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German Pages 112 Year 2013
Wärmedämmverbundsystem
Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K
Wärmedämmverbundsystem
Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K
Impressum
Herausgeber: Christian Schittich Redaktion: Cornelia Hellstern (Projektleitung), Simon Kramer, Kai Meyer, Eva Schönbrunner, Nicole Zander, Anna Zwenger; Dr. Bettina Conrad (Projektleitung Hild und K Architekten) Redaktionelle Mitarbeit: Dr. Ilka Backmeister-Collacott, Nicola Kollmann, Michaela Linder Zeichnungen: Ralph Donhauser, Martin Hämmel, Dejanira Ornellas Bitterer Umschlag und Gestaltungskonzept: Dorothee Guther, Berlin Herstellung / DTP: Roswitha Siegler Reproduktion: ludwig:media, Zell am See Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried, Krugzell
© 2013, erste Auflage DETAIL – Institut für internationale ArchitekturDokumentation GmbH & Co. KG, München www.detail.de ISBN: 978-3-95553-199-7 (Print) ISBN: 978-3-95553- 200-0 (E-Book) ISBN: 978-3-95553-201-7 (Bundle) Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werks oder von Teilen dieses Werks ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Inhalt
Vorwort
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Diskussion 01: Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance Hild und K im Gespräch mit Arno Lederer und Jórunn Ragnarsdóttir
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Diskussion 02: Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten Andreas Hild im Gespräch mit Gerd Hauser und Andreas H. Holm
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Projektbeispiele 01 Büro- und Geschäftsgebäude Welfenstraße 02 Louis Hotel am Viktualienmarkt 03 Viktualienmarktpassage 04 Treppenturm – Institutsgebäude 0505 Technische Universität München 05 Wohnbebauung Theresienhöhe 06 Büro- und Wohngebäude Am Tucherpark 07 Wohnbebauung Lohengrinstraße 08 Wohnbebauung Helsinkistraße 09 BFTS – Bayerisches Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft 10 Bürogebäude Ismaninger Straße 11 Revitalisierung Bikini Berlin
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Formfindung 01 Schwabinger Tor – M10 02 Geschäftshaus Augustenkarree – Karlstraße 47 a 03 Schwabinger Tor – S30_40
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Diskussion 03: Theorie und Realität Briefwechsel zwischen Andreas Hild und Thomas Will
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04 Forschungsprojekt WDVS: Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren
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Viten der Gesprächspartner Weiterführende Literatur Bildnachweis
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Fassade von Schloss Bellevue (Berlin), in einer Fotomontage zur Hälfte mit WDVS verkleidet
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Wärmedämmverbundsystem – Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K
Vorwort
Wärmedämmverbundsysteme stellen sich oftmals als die einzige Alternative heraus, wenn es darum geht, geltende Dämmvorschriften kostengünstig umzusetzen. Gleichzeitig aber erhitzen sie die Gemüter – die der breiten Öffentlichkeit ebenso wie die der Architekten. Wohl kaum ein anderes Thema aus dem Bereich des Bauens steht derzeit gleichermaßen stark in der Diskussion. Das liegt bestimmt auch daran, dass Wärmedämmverbundsysteme mehrheitlich im Bestand eingesetzt werden, oftmals ohne die Mitwirkung von Architekten. Nicht selten verschwinden dabei ganze Straßenzüge hinter lieblosen Putzfassaden, ohne Rücksicht auf denkmalpflegerische Aspekte oder die Auswirkungen auf die Stadtgestalt. Geht aber das vertraute Erscheinungsbild verloren, führt dies beinahe zwangsläufig zu Unbehagen. Dieser ästhetisch bedingte Missmut wird dann hinter der (mutmaßlich griffigeren) technischen Argumentation versteckt. Ganze Fernsehsendungen und lange Feuilletonartikel setzen sich mit den tatsächlichen oder vermeintlichen Schwächen des WDVS auseinander – von möglichen Spechtlöchern bis zum Brandverhalten. Auch zahlreiche Architekten greifen diese Argumentation auf, gepaart mit ihren eigenen gestalterischen Bedenken, während die große Mehrheit von
ihnen WDVS stillschweigend als ungeliebte Realität akzeptiert – unvermeidbar, solange die gegebenen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen gelten. Andreas Hild und seine Kollegen von Hild und K Architekten geben sich damit nicht zufrieden, denn »wenn schon gedämmt werden muss, dann sollte das auch zu einer neuen Qualität führen«. Der grundsätzlichen Problematik durchaus bewusst – gleichzeitig aber überzeugt davon, dass jedem Material oder Bausystem eine eigene Logik innewohnt, die es aufzudecken gilt –, versuchen sie seit Jahren in ihren Bauten und Projekten sowie in einem Forschungsvorhaben die gestalterischen Möglichkeiten der Wärmedämmverbundsysteme herauszuarbeiten und auszuschöpfen. So liefert diese Zusammenfassung ihrer Arbeiten mit WDVS zusammen mit kontrovers geführten Gesprächen und einem Briefwechsel einen wichtigen Diskussionsbeitrag zu diesem absolut aktuellen Thema. Neben praktischen Beispielen und konkreten Lösungsansätzen zeigt diese Publikation die Vorteile und Probleme von Wärmedämmverbundsystemen auf und beleuchtet die gestalterischen und technischen Aspekte ebenso wie den baukulturellen Hintergrund. Christian Schittich
Vorwort
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Diskussion 01: Die Partner von Hild und K im Gespräch mit Arno Lederer und Jórunn Ragnarsdóttir
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance Hild: Vor vielen Jahren haben wir beschlossen, das Thema Wärmedämmverbundsystem offensiver anzugehen, als das üblicherweise von Architekten getan wird. Wir kennen die Vorbehalte und wissen ganz genau, dass es überwiegend kritisch betrachtet wird. Auch wir sehen uns nicht als klare Befürworter des Verbundsystems, wir wissen durchaus um die Schwachstellen. Die Vorbehalte der Architekten machen sich meist an technischen Dingen fest, aber die Probleme sind nicht nur technisch. Auch stellt sich die Frage, welche Rolle der Architekt in Bezug auf Dämmsysteme hat: Soll er sich verweigern, soll er sich nicht verweigern, muss er sich verweigern, kann er sich vielleicht gar nicht verweigern? Das sind die Fragen, die mich interessieren. Lederer: Grundsätzlich muss man dazu sagen, dass die Mehrzahl der Gebäude heute ohnehin mit Wärmedämmverbundsystemen ausgestattet wird. Und natürlich sind es Architekten, die diese Häuser bauen und sich damit auseinandersetzen müssen. Ottl: Aber keiner redet darüber. Lederer: Ja, es interessiert die meisten Architekten vermutlich nicht. Das heißt, wir haben es mit einem Betrachtungsgegenstand zu tun, der nur für eine gewisse »Elite« von Architekten interessant ist. Unter diesen Architekten herrscht die Meinung vor, dass mit diesem Baustoff – wenn man das überhaupt als Baustoff akzeptiert – nicht gearbeitet wird, da das irgendwie unanständig ist. Die Ablehnung von WDVS bekommt also eine moralische Komponente, obwohl es sich zunächst nur um einen Baustoff handelt, den man verwenden kann oder nicht. Eine ganz ähnliche Situation hatten wir vor etwa
40 Jahren mit dem Beton. Damals störte man sich daran, dass alles zubetoniert wurde. Der Beton ist als Material natürlich unschuldig. Er wird einfach für eine baukünstlerische oder architektonische Einstellung verwendet, die künstlich entstanden ist. Objektiv betrachtet, entbehrt sie allerdings jeglicher Grundlage. Hild: Das ist sicher richtig, aber wir sind uns doch einig, dass die Mehrheit der Architekten auch außerhalb einer »Elite« eine große Skepsis gegenüber dem WDVS hat und diese steht im diametralen Gegensatz zu der Häufigkeit der Verwendung. In Deutschland werden Wärmedämmverbundsysteme mehr als jede andere Fassadenkonstruktion eingesetzt. Aber das wird nicht thematisiert. Es wird in den meisten Fällen so getan, als sei es Putz. Man versucht also einer Diskussion mit dem Argument aus dem Weg zu gehen, es handele sich ja um normale, verputzte Häuser. Ich aber bin der Meinung, dass gerade wegen der häufigen Verwendung ein offensiver Umgang mit dem Wärmedämmverbundsystem gefunden werden muss. In Bayern kann man beispielsweise bei energetischen Sanierungen genehmigungsfrei dämmen. Und das wird natürlich auch gemacht, zwar nicht im großen Stile, wie zu befürchten wäre, aber es geschieht. Genau das finde ich problematisch: dass sich kaum jemand über die formalen Auswirkungen einer solchen Handhabung Gedanken macht. Es ist unsere Aufgabe als Architekten, darüber nachzudenken, wie wir generell damit umgehen sollten. Gerne wird das WDVS mit dem Argument abgelehnt, es sei ökologisch nicht einwandfrei. Aber ein aus China importierter Naturstein ist ökologisch nicht besser. Im Übrigen ist dann in der Umsetzung die gleiche Dämmung dahinter.
Ragnarsdóttir: Ich kenne keine Architekten, die sich mit dem Thema und dem Material so ernsthaft auseinandersetzen wir Ihr. Natürlich gibt es immer wieder Beispiele, die auch andere zur Auseinandersetzung zwingen, wie die Vorstellung des Tübinger Bürgermeisters Boris Palmer, der gerne die ganze Stadt einpacken möchte, um Energie zu sparen. Natürlich stellt sich dann die architektonische Frage, wie so etwas zu realisieren ist. Hild: Aber warum gibt es beispielsweise kein WDVS-Haus von Euch? Lederer: Die gibt es, wir haben mehrere Häuser mit Wärmedämmverbundsystem gebaut. Aber es stimmt, wir setzen es nicht als einen Gestalt gebenden Baustoff ein. Das ist der Unterschied. Macht das Material Gestalt, also ist es ein Gestaltungselement, oder ist es ein technisches Mittel, um ein herkömmliches Haus zu errichten, das dann auch aussieht wie ein herkömmliches Haus? Wir benutzen es in der Tat so, dass es wie ein verputztes Haus aussieht. Ragnarsdóttir: Und wir verwenden es nur für untergeordnete Bauteile. Hild: Aber warum nur für untergeordnete Bauteile? Ragnarsdóttir: Nun, das hat viel mit dem Budget eines Projekts zu tun. An manchen Stellen der Gebäude wird mehr investiert, andere müssen günstiger sein, damit am Ende das Projekt in seiner Gesamtheit stimmt. So ist es z. B. bei unserem aktuellen Projekt der Zusammenführung der Diözesankurie in Rottenburg (Abb. S. 16f.). Die Fassade des Büroriegels ist mit WDVS ausgeführt.
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»In Deutschland werden Wärmedämmverbundsysteme mehr als jede andere Fassadenkonstruktion eingesetzt. Aber das wird nicht thematisiert.«
Lederer: Und das ist tatsächlich wunderschön! Allerdings hatten wir bereits Anfang der 1980er-Jahre zum ersten Mal Wärmedämmverbundsysteme benutzt und zwar beim Bau der Fellbacher Bank. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie das Haus altert. Das ist in der Tat ein Argument und eine Frage, die man sich stellen muss: Soll das Haus lange halten oder ist es akzeptabel, dass es immer wieder gestrichen wird? Das ist eine notwendige Gesamtbetrachtung bei der Projektplanung. Anfang der 1990er-Jahre haben wir dann in Reutlingen ein Finanzamt gebaut. Die Fassade, die zum Platz hin ausgerichtet ist, besteht aus Ziegeln. Die anderen Flügel sind alle mit Wärmedämmverbundsystem. Da das nun 20 Jahre her ist, kann man sehr gut beobachten, wie sich das Gebäude entwickelt. Das ist äußerst interessant, denn die Investitionen bei den Gebäudeteilen mit Wärmedämmverbundsystem waren sehr viel geringer als beim Rest. Nun wurden die Fassaden bisher nicht weiter gepflegt. Daher sehen die hinteren Häuser mittlerweile wirklich lumpig aus, man geniert sich heute als der verantwortliche Architekt. Die Ziegelfassade ist hingegen unverändert. Es ist also tatsächlich eine grundsätzliche Entscheidung, die es zu treffen gilt. Das spricht nicht prinzipiell gegen oder für das WDVS, aber man muss sich genau ansehen, wie hoch die Primärkosten sind und wie man langfristig mit dem Unterhalt und der Pflege umgeht. Haber: Gut, es gibt tatsächlich höherwertige widerstandsfähige Materialien und andere, die weniger lange halten. Bei normalem Putz habe ich das gleiche Problem, wenn ich mich 20 Jahre nicht darum kümmere. Das ist an sich kein dramatisches Problem, das ausschließlich auf Wärmedämmverbundsysteme
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Diskussion 01
zutrifft, auch wenn es gerne so dargestellt wird. Das WDVS ist ein bisschen billiger und es hält vielleicht nicht ganz so lange. Es ist also eine Frage der Rechnung, wann ich welche Kosten investiere. Das ist jedoch kein Argument, das grundsätzlich gegen Wärmedämmverbundsysteme spricht. Lederer: Das stimmt, es ist eine generelle Frage des Unterhalts und der Pflege. Und wenn das einkalkuliert ist, spricht überhaupt nichts dagegen. Aber wir haben dummerweise heutzutage die Einstellung, dass man ein Haus nicht mehr pflegen muss. Die Pflege von Dingen ist etwas, das sehr entscheidend ist. Früher hat man Bauernhäuser immer wieder gekalkt. Und das Kalken führte nicht nur dazu, dass es anständig aussah, sondern es handelte sich dabei auch um eine hygienische Maßnahme. Der Gedanke der Pflege ist in der Moderne abhanden gekommen. Entweder wird ein Gebäude abgerissen oder es wird so gebaut, dass man es nicht pflegen muss. Ein Beispiel hierfür sind die Fenster. Kunststofffenster sehen nach ein paar Jahren vergilbt aus und müssen komplett erneuert werden, wohingegen ein Holzrahmen neu gestrichen werden kann. Die Tücke hinter dem Satz »Nie mehr streichen« wird deutlich. Natürlich muss beim Wärmedämmverbundsystem der Gedanke der Pflege mit einbezogen werden, wenn wir Häuser wollen, die langfristig halten. Ragnarsdóttir: Das ist eine Frage der Haltung. Wie lange soll ein Haus überhaupt stehen? Was hat man für eine Vorstellung von der Lebensdauer eines Hauses? Das ist im Bezug auf das WDVS entscheidend, denn es muss natürlich auch entsorgt werden. Es passiert in unserer Gesellschaft durchaus, dass Häuser nach 30 Jahren wieder abge-
rissen werden. Was machen wir dann mit dem ganzen Kunststoff? Haber: Das ist sicher ein wichtiger Punkt, der aber auch nicht nur auf das WDVS zutrifft. Auch hier ist das kein Gegenargument, denn dieses Problem haben wir bei so vielen Baustoffen und Verbundsystemen. Beispielsweise der Deckenaufbau einer modernen Decke, mit Verbundestrich, Trittschalldämmung etc. ist ein extrem kompliziertes Verbundbauteil. Die Entsorgung einer solchen Decke oder eines Dachs ist nicht unproblematisch, aber das wird nicht diskutiert. Lederer: Wir beschreiten andere Wege, wir würden schlicht nie so bauen wie Ihr. Auf die Fassade bezogen gibt es einfach unterschiedliche Haltungen. Wir haben zum Beispiel beim Kunstmuseum Ravensburg gebrauchte Ziegel verwendet. Die Nutzung von gebrauchten Materialien finden wir generell spannend. Aber das ist natürlich kein allgemeiner Trend und wird demnach angegriffen. Ähnlich wie das formale Experimentieren mit dem WDVS eine andere Position darstellt, die durchaus auf viel Kritik stößt. Das ist einfach in dieser Form nicht üblich. Ottl: Aber wie wir schon gesagt haben, wird WDVS vielfach eingesetzt. Ich denke schon, dass das Wärmedämmverbundsystem normal und üblich ist, es wird schon seit den 1980er-Jahren verwendet. Uns geht es primär darum, das normal Übliche wieder weiterzuentwickeln, wieder in die kritische Diskussion zu bringen, und es nicht mehr als normal und üblich zu betrachten.
Kunstmuseum Ravensburg (D) 2012, Lederer Ragnarsdóttir Oei oben: Ansicht von Süden, zweischalige Außenwände (innen Beton, Mineralwolledämmung, außen Abbruchklinker) unten: Ausstellungssaal im 2. OG, Gewölbedecke aus konisch geformten, gegensinnig ineinander gesteckten Ziegelkappen
Ragnarsdóttir: Aber es geht natürlich auch um den Mehrwert. Ziegel oder Naturstein-
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
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»Wenn jetzt in ganzen Städten die Fassaden gedämmt werden sollen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir mit diesem Industrieprodukt arbeiten können [...].«
Louis Hotel am Viktualienmarkt, München (D) 2009, Hild und K
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Diskussion 01
platten alleine garantieren eigentlich keine Qualität. Das ist zunächst nur Material. Es kommt darauf an, wie man damit umgeht und wie man es einsetzt. Natürlich kann man mit dem Wärmedämmverbundsystem im Bezug auf das Erscheinungsbild im öffentlichen Raum einen Mehrwert schaffen. Ihr schafft einen Mehrwert, was den meisten mit WDVS offenbar nicht gelingt. Letztlich betrifft das jedes Material: Du kannst ein gutes Gebäude mit einer Glasfassade bauen, Du kannst aber auch ein lumpiges Gebäude mit Glasfassade realisieren.
Lederer: Und eigentlich muss man mit dem WDVS rückspringend arbeiten. Das heißt oben dicker, unten dünner, sodass dadurch ein Relief entsteht. Und es bedarf in der Tat großer Sorgfalt, um dieses Relief technisch wie auch gestalterisch umzusetzen. Das steht auf gleicher Ebene wie das Flechten von Körben. Es ist eine besondere Sorgfalt oder Zuneigung zu der Art und Weise, wie man mit Material arbeitet. Bei uns dreht es sich dabei um das Handgemachte, Ihr erzeugt aus einem Bausystem, das üblicherweise einfach platt montiert wird, ein Architekturelement.
Hild: Ihr fokussiert Euch zum Beispiel auf handwerkliche Produkte, wohingegen in meiner Wirklichkeit das Bauen heute fast eine Art Assemblage von Industrieprodukten ist. Ich staune darüber, wenn Ihr beispielsweise die Brüstungen aus Körben flechtet (Abb. S. 21).
Ragnarsdóttir: Was den Menschen berührt, ist nicht nur das Handwerkliche oder Handgemachte, sondern das Natürliche. Der Mensch empfindet die Natur immer als bedingungslos schön, diese Schönheit wird nie infrage gestellt. Was wir der Natur entnehmen, gerät also nicht so leicht in die Kritik. Vor allem nicht, wenn es sichtbar aus der Natur entstammt oder aus Naturprodukten hergestellt wird, wie ein Ziegelstein oder ein Korbgeflecht oder eben ein Naturstein. Aber das Menschengemachte wird zunächst kritisch hinterfragt und bewertet.
Ragnarsdóttir: Natürlich bringt das ganz eigene Probleme mit sich. Lederer: Für uns ist das ein ähnlicher Vorgang, um einen Mehrwert zu erzeugen. Das kann man auf unterschiedliche Art und Weise erreichen. Der Mehrwert des Handwerklichen besteht natürlich darin, dass es einen anders berührt als ein Industrieprodukt. Allerdings kann es genauso berührend sein, wenn mit einem Baustoff gestalterisch etwas Eigenes generiert wird. Das heißt, ich individualisiere dieses Bauelement. Letztlich spielt es dann keine Rolle mehr, ob es industriell hergestellt wurde oder nicht. Bei Euren Gebäuden fällt mir auf, wie kreativ Ihr beispielsweise mit dem Problem des Vorsprungs umgeht. Hild: Ja, der Vorsprung ist definitiv ein Problem.
Haber: In der großflächigen Umsetzung bleibt die Anwendung von Wärmedämmverbundsystemen problematisch, gerade weil damit nicht gestalterisch umgegangen wird. Man sieht das beispielsweise bei den Sozialwohnbeständen aus Sichtziegelmauerwerk in Bremen, die jetzt flächendeckend saniert werden. Die Häuser sind einfach eingepackt und mit irgendwelchen Farben gestrichen. Es wird überall gedämmt und das nimmt weiter zu. Wenn jetzt in ganzen Städten die Fassaden gedämmt werden sollen, dann müssen wir uns überlegen, wie wir mit diesem Industrie-
produkt arbeiten können, damit nicht einfach nur eine nichtssagende Wand entsteht. Lederer: Absolut! Aber natürlich wird der ökonomischste Weg gesucht und das ist problematisch. Die besondere Materialanwendung kostet schlicht mehr und ist damit für die Masse uninteressant. Wir sind dann eigentlich nur Störer. Ottl: Als gestalterisch arbeitende Architekten. Ragnarsdóttir: Ja, das ist wirklich ein Problem. Wir sind sehr anspruchsvoll und kompliziert, wir betrachten die Zusammenarbeit mit den Bauherren immer als Lernprozess. Wir binden sie von Anfang an ein, zeigen ihnen verschiedene Möglichkeiten und diskutieren über Architektur. Das ist in der Honorarverordnung natürlich nicht vorgesehen – ein Problem, das bei uns immer wieder zu Diskussionen führt. Lederer: Das Dilemma ist, dass die Architekten, die bautheoretisch in der Moderne verwurzelt sind, dieses Bausystem ablehnen. Als ich in den 1970er-Jahren an der Stuttgarter Hochschule zum Architekten ausgebildet wurde, haben wir gelernt, dass alles Applizierte – sogar die vorgehängte Natursteinfassade übrigens – minderwertig ist. Und als wir die Wieskirche von den Gebrüdern Zimmermann besuchten, wurde als Erstes an die Säule geklopft und gesagt: »alles Beschiss«. Und diese Bewertung prägte die Sicht auf Barock und Rokoko. Wenn man sich von dieser Haltung frei macht, erkennt man, das die Architektur im Barock und Rokoko noch eine Art Universalwissenschaft war, also Kunst und Wissenschaft beinhaltet hat. Es gab einen nahtlosen Übergang von der
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»Nun sind wir Architekten irgendwie auf Fassaden fixiert, und so wird bei der Fassade plötzlich die ganze moralische Palette abgehandelt, die bei der Decke oder beim Flachdach völlig vernachlässigt wird.«
Malerei über den Stuck über den Putz bis zum eigentlichen Gebäude. Der Architekt hat sein Haus nicht ohne Stuck gezeichnet, denn ihm war bewusst, dass die Gesamtwirkung durch das Zusammenkommen von vielen Teilen entsteht. Das ist dann auch das Wunderbare an der Wieskirche, diese Kreation ist ohne ihre Verzierung und als blankes Bauwerk nicht vorstellbar (Abb. S. 19). Der Architekt der Moderne allerdings kann sich vorstellen, dass es pur und roh schöner wäre. Aber die Wallfahrtskirche ist natürlich ein unglaubliches Erlebnis, was nur durch das Ineinandergreifen der Künste entstehen kann. Der Stuck sitzt in einer Mittelposition zwischen dem Rohbau, also dem reinen Bau – in der Moderne sind es eigentlich bloß noch Rohbauten – und der Malerei, also der bildenden Kunst. In der Moderne ist genau das verloren gegangen, was man sehr kritisch sehen kann. Mit diesem Verlust gehen wir nun wieder um und letztlich bringt das die Moderne zum Scheitern. Selbst ihre Anhänger sehen das. Seit den 1990er-Jahren sind besonders die Fassaden sehr kompliziert geworden. Scheinbar im Geist der Moderne, aber in Wirklichkeit ein Fake. Spinnt man das weiter, so ist die Moderne an einem Punkt angekommen, an dem ihre Anwendbarkeit nicht mehr besteht.
Ragnarsdóttir: Das ist die Idee des Ehrlichen und Puren.
Hild: Dazu fällt mir der Barcelona-Pavillon von Mies van der Rohe ein (Abb. S. 22). Es heißt, dass man zu der Zeit derart dünne Betonplatten noch gar nicht habe herstellen können, sodass die Betonplatte eigentlich ein verkleideter Fachwerkträger sei. Es entstehe also nur der Eindruck einer homogenen Platte. Ich finde, das ist eine schöne Geschichte, auch wenn sie vielleicht gar nicht wahr ist. Es gibt also zwei Theorien: Erstens könnte es sein, dass die moderne Konditionierung auf das Ehrliche das Wärmedämmverbundsystem grundsätzlich ablehnt, da es eindeutig dagegen verstößt; oder – und das wäre mir die liebere Variante –, dass es als eine Art Katalysator dienen könnte, um zu einer Architekturauffassung zurückzukehren, in der Konstruktion und Schein durchaus voneinander abweichen dürfen.
Hild: Dieses Ehrliche, diese moralische Kategorie führt die Moderne an. Und das WDVS wäre dann im Prinzip das Applizierte.
Lederer: In der Moderne darfst Du nur das zeigen, was »wirklich« so ist. Alles andere wird verleugnet.
Ottl: Das ist ein interessanter Aspekt: An sich fordert die Moderne den Rohbau oder das massive Gebäude. Das heißt, es muss so sein, wie es scheint.
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Diskussion 01
Lederer: Das ist das Applizierte. Am Anfang der Moderne verbreitete sich die Ansicht, dass Häuser, bei denen der Stuck entfernt wird, die schöneren sind. Das habe ich in meiner Sozialisierung als Architekt auch so begriffen. Mittlerweile hat sich das umgedreht, ein Gebäude aus dem 19. Jahrhundert wird mit Stuck als schöner empfunden. Dieser Wechsel, der im 20. Jahrhundert stattfand ist sehr interessant. Und auch die Tatsache, dass nur gebaut werden soll, was wissenschaftlich bewiesen werden kann. Es soll nicht einfach nur geglaubt werden, was zu sehen ist. Natürlich gelingt das nicht, wie beispielsweise Mies van der Rohes Krefelder Backsteinhäuser Haus Esters und Lange zeigen: Hinter den Ziegeln befindet sich ein Stahlfachwerk!
Hild: Das würde dann bedeuten, dass die Architekten das Wärmedämmverbundsystem auch deswegen ablehnen, weil sie hier natürlich viele Dinge einfach glauben müssen, die von der Industrie behauptet werden. Ottl: An dieser Stelle muss man doch die Frage stellen, ob die Moderne heute wirklich noch so gültig ist. Viele Architekten halten sich nicht mehr an diese Vorgaben und lehnen trotzdem Wärmedämmverbundsysteme ab. Sie verkleiden ihre Gebäude aber trotzdem, sodass man nicht mehr weiß, was dahinter ist, machen teilweise wilde Konstruktionen in organischen Formen, verwenden Ornamente und so weiter. Ragnarsdóttir: Es ist sicher auch vordergründiger, warum Architekten sich mit diesem Material nicht auseinandersetzen. Es hat einfach einen schlechten Ruf und ist eine billige Oberfläche. Ottl: Oder es gibt scheinbar keine Möglichkeit zur Selbstverwirklichung. Ragnarsdóttir: Ja, so meine ich das. Ottl: Man will nicht nur Schichten über Schichten bauen, sondern sucht nach einer Art Poesie. Und diesbezüglich ist das Wärmedämmverbundsystem sehr störrisch. Man muss sich tiefer damit befassen, um damit arbeiten zu können. Ragnarsdóttir: Das Vorurteil des Billigen aber bleibt. Man hat es nicht nötig, mit Wärmedämmverbundsystem zu bauen. Lederer: Es hat den Anschein des Billigen. Aber grundsätzlich wäre es ein Bausystem,
Fassade des zentralen Baus, Diözesankurie, Rottenburg (D) 2013, Lederer Ragnarsdóttir Oei
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
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das eigentlich auch für die Moderne sehr gut geeignet wäre, weil es eben zur Wärmedämmung und zu nichts anderem dient. Nicht dazu, um eine Form daraus zu machen. Ottl: Gut, aber das ist auf der anderen Seite wieder das Problem.
Riegelbau mit WDVS, Diözesankurie, Rottenburg (D) 2013, Lederer Ragnarsdóttir Oei
»Natürlich kann man mit dem Wärmedämmverbundsystem im Bezug auf das Erscheinungsbild im öffentlichen Raum einen Mehrwert schaffen.«
Lederer: Mit hinein spielt sicher auch der Fortschrittsgedanke. Im 20. Jahrhundert wurde postuliert, dass Bauen immer mit Fortschritt verbunden ist. Aber so einfach ist das natürlich nicht, wie beispielsweise auch in der Musik, Philosophie oder Literatur. Beethoven ist nicht fortschrittlicher als Mozart oder Bach. Veränderungen prägen unser Leben. Für die Anhänger der Moderne bleibt die Frage aktuell: Ist das Wärmedämmverbundsystem etwas, das dem Fortschritt dient? Entscheidend ist, dass es als Rückschritt empfunden wird. Ragnarsdóttir: Allerdings gibt es in diesem Kontext radikale gesellschaftliche Veränderungen durch die Finanzkrise. Hierfür ist das Projekt »Stuttgart 21« ein gutes Beispiel. 1997 begann der Architekturwettbewerb, es gab eine große Euphorie, der Bahnhof sollte weiter, schneller, tiefer, größer werden. Alle waren wie berauscht von dieser Vorstellung. Das hat sich durch die Finanzkrise geändert, sie hat die Leute zurück auf den Boden geholt. Es existiert plötzlich wieder eine andere Wertschätzung, man denkt über Themen wie Pflege oder Wiederverwertung anders nach. Und der Fortschrittsgedanke steht nicht mehr im Vordergrund. Hild: Das betrifft dann aber nicht nur die Architektur selbst, sondern das Bild des Architekten von sich selbst und innerhalb der Gesellschaft. Das würde damit radikal
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Diskussion 01
infrage gestellt. Da wir mit dem Wärmedämmverbundsystem arbeiten, wird uns häufig Pragmatismus vorgeworfen. Aber ich denke, dass es tatsächlich meine Aufgabe als Architekt ist, Veränderung abzubilden. Beispielsweise haben sich die Brandschutzvorschriften durch die Jahrhunderte stark verändert und wurden somit im Prinzip zur Triebkraft für Innovationen, denn es musste damit umgegangen werden. Und jetzt könnte etwas Ähnliches mit der Dämmung passieren, sie könnte eine Triebkraft werden, da die Gesetzeslage ein Dämmen der Fassaden verlangt. Darauf müssen wir als Architekten eine Antwort geben. Lederer: Dieser Konflikt besteht schon immer. Das ist ein grundsätzliches Problem der Architektur. Die Architektur bildet unser Leben ab, erklärt es uns ein Stück weit. Auf der anderen Seite geht es auch ganz banal beispielsweise um Schutz vor Witterung. Und auch das Problem der Energie hatten wir schon immer. Es gibt wunderbare mittelalterliche Tafelbilder, auf denen im Hintergrund Windmühlen zu sehen sind. Hoch entwickelte Technik gab es sozusagen schon immer. Und natürlich haben sich die Menschen Gedanken gemacht, wie sie ihr Haus warm halten können und ein Bauernhaus beispielsweise mit Strohriegeln ausgefüttert. Die Frage, wie ich ein Haus optimal dämme, ist also nicht neu. Ihr geht nun der Frage nach: Welche Bausysteme gibt es und wie kann man damit umgehen, damit es Sinn ergibt und der Baustoff außer seiner Dämmfunktion auch noch ein architektonisches Mittel wird. Ragnarsdóttir: Aber sehr interessant ist der Punkt der Vorschriften und Gesetzeslagen, an die wir uns in der Architektur halten müssen.
Natürlich drängt sich der Verdacht auf, dass die Industrie diese Regelwerke forciert, um immer wieder neue Produkte auf den Markt bringen zu können. Allein die Verordnungen zur Barrierefreiheit haben die Architektur revolutioniert, weil wir nicht mehr in Ebenen denken können, alles muss zu erschließen sein, und dies führt zu räumlicher Armut. Mit dem Brandschutz verhält es sich ähnlich, auch hier mussten die Architekten umdenken. Und es wird noch eine Menge an neuen Gesetzen auf uns zukommen. Hild: Im Bezug auf Dämmung hat die Gesellschaft aber nun mal im Moment entschieden: Wir dämmen Häuser. Und jetzt ist meine Frage: Muss ich als Architekt diese Gesetzeslage grundsätzlich bezweifeln? Muss ich selbst überprüfen, ob das Wärmedämmverbundsystem ökologisch einwandfrei ist oder nicht? Dann müsste ich das nicht nur beim Wärmedämmverbundsystem tun, sondern beispielsweise auch bei der vorher erwähnten Decke. Meine These ist: Das geht nicht. Ragnarsdóttir: Nein, das geht nicht. Dazu bist Du als Architekt nicht in der Lage. Lederer: Doch! Da wir nicht ausschließlich Architekten sind. Wir sind auch Menschen und Bürger und machen uns Gedanken über Werte und Hintergründe. Und natürlich ist der Architekt jemand, der in der Gesellschaft etwas bewegen kann. Das verpflichtet ihn, seine Begabung vernünftig einzusetzen und sich Gedanken zu machen. Unabhängig von der Gesetzeslage kann man dann zu dem Schluss kommen, dass man bestimmte Dinge gut und richtig findet. Die Entscheidung damit zu arbeiten ist eine persönliche, andere finden das unter Umständen nicht richtig. Letztlich
muss man dann einen konsequenten Umgang damit finden. Aber nur zu sagen, dass man aufgrund der Gesetzeslage auf eine bestimmte Weise arbeitet, das halte ich für falsch. Haber: Das ist jetzt natürlich sehr schwarzweiß dargestellt. Als Architekt muss man manchmal tatsächlich mit vorgegebenen Situationen so gut wie möglich umgehen. Wenn also ganze Straßenzüge gedämmt werden sollen, dann muss damit vernünftig umgegangen und das Bestmögliche versucht werden. Und dazu muss man schon verstehen, was das Wärmedämmverbundsystem alles kann und welche Möglichkeiten es bietet. Das WDVS bietet beispielsweise die Möglichkeit Naturstein oder Ähnliches anzubringen. Um auf unsere Diskussion über die Moderne zurückzukommen, würde sich natürlich die Frage stellen, ob das ein Fake wäre oder durchaus machbar, da es dem Menschen unter Umständen das bietet, was er möchte. Lederer: Das entbindet die Architekten aber trotzdem nicht von ihrer Pflicht, darüber nachdenken zu müssen, was sie tun. Sie müssen sich weiterhin rechtfertigen. Die Argumentation von vielen Architekten ist, dass sie aus wirtschaftlichen Gründen nicht anders bauen können. Aber es gibt natürlich grundsätzliche Entscheidungen, die man für sich treffen und dann auch verantworten muss. Hild: Damit bin ich einverstanden, das betrifft die moralische Seite der Sache. Die technische Seite ist aber genauso problematisch. Ich kann ganz viele Produkte, die ich täglich einsetze, nicht annähernd prüfen. Die Forderung, das jetzt ausgerechnet beim Wärmedämmverbundsystem tun zu müssen, halte ich für problematisch. Die Platte, auf die eine Fußbo-
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
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denheizung vor dem Estrich montiert wird, ist unter diesem Aspekt uninteressant. Dabei handelt es sich aber ganz genauso um eine Verbundkonstruktion. Lederer: Das stimmt sicherlich und trifft auf viele Baustoffe zu. Nichtsdestotrotz gibt es bestimmte Vorgehensweisen in der Architektur, die ich ablehne. Es gibt immer einen Grund, warum ich etwas nicht mache oder warum ich etwas mache. Und ich denke, dass Ihr es gut überlegt habt, so entschieden mit WDVS zu arbeiten. Ragnarsdóttir: Aber das ist doch gerade das Spannende, dass es unterschiedliche Positionen gibt. Und dabei geht es nicht nur um die Entscheidung, welche Baustoffe ich verwende, sondern auch für welche Bauaufgaben ich mich entscheide. Ottl: Ihr könnt Euch wirklich für oder gegen Bauaufgaben entscheiden? Ragnarsdóttir: Dabei geht es wieder um die moralische Komponente. Es gibt einfach Wettbewerbe, da machen wir nicht mit. Zum Beispiel bei Fassadenwettbewerben oder bei solchen für den Bau eines neuen Einkaufszentrums. Wenn wir das Projekt nicht gut finden, dann machen wir auch nicht mit. Das sind klare Entscheidungen. Wir wollen nichts gedankenlos umsetzen, nur weil es vielleicht an uns herangetragen wird. Lederer: Vor einiger Zeit war ich in den Stuttgarter Landtag eingeladen, es ging um dessen Umbau. Am Wettbewerb haben fünf Büros teilgenommen, die Chancen waren also recht gut. Das Landtagsgebäude ist in den 1950er-Jahren gebaut worden, das erste
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Diskussion 01
moderne Landtagsgebäude in Deutschland nach dem Krieg. Die Vorstellung war damals, dass Demokratie in einem abgeschlossenen Raum stattfindet, wie bei der Papstwahl, ohne Fenster wird beraten und entschieden. Draußen wartet dann die große Transparenz.
Aufgabe, da die Gesellschaft eine Anpassung des Bildes verlangt. Lederer: Aber wir als Fachleute müssen ein gewisses Korrektiv darstellen, das ist unsere Verpflichtung. Wie in anderen Bereichen auch, das ist eine grundsätzliche Frage.
Ottl: Eine Tempelidee. Lederer: Ja, und heute wollen die Parlamentarier, die in diesem Gebäude arbeiten, Tageslicht. Wir haben das kritisch gesehen und vorgeschlagen, es anders zu lösen. Aber sie wollten uns nicht von der Pflicht entbinden, Tageslicht zu schaffen. Wir haben uns schlussendlich gegen das Projekt entschieden, eine Grundsatzentscheidung, weil es natürlich um viel Geld ging. Ottl: Könnte es nicht sein, dass diese Forderung nach Tageslicht in einer anders konzipierten Typologie auch eine transformatorische Kraft hat? Lederer: Das könnte man so interpretieren, natürlich. Aber darum geht es nicht, es ist keine architektonische Frage, sondern das ist eine Frage der Interpretation eines Parlaments und der Vorstellung, dass Tageslicht vielleicht manche Situationen verbessert. Das ist zunächst also eine gesellschaftliche Frage. Schwierig fanden wir auch, dass es sich bei dem Gebäude um ein Denkmal handelt. Ottl: Aber dieses Bild vom Parlament scheint sich offensichtlich für die Gesellschaft verändert zu haben. Für die Vertreter des Volkes hat dieses Bild des abgeschlossenen Parlaments keine Gültigkeit mehr, sie streben nach der Öffnung des Raums. Und an dieser Stelle ist es dann doch eine architektonische
Haber: Das heißt, Ihr denkt, dass die weitgehende Ablehnung des WDVS in der Architektenschaft aus einer grundsätzlichen Erörterung kommt? Aus einer grundsätzlichen Überzeugung? Lederer: Nein, ich denke, es ist umgekehrt: eben nicht grundsätzlich, sondern aus einer vordergründigen Erwägung. Hild: Aber die Ablehnung wird grundsätzlich begründet. Sie wird sozusagen mit Ehrlichkeit begründet. Die Situation ist extrem. Es gab sogar im Wirtschaftsmagazin »Capital« Artikel über Wärmedämmung. Das »Capital« schreibt nun also über Architektur und wettert gegen das WDVS, die Brandschutzproblematik, kurze Haltbarkeit und so weiter und so fort. Und natürlich wird in der Realität quadratmeterweise mit Wärmedämmverbundsystem gebaut. Wir scheinen eines der ganz wenigen Büros zu sein, das offensiv damit umgeht. Ragnarsdóttir: Ja, und hohe Qualität liefert. Hild: Ja, das mag sein. Allerdings finde ich die Frage entscheidend, wie grundsätzlich die Problematik ist und wie grundsätzlich ich sie beantworten kann. Es gibt eine Reihe von Architekten, die ein WDVS nie verwenden würden. Trotzdem ist es diesen Kollegen möglich, beispielsweise Glasplatten oder Fliesen auf einer Dämmung anzubringen.
Ragnarsdóttir: Das ist dann wieder eine Frage der Moral, ob man mit dem, was man tut, im Reinen ist. Und Ihr seid mit Euch und dem Wärmedämmverbundsystem im Reinen, richtig? Haber: Sicher nicht an jeder Stelle. Es ist schon so, dass wir uns die allgemeinen Fragen von Haltbarkeit, Entsorgung und dergleichen auch stellen. Es gibt durchaus auch Zweifel, mit denen man umgehen muss. Und gleichzeitig ist uns klar, dass es zahlreiche solcher Verbundbauteile gibt, bei denen wir uns diese Fragen überhaupt nicht stellen. Nun sind wir Architekten irgendwie auf Fassaden fixiert, und so wird bei der Fassade plötzlich die ganze moralische Palette abgehandelt, die bei der Decke oder beim Flachdach völlig vernachlässigt wird. Ragnarsdóttir: Das kommt aber vor allem durch die allgemeine Diskussion über die Ertüchtigung von alten Fassaden und die Energiesparverordnung. Diese Diskussion in der Öffentlichkeit konzentriert sich natürlich auf die Fassaden, diese nehmen die Menschen schließlich als Erstes wahr. Sie fragen sich nicht, wie ihr Fußboden aufgebaut ist, denn hier geht es nur um die Oberfläche. Hild: Das stimmt. Würde mir jemand sagen: Das Wärmedämmverbundsystem ist grundsätzlich hässlich, dann könnte ich das verstehen. Das Problem ist aber doch, dass das Wärmedämmverbundsystem mit Argumenten aus dem Boot gekippt wird, die auf viele andere Bauteile genauso zutreffen würden. Entsorgungsproblematik, Vermoosungsproblematik, angebliche Haltbarkeitsproblematik. Vor 25 Jahren gab es die Frage, ob Dachbahnen aus Bitumen oder Folie sein
Wieskirche, Steingaden (D) 1754, Gebrüder Zimmermann
»Der Architekt hat sein Haus nicht ohne Stuck gezeichnet, denn ihm war bewusst, dass die Gesamtwirkung durch das Zusammenkommen von vielen Teilen entsteht.«
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
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müssen. Heute interessiert das niemanden mehr. Aber ich kann die Debatte um das Wärmedämmverbundsystem insofern positiv lesen, als dass es eine der ersten breiten Architekturdebatten ist, an die ich mich in den letzten 15 Jahren erinnern kann. Es wird sehr breit in der Gesellschaft über eine architektonische Erscheinung diskutiert. Tübingens Bürgermeister nimmt an zahlreichen Podiumsgesprächen teil und diskutiert somit im öffentlichen Raum die Frage der Veränderung des Stadtbilds. Indem die Architekten das WDVS ablehnen, haben sie in dieser Debatte scheinbar ihren Platz gefunden.
werden doch immer wieder auch ästhetischen Argumente geäußert ...
Auswirkungen des Wärmedämmverbundsystems so gar nicht gibt.
Ottl: Es stimmt schon, dass dieses Thema aufgrund der Energiekostendebatte in einem Magazin wie dem »Capital« erscheint. Insofern ist das keine primär architektonische Debatte.
Ottl: Diese Debatte gibt es innerhalb eines kleinen Teils der Architektenschaft, vielleicht auch zwischen Kunstwissenschaftlern und Bauhistorikern.
Hild: Das liegt natürlich daran, dass im Prinzip die CO2-Einsparung nur unter dem Aspekt der Nebenkosteneinsparung politisch zu verkaufen ist. Dass die CO2-Einsparung aber mit der Senkung der Nebenkosten nur teilweise etwas zu tun hat, will keiner sehen.
Ragnarsdóttir: Man muss aber auch fragen, warum macht das der Bürgermeister Palmer? Er greift das Thema auf, weil er natürlich seinen Posten behalten will. Das ist genau wie der Ausbau von Kindergartenplätzen, es ist ein Wahlkampfthema.
Ottl: Es ist ein wirtschaftlicher Aspekt und kein architektonischer. Der eigene Geldbeutel interessiert einen größeren Teil der Gesellschaft als die Architektur.
Hild: Aber ich bezweifle, dass das Dämmen der Altstadt von Tübingen zum Wahlsieg führt.
Hild: Aber stimmt das auch noch, wenn wir wirklich im großen Stile die Fassaden ganzer Straßenzüge in Tübingen verschwinden lassen?
Ragnarsdóttir: Das sieht wahrscheinlich nur eine ganz kleine Gruppe Intellektueller in Tübingen so. Der Großteil der Leute macht sich keine Gedanken dazu, was das Dämmen genau bedeutet. Im Vordergrund steht die Senkung der Heizkosten. Ich denke so einfach ist das, es geht um den eigenen Geldbeutel. Hild: Es gibt also gar keine ästhetische Debatte zum Wärmedämmverbundsystem? Ragnarsdóttir: Nein, in diesem Zusammenhang nicht. Hild: Aber davon gehe ich schon aus, es
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Diskussion 01
Ragnarsdóttir: Das ist noch nicht umgesetzt. Ottl: Ich denke schon, dass die Kosten im Vordergrund stehen. Wir führen diese Debatte im Kleinen um unser Wohnhaus. Es handelt sich um ein Einzeldenkmal und trotzdem wird immer wieder die Frage gestellt, ob es nicht einfach gedämmt werden kann und sich somit jeder ein paar Euro im Monat sparen kann. Da zählt das Einzeldenkmal nicht mehr. Diese Debatte zu den Energiekosten steht in der Gesellschaft im Vordergrund. Hild: Aber das würde bedeuten, dass es eine Auseinandersetzung über die formalen
Hild: Aber es erschienen sogar in jüngster Zeit mehrere große Artikel in Tageszeitungen und Magazinen. Das zeigt doch, wie breit das Interesse an diesem Thema ist. Aber es geht mir wirklich nicht um einzelne Artikel, sondern um die Breite der Diskussion, und in diesem Kontext handelt es sich eben auch um eine ästhetische Architekturdiskussion. Das scheint mir eine große Chance zu sein. Ragnarsdóttir: Diese Diskussion muss geführt werden, wenn tatsächlich die ganze Bundesrepublik gedämmt werden soll. Unterm Strich ist das eine ziemliche Horrorvorstellung. Lederer: Die Konsequenz wäre doch, dass man eine Art von Einheitsbauten schafft. Diese Gefahr besteht in Tübingen, das muss den Menschen klar sein. Ich habe an einer offenen Diskussion mit dem Bürgermeister teilgenommen und gesagt: Herr Palmer, Sie wären nie Oberbürgermeister in Tübingen geworden, wenn die Stadt vorher nach Ihren Vorstellungen verkleidet worden wäre. Sie wäre dann so hässlich, dass heute keine Studenten mehr da wären. Da laufen die Menschen davon! In diesem Kontext denke ich, ist es wichtig, das Problem publik zu machen. Haber: Richtig. Ich denke, dass das Wärmedämmverbundsystem im Moment eine gesellschaftliche Aufmerksamkeit hat, wie
»Der Mensch empfindet die Natur immer als bedingungslos schön, diese Schönheit wird nie infrage gestellt.«
Katholische Akademie, Stuttgart-Hohenheim (D) 1999, Lederer Ragnarsdóttir Oei
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
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kein architektonisches Thema seit sehr vielen Jahren. Einerseits gibt es natürlich den ökonomischen Aspekt in der Diskussion, aber nicht nur. Es gibt auch die ästhetische Diskussion! Und an dieser müssen wir uns als Architekten beteiligen, als Meinungsbildner. Wir müssen einen Umgang mit dem Wärmedämmverbundsystem entwickeln und anbieten und es nicht nur verteufeln. Blick in den Innenhof, Deutscher Pavillon, Barcelona (E) 1929, Ludwig Mies van der Rohe
»Uns geht es primär darum, das normal Übliche weiterzuentwickeln, wieder in die kritische Diskussion zu bringen, und es nicht mehr als normal und üblich zu betrachten.«
Ragnarsdóttir: Die Diskussion gibt es nicht aufgrund von Neubauten mit Wärmedämmverbundsystem, sondern wegen der gehäuften Forderung nach Ertüchtigung der Fassaden bestehender Gebäude. Das ist doch ein Unterschied. Lederer: In anderen Bereichen haben wir das auch, wie beispielsweise beim Thema Brandschutz. Da gibt es viele verschiedene Forderungen. Hild: Das ist noch nicht so ein großes Thema, aber das wird kommen. Lederer: Ja, das denke ich auch. Beim Fernsehturm in Stuttgart sieht man das im Moment sehr gut, dass der Brandschutz etwas Unanfechtbares ist. Hild: Er scheint es zu sein, so wie die Lüftung. Lederer: Ja, oder die Barrierefreiheit. Der Brandschutz hat sich im Lauf der Jahre wie ein Wurm in den Apfel Architektur hineingefressen und ihn von innen ausgehöhlt. Wenn man sich das genau vor Augen hält, dann ist es ein kleiner Kreis von Spezialisten, die sich dauernd überlegen, wie sie alles optimieren können. Sonst interessiert das niemanden, und das Problem ist dann am Ende doch unkalkulier-
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Diskussion 01
bar und hängt von so vielen Zufällen ab. Die Spezialisten konstruieren daraus ein grundsätzliches Problem. Das Brandschutzproblem finde ich ganz ähnlich wie die Problematik um das Wärmedämmverbundsystem. Ottl: Wir müssen uns mit dem Brandschutz auseinandersetzen, denn er ist im Gesetz verankert. Und keiner von uns wird die Rettungswege oder den zweiten Fluchtweg vernachlässigen, weil sie ästhetisch nicht gut sind. Die Notwendigkeit der Energieeinsparung ist heute auch im Gesetz verankert. Insofern kann ich zwar versuchen, mich dagegen zu wehren, aber es könnte schon sein, dass ich ziemlich allein dastehe. Lederer: Wenn Du etwas ändern willst, stehst du immer allein da. Und Du bist dann natürlich auch ein bisschen der Verrückte. Hild: Aber ich bin de facto nicht bereit, wissentlich gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften zu verstoßen. Lederer: Nein, das mache ich auch nicht. Aber in die Diskussion kann man gehen. Ragnarsdóttir: Im Bezug auf die Dämmung und die Energiekosten fällt mir mein Heimatland Island ein. Dort ertüchtigt niemand sein Haus, weil die Energie so günstig ist. Es wird einfach geheizt, und wenn die Raumtemperatur zu hoch ist, dreht man die Heizung nicht runter, sondern macht das Fenster auf. Das ist natürlich wunderbar, denn es gibt eine konstante Wärmequelle und dazu eine frische Brise. Es ist alles problemlos manuell zu steuern! Das ist eine andere Haltung. Der Wunsch nach dem Wärmedämmverbundsystem entsteht aus der Notwendigkeit Kosten sparen
zu wollen. Interessant ist, dass die Menschen generell nicht darüber nachdenken, ob sie zu Hause beispielsweise Wollsocken oder Pullover tragen könnten und bei 18 °C vollkommen zufrieden wären. Die Anforderungen an Zimmertemperaturen sind in den letzten 50 Jahren enorm gestiegen. Ich glaube mittlerweile sind 23 °C im Wohnzimmer Standard! Lederer: Ja, das stimmt. Vor vielen Jahren habe ich in einem Haus von 1952 Ferien gemacht. Dort hatte die Hausbesitzerin ein kleines Thermometer an die Wand gehängt mit einem Strich bei 18 °C. Dort stand: Wohnzimmertemperatur. 1 °C Temperatureinsparung im Haus macht 10 % Einsparung bei der Energie. Das ist ein Ansatz, den wir nicht angehen, da er nicht mit Produktion verbunden ist. Man könnte die Häuser so konzipieren, dass alles über 18 °C selbst finanziert werden muss. Damit fiele die Verantwortung auf den Einzelnen zurück. Hild: Natürlich haben wir auch unsere Zweifel am Wärmedämmverbundsystem. Wir diskutieren im Büro viel darüber. Als wir das Bayerische Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft geplant haben, saßen wir stundenlang zusammen. Wir dachten, wir können doch jetzt nicht einfach mit Wärmedämmverbundsystem arbeiten. Aber wir wollten einen Schritt weiter gehen. Und natürlich hat das etwas damit zu tun, dass wir uns gerne am »Giftschrank« bewegen. Wir glauben daran, dass an den kritischen Stellen, die keiner gerne anpackt, am ehesten Innovation möglich ist. Eher als an einer Stelle, an der sowieso alle arbeiten. Lederer: Das hat mit dem Wärmedämmverbundsystem zunächst nichts zu tun. Ihr
habt bereits bei Euren ersten Projekten die grundsätzliche Frage aufgeworfen: Darf ein Haus Schmuck haben oder sollte es keinen Schmuck haben? Es sollte nicht bloß eine Lochfassade wie Knäckebrot sein, sondern auch ein passender Aufstrich drauf. Es muss für Euch auch Butter und Schinken sein! Dieser Weg führt zwangsläufig, wenn man ihn konsequent weitergeht, zu einem anderen Umgang mit Baustoffen und auch mit dem Wärmedämmverbundsystem. Dadurch hat sich einiges verändert. Es war ein Tabubruch, mit Ornamenten und dergleichen zu arbeiten. Ragnarsdóttir: Genau, und nun geht es wieder einen Schritt weiter. Lederer: Das ist Eure Haltung zur Architektur und das führt zwangsläufig zum Wärmedämmverbundsystem. Die Frage ist also: Wie ändert sich die Architektur und wie überwinden wir eine Haltung, die die Architektur an ein scheinbares Ende geführt hat? Es gibt immer noch andere Möglichkeiten. Hild: Der Zwang zur Applikation, den das Wärmedämmverbundsystem hat, wäre somit also auch wieder eine Chance. Lederer: Ja, das auf jeden Fall. Ragnarsdóttir: Das Wärmedämmverbundsystem kann sicher ein Antrieb sein. Wenn ihr hundertprozentig dahinter stehen würdet, dann würdet ihr gar nicht darüber reden wollen. Vielleicht steht Ihr an einer Kreuzung und sucht den richtigen Weg. Das Leben ist ein Lernprozess, und es ist doch wunderbar, dass wir uns in verschiedenste Richtungen weiterentwickeln können.
Das Wärmedämmverbundsystem als architektonische Chance
23
02
Diskussion 02: Andreas Hild im Gespräch mit den Bauphysikern Gerd Hauser und Andreas H. Holm
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten Andreas Hild: Herr Hauser, Herr Holm, nach meiner Beobachtung teilt sich die Baubranche derzeit in zwei Lager, von denen das eine sagt: Das Wärmedämmverbundsystem ist die einzig sinnvolle und bezahlbare Lösung zur Dämmung von Fassaden. Die andere Fraktion – darunter viele Architekten – meint: Es ist der Untergang der Baukultur und überdies ökologisch nicht vertretbar. Was stimmt denn nun? Lassen sich solche Pauschalaussagen überhaupt treffen? Wie geht man mit den Vorbehalten der Architekten um? Schließlich ist das Thema auch in den Medien überaus präsent. Gerd Hauser: Die Vorurteile rühren unter anderem daher, dass der größte Teil der Wärmedämmverbundsysteme nicht mehr im Neubau angebracht wird, sondern bei Bestandssanierungen. Und diese werden in den meisten Fällen ohne Architekten durchgeführt. Da die Architekten von diesem Betätigungsfeld ausgeschlossen sind, neigen sie dazu, es zu verdammen, auch weil sie keine Möglichkeit sehen, mehr Gestaltungsqualität in die Sanierungspraxis einzubringen. Würden hingegen wieder mehr Architekten in energetische Gebäudesanierungen eingebunden, wäre auch das Image der Dämmung ein ganz anderes. Meines Erachtens ist das der springende Punkt. Hild: Die derzeitige Sanierungswelle rollt tatsächlich ganz weitgehend ohne die Beteiligung von Architekten auf uns zu. Sie können ganze Straßenzüge genehmigungsfrei unter WDVS verschwinden lassen oder irgendwie energetisch ertüchtigen. Und das halte ich für eine Katastrophe. Wenn wir daran nichts ändern, entwickeln sich die Energieeinsparverordnungen (EnEV) zu einer Art »Städtebauvernichtungsprogramm«. Gefragt ist die
Öffentlichkeit, die es sich auch in diesem Punkt nicht nehmen lassen sollte, einen ästhetischen Anspruch einzufordern. Und gefragt sind natürlich auch die Architekten, die es in einer festgefahrenen Abwehrhaltung versäumen, sich auf diesem Gebiet positiv einzubringen. Wir müssen bei einem so wichtigen Thema mitreden, mitdenken, Diskussionspartner sein. Andreas H. Holm: Das ist der Dreh- und Angelpunkt. Derzeit werden viermal so viele Wohnflächen saniert wie neu gebaut, und die Akteure sind ganz andere als beim Neubau (Abb. S. 27). Der durchschnittliche Hausbesitzer kontaktiert in den wenigsten Fällen einen Architekten, wenn er seine Immobilie sanieren möchte. Allenfalls wendet er sich an einen Energieberater, der zufällig Architekt ist. Viele Energieberater haben aber gar keinen gestalterischen Hintergrund, sondern sind im Hauptberuf gute Kaminkehrer, Zimmerer oder Maler. Auch sie sind berechtigt, Energieausweise auszustellen und Anträge für Förderprogramme zu stellen – und in solchen Fällen bleibt der Architekt dann außen vor. Somit ist im Prinzip jeder Hausbesitzer in der Lage, Wärmedämmverbundsysteme zu verwenden, ohne irgendwelche gestalterischen Aspekte zu beachten. Hild: Von der Ästhetik einmal ganz abgesehen: Ist es denn überhaupt sicher, dass Dämmen die richtige Lösung ist? Es gibt Stimmen, die behaupten, Deutschland sei vom »Dämmwahn« befallen und Dämmen sei grundsätzlich die falsche Strategie. Hauser: Bei jeder Effizienzstrategie kommt es zunächst darauf an, die Verluste zu minimieren – und dazu ist Dämmung nun einmal ein
probates Mittel. Entscheidend ist allerdings das richtige Maß. Ich halte Dämmpakete von 40 cm auf Außenwänden auch für fragwürdig, aber Dämmstoffdicken zwischen 16 und 20 cm im Neubaubereich – und wenn möglich auch bei Sanierungen – sind durchaus vernünftig (Abb. S. 30). Von dünneren Dämmschichten würde ich abraten, denn diese sind meist auch ökonomisch nicht sinnvoll. All das könnte sich künftig als noch sinnvoller erweisen, wenn zum Beispiel Solarstrom immer billiger wird. Tendenziell gilt: Je kostengünstiger wir erneuerbare Energie gewinnen können, desto weniger sinnvoll sind extreme Dämmstoffdicken. Wobei auch das wiederum seine Grenzen hat: Wenn sich in Deutschland intelligente Stromnetze mit stündlich oder sogar minütlich schwankenden Stromtarifen durchsetzen, kann es sinnvoll werden, überschüssigen Photovoltaikstrom mittels Wärmepumpen in Wärme umzuwandeln und in Gebäuden »zwischenzuspeichern«. Das funktioniert dann wiederum umso besser, je besser die Gebäude gedämmt sind. Insbesondere resultiert aus stark wärmegedämmten Gebäuden eine Entlastung bei sehr tiefen Außenlufttemperaturen und geringen Solarstrahlungsangeboten. Sie sehen also: Die Angabe der optimalen Dämmstärke ist immer mit Unsicherheiten behaftet. Fest steht allerdings, dass es ökonomischer und ökologischer Unsinn wäre, nur noch z. B. sechs Zentimeter dick zu dämmen oder überhaupt nicht mehr. Hild: Die Ökologie der Dämmstoffe ist ein weiterer wichtiger Punkt. Häufig hört man, dass der Primärenergieaufwand zur Herstellung der Dämmung exorbitant hoch sei und dass sich dies durch Einsparungen im Gebäudebetrieb nicht wieder amortisieren ließe.
25
Fat House, Installation auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Sevilla (E) 2004, Erwin Wurm
Holm: Solche Aussagen sind im Grunde seit über 30 Jahren widerlegt. Fakt ist, dass ein Wärmedämmverbundsystem im Laufe seiner Lebensdauer deutlich mehr Energie einspart, als für Herstellung und Instandhaltung verbraucht wird. Hild: Kann man sagen, wie lange es etwa dauert, bis die Herstellungsenergie eingespart ist? Holm: Ein halbes Jahr bis maximal zwei Jahre. Wir sprechen hier also von Zeiträumen, die im Vergleich zur Lebensdauer eines WDVS oder überhaupt von Dämmstoffen – etwa bei der Dach- oder Kellerdämmung – vernachlässigbar sind. Hild: Andererseits wird gerade über die Lebensdauer der Systeme immer wieder heftig gestritten. Es entspricht zwar nicht meinen persönlichen Erfahrungen, aber manch ein Kritiker vermittelt den Eindruck, Wärmedämmverbundsysteme fielen grundsätzlich nach zehn Jahren vom Haus. Holm: Es ist alles eine Frage der Qualität. Ein fachgerecht aufgebrachtes Wärmedämmverbundsystem hält 30 Jahre und länger. Wichtig ist jedoch, dass es in regelmäßigen Abständen gewartet wird – ebenso wie jede verputzte Massivwand oder Holzverschalung auch. Es gibt dazu auch zahlreiche Studien; etwa vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik in Holzkirchen, das seit über 30 Jahren Langezeitbeobachtungen an Wärmedämmverbundsystemen durchführt. Diese Untersuchungen zeigen, dass WDVS in puncto Haltbarkeit mit normalem, verputztem Mauerwerk gleichzusetzen ist …
26
Diskussion 02
Hauser: … und in Bezug auf den Unterhalt ebenso. Hild: Das deckt sich mit meiner Erfahrung bei unseren Gebäuden. Im Sockelbereich gab es gelegentlich Probleme, aber das war partiell. Aber natürlich ist das unter Architekten ein zentrales Argument. Ähnlich wie die Brandschutzproblematik, die derzeit viel öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wir haben gerade eine große WDVS-Fassade geplant, mit Brandriegeln aus Mineralwolle. Hauser: Die Diskussion darüber ist insbesondere entstanden durch Brände nicht fertiggestellter Häuser. Bei diesen Wärmedämmverbundsystemen war die Putzschicht noch nicht geschlossen, die den Dämmstoff gegen Brandeinwirkung schützt. Daher kann man hier auch nicht dieselben Maßstäbe ansetzen wie bei einem kompletten WDVS. Es käme ja auch niemand auf die Idee, mit einem Auto über die Autobahn zu fahren, bei dem die Bremsen noch nicht eingebaut sind. Bei anderen Bränden sind teilweise Wärmedämmverbundsysteme ohne bauaufsichtliche Zulassung eingebaut worden. Wenn Einzelne aus Kostengründen zu solchen Lösungen greifen, die nicht erlaubt sind, dann schlägt das auf die gesamte Branche zurück. Es ist sehr schwierig, gegen solche Praktiken anzugehen – und gegen den Eindruck, den sie in der Öffentlichkeit hinterlassen. Ein schwer entflammbares Material lässt sich nun einmal medial viel schwerer inszenieren als spektakuläre Bilder von Bränden. Positiv in Erinnerung geblieben ist mir jedoch eine Fernsehsendung zum Thema. Die Reporter haben in einem Brandversuch einen Topf voll Benzin an einen Gebäudesockel mit WDVS gestellt und angezündet. Der Versuch
wurde abgebrochen, da das System einfach kein Feuer fangen wollte. Aber solche Bilder sind natürlich recht unspektakulär. Wenn der Zuschauer hingegen sieht, wie die Flammen schlagen, dann bleibt das in Erinnerung. Holm: Grundsätzlich lässt sich sagen: Bauaufsichtlich zugelassene Systeme mit entsprechender Qualität verursachen keine Brandrisiken. Wichtig ist natürlich auch die korrekte Ausführung, zum Beispiel mit Brandriegeln bei mehrgeschossigen Gebäuden. Es kommt immer wieder vor, dass diese Vorschriften nicht eingehalten werden, sei es aus Kostengründen, aus mangelnder Kenntnis oder warum auch immer ... Hild: Die Brandriegel sind aber oft technisch nicht ganz einfach zu verwenden. Bei einem unserer Gebäude hatte zum Beispiel die Fassadenfarbe, die wir verwenden wollten, nur eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung für expandierten Polystyrol-Hartschaum (EPS), aber nicht für Mineralwolle. Um den Brandriegel überstreichen zu können, brauchten wir daher eine Zulassung im Einzelfall. Ich denke, wir Architekten unterschätzen oft, wie komplex Wärmedämmverbundsysteme heutzutage sind. Man glaubt immer, es handele sich »nur« um ein Haus mit Putzfassade. Aber in Wirklichkeit ist das eine ganz andere Konstruktion. Nicht zuletzt in der Frage der Wiederverwertbarkeit ergeben sich damit ernst zu nehmende ökologische Probleme. Hauser: Die Branche ist das Thema Recycling tatsächlich erst relativ spät angegangen, es gab die Notwendigkeit nicht, weil die Systeme langlebig sind und dünne Dämmstoffdicken häufig nicht recycelt, sondern zusätzlich überdämmt wurden. Zwar gibt es schon
700
3300
Fassaden ohne WDVS [Mio. m2] Fassaden mit WDVS [Mio. m2] (im Zeitraum von ca. 1960 – 2010)
200
1300 1800
Modernisierung [Mio. m2] Renovierung [Mio. m2] Sanierung [Mio. m2]
Fassadenfläche aller beheizten Gebäude in Deutschland oben: Anteil ohne bzw. mit WDVS unten: Verteilung der Instandsetzungsmaßnahmen der nicht gedämmten Fassaden
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
27
seit vielen Jahren Überlegungen, wie mit dem Recyceln generell umzugehen ist, aber in der Praxis hat man das Thema vernachlässigt. Statt alte, oft nur zwei oder vier Zentimeter dick gedämmte Systeme auszutauschen, hat man darauf einfach noch einmal ein komplettes WDVS aufgebracht. Doch der Tag wird kommen, da man die alten Dämmmaterialien wiederverwenden möchte. Es gibt tatsächlich bereits Lösungen, die einen sortenreinen Rückbau von WDVS erlauben. Sie sind gewissermaßen der Königsweg, aber bisher aufgrund der geringen Mengen an rückgebautem WDVS noch unwirtschaftlich. Die thermische Verwertung, wie sie derzeit für EPS praktiziert wird, ist dagegen eher eine Notlösung. Dabei wird das Heizöl, das in Form von Dämmstoff auf der Wand »zwischengespeichert« wurde, in Kraftwerken verbrannt, um daraus Energie zu gewinnen. Ganz ähnlich praktiziert man das ja auch bei Holz, das nach der »Zwischenlagerung« in Gebäuden verbrannt wird – mit dem Unterschied, dass Holz sehr viel schneller nachwächst als unsere Erdölressourcen. Aktuell bearbeiten wir im Fraunhofer-Institut für Bauphysik gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Wärmeschutz e.V. München (FIW) ein Forschungsprojekt zum WDVS-Recycling für das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Dabei untersuchen wir auch die Frage, welche Abschältechniken sich für WDVS empfehlen. Bereits etabliert haben sich zum Beispiel rotierende Messer, mit denen sich PVC-Böden vom Betonuntergrund lösen lassen. Auf diese Weise ließe sich auch die Putzschicht von Fassaden entfernen, und man hätte dann das blanke Dämmmaterial, bei dem es sich heute in der Regel um EPS mit Grafitzusätzen handelt. Dieses Produkt ist übrigens ein her-
28
Diskussion 02
vorragendes Beispiel dafür, welche Fortschritte die Dämmstoffhersteller – gerade auch in puncto Ökologie – zuletzt gemacht haben. Indem sie in die EPS-Dämmung kleine Grafitpartikel einschäumen, verringern sie den langwelligen Strahlungsaustausch in den Poren und erreichen damit eine Wärmeleitfähigkeit von nur noch 0,032 W/mK (Abb. S. 35 oben). Um die gleiche Dämmwirkung mit herkömmlichem Polystyrol zu erreichen, wäre eine deutlich größere Rohstoffmenge (und damit auch mehr Erdöl) erforderlich.
Grenzen. Eine solche existiert zum Beispiel bei einer Wärmeleitfähigkeit von 0,029 – das entspricht in etwa der Dämmwirkung von stehender Luft. Noch geringere Werte erreicht man nur noch mit komplett anderen Werkstoffen und Verfahren. Dazu zählen etwa Schaumstoffe mit Poren in Nanometergröße, in denen die Wärmeübertragung durch Luft komplett unterbunden ist. Diese Produkte sind bisher noch zu teuer für den Massenmarkt, aber die Herstellungstechnologien sind auch dafür vorhanden.
Hild: Die meisten Architekten, die mit WDVS arbeiten, sehen EPS eher kritisch. Sie bevorzugen mineralische Systeme. Gibt es ähnliche Effizienzfortschritte auch bei Mineralfasern? Schließlich sind für ihre Herstellung ja nochmals deutlich höhere Temperaturen erforderlich.
Hild: Ich hätte angenommen, dass Verbindungen von EPS mit Grafitteilchen eher problematisch sind, weil man sie später wieder trennen muss.
Hauser: Es gibt sie auch dort, und so extrem aufwendig ist auch die Herstellung von Mineralfasern nicht. Auch dort versucht man zum Beispiel, den Dämmstoffen Grafitpartikel beizumengen, indem man sie gleichsam an die einzelnen Fasern anheftet. Möglicherweise ließe sich dadurch die Wärmeleitfähigkeit nochmals senken. Diese Dämmstoffe sind bislang allerdings noch nicht am Markt verfügbar. Holm: Wir haben bei der Materialentwicklung in den letzten Jahren erhebliche Effizienzsprünge erlebt. Allein beim EPS hat sich die Wärmeleitfähigkeit binnen weniger Jahre von 0,040 auf 0,032 oder sogar 0,030 W/mK verbessert – das sind Entwicklungen, von denen andere Bereiche der Industrie nur träumen können. Bei vielen Dämmstoffen stoßen wir heute schon an physikalische
Holm: Beim EPS-Recycling treten dabei bislang definitiv keine Probleme auf. Die Werkstoffe lassen sich sehr sauber trennen. Hild: Ist das Wärmedämmverbundsystem ausgereizt, wenn nun bei der Dämmstoffentwicklung physikalische Grenzen erreicht werden? Oder gibt es noch andere Parameter für Optimierung? Holm: Dann gehen wir andere Wege. Schon jetzt bieten die Hersteller Sandwichmaterialien aus zwei unterschiedlichen Dämmstoffen an. Es gibt beispielsweise ein Produkt, bei dem ein Dämmkern aus Polyurethan (PUR) mit EPS umhüllt wird. Das PUR sorgt dabei für eine geringe Wärmeleitfähigkeit und das EPS gewährleistet die leichte Verarbeitung auf der Baustelle – also die Möglichkeit, den Dämmstoff zuzuschneiden und abzuschleifen – und die gute Haftung am Putz. Mit solchen Lösungen lassen sich Wärmeleitfähigkeiten um 0,023 oder 0,024 W/mK erreichen. Andere
Wohnbebauung Helsinkistraße, München (D) 2004, Hild und K
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
29
Hersteller kombinieren Mineralwolle mit Aerogelen oder umhüllen Vakuumisolationspaneele mit EPS. Die Konsequenz ist bei allen diesen Werkstoffkombinationen die gleiche: schlankere Wandaufbauten bei gleicher oder besserer Dämmleistung. Natürlich sind solche Materialien noch kostspielig, aber sie werden sich weiterentwickeln. Hauser: Die Ziegelindustrie reagiert jetzt auf diese Innovationen.
Schichtdicke [m]
Baustelle der Wohnbebauung Theresienhöhe, München (D) 2003, Hild und K 0,7
U = 0,15 W/m2K
U = 0,24 W/m2K
0,6 0,025 0,30
0,015
0,5
0,4
2
UAW = 1,29 W/m K 0,2
0,1 0
30
0,01
Diskussion 02
Hauser: Solche Ziegel bestehen sicher zu etwa zwei Dritteln aus Mineralwolle. Aber sie werden nach wie vor als monolithische Bausteine angesehen. Hild: An der Oberfläche bleibt es immerhin ein Ziegel und dieser hat zumindest einen gewissen Speicheranteil.
0,3
0
erforderliche Dämmstoffdicke bei Sanierungen zum Erreichen verschiedener U-Werte
Hild: Soweit ich das überblicke, macht sie das ebenfalls mit Kombinationssystemen. Offenbar stößt so etwas bei Architekten viel weniger auf Bedenken als Wärmedämmverbundsysteme. Ich denke mir aber, dass auch ein mit Mineralfaser gefüllter Ziegel nicht ganz unproblematisch sortenrein zu trennen ist.
0,02
0,03
0,06 0,04 0,05 Wärmeleitfähigkeit [W/mK]
Hauser: Die Ziegelindustrie versteht sich eben sehr gut auf die Vermarktung ihrer Produkte, und die Architekten sind diesbezüglich etwas leichtgläubig. Es ist ähnlich wie mit dem Mythos der » atmenden Wände «: Physikalisch betrachtet ist der Begriff unsinnig, und dennoch halten interessierte Kreise die Vorstellung davon aufrecht. Gleiches gilt für die feuchteregulierende Wirkung. Wenn Sie einen Ziegel in Wasser legen und daneben einen Kalksandstein, so nimmt der Ziegel
Hild: Wie sieht es nun mit der Wiederverwertbarkeit und Trennbarkeit solcher Ziegel aus? Wenn ich mir einen Hochlochziegel mit Mineralwollfüllung anschaue, stelle ich mir das fast aufwendiger vor als beim Wärmedämmverbundsystem.
[Mio. m2]
deutlich mehr Wasser auf. Da er mehr Wasser aufnimmt, muss er besser für das Raumklima hinsichtlich der Feuchteregulierung sein – so die Argumentation. Sie verschweigen jedoch, dass der Ziegel nur flüssiges Wasser besser aufnimmt. Wasserdampf absorbiert er hingegen viel weniger als z. B. der Kalksandstein – dabei ist allein dies entscheidend für das Raumklima. Unterm Strich kommt bei den Architekten die Botschaft an: Der Ziegel ist gut fürs Raumklima – und jetzt bieten wir ihn auch in Bauformen an, bei denen Sie auf die Außendämmung verzichten können. Die ideologische Herangehensweise sollte einer kenngrößenbasierten Betrachtung weichen, wobei unter Würdigung aller Aspekte alle Bauformen ihre Berechtigung finden.
50
1995 2. Novellierung der Wärmeschutzverordnung
2009 Energieeinsparverordnung (EnEV)
40
30
20
1977 Energieeinsparungsgesetz (EnEG)
2002 Energieeinsparverordnung (EnEV)
1984 1. Novellierung der Wärmeschutzverordnung
10
0 1980
1985
1990
1995
2000
2005
2010
WDVS -Marktentwicklung unter politischem Einfluss (grau: Anstieg nach der Wiedervereinigung bis zur Reduzierung der öffentlichen Fördermittel für die neuen Bundesländer)
Holm: Aus technischer Sicht ist auch hier eine Trennung problemlos machbar. Aber ihre grundsätzliche Frage ist vollkommen berechtigt. Der Ziegel erweckt zwar den Eindruck eines monolithischen Baustoffs, besteht jedoch zu mehr als 60 % aus Dämmung. Die Vorbehalte unter Architekten müssten daher eigentlich die gleichen sein. Hild: Ähnlich verhält es sich mit anderen Konstruktionen im Gebäude. Jeder Geschossfußboden im Wohnungsbau ist z. B. komplizierter aufgebaut als ein WDVS: Stahlbetondecke, Trittschalldämmung, eine Matte für die Fußbodenheizung, ein Verbundestrich, der im Extremfall noch bewehrt werden muss.
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
31
Verwendungsmöglichkeiten unterschiedlicher Baumaterialien für Wärmedämmverbundsysteme (Stand Januar 2012)
Mineralwolle (MW)
≤ 0,036 ≤ 0,040
A2
-
•
-
-
•
Mineralwolle-Lamellen (MW)
≤ 0,041
A2
-
•
-
•
0,045
A2 B1
-
•
-
-
•
-
≤ 0,024
B1
-
•
-
•
-
B1 (B2)2
•
•
•
•
Mineraldämmplatten Phenol-Hartschaum (PF) expandierter PolystyrolHartschaum (EPS)
0,032 0,035 0,0401
Aufdopplung
Flachverblender
-
mineralischer Trockenmörtel
-
Silikatputze
Silikonharzputze
-
Kunstharzputze
B2
mineralischer Unterputz
≤ 0,050
Beklei- Sonst. dung
organischer Unterputz
Verdübelung erforderlich
Holzweichfaser (WF)
Oberputz
rein mechanisch
ohne Dübel
Unterputz
Klebeschaum
mechanische Befestigung
minaeralischer Klebemörtel
Verklebung Dämmplatten
organischer Klebemörtel
Brandschutz Baustoffklasse im System (DIN 4102-1)
Wärmeleitung λ–Wert (Bemessung) [W/mK]
Dämmstoff
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extrudierter PolystyrolHartschaum (XPS)3
≤ 0,036
B2
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-
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•
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•
•
-
Polyurethan-Hartschaum (PUR)
≤ 0,028
B1
•
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-
-
•
-
•
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•
•
•
•
-
-
Kork (ICB) Schilfrohr
0,040 0,055
B2 B2
-
• -
-
-
• -
•
-
• •
-
-
-
• •
-
-
Vakuum-Isolationspaneele (VIP)
0,008
B2
-
•
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-
-
•
-
-
• geeignet /zugelassen möglich - nicht geeignet /zugelassen keine Lagerware (nur Bestellung) gem. Musterbauordnung möglich. Fachverband WDVS empfiehlt B1 3 vorwiegend als Ergänzung im Spritzwasserbereich (z. B. Perimeter, Sockel) 1 2
32
Diskussion 02
Solche komplexen Aufbauten sind hier offenbar kein Problem, an der Fassade aber schon. Hauser: Woran liegt das wohl? Es wäre interessant, dieser Frage einmal nachzugehen. Hinzu kommen – gerade unter Architekten – solche Argumente wie: Wenn man dagegen klopft, hört es sich hohl an. Hild: Ich denke, dass die » ehrliche « Verwendung von Materialien für jeden klassisch ausgebildeten Architekten von zentraler Bedeutung ist. Und da ruft etwas, das aussieht wie eine verputzte Massivwand, aber maßgeblich aus Schaumkunststoff besteht und auch noch hohl klingt, instinktiv Unbehagen hervor. Wenn ich Architektur als ganzheitliche, also mit allen Sinnen erfassbare Erfahrung ernst nehme, dann ist das auch gar nicht mal so unverständlich. Trotzdem müssen wir uns wahrscheinlich angesichts der bestehenden Lage auch in diesem Punkt weiterentwickeln, neue Wege der Ästhetik erschließen. Dass das vielen Kollegen so schwerfällt, hat meiner Meinung nach viel damit zu tun, wie der »gute Architekt« sozialisiert wird – und diesbezüglich bewegen wir uns in Deutschland immer noch in einer von der Moderne des Bauhauses geprägten Tradition. Auffallend ist in diesem Zusammenhang, dass Wärmedämmverbundsysteme vorwiegend in Deutschland so kontrovers diskutiert werden. Hauser: Wärmedämmverbundsysteme wurden in Deutschland entwickelt, und in England sind sie als »Sto Facade « bekannt. Das sagt schon ziemlich viel aus: Die deutschsprachigen Länder nehmen bei ihrer Verbreitung sicher eine Vorreiterrolle ein. In Frankreich zum Beispiel setzt man traditionell viel stärker auf Innendämmung.
Hild: Werden die anderen Länder nachziehen? Holm: Sie tun es bereits. Gerade die osteuropäischen Länder mit ihren vielen noch unsanierten Plattenbauten sind geradezu prädestinierte Märkte für WDVS. Das Gleiche gilt auch für die Türkei und Italien. Hild: Aber wie sinnvoll sind Wärmedämmverbundsysteme überhaupt in warmen Klimazonen? Hauser: Je wärmer das Klima, desto weniger Dämmung benötigt man, um Heizenergie einzusparen. Aber auch bei Gebäuden, die gekühlt werden müssen, bringt die Dämmung Vorteile – und nicht etwa Nachteile, wie oft behauptet wird. Hild: Was die Innendämmung angeht: Im Studium habe ich gelernt, dass diese bauphysikalisch problematisch ist. Hauser: Mit Sicherheit. Aus bauphysikalischer Sicht sind Innendämmungen sogar hoch problematisch, weil – etwa an den Geschossdecken und Innenwänden, die in die Außenwand einbinden – unweigerlich Wärmebrücken auftreten. Die Außendämmung ist demgegenüber immer von Vorteil – wobei es ja kein Wärmedämmverbundsystem sein muss. Eine vorgehängte hinterlüftete Fassade funktioniert genauso gut, ist nur teurer in der Anschaffung. Das WDVS ist eben die kostengünstigste Lösung, und daraus erklärt sich auch seine Dominanz am Markt. Holm: In Deutschland stehen momentan rund zwei Milliarden Quadratmeter Fassaden zur energetischen Sanierung an. Davon dürfte rund ein Fünftel nicht oder nur sehr
eingeschränkt für eine Außendämmung geeignet sein. Hild: Sie meinen denkmalgeschützte Gebäude? Holm: Ja, die meisten denkmalgeschützten Gebäude, aber auch Bauten, bei denen kein Platz für eine Außendämmung vorhanden ist, weil zum Beispiel die Dachüberstände nicht ausreichen. Ein Fünftel ungeeignete Fassaden bedeutet aber immer noch, dass 80 % der sanierungsbedürftigen Fassaden eine Außendämmung erhalten können – und auch dringend sollten. Immerhin summieren sich die Wärmeverluste durch Fassaden allein in Deutschland jährlich auf 100 Terrawattstunden; das sind 100 Milliarden Kilowattstunden. Hild: Ich habe gelesen, dass besonders hohe Einsparungen bei Ein- und Zweifamilienhäusern möglich seien. Das ist interessant, denn in der baukulturellen Diskussion um WDVS geht es ja meist um die Sanierung von Geschosswohnbauten und selten um Einoder Zweifamilienhäuser. Holm: Die Wohnflächen in Deutschland verteilen sich je etwa zur Hälfte auf Ein- und Zweifamilienhäuser sowie auf größere Wohngebäude. Die Zahl der einzelnen Gebäude ist jedoch bei den Ein- und Zweifamilienhäusern deutlich größer. Außerdem sind sie deutlich weniger kompakt und haben daher insgesamt eine größere Fassadenfläche, die es zu sanieren gilt. Entscheidend ist aber auch die Eigentümerstruktur: Ein- und Zweifamilienhäuser gehören meist den Familien, die darin wohnen. Mehrfamilienhäuser sind oft in der Hand von Woh-
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
33
nungsbaugesellschaften. Bei derartigen Eigentümerstrukturen ist die Sanierung daher tendenziell einfacher. Anders sieht die Situation aus, wenn ein Mehrfamilienhaus in der Hand mehrerer Eigentümer ist, die ganz unterschiedliche Interessen haben können. Man hat in diesem Fall mehr Parteien, die an der Diskussion beteiligt werden müssen … Hild: … und Mehrfamilienhäuser haben größere Auswirkungen auf die Stadtbilder. Das ist eine der großen Fragen, die gesellschaftlich diskutiert werden. Auf der einen Seite soll gedämmt werden, Vertreter der anderen Seite halten dagegen: Auf gar keinen Fall darf ein ganzer Straßenzug verpackt werden. Aber noch einmal zurück zu den Materialeigenschaften von WDVS. Vielleicht wäre es ein gangbarer Weg, der Dämmung eine gewisse Wärmespeicherfähigkeit beizubringen? Oder widerspricht das womöglich dem grundsätzlichen Ziel der Dämmung? Hauser: Den Wunsch, der Wärmedämmung auch eine gewisse Wärmespeicherfähigkeit zu verleihen, gibt es schon lange. Teilweise wird dies auch bereits praktiziert, zum Beispiel bei Holzfaserdämmplatten. Ihre Hersteller behaupten, dass sie das sommerliche Wärmeverhalten positiv beeinflussen. Das ist weniger für Außenwände relevant, sondern vielmehr für die Dachdämmung. Dort haben wir es häufig mit sehr leichten Konstruktionen zu tun, und wenn für die Zwischensparrendämmung Holzfaserdämmstoffe statt – wie bislang meist üblich – Mineralwolle verwendet wird, erhöht sich die Wärmespeicherfähigkeit. Im Gegenzug haben diese Dämmstoffe jedoch eine deutlich höhere Wärmeleitfähigkeit – also eine geringere Dämmwirkung – als Mineralwolle.
34
Diskussion 02
Auf das thermische Verhalten des Dachraums wirkt sich eine solche Maßnahme jedoch kaum aus. Schon vor Jahren haben Untersuchungen gezeigt, dass eine Erhöhung der Wärmespeicherfähigkeit des Dämmstoffs auf das Doppelte oder sogar das Fünffache die maximalen Temperaturen in einem Raum bestenfalls um 0,1 oder 0,2 Grad senkt. Andere Maßnahmen bringen hier deutlich mehr: zum Beispiel eine intensive Nachtlüftung, mit der sich die Wärme wieder abführen lässt. Und um die Wärmespeicherfähigkeit eines Gebäudes wirklich zu steigern, benötigt man massive Stahlbetondecken, eventuell auch zusätzliche thermische Wasserspeicher oder Phasenwechselmaterialien (PCM) in der Konstruktion. Die Dämmung allein reicht da bei Weitem nicht aus. Hild: Das heißt, die Dämmung ist mit dem Erreichen der physikalischen Grenzen ausgereizt? Holm: So pauschal lässt sich das nicht sagen. Bei den Wärmeleitfähigkeiten haben einige Dämmstoffe sicher ihre Grenzen erreicht. Es geht jetzt darum, diese Hochleistungsdämmstoffe – auch preislich – für den Massenmarkt tauglich zu machen und sie mit Zusatzfunktionen zu versehen. So wie bei einer Erfindung, die das Fraunhofer-Institut für Bauphysik unlängst hat patentieren lassen. Dabei werden schon bei der EPS-Herstellung Lüftungskanäle in den Dämmstoff eingearbeitet. Wenn das Gebäude dann nach der Sanierung eine kontrollierte Be- und Entlüftung benötigt, lässt sich die Luft ganz einfach durch diese Kanäle im Gebäude verteilen. Es handelt sich dabei schlicht um Aussparungen im Dämmstoff, ohne separate Blech- oder Kunststoffrohre.
Hauser: Das ist überaus einfach herstellbar und bringt auch eine deutlich bessere Schalldämpfung als bei Kunststoff- oder Blechkanälen. Hild: Lüftungsanlagen sind gerade in Bestandsgebäuden fast immer schwierig zu planen und aufwendig in der Realisierung. Hauser: Ja, das ist fast zwangsläufig so. Bei Passivhäusern ist die kontrollierte Be- und Entlüftung schon seit Jahren obligatorisch. Und wenn ab 2019 bzw. 2021 in Europa alle Neubauten den Niedrigstenergie- oder Plusenergiestandard erreichen sollen, so ist auch das nur mit einer Wärmerückgewinnung realisierbar. Und diese lässt sich nun einmal am effizientesten und preisgünstigsten durch einen Wärmetauscher in der Lüftungsanlage realisieren. Holm: Außerdem sind die Verteilkanäle in der Fassade deutlich einfacher anzubringen als im Inneren des Gebäudes. Das System ließe sich auch noch weiterdenken, für elektrische Leitungen, die Dachentwässerung und den Einbau von Fenstern. Für all diese Fälle erlaubt das Wärmedämmverbundsystem eine einfache Integration und die Herstellung sauberer Anschlüsse. Hauser: Darüber hinaus gibt uns das Wärmedämmverbundsystem zusätzliche Möglichkeiten, um z. B. auch in vertikalen Fassaden PV-Module unterzubringen. Will man vier- oder fünfgeschossige Wohngebäude als Plusenergiehäuser realisieren, reicht es meist nicht mehr aus, nur die Dachflächen mit Photovoltaik zu belegen. Es wäre vielleicht noch denkbar, eine kleine Windkraftanlage auf dem Dach aufzustellen, das halte
ich jedoch eher für Spielerei. Man benötigt also auch die Fassaden zur Gewinnung von Solarenergie, und dabei sind Wärmedämmverbundsysteme überaus hilfreich. Zum Beispiel wird bereits erforscht, wie sich Dünnschicht-Photovoltaikmodule in die Putzschicht der Systeme integrieren lassen.
Holzfasern Holzwolle-Platten Kalziumsilikatschaum Mineralwolle (MW) Phenol-Hartschaum (PF) expandiertes Polystyrol (EPS) extrudiertes Polystyrol (XPS) Polyurethan-Hartschaum (PUR)
Holm: Der erste Schritt jeder energetischen Sanierung sollte darin bestehen, die Verluste zu minimieren. Ich denke, das leuchtet jedem ein, egal ob er für oder gegen WDVS ist. Hierzu gibt es verschiedene Optionen, die alle in Betracht zu ziehen sind: Dach- und Kellerdämmung, neue Fenster und eben die Fassadendämmung. Wenn die Gebäudehülle effizient genug ist, folgen als nächste Schritte die Verbesserung der Anlagentechnik und die Nutzung erneuerbarer Energien. Aber über allem steht immer die Devise: Sparen. Man muss sämtliche Möglichkeiten berücksichtigen und sehen, was für welche Situation geeignet ist. Bei manchen Häusern wäre ein neues Wärmedämmverbundsystem vielleicht gar nicht sinnvoll, weil z. B erst vor wenigen Jahren eine Fassadensanierung durchgeführt wurde. Bei anderen ist möglicherweise das Dach undicht, aber die Fassaden haben noch einen passablen Wärmeschutz. In diesem Fall empfiehlt es sich natürlich, zuerst mit der Dachsanierung zu beginnen.
Zellulosefasern Wärmedämmziegel Vakuum-Isolationspaneele (VIP) Aerogel
Bereich der Wärmeleitfähigkeiten typischer Dämmstoffe
U-Wert in Abhängigkeit von der Dämmstoffdicke
0
Wärmedurchgangskoeffizient [W/m2K]
Hild: Nicht nur im Neubau, sondern auch bei Sanierungen sind ganzheitliche Lösungen erforderlich. Welche Rolle spielt die Dämmung in einem solchen übergreifenden Konzept?
0,04
0,08
0,12
0,16 [W/mK]
2,00 1,75 1,50 1,25 1,00 U-Wert 0,75 0,50 0,25 0 0
5
10
30 15 20 25 Dämmstoffdicke (λ = 0,04 W/mK ) [cm]
Hauser: Lassen Sie mich folgenden Vergleich ziehen: Wenn Sie eines dieser aufblasbaren Planschbecken im Garten aufstellen, und es hat ein Loch, aus dem das Wasser ausläuft,
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
35
Büro- und Geschäftshaus Welfenstraße, München (D) 2013, Hild und K
36
Diskussion 02
haben Sie zwei Möglichkeiten: Sie können den Wasserhahn noch stärker aufdrehen und hoffen, dass sich das Becken dadurch füllt. Die meisten Menschen würden jedoch instinktiv das Loch abdichten. Und genau die gleiche Denkweise steckt hinter der Gebäudedämmung. Dämmung bewirkt jedoch nicht nur eine Energieeinsparung, sondern verbessert auch die Behaglichkeit. Es wäre großartig, wenn alle Menschen einmal für ein Wochenende in einem hochwertig gedämmten Gebäude wohnen könnten – der Komfort ist einfach unvergleichlich. Leider gelingt es uns bisher nicht, den enormen Gewinn an Behaglichkeit zu kommunizieren. Wir Bauphysiker sprechen beispielsweise von Oberflächentemperaturen oder von Behaglichkeitskriterien wie dem »predicted mean vote«, was kein Laie versteht. Was die Kommunikation angeht, haben wir noch einiges zu lernen. Holm: Ich habe unlängst unser Haus von 1979 sanieren lassen und der erste Winter mit Dämmung war einfach traumhaft. Man spürt den Unterschied wirklich. Ihre Energiekostenabrechnung sehen Sie nur einmal im Jahr. Aber jeden Tag nach Hause zu kommen und nicht dieses Gefühl zu haben, dass es kalt ist, ist ein spürbarer Mehrwert. Dieser Wohlfühlfaktor ist nicht zu unterschätzen. Hild: Nun gibt es aber auch die Planer, die behaupten, Komfort und Energieeffizienz ließen sich allein mit anlagentechnischen Mitteln – etwa Wärmepumpen – herstellen. Holm: Ich kenne diese Meinung. Dabei wird unterstellt, dass sich nahezu jeder beliebige Wärmebedarf im Gebäude mithilfe von Erdwärmepumpen decken ließe und dass das
Ganze überdies CO2-neutral geschehen könne, wenn nur genug Solarstrom zur Verfügung steht. Aus bauphysikalischer Sicht ist das sicher nicht die richtige Reihenfolge. Hauser: Bei solchen Gebäuden werden bauphysikalische Fehler mit technischen Mitteln gelöst. Hild: Ich persönlich träume gerne von Häusern, die praktisch keine technischen Mittel benötigen, um zu funktionieren. Zugegebenermaßen ist das vielleicht etwas naiv. Andererseits: Ist der exzessive Einbau von Haustechnik wirklich der richtige Weg? Würden Sie insgesamt sagen, dass Architekten eine stärker technisch geprägte Lösung als die fortschrittlichere ansehen? Holm und Hauser: Ja.
nung an den U-Wert von Außenwänden um rund 40 % verschärft. Hild: Und da hatte nicht die Dämmungslobby ihre Hände im Spiel? Holm: Wegen der bereits erwähnten Effizienzsteigerungen ist die durchschnittliche Dämmstärke aber nur um 20 % gestiegen. Und das Gesamtvolumen der jährlich verbauten Dämmstoffe ist in Deutschland in den letzten Jahren sogar gleich geblieben. Meines Erachtens hätte die EnEV gar nicht in diesem Maße verschärft werden können, wenn es diese Materialinnovationen nicht gegeben hätte. Ich kenne wenige Branchen, die solche Entwicklungssprünge gemacht haben, ohne sie stark zu kommunizieren.
Hild: Sie meinen also, diese Innovationen werden nicht wahrgenommen, weil Dämmen insgesamt eine eher konservative Vorgehensweise ist?
Hauser: Natürlich ist es viel attraktiver, wenn Sie Ihrem Besucher auf einem Display zeigen können, wie Sie die Heizung einstellen können und wie viel Strom die Photovoltaikanlage liefert. Die Dämmung können Sie nicht zeigen, selbst wenn sie hervorragend ist, denn außen ist der Putz darauf und von innen die Wand davor. Das ist natürlich ein Problem! Diese Elemente kann man nicht bestaunen, es sind Bauteile, und Bauteile sind einfach da – zumindest in der allgemeinen Wahrnehmung. Von daher ist es sehr erfreulich, dass es nach jahrelangen Bemühungen gelungen ist, auch der Politik klarzumachen, welche Bedeutung dem Energieverbrauchssektor Gebäude zukommt und dass die Energiewende nur bei besonderer Berücksichtigung der Sanierung des Gebäudebestandes gelingen kann.
Holm: Dabei hilft es gerade auch Architekten enorm. In den letzten zehn Jahren haben sich die Anforderungen der Energiesparverord-
Holm: Die Gebäudehülle ist ein maßgeblicher Baustein der Energiewende. Das wird immer noch unterschätzt.
Holm: Das gilt nicht nur für Architekten. Unsere gesamte Gesellschaft ist tendenziell technikgläubig. Da hat man es natürlich schwer, die Innovationen zu kommunizieren, die ich vorhin angesprochen habe: zum Beispiel die Effizienzsteigerung um 25 bis 40 %, die wir beim EPS und bei der Mineralwolle erreicht haben, ohne zusätzliche Kostensteigerung, mit geringerem Rohstoffeinsatz und vermutlich auch mit einer besseren Ökobilanz. Denn man sieht sie nicht.
Das Wärmedämmverbundsystem unter bauphysikalischen Aspekten
37
PROJEKTE
01 Büro- und Geschäftsgebäude Welfenstraße
40
02 Louis Hotel am Viktualienmarkt
44
03
48
Viktualienmarktpassage
04 Treppenturm – Institutsgebäude 0505 Technische Universität München
52
05
54
Wohnbebauung Theresienhöhe
06 Büro- und Wohngebäude Am Tucherpark
58
07
Wohnbebauung Lohengrinstraße
60
08
Wohnbebauung Helsinkistraße
64
09 BFTS – Bayerisches Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft
68
10 Bürogebäude Ismaninger Straße
72
11 Revitalisierung Bikini Berlin
76
Projektbeispiele
39
01
Büro- und Geschäftsgebäude Welfenstraße
Das Büro- und Geschäftshaus ist Teil des neuen Münchner Stadtquartiers »WelfenHöfe«, das auf einem bis dahin ausschließlich gewerblich genutzten Areal in der Nachbarschaft des Ostbahnhofs errichtet wurde. Die Überbauung des Gebiets südlich der Welfenstraße wurde im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs geplant. Innerhalb des Komplexes aus fünf- bis sechsgeschossigen Gebäuden gruppieren sich ein Gewerbeund zwei Wohnteile um drei begrünte Innenhöfe. Aufgrund der Lage des Grundstücks zwischen Bahntrasse und stark befahrener Straße empfahl es sich, die Münchner Tradition der Blockrandbebauung fortzusetzen. Gestaltet wurde der sogenannte RegerHof mit Tiefgaragen, Einzelhandel und Café im
40
Projektbeispiel 01
Erdgeschoss, Straßenreinigungsstützpunkt und Büros in den Obergeschossen. Das markante Putzrelief der silbrig glänzenden Fassade orientiert sich an den umliegenden Gründerzeitbauten. Ziel dabei war, wichtige traditionelle Merkmale städtischer Häuser zeitgemäß weiterzuentwickeln und so den Bezug zum städtebaulichen Kontext im Viertel Au-Haidhausen herzustellen. Die sich in der Höhe schuppenartig überlappenden Putzfaschen vermeiden horizontale Flächen, auf denen sich Wasser sammeln und das Material angreifen könnte. Die Form des Putzreliefs ergibt sich folglich unmittelbar aus den Eigenschaften des verwendeten Wärmedämmverbundsystems, das damit eine eigene ästhetische Dimension erhält.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung:
Wiebke Grzebellus, Nina Großhauser SZB Ingenieure Bayerische Hausbau GmbH Büros, Einzelhandel Welfenstraße 20 –24, München 2013 Stahlbeton ca. 6280 m2 Silikonharz Oberputz eingefärbt
Tragwerksplaner: Bauherr: Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
1
2
6
5
aa
Schnitt • Grundrisse Maßstab 1:1250 11
11
1 2
6
10
3 4
Straßenreinigungsstützpunkt Tiefgaragenzufahrt Anlieferung Hausmeister
5 Drogerie 6 Foyer 7 Zugang zu Verkaufsflächen 8 Bäckerei / Café 9 Supermarkt 10 Schleuse 11 Büro
11 11
1. Obergeschoss
4 3 1
5
2
a
6
a
7 9 8
Erdgeschoss
Büro- und Geschäftsgebäude Welfenstraße
41
Horizontalschnitt • Vertikalschnitt Maßstab 1:10 1
Fassadenfarbe Metalliceffekt Reinacrylatbasis Oberputz Silikonharz eingefärbt Körnung 3 mm Armierung Glasfasergewebe Armierungsputz organisch 3 mm Klebeschaum Polyurethan Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum (WLG 032) 120 – 260 mm Stahlbeton 250 mm Spritzputzspachtel 5 mm Innensilikatfarbe weiß Zweischeiben-Wärme-/Sonnenschutzverglasung, Ug = 1,10 W/m2K in Kunststoffrahmen
2 2
1
1
2
42
Projektbeispiel 01
Büro- und Geschäftsgebäude Welfenstraße
43
02 Louis Hotel am Viktualienmarkt
Die am Münchner Viktualienmarkt gelegene Verwaltungszentrale einer Versicherung wurde im Auftrag der Firma Kustermann zum Boutique-Hotel mit Ladenpassage umgewandelt. Die Fassaden und öffentlichen Bereiche des Hotels, der Passage sowie eines bestehenden Ärztehauses sind hierfür neu entwickelt worden. Die Schwierigkeit bestand darin, einen Bezug zur Altstadt zu finden, ohne die Anforderungen des modernen Bauens zu vernachlässigen. Das Ergebnis ist eine Neuinterpretation unterschiedlicher Münchner Bautraditionen: des Barocks und der Wiederaufbauarchitektur der 1950er-Jahre. Diese Stile sind augenfällig durch die beiden unmittelbar benachbarten Gebäude am Rindermarkt, das zu Münchens ältester Kirchengemeinde gehörige Pfarrhaus der Peterskirche und das Kaufhaus Kustermann, repräsentiert. Das architektonische Konzept verschränkt beide Stilrichtungen, am eindeutigsten an der Südostfassade des Hotels. Um auf nutzungsspezifische Anforderungen zu reagieren, wurde der vorhandene Skelettbau hier in eine Lochfassade uminterpretiert. Signifikantes Zeichen ist ein die Fassade bestimmendes Relief, welches zwischen vierachsigem Bestand und nun fünfachsiger Raumorganisation vermittelt. Hohe Lettern ziehen sich als Putzrelief von der dritten bis zur fünften Etage vertikal über die Hauswand. Sie bilden das Wort »Hotel« und geben so weithin sichtbar Auskunft über die Nutzung des Gebäudes. Die regelmäßige Anordnung der raumhohen Fenster mit französischen Balkonen verleiht der Fassade eine moderne Anmutung. Zugleich sorgen Stuckprofile um die Fensteröffnungen für barocke Bewegtheit. Die Anordnung der
44
Projektbeispiel 02
profilierten Fassadenelemente wirkt zunächst ungewöhnlich, folgt aber der Logik des Wärmedämmverbundsystems, das relativ empfindlich auf waagrechte Vorsprünge reagiert. Indem bekannte Elemente neu platziert werden, wird eine Kontinuität der Ikonografie bei gleichzeitiger Weiterentwicklung des klassischen Formenvokabulars angestrebt. Schrift und profilierte Laibungen übertragen Elemente der vornehmen Fassadenkultur vergangener Epochen ins Zeitalter des Wärmedämmverbundsystems. Die architektonischen Mittel lassen so Zweifel an der zeitlichen Einordnung des Gebäudes aufkommen.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Tragwerksplaner: Bauherr:
Nina Großhauser Baresel GmbH Grundbesitz- und Verwaltungsgesellschaft Viktualienmarkt 6 mbH Hotel und Restaurant Viktualienmarkt 6, München 2009 Stahlbeton, Stahlbetonskelett ausgemauert 280 m2 Kratzputz
Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion:
Fassadenfläche: Oberfläche:
a
aa 1
9 2 3
4
4 10 5
4 3
4
11
10
4 Schnitt • Grundrisse Maßstab 1:800
6 7
10
10
10
8
10
10
10
1 Eingang Viktualienmarktpassage 2 Eingang Ärztehaus 3 Viktualienmarktpassage 4 Laden 5 Innenhof 6 Restaurant 7 Eingang Louis Hotel 8 Hotellobby 9 Arztpraxis 10 Hotelzimmer 11 Luftraum
a
Louis Hotel am Viktualienmarkt
45
1
2
Vertikalschnitt • Horizontalschnitt Maßstab 1:10 1
2 3 4 5 6
Kratzputz Körnung 2–3 mm 20 mm Wämedämmung Polystyrol-Hartschaum (WLG 035) 100 mm Mauerwerk 425 mm Putz 15 mm Putzträgerplatte verklebt 10 mm Fassadenprofil Leichtbaustoff verklebt, gestrichen Markisenkasten Aluminiumblech gekantet 3 mm Sonnenschutz Fallarmmarkise Isolierverglasung Ug = 0,8 W/m2K in Holzrahmen Meranti
3
7 Flachstahl ¡ 5/40 mm 8 Stahlstab Ø 12 mm 9 Stahlprofil ∑ 50/5 mm mit Stahlrahmen verschweißt 10 Bohle Holz 25 mm auf Rahmen aus Stahlprofil ∑ 50/5 mm geschweißt 11 Podestträger Stahlprofil | 50/3 mm 12 Brüstungsstufe Eiche 40 mm 13 Parkett Eiche geölt 20 mm Zementestrich 50 mm, PE-Folie Trittschalldämmung 20 mm Ausgleichsdämmung 30 mm Rippendecke Stahlbeton (Bestand) 14 Führungsschiene Markise befestigt an Aluminiumprofil ∑ 40/40/2 mm
3 3 4
5
6
7
8
10 9
12 11
13
46
Projektbeispiel 02
6
3
14
3
1
8
9
Louis Hotel am Viktualienmarkt
47
03 Viktualienmarktpassage
Am Viktualienmarkt liegt der Eingang zur Viktualienmarktpassage im Erdgeschoss des Louis Hotels und bildet somit eine öffentlich zugängliche Verbindung hin zum Rindermarkt. Hier mündet sie in das Foyer eines bestehenden Ärztehauses. Wie die zugehörige Fassade des Hotels, so wurden auch die Wände in der Passage als Lochfassade mit bewegter Rustika gestaltet, die zum raumbildenden Element werden; der öffentliche Durchgang wirkt wie eine mediterrane Gasse. Die Oberflächen sind geprägt durch ein Relief von zueinander versetzten, wellenförmig modulierten Elementen mit feinen Profilierungen. Horizontale Flächen sind zum Schutz des verwendeten Wärmedämmverbundsystems mit brüniertem Aluminium verkleidet. Im Sockelbereich verbirgt die Modulierung der Dämmung aus stoßfestem Glasschaum die notwendigen Rohrführungen. Mit der Rustizierung wird ein bekanntes Stilmittel aufgenommen und neu interpretiert, das schon das Gesicht des benachbarten Stammhauses der Firma Kustermann prägt. Die Faltung der Oberfläche ermöglicht es auf Unregelmäßigkeiten des Bestands zu reagieren.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Tragwerksplaner: Bauherr:
Nina Großhauser Baresel GmbH Grundbesitz- und Verwaltungsgesellschaft Viktualienmarkt 6 mbH Ladenpassage Viktualienmarkt 6 / Rindermarkt 2, München 2009 Stahlbeton / Mauerwerk 1440 m2 Putzträgerplatte, Fassadenputz gefilzt
Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
48
Projektbeispiel 03
1
2 3
Vertikalschnitt • Horizontalschnitt Maßstab 1:10
Kratzputz 20 mm Wämedämmung, Polystyrol-Hartschaum, (WLG 035) 100 mm Stahlbetonfertigteil (Bestand) 485 mm Putz 15 mm Putzträgerplatte verklebt 10 mm Fassadenprofil Leichtbaustoff verklebt, gestrichen
4 Sonnenschutzkasten Aluminiumblech gekantet 3 mm 5 Sonnenschutz Jalousie 6 Isolierverglasung, Ug = 1,2 W/m2K in Holzrahmen Meranti 7 Befestigung der Jalousieführung 8 Flachstahl ¡ 5/120 mm 9 Stahlstab Ø 12 mm 10 Aluminiumblech gekantet 3 mm
1
2
5
3 4
6
7
8
9
6
8 10 8
9 3
1
Viktualienmarktpassage
49
7
5
8 3
2 9
6
5
1
Horizontalschnitt • Vertikalschnitt Maßstab 1:10
1
3
2 3 4
2
2
7 8 9
1 5 4
Abwicklung Fassade Maßstab 1:300
50
5 6
Projektbeispiel 03
6
Putz gefilzt 2 mm Armierung mineralisch 8 mm Putzträgerplatte mineralisch 10 mm Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum, (WLG 035) konisch geschnitten 100 –180 mm Mauerwerk / Stütze Stahlbeton 175 mm Putz 15 mm Fassadenprofil Leichtbaustoff verklebt, gestrichen Isolierverglasung, Ug = 1,2 W/m2K in Aluminiumrahmen Außeneckprofil mineralisch mit Armierung und Putz in Fassade integriert Aluminiumprofil 8 mm Fensterbank Aluminiumprofil 8 mm Zwischenraum zur Fensterprofilentwässerung Sturz Stahlbeton 175 mm Aluminiumprofil 8 mm, Dämmung 4 mm Fensterbank Holz 40 mm
Viktualienmarktpassage
51
04
Treppenturm – Institutsgebäude 0505 Technische Universität München
Im Zuge der Sanierung des 1963 nach Plänen von Franz Hart erbauten Institutsgebäudes musste der bestehende Treppenturm gedämmt werden. Im Kontrast zur lebhaft bewegten Oberfläche des eigentlichen Gebäudes, das im Rahmen der energetischen Ertüchtigung mit einer vorgehängten Klinkerfassade versehen wurde, verfügt der Treppenturm, der das Gebäude vom Innenhof her erschließt, nun über eine glatt verputzte Fassade. Die Sanierung folgt damit der Logik der Gebäudekonstruktion, die in diesem Bereich ohne die für die übrigen Bauteile charakteristischen Stützen und Brüstungen auskommt. Das Wärmedämmverbundsystem umspannt den Bestand wie eine Haut. Diesem Entwurfsgedanken von der körperlichen Präsenz der »Gebäudehaut« folgen auch die bündig in das Wärmedämmverbundsystem eingeputzten Fenster des Treppenturms – eine technische Herausforderung in der Realisation. Sie sind damit das verbindende Element zum Hauptgebäude mit seinen fassadenbündig eingebauten Fenstern.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung:
Henrik Thomä, Beate Brosig, Markus Schubert rb-BauPlanung GmbH Freistaat Bayern, vertreten durch Staatliches Bauamt München 2 Erschließung des Institutsgebäudes Ecke Theresienstraße / Luisenstraße, München 2011 Mauerwerk /Stahlbeton 760 m2 mineralischer Oberputz mit Kratzputzstruktur
Tragwerksplaner: Bauherr:
Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
52
Projektbeispiel 04
Schnitt • Grundriss Maßstab 1:1000 1 2
3 4 5 6 7 8
Versuchshalle der Materialprüfung Seminarraum
Büro Bibliothek Eingang Technik Hörsaal Lager
9 Teeküche 10 Foyer 11 Computerraum 12 Arbeitsplätze für Studenten 10
2
a 3 1
4 6
2
7
7 10
8
8
8
9
5 5 a
11
11
12
Horizontalschnitt • Vertikalschnitt Maßstab 1:10 1
2
Farbanstrich mit Lotus-Effekt Oberputz mineralisch mit Kratzputzstruktur 1,5 mm Zwischenbeschichtung Gewebearmierung, Armiermörtel Wärmedämmung Steinwolle (WLG 040) 100 mm Klebemörtel Ausgleichsputz 10 mm Stahlbeton (Bestand) 175/275 mm Isolierverglasung, Ug = 1,20 W/m2K in Aluminiumrahmen fassadenbündig mit umlaufender Schattenfuge
1 2
1
2
Treppenturm – Institutsgebäude 0505 Technische Universität München
53
05 Wohnbebauung Theresienhöhe
Am südlichen Rand des Neubaugebiets auf der Münchner Theresienhöhe waren die Anteile des sozialen Wohnungsbaus zu realisieren. Die Gebäude sind eine Mischung aus Blockrandbebauung und durch den Städtebau vorgegebenen Punkthäusern: Während an den Grundstücksgrenzen gerade verlaufende Fassaden die Straßenräume klar definieren, entwickelt sich durch die stark gegliederten Hofseiten der versetzten Baukörper ein differenziertes System unterschiedlicher öffentlicher Freiräume, die sich zum südlich gelegenen Park hin öffnen. Die stark gegliederten Baukörperumrisse ermöglichen fast allen Wohnungen Ecklagen oder durchgesteckte Grundrisse. Mit nur zwei Treppenhäusern werden neun Wohneinheiten je Geschoss wirtschaftlich erschlossen. Die Grundrisstypologie zitiert das Interbau-Projekt Alvar Aaltos. Um den zentralen Wohnraum mit seiner Loggia gruppieren sich der Essbereich mit halboffener Küche und die Individualräume. Auch in großen Familienwohnungen sind die Flurflächen minimiert. Übereckverglasungen und eine Staffelung der Fassaden an den Loggien schaffen in vielen Räumen eine mehrseitige Orientierung. Unter Einsatz äußerst spärlicher baulicher Mittel sollte eine maximale Wohnqualität innerhalb der engen Grenzen der Sozialwohnungsförderung erzielt werden. Neben dem Streben nach Langlebigkeit der Baustoffe und deren Energieeffizienz im Betrieb war vor allem der Einbezug der immateriellen und besonders günstigen Baustoffe Licht, Luft und Sonne der wesentliche Faktor zur Entwicklung einer angemessenen Architektur. Dem Bauherrnwunsch folgend wurde eine Betonkonstruktion mit Wärmedämmverbundsystem realisiert. Durch eine unterschiedlich struktu-
54
Projektbeispiel 05
rierte Putzkörnung an den Flanken und Fassadenflächen, die durch verschiedene Farbanstriche hervorgehoben ist, wird die subtile Staffelung der Gebäude in ihre beiden Hauptbelichtungsrichtungen unterstützt. Um das Dämmmaterial vor eindringender Nässe zu schützen, waren waagrechte, der Witterung horizontal ausgesetzte Flächen bei der Fassadenplanung zu vermeiden. Die nach oben hin auskragende Form der Gebäudehaut im Bereich der Loggien – und damit auch die des Gebäudes selbst – ergibt sich aus der Verwendung des Wärmedämmverbundsystems. So gelesen lässt sich das Gebäude als Vorläufer der späteren Projekte mit nach oben hin auskragender Wärmedämmverbundfassade verstehen. Allerdings stand hier der Versuch einer volumetrischen Schichtung der Fassade im Vordergrund. Die Differenzierung der Flächen in Dunkelgrau und Weiß unterstützt diese Schichtung. Es entsteht der Eindruck eines gleichsam aufgefächerten Gebäudes.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Projektpartner: Tragwerksplaner:
Nina Großhauser Tilmann Rohnke Stegerer, Zuber und Partner Client ZF Generalbau- und Grundstücksgesellschaft mbH Heimag München geförderter Wohnungsbau Fritz-Endres-Straße / Johannes-Timm-Straße, München 2003 Stahlbeton 4800 m2 feine Körnung (1,5 mm) an den Unterseiten der Versprünge, grobe Körnung (3 mm) an der Fläche
Bauherr:
Nutzung: Ort:
Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
aa
Schnitt Grundrisse Maßstab 1:1000
1 2 3 4 5
1-Zimmer-Wohnung (36 m2) 3-Zimmer-Wohnung (70 m2) 4-Zimmer-Wohnung (80 m2) 4-Zimmer-Wohnung (85 m2) 4-Zimmer-Wohnung (95 m2)
2 1
5
4
a
3
a
Wohnbebauung Theresienhöhe
55
c
b
d
3
1
b
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2
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bb
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cc
Projektbeispiel 05
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6
Horizontalschnitt • Vertikalschnitte Stirnseite Vertikalschnitt Südfassade mit Loggia Maßstab 1:20
7
8
5
9
10
11
1 Wandaufbau: Putz 20 mm Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum, (WLG 032) 100 mm Stahlbeton 200 mm 2 Isolierverglasung, Ug = 1,3 W/m2K in Holzrahmen 3 Putz 20 mm Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum (WLG 032) 80 mm 4 Wandaufbau: Putz 20 mm Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum (WLG 032) 100 mm Stahlbeton 400 mm 5 Bodenaufbau: Nadelvlies 3 mm Estrich 47 mm Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 25 mm Wärmedämmung 45 mm Stahlbetondecke 200 mm 6 Stahlrohr ¡ 60/40 mm 7 Dachaufbau: Vegetationsschicht 80 –100 mm Schutzmatte 6 mm Trennlage PE-Folie Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum 120 mm Bitumenbahn zweilagig Stahlbetondecke 200 mm 8 Gehwegplatte 300/300/40 mm Splittbett 40 mm Trennlage Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum, (WLG 035) 100 mm Bitumenbahn zweilagig Stahlbetondecke 160 mm 9 Aluminiumblech 1 mm 10 Betonwerkstein 200/200/80 mm Kiesbett 11 Rinne Stahl verzinkt
Wohnbebauung Theresienhöhe
57
06
Büro- und Wohngebäude Am Tucherpark
Zwischen dem Englischen Garten und dem Eisbach entsteht ein pagodenartiges Büround Wohnensemble. Geräumige Terrassen, umlaufende Balkone, hochwertige Materialien und Details prägen das Erscheinungsbild. Der Bau ersetzt ein ebenfalls pagodenartiges Terrassenhaus, das 1973 von der Landeszentralbank als EDV-Zentrum erbaut worden war. Das Bürogebäude markiert repräsentativ die Adresse Sederanger 3 an der Hauptzufahrt. Das rückwärtig erschlossene Wohngebäude steht im rechten Winkel dazu und ist durch zwei Dachgärten mit Ersterem verbunden. Bezeichnend für die Baukörper sind die Geschossabstufung und Terrassierung des
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Tragwerksplaner:
Matthias Haber Ingenieurbüro für Bauwesen Ulrich Sechser HOCHTIEF Projektentwicklung GmbH Niederlassung Bayern Eigentumswohnungen und Büros Am Tucherpark, München 2014 Stahlbetonskelett 7000 m2 Tivoli Garden – Naturstein (Travertin grob geschliffen, Sellenberger/ Kirchheimer Muschelkalk, gebrochene Oberfläche) Tivoli Office – Naturstein (Travertin grob geschliffen, Sellenberger/ Kirchheimer Muschelkalk fein geschnitten)
Bauherr:
Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
58
Projektbeispiel 06
Wohngebäudes, dessen Balkone umlaufend mit den Deckenscheibenverblendungen des Bürogebäudes korrespondieren. Wie die Balkone sind diese als profilierte Kunststeinfertigteile ausgeführt. Diese horizontale Schichtung fügt das Gebäude einerseits ins Ensemble ein. Andererseits wird der Besonderheit eines Büro- und Wohngebäudes in diesem von Verwaltungsbauten geprägten Areal durch die Verwendung von Naturstein und Beton anstelle der ortsüblichen »leichten« Materialien Rechnung getragen. Das Erscheinungsbild der Wärmedämmverbundfassaden wird daher durch stark kontrastierende Natursteinverblendungen und
großzügige Verglasungsflächen geprägt. Im Bereich der Stützen bilden dunkle und helle Natursteinplatten ein Muster, das in der Technik seiner Verlegung jeden Anklang an massiven Stein bewusst vermeidet. Als Fortführung der Stützenverblendung werden die Wandscheiben hinter den Balkonen und im Erdgeschoss auch auf der Fläche mit Naturstein verkleidet. Die restlichen Wandbereiche und die Untersichten erhalten eine glatte Putzoberfläche, deren Farbigkeit mit den Natursteinplatten abgestimmt wird. So entsteht ein hybrides Gebäude, das in einen Dialog mit der Umgebung und ihrer Typologie der geschichteten Bauten eintritt.
5
1
2
3
4
Vertikalschnitt Maßstab 1:20
3 4 5
1
2
Balkontrennwand: Rahmen Stahlprofil ∑ Sichtschutz Glas satiniert Betonwerkstein geschliffen 525/525/40 mm
Stahlbetonfertigteil Oberfläche gesäuert und hydrophobiert Bewehrungsanschluss wärmegedämmt Wandaufbau: Wandverkleidung Naturstein, glatte und gebrochene Oberfläche 8 mm Wärmedämmung EPS (WLG 032) 150 mm Stahlbeton 120 mm
Grundriss (Varianten) Maßstab 1:750
Büro- und Wohngebäude Am Tucherpark
59
07 Wohnbebauung Lohengrinstraße
Am Rande eines neu erschlossenen Wohngebiets im Nordosten Münchens gelegen, ist das Gebäude erheblichen Lärmemissionen von einer benachbarten Tankstelle ausgesetzt. Gemeinsam mit den einzuhaltenden Zimmerorientierungen des geförderten Wohnungsbaus machte dies vor allem die Grundrissgestaltung zur Herausforderung. Die gestaffelte Baukörperform mit teilweise verglasten Loggien schützt die südseitigen Wohnräume vor der Lärmbelästigung, die auf der Gebäuderückseite angeordneten Kinderzimmer sind zusätzlich zur Verbesserung der Belichtungssituation nach Osten gedreht und in den meisten Wohnungen durch Übereckverglasungen erkerähnlich nach zwei Seiten ausgerichtet.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Projektpartner: Tragwerksplaner:
Matthias Haber, Tilmann Rohnke Stegerer, Zuber und Partner GbR Zeitler / Fleischmann München geförderter Wohnungsbau Wesendonkstraße 68 –72, München 2004 Stahlbetonbau 2750 m2 Putz
Bauherr: Nutzung: Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
60
Projektbeispiel 07
Die Wohnzimmer sind um die Loggien herum halboffen und mit den Küchen verbunden, um auch bei sparsamen Raumgrößen einen großzügig wirkenden, mehrseitig orientierten Wohnbereich zu bilden. Die Wohnungen im zurückversetzten Dachgeschoss erhalten durch ihre ebenfalls gestaffelte Anordnung optimal abgeschirmte Terrassenanteile. Das Gebäude ist als Stahlbetonbau errichtet und mit Wärmedämmverbundsystem gedämmt. Die ungedämmten Balkonbrüstungen zeigen die Ebene des Rohbaus, die Konstruktion bleibt so sichtbar und macht den Unterschied von Gebäude-»Knochen« und Thermo-»Haut« deutlich. Der Absatz, der sich im Bereich der ungedämmten Balkone
ergibt, ist baukonstruktiv unbedenklich, da diese getrennt vom übrigen Baukörper neben der Wandkonstruktion stehen und das Wärmedämmverbundsystem nur die Fuge zwischen beiden Bauteilen überdeckt. Dennoch mussten für den jeweiligen Übergang von gedämmtem zu ungedämmtem Bauteil eine Vielzahl von Details entwickelt werden. Die Fassade ist technisch seriell aufgebaut. Die scheinbar unterschiedlichen Öffnungsgrößen der Fenster bzw. der Aussparungen im Beton zeigen den Auftrag der Wärmedämmung und verdeutlichen so zusätzlich die konstruktive Systematik. Besonders im Bereich der verglasten Loggien wird dies deutlich. Insofern reflektiert die Fassade ihren eigenen Aufbau.
1 2
3 3 3 2
aa
3
4 Grundrisse Schnitt Maßstab 1:750
a 3. Obergeschoss 1 4
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1-Zimmer-Wohnung 2-Zimmer-Wohnung 3-Zimmer-Wohnung 4-Zimmer-Wohnung
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1. Obergeschoss
Wohnbebauung Lohengrinstraße
61
Vertikalschnitte • Horizontalschnitt Maßstab 1:20 1
1
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62
Projektbeispiel 07
Wandaufbau: Fassadenfarbe Oberputz Körnung 3 mm Glasfasergewebe Armierungsputz organisch 3 mm Klebeschaum Polyurethan Wärmedämmung Polystyrol-Hartschaum (WLG 032) 100 mm Stahlbeton 200 mm Spritzputzspachtel 5 mm
2
3
4 5
Innensilikatfarbe weiß Fenster: Zweischeiben-Wärme- /Sonnenschutzverglasung, Ug = 1,10 W/m2K in Kunststoffrahmen Bodenaufbau: Parkett 12 mm Estrich 45,5 mm Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 15 mm Wärmedämmung Polystyrol 50 mm Bewehrungsanschluss wärmegedämmt Stahlbeton 200 mm
1
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1
5 4
Wohnbebauung Lohengrinstraße
63
08 Wohnbebauung Helsinkistraße
Die Stadterweiterung im Osten Münchens auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens ist als familienfreundliche, großräumige Neubausiedlung mit hohem Freizeitwert in einer Blockrandbebauung konzipiert. Das Gebäude steht am südlichen Rand eines großen Landschaftsparks und verfügt im Erdgeschoss über eine integrierte Kindertagesstätte, deren Gruppenräume zur südlich gelegenen Freispielfläche orientiert sind. Die Gebäudestruktur mit tragenden Außenwänden und Mitteltragwand erlaubt eine freie Grundrisseinteilung sowohl für die Kindertagesstätte als auch für die darüber liegenden geförderten Mietwohnungen. Das flexible Konstruktionssystem mit nichttragenden Querwänden erlaubt variable Kombinationen von 2- bis 5-Zimmer-Wohnungen, die zum Großteil durchgesteckte Wohn-, Essund Küchenbereiche sowie minimierte Flurflächen aufweisen. An den Süd- und Westseiten besitzen die vorwiegend zweiseitig orientierten Wohnungen durchgehende
64
Projektbeispiel 08
Balkone, deren zwei Meter tiefer Hauptbereich vor dem Wohnzimmer durch schmälere Stegzonen zusätzlich von den anderen Zimmern aus erreichbar ist. Die Balkonstruktur ist aus der Absicht abgeleitet, allen Wohnungen und Aufenthaltsräumen direkte Außenbezüge zum Landschaftspark zu geben, und prägt so das Fassadenbild der Anlage. Das verwendete konventionelle Wärmedämmverbundsystem der Gebäudehülle ist einheitlich in hellem Grün gehalten. Im Bereich der ebenerdig gelegenen Kindertagesstätte ist es mit kleinformatigen Steinzeugfliesen belegt. Dies erhöht zum einen die Widerstandsfähigkeit des Sockelbereichs und zum anderen macht es die vom Wohngebäude differierende Funktion der dahinter liegenden Räume ablesbar. Die Kombination von Putz und kleinteiligen Steinzeugelementen ermöglicht es hier, die Fassade mit ihrer vollständig unregelmäßigen, spielerischen Befensterung im Erdgeschoss zu verkleiden, ohne die Fliesen schneiden zu müssen.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Projektpartner: Tragwerksplaner:
Carmen Wolf Tilmann Rohnke Stegerer, Zuber und Partner ZF Baumanagement & Consulting GmbH geförderter Wohnungsbau, Kindertagesstätte Helsinkistraße 45 – 49, Stockholmstraße 12 –14, München 2004 Stahlbeton / Mauerwerk 5650 m2 Putzoberfläche, im Bereich der KiTa wurde das WDVS mit kleinformatigen Steinzeugfliesen belegt
Bauherr: Nutzung: Ort:
Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
Ansicht Ost Grundrisse Maßstab 1:1000 1 2 3 4 5
13
13
13 11
Eingang Kindergartengruppe 1 Kindergartengruppe 2 Werkraum Hort
6 7 8 9 10 11 12 13 14
Hausaufgabenraum Garderobe Büro Mehrzweckraum Küche 4-Zimmer-Wohnung 2-Zimmer-Wohnung 3-Zimmer-Wohnung 5-Zimmer-Wohnung
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8 10
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7
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Wohnbebauung Helsinkistraße
65
1
Vertikalschnitte Westfassade • Ostfassade Horizontalschnitt Maßstab 1:20 1 2 3
4
5
66
Stahlbetonfertigteil Isolierverglasung, Ug = 1,3 W/m2K in Holzrahmen Bodenaufbau: Stabparkett 12 mm Estrich 45,5 mm Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 15 mm Wärmedämmung Polystyrol 50 mm 1 Wandaufbau Obergeschosse: Putz 10 mm Armierungsschicht Glasfasergewebe Wärmedämmung Polystyrol (WLG 035) 80 mm Klebemasse Mauerwerk Ziegel 240 mm Innenputz gestrichen 5 mm Wandaufbau KiTa: Mosaikfliese Steinzeug 5 mm Putz 10 mm Armierungsschicht Glasfasergewebe Wärmedämmung Polystyrol (WLG 035) 80 mm Klebemasse Stahlbeton gespachtelt gestrichen 200 mm
Projektbeispiel 08
2
3
4
5
2
3
4
4
Wohnbebauung Helsinkistraße
67
09
BFTS – Bayerisches Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft
Das Institut der TU München befindet sich in unmittelbarer Nähe zu den ehemaligen Olympiaanlagen und wurde als Erweiterungsbau der sportwissenschaftlichen Fakultät angelegt. Es beherbergt hochspezialisierte Labors und mehrere Lehrstühle. Mit begrenztem und zudem schrittweise noch während der Bauphasen reduziertem Budget war ein kostengünstiges Gebäude für diverse Seminarräume, Büros, chemische und biologische Labors, eine Tierversuchsstation und ein Rundfunk- und Fernsehstudio zu errichten. Das weitgehend als Stahlbetonfertigteilkonstruktion errichtete Bauwerk verfügt über einen 50 m langen Mittelbau, der zwischen den beiden Kopfbauten mit den notwendigen Verkehrsflächen liegt. Dieser Mittelbau wird
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung:
Matthias Haber, Sandra Räder IB Herschmann GmbH & Co. KG Freistaat Bayern, vertreten durch Staatliches Bauamt München 2 Institutsgebäude mit Seminarräumen, Büros, chemischen und biologischen Laboren, einer Tierversuchsstation und einem Rundfunk- und Fernsehstudio Connollystraße 32, München 2004 Kopfbauten Ortbeton, Mitteltrakt Betonfertigteile 2400 m2 mineralische Leichtputzoberfläche mit Farblasur
Tragwerksplaner: Bauherr:
Nutzung:
Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
68
Projektbeispiel 09
von wenigen Stützen getragen, zwischen denen die vertikalen Hauptversorgungstrassen verlaufen. Zusammen mit einem engmaschigen Fassadenraster ist eine maximale Flexibilität der Grundrisse möglich. Dieses das gesamte Gebäude prägende Raster bestimmt die Lochfassade des Massivbaus, der durch ein fugenloses Wärmedämmverbundsystem den Niedrigenergiehaus-Standard nach EnEV 2002 erfüllt. Die Varianz der Fassade entsteht ausschließlich durch zwei Fensterformate, welche die unterschiedliche Geschossigkeit des Hauses abbilden und über einen mehrlagigen Farbauftrag optisch zu einem Gewebe zusammengefasst werden. Diese textile Wirkung entsteht zum einen über die dünnen Lasurschichten, die durch ihre Überlagerung an den
Kreuzungspunkten an Farbintensität gewinnen, und zum anderen über deren Transparenz, durch die die fein gekörnte Putzstruktur durchschimmert. Die Thematisierung der »Dünne« ist ein Verweis auf die grundlegende Frage, welche Bedeutung der Materialität bei der Verwendung von Wärmedämmverbundsystemen überhaupt zukommen könnte. Dem Mangel an finanziellen Mitteln begegneten die Architekten mit einer Strategie, die der Zeit des Wiederaufbaues entliehen ist: Aufund Ausmalungen unterstützen Gestaltung, Ausdruck und Bedeutung der Architektur. Um das Institutsgebäude in seine Umgebung einzupassen, nimmt das Farbkonzept die Grüntöne der weitflächigen Sportanlage und des Olympiageländes auf.
Schnitte • Grundrisse Maßstab 1:500 1 2 3 4 5 6 7 8
Eingang Foyer Labor Abstellraum Umkleideräume Anlieferung Seminarraum Technik
8 3
3 8
7
2. Obergeschoss
aa
a
b
3
3
3
3
6 2 4
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5
4 1
a bb
b
Erdgeschoss
BFTS – Bayerisches Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft
69
1 Vertikalschnitt Maßstab 1:20 1
2 3
4 5
6
7
Abdeckung Attika: Aluminiumblech pulverbeschichtet 2 mm Holzwerkstoff 40 mm Wärmedämmung 100 mm Brüstung Attika Stahlbeton 180 mm Randbereich: Kies Dachaufbau: Vegetationsschicht 80 mm Filtervlies, Dränage mit Speicherschutzmatte 30 – 50 mm Wurzelschutzbahn, Trennlage Gefälledämmung Steinwolle 60 mm Wärmedämmung Steinwolle 180 mm Dampfsperre Stahlbeton 275 mm Isolierverglasung, Ug = 1,2 W/m2K in Fensterrahmen Metall Bodenaufbau Bürogeschoss: Nadelfilz 7 mm Estrich schwimmend 93 mm Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 20 mm Stahlbeton 275 mm Wandaufbau: Lasuranstrich Wärmedämmung (WLG 035), geklebt 120 mm Sichtbeton 250 mm Bodenaufbau Sportlabor: Sportboden mischelastisch 16 mm Kunststoffmatrix 0,5 mm Glasrovinggewebe 0,5 mm Elastikschicht 11 mm Estrich bewehrt 64 mm Trennlage PE-Folie Trittschalldämmung 2≈ 20 mm Stahlbeton 200 mm
2
4
6
5
7
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Projektbeispiel 09
3
BFTS – Bayerisches Forschungs- und Technologiezentrum für Sportwissenschaft
71
10
Bürogebäude Ismaninger Straße
Seit den 1970er-Jahren nutzt der Bayerische Landtag das Gebäude in der Ismaninger Straße in München, unweit des Maximilianeums. Es besteht aus einem Altbau, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde, und zwei neueren Anbauten. Nach mehr als 30 Nutzungsjahren entsprechen die Räume und die innere Gebäudeerschließung nicht mehr den heutigen Anforderungen. Dies gibt den Anlass für die Umbaumaßnahmen, die auch die gewünschte Barrierefreiheit sicherstellen sollen. Nach der Gesamtsanierung stehen im Gebäude 40 Abgeordnetenbüros sowie drei Besprechungsräume zur Verfügung.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung: Bauleitung:
Markus Schubert BM.C Baumanagement GmbH Bracher Bock Ingenieure Bayerischer Landtag, vertreten durch Staatliches Bauamt München 2 Büros und Besprechungsräume für Abgeordnete des Bayerischen Landtags Ismaninger Straße 9, München 2013 Ziegelmauerwerk 780 m2 Oberputz SilikonharzDekorputz mit Kratzputzstruktur
Tragwerksplaner: Bauherr:
Nutzung:
Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
72
Projektbeispiel 10
Hohe Ansprüche werden vor allem an die energetische Ertüchtigung gestellt: Vorgabe ist es, die Anforderungen an die Gebäudehülle sowie den Primärenergiebedarfswert gegenüber der EnEV 2009 um mindestens 30 % zu unterschreiten. Dieses ehrgeizige Ziel wird durch eine neue Außendämmung in Form eines Wärmedämmverbundsystems, den Austausch aller Fenster und die Verwendung von Fernwärme erreicht. Da sich das Gebäude in unmittelbarer Nähe zu denkmalgeschützten Gebäuden befindet, bestehen besondere Anforderungen an die Gestaltung der neuen Außendämmung. Aus energetischer Notwendigkeit nimmt die Dämmstärke nach oben hin geschossweise
zu. Der Entwurf gewinnt dieser Vorgabe ein formales Prinzip ab: Das Relief wurde so entwickelt, dass es stimmig auf die geschossweise Gliederung eingehen kann. Zugleich gilt es wie im Falle des Büro- und Geschäftshauses Welfenstraße (s. S. 40ff.), waagrechte Flächen, auf denen sich Wasser sammeln und das Dämmmaterial angreifen könnte, zu vermeiden. Insofern geht es auch hier um die Entwicklung eines ästhetischen Umgangs mit konstruktiven Begebenheiten. Durch eine moderne, zeitgemäße Umsetzung traditioneller Putzstrukturen gewinnt das Abgeordnetenhaus in der Ismaningerstraße neue Stärke innerhalb des architektonischen Kontexts.
3
3
1
2
Schnitt Grundriss Maßstab 1:500
a
1 2 3
Besprechungsraum Teeküche Büro
1
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a
Bürogebäude Ismaninger Straße
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Vertikalschnitt Maßstab 1:20 1
Wandaufbau: Farbanstrich Silikonharz Oberputz Silikonharz mit Kratzputz- / Kammstruktur 3 mm Grundputz Silikonharz Armiermörtel Wärmedämmung Polystyrol (WLG 032) 120 – 240 mm
2
3 4
1
Klebemörtel Ausgleichsputz 25 mm Bestandsmauerwerk Ziegel 500 –700 mm Dreifachverglasung, Ug = 0,50 W/m2K in Holzrahmen Fichte deckend weiß gestrichen Titanzink vorbewittert »schiefergrau« 0,8 mm MDF deckend weiß 22 mm
2
4 3
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Projektbeispiel 10
Bürogebäude Ismaninger Straße
75
11
Revitalisierung Bikini Berlin
In den 1950er-Jahren von den Architekten Paul Schwebes und Hans Schoszberger erbaut, ist das am Berliner Zoobogen gelegene sogenannte Bikinihaus eine Ikone des Wiederaufbaus. Im Zuge der Revitalisierung des gesamten Areals, die wesentliche Elemente der vorgefundenen Architektur zeitgemäß in Szene setzen soll, wird Bikini Berlin Restaurants, Hotel und Apartments, Büros, ausgefallene Läden und Kinos beherbergen. Hild und K Architekten überarbeiten den Entwurf des belgischen Designers Arne Quinze. Das Büro ist damit – neben der Innenarchitektur des Gebäudes – für die Gesamterscheinung der rekonstruierten Fassaden sowie für die Gestaltung der Neubaufassa-
76
Projektbeispiel 11
den verantwortlich. Der Umbau bringt es mit sich, dass eine Reihe von geschichtsträchtigen Konstruktionen und Materialien ersetzt werden müssen, so zum Beispiel die durchgefärbten Glaspaneele der alten Bürohausfassade. Um ein Stück der Authentizität in den neuen Bauzustand zu retten und damit Kontinuität herzustellen, werden nicht mehr benötigte Elemente des Gebäudes geschreddert und als Zuschlagstoff im Putz verwendet. In einer plastisch »gefalteten« Putzgliederung, deren Elemente sich schuppenförmig überlagern, führen die alten Baustoffe ein neues Leben. Es entstehen Assoziationen, die zwischen der neuen Nutzung und dem alten Bestand vermitteln.
Projektbeteiligte
Gebäudedaten
Projektleitung:
Ulrike Muckermann, Jan Schneidewind GuD Planungsgesellschaft für Ingenieurbau mbH, WTM Engineers Bayerische Hausbau GmbH Restaurants, Hotel, Wohnen, Büros, Einzelhandel und Kinos Budapester Straße, Berlin 2013 Stahlbetonskelett 5020 m2 Nordfassade: organischer Oberputz mit Kratzputzstruktur und Farbanstrich Südfassade: organischer Oberputz mit Kratzputzstruktur und Einstreu (Glasgranulat /»Berliner Platte«)
Tragwerksplaner:
Bauherr: Nutzung:
Ort: Fertigstellung: Konstruktion: Fassadenfläche: Oberfläche:
Ausschnitt Ansicht Südfassade Maßstab 1:500 Die Entwurfsentwicklung der Fassade erfolgte in drei Schritten. Ausgangslage waren zunächst horizontale Bänder in drei verschiedenen Höhen (800/1000/1200 mm), angeordnet in einer gegenläufigen Welle (Amplitude von 6 m, Auslenkung 50 mm). Im nächsten Schritt wurde die Amplitude jeweils um ein Viertel des Amplitudenmaßes, also um 1,5 m, versetzt. Eine Neigung aller vertikalen Flächen führte im letzten Schritt schließlich zur Herstellung eines durchgängigen Tropfkantenüberstands und damit zum endgültigen Entwurf. Horizontal- und Vertilkalschnitte sowie Ansicht des letzten Entwurfsstands Maßstab 1:50
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dd
a
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Revitalisierung Bikini Berlin
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A
C B
B
A
C D
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Abb. oben (von links nach rechts): denkmalgeschützte Südfassade mit durchgefärbten Glaspaneelen als Brüstungselemente; scharfkantige Bruchstücke der Glasplatten; die zu einem Granulat geschliffenen Bruchstücke mit einer Körnung von 2 bis 3 mm werden in Handarbeit mithilfe einer Trichterpistole auf den noch feuchten Oberputz aufgetragen und zu etwa zwei Dritteln eingedrückt Abb. Mitte: Axonometrie einer Gebäudeecke und der einzelnen Wärmedämmelemente, die werkseitig aus herkömmlichen Dämmstoffplatten zugeschnitten werden Abb. unten: Musterfassade mit zwei verschiedenen Oberflächen: Glasgranulat an der Faltfassade, »Berliner Platte« als Einstreu im Sockelbereich
78
Projektbeispiel 11
E
Südfassade Vertikalschnitt • Horizontalschnitt Maßstab 1:20 1
2 3
4
Glasgranulateinstreu (recycelte Glasplatten) Körnung 2 – 3 mm Oberputz organisch Körnung 3 mm mit Kratzputzstruktur 3 mm Unterputz mit Armierungsgewebe 4 mm Wärmedämmung EPS (WLG 035) 120 – 220 mm, Außenflächen geneigt Kleber 10 mm Stahlbeton 200 mm Gewebewinkel Endbeschichtung Splitt (»Berliner Platte«), Körnung 2 – 3 mm Oberputz organisch Körnung 3 mm mit Kratzputzstruktur 3 mm Unterputz mit Armierungsgewebe 4 mm Wärmedämmung XPS (WLG 035) 120 mm Abdichtung Spachtelmasse organisch 10 mm Stahlbeton 200 mm Betonwerksteinplatte »Berliner Platte« 50 mm
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1
1
2
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3 4
Revitalisierung Bikini Berlin
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1
Vertikalschnitt Maßstab 1:20 1 2
3 4
Abdeckung Attika: Aluminiumblech 3 mm Wandaufbau: Oberputz organisch Körnung 2 mm mit Farbanstrich 2 mm Unterputz mit Armierungsgewebe 4 mm Wärmedämmung EPS (WLG 035) 120 –220 mm, Außenflächen geneigt Kleber 10 mm Stahlbeton 250 mm Festverglasung: Wärmeschutzverglasung, Ug = 1,0 W/m2K in Stahlrahmen mit Deckleisten Aluminium beschichtet Abdichtung Spachtelmasse organisch 10 mm Wärmedämmung XPS (WLG 035) 120 mm Stahlbeton 400 mm
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Projektbeispiel 11
Revitalisierung Bikini Berlin
81
FORMFINDUNG
Angesichts klimatischer Veränderungen und den daraus resultierenden Ansprüchen an Gebäude müssen sich Architekten daran messen lassen, ob sie in der Lage sind, auf die geänderten Bedingungen mit wirtschaftlich, ästhetisch und technisch angemessenen Lösungen zu reagieren. Unter den gegebenen politischen Rahmenbedingungen erscheint die Dämmung durch ein Wärmedämmverbundsystem derzeit als günstige (wenn auch nicht als einzige) Möglichkeit zur Einsparung von Gebäudeenergie – bei seinem Einsatz werden aber leider allzu oft die gestalterischen und denkmalpflegerischen Aspekte vernachlässigt. Hild und K setzen sich daher seit einiger Zeit mit Varianten zu einer diesem System angemessenen Ästhetik auseinander. Der Formfindungsprozess basiert dabei auf den unterschiedlichsten Ansätzen – von
der Reaktion auf den städtebaulichen Kontext bis zur Auseinandersetzung mit historischen Vorbildern und Vorlagen, wie die im Folgenden vorgestellten Wettbewerbsbeiträge zeigen. Die theoretische Auseinandersetzung des Büros nicht nur mit den bauphysikalischen und technischen Fragen, sondern vor allem auch mit kulturellen und ästhetischen Gesichtspunkten zur Frage nach Verwendung und Form vermittelt der Briefwechsel zwischen Andreas Hild und Thomas Will. Als eine Antwort, welche ihm eigene Gestalt WDVS annehmen kann, ist das Forschungsprojekt »Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren« zu verstehen, das nichts weniger versucht, als die Funktion des Wärmedämmverbundsystems innerhalb der Form der Fassade zu vermitteln.
01 Schwabinger Tor – M10
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02 Geschäftshaus Augustenkarree – Karlstraße 47 a
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03 Schwabinger Tor – S30_40
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Diskussion 03: Theorie und Realität
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04 Forschungsprojekt WDVS: Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren
Formfindung
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01 Schwabinger Tor – M10
Das städtebauliche Konzept des Schwabinger Tors beinhaltet eine Komposition aus großen Volumen, die auf Bezüge des städtischen Kontexts ebenso reagieren wie auf den jeweiligen Bau gegenüber. Ein Teil des Gebäudes M10 bildet den östlichen Abschluss des zentralen Platzes und ist damit von besonderer Bedeutung für die räumliche Wirkung des gesamten Quartiers. Das Gebäude ist exponiert genug, um auf die grundsätzlich unterschiedlichen Orientierungen und Nutzungen (Wohnen und Arbeiten) entsprechend sensibel zu reagieren. Ludwigstraße bzw. Leopoldstraße, die ausgehend vom Odeonsplatz zum Neubaugebiet »Schwabinger Tor« führen, stellen sich als eine Folge von großen verputzten oder mit Stein verkleideten Volumen aus den unterschiedlichsten Epochen dar. Diese Stadthäuser mit ihren Reliefs und ihrer Materialität
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Formfindung 01
machen deutlich, wie sich große, einzeln stehende Gebäude in ein Gesamtes einbinden lassen, ohne ihre Individualität zu verlieren. Die Frage, ob man sich für den günstigeren Putz oder den teuren Naturstein entscheiden sollte, hat vermutlich bereits ihre Erbauer bewegt. Doch handelt es sich dabei tatsächlich um unvereinbare Alternativen? Einige der Gebäude der Prachtstraße, wie beispielsweise das Leuchtenberg-Palais (Abb. oben Mitte), weisen ein raffiniertes Spiel zwischen geputzten Oberflächen und Steinverkleidungen auf. Der Entwurf für das Gebäude M10 orientiert sich an diesen Vorbildern. Der Baukörper ist in zwei Bereiche unterteilt: Der dem Platz zugewandte Teil beherbergt Wohnungen, der Teil gegenüber dem Hotel Büroflächen. Der Wohnbereich entwickelt sein Volumen zum Platz hin und begrenzt diesen im Osten. Dieser städtebaulich markanten Position wird in der Gestaltung Rech-
nung getragen. Auf einem steinernen Sockel stehend, ist die hochwertige Natursteinfassade ähnlich einer Inkrustation ausgebildet (Abb. oben rechts: Fassade der Kathedrale Santa Maria del Fiore, Florenz). Der rückwärtig zum Park orientierte Gebäudeteil hat nicht dieselbe exponierte Bedeutung und tritt hinter dem Park bzw. dem Turm des Hotels zurück, allerdings ohne auch hier auf eine hochwertige Ausformulierung zu verzichten: Die Fassaden sind verputzt und mit steinernen Akzenten strukturiert. Die Kombination der Materialien bietet die Möglichkeit, städtebaulich und wirtschaftlich differenziert zu reagieren. Der Entwurf zeigt sich – abseits der lokalen Einflüsse – inspiriert von den frühmodernen Gebäuden Auguste Perrets (Abb. oben links) und Fernand Pouillons und führt vor, dass moderner Wohnungsbau nicht auf Gliederung und traditionelle Materialität verzichten muss.
Ansicht und Schnitt der vorgehängten Natur-/ Werksteinfassade
Ansicht und Schnitt der Putzfassade mit Natur-/WerksteinFestergewänden
Schwabinger Tor – M10
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Formfindung 02
traß ust ens Aug
Das Augustenkarree stellt eine besondere städtebauliche Herausforderung dar. Die Überlagerung des Rasters der Maxvorstadt mit der Sichtachse der Dachauer Straße bildet einen dreieckigen Platz aus. Der Entwurf des Neubaus besetzt ähnlich wie der Vorgängerbau diese Fläche als Pavillon. Sein Grundriss vermittelt zwischen den verschiedenen städtebaulichen Bezügen. Mit seiner verputzten Lochfassade gliedert sich das sechsgeschossige Gebäude in die umgebende Bebauung ein. Zugleich soll es entsprechend seiner exponierten Lage einen markanten Sichtpunkt darstellen und eine neue Lesart der städtebaulichen Situation vorschlagen. Der sehr kompakte Baukörper hat ein günstiges Verhältnis von Oberfläche zu Volumen (A / V-Verhältnis). Eine massive Konstruktion aus Stahlbeton mit Wärmedämmverbundsystem und einem moderaten Fensteranteil garantiert eine wirtschaftliche Bauweise bei gleichzeitiger Erfüllung energetischer Anforderungen. Durch eine geringe Auskragung an jedem Geschoss wird ein Putzrelief erzeugt, das ohne horizontale, nach oben offen liegende Flächen und die damit verbundenen technischen Schwierigkeiten funktioniert. Zugleich wird mit einer Erkerkonstruktion in der Konsequenz der übereinanderliegenden Schichten ein Bauteil geformt. Das Relief wird auf diese Weise seinerseits zum Volumen und bildet so den Ausgangspunkt für eine Veränderung und Neuakzentuierung des städtischen Raums. Insgesamt zielt der Entwurf darauf ab, ein Gebäude zu erstellen, das sich in die vorgefundenen Strukturen eingliedert. Durch den harmonischen Umgang mit energetischen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Rahmenbedingungen erhält es an diesem Ort ein hohes Maß an Eigenständigkeit.
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Geschäftshaus Augustenkarree – Karlstraße 47 a
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Ansicht Augustenstraße / Ecke Dachauer Straße
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Abb. von oben nach unten: Nordostfassade Karlstraße Südostfassade Augustenstraße Südwestfassade Dachauer Straße
Geschäftshaus Augustenkarree – Karlstraße 47 a
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03 Schwabinger Tor – S30_40
Die Entwürfe der Wohn- und Bürogebäude S30_40 sind – wie auch der Wettbewerbsbeitrag M10 (s. S. 84f.) – in das städtebauliche Konzept des Neubaugebiets »Schwabinger Tor« eingebettet. Ludwigstraße bzw. Leopoldstraße, gesäumt von einer Folge von großen, meist verputzten kubischen Bauten, dienen ebenfalls als Inspiration für die Gestaltung der Fassaden. Die Reliefs, die den historischen Gebäuden ihre Tiefe und ihren Ausdruck verleihen, lassen sich – von stilistischen Bedenken ganz abgesehen – technisch nicht ohne Weiteres in die Gegenwart übertragen, entstünden dabei doch horizontale Flächen, auf die moderne Putzsysteme empfindlich reagieren. Die vorgeschlagenen Fassaden bilden daher weitere Variationen eines Reliefs, das ohne solche Rücksprünge auskommt, indem sich die Fassade je Geschoss um ca. fünf Zentimeter nach vorne entwickelt. Es ergibt sich ein Spiel aus hervortretenden und inversen Faschen, das sich mäandernd über die gesamte Fassade zieht. Aus der technischen Notwendigkeit wird auf diese Weise ein gestalterischer Ansatz. Die relativ breiten Fensterformate lassen nur wenig Fassadenfläche für die Pfeiler zwischen den Öffnungen zur Verfügung. Hierfür wurde ein mineralischer Dickputz als Oberfläche vorgeschlagen, der seine leicht changierende Färbung durch Isarsand als Zuschlagstoff gewinnt und daher ohne Farbanstrich auskommt. Auf dieser Basis wurden zwei verschiedene Gebäude entwickelt, die – bei allen Unterschieden – eine eindeutige Verwandtschaft aufweisen.
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Formfindung 03
Schwabinger Tor – S30_40
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Diskussion 03: Briefwechsel zwischen Andreas Hild und Thomas Will
Theorie und Realität
Woher rührt die vehemente (öffentliche) Ablehnung von WDVS durch die Architekten? Andreas Hild und Thomas Will haben sich auf eine architekturhistorische, soziologische und ideengeschichtliche Spurensuche gemacht.
WDVS – Akzeptanz Andreas Hild: Wärmedämmverbundsysteme sind im Moment ein großes Thema. Dabei sind zwei Aspekte besonders interessant, wie ich meine: Zum einen handelt es sich um eine Architekturdiskussion in einer gesellschaftlichen Breite, die ihresgleichen sucht. Die Debatte geht weit über Fachkreise hinaus. Zum anderen stellen Architekten das WDVS meist negativ dar und bestätigen damit die ablehnende Rezeption in der Öffentlichkeit. Die mehrheitliche Ablehnung der Kollegen ist schon verwunderlich, sind sie es doch, die dieses Material in nachgerade unglaublichen Mengen einsetzen. Warum ist das WDVS also so ausgesprochen verpönt? Das kann doch nicht allein an der viel bemühten Problematik der Entsorgung liegen. Die besteht im Hinblick auf andere Baustoffe ebenso. Für die vehemente Ablehnung gerade von WDVS muss es also Gründe geben, die jenseits der Ökologiedebatte liegen. Thomas Will: Der politische Druck, der hier im Rahmen der Energiewende aufgebaut wird, bedeutet für die Architektur nicht nur schwierige Veränderungen; er kann auch einen epistemischen Wert beinhalten, also Erkenntnis liefern. Die zögerliche Akzeptanz eines neuen Baumaterials ist beispielsweise beim Beton bestens zu beobachten. Er ist
wegen seiner kalten Anmutung in der Öffentlichkeit wenig beliebt, obwohl er nicht kälter ist als Stein. Architekten schätzen ihn allerdings sehr, wohl nicht zuletzt, weil er massiv ist. Den »warmen« Dämmstoff hingegen lehnen sie eher ab. Dass auch die Öffentlichkeit das WDVS so kritisch sieht, glaube ich eher nicht. Die allgemeine Abneigung hängt eher mit der Angst vor der Veränderung des gewohnten Erscheinungsbildes zusammen, die mit dem Einpacken des alten Baubestands einhergeht oder befürchtet wird. Geht es also um »innere Werte « oder doch eher um ein Haltsuchen an gewohnten Bildern? Da sind wir bei einer ersten Unterscheidung, die ich, bevor wir weiter über die Akzeptanz reden, vornehmen möchte: zwischen dem Neubau und dem Nachrüsten im Bestand. Neuentwicklung und Bewahrung sind, auch wenn sie mit demselben Material und ähnlichen technischen Parametern zu tun haben, doch zwei unterschiedliche Felder unseres Metiers. Im Bestand bringt das Verpacken eine ganz andere Problematik mit sich als dort, wo man ohne Rücksicht auf Vorhandenes das Beste aus der Aufgabe machen kann und muss. Da war übrigens das viel gescholtene Werbebild des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) eines Hauses mit Mütze gar nicht schlecht. Darum geht es doch tatsächlich: das Haus warm einzupacken, wie mit einem Pullover, und das dann auch noch gut und richtig aussehen zu lassen. Was für den Altbau eine Verunstaltung darstellen mag, ist für den Neubau eine durchaus logische Herausforderung: eine weitere – bislang durch die Baukonstruktion mit abgedeckte – Gebäudeschicht einzufügen, ohne dass diese all das,
was die Architektur an Ausdruck und Bildhaftigkeit bietet, verschwinden lässt. Also wird kein schlabbriger Pullover, sondern ein gut sitzender Anzug benötigt. Das Verpacken ist jedenfalls ein physikalisch folgerichtiger Gedanke – wie die Kleidung. Und es erfordert genauso eine gewisse Entwicklungszeit, bis das Neue in das Repertoire und die Sprache der Architektur überzeugend integriert wird. Das bedeutet dann vielleicht auch, dass sich die klassischen Koordinaten der Architektur ein wenig verschieben müssen. Das passiert nicht zum ersten Mal. Das Bild der europäischen Dörfer und Städte hat sich durch Veränderungen in der Bautechnik schon mehrfach radikal gewandelt, auch dort, wo die architektonische Kernsubstanz erhalten blieb. Dabei ging es um Verbesserungen beim Komfort, wie bei der Einführung der Kamine oder der Größe und Funktion der Fenster, oder um Risikovermeidung. Vor allem die Anforderungen des Brandschutzes haben das Bild der Städte radikal gewandelt: Der Steinbau hat sich durchgesetzt, giebelständige Häuser wurden durch traufständige abgelöst, Stroh- und Schindeldeckungen durch Ziegeldächer. Auch die Einführung von Regenrinnen und -rohren gehört dazu. Aber kamen diese Veränderungen nicht sukzessive, durch empirische Anpassung der Baumeister an neue Erkenntnisse, ganz anders als bei dem heutigen normierten Druck aus der Energiepolitik? Interessanterweise war das oft auch nicht so. Verbesserungen beim Brandschutz, wie harte Bedachungen und massive Treppen, setzten sich nämlich trotz der regelmäßigen Stadtbrände nicht durch eigene Lernfähigkeit unter den Bauherren durch, sondern sie wurden häufig erst sehr spät durch landesherrliche oder städtische Vorschriften erzwungen.
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Villa Savoye, Poissy-sur-Seine (F) 1931, Le Corbusier Villa Savoye vor der ersten Sanierung mit sichtbarem Mauerwerk
Architektur und Wahrheit Hild: Beim WDVS geht es aber eben um mehr als nur um ein Überzeugen, dass es sinnvoll ist. Ein großes Problem stellt hierbei das Bedürfnis nach einer »Materialechtheit« dar. Mein Eindruck ist, dass der in der Tradition der Moderne ausgebildete Architekt letztlich an die »Schönheit als Abglanz der Wahrheit« glaubt. Damit bekommt die Frage der Ästhetik für ihn einen durch und durch moralischen Charakter. Ein Material muss »echt« sein, damit er es verwenden darf. Innerhalb dieser Debatte gilt also nur der massive Baustoff als akzeptabel. Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dann wird verputztes WDVS niemals die Akzeptanz dieser Generation von Architekten finden. An dieser Tatsache könnten dann die Energieeinsparverordnung oder eine Lösung für die derzeit bestehende Entsorgungsfrage nichts ändern. Will: Zu der Vermutung, es müsse wahr und echt sein, damit es modern ist: Seit William Morris ist das Wahre und Echte eine der Prämissen der modernen Architektur (und zugleich der Denkmalpflege). Die industriellen Materialien waren damit zunächst nicht gemeint, sie galten dem anti-industriellen Arts-and-Crafts-Movement als Surrogate, die das Handwerk und den Geschmack verdarben. Erst im 20. Jahrhundert verschob sich – ganz deutlich natürlich am Bauhaus unter Gropius – die Bedeutung der industriellen Materialien. Sie wurden nun auch »wahr« und » echt«, jedenfalls in bestimmten Ausformungen. Ein Kern der ideologischen und ästhetischen Rolle der »Naturmaterialien« blieb aber erhalten und wurde auch immer wieder im künstlerischen Bereich neu reflektiert, etwa bei Joseph Beuys.
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Diskussion 03
»Mein Eindruck ist, dass der in der Tradition der Moderne ausgebildete Architekt letztlich an die ›Schönheit als Abglanz der Wahrheit‹ glaubt.«
Man kann dahinter die Lehre von der Schönheit als dem Glanz des Wahren (nach Plotin und Augustinus) sehen. Aber warum und wie kommt die Idee dorthin? Vielleicht lässt sich dies evolutionsgeschichtlich erklären: Der Historismus hat sich recht erfolgreich darum bemüht, die konstruktiven Errungenschaften der Industrialisierung hinter klassisch-steinernen Fassaden zu verbergen oder zumindest mit » echtem« architektonischem Zierrat zu veredeln. Ein Zierrat, der freilich selbst bereits industriell-serieller Natur war. Als die mit der Industrialisierung entstandenen Brüche im Bild der Städte auch mit Fassadendekor nicht mehr zu kitten waren, hat die funktionalistische Materialästhetik versucht, damit Schluss zu machen. Sie wollte, im Sinne einer Befreiung von all dem »verlogenen« dekorativen und rhetorischen Ballast, den der Historismus aufgetürmt hatte, zurück zum unverhüllten, konstruktiven Wesenskern, damit auch zum Ursprung der Dinge, vor allem der Architektur. Fassade, Oberfläche, Ornament – der ganze schöne und schützende Mantel des Bauwerks war diskreditiert. Sigfried Giedion ätzte von »Oberflächengekräusel« und »dekorativem Schleim«.1 Der Kern musste freigelegt werden, nackt und ehrlich sollte das Material sich zeigen: Stein, Beton, Stahl, Glas (Abb. S. 92). Die gegen Ornament und Fassade gerichtete »moderne Geschmacksbildung« war auch hygienisch motiviert. Bruno Taut verglich die »Sauberkeit und Glätte des ganzen Hauskörpers« mit der »Tendenz der Körperentwicklung und -pflege, der Hygiene und der Nacktkultur«2 seiner Zeit. Für ihre vielen neuartigen Konstruktionen und Funktionen musste die Moderne völlig neue Bilder, eine andere Sprache entwickeln, und sie hat sich dazu gern an nicht aus der Architektur stammenden Metaphern, wie
Haus Schminke, Löbau (D) 1933, Hans Scharoun
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Gußeisenstützen, Royal Museum, Edinburgh (GB) 1888, Francis Fowke
»Die Ästhetik der klassischen Moderne ist ihrerseits historistisch geworden, wir beobachten […] eine sehnsuchtsvolle Rückschau auf wirklich moderne, ›einfache‹ Zeiten mit werkgerechten, ›echten‹ Konstruktionen und Anmutungen.«
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Diskussion 03
Maschine oder Organismus, orientiert. Auch Dampfer und andere Fahrzeuge waren beliebt (Abb. S. 93) – Pullover dagegen noch nicht! Das war extrem gewöhnungsbedürftig und das ist es zum Teil geblieben. Seit einigen Dekaden hat sich die Lage aber wieder gewandelt. Die Ästhetik der klassischen Moderne ist ihrerseits historistisch geworden, wir beobachten (und pflegen wohl auch selbst) eine sehnsuchtsvolle Rückschau auf wirklich moderne, »einfache« Zeiten mit werkgerechten, »echten« Konstruktionen und Anmutungen. Aber eigentlich geht es heute, in einer Art zweiten Moderne, doch eher um Symbiosen, Ausdifferenzierungen, um den Remix, um Amalgame und Anverwandlungen – um weniger eindeutige, komplexere Lösungen und Wahrheitsbehauptungen. Was heißt das für ein Produkt wie WDVS? Vielleicht, dass die reine Anmutung und das moralische Verdikt des »Unechten« doch nicht im Zentrum des Akzeptanzproblems stehen? Es gibt schließlich noch andere Faktoren, und manche sind nicht so relativ wie »echt« oder »unecht«. Man kann Baustoffe und Konstruktionen nach allem Möglichen bewerten. Schönheit, Dauerhaftigkeit und Stabilität waren schon immer mit dabei, und nun gibt es eben einige relativ neue Aspekte: Dämmfähigkeit, Primärenergiebilanz, Toxizität, Entsorgungsfähigkeit. Sie sind zum Teil recht emotional aufgeladen, können aber dennoch auf Basis handfester Kriterien betrachtet werden. Auch wenn diese Faktoren sich nicht unmittelbar am Bau zeigen oder beurteilen lassen, spielen sie, glaube ich, in der Debatte eine wichtige Rolle und beeinflussen damit die Wirkung und Akzeptanz des WDVS. Da sind wir wieder bei dem klassischen Schönheitsparadigma: Der die Anmutung bestimmende Glanz des Wahren kommt aber nicht per se von
der Eigenschaft des Massiven und Soliden. Gerade leichte oder leicht wirkende Bauteile, wie filigrane Stahl- oder Holzgerüste, Glas, textile Segel etc., gelten in der Moderne als konstruktiv ehrlich, als wahrhaftig, und somit schön (Abb. S. 95). Wenn wir statt »wahr« einmal »stimmig« sagen, wird deutlich, dass auch unsichtbare, aber als gut oder schlecht eingestufte Eigenschaften und Kennwerte die Anmutung und damit die Akzeptanz beeinflussen. Um da etwas zu verändern, muss man also auch diese Kriterien berücksichtigen. Wir lesen bei visuellen Eindrücken die Geschichte(n) mit, die wir damit assoziieren. Entsprechend bewerten wir die Dinge sehr viel umfassender als nach dem unmittelbar Sichtbaren. Mit dem WDVS werden über die bereits genannten Eigenschaften hinaus noch weitere negative Aspekte verbunden. Ich meine hier vor allem die im Vergleich zum Putz größere (tatsächliche oder wahrgenommene) Anfälligkeit für Verunreinigungen (Algen, Spechtlöcher, mechanische Beschädigungen). Was man natürlichen und handwerklich verarbeiteten Baustoffen (Holz, Putz) als sinnfällige Zeichen des Organischen durchaus zugesteht, das wird bei künstlichen, insbesondere industriell hergestellten Baustoffen schnell als Störung und Verunreinigung empfunden.
Der »Welterklärer« Hild: In diesem Kontext interessiert mich die ganz allgemeine Frage nach der Integration neuer technischer Notwendigkeiten oder Gegebenheiten in das Zeichensystem der Architektur. Die durch unverminderten CO2Ausstoß drohende Klimaerwärmung ist schließlich nicht wegzudiskutieren, ebenso
wenig wie die gesetzlichen Normen, die daraus folgen. Offen ist lediglich, ob und wie die Architektur es schafft, eine angemessene Antwort auf die Anforderungen zu finden. Soll dies gelingen, müssen hergebrachte Bedeutungszuschreibungen – etwa in Hinblick auf »gute« und »schlechte« Materialien – verändert werden. In diesem Zusammenhang gibt es zwei Sichtweisen auf die Aufgabe des Architekten. Da ist einmal die Rolle des »Welterklärers«, die bei solch einer Umdeutung dem Architekten zukommen könnte. Der Architekt hat hier die Aufgabe, notwendige, aber neue Dinge und damit Formen in unsere Erfahrungswelten zu integrieren (Abb. S. 99). Er ist in diesem Modell derjenige, der den Umdeutungsprozess anstößt und damit erst möglich macht. Er wird zu einem Interpreten, einem Medium, einem Sinnstifter im eigentlichen Sinne. Eben zu einem Erklärer. Mir persönlich ist diese Rolle sehr sympathisch. Allerdings entspricht dies einem Berufsbild, das so erst einmal keine allzu weite Verbreitung hat, es steht in einem gewissen Kontrast zu der zweiten Sichtweise auf die Aufgabe des Architekten: die althergebrachte Idee des Architekten als Erfinder. Der Architekt als »Welterfinder« paart die Originalität des Genies mit dem technischen Know-how des Ingenieurs – und entspricht damit genau dem Selbstbild, das die Architektenschaft sich erträumt und das ihr auch von außen gerne zugeschrieben wird. Die Rolle des Welterklärers anzunehmen, würde auch bedeuten, dieses wahnhaft aufgeblasene Ego in Frage zu stellen. Vielleicht liefert auch das eine These für die Ablehnung von WDVS durch unsere Zunft: Bloße Erklärung erscheint dem modern konditionierten Architekten zu resignativ und bietet ihm zu wenig Innovationspotenzial.
Villa Tugendhat, Brünn (CZ) 1930, Ludwig Mies van der Rohe
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Literaturmuseum der Moderne, Marbach (D) 2006, David Chipperfield Architects
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Diskussion 03
»Für ihre vielen neuartigen Konstruktionen und Funktionen musste die Moderne völlig neue Bilder, eine andere Sprache entwickeln […].«
Will: Interessant finde ich die Gleichsetzung von Umdeuten und Erklären. Da wollte ich erst widersprechen, denn Erklären klingt deskriptiv und analytisch, während Umdeuten hier doch einen aktiven Prozess des Transformierens meint. Bei näherer Überlegung gebe ich Dir aber recht: Erklären im Sinne von Interpretieren ist ein Gestaltungsprozess. Du treibst in deinen Überlegungen die unterschiedlichen Rollen von Architekt und Ingenieur auf die Spitze, was zu einer Klärung beitragen kann. Ich sehe es etwas dialektischer: Der Architekt, in dem, wie auch im Ingenieur, doch immer noch ein Stück Baumeister steckt, muss Erfahrungen verarbeiten, teils eigene, teils die der Auftraggeber. Dabei darf und muss er gelegentlich auch Erfindungen machen. Aber seine Arbeitsbasis ist immer empirisch: die Verwandlung (Umdeutung) von technischen oder funktionalen oder eben energieökonomischen Erfordernissen in Architektur. Das unterscheidet ihn weniger vom Ingenieur als vom freien Künstler.
WDVS – das unentdeckte »Material« Hild: Für mich als Architekt ist Material immer eine gewisse Konstante. Es erscheint mir interessant, WDVS als komplett neues Material zu denken. Diese Idee legt nahe, dass ein mit WDVS gedämmtes Gebäude nur phänotypisch einem verputzten Haus gleiche; so wie die Rosskastanie der Edelkastanie gleicht, aber genetisch gar nicht mit ihr verwandt ist. Tatsächlich haben wir es mit einem hochkomplexen industriellen Bausystem zu tun, das sich im Zweifel ganz anders verhält als Putz. Das Problem scheint mir zu sein, dass es so einfach aussieht, seine Komplexität also nicht offensichtlich preisgibt. Dem Ein-
geständnis, dass es sich beim Wärmedämmverbundsystem um ein völlig neuartiges »Bauteil« handelt, steht eben dieses Erscheinungsbild entgegen. Der handwerklich erstellte Putzauftrag wird dabei durch eine Assemblage von industriellen Produkten ersetzt. Die sieht zwar so aus wie das traditionelle Material, bietet aber nicht seine Gestaltungsmöglichkeiten und entzieht sich zu allem Überfluss auch noch weitgehend einer handwerklichen Beeinflussung. Dem Putz – und das scheint mir entscheidend zu sein – sieht man seine Materialität und Funktion an, er erklärt sich quasi von selbst. Bei WDVS ist das anders. Will: Mit der Idee, dass es sich bei WDVS um ein komplett neues »Material« handelt, das als solches seiner stimmigen architektonischen Gestaltung noch harrt, bin ich vollkommen einverstanden. Das sind, wie bei jeder konstruktiven Neuerung, die dann auch architektonischen Ausdruck finden soll, eben langwierige Entwicklungs- und Forschungsschritte, die viele Experimente und gelegentlich auch »Geistesblitze « (Erfindungen) erfordern. War es nicht auch beim Flachdach und bei der Curtain Wall so? Allerdings: Natürlich ist die alte, klassische Materialhierarchie, wie sie zuletzt durch die Ästhetiken des 19. Jahrhunderts noch beschworen worden war, längst aufgelöst. Aber im kulturellen Gedächtnis scheint eben ein Rest davon fortzuleben. Ein Beispiel ist das Porzellan. Roland Barthes beschrieb die einzigartige Faszination des Plastiks3 und folgerte, dass es die Hierarchie der Substanzen zerstört und ersetzt habe. Obwohl es eine Weile so aussah, konnte sich das Essgeschirr aus Plastik aber doch nicht durchsetzen. Wenn nun im Bauwesen mit dem WDVS erst-
mals ein in der Hierarchie ganz unten angesiedelter Stoff – anders als Putz! – den visuellen Ton angeben soll, kann man schon argwöhnen, dass das ein Eklat sein muss, wie er eben allenfalls mit der Einführung des Flachdachs vergleichbar ist. Wenn ich mit dem Vergleich von Plastik und Porzellan richtig liege, dann wird sich diese Entwicklung nie ganz durchsetzen – anders als mein früheres Beispiel von den Kaminen, die sich innerhalb einer kulturell verständlichen Hierarchie der Bauteile und Baustoffe integrieren ließen. Hild: Was die mangelnde Akzeptanz von WDVS als Material »unterster Kaste « angeht, wäre ich mit Prognosen vorsichtig. Ich würde eher auf die bestehenden Notwendigkeiten verweisen. Wenn sich herausstellt, dass ein Material ein Problem löst (was mir im vorliegenden Fall nicht sicher zu sein scheint), dann wird es mit der Zeit nobilitiert bzw. an die ikonografischen Erfordernisse angepasst. Das ist mit dem Gusseisen doch auch passiert, natürlich nur bis es wiederum durch etwas Besseres ersetzt wurde. Dass wir uns mit der architektonischen Gestaltung von WDVS so schwer tun, hat dagegen natürlich wieder mit dem Erscheinungsbild und der Unterscheidung Genotyp und Phänotyp zu tun. Sind doch bislang die wesentlichen Kriterien, nach denen wir über den Wert oder Unwert eines Materials entscheiden, der persönlichen Überprüfung zugänglich gewesen. Über die Struktur eines bestimmten Putzes etwa kann ich mir relativ leicht selbst ein Bild machen. Das gilt nicht für die entscheidenden Qualitäten von WDVS, wie etwa Dämmfähigkeit oder Toxizität. Dies sind sozusagen Eigenschaften zweiter Ordnung (und damit vielleicht in der nachindustriellen Informationsgesellschaft viel relevanter
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als die vorindustriellen und traditionellen Eigenschaften). Diese kann ich nur beurteilen, wenn ich mich auf jemand anderen und dessen Erkenntnisse verlasse. Bei neuen Techniken ist das gar nicht so einfach, weil die Aussagen zu diesen Dingen, solange sie nicht allgemein anerkannt sind, immer angreifbar sind. Vielleicht könnte man sogar die These aufstellen, dass eine Erklärung erst dann angekommen ist, wenn sie eben nicht mehr infrage gestellt wird. Wenn aus den Argumenten zweiter Ordnung sozusagen Allgemeingut geworden ist. Dies würde bedeuten, dass die Akzeptanz von WDVS eine Frage der Information ist. Schlimmer noch, es ginge lediglich darum, eine Information als korrekt zu akzeptieren. Will: Aber ist das neu und schlimm? Der russische Sozialrevolutionär Nikolai Tschernyschewski vertrat 1855 die These, Schönheit sei immer dort, wo »wir das Leben so sehen, wie es nach unseren Begriffen sein soll. […] Oder noch genauer: den Eindruck des Schönen erweckt alles, in dem wir die Offenbarung des Lebens sehen, das wir bejahen«4. Wenn dem so ist, dann stellt sich WDVS bislang als relativ unappetitliche Sache dar, nicht so sehr ästhetisch als wegen seiner insgesamt (noch) unklaren und auch widersprüchlichen Eigenschaften. In Großbritannien gibt es ein Institutsgebäude, das völlig mit alubeschichteten Dämmmatten eingepackt ist. Kurios, aber »ehrlich«, eindeutig, fast »werkgerecht«, könnte man sagen. Hild: Das Tschernyschewski-Zitat finde ich großartig! Und tatsächlich ist es die Unklarheit, das haltlose Geraune rund um das WDVS, das viele Architekten so abschreckt. Damit man mich nicht falsch versteht: Es ist
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Diskussion 03
nicht so, dass all die Fragen, die ich zu WDVS habe, von der Industrie befriedigend beantwortet werden. Aber natürlich gilt das ebenso hinsichtlich der Toxizität oder Wiederverwertbarkeit von anderen Materialien. An dieser Stelle fühle ich mich dann alleingelassen, weil ich als Architekt in all diesen Punkten auf die Redlichkeit der Meinungsführer angewiesen bin, schon weil meine eigene Empirie nicht ausreichen kann. Insofern kann ich die Skepsis und Ablehnung der Kollegen gut verstehen, das ist aber ein Problem aller modernen Technik. Wer weiß schon, was in den hübsch designten iPhones so alles enthalten ist, und was am Ende damit passiert? Will: Es gibt bereits Versuche, das Geraune durch übersichtliche Informationen zu ersetzen. Aber Techniken, die den Ausdruck, die Anmutung eines Gebäudes weniger radikal verändern, bilden nun einmal eine kleinere Angriffsfläche und werden nicht so genau durchleuchtet. Wohl deshalb wird die Forderung nach Materialechtheit, Solidität, Recyclingfähigkeit etc. immer auf die Fassaden angewandt. Was ist mit dem Dach? Da gibt es doch seit eh und je Wärmedämmpackungen in einem recht intensiven Verbund. Warum ist es dort und bei den Deckenkonstruktionen akzeptiert? Weil man es nicht sieht? Vermutlich, und weil der Vorteil dieser komplizierten Verbundbauteile sich in einem längeren Erfahrungsprozess erwiesen hat. Das bringt mich auf einen Gedanken, über den wir bezüglich der Verbundkonstruktionen, der »Assemblagen«, noch sprechen sollten: die Sehnsucht nach dem Reinen, Unvermischten (oder dem, was man als solches empfindet), nach dem Homogenen und Soliden, auch dem Nackten: Ziegel, Lehmwände unverputzt, monolithischer Sichtbeton, ja das
minimalistische Bild des »Monolithen« allerorts als aktuelle Entwurfsmetapher (Abb. S. 96). Der schlichte »Stein« als Sehnsuchtsbild für ein ausdrucksstarkes Bauwerk. Darin zeigt sich meines Erachtens eine typische Kompensationsstrategie, mit der der zunehmenden Komplexität des Bauens zumindest in der Anmutung entgegengearbeitet wird. Da steht WDVS aufgrund des Reinheitskults der Avantgarde natürlich momentan auf der falschen Seite: ein ambivalentes Komposit, ein unreiner und unheimlicher Bastard. Aber gerade dieses Thema ist auch in der Moderne ambivalent – mal sind eben puristische Abstraktionen, mal unübersichtliche MixedMedia-Konstrukte en vogue, hin und wieder sogar gleichzeitig, wie beispielsweise im Werk Le Corbusiers (Abb. S. 92 unten).
Forschungsprojekt Hild: Es gab aber doch schon immer solche Bastarde, die dann irgendwann nobilitiert wurden, zum Beispiel das oft erwähnte Gusseisen, dem in seiner Frühzeit vorgeworfen wurde, dass die daraus gefertigte Stütze so schlank sein könne, dass man ihr das Tragen nicht mehr anmerkte. Aus diesem Grund hat man dann der »viel zu dünnen« Gusseisenstütze Kapitelle und Kanneluren gegeben, die ihre Funktion verdeutlichen sollten (Abb. S. 94). Es gibt also den Versuch einer ikonografischen Aufladung, um die Aneignung zu ermöglichen. Das heißt, um den neuen Baustoff überhaupt verstehen zu können, musste man ihm etwas hinzufügen, was erst mal mit der schieren Materialität nichts zu tun hatte. Vielleicht ist es so, dass das WDVS ebenfalls solch eine Vorgehensweise fordert. Dass es eben nicht möglich ist, die dem Putz viel zu
ähnliche Materialität zu spielen, und man stattdessen auf die Erläuterung durch Applikation angewiesen wäre. Also etwas Ähnliches wie die genannten Kapitelle hinzufügen müsste. Nur weiß heute wohl kein Architekt mehr eine solche Sprache zu nutzen oder zu entwickeln. Man bräuchte eine Art Ornament, welches das Dämmen verdeutlicht. Ich glaube, dass das einfacher ist, als es klingt. Wir unternehmen in unserem Forschungsprojekt »Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren« einen relativ konkreten Versuch in dieser Richtung. Bisher aber haben die neuen, möglicherweise dem WDVS inhärenten Ausdrucksmöglichkeiten noch keine formale Umsetzung erfahren. Will: Ich habe das Material zu eurem Forschungsprojekt studiert und finde es sehr eindrucksvoll und fast beängstigend logisch. Beängstigend deshalb, weil es natürlich eine Art inhärente Zweckrationalität besitzt, etwas überaus Verlockendes, ein Versprechen. In eurer bisherigen praktischen Arbeit geht ihr damit, soweit ich sehe, sehr souverän um. Andere werden das nicht ganz so können. Da heißt es aufpassen, dass der formale Ausdruck der Sache nicht mit dem technischen Erfordernis identisch wird, auch wenn es eine sinnvolle kausale Beziehung gibt. Mies van der Rohe lässt hier deutlich grüßen. Ein anderer Punkt dabei scheint mir die Frage, ob diese Untersuchung WDVS-spezifisch ist. Wären ähnliche Untersuchungen nicht auch für homogene Bauweisen möglich? Oder noch besser für einen homogenen Putz, der ohne komplizierten Schichtenaufbau allein durch seine plastische Variabilität den Wärmeschutzanforderungen genügt? Ich denke etwa an jene Schweizer Dämmputze mit
Künstlerateliers, Aberystwyth (GB) 2009, Heatherwick Studio
»Was für den Altbau eine Verunstaltung darstellen mag, ist für den Neubau eine durchaus logische Herausforderung […].«
Theorie und Realität
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Erweiterung eines Weinguts, Fläsch (CH) 2008, Bearth & Deplazes Architekten oben: fertiges Mauerwerkselement, unten: CNC-Industrieroboteranlage der ETH Zürich, entwickelt von Gramazio & Kohler
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Diskussion 03
Perlit, die es seit mehr als 20 Jahren gibt und die man ohne Armierung bis zu 10 cm dick auftragen kann. Eine Materialästhetik vielleicht in dem Sinne, wie sie Baudrillard den Kunststoffen zuschrieb: »Man mag darin die teilweise Verwirklichung jenes materiellen Weltbildes erkennen, die sich vom 16. Jahrhundert an im Stuck und in einer ›mondänen‹ Demiurgie des Barock ankündigt: eine Welt aus einem Guss vom gleichen Stoff.«5 An diesem Punkt möchte ich nun unsere Konversation nochmals ins Grundsätzliche lenken. Die Abbildung der konstruktiven »Leistung« in der gebauten Form ist ein altes und großes Thema, das die Rationalisten von Choisy und Viollet-Le-Duc bis zu Frei Otto begeistert hat. Wir haben es schon gestreift. Letztlich sind wir aber bei der Frage, was wir in der Architektur behandelt sehen wollen. Ungers, der sich als Platoniker und wohl auch Essenzialist verstand, sprach bezüglich Vorhangfassaden abwertend von Karosseriebau, der sich gerade wegen des Mangels an Solidität und Massivität von der Architektur unterscheide und eben etwas genuin anderes sei, das ihn nicht interessiere. Frei Otto sah das anders, entspannter, er arbeitete viel mit der Leistungsform. Würdest Du das, was ihr für die Fassade generiert, als eine Art bauphysikalisch begründete Leistungsform sehen? Und liege ich falsch, wenn ich eure Versuche der WDVS-Modulation entsprechend den Wärmedurchgängen als Teil parametrischer Entwurfsarbeit lese? Mir schiene das folgerichtig und im Einklang mit dem, was wir schon diskutierten: Es handelt sich bei dem Wunsch, Energieverbräuche im Gebäude zu senken (egal wie weit das berechtigt ist), um eine komplexe, von außen an die Architektur herangetragene Forderung an ihre Performance. Das kann man empirisch durch »trial
and error« zu lösen versuchen, also traditionell, und es dauert dann recht lange, bis halbwegs akzeptable Ergebnisse vorliegen. So war es beim Brandschutz. Oder man löst es wissenschaftlich-theoretisch, durch mathematische Modellierung unter Verwendung entsprechender Parameter. Das geht heute schneller, man kommt dann aber möglicherweise zu Lösungen, deren Ausdrucksform noch nicht mit dem, was wir lesen können (und wollen), im Reinen ist. (Manches ist dennoch, als Einzelleistung, ganz verblüffend, etwa das »merkwürdige « Riesenholzdach in Sevilla.) Dies wurde schon dem Gusseisen angelastet: dass es sich nahezu allen Formen anpassen könne. Das hat Gottfried Semper auch am Kautschuk beeindruckt – und zugleich beunruhigt. Auf der Weltausstellung 1851 in London zollte er dem neuartig polymorphen Material großen Respekt, die unglaubliche Vielseitigkeit und Anpassungsfähigkeit, die sich da auftat, fand er aber irritierend: »Bei einer solchen Materie steht einem Stilisten der Verstand still.«6 Hild: Ich will versuchen, die Punkte der Reihe nach zu beantworten: Möglicherweise ließen sich die von uns entwickelten Fassaden tatsächlich in Wärmedämmputz ebenso herstellen, dennoch finde ich, dass das alleine noch nicht gegen unseren Ansatz spricht. Vielleicht ist der Wärmedurchgang auch nicht auf WDVS beschränkt. Die technischen Erfordernisse für unterschiedliche Dämmungsdicken sind im Moment nicht gegeben, es geht eher um den Versuch sichtbar zu machen, was beim Dämmen passiert. Trotzdem wäre ich sehr vorsichtig mit dem Begriff der Leistungsform, weil der schnell etwas Zwangsläufiges und damit Absolutes bekommt. Ich vermute, dass aller Form im weitesten Sinne auch ein
Formwille innewohnt, und es daher die reine Leistungsform gar nicht geben kann. Spätestens wenn wir beginnen, unsere Modulation in Höhenschichten aufzulösen, werden viele Entscheidungen auch formaler Natur notwendig. Und schon vorher ist die Frage des Modells, mit dem wir den Wärmedurchgang abbilden, eben auch Gegenstand einer Entscheidung mit Einfluss auf die spätere Gestalt. Breitet sich Wärme kugelförmig oder wie ein Vektor in der Dämmung aus? Es ließen sich beliebig viele weitere Beispiele für solche individuellen Festlegungen nennen. Die Leistungsform dagegen ist etwas, was sich direkt aus der Anforderung ergibt. Zumindest hinsichtlich der Architektur fällt es mir schwer, an eine solche Idee zu glauben. Deine Frage, ob das von uns untersuchte Entwurfsverfahren parametrisch sei, kann ich nur mit einem ganz klaren »Jein« beantworten. Sicherlich bedient sich unsere Vorgehensweise parametrischer Verfahren, interessanterweise ist aber das so erzeugte Objekt nicht oder nur sehr schwer umsetzbar (ein Problem, das bei dieser Art des Denkens oft auftaucht), und das aus vielerlei Gründen. Spätestens an diesem Punkt verlassen wir die Parametrie und greifen ganz händisch konventionell ein. Wir müssen die parametrisch erzeugten Daten interpretieren und anpassen, schon um unsere Entwürfe überhaupt realisierbar zu machen. Ein bisschen ist das, als ob der Ziegelroboter von Gramazio & Kohler ausgeschaltet würde und ein Maurer von Hand das parametrisierte Objekt vollenden würde (Abb. S. 100). Dabei entstünde etwas, das nicht nur anders aussähe als die Roboterwand, sondern das auch substanziell ganz anders wäre, selbst wenn es dank eines hervorragenden Handwerkers dieser sehr nahe kommen könnte.
Will: Wenn wir den Computer entsprechend zu programmieren wissen, wird man ihn aber nicht mehr abstellen. Vielleicht geht es also darum, WDVS als neues Bauteil in allen Aspekten so weit zu entwickeln, dass es die technische Aufgabe nicht nur erfüllt, einschließlich der Überwindung diverser Kinderkrankheiten, sondern diese Leistung im Kontext des größeren architektonischen Gefüges auch stimmig ausdrücken kann: der gut sitzende Anzug, unabhängig von der Frage seiner handwerklichen oder industriellen Fertigung. Ich denke, dass jedes ausgereifte Architekturdetail – Gesims, Brüstung, Kapitell, Putzfasche, Kastenfenster, Klappladen, Vorhangfassade etc. – diesen Prozess der Sublimierung durchmachen musste, von der funktionalen oder konstruktiven Leistung zu einem gut gestalteten, integral lesbaren architektonischen Element. Beim WDVS ist dieser Prozess noch am Anfang, aber das gilt auch für andere neue Gebäudekomponenten, wie die der aktiven Energiegewinnung durch Photovoltaik oder Solarthermie. Euer Forschungsprojekt sehe ich in diesem Zusammenhang – es hat anhand der technisch-bauphysikalischen Parameter formale und semantische Fragen zu klären. 1 Giedion, Sigfried: Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton. Leipzig 1928, S. 15 und 50 2 Bernard, Andreas: Modernde Moderne. In: Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 1997 3 Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt /M. 1964 4 Lukács, Georg: Vorwort zu N. G. Tschernyschewski, Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit (1855). Berlin 1954, S. 47 5 Baudrillard, Jean: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt /M. 1991, S. 50 – 52 6 Piel, Friedrich (Hrsg.): Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik, Bd. 1: Textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Mittenwald 1977, S. 112 –119
Theorie und Realität
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Forschungsprojekt WDVS: Modulationsmöglichkeiten der Gebäudeaußenhaut mittels wärmesensitiver Aufnahmeverfahren
Moderne Systeme zur Wärmedämmung bieten derzeit nur beschränkten Spielraum für eine individuelle Gestaltung. Gleichzeitig werden sie in Zukunft allerdings eine noch wichtigere Rolle spielen, da die gesetzlichen Vorgaben und technischen Rahmenbedingungen bei der Anwendung individuell gefertigter Lösungen immer schwerer zu beherrschen sind. Somit wird die notwendige energetische Umrüstung der Gebäude das Gesicht unserer Städte grundlegend und in einem nie dagewesenen Ausmaß verändern. Dieser schleichende Prozess birgt das Risiko, dass der Fassadenausschnitt als Infrarotthermografie (links), mit Isothermenverlauf (Mitte) und darauf basierender 3D-Modellierung (rechts)
Projektbeteiligte Projektleitung: Faraneh Farnoudi Förderer und Sponsoren: Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Abstimmung mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) im Rahmen der Forschungsinitiative »Zukunft Bau«; Bayerische Hausbau GmbH & Co. KG Industriepartner: Sto AG Berichtszeitraum: 15.9.2011 – 15.9.2013 Förderzeitraum: 16 Monate
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Charakter des Stadtbildes vielerorts in Beliebigkeit verwandelt wird. Das vom Bundesbauministerium im Rahmen der Forschungsinitiative »Zukunft Bau« und der Bayerischen Hausbau GmbH & Co. KG geförderte Forschungsprojekt begreift die energetische Ertüchtigung der Gebäudehülle deshalb nicht nur als Ingenieurleistung, sondern auch als gestalterische Aufgabe und Chance. Gemeinsam mit dem Industriepartner Sto AG werden anhand eines konkreten Untersuchungsobjektes Wege erarbeitet, gestalterische Aussagen mit der Nutzung von Wärmedämmverbundsystemen zu verbinden.
Dabei geht es nicht um ein »Aufhübschen« der vorhandenen Systeme, sondern um eine Weiterentwicklung von deren ästhetischen Potenzialen und Konsequenzen. Die meisten Versuche der architektonischen Gestaltung von WDVS scheitern an dem Versuch, geputzte Massivbauoberflächen nachzuahmen. Bereits die technischen Gegebenheiten des Materials verhindern eine entsprechende Analogie. Putzkörnungen sind nur relativ grob möglich, da sich das System ansonsten zu stark aufheizt und zu Rissen neigt. Putzfaschen und ähnliche Gliederungsformen haben wegen der hohen Feuchte-
empfindlichkeit von WDVS sehr enge Grenzen. Selbst die Farbigkeit ist aufgrund der einzuhaltenden Helligkeitsbezugswerte stark eingeschränkt. Das im Rahmen dieses Forschungsvorhabens verfolgte Konzept setzt daher nicht beim Putz an, sondern bei der darunter liegenden Wärmedämmung. Deren Eigenschaften kommen einer Bearbeitung durchaus entgegen: Ihrer Verformung steht nichts im Weg, sofern man waagrechte Flächen und die daraus resultierende Feuchteproblematik vermeidet. Würde die Dämmung dreidimensional modelliert oder zugeschnitten, ware die Oberfläche
des Gebäudes eine gestaltbare Ebene, die wesentlich subtilere Abstufungen zuließe, als man sie vom Massivbau her kennt. Statt auf die Mimikry von Putzbauten setzt das Forschungsprojekt auf eine ästhetische Lösung, die sich aus den Qualitäten des WDVS selbst entwickelt. Es versucht nichts weniger als dessen Funktion innerhalb der Fassadengestalt ablesbar zu machen. Ausgangspunkt für die daraus folgenden Überlegungen ist der unterschiedliche Wärmedurchgang verschiedener Bauteile einer Bestandsfassade. Wird die Dimensionierung des Dämmstoffs den ungleichen Wärme-
durchgangskoeffizienten angepasst, entsteht eine Modulation der Oberfläche, die sich aus den unterschiedlichen thermischen Zuständen der Bauteile ableitet. Hierfür berechnet ein Computerprogramm auf der Basis von thermografischen Aufnahmen Wärmedurchgänge und Mängel in der thermischen Hülle, Temperaturverteilungen und Wasserdampfdiffusionsströme des Gebäudes und simuliert diese in einem dreidimensionalen Modell (Abb. S. 102 und 103). Grundsätzlich ließe sich diese vom Wärmedurchgang durch die Fassade abgeleitete Modulation bereits als Relief des Dämm-
Forschungsprojekt WDVS
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Fertigungsvarianten des Schichtmodells
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materials wiedergeben. Allerdings wären die dabei entstehenden Flächen zweifach gekrümmt und daher nur mittels eines aufwendigen Fräsprozesses herstellbar. Bei einer Realisierung ergäbe sich zudem das Problem, dass es bisher keine dreidimensional verformbaren Putzgewebe gibt. Das Forschungsprojekt untersucht daher Modulationen, die einerseits ausgehend von dem beschriebenen Modell den Wärmedurchgang abbilden, andererseits aber eine einfachere Fertigung versprechen. Eine Versuchsreihe zur Variation des Urmodells beschäftigt sich mit der Übersetzung der Ausbuchtungen in »Höhenschichtlinien«. Hierbei entsteht ein aus vergleichsweise dünnen EPS-Platten zu fertigendes Modell. Die Zahl der Platten, die notwendig sind, um die entsprechende Amplitude abzubilden, wurde in verschiedenen Auflösungen untersucht. Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass sich vergleichsweise viele horizontale Stellen ergeben, die bautechnisch schwierig zu beherrschen sind (Abb. links). Eine grundlegend andere Möglichkeit der Umsetzung baut die Wölbungen nicht schichtweise auf, sondern schneidet sie den Höhenlinien folgend aus dem Material heraus (Abb. S. 105). Wird die Schnittführung hierbei waagrecht ausgerichtet, so entsteht ein komplett neues Bild, das Modell weist aber auch vergleichsweise viele waagrechte Flächen auf. Mit senkrechten Schnitten wird dieses Problem vermieden, je nach Auflösung ergeben sich aber relativ schwierig zu bearbeitende Übergänge (Abb. S. 106 links). Eine vierte Variante besteht in der Triangulation (Abb. S. 106 Mitte). Die gewölbten Flächen werden in Dreiecke aufgelöst und bilden so überwiegend glatte Ebenen, die mit Gewebe überzogen werden können und
Vorversuch der Fertigung mit einer Dreiachsfräse
Forschungsprojekt WDVS
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Modellvariationen: XPS, 50 ≈ 100 cm (links), Triangulation Polystyrolmodell, annähernd 1:1 (rechts)
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einen homogenen Übergang zum jeweiligen Nachbarteil aufweisen. Grundsätzlich ließe sich die Triangulation je nach Auflösung auch in standardisierte Dreiecksformen zerlegen, die eine solche Modulation im Idealfall ohne Verschnitt herstellbar machen würden. Die Simulation des Wärmedurchgangs wird so zur Grundlage variantenreicher Entwurfsmöglichkeiten und gibt zugleich Anlass zu einer Untersuchung der individuellen Möglichkeiten zur Fertigung von Dämmelementen. Es entsteht nicht nur ein völlig neues Erscheinungsbild von Fassaden, sondern zugleich eine Einsparung von Ressourcen, da stets nur so viel Dämmung eingesetzt wird, wie an der jeweiligen Stelle nötig ist. So nimmt die Funktion des Wärmedämmverbundsystems Gestalt an. Nach Fertigung der Dämmstoffelemente müssen diese, wie auch bei herkömmlichem WDVS, am Objekt fixiert, armiert und verputzt werden. In den Verarbeitungsversuchen wurden verschiedene Modelle mit unterschiedlichen Methoden verputzt, um sowohl eine technische wie auch gestalterische Verifikation zu gewährleisten. Bei Verwendung geeigneter Werkzeuge und Materialien konnte auch hier das gewünschte Ergebnis erzielt werden (Abb. rechts). Insbesondere an die Anpassung konstruktiver Details, an Anschlüsse, Übergänge und die handwerkliche Ausführung wurden dabei höhere Anforderungen gestellt als bei konventionellen Systemen. Diese sind jedoch als umsetzbar anzusehen. Eine technische Bewertung untersucht die modulierten Dämmstoffe zudem hinsichtlich ihrer Festigkeit, der Auswirkungen von Feuchtigkeit oder Sonneneinstrahlung und Materialstärken. Somit wurde ein erster Impuls für eine Weiterentwicklung des Produktes WDVS unter grundlegend neuen gestalterischen Aspekten gesetzt, um eine materialgerechte Ästhetik zu erzielen.
erfolgreiche Putzversuche am Polystyrolmodell
Forschungsprojekt WDVS
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Viten der Gesprächspartner Hild und K Architekten
Gesprächspartner
Andreas Hild Prof. Dipl.-Ing. Architekt
Dionys Ottl Dipl.-Ing. Architekt
Matthias Haber Dipl.-Ing. (FH) Architekt
Gerd Hauser Prof. Dr.-Ing.
Jahrgang 1961 1987 Studium an der ETH Zürich 1989 Diplom an der Technischen Universität München 1992 – 1998 Hild und Kaltwasser mit Tillmann Kaltwasser 1996 – 1998 Gastprofessur an der Universität Kaiserslautern seit 1999 Hild und K Architekten mit Dionys Ottl 1999 – 2001 Gastprofessur an der Fachhochschule München 2000 – 2002 Vorsitzender BDA Kreisverband München 2003 – 2004 Gastprofessur an der Kunstakademie Hamburg 2005 – 2006 Gastprofessur an der Technischen Universität Graz 2005 – 2009 Mitglied im Gestaltungsbeirat Bregenz 2005 – 2010 Mitglied in der Stadtgestaltungskommission München 2006 – 2012 Mitglied im Gestaltungsbeirat Regensburg 2008 – 2009 Vertretungsprofessur an der Technischen Universität Darmstadt 2012 – 2013 Gastprofessur an der Technischen Universität München Vorträge, Publikationen und Kritiken in Porto, Delft, Harvard, Deutschland
Jahrgang 1964 1995 Diplom an der Technischen Universität München 1989 – 1992 Mitarbeit bei RRP Architekten, München 1992 – 1994 Mitarbeit bei KPS Projektsteuerung, München 1994 – 1998 Mitarbeit bei Hild und Kaltwasser, München seit 1999 Hild und K Architekten mit Andreas Hild Gastvorträge und Fachveröffentlichungen in Deutschland
Jahrgang 1976 1999 – 2001 Mitarbeit bei Haindl + Kollegen, München 2000 Mitarbeit bei Douglas Schroeder Assoc., Chicago 2002 Diplom an der Fachhochschule München 2002 – 2011 Mitarbeit bei Hild und K Architekten 2006 Master of Advanced Studies an der ETH Zürich seit 2011 Partner Hild und K Architekten seit 2012 Korrekturassistent an der TU München Vorträge, Gastkritiken und Publikationen in Deutschland und der Schweiz
Jahrgang 1948 1967 – 1972 Studium an der Technischen Universität München 1972 – 1977 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fraunhofer-Institut für Bauphysik der Fraunhofer Gesellschaft 1977 – 1983 Oberingenieur im Fachgebiet Bauphysik und Baustofflehre der Universität-Gesamthochschule Essen 1978 – 1979 Lehrauftrag an der Universität Stuttgart. 1983 – 2004 Professor für Bauphysik an der Universität Kassel seit 1984 Inhaber des »Ingenieurbüro Prof. Dr. Hauser GmbH« für Bauphysik seit 2004 Professor für Bauphysik der Fakultät für Bauingenieur- und Vermessungswesen der Technischen Universität München seit 2004 Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP mit den Standorten Stuttgart, Holzkirchen und Kassel. Tätigkeit in verschiedenen Fachorganisationen und Mitarbeit in nationalen und internationalen Normungsgremien
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Wärmedämmverbundsystem – Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K
Andreas H. Holm Prof. Dr.-Ing.
Arno Lederer Prof. Dipl.-Ing. Architekt
Jórunn Ragnarsdóttir Prof. Dipl.-Ing. Architekt
Thomas Will Prof. Dipl.-Ing.
Jahrgang 1968 1989 – 1996 Physikstudium an der Technischen Universität München sowie an den Universitäten in São Paulo und Porto 1996 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Bauphysik, Holzkirchen 2001 – 2004 Gruppenleiter in der Abteilung Hygrothermik 2004 – 2011 Leitung der Abteilung Raumklima seit 2009 Professur für Bauphysik und Energieeffizientes Bauen an der Hochschule München seit 2012 geschäftsführender Institutsleiter des Forschungsinstituts für Wärmeschutz e. V. München (FIW München)
Jahrgang 1947 1968 – 1976 Architekturstudium an der Universität Stuttgart und der Technischen Universität Wien 1976 Diplom an der Universität Stuttgart 1977 Mitarbeit im Büro Ernst Gisel, Zürich 1978 Mitarbeit im Büro Berger Hauser Oed, Tübingen 1979 Gründung Büro Lederer 1985 – 1990 Professor für Konstruieren und Entwerfen an der Hochschule für Technik Stuttgart 1990 – 1997 Professor für Baukonstruktion und Entwerfen I an der Universität Karlsruhe 1997 – 2005 Professor für Gebäudelehre an der Universität Karlsruhe 2002 – 2006 Wissenschaftlicher Beirat im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung, Berlin 2003 – 2012 Hochschulrat der Hochschule für Technik Stuttgart. seit 2005 Professor für Öffentliche Bauten und Entwerfen, Universität Stuttgart seit 2009 Gestaltungsbeirat für das Dom-Römer-Areal, Frankfurt am Main
Jahrgang 1957 1976 – 1982 Architekturstudium an der Universität Stuttgart (Diplom) 1982 – 1985 Mitarbeit im Büro Lederer, Stuttgart seit 1985 Inhaberin Büro Lederer Ragnarsdóttir 1992 –1993 Lehrtätigkeit an der Universität Stuttgart bei Prof. Boris Podrecca 1998 – 2000 mehrere Bühnenbilder und Kostüme am Stadt- und Staatstheater Reykjavík seit 2009 Gestaltungsbeirätin der Hansestadt Lübeck seit 2010 Fachbeirätin der Stadt München 2010 – 2012 Gestaltungsbeirätin der Stadt Mannheim 2010 – 2012 Professorin an der Kunstakademie Düsseldorf, Klasse Baukunst
Jahrgang 1951 1970 –1977 Architekturstudium an der TU München (Diplom) und ETH Zürich 1975 –1977 Graduiertenstudium Architektur /Städtebau als Fulbright-Stipendiat an der Cornell University, Ithaca / NY (M. Arch.) 1977–1979 Architekt im Büro Prof. O. M. Ungers, Köln seit 1979 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Entwerfen und Denkmalpflege an der TU München seit 1979 freischaffender Architekt 1987–1996 Architekturbüro Valena & Will, München seit 1994 Professor für Denkmalpflege und Entwerfen an der TU Dresden 2003 – 2006 Dekan der Fakultät Architektur seit 2009 Gestaltungsbeirat der Hansestadt Lübeck seit 2010 Mitglied im Landesdenkmalrat Sachsen
Viten der Gesprächspartner
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Weiterführende Literatur
Bachmann, Wolfgang: Dämmen, Tod und Teufel? Thermohaut bedeutet nicht das Ende der Architektur – Andreas Hild und Dionys Ottl im Gespräch. In: Baumeister 03/2011 Barthes, Roland: Mythen des Alltags. Frankfurt /M. 1964 Baudrillard, Jean: Das System der Dinge. Über unser Verhältnis zu den alltäglichen Gegenständen. Frankfurt /M. 1991 Bernard, Andreas: Modernde Moderne. In: Süddeutsche Zeitung vom 7. Oktober 1997 Ebert Thilo; Eßig, Natalie; Hauser, Gerd: Zertifizierungssysteme für Gebäude. Nachhaltigkeit bewerten – Internationaler Systemvergleich – Zertifizierung und Ökonomie. München 2010 Eicke-Hennig, Werner: Kleine Geschichte der Dämmstoffe »Erster Teil«. In: wksb. Zeitschrift für Wärmeschutz, Kälteschutz, Schallschutz, Brandschutz. 65 /2011, S. 6 – 27 Eicke-Hennig, Werner: Kleine Geschichte der Dämmstoffe. »Zweiter Teil«. In: wksb. Zeitschrift für Wärmeschutz, Kälteschutz, Schallschutz, Brandschutz. 66 /2011, S. 6 – 34 Fouad, Nabil A.; Richter, Torsten: Leitfaden Thermografie im Bauwesen, Theorie, Anwendungsgebiete, praktische Umsetzung. Stuttgart 2012 Frössel, Frank: Lexikon der Putztechnik. Stuttgart 2000 Gertis, Karl; Hauser, Gerd; Sedlbauer, Klaus; Sobek, Werner: »Was bedeutet ›Platin‹? Zur Entwicklung von Nachhaltigkeitsbewertungsverfahren«. In: Bauphysik. 04/2008, S. 244 – 256 Gesell, Gerhard: Putz. Schriften zur deutschen Handwerkskunst. Berlin 1941 Giedion, Sigfried: Bauen in Frankreich, Bauen in Eisen, Bauen in Eisenbeton. Leipzig 1928 Gramazio & Kohler: Digital materiality in architecture. Zürich 2007
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Gunßer, Christoph: Zwischen Poesie und Sparzwang. Nachbericht zum Webkongress »WDVS – Schon alles gesagt?«. In: db 01- 02 / 2013 Häring, Hugo: Bemerkungen zum ästhetischen Problem des neuen Bauens. In: Bauwelt 19 /1931 Hauser, Gerd: Energieeffizienz – der wesentliche Lösungsansatz!. In: wksb. Zeitschrift für Wärmeschutz, Kälteschutz, Schallschutz, Brandschutz. 58/2007, S. 31– 35 Hauser, Gerd: »From the energy evaluation to the assessment of the whole building performance«. Proceedings of the World Sustainable Building Conference SB08. Melbourne 2008; Vol. 2. Hauser, Gerd: Energieeffizienz in Gebäuden kann unsere Probleme nachhaltig lösen. In: Energiesparkompass 2009, Fachverband Wärmedämmverbundsysteme e. V., Baden-Baden 2009, S. 6 –10 Hayner, Michael; Ruoff, Jo; Thiel, Dieter: Faustformel der Gebäudetechnik für Architekten. München 2011 Holm, Andreas H.: Besser als ihr Ruf. Wärmedämmverbundsysteme unter der Lupe. In: db, 11/ 2012, S. 72 –75 Holm, Andreas H.; Sprengard, Christoph; Albrecht, Wolfgang: Energieeffizienz und Dämmstoffe. Was lässt sich in Zukunft erwarten?. In: Bauplaner, Dämmtechnik 1, 06 / 2013 Keller, Bruno; Rutz; Stephan: Pinpoint – Fakten der Bauphysik zu nachhaltigem Bauen. Zürich 2011 Künzel, Helmut: Bauphysik – Geschichte und Geschichten. Stuttgart 2002 Künzel, Helmut: Außenputz. Stuttgart 2003 Künzel, Helmut: Bauphysik und Denkmalpflege. Stuttgart 2009 Lukács, Georg: Vorwort, in: N. G. Tschernyschewski: Die ästhetischen Beziehungen der Kunst zur Wirklichkeit (1855). Berlin 1954
Hauser, Gerd; Lüking, Rolf-Michael: Die thermische Konditionierung von Gebäuden im Kontext eines zukünftigen Energieversorgungssystems. Stuttgart 2011 Maak, Niklas: Architekten: Auf die Barrikaden! In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. November 2011 Mäckler, Christoph; Sonne, Wolfgang (Hrsg.): Konferenz zur Schönheit und Lebensfähigkeit der Stadt 1. Sulgen 2011 Molter, Kerstin; Linnemann, Mark: Wärmedämmverbundsystem und das verlorene Ansehen der Architektur. Kaiserslautern 2010 Pätzold, Helmut: WDVS-Atlas, Planung und Ausführung von Wärmedämm-Verbundsystemen. Ober-Ramstadt 2007 Riedel, Werner; Oberhaus, Heribert; Frössel, Frank; Haegele, Wolfgang: Wärmedämm-Verbundsysteme. Von der Thermohaut bis zur transparenten Wärmedämmung. Waldshut /Stuttgart 2010 Semper, Gottfried: Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: Ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (1860 –1863), Bd. 1: Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst. Hrsg. von Friedrich Piel. Mittenwald 1977 Schild, Kai; Weyers, Michael; Willems, Wolfgang M.: Handbuch Fassadendämmsysteme – Grundlagen Produkte Details. Stuttgart 2012 Spiro, Annette; Göhler, Hartmut; Gönül, Pinar (Hrsg.): Über Putz. Oberflächen entwickeln und realisieren. Zürich 2012 Streich, Bernd; Weisgerber, Wolfgang: Computergestützter Architekturmodellbau, CAAD-Grundlagen, Verfahren, Beispiele. Basel 1996 Weissmüller, Laura: Grau, genormt und günstig. In: Süddeutsche Zeitung vom 2. Juli 2013 Lehnbachhaus München (Hrsg.): Erwin Wurm. Köln 2009
Wärmedämmverbundsystem – Ein Diskussionsbeitrag von Hild und K
Bildnachweis
Sämtliche Zeichnungen in diesem Werk sind eigens durch den Verlag angefertigt worden. Nachfolgend nicht aufgeführte Fotos stammen vom Fotografen Michael Heinrich, München. S. 6
Archiv Prof. Thomas Will, TU Dresden
Diskussion 01: Hild und K im Gespräch mit Arno Lederer und Jórunn Ragnarsdóttir S. 11 Roland Halbe, Stuttgart S. 15, 16 Roland Halbe, Stuttgart S. 19 Andreas Prott /iStockphoto S. 21 Roland Halbe, Stuttgart S. 22 aus: Hausladen, Gerhard; Tichelmann, Karsten: Ausbau Atlas. München 2009, S. 22, Abb. 17 a Diskussion 02: Andreas Hild im Gespräch mit Gerd Hauser und Andreas H. Holm S. 26 Simon Chaput, New York S. 27 nach: Riedel, Werner u. a.: Wärmedämm-Verbundsysteme. Stuttgart 2010, S. 397 S. 30 u. nach: Gerd Hauser: Vortrag im Rahmen des FIW Wärmeschutztags 2012 in München: Neue Technologien zur energetischen Sanierung – Praxiserfahrung dämmstoffintegrierte Lüftungskanäle. S. 31 nach: Riedel, Werner u. a.: Wärmedämm-Verbundsysteme. Stuttgart 2010, S. 396 S. 32 nach: Andreas H. Holm: Besser als ihr Ruf. Wärmedämmverbundsysteme unter der Lupe. In: db 11/ 2012, S. 73 S. 35 o. nach: Andreas H. Holm: Dämmstoffe als Bausteine der Energiewende, Veröffentlichung des FIW München 2013, S. 2 S. 35 u. nach: Riedel, Werner u. a.: Wärmedämm-Verbundsysteme. Stuttgart 2010, S. 19 Projektbeispiele S. 41 o. Hild und K Architekten S. 45 o. links Stefan Braun, München S. 46 Stefan Braun, München S. 52 u. links Hild und K Architekten S. 58 Hild und K Architekten S. 59 o. Hild und K Architekten S. 74 Eva Schönbrunner, München S. 76 Franz Brück, Berlin / für Bayerische Hausbau
S. 77 Hild und K Architekten S. 78 o. links Hild und K Architekten S. 78 o. Mitte Hild und K Architekten S. 78 o. rechts Franz Brück, Berlin S. 78 u. Franz Brück, Berlin S. 79 – 81 Franz Brück, Berlin Formfindung S. 84 Hild und K Architekten S. 85 o. links http://commons.wiki media.org/wiki/File:Immeubles_ Auguste_Perret.JPG, Stand: 12.09.2013 S. 85 o. Mitte http://en.wikipedia. org/wiki/File:Palais_Leuchtenberg.jpg, 12.09.2013 S. 85 o. rechts aus: Merisio, Pepi; Barzanti, Roberto: Italien. Zürich 1975, S. 247 S. 85 u. Hild und K Architekten S. 86, 87 Hild und K Architekten S. 88 http://de.academic.ru/dic.nsf/ dewiki/987944, Stand 12.09.2013 Diskussion 03: Briefwechsel zwischen Andreas Hild und Thomas Will S. 90 Franz Brück, Berlin S. 92 o. aus: Hausladen, Gerhard; Tichelmann, Karsten: Ausbau Atlas. München 2009, S. 21, Abb. 16 a S. 92 u. Spiro, Annette; Göhler, Hartmut; Gönül, Pinar (Hrsg.): Über Putz. Oberflächen entwickeln und realisieren. Zürich 2012, S. 133 S. 93 Ralf Ganter, Niedereschach S. 94 Christian Schittich, München S. 95 aus: Staib, Gerald; Dörrhöfer, Andreas; Rosenthal, Markus: Elemente + Systeme. München 2008, S. 56, Abb. C. 2.5 S. 96 Christian Richters, Münster S. 99 Edmund Summer/ view/artur images S. 100 o. Ralph Feiner, Malans S. 100 u. Gramazio & Kohler, Zürich Forschungsprojekt S. 102–107 Hild und K Architekten Viten der Gesprächspartner S.108 Hild und K Architekten: Wilfried Dechau, Stuttgart S. 108, 109 Gesprächspartner (von links nach rechts): Marta Jordi; FIW München; Klaus Mellenthin, Berlin /Stuttgart; Klaus Mellenthin, Berlin /Stuttgart; von privat
Weiterführende Literatur
•
Bildnachweis
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Der gestiegene Anspruch an den Wärmeschutz fordert vom Planer einen sensiblen Umgang vor allem mit der Fassade. Wärmedämmverbundsysteme gelten zwar als preisgünstige Energieeinsparvariante, bei ihrer Verwendung werden aber leider allzu oft die gestalterischen und denkmalpflegerischen Aspekte vernachlässigt. Diese »Praxis der ästhetisch völlig unreflektierten Fassadendämmung« (Andreas Hild) führt auf Dauer zur Zerstörung unserer Stadtbilder. Daher haben es sich die Architekten von Hild und K zum Ziel gesetzt, die Möglichkeiten von WDVS hinsichtlich Planung, Ausführung und Gestaltung auszuschöpfen. Die Publikation liefert einen Diskussionsbeitrag zum Thema WDVS: In Gesprächen setzen sich Architekten, Bauphysiker und Denkmalpfleger mit formalen, bauphysikalischen und technischen Fragen auseinander. Darüber hinaus werden aber auch Lösungsansätze vorgestellt: Ausgeführte Beispiele des Büros zeigen, dass sich kulturelle und ästhetische Gesichtspunkte durchaus in eine Fassadenplanung mit WDVS integrieren lassen.
ISBN 978-3-95553-199-7
9 783955 531997
Institut für Internationale Architekturdokumentation GmbH & Co . KG, München www.detail.de