Solange jedoch die res publica noch aufrecht stand –und sei es nur noch mole sua –war eine Alternative zu ihr nirgends zu sehen. Es gab keinerlei Kraft und Ansatzpunkt, von denen eine Umorientierung des Staates hätte ausgehen können. So war es höchst charakteristisch, daß im damaligen Rom –anders als in so vielen Zeiten ähnlich schwerer Krise –keine Utopie entstand. Was an ihre Stelle trat, war ein vor allem aus stoischer Philosophie erneuertes Bekenntnis zum Staat der Vorfahren. Schon Polybios und Cato hatten in der römischen res publica ihrer Zeit die geschichtliche Verwirklichung der idealen Verfassung gesehen2. Dieser Staat war geheiligt durch sein Alter –quoniam antiquitas proxume accedit ad deos3 – und hatte sich in einer an unvergleichlichen Erfolgen4 reichen Geschichte tausendfach bewährt. Daher blieb eine konservative Gesinnung beherrschend, die ihre klassische Parole etwa in dem Ennius-Vers: moribus antiquis res stat Romana virisque fand5. Ein guter Bürger war, wer das Bestehende verteidigte6. Man versuchte, sich nach alten Beispielen, nach mos maiorum zu richten, identifizierte sich mit den großen Römern der Vorzeit und maß sich und andere an ihnen7. 1 Zum Wortverständnis o. S. 153. 2 Polyb. 6,11 ff. Cic. rep. 2,1 f. Vgl. Liv. 26,22,15. Gclzer, Kl. Schr. 2,266 ff. 3 Cic. leg. 2,27. 4 Polyb. 1,2. 5 Cic. rep. 5,1. 6 Augustus bei Macrob. sat. 2,4,18 (dazu Sattler, Augustus und der Senat 7). Vgl. Sall. hist. 1,12; o. Anm. 292,152. 7 Kroll, Die Kultur der ciceronischen Zeit 1,40 ff. O. Anm. 289, 144. Cic. Planc. 60. ad Brut. 11(1,4a),2.

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Da der utopisch-ideale Staat aber in seinen Institutionen noch überall anwesend war, das heißt als erreichbare Norm erscheinen mußte, konnte angesichts der spürbaren Veränderungen gegenüber der Zeit desalten Cato nur ein Ausweg aus der Krise gesehen werden: Der Versuch seiner Wiederherstellung. Cicero sieht die Schuld seiner Generation darin, daß sie die res publica, die sie wie ein ausgezeichnetes, aber schon vor Alter verblassendes Gemälde übernahm, nicht nur in den Farben nicht erneuerte, sondern nicht einmal in der Form und den Umrissen bewahrte8. Erneuerung des Alten wäre ihre Aufgabe gewesen und mußte nun diejenige der folgenden sein. Ciceros Zeitgenossen können nicht anders geurteilt haben. Es warkein Zufall, daßder erste große Reformversuch, mit demTi. Gracchus die lange Reihe der inneren Konflikte auslöste, die Wiederherstellung des alten Bauernstandes als eines wesentlichen Gliedes der res publica zum Ziel hatte; daß C. Gracchus dann mit seinem Bestreben, den überkommenen Staat auf neue breitere Grundlagen zu stellen, scheiterte und daß infolge davon eingreifende Versuche zu einer Neuorientierung des Staates nicht mehr unternommen worden sind. Höchst charakteristisch ist es weiter, daß die halbe Generation von 95 bis 80 –in der so viele schwere Entscheidungen über das Schicksal der Republik fielen –wesentlich bestimmt wurde durch vier große Reformversuche, die alle auf eine Neubegründung desalten Senatsregimes zielten. Einer nach dem anderen scheiterte, und jeweils wurden die Dinge dadurch schlimmer als sie gewesen waren. Jeder folgende griff tiefer ein alsdervorangegangene, bis schließlich Sulla am Ende die gesamte Schicht, die seit 95 die größten Schwierigkeiten bereitet hatte, in demfürchterlichen Schauspiel der Proscriptionen liquidierte, was dann aber trotz momentaner Beruhigung eigentlich der Anfang vom Ende wurde. Da sich die Teile der res publica im Alltag des Gefälligkeitsstaates relativ gut miteinander vertrugen und der Führung des Senats sich fügten, war es um 95 vermutlich unklar gewesen, welchen Einfluß sie gegen den Senat aktivieren konnten, sobald dessen Regime einmal wieder strenger zusammengefaßt und praktiziert werden sollte. Nachdem dies aber offenkundig geworden war, empfand man die Notwendigkeit umso gebieterischer, die Autorität des Senats konsequent und fest wieder zu begründen. So kam es zu der Klimax dieser vier Kuren, die allesamt, da sie zu anstrengend waren, die Krankheit der respublica nur verschlimmerten. Der Senat selbst war in sich uneins, eine wachsende Zahl seiner Mitglieder, zuletzt wahrscheinlich die Mehrheit, widerstrebte den gewaltsamen Eingriffen und wollte lieber die vorhandene Regierungsweise fortsetzen. Ob sie es wußten oder nicht: dies wäre zwar schlechter, dafür aber den veränderten Verhältnissen einigermaßen angepaßt gewesen. Denn das Hohe Haus war innerlich wie angesichts der Machtverhältnisse nicht mehr in der 8 rep. 5,2.

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Lage, ein konsequentes Regime zu tragen. Aber es bot sich keine andere Möglichkeit der staatlichen Ordnung9, und so mußten gerade die Besten, denen der immer tiefer sich einfressende Schlendrian auf die Dauer unerträglich war, alles daran setzen, um wieder geregelte Verhältnisse zu schaffen. Noch einmal hat dann Cato in den Jahren vor 59 die Autorität des Senats dadurch neu zu befestigen versucht, daß er sie kräftiger praktizierte. Aber es gingdiesem Versuch nicht anders als den vier vorangegangenen: er trug wesentlich dazu bei, daß die res publica und der Senat in Caesars Consulatsjahr auf das Härteste geschlagen wurden. Hatten jene vier Reformen es zur Folge gehabt, daß die Krise der res publica in ihr akutes Stadium trat, so führte diese fünfte –freilich verschärft durch gewisse Komplikationen –zu deren äußerster Zuspitzung. Wie aber die entschiedensten Verfechter des alten Staates seine Krankheit beförderten, so wurden endlich in der Bewältigung der schlimmsten Notlagen einzelne überragende Persönlichkeiten mächtig, die sich dem –gleichzeitig dogmatisch seine Norm verengenden –Senat nicht mehr einfügen konnten. Je nötiger die res publica diese Persönlichkeiten brauchte, um so heftiger wurden sie bekämpft, damit nichts Neues gegen die Beispiele und Einrichtungen der Vorfahren geschehe. Ihre großen Leistungen linderten also die Krise nicht, sondern verschärften sie. Es entstand jene Dialektik zwischen dem Senat und den großen Einzelnen, aus der heraus schließlich Caesar den aristokratischen Anspruch auf Rang und Ehre bis zur Perversion steigerte und wesentlich um seiner persönlichen dignitas willen einen Bürgerkrieg entfesselte. Immer wieder mußte man also die Erfahrung machen, daß die res publica ebensosehr durch ihre Wunden wie durch die Heilmittel, die man dagegen bereitete, verloren ging. Cicero hat diese Erkenntnis zum ersten Mal im Jahre 49 –freilich im Hinblick auf die damalige Situation –formuliert. Später begegnet sie mehrfach, in klassischer Weise in der Praefatio des Livius, wo es wo wir weder heißt, die römische Geschichte habe zuletzt den Punkt erreicht, „ 10. mehr unsere Gebrechen noch die Heilmittel ertragen können“ Dieses Gesetz läßt sich auch im Kleinen überall beobachten. Wahrscheinlich hat Gaius Gracchus ernsthaft gehofft, die senatorische Provinzialverwaltung bessern zu können, wenn er die Repetundengerichte auf den Ritterstand übertrug. Aber der Erfolg war am Ende eine beträchtliche Störung des staatlichen Gleichgewichts. Um der Gefahr eines neuen Einsatzes der Armee in die Innenpolitik zu entgehen, führte Sulla das oligarchische Prinzip in der Provinzialverwaltung entschieden durch. Er versuchte also, die Mittelmäßigkeit tiefer einzuzementieren, undwirkte sodarauf hin, daßGelegenheiten entstanden, bei 9 Vgl. auch Gelzer, Kl. Schr. 1,268. 10Cic. Att. 9,5,2: et omitto causam rei publicae quern ego amissam puto cum vulneribus suis tum medicamentis iis quae parantur. Liv. a. O. 9. Tac. ann. 3,28,1 (etwas parteiisch wie hist. 2,38,1). Flor. 2,11 [3,23],2; auch Tac. agr. 3,1.

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denen man kräftigere Persönlichkeiten dringender brauchte als je. Interessant ist es, dem Gang der Ambitus-Gesetzgebung zu folgen, in dessen Verlauf immer neue Mittel ersonnen wurden, um den Mißbräuchen der Wahlbewerbung abzuhelfen, bis man schließlich im Jahre 52 zu der absurden Bestimmung vordrang, daß ein Verurteilter straffrei ausgehen sollte, falls er einen anderen, der mehr, oder zwei, die ebensoviel oder weniger schuldig waren als er, mit Erfolg anklagte11. Mankann in diesem Fall zwar nicht sagen, daß die Gesetze die Ursache für die stetige Verschlimmerung der Übelstände gewesen wären, aber indem eines nach dem anderen sich als eitel erwies, mußte doch die Achtung vor den Gesetzen überhaupt nachlassen und jener tiefe Zusammenhang zwischen der Zahl der Gesetze und der Gesundheit des Staates bewußt oder unbewußt sich auswirken, für den Tacitus die kurze Formel geprägt hat: corruptissima re publica plurimae leges12. Nirgends aber äußert sich die fatale Aporie der Zeit besser, als in jener etwas boshaften Bemerkung, die Cicero in den Verrinen geäußert hat: Er erinnert dort an die Worte des Verres, nach denen dieser den Gewinn des ersten Statthalterjahres für sich, den des zweiten für seine Patrone und Verteidiger und den des dritten für die Richter bestimmt habe, und fährt dann fort: Ich glaube, es wird dahin kommen, daß die auswärtigen Völker Gesandte an das römische Volk schicken, daß das Repetundengesetz und-gericht aufgehoben werden mögen. Wenn esnämlich keine solchen Gerichte gebe, meinen sie, werde jeder Statthalter oder Angehörige von dessen Stab nur so viel wegtragen, wie er für sich und seine Kinder als genug erachtet13. Aber es blieb keine Wahl. Man durfte nichts unversucht lassen, und so war es unausweichlich, daß man viele Gesetze machte und die Ausbeutung der Provinzen durch Praktizierung des Repetundenverfahrens steigerte. Überall äußerte sich die Krise, auch in der Art der Menschen: darin, daß ein so unerfreulicher Geschäftemacher wie Crassus in die vorderste Reihe der Politiker aufrücken konnte, daß Pompeius allein durch eine so gar nicht imponierende, schwankende und heuchelvolle Politik sich das Vertrauen der Bürgerschaft wenigstens teilweise erhalten und damit die Voraussetzungen zu einer Legitimierung seiner Sonderstellung schaffen konnte, daß endlich innerhalb des Senats eine Dialektik zwischen der Nachlässigkeit und Resignation der Alten und der orthodoxen, trotzigen Strenge der Jungen entstand, die zu der Niederlage von 59 wesentlich beitrug und dann einer allgemeinen Schwäche Platz machte. Strahlend zeigt sich nur das Bild Caesars, aber es konnte dies nur, weil er zu jener dunklen Welt in einen Gegensatz geriet, der so groß war, daß er nur mit Waffen ausgetragen werden konnte. Es gab keine Alternative, von der eine Neugründung hätte ausgehen können, keinen archimedischen Punkt außerhalb der Gesellschaft, von dem aus man 11Dio 40,52,3. 12ann. 3,27,3. Vgl. H. Krüger, Allg. Staatslehre 815f. Otto Vossler, Rousseaus Frei13 1,40 f. Vgl. off. 2,75. heitslehre 129. 20 Meier

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eine wirksame Kontrolle der Verwaltung hätte schaffen und den Gefälligkeitsstaat hätte überwinden können. Der Senat konnte sich keine ständige Polizei halten, um eine kräftige Exekutive zu haben, und selbst wenn er es versucht hätte, wären die Ritter oder andere, die damit hätten niedergehalten werden sollen, in der Lage gewesen, sie außer Gefecht zu setzen. Auch die Volksversammlung war nicht abzuschaffen oder in ihrer Kompetenz zu beschränken. So schien nur der eine Ausweg aus der Misere offen zu stehen: man mußte die allgemeine Moral verbessern. Durch unsere Laster, nicht durch irgend einen Zufall, haben wir die res publica dem Worte nach noch in Besitz, der Sache nach aber schon längst verloren, hat Cicero damals in De re publica geschrieben (5,2). Man war sich darüber im klaren, daß der weite Herrschaftsbereich besonders hohe Anforderungen an die Moral stellte14. Doch man konnte nicht sehen, daß das Mißverhältnis zwischen den Aufgaben und den Mitteln des Senatsregimes übermäßig groß geworden war. Die beste Moral hätte es nicht mehr überbrücken oder gar überwinden können. Angesichts der vielen Fehlschläge aber griff jene Aporie um sich, die in den Worten: res publica amissa est ihren charakteristischen Ausdruck fand. Es gab nicht das Narkotikum der Lösungsvorschläge und Utopien, die, wenn sie nicht von wirklichen Kräften getragen sind, so leicht ins Beliebige geraten und nur die Kluft zwischen Theorie und Praxis vergrößern können. So war diese Ratlosigkeit die beste Einsicht, die möglich war. Denn besser kann man eine Welt, die am Ende ist, nicht erkennen, als wenn man empfindet, daß ihr –mindestens vorläufig –nicht mehr zu raten ist. 14 Cic. rep. 5,1. Sall. Cat. 14,1. Liv. praef. 4. 7,29,2.

ANHANG Ν OΤΕ1

Die meisten Bindungen müssen damals aus dem Erweis von beneficia entsprungen sein (o. S. 32). Vgl. z. B. Q. Cic. Com. Pet. 16. 19f. Cic. fam. 7,30,3. 13,29,8: Capitonem ... ad tuam necessitudinem tuo summo beneficio adiunxeris. inv. 2,168. off. 2,63.65. 1,56: magna etiam illa communitas, quae conficitur et beneficiis ultro et citro datis acceptis (vgl. fam. 11,22,1). Die höchste Bindung, die an patria et parentes ist nach Cicero dadurch begründet, daß diese uns die größten beneficia erwiesen haben (off. 58). Als Lentulus Spinther im Bürgerkrieg mit seinem Gegner Caesar verhandelt, heißt es: veterem amicitiam commemorat Caesarisque in se beneficia exponit, quae erant maxima: Offenbar begründete schon der Empfang von beneficia den Anspruch auf neue (Caes. b. c. 1, 22, 3). Bernert, De vi atque usu vocabuli officii. Diss. Breslau 1930, 47 ff. bes. 51 ff. Aufschlußreich ist Tacitus’ Vergleich mit den germanischen Anschauungen: gaudent muneribus, sed nec data imputant nec acceptis obligantur (Germ. 21,2). Vgl noch Caes. b. c. 2, 18, 7. Auct. b. Afr. 32,3. 56,3. –Zum Einandernahekommen ist interessant das Verhältnis zwischen Consul oder Praetor und Quaestor (Gelzer, Kl. Schr. 1, 81, 132. 102, 308. Bernert 55) und zwischen den Consuln (Cic. fam. 4, 12, 3. Mur. 64). Vgl. o. A. 48 zu S. 32. –Zu erwähnen ist noch, daß man auch die Wahl als beneficium auffaßte (Cic. Cluent. 150. Planc. 12. leg. agr. 2,2. Sall. Jug. 85, 3. Pöschl, Grundwerte röm. Staatsges. 93). NOTE 2 Genau genommen ist es die Haltung innerhalb des Gegensatzes zwischen Pompeius und Caesar. Partes wird gerne auf Bürgerkriegsparteien angewandt (Taylor PP 190,40. Strasburger RE 18,786 ff.). Immer aber bezeichnet es die Seiten einer großen Auseinandersetzung (Belege bei Strasburger und Taylor 190f.). Es kann nun kaum ein Zufall sein, daß das Wort bis in die Zeit des Augustus niemals im politischen Sinn als logisches Subjekt gebraucht wird (im Gegensatz zu factio. Vgl. noch Liv. per. 841 Belege Thes. L. L. 6,135). Wenn es nicht einfach nur den Plural von pars wiedergeben soll (z. B. divisit populum unum in duas partes), dient es, um allgemein das Phänomen einer größeren Parteiung (mos partium, partium certamen, lubido in partibus erat) oder im besonderen die Sache, für die jemand eintritt, die Seite, auf die er sich stellt (partium studiosus bonarum, aliarum atque senatus partium esse, advorsus populi partium, Cinnanis favere partibus [Nep. Att. 2.2]) auszudrücken. Also die Parteilichkeit und das Parteiliche an einer Gruppe, Schicht oder einem Stand wird gemeint. Als handelnde Subjekte dagegen werden jeweils die Persönlichkeiten, Faktionen, die Schicht der boni, das Volk oder der Senat genannt. Sensus bzw. studium partium ist deswegen die Parteinahme, das Fühlen oder Handeln nach Maßgabe großer, d. h. mehr das Ganze des Staates betreffender Gegensätze. Die gleiche Gegenüberstellung mehr politischer Gesichtspunkte mit mehr privaten oder moralischen: Cic. Att. 1,14,6: neque id magis amicitia Clodi adductus fecit quam studio perditarum rerum atque partium. Sall. Jug. 73,4: in utroque magis studia partium quam bona aut mala sua moderata. Cic. Verr. 2,1,35. Dolab. b. Cic. fam. 9,9,1. –Angesichts der zahlreichen fest verwurzelten Mißverständnisse der römi20*

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Anhang

sehen Politik scheint folgende Bemerkung an dieser Stelle noch angebracht: Wenn partes , das heißt die der boni und des Senats (z. B. Cic. Att. 1,13,2. dazu dient, die „gute Sache“ Cael. 77. Nepos, Att. 6,1), oder diejenige der Gegnet des Senats, des Volkes oder der „Schlechten“(Sall. Cat. 37,10. Jug. 43,1. Cic. Att. 1,14,6) zu bezeichnen, so wird damit nur die jeweilige oder dauerhafte Einstellung Einzelner zum Senat, zur Anwendung popularer Politik o. dergl. ausgedrückt. Da es populare Politik gibt, muß es in dieser Hinsicht Unterschiede geben. Aber damit ist nicht die Zugehörigkeit zu Parteien oder Gruppen indiziert (vgl. etwa Cic. Att. 1,20,3: via optimas, a curia autem nulla me res divellet, wobei gerade davon die Rede ist, daß Cicero von den führenden Senatoren zu Pompeius überwechselt!).

NOTE 3

Berichte über das Gegeneinander plebs –Clienten in frühen Comitien: Botsford, Rom. Ass. 24 ff. Premerstein RE 4, 49 ff. Aber man gab sehr gern die eigenen Anhänger und Freunde als „das Volk“aus und beschuldigte die Gegner, nur einen besonders minderwertigen oder abhängigen Bruchteil dessen oder gar nur Söldner, Latiner und Bundesgenossen auf ihrer Seite zu haben (Vgl. Sall. Jug. 40,2. 42,1. Auct. ad Her. 1,8. Dio 46, 20,1 mit u. Note 9. ιῶ τ λ α ι[vgl. die Interpretation o. A. Ferner vielleicht Appians Behauptungen über die Ἰτα 112, 300]. Wie stark solcherart Entstellungen sonst in der Historiographie ihren Niederschlag gefunden haben, ist leider noch nie untersucht worden. Vgl. etwa die Aussagen über die Kräfte, auf die Caesar sich 59 in den Comitien stützte. Plut. (Pomp. 48,1. Caes. 14,10. Luc. 42,6): Pompeius’Veteranen, App. (2,35): eine große Mannschaft. Dio dagegen weiß nur von Volk und Rittern (38,7,4). Möglicherweise spiegeln sich darin verschiedene Tendenzen und Auffassungen. So ist es gewiß nicht stilistisch bedingt (wie Strasburger RE 18, 789 meint), wenn Sallust so oft von nobilitas spricht. Denn keine Stelle spricht dafür, daß er damit den Senat und nicht nur die wenigen dort führenden Herren meint (gegen Strasburger 773. 784. RE 17, 787): Technischer Gebrauch von nobilis z. B.: Cat. 18,4. 23,3. 6. 48,5. 52,24. Jug. 4,7. 14,4. 41,10. 63,3. 73,4. 85,17. 25. 95,3). Alternieren von nobiles mit pauci und factio besonders: Cat. 38,2. 39, 1ff. Jug. 41,5 ff. 31,4. 9 f. 41 f. Pauci werden aber im allgemeinen sorgfältig vom Senat unterschieden: z. B. Cic. div. in Caecil. 70. Verr. 1,36. 2,1,155. Hirtius b. G. 8, 52,3. vgl. 50,2, wahrscheinlich auch Caes. b. c. 1,22,5. Vgl. Strasburger, Concordia Ordinum 36f. Der gleiche Sprachgebrauch in den ep. ad Caes. (2,2,4. 4,2. 8,6. 9,4. 11,6), auch hist. 1,12. 3,48,5 ff. Wenn Sallust aber zuweilen nobilitas mit senatus alternieren läßt (Belege bei Hanell Eranos 43, 1945, 268 ff.), so bleibt immer die Möglichkeit, die nobilitas als das eigentliche Subjekt der senatorischen Politik zu verstehen (Aussagen wie Jug. 16,2 gewinnen erst dadurch ihren Reiz!). Vgl. auch Note 11, Abs. 1. NOTE 3a Damals wurden 65 Consuln (darunter ein Suffektconsul) gewählt, von dieser Zahl sind drei iterierte Consulate abzuziehen = 62. –Metelli: 6 Consulate (80, 69, 68, 60, 57, 52), Cornelii Lentuli: 5 (72, 71, 57, 56, 49), Aemilii Lepidi: 4 (78, 77, 66, 50) = 15. Dazu Aurelii Cottae: 3 (75, 74, 65), Calpurnii Pisones: 3 (67, 62, 58), Claudii Marcelli: 3 (51, 50, 49), Claudii Pulchri: 2 (79, 54), Octavii: 2 (76, 75), Licinii Luculli: 2 (74, 73), Julii Caesares: 2 (64, 59), Valerii Messalae: 2 (61, 53), sowie die vor 79 möglicherweise noch nicht zur Nobilität gehörenden (anders Münzer RE 2 A, 1811 ohne Argumente) Servilii Vatiae: 2 (79, 68) 36. = (Die Träger des gleichen nomen gentile, die verschiedene cognomina haben, darf man m. E. nicht unbedingt zum gleichen Geschlecht rechnen). Diejenigen Consuln, die nicht als homines novi bezeugt sind, kann man vermutlich, auch wenn keine Vorfahren als Praetoren

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bezeugt sind (wie bei den Servilii Vatiae, bei Scribonius Curio, Licinius Murena) auf praetorische Familien zurückführen (zu ihnen auch Gelzer, Kl. Schr. 1,46). –Ähnliche Zusammenstellungen für frühere Zeitabschnitte: Scullard, Roman Politics 220–150 BC S. 9,3. 11: Die 200 Consulate von 232 bis 133 verteilten sich auf 58 Familien, 159 der Consuln wurden von 26, 99 –also fast die Hälfte –von 10 Familien gestellt (aus De Sanctis, Storia dei Romani 4,1,486 f.).

NOTE 3b

(1) In meinem Freiburger Seminar hat Josef Henke errechnet, daß das Consulat nach 366 zunächst sehr häufig iteriert wurde: Von 366 bis 304 kamen im Durchschnitt auf jeden Consul 1,7 Consulate, von 303 bis 272 immer noch fast 1,6. Anders: von 366 bis 272 bekleideten nur 61% der Consuln ein Mal, dagegen 25% zwei, 7% drei, 6% vier oder fünf und 1% sechs Mal den höchsten Magistrat. Danach sinkt die Zahl der Iterationen rasch ab. (Durchschnitt 272 bis 180: 1,2 Consulate pro Consul, wobei zu bemerken ist, daß diese Ziffer zumal durch die hohe Iterationsrate im 2. punischen Krieg [217 bis 207 knapp 2,5 Consulate pro Consul] bedingt ist.) (2) Die relativ hohe Zahl der Iterationen nach 366 (die übrigens bei Patriciern und Plebeiern in ungefähr gleichem Maße zu beobachten ist) besagt sowohl, daß die oberste Schicht des Senatsadels, die Gruppe der principes, damals relativ klein, wie daß der Maßstab, nach dem die Consuln ausgesucht wurden, relativ streng war. Die Häufigkeit der Iterationen war natürlich in Kriegszeiten besonders groß (70% von allen). Nach den Kriegen setzte sich dann jeweils die umgekehrte, auf Beteiligung eines breiteren Kreises am höchsten Amt gerichtete Tendenz durch, wobei dann vielleicht die Unwiederholbarkeit des Consulats proklamiert wurde. Da jedoch die Kriege die römische Politik dieser Epoche wesentlich bestimmten, bleibt es im Ganzen richtig, daß damals besonders hohe Anforderungen an die Kandidaten für den Obermagistrat gestellt wurden (und darin mußsich –zumal angesichts der ungewöhnlich großen Zahl der Obermagistrate während der Zeit der Militärtribunate – eine Disziplinierung des Senatsadels und des römischen Volkes äußern). (3) Nach 272 werden die Iterationen dann sehr viel seltener und sind dies relativ auch im 1. punischen Krieg gewesen. Um diese Zeit setzte sich also die Tendenz durch, die Iteration auf wenige Ausnahmefälle zu beschränken, eine Tendenz, die, welche Umstände auch zu ihr beigetragen haben mögen, doch jedenfalls darin bestand, daß die Homogenität einer breiteren Führungsschicht behauptet und der Standard der an den Consul zu stellenden Anforderungen nicht mehr so hoch gehalten wurde. Die Beschränkung der Iteration geschah vermutlich nicht durch Gesetz, sondern dank der durch den Druck (und Consens) breiterer Teile des Senatsadels erwachsenden Gewöhnung. (Das Liv. 7,42,2 bezeugte Plebiscit ist, wenn es überhaupt echt ist, nur eine plebeische ’Beliebung‘gewesen, Bleicken, Volkstribunat 47,1. Zu der angeblichen Ausnahmeregelung von 217 vgl. Rögler, Klio 40, 1962, 86 ff.). NOTE 4

Die hier skizzierte Rekonstruktion des Verhältnisses zwischen Magistraten und Senat ergibt sich einerseits aus der Kritik, die vor allem Heuß (Sav. Ztschr. 64, 1944, 57 ff.) und Wesenberg (ebd. 70, 1953, 58 ff.) an der alten These von der königlichen Machtfülle der Magistrate geübt haben, andererseits aus einer mir notwendig erscheinenden Modifikation der positiven Auffassung der beiden Autoren sowie De Franciscis (Primordia Civ. 768 ff.). Ich kann meine Gründe dafür hier nicht näher ausführen, möchte nur zum Beispiel auf Folgendes hinweisen: Heuß macht (79 ff.) viel daraus, daß die auspicia letztlich von den patres ausgehen (vgl. die zuweilen als notwendig empfundene renovatio auspiciorum). Doch wissen wir nichts über die Vorstellungen, die hier wirksam waren. Vielleicht handelte es

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sich ursprünglich um eine Hilfskonstruktion: Die Kontinuität, zu der es gehört, daß nur der Magistrat das Vermögen hat, den Nachfolger zu crëieren, wird künstlich wiederhergestellt. Jedenfalls bleibt es fraglich, wie weit daraus Konsequenzen für die Auffassung des Obermagistrats zu ziehen sind. De Francisci sagt zu den Wahlen, die creatio sei zwar Sache des Magistrats, aber die Auswahl der Kandidaten, welche er (in früher Zeit) den Comitien präsentiert, träfe er im Einvernehmen mit dem Senat. Das ist richtig, aber nur eine Banalität. Denn es besagt nicht mehr, als daß der Wahlleiter die Wahl nicht allein machen kann. Damit sollte man ohnehin nicht rechnen, wenn auch die Prosopographen es gerne tun (vgl. dagegen meine Besprechung von Lippolds Consules, Anzeiger f. d. Altertumsw. 1966). Wesentlich ist dagegen, in welcher Weise bei dieser Einigung die Positionen abgesteckt waren. Es könnte doch z. B. sein, daß der Magistrat, da er formal und sakral für die Wahl verantwortlich war und sie zudem vor den Comitien vertreten mußte, in der Vorberatung eine im Zweifel ausschlaggebende Stimme hatte. Allgemein gesagt: daß ein Magistrat in der Regel Wesentliches nur leisten kann, wenn er im Einverständnis mit dem Senat handelt, versteht sich von selbst. Es ist doch geradezu ein Charakteristicum der gewachsenen Verfassung, daß alle wesentlichen Organe fast unbeschränkt in ihrer Vollmacht sind, und das kann doch nur gut gehen, solange es im ganzen selbstverständlich ist, daß sie sich untereinander ausgleichen. Unter welchen Voraussetzungen das geschieht, ist damit noch lange nicht ausgemacht. Hier aber scheint mir die Frage erst anzufangen, und die Unausgeglichenheiten der gewachsenen Verfassung bringen es mit sich, daß sie nicht mit einem einfachen Entweder–Oder beantwortet werden kann.

NOTE 5

(1) Die Wahlen der comitia centuriata waren bis ins 3. Jh. hinein von der Bestätigung durch die auctoritas patrum, d. h. der patricischen Senatsmitglieder, abhängig, seitdem mußte die auctoritas vorher, in incertum eventum, gegeben werden (Dazu s. o. Anm. 112,357. Anlaß zu der Änderung werden Ärgernisse wie das bei Cic. Brut. 55 berichtete geboten haben). Damit ist aber nicht gesagt, daß es damals nicht mehr Sitte gewesen wäre, sich innerhalb der führenden Kreise des Senats –die inzwischen schon zur Hälfte aus Plebeiern bestanden –auf die zu wählenden Kandidaten zu einigen (vgl. dazu auch Note 4) oder daß den Comitien damals schon regelmäßig mehrere Kandidaten zur Auswahl vorgelegt wurden. Freilich sollte man annehmen, daß das Letztere mindestens pro forma schon längst häufig geschah (sicher bezeugt bzw. zu erschließen ist es aber erst für die 2. Hälfte des 3. Jhs.: Siber [Belege in RE Suppl. 8, 586] und im Folgenden). (2) Solange aber der Adel es vermochte, sich vorher auf die zu wählenden Kandidaten zu einigen, hatte er alle Aussicht, diesen rasch zur Mehrheit in den Comitien zu verhelfen. Denn zunächst gaben die vom Adel bestimmten (RE 589 f.) VI suffragia (vielleicht auch die übrigen 12 Rittercenturien, ebd. 569) ihr Votum ab, und dieses wurde als Vorbild für die übrigen vor Fortsetzung der Wahl bekannt gegeben (vgl. dazu u. [5]); das kann seine Wirkung kaum verfehlt haben. Waren hingegen die Rittercenturien sich nicht einig, stand es etwa bei den VI suffragia 3:3 oder auch 4:2, so war damit zu rechnen, daß die Entscheidung erst in der letzten Classe fiel. Das mag gewiß im einen oder andern Fall vorgekommen sein (und war im Einzelfall auch nicht schlimm, solange mehr oder weniger homogene Kandidaten zur Wahl standen), aber es lag fraglos nicht im Sinne der Erfindung (wenn auch die 5. Classe nicht aus Proletariern, sondern aus Kleinbauern bestand: doch diese machten eben damals die eigentliche plebs aus). Deswegen, aber auch aus anderen Gründen, die sich aus einer Untersuchung der Politik im 3. Jh. ergeben (die ich an anderer Stelle vorlegen möchte), spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß man sich bis ins 3. Jh. hinein zumeist innerhalb des Adels vorher absprach und dieses Votum dann den Comitien suggerierte.

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(3) Irgendwann zwischen 292 und 218 ist diese Stimmordnung dann aber abgeschafft worden. Künftig wurde eine Centurie aus der 1. Classe erlost, um ein Vorstimmrecht auszuüben (die praerogativa centuria), darauf folgte die 1. Classe samt den 12 centuriae equitum (im eigentlichen Sinne des Wortes). Danach hatten die VI suffragia einen gesonderten Wahlgang, bevor dann die übrigen Classen antraten, in deren erster, der 2. Classe, nach der Centurienreform (vgl. o. A. 39,86) frühestens die Entscheidung fiel (vgl. Cic. rep. 2,39. Nachdem die erforderliche Zahl von Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht hatte, wurde abgebrochen, Hall, Historia 13, 1964, 284, vgl. u. [7]). Wie es zu dieser Ordnung kam, ist unklar. Zwei Möglichkeiten sind denkbar: Entweder das Privileg des Adels erregte Ärgernis und die Ersetzung des adligen Erststimmrechts durch die praerogativa ging von Gegnern der dort Ausschlaggebenden aus. Oder der Adel brachte es nicht mehr fertig, sich vorher zu einigen und suchte nun auf andere Weise eine möglichst einheitliche und rasche Entscheidung herbeizuführen. Dann wäre damals die Wahlfreiheit zuerst in größerem Ausmaß praktiziert worden bzw. hätte zum ersten Mal wirklich gestört. So sehr die zweite Möglichkeit angesichts der Macht des Adels als die wahrscheinlichere erscheint, so wenig läßt sich die erste ausschließen. Jedenfalls hat aber dem Schöpfer der Reform wohl an einer Vereinheitlichung des Votums gelegen, und er hat nicht damit gerechnet, daß tiefere Gegensätze in der Versammlung aufkämen; denn in dem Fall hätte die praerogativa keine suggestive Wirkung ausüben können. Gar kein Gedanke also daran, an den Charakter der Wahl als Auswahl aus einer homogenen Adelsschicht zu rühren (bestenfalls richtete sich die Reform gegen eine bis dahin herrschende Clique [und mag dann im Sinne der Vermutung von Heuß, RG 77, von einer Art gentry ausgegangen sein]) Als ganz sicher erscheint außerdem, daß die –wohl bald nach der Einrichtung der praerogativa erfolgte – Versetzung der VI suffragia hinter die erste Classe im Sinne der Senatsmehrheit erfolgt sein muß. Denn wenn sie einig waren, wirkten diese vornehmsten Stimmeinheiten dort wie ein Sieb (RE 588 f.), dann lag bei ihnen in dubio die Entscheidung, in jedem Fall übten sie eine vereinheitlichende Wirkung aus; und wenn sie nicht einig waren, hatte es keinen Sinn, ihnen einen gesonderten Wahlgang zu geben (denn man sollte nicht annehmen, daß die Adligen es so sehr für unter ihrer Würde hielten, zusammen mit der 1. Classe und den 12 anderen Rittercenturien zu stimmen, daß sie lieber nach als mit ihnen antraten). (4) Daraus folgt, daß man zur Zeit dieser Versetzung der VI suffragia annahm, die römische Senatsaristokratie werde es fertigbringen, sich nach der Abstimmung der 1. Classe geschlossen auf dieselben Kandidaten festzulegen, um diese dann der übrigen Versammlung durch einheitliches Votum zu suggerieren. Die vereinheitlichende Wirkung der praerogativa hatte offenbar nicht ausgereicht, nun ließ man die 1. Classe „frei“stimmen und erhielt damit –da die eigentlichen Differenzen die Versammlung eher „vertikal“(nach tribus) als „ horizontal“(nach Classen) teilten –einen Überblick über die Meinung der Comitien. Aber man suchte zugleich einer Aufwertung der unteren Classen vorzubeugen und überhaupt: Differenzen so wenig wie möglich aufkommen zu lassen. Vermutlich sind gewisse Regeln für die VI suffragia aufgestellt worden, etwa daß die Entscheidung der Mehrheit der vorangegangenen Centurien zu übernehmen sei und nur, falls mehrere Bewerber ungefähr gleichstanden, die principes die Auswahl treffen sollten. Die weiteren Centurien werden dann mehr oder weniger einheitlich den von den VI suffragia Bevorzugten zum Siege verholfen haben. Da nun aber Differenzen in der Wahlversammlung, wenn sie sich ergaben, vor allem die Aristokratie betrafen, bedeutete dieses Verhalten, daß ein Teil der Senatoren die eigenen Wünsche und Ansichten zurückstellte, um nach außen einig zu sein. Diese Kombination einerseits der Chance der Bewerber, ihre Kräfte innerhalb der ersten Classe zu messen, und andererseits der Wahrung straffer Disziplin gegenüber den weiteren Classen ist –so erstaunlich sie sich ausnimmt –kennzeichnend für die römische Verfassung, deren Einheit gerade durch das Vorhandensein eines relativ weiten Spielraumes für einander widerstrebende Kräfte gewährleistet wurde.

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Wie lange dieses Mittel wirkte, ist unklar. Vermutlich hat es im 2. Jh. schon versagt. Aber eine Zeitlang hat es gewiß, zusammen mit den Einflußmöglichkeiten des Wahlleiters (vgl. RE 594, dazu aber meine Bespr. von Lippolds Consules, Anz. f. d. Altertumsw. 1966) die Comitien vielfach stark zu bestimmen vermocht. (5) Diese Darstellung ergibt sich aus einer leichten Modifikation der Ergebnisse meines Artikels Praerogativa Centuria, RE Suppl. 8, 567 ff. Ursula Hall hat neuerdings dagegen vorgebracht, die Rittercenturien hätten vermutlich vor wie zunächst auch nach der Reform nicht gleichzeitig, sondern sukzessive gestimmt, wie übrigens alle anderen auch (a. O. 279 ff.). Das halte ich zwar für unwahrscheinlich (wie lange mußte das dauern! Außerdem war das Prinzip der Heeresversammlung ein anderes als das der comitia tributa, von denen Mrs. Hall ausgeht), aber nicht für den springenden Punkt. Wie die Ritter antraten, war politisch vor wie nach der Reform gleichgültig. Anders steht es mit der Verkündung ihrer Ergebnisse, die nach Mrs. Hall jeweils sofort, Centurie für Centurie, erfolgt sei. Solange die Ritter einig waren, war auch das nicht wichtig. Sobald sich jedoch Differenzen zwischen ihnen ergaben, hätte ein solches Prinzip heillose Verwirrung stiften und leicht zu einer Multiplikation von Zufällen führen müssen, zumal wenn es auch für die übrigen Centurien gegolten haben soll (wenige Entschlossene hätten jeweils einen Kometenschweif von Irritierten nach sich gezogen). Da man das ganz gewiß zu vermeiden suchte, muß man spätestens mit der Reform –auf Grund der spätestens damals aufgekommenen Wahlfreiheit dazu übergegangen sein, die Ergebnisse wahlgangsweise zu verkünden. Anders ist auch der gesonderte Wahlgang der VI suffragia nicht zu verstehen, dessen obige Deutung mir ganz unbezweifelbar erscheint (Sumners Vermutung, auch die übrigen 12 Rittercenturien hätten zwischen der 1. und 2. Classe gestimmt [AJPh 81, 1960, 147,3], hat nichts für und alles gegen sich, was wir wissen, und das ist doch immerhin einiges). (6) Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht –näheres läßt sich wegen der Unmöglichkeit der Datierung nicht ausmachen – , daß zwischen 292 und 219 die Bestellung des pontifex maximus auf die Comitien übertragen, also auch zum Gegenstand einer Wahl wurde (Mommsen, St.-R. 2,27).

(7) Bei allen Comitien ergab sich endlich eine Einschränkung des Wahlrechts aus dem durch Sukzession bestimmten Prinzip der absoluten Mehrheit: Es kam –wie erwähnt (3) – nur darauf an, daß eine genügende Anzahl von Kandidaten die absolute Mehrheit erreichte, danach wurde die Wahl sofort abgebrochen. Das heißt, es konnte passieren, daß Kandidaten, die mehr Stimmkörper für sich hatten als andere, dennoch nicht gewählt wurden, weil sie erst nach diesen die absolute Mehrheit erreicht hätten. Man vermied es demnach selbst bei den comitia tributa sorgfältig, daß das relative Stimmenverhältnis, also die Gunst des Volkes, entscheide und zugleich: daß amtlich festgestellt würde, welche Kandidaten am höchsten in der Volksgunst stünden (und das hatte keineswegs praktische Gründe, denn man behielt diesen Modus auffälligerweise bei, als die tribus nicht mehr nacheinander, sondern gleichzeitig abstimmten, indem man dann die Ergebnisse in erloster Reihenfolge vortragen ließ –mit dem gleichen Effekt, daß man abbrach, sobald die erforderliche Zahl von Bewerbern die absolute Mehrheit erreicht hatte). Daß nun die absolute Mehrheit nicht nur das mindeste, sondern auch das höchste Erfordernis bei den Wahlen war, fällt hier um so mehr auf, als zwischen den tribus nicht wie zwischen den Centurien eine Art von Ungleichheit herrschte, die es gerechtfertigt hätte, auf das Votum der weiter vorne Stimmenden größeren Wert zu legen. Die ganze Ordnung kann nur bedeuten, daß das Volk primär nicht wählen, sondern nur die erforderliche Anzahl von Bewerbern mit der absoluten Mehrheit ausstatten sollte. Da ist denn nur so viel Wahl, wie zu einer Bestätigung Gewählter notwendig ist. Das Wahlrecht des Volkes gilt nur insoweit, als in einer bestimmten –teils durch Rang (comitia centuriata), teils durchs Los (c. tributa) festgesetzten –Reihenfolge Kandidaten ermittelt werden sollten, die eine Mehrheit der Stimmkörper guthieß. Für die Belege

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s. Ursula Hall, Voting Procedure in Roman Assemblies. Historia 13, 1964, 267– 306. Bes. 286 ff., 292 ff. (dort, 267 ff., auch der Hinweis auf die Einzigartigkeit des korporativen Prinzips in Rom, die unerläßliche Voraussetzung dieser Gepflogenheiten). NOTE 6

Die lex Claudia von –wahrscheinlich –218 (Liv. 21,63,4. Von Caesar in der lex derepet. wieder aufgenommen: Dig. 50,5,3), die den Senatoren den Besitz von Seeschiffen und vermutlich auch die Beteiligung an Geldgeschäften und Staatspachten (Mommsen RG 1,853, Gelzer, Kl. Sehr. 1,32) untersagte, soll nach der Communis Opinio zur Begünstigung der Ritter erlassen worden sein (z. B. Gelzer: „sollte eine Bresche legen in die bis dahin unbeschränkte wirtschaftliche Überlegenheit der Senatoren“ . Z. T. anders Hill, Rom. Middle Class 151). Aber man kann sich schwer vorstellen, daß zu Gunsten der noch schwachen und mit dem Senat in gutem Einvernehmen stehenden Ritter damals ein solches Gesetz erlassen wurde. Viel wahrscheinlicher ist mir, daß die lex zur Befestigung der inneren Geschlossenheit und Zucht des Senatorenstandes dienen sollte (vgl. Schaefer, Probl. d. A. G. 342. Cato, agr. praef. 1,1 f. Liv.: quaestus omnis patribus indecorus visus. Cic. off. 1,151 [der freilich aus verständlichen Gründen von den Staatspächtern überhaupt nicht spricht, aber immerhin die portitores (qui in odia hominum incurrunt; vgl. Q. fr. 1,1,33) erwähnt], auch Verr. 2,2,122). Für denallgemeinen Zusammenhang, in densie somit gehört, o. A.61,192. Schaefer

wies in seinem Seminar über den Ritterstand im Wintersemester 1953/54 darauf hin, daß dieses Gesetz wesentlich aus der damaligen Situation angesichts des drohenden Krieges mit Karthago zu verstehen sei. Es habe eine ähnliche Tendenz verfolgt wie die ungefähr gleichzeitigen Bemühungen um die Festlegung der Präsenzpflicht der Senatoren (Stroux Philol. 93, 1938, 96f.). Diese sollten sich auf Rom konzentrieren. Sie sollten außerdem nicht durch Rücksicht auf eigene Handelsunternehmen in ihren Entscheidungen bestimmt werden (dafür, wie begründet dies sein mochte, vgl. Polyb. 1,83,7 f. über den Umfang des italischen Handels mit Afrika um 240).

NOTE 7 Heftiger Streit entspann sich freilich im Jahre 118 um die Gründung von Narbonne (GCG 53f.). Nach alter Sitte (o. A. 73,58) wird auch hier eine ritterliche Oberschicht mit bedacht worden sein (vgl. Plut. Gracchi 30,2. lex agr. [Riccobono 8] Z. 60. Last CAH 9, 112f.), und zwar wohl –wievermutlich in den gracchischen Colonien –vor allem Kaufleute, nicht Publicanen (vgl. Diod. 5,38,5). Es ist dabei aber gar nicht sicher, wie weit die Ritter an den Auseinandersetzungen beteiligt waren. Sicher ist als Ausgangspunkt nur der Ehrgeiz des jungen L. Crassus. Zu der Siedlungskommission gehörte interessanterweise Cn. Domitius Ahenobarbus, der Sohn des Siegers über die Allobroger und Erbauers der via Domitia (GCG 48 f. 282. Broughton MRR 2,644). Dies und anderes (Brunt a. O. [o. A. 65,5] 131) spricht dafür, daß diese Gründung zugleich, entsprechend dem alten militärischen Sinn der römischen Colonisation, wesentlich dazu gedacht gewesen ist, das dortige Gebiet undden Weg nach Spanien zu sichern (ähnlich sollte wohl i. J. 100 die Gründung der Colonie Eporedia sowohl militärischen Zwecken wie Rittern dienen [vgl. Strabo 4,6,7. In diesem Fall scheint die Initiative aber vom Senat ausgegangen zu sein: Fraccaro, Opusc. 3, 94 ff.]). Die Streitigkeiten sind daher wohl eher als dissensiones nobilium denn als Kämpfe zwischen Senat und Rittern zu verstehen.

NOTE 8

108 für 107: Vell. 2,11,2. Vgl. Sall. 64,5. 65,4. Mehr als diese Stellen spricht bei Sallust der Umstand für die Unterstützung durch viele der Publicanen, daß sie in diesem Moment

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(65,5: nobilitate fusa per legem Mamiliam, 73,4: magis studia partium ... moderata) von ihrem Gegensatz gegen den Senat nicht absehen konnten. Auch können die opifices agrestesque omnes (73,6) die Abstimmung in den comitia centurıata kaum entschieden haben. –Die folgenden Wahlen des Marius sind sehr eigenartig. Daß man ihn im Jahre 105 angesichts der von Cimbern und Teutonen drohenden Gefahr erneut zum Consul machte, bedarf keiner Erklärung. Auffällig ist jedoch, daß man dann sein imperium niemals, wie in Afrika, nach dem Brauch der Zeit verlängerte, sondern ihm immer wieder das Consulat verlieh. Vielleicht spielte dabei die Auffassung mit, daß man gegen solche Gegner einen Mann von großer τ ύ ηals regelrechten Consul haben müsse (Plut. Mar. 14,14 vgl. 9. Ferner die Erχ klärung Sherwin-Whites JRS 46,1956,4). Aber es ist doch wahrscheinlich, daß zugleich die Nobilität an einer höchst empfindlichen Stelle getroffen werden sollte (vgl. Cic. Brut. 175: petitionis angustiae, Plut. 14,13. Ebd. 11,1: Die nobiles hätten nicht gewagt, sich zu bewerben, ist wohl eine Verleumdung, trifft jedenfalls nicht auf alle diese Jahre zu). Dafür spricht zugleich, daß Marius’ Einfluß anscheinend in einigen jener Jahre so groß war, daß er sich seinen Collegen im Consulat praktisch aussuchen konnte, so höchstwahrscheinlich im Jahre 103 (Plut. 14,14. Badian Historia 6, 1957, 322 f. mit BJ 161, 1961, 508), vermutlich 102 (Dio frg. 94,1. Badian 330f.), und dann vor allem nach Abschluß des Krieges in der heiß umkämpften und nun wirklich unnötigen Wahl für 100. Damals stellte sich ihm sogar –entgegen dem, freilich auch von Marius übertretenen, Gesetz, das die Iteration des Consulats verbot –Q. Metellus Numidicus entgegen (Plut. 28,8. Vgl. Von der Mühll, De L. Appuleio Saturnino 60f.), der gerade 2 Jahre vorher zusammen mit einem Vetter (!) zum Censor gewählt worden war. Marius half sich dagegen mit umfangreichen Bestechungen (Liv. per. 69, Plut. a. O., aber auch o. Anm. 137,449) und erkaufte sich L. Flaccus zumCollegen. Angesichts der damals wach gewordenen Gegensätze zum Senat ist es anzunehmen, daß die Publicanen zu Marius’ wichtigsten Wählern zählten, wenn man auch nicht damit zu rechnen hat, daß sie auf die Dauer mit ihm verbündet waren (so jedoch Nitzsch, Gesch. d. röm. Rep. 2,120. Ed. Meyer, Kl. Sehr. 12,415,1 u. v. a. Vgl. dagegen o. A. 210,14). NOTE 9

Die catilinarische Verschwörung gehört zu den ganz wenigen Gelegenheiten der späten Republik, bei denen eine stärkere, weiter verbreitete Unzufriedenheit sich beobachten läßt (Syme, Roman Rev. 89. Yavetz, Historia 12, 1963, 485 ff., der, 496, freilich das Interesse der plebs an Ruhe noch überschätzt [denn der Umschlag der Stimmung am 5. Dez. 63 ist wesentlich auf politische Ursachen, zumal das energische Eingreifen des Senats zurückzuführen, Gelzer RE 7A 889]). –Cicero stützte sich bei der Bekämpfung der Catilinarier in der Stadt hauptsächlich auf die Ritter. Eindrucksvoll war ihr Aufmarsch auf dem Capitol am 5. Dezember, wo offenbar die Publicanen unter Atticus’ Führung ziemlich geschlossen angetreten waren und außer ihnen eine große Menge anderer Ritter und Bürger: Cic. Att. 2,1,7. Phil. 2,16. Cat. 4,15. sen. grat. 12. 32. Sest. 28. Ferner Yavetz 495,2. Es ist aber zu betonen, daß die concordia ordinum offenbar nur die Staatspächter mit dem Senat verband. Die Partner des Senats werden jedenfalls in teilweise wörtlich übereinstimmenden Wendungen bald als Publicanen, bald als Ritter bezeichnet; es heißt von ihnen, daß sie viele Jahre lang durch eine dissensio vom Senat getrennt waren, was bestenfalls auf die Publicanen zutrifft; und mit der Ablehnung der Forderungen der asiatischen Steuerpächter im Jahre 60 löste sich die concordia auf (Cic. Att. 1,17,8 ff. 19,6. 2,1,8. 16,4 mit Brunt a. O. [A. 65,5] 128,2. Q. fr. 1,1,32. off. 3,88. Vgl. Att. 1,18,3. fam. 1,8,4. Q. fr. 1,4,4). Nur sie waren organisiert genug, um als Partner eines solchen Bündnisses in Frage zu kommen (ο . A. 75,75. 88,149). Die übrigen Ritter wirkten durch den consensus omnium bonorum (Cat. 1,32. Att. 1,19,4. 2,19,4. fam. 5,2,8 vgl. 6,2. sen. grat. 17. Sest. 1. 11. 53. Strasburger, Conc. Ord

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63). –Weiterer Beweis für die Macht der Ritter in kritischen innenpolitischen Situationen: Das Gesetz zur Rückberufung Ciceros i. J. 57 (Taylor, Party Politics 60. Gelzer RE 7 A 925. Dazu: RE Suppl. 10, 589). NOTE 10

Die Senatsmehrheit wünschte durchaus, daß Caesar abgelöst werde (Cael. bei Cic. fam. 8,11,3. Cic. Att. 5,2,3 mit App. 2,97) und daß Pompeius sein Heer behielte, um sie zu schützen (App. 2,118), sie tat auch alles, um Pompeius zu stärken (Hirt. b. G. 8,54,1. Cic. fam. 2,17,5. Dio 40,65,2. App. 2,114. Cael. bei Cic. fam. 8,14,4). Aber sobald die Alternative nicht mehr Pompeius oder Caesar, sondern Krieg oder Frieden hieß, war ihnen der Friede wichtiger als die Sache des Pompeius. So war der Senat 50 dem in Caesars Sinne eingebrachten Antrag Curios, beide sollten ihre Heere entlassen, in seiner Mehrheit geneigt (Hirt. b. G. 8, 52, 5. Plut. Pomp. 58,6 f. und App. 2, 119 behaupten auch, er habe in der wohl auf dem 1. Dez. 50 zu datierenden Sitzung mit 370 zu 22 Stimmen dafür gestimmt. Aber es ist schwer vorstellbar, daß dieser Beschluß und vor allem dieses Zahlenverhältnis dem Hirtius entgangen sein soll. So spricht die größere Wahrscheinlichkeit dafür, daß in dieser Sitzung, wie Hirtius berichtet, die Consuln eine Beschlußfassung über Curios Antrag verhinderten. Dann muß das genannte Stimmenverhältnis, das kaum erfunden sein kann, bei dem vorangegangenen Beschluß über Curio selbst zustande gekommen sein, und die gemeinsame Quelle der beiden Griechen hat die Vorgänge falsch zusammengezogen. Auch Dio kennt, 40, 64, 2 ff., nur einen Beschluß für diese Sitzung, den über Curio, läßt dabei aber wohl zu Unrecht die Beratung über Curios Antrag und die Abstimmung über dessen Teile aus [vgl., wie zu der ganzen Sitzung, Ed. Meyer, Caes. Mon.3 271,2]. Auffällig ist auch, daß Cicero von dem von den Griechen behaupteten Beschluß nichts weiß, vgl. z. B. Att. 7,7,5. Es bleibt mithin bestehen, daß die Senatsmehrheit wohl für Curios Antrag war, sonst hätten die Consuln den Beschluß nicht verhindert, aber daß Fürsprecher und Gegner sich auch in diesem Punkt wie 370 zu 22 verhielten, ist nicht gesagt). Schon im Frühjahr war der Senat für einen energischen Versuch, Curio von seiner Intercession gegen Caesars Ablösung abzubringen, nicht zu haben gewesen (Cael. 8,13,2. Cic. Att. 7,7,5). Schließlich sind die entscheidenden Beschlüsse vom Januar 49 vermutlich wirklich, wie Caesar behauptet (b. c. 1,1,3. 2,6), unter Druck gefaßt worden. Der Senat verkannte offenbar, daß er durch sein Eintreten für den Frieden den Krieg nur beschleunigte und die Seite schwächte, deren Sieg ihm die weitaus größere, wenn nicht die einzige Chance bot. Saepe inter nos impendentis casus deflevimus, cum belli causas in privatorum cupiditatibus inclusas, pacis spem a publico consilio esse exclusam videremus (Cic. Brut. 329).

NOTE 11

(1) Jug. 5,1 (tunc primum superbiae nobilitatis obviam itum est) scheint auf den ersten Blick das Wirken der Gracchen zu übersehen. Pöschl rechnete es daher unter die historischen Ungenauigkeiten des Autors (Grundw. röm. Staatsges. i. d. Geschichtsw. d. Sall. 77,1), Gelzer (Einl. z. Sall.-ausg. d. Heid. Texte5 [1964] 15) und Schur (Sall. a. Hist. 83) zum ersten Mal seit den Gracchen“ ). Aber es ist unhaben es stillschweigend korrigiert („ denkbar, daß Sallust an dieser bedeutsamen Stelle, an der er die Wahl seines Themas begründet, seine Gedanken so fahrlässig formuliert haben soll. Andererseits meint Last (CAH 9,114), Sallust habe so geschrieben, da er Caesars Anhänger gewesen sei und dieser politisch nicht von den Gracchen, sondern von Marius ausgegangen sei. Diese Auffassung ist aber durch eine den antiken Quellen widersprechende Interpretation des Popularen-Begriffs

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bedingt. Badian schreibt, damals habe nach Sallust “ the first successful attack on the nobilitas”stattgefunden (FC 192, ebenso Steidle, Sallusts histor. Monogr. 63, ohne Oberzeugende Argumente). Allein, es ist nicht einzusehen, warum man Sallust nicht wörtlich nehmen soll. Denn was hier geschah, ging deutlich Ober die Tätigkeit der Gracchen hinaus, qui veram gloriam iniustae potentiae anteponerent (offenbar Polemik gegen Cic. off. 2,43 f.) und: vindicare plebem in libertatem et paucorum scelera patefacere coepere (Jug. 41,10 f. Vgl. 38,1). C. Gracchus hatte zwar gleichsam die Stellungen eingerichtet, von denen aus das Volk sich schützen und notfalls zum Gegenangriff gegen die Nobilität ansetzen konnte, aber er hatte selbst nur an Popillius und vielleicht Rupilius Rache für die Anhänger seines Bruders genommen. Gewiß mag es für Sallust eine Rolle gespielt haben, daß die populare Politik seit 111 nicht ex nobilitate (41,10), sondern von Herren wie Marius, Memmius und Mamilius Limetanus ausging, die homines novi waren oder praetorischem Geschlecht entstammten. Aber die Verurteilungen hoher Senatoren (o. S. 79 f.) und die Consulwahlen des Marius (o. Note 8) bestätigen ihn auch politisch.

(2) Interessant und, wiesich zeigte, ebenfalls nicht ohne Grund ist in diesem ZusammenVolk“ hang, wie Sallust im Jugurtha das „ , das damals die populare Politik getragen habe, schildert. Das steht in bemerkenswertem Gegensatz zuden Ausführungen imCatilina. Dort ist cuncta plebes (37,1), undbesonders urbana plebes (4) die verarmte, auf Umsturz und Unruhe bedachte Masse, die die Guten haßt, die Schlechten fördert; ein korrupter, verantwortungsloser Haufen (37, Pöschl. a. O. 74f.). Die popularen Politiker aber putschen sie auf, indem sie den Senat beschuldigen und die plebs bestechen (largiundo atque pollicitando magis incendere); ihr Ziel ist: ipsi clari potentesque fieri (38,1). Ganz anders im Jugurtha: Das Volk sind hier nicht die Armen, sondern alle außer demSenat (einschließlich der Ritter, von denen er für die Zeit der Gracchen sagt: quos spes societatis a plebe dimoverat: 42,1, die Nobilität aber habe sich in der Volksversammlung auf Nicht-Bürger gestützt: ebd. u. 40,2). Nirgends entdeckt man an jenem Volk die Sucht nach Unruhe oder Umsturz. Es handelt selbstverständlich ganz aus seinen Emotionen heraus, aber diese sind wesentlich politisch bedingt (27,2 f. 30,1 ff. 33,3 ff. 65,5. 73,3 ff.). Und wenn auch Sallust in erster Linie alle Parteikämpfe als eine Sünde wider die res publica beklagt (Cat. 38,1. Jug. 5,1ff. 41,5. 42,3. Pöschl a. O. 72 ff. 77. 79f.), so macht er doch deutlich, daß die Schuld an diesem Sündenfall bei der Nobilität liegt, und daß das Volk in diesem Rahmen die Interessen der res publica besser wahrnimmt (wenn es dabei auch zuweilen: magis odio nobilitatis ... quam cura rei publicae handelt: 40,3 mit dem Nachsatz: uti saepe nobilitatem, sic ea tempestate plebem ex secundis rebus insolentia ceperat: 5). Auffällig ist, daß auch die damaligen Popularen nach Sallust nicht von egoistischen Motiven geleitet wurden (30,3. 27,2. 40,10 f. 31,7 f.), obwohl er Cat. 37,10 auch für die Zeit vor Sulla meint, daß die Gegner des Senats: conturbari rem publicam quam minus valere ipsi malebant. Merkwürdig ist ferner, daß im Jugurtha nobilitas und populus (bzw. plebs) als die Träger der Auseinandersetzung angesprochen werden (41,5 f.), während es im Catilina heißt: post illa tempora (nach 70) quicumque rem publicam agitavere, honestis nominibus, alii sicuti populi iura defenderent, pars quo senatus auctoritas maxuma foret, bonum publicum simulantes pro sua quisque potentia certabant (38,3). Wenn damit i. J. 70 ein malum „zurückkehrte“(37,11), so braucht dies nur zu heißen, daß damals der mos partium ac factionum (Jug. 41,1. Vgl. dazu Note 2) voll wieder auflebte. Andernfalls müßte man nämlich annehmen, daß Sallust bei der Arbeit an dem –zwischen Catilina und Historien geschriebenen –Jugurtha sich zu einer anderen Auffassung von der damaligen Politik durchrang (besonders merkwürdig das weitgehende Verschweigen des Anteils der Publicanen: Jug. 76,6 mit Veil. 2,11,2. Jug. 64,5. 65,4; 40,5. 65,5 mit Cic. Brut. 128. Vgl. Sest. 140). Eine neue Auffassung für die frühere Zeit kündigt sich vermutlich hist. 1,12 M. an (falls die beiden, nirgends gemeinsam überlieferten Teile des Fragments zusammengehören).

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NOTE 12

(1) GCG 136f. (wahrscheinlich auf 90 zu datieren: Broughton MRR 2,26 f.). 141f. Meyer, Kl. Schr. 12 415,1. Das als lex de maiestate bezeichnete (Cic. Corn. 54 Sch.) Gesetz enthielt wohl ähnlich wie die lex Appuleia von 103 (o. A. 137,455) eine allgemeine Klausel (nach der vielleicht die Anklage gegen Pompeius Strabo [Gelzer, Kl. Schr. 2, 118] erhoben wurde), war aber im übrigen vor allem auf den speziellen Tatbestand gemünzt: App. 1, 165. Asc. 24 (ut quaereretur deiis, quorum ope consiliove socii contra populum R. arma sumpsissent). 25. Val. Max. 8,6,4. Ferner die Liste der Angeklagten bei Broughton 27. Auffällig ist der dem zitierten vorangehende Passus bei Asconius: Italico bello exorto, cum ob sociis negatam civitatem nobilitas in invidia esset. Aber es ist undenkbar, daß man der Nobilität gleichzeitig die Verweigerung des Bürgerrechts und die Konspiration mit den Italikern zum Vorwurf machte. Deswegen steckt in diesen Worten kaum mehr als in der entsprechenden Aussage Ciceros: flagrans bello Italia, ardens invidia senatus (de orat. 3,8). Wahrscheinlich hat Asconius zwei Gedanken in eins gezogen, und es muß heißen: weil sie die Italiker in ihrem Verlangen nach civitas, aus deren Verweigerung dann der Krieg entstand, angestachelt (Liv. per. 71: sollicitavit, Flor. 2,5 [3,17]: erexit) haben. (2) Gabba (Athenaeum 32,1954,86 ff.) hat nun-entsprechend seiner These (o.S. 209 f.) – behauptet, daß die Ritter als Freunde der Italiker mit der lex Varia nur ein innenpolitisches Kampfmittel gegen den Senat schaffen wollten (ähnlich De Martino, Labeo 8, 1962, 17). Die Quellenstelle, auf die er sich dafür beruft, ist nicht viel wert (Val. Max. 3,7,8: offenbar Verwechslung des Prozesses nach der lex Servilia: Cic. Scaur. fr. 4 mit dem nach der lex Varia: ebd. 5. Asc. 25. Dort die gleiche Szene bezogen auf die Anklage wegen belli concitati crimen. Derartige berühmte Auftritte konnten sich in der Überlieferung an die verschiedensten Gelegenheiten anhängen: Historia 10, 1961, 76,30. Die Szene hat sich jedenfalls nur einmal zugetragen, und Asconius verdient gewiß den Vorzug vor Val. Max. Vgl. auch Cic. de orat. 3,8: sceleris nefarii principes civitatis rei). Es bleibt bestehen, daß die Italiker beim Tod des Drusus alle Hoffnung aufgaben, und daß die mit den Rittern verbündeten Politiker die Freunde des Drusus wegen der Zusammenarbeit mit den Italikern vor Gericht zogen. Damit ist völlig klar, daß die Italiker (und zwar die besonders am Handel Interessierten Campaner und Apuler wie die Samniten, Lucaner, Marser, Paeligner etc.: SherwinWhite a. O.) von den Rittern keine Förderung ihrer Sache erwarteten (vgl. auch das ironische Referat Balsdons a. O.). (3) Wie Heuß darauf kommt, anzunehmen, daß das Gesetz vornehmlich von der „blasierten Aristokratie“ausgegangen sei (Prop. Weltgesch. 4, 213), ist mir unerfindlich, ebenso worin die Mißachtung des Provocationsrechts bestanden haben soll, von der er spricht.

NOTE 13

Die Ausführungen im Text stützen sich auf drei Plutarchstellen: Luc. 38,2. 42,4 f. der Senat“sich, als Lucullus zurückPomp. 46,5. Dort ist zunächst die Rede davon, daß „ kehrte, freute, in ihm ein Bollwerk gegen Pompeius undeinen Vorkämpfer der Aristokratie ᾶ λ λ zu haben (Luc. 38. Pomp.). Nach Pompeius’Rückkehr habe er ihn noch mehr (μ ο τι) νἔ zur Teilnahme an der Politik bewegen wollen (Pomp.), aber Lucullus habe sich zwar gegen ὴ νὑ ρτο π ὲ ῦμ Pompeius nach Kräften eingesetzt, jedoch τ γ έ ισ τ ο ςεἶν ιϰ α α ύ ὶπ λ ε νδ ῖσ τ ο το η υ π ςγ ρ ο ἱτ Π ὰ ὴ μ ο ν α νϰ ία τιμ νdemCrassus und Cato überlassen. τού ο α ιφ ιλ λ ν α ϑ α σ ὶἅ ιλ μ ῖα ῆ μ ε γ ο ςἀ έ τ ε π ο λ ν λ ω ο υτο ε υ ϰ ρ ό τ ο λ π τ ν ςβου ῦΛ λ ο ῆ ο λ υτ ὰ λ ά ο εβ ρ ιπ ο ν ινὑ μ υδ ύ ν ε α ίο μ ώ ρ ο φ des Senats“gewiß nicht rechnen kann (dagegen (Luc. 42,4 f.). Da man mit einer Initiative „ indirekt auch Pomp. 6: π λ έ ο νεἶχ ) sind es gewiß die führenden Kreise des ῆ ε νἐ λ ντ ῆβου Senats gewesen, die an Lucullus herantraten. Undweil er mit seinem heftigen Kampf gegen ο λ ο ύ ... wahrο υ σ α Pompeius (s. A.274,46) ihrer Bitte noch nicht Genüge tat (Pomp.: ϰ

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scheinlich Hinweis auf den ständigen Kleinkrieg gegen den Feldherrn), müssen sie ihn aufgefordert haben, in der gesamten Politik als Vorkämpfer des Senats zu walten. Das heißt, eben das zu tun, was Catulus bisher getan hatte. Diese Initiative muß in die Zeit nach Catulus’ Tod gefallen sein (erst damals wurde die Bekämpfung des Pompeius wieder akπ ὰ ρ ω tuell). So spricht, zumal man Lucullus τ ε τ ῖαin Aussicht stellte, alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß damals das Problem der Nachfolge geregelt werden sollte. Daß im Einzelnen manche unsinnige Vorstellungen die Darlegung Plutarchs bestimmen, beeinträchtigt deren Glaubwürdigkeit im übrigen nicht, da sie zu viele Details enthält, die nicht erdichtet sein können. Bestätigend für die Aussage über Crassus und Cato: Cic. Att. 1,18,6 f. ferner der ganz ungewöhnliche Eifer, den Crassus damals entfaltete: App. 2,37. Dio 37,54,3 gegen 39,30,2 sowie o. S. 276.

NOTE 14

Kurz nach Abschluß des Umbruchs dieses Buches erschien der interessante Aufsatz von P. A. Brunt, Italian Aims at the Time of the Social War, JRS 55, 1965, 90–109. Außer verschiedenen Hinweisen, die noch in den Anmerkungen angebracht werden konnten, sind dazu folgende Bemerkungen nachzutragen: (1) Zu 209,6. Vgl. Brunts Hinweis auf die vergleichsweise sehr drückenden finanziellen Lasten, die den italischen Städten vermutlich aus der Ausrüstung und Unterhaltung ihrer für Rom kämpfenden Kontingente erwuchsen (S. 102). –Voraussetzung für die Erreichung aller Ziele war natürlich das ius suffragii (103 ff., nur daß sich die Absichten der Italiker weithin keineswegs darin erschöpften bzw. primär darauf lenkten; es war nur ein wesentlicher, unentbehrlicher Bestandteil und eine der wichtigsten Manifestationen des Bürgerrechts). (2) Zu 209, 2. Abs. Brunt vermutet (105), daß auch der Cimbernkrieg ein beschleunigender Faktor gewesen sei, da durch ihn die Unentbehrlichkeit und die großen Verdienste der italischen Kontingente von neuem in helles Licht gerückt und das Selbstbewußtsein der alten Bundesgenossen erheblich gestärkt worden sei. Man darf diesen Umstand in dem Strauß der Ursachen gewiß nicht unterschätzen. (3) Zu 213,39. Nach Brunts Ausführungen (107) ist wohl nicht mehr zu bezweifeln, daß mindestens Crassus (da er Mitte September noch für Drusus eintrat) und zunächst auch weitere Teile des Senats im Bewußtsein der möglichen Gefahren sich mit dem BürgerrechtsAntrag identifiziert haben (vgl. Diod. 37,2,2). (4) Zu 215,53a. Möglicherweise haben auch ungeschickte Drohungen und Demonstrationen seitens der Bundesgenossen den Senat in seinem Stolz, seinem Überlegenheitsgefühl und in seinem Grundsatz, keinem äußeren Druck nachzugeben, verletzt (Brunt 107). (5) Zu 215,56. Brunt 96 hat mich hier nicht überzeugt. Es ist doch durchaus nicht unwahrscheinlich, daß extreme Rom-Feinde zeitweise gehofft haben, den Krieg zur Vernichtung der Stadt führen zu können (auch wenn sie, als diese Hoffnung sich zerschlug, sich mit der civitas zufrieden gaben). NOTE 15

(1) ZumEinfluß stoischer Philosophie in Rom s. jetzt H.Strasburger, Poseidonios on Pro53. Str. macht es wahrscheinlich, daß die Aufblems of the Roman Empire. JRS 55, 1965, 40– fassung, die Römer seien kraft ihrer besonderen Art von Überlegenheit zur Weltherrschaft berufen (Polybios, Cicero, Vergil), nicht stoischen Ursprungs sein kann (44 ff.). Die Stoa habe vielmehr auch gegenüber Rom ihre Überzeugung von der Gleichheit aller Menschen behauptet (und von dorther Kritik an zahlreichen Auswirkungen und an der Handhabung

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der römischen Herrschaft geübt, vgl. bes. 46 ff. zu Poseidonios; andererseits aber auch 50, wo Poseidonios’ Kritik gerade dahin zu gehen scheint, daß die Römer in Syrien ihre direkte Herrschaft so lange nicht ausgedehnt haben). (2) Damit erhebt sich die Frage, wie weit stoische Philosophie überhaupt das Denken der Römer bestimmt haben kann. Freilich ist anzunehmen, daß sie gerade in der Zeit um 100 von vielen Adligen studiert und beachtet worden ist. Ihr Anspruch wird dazu beigetragen haben, die Gewissen aufzurütteln und das Verantwortungsgefühl gerade auch gegenüber den Provinzialen zu schärfen. So haben stoische Lehren, zumal in der Person ihres konsequentesten Anhängers (vgl. o. S. 77. Strasburger 41) Rutilius Rufus, gewiß zu dem Reformversuch des Jahres 95 beigetragen (der freilich auch ganz andere Wurzeln hatte und mit der lex Licinia Mucia den Lehren der Stoa keineswegs entsprach, o. S. 77. 212 f.). Sie sind von neuem wirksam geworden in den politischen Ansätzen Catos um 61/60 und um 51 (o. S. 276 m. Anm. 60). Dazwischen liegt –bedingt durch Rutilius’Scheitern und die Erlebnisse der 80er Jahre –eine Periode tiefer Resignation und Verflachung des Senatsregimes, welche durch Catos Politik nicht aufgehoben, sondern nur teilweise durchbrochen wurde. Philosophisches Ethos konnte nur in einem Senat wirken, dessen Führungsanspruch noch ganz ungebrochen war. Insofern ist alle Philosophie nach 80, abgesehen von Cato, politisch nur noch dazu angetan, schlechtes Gewissen zu erzeugen und evtl. das Verhalten einzelner Senatoren in ihren jeweiligen Bereichen zu bestimmen (wie 95 das des Sempronius Asellio in Sizilien, Strasburger 49). Da jedoch schwache Leute mit philosophischer Bildung erfahrungsgemäß weniger Gutes ausrichten als starke ohne solche Bildung (wenn sie nicht gerade böswillig sind), ist es im ganzen für die praktische Politik und die Verfassungswirklichkeit Roms relativ gleichgültig, wie philosophisch gebildet seine Adligen waren. Unabhängig davon möchte ich auch annehmen, daß Caesar mehr von Philosophie gelernt hatte und verstand als Pompeius (zu Strasburger 51 f.), ohne daß ich deswegen bestritte, daß Pompeius’ Verhalten den Maximen des Poseidonios wesentlich mehr entsprach. Pompeius war darin auf seine Weise vielleicht ebenso modern, genauer gesagt: unzeitgemäß wie Caesar in vielem anderen (vgl. o. S. 205.295, andererseits 299). Aber das Programm einer besseren Verwaltung der Provinzen kam 51 bezeichnenderweise von Cato (o.A. 291,148), wenn ihm Pompeius auch seinen Beistand lieh, und während Caesars unzeitgemäße Seiten gerade seine Stärke ausmachten, war Pompeius durch sein Unzeitgemäßes schwach (o. S. 205.295.296) – ein Stück der Aporie der Zeit und eine Sache gründlich verschiedener Charaktere, deren Wertung außerordentlich schwierig ist. (3) Strasburger stellt endlich fest (52), daß Cicero –indem er die Zerstörung Karthagos und Numantias als Akte der Gerechtigkeit undWeisheit rechtfertigt, indem er vor allem in seiner politischen Theorie das Problem der Reichsverwaltung fast unberücksichtigt läßt – durch seine fixation on an ideal which had its justification und its greatness only in the past bestimmt gewesen sei. Das sei sehr auffällig, zumal er in seiner Jugend im Kreis um die Mucii Scaevolae und den Redner Crassus gelebt habe. Dabei scheint mir die Erkenntnis sehr wichtig zu sein, daß man in der Überwindung jener Vergangenheit theoretisch in der Generation vor Cicero weiter gewesen war (vgl. auch o. S. 131 ff. 135.140 ff. 144). Aber danach war der Senat eben in einen Existenzkampf zurückgeworfen worden, hatte sich die Bürgerschaft in starrem Konservativismus verschanzt. Der ‘konstruktive Imperialismus’ Scipio Nasicas und Rutilius Rufus’ (soweit man davon sprechen kann) war unaktuell geworden, hatte sich gar als gefährlich erwiesen; die Ritter waren zu mächtig (vgl. z. B. Cic. Flacc. 57. fam. 1,9,26. Q. fr. 2,11,2.3,2,2). Bei Pompeius überwog das Negative der Innenpolitik das Positive der Leistungen in den Provinzen (o. S. 267 f. 291). Nicht zuletzt aber ist zu bedenken, daß der theoretische Beitrag des Rutilius Rufus zur Problematik des Herrschaftsbereichs gewiß in Kleinasien entstanden ist, aus der Feder eines Mannes, der sich inzwischen so weit von Rom und von dem sich Rom so weit entfernt hatte, daß er nicht

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mehr dorthin zurückkehren mochte (was verständlich ist, was aber seine Auffassungen den Römern nicht näher brachte). Die Erinnerung an Scipio Nasica war zurückgedrängt worden durch das mystifizierte Bild des Scipio Aemilianus –an das sich wohl nicht nur bei Cicero der Traum gehängt hatte, daß er Rom hätte retten können, Gegner und aussichtsvoller Überwinder der Gracchen, im entscheidenden Augenblick hinweggerafft (vgl. o. A. 289,144). Wie weit sich endlich im Kreis um die Mucii Scaevolae und L. Crassus das Verantwortungsgefühl gegenüber den Provinzialen über die Maxime, daß man sie anständig behandeln solle, hinaus akzentuierte, ist durchaus fraglich. So ist es wohl nicht erstaunlich, daß wir bei Cicero den Herrschaftsbereich so wenig berücksichtigt finden, nur das Gegenteil müßte auffallen.

REGISTER Vorbemerkung: Neben den üblichen Registern sind hier vier Spezialregister ausgesondert worden, die bestimmte Komplexe im Zusammehang aufweisen sollen. Es handelt sich dabei um Materien, die bisher in Registern nur unzulänglich berücksichtigt zu werden pflegen, sich zum Teil der alphabetischen Aufgliederung entziehen und die auch nur schwer auseinander gerissen werden können. Um nicht zu viel Raum zu verbrauchen, ist im Allgemeinen Sachregister (B) nur in Zweifelsfällen auf die Spezialregister verwiesen worden. Die sinnvolle Benutzung des Registers setzt also die Kenntnis seiner Gliederung voraus: A Personenregister B Allgemeines Sachregister C Spezialregister I Aristokratie und Senatsregime II Politik. Politische Grammatik III Wahlen IV Chronologisches Register D Quellenregister Im Unterschied zu C I, II, III, die die zu ihnen gehörenden Materien insgesamt umfassen, ist C IV nur ein Ergänzungsregister: es weist auf Situationen und Ereignisse hin, die alphabetisch nicht oder nur schwer erfaßt werden können. Jahreszahlen sind – abgesehen von den der Identifizierung dienenden Angaben der Amtsjahre in A – kursiv gesetzt.

A PERSONENREGISTER L. Aelius Lamia (Praet. ca 42) 85126. M. Aemilius Lepidus (Cons. 78) 2074. 267. L. Aemilius Paullus (Cons. 182. 168) 196207. M. Aemilius Scaurus (Cons. 115. Princ, Sen.) 6931. 109: 80101. 104: 137454. 90er J.: 77. 212 f. 264359. 274. Nachruhm: 11. M. Aemilius Scaurus (Praet. 56) 11 f. P. Albinovanus 21869. T. Albucius 137454.

T. Annius Luscus (Cons. 153) 130. T. Annius Milo (Praet. 55) 1233. 20. M. Antonius (Cons. 99) 20. Antyllius 133428. L. Appuleius Saturninus (Volkstr. 103. 100) 112. 137 f. 139. s. B: leges Appuleiae. C. Aurelius Cotta (Cons. 75. Redner) 170. Caecilii Metelli *39.

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Register

Q. Caecilius Metellus Celer (Cons. 60) 1446. 18 f. 16947. 170. 186. 272. 276. Q. Caecilius Metellus. Creticus (Cons. 69) 15. 170. 186. Q. Caecilius Metellus Nepos (Cons. 57) 19. 21. 16947. 170. 270 f. Q. Caecilius Metellus Numidicus (Cons. 109) 111. 138460. 197. 314. Q. Caecilius Metellus Pius (Cons. 80) 87: 238 f. 83/2: 242. 245. 81: 249267 80: 17791. 251. 65: 170. M. Caelius Rufus (Praet. 48) 12. 110281. 146. Q. Caepio Brutus (Praet. 44) 185. Evtl. zu identifizieren mit Julias Verlobtem 20 f. M. Calidius (Praet. 57) 163. Q. Calidius (Praet. 79) 17791. M. Calpurnius Bibulus (Cons. 59) Um 60: 276. 15. 21. 197 ff. 59: 142. 282 ff. 58: 286. C. Calpurnius Piso (Cons. 67) 19. 88147. 186. L. Calpurnius Piso (Cons. 58) 20. A. Caninius Satyros 85126. L. Cassius Longinus (Volkstr. 104) 134431. 136. M. Claudius Marcellus Aeserninus 7891. Ap. Claudius Pulcher (Cons. 143) 197214. Ap. Claudius Pulcher (Cons. 79) 229143. 249267. Ap. Claudius Pulcher (Consul 54) 1232. 175. P. Clodius Pulcher (Volkstr. 58) *16. *50. 141 f. 183. 285. 286. A. Cluentius Habitus 85126. C. Coelius Caldus (Cons. 94) 136446. C. Cornelius (Volkstr. 67) 140 f. 164. 193187. P. Cornelius Cethegus 180 f. 218. 269. L. Cornelius Cinna (Cons. 87–84) 88: 225 f. 87: 228. 237 ff. 86: 233 ff. 85: 236. 84: 240. Vgl. C IV. Cn. Cornelius Lentulus Marcellinus (Cons. 56) 1548. 19. 16947. 186. 286. P. Cornelius Lentulus Spinther (Cons. 57) 87142. 17052. 316. P. Cornelius Lentulus Sura (Cons. 71) 17052. 269. P. Cornelius Scipio Africanus Aemilianus (Cons. 147. 134). Clienten: 3033. und Laelius’ Ackerantrag: 96. Consulwahlen: 126 f. 143. 196207.211. Verherrlichung: 319. L. Cornelius Scipio Asiagenus (Cons. 83) 233164. L. Cornelius Scipio Asiaticus (Cons. 190) 196207.

P. Cornelius Scipio Nasica Corculum (Cons. 162. 155) 319. P. Cornelius Scipio Nasica Serapio (Cons. 138) 99. 131. L. Cornelius Sulla (Cons. 88. 80) 135. Verhältnis zum Senat, Auffassung von dessen Regime: 222 ff. 241. 242. 245. 247 ff. 263 f. 304 ff. Senatsvergrößerung: 224108. 256 ff. Verh. z. Nobilität: 242. 248 ff. z. d. Metellern: 182 ff. 247. 251. 264359. z. d. Rittern: 84. 253 f. 256. z. d. Neubürgern: 223. 232. z. d. Soldaten und Veteranen: 103. 237 f. 240 ff. 247. z. d. Rechten des Volkes: 256. felix 252292. 264. dignitas-Streben: 298. Als Vorläufer Caesars 261 f. 89: 227126. 88: 106. 140. 218. 222 ff. 237. 87: 232. 239. 86/5: 235 f. 244. 82/0: 246 ff. Vgl. B: lex Cornelia de maiestate. Rücktritt: 260 ff. P. Decius (Volkstrib. 120) 7891. 147. Deiotarus 16. Cn. Domitius Ahenobarbus (Cons. 96) 136444.446. 313. L. Domitius Ahenobarbus (Cons. 54) 15. 87142. 61/60: 15. 276. 56: 286. 55: 294. 54: 1232. 155. 179102. Cn. Domitius Calvinus (Cons. 53) 12. M. Favonius (Praet. 49) 199. C. Flaminius (Cons. 223. 217) 61192. L. Flavius (Praet. 58) 272. C. Flavius Fimbria (Cons. 104) 7891. L. Gellius Poplicola (Cons. 72) 169. Granii 218. Heraklios von Syrakus 3456. Q. Hortensius Hortalus (Cons. 69) 87142. 111. 70er J.: 184 ff. 269. 70/69: 15. 58: 286. 54: 11 f. L. Hostilius Mancinus (Cons. 145) 196207. Jugurtha 79 f. C. Julius Caesar (Cons. 59. 48. 46–44. Dict.) *16. *49 f. *51 f. 296 f. 305. Ethos: 295 f. Tugenden: 205. Neue Auffassung vom Bürger: 93. v. d. Verwaltung: 296. Einstellung zum Herrschaftsbereich: 296180. dignitas-Streben 298 f. C. u. d. Philosophie 318 f. u. s. Soldaten 104 f. 106. 241. als popularis 141 f. C. als Autor s. D. 60: 15. 142. 197 ff. 278 ff. 59: 99207. 142 f. 281 ff. 58: 285 f. 56: 286 f. 55 ff.: 144.54: 12.

Personenregister 49: 146508. 49 ff.: 13. 111282. Undatierbarer Senatsbeschluß zugunsten von Spaniern: 18. C. Julius Caesar Strabo (Aedil 90) 22086. 238187. M. Junius Brutus (Praet. 88) 218. M. Junius Brutus (Praet. 44) s. Caepio Brutus. D. Junius Silanus (Cons. 62) 258340. M. Junius Silanus (Cons. 109) 137454. 138456. M. Juventius Laterensis (Praet. 51) 87142. C. Laelius (Cons. 140) 96. 128. M. Laetorius 21869. L. Licinius Crassus (Cons. 95. Redner) 319. 118: 136446. 313. 95: 211. 319. 91: 213. 318. M. Licinius Crassus Dives (Cons. 70. 55). Art, Einfluß, Streben nach Principat: 180. 274 f. 281. 305. Vgl. 144. 83/82: 242. 70: 289. 61: 274 ff. 60: 279 ff. 56: 20. 286 f. 55: 144. L. Licinius Lucullus (Cons. 74) 112. 69/6: 85. 61/0: 274 ff. 317 f. M. Livius Drusus (Volkstr. 122) 134. M. Livius Drusus (Volkstr. 91) 77. 82. 135. 211 ff. 273. Vgl. B: leges Liviae. M. Lollius Palicanus (Praet. ca 69) 88. L. Lucceius (Praet. 67) 17898. 197 ff. C. Lucilius Hirrus (Volkstr. 53) 1338. T. Lucretius Carus 175. Q. Lucretius Ofella 250287. Q. Lutatius Catulus (Cons. 78) 111. „Principat“ 274. Verbündete *39. 183 ff. Nach 78: 184 ff. 268 f. Cn. Mallius Maximus (Cons. 105) 7892. 137. C. Mamilius (Volkstr. 109) 79 f. C. Manilius (Volkstr. 66) 141. Vgl. C IV: 67/6. L. Manlius Torquatus (Cons. 65) 16947. L. Marcius Philippus (Cons. 91) 136446. 91: 213. 86: 244235. L. Marcius Philippus (Cons. 56) 20. 173. C. Marius (Cons. 107. 104–100. 86). Verh. z. d. Rittern: 83. 135 f. 21014. 313 f. z. d. Veteranen 100 ff. In Ciceros Urteil 229140. Wahlen zum Consul: 138. 196. 314. 119: 135437. 136446. 111 ff.: 135 ff. 107: 100. 104: 2689. 100: 100 f. 139. 99 ff.: 139. 92: 7789. 88: 139 f. 218. 220 f. 225. 237. 87/86: 83. 228. 229140. M. Marius Gratidianus (Praet. ca. 85 u. 84) 108261. C. Memmius (Volkstr. 111) 7891. 136446. 138464. C. Memmius (Praet. 58) 12. 17257.

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C. Memmius (Volkstr. 54) 171 f. Mithridates VI Eupator 215 f. 235. 253. P. Mucius Scaevola (Cons. 133) 118 f. Q. Mucius Scaevola (Augur. Cons. 117). 7891 225117. 319. Q. Mucius Scaevola (Pontifex. Cons. 95) 319. 95: 77. 211. 212 f. 262 f. 319. 80er J.: 244. C. Norbanus (Cons. 83) 20. 7891. 137455. 21974. M. Octavius (Volkstr. 133) 97 f. 119936b. 129 ff. 133 f. 148. Cn. Octavius (Cons. 87) 225. 239. L. Opimius (Cons. 121) 108. 147. C. Papirius Carbo (Cons. 120) 78. Cn. Papirius Carbo (Cons. 85. 84. 82) 230. 236. 244234. M. Perperna (Cons. 92) 244235. M. Petreius (Praet. 64?) 155543. Cn. Plancius (Aedil 54) 87141. Cn. Pompeius Strabo (Cons. 89) 238. 264361. 89: 22086. 87: 238. Cn. Pompeius Magnus (Cons. 70. 55. 52.) Zielsetzung, Verh. zum Senat, Problematik seiner Laufbahn: *41. *51. 142 ff. 146. 169 ff. 272 f. 288 ff. 290 ff. 295 ff. Macht *41. Tugenden: 205. Fehlen einer Sache: 205. 292. 295. 305. Verh. zur Philosophie 318 f. zum Herrschaftsbereich: 291148. 318 f. zu den Veteranen: 103 f. 271. 295. Beziehungen: 169 ff. Clientelen: 12. 268. 271. 295. Einfluß bei Wahlen: 179. 193187. Aufstieg: 267 f. 83/2: 242 f. 71/0: 106. 197. 288 f. 67/6: 1762. 86. 92. 148 f. 196 f. 267 f. 65: 193187. 62: 106. 173. 17791. 61: 185. 61/0: 268. 270. 271 ff. 60/59: 142 f. 279 ff. 283 f. 58 ff.: 143 f. 169. 293. 57/6: 286 f. 55 ff.: 144. Q. Pompeius Rufus (Cons. 88) 222. 225. 264359 T. Pomponius Atticus 16. 85126. 193187. C. Pomptinus (Praet. 63) 155543. P. Popillius Laenas (Cons. 132) 99200. 123304. 131417. M. Porcius Cato Censorius (Cons. 195) 51140. coitio gegen ihn: 180105. M. Porcius Cato (Uticensis. Praet. 54) 305. Stoizismus: 7788. 277. 319. Sorge für die Provinzen: 276. 291148. 319. Verbündete: *39. 183 ff. 276 63: 1446. Neuer politischer Ansatz ca 62/0: 273 ff. 60/59: 197 f. 278 f. 281 ff. 56: 173.

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Poseidonios 7893. 318 f. M. Pupius Piso (Cons. 61) 19. 16947. 17051. C. Quinctius Valgus 85126. Sex. Roscius von Ameria. Vater 85126. Sohn 249 ff. L. Roscius Otho (Volkstr. 67) 87140. Q. Rubrius Varro 218. P. Rupilius (Cons. 132) 6931. 131417. P. Rutilius Rufus. (Cons. 105) 77. 21014. 213. 318 f M. Satrius 85128. C. Scribonius Curio (Cons. 76) 20. 87142. 169. 186. C. Scribonius Curio (Volkstr. 50) *50. 132422. 315. L. Sempronius Asellio (Praet. ca 95) 318 f. C. Sempronius Gracchus (Volkstr. 123. 122) 70 ff. 131 ff. 149. 316. Auffassung vom Senat (Sein und Sollen): 71 f. 133. Verh. zu Rittern und Gerichten: 70 ff. 83. 113. 131 ff. z. d. Bundesgenossen: 132. 211. z. d. Provinzen: 18. 70. 71. 131 f. Wirtschaftlich-organisatorische Fähigkeiten: 70. 132422. Problem der Anregung durch Griechen: 133. Ackerverteilungen: 99. Vgl. 7039. Colonie­ gründungen: 73. 132422. Wiedergutmachung von Konsequenzen des brüderlichen Ackergesetzes: 70. s. B: leges Semproniae. Unterstützt und im Stich gelassen von Bauern und Rittern: 112 f. Nachwirkung und Verehrung nach dem Tod: 108. 135. Ti. Sempronius Gracchus (Volkstr. 133). Ackerreform: 96 ff. 129 ff. Absetzung des Octavius: 97 f. 119336b. 125376. 129 ff. Vgl. 148. Pergamenische Erbschaft: 110277. 130. Iterationsversuch: 130. Letzte Volksversammlung: 119336a. Neue Art von Subjektivität: 98. Nachwirkung seines Todes: 131.

L. Sergius Catilina (Praet. 68) 90. 100. 114. 146. 270 f. 314 f. Q. Sertorius (Praet. 83) 265363. Servilia 2079. 185. Servilius Caepio, Verlobter Julias, evtl. identisch mit Q. Caepio Brutus, 20. Q. Servilius Caepio (Cons. 106) 7892. 81. 137. Q. Servilius Caepio (Praet. 91?) 77. 213. C. Servilius Glaucia (Praet. 100) 81107. 138. P. Servilius Vatia Isauricus (Cons. 79) 169. 186. 226122. 229143. 249267. P. Servilius Isauricus (Cons. 48) 276. P. Servilius Rullus (Volkstr. 63) 112. Sthenios von Thermai 16. P. Sulpicius Galba Maximus (Cons. 200) 196207 P. Sulpicius Rufus (Volkstr. 88) 139 f. 217 ff. u. Ritter: 83. 217 ff. u. Marius: 139 f. 220 f. Rückberufung Verbannter: 22086. Gewalttätigkeiten: 222. 227 f. Schuldengesetz: 83115. 220. ἀντισύγϰλητος: 83. 218. 223101. M. Terentius Varro Lucullus (Cons. 73) 186. M. Tullius Cicero (Vater) 85126. M. Tullius Cicero (Cons. 63) *50. Politisches Urteil: 91164. 114317. Rechtfertigung d. röm. Herrschaft, mangelndes Verständnis für den Herrschaftsbereich: 93180. 318 f. Über res publica 1 ff. otium cum dignitate: 91. Rücksicht auf Marius 229140. Vgl. D. Politische Beziehungen: 163. 169. 173. Stellung als Consular: 169. 186. Consulwahl und Vorbereitung: 18. 196212. 63: 1446. 37. 60: 199. 57: 286. L. Valerius Flaccus (Cons. 100) 246. L. Valerius Flaccus (Cons. 86) 233 ff. 239 f. L. Valerius Flaccus (Praet. 63) 155543 M. Valerius Messala (Cons. 61) 169. M. Valerius Messala (Cons. 53) 11 f. C. Verres (Praet. 74) 289. L. Volcatius Tullus (Cons. 66) 169.

B ALLGEMEINES SACHREGISTER Aedilität 11. ager occupatorius 96. 99. 145. Akklamation 120 f. 310. ambitus-Gesetze 305 „Anachronismus“ 33 f. Annuität 49. 119. 259. Vgl. 309. Anthropologie 292. ἀντισύγϰλητος 83. 218. 223101. Aporie 7254. (vgl. 131 ff.). 102 f. 160. 214. 262 f. 266. 293. 303 ff. 318 f. Vgl. Krise ohne Alternative. Überforderung. Aristokratie s. C I Armut *19. Asia 70. 77. Athen s. Griechische Poleis. auctoritas 51. 57. 62. patrum 122357. 310. Ausnahmefall 57. 147. auspicia 120. 309 f. Außenpolitik. Defensive Grundhaltung und Sicherheitsbedürfnis 47 f. Vgl. 55. Gruppierungen darum 49135. 168. In später Republik 153. 168. Auswirkungsschwäche 154. αὔξησις παρὰ τὸ ἀνάλογον 151 f. Bankiers s. Ritter. Bauern *17. *19. 44. 95 ff. 132. Bauten 89. beneficia 8. 43 f. 307. Vgl. Bindungswesen. Bestechungen 194 f. Vgl. Korruption. Bevölkerungszahlen 3140. Bildung 318 f. „gebildeter Mittelstand“ 297183. Bindungswesen. Begriff 30 f. Geschichte 24 ff. Problem der Entstehung 241. 26. Frühe Formen der Clientel 25 f. 2. Phase 26 ff. 3. Phase 29 ff. Ausweitung mit Expansion 43. Bewahrung durch Expansion bedingt 45. Sozialpsychologische Voraussetzungen 32 f. Bestandteil der Ordnung *25. Funktion 10 f. 40. 59. Eine Grundlage des Adelsregimes 27 f. Innerhalb der Bürgerschaft 37 ff. Mittel der Vertretung 10. 193 f. der Verwaltung, bes. des Herrschaftsbereichs 34 ff. 36 f. 42 ff. 163 ff. 201 f. Eigene

Gesetzmäßigkeit der Nah- und Treuverhältnisse 21. 40. Verpflichtende Kraft 9 f. 21. 34 f. 37 f. Die meisten Bindungen aus beneficia 307. Pluralität der Bindungen 15 ff. 21. 34. Entstehung 17 f. Clientel in andern Staaten 25. Vergleich mit Lehnswesen 202. Vgl. beneficia. cliens. Clientelen. Feldherrn­ clientel. Freundschaft. Heeresclientel. hospitium, Nahverhältnisse. officium. Patrone. sodalis. boni *48. 75. 89155. 90 f. 92176. 112300. 133428. 146 f. 200. 308. „Bourgeoisie“ s. Ritter. Bruchlosigkeit 55 f. 58. 60 f. Bundesgenossen s. Italiker. Bürokratie. Unmöglichkeit 37. 59188. Voraussetzungen 16728. 2022. Vgl. Verwaltung. capitani del popolo 2924. Censur 49. 57. 193. Aufstellung der Senatsliste 52143. Beschränkung durch Sulla? 255316. 269. I. J. 70: 26922. circuli vitiosi *48. cliens 24. cl. und amici 31. Clienten der Ritter 31. 85. aus der plebs urbana 112. Auswärtige 34 ff. 43 f. Clientelen (= kompakte Hausmachten). *42 f. Auflösung *43. 174. 189. Vgl. Bindungswesen. coitiones s. C III d. Collegialität 49. 58. 119. 154535. Colonien 658. Gründungen C. Gracchus’ 73. 132422. außerhalb Italiens 101 f. 135437. 313. comitas 913. 196207. Comitien. Alle (einschließl. Contionen) repräsentativ für die Gesamtbürgerschaft 52. Herr des Staates 52 f. 126. Fehlen der Initiative 109. 119 f. Korporatives Prinzip 53. 119. Vgl, plebs. C III a. comitia centuriata 12. 53. 121. 190. Classenweise Verkündung der Ergebnisse 312. Vgl. 53. sex suffragia 53. 7357. 310 ff. praerogativa centuria 812. 12. 196. 311. Einrichtung 26. Centurienreform 3986.

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61192. 118330. Stimmreform 311. Reformpläne 132426. 141. Sullas Reform 88: 223. concilia plebis. Bei Wahlen 12. 120 f. 190. 255. Ergebnisermittlung 312. Bei Gesetzgebung. Stellung und Funktion 52 f. 116 ff. Vgl. 53. 88. 125. 127 f. 148. 150. 158. Weite und Grenzen der Kompetenz 119 ff. 130. 148. 156 f. Möglichkeit des Mißbrauchs 125 f. Beitrag zur Krise ohne Alternative 150. Ausschlaggebende in den großen Abstimmungen seit 133: 112 f. concordia ordinum *4144. *50. 314 f. concursus equitum 7575. Consulatsverfassung von 367: 48129. Consuln. Iteration (und Propagierung der Unwiederholbarkeit des Amtes) 138. 191. 196 f. 309. Festlegung der Kompetenzen zwischen beiden. Vorrechte des primus renuntiatus 17052. 197219. 258340. Bedeutung der Person des C. s 14. Contio 52148. Dankbarkeitsbeziehungen s. beneficia. Vgl. Feldherrnclientel. „Demokratisches Bewußtsein“ 52 f. dignitas-Streben 46. 156. 297. 298 f. otium cum d. 90 f. d. der Ritter 73. Disziplin *25. 52. 59. England i. 18. Jh. *2519. *33. 46122. 187 ff. 195. Entlastungsraum s. Expansion. Eporedia 313. Erwartungen/Erwartungserwartungen *26. Etruskische Monarchie 47. exempla 54. 58. 131. existimatio 8 f. 914. 10. Expansion. Landnahme in Italien 658. Schafft Entlastungsraum 44 f. 53. 153 f. (vgl. 132). Auswirkung auf Verf. gesch. noch 42. 45. 201 ff. 204 f. 302. Extensivierung. *21. *23. *31. *48. Begriff 152. Vorgang 152 ff. 159. 203 f. 209 f. 214. 216. 262 f. 271. 301. Feldherrnclientel 43 f. fides 37 f. 42. fora 132422. Freigelassene *16. 67. 139. Freiheit 294. Freiheitsrechte 52. 109. 117. 121 f. 129399. 131. 144. 147. Rechtsschutz des Bürgers 27. Freisprüche 78.

Freundschaft *40. 917. 31. Vgl. Bindungswesen. Gallia Cisalpina 193193. Gefälligkeitsstaat 94. 154 f. 167. 214. 301. Vgl. Extensivierung. Gefolge 1021. 177. 196. „Gemeindestaat und Reichsstaat“ vgl. Bindungswesen. Provinzen. Generationenwechsel um 90 und 60: 273 f. Gerichte. Aufstellung der Liste 71 f. 73 f. Fehlen unabhängiger Gerichtsbarkeit 94 f. Neigung zum Freispruch 78. 155. Vgl. Repetundengerichte. Ritter. Volksgerichte. 123: 70 ff. 123/06: 77 ff. 106/00: 81. 138456. 147517. 99/91: 77. 81107. 91/0: 21129. 218. 22086. 89/8: 82. 95184. 215. 217 f. 224. 81: 256. 70er J.: 269. 70: 84. 55: 89152. Geschlechter *38 ff. 51. 174 f. Gesellschaft. Selbstvertrauen 58. Hoher Grad der Objektivierung in früher Zeit 60. Monismus 53. Zuletzt nicht mehr Herr ihrer Dinge 160. 302. Vgl. Verfassung. Gesetze und Anträge s. leges. Gesetzgebung 119 f. 121 f. Vgl. concilia plebis. Getreidespenden *16. 810. Getreideversorgung 110. Gewalttätigkeiten *31. 138. 157. 222. 227 f. Griechische Poleis *23 f. *33 f. *43. *44 f. *48. *55. 5 f. 151. Große Einzelpersönlichkeit (mit Anspruch auf eine Sonderstellung) *17. *39. *41 f. *49 ff. *55. 144. 204. 207. 214 f. 226 f. 238. 238187. 247 f. 261 f. 264. 280 f. 290 ff. 295. 298 ff. Vgl. 98. 133 f. Kommanden. Großgrundbesitz 7039. 97. Gründungssage 47126. Guelfen und Ghibellinen *33 f. 14. Heeresclientel 31. 100 ff. Vgl. Veteranen. Heerwesen. Besatzungstruppen 103. Armeen in Politik und Bürgerkrieg 105 ff. 237 ff. Vgl. 222. Italien seit Sulla gesperrt für Armeen 256. Soldaten nach 107: 100 ff Zusammenarbeit mit Bundesgenossen 36. Herrschaftliches Prinzip 27. 48 f. Herrschaftsbereich s. Provinzen. homines novi 83. 191. 219. 257 f. Homogenität *23. *25 f. 54. s. Monismus. C I e. hospites. hospitium 3664.66. 43. Vgl. Bindungswesen. Hungersnöte *17. *19.

Allgemeines Sachregister Identität, republikanisch *43. *52. *55 f. imperator und felicitas 252292. Initiative 109. 119 f. Institutionalisierende Tendenz 71 f. 129. 131 f. 141. 146510a. Vgl. lex Aelia et Fufia. Appuleia de maiestate. Institutionen, sekundär *23 f. Intercession 58. 124. 145. 157 f. Teilweise Entwertung i. d. sp. Rep. 129 f. 133 f. 145. Vgl. A: M. Octavius. Interessen s. Vertretung. C II d. Interessenhorizont *45. Italiker. Beziehung zu Rom in fr. Zt. 3664.66. Aristokratische Ordnung 61. Kaufleute 67. 123–91: 208 ff. 216. 317 f. 91–83/2: 139 f. 215 ff. 218. 219 f. 230. 232. 241. und Sulla 232. 254. 49: 92176. Iteration s. Consuln. Volkstribunen Jugend 38. 273 ff. 277. 305. Kapazität *31. *43. *48. *52 ff. 152. Klassenjustiz 78. Kommanden, große *4753. 105 ff. 144. 196 f. 204. 256. 267 f. 27870. 289. Konservativität 61 ff. 75. 86. 89 f. 106 f. 111. 129400. 144. 152. 156 ff. 201. 203 f. 292. 302 f. 318 f. Vgl. Status quo. Konstitutionalisierende Tendenz 129. 131 f. Konventionelle Normen *48 f. 57. 125. Korruption *17 f. *21. *30. 154. 194 f. Krise ohne Alternative *43 ff. *48. *51 f. *53 ff. 149 ff. 201 ff. 237. 295. 299. 302. 305. Vgl. Kapazität. Wirklichkeit (polit.). Legaten 36. Legalität 126. 143. leges (einschließlich rogationes) I. Themen. agrariae 99 f. 103. 145 f. 212. 289. annales 17. 19. 41. 62. 88. 118330. 123. 191. 231. de maiestate 137455. Vgl. l. Appuleia, Cornelia, Varia de repetundis bzw. de iudiciis publicis s. Gerichte. Repetundengerichte. tabellariae 128 f. 136. 157. II. Einzelne. ne quis consul bis fieret (ca 151) 62. Vgl. 309. plebisc. equorum reddendorum (129 od. später) 7357.



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lex Aebutia de magistratibus extraordinariis 146510a. leges Aelia et Fufia de modo legum ferendarum 128395. 142487. lex Acilia de repetundis 70 f. 76. 83. lex Appuleia agraria 100214. lex Appuleia de maiestate 81106. 137 f. 147517. lex Calpurnia de repetundis 128395. lex Calpurnia tabellaria 129400. lex Cassia von 104: 134431. lex Claudia von 218: 66. 123 f. 313. leges Clodiae von 58: 142487. lex Cornelia de maiestate 137455. 256. 259. leges Corneliae von 67: 140 f. lex Cornelia de privilegiis (67) 164. rogatio Flavia agraria 99207. lex Hortensia von 287: 29. 116324. 121 f. 122357. 124. leges Juliae agrariae 99207. lex Licinia de magistratibus extraordinariis 146510a. rogatio Licinia de sacerdotibus 128. lex Licinia Mucia von 95: 211 ff. 318 f. lex Livia de iudiciis publicis 77. 82. 21129. lex Livia de civitate 212. lex Maenia de patrum auctoritate 122357. lex Mamilia von 109: 137455. rogationes Maniliae von 66: 141. Vgl. C IV: 67/6. lex Maria de pontibus 135437. plebiscitum Ovinium 52143. lex Plautia de iudiciis publicis 82.95184. 215. 224. lex Plotia agraria 99207. 103. 289. leges Semproniae (C. Gracchi) 70 ff. 131 ff. Vgl. lex Acilia. Bes. zu nennen: rogatio de abactis 133 f. 148. lex agraria 132422. lex frumentaria 110. lex iudiciaria 70 lex theatralis 73. lex viaria 132422. lex Servilia (Caepionis) de repetundis 81. rogatio Servilia (Rulli) agraria 99207. lex Sulpicia de aere alieno senatorum 83115. 220. lex Varia de maiestate 82. 83. 112 f. 137455. 215. 218. 22086. 317.

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lex Villia annalis *41. 118330. 123. Vgl.I. leges annales. Lehnswesen 202. Lukaner 215 f. Macht der Einzelnen und der Familien *38 ff. 28. 39. 165. 174 ff. Vgl. C II d. III d. Macht in den Verhältnissen / über die Verhältnisse *53. Macht und Recht 58. Vgl. Verfassung. Machtlagerung *17. *31. *34 ff. *44. Magistrat. Begriff 119339. Sakral begründete Stellung 48 ff. 309 f. Moralische Bindung 49. Eigenständiges Recht 117329. Vermehrung durch Sulla 256. Amtsjahr in Rom 258. Vgl. Consul. Praetor. maiestas populi R. 138. 147517. Vgl. lex Appuleia. Cornelia. Varia. Marseille. Patrone 16. Mieten 110. Militärtribunen 48129. Militärische Spezialisten 155. Monarchie *43. *51 f. *57. Monismus 53. 57. Moral, Kollektive *3028. 32. 57. 60. 298. 306. Moralverfall 3. 265. mos maiorum 54. 55. 60. 63. Mutabilität/Kontroversität s. C. II b. Nahverhältnisse 8. 10. 307. 3248. Vgl. Bindungswesen. Narbonne. Gründung 135437. 313. Nationaleigenschaften 41 f. Neubürger. Aufnahme in fr. Zt. 29. Vgl. Italiker. Neuerungen 129400. 156. 292. 302 f. Neugründung s. Verfassung. Neuzeitliche Vorstellungen s. „Staat und Gesellschaft“. Nobilität s. C I d. nobilis bei Sallust 308. nuper 7463. obnuntiatio 142487. 145. 282 f. Vgl. 128395. Öffentliche Sprache 10. officium 21. 40. Opposition 29. 81. Optimaten *39. 129400. 133428. Ordnung, politische *23. *56. s. Verfassung. otium s. dignitas. Parteiungstheorie *32 ff. Patriciat s. C I b. Patrone 15. 34 f. 85. 164 f. 193. Vgl. Bindungswesen.

Pergamon. Patrone 15. Persönlichkeit 14. 19. 173. Vgl. C II e. personae viles 27. piscinarii 166. 274. plebs. Ursprüngliche Organisation und Einrichtung der Sondergemeinde *24. *26. 26 f. 28. 121. Demokratisches Bewußtsein 52 f. Fügt sich adliger Führung 26 ff. 52 ff. 119 ff. Notleidende *19 f. *44. s. concilia plebis. Freiheitsrechte. Pleb. Adel s. C I c. plebs contionalis 114. plebs rustica *17. 95 ff. 132. plebs urbana *16. *19. *41. 107 ff. 141. Als Werkzeug 109 ff. Zusammensetzung 113 f. politisch und privat s. Verfassung. Politische Kultur 148. Politische Struktur *15 ff. *18 ff. *30 f. Polizei. Fehlen einer Polizeitruppe und Erfüllung ihrer Funktionen *198. 1446. 37. 111. 157. pontifex maximus. Popularen *39. s. C. II g. Einführung der Wahl 123. 312. praerogativa centuria s. comitia centuriata. Praetor 55. Praetorier 19. Präzedenzfälle *24. *58. 131. Prestige s. existimatio. Priesterbestellung 136444. princeps senatus 258. Vgl. 274. 318. „Private“ Motive *22. Proscriptionen 84. 249. 253 ff. Provinzen (Herrschaftsbereich). *20. *31. *43. Verwaltung mit Hilfe des Bindungswesens 34 ff. 42 ff. 201 f. Zusammenarbeit mit Einheimischen 17. Bewältigung wirtschaftlicher Aufgaben 65 f. Mißwirtschaft 71. 77. 81 f. 154. 216. 221. 269. Vgl. 35 f. 190172. improbi et rapaces magistratus 79. Römische Auffassung. Ansätze von Verantwortungsbewußtsein 160563. 276. 318 f. Schwierigkeit einer Besserung 77 (vgl. 212 f.). 158557. 160563. 291. 318 f. Auswirkungen auf Rom vgl. Expansion. Vor 123: 71. C. Gracchus 70. 71. 132. Nach 100: 81 f. 70er J.: 269. provocatio s. Freiheitsrechte. Prozeß. Prozessuale Vollzüge *16 f. *46 ff. Nebenwirkungen *18. *46.

Allgemeines Sachregister „Raum“ 153. 302. Reate 37. Recht und Macht 58. „Rechtssouveränität“ 57. Rechtswissenschaft 55. Reformen *53. Problematik s. Aporie. Repetundengerichte 71 f. 128395. 305. Vgl. Gerichte. „Repräsentation“ *56. 52. 194. „Repr. Körperschaft“ 157. 22082. res publica *27. 1 ff. = Staat? 118. Unter Caesars Dictatur 13. „Revolution“ 114312. 115. 124371. 149 f. 158. 204. Richterbestechung *48 f. Ritter. census 64. 656. equites equo privato 65. „Großbourgeoisie“ 69. 93117. 149. Bestehend aus „Landadel“ und Geschäftsleuten 66 f. 75. 85. Geldanlage in Landbesitz 67. Publicanen = prominenteste Ritter 74. societates 66. Sicherheitsleistung 67. Akzente im Stand seit 123 zu ihren Gunsten verschoben 70. Verkörpern den Stand 74 ff. 314. Beziehungen zum Senat. Vor 133: 67 f. 69. 128397. Nach 133 i. allg. 75. 76. 87 f. 146 ff. i. e. s. u. Eintritt in die Ämterlaufbahn 76. 83. 86 f. Clientelen 31. 85. Vgl. 75. 146 ff. 315. Einfluß bei Wahlen 40. 67. 84 f. 87. Rittergerichtsbarkeit 77 ff. 147517. Vgl. Gerichte. Besitz der Gerichte als Gewinn an dignitas 73. Publicanen ausschlaggebend unter Richtern 73 f. Gesonderte Theatersitze 73. 87. 256327. Ritter in Provinzen *16 f. 77 ff. 81 f. 291. 319. Politik. Konservativität 69. 75. 89. „Ritterliche“ P. in der Regel Sache der Publicanen 74 ff. Interesse an P. 75. 87. Möglichkeiten der Machtentfaltung 75. 85 f. 88. 146 ff. 315. Einfluß auf Außenpolitik 68. 79 f. 82. 86. Störpotential *41. Ritter i. G. = unpolitische „Bourgeoisie“ 69. 93177. 149. 203. Weitgehende Immunität des Standes 89. Auf Basis der alten res publica nicht mehr zu verkraften 95. Geschichte. R. und Marius 83.135 f. 21014. 313 f. und Italiker bzw. Neubürger 209 f.

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216. 263. 317. Vor 133: 65 ff. 67 ff. 128397. 123: 70 ff. 76. 131 ff. 121 ff.: 77. 209. 111 ff.: 79 ff. 135 ff. 106: 81102. 137452. 103: 81106. 138456. 147517. 100–98: 81. 139. 313. 91/0: 83. 211. 215. 88 ff.: 83. 217 ff. 221. 226. 82/0: 253 f. 256. 78 ff.: 84 ff. 92 f. 70: 84 f. 69/7: 85. 67/6: 86. 88. 92. 140. 148 f. 63: 90. 92. 314 f. 60/59: 90. 92. 199. 50/49: 92 f. 297183. Caesars Auffassung v. d. „Bourgeoisie“ 93. Römer in Provinzen 190172. saccularii 219. Sache *50 f. 205. 292. 305. Samniten 215 f. Schulden. Schuldrecht-Milderung 2716. 121. Schuldenerlaß-Anträge 146. Seeräuber *17. 86. 267. Selbstverwaltung 42. 42103a. Senat s. C I. Sicherheitsbedürfnis 47. Sklaven *17. *19 f. *31. sodalis 20. Vgl. Bindungswesen. Solidarität s. C I e Soziologie 207. „Souveränität“. Problem in Rom 57. 117 f. Vgl. 147. Spiele 88. 12. „Staatlichkeit“. „Staat und Gesellschaft“. „Staatsbegriff“ *21 f. *23. *26. 118. s. Verfassung. Staatsdenken s. Theorie. Staatsethos. Inhalt 47. Staatspächter s. Ritter. Status quo 63. 156. Vgl. 73. Konservativität. Stoa 318 f. Straßen. 38. 132422. Strittiges/Unstrittiges s. C. II b. Subjektivität 98. tabernarii 114. Terminologie der Quellen 308. 314. Theater, bes. Sitzreihen für Ritter 73. 87. 256327. Theorie (politische) 5. 135. 160. 165 f. 302 f. 306. 319. translatio pecuniarum 153. tribus 658. 190173. Organisation des Wahleinflusses 38 f. 177. Problem der Zuweisung der Italiker 216 f. 219 f. 230. 232. tribus Fabia 15. Triumph 256322.

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Überforderung 95. 102. 160 f. 302. 305. Vgl. Aporie. Krise ohne Alternative. Überlegenheitsgefühl Roms 47. Ungleichheit 27. 48. 52 f. 121. 190173. Unwirklichkeit 302. Utopie 302 f. Vgl. Theorie. Venedig 46122. 49 f. Vereinzelung der Interessen s. C II d. Verfassung (allgemeine Merkmale). Grundlagen 45 ff. 119 f. Unangefochtene Geltung auch i. d. sp. Rep. 60 ff. 75. 86. 89 f. 104. 106 f. 111. 135. 144. 152. 156 ff. 160. 201. 203 f. 220. 231. 236 f. 289 f. 292. 301 ff. Gewachsene Verfassung *23 ff. *48. *55. 56 ff. 63. 117327. 119 f. 125. 310. Begriff 56 f. „Vorsouveräner Zustand“ 57. Kein Bruch mit dem Herkommen. Vertrauen in die Dinge *24 f. *28. 58. Moralabhängigkeit 57 ff. Vgl. Moral. Problem der Überwindung (Neugründung) 60 f. 157 ff. Konventionelle Normen 57. 125. Präzedenzfälle 131. Technische Unvollkommenheit 49 f. 98. 114. 123. Konstitutionelles Senatsregime 125. Herrschaftliche Komponente 27. 48 f. Demokratische Elemente 52 f. Vgl. Institutionalisierende Tendenz. Verhältnis „Staatlichkeit“„Gesellschaftlichkeit“. Staatsorientierung der Gesellschaft. Persönliche Prägung. Wenig Eigengewicht des Staates. Alle nennenswerten Kräfte können sich durchsetzen 13 f. 32. 34. 37. 45 ff. 53 ff. 57 ff. 88. Vgl. concilia plebis. Wirklichkeitsbezug. „Gemeindestaat und Reichsstaat“. s. Bindungswesen. Provinzen. Ideal 302 f. Vgl. Theorie. Verfassungsgeschichte *28 f. 60 ff. 201 ff. Verfassungswirklichkeit der späten Republik. Begriff *18. 411. Diskrepanz zwischen

Institutionen und Aufgaben 2. 62. 151. Vgl. 160. 302. Überlastung der Basis 95. 152 ff. Erlahmen der Staatlichkeit 155 f. Bruch in der politischen Wirklichkeit 23. 103. 169. 204 f. Überbewertung der Einzelheiten 63. 129400. 156. 292. 302 f. Schwäche des Staates als Voraussetzung seiner Bewahrung 156. 167. Vgl. 87. 189. Aporie. Extensivierung. Krise ohne Alternative. Vergleich s. capitani del popolo. England. Griechische Poleis. Guelfen. Venedig. Vertrauen 58. Vertretung der Interessen 27. 34 f. 37 f. 40 f. 192 ff. Verwaltung. Problematik im 4./3. Jh.: 42. Belassung von Selbstverwaltung 42. 42103a. Im Übr. s. Bindungswesen. Bürokratie. Veteranen *17. *4753. 100 ff. 104 f. 138 f. 295. Volk s. Comitien. plebs. Volksgerichte 123. 128 f. 137. 138456. 256. Volksreden 117329. „Volkssouveränität“ 117 f. 148. Volkstribunen. Einrichtung und frühe Zeit 28. Integration 58. Als Magistrate aufgefaßt 119339. Iteration 130. 146 (dazu Sallust, Jug. 37,2). Funktion als Ventil s. concilia plebis. Absetzung des Octavius s. A: M. Octavius. 81–70: 140. 255. 71/0: 269. Vgl. C II g. III d. f. Werte = objektive Gewalten 54. Wirklichkeit (polit.). Bruch 23. 103. 169. 204 f. Wirklichkeitsbezug 58. 60. Wirklichkeitsverhaftung *7. *28. *55. Wirtschaft *16. Ordnung 68. 88 f. 104. 110 f. 145 f. Vgl. Vereinzelung der Interessen (C II d) „zeitgemäß“ 34. „zielbewußte Regierungspolitik“ 34. Zufall 5. 3349. Zufriedenheit *43. 301.

C SPEZIALREGISTER I Aristokratie und Senatsregime a) Senatsadel. Senatorenstand. Reichtum 659. Soll mit Ausbeutung der Staatsgefälle nichts zu tun haben 66. Vgl. B: lex Claudia. Beteiligung an ritterlichen Unternehmungen 69. Geltung persönlicher Motive 297. Rolle der Adelsgeschlechter 21. 28. 40. 51 f. 172. 174 ff. 182 ff. Charisma 44. Jugend 38. 273 ff. 277. 305. Unterschied zu englischem und venezianischem Adel 46122. b) Patriciat 51138a. Problem der serrata 2822. patrum auctoritas 122357. 310. c) Plebeischer Adel 28. 2822. 122. d) Nobilität. Kriterium 46. 48. Zusammensetzung und Ergänzung 46 f. Macht *198. *21. Bevorzugung bei den Wahlen *4954. 8. 915. 86 f. 174. 176. 257 f. Wenige Familien besetzen das Consulat 31. Praetorische Familien 46124. 257. e) Senatsregime. Voraussetzungen in früher Zeit 27 f. 45 ff. Herrschaftsvermögen des Adels 45 ff. „Staats“bezogenheit 45 ff. 51 f. 297. 299. Solidarität *27. 49 ff. 54. 191. 247. 311. Homogenität 14. 54. 174. 191 f. Assimilationskraft 46 f. auctoritas 57. 62. „Weisheit“ *28 f. Verhältnis zum Volk 52 ff. 119 ff. Bewahrung und tieferes Einrasten 60 ff. 201 ff. Vgl. B: Expansion. In der späten Republik: Adel mehr Diener der Gesellschaft. Allg. anerkannte Verantwortung des Senats *41. *50. 41. 87. 102. 147. 156. 189. 292. 294. Vgl. f, 1. Absatz. Ausübung und Grundsätze. Senat = zentrales Regierungsorgan 50. und Magistrate 48 f. 309 f. Vgl. B: Annuität. Collegialität. Führende Kreise des Senats (principes) *22. *27. *29. *39. 2076. 51 f. 111. 17260. 17367. 181 f. 185 f. 230 f. (Verfassungspolitik). Als Quelle von Legitimität

17367. 231150a. Vgl. 214. Zahl 243225.227. Bei den Wahlen 177. 192182. 196. princeps senatus 258. Vgl. 274. 318. Rangordnung der Senatoren 51. Gesamtherrschaft des Adels 59 f. 189. Außenpolitik 168. Regierung mit Hilfe des Bindungswesens 35 ff. 42 ff. 163 ff. 201 f. Unterrichtung über Bundesgenossen und Provinzen 36. Gegen Vermehrung der Magistrate 166. gegen Einrichtung einer Bürokratie 37. 59188. gegen Neuerungen 156. 292. 302 f. gegen große Gesetzespakete *39. *41. gegen große Einzelne s. B: Große Einzelpersönlichkeiten. Notwendigkeit der Vergrößerung des Hauses i. d. sp. Rep. 224108. 256 ff. 266. Senatssitzungen. Einberufung 197219. Z. T. wenig frequentiert 164. Reihenfolge des Aufrufs 51. 258340. Senatus consultum ultimum *53 f. 138 f. 147 f. 223. 245. 285. f ) Geschichte. Überforderung des Senats i. d. sp. Rep. *31. *45. *48 f. 94. 102. 160. 214 f. 219 f. 263. 292 f. 303 ff. 318 f. Parteilichkeit. Zweifel am Senatsregime 84. 133428 (vgl. 72). 218. 223101. Vgl. e, 3. Absatz. 123: 71 ff. 131 ff. 104: 2689. 103. 100: 102. 95–81: 212 f. 243 ff. 263. 91: 211. 223101. 88: 220. 223. 224. 224108. 225 f. Unter Cinna: 229. 231. 232. 233 f. 244 f. Verhandlungen mit Sulla 236. 244. 83 ff.: 241 f. 245. 247 ff. 256 ff. Nach Sulla 160563. 264 ff. 268 ff. 318. Vgl. 86. 257 f. Verhältnis zu Pompeius 172. 267 ff. 287 ff. Senatorische Jugend 38. 273 ff. 277. 305. 59 ff.: 91160. 173 f. 293 f. II Politik. Politische Grammatik (außer Wahlen) a) Beschränktes Ausmaß der Faktionskämpfe in der frühen Republik 49. 62. b) Späte Republik. Grenzen der Politik (Verh.

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Register

zw. Strittigem u. Unstrittigem) *46. *52. 128 ff. (bes. 133 f. 135). 145 ff. 159 ff. Vgl. B: Verfassung, 1. Absatz. „Raum“ der Politik 153. Gesellschaft als Summe von Individuen der eigentliche Beziehungspunkt der Politik 155 f. Vgl. 189. s. B: Gefälligkeitsstaat. Aporie. Extensivierung. Krise ohne Alternative. Überforderung. c) Politische Grammatik allg. 7 ff. 162 ff. Politik spielt sich auf zwei Ebenen ab 7 ff. 22. Mangelnde. Kristallisation zwischen großen und kleinen Interessen und Gegensätzen 7 ff. 22. 89. 167. 189 f. Vgl. d: Vereinzelung der Interessen. Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme 7 ff. 21 ff. 88. 168 ff. d) Regelmäßige Politik. Faktionenbetriebsamkeit *32. 7. 10. 17 f. 22 f. 40 f. 163 ff. Vgl. III c. d. Vereinzelung der Interessen *37 f. 8. 38 ff. 163. 189. 193. Macht der Einzelnen und Familien 21. 28. 39. 165. 174 ff. Möglichkeiten der Organisation von Macht *36. 174 ff. factio Cethegi 180 f. Zusammenwirken von Gegnern im Interesse gemein­ samer Freunde 17 ff. Vgl. B: Bindungswesen. e) Politiker. Zum Wortgebrauch 18. Große Selbständigkeit des Einzelnen 14. 19. 173. Pflicht des Adligen, sich der Politik zu widmen 1864. 46. Aufwand an Zeit und Mühe 39. 165 ff. 175. Forderung der Zugänglichkeit und des Einsatzes für Freunde 10. 27 f. 34 f. 37 ff. Vgl. 156. 189. Vgl. III d., P. handelt vornehmlich als Einzelner, nicht als Glied seiner Familie. Beschränkte Rolle der Familien 39 f. 51 f. 165. 170 ff. 174 ff. 182 ff. f ) „Große Politik.“ „Gegensatz OptimatenPopularen“ 127 f. 308. Politische Gruppierungen im Urteil Ciceros 91164. 114317. Tendenzen in Terminologie und Auffassung der Sekundärquellen 181 f. 181117. 308. partes. partium sensus 13. 21 ff. 307 f. Parteiungen um große Gegenstände seit 151: 128 ff. 144 ff. 195 ff. In 50er J.: 169 ff. g) Populare Methode 116 ff. 127 f. Funktion 144 ff. Wirkung gegen das Aufkommen politischer Gruppierungen. Pop. Meth. als Ventil 53. 88. 125. 127 f. 148. 150. 158. Ritter als Schlüssel zum Verständnis 150.

Nutzen des populariter agere für die Laufbahn 136. 141. Einstellung dazu 308. Intoleranz seit ca 100: 139. Vgl. 316. plebs urbana als Werkzeug 108 f. 114 f. causa populi 148. Vgl. B: Institutionalisierende Tendenz. Nachwirkung der Gracchen 135. Unterschied vor und nach Sulla 316. Vgl. 319. Nach 70: 140 f. Zum RE-Artikel Populares: 552,20 133427. 552 f. 127389. 577,12 141479a. 591,66 109274. 598,10 112300. 601,4 Vgl. 147517. 603 ff. 146510 605, 19 ff. 130406. 605 ff. 7255. 146510a. 147517. 22085. 608,22 147517. 609 f. 132422. 610 236177. h) Gegenstandsabhängigkeit der Parteiungen *32 ff. *37 f. *40 f. III Wahlen a) Wahlrecht Beschränkungen des Wahlrechts. Rolle des Volkes 120. 312. In früher Zeit noch 310. (dazu 54). Vgl. B: Comitien. Initiative 119 f. Wahlleiter. Bestimmung 197219. Rechte 88147. 119 f. 126. 192182. 226122. Vgl. 191180. patrum auctoritas 122357. 310. Zwei und mehr Stimmen des Wählers 17896. 194. b) Funktion und Thema der Wahlen Allg. 10. 14. 121. Auswahl aus homogenem Adel 14. 53. 191. Sinn der Wahlverfassung 190 ff. Voraussetzungen: Unbestrittenheit der Grundordnung, andere Möglichkeiten der Durchsetzung von Forderungen, Vereinzelung der Interessen 38 ff. 87 f. 193. Vgl. B: concilia plebis. Verfassung, 1. Absatz. C II d. Bindungswesen 194. Ungenügen gegenüber dem Ausnahmefall i. d. sp. Rep. 11. 174. 196 ff. c) Maßgebende Gesichtspunkte der Entschei-

Spezialregister dung 7 ff. 38 ff. 53. 155. 191180. Speziell in früher Zeit 54. Bevorzugung der Nobilität 8. 915. 86 f. 174. 176. 257 f. Berücksichtigung besonderer Erfordernisse in früher Zeit 195 ff. d) Wahlvorbereitungen, -organisation und -ablauf Vorbereitungen, Art und Dauer allg. 39 f. 174 ff. Vgl. 8 ff. Versprechungen und Reden 11. comitas 913. 196207. Geleit 1021 177. 196. Einsatz großer Herren 177. 192182. 196208. Schriftliche Empfehlung 193. 193187. suffragatio militaris 193188. 198221. 227126. gratiosi, Kandidaten und Manager 38 f. 175. 193187. Organisation über die tribus 38 f. 177. Möglichkeiten der Geschlechter 175 ff. Vgl. 21. Beteiligung, bes. der auswärtigen Wähler *42. 177. 192 ff. Seltenheit paarweiser Bewerbung 178 ff. Auswirkungen des Wählens mit zwei oder mehr Stimmen 812. 915. 12. 39 f. 17896. 194. coitiones 39 f. 178 ff. Bestechungen 194. Termin der Wahlen 258 f. Volkstr. 226112. Akklamationen und Kundgebungen vor den Wahlen 196211. Geheime Abstimmung s. B: leges tabellariae. lex Maria. Dank an das Volk 52148. e) Wahlen in England 195. f ) Einzelne Wahlen (in der Regel zum Consulat) Für 200. 190. 168: 196207. Für 147: 126. 196207.211. Für 145: 196207. Für 134: 127. 196207.211. Für 132: 197217. Für 121 (Volkstr.) 135436. Für 107. 104–100: 138. 313 f. Für 100 noch: 138460. 197. Für 99: 138. Für 88: 22086. 227126. Für 87: 225 f. Volkstr. 226122. Für 86/84: 230. Für 83: 232152. Für 81: 248 f.

333

Für 79: 2074. Für 70: 197. Für 69: 15. Für 67 und 66: 88. Für 63: 1887. 196212. Für 62 (Volkstr.): 21. Für 61: 19. Für 60: 276. Für 59: 15. 21. 197 ff. Für 58: 20. Für 56: 15. Für 55: 1548. 20. 197. 294. Für 54: 11. 1232. 179102. Für 53: 11 f. Für 52: 12. Für 49 (einschl. Priesterw.) 12 f. IV Chronologisches Register Frühe Republik 49. Behauptung der Hegemonie 47. Ständekämpfe 26 f. 122357. 367: 48. Ende 4. Jh.: 122357. 3. Jh.: Außen­po­ litik 49135. Mitte 3. Jh.: 123. 310 ff. 241/20: 61192. 217: 123 f. 169: 68 f. 151/133: 96. 128 f. 111 ff.: 7892. 79 f. 135 ff. 316. Cimbernkrieg 81. 314. 318. 100/91: 208. 95–80: 149 f. 262 ff. Vgl. 318 f. 91/0: Verurteilungen nach lex Varia 218. 22086. 87 ff., Cinnanisches Regime: 83. 218 f. 229 ff. 231 f. Cinnas Armee 232. 237 f. 240. 241. Flaccus’ Entsendung 86: 233 ff. Rüstungen 85: 236. Verhandlungen mit Sulla 236. 244. 83/2: 237. Sullaner 250. Nachwirkung der 80er J.: 318 f. Politik nach 70: 141. 70: 268. 269. 289. 70/69: 14 f. 67/6: 86. 88. 92. 140. 148 f. 196 f. 267 f. 289. 293. 3. Mithridat. Krieg 193187. 63: 90. 100. 114. 146. 270 f. 314 f. 61/0: 268. 270. 271 ff. 278 ff. 287. 293. 60, Dreibund 279 ff. 50er J.: 143 ff. 59: 142 f. 281 ff. 284. Nachwirkung 173. 58: 286. 57/6: 14 f. 56: Lucca 144. 286 f. 1. 12. 50 (Senatssitzung) 315.

D QUELLENREGISTER APPIAN Lib. 531: 126. b. c. Bedeutung von Ἰταλιῶται: 112300. 1, 94 ff.: 77 ff. 451: 252292. 459: 296180. 2, 14: 34. 119: 315. CAESAR b. G. 8, 50, 3: 1234. 8, 52, 5: 315. b. c. 1, 22, 3: 307. 3, 57, 4: 246245. 296180. CICERO Reden Volksreden 117329. Rose. Am.: 249 ff. 137: 250287. Quinct. 59: 3350. leg, agr. 2,4: 196211. 17: 117329. 70: 114316. 100: 176. Sest. 98: 90. 109: 164. 122: 27442. prov. cons. 27: 173. 46: 143. 285. har. resp. Datum: 90161. Pis. 3: 196211. Planc. 22: 3350.

Briefe Att. 1,1,2: 193187. 1,13,2: 19. 1,20,3: 27442. 10, 8b,2: 93. 11, 21,3: 250288. Cael. bei Cic. fam. 8,4,1: 913. 8,6,3: 132. 8,14,1: 12. 14. Q. fr. 3,6(8),3: 12. 18. Q. CICERO Com. Pet. Verfasserschaft: 71. 3: 1552. 14: 86 f. 258388. 18: 192182. 40: 179 f. 53: 11. Diod. 36, 5: 78. C. GRACCHUS ORF 2 17: 133428. LIVIUS praef. 9: *53. 304. 7,17,12.: 126386. 7,42,2: 309. 9,34,6: 126386. 39,41: 180105. per. 50: 126386. 80. 84: 230147. MEMNON frg. 24, 1 Jac.: 233 ff. PLINIUS n. h. 33,34: 64.

Quellenregister PLUTARCH Gracchi 16,1: 130410. 19,3 f.: 118 f. 34,3.36,4: 133428. Luc. 38,2. 42,4 f.: 317. Mar. 11,1: 314. Pomp. 21,7. 22,3 f.: 289141. 46,5: 317 f. 58,6 f.: 315. Sulla 9,3: 224114. 10,4 ff.: 226122. POLYBIOS Rechtfertigung der römischen Herrschaft: 318 f. 6,16,5: 119339. 6,17,2 ff.: 64. 66. 6825. 6,53,6 ff.: 46. POSEIDONIOS 318 f. Tendenz gegen Ritter: 7893. SALLUST Auffassung der römischen Innenpolitik in Cat. u. Jug. 316.



Tendenz und Terminologie: 181 f. 308. ep. ad Caes. Verfasserschaft: 71. 2,11,5 ff.: 165 ff. Cat. 37, 1 ff.: 107. Jug. 5,1: 138. 315 f. 27,3: 7998. 40,5: 137453. 42,1: 76. 73,6: 314. hist. 1,12: 133428. 316. 3,48,21 ff.: 288132. SUETON Jul. 19,1: 17898. 19,2: 280. VARRO frg. 114 Rip.: 71. VELLEIUS 2,13,2: 78. ILS 23 (Popillius-Inschrift): 99.

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DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR

ographien dreier n eine moderne , das Problem eimenen Erwartunadox zu sein, daß erst nach langer Identität gelingt, u gewinnen.

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DIE OHNMACHT DES ALLMÄCHTIGEN DICTATORS CAESAR DREI BIOGRAPHISCHE SKIZZEN

CHRISTIAN MEIER

Franz Steiner Verlag

Christian Meier

Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar Drei biographische Skizzen

CHRISTIAN MEIER

Der autor Christian Meier studierte Geschichte, Klassische Philologie und Römisches Recht. Promotion in Heidelberg; Habilitation in Frankfurt am Main; 1964 Privatdozent in Freiburg i. B., anschließend Professuren für Alte Geschichte in Basel, Köln, wiederum Basel und Bochum. 1981 wurde er auf den Lehrstuhl für „Alte Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Sozialund Wirtschaftsgeschichte“ in München berufen, den er bis zu seiner Emeritierung innehatte.

2., überarbeitete Auflage 274 Seiten 978-3-515-09214-2 geb. 978-3-515-11019-8 e-book

Die Geschichte einer Krise, in den Biographien dreier Männer erzählt. Es spiegelt sich darin eine moderne Problematik in römischem Gewande, das Problem eines Übergangs, in dem die überkommenen Erwartungen scheitern, in dem es aufhört, paradox zu sein, daß lauter Paradoxes geschieht, in dem es erst nach langer Zermürbung der gesellschaftlichen Identität gelingt, wieder Macht über die Verhältnisse zu gewinnen. Aus dem Inhalt Die Ohnmacht des allmächtigen Dictators Caesar: Das Problem der Staatsmannschaft Caesars | Caesars Aufstieg bis zum Consulat | Die Struktur der späten römischen Republik. Caesar, Roms Ordnung und die Krise ohne Alternative | Vom ersten Consulat Caesars bis zum Ausbruch des Bürgerkriegs | Vom Sieg im Bürgerkrieg bis zur Ermordung. Das Problem der Neuordnung | Die Möglichkeiten und die Grenzen Caesars p Cicero. Das erfolgreiche Scheitern des Neulings in der alten Republik: Das Problem: Cicero und die res publica | Herkunft und politischer Aufstieg (106–81 v. Chr.) | Die Konditionen der politischen Laufbahn (81–63 v. Chr.) | Verteidigung des Consulats, Verbannung und Rückkehr |Cicero zwischen den Fronten (60–56 v. Chr.) | Zuwendung zur Philosophie in der neuen Realität nach Lucca | Angesichts des Bürgerkriegs und unter der Herrschaft Caesars | Ciceros Principat und seine Ermordung p Augustus. Die Begründung der Monarchie als Wiederherstellung der Republik: Das Problem: Die Bildung der Alternative | Vom Erben Caesars zum Führer Italiens | Der Erste Bürger (princeps) und die Mühwaltung für das Gemeinwesen

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KANNTEN DIE GRIECHEN DIE DEMOKRATIE?

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Franz Steiner Verlag

KANNTEN DIE

GRIECHEN DIE

DEMOKRATIE? Franz Steiner Verlag

CHRISTIAN MEIER / PAUL VEYNE

senschaftliche Dialog Veyne aus den 1980er ritten Auflage.

CHRISTIAN MEIER PAUL VEYNE

Christian Meier / Paul Veyne

Kannten die Griechen die Demokratie? Zwei Studien

ZWEI STUDIEN

Ob die Griechen die Demokratie kannten – daran sollte man zweifeln, weil man sonst so leicht nicht der großen, unsichtbaren Unterschiede gewahr wird, die sie von uns trennen. Sie sind uns ungemein fremd; um so mehr, je weniger wir es bemerken. Was uns an ihnen vertraut zu sein scheint und was ja auch wirklich nicht wie die Hinterlassenschaft eines exotischen Volkes sich ausnimmt, ist nur gleichsam der sichtbare Teil eines Eisbergs. Manch einer könnte auf den Titel: „Kannten die Griechen die Demokratie?“ antworten: Kennen wir sie etwa? Noch aber taugt die Überschrift „Demokratie“ dazu, jenes Ensemble zu bezeichnen, das uns wichtig ist; Rechtsstaat (auch Sozialstaat), Grundrechte, Verfassung samt bestimmten ihrer Voraussetzungen im allgemeinen Diskurs, das so leicht in andere Weltgegenden nicht zu übertragen ist und das die Griechen nicht kannten. Gleichwohl scheint einiges dabei zu sein, sich zu verschieben – und dann wären die Griechen es heute um so mehr, die nun wirklich die Demokratie kannten; freilich auf ihre Weise. Der in diesem Band abgedruckte wissenschaftliche Dialog zwischen Christian Meier und Paul Veyne aus den 1980er Jahren erscheint in der mittlerweile dritten Auflage.

3., überarbeitete Auflage 125 Seiten 978-3-515-11139-3 kart. 978-3-515-11137-9 e-book

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Jochen Martin

Der Weg zur Ewigkeit führt über Rom Die Frühgeschichte des Papsttums und die Darstellung der neutestamentlichen Heilsgeschichte im Triumphbogenmosaik von Santa Maria Maggiore in Rom

Der autor Jochen Martin studierte in Kiel, Tübingen und Freiburg. 1965 Promotion, 1972 Habilitation. 1976 Ernennung zum ordentlichen Professor an der Universität Bielefeld. Von 1980 bis zur Emeritierung Professor für Alte Geschichte (ab 1994: für Alte Geschichte und Historische Anthropologie) an der Universität Freiburg.

Wie konnte der römische Bischof zum Papst werden? Um die Einheit der Gemeinden und der Kirche zu sichern, übernahmen Kirchenschriftsteller schon früh Ordnungsvorstellungen der lateinischen Kultur, insbesondere deren Amts- und Traditionsbegriff. In der Zeit nach Konstantin lehnten sich die römischen Bischöfe an Funktionen, Herrschaftsmittel und Repräsentationsformen des römischen Kaisertums an. Ihren Anspruch, Nachfolger des Petrus zu sein, begründeten sie mit Theorien römischen Erbrechts. Einen monumentalen Ausdruck findet das Selbstverständnis Roms im Triumphbogenmosaik von Santa Maria Maggiore, für das der Autor eine neue Interpretation vorschlägt. Aus dem Inhalt Einleitung | Die Einheit der Kirche(n) und das kirchliche Amt in vorkonstantinischer Zeit | Kaiserliches Kirchenregiment, Glaubensfragen, kirchliche Ordnung und Gerichtsbarkeit während der konstantinischen Dynastie | Die Ausgestaltung des römichen Primats von Damasus bis Sixtus III | Papst Leo I. der Große: lateinische Prägung, universaler Anspruch und herrscherliche Repräsentation | Die Darstellung der neutestamentlichen Heilsgeschichte im Trimphbogenmosaik von Santa Maria Maggioe in Rom | Quellen- und Literaturverzeichnis

184 Seiten sowie 20 Tafeln mit 16 Farb- und 6 s/w-Abbildungen 978-3-515-09386-6 geb.

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Struktur und Krise der späten römischen Republik gehören zu den eigenartigsten und, wenn man das so steigern darf, paradoxesten der Weltgeschichte. Res publica amissa – das war eine Republik, deren Verlust befürchtet wurde, aber nicht für wahr gehalten werden konnte. Eine Gesellschaft zerstört ihre Ordnung, obwohl, ja: indem sie sie zu erhalten sucht. Eine virulente Krise spielt sich ab, in der sich hundert Jahre lang keine Alternative zum Herkommen bildet; in der alle potentiell Mächtigen mit dem System zufrieden und die Unzufriedenen über einzelne Situationen hinaus machtlos sind; in der die Reformen sich zumeist so schädlich auswirken wie die Mißstände, in der Effizienz und verfassungsgemäßes Handeln verschiedentlich zu Gegensätzen geraten. Erst nach nahezu zwei Jahrzehnten neuerlichen zermürbenden Bürgerkriegs konnte Augustus eine neue, eine monarchische Ordnung einrichten  – und zwar indem er die Republik wiederherzustellen vorgab. Franz Steiner Verlag

Fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung erscheint die mittlerweile zum Klassiker avancierte Studie von Christian Meier über den Untergang der Römischen Republik wieder im Franz Steiner Verlag.

ISBN 978-3-515-11642-8

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