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German Pages [285] Year 1969
HEIMITO VON DODERER
Repertorium Ein Begreifbuch von höheren und niederen Lebens-Sachen Der Plan zu diesem Buda reicht bis in die Kriegsjahre zurück. Schon 1941 be gann Doderer Stichworte zu sammeln und lexikalisch zu ordnen. Später pflegte er Aufzeichnungen definitorischen Charakters, wo immer sie sich er gaben - in Notiz- und Tagebuch, Roman und Erzählung -, besonders zu markieren und für das bereitzustellen. Obwohl er das Unter nehmen nicht selber bis zur Druckreife gefördert hat, hat er es bis zu seinem Tode nicht aus den Augen verloren: die letzten Repertorium-Artikel stam men aus dem Jahre 1966. Von A bis Z kommen in pointierter Form 5
Epischen treiben wollen... dies ist garkein Anlaß für
großes Orchester; sondern für’s genaue Gegenteil. Das
Ohr, der eigentliche Adressat aller Sprachkunst, ist ehr licher und unerbittlicher als die lesenden Augen, welche mit der Quantität einen Handel treiben, bei dem sie
am Ende fast allein sind. Das Ohr sagt sein Veto bald.
Ihm muß impliziert werden, man muß da geschwinde etwas hinein escamotieren.
Sie werden nach solchen tröstlichen Worten erstau nen und vielleicht auch erschrecken, wenn ich jetzt einen Band in Quarto zur Hand nehme, statt es bei diesem
Carnet bewenden zu lassen. Jedoch: nil terroris; nil
tremendi. Der Band in Quarto ist eigentlich eine große
Pillenschachtel, nämlich der so und so vielte Teil eines Wörterbuches. Dort steht alphabetisch geordnet alles, was ich bisher habe erfahren können. Wörterbücher
sind knapp in ihren Auskünften. Man schluckt den Arti
kel als a ganzer hinunter, wie eine Pille. Später löst sie
sich auf; vielleicht geht sie in’s Blut. Ich möchte gerne alle Menschen dazu anregen solche Wörterbücher zu
machen: ihre wahren Portraits. Der geistige Horizont ist bei keinem kreisrund. Hier zeigt er Einbuchtungen,
dort wieder reicht er viel weiter, als er’s der Physik
nach eigentlich dürfte; würde man alle seine Grenz punkte dann durch eine symbolische Umrißzeichnung
verbinden, manch* seltsame Golatschen entstünde vor
unserem staunenden Auge. Jeder Mensch hat so viel Erlebnisse gehabt, als er Wörter besitzt, sagt Benedetto
Croce einmal irgendwo in der Philosophia del Spirito.
16
Wir würden hier sagen: so viel Erlebnisse, als er Arti-
kelchen in seinem Wörterbuche schon stehen hat. Hier soll nur ein Grundstock geboten werden, Reiz- und
Anregungsmittel, eben Pillen. Reizmittel auch im Sinne
von „razen“, ärgern. Das immer unfertige Werk mit tausend und mehr Artikeln wird schließlich einmal an die Freunde ausgegeben, die es alsbald überwachsen
und überwildern mit eigenen Beiträgen, so daß vom Grundstöcke kaum mehr was sichtbar bleibt. Schönster Lohn eines Schriftstellers ist es, ein Auslöser, ein déclic für den Leser oder Hörer zu sein und von ihm in
irgendeiner Weise verlassen und übertroffen zu wer
den. Hat nun die Zahl der Wörterbücher sagen wir
einmal jo überschritten, so kann zu deren universalem Austausche übergegangen werden. Wer da vermeinte,
man würde mit diesem somptuösen Vorgang eine baby
lonische Sprachverwirrung züchten, irrt vollends: ge rade das Gegenteil wäre der Fall. Denn nur durch Jedermanns höchsteigene Sprache hindurch führt der Weg zur Wiedergeburt der gemeinsamen. Das Un-
gemeine allein ist’s, was wirkliche Gemeinschaft fun
diert; will man sie auf’s Gemeinsame gründen, artet sie
bald zur Gemeinheit aus. Auch wäre bei dem früher erwähnten Umsichgreifen der Lexikographie obendrein
jedermann leicht haftbar zu machen und zitierbar.
Etwa: „Sehen Sie einmal nach bei Antoinette Langer, Buchstabe B, Artikel,Bübereien*.**
Was nach alledem das Repertorium sein sollte, hat
Doderer ipjj anläßlich eines Vorabdrucks im Jahres17
ring' auf eine kurze Formel gebracht: „Ein Buch zum
Weiterschreiben für den Leser. Zugleich die Wörter wäsche eines Schriftstellers, Registrierung des gesicher ten sauberen Besitzes. Alles in allem: keine Aphoris-
men-Sammlungr Um das Weiterschreiben zu begün stigen und dem Leser ausreichend Raum für Margina
lien und eigene Beiträge zu bieten, sah er sogar vor, das Buch nach Art mittelalterlicher Bücher mit weißem Papier durchschossen erscheinen zu lassen. In der vor liegenden Ausgabe wird wenigstens an den Übergängen von Buchstabe zu Buchstabe Platz gelassen für alle die
jenigen, die den Autor beim Wort nehmen wollen. In
dessen bleibt es dem Leser unbenommen, das Reper torium, das Doderer 1941 begonnen und bis zu seinem Tod im Jahr 1966 weitergeführt und dabei selbst im
Lauf der Jahre überwachsen und überwildert hat, als sein eigenes, Doderers „wahres Portrait“ anzusehen
und - trotz der griffigen Form — zugleich als ein Buch, wie es in dem Artikel ¡Lesen' anvisiert wird, als „ein heißer Topf ohne Henkel: nun trinke draus, wenn du’s
vermagst!“
Repertorium
A
Abenteurer
Der Abenteurer hat ein Leben, das am allerwenigsten darauf angelegt ist, sich selbst einzuholen: es rennt in langen, bunten Zügen vor ihm her, er wird es nie er reichen, mag er auch die Umwelt, die er eben gesetzt hat, so rasch wieder verlassen, daß sie noch schwankt und zittert im Vorgänge der Konkretion, zu deren
Vollendung immer auch einige Dauer gehört, die ihr
jedoch ein solches Leben niemals gewährt; denn es ist
in unausgesetzt aufeinanderfolgende dramatische Ab
läufe atomisiert, die in ihrer Gesamtheit schon so monoton sind, wie ein steckengebliebenes episches Ge schehen, das um sich selbst rotiert.
195 3
Abhärtung
Was uns einst zweimal in der Woche über den Haufen
werfen konnte, das erzeugt heute nur ein leise an wellendes Unbehagen, welches kaum die Tagesleistung
alteriert. Unser Festigkeitsgrad wächst. Und ganz all mählich, will mich bedünken, wird so aus dem Men schen eine Art Crustacee. Er kommt nie mehr aus die
sem Gehäus, und schon gamicht mehr aus dem Häus chen.
’953 21
Ablehnung, stumme
Man darf nicht von jedem Sdiusterbuben auf der Straße
sich pfeifen lassen. Kennt man einmal das eigene Ge wicht, dann gestatte man kein Zupfen an dessen Hen
keln: wer es heben will, schließe um diese die Hand.
i9j6 Abreisen
Reisen, migrare, ist ein Vorbild des Todes. Auch be deuten Reiseträume unser Denken an den Tod. Abrei
sen heißt, alles liegen und stehn lassen, schnittweis, integral. Abreisen ist eine sinnbildliche Darstellung der
Dezision. Man prüfe sich daran. Ob auch alles zu Ende und gleichgültig sei, was dahinten bleibt? So, daß es
uns gamicht mehr affiziert? Dann sind wir abgereist. Nur dem Heiligen ist die Ausreise aus der eigenen Biographie möglich: er allein weiß um die Nichtigkeit
des biographischen Gepäcks in toto. Wir aber sondern nur immer das und jenes Stück als ein bereits minder gewordenes aus, und treffen dabei nicht immer das richtige; ja, später schmerzt’s uns gar, daß der oder jener
Koffer fehlt, den losgeworden zu sein uns einstmals
fast ein Gefühl des Triumphs erzeugte.
>951
Affekt als Lebensflucht
Es gibt wilde Meutereien, bei denen ein garnicht vor handenes Bedürfnis an den Haaren herbeigezogen
22
wird - wahrlich heißt das Karl den Kahlen an den
Haaren herbeiziehen! - um jetzt als vordringliche Fah ne des AufStands geschwungen zu werden: einfach des
halb im Grunde, weil wir nicht leben wollen. Aber
solche Akte des Unsinns verstricken und verfilzen uns
nur noch tiefer in des Daseins Netze; und so haben sie audi ihr Gutes. Wir werden da zerfasert und aufge rauht, jedoch auch, vornehmlich durch unsre eigene
Widerwärtigkeit, die gut sichtbar wird, tief erschreckt und belehrt. Ohne alledem aber würden wir vielleicht
bald allzu glatt werden, ja abgegriffen wie Türschnal len und ausgeschliffen wie Rinnsteine.
1953
Äffereien
Die Stützen, mit denen sich einer im Wohlbefinden
hält - wo er dann Wirkliches und Dauerndes vollbrin gen mag! - sind oft nur Strohhalme oder lächerliche Fischbeine eines Mieders: eine kleine Äfferei, ein be stimmtes Parfum, ein Stift oder eine Feder, die gefallen, oder ein Hut, oder eine Prise Arroganz, oder ein hoch
geschlagener Mantelkragen. Aber wir sind nun einmal
vom Psycho-Physischen abhängig, und wenn es sich nicht fügt, blockiert es den Zugang zum nächsten Stock
werk. Alle jene Hilfen sind also zu billigen. Man billige
sie sich zu und kümmere sich nicht um allzu vernünftige Menschen, die immer nur lauter gute Eigenschaften ha
ben und sehen wollen, bei welchen dann nicht das ge 195 3
ringste herauskommt.
23
Ahnungen
Unser wahrer Besitz besteht in der jeweiligen Spitze unserer Ahnungen. Sie allein sind unser wirkliches
Leben. Das übrige ist zottelnder Nachtrab.
I9i i
Alkoholismus
Ich halte jeden Menschen für voll berechtigt, auf die -
von den Ingenieursgesichtern und Betriebswissenschaft lern herbeigeführte - derzeitige Beschaffenheit unserer
Welt mit schwerstem Alkoholismus zu reagieren, soweit er sich nur was zum Saufen beschaffen kann. Sich und
Andere auf solche Weise zu zerstören ist eine begreif liche und durchaus entschuldbare Reaktion. Wer nicht
säuft, setzt heutzutage schon eine beachtliche und frei 1966
willige Mehr-Leistung.
Allein
Man muß es wirklidi genau und jederzeit wissen, daß
man allein sei: sonst verliert man den festen Stand und kann auch demjenigen keine helfende Hand mehr bie ten, mit dem man vermeinte sich verschmelzen zu kön nen.
1959
Allgemeinbildung
Allgemeinbildung ist, so harmlos das Krankheitsbild
immer auf den ersten Blick aussehen mag, doch nur in 24
sehr vereinzelten Fällen heilbar. Das ist ganz ähnlich wie bei den sogenannten Gesinnungen.
1942
Alter Man muß den Mantel konkreter Tätigkeit im Alter
dichter um die Schultern ziehn, um bei herandringender Weltraumkälte bestehen zu können.
1965
Altern - seine Theorie
Was wir nicht kraft der punktförmig wirksamen Einsidht - die kurzen Prozeß und hinter vielem einen
Punkt macht - ein für alle Male gewinnen wollen oder können, das müssen wir auf dem langen und wenig
fruchtbaren Wege der Abschleifung und Abwetzung
erreichen, wobei sich die Erfahrungsrillen nach und nach vertiefen. Das Leben stellt uns die Wahl frei, ob wir als Philosophen ein für allemal belehrt oder als Tiere allmählich dressiert werden wollen. Im ganzen
ergibt sich aus alledem eine Art Theorie des Alterns, und zugleich die Respektlosigkeit vor diesem.
195 i
Anekdoten Alle Anekdoten sind Lügen. Entweichendes Leben, dem
man plötzlich das letzte Schwänzchen angenagelt hat: wie im Schreck erstarrte das Ganze2}
1954
Anschaulichkeit - Unanschaulichkeit
Was immer geschieht, um die Bedeckung des unmittel
bar nächsten Lebensbedürfnisses eines einzelnen Men schen - liege das auf höchster oder niederster Ebene! hinauszuschieben, weil vorher noch Anderes getan
werden müsse: was immer da geschehen mag, und sei’s gleich in der Meinung und auf dem Wege, jenem Be
dürfnis weiterhin zu entsprechen: es führt zur Unan
schaulichkeit.
1943
Antinomie der Kontinuität Die Identität mit der Vergangenheit: das sind wir
selbst: und zugleich müssen wir jene Identität durch
Haltung und Taten widerlegen, denn, fielen wir zu rück, wir leugneten uns selbst, und alles wäre vergebens
gewesen. Das ist eine der Antinomien werdender Per
son.
1933
Apparat
Wenn wir zur Intelligenz erwachen, so entleeren wir gleichsam den Raum um uns vom Ephemeren, das uns
zu nahe gerückt ist, und erwachen also zugleich zur Distanz. Daraus folgt dann, daß auch die Verrichtungen
des täglichen Daseins, vom Feuermachen bis zum Briefe
schreiben, uns weit leichter, ja wie spielerisch ankom-
men: wir haben uns dem Apparat entfremdet, und da
1933
her gehorcht er uns jetzt. 16
Apperception
Jede wirkliche Apperception ist konservierend. Was
man genau sehen will, wünscht man nicht geändert zu haben. Die Grundhaltung des Geistes in Bezug auf sei ne Objektswelt ist konservativ.
1944
Apperception - ihre verändernde Macht Jeder Sachverhalt - auch ein böser - beginnt zu zer
fallen, wenn er gründlich und allseitig und ohne Wider stand appercipiert wird: man ist damit schon auf dem
Wege, ihn aus der Welt zu schaffen; dies letztere ist
nur auf indirekte Weise möglich; ich bemühe mich, das Phänomen genau zu erfassen und zu beschreiben, ganz
so wie es ist: während ich es aber recht greife, zerrinnt es, wie die aus dem Meer gefangene Qualle - und wird
am Ende das, was es gleidi hätte sein sollen: nämlich fast ein Nichts. Die Apperception vernichtet die Sache.
Ihr Gegenteil, die Deperception (das Absehen-Wollen von etwas und seine Unterdrückung) wirkt auf den
jeweiligen Gegenstand verstärkend. Er wird dabei zu sammengepreßt wie eine Sprungfeder.
¡957
Apperception und Sprache Die Apperception verbindet chemisch mit dem Objekt,
die Sprache trennt und befreit uns davon, wenn sie es
bewältigt.
>952
27
Assoziationen
Man muß nicht in jedes Assoziationsgeschiebe gleich
Bedeutung legen, aber man muß vor diesem unend lichen Plankton (das nicht geringer ist, als der Strom
der Welt) Respekt haben, denn es kann Bedeutung also ein Wink zum Deuten und für dieses - jederzeit
daraus hervorkommen.
1954
Aufdeckung wahrer Verhältnisse
Mitunter - nicht eben oft - bringen einem die Menschen ihre perfekte Unfähigkeit plötzlich ganz dick herein,
ja, sie tragen einem das steinweis in’s Zimmer, und beginnen sogleich jene Trennwand selbst zu mauern,
hinter welche wir sie längst hätten stellen sollen, als in
ein rechtes Jenseits im Diesseits. Ist’s aber so weit, dann beginnt auch der plötzlich ganz handhaft dastehende
Sachverhalt sogleich diskussionswürdig zu werden, während bisher von ihm nur diffuses Unbehagen aus
ging.
Aufschieben
Ein wiederholtes und übermäßig zähes Zurückwei
chen vor einer Obliegenheit zeigt an, daß wir uns vor dieser in einen deperceptiven Zustand, also hinter die
Wand zweiter Wirklichkeit zurückgezogen haben, nicht aber, daß wir bloß in harmloser Weise faul oder augen
blicklich träge sind. Vielmehr sind wir von dort drüben, 18
wo wir jetzt in Apperceptionsverweigerung hausen,
garnicht mehr fähig, den Gegenstand, um welchen es sidi handelt, noch zu sehen. Neunmal aufgeschoben
macht blind für die Sache; und das wollten wir ja werden.
Augenblicke,
1957
produktive
Man darf nicht immer nur in produktiven Augenblik-
ken leben wollen. Hintnach gehören sie garnicht uns; aber die Pause, nach welcher sie dann eintreffen: das ist unsere Sache; und wenn wir’s da schlecht machen, wird
sie immer länger, ja, sie währt bis zum Tode, dem
unser geistlicher dann bereits vorausgegangen ist.
1957
Aura (Leben) Es kann nichts Entscheidenderes geschehen, als daß die
Aura sich wendet. Im einzelnen Leben und in der so
genannten Geschichte. Erst ist diese Wendung, und alle
Einzelheiten interpretieren sie nur. Unser Leben ist Gleichzeitigkeit im Angrenzen von allerlei Jenseits im
Diesseits rund um uns, und Aufeinanderfolge im Wech
1954
sel von Auren.
Aussenbild, das
eigene
Man sieht - im sehr Vergangenen - merkwürdigerweise dann und wann das eigene Gesicht, ein Außenbild, das
29
nur auf solche weiteste Distanz für uns scheint sichtbar
werden zu können. Es ist immer ein Gesicht, das von
uns schon abgefallen ist. Es enthält unseren Habitus ganz. Der Ausdruck dieses Antlitzes ist stets un-intelli
15 ff
gent.
äusseres
Leben
Es stürzen die faktizitären und chronikalischen Ein
dränge an uns vorbei als würde man stetig Säcke mit
ungeknackten und in alle Ecken sich verrollenden Nüs sen hinschütten.
1938
Autobiographie
Zunächst muß das eigene Leben' aus den Ordnungs
rahmen fallen, die man ihm schon ganz gewohnheits mäßig gab, jedesmal, wenn man es ansah: dies ge
schehen, weitet es sich sogleich enorm aus, die Rahmen
lehnen als kleine Gitterchen abseits, und dieser neue
Aspekt ist eines vor allem: erstaunlich. Damit ist eine
Autobiographie möglich geworden.
^94^43
Autobiographie
Schließlich hebt man den Deckel wie von einem Topf: und sieht in sein eigenes Leben, und hat den ganzen
Speisezettel um die Nase: was es zum Frühstück gab,
was zu Mittag, und was am Abend. In diesem Augen-
3°
blicke aber hat man merkwürdigerweise nicht nur be
reits gespeist, sondern auch schon - gefressen.
19s1
Autobiographie und Roman Wenn wir unsere Lebensfähigkeiten entdeckt haben, werden wir unsere Unfähigkeiten nicht mehr irgend wie anordnen wollen - worin für die meisten Autoren
das Romanschreiben besteht, welches aber in Wirklich
keit jenseits des direkt Autobiographischen erst seinen Anfang hat.
1965
Autor - seine Optik
Wenn ein Autor nicht für sich selbst durchsichtig wird, kann er nichts sehen: nur der Blick durch diese mensch
liche Linse, die er sich geschliffen hat, ermöglicht ihm,
die Dinge in ihrer Aura wahrzunehmen, welche jene ja erst sichtbar macht. Das nackte Objekt ist unsichtbar, es
zerfällt zu Staub.
*953
31
Einträge zu A
32
B
Banalitäten
Nur die Banalitäten der ersten Dinglichkeitsreihe leuch ten wirklich, besser: wenn sogar Banalitäten zu leuch ten beginnen, dann ist die Sonne der Wirklichkeit in
unserem Leben aufgegangen, wir haben Außen und
Innen vollends verschmolzen.
19 J 5
Bassesse
Irgendwo dazugehören zu wollen, ist Niedrigkeit, bas sesse, ein Ausdruck, den Stendhal gerne gebraucht, etwa in ,Vie de Henri Brulard*. Aber auch zu seinem eigenen Sack und Pack und Schnack, mit welchem man vom
Leben beladen worden ist wie der Esel vom Müller mit
den Mehlsäcken, sich auch noch begeistert zu bekennen, ist um nichts besser.
1933
Befangenheit
Daß wir befangen sind: wir müssen es hinnehmen, es ist eine Grundbedingung. Wir haben nicht danach zu streben, durch komplettes Wissen unsere Befangenheit,
aus der wir leben, zu sprengen. Andere Wege sind uns zugedacht, nicht gradaus, gegen die Gashülle zu, um sie
33
zu zerreißen: sondern kurvenreich innerhalb ihrer, und so nicht minder in einem unendlichen Raum.
Befinden,
2
übles
Unsere schweren verhängnisvollen Disphorien sind
unser Schatz. Alles andere täuscht. In ihnen allein zeigt
sich, wohin wir gelangt sind und wohin eben noch nicht, an welchem Punkte wir halten und wo durchaus noch nicht. Sie sind die wahre Bestandsaufnahme, der Halt
und Anhalt, das Weichen des Wassers im Bett des Lebensstromes, wodurch erst die Steine am Grunde -
jene, über die er uns noch nicht hinweggeführt hat! -
¡9i(
sichtbar werden können.
Begierden Es ist durchaus möglich, daß wir uns Begierden einbil
den, weil wir sie gern haben möchten. Beim Hausmei
ster, mit dem uns solche Begierden schließlich gemein sam sind, heißt das dann schon ,unwiderstehlicher
Zwang*.
1961
Begriff Die stillen Minuten oder Stunden sind wie aufgestellte
Schalen, in denen der wesentliche Inhalt gegenwärtiger Lebenszeit zusammenrinnt und sodann geprüft werden
kann. Hier hat er die Namen, welche er sonst am Tage 34
führte, abgelegt oder vertauscht und, ganz wie im Traume, kommt hier erst ein Wort zu seiner wahren Bedeutung, welche immer, gegenüber der begrifflichen, eine Ekstasis darstellt.
1941
Beghjffs-Reinigung
Begriffs-Wäsche, also die Reinigung von Begriffen,
macht es erforderlich, daß man diese in das Säurebad fundamentaler Skepsis werfe. Nur von dort unten wird
man sie blank wieder hervorziehen. Excepta religione, weil wir das falsche Gegensatzpaar des neunzehnten Jahrhunderts, Frömmigkeit und Intelligenz, wieder auseinandergenommen haben und es mit dem hl. An
selm von Canterbury halten, von dem der bekannte
Satz stammt: neque enim quaero intelligere ut credam,
1946
sed credere ut intelligam.
Behagen
Das wirkliche Behagen bemerkt man nur nebenbei. Es
ist keine separate Speise an der Tafel des Lebens, son
dern ein Beigeschmack, den gewisse Gerichte haben.
Aufs Behagen kann man nicht den Blick einstellen. Es befindet sich nie uns gegenüber im Mittelpunkte der
Aufmerksamkeit - dort ist’s unmöglich zu fixieren oder
nur in widerwärtiger und monströser Weise. Sondern es wird am Rande des Blickfeldes eben noch mit-ge-
35
sehen. Daher wohnt es in den Augenwinkeln, nie im
frontalen Blickstrahl eines Menschen: hier wäre es ab surd, dort kann es liebenswürdig sein.
194t
Bereitschaft
Das Leben zeigt uns allermeist den Rücken. Schon die stumme Welt um uns verhält sich so, und nicht nur die
Bücher am Regal. Jedoch müssen wir in jedem Augen blicke darauf gefaßt sein, daß sich irgendetwas um
dreht und uns anschaut: dann soll uns solcher Blick
durch ein offenes Herz dringen.
1953
Bereitschaft Nichts sei, damit uns was werden könne. Keine Sprache vor der Sprache, keine Lust vor der Lust, keine Ord
nung vor der Ordnung, kein Wissen vor dem Wissen,
keine Lehre vor der Belehrung: damit wir alles dieses zu erhalten uns fähig halten. Trifft die Lehre in vor
bereitete Leere, dann erst entsteht die Apperception, unsere chymische Hochzeit mit dem Leben.
1960
Berufs-Schriftsteller Der Berufs-Schriftsteller macht seine Muse zur Prosti
tuierten und wird dann ihr Strizzi.
36
1954
Besserung Es könnte einem auch leidtun um ein Laster, das einen
verläßt, einen Fehler, dessen man nicht mehr fähig wäre. Man hat sie bekämpft und darin war Spannung.
Jetzt ist da nichts mehr. Leere, Erfüllungs-Rüchstoß.
Eine Tür ist zugefallen.
1963
Bewältigung
Die Unmöglichkeit der Bewältigung: ja, sie gerade ist es, die unsere Versuche frei macht, da wir nie besorgen
müssen, an irgendeinem Rande anzustoßen. Das Nicht-
zu-Bewältigende gibt uns die Ellbogenfreiheit zum Versuche, die Bewältigung dennoch zu wagen.
1962
Beziehungen zu Menschen
Einer höheren Intelligenz ist es unwürdig, das Spinnen netz von Beziehungen zu anderen Menschen nicht zu
untersuchen und die Personen nicht richtig zu orten. Das allgemeinste und erste Ergebnis dabei wird wahr
scheinlich sein, daß weniger Beziehungen vorhanden sind, als bisher schlampig angenommen wurde; daß
vielfach nicht Bezüge vorliegen, sondern nur isolierte Punkte im Raum; und wo Bezüge sich finden lassen, daß diese nicht den leisesten Zug aushalten würden, ohne zu reißen. Es sind nur Spinnenfäden. Wir haben sie gesponnen. Wir spinnen da, im ganzen Doppelsinne
des Wortes.
>933 37
Bierehrlichkeit
Wir dürfen nicht ganz grad, direkt und bierehrlidi da herkommen: das hieße mit dem Leben auf schlechtem Fuße stehn und dessen Mechanik nicht als eine Eigen schaft gewordene Erkenntnis innehaben; außerdem aber, seinen Mitmenschen jenen Grad von Intelligenz schuldig bleiben, der ihnen in jedem Sinne gebührt. Wir
müssen schon ein bißchen kalt, distanziert, konfisziert sein; sonst sieht man unsere Eingeweide, wie bei einem
Kaulquapp. Derartiges ist töricht und unanständig. i9ji
Bildung
Was man Bildung einst nannte - eine schwere Stein metz-Arbeit an sich selbst, den Kern herauszuhauen,
den man immer nur ahnt - das zerflattert heute in Kur sen und Weibergeschwätz. In die Hochschulen, deren verlorene Universalität nur in dem über allerlei Fach
schulen gestülpten Namen noch ihr Schattendasein an
deutet, sind Sport und Politik und Menschenmassen eingedrungen, die, was einst Gestalt und innere Span
nung hatte, wie Treibsand verschütten.
1937
Bildung Bildung wird etwa heißen: sehr viele distinkte, kom plexe und einander widersprechende Erlebnisse gehabt
und genau beschrieben zu haben; oder: in eine Gesell-
38
schäft tretend, auf den meisten der besetzten Stühle schon einmal gesessen zu sein, so daß man fast mit dem
körperlichen Auge die Globen der Befangenheiten
einander berühren und sich schneiden und durchdringen sieht.
1942
Biographie - ihr heuristischer Punkt In jedem Leben suche man dessen Schwächezwang, dem es zu entgehen strebt, sei’s in welches Material immer.
Hat man diesen Punkt ertastet, so wird man alles ver
stehen.
1961
Biographie jedermanns ,Es ist schad’ um mich* darf Jeder sprechen, aber nie so,
als hätten ihm andere Menschen oder die Umstände das Beste seines Lebens gestohlen, sondern er selber ist der Dieb; und wenn er andern diese seine wesentliche Rolle zuschiebt, kann er mir seinerseits gestohlen werden.
1954
Biographie jedermanns Unsere Biographie: ein in früher Jugend platzender Charakterkern von hoher Brisanz - das übrige waren Nachspiele, nachwehende Streifen, die immer matter
195 7
niedersanken.
39
Biographische Hauptdaten Die wesentlichen Themen eines Lebens sind nicht in
dessen Hauptsachen und deren Daten anzutreffen, son
dern in sehr vielen kleinen ,Seitensätzen*, deren Kenn zeichen ist, daß sich jedesmal in ihnen der moralische
Stand unserer Person gegenüber solchen Menschen er
zeigt, die uns nur flüchtig und oft nur ein einziges Mal ij$4
begegnen.
Brutalität Brutalität und weiterhin Grausamkeit sind die Vor
wölbungen, durch welche der Mensch, wenn er kann,
die Basreliefs, die er sich vom Leben mußte unverwisch-
lich einpressen lassen, anderswo ausgleicht. Die Brutali tät weiß noch ein wenig von ihrer eigenen Herkunft
(Brutale sind oft sentimental). Die Grausamkeit aber
steht schon im Rausche des erreichten Nicht-mehrWissens.
1943
Bürger, der - als Künstler
Ich kann mir diese vorsichtigen Hausmeister schon den ken, die keine zwei Schritt weit weg sich wagen vom Einschlupfloch zur Höhle ihres Vorteils! Nichts Üble
res, als wenn so einer mit seiner ganzen Käsfüßigkeit auf’s Gebiet der Kunst gerät. Seine Spur dort stinkt. 1960
4°
Busse Buße ist: der Mensch spricht tathaft aus, daß er seinen
Schöpfer verstanden hat und dessen Willen in seinem
eigenen Leben nun durchsetzen will, daß er sich mit diesem Willen zu durchsetzen strebt, im steten Blick
auf seine Irrtümer und Anfälligkeiten, welche ihm
aber, eben durch einen solchen Akt, bis zu einem ge wissen Grade zu Objekten werden.
41
1953
Einträge zu B
c Chaos und Ordnung
Man soll nie glauben, daß man im reinigenden Bad des Chaos zu tief untertauchen könnte; getrost; leider ge trost; die uns umschließende Korkweste falscher Ord
nung treibt uns bald wieder an die Oberfläche.
1952
Chaos und Ordnung
Chaos ist bildsam, dadurch in der Möglichkeit, frucht bar zu werden. Nur das konsolidierte Chaos einer
zweiten Wirklichkeit verwehrt der eindringenden
lebensgemäßen Ordnung ihre Wirkung.
1914
Charakter
Voraussetzung zum Sehen jedweden Charakters ist die
Ekstasis aus dem eigenen.
1952
Charakter
Es ist vielleicht jeder aussichtsreichere Charakter ein circulus vitiosus ineinandergreifender Defekte, ihr
perpetuum mobile: und das Anhalten solcher zyklischer 43
Bewegung der bedeutendste Effekt, den wir ver ursachen können, weil jener Zyklus damit als eine Figur erwiesen wird, die immer offen war und welcher eine,
nur vordem noch unentdeckte, ganz andersgeartete
Elongatur eignete.
i9J4
Charakter
Was uns am wenigsten bewußt ist, das ist uns merk
würdigerweise am meisten verständlich, nämlich schon selbstverständlich. Dieser Kern des Charakters konsti tuiert unser ,Außenbild* (um mit dem psychologischen
Feldwebel Müller-Freienfels zu reden). Daher denn dieses für Andere unverständlich bleibt, sei’s nun an
ziehend oder abstoßend.
1959
Charakter(e) Stark in seiner ersten Dinglichkeitsreihe wirkt, war
nicht außer sich sein will: es trägt seine Aura unbedeckt,
dringt schamlos mit ihr an des Fremden Nase; Unbehol fenheiten sind hier keine Provisorien; sie werden stän
dig wiederholt, bilden eine Kette von Definitiven, einen starken Strang des Charakters, der so an Tag tritt, und
nie anders, sondern mit immer gleichbleibender Raum verdrängung von hödistem Echtheitsgrad. Man kann
hier nur beiseite treten. Am besten, man entfernt sich
I9J7
ganz. 44
Charakter - Dämonologie
Jeder Mensch, der nur seinen Charakter realisiert, ist 19p
dämonisch.
Convenü
Ein Convenü ist eine allgemein verbreitete Entspre chung zwischen dem Kurz-Zeichen für eine Sache und
dem Erlebnis, das man immer wieder angesichts ihrer haben kann.
1951
4J
Einträge zu C
46
D
Dämonen Das Erotische und das Grammatische (hier für das
Künstlerische schlechthin genommen) gehören irratio nalen und unerforschlichen Wertsystemen an. Das Dämonische garkeinem. Es steht seitwärts von jedem
Wert und tendiert gegen jeden beliebigen, der es an
195J
zieht.
Debatten - ihr Wert in unserer Zeit ,... Auf eine Rundfrage, betreffend die Klärung gei
stiger Widersätze durch eine Art von agonaler De batte in einer freien demokratischen Welt, erwiderte er,
da£ vorerst das brachiale und individuelle Vorgehen
Einzelner gegen Einzelne ermöglicht werden müsse, um die physiognomischen Klassen handhaft voneinander
zu scheiden; anders könne es zu einer Klärung der Be
griffe nie kommen. Nach Austausch von Vor-Prügeln jedoch würde man des weiteren - wenn es etwa ge
lungen sei, die Grenzen zwischen Literatur und NichtLiteratur auf brachiale Art tief einzuprägen - zweifel los mit hervorragenden Ergebnissen verhandeln .. .* >954 Dekalogisch und Ideologisch
Den Sünder trennen seine Sünden von Gott. Den Ideo47
logen auch seine Heldenwerke. Jener hat Anfälle von
dekalogischer Blindheit. Bei diesem ist sie habituell ge
1944
worden.
Demokratie Die Demokratie ist die edelste Form, in der eine Nation
zu Grunde gehen kann; dies zeigt schon das antike Bei spiel Athens, und ebenso zeigen es die heutigen, dem Gesetze nach demokratischen Staaten: Begräbnisse
erster Klasse. Wir können zufrieden sein; unser Epi taph wird anständig aussehen: worauf’s ja zuletzt an
1961
kommt.
Denken Jeder zu früh klar gefaßte Gedanke zersetzt wie ein
scharfkantiger Fremdkörper den schöpferischen Erßuß
in uns, und ist für den Schritt des Geistes nichts als ein Steinchen im Schuh.
19p
Denken Tief denken heißt in das Denken versinken wie in
einen Tiefschlaf: Lethe für die empirische Person. Denkschlaf. Denkend schlafen, und im Denken schla fen, wie der Albatros in der Luft schlummert oder die
Möwe auf dem sanft schwankenden Wasserspiegel. iSji
4«
gibt Denk-Gewitter, welche die Atmosphäre reini. Womit nicht gesagt ist, daß man erst zu denken |at, wenn’s blitzt und kracht. Man hat vor dem schon genug zu denken gehabt.
1960
Denken des Künstlers
Der Künstler muß auch auf eine neue Art des Denkens
verfallen, das nicht auf den Legalismus der Begriffe und Definitionen versessen ist, sondern die gestalt weisen Essenzen gegeneinanderführt und sie kämpfen
läßt. Denn all unser Denken spielt sich ja in seinen tieferen Schichten in dieser Weise ab, und nur obenaus verfallen wir dem konventionellen Gitterwerk, durch das wir vermeinen, alles pressen zu müssen. Ganz am Rande nur möcht* ich bemerken, daß aus solchem ge
staltweisen Denken jederzeit und fast ohne Mühe ein begriffliches abgeleitet werden kann, welches jedoch
ohne jenes Fundament gestaltweiser Dialektik ein un taugliches Nichts sein wird.
1953
Detail
Der Mensch will im Detail nicht das Ganze haben: son
dern eben vor diesem in jenes flüchten; und schwer
bringt er sich zum geraden Gegenteil, worin doch sein 1961
Glück beruht.
49
Details Details sind uns gegeben, um sie als Handgriffe zu be
nutzen: konkreter Anhalt. Ohne ihn ist keine erfolg reiche Bewegung des Geistes vollziehbar. Im Detail müssen Leben und Denken coagulieren und eins wer
den, jedes vom anderen bedingt. So nur kommt das Denken zu seinem eigentlichen biologischen Wert. 196)
Diabolus
Frei steigende Deperception: so heißt die objekthafle
Anwesenheit des Teufels in der Sprache der Seelen
schlosser. Allerdings ist dieApperceptionsverweigerung das heute von ihm am häufigsten beliebte psycho logische Kostüm.
1943
Dilettantismus Dilettantisch ist jedes Verhalten, welches das Material einer Kategorie - sei’s der grammatischen, der eroti
schen, der ordnend-disziplinären - ergreifen will unter Abschluß von der Entelechie jenes Materiales, welches jetzt um sich selbst herum bewegt wird, jedoch nur
kraft des Entelechie-Restes, der sich keinesfalls daraus ganz vertreiben läßt. Der Dilettantismus der Ordnung ist zum Beispiel Pedanterie. (Angst-Evidenz.)
Der Dilettantismus der Erotik ist die Jagd nach dem
sogenannten ,Typ‘. (Amüsierbetrieb.)
5°
Der Dilettantismus der Grammatik ist das bekannte tSich-Aussprechen*. (Mitteilungsbedürfnis jeder Art.)
Aller Dilettantismus ist phainomenal gewordenes Nichts. Daher besteht er bereits auf sich selbst. Jeder
Dilettant ist absolut unbelehrbar: aus Gründen der
Mechanik des Geistes. Danach erst aus Gründen des Selbstwert-Erlebens.
Es gibt der wirklichen Ordnung gegenüber eben solche pseudologische Praefixierungen, die ihr Weg und
Wirkung verlegen, wie in Bezug auf Erotik und
1952
Grammatik.
Direkt und Indirekt Alles ist Bei-Spiel. Deshalb klingt jede direkte Äuße
rung so hohl: Marginal auf einem Blatt ohne Text. Sämtliche Lebensäußerungen eines Schriftstellers,
Werke, Rede, Brief, Haltung, Handlung, sind Bei spiele, Marginalia. Der Text bleibt unveröffentlicht. 1942 Direkt und Indirekt
Nie werden wir etwas erreichen, da habe es nur einige
Bedeutung, was wir auf dem direkten Wege anstreben, also antizipieren, also uneintreffend machen, weil wir es vorwegnehmend abgeschwächt haben.
1960
Diskussionen
Das Gespräch mit einem intellektuell erheblich schwä51
cheren, wenn auch existentiell entfernt verwandten
Menschen hat etwas vom Coitus an sich: man geht aus
sich heraus und in einen Anderen hinein (so benennt das Baudelaire). Beides darf nur aus einem Zustande
geschehen, dem man ganz zustimmen kann; und das zweite ist dem ersten entschieden vorzuziehen.
1942
Diskussionen
Man sagt leicht jemandem zu viel und zu Deutliches.
Plötzlich sieht man ihn gar nicht mehr, man kann nur
die vielen Einschläge der eigenen Wort-Geschosse er
blicken, um welche herum die noch verbliebene ur sprüngliche Materie konziliant ausweicht; nicht immer aus Tugend der Konzilianz: sondern auch etwa einmal, weil jemand nicht ungeistig und ungebildet erscheinen will, wenn ein Schriftsteller zu ihm spricht. Jedoch,
dein mit Pfeilen wie ein Stachelschwein gespicktes Visä-Vis schüttelt sich später nur ein weniges und sie fallen
alle heraus. Du hast sozusagen auf eine Gummiplatte
194;
geschossen.
Disphorien Die Kette unsrer Disphorien ist nichts anderes als die
Rekapitulation unserer Sünden, die wir schwerlich
werden zu Ende bringen. Die Disphorie ist die Form, in welcher unsere Psycho-Physis uns selbst beichtet.
I9J2
J2
Dissonanzen
Jede in der Tatsächlichkeit auftretende Dissonanz weist zurüdt auf einen tief unter ihren Notenköpfen, in einem für unser Ohr nicht mehr vernehmlichen Basse,
stehenden Antagonismus - einen stehenden, ewigen.
Und das macht alle Dissonanzen für uns so erregend und quält uns, sie zu erforschen. Jeder kleine Streit
etwa zieht so die Metaphysik in die harmlosere Psycho
logie hinein.
1946
Distanz
Uber die schlampig hängende Brücke einer unwahren
Nähe, die aus Wehleidigkeit gemacht ist, kann nur Übles gehatscht kommen.
19$ f
Disziplin Disziplin entblößt mit Vorteil unsere Nichtigkeit: da
durch, daß wir sie nötig haben; und am meisten dann, wenn sie durchaus nichts zu wünschen übrig läßt, und wir doch versagen. Damit schwimmt uns eine immer
noch mögliche Ausflucht davon, und wir finden uns mit unserer Nidits-Bedeutung sauber konfrontiert.
19 i1
Disziplin Wer aus seiner biologischen Schwäche lebt und in Wort
53
und Tat ausweicht vor den Notwendigkeiten, gerät in einen gespenstischen Raum geminderter Wirklichkeit, dessen Wände wackelnde Kulissen sind, Kulissen der
Selbsttäuschung. Wenn jene mindere Sache, die wir -
lächerlicher Weise oft mit Stolz! - Disziplin nennen und mit Eigenbedeutung anreichern, überhaupt irgend einen Sinn haben kann, dann den, uns nicht in Räume
wie den oben angedeuteten geraten zu lassen, aus wel
chen einer nicht leicht wieder herausfindet.
1961
Du
Man muß nur seine Wünschbarkeiten verlassen, und
seine Vorstellungen von Ordnung hinter sich werfen, wie man die haben wollte, und daß man sich bewähren
wollte vor sich selbst oder rehabilitieren vor an deren ... schon beginnt da die Reise zu den anderen Menschen schneller und leichter zu gehen; das muß auch so sein: es ist die weiteste Reise von allen, die wir
zurückzulegen haben.
1953
Dummheit Die Dummheit ist das Nichts, welches sich detailliert
hat, ganz nach dem Vorbilde des Lebens und bis zur Dialektik. Die Dummheit spielt Leben.
Es ist ein Schattenspiel, daher der gespenstische Ein
druck.
1942
54
Dummheit Man mag sich Intelligenz mitunter aus dem Grunde wünschen, um endlich das größte Wunder erschauen zu
können: wie dumm nämlich die Dummköpfe wirklich sind.
1942
Dummheit
Die matrix der Dummheit, das Myzelium, auf dem sie
wächst, ist nichts anderes als eine oft und geschwind im Halbschatten des Bewußtseins vollzogene Abwen dung vom Leben. Die Dummheit ist der kalte Schweiß
unserer Lebensschwäche. Wer das weiß, sich wieder herumdreht und nun dennoch dem Leben entgegen
geht, dem helfen nur Glaube und Hoffnung bei einem solchen Akt, welcher unter Umständen der Vernichtung
vor dem Nichts den Vorzug gibt.
1945
Dummheit
Dumm sein heißt, zahlreiche kleine schnelle aber durch aus verbrecherische Akte zu setzen, durch die einer
seine eigene Leitungsfähigkeit unterbricht. Was in der Imbecillität vorgeht, ist allerdings, wie Franz Blei sagt,
vollkommen belanglos. Fraglich bleibt dabei nur, ob eine vollständige, umschließende Imbecillität gedacht
werden könne. Die Empirie scheint solche Phänomene
Sf
darzubieten. Aber woher kommt dann, so muß hier gefragt werden, bei diesen die affektive Spannung zur
Intelligenz, die ausnahmslos (oder fast ausnahmslos) beobachtet werden kann? Stultitia - keineswegs die simplicitas - als Eigenschaft, nicht als negative Lei
stung, würde die humanitas aufheben.
1952
Dummheit
Dummheit könnte auch kurz bezeichnet werden als
Verleugnung der analogia entis.
19p
Dummheit - Analogien der Die Umgangssprache verhält sich zur Grammatik wie
die Hurengassen-Sexualität zur Erotik, oder die eigen sinnige Pedanterie zur Idee der Ordnung. Bei allen drei Begriffspaaren ist das erste Glied als Phänomen
akzeptabel, als Position - wenn es sich also verhin
dernd oder ausschließend gegen das zweite setzt - ver brecherisch: die Umgangssprache, wenn sie sich prae-
grammatisch, die Sexualität, wenn sie sich prae-erotisch fixieren, die Pedanterie, wenn sie als Ersatz für die
Ordnung auftreten will. In allen drei Kategorien wird da die Entelechie jedes innerhalb ihrer vorkommenden Phänomens geleugnet, die dahin gerichtete Spitze der
Erscheinung abgebrochen, diese isoliert und die Dumm 1951
heit statuiert. 56
Dummheit - ihr Betätigungsfeld
Es sind die Haupt-Stockwerke, die drei konstituieren
den Ebenen des Geistes, welche der Mensch am liebsten zum Tanzboden der Dummheit macht: Sprache, Liebe,
Ordnung. Überall, in allen drei Kategorien, wird
Exorbitantes an stultitia mit einer Art von dunkler Glut geleistet.
Dummheit,
1952
reaktionäre und revolutionäre
Die reaktionäre Dummheit hält das, was sie hatte, für
ein Allheilmittel, die revolutionäre Dummheit das, was ihr fehlt, für ein allgemein brennendes Bedürfnis.
Daher beginnen die Sentenzen und Zeitungsartikel der ersteren meistens mit: ,E$ ist ein alter Erfahrungssatz,
daß.. .*, die der letzteren aber am häufigsten mit: ,Es tut not*.
Die reaktionäre Dummheit erklärt den Spatzen in ihrer Hand für einen Adler und wirft nach der Taube
auf dem Dache mit Steinen, und wär’ es gleich die
schneeweiße, welche den Frieden bedeutet. Die revolutionäre Dummheit will eine Taube braten,
die noch auf dem Dache sitzt, und sie ist ohneweiters bereit, zu diesem Zwecke das Haus anzuzünden. Aber
dem Knockabout fliegt die gebratene Taube nicht in’s Maul, sondern ungebraten davon. Das Haus ist in
dessen abgebrannt; und auf den eingestürzten First wird sich lange kein,Vogel* mehr setzen.
37
1943
Dummheit (stultitia) - Umgang mit der
Gib der stultitia ein Stückchen ihrer selbst zu essen. Sie wird glücklich sein, es gerade von dir (dessen Fremd
heit sie gleichwohl argwöhnisch wittert) zu erhalten,
und wird’s beruhigten Gewissens friedlich verzehren.
Laß die stultitia nie von deiner eigenen Dummheit
kosten. Sie wird dich als Revanche zu einer kannibali schen Mahlzeit einladen, bei der du am Ende selbst der
Gefressene werden kannst. Hüte dich also am allermeisten, deiner Dummheit
unter Dummen zu verfallen. Vor einem der Intelligentia ergebenen Menschen auszugleiten ist gefahrlos. Er wird das Bündnis mit dir hoch über deinem Lapsus hal
ten, wie ja auch du tun mußt, wenn ein solcher ihm zu
stößt. Stolpert die Dummheit und fällt, dann spring* ihr
nicht bei. Es ist dein gutes Recht, ruhig zuschauen zu dür fen, wie deine alte Urfeindin auf den Estrich hinschlägt,
sich in lächerlicher Weise dabei selbst entblößend. Be zwing’ dich, wenn du sie bedecken, dich davorwerfen möchtest. Schweig und tu nichts. Du solltest sie einmal ge
sehen haben, wie sie dasteht, wenn der Geist fällt!
1941
Dummheiten
Unsere Dummheiten, die wir machen, sind unser eigent liches Leben, das Lebhafteste, was wir leisten. Sie sind
tiefsinniger und signifikanter als unsere besten GedanJ»
ken. Daher müssen sie immer möglich bleiben, ja, es müssen sich ihrer neue jederzeit am Horizont erheben. *953 Dummheiten - ihre Entstehung
Es gibt Tendenzen, die wir zu haben wünschen, und
Wünsche, die wir entfachen möchten, nur um dieser Lage hier und jetzt zu entfliehen; unsere Schwäche sehnt sich da ganz einfach nach einem Material, in das
sie hineinverschwinden und dessen Namen sie dann tragen könnte. Die Furcht und Flucht vor dem horror
vacui treibt alles dieses heftig an, und so entstehen die kleinsten und die größten Dummheiten in der Welt, wenn irgendeine Funktion zum Inhalte jener Flucht
funktion wird.
1963
59
Einträge zu D
60
E Egozentrik
Man muß sein ganzes Leben auf die Zuflüssigkeit um
stellen - sie verleiht auch einen reduktiven Blick auf so manches - um die unschöpferische Autarkie der Person praktisch zu negieren und damit freilich auch den Ego
zentrismus, der nur ein Bein ist, das uns jener autarke
Aberglaube stellt.
i03
Ehe
Diverte Ehen, die man so sieht: ein tolles Institut. Ein
absolut Irrationales - Baudelaire sagt, es ähnle mehr einer chirurgischen Operation als einem Liebesakt! -
umbaut von lauter rationellen Anstalten, obco-vopwc. Aber das punctum nascendi der Sache und der Schwer
punkt davon überhaupt, bleiben doch, positiv oder negativ, im Irrationalen und also auch A-Rationalen! Es kann nur schiefgehen, es ist ja bereits schief be
1964
gonnen worden!
Ehen, schlechte
Sogenannte schlechte Ehen halten oft deshalb gut zu sammen, weil sie nicht selten außerordentlich aufrei bend sind. Den Leuten bleibt keinerlei Lust und Kraft 61
zu Seitensprüngen. Sie sind durch ihr eheliches Unglück so fest gebunden, wie andere durch ihr Eheglück; ja,
fast möchte ich die erste Art der Bindung für die noch 19 fj
festerehalten.
Ehrfurcht Die Ehrfurcht ist eine sehr zeitraubende Eigenschaft.
Sie ist keineswegs eine Neigung zu Illusionen. Diese verliert das Gleichgewicht, auf eine undeutlich gesehene
Welt zu stürzend. Jene aber, die Ehrfurcht, traut sich an die Welt noch garnicht heran. Sie ist wie ein Kind
vor dem Schaufenster: es drückt sich das Näschen platt. 1952
Eigenheiten
Man soll seine Eigenheiten nicht für Begabungen hal ten. Sie sind nicht einmal Begabungs-Pforten, sondern das Gegenteil: blinde Tore, vermauerte Bogen.
1963
Einfälle Jeder Einfall ist ordinär, sensationell, eine Geschwulst
im Denken, die sich von diesem gern absondert, ein Tumor, der sich dann selbst organisiert. Unser Blut muß die Kraft haben, ihn aufzulösen und rückzubilden, dann kreist er in ihm als erregendes Gift, das zu einer
neuen Stufe der Gesundheit helfen kann. 62
1942/43
Einsamkeit Man flieht in die Einsamkeit nicht so sehr vor den an deren Menschen, als vor dem, was aus einem selbst
wird, wenn man unter ihnen verweilt. Man flieht aus der Einsamkeit nicht so sehr zu den
anderen Menschen, als vor dem, was aus einem selbst
nicht geworden ist, während man allein verweilte. 1942
Einsamkeit - ihre Ortung Man muß endlich erkennen, daß rund um einen selbst
durchaus taubes Gestein sei; man darf sich nicht mehr dem entgegensetzen, zu wissen, daß die spirituelle Ma
terie - denn Materie ist und bleibt sie, an ihrer Her kunft gemessen und agnosziert - ebenso selten ist, wie
die physische Materie im Weltraum.
1952
Einsicht und Eigenschaft Eine Einsicht muß sich immer noch schärfer, immer an
schaulicher, immer leuchtender formulieren. Auf diese Weise bringt sie sich allmählich ins Blut, und wird zur Eigenschaft. Man bewandert nicht, so hat es Gütersloh
einmal ausgesprochen, stets neue Wege: ,von einem ge wissen Alter an tritt man vielmehr die eigene Spur im
mer tiefer und sinkt schließlich als Meilenstein in die 1952
Erde*.
¿3
Einwände
Einwände werden heutzutage gewöhnlich zu früh vor gebracht, bevor eine Eindrucks-Welle sich ganz aus gelaufen hat, in uns eingedrungen und uns damit in
wendig geworden ist. Jetzt erst geschehe der Einwand: wenn die Eindrucks-Ebbe schon beinahe von selbst hin ter sich weicht. Nur so kann des Lebens Brandung recht
heranlaufen, auslaufen, zurückfluten: ein harmonisches
Widerspiel von Position und Antiposition. Aber heute geschehen alle Einwände in hastiger Eindrucks-Ab
wehr.
1961
Ende und Anfang
Wehren wir uns nicht gegen das, was ist, und am Grunde der zerfallenden Lage durch die unvorgeord
nete Apperceptivität sichtbar wirdl Anders können wir nie davon abstoßen und loskommen. Ein Punkt,
um verlassen zu werden, muß deutlich sein, ganz so wie der hinter einem Satze: hier ist er Ende, dort ist er
i9gi
Anfang.
Enthaltung
Das Sich-Enthalten bildet ein wichtiges sekundäres
Mittel des Geistes. Man soll dieses nicht gleich gering
schätzen, wegen seiner negativen Vorzeichnung. Von der Askese ist hier nicht die Rede. Sie kann nur auf 64
wüt höherer Ebene überhaupt in’s Auge gefaßt werden. Man muß sehr viel Enthaltung geübt haben, um die
Augen zur Möglichkeit der Askese erheben zu können. Enthaltung zum Beispiel vom Antworten auf eine
Frage (wir vergessen dieser Möglichkeit zu sehr, und
daß es schließlich auch oft in unserem Belieben steht,
einfach zu schweigen; der Herr hat im Angesicht des Todes geschwiegen, als Pontius ihn fragte; wir sind von jeder Frage gleich fasziniert und mobilisiert). Enthal
tung vom Mitreden, weil grad eine Sache in’s Gespräch kommt, zu der man was weiß. Enthaltung von der
Konversation überhaupt, soweit die Höflichkeit es zu läßt (dies darf sich der Schriftsteller getrost gestatten,
es ist sein Recht). Enthaltung von unnötigen Hofierereien und Eindrudc-Machereien beim Frauenzimmer (von dessen Dummheit, Ordinärität und verräteri
schem Wesen wir immer eine nur ganz unzulängliche und blasse Ahnung haben). Enthaltung von allen wie immer gearteten Vergnügungen der gebildeten und un
gebildeten plebs: Zeitung, Kino, Radio, Theater, Kon zerte, Ausstellungen und Veranstaltungen, Geschwätz, Trunk, Zeitvergeuden, Wirtshaus-Hocken. Enthaltung von allem, was man gleich haben kann, wonach man
nur zu greifen braucht: die eigenen Kenntnisse, Mei nungen, Anekdota (auch die nicht erlogenen). Ferner das Schlampampen der Stimulantien, die hiedurch ihren
Wert verlieren - so daß reinigende Exzesse nicht mehr
möglich sind - sonst aber einen fast unschätzbaren Wert
haben, solange sie distinkt und solitär bleiben: Kaffee,
Tee, die Zigarette, der Alkohol. Enthaltung oder
höchst vorsichtige Wahl von Trinkgesellschaft. Man saufe allein und daheim. Enthaltung: nicht gleich nach allem greifen, was man
hat. Nicht sich einlassen. Zurückweichen. Einen Spalt von Distanz öffnen zwischen sich und der Welt. Er wird bald breiter und tiefer. Der Gewinn ist ungeheuer. I9J2
Entscheidung Jeder Entscheidung muß eine letzte, unbehebbare Schwere eignen, als ihr innerster Kern, die dunkle
Stelle, um welche ja das Wagnis geht. Und dies muß
sozusagen als Ganzes und unzerlegt geschluckt werden wie eine Pille. Es zu durchdringen ist unmöglich. Also: die Begrenztheit unseres Erkenntnisvermögens macht
überhaupt eine Entscheidung erst zu einer solchen. Da
her diese denn auch uns in bisher unbekanntes Gebiet
zu führen vermag.
1963
Entschiedenheit
Die Dezision schießt wie ein Springbrunnen auf; aber,
ganz wie ein solcher, teilt sie sich in feinsten Wassers-
Staub und feuchtet unseren Garten und erfrischt und ermuntert ihn, vielfältige Flora an’s Licht zu treiben. Die wahre Entschiedenheit macht humorvoll und tole rant. Der Doktrinarismus macht humorlos und unduld
sam. Jeder Ideologe und Weltverbesserer hält sein 66
schlechtes Gewissen nieder wie einen stummen Hund,
dem,das Halsband die Kehle sperrt*.
¡953
Entschluss Jeder wirkliche Entschluß tötet eine Möglichkeit, gegen
die er sich entscheidet. Daher tritt im Entschlüsse immer
auch Todesangst leise anwehend auf. So erweist sich die Echtheit des Vorgangs.
Im allgemeinen hat der Entschluß eine bejahende
und eine verneinende Seite: eins soll leben, ein anderes sterben.
Einzig und allein der Entschluß zum Schriftsteller
besteht aus zwei Ja-Hälften, zwischen denen nur im unmeßbar kurzen Augenblick des Vollzuges - wie der Trennungsfunke beim Unterbrechen einer elektrischen
Leitung - das Nein aufblitzt. Denn das deperceptive Leben, welches da verlassen werden mußte, sieht sich
im nächsten Augenblicke als begehrtes und reizvollstes Objekt innig vom apperceptiven Leben umarmt und
umschlossen.
1963
Entwicklung, persönliche
Das Geheimnis besteht hier darin, jenes eine Grund
gebrechen seines Lebens-bei jedem ist’s ein anderes-so weit zu erodieren und zu unterwaschen, was nur durch Denkakte höchster Intensität erfolgen kann, bis es faß
bar und von allen Seiten gut sichtbar wird: dann bricht 67
es bald von selbst heraus. Dies letztere und letzte aber
versudie man nicht direkt und selbst zu bewirken. Audi der Schorf muß von der Narbe abgehen, nicht abgeris
sen werden. Und die Heilung schreitet um so besser
voran, je mehr ansonst für die Gesundheit eines Leibes gesorgt wird und nichts dagegen geschieht.
1953
Epik - heute Die Herauslockerung der eigenen ersten Dinglichkeits
reihe so weit, daß ihre Vertauschbarkeit mit der eines anderen Menschen evident zu werden beginnt, ist die Grundlage aller prosaischen Darstellung des Lebens in unserer Zeit.
195 j
Erfolge
Niemand, und bei keinem Ziele, kann die Arbeit ver
meiden und der notwendigen Überwindung seiner Trägheit aus dem Wege gehen; führt nun die Mühe bis
zu dem Punkt, daß man klar und offenbar sieht, der erreichte Erfolg könne ganz unmöglich aus dieser er klärt werden, sondern es müsse ein Drittes hinzugekom
men sein, welches ihn erst ermöglichte, dann war die Arbeit nicht umsonst. Bleibt aber die Leistung und das fertige Werkstück im Bewußtsein ganz unser und uns zugehörig, fehlt also jenes früher angedeutete Erstau
nen über unsre Hervorbringung als über ein uns nicht Gemäßes: dann war die Arbeit vergeblich.
68
1942
Erfolge Es gibt Schein-Erfolge; aber auch die ,wirklichen“ Er
folge sind Schein, sind ein nur um vieles weiterer illu sionärer Raum, der dennoch irgendwo seine harten
faktizitären Grenzen hat, an die man anstößt.
19 j 8
Erfolg des Erfolges
Im ersten Teile unseres Lebens stellen wir uns unter unserer höchsten Leistung immer ein Ergreifen vor. Der
zweite Teil lehrt, daß die entscheidenden Leistungen
nur durch Aus-der-Hand-Lassen vollbracht werden können. Ist das Ergreifen gelungen, so muß das Ausder-Hand-Lassen geübt werden. Darin besteht zum
Beispiel die Leistung eines Künstlers in vorgerückteren
Jahren, welche die Taten seiner Jugend bei weitem an
Emst und Schwierigkeit übertrifft. Jene Leistung erst bringt ihm den Erfolg des Erfolges.
1954
Erinnerung Ich kann mich sinken lassen und nahe liegenbleiben bei
einem konkreten Stück aus den dahingegangenen Jah ren, und ich kann in diesen umgehen, als lebten sie
weiter, ich aber sei verstorben und erschiene auf mei
nen alten Stätten wie ein Geist. 69
1951
Erläuterung
Jede wirkliche Erläuterung eines Sachverhalts führt über die Auffindung eines neuen Begriffes oder min
destens einer neuen metaphorischen Definition: von da stößt die Erklärung zur Sache selbst herab; anders
wäre jene direkt und hätte die Ebene, auf welcher die zu erklärende Sache angetroffen wurde, garnicht ver
1957
lassen.
Erotik - intensivste Apperception Sexuelle Erotik ist in allen Fällen unsere intensivste
Form der Apperception; nicht aber soll sie eine Haut sein, die wir uns selbst über die Ohren ziehen und am Ende gar als Kapuze über den ganzen Kopf, wie ein
praeputium capitis, worin dann das caput gänzlich 19J1
verschwindet.
Erotik und Sexualität Erotik kann einsam sein. Die Sexualität entartet so
fort, wenn sie des Zweiten entbehrt: nicht des J)u*, sondern des Objekts. Auch mit diesem noch bleibt sie solipsistisch. Gemeinschaft entsteht hier nur auf Grund
des Allgemeinen. Die erotische Gemeinschaft aber be ruht auf dem Ungemeinen, das jeder Teil auch allein
hat. Deshalb artet sie auch nicht so bald zur Gemein heit aus.
19p 7”
Erotik und Sprache Entscheidend im Erotischen sind nicht die nennbaren Bestandstücke irgendeines Typs, sondern etwa eine spezifische Art den Rücken zu neigen, oder die Hand
zu bewegen, die Augenwinkel: dies alles aber geboren aus einer ganz bestimmten Situation, in welcher sich die
Erotik solcher Einzelheiten als Vehikel bemächtigt und
sich gleichsam auf sie schwingt, analog wie sich die ein
treffende Sprache der atomisiert umherliegenden Wör ter bemächtigt und sie an ihre Plätze springen läßt
innerhalb jener neugefundenen Strukturformel in der
organischen Chemie der Sprache, welche ja jeder wirk
liche Satz darstellt.
19 5 j
Erwachen
Das Erwachen als Reaktion auf eine Traum-Lage, welche das Maß des Erträglichen überschreitet, ist die
Vorformung einer Aktion, die uns im wachen Leben
obliegt, vermittels unseres Intellektes.
1953
Erwachen Wir haben Reichtum in den Träumen. Beim Erwachen machen wir bankrott, nehmen dann ganz geduldig das Leben eines armen Teufels auf uns, und vergessen, daß wir einst bessere Nächte gesehen.
71
1956
Erzählungskunst
Am Rande des Bächleins von Geschehen liegt eine, eben durch das schmale Gerinne, aufgeschlossene Landschaft.
Erzählungskunst Ein Werk der Erzählungskunst ist es um so mehr, je weniger man durch eine Inhaltsangabe davon eine Vor
1966
stellung geben kann.
Erzählungskunst - ihre Grundbedingung Die Welt hat nur beisammen, wer den Mut aufbringt,
sie auseinanderfallen zu lassen; einschließlich der wer ten eigenen Person, versteht sich, und eines von uns ja garnicht erwählten Lebens.
1961
Erziehung Es ist abseitig zu vermeinen, man könne sich in vor
geschrittenen Jahren nicht mehr selbst erziehen; und die Frage: wozu denn noch? ist schlechthin dumm.
Denn wenn Einer es da fertig brächte, auch nur eine Woche noch auf einer neuen Ebene zu leben: die Be mühung hätte ihren Lohn dahin, allein dadurch, daß
er auf solche Weise bewiesen hätte, endlich verstanden
zu haben, was nur durch die Tat bewiesen werden
kann. Außerdem bedarf man allermeist eines ganzen Lebens, um in den Stand gesetzt zu werden, die zer 72
störenden Einwirkungen von Eltern und von berufs mäßigen Pädagogen, welche ihre Unsinnigkeit an unse rer armen Jugend austobten, einigermaßen wieder gut
zumachen.
Existenz des Nichts
Die Existenz des Nichts ist nur das Runzligwerden der
dem entschwindenden Geiste nachschwindenden Ma terie.
Wir sehen, infolge der Enge unseres Blickfeldes im zeitlichen Sinne, diesen gleitenden Vorgang als statisch,
als institutionell. Bewegt sich das geschichtliche Leben, wie ein geist
reicher Franzose einmal gesagt hat, immer vom événe ment (Ereignis) zur institution (Einrichtung), dann
möchte ich diesen dritten Zustand mit einer freien Wortbildung als dévénement bezeichnen.
Ihm entsprechen die Untertatsächlichkeiten, die
mazerierten Konkretionen.
1942
Existenz des Nichts Ich möchte sagen: das Irreale ist jener vom Schöpfer aus Noblesse nicht ganz ausgefüllte Raum der Schöpfung, welcher zur Ermöglichung menschlicher Entscheidungen
erforderlich war: denn der Mensch vermöchte sich in einer bis in’s Letzte von Realität erfüllten Welt infolge der zu hohen Dichte des Lebens garnicht zu bewegen;
7J
auch müßte dabei ein konstanter Wirklichkeitsgrad
herrschen, was ebenfalls mit dem Leben nicht vereinbar wäre. Diesen frei gelassenen Raum jedoch einmal ge
setzt, müssen wir ihm auch seine spezifische Anschau
lichkeit zubilligen und damit: die Existenz des Nichts.
ij4« Exzesse
Geistesmechanisch gesehen ist jeder Exzeß jeder Art harmlos im Vergleich zu einer sprachlichen Verfehlung. Der Exzeß ist ein Diätfehler: als entliefe ein Athlet
dem Trainingsquartiere, um mit Weibern zu saufen.
Die Pseudologie und Pseudographie aber ist wider den
Bau unseres Geistes: als vollführte jener Athlet ver kehrte Übungen, die notwendig zu einer Zerrung oder
Sehnenscheiden-Entzündung führen müssen.
19j 1
Exzesse Nicht immer wirken Exzesse wie ein reinigendes Ge
witter und so beinahe als Anfang einer neuen Periode: nur dann, wenn unser Leben über seinen Rand schäumt;
aber es gibt auch Ausschreitungen, die daher kommen,
daß es vom Rande zurückweicht, weil es sich auf geweicht, erweicht hat. Die erste Art von Exzessen
setzt Fakten, ist faktizitär, und hat daher oft peinliche
äußere Folgen. Jene zweite Art aber ist phantasmago-
risch, süchtig und lebensflüchtig; sie hat weniger oder selten äußere Folgen, sie neigt nicht eigentlich dazu;
74
jedoch die innere Aushöhlung, die sie nach sich zieht -
wenn einer dann wieder an Rand und Front des Le bens vor muß - ist sehr fühlbar: und die Scheu gerade
davor ist’s, welche dem Trinker immer noch ein wei teres Glas aufnötigt, den Wollüstling immer eine noch
aufreizendere Möglichkeit suchen läßt und - in perfek tester Form - den Morphinisten seine Spritze. Nur die
Exzesse der zweiten Art führen in eine zweite Wirk
lichkeit. Die der ersten höchstens zu einer Kette von sehr faktischen Randalen und Skandalen. Dazwischen gibt es noch sozusagen neutrale und in
signifikante Um- und Unfälle, ohne Ziehung in eine der
beiden angedeuteten Richtungen; die Tatsache, daß man etwa zu viel gesoffen hat - was nie ohne Folge erscheinungen zweiten und dritten Grades bleibt -
steht dann gleichsam in isolierter Unverständlichkeit da, ein Findling, ein vom niederen Himmel eines ganz gewöhnlichen Tages herabgefallener Meteorit, also ein fast ungeformter aber immerhin recht dichter Patzen
Materie.
1957
Exzesse
Exzesse sind das schlimmste nicht. Sie machen deutlich. Unsere schleichenden Übel aber nebeln allmählich ein.
1964
75
Einträge zu E
76
F
Fähigkeiten,
fremde
Fähigkeiten, die uns fehlen und fremd sind und die
keineswegs in den Riditungen unseres geringsten
Widerstandes und unserer größten Kraft liegen, müssen wir aliozentrisch ehren, nicht abwerten. Denn sie sind
eine Art Wunder des Jenseits im Diesseits.
1958
Familie In der Familie gibt es keine Abgeschlossenheit und ihrer keine Achtung. Sie ist der Persönlichkeit feind.
Denn ihr Ursprung war zwangsläufig Personsverlust:
195 5
ihr vitium orginis.
Familie Das Familienleben beruht letzten Endes nicht auf der
Blutsverwandtschaft - die ist sekundär - sondern auf
den chaotischen Vorgängen der Geschlechtswahl, wo durch ganze Gruppen von Leuten zusammengewürfelt
werden, die nichts miteinander zu tun haben, sich aber solches einbilden, vornehmlich, weil jetzt die Umwelt sie als zusammengehörig betrachtet. Damit erst wird
die Familie zum faktischen Zwang.
77
1961
Familie
Eine wirksame sexuelle Apperception führt selbstver ständlich dazu, daß man einer jeweils in Frage kom
menden Pia Maria zahlreiche Kinder macht. Wie denn
anders sollte einer hier über den Berg kommen, den Venusberg, als durch Befahren des Tunnels unten
durch - aber eben nicht hindurch, sondern immer wie der zurück und immer neu hinein. So entstehen denn die Familien, das erstaunlichste, was es für mich geben
kann: einfach deshalb, weil ich eine solche Umwelt
nicht gesetzt habe. Nix getaugt, mit zwei Wörtern. Wer sich in Familie begibt, kommt darin um.
1964
Faulheit
Ein Reptil ist nicht faul, wie man angesichts seiner stundenlangen Reglosigkeit wohl vermeinen möchte;
es ist nur sparsam mit seinen Bewegungen. Das ist ein abgründiger Unterschied. Das Reptil ist im Höchstmaß
fleißig, das heißt, es betätigt sich ständig in der Kem-
funktion seines Lebens: dem Lauern. Alle Tiere sind
fleißig und ihrem Schöpfer absolut gehorsam, nicht aus Tugend, sondern weil er sie in unentrinnbarer Weise
dazu anhält. Ein Tier ist nie faul. Nur der Mensch kann von dem ihm Aufgetragenen abfallen, auf der
Seite liegen, anfaulen und endlich selbst zu Abfall werden.
7«
p. s. Vielleicht gibt es Faulheit bei Haustieren; sie
haben bereits Teil am menschlichen Spielraum dazu. 1952
Fehler machen Rutsch* ich aus, ist’s ein Faktum, und kein importantes, solang’ ich nicht in des Rutschens Richtung eine zu
komplettierende Angelegenheit erblicken will, eine res daraus machend, statt des Ausrutschers Spur als Kratzer unfertig stehen zu lassen und mich davon abzuwenden.
1962
Feierlichkeit Feierlichkeit nennt man jenen Nebel, welchen die
Dummheit zu ihrem Schutze erzeugt, wenn sie in die Enge getrieben wird. Es entspricht dies ihrer gefähr
lichsten Eigenschaft und Stärke: sich selbst niemals
beim Namen zu nennen; hierin besteht ihr wesentlicher Vorsprung vor der Intelligenz.
1942
Feinde Wir müßten noch genauer schauen und auch unsere
Feinde verstehen; wir lösten dann das Rätsel unseres Lebens oder, mindestens, wir umstellten es von allen
Seiten. Der plötzlich aus dem Dickicht fliegende Pfeil ist ein Instrument der Erziehung. Der Standpunkt des
Schützen, die Form gar, in welche er sich selbst faßt und wie er sich versteht, würden uns viel über uns
79
wissen lassen, per exclusionem sozusagen: weil wir da beispielhaft erfahren könnten, wer wir nicht sind. Ein Lehrgang, gewissermaßen ,enfermés à l’extérieur de
notre cage', wie Paul Valéry einmal sagt (Tel Quel).
p. s. Je unverständlicher der Feind ist und je ver kehrter und nur auf’s Unwesentliche gerichtet er uns
auffaßt, je weniger zu Tage liegende und gangbare Mo
tive er dabei hat, desto mehr kann er uns lehren; desto mehr uns auch bestätigen; denn rein physiognomische Feinde hat nicht jeder X-Beliebige aufzuweisen.
1964
Feindschaften und Freundschaften
Töricht werden Zorn, Haß, Wut und Groll der Men schen erst dadurch, daß diese nie daran festhalten. Spä ter geht’s dann wieder anders herum. Das heißt: sie
haben ihre Feinde situationsgemäß gewählt, nicht aus physiognomisdiem Takte. Dieser hätte seit jeher ein
ganz anderes Bild von Feindschaften und Freundschaf
ten gezeitigt, eines von größerer Dauer. Die Situatio
nen aber ändern sich allemal. Nur zäher Grimm, der sie überdauert, kann diskutabel werden; nicht töricht
mehr, sondern bereits verwerflich, und also schon ein mögliches Instrument unseres Heils.
196*
Ferne und Nähe
Wenn nicht vieles fern wäre, und wir könnten alles immer gleich aus der Nähe des Raumes oder auch der
80
Zeit sehen: wir stürben - bei so enormer Oberfläche und Fassungskraft des Aug’s - an der Banalität dieser
Welt.
I9S4
Figur - ihre Erfassung Von dem Punkte, wo der Künstler die Indiskutabilität
seiner ersten Dinglichkeitsreihe erkennt und damit sich selbst dort hinten als Einen, der er nicht mehr ist,
braucht er nur den zu so großer Distanz gespannten Zirkel, der diese Entfernung mißt, aus der Vergangen heit hinüberschlagen in das Leben der Leute neben ihm, und er hat den Schritt aus der indiskutabel gewordenen Verfassung seines gewesenen Ich in die so vielfach un
begreifliche Verfassung des hier und jetzt ihm anwesen
19 53
den Du vollzogen.
Figuren Alle Figuren müssen als unansprechbar gedacht wer
den, letzten Endes, weil sie determiniert sind. Nur wer seiner eigenen determinierten Geringfügigkeit gegen über nicht mehr possessiv sich verhält, ist ansprechbar.
1954
Ein solcher ist der Autor.
Fluchen,
das
Wer vermöchte zu leugnen, daß unser Leben erleichtert wird, wenn man es mit einer nicht abreißenden Kette
81
von Flüchen ausgesuchtester Art begleitet? Zu solchen
mittlerer Sorte darf man sich jedoch niemals herab i90
lassen.
Form
Alles muß seinen Stil haben, kann sonst gamidit bei
sammenbleiben. ,Verzierungen* sind stärkste Konstruk tionsteile des Lebens, in Wahrheit, es sind bis an die Oberfläche durchgeschlagene Kristalle der innewoh
nenden Form, welche aber den Leib einer Maschine fester zusammenhält wie stählerne Bänder, Nut und Schraube. Anima forma corporis.
1941
Fortschritt
Auf der tiefsten wie auf der höchsten Stufe des Geistes - und dies ist beiden gemeinsam! - hält man das
Seiende, das hier und jetzt so und nicht anders Seiende, für vollkommen legitim. Dort hat man noch lange
nicht begonnen, hier schon lange damit aufgehört, die
Welt verbessern zu wollen. Dazwischen liegt der dilem matische Fortschritt als Rückkehr zum Ursprung, ein
Weg, der schließlich in den Urwäldern unserer Groß
städte endet.
1939
Frau - in der Ehe
Jede verheiratete Frau, sei die Ehe nun ,gut* oder
82
,schlecht*, geht irgendwo, etwa von der Gegend des Nabels abwärts, in ihren Mann über, von welchem sie sich, um bei diesem monströsen Bilde zu bleiben, nur
durch Abschnürung absetzt; sie wächst aus ihm hervor.
Die für das Zustandekommen eines lebensgemäßen, also Symbiose schaffenden Geschlechtsaktes erforder
liche Verschmelzung wird zum weitaus überwiegenden Teil von der Frau geleistet, zum weitaus geringeren vom Manne. Verschiebt sich dies Verhältnis, dann um
den Preis einer widrigen Personsverfassung des Man
nes. Die Ehe als Leistung ist nur der Frau möglich. Den Mann macht solche Leistung lächerlich, ja abstoßend, bis zu jenem Grade, wie es etwa der Gatte Rahel
Vamhagens gewesen ist.
1953
Frau und Künstler
Wenn einer Frau der Pegasus vorgeritten wird, ist sie
entzückt und bewundert ihn ehrlich, erst recht dann, Wenn auch Andere, oder gar weiteste Kreise, dazu ap
plaudieren. Aber die Tatsache, daß er nur gewöhnliche
[Roßäpfel statt goldener fallen läßt, setzt ihren Respekt bedeutend herab, und bald wird sie gemütlich, ja unter
^Umständen sogar ungemütlich werden, und dem Viech Vorhalten, daß es nicht einmal einen Milchwagen zum
Markte zu ziehen vermöge ohne zu bocken; das sei doch wahrlich das mindeste, was man verlangen könne, und
■eder Karrengaul treffe es. Dem Pegasus aber wäre zu
raten, mit der Hinterhand einen kräftigen Ausschlag 83
zu tun, wenn sich Frauenspersonen von hintenherum, nämlich über die Kunstbewunderung, nahen, statt
solche Personen zur Sodomie zu verleiten; wobei wir
es dem Dafürhalten des Lesers überlassen zu entschei
den, von welcher Seite jene Sodomie dann eigentlich
begangen würde.
19p
Frauen - Freiheit
Die, wie man’s zu nennen pflegt, passive Rolle der
Frauen hört dort auf, wo sie beginnen, sich als das starke Geschlecht zu erweisen: denn niemand wählt
unter ihnen, sondern wird erwählt, und niemand hei ratet eine, sondern er wird geheiratet (und nur so geht
die Sache in Ordnung). Was nicht hindert, daß eine Frau dann durchaus wird, was ein Mann, oder etwa
mehrere Männer, aus ihr machen. Aber der Initial-Akt der Wahl liegt bei ihr, und darin besteht und bleibt ihre
Freiheit, mag sie diese späterhin noch so augenschein lich verlieren.
Frauen - und
1964
der
Schriftsteller
Frauen gleichen sich dem Mann, den sie lieben, derart
an, daß sie auf der Ebene ihrer ersten Dinglichkeits reihe nicht mehr appercipiert werden können. Sie tra
gen Tarnkappen. Der Mann läßt sich zu erhöhter
Raumverdrängung verleiten, die Möglichkeit der Apperception seiner Partnerin verschwindet vollends, er 84
spielt und spiegelt sich in ihr. So weit sollte sie aber
einen Schriftsteller nicht bringen. Wie, wenn er sich an
ihr per analogiam ein Beispiel nähme? Auch ihn sollte
man ja auf jener früher genannten Ebene garnicht mehr
erblicken können!
1957
Frauen - Umgang mit .Wenn du zum Weibe gehst, vergiß die Peitsche nicht.'
Ganz nett, aber ich möchte empfehlen, daß solche Hel den, bei denen das natürliche - wirklich gute und sehr
vielseitig verwendbare! - Instrumentarium derartig massiver Selbstschutz-Ergänzungen bedarf, sich für den
in Rede stehenden Anlaß zu ihrer Verteidigung gleich einen Trommelrevolver anschaffen möchten oder, was das beste wäre, überhaupt einen Strick, vorher.
1942
Freund und Feind Der Schaden, den ein Freund dir zufügt, ist manchmal fast so groß, wie der Nutzen, den ein Feind dir bringt. Aber das unmündige Volk der Gefühle, der Sympa thien und Antipathien, hat indessen, überall herumtol
lend, die Namensschildchen an den richtig angewie senen Plätzen vertauscht. Und so ist halt diesen ver
flixten Fratzen wieder einmal die Camouflage eines Sachverhaltes gelungen, aber auch eine Bereicherung des Lebens, auf ihre Art; wer wollte das leugnen? 194* 85
Freund und Feind
Man hat immer mehr Feinde, als man jemals auch nur zu ahnen vermag: weil alle unsere besten Freunde zeitweis dazu gehören, wenn auch nur für kleinste Strek-
ken.
Freundeskreis
Man kann nicht alle seine Freunde unter einen Hut
bringen. Manche mögen einander eben nicht. Wird dies bei einem Zusammentreffen sichtbar, das man keines
wegs selbst herbeigeführt hat-also etwa in der Öffent
lichkeit - so kann man doch fast etwas dem schlechten
Gewissen ähnliches empfinden, wie über einen unaus getragenen Gegensatz im eigenen Innern, der sich hier in einer Art von zwangsläufiger doppelter Treulosig
keit nach außen schlägt. Aber es ist die Integralität kein Maßstab für das Komplexe des Lebens: sondern nur ein falscher Leisten, über den man jenes mitunter
doch schlagen möchte, in simplifizierenden Anwand lungen. Ab hier beginnt die Kristallisation des totalen
Staates.
1953
Frömmigkeit
Immer mehr, immer treffendere Pfeile der Ironie und
Heiterkeit schießen in die Blasen eigener Befangnis, die sich, heranschwebend aus dem Nichts, über unseren
Kopf ziehen wollen! Damit die trübe Flüssigkeit einer
86
darin schon wuchernden Sprache, die keine ist, aus
rinne, und das geplatzte Blendwerk seine Natur erken
nen lassen muß! Das etwa heißt heute: fromm sein. 1942
Frömmigkeit und Intelligenz Einen rein geistigen Akt bringt seit dem 19. Jahrhun
dert auch der Idiot fertig: nämlich aus der Kirche aus zutreten. Er tut’s mit Stolz, ohne doch die außerordent liche Bedeutung dieses allerenden sich wiederholenden
Vorganges zu kennen. Er handelt richtig, präzise rich tig sogar. Denn, da die Begriffe .Frömmigkeit* und,In
telligenz* - welche das 19. Jahrhundert durch Trübung des eigentlichen Sinnes von ,intelligentia* vorüber
gehend antithetisch trennte - immer mehr und zu sehends konvergieren, ja schon bald ihre bevorstehende
Synonymität ahnden lassen, kann er sich, als zur Dummheit entschlossen, anders nicht verhalten: und ar beitet so, sich selbst von einem Platze verweisend, auf den er heute nicht gehört, in dankenswerter Weise an der Kirche, an der Zukunft, an der Klärung der Situa
tion mit, so lange, bis diese letztere es wieder gestattet,
ihm und seinesgleichen sub indulgentia (indulgentia tec-
tulum stultorum - die Milde ist der Dummen Dach!) die Tore neuerlich zu öffnen, als einer jeder Form und Dialektik nun gänzlich verlustig gegangenen Menge.
Ihr mag dann gepredigt werden. 87
1942/43
Früchte des Leides
Störung der tieferen Rhythmik, Schwerbeweglichkeit der Gelenke in der Mechanik des Geistes: derartiges ist zeitweise verhängt, und es wird uns sogar den äuße ren Horizont verhängen. Aber was wir gerade in sol
chen Zeiten - unseren eigentlich bedeutsamen! - an
kleinweisen Überwindungen und an Unentwegtheit zustandebringen, fällt uns erst recht und als gedoppelte und gewichtige Frucht zu, wenn in den tieferen Grün den das Leben wieder in seinen Rhythmus findet und
die Gelenke leichter ineinanderspielen: was uns als ebenso unbegreifliches Verhängnis zu gelten hat wie ihre frühere Steifheit. Unsere Hoch-Zeiten des Geistes
jedoch hinterlassen nicht jene Ernten und Reserven, sondern sie liegen, wenden wir uns nach ihnen um, nur
als unbegreifliche Gipfel dahinten, von denen wir her abgekommen sind.
i90
Früh-Aufstehen
Ich muß früh aufstehen. Meine Feinde stehen noch früher auf. Man darf sich von den Geschäftemachern
nicht in den A-B-C-Tugenden schon übertreffen lassen. 1955 Frühgeschichte
In der frühen Geschichte eines Landes liegt seine aprio rische Geographie und Topographie noch zu Tage, vor
88
aller Siedlungsgeschichte und vor allen Städten, die Grundstimmung, ja, schlechthin wie das Schicksal ge
sonnen ist in diesem Lande, und zugleich die Materie dieses Schicksals, eine materia signata.
i954
Fussnoten Die Fußnote ist, vom Autor selbst gesetzt, die Bankrott-
Erklärung seines prosaischen Vermögens; anders aber nur ein Klampfel, das ihm ein Anderer angehängt hat,
etwa ein Kommentar, eine pons, die über den Spalt
zwischen zwei Sprachen oder Zeitaltern führt.
89
1949
Einträge zu F
90
G
Ganz und Halb Ganze Sachen sind immer einfach, wie die Wahrheit
selbst. Nur die halben Sachen sind kompliziert.
1965
Gebet Auch die tief geltendste und gewaltig eingreifendste
Übung des Geistes kann gewohnt werden. Sie begrenzt
sich von selbst, weil sie einen fixen Raum in uns er
richtet. Sie ist dann kein Gang aus dem Gefängnis mehr in eine ganz unbekannte Freiheit. Das Risiko läßt nach. Die Methode erschöpft sich, sobald sie ganz Methode
1953
wird.
Gebildet - Halbgebildet - Ungebildet
Gebildet könnte man jemand nennen, der es ablehnt,
seine jeweilige Arbeitshypothese und selbstverständ lich auch seine Kenntnisse ernst zu nehmen.
Halbgebildet erscheint mir, wer seine Arbeitshypo these für eine Theorie hält. Ungebildet ist die ganze übrige akademische und
bürgerliche Bagasch, welche nicht einmal im Zimmer
und beim Essen die unappetitlichen Abwässer ihrer Kenntnisse zurückzuhalten vermag.
91
1942
Gedächtnis, schwaches Dem außerordentlich schwachen Gedächtnis vieler Zeit genossen hilft die Hölle sofort auf die Beine, wenn die Möglichkeit sich zeigt, Schaden zu stiften oder jemand in eine peinliche Situation zu bringen: jetzt plötzlich
hat sich Jeder Alles ganz genau gemerkt. Man mache
daher aus allem ein Geheimnis oder man habe über haupt keines. Das erste schützt vor Maulschuften und
Erpressern, das zweite zieht ihnen gleich den Boden
unter den Füßen weg.
19J3
Gedanken, dumme
Was immer uns antritt und besonders was sich aus innen erhebt, müssen wir bei seiner Faktizität halten. Tatsachen kann man nicht verscheuchen wie Fliegen;
und überdies: wenn wir was nicht wollen, dann gelingt
uns das Abscheiden davon sicherlich besser in Gestalt eines Abstoßens vom festen Ufer des Tatsächlichen, als die Flucht vor Nebeln, die uns doch immer noch
folgen und uns zu umgeben scheinen. Man wende sich
niemals weg von einer Dummheit, die man eben denkt: sondern man kriege sie in die Visierlinie eines auf’s Faktizitäre gerichteten Blickes: sodann drücke man ge trost ab. Erlegt, wird uns jene Dummheit was zu sagen haben.
1962
Gefahr Das Nicht-Appercipierte bedroht uns am meisten,
91
das, was unserer Aufmerksamkeit ganz und gar ent
gangen ist. Es überhöht uns in furchtbarem Überhänge,
von dem herab zu uns steilstes Gefälle herrscht. Wer
alles appercipieren würde dagegen, befände sich mit der Mechanik seines Geistes auf gleicher Ebene mit je
ner des äußeren Lebens, beide hätten auch die gleiche Dichte. So könnte die Mechanik des äußeren Lebens der des Geistes integriert, anders, die Objekte könnten
durch umfassende Apperception vernichtet und gefahr los gemacht werden. All* letzteres ist freilich in An
näherungswerten nur denkbar.
1957
Gefährdung In den Augenblicken der Unter-Spannung, wo wir das für unser Leben Wichtigste nicht mit der erforderlichen
Anschaulichkeit wissen, beim Durchkreuzen dieser Tiefpunkte, sind wir evident am meisten gefährdet.
Unser Unglück ist dann am größten, wenn wir in wärts oder außen an Ränder und Grenzen stoßen, die
unsere Ausgeschlossenheit uns fühlen lassen, sei’s aus einer Landschaft, aus der Kühle, dem Duft und der
Stille eines alten Hauses, oder aus einer Form inneren
harmonischen Behagens, die uns früher einmal bekannt
19$»
war.
Gegenwart Alle Gegenwart ist flach: weil wir den Grad ihrer Er-
93
hebungen nicht kennen, weil uns alles platt vor die Na
se gesetzt ist, ohne Perspektive, weil wir da garnicht er
kennen können, was groß oder klein ist. Erst wenn sehr viele Gegenwarten wie Lamellen sich übereinan
dergelegt haben, erkennen wir ein Größeres, daran,
daß es alle später hinzugekommenen Schichten durch
wächst.
1953
Gegenwart
Zwischen den oft lückenhaft vergatterten Gegenwärtig
keiten, treten die Präsenzen von einst, wie sie wirklich gewesen sind, mitunter ganz offenkundig hervor. Es
lehnen Augenblicke von einst am löchrigen Zaune des Jetzt, sie stützen sich ein wenig auf ihn, und sind jeden falls mehr anwesend als er selbst, dessen klapprigem
Dasein kaum ein Wesen eignet.
19B
Gegenwart und Vergangenheit
Es bedarf nur eines leichten Auf-Flaumens der Gegen wart - als kraulte man den Bauchflaum einer Gans -
und die Vergangenheit wird sichtbar, die unberührte, wie das reine Weiß dicht am warmen Bauche des
Vogels.
195J
Gegenwart und Vergangenheit Die Gegenwart ist nur ein kleines rennendes Lichtlein,
94
das flackert: wahre Erhellung aber kommt stetig aus
19 5 5
dem Vergangenen.
Geistesmechanische Einsichten Die geistesmechanischen Einsichten, welche du ge
winnst, sind arcana. Bewahre sie kalt im Busen. Sie be
freien unter anderem deine Talente. Diese, wenn’s sein muß, exerziere der Menge vor. Sie wird’s nicht ver
übeln.
1952
Gemeinschaft Wer sich, in welcher Weise immer und mit wem immer,
gemein macht, wird unversehens dahin kommen, an einen anderen Menschen Forderungen zu stellen: ihm
wird bang, denn er sieht ein Teil seiner selbst in einer
Hand, die sich, und auch das, was sie jetzt hält, im Handumdrehen ihm entfremdet.
1952
Genetisches Denken Wenn der anhangende Bart von Wurzelfäden des Ge
wordenseins bei irgendeinem Faktum schon abgefallen
ist: dann wird uns das Phänomen unverständlich, es kann nicht durch Rekapitulation an unser Leben an-
, geschlossen, es kann nur in einer Art von Kurzschluß ihingenommen werden. Das genetische Denken ist dem 'Menschen tief eigentümlich. Es führt dort zu Fehl-
9$
Perspektiven, wo’s rein um das Phänomen geht, wie etwa in der Kunst. Es ist zudem in den seltensten Fäl
len noch innerhalb der Anschaulichkeit möglich; wir können uns nur einen Bruchteil der Phänomene auf
solche Art rekapitulierend aneignen: meinen aber im
Grunde, daß wir’s bei allen vermögen sollten, daß wir an alles nur auf dem Wege jener Rekapitulation heran kommen dürften. Das genetische Denken ist der immer
neu
unternommene
Versuch
einer
Imitation
des
Schöpfungsaktes, und damit nichts anderes als ein Reflex unserer Ebenbildlichkeit.
1952
Genuss und Gewinn
Wenn wir sagen: ah, das war einmal wirklich gut! dann suchen wir uns über die rasche Vergänglichkeit
eines Genusses zu trösten und über die verbleibende Leere hinwegzukommen, wohl wissend, daß uns ein
Gewinn, wie wir ihn da anscheinend buchen, in keiner
Weise verblieben ist.
1946
Geopolitik
Wenn ein Hausmeister oder irgendein Volksschullehrer auf der untersten Stufe der Ausgeronnenheit angekom
men ist, dann beginnt er sich mit den großen, welt
bewegenden Fragen zu beschäftigen, was zu imponie renden statistischen Kolonnen, zum Denken in großen Zusammenhängen und in umfassenden Gesichtspunk96
ten führt, kurz, zum Großraumdenken. Dieses hat be reits zur stillschweigenden Grundvoraussetzung, daß
die sogenannte .Geschichte' sich außerhalb des Men schen abspiele, so wie gewisse Teratome das Herz oder
die Eingeweide außerhalb des Körpers haben. Jedoch sind solche Mißgeburten nicht lebensfähig. Und wenn
man gleich glaubt, die Welt auf der Waage zu halten: mit Gewichten von Papiermache ist sie deshalb noch
lange nicht wägbar.
i942
Geräusche Die Stille schäumt auf, wenn man sie teilt, oder sie
wirft Falten wie ein Vorhang: das ist der stets unver hältnismäßig gewaltige Effekt kleiner Stimmen und
Geräusche, die in ihr auftreten.
1933
Geräusche
Geräusche haben gutes Gewissen: es sind die Kindertrqmpeten-Stimmen der unschuldigen Physik. Zudem ist, wer naiv lärmt, immer beneidenswert: er scheut
sich nicht, seinen Standort bekanntzugeben, er steht ‘wohlbefindlich in seiner Umwelt.
1959
Geruch
¡Der Geruch, der von Menschen ausgeht, ist der eigent|liehe Sammel-Ausdruck aller ihrer Eigenschaften; er
97
zeigt nämlich an, was ihnen selbstverständlich ist; und leider artet dieses ganze Elend auch noch in Überzeu
gungen aus: wie die dann sein mögen, kann man in den meisten Fällen sich leicht durch die Nase vorstellen. 1540
Geruch Der Geruch ist unser am meisten mit Metaphysik ge
ladener Sinn: er konkretisiert sie geradezu. Laß mich eine Prise schnuppern in deinem Zimmer, und ich weiß,
wer du bist.
1911
Geruch Schlechte Gerüche ärgern am meisten, wenn man sie,
und ihre noch schlechtere Herkunft, bereits gut kennt. 19p
Geruch und Gedächtnis
Unsere Begriffe sind in jedem einzelnen Falle ein Rest geschmack, den wir von drüben mitgebracht haben. Un
ser Denken ist verzweifelt rekonstruktiv; und gerade
die Geschmacks- und Geruchs-Erinnerungen lassen sich am schwersten bewußt provozieren: doch bleiben sie immer die wesentlichste Form des Er-innerns. Hinter jedem Geruch ist uns eine platonische Idee verloren ge
1955
gangen. 98
Geruch und Mief
Gerüche sind zu ertragen, auch die unangenehmen. Nur die Miefe sind erbärmlich und gefährlich. Es sind lauter
Unentschlossenheiten zu Gerüchen. Sie versuchen, die
Gerüche auszuschließen. Die Miefe sind vieldeutig, eine dämonische Aura. Ein rechter Schurke stinkt aus dem
Anditz schon, wenn ich’s nur ansehe. Ein Herr Doktor
aus Steyr oder Vöddabrudc, der künstlerisch tief emp findet, sich die Nägel trocken putzt und nach Wien
mulattieren geht, mieft. Zum Leben gehören Gerüche.
Der Mief aber negiert das Leben.
1953
Geschichte
Die Geschichte ist der sozusagen ,geometrische Ort*
aller einmaligen Punkte, welche noch durch eine inner halb des Vergleichbaren verlaufende Verbindung mit einander in Beziehung gesetzt werden können. Res gestae ineffabiles et comparabiles simul.
1946
Geschichte Das Langweilige am sogenannten geschichtlichen Leben
ist, daß auf jeden Fall immer was vorgehen muß. Da durch werden die Geschehnisse entwertet. Wäre dem nicht so, würde zeitweise gamidits vorgehen, so wäre,
daß wieder einmal was geschieht, schon ein Geschehnis.
So aber, wie sich’s verhält, sind die Ereignisse ein aus tauschbares Material geworden, in irgendeiner Form
99
der tue das besser auf irgendeine Art allein. Auch hier
wird allerdings die societas daemonum nicht ganz aus
bleiben. Aber die Schande ist doch geringer.
I9S5
Gesindel
,Ruass‘ (Ruß) ist ein treffender Wiener Ausdruck für
Gesindel jeder Art oder Gesellschaftsschichte. Man
braucht nur im leisesten anstreifen, schon hat man einen Fleck. Hier muß ein so kurzer Prozeß gemacht werden,
daß er beendigt ist, bevor er noch begonnen hat.
1955
Gesinnungen
Gesinnungen entstehen, wenn mehrere Tröpfe auf dem
Boden falscher Sprachlichkeit in einen Tropfen zusam
menrinnen. Deren viele höhlen zwar noch lange keinen Stein, aber sie füllen verhältnismäßig bald einen Bot tich, darin schon allerlei Leben ersaufen kann.
1945
Gesinnungen
Gesinnungen sind immer verletzend und wollen es sein. Es ist der Schorf geronnener Transzendenz, der
sich am andern Menschen reibt.
194$
Gespräche - heute Zerfällt die Welt pluralistisch, dann hat der Dialog
keine Chancen mehr, wenngleich man auf den ersten 102
Blick fast das Gegenteil erwarten mödite. Aber in einer
von gemeinsamer geistiger Aura und Spannung zusam
mengehaltenen und umschlossenen Welt gibt es eine
begrenzte Zahl unendlich variationsfähiger Antithesen. Im Pluralismus dagegen eine unendliche Zahl von Antithesen, die nichts mit sich anzufangen wissen, also
ohne Variationsfähigkeit sind. Der Dialog geht heute ein durch Atomisierung des Antithetischen, durch des
sen Zerfall in kleinste Teile: tot capita tot sensus heißt heute nicht .soviel Köpfe soviel Gesinnungen*, sondern, schlimmer: soviel Sinngebungen: jeder hat mindestens
gleich ein Weltbild gebaut. Ein Halb-Bild. Der Dialog
geht also ein an der Halb-Bildung, die vielleicht not wendig mit dem Pluralismus verbunden sein mag.
>959
Gewissen Eine Türe fällt fröhlich knallend. Die Physik ist allezeit in ihrem guten Gewissen. Unser schlechtes kommt wohl auch daher, daß wir uns den Institutionen des Lebens -
an deren höchster Realität und Rechtmäßigkeit wir im tiefsten Herzensgründe doch niemals zweifeln - häufig nicht adäquat fühlen. Man könnte sagen: es hängt
etwas über uns und wir stehen nicht richtig drunter;
wäre letzteres der Fall, dann könnten uns audi etwa vom Rande herabbrechende Teile und Trümmer - denn
das Leben kalbt immerfort Trümmer - nicht treffen.
Wir wissen um unseren situs im Leben, jedoch wir wis103
sen nichts Gewisses im einzelnen; nur daß dieser situs etwa bedroht ist, das wissen wir. Und eben dieses Wis
sen wird Gewissen genannt. Es könnte in so allgemeiner
Form, wie das bei Vielen und häufig anzutreffen ist, kein schlechtes sein, wenn sich die Sache nicht so ver
hielte, wie dargelegt worden ist. Ein .empfindliches Ge wissen*, wie man das zu nennen pflegt, bedarf nicht
immer eines Falles der Sachen in die Konkretion, eines Herab-und-Hereinbrechens, um sich zu regen. Es mel
det sich lange schon vor dem einzelnen Fall.
Gewissen,
*953
das schlechte
Die letzte und geheimste Gedrücktheit des Menschen,
sein nicht auf Einzelheiten bezogenes sondern habituell schlechtes Gewissen im sublimsten Verstände, jenes, das
Jeder dem Arzte oder irgendeiner autoritären Person,
ja überhaupt dem herantretenden Leben gegenüber mehr oder weniger hat und zugleich unaufhörlich hin ter die eigene Fassade drängt: alles das geht zurück auf
clandestinen, im Halbdunkel begangenen ständigen Verrat am Leben, dessen Gesetze man glaubt intra
muros intimissimos aufheben und sich immer wieder eine Schnitte gratis, hintenherum und entwendend ab
schneiden zu können. Wir haben das Leben an seiner Substanz bestohlen und deshalb ist uns, ihm gegenüber
gestellt, nicht wohl. Denn es kommt fordern, und je
denfalls immer mit Recht, und wir wissen das nur zu
1944/45
gut. 104
Gewohnheiten Gewohnheiten sind der Bodensatz unseres Lebens:
rührt man ihn kräftig auf, dann schäumt die Lösung und wird seltsamer Weise klar.
1953
Gewohnheiten
Man kann aus seinen Gewohnheiten springen wie ein Erschreckter aus dem Bett. Nun steht er davor, ihm ist
zunächst nur kühl und er ist verschlafen. Aber er ist
eben doch einmal aufgestanden, und weiterhin wird er
sich damit schon einrichten.
1960
Gewohntheit und Gewohnheit
Gewohntheit der Umgebung ist eine Art äußerer Er
blindung, Gewohnheit - gute oder schlechte - eine ebensolche innere. In beiden Lagen nimmt man eben
eine Fülle bestehender anderer Möglichkeiten nicht
1954
mehr wahr.
Glatzenwatschen Eine Glatzenwatschen ist eine hochgezielte weiche
Watschen, tunlichst mit nasser Hand (Saug-Watschen).
Sie wird (ohne Angabe von Gründen) solchen alten Männern appliziert, die, bei weißem Haarkranz und
Bart, noch starke Vitalität, Temperament in ihrer Mei-
IOJ
nungsäußerung und persönliches Profil zeigen. Die
Glatzenwatschen dient vorwiegend der Dämpfung
akademischer Würdenträger.
1960
Grammatik
Grammatik ist die Wissenschaft von den in der Che
mie der Sprache möglichen Verbindungen zwischen Wörtern, Interpunktionen und Sätzen. Jeder mögliche Satz ist so etwas wie eine neugefun dene Strukturformel.
Einfache Formeln, welche nur die Bestandteile an zeigen, kommen noch in der Wortlehre und Etymologie
1943
vor.
Grammatik Grammatik ist die Kunst des vollkommensten Aus
drucks bei geringster Auffälligkeit.
1943
Grausamkeit
Grausamkeit kann auf Raffinement, auf Vorstellungs kraft und Einfühlung zurückgehen; oder auf das ge naue Gegenteil davon, auf Unanschaulichkeit also, wie bei den Massenmorden neuzeitlicher Diktaturen: die
veramtete Grausamkeit im minder wirklichen Raume. I9J2
106
Grenzen,
unsere
In der Jugend halten wir unsere Begabungen für gren
zenlos und universal. Im Mannesalter ahnen wir unsere Grenzen und vermeinen auch manchmal an sie zu
stoßen. Im Greisenalter erkennen wir erst, wie vielfach wir unsere Grenzen überschritten hatten, und daß es
mit ganz unleugbarem Erfolge geschah.
1953
Grotesken
Alle grotesken Veranstaltungen sind nichts als Ver
suche, sich wie eine Stechmücke auf den Rücken des Lebens zu setzen, wo man dessen Gewicht nicht mehr spürt und selbst so gut wie keines mehr hat.
1936
Grundgeflecht
Jeder Augenblick des Lebens, auch mit seinem Durch
kreuztsein von sogenannten Trivialitäten im hellsten Licht des Bewußtseins und des Tages, steht auf einem
Grundgeflecht des
Sich-Beflndens,
welches
letzten
Endes allein das heuristische Prinzip abgeben kann
zum eigentlichen Erkennen der jetzt seienden Lebens
spanne und der Situation. Jede .Peilung* muß an dieses
Grundgeflecht rühren, irgendeinen seiner Knoten zu
berühren trachten, die sich dem lotrecht unter die eige nen Sohlen hinabgesenkten Blick durchaus nur in der aller-henidärsten Form und in schummrigem Lichte
darbieten. Es sind ruppige Heniden, ohne Titel oder i°7
Richtungsweiser, ohne Programmatik und Ideologie, und es gehört schon was dazu, den Blick auf sie fixiert zu halten und sie für den einzigen Punkt zu erachten,
von dem her Aufschlüsse und Winke erwartet werden dürfen - wenn zugleich einem diese letzteren, von kur zer und bewußter Herkunft, Reflexe von allen täg lichen Edeen und Kanten, nur so um Nas’ und Ohren
1942
summen.
Grundgeflecht Es bestehen überall als wesentlich und grundlegend
ganz inoffizielle Beziehungen zwischen Urtem, Men schen, Wörtern, Dingen und Vorstellungen, welche das eigentliche Geweb’ des Lebens ausmachen, ohne wel ches Geweb’ wir nicht wären - aber gerade von der
diesbezüglichen Histologie will niemand was wissen,
sondern es ist uns leichter und hat mehr decor, wenn’s in den gängigen und entschuldigenden Namen ein Unterkommen findet, wonach wir ständig streben: und
wenn’s so weit ist, dann widerstehen wir nicht, son dern lassen alles gerne in diese Gefäße gleiten.
1942
Gut und Böse Wer Gut und Bös, Plus und Minus, Weiß und Schwarz
nicht schattiert und raffiniert, sondern vermeint, daß
sich uns beides wirklich und statisch zu fassen geben kann, dem bleiben vom verbrannten Haus (das doch 108
menschlich war) nur zwei gewinkelte Dachsparren übrig, zwischen welchen das Leben längst in die Asche
gefallen ist. Scientes bonum et malum. Wer Gut und Bös, Weiß und Schwarz über das verstattete Maß hinaus sondert, dem zerreißt die umfan
gende Gashülle seiner Welt und durch den sich öffnen
den Spalt stürzt das Leben als formlose Frühgeburt in die Kälte des leeren Raums.
Der Mensch wird also gezwungen, korrelative Be griffe in Bezug aufeinander in Sichtweite zu halten und somit als relativ, non sciens bonum et malum.
Güte - aus
1941
der Intelligenz
Man muß dieses Gebreche und Gescherbe der eigenen
Schwächlichkeit nur deutlich gesehen haben, dann stellt sich die Nachsicht gegen Andere von selbst ein und
schließlich auch die Güte, nicht aus dem nahen Depot der eigenen und nie ganz verläßlichen Gutmütigkeit rasch entnommen, sondern von weiter her geholt, näm
lich aus der Intelligenz, welche den Scherbenberg von Unzulänglichkeiten erkennt, in welchem Jeder haust
und durch den er seine Maulwurfsgänge graben muß. 1958
109
Einträge zu G
I IO
H Haltung Haltung hat mit Vorläufigkeit nichts zu tun. Sie kann nie Vorsatz sein, nie als ein Geplantes erreicht werden.
Ihre Existential-Form ist die anschauliche Darstellung, mitten im Komplexen des Lebens. Sie ist die vollkom menste Synthese zwischen Eigenschaft und Überzeu
gung, welche gedacht werden könnte.
1941
Harmlosigkeit
Es werden manche geliebt um ihrer Harmlosigkeit willen; aber wenn sie mehr und mehr ohne Gegen wehr zurückweichen, werden sie am Ende doch miß handelt, und verfallen arm ihrer eigenen Bitterkeit.
Ihre Haltung beruhte nicht auf einer Entscheidung, daher mangelte ihr die zurückdrängende Kraft, die auch ohne Waffen Achtung erzwingt.
1958
Hausmeister Der Hausmeister kann, welthistorisch gesehen, was seine eigentliche Bedeutung betrifft, erst heute in vol lem Umfange, wie man zu sagen pflegt (aber ich be
haupte durchaus nicht, daß alle Hausmeister korpulent
sein müßten), erkannt werden. Er ist vor allem: Be111
Schließer (des Äons), zweitens Kenner: nämlich Einer,
der sich auskennt bei sämtlichen Parteien des Hauses,
die es in den verschiedenen Stockwerken bewohnen; drittens: Nutznießer dieser Parteien, für deren Ge
samtheit er auch den merkwürdigen Namen .Kultur*
erfunden hat. Kultur ist hier gleichbedeutend mit Gehobenheit, was so viel heißt, als daß sie sich im ersten, zweiten, dritten etc. Stock abspielt, ohne jedoch den
Betrieb in der Portierloge zu stören (obwohl man von
allem Kenntnis hat), insbesondere aber deren Geruch
nicht andersartig zu durchkreuzen.
1942
Hausmeister - sein Begriff Der Hausmeister kann nur als einer Gemeinschaft von
Mietern insitzend gedacht werden. Es gibt allerlei mit Hausverwaltung und Hauspflege befaßte Organisatio
nen und Organe, ganze Bureaux, und in diesen sogar
Juristen; ihnen allen eignet jedoch kein conciergischer
Charakter, weil hier das Insitzen fehlt, das allein auch die ringweise und wellenweise Ausbreitung des foetor conciergicus ermöglicht, welcher als hausmeist’risches
Centralphänomen anzusehen ist.
1964
Hausmeister - Vermehrung Viele Arten von Lebewesen niederster Stufe vermehren
sich durch einfache Spaltung. Eine metastatisch-ata vistische Form derselben wird auch bei Warmblütern
112
nd sogar bei einzelnen Menschenrassen, die auf troglo-
t
ytischer Stufe verblieben sind, beobachtet. Die Pari
ser und Wiener Hausmeister etwa metastasieren bei denjenigen Mietern, die lange im Hause wohnen und
zu welchen ein amicales Verhältnis entstanden ist, in so weitgehender Weise, daß in einzelnen Wiener Zins häusern bei ein und derselben Hausmeisterin acht bis
zehn Paar Augen beziehungsweise Ohren festgestellt werden konnten (multiplicatio conciergica). Die Zahl
der weiblichen Individuen, welche conciergisdie Meta stasen zeigten, überwog dabei die der männlichen bei
1958
weitem.
Hausmeistergeruch Der Hausmeistergeruch (foetor conciergicus) wird in
Städten mit entwickeltem Hausmeisterwesen, wie etwa Paris oder Wien, in den Mietshäusern zur schlimmen
Plage, der aber wirksam nicht begegnet werden kann, solange kein Gesetz die Mieter berechtigt, im Falle des Spürbarwerdens von foetor c. gegen den Hausmeister
und seine Familie brachial vorzugehen. Zwar kann
foetor c. nicht vorsätzlich und willentlich erzeugt wer
den. Jedoch lehrt die Erfahrung, daß bei Schockwir kungen, z. B. kräftigen Prügeln, die Absonderung aus
setzt. Fast alle aus Hausmeisterfamilien stammenden Individuen erwiesen sich bei der Untersuchung als zur
Ausscheidung von foetor c. ständig disponiert. ”3
1952
Hausmeisterphilosophie Es gibt eine besonders ordinäre und billige Art, gegen
das Egozentrische Positur zu nehmen, wobei Einer, in
anscheinender Großzügigkeit und Weite des Blicks, sich in Wahrheit nur vor der Penibilität seiner eigentlichen
Pflichten seitwärts in die Büsche schlägt: ,Man darf das einzelne Leben und auch sein eigenes nicht so wichtig
und tragisch nehmen. Man denke an die Millionen von Schicksalen, an die Jahrhunderte, und daran, daß in 50 Jahren dies alles, was Einen jetzt bewegt und erregt,
vollkommen gleichgültig sein wird ... * etc. etc. Das ist
der Versuch, Götter und Menschen mit der reinen Quan tität zu erschlagen, vor der allein sich diese Frechheit als .Stäubchen* zu fühlen vermag, statt vor der höch
sten, unendlichen qualitas als geschöpflich und neben sächlich. Die reine Quantität jedoch kann immer noch größer gedacht werden, das ist wahrlich kein Kunst stück; und eben darum bleibt sie ewig klein, klein selbst
im Vergleich zu mir einzelnem winzigen .Menschlein*.
1941
Heil und Wohl
Heil und Wohl sind Parallelen, die sich im Unendlichen schneiden. Nicht selten aber schlägt im Endlichen schon ein überspringender Funke zwischen beiden die Brücke
eines gnädigen Kurzschlusses.
114
1942
Heiraten
Heiraten ist der immer neue männliche Versuch, das
Unordenbare zu ordnen; bei diesem Anlasse wird der jeweils in Frage kommenden Frau noch bessere Ge
legenheit gemacht, das ewig gleiche Chaos in’s Leben
ihres Mannes einzuschleppen; womit der Ordnungs versuch auf Null ausgeht.
102
Herkunft und Hinkunft
Woher Einer kommt, ist bei nahezu Allen von aller-
größester Wichtigkeit. Wohin Einer geht, ist nur bei ganz Vereinzelten von
einer die Herkunft überwiegenden Bedeutung.
i942
Herrenschneider
Ein Schriftsteller muß so sein wie die großen Herren schneider, welche einem Menschen mit liebevoll um fassendem Blick ein G’wand an den Leib dichten, das aus der Krepierlhaftigkeit des betreffenden Schlaf
wagengent einen leicht geknickten Charme liebens würdigster Zerbröckelung oder aus der aufdringlichen
Lakelhaftigkeit eines oberösterreichischen Brontosaurus
so was wie gelassene Wucht macht. Aber sie selbst, diese
i’i
Meister ihres Fachs, diese erfolgreichen Ärzte an den
Gebrechen unzulänglicher Form, diese Therapeuten des
Außenbilds - sie bieten selbst bezeichnenderweise fast überhaupt keines, sie verschwinden tief in unbedeu
tende und spießbürgerliche Anzüge hinein, der Rock
meistens von einem anderen genommen als die Hose,
und in irgendeiner zufälligen und rein aus Abnützungs-
Utilität kommenden Zusammenstellung graubraun kuttenhafter Farbe. Die äußere Brusttasche ist vom Gebrauch erweitert. Bleistift und Block oder sonst
etwas dieser Art nimmt dort den für ein luftiges Faci-
nettl gedachten Platz ein. Also der Herrenschneider in seinem Bonjourl mit dem zusammengerollten Zenti
metermaß sei unser metaphorisches Vorbild! Er sieht
sogleich, was man aus irgendeinem Menschen machen könnte und was dieser auch wirklich aus sich machen
sollte, er sieht weit in dessen noch leere Perspektiven hinaus und tief in ihn hinein, wo die unerfüllte und
unerlöste Figur steckt: die will er herausbringen. Die
großen Schneider scheinen frenetische Verehrer der Skizzenhandschrift ihres Schöpfers zu sein: und sie
wollen diese in allen Gesellschaften und auf allen Fünf-
Uhr-Th6s ordentlich durchgearbeitet sehen. Ich würde so gerne das Geschlecht der Herrenschneider vor der
erdrückenden Übermacht Johann Nestroy’s retten, dem offenbar dasjenige an ihnen (und den Friseuren, Fai
seuren und Schriftstellern), was man ,Die Wichtigtuerei als eine schöne Kunst betrieben* nennen könnte, auf die Nerven gegangen ist. Aber ich bin noch immer nicht 116
fähig, mich von der axiomatischen Kraft jenes Lehr satzes frei zu machen, der uns da sagt, das Maßneh men sei ein altes Vorurteil, welches noch keinen Schnei
dermeister verhindert hat, jedes neue G’wand zu ver 1943
pfuschen.
Hilfe
Man kann niemandem helfen, man müßte ihn denn
ganz auseinandernehmen; da man ihn aber nicht wie der zusammenzusetzen vermöchte, so rückt jeder hel
fende personelle Eingriff unter die Kategorie des gei
stesmechanisch und lebensgemäß schlechthin Unstatt
1957
haften.
Historische Zeiten Die Vergangenheit muß sich prall vor uns aufstellen,
wie ein geil wucherndes Gewächs, ja geradezu wie in Erektion. Das Desaveu, welches ihr später, schon im
Kostümstadium, gleich einem Faschingshut aufgesetzt worden ist, hat mit ihrer Existenz als Gegenwart nicht das mindeste zu tun und stand zu jener Zeit bloß in der
Möglichkeit, die erst heute als eine unausbleibliche Ver
wirklichung erscheint, und uns mit ihrer Erstarrungs form die Sicht auf den damals durchaus noch plastischen
19 51
Zustand verstellt. 117
Höflichkeit
Unter Höflichkeit verstehe ich die Übung, mich selbst jederzeit einem Anderen aus dem Wege zu räumen.
Deshalb ist das Zurücktreten vor der Tür ein Symbol, das alle anderen Formen der Höflichkeit einschließt. IJ42
Höhe des Lebens Die Höhe eines Lebens wird nicht erreicht, damit man
sich hinaufsetzt, sondern damit man in besserer Luft 1933
weitergeht.
Hölle Eine von uns Menschen bestens gemachte Welt, die uns so unentrinnbar dann umschließen würde, wie es jetzt
die von uns nicht geschaffene tut, wäre ein Vorgebilde
der Hölle, obwohl selbst im totalen Staate das Ge wachsene durch das Gemachte nie ganz verdrängt wer den kann; beide umschließen das Leben dort in Schalen,
die jedoch so verschoben sind, daß ihre Mittelpunkte nie zusammenfallen können; immer bleibt dabei die Schale der Gewachsenheit gleichwohl die umfassendste und hinterste, welche alles Gemachte mäßigt; diese jedoch einmal weggedacht, wird das Epi-Zentrum der
Gemachtheit zum alleinigen Zentrum: und die Hölle ist perfekt.
1933
118
Hypochondrie
Der letzte Grund aller Hypochondrie ist eine in’s Medi zinische hinabgerutschte transzendentale Angst: näm
lich vor dem endgültigen Verlust der physischen Voll kommenheit - oder wenigstens Vollständigkeit, Kom plettheit - als Ebenbild Gottes. Aus dieser Angst ent springt so eine Art kleiner Panik, in welcher sich der Betroffene mit seinem vermeintlichen Übel vom übri
gen Leben separiert, jenes bepflegend, und nun freilich
geplagt von einer heillosen und haarspalterischen Wahrscheinlichkeitslogik, deren Assoziationen vom Hundertsten in’s Tausendste gehen, oder vielmehr be
schleunigt fallen, weil sie durch die Präsenz des Lebens
ganzen nicht mehr gehemmt, gebremst oder ausgewogen werden: die Hypochondrie ist eine echte Geisteskrank
1943
heit.
119
Einträge zu H
I 20
I
Ich und Du
Ich will dich sehen so deutlich und detailliert, wie ich
mich selbst kenne, und mit der Schonung, ja Kritik losigkeit, die ich mir selbst vergönne. Ich will mich
selbst nicht weniger deutlich sehen, aber mit jener leichten Bereitsdiaft zu einem Todesurteil, wie ich sie dir gegenüber stets im Handgelenk habe.
1942
Ideologie
Das Ideologische ist letztlich der Meinung, sciens bonum et malum zu sein und das aus solchem scire sich ergebende Weltgericht in vereinfachtem und abgekürz
tem Verfahren sogleich und allgemein durchführen zu müssen. Daher führt ausnahmslos jede Ideologie zur
Schlächterei; selbst eine solche von christlicher Abkunft oder Herabkunft oder eigentlich: Herabgekommenheit.
Hier zuletzt ist zwischen Calvinismus und Leninismus
kein Unterschied mehr.
1941
Ideologie
Als ideologisch erscheint in unserem Leben derjenige Teil unserer Überzeugungen, den wir nicht mehr nach
innen zurückwenden und also in Eigenschaften ver121
wandeln konnten. Waren jene Überzeugungen gegen
die Natur des Lebens selbst gerichtet, dann lag der Fall
von vornherein hoffnungslos und das Ganze blieb un verwandelt, uns durch sein Übergewicht aus dem eigentlich lebendigen in einen bisher ungekannten Zu
stand geminderter Anschaulichkeit reißend, während
rückwärts am Horizont das Leben selbst zum blassen
1942
Nachbilde schwand.
Idiotische,
das
- sein Wert
Wer nicht bereit ist, alles bestechende Inventar des Geistes aufzugeben um der Einblicke willen, die man
nur vom Rande eines halbidiotischen Zustandes haben kann: dem ist die Repräsentation des Geistes wichtiger als dieser selbst, der gehört als Stammgast oder als
Redner auf die Tagungen, welche das sogenannte kul turelle Leben uns laufend liefert.
1953
Impotenz Dem Impotenten fehlt nicht mehr der geschlechtliche
Umgang. Sondern er vermißt in unbenannter Weise eine Quelle störender Belebung.
1965
Indirekt - auch im Genüsse
Man kann nichts genießen, worauf man geradezu seine Aufmerksamkeit richtet: eine Landschaft geht tief in 122
uns ein, wenn ganz andere Gedanken uns noch tiefer bewegen; und eine treffliche Mahlzeit genießt sich am
besten durch den Schleier angenehmer Gesellschaft und belebten Gespräches. Aber geradezu am Zipfel des Ge nusses etwas festhalten, das vermögen wir nicht. Es
muß zu einem Anderen hinzugegeben werden.
19 5 3
Inspiration
Man darf keineswegs vermeinen, immerzu produktiv und inspiriert sein zu können oder gar zu sollen. Ein
solcher Zustand - bei großen Genies, deren Leben rasch und kurz ablief, ist er anzutreffen - wäre kaum ein Leben zu nennen, sondern eher ein Dahintaumeln, die Faust des Gotts immerwährend im Genicke: nie könn
ten auf solche Weise geistesmechanische Erfahrungen
gemacht, die tätige Leere geübt, das Warten und end liche Eintreffen erlebt werden. Gültig und beispielhaft
ist immer nur unser Verhalten vor dem Geschenk -
damit uns dieses nicht zum Gericht werde; trifft’s aber ein, so gibt es doch allemal eine Art Panik auf höherer Ebene, in welcher nur die durch Einsicht tief eingespur
ten und bereits zu Eigenschaften gewordenen Tugen
den - auch die technischen Tugenden solchen Grades -
noch funktionieren: sie allein versichern uns einer rei nen Gangart auch bei verhängten Zügeln. Anders: der Griff des Gotts bringt nur an den Tag, was einer vor
her schon geworden ist: nämlich bereit, bereitet, gut zu
geritten von ihm selbst, als seinem eigenen Bereiter.
i?J7 Intelligenz Das mögliche und daher geforderte Werk jedes Lebens
ist das Freikriegen der Intelligenz durch Hereinbrechen
eines Meeres von Unwissenheit, welches uns einfach in
den Blick wogt, so daß wir davon nicht absehen und
weiter unsere Mäuerchen machen können.
195$
Intelligenz und Altruismus Die Aktion einer überlegenen Intelligenz gewinnt oft
den Anschein der Selbstlosigkeit, weil sie vom wirk lichen Denken herkommt, welches immer uninteressiert
und also im gewöhnlichen Sinne selbstlos ist, und weil dieses Denken und jene Aktion an der ersten Dinglich keitsreihe ihres Trägers nicht mehr festgewachsen sind,
was sonst beim Denken und Tun fast aller Menschen der Fall ist, weil zwischen sie selbst und ihre bestimmenden
Ausgangspunkte sich niemals ein Drittes allmählich ein schob, das sie von ihrem ersten und schlechthin über nommenen Eigentume getrennt hätte.
19$;
Intelligenz - ihre Ausbreitung Die sich ausbreitende Intelligenz ist wie ein Gas. Sie
dringt zuletzt in die feinsten Ritzen der Psycho-Physis 124
und vernichtet dort unsere wanzenplatte Dummheit,
mag sich die noch so tief verschloffen haben.
1915
Intelligenz - ihr Erwerb
Das Erwerben von Intelligenz wird nicht vollzogen durdi ein Hinzu-Gewinnen, sondern wesentlich durch Aufgeben und Fallen-Lassen. Es weist dieser geistes
mechanische Sachverhalt darauf hin, daß der Mensdi, in seiner ursprünglichen Anlage intelligent geschaffen, diesen überlagerten Kern nur freizulegen hat.
19 55
Intelligenz - ihre Verfassung
Jederzeit besuchsfähig zu sein: dies ist das comme-il19 5 3
faut der Intelligenz.
Intelligenz - Verpflichtung
zur
Wir wissen nicht, was wir wirklich wünschen, was wir
eigentlich angefangen haben, noch was wir damit letzt hin meinten. Gleichwohl sagten die Alten: quidquid agis prudenter agas et respice finem. Die Verpflichtung
zur Intelligenz ist dem Menschen in seine chaotische
Verfassung gelegt wie ein Demantstein in eine Schüssel voll Kraut und Rüben.
i9$i
Irdisches Leben - Abwendung davon Die sogenannte ,Abwendung vom Irdischen* bedeutet
in Wirklichkeit dessen Hypostasierung. Denn wenn
das ewige Heil oder Unheil hier auf Erden und in die sen wenigen Jährchen gewirkt werden soll und kann, dann wird ja in der ganzen darauf folgenden Ewigkeit
nichts mehr anzutreffen sein, was hinsichtlich der Ent scheidungswucht mit unserem Erdenleben vergleichbar 1953
wäre.
Ironie Die Ironie ist unser einziges Mittel, um bei Verlust der
geistigen Spannung nicht in die Dummheit auszuarten. Sie hält diese sehenden Aug’s als einen Punkt beisam men, in welchen sie ihre Zirkelspitze setzt und verhin
dert so, daß jener Punkt zu einem Klecks werde, der
mit dem übrigen Leben verfließt. Die Ironie ist der allein befähigte Platzhalter des Geistes in dessen Ab
wesenheit und also sein Kommissär in den weiten Be reichen unsrer Schwäche und Schwachheit.
1943
Ironie Ironie ist unser Verhalten (im Doppelsinne des Wor tes) dem Rest von Figur in uns gegenüber, die wir nicht
haben werden können.
196)
126
Irävege Man verriß oft das Steuer und nahm nicht, was sich
bot - weil es auf einem fälschlich beschrittenen Wege
uns begegnete. Das ist die eigentliche Bestrafung auf bösen Wegen, daß wir dort auch ein begegnendes
Gutes, das sich uns gönnen würde, nicht ergreifen kön nen. Wir haben plötzlich keine Hände. Und bleiben
auf diese (irgendwie an die Hölle gemahnende) Art
davor bewahrt, am Irrweg auch noch festgelegt zu werden.
1954
Einträge zu I
128
J Jenseits
Unser letztes und großes Abenteuer ist das Jenseits,
vorgeformt durch viele Jenseits im Diesseits, durch die wir schon jetzt und hier tauchen: das, und nichts an
deres haben uns des Lebens wechselnde Sphären, Atmo
sphären und Befangenheiten zu lehren. Also, letzten Endes: das Abschiednehmen. Wir lernen es lebenslang
und mangelhaft und darum sterben wir dann ,den schweren, schweren Tod*, wie ihn J. P. Jacobsen am
Ende von ,Niels Lyhne' nennt.
1966
Jenseits im Diesseits
Das Jenseits im Diesseits ist ein Grundprinzip allen Lebens und Sterbens; es enthält auch die Beneficien des
Enthobenwerdens.
19s6
Jetzt
Jetzt: das ist Sichtbarwerden aller Gesetze zugleich.
Die Lage ist immer legal. Sie will appercipiert, nicht
kritisiert sein; und sie wird sichtbar im Zerfall der fal schen Ganzheiten. Nur wer den Mut hat, jene zerfallen
zu lassen in der unvorgeordneten Apperceptivität, wird 129
den Grund jeder Lage - im doppelten Sinne - er 1961
blicken.
Journalist, der
Ein Journalist ist ein Mensch, der immer etwas Wichti
geres zu tun hat und daher nie zum Wichtigen kommt. i9J3 Journalistik
Journalistik entsteht durch die Angleichung eines
Autors an die in der Sprache seines Zeitalters jeweils herrschende Art literarischer Herabgekommenheit.
1950 Jugend - ihre Aufgabe
Es kommt nur darauf an, daß man’s so weit aushält:
seine schwersten Irrtümer zu überleben nämlich. In der zeitlichen Verlängerung müßte jeder geistesmechanisch
normal Veranlagte zum Genius werden, durch Ein sicht; jedoch tritt hier eben die zunehmende Gleich gültigkeit gegen alles und jedes dazwischen, welche
dem höheren Lebensalter allmählich sich beimischt; woraus resultiert, daß wir unsere genialischen Ge schäfte in der Jugend abzumachen haben. Späterhin vermöchte das ein Jeder, wenn er nur nicht verblödete.
Das Genie kann man nicht ersitzen, wie die Beamten
ihre Pension.
19p
130
Jugend und Modernität
Jede Jugend eines beliebigen Zeitalters hat so weit Zu kunft, als bei ihrem naturgemäßen Verfallen an die
jeweilige Modernität ihrer Jahre ein davon unberühr
ter Rest übrig bleibt. Die in einer Jugend auftretenden Frauen nehmen dabei immer die Partei des Verfallens und bilden - infolge ihrer vorbehaltslosen Zeitgemäßheit - dessen anschauliches Schwergewicht.
¡957
Einträge zu J
K Kenntnisse
Wissen ist selbstleuchtend, Fixstern, Sonne. Das Wissen geht aus Erlebnissen hervor und enthält
sie. Kenntnisse sind unter Umständen beleuchtet, Pla
neten. Die Merkfähigkeit behält sie.
Die Hausmeister und die Techniker verwechseln die
Fixsterne mit den Planeten.
1941
Kenntnisse Wissen verhält sich zu den Kenntnissen wie der süße
Fliegenleim zu den Fliegen: seine Klebefähigkeit ist enorm und er lockt ganze Sdiwärme an.
Dies ist eines der Geheimnisse aller Universalität;
und nebenbei auch die Erklärung der Tatsache, daß jeder wirkliche Schriftsteller einen Polyhistor abgeben könnte, das heißt, daß er enorme Kenntnisse besitzt,
welche zum Teil schon vertrocknen, zum Teil noch
zappeln, zum Teil überhaupt noch in der Luft herum fliegen.
1942
Kinderspiele Die Kinderspiele erfassen die Essenz und euphorische
B3
Lust aller Erwachsenen-Tätigkeiten: diese sind in den Spielen gleichsam geläutert und belebt dargestellt.
Kindheit Das Unglück und das Glück der Kinderjahre besteht
gleichermaßen in nichts anderem als in ihrer Ein
geschlossenheit: und das heißt Ausgeschlossenheit von
jeder Möglichkeit des Vergleichens.
’953
Kindheit und Tod
Am festesten gründet in uns doch die Gegend der Kind heit, weil dieser die größte Intensität der Appercep
tion und damit die größte Ausführlichkeit eignete. Was dann noch hinzukam, war ein chaotisch uns begrenzen
der Okeanos von wesentlich geringerer Dichte. Wir
schweben wie ein Saturn-Ring um unsere Kindheit, wir kreisen um sie, wie die blassen nebligen Kometen um die Sonne, immer wieder in elliptoider Bahn sich zu ihr zurückwendend. Kindheit und Tod sind die beiden Brennpunkte jedes Lebens. Sie bestimmen seine Bahn-
Elemente. Und beide Punkte stehen immer leuchtend
in dem samtenen Dunkel unseres Innern.
1953
Kitsch Kitsch ist nichts anderes als die Erfüllung einer einst
vom Geiste ausgestalteten Formenwelt mit den hinein-
’34
geschmuggelten Inhalten der Vorlieben und des Cha-
rakteriell-Determinierten, das auf solchem kurzen
Wege den Glanz einer höheren Weihe erschleichen möchte.
19 p
Klein und Gross
Wer nicht ganz klein war, der kann nie ganz groß wer
den. Das gilt für das männliche Glied genau so wie für
die persönliche Entwicklung des Menschen.
1961
Kollektiv-Biographien
Vor dem Leben in ein Gefängnis fliehen, das ist die Biographie der meisten, und solch ein Leben reicht grad
aus, um den Kerker zu erbauen, darin es am Ende sitzt. Manche jedoch beziehen in der Jugend schon auf dem
Wege über Mord und Raub jene Zellen, die, von an deren gebaut, bereitstehen.
1953
Komposition Die Komposition eines Romanes muß ständig bedroht sein von Einbrüchen aus dem Ganzen des Lebens, also
von ihrer Auflösung. Dazwischen hält sich unbegreif
licherweise dasjenige, was wir Handlung nennen: und enthält doch zugleich wieder jene Auflösung in sich. 1963
Konkretionen Da liegt’s: direkt im Griff. Konkretionen können fast
schamlos wirken, und das manifeste Leben - welches
nicht weniger rätselhaft bleibt, als das noch in der Mög lichkeit hangende war - schlägt uns mit dem Ahnungs vermögen viele unserer besten und geheimsten Kräfte
und Waffen aus der Hand, und lümmelt uns vor allem
dadurch an, daß es wohl zu verstehen gibt, wir hätten jetzt garkeine Möglichkeit mehr, uns zu entscheiden.
Und, wirklich: in allen solchen Fällen haben wir sie
19 J 5
längst verspielt.
Konzilianz Ein gut Teil unserer schwersten Fehler geschah um des
augenblicklichen lieben Friedens willen. Merke: die Konzilianz ist keine allgemein giltige Heilslehre, und
keineswegs ein Schlüssel, der zum Aufschließen jeder
Lage paßt: macht sie uns augenblicklich auch, wenn wir sie wieder einmal geleistet und erfüllt haben, ein gutes Gewissen: so kann aus ihr dermaleinst ein um so
schlechteres entstehen.
1956
Konzilianz
Einmal einen Standpunkt mit dem ganzen Sein be zogen: schon ist man konziliant. Die Ideologen sind
nur unduldsam, weil sie etwas meinen, was man nicht sein kann.
1964
136
Kräfte - ihre Ökonomie In der Richtung des geringsten Widerstandes sich be
wegen heißt auch die Finger lassen von allein was man nicht kann und sich Zusammenhalten für einen Tiger
sprung in der Richtung unserer größten Kraft.
¡964
Krankheit Die Krankheit leistet dem Geist Hilfe, wenn er sich
festgefahren hat und anders nicht mehr weiterkommt. Sie bricht alle Zellen des fest und glatt - allzuglatt,
möchte ich sagen! - geschlossenen Leibes auf (weshalb man sich auch krank, in Stückchen zerfallen, .zerbro chen*, ,cass£* fühlt), und aus diesen aufgebrochenen
Zellenvölkern kommen dem Geist die rauhen und heißen Kerne neuer Anschaulichkeiten, so daß er wie
der Halt und Haft findet an Objekten, die, allzufertig, ihm das ohne die Krankheit nicht mehr gewährt hät ten. Jede echte Krankheit ist eine echte Geisteskrank
heit, die zugleich das Serum hervorbringt, sich zu 1958
heilen.
Krieg Der Mensch kommt, im Kriege erlebend, nicht zu sich selbst, sondern immer wieder zu den Anderen. Die
Ernte wird innerhalb der Welt des legal-organisierten
Schreckens nicht in den Kem der Person eingebracht,
*37
sondern an’s Kollektiv zurückverteilt. Daher im
wesentlichen die besondere Neigung zu Erzählungen.
1945 Kritik Das kritische Organ im Menschen ist die Notbrücke
zwischen dem Innen und Außen, die einander ent fremdet wurden, über den klaffenden Spalt einer min deren Wirklichkeit. Dichtung wurzelt im archaischen,
Kritik im historisdien Zustand. Der Roman vereinigt 1954
beide.
Kultivierten, die
Menschen, die friedlichere Kreise um sich ründeten,
haben mit ihrem sanften Verzicht hohe Tugend be wiesen. Aber es verbreitet sich um solche ein da und dort schon dumpfiger Duft, und an ihrem Leibe und
Leben erscheinen die Leichenflechen des Unschöpfe
1955
rischen.
Kulturen Das Beste, was uns die Völker zu bieten haben, ist ihre
immer wieder andere Art, wie sie die Landschaft, die
ihnen gegeben war, auf vordem nicht bekannte Weise
in ihre Lebensform einbezogen, und mit dieser zu über
spinnen vermochten: im gleichen Raume und neben an deren ein Jenseits im Diesseits errichtend.
138
1959
Kunst - Kern
der
Man muß sich klar darüber sein, daß es in der Kunst
um die Erstlinge einer bis zu uns hereinreichenden höheren Vernunft geht, die freilich hienieden sich noch
ganz irrational ausnehmen.
1953
Kunst und Wissenschaft
Von der über uns verhängten Unwissenheit kann nur
der Künstler nicht getroffen werden, welcher daher am ehesten fähig sein wird (und auch dazu bereit) die Eitelkeit allen Wissens zu erkennen. Er dependiert nicht
davon. Er bewältigt die Welt auf andere, nicht sagbare,
direkte, enumerable Art, zu der auch des größten Weis heitslehrers Rede herabsinken muß, wenn er sich mit
teilt. Aber ein Kunstwerk teilt sich nie mit. Ein wirk licher Roman ,geht‘, wie ein Uhrwerk, bewegt in sich selbst, wie ein Planetarium etwa. Er ist’s ja auch: Ab bild des Kosmos.
i96i
Künstler, der
Eine gewisse Krüdität, Willen und Bereitschaft sein
Material auch brutal zu bekneten, muß dem Künstler eigentümlich sein, ebenso eine Art von Sdiwindelfrei-
heit in jenen Augenblichen, wo er über dem Nichts zu hängen scheint, und brav loslassen muß, um in die
Wirklichkeit zu fallen, wie ein Trinker in die nächste Schenke einfällt.
19 $ 3
139
Künstler - Egozentrik Man beschimpft gerne den Künstler als Egozentriker. Doch fehlt hier ein Buchstabe: er ist Ergozentriker,
denn Ergon heißt das Werk. Die Anderen aber treiben’s ohne den fehlenden Buchstaben noch viel ärger. Dabei
ist ihr Zentrum unauffindbar: vacat.
1964
Künstler - Glaube
Der Mut zur eigenen Begabung ist die Glaubensform
1954
des Künstlers.
Künstler - untereinander Die Abneigung des Künstlers gegen die schöpferische
Sphäre von seinesgleichen ist analog der Abneigung
jedes gewöhnlichen Mannes gegen die Genitalsphäre eines anderen. Gebildetheiten und guter Wille, Bewun derung und Wohlwollen können den Sachverhalt ver
schleiern, nie aber im Grunde verändern.
1962
Künstler - sein Wagemut
Es muß der Künstler sich zu einer gänzlichen VorausSetzungs-Losigkeit durchschlagen, da seien die Hin
dernisse auf dem Wege zu ihr noch so lobenswerte oder
ehrwürdige: eine gewisse Krüdität des Griffes in’s
innerste Geweid ist sein durch nichts noch gerechtfertig140
tes Wagstüdc. Und wer das alles nicht wahrhaben will,
der liebe sidi seinen gehobenen Ton, über die Tonnen gewölbe hohler Keller schreitend, die nicht er gegraben, nicht er eingewölbt hat, die er nie auszufüllen ver
möchte; der werde ein Fälscher und Epigone, an dem
frühzeitig die Literatur-Preise kleben bleiben, ein Ge förderter und Preisträger von Beruf.
1953
Kunstwerk - seine Entstehung
Aus den hauchenden Zuständlidikeiten ein festes Haus bauen, darin wir nicht wohnen werden, da es uns aus
schließt, sobald der letzte Stein an seinem Orte sitzt: das ist die Entstehung eines Werks der Kunst.
141
1953
Einträge
142
zu K
L Lächerlichkeit Die blutigen Risse der Lächerlichkeit, die wir uns zu gezogen haben, heilen von all’ unseren Wunden am
schwersten: und daß sie nicht heilen, ist ein Beweis unseres geistigen Ungenügens. Wir möchten einer Art von Ungeschicklichkeit die Schuld zuschieben an sol
chen schlechtheilenden Verletzungen. Aber dem ist nicht so; es war unser Geschick, das aus der Ungeschick lichkeit sprach, ja unsere Geschicklichkeit in einem bes seren Sinne: daß wir vermochten derlei .Krankheiten*
uns zuzufügen, die, immer wieder mahnend und uns stolpern machend, das sehr Relative der eigenen Ge 19 51
sundheit demonstrieren.
Landschaft
Es wird alles Landschaftliche uns entgegengehalten, als ein Teil des dichten Netzes unserer Befangenheit. Wir müssen es hinnehmen, was bleibt uns auch anderes. Aber allermeist wissen wir doch damit nichts anzufan
gen.
I9J4
Langeweile Wenn wir ohne Spannung sind und daher auf die Ge-
>43
genstände der Außenwelt zu fallen - statt daß diese
von uns angezogen werden - dann empfinden wir Langeweile. Wer sich langweilt, der hat den eigenen
Mittelpunkt über den Rand seines Mikrokosmos hin
aus abgleiten lassen, daher denn von ihm aus ein er frischendes und spannendes Gesamtbild nicht mehr wahrgenommen werden kann, sondern nur ein natur
gemäß formloser Brodten. Langeweile ist die Welt ohne Mittelpunkt.
1941/41
Langeweile Die Langeweile ist das stillste, aber vielleicht das am
meisten die Führung prüfende Fahrwasser des Lebens. Denn hier kommt es wirklich heraus, was an einem ist und was nicht, wenn die Kügelchen der Viertelstunden
klingend in eine weite, leere Schale fallen.
1954
Lärm
An’s ferne Lärmen ist der Großstädter gewöhnt wie der Fischer an’s Brandungsgeräusch des Meeres, ebenso daran, daß alle Menschen rundum unbedenklich und
indiskret ein Geräusdi-Volumen in Anspruch nehmen, das sozusagen weit über ihre Verhältnisse geht; wie
sich denn noch keiner Gedanken gemacht hat bezüglich des Maßes seiner Raumverdrängung überhaupt, in je
der Hinsicht und in bezug auf alle Sinnesgebiete, welche Raumverdrängung ja notwendig im lächerlich-
144
sten Mißverhältnisse zur Nichtigkeit der betreffenden
1957
Person stehen muß.
Laster
Keine Befangenheit ist pathologisch, wenn sie spontan
und unikal auftritt, ohne tendenziös gesucht worden zu sein, ein plötzlich aufschießender Geysir, der dann
wieder in die Tiefe des Lebens zurücksinkt und sich dort unten mit ihm vereinigt, in ihm verliert. Einmal ist keinmal.
Wird jedoch dieses Lebenswasser jedesmal aufgefan gen, bewußt und tendenziös abgeleitet, abgesondert und gespeichert, so siedelt sich darin eine pathologische
Flora an.
Laster ist die Verbindung und Aussonderung von Punkten reinster Spontaneität durch ein hier ganz un
zuständiges Continuum.
1942
Laster
Jedem Menschen ist mit seinen besonderen Lastern und Schwächen und ihrem Hervortreten oder Zurückwei chen ein ziemlich genaues Meßinstrument mitgegeben,
das ihm seinen jeweiligen Stand anzeigt. Man stürze sich nicht moralisierend auf seine spezifischen Fehler, in direkter und subalterner Weise, um sie selbstgerecht
zu verbessern. Man lese vielmehr richtig von ihnen ab;
’45
und man sei sich im klaren darüber, daß man ihrer zu 19 J1
diesem Zwecke bedarf.
Laster
Keine Saufkumpane, Weiber und Lumpenbrüder! Kein Geschwätz. Die exklusiven Formen schubweisen Selbst
mordes, allein und innerhalb der vier Wände, sind den
geselligen vorzuziehen.
1952
Leben
Leben ist eine verhältnismäßig selten erscheinende
höhere Wirklichkeitsstufe des Daseins, zugleich dessen inkommensurables aber einziges Maß.
1953
Leben
Die Befangenheit, mit der wir fest im Leben stecken wie
gesunde Zähne im Kiefer, besteht kraft der Hypostasierung, die jeder uns jeweils erfüllenden Vorstellung
jederzeit zuteil wird. Leben ist Übertreibung. In ihrer
äußersten Hypostasis aber enthält jede unserer jewei ligen Vorstellungen jederzeit das Ganze.
19B
Leben
Die wesentliche und schwerste Aufgabe unserer geisti
gen Existenz ist nicht, die Rätsel des Lebens zu lösen, sondern an ihnen nicht zu ermüden. 146
1953
Leben
Im Grunde: es wird uns ein fremder Hut aufgesetzt auf einen Kopf, den wir noch garnicht haben.
19 f 3
Leben
Unser Leben: Diesseits-Gärtchen mit Blick auf den
Jenseits-Strom. Aber im Benachbartsein beider Grund
befangenheiten liegt das schlichthin Wunderbare, wel ches man freilich nie sehen kann, wenn man die eine
bagatellisiert oderdieandere leugnet.
1954
Leben
Im großen und ganzen steht mir das Leben gegenüber
als eine undurchsichtige, aber nach mir bekannten, ge heimen und gefährlichen Gesetzen ihre Teile gegen einanderbewegende Irrationalität: überall ist Gelegen heit, zwischen und unter die Räder zu geraten.
1960
Lebensfreude
Die eigene Person kann auf die Dauer unmöglich als
Eiscr&nebecher behandelt werden, aus welchem man möglichst viel sogenannte Lebensfreude herauslöffelt,
sei’s auch in sublimerer Art. Denn erstens widersteht einem endlich die Eiscreme, und zweitens hat man sich
bei dem Vorgang schon ganz erheblich ausgehöhlt, weil 147
da immer noch ein und noch ein Löffelchen genommen
1953
wurde.
Lebensumstände Jeder setzt soviel neue Umwelt, als ihm an Intelligenz fehlte, die ursprünglich gegebene zu begreifen.
195*
Leere
Das Maß unseres Befreundetseins mit der Stille und
Leere ist das Wachstums-Maß unseres Geistes, und die
sich ausbreitenden Stumm- und Leer-Räume sind seine eigentlichen Eroberungen.
1954
Leib und geist
Bei den Leibesübungen macht man auch keine unnöti gen flügelmännischen Bewegungen, weder im Wenden auf der Reitschule, noch wenn man einen Pfeil ab schießt, oder auf den Skiern schwingt. Ebenso erfordern
die Aktionen des Geistes Ökonomie und nur sparsame, aus der Bewegung selbst hervorgehende Gestik.
19 54
Leichtinger, die Unausgesetzt wird von denen, die sich’s leicht machen,
jenen, die sich’s so schwer wie nur irgend möglich ma chen, irgendwas beigebracht. Dem muß eine Mission 148
innewohnen. Sie drängt uns darauf hin, keine Rück sicht mehr zu kennen, sondern allen diesen Leiditingem - deren Identität man auch über gelegentliche, zwischen
ihnen erscheinende Gegnerschaften hinweg, erkennen
muß - eine glatte Wand der Unzugänglichkeit entge genzustellen.
1955
Leistung Der Mensch kann nur als ein Seins-Typus eine Kate
gorie ganz erfüllen; hierin liegt die Beschränkung aller die was leisten und die Überlegenheit jedes universellen
Müßiggängers.
1965
Lesen Ein wahrhaft bedeutendes Werk jenseits aller Ideo logie ist wie ein heißer Topf ohne Henkel: nun trinke
draus, wenn du’s vermagst! Allen der Dummheit Er gebenen gibt dies (die Henkellosigkeit nämlich - denn
sie sehen’s gern, wenn was ihnen Faßbares hervorragt) ein willkommenes Argument ab, ihn stehen zu lassen.
Wer jedoch auf die Intelligentia sich verpflichtet hat,
dem ist’s, seiner Natur nach, ganz apriori und unge zweifelt nur ein Anlaß, um die Mittel zu finden, sich an das schwer Begreifbare (auch auf die Gefahr verbrann
ter Finger hin) heranzumachen: und er findet sie am
>942
Ende, diese Mittel. 149
Leser
Erfahrungsgemäß läuft jeder Leser vor dem, was er ,trivial* nennt, ebenso davon, wie vor einer sauberen Abstraktion, obwohl beide, das Dingliche wie das
Abstrakte, notwendige Manuale auf der Orgel des Gei
stes sind, die, gezogen, ein genau voraus Gewußtes erklingen lassen. Jedoch der lesende Mensch liebt die Verstiegenheit in mittleren Lagen (was in seiner Spra
che ,interessant* heißt), wenn er sich nur dessen ver
sichert fühlen kann, daß er da nirgends wirklich hinauf oder herunter kommt, sondern gleich dort in seiner
Mittellage - erhoben wird. Ohne erhebende Momente
wollen die Deutschen überhaupt nicht lesen, sie verlan gen derlei spätestens auf Seite zwei bis Seite vier schon für ihr Geld gedruckt zu haben. Dann ist es das, was
sie ,ein gutes Buch* nennen. Ein solches pflegt man in Deutschland ,zur Hand zu nehmen*. Für mich bedeu
tet ,ein gutes Buch* die perfekte Mischung aus Küchen geruch und sauberer Stube, worin sich dann die Keime
fundamentaler Irrtümer rasch entwickeln können, zu
Verirrungen, welche ich die achtbaren und wohlan ständigen nennen möchte - errores spectabiles - zum Unterschied von jenen viel harmloseren Irrtümern und
Lastern, die stets, durdi irgendeine Art von Schmutz wie mit Warnungstafeln deklariert, der allgemeinen
und eindeutigen Mißachtung mit Sicherheit verfallen (errores immundi).
1941
IJO
Liebe Man kann auch sehr starke Neigungen noch atomisie ren als Konglomerat von, zum Teile sogar erworbenen, Vorlieben und aus freundlichen Umständen. Der reni tente Rest erst heiße uns dann Erotik.
1954
Liebe
Liebe: man nimmt einer Frau die Maske vom Gesicht und stürzt mit dieser davon, ohne zu schauen was sie
verdeckt hat.
1961
Liebesglück
Das harmonische Paar als Idyll einer auch geistigen
Gemeinschaft - materiologisch ausgedrückt: die Bett
wärme ist bis in den höheren Sprachgebrauch aufge
1946
stiegen.
Lokalen, in
Es gibt Individuen, die in Lokalen mit entschlossener
Scheußlichkeit vor sich hin-sitzen und ihren ganzen Umkreis verpesten. Hier wäre freilich nur mehr mit
plötzlich applizierten schweren Knütteln abzuhelfen. 1955
iSi
Luftschlösser
Luftschlösser sind dann unbedenklich, wenn man recht viel Luft darunter sehen kann, weldie das Gebäude vom Erdboden trennt; sie können also garnicht hoch
genug schweben. Aber manche Luftschlösser sitzen auf irgendeiner wohlbekannten Hügelkuppe. Das sind die gefährlichsten, ihre Trümmer vermögen uns und An dere zu begraben.
1945
Lügen Die Lüge (Pseudologie) kann nur zustande kommen
durch Unterbrechung jener Bahnen, welche (wenn auch keineswegs auf dem kürzesten Wege) jeden Punkt im
Vorstellungsleben eines Menschen mit jedem anderen innerhalb desselben verbinden. Die in der Lüge be
wegten Vorstellungen werden aus dem Gesamtzusam menhange ausgefällt, isoliert, und treten damit unter
eine eigene Gesetzlichkeit. Trifft dieser Zustand wieder
holt dieselbe Vorstellungsgruppe, so entsteht ein eigen gesetzliches pseudologisches Continuum (mit patho
logischer Flora). Die Lüge ist immer gekennzeichnet durch den eintretenden Personszerfall. (Daher zum Beispiel lügen auch alle Rauschgiftsüchtigen und Säu fer.)
194»
Lügen
Wenn man mit den Lügen anfängt, bekommen sie im
mer längere Beine und am Schlüsse stolzieren sie ganz
ordentlich als Wahrheiten einher, die man selbst glaubt.
1946
Lügen
Die Wahrheit ist keineswegs ein Dornenbett. Sie ist ein
duftendes Lager. Man darf sich darauf bequem ausstrecken. Aber alle Lügen wären die rechten Gäste für Prokrustes! Entweder haben sie zu kurze Beine, oder, noch sdilimmer, zu lange: auf ihnen laufen sie dem
Lügner davon und er kann sie nie mehr einholen und zurückpfeifen. Endlich verliert er sie aus dem Gesicht und vermeint, sie nun los zu sein. Aber sie sind inzwi
schen um das ganze Erdenrund gerannt, und zuletzt kommen sie ihrem Erzeuger geradeswegs entgegen. 19 5 J
Lügen
Realität ist nur das, was wir jeweils als unterste feste
Standfläche mit dem Fuße ertasten - geschieht es auch
im Dunklen, so ist uns doch immer genaue Kenntnis
davon verliehen - und wo wir doppelten Boden wollen, um auf ihm über der Realität zu verweilen, dort wissen wir’s auch genau, und erkennen sofort den hohlen
Klang beim Auftritte. Wir sind in solchen Fällen zu
Auftritten überhaupt geneigt, wir lieben es dann, fest
aufzutreten, was den Ton des doppelten Bodens ver stärkt.
i9J4
153
Einträge zu L
154
M Manierismus
Der Manierismus ist das zu einem tiefsten Bewußtsein
seiner selbst und damit zu einem guten Gewissen ge
langte l’art pour l'art.
1962
Manierismus
Aller Manierismus ist Dichtung in einem selbsterfun denen Dialekt. Der Manierismus ist nur deshalb nicht provinziell, weil er sich an keine wirklich existierende
Provinz anschließt.
1962
Männer und Frauen Die Frauen sehen einander alle viel ähnlicher, als die
Mannsbilder im entferntesten vermeinen. Aber im Augenblicke, wo das männliche Genie mit seiner Fik
tionskraft erlischt, werden diese Burschen über’s Ziel schießen und gleich dahinterkommen, daß die Weiber
nicht nur ähnlich, sondern sogar identisch sind; und dann ist es mit jenen wirklich und wirksam vorbei. 1958
Mechanik des äusseren Lebens - Menschen
Um die Beziehungen zu anderen Menschen zu regeln
"55
und diese richtig zu orten, kommt in der Mechanik des
äußeren Lebens nur mehr der Kurz-Prozeß in Frage, ein aufblitzender Schuß, der jede Scheinproblematik
niederstreckt.
195$
Meinungen
Meinungen sind so etwas ähnliches wie Hämorrhoiden des Geistes. Ein Schriftsteller hat leider manchmal auch Meinungen. Aber man zeigt solche grausliche Sachen
doch nicht unaufhörlich vor. Nur die Hausmeister sind immerfort von irgendwas überzeugt.
1939
Menschen - Umgang mit
Vor dem anderen Menschen muß man so weit zurück
treten, daß der eigene Schatten nicht mehr in’s Bild
fällt. Erst dann kann man dieses Bild liebevoll betrach
ten.
1933
Menschen, unmögliche
Selbst die unmöglichsten Personen mit ihren sicher indiskutabeln Verhaltungsweisen sind immerhin Konkre tion geworden, haben, von sich selbst aus gesehen, im
mer recht - sobald sie daran zweifeln, sind sie eben
keine unmöglichen Personen mehr - und man muß mit Aufmerksamkeit jene anschauen, welche so un
dankbare Rollen spielen: denn diese Rollen sind un156
entbehrlich; es ist keine Kleinigkeit, ein Scheusal oder ein böswilliger Idiot zu sein, sich im ersten Falle für schön, im zweiten Falle für einen hochgeistigen Men
schen zu halten. Alles das muß dargestellt werden.
Einer muß es machen. Man sieht da aber auch, daß die Besetzung eines vorgesehenen üblen Punktes den Be
setzer nicht entschuldigt: denn dieser bezieht ihn aus Affinität. Der Punkt ortet den Besetzer, und die ge spielte Rolle macht ihren Träger offenbar.
19 5 3
Menschen - untereinander
Jeder Mensch ist in bezug auf den anderen ein Jenseits
im Diesseits. Das muß bei der Untersuchung des Ver hältnisses von Menschen zueinander immer evident
bleiben. Das über-astronomische Maß dieser Entfer nung darf nie schwinden.
1933
Menschenerkenntnis Werde dir selbst erst befremdlich - und bald wird
nichts mehr dir fremd sein.
1954
Mitleid
Wenn wir fremdes Leid, körperliches oder seelisches, sei’s auch äußerstes, sehen, und Zeugen fremder Schocks
sind, auch der stärksten: dann erhebt sich doch zugleich
in uns eine Wand — wie die eigne Körperwand, jedoch
IJ7
größer, so daß sie als flach, als gerade erscheint, mag sie da auch irgendeine ganz schwache Krümmung haben,
so daß um sie herum zu kommen wäre auf unendlichem Wege - eine Wand, die uns, über allem Mitleid, ab
schließt, und uns hindert, dort hinüber zu münden, dem Mitleide nachzumünden. Wäre dem jedoch nicht so: ein einz’ges Unglück irgendwo genügte, um alles
Leben in seinen Strudel und in’s Nichts zu reißen. 1942
Mitteilung Wer restlos appercipiert, will nichts mehr mitteilen.
Mitteilungsdrang ist immer so viel vorhanden, als sich
verweigerte Apperception in ihn umsetzen oder gleich sam umklappen will.
1941
Mitteilung Jede Mitteilung teilt, daran ist nichts zu ändern. Sie
bedeutet daher De-potenzierung, und mindert das Maß eines Wissens, das man vorher besser gehabt hat. Zu
schweigen von den Wirkungen der Mitteilung auf ihren Empfänger, die immer fragwürdig bleiben.
T9Si
Mitteilungsdrang Der Mitteilungsdrang ist, nach dem analogen Drang zum Coit, die stärkste aller zentrifugalen Kräfte des
Menschen. Bevor man ihm nachgibt, fühlt man sein i{8
eigenes Innre hohl und dunkel, rötlidi durchschum mert, und die Körperwand leicht gebaucht von dem
nach außen anstehenden Druck.
1942
Mitteilungsdrang
Wenn man sich mit Genuß vorstellt, was man dem oder jenem oder einigen sagen wird, und wie man es sagen
wird, wörtlich (man hört sich selbst sprechen), so ist das
schon recht lächerlich: immer noch besser aber, als wenn man es wirklich sagen würde. Und gerade das wird
durch solche einsame Spiele metaphorischer Onanie oft erspart, weil der Mitteilungsdrang dabei ausrinnt. 1942
Möglichkeiten
Das viele, ja überwältigende Nicht-Wissen unvorstell bar zahlloser Personen von einander und ihrer Existenz bildet das taube Gestein des Lebens und zugleich seine
Vorratskammer, die geräumiger ist als es selbst.
1958
Monogamie Jeder wird für jedes Liebesverhältnis die Ausschließ
lichkeit, Stabilisierung, Konsolidierung wünschen. Die
ser Wunsch ist unerfüllbar, und wo er de facto sich erfüllt, sind die Begleiterscheinungen verdächtig. Den noch haben wir’s alle mit der Monogamie, es treibt uns
zu ihr und ihr Gegenteil macht uns unglücklich; so stre-
IJ9
ben wir denn nach ihr und werden dabei lächerlich, wenn nicht widerwärtig.
1966
Moralismus Die Henne gackert, wenn sie ein Ei legt. Der Moralist
hat sich selbst eine Spitze angeschliffen, ein aus der
Rundung menschlichen Seins bös und häßlich hervor stehendes Horn. Er geht hin und stößt es Anderen
durch die anima naturaliter humana. Das ist sein Gak-
kern, das wird aus dem unschuldigen Tierlaut, wenn man ihn in’s Menschliche übersetzt.
1941
Moralität der Meisten Die Moralität fast aller ist undezidiert, sie ist ein in
labilem Gleichgewichte befindliches Sozialprodukt, sie haben das einfach geerbt. Es verhält sich damit analog wie mit ihrer Liebe (s. d.). Man muß hier nur .erwor
bene Vorlieben* und .freundliche Umstände* durch .mangelnde Gelegenheiten*, ,Trägheit und Ängstlich
keit* ersetzen. Die meisten bürgerlichen Menschen wer den nur infolge ihrer Defektheit keine Verbrecher, also
aus durchaus negativen Gründen.
1954
Musik
Für den überwiegenden Teil der Menschen ist die Musik ein angenehmes Mittel, ihre eigene Plattheit zu
pathetisieren.
>944 160
Müssiggang
Müßiggang ist aller Laster Anfang und aller entschei
denden Fälligkeiten Ursprung, Prüfung und Lohn. 1941/42
Mut - zur eigenen Begabung
Der Mut zur eigenen Begabung mißt sich vor allem an
den nächst benachbarten steinernen Ungeheuern der Selbstverständlichkeit, und zertrümmert sie, damit ihr
kristallinischer Bruch sichtbar werde, daran die An
schauung dann greifen kann. Wohl liegt die Wahrheit immer auf der Straße, wie die Steine: aber man muß
diese zerschlagen.
>954
Einträge zu M
162
N Nachlassen Man läßt profund nach: und schon findet irgendein
Genickschlag zu uns, dem wir dann den Namen für
unser nun konsolidiertes Leid verdanken; jedoch es ist
eine Falschmeldung. Sie tut uns wohl; aber sie ver deckt nur den Grund der Sache und vermeint ihn zu erklären, ja durch Namensgebung zu beschwören; irrig,
denn diese erfaßt ein Übel zweiten Grades.
1957
Namen
Es gibt Namen, die von keinem Berufe herkommen -
wie Schneider oder Müller - und doch in einem tieferen Sinne Berufen zugeordnet sind: Horak ist ein Name für Zahnärzte (Dr. Horak), Korinek dagegen ein spe
zifischer Ingenieursname. (Als ich dies bedacht hatte,
schlug ich das Telephonbuch auf, und fand unter dem Namen Korinek keinen einzigen Ingenieur. Doch ist
das nicht mein Fehler, sondern ein solcher des Telephon 1952
buches.)
Nation Eine andere Art von Euphorie zu erkennen: allein das
heißt eine Nation erkennen. Wer das russische Tee-
163
trinken genossen hat, den türkischen Kèf, ein Wiener Café und ein Pariser Déjeuner: der hat Rußland, die
Türkei, Österreich und Frankreich erkannt. Denn nur
was ihnen wirklich Vergnügen macht, ist für die Men schen bezeichnend, nicht was sie außerdem meinen. Nur in der Freude sind wir zu uns selbst erfähigt in freier
Wahl. Das Leid drückt alle platt.
1965
Nationalismus Nationalismus - eine von Sammelnamen besoffene Welt. Daß ich zum Beispiel Österreicher bin, ist mir auch mit einer Fülle widerwärtiger Individuen gemein
sam, so daß ich es mir verbitten möchte, lediglich mit
Hilfe jenes Begriffes bestimmt zu werden: darauf läuft’s aber bestimmt hinaus, je mehr die Anschaulich
keit der Person in’s Unbestimmte der Nation verdun stet, woran nur Jene interessiert sein können, die Grund haben, vor sich selbst auf der Flucht zu sein und in einem begrifflichen Sammellager Unterschlupf zu suchen, wo Werte ausgeteilt werden, die sich Jeder leicht anheften kann wie Kotillon-Orden.
194J
Natur Wir fühlen uns der natürlichen Erhabenheit gegen über immer verpflichtet, was Tiefes zu empfinden, was
Besonderes zu denken. Alles das ist Unsinn. Mütter stellen keine Probleme. Aber die Pietät erfordert, daß 164
wir jede Runzel im Antlitz der Mutter kennen und die
Veränderungen darin wohl beachten.
1953
Naturalismus und Expressionismus Die vollkommene Apperception ist wort-ausführlich.
Das allein heißt mit Recht Naturalismus. Sein Erdreich
muß fest geworden und gut durchwachsen sein, bevor der erste Spatenstich der wieder aufspaltenden Dialek
tik erfolgt. Deshalb empfiehlt Goethe, sich zuvörderst
,um’s Phänomen zu erkundigen*. Alles Denken geht mir von der Deskription aus. Sie muß so weit getrie ben werden, bis das Bild zerbricht. Das allein heißt dann mit Recht Expressionismus.
1943
Naturalismus und Wahrheit
Die Wahrheit - erfinden: das Geheimnis des natura listischen Romans. In ein erfundenes Gewand schlüpfen
und aus wirklichen Ärmeln hervorkommen. An dem
Tage, da ,Ein Mord den jeder begeht* erschienen war (Mitte Oktober 1938), ist der Schluß des Romans in
Düsseldorf wirklich passiert und die Zeitung brachte
ein Bild, das die letzte Szene meines Buchs illustrierte. 1932
Nebensachen,
entscheidende
Von der Bedeutung des zufällig, abrupt und wie eine
Nebensache Erscheinenden hab* ich eine hohe Meinung. Das Entscheidende betritt gern unser Haus dort, wo garkeine Tür war, die wir dafür hätten öffnen können;
1959
es bricht sich diese selbst.
Neigung
Neigung ist alles. Nur ihr entlang kommt der Brei des Lebens in Fluß. Hintnach kanalisiert Einer diesen Fluß in der schon eingeschlagenen Richtung und erklärt
seine Tätigkeiten als vernunftgemäß notwendig, ja als erzwungene und unvermeidliche. Und im hier gemein ten Sinne hat er damit ja wieder recht.
1946
Neues Die wirkliche und wirksame Bereitschaft zum Auf
nehmen neuer Empirie kann nur haben, wem die alte keinen Vorrat für gelegentliche Selbstwert-Entnahme mehr bedeutet; ist das aber so, dann bleiben wir mit
unserem Kram behaftet, und nichts Neues kann tiefer 1953
eindringen.
NICHTINTELLEKTUELLE
Wenn man Nichtintellektuellen etwas würde sagen
wollen (quod absit!), käme man gleich darauf, daß ihnen vorher noch viel anderes müßte gesagt werden,
und man also kaum dahin gelangen dürfte, ihnen das 166
Zu sagen, was man ursprünglich wollte; ganz abgesehen davon, daß eine solche Prozedur ihre und unsere Ge
duld weit überforderte.
1965
Nichts und Nichtigkeit
Das Nichts kommt hier - in einem jener seltenen Pätz-
ien raumerfüllender Materie, und ein solches bewoh nen wir - in reiner Form nicht vor; sondern nur als Nichtigkeit: auf diese Art kann es konkret werden,
und verhält sich dann zum Nichts etwa so, wie der Hellenismus zu den Hellenen oder das Rationelle zum Rationalismus. Hierher gehört eine Bemerkung, welche Bemanos in seinem ,Tagebuch eines Landpfarrers* ein
mal macht: daß nämlich alles Böse, welches auf Erden
angetroffen wird, harmloser Dilettantismus sei im Ver gleich zur Bösartigkeit der Hölle.
1955
Nichts und Das Nichts
Eine Erscheinung schlechthin für nichts zu halten ist freilich eine weit geringere Schätzung, als wenn wir sie für das Nichts nehmen: damit erkennen wir ihr Be deutung zu.
1952
Notwendigkeit Was sein muß, muß sein.
Und was nicht sein muß?
Erst recht.
1942
167
Novelle Leben ist, dem bloßen Dasein gegenüber, notwendiger
weise durch Seltenheit ausgezeichnet. Dieser Satz kann
die Grundlage einer Theorie der Novelle bilden: die Kunstform der Inselhaftigkeit an sich - während der
Roman die Lebens-Inseln samt dem Daseins-Meere (dem ,Fluß ohne Ufer*) dazwischen darstellt. Die Novelle ist das aufrecht bleibende Denkmal zu
Stande gekommenen Lebens, das, bald unterspült, wie der trümmerweis im Strom des Daseins versank. Die Engländer und Amerikaner nennen den Roman ,novel‘,
und stellen damit antinomische Ansprüche an die Kunst des Romanciers, die sich nicht von der Hand weisen lassen, weil sie zu denken geben. Zu denken nämlich: es hat im Roman das bloße Da
sein wohl seinen Platz, und das macht den Unterschied zur Novelle; jedoch wird es - verglichen mit den
Lebens-Inseln - nicht als sinnlos aufgefaßt werden dür fen, sondern als deren Möglichkeit, die denn auch immer wieder auftaucht. Das Sinn-Lose aber muß im Roman
einen besonderen Ort behaupten; es ist das per se sich
konstituierende Dasein: als solches muß es also hervor treten, und ist dann fast ebenso frappant und erschrek-
kend wie - das Leben selbst.
1953
Nüchternheit Nüchtern ist das Chaos, die Voraussetzungslosigkeit, und nicht irgendwelche Ordnung. Berauscht sind wir
168
von dem, was wir festhalten wollen: und das ist zu letzt nichts als unsere eigene Berauschtheit. Betrunkene
sind eigensinnig, bezeichnend genug.
19p
Nüchternheit und Banalität
Genauer und klarer sehen heißt keineswegs banalisie
ren. Nüchternheit hat mit Banalität nichts gemein:
diese erscheint unter dem Blicke jener vielmehr als ein benebelter Zustand.
1953
169
Einträge zu N
170
o Objekt und Figur
Objekt ist, was wir allseitig und umfassend sehn kön nen: das sind wir demnach nicht selbst. Es ist nirgends mehr an uns angewachsen.
In Zweifelsfällen schieße man einen Pfeil (der aber treffen muß), um zu sehen, ob im Objekte keine Ver
letzlichkeit oder Empfindlichkeit herrscht: wenn ja,
dann sind wir’s doch noch selbst gewesen. Bei manchen Menschen gibt es Verletzlichkeiten des zum Leben nöti
gen Selbstwert-Minimums weit außerhalb der natür lichen Peripherie ihrer Person: Markensammler, Feti
schisten, Besitzer schönen Porzellans, Politiker, Rosen
züchter, Hundeliebhaber, alle Leute außerdem, die sich in die Knechtschaft der Dinge begeben haben und denen in einem Biedermeier-Heferl, welches herunterfällt, das Herz zerbricht, weil es überraschenderweise außerhalb der Leibeshöhle, nämlich in jenem Heferl, sich auf
gehalten hat. Für sie alle beginnt der Okeanos des Ob jektiven erst sehr weit draußen und zwar mit dem deutlich abgesetzten Strande ihrer absoluten Gleich
gültigkeit, an welchem ein Schiffbrüchiger seine Wun der erleben kann.
Der Schriftsteller aber ist ein Mann mit minimal aus gedehnter Objektsbesetzung. Bei ihm kommen Ob jekte bereits innerhalb der natürlichen Peripherie sei
171
ner Person vor. Er nennt sie seine Figuren. Man kann durch diese - obwohl sie Blut und Leben haben - einen
Pfeil schießen, ohne sie im mindesten zu verletzen, ohne daß sie zucken oder wanken würden. Und dieses Unheimliche ist ihnen mit den Gespenstern gemeinsam.
Es könnte sich bei den Figuren möglicherweise auch um eine Kreuzung zwischen Subjekt und Objekt handeln,
welche der Philosophie bisher entgangen ist. Denn sie treiben sich innerhalb der Subjektsgrenze herum,
haben aber Objektscharakter. Eine Figur ist das, was ihr Autor nicht mehr ist. Also
wirklich ein Abgeschiedener und Einer von den Vielen, die er war. Ist er’s doch noch, dann sieht man den Pfeil,
die Wunde und das Blut. Anders: unsaubere Arbeit, ein getroffenes Heferl, ein gebrochenes Herz.
1943
Objektivität
Es hat alles zwei Seiten. Aber erst wenn man erkennt,
daß es drei sind, erfaßt man die Sache.
1954
Objektlichkeit
Erkennen und richtig benennen: getan ist’s. Ein Ob jekt löst sich von uns ab. Diese Ablösung ist zur Ob-
jektwerdung notwendig. Denn jedes echte Objekt war einst ein eigner Körperteil.
’72
1966
Objektsbewältigung - in der Kunst
Um ein Objekt in der Kunst bewältigen zu können, muß man jedesmal im Grunde sein ganzes eigenes Le
ben hingeben, ja, geringschätzen: als hätte man nichts mehr hinter den Augen, aus denen man schaut.
1952
Opfer Wem ein Opfer zu weit geht, der darf sich nicht wun
dem, wenn er nicht weit kommt.
1952
Opfer Jedes kleinste Opfer baut uns fühlbar auf. Aus Körn
chen wird ein Berg. Der Himmel scheint diese Körn chen mit äußerster Sorgfalt zu sammeln, unsere Sün
den aber großenteils zu verschlampen. Nur so erklärt sich's, daß wir immer noch weiterleben.
195 j
Opfer
Zum Begriffe des Opfers gehört, daß es geradezu unsere Vernunft übersteige. Vernünftige Opfer gibt es nicht;
1957
sie sind disziplinäre Akte.
Opfern und Sehen
Nichts kann so sehr sichtbar werden wie das, was wir
ohne Rest geopfert haben. Opfern als Optik.
173
1961
Ordnung Die Ordnung ist nichts, als das in den Rohren, Adem
und Kapillaren steigende Lebenswasser; füllt es sie prall, so bilden sie das schönste Geäst und Geflecht.
Fällt es zurück, dann mag man sie aufbinden und glatt
streichen wie man will, sie hangen und liegen unordent
’941
lich ineinander.
Ordnung Wer sich auf die Ordnung als verabsolutiertes Heils
mittel einläßt, hat gleichsam eine in’s Vertikale wei sende Aufgabe in’s Horizontale umgeklappt (wie es auf den Flüssen die Dampfschiffe mit ihren Schorn
steinen tun, bevor sie unter einer Brücke durchfahren). Aber die Unendlichkeit des Beginnens ist er dabei auch
nicht losgeworden. Auf Regel und rechten Winkel be
dacht, strebt er im Horizontalen dahin, um sich schließ
lich in den eigenen Arsch zu beißen, wodurch ihm end lich und zu spät demonstriert wird, daß es im Leben nur Kurven gibt, denn die Welt ist rund und bleibt das auf
jeden Fall und more geométrico erst recht.
1944
Ordnung
Ordnung ist teuflisch, wenn sie hergestellt, himmlisch, wenn sie nebenher abgesondert wird. Im zweiten Falle
kommt sie schon mit Patina zur Welt, mit einem leuch
tenden Rost, mit der bakteriellen Flora des Lebens be-
’74
deckt. Sie mag die kühnste und neueste sein: es sieht aus, als wär’ sie längst bekannt und im Grunde immer
1944
dagewesen.
Ordnung Am eifrigsten und am unerbittlichsten wird die Ord
nung, wenn sie als Sendbotin des Chaos auftritt.
1954
Ordnung - der Mut zu ihr
Der Mut zur Ordnung ist der Mut zum Chaos: er macht uns jener Ordnung zugänglich, die da nicht von
uns gemacht wird.
i0°
Originale
Originale sind immer nur originell. Sie haben ihren
persönlichen Dialekt - so könnte ihr Stil benannt wer
den - detailliert ausgebildet. Sie freuen sich daran und sind dahinter verschanzt gegen jede andere Möglich
keit. Sie verbreiten mit der Zeit Langeweile. Das heißt,
ihr gut fassonierter Sieg über die Welt stellt sich als Scheinsieg heraus, und ihre Form, die sie damit erreicht zu haben schienen, als eine mehr und mehr verdorrende
bloße Manier, als kläglich.
1963
Originalität Originalität ist ein Zwischengebiet, wo sich das Talent
175
gerne aufhält, bevor es zur Dezision gebracht wird. Kommt es zu dieser nicht, dann kommt wohl ein Ori ginal zustande aber kein Autor.
1962
Orthographie Orthographie ist das Haxl, bei dem die Schullehrer
das Schreiben erwischt zu haben meinen, und es also da festhalten; es hinkt dann freilich bei ihnen auf den
drei übrigen Beinchen. Dudens deutsche Rechtschrei
bung ist das dümmste deutsche Buch; und es gibt ihrer viel dumme. Ich würde nie einen Duden in meiner
Bibliothek dulden.
19B
Österreich
In Österreich kann man nur leben, wenn man entwe
der Ausländer ist, so daß man nicht sekkiert werden
kann, oder gleich selbst Beamter, wobei man seinerseits
die Leut’ sekkiert. Aber wer hier als Österreicher irgendwas hervorbringen will, der wird, wenn’s geisti
ger Art ist, erstickt, und gegen praktische Unterneh mungslust sind die Vernichtungs-Feldzüge der Steuer
behörde ein probates Mittel.
194B
ÖSTERREICHER, DER
Die Furchtbarkeit des Österreichers besteht in der Rück
wendung seiner hohen Intelligenz aus ihrer transzen-
176
deriten Elongatur in’s Behagen: und welchen Wohl
geruch, welchen Duft, welchen bestechenden Charme er zeugt sie dann! Es ist gerade das, was Gütersloh, in der ,Rede über Blei*, die .interessante Schwäche* nennt. Sie
ermöglicht es, sich um sich selbst zu drehen, wie der Dreivierteltakt, oder in sich selbst zurückzulaufen, wie
die Ringstraße in Wien. Die österreichische Intelligenz kommt einer Kassierung jeder Hoffnung gleich, das heißt, sie ist tiefster Instinkt für die historische Wahr
1954
heit.
177
Einträge zu O
178
p Pädagogen
Heute noch hallen Worte und Sprüche nach, die man in der Kindheit gehört hat. Erfaßten die Pädagogen ihre
Verantwortlichkeit wirklich: dann gäbe es gar keine
1956
solchen Leute.
Panik
Jede Panik ist im Grunde ein blitzschnelles Wechseln
des Maßes, ein Abreißen der historischen Kontinuität des Lebens. Jede Panik ist ein Kleinbild jener Verfas
sung, in welcher etwa ein sogenannter Freigeist das jüngste Gericht erleben würde. Panik ist Treulosigkeit als Katastrophe, konzen
triert auf ein winziges Zeitstück, darin alle nur mög liche Untreue eines ganzen Lebens zusammenschießt
und präsent wird. Panik ist physiologischer Personsverlust.
1943
Passivität
Der Mensch ist Fußball im Sturm und Schuß seiner
Motive. Aber nur wenn er sich wie ein Fußball ver hält, kommt er auch wirklich voran, und endlich in’s
Netz des Tors.
1956
179
Pathologisch
Das Pathologische ist nichts als ein ,wandernder Ak
zent* (Gütersloh), welcher über dem Allzu-Individuellen steckengeblieben ist. Alles Abnormale kommt
auch im Normalen vor, das heißt, auf dessen Gebiet
noch gabelt es in seine Widersätze, in seinen Widersinn. Abnormal wird der Aspekt erst, wenn die Gabelung gänzlich aus dem Gesichtsfeld entschwunden ist und zwei einfach auseinander geratene Stücke und Stränge
daliegen, die nichts mehr zusammenbringt.
1942/43
Pathologisch
Alles Pathologische beruht auf einer zu weitgehenden
Intimität mit sich selbst, also dem Gegenteil der Selbst
verleugnung.
1944
Persönlichkeiten Kaum irgendwer tut einen Schritt über seine Herkunft
hinaus. Allermeist wird nur aus den gegebenen Bau
steinen ein originelles Puzzle zusammengesetzt. Doch geht die Sache nie mit dem letzten Stein auf, und paßt
auch nicht ganz in die Schachtel. Jener letzte Stein wird dann ein Leben lang in der Hosentasche getragen, zu klein für einen Stein des Anstoßes, zu groß für einen Stein im Schuh: dort würde er mindestens drücken, und
schließlich wüßte man sogar wo. 180
I953
Phänomen und Position
Der Schriftsteller versinkt dem Phainomenon gegen über (denn alles ist Begegnung!) in apperceptives Schweigen. Nach mitunter sehr langer Zeit schließt sich das Phänomen dann auf, es beginnt zu klaffen wie eine
Muschel. Der Mensch guten (aber nicht des besten!) Willens protestiert nicht selten gegen ein Phänomen.
Es öffnet sich dann nie. Die unangemessene Reaktion - als ob es sich da um eine Position handeln würde,
gegen die man dialektisch angehen könne - hinterläßt jedesmal eine unbefriedigende Lage. Wenn sich solche Rückstände Lamelle auf Lamelle summieren, dann ent
steht die Hornhaut des Pessimisten, aus welcher im ungünstigsten Falle sogar das Horn des Weltverbesse rers wachsen kann (cornu cutaneum ideologicum), wo mit das Homtier dann jedes Phänomen angeht und
1961
aufzuspießen versucht.
Philanthropen Diese Edlen, die gleich beim Du sind, haben wahrschein
lich mit ihrem Ich nichts anzufangen gewußt. Es hat ihnen nichts zu beißen gegeben. Jetzt haben sie die Anderen zum Fressen gern.
1952
Photographieren Alte Photographien: so formlos, lächerlich oder gerade zu grundhäßlich erschienen sie uns nicht, als sie neu 181
waren; sonst hätten wir manche von ihnen keineswegs aufbewahrt. Der rohe, mißverständliche Naturalismus
des Apparates riß hier ein winziges Stüde aus dem
weitschweifigen Ornament einer Lebenslinie, dessen
noch offene Seite die Zukunft meinte; von ihr will das Objektiv nichts wissen; sein Schnappschuß ist dem Bio graphischen und dem Porträt fremd; er sistiert das Leben. Jemand photographieren heißt beinah, ihn auf sublime Weise totschießen.
¡951
Polemische Konstruktionen
Auch falsche Windhosen können sich hochtürmend und brüllend von unserem Seelenboden erheben. Sie reißen
allen angesammeken Dust und Staub mit. Aber sie
sind hohl, wie eben alle Hosen oder auch Ärmel, in die
man ad hoc gefahren ist: als in’s Kostüm unserer je weiligen polemischen Konstruktionen.
1936
Politik
Das Gebiet des Politischen, seinem Wesen nach chao tisch-affektiv, dissimuliert diesen Sachverhalt durch
unausgesetzt vorgetragene Positionen und ContraPositionen von allen Seiten, obgleich doch evident ist, daß nur sehr wenige oder garkeine positionsfähigen
Individuen hier agieren.
ijfj
182
Pornographie Es gibt keine Porno-graphie; sie wäre Pseudo-graphie;
man setzte sich da, wie der Pseudologe sprechend neben
die Sprache, schreibend neben das Schreiben; oder wie ein der Trägheit Ergebener lebenden Leibes neben das
Leben sich setzt.
Die parteigerechte und in diesem Sinne optimistisch ▼erfaßte Literatur in den totalen Staaten ist geistes
mechanisch der Pornographie durchaus analog.
Pornographie sowohl wie totalistische Literatur
exemplifizieren beide gleichermaßen die Sprache der zweiten Wirklichkeit. Man sollte im Schriftwesen nicht ,Schmutz und
Schund' oder ,Kitsch' sagen, sondern: ,Pseudographie*. ipji
Pornographie
Pornographische Prosa ist in einer anderen Sprache geschrieben, nur mit den unsrigen Vokabeln, wobei sol
che gehäuft werden, die für den Autor (je nachdem) sexualbedeutend sind. Hierin liegt die auffälligste
Schwäche pornographischer Prosa und hier wird denn
auch sichtbar, daß die sprachliche Zuleitung ihr fast gänzlich abgedrosselt ist. Daher ihr brackiger Charak ter. Es gibt keine gute und keine schlechte pornogra
phische Prosa, sondern nur eine die diesem oder eine die jenem sexuellen Gestimmtsein mehr oder weniger entspricht, und fast immer mangelhaft, weil, so allge 183
mein jene Gestimmtheiten sein mögen, so besonders ist bei jedem Einzelnen jede einzelne von ihnen ausge
prägt. Pornographie ist nur einer der vorkommenden
Fälle von Pseudographie, und zwar eigentlich der harmloseste, weil sehr deutlich gekennzeichnet.
1960
Pose
Ein bisserl Äfferei, Geckerei, das gehört schon zum Wohlbefinden, zur guten Form: es ist ihr nicht ganz
fertig gewordener äußerster Teil, ein Schwänzchen, das
man ihr angehängt hat, weil es nimmer hat wachsen wollen: Pose ist eine Form-Prothese.
19s»
Praegrammatik Im Praegrammatischen liegt des Schriftstellers Mühe. Das Musische und das Musisch-Technische verstehen sich immer von selbst (so wie das Moralische, von
welchem Vischer das einst gesagt hat).
1954
Präsenz
Alles spricht: die Dächer der Häuser bilden eine Ge heimschrift, das Siegelzeichen des Lebens für diesen
1941
seienden Augenblick. 184
Präsenz Die Interpretation des eben jetzt Gegenwärtigen ist
unmöglich, ja, ein sinnloses Unterfangen, das zur Ver dummung führt. Alles muß vor allem einmal vergan
gen sein. Der Gegenwart aber tut nur die Apperception genug. Atmen wir also tief ein, und machen wir’s uns
leichter in allem anderen. Später erst wird sich zeigen, was in unser Netz ging, wenn es rauschend und triefend aus dem Tief-Wasser der Vergangenheit heraufkommt:
mit braunem feinsten Schlamme, mit süß-fauligem
Duft, mit der leuchtenden Rostfarbe des Einst und mit gehöhltem Erinnern.
>954
Präsenz
In der Gegenwart leben wir dann, wenn die Dichtigkeit der Mechanik unsres Geistes sich an die Dichtigkeit der
Mechanik des äußeren Lebens heranhebt: besteht dies bezüglich ein Gefälle von der Außenwelt und ihrem Festigkeitsgrad herab zu unsrer jeweiligen Aufge-
weichtheit, dann sind wir im Augenblicke dem Leben nicht gewachsen, sind nicht,schicksalsgesund*.
¡957
Prätentionen
Man muß es bis zum wirklichen Zusammenbruche aller seiner Prätentionen gebracht haben, um endlich das freundliche Tiefland menschlicher Schwäche, nach ge
fallenem Dunste, zu erblicken, mit seinen Hecken, Zäu
nen, grünen Weiden und Bächen. Nun steigt man selbst hinab von den heroischen Klippen (innen hatten sie
süße Fülle wie Schokolade-Bonbons, Konfitüre des Selbstwerts), um endlich sich als dieses eine und letzte dort unten wandelnd zu agnoszieren: als einen ganz
gewöhnlichen Menschen. Ja, es gilt, wenn er schläfrig,
unordentlich, faul oder geil ist, es gilt, er ist es wirklich, es sind die facta seines Lebens. Er ist ein Mensch. Er hat es nur verhältnismäßig spät entdeckt.
1941/42
Prätentionen
Prätentionslos leben heißt passiv und rezeptiv leben. Unsere Prätentionen sind die abgebrochenen Spitzen
irriger Aktivität, die sich gegen uns gekehrt haben, und nun als Stachel in unserem Fleische stecken.
1957
Produktiv und Unproduktiv Es gibt im Grunde nur zwei Parteien, zwei geheime
Gesellschaften, die sich unausgesetzt bekämpfen: die
Produktiven und die Unproduktiven. Beide erkennen sich selbst und ihresgleichen auf Grund von ungeschrie
benen aber unerbittlichen Gesetzen. Die eine Partei ist
qualitativ, die andere quantitativ unermeßlich überle
gen. Bei Zusammenstößen hauen sie daher aneinander vorbei und hiedurch wird es ermöglicht, daß die Ge186
schichte der sogenannten Menschheit sich immer noch fortsetzt.
1946
Proletarier
Proletarier ist jeder Zeitgenosse, der seine persönliche
und seine Berufs-Ehre für das Klassenbewußtsein da hingegeben hat, ebenso wie sein individuelles Schicksal
für ein Klassenschicksal. Er hat sich damit restlos er
setzbar gemacht. Nur wer ihn dies andauernd fühlen
läßt, wird ihn, der ja, nach obigem Akte, wesentlich kein Mensch mehr genannt werden kann, niederzuhal ten vermögen. Fehlt dies, dann tritt sogleich die eigent lich proletarische virtus in Erscheinung: nämlich bei
jeder Perception den Punkt vor allen anderen zu sehen, wo der Hebel einer Erpressung sich etwa ansetzen ließe.
Scharfer Rattenblick von unten.
194®
Prosa Die Prosa ist die Kunst des Außen-Stehens. Ein irgend wo und irgendwie Dazugehören ist mit dieser Stellung des Prosaikers unvereinbar. Er verifiziert sich nicht so
sehr durch das, was man allgemein ,die Distanz* nennt, sondern durch eine Unvoreingenommenheit, welche da
durch entsteht, daß er in den umklammernden Ring des Tatsächlichen eine Bresdie geschlagen hat, nämlich
an der Stelle, die er selbst früher einnahm. 187
i9$o
Prosa,
erzählende
Jeder mit der erzählenden Prosa gemachte esoterische
Versuch wird sie bereichern und neu ernähren; aber sie wird immer wieder in ihre Grund-Lage zurüdcschwirren, wenn man sie aus dieser gebracht hat - und dabei
gibt sie, wie die Saite, den Ton und wie die Sehne den Schwung - in ihre Grund-Lage, welche eben zwei
Punkte verbindet: deren einer, der Leser, sei’s auch der
idealisch gedachte, sich draußen im Exoteron, im Sozi alen befindet. Darum konstituiert den Erzähler auch
die Konzilianz, äußerer Abglanz eines Eros, der das Objektive zu umarmen sich sehnt.
1945
Prosa-Satz, der epische
Der epische Prosa-Satz darf weder rein statisch werden, wie der Satz Güterslohs, noch rein dynamisch als ein
hochgespannter Strom von geringer Stärke, wie etwa
jener, den eine Influenz-Maschine erzeugt. Er muß dy namisch sein aber füllig, und auch fähig, tiefere Becken
zu bilden mit einem Tempo gleich null: doch immer Richtung bewahrend, selbst wenn er steht: so bestimmt er Bodengestaltung und Aussehen der ganzen Gegend,
durch welche der Leser geführt wird.
1966
Prostitution Die Prostitution ist nur eine Fatamorgana des Sexuel len für Wanderer in der Wüste der Entbehrung. 188
1965
PSEUDOGRAPHIE
Man muß geduldig abwarten, bis alle Gebilde, die man gewählt und herbeigequält, vorgestellt und zusammen
gestellt hat, wieder geplatzt und zu nichts geworden
sind. Idi weiß aber, daß bei manchen auf diese Art Büdier entstehen, vor dem Platzen, heißt das: Pseudo-
graphien, worunter Tendenzsdireiberei und audi die Pornographie nur gut gekennzeichnete und also relativ
harmlose Sonderfälle darstellen.
1965
PSEUDOLOGIE DES LOBENS
Pseudologie des Lobens ist die Ausschmückung der ge lobten Person, der gelobten Personengemeinschaft, des
gelobten Zeitalters oder Zustandes immer in einer mit
den konventionell bereitliegenden Vorstellungen im Einklang befindlichen Richtung: entweder weil man da
irgendwie dazugehört und sich also selbst mitlobt; oder aber - und fast noch häufiger! - weil man so in
getarnter Weise den ja immer im Relativen liegenden
Gegenstand des Lobens durch gehäufte Qualitäten ver absolutieren kann. Die Pseudologie des Lobens ist ein
wichtiger Faktor bei der Entstehung des sogenannten ,Führertumes* und beim vorgeschrittenen und sich noch immer steigernden und übersteigernden Stadium
des Ruhms und Nachruhmes. Solches Loben gedeiht freilich am besten dort, wo keine Kontrolle möglich ist,
oder bereits feststehende und anerkannte Anekdota neu aufgebläht werden können. Es gibt von hier aus auch
189
eine Verbindung zur sentimentalen oder ästhetizisti
schen Religiosität, wobei dann der Gelobte eben der Schöpfer selbst ist (Rilke/Stundenbuch).
1952
Psychologie Die wissenschaftliche Psychologie, wenn sie nicht be
zogen wird auf die Entelechie des Menschen, kommt mir vor, wie die Betrachtung eines Pfeiles unter Ab
sehen von der Spitze: da werden Schaft und Fiederung zu unbegreiflichen, ja fast monströsen Formen, und man gelangt am Ende vielleicht zu der Vermutung, das
Ganze sei ein Werkzeug um Schaum zu schlagen oder etwa, um sich am Rücken zu kratzen, wenn’s juckt. 1951 Punkte,
unsere schwachen
Ein Pegel sind gewisse unserer Angeschlagenheiten;
man muß solche Marken kennen. Bei Niederwasser
fällt man unter sie zurück, sie werden siditbar.
1966
Pünktlichkeit
Extreme Minutenpünktlichkeit ist eine Art von Exhi bitionismus aus Unterwürfigkeit vor der mathematisch
physikalischen Zeit und läßt den Schluß zu, daß im
Hinterland eines solchen Überpünktlichen entweder Sandwüste vorherrscht oder eine profunde Unordnung,
welche dazu nötigte, die Unruhe hierüber in’s Gehäuse der Uhr zu bannen.
1946 190
Pythia,
die
Die Funktion der Pythia war nicht, mit einem .seheri
schen* Äug’ in die Zukunft zu blicken, wobei dieses
Auge leer und nur feierlich aufgesdilagen geblieben wäre, blinkend wie Fensterglas. Sondern in’s Eingewei
de alleranschaulichster Gegenwart hielt sie den Blick
versenkt und enthielt sich jedweden Brückenbaues aus
den dürren Brettern und Stangen des Vermeinens, diese etwa einmal so und dann wieder so gegeneinander und
übereinander stellend. Unter die eigenen Sohlen, in’s Grundgeflecht der hier und jetzt seienden Minute ver
sank ihr Blick, wie ein Stein im Wasser versinkt. Die
Prognose jedodi rollte ihr fertig in den Schoß und als ein unerbetenes Geschenk.
1943
Einträge zu P
192
R Rätsel
Rätsel-Madien, das ist Sadie der Flachköpfe, denen
nidits rätselhaft ist. Unsereiner ist da überfragt, und mit Rätseln überlastet, bei jedem Blick in die Welt. Wozu braudi* ich Rätsel? Sie wachsen einem über den
Kopf, man hat nicht not, sie zu machen. Mein schäbiges Ich allein schon ist mir ganz rätselhaft genug. Den
Rätsel-Onkeln ihres aber kann ich mir vorstellen, und es kann mir gestohlen werden.
i952
Rechts und links (konservativ und revolutionär)
Ein profundes Appercipieren scheint wirklich alles li quidieren zu können: eine neue Welt geht da auf; es
ist die alte, die ewig selbe, die uns verstellt war. Das führt wirklich zu einer neuen Geburt in’s Alte. Neuge
boren werden zu dem, was immer war: damit sind Konservativität und Revolution, rechts und links, die
Flügel und Extreme sogenannter .Gesinnungen* über wunden, damit ist jene Ebene betreten, auf welcher der historisch handelnde Mensch steht. Damit ist alles noch einmal gegeben; nicht zu unserer Selbstrettung, nicht,
daß wir’s neu sammelten und ordneten; sondern damit
wir’s endlich sähen, grad im aufblitzenden Scheine des 1951
Verlustes.
193
Rechtschreibung
Bei den meisten Nationen bildet die Sprache das Ge meinsame. Bei den Deutschen die Rechtschreibung. Da
her das Herumreiten auf dieser. Die Deutschen sind in der Tat eine schriftsprachliche
Nation im Sinne Oswald Spenglers. Eine Nation be ruht - scheinbar entgegen dem Wortsinne - nicht auf
gemeinsamer Geburt sondern auf gemeinsamem Erleb nis: auf der zweiten Geburt also; Bei den Deutschen
ist das die Rechtschreibung gewesen. Etwas sozusagen
Planimetrisches also. Erlebnisse pflegen sonst dreidi
mensional zu sein.
1941
Reflex-Totalismus Der Reflex-Totalismus ist die Art, wie ein in der Drei dimensionalität beheimateter Mensch, der sich in eine
bloß planimetrische Welt verirrt sieht, auf diese rea
giert, jetzt selbst bereits in der hoffnungslosesten pla-
nities losrasend gegen einen Gegner, der nur aus Ver
kommenheit und ganz beiläufig, aus Neigung aber nicht aus Entscheidung, das ist, was jener unter ihm sich
1941
vorstellt.
Reife Am Ende - und also an einem neuen Anfang - stellt
man sich als den, der man war, wie einen Wanderstab
in die Ecke; nicht, weil man sich am Ziele glaubte; son-
194
dein weil man endlich dahintergekommen ist, daß einem ja dieser Stecken ständig zwischen die Beine ge
riet. Er war ein Steckenpferd. Das ist reiferen Jahren
denn doch nicht mehr angemessen.
195 3
Reife
Reif ist, wer auf sich selbst nicht mehr hereinfällt. Ge
nauer: Reif ist, wer die phantasmagorischen Prämissen seines Handelns oder Verhaltens ein ganzes Leben ent lang erkannt hat.
1961
Reisen .Reisen* als plaisir ist wesentlich Unsinn - deshalb
treibt’s alle Welt heut gar so sehr. Man muß nicht ir
gendwohin fahren - sondern hingelangen, das heißt ein Leben führen, das hinlänglich ist, um einen irgend
wohin zu bringen.
1958
Revolution
Befangenheit ist für das Leben konstitutiv; Dummheit für das bloße Dasein; Irrsinn die unmögliche Flucht
aus jenem; Selbstmord die mögliche und damit der
Schlußpunkt hinter dieser ganzen Kadenz von Apperceptionsverweigerungen. Kein Wunder, wenn die Men schen in’s Revolutionäre abbiegen; ich vergaß es bei
währender Kadenz. Ihnen aber fällt’s noch rechtzeitig
194°
ein.
’95
Revolution
Der Revolutionär flieht vor dem, was am schwersten zu ertragen ist, vor dem nicht finalisierten Zerstreut-
Komplexen des Lebens nämlidi (aber darin gerade Spannung zu haben, macht ja die via legitima aus) in
die Richtung der Vollkommenheit, was in der Welt seiner Untertatsächlichkeiten jedoch bestenfalls Voll
ständigkeit bedeuten könnte.
1942
Revolution
Daß die apriorische Apperceptions-Schwäche sehr bald zur ausgewachsenen Apperceptions-Verweigerung füh
ren muß, ist klar; denn niemand bewegt sich gern in der Richtung des größten Widerstandes und des min-
dren Talents. Daher verdummen alle Revolutionen schon nach verhältnismäßig kurzer Zeit.
1942
Revolution
Wer irgendwo zu schwach ist, um in der Welt wie sie
ist zu leben, der verabsolutiert gern .idealistisch* einen Zustand, der sein soll, gegenüber dem tatsächlich seien den; in welcher Richtung nun immer finalisiert, wird jener Zustand doch stets ein und dasselbe Grundmerk
mal haben: daß die Schwäche nämlich, um welche es hier jeweils geht, in ihm als Stärke werde auftreten
1942
können. 196
Revolution
Jede Revolution ist viel weniger Bauplatz der Zukunft
als Auktion der Vergangenheit.
1944
Revolution Revolution ist Lebensmüdigkeit. Man löst das Politi
kum durch totalitäre Abschaffung der Politik, jedes
Problem durch Abschaffung der Dialektik, die ein gebildete oder wirkliche ,Judenfrage* durch Abschaf
fung der Juden - und so weiter, bis zur Abschaffung des Lebens überhaupt. Die Last der Geschichte ab zuwälzen, indem man die Gegenwart entleert und den
Akzent von rückwärts nach vorn wirft, in eine un
anschauliche Zukunft, um derentwillen aber jetzt und hier recht anschauliche Verbrechen begangen werden sollen: das ist die letzte Weisheit all’ dieser Dünnblüti
gen oder überhaupt Blutarmen im Geiste ... avant tout
des fusillades massives; puis, le bonheur universel... 1950
(Valéry).
Revolutionäre Im Kerne ist jeder Revolutionär ein Reaktionär. Seine
Sterilität hindert ihn, geistige Zukunft zu sehen, hier fehlen ihm die Instinkte, er staffiert sich mit den an
erkannten Werten der Vergangenheit aus, ist also im springenden Punkte nach rückwärts gewendet.
197
1944
Rhapsodik Rhapsodik ist eine Ausdrucks-Leistung, kein EindruckMachen. Der Schwerpunkt ihres stabilen Gleichgewich
tes liegt unter dem Stützpunkt, und keineswegs auf der sozialen Ebene, wie bei der politischen Rhetorik (und auch die wird gut tun, ihren Schwerpunkt etwas
einzusenken). Rhapsodik bedarf des Publikums wesent
lich nicht: sie ist monologisch. Aber ein tüchtiger Rhap
sode wird diesen unliebenswürdigen Sachverhalt ver schleiern und immer ein wenig so tun, als sänge oder spielte er zu seinem Publikum hin, als spielte er wirk
lich denen etwas vor. Und der Erzähler, wenn er rhapsodiert, wird mit Vorteil zwischen seinen eigenen Mo nolog und die Zuhörer eine parfümierte Wolke der Verbindlichkeit rollen: das dämpft schon alles, das schließt alle zu starken Chargierungen des Pathos aus,
das kann vielfach und streckenweise dazu führen, daß er geradezu - behaglich erzählt: nicht anders, als wär* er im Gespräch mit seinen Hörern, und jetzt grad am
I9J2
Worte.
Riechen und Denken
Ein Geruch ist unter allen Umständen ein höheres
Valeur im Spiel des Geistes als ein Gedanke. Aber die Massage des Denkens müssen wir uns doch voll appli zieren, sonst werden wir stumpf und am Ende un
empfindlich für Gerüche. Das Denken ist dem Schrift
steller nur stellvertretend für das Nichts. Denn das zer198
legungsweise Denken hat noch keine Form. ,Wo keine
Form ist, dort ist das Nichts.* Das Denken muß die Pausen unseres Riechens ausfüllen, um uns die Nase zu schärfen.
1957
Roman
Alles ist zugleich trivial und absolut wunderbar, und so muß es denn auch von diesen beiden Seiten erfaßt werden: das ist die eigentliche Kunst des Romans. Nur
darf das Triviale nicht tendiert, das Wunderbare nicht
hinein-interpretiert werden.
19 j 3
Roman Der auf empirischer Psychologie beruhende Roman (Saiko) muß, so und so oft geübt, Sinn und Antrieb verlieren, wegen der Ausdehnung einer Deskriptions
fläche, die sich nach und nach in inflnitum addiert, und schließlich den gleichen Aspekt bietet, wie die positi vistischen Fachwissenschaften. Nur eine dialektische (geistesmechanische) Psychologie, welche auch die empi
rische komplett zu dirigieren vermag, ortet nunmehr
den Roman als Gesamtkunstwerk und als ein durchaus
neu am Horizont erscheinendes Faktum der Kunst. >954
Roman Ein Roman muß herz-zerreißende Örter enthalten, 199
sei’s auch durch Süßigkeit zerreißende, nicht durch
Atrocität. Einmalige Lagen, die zu Kristall schießen: das sind seine novellistischen Akzente, die Schaum
kronen über den langen Wellen epischer Dünung.
>954 Roman
Die Kunst des Romans besteht darin, außervernünftige
Zusammenhänge entdecken zu können, welche schließ
lich auch das Vernünftige mit einschließen. Von da her
muß der Roman durchaus .verständlich* sein, minde stens aber einer großen Zahl von Lesern so erscheinen, die ihn garnicht verstehen.
1965
Roman, analytischer Die Mummerei der in’s Fleisch gefahrenen kontra
diktorischen Ideen zu durchschauen und die hand gemein gewordenen und durcheinander geratenen Geg
ner zu erkennen und zu trennen, ist der wesentliche Be
freiungsakt, den der Schriftsteller für sich und andere zu setzen hat: eben diesen! Der umgekehrte, wobei die Ideen erst zu Fleisch kommen sollen, gilt nicht; es be steht auch kein Bedarf nach ihm. Nur die Konkretion
bedrängt uns in der Lebens-Enge, ihr muß die Spitze geboten werden, denn in ihr allein ist, nach Aristoteles, die Idee vorhanden. Das Ideologische aber zieht sich
von selbst immer wieder zu einer Spitze aus, die auf
200
jeden Fall abbricht an den Konkretionen, auf welche
sie trifft.
1933
Roman - Atmosphäre Zu wissen, wie man einst selbst in Befangenheiten ge kommen ist, und solche Befangnisse dann darzustellen
durch die Chemie der Sprache, sie artifiziell zu erzeu
gen, sie zusammensickern zu lassen aus vielen sich ver bindenden Rinnsalen: dies ist das erste Fundament
allen Romanschreibens, das schafft die Atmosphäre; diese Grundlage zu gewinnen, muß einer viel gelitten haben, auch unter der leidigen, unbegreiflichen Angst. 1952
Roman - sein Ende Die Wirklichkeit setzt das Vorhandensein des Einzel
nen voraus, der allein Innen und Außen in stets
schwankender Weise zur Deckung bringt. So auch bleibt der Roman an jenen Einzelnen gebunden. Von einem Kollektiv kann nur in der Form einer Chronik oder auch Reportage berichtet werden. Es ist geschichtslos,
und recht eigentlich eine Rückkehr hinter den Beginn
der Geschichte, zur Vorgeschichte nämlich. So scheint es der moderne Neandertaler zu wollen. Er hat genug.
Ihn erfaßt ein taedium rerum gestarum. Wer vermöchte das nicht mitzufühlen! (Aber es kann ihm sein taedium
nichts helfen. Es finalisiert nicht, sondern wird selbst wieder zum Keimboden von Einzelschicksalen in der
besonderen Tingierung unseres Zeitalters.) 201
1961
Roman und Novelle
Jede wirkliche Novelle schleust uns durch den engen Kanal einer Ausnahme, darin der reißende Fluß sich
in’s Mahlwerk der Erzählung stürzt. Danach aber münden wir und treiben langsamer, hinausgeschwemmt
in’s offene Meer mit unbestimmt sich wegwendender Küste im Sonnenglast. Der novellistische Lotse geht
von Bord, der Kapitän für große Fahrt übernimmt
unser Schiff: es ist der Romancier.
1957
Roman, realistischer
Daß wir so inhaltsbelastet sind im realistischen* Ro man, eben das macht diese Form so edel. Wir escapieren
nicht, wir lassen nichts hinter uns und wenden uns einem Höheren zu; sondern hier und jetzt, auf dieser uns ge gebenen Ebene und im dort angetroffenen Materiale
wird dem Geiste sein Recht erkämpft und sein Sieg ge wonnen, der ihn alles durchdringen läßt, da sei es, was
es sei.
1961
Roman, totaler
Der totale Roman ist der geometrische Ort aller Punk te, die sich gleich weit entfernt befinden von der Kunst,
der Wissenschaft und vom Leben tel qu’il est. Romancier,
1941
der
Ehrlich ganz von sich weg wollen, am Reiz der Objek
tivität erwärmen - und das heißt, die Tiefe des äuße-
202
ren Lebens erkennen und die relative Seiditheit alles Psychologischen - bereit sein, aus allem Material die
Brücke in’s Jenseits im Diesseits zu schlagen: das macht unseren Mann, den Romanschreiber, der stets und wil
lig stellvertretend für Jeden lebt.
1955
Romanschreiben
Es gibt hier nur Ausfühlungen: bis zum letzten; wie
man in einen Handschuh ganz hineinfindet und ihn dann ausfüllt.
1915
Romantik
Romantik ist die nach rückwärts gewandte revolutio näre Dummheit, welche in dieser Dimension sehr wert volle Bundesgenossen antrifft: nämlich die reaktionären
Horntiere.
1941
ROT, DER SCHLECHTE
Wir müssen unser Vorderhaus mit seiner Fassade, das wir so lange bewohnten, durch die diskreteste Hinter
tür verlassen, die es nur geben kann. Ja, wir müssen uns an den Fenstern dort vorne recht oft noch zeigen, und sogar mit schlechter Aufführung, auf dem Balkon
mitCourtisanen sitzend und aus den Fenstern die leeren
Flaschen werfend. Die Welt hat über uns - unerbittlich
203
ihr Protokoll führend - gemäß der tatsächlich gebote
nen Fassade längst endgültig ihr Urteil gefällt und sich so mit uns eingerichtet und zusammengelebt, sogar viel fach in großer, ja für uns beinah unermeßlidier Tole ranz. Sie kennt unsere Fassade, unsere Blende, unsere
Maske, und zwar als ,angewachsene Maske* (wie Gütersloh es nennt), was sie auch tatsächlich war. Hin
ter diese zurüdcweichend wischen wir leise hinaus.
Wenn wir’s in unserer Zelle vermögen, die Maske mit Hut und Stock einfach beiseite zu hängen oder vor dem Ausgehen die Maske mit Hut und Stock automatisch zu
ergreifen und sie umzubinden, so geschieht das, weil
wir vor der Umwelt Respekt haben und zu bescheiden sind, sie auf den veränderten Sachverhalt aufmerksam zu machen und um eine Revision ihres Urteils zu bitten
- und vielleicht aus dem dunklen aber unabweisbaren Wissen, daß wir dort im Vorderhause immer noch ge
nug zurückgelassen haben, um manchmal einen kleinen Sprung dahin machen zu müssen, was wir doch lieber
unter einer längst eingewirtschafteten Toleranz als
unter dem wachsamen Blick eines neuestens wieder scharf gemachten Auges tun werden ...
194»
Ruhe
Statik des Seienden - also tiefste Ruhe - ist das äußerste Gegenteil von Langeweile. Wenn die Zeit überwunden ist, braucht man sie nicht zu vertreiben.
1958
204
Rühm
Den eigenen .Erfolg* muß man sich integrieren, damit er nicht wie eine Prothese an uns hänge. Aber das darf
nicht mit dem primitiven ersten Selbstbewußtsein ge
schehen - sofern einer noch ein solches hat - sondern durch klares Erkennen der Irrationalität des Ruhmes,
der keineswegs in der Verlängerung einer Leistung liegt (welcher er auch nicht immer folgt) sondern gleichsam
von seitwärts her, und wirklich aus dem Irrationalen herantritt: der Ruhm lohnt nicht das Werk, sondern die Gesinnung eines ganzen Lebens, auf welches seine
fahle Sonne nun fällt: und auch in ihr soll sich’s jetzt
1957
bewähren.
205
Einträge zu R
206
s Sammelnamen
Sammelnamen haben den Haß zum vernehmlichsten Ursprung und Interessenten, der sich so gegen ein Un anschauliches austoben kann, ohne jene Hemmung, die
vom einzelnen Menschenangesicht immer noch ausgeht. 1942
Satire
Karikatur und Satire sind die billigste Art, sich von einem Objekt zu distanzieren: man stößt es zurück,
statt daß man es apperceptiv konsumiert; denn es be kommt nicht. ,Difficile est satyram non scribere' be
zeichnet die Grenzen der Leistungsfähigkeit einer schwachen Verdauung.
1960
Schauspieler
Im Schauspieler kommt, bei sonstiger dem Stande eigentümlicher geistiger Zurückgebliebenheit, die Form,
welche gleich von Anfang an seinen Gliedern, Mienen
und Gebärden beigebracht wird, zum Kurzschluß mit
dem übrigen Leben solchen Kujons, welches sie nicht, wie beim Spirituellen, erst nadi und nach durchdringen muß, um schließlich in seine Glieder, Mienen und Ge
bärden zu sickern, anima forma corporis. Daher solche 207
Burschen eine weit über ihren Verhältnissen liegende, also übertriebene und lächerliche, Geformtheit auch in
ihrem grauslichen Privatgestus aufweisen, freilich: im
gestus nur.
193J
Scheinprobleme Wenn man sich zu nah an Menschen, Verhältnisse^ Fragen und Einzeldinge hinstellt, geht die Perspektive verloren und es entstehen Scheinprobleme, die bei ge
wonnener größerer Distanz einfach verschwinden, da
mit beweisend, daß sie nichts anderes waren als solche.
Und gerade sie wollen den Unwissenden stets verfüh ren, ihre Lösung auf der gleichen Ebene zu versuchen, auf welcher sie trügerisch sich uns stellen. Aber selbst
ein wirkliches Problem ist so nicht lösbar, und bei den Scheinproblemen gehört die Unlösbarkeit zu ihrem
1961
Wesen.
Scherz
und
Ernst in der Kunst
Es gibt in der Kunst keine Grenze zwischen Ernst und
Scherz. Wenn beide vollendet im Ausdrucke sind, kön nen sie fortlaufend wechselweis ineinander übergehen. Sie gehören derselben Ebene an: Stimmen im süßen
Spiele, verschiedene Segmente der Orchesterpalette, wie Streicher oder Bläser. Weiter nichts. 208
1960
Schicksal - mit und ohne
Es gibt in der Zivilisation zwei Menschen typen: solche, deren Leben eine Darstellung ihrer innewohnenden Entelechie ist, die sich verwirklicht, oder zerstört wird;
und solche, deren Leben eine Darstellung des außer
halb ihrer liegenden Apparates ist, den sie auf sich selbst anwenden, bis sie mit ihm identisch oder durch
ihn vernichtet werden. Nur der erste Typus hat eigent
lich Schicksal; der zweite lediglich einen Lebensverlauf, aber brauchbar für pressegerechte Fortsetzungsromane. 1952
Schrecken
Der Schrecken, der doch von außen in uns hineinzufah ren scheint, gelangt rasch in’s Grundwasser der Seele
und färbt es. Nun in der Mneme liegend, wird er von
allen Saugwurzeln der einzelnen psychischen Mecha nismen emporgesaugt und durchsetzt jetzt gleichsam von unten her erst das Bewußtsein: daher denn die Fülle seiner Metastasen in den Vorstellungen und ihren
Verbindungen, in den Gefühlen, überall. Mir kommt das so vor (freilich nur dem Mechanismus nach) wie
jene bekannte Sättigung des Bewußtseins von der ero genen Zone her.
1944
Schreiben
Schreiben: Über dem Abgrunde schweben, gehalten nur von der Grammatik.
1952
209
Schreiben Die letzte Wirklichkeit ist chaotisch: sie bedarf nicht
unsres Umsorgens; sie ist immer da, braut um des Autors Sessel, sieht ihm aus Augen, die ihr plötzlich hervorschwellen, über die Schulter, und hängt als eine ungeheure Birne von Dunkelheit gegengewichtig an
jedem Wort, das er schreibt.
Schreiben
und
1951
Lesen
Daß ganz gleichgültig sei, was man schreibt, sondern
wesentlich nur, daß man schreibe, ist jedem Schrift steller geläufig, da sein Stift sich immer erst in Bewegung
setzt, wenn die Einheit von Inhalt und Form erreicht
ist, worauf’s allein ankömmt. Jedoch ist auch vollends gleichgültig, was man liest. Ich kann durch den dümm sten Text auf die gescheutesten Gedanken gebracht wer den und wenn ich eine Buchseite für nichts anderes an
sehe als einen Abflugplatz des Geistes (und so denke ich sie ja auch meinem Leser zu, der mich hoffentlich immer bald verlassen kann, um auf seinen eigenen Flü
geln zu schweben) - wenn ich ein Buch also für einen
Gebrauchsgegenstand halte, dann ist seine Tauglich keit hiezu allein maßgebend, und ich werd’ mich bei solcher Einsicht wenig genieren, sogar das Allerdümmste
zu lesen wie zum Beispiel eines sicheren Herrn Pintscho-
vius ,Psychologische Diagnosen* samt ,Beischalte-Ver-
fahren* - solang ich’s aushalt’.
210
1945
Schriftsteller Ein Schriftsteller ist ein Mensch, dessen Sprache der
Welt entsagt hat, dessen Person in ihren Netzen ver stricht bleibt.
i9S9
Schriftsteller - Apperception
Die Apperception des Schriftstellers geschieht immer
sofort, gleichsam mit verhängten Zügeln, und aus
nahmslos: das heißt, sie kennt nichts und keine Lagen,
die von ihr ausgenommen wären. Diese Apperception ist chaotisch wie das Leben selbst, und nichts gibt es,
was vor ihr und ehe sie geschieht, noch geordnet wer
den könnte oder müßte. Sie kommt aus dem Chaos und erzeugt auch wieder dieses, da alle etwa vor ihrem Ein treffen noch vorhandenen Ordnungs-Örter und ihre
deperceptive Dialektik durch sie entleert und entwest
1959
werden.
Schriftsteller - Arbeit
Wenn einer sich als Schriftsteller nur am Schreibtisch verhält, so fällt seine Kunst am Ende als Fach in das
Geviert seines Arbeitszimmers und neben die übrigen
Tätigkeitsarten des Lebens. Im strengsten Sinne uni versal kann sie nur sein, wenn sie unaufhörlich und überall geübt wird - gleichsam schwebend wie die Teil
chen einer Emulsion - nirgends aber wie eine Profession feststellbar ist. Das Professionelle, die Stunden, die 211
Mühe, die Schinderei mit einem Worte - von den an deren Menschen in bezug auf ihren Beruf gerne er
wähnt - wird ein wirklicher Autor diskret verhüllen: als den Paradiesesfluch und das Verhaftetsein in der
Physik. Beides fälscht man nicht in eine Auszeichnung
um.
Schriftsteller -
1955
seine
Assoziationen
Jedes freie Assoziieren gebiert Ungeheuer. Jedoch ist
das kein Grund, die Ausgeburten des freien Assozi
ierens als für uns keineswegs bezeichnend anzusehen.
Der Schriftsteller, der jenem ständigen Strome zusieht und an ihm fischt, kühl bis an’s Herz hinan, hält, was
da plötzlich und greulich hervorkommt, für kennzeich
nender als unsere schärfsten Gedanken.
1957
Schriftsteller - seine Besuchsfähigkeit
Der Schriftsteller muß der jederzeit, Tag und Nacht, besuchsfähigste Mensch sein, der gedacht werden kann. Vor keinem empirischen Eintritte dürfen sich seine Pforten zusammenziehen oder verengen; geklopft
braucht da nicht lange zu werden. Türen und Fenster der Apperceptivität, der Begabbarkeit, klaffen auf 195 J
jeden Fall weit.
Schriftsteller - communio
Es gibt für den Schriftsteller den oder jenen Punkt, bei
212
dessen Berührung sich zeigt, daß er, um überhaupt
seiner selbstgesetzten oder verhängten Aufgabe ge nügen zu können, die Sdiuldmasse seines Lebens nicht
vor den Blick türmen, sondern hinter sich werfen muß. Anders: er muß an die Vergebung der Sünden wirklich glauben. Er gewinnt - und das gerade zeigt sich an jenen prüfenden Fällen - erst von der communio her
1943
seinen Standpunkt.
Schriftsteller - Existenz
Am Maße der Bewältigung von Objekten sich messen: und das über dem Abgrunde der eigenen Unwissenheit:
so ist die Existenzialformel des Schriftstellers.
1952
Schriftsteller - Formel
Percipiendo esse.
1955
Schriftsteller - sein Frieden mit
der
Welt
Die Objektsbewältigung und damit letzten Endes die indirekte Provokation des Grammatischen bilden das
tägliche Holzhacken, eine handhafte Tätigkeit, die sich ganz versöhnlich benachbart mit anderen, welche rund um geübt werden. Jeder Maler hält Frieden mit seinen Modellen, ja mancher steht zu ihnen in geradezu an
rüchig guten Beziehungen. Die Deskription wird so
für den Schriftsteller ein Terrain dialektischer Ent-
1’3
Spannung. Das gestaltweise Denken führt zur univer
sellen Zustimmung, und in eine Sphäre der Rekreation,
die dem kritischen Geiste verschlossen bleibt.
1952
Schriftsteller - seine Grundhaltung
Was den Schriftsteller unwiderruflich und entschieden von allen Gebildeten und Ungebildeten trennt, ist seine Bekehrung zur Heiligkeit der Sprache, sei’s in welcher Weise sie immer angewendet werde: schreibend (gram matisch), sagend (phemistisch), vortragend (rhapso
disch), oder auch im inneren Gebraudi, also denkend, soweit in Worten gedacht wird, wie es vorwiegend
beim zerlegungsweisen Denken der Fall ist (cogitophemistisch). Hierin, in alledem, ist er außerhalb jeder
Meinung, allen Urteilens, aller Vorlieben, und allen
Kenntnisbesitzes. Er wird, anständigerweise, kaum je mand Positionsfähigkeit einräumen können, vielmehr
alles außerhalb der Verpflichtung zur Heiligkeit der Sprache Gesagte - und so reden Alle rund um ihn und
zum Teil noch er selbst! - als psychologisches Sym
ptom und gewissermaßen als zugelassene Stimme der Materie sehen, und dadurch jene Milde erreichen,
welche ihr Geheimnis nicht mehr preiszugeben vermag. I9J2
Schriftsteller - seine Grundverfassung
Sehen wollen ist mehr als irgendetwas sein wollen. Der
Schriftsteller hat das erste gewählt.
214
>95i
Schriftsteller - Handschrift
Der Schriftsteller, wenn er arbeitet, ist die lautloseste
aller Kirdienmäuse: denn er madit sich dünn nicht nur für die Ohren der Anderen, sondern vor allem für’s
eigene Gehör, damit er sich nicht störe durch die Ge räusche seines eigenen Lebens, das er ja gerade aus dem übrigen eliminieren will. So schreibt er auch ganz klein,
allein schon deshalb, daß die Feder nicht kratzend 19 5°
plaudere.
Schriftsteller -
sein
Konservativismus
Ein Phainomenon bei sich selbst lassen - und das ist
freilich des Schriftstellers Grundgeschäft! - heißt, nach
innen umgeklappt: sich selbst unvollendet stehen lassen.
1959
Schriftsteller - Matinalität
Auf dem Dache des Lebens: so muß der Schriftsteller sitzen am Morgen, ante lucem, und dem Aufgehen des
Tags zusehen: der früheste Sommerwind gehört ihm,
der brauende, noch finstere Winternebel umgibt, und der erste Straßenbahnzug beschließt seine beste und
den Tag entscheidende Stunde.
1950
Schriftsteller - seine Notwendigkeit
In ein Jenseits im Diesseits übersiedeln, erst das macht
den Schriftsteller: in ein Jenseits aus lauter freier Apperception, ohne irgendwas, oder auch sich selbst, anders haben zu wollen, als es ist, anders benennen zu
wollen, als seiner essentia entspräche. Hier stehen
Wesen und Wort genau senkrecht übereinander, wie
ein Baum und sein Spiegelbild im Wasser. Und wächst das Wesen noch so hoch auf, so steht des Schriftstellers
Wort ebenso tief im spiegelnden Abgrund und hält es, durch die rechte Ortung. Nicht nur die materiellen Wurzeln sichern den Baum, und die Erscheinungswelt
überhaupt, so wenig wie das Brot allein den Menschen.
Schriftsteller - Profil Das Profil eines Schriftstellers reduziert sich zuletzt
auf seine Auswahl aus dem vorhandenen und seinen Beitrag zu dem entstehenden Wörterbuche.
1943
Schriftsteller - seine Sprachlosigkeit
Der Monteur schaltet den Strom aus, bevor er im Netze arbeitet. So auch muß der Schriftsteller in der praeverbialen Zone alles verrichten, um nicht vom Eigengewichte der Sprache getroffen zu werden. Aus fühlen, austasten, aus-schnuppem. Ist’s getan, so läuft
der ein treffende Satz über die rechte Leitung.
216
1961
Schriftsteller - seine .Stoffe'
Den Schriftsteller ernährt, was ihn nicht verzehrt hat. Nun lebt er von alledem, was er nicht geworden ist:
kein Doktor und Professor, kein Disponent und Dezer nent, kein Konto-Inhaber, Hausbesitzer, Sektionsrat
und Präsident, kein Vater und Erzieher. Jetzt frißt er
seine Möglichkeiten auf, deren keine ihn gefressen hat. Und gerade davon wird er prall und sehr konkret; und
schließlich sogar fähig, mit dem wenigen, was er zwi schendurch doch geworden, und einer Umwelt, die er
versehentlich doch gesetzt hat, fertig zu werden.
¡9i9
Schriftsteller - seine Struktur
Im Leben eines Schriftstellers kann es keine Ebene ge
ben, die quer zur Sprache liegt. Alle ordnen sich par allel zu ihr und liegen unter ihr wie Stockwerke unter
einem flachen Dache. Von diesem aus sieht ein Autor herumspazierend die Welt.
1964
Schriftsteller - Übertreibung Die physiognomische Empfindlichkeit des Schriftstellers beruht auf seiner an Wahnwitz grenzenden Übertrei
bung: er sieht in jedem Phänomen dessen Entelechie, und die fundamentalsten Gegensätze bereits dort, wo Krethi und Plethi einander noch lang in den Armen
1952
■liegen.
217
Schriftsteller - seine Undramatik Die einmal getroffene unwiderrufliche Entscheidung,
welche längst gefallen ist, macht jede andere danach
noch kommende zweitrangig, und das von vornherein. Wie weit einer ein Schriftsteller geworden ist, ließe sich in negativer Weise daraus abnehmen, inwieweit sein
Leben der dramatischen Lagen entbehrt.
Schriftsteller und
seine
1951
Vergangenheit
Zukunft
Man muß als schreibender Mensch einer nach sich selbst sein, einer, der sich selbst überlebt hat. Der einzige Ort, wo ein Schriftsteller von einiger Zukunft sich auf
halten kann, ist seine Vergangenheit; auf die Zukunft hat er - eben weil er eine hat oder zu haben vermeint keinesfalls einen freien Blick.
i90
Schriftstellerinnen Eine Frau kann unter besonderen komplexen Bedin
gungen in die Lage kommen, ein Schriftsteller zu sein. Für jeden Mann aber ist gerade das sein naturgemäßer Weg, von welchem er allermeist auf die verschiedenste und fruchtbarste Art dann abkommt.
195*
Schuld Es scheint, daß wir am gründlichsten vom Leben ge218
straft werden nicht im Zusammenhänge mit Inhalten,
die sich in unserem Bewußtsein befanden und mit wel
chen wir falsch umgingen; sondern mit Beziehung auf solche, bis zu denen sich unser Bewußtsein nicht er
streckt hat - und eben deswegen: Trägheit des Herzens,
Verweigerung der Apperception.
1946
Schutzprügel
Solche können aus Liebe verabreicht werden an jeden, der durch Physiognomie und Verhalten den Zorn der
Götter reizt. Die vorweg verhängte Buße bewahrt ihn
1962
vor Schlimmerem.
Schwäche und Leere Jede Schwäche sucht sich selbst zu entgehen, gleichgültig in welches Material. Wenn sie aber unbesorgt auf sich beharrt, dann taucht, genau ihr gegenüber, ein Gestade
aus dem Dunst, von wo ihr ganze Schiffsladungen, ja Flotten von Kräften kommen können, ungemessen: es ist der Strand der Leere, der geduldigen, apper-
1944
ceptiven.
Schweigen Schweigen ist nie Leere, sondern bis zum äußersten 19 J1
pralle Latenz.
219
Schweigsamkeit
Schweigsamkeit besteht nicht im Mundhalten sondern gerade darin, daß Einer seinen Mund garnicht mehr zn
haken nötig hat. In dem Augenblicke, wo man im Ger sprach bemerkt, daß man noch etwas sagen will und zu Wort kommen möchte, darf man durchaus garnicha mehr sagen.
1941/43
Schwerhörigkeit Das außerordentlich schwache Gehör mancher Zeit genossen verwandelt sich sofort in schärfste Hellhörig
keit, wenn sie etwas wirklich interessiert, und ihr Vor teil ihnen gebietet, das oder jenes aufzufassen. Ein
Schwerhöriger, der seit einer Stunde sdion eine ganze Gesellschaft quält, ständig die Hand muschelförmig an’s Ohr hält, und sich alles zwei- und dreimal wieder holen läßt - versteht plötzlich die in einer entfernten Ecke geflüsterte Bemerkung, welche ihn angeht. Für
mich genügt das Erscheinen eines Schwerhörigen in
einem Kreise, um aus diesem sofort zu flüchten. Ins
besondere dann, wenn dieser feinhörige Halbtaube eine
bedeutende Persönlichkeit darstellt, die niemand über
gehen kann und um welche sich alsbald alles gruppiert. Die hinterhältige Abwehr und zugleich Übervorteilung
des Gesprächspartners, dem man’s so anstrengend wie
möglich macht, ihn solchermaßen auspumpend: dies in Verbindung mit einer genußvollen Quälerei, bei ge
legentlichem und stets wohlbegründetem Einschalten Z2O
feinsten Gehöres: das alles zusammen übersteigt meine Toleranz. Die Schwerhörigkeit älterer Damen und
Herren ist in höchst seltenen Fällen eine echte, physio
logische. Fast immer wird da nur eine Mauer gezogen,
an der sich alle Welt abstrampeln soll, während man behaglich hinunterblickt, oder auch plötzlich bei einem
Türchen herausschaut, dessen Vorhandensein vorher
niemand angenommen oder bemerkt hat.
1953
Sehen
Was wir vielleicht nur ein einziges Mal, und flüchtig,
und aus dem Augenwinkel gesehen haben, das haben
wir wirklich erblickt. Aber was dem Blicke ein häufiger
Gebrauch wurde, das wetzte er gleichsam ab, es ward trüb und stumpf. Schopenhauer meint, daß wir einen
Menschen nur in der Sekunde der ersten Begegnung
mit ihm in seiner Wesenheit zu erkennen vermöchten.
Mit den Dingen scheint es nicht anders zu sein. Über haupt erleben wir in tieferer Weise nicht das, was unse rem aufmerksamen Blicke gerade gegenüberliegt: son dern was sich in der Aura drum herum befindet, die
allerdings um so eher sidi bildet, wenn ihr ein konzen triertes Schauen die Mitte macht.
1953
Sehen
Das wirkliche Sehen drückt ein Objekt zusammen und damit zurück - in der Art einer Harmonika - und 221
schafft so noch mehr Distanz, zu jener hinzu, welche es
schon zur Voraussetzung hatte.
1959
Sehenswürdigkeiten Die unmittelbar gegebene äußere physische Nähe einer
Sache, sei sie gleich die bedeutendste, schafft eine der Mechanik unseres Geistes nicht angemessene Distanz.
Selten kommt da Überdeckung zwischen Innen und
Außen, also Wirklichkeit zustande. Das macht alle
Sehenswürdigkeiten dieser Welt fragwürdig. Besser wär’s, man bildete sich den David des Michelangelo, den Garda-See, den Bamberger Dom, oder den Trafal
gar-Square nur ein. Ich wähle Notabilitäten, die ich selbst gesehen, um daran zu erkennen, daß sich auch
nachher und in der Erinnerung - auch wenn diese nicht durch Amateur-Photos, die man gemacht hat, verklei stert ist, verunziert also durch liegengebliebene graue
Wursthäute des Lebens! - um zu erkennen also, daß sich auch nachher und in der Erinnerung Objekten die
ser Art gegenüber selten die rechte Distanz erstellt.
Jene fast immer ganz ungemäße Art, in welcher wir
einst auf sie stießen - gleichsam festgefahren und er starrt in einer geminderten Wirklichkeit - macht das
1954
anscheinend unmöglich.
Selbstbewusstsein Der Mensch ringt fast das ganze Leben hindurch um
222
sein Selbstbewußtsein: merkwürdig genug, denn erst wenn er dieses opfert und zum Objekte macht, und
zwar sowohl das Selbstbewußtsein, wie das Ringen da nach, erst dann wird er seiner selbst bewußt.
i942
Selbstdarstellung
Wer seine Mitmenschen nur als Spiegel für die eigene sittliche oder geistige oder sonst irgendwie stilisierte
Toilette benutzt, um zu sehen, ob der Knoten seiner
Qualitäten und Überzeugungen richtig geschlungen ist und schön in der Mitte sitzt, der wird natürlich, erstens,
von jedem hergelaufenen Lausbuben abhängig werden,
weil der doch mindestens den Spiegel ruhig halten muß, zweitens aber die Menschen, wie sie wirklich sind,
kaum jemals erschauen, während sie ihn sehr genau
kennen lernen, weil sie ja bei einem intimen Vorgang, wie die Toilette, anwesend sein dürfen, und sogar als unentbehrlich; das gibt, drittens, jedwedem Hadawachel nicht nur ein Gefühl des eigenen Wertes, son
dern auch gleich das der Überlegenheit (bescheiden sind
ja die Leut* grad nicht) und obendrein mit einem ge 1942
wissen Rechte.
Selbstdarstellung
Die Menschen möblieren ihre Seele aus den Magazinen ihrer Pseudologie. Von dort wird alles hereingetragen und so aufgestellt, als käme Jeder von hinten und also
223
in diese Perspektive. Von der Weltseite her aber gibt das einen tollen Anblick: lauter Rückwände von Ka sten und Kredenzen, verkratzt und staubig, fehlende
Füße, gebrochene Konsolen - alles zur Schau gestellt, was verborgen werden wollte! So ein armer Mensch
wird natürlich ganz mißverstanden: die Leute begrei
fen ihn nie richtig und fassen doch immer die Wahrheit
auf.
1949
Selbsterkenntnis
Unter dem Grundgebrechen nur - sofern es erkannt! faßt sich der Mensch einsehend zusammen, nie unter
Tugenden, die ihm hinzugegeben wurden, und immer
ein Fremdes geblieben sind.
1952
Selbsterkenntnis
Es ist auf jedem wirklichen Wege unvermeidlich, so sehr sich zu verlagern, daß schließlich ein ganzes Leben
wie verlassen und geendet dasteht: durch den Verzicht auf dessen Habitus, sei der wie er sei, auf das Habi
tuelle: daran sieht man endlich seitwärts vorbei. Damit erst ist die eigentliche Selbsterkenntnis erreicht, wobei diesem Worte sein moralisches cachet ganz verloren
geht.
i9J4
Selbsterkenntnis - ihre Technik
Man fasse in’s Auge - und als unbekämpftes Phäno-
224
men, das nur der Deskription unterliegt - Einzelheiten aus Jahrzehnten, Details, die uns wie Spinnen über die
Haut kriechen: doch müssen wir ihnen dabei zusehen.
Anders werden wir von uns selbst keine Kenntnis er langen.
1957
Selbstrettung
Wenn unser erster Motor Selbstrettung war, so spurten
wir immer tiefer in geistesmechanische Fehlwege und blinde Gassen; aber eben diese Fülle der Verfahren-
heiten wird uns schließlich zum heuristischen Prinzip. Die Selbstrettung rettet uns durch ihre Widersinnig
keit, indem sie sich selbst ad absurdum führt: die Spitze, zu der wir uns ausziehen wollten, bricht ab.
19 f 9
Selbstverständlichkeiten
Selbstverständlichkeiten sind Ungeheuer, die so reglos
und so lang schon neben uns schlafen, daß wir sie nicht
als solche mehr wahrnehmen können.
1942
Selbstwert
Wer prall im Selbstwert sitzt, ist ein strenger Richter. Aber wenn wir diese uns zusammenhaltende Wurst
haut verlassen haben und sie von außen so leer und grauslich sehn - dann denken wir schon milder über
die Welt.
1941
Sensationen
Sensation ist Ersatz-Spannung. Sie entsteht durch Ab schnürung einer schlaff gewordenen Ader vom Blut kreisläufe des Lebens, so daß in dem isolierten Teil
jetzt unnatürlich erhöhte Kraft pocht. Sensationen sind
ein Blendwerk der Schwäche. Es sucht sie jeder Mensch, der seine eigene Leere nicht appercipieren und daher auch nicht offen halten will; welches die einzige Chance
wäre, jene wieder mit Gebilden der Spannung zu er füllen: durch Einfälle. (Ein-Fälle sind Meteore des
Geistes, sie ersetzen ständig unsere verbrauchte Sub stanz. Man muß ihnen aber die größtmögliche Fläche zum Auftreffen bieten, sonst werden sie zu selten. Dem
sensationell vergifteten und dieses Gift unaufhörlich
suchenden Menschen bleiben sie ganz aus: er hat das
*949
Erwarten verlernt.)
Sexualität -
ihr heuristischer
Wert
Alle Grundlagen der Mechanik des Geistes, ihre mög lichen Recht- und Fehlgänge, sind im Sexuellen zu er
kennen wie im Modell und von ihm abzunehmen: eben darin besteht seine enorme Bedeutung, daß es uns gei
stesmechanisches Wissen in einer sonstwo kaum mit sol
cher ständiger Stärke wirkenden Intensität bietet und aufdrängt. Das bedeutet nun freilich nicht den Primat
des Sexuellen, wohl aber seine heuristische Erstrangig
i90
keit. 226
Sexualität und Romanprosa
Das Sexuelle kann nicht als res beiseitegebracht wer
den, so wenig wie das Romanschreiben. Daher kommen die Unterbringungs-Schwierigkeiten beider in unserem praktischen Leben. Beide gründen auf winzigen Apperceptionen, deren Eintreffen oder Ausbleiben keiner denkbaren Regel unterliegt und die - nur so viel läßt
sich ganz allgemein sagen-eine vorhandene und durch aus vorausgesetzte universale Apperceptivität über
haupt zur ermöglichenden Grundbedingung haben. Womit wir immerhin schon wissen, wie als Schrift steller oder Geliebter oder beides zugleich einzig ge
lebt werden kann.
1963
Sexualleben
Wer es praktisch verhindert, daß um den Kem seiner Persönlichkeit auch sein Sexualleben zu Kristall schieße,
hat keinen Mut zur eigenen Begabung, da mag deren
Richtung ihm noch so deutlich sich gezeigt haben. Und erst wenn ein ganz anderer Zeiger starr die Stunde
weist, welche unserm Ohr und Kopfe noch gar nicht geschlagen hat, geht die Uhr richtig.
1954
Sicherheit
Wer sein Schäfchen in’s Trockene gebracht hat, der baut dann meistens dort auf Sand. 227
1961
Sinngebung Sinngebung erfolgt vielfach, weil man zu wehleidig ist, das Sinnlose bei seinem Begriffe zu belassen. Ein ganzes Netz von Sinngebungen dient uns am Ende, die
Schrecklichkeiten des Lebens zu verschleiern.
i94r
Sinnlosigkeit Das ,absolut Sinnlose* ist ein Stück vom Leben, das
abgebrochen ist und davonschwimmt. Beim Hin-Neh men des Absolut-Sinnlosen geht jedesmal für uns
enorm viel Kraft lautlos verloren, sei dieses Sinnlose
nun von außen über uns hereingebrochen oder aus uns selbst gekommen. In beiden Fällen hat es den Charak ter der Anonymität. Es wird uns hier bei unseren stän
digen Versuchen der Gesamt-Welt-Umarmung stumpf und gebieterisch zugleich Halt geboten.
Das Sinnlose, als ein Unkonsumierbares, wird doch konsumiert, mindestens geschluckt. Es belastet dann
die Verdauung des Geistes. So kommt es zu jenem lange andauernden und fühlbaren KraftVerlust.
1953
Skandalpresse Die Rolle einer Zeitung, welche sich in zunächst löb
licher Weise darauf verlegt, Übelstände aufzudecken
und skandalöse Zustände des öffentlichen Lebens zu bekämpfen, muß früher oder später darauf hinaus218
taufen, daß sie vom Bösen lebt, welches sie bekämpft,
und eingestellt werden müßte, setzte es aus. Was aber würde dann jenen, die eine solche Zeitung machen, ein zig übrig bleiben? Sich in rankünöser Weise ein anderes
Feld ähnlicher Betätigung zu suchen, ja, am Ende das Böse um jeden Preis aufzutreiben, sei es, wo es sei, und
auch wo es garnicht ist.
1952
Sklaverei Erst der Freigelassene freilich offenbart die ganze
Gräßlichkeit der Sklavengesinnung. Aber verantwort
lich für diese sind jene, welche die Gewissensruhe hat ten, Sklaven zu halten.
1962
Skurrilität
Skurrilität ist ein noch immer kontrollierter Kompro
miß zwischen der Narrenzelle und einer apperceptivoffenen Form der Existenz.
1952
SOIGNIERTHEIT
Wohlgeruch des eignen Leibs befreit uns von diesem,
denn unsere fäkale Existenz drängt sich uns dann nicht mehr auf: dies der Sinn aller Soigniertheit: sie verleiht
eine Initial-Distanz vom Leichnam, die wir dann er weitern können, um endlich, auf einer gewonnenen neuen Ebene, diesen selbst mit deren Dufte zu durch-
dringen, ihn zu erobern: schon auch sehen wir ganz
anders aus.
1957
Sommer
Sommer: seine Stille ist die größte: Stille des Lebens.
Der Winter hat leicht still sein: wie sollte der Tod an
ders sich verhalten?
19J3
Sorgen
Wenn uns eine bestimmte Sorge drückt, sich in die Mitte unseres Innern legt, von dem sie nun getragen
werden muß wie ein Stein im Tuche, der dieses nach allen Seiten in Falten zieht: so enthält dieser Zustand
doch zugleich als Erleichterung in sich die Benennbarkeit und Distinktheit seines Ausgangspunktes, seines -
sagen wir’s ruhig! - Vorwandes: Objekt und Subjekt
bleiben genügend getrennt und auf das letztere wirkt die Lage lange nicht so korrumpierend wie ein überall hin ergossenes kaum greifbares Obeibefinden, dessen
Veranlassung wir garnicht aufzuzeigen vermögen. Man kann geradezu Dankbarkeit empfinden, weil das Un
glück deutlich und unterscheidbar auf einem Punkte
gleichsam außerhalb unserer selbst versammelt sitzt,
statt uns zu überschwemmen, zu durchsetzen und uns ganz und gar zu tingieren. Regel: wenn wir Sorgen haben, tragen wir sie um so leichter, je deutlicher der Vorwand ist, unter welchem wir uns jene machen. 194? 130
Sozialismus
Es wird neuerdings wichtig, noch viel plastischer als bis
her dieses Eine zu wissen: daß der Mensch in allem
Wesentlichen des Lebens wirklich allein ist. Jede ge ringste Verschleierung dieses uns einmal gesetzten Sach
verhaltes (zu schweigen von dem Verabsolutieren der
Gemeinschaft) fälscht alle Beziehungen, die zwischen
Menschen möglich sind. Das Soziale ist gesund, wenn es viele Hereinragungen aus der Einsamkeit als Stützen
hat. Aber diese Solidarität in der Zivilisation ist nur
ein Abbild der Solidarität der Einsamen. Das Funda ment der Gemeinschaft liegt dort, wo die Menschen
miteinander nichts mehr gemein haben; und wenn jenes
verloren geht, artet diese alsbald in Gemeinheit aus. 953 Tag und Nacht
Beherrscht der Tag die Nacht, der Tagesrest den Traum, so haben wir kein Doppelleben geführt, nicht im
einen für’s andere uns ausgeruht. Man muß beide aus
geruht betreten, Tagwerk und Traumwerk.
1951
Tageseinteilung
Man muß den beginnenden Tag wie ein zartes Pflänzlein hegen: er kann anders beim höchsten Sonnenstände
1954
schon eingegangen sein.
Talent
Man wird durch das Talentiertsein zur Entscheidung
239
berufen, welche erst das eigentliche Talent nach sich zieht. Keineswegs alle, die berufen wurden, sind aus erwählt, und wer sich vor der Entscheidung fragt, ob er’s sei - und ob also diese Entscheidung der Mühe wert
wäre? - der ist es bestimmt nicht.