Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts. [1 ed.] 3428189973, 9783428189977

Die Arbeitnehmerüberlassung ist eines der umstrittensten Themen der Arbeitsmarktpolitik und der korrelierenden rechtswis

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German Pages 635 [636] Year 2023

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Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts. [1 ed.]
 3428189973, 9783428189977

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Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 16

Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts Von

Thies Wahnschaffe

Duncker & Humblot · Berlin

THIES WAHNSCHAFFE

Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts

Abhandlungen zum deutschen und internationalen Arbeits- und Sozialrecht Band 16

Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte des Unions- und Verfassungsrechts

Von

Thies Wahnschaffe

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover hat diese Arbeit im Jahre 2023 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany

ISSN 2747-9021 ISBN 978-3-428-18997-7 (Print) ISBN 978-3-428-58997-5 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im August 2022 eingereicht und im Wintersemester 2022/2023 von der Juristischen Fakultät der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover als Dissertation angenommen. Die Disputation erfolgte am 22. Februar 2023. Rechtsprechung und Literatur sind im Wesentlichen bis März 2023 berücksichtigt. An aller erster Stelle gilt mein besonderer Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Hermann Butzer, der nicht nur diese Arbeit herausragend betreut hat, sondern meine akademische Laufbahn seit meinen frühen Studienjahren hingebungsvoll fördert. Für die vielfältige Unterstützung während der Zeit an seinem Lehrstuhl und weit darüber hinaus kann ich kaum genug Danke sagen. Ihm verdanke ich auch die Anregung und den Zuspruch, mir ein vertieft wirtschaftliches Thema zuzutrauen, welches mich nachhaltig persönlich und politisch geprägt hat. Dank gebührt darüber hinaus Herrn Prof. Dr. Veith Mehde, Mag. rer. publ., für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und Herrn Prof. Dr. Roland Schwarze für die exzellente Leitung der Disputation, die angenehme Prüfungsatmosphäre und wertvolle Anregungen. Zudem danke ich dem Bundesinnenministerium für die großzügige Förderung dieser Arbeit. Auch bei meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl möchte ich mich für die tolle gemeinsame Zeit und die zahlreichen gemeinsamen Unternehmungen und Gespräche bedanken, welche die vergangenen Jahre deutlich lebenswerter gemacht haben. Neben alledem haben aber vor allem meine Familie und meine Ehefrau zum Gelingen dieser Arbeit maßgeblich beigetragen. Ohne die Unterstützung und Fürsorge, die ich von meinen Liebsten in den vergangenen – und während der Pandemiesituation zuweilen nicht ganz einfachen – Jahren erfahren habe, wäre mein Promotionsprojekt nie möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Hannover, im März 2023

Thies Wahnschaffe

Inhaltsverzeichnis Kapitel 1 Einleitung

21

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 B. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

Kapitel 2 Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und des Arbeitsrechts

31

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung und die historische Entwicklung ihrer Regulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Arbeitnehmerüberlassung als (arbeits-)vertragliches Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Die Funktionsweise der Arbeitnehmerüberlassung und die vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Abgrenzung zu anderen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes und zur Arbeitsvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Die Anfänge der Arbeitnehmerüberlassung bis zum Erlass des AÜG im Jahr 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Die Novellierungen des AÜG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Arbeitnehmerüberlassung in der Europäischen Union: Europäische Rechtsetzungsimpulse und die Regulierung in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Die europäischen Gesetzgebungsimpulse bis zur Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Die Regulierung in den Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

8

Inhaltsverzeichnis

B. Arbeitnehmerüberlassung im Spiegel der Interessen der Beteiligten und des Staates I.

57

Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Entleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Flexibilitätsgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 aa) Das betriebliche Flexibilisierungsinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 bb) Die Rolle der Arbeitnehmerüberlassung im betrieblichen Flexibilisierungsinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Kostengesichtspunkte: Rentabilität der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . 67 c) Rekrutierung von Stammarbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Konflikte in der Belegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Effizienz- und Produktivitätsverluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 c) Imageverlust durch Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

II. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Verleiher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Kostengesichtspunkte: Rentabilität aus Sicht der Branche . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Verwendungsbreite: Vielfältige und schnelle Einsatzmöglichkeiten . . . . . . . 84 2. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 a) Gefahr der Abwerbung von Leiharbeitnehmern durch Entleiher . . . . . . . . . . 85 b) Risiko verleihfreier Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 c) Imageverlust durch Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Leiharbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 a) Integration in den Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 aa) Die Datenlage: Divergierende Angaben zu Umfang und Ursachen . . . . 92 bb) Ergebnisse: Evaluationsprobleme und Mindestangaben . . . . . . . . . . . . . 96 b) Attraktivität durch Abwechslungsreichtum oder Alternative zur Arbeitslosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Hohe Fluktuation und instabile Beschäftigungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . 100 b) Kompetenzentwicklung in der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Fehlender Zusammenhalt in der Belegschaft und geringere Bindung zum Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Stresserleben . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 e) Finanzielle Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Stammarbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 a) Beschäftigungsschutz durch Leiharbeitnehmereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 b) Fachlicher Austausch und Entlastung bei vermehrtem Arbeitsaufkommen

116

Inhaltsverzeichnis

9

2. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Verdrängungs- und Substitutionseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Leiharbeitnehmer als Streikbrecher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 V. Arbeitnehmerüberlassung aus staatlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 1. Volkswirtschaftliche Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 2. Sozial- und arbeitsmarktpolitische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 VI. Zwischenergebnis: Arbeitnehmerüberlassung im Spannungsfeld vielfältiger Interessen und Folgen für die Beteiligten und den Arbeitsmarkt und daher regelungsbedürftige Konfliktlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

Kapitel 3 Unionsrechtliche und grundgesetzliche Determinanten des zwischen den beteiligten Akteuren bestehenden Interessenkonflikts: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- und schutzrechtlich aufgeladenes Spannungsfeld?

135

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts: Der verbindliche Regelungsrahmen der Leiharbeitsrichtlinie und die Wertungen des Primärrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 I.

Erste Determinante: Die (sekundärrechtliche) Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . 136 1. Grundkonzeption und Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . 136 a) Die Leiharbeitsrichtlinie im Kontext unionsrechtlicher Arbeitsmarktpolitik und das Konzept der Flexicurity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Wesentliche Inhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Die „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 aa) Unionsrechtliche Regulierung der Dauer der Überlassung durch das Merkmal „vorübergehend“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 (1) Verbot der dauerhaften Überlassung und beschränkende Vorgabe zur Überlassungsdauer durch das Merkmal „vorübergehend“? . . . . . . . . 146 (2) Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung ist unionsrechtlich ungeregelt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 (3) Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie auf die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 (4) Zwischenergebnis: Weder Verbot dauerhafter Überlassungen noch Gebot zeitlicher Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 bb) „Vorübergehend“ als deskriptive Auslegungsvorgabe und Zustandsbeschreibung hinsichtlich des Charakters der Arbeitnehmerüberlassung 157 b) Verbote der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 aa) Zeitlich begrenzte prozedurale Prüfpflicht der mitgliedstaatlichen Behörden oder materielles Beschränkungsverbot? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

10

Inhaltsverzeichnis bb) Zwischenergebnis: Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG ist kein sekundärrechtliches materielles Beschränkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 c) Der Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Ausnahmeoptionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Ausnahmen bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen . . . . . . . 170 (2) Ausnahmen für tarifvertragliche Regelungen unter Achtung des „Gesamtschutzes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (3) Missbräuchliche Anwendung der Ausnahmeoptionen . . . . . . . . . . . 177 cc) Missbrauchsverbot: Verhinderung aufeinanderfolgender Überlassungen 178 (1) Regelungsentscheidung wider die dauerhafte Überlassung und die Substitution von Stammarbeitnehmern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 (2) Regelungsentscheidung wider die Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (3) Die Ansicht des EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (a) Rechtssache C-681/18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 (b) Rechtssache C-232/20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 (4) Zwischenergebnis bezüglich des Missbrauchsverbots . . . . . . . . . . . . 194 d) Zugang zu Beschäftigung, Gemeinschaftseinrichtungen und beruflicher Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 aa) Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Zugang zu Fort- und Weiterbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 cc) Zugang zu Beschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 e) Vertretung der Leiharbeitnehmer und Sanktionsregime . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3. Zwischenergebnis: (Nur) leiharbeitnehmerschützende Mindestvorgaben und in der Folge breite regulatorische Spielräume der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . 203 II. Zweite Determinante: (Primärrechtliche) Grundfreiheiten und Grundrechte . . . . . 205 1. Unionsrechtliche Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Anwendungsbereich der Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 b) Anwendbare Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 aa) Die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AEUV und die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 ff. AEUV der Verleihbetriebe . . . . . . . . . . . . . 206 bb) Die Freizügigkeit der Leiharbeitnehmer aus Art. 45 ff. AEUV . . . . . . . 208 2. Unionsrechtliche Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 a) Anwendungsbereich der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 aa) Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta gem. Art. 51 Abs. 1 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 bb) Anwendbarkeit der Grundrechtecharta im Rahmen des AÜG . . . . . . . . 214 b) Anwendbare Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 aa) Die unternehmerische Freiheit der Entleih- und Verleihbetriebe aus Art. 16 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Inhaltsverzeichnis

11

bb) Die Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 15 GrCh . . . . . . . . . . 218 cc) Das Grundrecht der Leiharbeitnehmer auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen aus Art. 31 GrCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Zwischenergebnis: Vorwiegend abwehrrechtliche Überformung des zwischen den Akteuren bestehenden Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Zwischenergebnis zu den sekundär- und primärrechtlichen unionsrechtlichen Determinanten: Primärrechtlich flankierte Mindestvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie und dadurch Fortbestehen mitgliedstaatlicher Freiräume . . . . . . . . . . . . . . . . 225 B. Die grundgesetzlichen Vorgaben: Berufsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 I.

Dritte Determinante: Gewährleistung und Schutz grundrechtlicher Positionen . . . 226 1. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in ihrer abwehrrechtlichen Funktion 229 a) Schutzbereich der Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Eingriffe in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 c) Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 aa) Allgemeine Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . . 232 bb) Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich des Arbeitsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 cc) Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die DreiStufen-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 dd) Alternativbetrachtung: Kollidierendes Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . 239 ee) Konsequenzen für die Berufsausübungsregelungen des AÜG . . . . . . . . 240 d) Zwischenergebnis zur abwehrrechtlichen Funktion der Berufsfreiheit . . . . . 240 2. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in ihrer schutzrechtlichen Funktion 240 a) Verfassungsdogmatische Begründung der Schutzpflichtenfunktion . . . . . . . 242 b) Die Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 aa) Tatbestand grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Schutzgut und Gefahrenquelle: Persönlich-sachlicher Gewährleistungsbereich des Grundrechts und nicht-staatlicher Eingriffsakteur 247 (2) Gefahrenschwelle: Privater Grundrechtsübergriff als Eingriffsäquivalent und die Gefahrenprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (a) Bundesverfassungsgericht: Präzisierung und Absenkung der Anforderungen im Privatrecht und insbesondere im Arbeitsrecht anhand des Topos der strukturellen Unterlegenheit . . . . . . . . . . . 253 (b) Differenzierung: Der Topos der strukturellen Unterlegenheit und die Anforderungen der Gefahrenschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 (c) Konsequenzen für die Gefahrenschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 bb) Rechtsfolge grundrechtlicher Schutzpflichten: Das Untermaßverbot und das subjektive Recht auf Schutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

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Inhaltsverzeichnis c) Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 aa) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 (1) Schutzgut: Erfassung der Arbeitnehmerinteressen durch den persönlich-sachlichen Gewährleistungsbereich von Art. 12 Abs. 1 GG 274 (a) Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer . . . . . . . . . . . . . . . 274 (b) Übersetzung der Interessen in schutzpflichtenrelevante Schutzgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 (2) Gefahrenquelle: Verleih- und Entleihunternehmen als Eingriffsakteur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 (3) Gefahrenschwelle: Grundrechtsübergriff durch Verleih- und Entleihunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 (a) Indiz: Der Topos der strukturellen Unterlegenheit . . . . . . . . . . . 279 (b) Grundrechtsübergriff beim Vertragsabschluss seitens des Verleihunternehmens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 (c) Grundrechtsübergriff bei den Kündigungs- und Einstellungsentscheidungen der Entleih- und Verleihunternehmen und im Rahmen der Festhaltenserklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 bb) Rechtsfolge: Mindestmaß an Schutz vor Grundrechtsübergriffen in Bezug auf Integrationseffekte beeinträchtigende vertragliche Bestimmungen und in Bezug auf die Festhaltenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Die Koalitionsfreiheit der beteiligten Akteure aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . 290 a) Schutzbereich der Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Normgeprägtes Grundrecht: Eingriff oder Ausgestaltung? . . . . . . . . . . . . . . 292 aa) Ausgestaltung zum Ausgleich struktureller Disparitäten oder Eingriff (zur Schutzpflichterfüllung)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) „Eindeutige“ Eingriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 c) Rechtfertigung von Eingriffen und Ausgestaltungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 4. Die Wertungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 299 II. Vierte Determinante: Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . 301 1. Grundlegendes: Wirkweise und Funktion des Sozialstaatsprinzips . . . . . . . . . . 302 2. Besondere Ausprägung: Sozialstaatliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 a) Verfassungsdogmatische Begründung: Anreicherung der Schutzpflichtendogmatik mit sozialstaatlichen Zielvorgaben zur Schließung verfassungsrechtlicher Schutzlücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 b) Die Struktur der sozialstaatlichen Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 aa) Tatbestand sozialstaatlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (1) Schutzgut: Formale Grundrechtsvoraussetzungen oder materielle Grundrechtswirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 (2) Gefahrenquelle: Wirtschaftlich-soziale Übermacht eines Grundrechtsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314

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(3) Gefahrenschwelle: Grundrechtshemmung aufgrund spezifischer Unterlegenheitssituation und Ausnutzungsmoment des überlegenen Grundrechtsberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 bb) Rechtsfolge sozialstaatlicher Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 (1) Objektiver Gehalt: Handlungsverpflichtung auf einen dem Untermaßverbot entsprechenden Mindeststandard? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 (2) Subjektiver Gehalt: Recht auf sozialstaatlichen Schutz? . . . . . . . . . 320 c) Sozialstaatliche Schutzpflicht im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung? 321 aa) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 (1) Schutzgut: Grundrechtsvoraussetzungen und Grundrechtswirksamkeit in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . 322 (a) Berufsbezogene Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 (b) Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 (2) Gefahrenquelle: Verleih- und Entleihunternehmen als wirtschaftlich-soziale Übermacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 (3) Gefahrenschwelle: Grundrechtshemmung aufgrund der strukturellen Unterlegenheit der Leih- und Stammarbeitnehmer und eines Ausnutzungsmoments der Verleih- und Entleihunternehmen? . . . . . . . . 325 (a) Grundrechtshemmung und Ausnutzungsmoment in Bezug auf die berufsbezogene Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 (b) Grundrechtshemmung und Ausnutzungsmoment in Bezug auf die Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 bb) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 (1) Schutz vor fremdbestimmter individualvertraglicher Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 (2) Schutz vor Streikbrechereinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Weitere sozialstaatliche Aufladung von Regulierungsinteressen . . . . . . . . . . . . 333 a) Sozialstaatliche Aufladung des Leiharbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Sozialstaatliche Aufladung des Stammarbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . 337 III. Zwischenergebnis zu den grundgesetzlichen Determinanten: Arbeitnehmerüberlassung als nur in Teilen grundgesetzliche Kollisionslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338

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Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung in Deutschland

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A. Gesetzgeberische Grundentscheidungen im nach Unionsrecht und Grundgesetz verbliebenen Handlungsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 I.

Möglichkeiten gesetzgeberischer Handlungsmaximen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 1. Verbot der Arbeitnehmerüberlassung als mögliche gesetzgeberische Auflösung der Spannungslage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 2. Gesetzgeberische Alternativentscheidung: Weitgehende Zurückhaltung des Gesetzgebers und Selbstregulierung durch die Branche? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 3. Der Mittelweg: Staatlich regulierte Zulassung der Arbeitnehmerüberlassung als Regelungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347

II. Die Entscheidung des Gesetzgebers: Die Zulassung der Arbeitnehmerüberlassung und deren Regulierung durch das AÜG als Regelungskonzept . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. Die Grundkonzeption der mit dem AÜG verfolgten Zielsetzung: Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und der Arbeitnehmerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Die regelungsdogmatische Grundkonzeption des AÜG: Verquickung öffentlich-rechtlicher Regularien mit zivil- und arbeitsrechtlichen Regularien . . . . . . 350 B. Das Regelungsmodell des AÜG: Wahren die Regulierungsentscheidungen des AÜG den gesetzgeberischen Handlungsrahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 I. Öffentlich-rechtliche Regulierungsentscheidungen: Der administrative Überbau der Arbeitnehmerüberlassung und vorgelagerte Verbotsentscheidungen . . . . . . . . 351 1. Erfordernis behördlicher Erlaubnis und deren Versagung . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Die Erlaubnispflicht: Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt . . . . . . . . . 352 aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Die Versagungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 c) Zwischenergebnis zur Erlaubnispflicht und den Versagungsgründen . . . . . . 359 2. Befristung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 3. Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 4. Überwachungsinstrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 5. Ordnungswidrigkeitentatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 6. Sektorale Verbote der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 a) Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . 367 aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (1) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 (2) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368

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bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 (1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . 371 (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 (aa) Legitimer Zweck: Bekämpfung illegaler Beschäftigungen

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(bb) Geeignetheit: Förderung der Bekämpfungszwecke? . . . . . . . 375 (cc) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete Bekämpfungsmittel? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 (c) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 (2) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . 380 cc) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 b) Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie . . . . . . . . . . . . 381 aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (1) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 (2) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 (1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . 388 (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (aa) Legitimer Zweck: Leiharbeitnehmerschutz im Lichte des Gesundheitsschutzes und der Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (bb) Geeignetheit: Förderung der Schutzzwecke? . . . . . . . . . . . . 392 (cc) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete Schutzmaßnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 (c) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (2) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . 401 c) Verbot in der Pflegebranche: de lege ferenda? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 7. Zwischenergebnis zu den öffentlich-rechtlichen Regulierungsentscheidungen 406 II. Arbeitsrechtliche Regulierungsentscheidungen: Leiharbeitsvertrag, Überlassungsvertrag und die Regulierung der Arbeitsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 1. Lohnuntergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 aa) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . 412 bb) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . 416 c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Lohnuntergrenze . . . . . . . 417

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Inhaltsverzeichnis 2. Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie: Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Leiharbeitsrichtlinie und dessen Ausnahmeoptionen . . . . 418 (1) Der Gleichbehandlungsgrundsatz des AÜG und die Anforderungen der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 (2) Ermöglichung tarifvertraglicher Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 (a) Vereinbarkeit der Bezugnahmeklauseln mit den Richtlinienvorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 (b) Wahrung des „Gesamtschutzes“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (c) Verhinderung aufeinanderfolgender Überlassungen zur Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 bb) Geltung von Unionsgrundrechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 aa) Vereinbarkeit der (zeitlich begrenzten) Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 (1) Vereinbarkeit der Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben 434 (a) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG

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(aa) Vereinbarkeit mit der positiven Koalitionsfreiheit . . . . . . . . . 434 (bb) Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit . . . . . . . . 435 (b) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (2) Vereinbarkeit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (a) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG 437 (aa) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 (bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 (b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . 444 (c) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . 445 bb) Vereinbarkeit der Bezugnahmeklauseln mit grundgesetzlichen Vorgaben 446 (1) Verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen sozialstaatlicher Schutzpflicht und abwehrrechtlicher Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 (2) De lege ferenda: Lösungsvorschläge hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 (a) Vollständige Streichung der Bezugnahmeklauseln? . . . . . . . . . . 448 (aa) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG 449 (bb) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG 450 (cc) Zwischenergebnis zur Vereinbarkeit einer vollständigen Streichung der Bezugnahmeklauseln mit den grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455

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(b) Tarifdispositive Ausgestaltung als Ansatzpunkt? . . . . . . . . . . . . 456 (aa) Mindestanforderungen an den Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 (bb) Mindestanforderungen an den Inhalt der Tarifverträge? . . . . 461 (cc) Zwischenergebnis bezüglich der Ausgestaltungsmöglichkeiten der Tarifdispositivität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 (c) Individualvertragliche Bezugnahme als Ansatzpunkt? . . . . . . . . 463 (3) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Bezugnahmeklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 3. Das Verbot des Streikbrechereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 bb) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 aa) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . 470 (1) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit der Entleihunternehmen: Ausgestaltung zum Ausgleich struktureller Disparitäten? . . . . . . . . 470 (2) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer: Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit durch „Zwangssolidarisierung“ mit dem Streik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 bb) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . 473 (1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer . . . . . . . 473 (2) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Entleihunternehmen . . . . . 476 (a) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 (aa) Schutzbereich: Die unternehmerische Entscheidung zum Streikbrechereinsatz als Inanspruchnahme der Berufsausübungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 (bb) Eingriff: Übertragbarkeit der Dogmatik aus Art. 9 Abs. 3 GG zur ausgleichenden Ausgestaltung bei strukturellen Disparitäten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 (aa) Legitimer Zweck: Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit der Stammarbeitnehmerkoalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG – und zugleich zum Schutz der Leiharbeitnehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 (bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 (cc) Angemessenheit: Verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen sozialstaatlicher Schutzpflicht und abwehrrechtlicher Berufsfreiheit im Lichte der Ausgestaltungsdogmatik . . . . . . . . 484 (3) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit 487

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Inhaltsverzeichnis cc) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung des Verbots des Streikbrechereinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 4. Überlassungshöchstdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie: Wahrung des „vorübergehenden“ Charakters der Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . 489 (1) Überlassungshöchstdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 (2) Abweichungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 bb) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 (1) Geltung von Unionsgrundrechten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 (2) Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 aa) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 (1) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 (a) Legitimer Zweck: Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zur Forcierung von Integrationseffekten und zur Verhinderung von Substitutionseffekten als sozialstaatlich aufgeladene Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 (b) Geeignetheit: Förderung der Zwecke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 (aa) Geeignetheit hinsichtlich der Verhinderung von Substitutionseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 (bb) Geeignetheit hinsichtlich der Forcierung von Integrationseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 (cc) Zwischenergebnis bezüglich der Geeignetheit . . . . . . . . . . . 510 (c) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete alternative Regelungskonzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 (aa) Verpflichtende Gleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 (bb) Arbeitsplatzbezogene Regulierung durch eine Sachgrundorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 (cc) Alternative Überlassungszeitbeschränkungen . . . . . . . . . . . . 516 (dd) Widerspruchs- oder Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 (d) Angemessenheit: Abwägung zwischen liberaler Berufsfreiheit und sozialstaatlich aufgeladenen Schutzinteressen . . . . . . . . . . . 518 (3) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit 520

Inhaltsverzeichnis

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bb) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer und der Abweichungsmöglichkeiten mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . 520 (1) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Tarifpartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 (2) Vereinbarkeit der Tarifdispositivität aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Tarifpartner der Verleihbranche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 (3) Vereinbarkeit der Abweichungsmöglichkeit durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG mit der negativen Koalitionsfreiheit tarifungebundener Entleihunternehmen . . . . . . . . 528 cc) Vereinbarkeit der Abweichungsmöglichkeiten mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 dd) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer und der Abweichungsmöglichkeiten mit grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 5. Unwirksamkeit von Verträgen und vertraglichen Vereinbarungen . . . . . . . . . . . 535 a) Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b) Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 c) Unwirksamkeit weiterer vertraglicher Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 d) Unwirksamkeit von Integrationseffekten beeinträchtigenden vertraglichen Bestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 aa) Unwirksamkeit von Integrationseffekte verhindernden Abreden im Überlassungsvertrag und im Leiharbeitsvertrag (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 (1) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 542 (2) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . 543 bb) Unwirksamkeit und regulierte Zulassung von Integrationseffekte hemmenden Vermittlungsprämien (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2, Nr. 5 AÜG) 544 (1) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . 545 (a) Vermittlungsprämien zulasten der Leiharbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 (b) Vermittlungsprämien zulasten der Entleihunternehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546 (2) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . 547 (a) Vermittlungsprämien zulasten der Leiharbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 (b) Vermittlungsprämien zulasten der Entleihunternehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 e) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Regelungen zur Unwirksamkeit von Verträgen und vertraglichen Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . 550 6. Fingierter Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552

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Inhaltsverzeichnis b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 aa) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . 556 (1) Eingriff in den Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 (a) Legitimer Zweck: Sanktionsregelung und zugleich Regelung zur Forcierung des (Leih-)Arbeitnehmerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . 558 (b) Geeignetheit: Förderung des Sanktionszwecks und des (Leih-) Arbeitnehmerschutzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 (c) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete alternative Regelungskonzepte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 (d) Angemessenheit: Konflikt zwischen sozialstaatlich aufgeladenen Schutzinteressen und liberaler Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . 566 (aa) Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer versus sozialstaatlich motivierter Leiharbeitnehmerschutz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 (bb) Kompensation des unverhältnismäßigen Eingriffs durch das Festhaltensrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 bb) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit des fingierten Übergangs in ein Stammarbeitsverhältnis mit grundgesetzlichen Vorgaben . . . . . . . 579 7. Zwischenergebnis zu den arbeitsrechtlichen Regulierungsentscheidungen . . . . 580

C. Weitere Regulierungsaspekte im Lichte der unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten: Gesetzliche Alternativen mit Regulierungspotenzial in Bezug auf den Interessenkonflikt der Arbeitnehmerüberlassung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580 I. Gesetzliche Adressierung der Weiterbildungsproblematik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 II. Sachgrundorientierung der Arbeitnehmerüberlassung als Regulierungsalternative? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 III. Verpflichtender Gleichbehandlungsgrundsatz in Kombination mit einer Flexibilitätsprämie: interessengerechte Globallösung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 1. Regulierungspotenzial in Bezug auf den Interessenkonflikt der Arbeitnehmerüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 2. Unionsrechtliche und grundgesetzliche Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592

Kapitel 5 Schlussteil

595

A. Wesentliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 B. Abschlussbewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634

Kapitel 1

Einleitung* A. Problemaufriss Die Arbeitnehmerüberlassung ist eines der umstrittensten Themen der nationalen Arbeitsmarktpolitik und der korrelierenden rechtswissenschaftlichen Debatte. Dies spiegelt sich zunächst in der bewegten Historie der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung wider. Von einem gesetzlichen Verbot, das sodann durch das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. April 1967 gekippt wurde,1 über eine erhebliche Deregulierung der Branche nach der Jahrtausendwende – die wiederum im Zeichen der Aktivierung von Beschäftigungspotenzialen stand – bis schließlich zu der vermittels der letztmaligen Novellierung des AÜG2 im Jahr 2017 verfolgten (Rück-)Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ hat die Branche ein breites Spektrum an Regulierungsansätzen erfahren.3 Dem Umstand, dass die Arbeitnehmerüberlassung in der nationalen Arbeitsmarktordnung seit langem einen festen Platz einnimmt, hat diese Regelungshistorie indes keinen Abbruch getan. Zuletzt verzeichnet die Branche im Jahresdurchschnitt 2021 insgesamt 816.000 Beschäftigte.4 Das zuweilen zu Tage tretende erhebliche gesetzgeberische Misstrauen gegenüber dieser Beschäftigungsform findet seine Entsprechung in der öffentlichen und – vor allem – in der politischen Debatte. Namhafte Problemfälle des Leiharbeitnehmereinsatzes5 provozieren immer wieder eine breite mediale Berichterstattung. So

* Hinsichtlich der verwendeten Abkürzungen wird verwiesen auf Kirchner, Hildebert (Begr.)/Böttcher, Eike (Bearb.), Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 10. Auflage, Berlin 2021. 1 Siehe hierzu: BVerfGE 21, 261 ff. 2 Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz wird mit AÜG abgekürzt. 3 Detailliert zur Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierungshistorie: S. 40 ff. 4 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 9, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themenim-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Ent wicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 5 Aufgrund der besseren Lesbarkeit wird im Text das generische Maskulinum verwendet. Gemeint sind selbstverständlich immer alle Geschlechter.

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Kap. 1: Einleitung

waren und sind etwa das Verhalten der Drogeriemarktkette Schlecker,6 der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher (siehe S. 123 f., S. 466 ff.) sowie die Lage der Leiharbeitnehmer in der Fleischindustrie im Kontext der COVID-19-Pandemie (siehe hierzu S. 381 ff.) – um nur einige Beispiele herauszugreifen – Gegenstand gesellschaftlicher Gerechtigkeitsdiskurse. Der Arbeitnehmerüberlassung haftet insofern der Verdacht der Unterminierung solcher sozialer Errungenschaften, die typischerweise mit dem Normalarbeitsverhältnis assoziiert werden, und damit der Makel des Prekariats an.7 Zugleich wird ihre arbeitsmarktpolitische Bedeutung fortwährend betont.8 Angesichts dieser divergierenden Bewertungen verwundert es nicht, dass selbst die jüngsten politischen Forderungen in Bezug auf die regulative Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung unterschiedlicher kaum sein könnten.9 Zu dieser gesellschaftlich-politischen Aufladung der Streitfrage um die Existenzberechtigung und den zulässigen Platz der Arbeitnehmerüberlassung in der Arbeitsmarktordnung tritt ein gehöriger rechtlicher Komplexitätsgrad hinzu. Nicht nur ist die Arbeitnehmerüberlassung rechtspolitisch umstritten – der kontroverse 6 Das Unternehmen hatte im Zuge umfangreicher Schließungen und Neueröffnungen von Filialen im Jahr 2010 großflächig Stammarbeitnehmer entlassen, um diese sodann wiederum unter schlechteren Arbeits- und Entgeltbedingungen als Leiharbeitnehmer über ein Verleihunternehmen zu beschäftigen. Vgl. hierzu detaillierter: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 47 f. 7 Vgl. hierzu einführend und zusammenfassend: Deinert, RdA 2014, 65 ff. 8 Vgl. etwa bereits die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts im benannten Urteil v. 4. 4. 1967 (BVerfGE 21, 261 [269]) wonach die Arbeitnehmerüberlassung „die Arbeitskraft solcher Arbeitnehmer, die aus verschiedenen Gründen keine Dauerstellung [sic!], auch nicht für eine Teilzeitbeschäftigung, annehmen können oder wollen“ mobilisiere. Siehe auch zuletzt: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1 („besondere arbeitsmarktpolitische Bedeutung“). 9 Aufschlussreich sind insofern bereits allein die letztmaligen leiharbeitsbezogenen politischen Forderungen der Parteien im Kontext der Bundestagswahl 2021. So forderten Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke etwa eine verpflichtende Entgeltgleichheit in Kombination mit einer Flexibilitätszulage i. H. v. 10 % des Entgelts. In Bezug auf die Linkspartei kommt die Forderung danach hinzu, die Arbeitnehmerüberlassung insgesamt zu verbieten und (in der Zwischenzeit) zusätzlich eine arbeitsplatz- und nicht arbeitnehmerbezogene Regulierung einzuführen (siehe jeweils: Bündnis 90/Die Grünen, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 103 f., abrufbar unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUE NEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Die SPD fordert demgegenüber einzig eine Entgeltgleichheit (vgl. SPD, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 27, abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Die CDU/CSU hingegen wollte offenkundig am Status Quo festhalten (vgl. CDU/CSU, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 38, abrufbar unter: https://www.csu.de/common/download/Regierungsprogramm.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023), während die FDP v. a. die Abschaffung der Überlassungshöchstdauer zum Ziel hatte (FDP, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 28, abrufbar unter: https://www.fdp.de/sites/ default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023).

A. Problemaufriss

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Diskurs setzt sich auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur fort. Dies betrifft nicht allein die arbeitsrechtliche Diskussionsebene. Vielmehr umfasst die Diskussion auch eine breit angelegte verfassungsrechtliche Debatte und den Streit um die Regulierungsvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie,10 welche die nationale Gesetzgebung seit dem 19. November 2008 überspannt und den rechtlichen Diskurs um eine unionsrechtliche Ebene erweitert. Wo indes eine gesellschaftlich-politische Debatte vehement geführt wird, sind Unterfütterungen liberaler oder sozialer Wert- und daher Regulierungsvorstellungen durch verfassungs- oder unionsrechtliche Argumentationslinien nicht weit. Dies betrifft sowohl die behauptete Unvereinbarkeit gesetzlicher Vorgaben mit abwehrrechtlichen Prinzipien als auch den Vorwurf, dass der Gesetzgeber hinter Schutzobligationen zurückbleiben würde.11 Hinzu kommen mannigfaltige Rechtsprechungsimpulse von Seiten des EuGH und des Bundesverfassungsgerichts,12 welche die Debatte befruchten oder lange geführte Diskussionen zuweilen gar beenden.13 Kurzum: Das Recht der Arbeitnehmerüberlassung und der diesbezügliche gesellschaftlich-politische und unions- und verfassungsrechtliche Diskurs ist komplex und seit Jahrzehnten in Bewegung. Die nachfolgende Untersuchung versucht angesichts dieser Ausgangslage zum einen, eine tragfähige Bestandsaufnahme und Analyse der vielfältigen unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten dieses Themenfeldes vorzunehmen. Auf dieser Basis soll zum anderen sodann die breite rechtswissenschaftliche Debatte im Lichte der zuvor gewonnenen Erkenntnisse einer systematisierenden Überprüfung unterzogen werden, indem die unions- und verfassungsrechtlich problematischen Regulierungsentscheidungen des AÜG im Lichte des höherrangigen Rechts untersucht werden.

10 RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. 11. 2008 über Leiharbeit. 11 Vgl. allein die – herausgegriffenen – konträren Sichtweisen bei: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79 ff.; 196 ff. und Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 215 ff., 302 f. Während Stepien aus einer offenkundig liberalen und daher abwehrrechtlich fokussierten Betrachtungsweise heraus in dem fingierten Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen eine Verletzung der Berufsfreiheit betroffener Leiharbeitnehmer sieht, kommt Pasch in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 RL 2008/104/EG zu dem Ergebnis, dass aus dieser Richtlinienbestimmung ein breiter Regulierungsauftrag in Bezug auf eine generelle Verhinderung Stammarbeitnehmer ersetzender Nutzungsformen erwachse. 12 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 ff.; Urt. v. 14.10.2020 – C681/18, NZA 2020, 1463 ff.; Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 ff.; Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 ff.; sowie BVerfGE 21, 261 ff.; BVerfGK 4, 356 ff.; BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 ff. 13 Gemeint ist: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 ff. Siehe hierzu umfangreich insbesondere ab S. 189 ff.

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Kap. 1: Einleitung

B. Stand der Forschung Der insofern für diese Untersuchung zentrale leiharbeitsspezifische unions- und verfassungsrechtliche Diskurs ist allerdings weit fortgeschritten. Dies betrifft zunächst einen mittlerweile umfangreichen Fundus an arbeitsrechtlichen Untersuchungen von Einzelregelungen des AÜG, innerhalb derer die in Rede stehenden Regulierungsentscheidungen auch auf ihre Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben hin untersucht werden. Insbesondere im Nachgang der letztmaligen Novellierung des AÜG im Jahr 2017 hat sich die diesbezügliche Debatte – größtenteils während der Anfertigungszeit der nachfolgenden Untersuchung – deutlich verbreitert. Zu nennen sind diesbezüglich die Arbeiten von Kämmerer,14 Kottlors,15 und Pant,16 die jeweils unions- und verfassungsrechtliche Untersuchungen der Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG und der diesbezüglichen Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG enthalten. Die dortigen Auseinandersetzungen mit der Überlassungshöchstdauer bauen auf einem bereits zuvor intensiv geführten Diskurs um die Implikationen der Leiharbeitsrichtlinie in Bezug auf die (zeitliche) Ausgestaltung des Leiharbeitnehmereinsatzes im Entleihunternehmen auf, der sich vor allem an der Richtlinienbezeichnung „vorübergehend“ aus Art. 1, 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG entzündet. Der diesbezügliche Streit wird vor allem in den Arbeiten von Belling,17 Berenbrinker,18 Gregori,19 Pasch20 und Topoglu21 verhandelt.22 Kämmerer23 unterzieht des Weiteren auch die im Rahmen der Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingeführte zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes aus § 8 Abs. 4 AÜG einer unions- und verfassungsrechtlichen

14

Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 53 ff. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 57 ff., 203 ff. 16 Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 64 ff.; 181 ff. 17 Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 150 ff., 234 ff. 18 Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 17 ff., 107 ff. 19 Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 37 ff. 20 Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 42 ff., 134 ff., 163 ff. 21 Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im EntleiherUnternehmen, 2015, S. 93 ff. 22 Weniger umfangreiche Beiträge hierzu finden sich bei: Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 40 ff.; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 460 f. Die Arbeiten von Belling, Berenbrinker und Pasch verhalten sich auch bereits ansatzweise zur Überlassungshöchstdauer. 23 Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 30 ff. 15

B. Stand der Forschung

25

Untersuchung. Kolfhaus24 hingegen widmet sich insgesamt der Gleichbehandlungsthematik. Daneben treten Überprüfungen des im Zuge der genannten Novellierung um die Festhaltenserklärung ergänzten fingierten Übergangs eines Leiharbeitnehmers in ein Arbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG, die sich bei Kottlors,25 Kruppa,26 Petras27 und Stepien28 finden.29 Eine gesonderte unions- und verfassungsrechtliche Beurteilung des Verbots des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern aus § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG liefert wiederum Sundermann,30 während Sturm31 die Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG anhand des höherrangigen Rechts überprüft. Der verfassungsrechtliche Diskurs in Bezug auf die Regelungen des AÜG reicht aber zeitlich erheblich weiter zurück als deren jüngere Novellierungen. Das gleiche gilt für die Überformung des nationalen Regelungsregimes durch die Leiharbeitsrichtlinie, welcher der Streit um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einzelner Regulierungsentscheidungen und -optionen ebenso deutlich vorausgeht. Bevor die Leiharbeitsrichtlinie der mitgliedstaatlichen Regulierung den Gleichbehandlungsgrundsatz vorgab, wurde etwa im Schrifttum bereits eine – vereinzelte, aber in der Sache zuweilen breit begründete – verfassungsrechtliche Kritik am Gleichbehandlungsgrundsatz a. F. laut, den das AÜG bereits vor dem Erlass der Leiharbeitsrichtlinie enthielt.32 Doch auch das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b Satz 1 AÜG erfuhr in der diesbezüglichen Arbeit von

24 Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 34 ff. Die Studie ist nach der Einreichung dieser Arbeit erschienen und konnte vor der Drucklegung noch (v. a. in den Fußnoten) Berücksichtigung finden. 25 Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 343 ff. (nur in Bezug auf die diesbzgl. Sanktion der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer). 26 Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 256 ff. 27 Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff. 28 Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 215 ff. 29 Eine stark verknappte verfassungsrechtliche Analyse findet sich zudem bei: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 181 ff. Eine umfangreichere Untersuchung der Fiktionsregelung im AÜG a. F. liefert: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 152 ff. 30 Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 147 ff. 31 Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 79 ff. Die Überprüfung der dortigen Regelungsentscheidung wird im Rahmen dieser Arbeit indes exkludiert. Vgl. hierzu näher: Kap. 4, dort Fn. 2. 32 Siehe etwa: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 20 ff.; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 45 ff.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 170 ff., 197 ff.

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Kap. 1: Einleitung

Rissing33 im Jahr 2001 bereits eine verfassungsrechtliche Kritik. Eine frühe hypothetische Betrachtung, ob gar ein generelles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung verfassungsrechtlich zulässig wäre – was dort bejaht wird –, findet sich demgegenüber bei Krüger.34 All diese Einzelbetrachtungen singulärer Regulierungsentscheidungen sind ohne Zweifel in der Sache instruktiv. Auch bringen sie die unions- und verfassungsrechtliche Debatte um den ausweislich des höherrangigen Rechts zulässigen Regulierungsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung jeweils große Stücke weiter. Wer indes im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung verfassungsrechtlich argumentiert und sich hierbei nicht lediglich auf den Hinweis auf die abwehrrechtliche Funktion der – zumeist – einschlägigen Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3 und Art. 12 Abs. 1 GG beschränkt, der wird zwangsweise der verfassungsdogmatisch komplexen Materie der grundrechtlichen und sozialstaatlichen Bedeutungsebene wirtschaftlicher Abhängigkeitsverhältnisse, die von einer strukturellen Unterlegenheit eines Grundrechtsberechtigten gegenüber dem anderen geprägt sind, begegnen.35 Die diesbezügliche Schnittstelle der Verfassungsdogmatik mit der privatautonomen Rechtsgestaltung zivilrechtlicher Beziehungsgeflechte ist bereits aus sich heraus eine der umstrittensten Thematiken der grundrechtlichen Schutzpflichten- und der verfassungsrechtlichen Sozialstaatsdiskussion.36 Die Frage danach, inwieweit der Privatrechtsverhältnisse regulierende Staat angesichts grundrechtlicher oder sozialstaatlicher Handlungsverpflichtungen auf die konkrete Implementierung rechtlicher Mindestvorgaben verpflichtet ist, kann auch bei der verfassungsrechtlichen Analyse der Regelungen des AÜG nicht ausgeklammert bleiben. Eine verfassungsrechtliche Betrachtungsweise, die diese dogmatische Ebene nicht ausforscht und einzig die konkreten Regularien des AÜG auf eine Vereinbarkeit mit abwehrrechtlichen Gewährleistungen abklopft, bleibt gewissermaßen auf einem Auge blind. Eine erste – kurze aber instruktive – Grundlagenuntersuchung zu derartigen Schutzaufträgen im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung findet sich bei Pieroth.37 Die heutige Ausforschung grundrechtlicher oder sozialstaatlicher Regelungsminima

33

Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 36 ff. Krüger, Zum Verbot der Leiharbeit, 1986, S. 36 ff. 35 Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten in diesen Fällen: S. 253 ff. 36 Vgl. allein die diesbezüglichen umfangreichen Beiträge in Habilitationsschriften: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 472 ff.; Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 246 f.; Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 361 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 133 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 197 ff. 37 Dort wird aus der objektiv-rechtlichen Gehalt der Berufsfreiheit die Gewährleistung „realer Vorbedingungen der Freiheit“ abgeleitet, die i. E. zu einem Schutzauftrag hinsichtlich der Voraussetzungen der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer führe (vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 47 ff., 52). 34

B. Stand der Forschung

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kann sich aber nicht mit dem Verweis auf diese frühe Arbeit begnügen.38 Die grundrechtliche Schutzpflichtendogmatik in Bezug auf privatrechtliche Verhältnisse war zum Zeitpunkt der Arbeit Pieroths nur in Ansätzen entwickelt und steckte gewissermaßen „noch in den Kinderschuhen“. Insbesondere der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Handelsvertreterfall,39 der für die Fortentwicklung der verfassungsrechtlichen Schutzdogmatik im wirtschaftlich-privatrechtlichen Bereich von geradezu bahnbrechender Bedeutung ist, lag noch in der Zukunft. Das Forschungsdesiderat in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Determinanten der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung wird sodann deutlich, wenn man die Herleitung verfassungsrechtlicher Schutzvorgaben in Bezug auf die Leiharbeitnehmerschaft in der oben dargestellten breiten verfassungsrechtlichen Diskussion der Einzelregelungen des AÜG in den Blick nimmt. Vielfach wird die verfassungsrechtliche Prüfung lediglich auf die Konstatierung eines grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Schutzanspruchs der Leiharbeitnehmer verkürzt. Von einer konkreten Überprüfung grundrechtlicher oder sozialstaatlicher Schutzgebote und der diesbezüglich in der verfassungsrechtlichen Literatur entwickelten Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgengesichtspunkte fehlt jede Spur.40 Die hiermit of38 So aber im Wesentlichen: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 74 f.; Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 241 f. 39 BVerfGE 81, 242 (254 ff.). 40 Vgl. etwa zu einem (vermeintlichen) prinzipiellen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch der Leiharbeitnehmer aus der grundgesetzlichen Kommentarliteratur: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 298. Ähnlich auch Wieland, der meint, der Staat komme seiner Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch durch Regelungen zur Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer nach (vgl. Wieland, in: Dreier, GG, 2018, Art. 12 Rn. 153). Pant hingegen erkennt in Ansehung von BVerfGK 4, 356 (364 f.) die Schutzpflichtenaktivierung in Bezug auf die Interessen der Leiharbeitnehmer an, beschränkt sich aber darauf, die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu betonen und aus einem möglichen Verfassungskonflikt daher keinerlei nennenswerte Implikationen für die Ausgestaltung des einfachen Rechts herleiten zu wollen (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 189 ff., 201). Kottlors erkennt zwar ebenfalls angesichts der strukturellen Unterlegenheit der Leih- und Stammarbeitnehmer im Lichte der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine Schutzpflichtenaktivierung an, legt ausgehend von dieser Erkenntnis aber keinen dem Untermaßverbot genügenden Mindestschutz fest, sondern begnügt sich mit einer Betrachtung im Wege praktischer Konkordanz (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 137 f.). In ähnlicher Weise verfährt Petras, der aufgrund struktureller Unterlegenheit eine Schutzpflicht in Bezug auf vertragliche Fremdbestimmungen aktiviert sieht, diese aber weder herausarbeitet noch vom sozialstaatlichen Handlungsauftrag abgrenzt (vgl. Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 96 ff.). So auch Kolfhaus, der in globaler Weise von einer strukturellen Unterlegenheit auf aktivierte Schutzpflichten schließt (vgl. Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 361, 426). Verfassungsdogmatisch ungenau ist auch Berenbrinker, die der Berufsfreiheit der Arbeitgeberseite zunächst den Leiharbeitnehmerschutz gegenüberstellt, ohne diesen verfassungsrechtlich näher einzuordnen, später aber diesbezüglich offenbar vom Untermaßverbot ausgeht (vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 113 f., 119 f.). Gleiches gilt für Kruppa, die im Rahmen der Festhaltenserklärung eine Schutzpflicht annimmt, wo einzig die Abwehrrechtsfunktion einschlägig ist (vgl. Kruppa, Die Festhaltens-

28

Kap. 1: Einleitung

fensichtlich werdende Forschungslücke versucht die nachfolgende Untersuchung zu schließen. Wendet man den Blick wiederum der Überformung der nationalen Regulierung durch die Leiharbeitsrichtlinie zu, kommt noch ein weiterer Forschungs- bzw. Systematisierungs- und Klarstellungsbedarf hinzu. So bleibt die Diskussion um die Inhalte der Leiharbeitsrichtlinie – auch über ein Jahrzehnt nach ihrem Inkrafttreten – noch immer in erheblicher Bewegung. Dies lässt sich in geradezu paradigmatischer Weise an dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-232/2041 verdeutlichen. Hierin hatte der Gerichtshof solchen Richtlinienauslegungen, die den dortigen Bestimmungen breite Regelungsaufträge hinsichtlich der zeitlichen Ausgestaltung der Überlassungsepisoden oder gar arbeitsplatzbezogene Vorgaben in Bezug auf die regulative Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung entnehmen, eine fulminante Absage erteilt (siehe hierzu ab S. 189 ff.). Will man die Auslegungsprärogative des EuGH in Bezug auf die Leiharbeitsrichtlinie nicht insgesamt in Frage stellen, muss man sich diesem Judikat anschließen und entgegenstehende Ansichten exkludieren.42 Kurzum: Der Diskurs um die unionsrechtliche Determinierung des AÜG und um den Rahmen der vertretbaren Auslegungsvarianten der Leiharbeitsrichtlinie ist im Wandel und hat sich in Einzelfragen merklich verengt. Dies erfordert eine tragfähige Untersuchung der Richtlinieninhalte und der diesbezüglichen Debatte im Spiegel der jüngsten judikativen Entwicklungen.43 erklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 261). Röpke hingegen will gar in der Tatsache, dass die Leiharbeitnehmerinteressen in den Gewerkschaften unterrepräsentiert sind, eine Aktivierung der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten der Leiharbeitnehmer (ohne nähere Prüfung) annehmen (vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 163 ff.). Präziser sind hingegen Kämmerer und Thüsing, die zwar die Schutzpflichtenaktivierung zugunsten der Leiharbeitnehmer aufgrund des vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Topos des strukturellen Ungleichgewichts für wahrscheinlich halten, im Einzelfall des dort besprochenen Gleichbehandlungsgrundsatzes a. F. aber einen Nachweis der Fremdbestimmung durch die mächtigere Arbeitgeberseite zulasten der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer fordern (vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 70 ff.). 41 EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 ff. 42 Dies betrifft im Besonderen diejenigen Arbeiten, die aus der Richtlinie die Verpflichtung zeitlicher Beschränkungen der Überlassungen herleiten (vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 168; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 44 f.; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 105 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 78, 92; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 112, 184), sowie die Ansätze, die aus der Richtlinie konkrete inhaltliche Regelungsvorgaben ableiten, die den Mitgliedstaaten eine Regulierung aufgeben, durch welche eine typischerweise Stammarbeitsplätze substituierende Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung verhindert und gleichzeitig Integrationseffekte in reguläre Arbeit forciert werden (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 75 ff., 133, 196 ff.; ähnlich bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172). 43 Das gleiche gilt in Bezug auf das (nach der Einreichung dieser Studie ergangene) Urteil des EuGH in der Rs. C-311/21 (Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 ff.).

C. Gang der Untersuchung

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Die vorliegende Arbeit versucht – diese Notwendigkeiten in Rechnung stellend – einen globalen Blick auf das gesamte Regulierungsfeld der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte aller unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten zu entwerfen. Dieser Forschungsansatz setzt indes noch eine weitere Untersuchung voraus. So ist eine Analyse der unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben nicht ohne eine Aufarbeitung der rechtstatsächlichen Eigenschaften der Arbeitnehmerüberlassung denkbar. Um nachzuvollziehen, zu welchen realen Problemlagen oder Befürchtungen der Richtliniengeber Vorgaben gemacht hat und welche freiheitlichen Betätigungen und Schutzbedürfnisse das Verfassungsrecht aufgreift, müssen zunächst die Chancen und Risiken der Arbeitnehmerüberlassung aus der Warte der an ihr Beteiligten identifiziert werden. Schließlich lassen sich erst „auf der Folie valider Empirie (…) Handlungsnotwendigkeiten und -optionen ausfindig machen“.44 Die insofern notwendige Aufgabe einer Kartografie der ökonomischen und sozialen Bedeutung der Arbeitnehmerüberlassung ist im juristischen Schrifttum zwar schon in Ansätzen geleistet worden.45 Die entsprechenden Versuche, ein diesbezügliches Gesamtbild der Rechtstatsächlichkeit zu zeichnen, lassen aber zum einen die notwendige Tiefe hinsichtlich der Auswertung nicht-juristischer Literatur vermissen. Zum anderen wird dem nur unter sorgfältiger Einbeziehung der nicht-juristischen Literatur zu erzielenden vollständigen Eindruck auch nicht ein Gesamtbild der unionalen und nationalen Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung zum Abgleich gegenübergestellt. Auch diese Lücken versucht die nachfolgende Untersuchung zu schließen.

C. Gang der Untersuchung Aus dem beschriebenen Forschungsstand und den aufgezeigten Forschungsdesideraten ergibt sich daher der folgende Aufbau dieser Untersuchung. Nach einer kurzen Darstellung der rechtlichen Eigenschaften der Dreipersonenkonstellation der Arbeitnehmerüberlassung und einem Überblick über die Historie der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung (Kap. 2 A.) folgt die im vorherigen Abschnitt zuletzt angesprochene Analyse der Arbeitnehmerüberlassung im Spiegel der Interessen der Beteiligten und im Spiegel der staatlichen Perspektive auf ihre ökonomische und soziale Natur (Kap. 2 B.). Nachdem so ein tiefergehender Blick hinter die Kulissen der rechtspolitischen Argumentation und des breiten Meinungsspektrums über den Betrachtungsgegen44 So treffend: Kronauer/Linne, Einleitung: Flexicurity – Leibild, Rhetorik oder halbherziger Kompromiss?, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 9 (18). 45 Vgl. die entsprechenden Ausforschungen der tatsächlichen Grundlagen der Arbeitnehmerüberlassung bei: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 201 ff.; Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 56 ff.; Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 36 ff.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 51 ff.

30

Kap. 1: Einleitung

stand geworfen wurde und die rechtstatsächlichen Begebenheiten anhand empirischer Forschungsstände aufgearbeitet wurden, gilt es sodann – mit dem insofern geschärften Blick – eine vollständige Untersuchung der unions- und verfassungsrechtlichen Determinierung der erläuterten Interessen- und Problemlagen vorzunehmen (Kap. 3). Mit den dort gewonnenen Erkenntnissen darüber, welche Chancen und Risiken das höherrangige Recht aus dem vielfältigen Interessenkonflikt herausgreift und ihren Schutz zu unions- oder verfassungsrechtlichen Regulierungsgrenzen oder -aufträgen verdichtet, werden die Regulierungsentscheidungen des AÜG in den Fokus genommen (Kap. 4 A. und B.). Hierbei gilt es, diejenigen wesentlichen Regelungsentscheidungen, die unions- und verfassungsrechtlich konfliktträchtig sind, auf ihre Vereinbarkeit mit den Determinanten des höherrangigen Rechts hin zu überprüfen. Im Anschluss wird der Blick wiederum über das bereits Geregelte hinaus schweifen gelassen, und es werden Regulierungsoptionen abseits unions- und verfassungsrechtlicher Notwendigkeiten auf ihr Regulierungspotenzial in Bezug auf die analysierten Interessenkonflikte hin untersucht (Kap. 4 C.). Insofern verfolgt die nachfolgende Untersuchung eine verengende und gewissermaßen „trichterförmige“ Vorgehensweise, bei der zunächst die Weite der ökonomischen und sozialen Wirklichkeit in den Blick genommen wird, um dann zu überprüfen, welche Einzelaspekte der dort erörterten Interessen- und Problemlagen unions- und verfassungsrechtlich determiniert sind, und sodann zu analysieren, ob die konkreten Regularien des AÜG diesen höherrangigen Vorgaben gerecht werden. Hierbei versucht die Untersuchung, den Spagat zwischen einer weiten Vogelperspektive auf die Arbeitnehmerüberlassung – und somit auf das „große Ganze“ – und dem gleichzeitig notwendigen Blick für Detailfragen zu bewältigen.

Kapitel 2

Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und des Arbeitsrechts Das AÜG verwendet für die Beteiligten zwar die Begriffe Verleiher, Entleiher und Leiharbeitnehmer. Die Überlassungstätigkeit selbst wird aber nicht etwa dieser Terminologie folgend als Leiharbeit bezeichnet, sondern als Arbeitnehmerüberlassung. Das ist insofern zu begrüßen, als dass der Begriff der Leiharbeit aus zivilrechtlicher Perspektive nicht korrekte Assoziationen zur unentgeltlichen Sachleihe aus § 598 BGB weckt.1 Dass die an diese Bezeichnung anknüpfenden Begrifflichkeiten für die Beteiligten im Gesetzestext dennoch beibehalten wurden, war offenbar deren weitgehender Verbreitung im sowohl allgemeinen als auch juristischen Sprachgebrauch geschuldet.2 Die international geläufige Bezeichnung für die Arbeitnehmerüberlassung ist allerdings die der Zeitarbeit.3 Die Begrifflichkeiten sind freilich synonym. Der Verständlichkeit halber wird im Folgenden gleichwohl die Terminologie des AÜG verwendet und als Arbeitnehmerüberlassung allein diejenige im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG und somit die im Rahmen einer wirtschaftlichen Tätigkeit4 des verleihenden Arbeitgebers stattfindende Überlassung verstanden.5 1 Vgl. etwa: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 42. Ob der Gesetzgeber mit der Vermeidung von derartigen Assoziationen hinsichtlich der Sachleihe darüber hinaus den Erfordernissen der Menschenwürdegarantie gerecht werden wollte, kann dahingestellt bleiben (i. d. S. aber kritisch ggü. dem Begriff: Becker/Wulfgramm, AÜG, 1985, Einleitung, Rn. 17). Im Übrigen wäre es, wollte man die Begrifflichkeiten an die Termini des BGB angleichen, sinnvoller, die Arbeitnehmerüberlassung angesichts ihrer Entgeltlichkeit in Kongruenz zur entgeltlichen Gebrauchsüberlassung beim Mietvertrag i. S. v. § 535 Abs. 1 BGB Mietarbeit und nicht Leiharbeit zu nennen (vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 9). 2 Vgl. hierzu: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 10. 3 So z. B. in Belgien (travail intérimaire), Frankreich (travail temporaire), Italien (lavoro temporaneo), Schweiz (temporäre Arbeit) und schließlich im gesamten anglo-amerikanischen Sprachraum (temporary work). Der Gesetzgeber bezeichnete anfangs die „kurzfristige Arbeitnehmerüberlassung“ als Zeitarbeit (BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9). 4 Die mit diesem in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG aufgestellten Erfordernis einhergehende Abgrenzung zur nichtwirtschaftlichen Arbeitnehmerüberlassung ersetzte das bis zur Novellierung des AÜG im Jahr 2011 geltende Abgrenzungskriterium der Gewerblichkeit (Art. 1, Gesetz v. 28. 4. 2011, BGBl. I S. 642. Siehe ferner sogleich zur Regulierungshistorie: S. 40 ff.). Insofern ist seitdem eine Gewinnerzielungsabsicht nicht mehr erforderlich. Vielmehr reicht es aus, wenn der verleihende Arbeitgeber dauerhaft (Leih-)Arbeitnehmer am Markt anbietet (vgl. hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 109). Ob mit Gewinnerzielungsabsicht oder etwa aus sozialen oder karitativen Motiven heraus verliehen wird, ist also

32

Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung und die historische Entwicklung ihrer Regulierung Dies vorausgesetzt, ist es – um das Phänomen der Arbeitnehmerüberlassung in tatsächlicher Hinsicht zu durchdringen – erforderlich, die Struktur und Funktionsweise dieses Instrumentes des drittbezogenen Personaleinsatzes anhand der vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten rechtlich zu verdeutlichen und eine Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von anderen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes vorzunehmen. Daneben ist für das hier verfolgte Gesamtverständnis auch die historische Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung bedeutsam (vgl. S. 40 ff.).

I. Arbeitnehmerüberlassung als (arbeits-)vertragliches Konzept Die Arbeitnehmerüberlassung ist eine Form des Fremdpersonaleinsatzes6 bzw. der Fremdfirmenarbeit7 oder – so eine weitere Bezeichnung – des drittbezogenen Personaleinsatzes8 und ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass ein Arbeitnehmer durch seinen Arbeitgeber einem Dritten zur Arbeitsleistung überlassen wird.9 Das für gewöhnlich rein bipolar angelegte Arbeitsverhältnis wird hierbei auf spezifische Weise um eine dritte Person erweitert:10 Der Arbeitgeber ist zwar lohnzahlender Arbeitgeber im arbeitsrechtlichen Sinne, der von seinem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitserfolg tritt aber nicht unmittelbar bei ihm, sondern bei einem Dritten ein, an den der Arbeitnehmer überlassen wurde.11

nicht von Belang (siehe Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 280 ff.; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 473). Diese Weichenstellung geht unmittelbar auf den Wortlaut der Leiharbeitsrichtlinie (Art. 1 Abs. 2 RL 2008/104/EG) zurück und dient deren Umsetzung (vgl. zur Umsetzungsabsicht des Gesetzgebers: BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 8). 5 Zur früher in Deutschland gängigen und seit längerem überholten Unterscheidung der Leiharbeit in unechte und echte: Becker/Wulfgramm, AÜG, 1985, Einleitung, Rn. 16; Sandmann/Marschall, AÜG, 1995, Einleitung, Rn. 8. 6 So die Terminologie bspw. bei: Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG, Rn. 8. 7 So die Terminologie bspw. bei: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 1. 8 So die Terminologie bspw. bei: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 14; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 9. 9 Vgl. etwa: Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG Rn. 8; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, A, Rn. 1. 10 Vgl. zu dieser Erweiterung: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 14; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 1. 11 Siehe auch die anschauliche Schilderung und graphische Darstellung bei: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 11 ff.

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung

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1. Die Funktionsweise der Arbeitnehmerüberlassung und die vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten Das AÜG definiert dieses Dreipersonenverhältnis in § 1 Abs. 1 Satz 1 dergestalt, dass „Arbeitgeber (…) als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung)“. Das Gesetz legt hier zum einen die Begrifflichkeiten für die an diesem Dreipersonenverhältnis beteiligten Akteure fest. Zum anderen aber werden auch die grundsätzlichen vertraglichen Beziehungen klargestellt. Lediglich zwischen Verleiher und Arbeitnehmer besteht ein Arbeitsvertrag.12 Dieser Umstand wird im Übrigen in § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG auch zusätzlich als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine erlaubte Arbeitnehmerüberlassung vorgesehen.13 Während einer Überlassung entsteht also gerade kein Arbeitsvertrag zum Entleiher, in Folge dessen der Leiharbeitnehmer arbeitsvertraglich „Diener zweier Herren“ wäre.14 Eine vertragliche Beziehung, die das seinerseits vertraglich aneinander gebundene Paar von Verleiher und Leiharbeitnehmer mit dem Entleiher verbindet, besteht hingegen nur zwischen Verleiher und Entleiher in Form eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages.15 Mit diesem Vertrag verpflichtet sich der Verleiher gegenüber dem Entleiher, diesem im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG einen Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag wird gemeinhin als ein Unterfall des Dienstverschaffungsvertrages – einer Vertragsform sui generis – betrachtet,16 mit der Besonderheit, dass hier ein abhängig Beschäftigter zur Verfügung gestellt wird.17

12 Vgl. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 2; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 18. Ulber betont insofern auch, dass das Arbeitsverhältnis auch wirksam sein muss (Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 32 ff.). 13 Dies dient darüber hinaus der Verhinderung vertraglicher Konstellationen, bei denen weitere „Zwischenverleiher“ eingeschaltet werden, wie beim sog. Weiter-, oder Zwischenverleih. Vgl. hierzu: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 19; Deinert, RdA 2017, 65 (79). 14 Vgl. hierzu: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 6; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 19; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 37. Betont wird dort, dass sich der Gesetzgeber gegen die früher (z. B. bei Nikisch, Arbeitsrecht, Bd. 1, 1961, S. 244 [„Verschachtelung zweier Arbeitsverhältnisse“]), vertretene Auffassung vom „Doppelarbeitsverhältnis“ entschieden hat. Unpräzise ist daher die Formulierung, es würde ein „doppeltes Arbeitsverhältnis“ bestehen (Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG, Rn. 8, unter Bezugnahme auf: EuGH NZA 2013, 495 [497]). Ebenso nicht mit der gesetzlichen Konstruktion zu vereinbaren ist die einst von Heinze präferierte Konstruktion eines Vertragsbeitritts (Heinze, ZfA 1976, 183 [201]). 15 Vgl. hierzu: Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG Rn. 16; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 20. 16 So die Einordnung bei: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 308; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 49a; Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 1 AÜG Rn. 32. 17 Vgl. etwa: Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 1 AÜG Rn. 32.

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

Das AÜG selbst stellt für den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag lediglich formale (vgl. § 12 AÜG), nicht jedoch inhaltliche Voraussetzungen auf. Einzig den Vertragszweck selbst schreibt das AÜG in § 1 Abs. 1 Satz 1 vor: Die Zurverfügungstellung des Leiharbeitnehmers zur Arbeitsleistung beim Entleiher.18 Eine weitere Präzisierung findet diese Vorgabe in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG, der klarstellt, dass Arbeitnehmer im Sinne des AÜG überlassen werden, „wenn sie in die Arbeitsorganisation des Entleihers eingegliedert sind und seinen Weisungen unterliegen“. Eine Arbeitnehmerüberlassung liegt also nur dann vor, wenn der Entleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer weisungsbefugt ist und dieser in den Betrieb eingegliedert ist – mit anderen Worten: wenn der Leiharbeitnehmer in den Entleihbetrieb integriert wird.19 Folglich lässt sich für den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag festhalten, dass dieser dahingehend ausgestaltet sein muss, dass er das arbeitsvertraglich zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer bestehende Direktionsrecht – in jedenfalls konkret arbeitsbezogenem Umfang20 – auf den Entleiher überträgt.21 Es muss also zu einer „sektoralen Aufspaltung der Arbeitgeberfunktion hinsichtlich der Weisungsbefugnis“ kommen.22 Wird das Direktionsrechts demgegenüber nur rein tatsächlich unter beidseitiger Billigung vom Entleiher ausgeübt, während die Übertragung desselben keinen Anklang im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag findet, gilt die tatsächliche Durchführung als maßgeblich,23 wie das AÜG selbst in § 12 Abs. 1 Satz 2 AÜG klarstellt.24 Mit der für die Einordnung eines drittbezogenen Personaleinsatzes als Arbeitnehmerüberlassung essenziellen Übertragung des Weisungsrechts stellt das AÜG im Übrigen eine eindeutige Ausnahmeregelung von der Grundregel aus § 613 Satz 2 BGB auf. Hiernach kann der Anspruch auf (Arbeits-)Dienste „im Zweifel“ nicht übertragen werden. Dritte können also – im Gegensatz zur Konzeption des AÜG – 18

So etwa: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 18. I. d. S. unterscheidet Hamann zwischen äußerer Integration (der tatsächlichen Eingliederung) und innerer Integration (der Übertragung des Weisungsrechts): Hamann, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 114. 20 Dergestalt differenzierend: Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG Rn. 22. Dies dient auch zugleich der Abgrenzung zum auf das Arbeitsendergebnis bezogenen Weisungsrecht aus § 645 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB (vgl. Wank/ Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 1 AÜG Rn. 26). Uneinigkeit besteht indes hinsichtlich der Frage, wie genau der arbeitsbezogene Umfang des Weisungsrechts bei der Arbeitnehmerüberlassung in Abgrenzung zu § 645 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB ausgestaltet sein muss. 21 Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 145. 22 So treffend: Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 33. 23 Vgl. Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG, Rn. 22. 24 Wenngleich die dortige Formulierung das in der Rechtsprechung (bspw. bei BAG, Urt. v. 20.9.2016 – 9 AZR 735/15, NZA 2017, 49 [50]) geforderte subjektive Element, nach dem Verleiher und Entleiher die abweichende Vertragsdurchführung zumindest billigen müssen, vermissen lässt. Siehe hierzu: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 145. 19

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung

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grundsätzlich nicht gegenüber einem Arbeitnehmer weisungsbefugt sein.25 Auf diese – letztlich die Arbeitnehmerüberlassung kennzeichnende – Ausnahme von der arbeitsrechtlichen Grundregel der Unübertragbarkeit des Weisungsrechts müssen sich bereits Leiharbeitnehmer und Verleiher im Arbeitsvertrag oder jedenfalls spätestens vor der konkreten Überlassung geeinigt haben.26 Wäre dies nicht der Fall, müsste letztlich der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag als unzulässiger Vertrag zulasten Dritter – namentlich zulasten des Leiharbeitnehmers – gewertet werden.27 Umstritten ist allerdings die dogmatische Konstruktion dieser (wichtigen) Übertragung des Weisungsrechts. Einerseits wird vertreten, dass der Arbeitsvertrag zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher einen echten Vertrag zugunsten Dritter – namentlich zugunsten des Entleihers – darstelle.28 Das würde in der Konsequenz bedeuten, dass der Entleiher ein eigenes Forderungsrecht gegenüber dem Leiharbeitnehmer erhielte.29 Andere wollen lediglich einen unechten Vertrag zugunsten Dritter annehmen,30 bei dem der Leiharbeitnehmer also mit erfüllender Wirkung an den Entleiher leisten könne. Es bestehe hier aber die Besonderheit, dass der Entleiher im Zuge dessen das Weisungsrecht des Verleihers (jedenfalls ausschnittsweise) durch Abtretung des Anspruchs auf die Arbeitsleistung31 oder aufgrund einer durch den Verleiher erteilten Ausübungsermächtigung ausübe.32 Im letzteren Fall komme dem Entleiher kein Forderungsrecht hinsichtlich der Arbeitsleistung zu, wie es bei einem echten Vertrag zugunsten Dritter oder im Falle der Konstruktion einer Abtretung des Anspruchs auf die Arbeitsleistung der Fall sei.33 Die Frage nach der exakten dogmatischen Konstruktion der Übertragung des Weisungsrechts kann angesichts der hier vorzunehmenden Beurteilung der grundlegenden vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten indes dahinstehen. Festzuhalten ist, dass sich die Rechtsbeziehung des Entleihers zum Verleiher je25 Vgl. etwa: Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 32; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 38; Ulrici, AÜG, 2017, Schwerpunkt A, Rn. 2. 26 Dies fordernd: Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 32; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 189. 27 So implizit: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 20. 28 So die Ansicht von: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 179 ff. Dagegen spricht auch nicht, dass der Entleiher bei Abschluss des Arbeitsvertrages zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer regelmäßig noch nicht feststeht, da die Person des Dritten beim echten Vertrag zugunsten Dritter zunächst nur bestimmbar und nicht bestimmt sein muss. Statt vieler: Walker, in: Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, 2022, § 32 Rn. 8. 29 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 180. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 35. 30 So z. B. explizit: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 20 f. 31 Näheres zu dieser Konstruktion: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 179 ff. (m. w. N.). 32 Instruktiv zu dieser Konstruktion: Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, 1999, S. 558 ff. (mit zahlreichen weiteren Nachweisen in den Fußnoten 63 f.). 33 Dies hervorhebend: Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, 1999, S. 558, 564; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 20 f.

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

denfalls nach dem Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bestimmt und dass sich das Rechtsverhältnis des Leiharbeitnehmers zum Entleiher – da ein eigenständiges arbeitsvertragliches Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher gerade nicht besteht – durch einerseits das Arbeitsverhältnis zum Verleiher und andererseits durch den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bestimmt.34 Ob dem Entleiher gegenüber dem Leiharbeitnehmer in diesem Zweierverhältnis nach den oben angesprochenen Konstruktionen ein eigenes Forderungsrecht auf die Arbeitsleistung zusteht – etwa weil der Arbeitsvertrag ein echter Vertrag zugunsten Dritter ist oder der Verleiher dem Entleiher den Anspruch auf die Arbeitsleistung abtritt – vermag daher richtigerweise letztlich nur durch eine Auslegung dieser Vertragsbeziehungen im konkreten Einzelfall ermittelt werden.35 Die Beantwortung dieser Frage ist im Übrigen nicht lediglich von rein dogmatischem Interesse. Wenn man die rechtliche Beziehung des Leiharbeitnehmers zum Entleiher so konstruiert, dass dem Entleiher ein (originärer oder abgetretener) Leistungsanspruch gegenüber dem Leiharbeitnehmer zusteht, ist etwa die Haftung des Leiharbeitnehmers bei Schlecht- oder Nichtleistung gegenüber dem Entleiher eine andere, als wenn ein solches Recht nicht konstruiert würde.36 Jedenfalls über die grundlegenden rechtlichen Beziehungen innerhalb des Dreiecksverhältnisses aus Entleiher, Verleiher und Leiharbeitnehmer besteht aber Einigkeit. Zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher besteht ein Arbeitsvertrag, mit der einzigen Besonderheit, dass die Grundregel aus § 613 Satz 2 BGB abbedungen wird. Der Verleiher stellt dem Entleiher den Leiharbeitnehmer sodann mittels eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages zur Verfügung und überträgt ihm (jedenfalls teilweise) das Weisungsrecht. Zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher besteht hingegen keine eigene arbeitsvertragliche Beziehung. Ob dort allerdings jedenfalls ein arbeitsrechtliches Schuldverhältnis vorliegt, hängt maßgeblich von der oben diskutierten Frage ab, ob sich eine Leistungspflicht des Leiharbeitnehmers gegenüber dem Entleiher konstruieren lässt. Dies hängt wiederum in erster Linie davon ab, 34 So die anschauliche Darstellung bei: Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, 1999, S. 563 f. 35 So auch schon treffend: Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, 1999, S. 563. Zuvor bereits ansatzweise: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 94. 36 In diesem Fall bestünden seitens des Entleihers Ansprüche aus §§ 280 ff. BGB gegen den Leiharbeitnehmer. Hierzu detailliert: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 492 ff. Zu beachten ist jedoch, dass die Regeln des betrieblichen Schadensausgleichs für eine deutliche Abmilderung des Haftungsrisikos des Leiharbeitnehmers sorgen (vgl. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 38). Allerdings hängen Haftungsfragen nicht nur von der Frage nach einem Leistungsanspruch des Entleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer ab. Vgl. etwa zur möglichen Konstruktion einer culpa in contrahendo zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 99. Oder zur Einordnung des Arbeitsvertrages zwischen Leiharbeitnehmer und Verleiher als ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten des Entleihers: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 141 ff.

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wie man die vertraglichen Beziehungen zwischen Entleiher und Verleiher und Verleiher und Leiharbeitnehmer rechtlich interpretiert.37 2. Abgrenzung zu anderen Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes und zur Arbeitsvermittlung Die Arbeitnehmerüberlassung ist nur eine von mehreren Formen des drittbezogenen Personaleinsatzes (bzw. des Fremdpersonaleinsatzes oder der Fremdfirmenarbeit). Neben der Arbeitnehmerüberlassung besteht vielmehr auch die Möglichkeit, über Werkverträge, Geschäftsbesorgungsverträge, Dienstverträge oder Dienstverschaffungsverträge externes Personal abseits der Stammbelegschaft zu akquirieren.38 Die Arbeitnehmerüberlassung hat mit diesen anderen Spielarten drittbezogenen Personaleinsatzes zwei wesentliche Gemeinsamkeiten. Zum einen ist das Hauptmotiv zum Einsatz dieser Beschäftigungsformen im einzelnen (Entleih-)Betrieb – so viel sei bereits verraten39 – vor allem darin zu sehen, dass auf akuten und kurzfristigen Arbeitskräftedarf zu reagieren ist.40 Eine sinnvolle Möglichkeit zur Befriedigung eines solchen Bedarfs kann darin bestehen, auf fremde Personalreserven zurück zu greifen, ohne selbst neue Stammarbeitnehmer einstellen zu müssen.41 Die zweite Gemeinsamkeit ist darin zu sehen, dass die genannten Arten des Fremdpersonaleinsatzes – wie bei der Arbeitnehmerüberlassung – zum anderen zumeist innerhalb einer Dreipersonenkonstellation verlaufen. Aus diesem Grund ergeben sich Überschneidungs- und Abgrenzungsprobleme derartiger Vertragsgestaltungen in Hinblick auf die Arbeitnehmerüberlassung. Die entsprechende Abgrenzung lässt sich allerdings grundsätzlich unter Bezugnahme auf die oben dargestellten besonderen vertraglichen Gestaltungen der Ar-

37 Hierzu noch einmal abschließend die Darstellung bei: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 124 ff. 38 Vgl. zuletzt zu den neueren Phänomenen der agilen Projektarbeit oder der sog. Einsatzarbeit in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung: Bähr, Fremdpersonaleinsatz im Rahmen agiler Projektarbeit, 2022, S. 312 ff.; Kolbe/Helmboldt, EuZA 2021, 406 ff. 39 Die Gründe, warum Unternehmen überhaupt zum personalpolitischen Konzept des Einsatzes fremder Arbeitskräfte – die also nicht als Stammarbeitnehmer im eigenen Betrieb angestellt sind – greifen, können vielfältig sein und auch von dem dargestellten Flexibilitätsmotiv abweichen. Dies soll an späterer Stelle noch umfassend erörtert werden (vgl. unten ab S. 59 ff.). 40 Siehe etwa zur vielfach beschworenen Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilitätsreserve bereits im Jahr 1973: Becker, AÜG, 1973, Einleitung, Rn. 73. Siehe auch: BT-Drs. 14/4220 v. 4. 10. 2000, S. 14. Vgl. ferner: Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG, Rn. 2; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 8. 41 Hierzu – wie hier – in aller Kürze: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 16.

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beitnehmerüberlassung vornehmen.42 Insbesondere die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung zentrale Übertragung des arbeitsbezogenen Weisungsrechts ist hierbei ein maßgebliches Differenzierungskriterium.43 Der Rekurs auf dieses Abgrenzungsmerkmal führt allerdings gerade bei der in der Praxis bedeutendsten Abgrenzungsfrage – namentlich der Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung zu Werkvertragsgestaltungen – zu Schwierigkeiten. Von herausgehobener Bedeutung ist die Abgrenzung zum Werkvertrag deshalb, weil sich in der konkreten Einsatzpraxis beobachten lässt, dass drittbezogene Personaleinsätze, bei denen es sich rechtlich gesehen um Arbeitnehmerüberlassungen handelt, in Form von Werkverträgen durchgeführt werden, um die Regularien des AÜG zu umgehen.44 Dies lässt sich treffend als „Flucht in den Werkvertrag“ bezeichnen.45 Die vertragliche Grundkonstellation ist hierbei die, dass ein bestellendes Unternehmen (der potenzielle Entleiher) einen Werkunternehmer (den potenziellen Verleiher) mit der Herstellung eines Werkes im Sinne von § 631 Abs. 1 BGB beauftragt und dieser einen bei ihm angestellten Arbeitnehmer (den potenziellen Leiharbeitnehmer) als Erfüllungsgehilfen im Betrieb des Bestellers einsetzt.46 Zwar unterscheidet sich diese vertragliche Gestaltung abstrakt bereits dadurch von der Arbeitnehmerüberlassung, dass der Werkunternehmer einen Erfolg schuldet, während der Verleiher lediglich einen Arbeitnehmer zur Verfügung zu stellen hat.47 Die angesprochene Abgrenzungsschwierigkeit in der konkreten arbeitsvertraglichen Praxis liegt demgegenüber aber darin, dass sowohl dem Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, als auch dem Besteller beim Werkvertrag ein Weisungsrecht zukommt: Im ersten Fall ist es das arbeitsbezogene Weisungsrecht, im zweiten Fall das werkbezogene Weisungsrecht im Sinne von § 645 Abs. 1 Satz 1 BGB, mittels dessen auch der Besteller dem Erfüllungsgehilfen Weisungen erteilen kann.48 Wenn von diesem Weisungsrecht Gebrauch gemacht wird, kann daher die Erfüllung eines 42 Indem etwa insbesondere positiv festgestellt wird, dass ein durch einen Dritten fremdgesteuerter Arbeitseinsatz vorliegt: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 150. 43 Siehe beispielhaft zur Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung von Dienst-, Dienstverschaffungs- und Geschäftsbesorgungsverträgen, die jeweils ebenfalls drei Beteiligte involvieren: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 151, 219 ff., 231 ff., 237 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 92, 107, 114, 118. Vgl. auch zuletzt: BAG 27.6.2017 – 9 AZR 133/16, NZA 2023, 105 (109, Rn. 32 ff.). 44 So bereits früh: Becker/Wulfgramm, AÜG, 1985, Einleitung, Rn. 123. Siehe ferner: Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 69; sowie Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 205 ff, der umfangreich die verschiedenen Erscheinungsformen dieser „verdeckten Arbeitnehmerüberlassung“ beschreibt. Gebräuchlich ist auch die Bezeichnung „Scheinwerkverträge“ (siehe etwa: Marschall, Bekämpfung illegaler Beschäftigung, 2003, S. 28). 45 So explizit: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 160. 46 Grundlegend hierzu: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 34 f. 47 Vgl. Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 61; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 71 f. 48 Vgl. zur Differenzierung: BAG, Urt. v. 18. 1.2012 – 7 AZR 723/10, NZA-RR 2012, 455 (458); Marschall, Bekämpfung illegaler Beschäftigung, 2003, S. 31; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 61; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 73.

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Werkvertrags unter Einsatz eines beim Werkunternehmer angestellten Arbeitnehmers der Arbeitnehmerüberlassung ihrem äußeren Erscheinungsbild nach gleichkommen. In der Rechtsprechung und Literatur haben sich zu dieser Abgrenzungsproblematik zahlreiche Kriterien und Indizien herausgebildet, mittels derer zwischen der beschriebenen Art von werkvertraglichen Vereinbarungen und der Arbeitnehmerüberlassung zu differenzieren ist.49 Auf diese Abgrenzungsproblematik kann hier nicht vertieft eingegangen werden. Angesichts der in der Praxis zu beobachtenden Umgehung der Regularien des AÜG mittels scheinbarer Werkverträge sei die Relevanz dieses Themenkreises jedoch zumindest aufgezeigt. Einige Worte verdient daneben auch die Abgrenzung zu einer anderen Dreipersonenkonstellation des Arbeitsrechts – der Arbeitsvermittlung. Hierbei handelt es sich allerdings nicht um eine Form des drittbezogenen Personaleinsatzes, die der beschriebenen Befriedigung von kurzfristigem Personalbedarf dient. Im Gegenteil: Nach der Legaldefinition aus § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB III erfasst Arbeitsvermittlung „alle Tätigkeiten, die darauf gerichtet sind, (…) Arbeitsuchende mit Arbeitgebern zur Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zusammenzuführen.“ Mit der Arbeitsvermittlung wird also gerade nicht die kurzfristige Zurverfügungstellung von Arbeitskräften bezweckt, sondern die Vermittlung eines (dauerhaften) Arbeitsverhältnisses mit einem Dritten.50 Folglich schließen sich Arbeitsvermittlung und Arbeitnehmerüberlassung gegenseitig aus.51 Der unbefangene Rezipient des AÜG mag sich daher berechtigterweise fragen, wie die Regelung in § 1 Abs. 2 AÜG zu erklären ist, nach der vermutet wird, dass Arbeitsvermittlung betreibt, wer Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlässt und dabei nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 – 3 AÜG übernimmt. Diese Frage ist nur historisch aufzuklären. So diente die Vermutungsregelung aus § 1 Abs. 2 AÜG einst dazu, die Arbeitnehmerüberlassung von der bis zur Aufhebung des Arbeitsvermittlungsmonopols der Bundesagentur für Arbeit am 1. August 1994 illegalen Arbeitsvermittlung abzugrenzen.52 Im Falle von § 1 Abs. 2 AÜG griff zudem die Regelung aus § 13 AÜG a. F., die ein Arbeitsverhältnis zwischen vermeintlichem Leiharbeitnehmer und vermeintlichem Entleiher fingierte.53 Durch den Wegfall von § 13 AÜG a. F. und durch die Öffnung der Arbeitsvermittlung für Private hat sich diese ursprüng-

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Siehe hierzu weiterführend die umfassenden Darstellungen bei: Hamann, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 168 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 41 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 61 ff.; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 74 f.; Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rn. 18 ff. 50 Vgl. etwa: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, D, Rn. 5 f. 51 So jedenfalls implizit: Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 1 AÜG Rn. 13. 52 Dies war jedenfalls der tragende Grund. Weiterführend hierzu: Boemke, in: Boemke/ Lembke, AÜG, 2013, § 1 Rn. 9; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 491a. 53 Zu dieser vormaligen Rechtslage: Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 138 f.

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liche Regelungswirkung allerdings erledigt.54 Welchen Zweck die Regelung seitdem verfolgt, bleibt weitestgehend unklar.55 Festgehalten werden kann aber, dass die Abgrenzung der Arbeitnehmerüberlassung und der Arbeitsvermittlung jedenfalls historisch ein relevantes Regelungsziel für den die Arbeitnehmerüberlassung regulierenden Gesetzgeber war und daher zum Verständnis des regulativen Gesamtwerks des AÜG beitragen kann.

II. Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung in Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht in Deutschland und Europa Mit diesem ersten Seitenblick auf die historischen Implikationen der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung fällt nunmehr der Fokus auf die Entwicklung dieser Beschäftigungsform und ihrer Regulierungshistorie im nationalen und internationalen Kontext. Klar sein muss hierbei zunächst, dass das Phänomen der Arbeitnehmerüberlassung – wie auch das moderne Arbeitsrecht selbst – auf eine eher kurze (neuzeitliche) Entwicklung zurückblickt.56 Die Tatsache, dass es sich um ein im Grunde junges Phänomen der Lebenswirklichkeit handelt, führt in der Konsequenz auch dazu, dass die rechtliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im deutschen und europäischen Kontext keine allzu umfangreiche Entwicklungslinie aufweist. Ihrer vergleichsweise kurzen Geschichte zum Trotz ist aber insbesondere in Deutschland die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in den vergangenen Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Novellierungen und Reformen geworden. 1. Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung auf dem deutschen Arbeitsmarkt Die Arbeitnehmerüberlassung ist in Deutschland anfangs zunächst begrifflich und auch hinsichtlich ihrer Regulierung – wie bereits angedeutet – eng mit der

54 So etwa: Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1 Rn. 159; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 150; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 139 f. A. A. ist wohl Ulber, der trotz des Wegfalls von § 13 AÜG a. F. im Fall von § 1 Abs. 2 AÜG ein fingiertes Arbeitsverhältnis annehmen will (Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, D, Rn. 47 ff. [m. w. N.]). 55 Daher kritisch: Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1 Rn. 140. Konsequentermaßen zieht Boemke hieraus den Schluss, dass § 1 Abs. 2 AÜG mangels vorhandenem Regelungsziel abzuschaffen ist (Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1 Rn. 9, 159). Einzig Schüren sieht zumindest im seltenen Fall, in dem der Verleiher als Strohmann für den Entleiher auftritt, damit dieser seine ihm als eigentlichem Arbeitgeber obliegenden Pflichten umgehen kann, einen zu erhaltenden Anwendungsbereich (Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 501 ff.). 56 Umfassend zur Entstehung des modernen Arbeitsrechts im 19. und 20. Jahrhundert: Becker, Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis in Deutschland, 1995, S. 85 ff.

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Arbeitsvermittlung verknüpft.57 Als eigenständiges Phänomen des Arbeitslebens tritt sie letztlich erst im 20. Jahrhundert auf den Plan.58 Die Arbeitsvermittlung hingegen hat ihren Ursprung bereits in der frühen Neuzeit. Während die Zünfte schon früh faktisch Arbeitskräfte vermittelten, entwickelte sich in der frühen Neuzeit auch abseits des zünftig organisierten Arbeitsmarkts eine private Form der Arbeitsvermittlung, welche sich in der Industrialisierung rasch verbreitete.59 Die private Arbeitsvermittlung geriet in der Folgezeit jedoch aufgrund von Berichten über eine in der Vermittlungsbranche gesteigerte Kriminalität und aufgrund der Tatsache, dass die Arbeitsvermittler offenbar zunehmend die Notlage betroffener Arbeitnehmer ausnutzten, in den Fokus staatlicher Regulierung.60 Am 2. Juni 1910 folgte daher eine erste reichseinheitliche Regulierung der Arbeitsvermittlung im Stellenvermittlungsgesetz,61 welches Kontrollmaßnahmen gegenüber der privaten Arbeitsvermittlung vorsah und einen öffentlichen Arbeitsnachweis implementierte, der letztlich der Einführung einer staatlichen Arbeitsvermittlung gleichkam.62 Das sodann folgende Arbeitsnachweisgesetz vom 27. Juli 192263 hingegen griff zu deutlich drastischeren Regulierungsschritten und installierte das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol, das bis 1994 Bestand haben sollte. a) Die Anfänge der Arbeitnehmerüberlassung bis zum Erlass des AÜG im Jahr 1972 Im Zuge der vorgenannten Regelungen zur Arbeitsvermittlung wurde nun im Arbeitsnachweisgesetz erstmalig gemäß des dortigen § 48 Abs. 1 jegliche private Arbeitsvermittlung untersagt.64 Zugleich wurde aber auch erstmalig die Arbeitnehmerüberlassung – wenngleich sie noch nicht als solche bezeichnet wurde – zum Gegenstand staatlicher Regulierung und in § 48 Abs. 5 Arbeitsnachweisgesetz65 als 57 Vgl. etwa zu diesem Aspekt: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 23; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 26. 58 Vgl. etwa: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 27. Siehe auch: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 36. 59 Vgl. instruktiv: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 27. Vertiefend zur frühen Geschichte der Arbeitsvermittlung: Bethge, Die Arbeitsvermittlung im sozialen Rechtsstaat, 1962, S. 5 ff.; Kühne, Das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit und die Begründung von Leiharbeitsverhältnissen, 1971, S. 60 ff. 60 Siehe etwa: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 27; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 26; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 1. 61 RGBl. I S. 860. 62 Weiterführend: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 27; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 1. 63 RGBl. I S. 857. In Kraft trat das Gesetz aber erst zum 1. 1. 1931. 64 Siehe auch die Darstellung bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 36. 65 § 48 Abs. 5 Arbeitsnachweisgesetz lautete: „Als gewerbsmäßige Stellenvermittlung gilt ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitskraft der Zuweisende dritten Personen

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eine Form der Arbeitsvermittlung begriffen und gleichsam verboten.66 Hiervon erfasst war aber nur eine solche Arbeitnehmerüberlassung, bei der der „Verleiher“ Arbeitsausrüstung nicht vorhielt und soziale Versicherungslasten nicht übernahm. Das Verbot ließ sich somit durch Einhaltung dieser Kriterien und folglich durch die Vortäuschung einer Arbeitgeberstellung zum einen leicht umgehen.67 Zum anderen aber war damit auch die Arbeitnehmerüberlassung nach dem (heutigen) Verständnis des AÜG, die gerade so ausgestaltet ist, dass der Verleiher die Arbeitgeberfunktion innehat und somit auch denklogisch typische Arbeitgeberaufgaben – wie das Vorhalten von Ausrüstung und die Übernahme von Versicherungslasten – erfüllt, nicht erfasst und somit nicht verboten.68 Diese erste Regulierungsentscheidung in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung wurde in der Nachfolgeregelung zu § 48 Abs. 5 Arbeitsnachweisgesetz, dem § 54 Abs. 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) vom 16. Juli 1927,69 wörtlich übernommen70 – erneut, ohne dass dies Auswirkungen auf die ohnehin nicht vom Verbot erfasste Arbeitnehmerüberlassung nach dem heutigem Verständnis gehabt hätte. Deutlich eindeutiger hinsichtlich der Regulierung der hier zu untersuchenden Arbeitnehmerüberlassung liest sich dann hingegen eine am 6. Oktober 1931 folgende Notverordnung des Reichspräsidenten. Dort wurde auf den Wortlaut der vorgenannten Normen, die von „Ausrüstung“ und „sozialen Versicherungslasten“ sprechen, verzichtet und klargestellt, dass Arbeitsvermittlung im obigen Sinne jedenfalls nicht vorliege, wenn der „Vermittler“ tatsächlich Arbeitgeber des vermittelten Arbeitnehmers sei.71 Die Arbeitnehmerüberlassung nach heutigem Verfür vorübergehende Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen und die sozialen Versicherungslasten des Arbeitgebers für die vermittelten Personen zu übernehmen.“. 66 Vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 28; Thüsing, in Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 26. 67 Vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 28. 68 Ebenso: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 37; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 34. 69 RGBl. I S. 187. 70 So auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 36; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 2. 71 Die Notverordnung stellte die vorherige Rechtslage in diesem Punkt indes nur klärend fest, da ohnehin bereits nach dem oben Ausgeführten die Arbeitnehmerüberlassung nach heutigem Verständnis nicht unter die verbotene Arbeitsvermittlung zu subsumieren war (vgl. Kühne, Das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit, 1971, S. 78; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 36). Verhindert wurde durch die Notverordnung letztlich lediglich die Möglichkeit, das Verbot zu umgehen, indem Arbeitgebereigenschaften durch das Vorhalten von Ausrüstung vorgehalten wurden und die Übernahme von Versicherungslasten lediglich vorgetäuscht wurden (vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 28 f.). Missverständlich ist daher die Formulierung bei Thüsing, der angibt, die Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. AÜG sei durch die Notverordnung

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ständnis – dies war nun deutlich geworden – war also erlaubt. Gleichwohl kam sie nur im Bereich der Montanindustrie häufiger vor und hatte insgesamt eine eher geringe praktische Bedeutung auf dem Arbeitsmarkt.72 Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung änderte sich an dieser Rechtslage zunächst nichts.73 Arbeitnehmerüberlassung im Sinne des späteren AÜG war weiterhin erlaubt, spielte aber lediglich in der Montanindustrie und teilweise im Baugewerbe eine Rolle.74 Ohnehin blieb für private Arbeitsvermittlung oder Arbeitnehmerüberlassung aufgrund der im Zuge der Kriegswirtschaft zunehmenden Zwangsbewirtschaftung des Arbeitsmarktes schon rein tatsächlich wenig Raum.75 Ideologisch empfand man Arbeitnehmerüberlassung im Übrigen als asozial, insbesondere dann, wenn der Verleiher keinen eigenen Betrieb hatte, sondern seine Arbeitnehmer nur um der Verleihtätigkeit willen beschäftigte – mit anderen Worten: wenn eine Arbeitnehmerüberlassung nach heutigem Verständnis vorlag.76 Konsequentermaßen wies der Reichsarbeitsminister daher schließlich mit Erlass vom 20. Dezember 1941 die Arbeitsämter an, derartige Verleihtätigkeiten zu unterbinden, es sei denn, die Arbeitnehmerüberlassung diene einer „Behebung einer augenblicklichen Notlage oder von Arbeitsspitzen“ und sei daher ausnahmsweise zu erlauben.77 In der Nachkriegszeit setzte sich zunächst die Zwangsbewirtschaftung des Arbeitsmarkts – nun durch die Besatzungsmächte – fort.78 Auf diese Phase folgte am 3. April 1957 mit dem neu geschaffenen § 37 Abs. 3 AVAVG eine Regelung, die an wieder unbeschränkt erlaubt worden (vgl. Thüsing, in Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 26). 72 Weiterführend: Theuersbacher, Das Leiharbeitsverhältnis, 1960, S. 8 ff. Vgl. ferner: Schüren, in: Hamann/Schüren, AÜG, Einleitung, Rn. 37. 73 § 54 AVAVG wurde zwar durch Verordnung v. 26. 11. 1935 (RGBl. I S. 1361) gestrichen, da die Norm Arbeitnehmerüberlassung nach heutigem Verständnis aber ohnehin nicht erfasste, wirkte sich dies auf die Arbeitnehmerüberlassung letztlich nicht aus. 74 So die Einschätzung von: Schüren, in: Hamann/Schüren, AÜG, Einleitung, Rn. 37. 75 Weiterführend: Bethge, Die Arbeitsvermittlung im sozialen Rechtsstaat, 1962, S. 46 f. 76 So auch: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 38; Schüren, in Hamann/ Schüren, AÜG, Einleitung, Rn. 41. Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Begründung des im Reichsarbeitsministerium tätigen Verwaltungsjuristen Sturn, der im RABl. 1942, S. 235, noch meinte, dass solche Verleihtätigkeiten der „nationalsozialistischen Auffassung des Arbeitsverhältnisses als eines auf der gegenseitigen Treuepflicht beruhenden Führer- und Gefolgschaftsverhältnisses“ widersprächen, weil „bei dem Aufnahmebetrieb trotz tatsächlicher Einreihung in die Gefolgschaft rechtlich ein Gefolgschaftsverhältnis nicht zustande“ komme. Ein kleines rechtshistorisches Lehrstück hinsichtlich der Geschichtsvergessenheit der Juristerei in der Nachkriegszeit gelingt Belling, wenn er darauf hinweist, dass Sturn derartige Bedenken nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 4. 4. 1967 alsbald (Sturn, BB 1969, 1436 [1437]) nicht mehr äußerte. Vgl. hierzu: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 38. 77 RABl. I S. 6. 78 Vgl. hierzu: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 29; Schüren, in: Hamann/Schüren, AÜG, Einleitung, Rn. 43.

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das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung während der Vorkriegszeit anknüpfte,79 indem jede regelmäßige Zuweisung von Arbeitnehmern an Dritte – worunter man insbesondere die gesamte gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung fasste80 – als verbotene Arbeitsvermittlung begriffen wurde.81 Damit war auch die Arbeitnehmerüberlassung im heutigen Sinne untersagt und ggf. sogar strafbar.82 Das Bundesverfassungsgerichts brachte mit einer Entscheidung vom 4. April 196783 – also ein Jahrzehnt nach dem Inkrafttreten des Verbots – eine entscheidende Wende. Das Gericht stellte fest, dass das Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung aus § 37 Abs. 3 AVAVG mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei und dass die Arbeitnehmerüberlassung nicht verboten, sondern vielmehr sozialverträglich durch den Gesetzgeber ausgestaltet werden müsse.84 Bezüglich des Verbots der privaten Arbeitsvermittlung, von der das Bundesverfassungsgericht die Arbeitnehmerüberlassung demgegenüber scharf abgrenzte,85 hatte das Gericht allerdings keine verfassungsrechtlichen Bedenken.86 Mit diesem vom Bundesverfassungsgericht erteilten Auftrag an den Gesetzgeber war der Grundstein für das von der zu diesem Zeitpunkt regierenden Koalition aus SPD und FDP initiierte AÜG87 gelegt, das am 12. Oktober 1972 in Kraft trat.88 Zuvor 79 Vgl. auch: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 39; Schüren, in Hamann/ Schüren, AÜG, Einleitung, Rn. 47. 80 Vgl. insbesondere: Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, 1963, S. 526. Siehe ferner: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 4. Obwohl die Norm ihrem Wortlaut nach nicht eindeutig jede Form der Arbeitnehmerüberlassung verbot, wurde auf ihrer Grundlage jedenfalls in der Praxis jede Form gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung untersagt. Vgl. Kühne, Das Vermittlungsmonopol der Bundesanstalt für Arbeit, 1971, S. 119 ff. (m. w. N.). 81 § 37 Abs. 3 AVAVG (BGBl I S. 1018) lautete: „Als Arbeitsvermittlung gilt ferner die Zuweisung von Arbeitnehmern, deren Arbeitsraft der Zuweisende regelmäßig dritten Personen für eine Beschäftigung zur Verfügung stellt, ohne selbst die Arbeit auf eigene Rechnung ausführen zu lassen und ohne selbst die Ausrüstung mit den erforderlichen Werkzeugen für die zugewiesenen Arbeitskräfte zu übernehmen.“. 82 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Erster Band, 1963, S. 526, die § 210 AVAVG in Bezug nehmen. § 228 Abs. 1 Nr. 3 AFG a. F. normierte zudem eine Ordnungswidrigkeit (vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 40). 83 BVerfGE 21, 261 ff. 84 Ausführlich zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 31 ff. Überblicksartig: Schüren, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 48 ff.; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 28. 85 BVerfGE 21, 261 (268). Weitergedacht wurde die Abgrenzung im dann folgenden Urteil des BSG in derselben Rechtssache (BSGE 31, 235 [340]). 86 Siehe die am gleichen Tag ergangene Entscheidung zum Arbeitsvermittlungsmonopol: BVerfGE 21, 245 ff. 87 Zur Entstehung des AÜG erster Fassung inklusive aller Stellungnahmen von Gewerkschaften und Verbänden siehe die umfassende Darstellung bei: Becker/Wulfgramm, AÜG, 1985, Einleitung, Rn. 111 ff.

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war es unmittelbar nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu einem raschen Anstieg der Anzahl der Verleihunternehmen gekommen.89 In der Sache enthielt die erste Fassung des AÜG bereits ein breites Regulierungsinstrumentarium, dessen Bestandteile im Wesentlichen auch noch in der aktuellen Fassung des AÜG zu finden sind. Dazu gehören insbesondere die Erlaubnispflicht,90 einschließlich detaillierter Regelungen der Erlaubnisversagungsgründe,91 die auch eine erste Implementierung einer Überlassungshöchstdauer von drei Monaten enthielten,92 sowie Regelungen zu Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis, die Fiktion eines Arbeitsvertrages zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer bei Verstößen gegen die Erlaubnispflicht, Anzeige- und Auskunftsverpflichtungen für die Verleihbetriebe und erste Ordnungswidrigkeitentatbestände.93 Zum Zweck des Erfahrungsgewinns in Bezug auf die nunmehr legale gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung wurde zudem – auf Vorschlag des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung – eine Berichtspflicht der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag über die Entwicklungen bei der Gesetzesanwendung statuiert.94 Die aufgrund dieser Berichterstattungspflicht regelmäßig erscheinenden Berichte 88

BGBl. I S. 1393. Vgl. auch die Darstellung bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 40. 90 Es handelt sich um ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Vgl. nur: Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen AÜG, Ziff. 1.1 Abs. 1, abrufbar unter: https://www. arbeitsagentur.de/datei/fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Siehe ferner: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 13. Zum dogmatischen Hintergrund von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt ggü. repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt siehe die übersichtliche Darstellung bei: Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2019, Rn. 504. 91 Einige der damaligen Versagungsgründe sind aber im aktuellen AÜG nicht mehr enthalten, wie z. B. das sogenannte Synchronisationsverbot, nach dem die Dauer des Leiharbeitsverhältnisses nicht auf die Dauer der ersten Überlassung beschränkt werden darf (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 AÜG a. F.) sowie die ohne sachlichen Grund stattfindende Befristung des Leiharbeitsverhältnisses (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG a. F.), die ebenfalls zur Versagung der Erlaubnis führte und schließlich das Wiedereinstellungsverbot (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 AÜG a. F.), nachdem unbefristet eingestellte Leiharbeitnehmer nicht entlassen und dann befristet neu eingestellt werden durften. Die Vorschriften wurden durch Art. 6 des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt v. 23. 12. 2002 (BGBl. I S. 4607) neu gefasst bzw. gestrichen. 92 Die damalige Überlassungshöchstdauer war im Gegensatz zur heutigen Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG als Versagungsgrund formuliert (§ 3 Abs. 1 Nr. 6 AÜG a. F.): „Die Erlaubnis oder ihre Verlängerung ist zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller einem Entleiher denselben Arbeitnehmer länger als drei aufeinanderfolgende Monate überläßt, (…)“. 93 Ausführlich hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 54 ff. Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 12 ff. 94 Der letzte Bericht dieser Art ist der 12. Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des AÜG mit Stand von 2014, abrufbar auf der Webseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales: https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/aueg-be richt-12.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 89

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zeichneten anfangs (bis 1982) auch die tatsächliche Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung auf dem Arbeitsmarkt nach.95 Umfassende Zahlen zur Relevanz der Arbeitnehmerüberlassung auf dem Arbeitsmarkt werden aber auch heute noch – namentlich durch die Bundesagentur für Arbeit – insbesondere in der halbjährlichen Statistik „Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit“, erhoben.96 Aus diesen Erhebungen wird auch deutlich, wie sich die Arbeitnehmerüberlassung über die Jahrzehnte seit der Einführung des AÜG entwickelt hat. In absoluten Zahlen ist die Häufigkeit der Arbeitnehmerüberlassung beinahe stetig angestiegen.97 Diesen über die Jahrzehnte zu beobachtenden und relativ stetigen Aufwärtstrend der Arbeitnehmerüberlassung auf dem deutschen Arbeitsmarkt konnten auch die seit der Einführung des AÜG vielfach vorgenommenen Änderungen des Gesetzes im Grunde nicht nennenswert schmälern, obgleich die Regularien zunächst noch verschärft wurden. Spätestens seit der Mitte der 1980er Jahre – abgesehen von der jüngsten Novellierung im Jahr 201798 – geht der regulative Trend indes eher in Richtung einer Flexibilisierung der Arbeitnehmerüberlassung.99 Die wesentlichsten der zahlreichen Änderungen des AÜG sollen im Folgenden überblicksartig nachgezeichnet werden.

95 Siehe hierzu die Zusammenfassung der in den jeweiligen Berichten bis 1982 angegebenen statistischen Erhebungen bei: Becker/Wulfgramm, AÜG, 1985, Einleitung, Rn. 54. 96 Der aktuelle Bericht vom Juli 2022 ist abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/ DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeits markt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 97 Siehe hierzu die Grafik der Bundesagentur für Arbeit zur Entwicklung der Anzahl von Leiharbeitnehmern ab dem Jahr 1980 bis 2020, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur. de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Ar beitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung-Abbildungen.pdf?__blob=publica tionFile&v=10, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Eine weiterführende detailliertere Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung über die Jahrzehnte findet sich bei: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 33 ff. 98 Vgl. hierzu die Angaben bei: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 4, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Con tent/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutsch land-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Nach einer langen Wachstumsphase setzte im Jahr 2018 in der Zeitarbeit ein Beschäftigungsrückgang ein, der anfangs auch mit den gesetzlichen Regulierungen zusammenhängen dürfte.“). 99 Der generelle Trend zu einer Aufhebung von Regularien und einer weitergehenden Flexibilisierung der Leiharbeit lässt sich anschaulich anhand der grafischen Darstellung „Reformen und Änderungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung“ der Bundesagentur für Arbeit nachvollziehen. Vgl. https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statisti ken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-ZeitarbeitAktuelle-Entwicklung-Abbildungen.pdf?__blob=publicationFile&v=10, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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b) Die Novellierungen des AÜG Die nächste erwähnenswerte Änderung des AÜG erfolgte – ebenfalls unter der regierenden sozialliberalen Koalition – bereits im Jahr 1974 mit einer erheblichen Verschärfung der Ordnungswidrigkeitentatbestände.100 Eine weitere und deutlich drastischere Verschärfung des AÜG trat sodann nach dem Regierungswechsel zur konservativ-liberalen Koalition aus CDU/CSU und FDP zum 1. Januar 1982 in Kraft: Das – bis heute bestehende – branchenspezifische Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe.101 Ebenfalls zum 1. Januar 1982 trat zudem das Gesetz zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in Kraft,102 das erstmals die betriebsverfassungsrechtliche Stellung der Leiharbeitnehmer regelte und (erneut) die Ordnungswidrigkeitentatbestände verschärfte.103 Einen gewissen, von der regierenden konservativ-liberalen Koalition vorangetriebenen Trend zur Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitnehmerüberlassung läutete im Folgenden das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. April 1985 ein,104 das die Überlassungshöchstdauer von drei auf sechs Monate verlängerte. Am 29. Dezember 1989105 wurde die bis ursprünglich nur bis zum 31. Dezember 1989 befristete Verlängerung der Überlassungshöchstdauer indes erneut bis zum 31. Dezember 1995 verlängert und im Jahr 1994 auf neun Monate angehoben. Das Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 exkludierte zudem die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung vom Anwendungsbereich des AÜG, was in § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG im Wesentlichen noch heute Bestand hat.106 Auch das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe wurde im Folgenden mittels der Einführung von Ausnahmeregelungen durch das Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes im Bereich des Baugewerbes vom 20. September 1994 erheblich entschärft.107 Eine weitere Liberalisierung erfolgte bezüglich der Überlassungshöchstdauer durch das Arbeitsförderungs-Reformgesetz vom 24. März 1997,108 wonach die Überlassungshöchstdauer von neun auf zwölf Monate angehoben wurde. Auf 24 Monate verdoppelt wurde diese sodann nach dem Wechsel der Regierungskoalition 100

Art. 250 EGStGB, BGBl. I, S. 469. Die Verbotsnorm war in § 12a Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) a. F. zu finden, welcher durch das Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) v. 22. 12. 1981 eingeführt wurde (BGBl. I, S. 1497). 102 BGBl. I S. 1390. 103 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 62. 104 BGBl. I S. 710. 105 BGBl. I Nr. 61. 106 Siehe hierzu zuletzt die umfassende Analyse bei: Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 42 ff. 107 BGBl. I S. 2456. Näheres hierzu: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 25 ff.; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1b Rn. 30. 108 BGBl. I S. 594. 101

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zu der von der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen geführten Regierung durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 12. Oktober 2001.109 Das Gesetz brachte aber noch eine weitere maßgebliche Neuerung: Die erste Normierung eines Gleichbehandlungsgebots („Equal Pay/Equal Treatment“) in § 10 Abs. 5 AÜG a. F. Hiernach mussten Verleiher ihren Leiharbeitnehmern bei Überlassungen von mehr als zwölf Monaten die im Verleihbetrieb geltenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts gewähren, was auch sogleich durch eine Ergänzung der Ordnungswidrigkeitentatbestände flankiert wurde.110 Das sodann bereits zwei Jahre später mit dem 1. Januar 2003 in Kraft tretende Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt,111 das von der am 22. Februar 2002 seitens der Bundesregierung einberufenen Kommission für „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ – besser bekannt als Hartz-Kommission – erarbeitet wurde, sorgte für eine weitere und teils erhebliche Deregulierung der Arbeitnehmerüberlassung.112 So entfiel nun die Überlassungshöchstdauer. Außerdem wurde das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche (erneut) gelockert.113 Hinsichtlich des zuvor eingeführten Gleichbehandlungsgebotes wurde nun festgelegt, dass dieses von Beginn der Überlassung an gelten solle, wobei hiervon durch tarifvertragliche Regelungen der Verleihbranche und innerhalb der ersten sechs Wochen einer Überlassung auch durch individualvertragliche Abreden abgewichen werden konnte, solange im Übrigen ein angemessenes Schutzniveau für den Leiharbeitnehmer gewährleistet war.114 Diese Tariföffnungsklausel sorgte allerdings zum Teil für ein erhebliches Lohndumping durch bspw. die „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA“ (CGZP), das sich bis zur Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP im Jahr 2010 fortsetzte.115 109

BGBl. I S. 3443. Näher dazu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 84. 111 BGBl. I S. 4607. 112 Für einen ausführlicheren Überblick über die durch das Gesetz erfolgten Änderungen des AÜG: Kokemoor, NZA 2003, 238 ff. 113 Siehe hierzu die weiterführenden Ausführungen bei: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 10 f., 60 f. Darüber hinaus entfielen ebenso das Wiedereinstellungsverbot, das Synchronisationsverbot und das Befristungsverbot. Man erhoffte sich von der Streichung dieser Regelungen eine Flexibilisierung der Arbeitnehmerüberlassung. Siehe hierzu die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/25 v. 5. 11. 2002, S. 24). 114 BT-Drs. 15/25 v. 5. 11. 2002, S. 24. 115 Die CGZP schloss z. T. Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 4,81 E ab (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 89 [m. w. N.]). Zum gerichtlichen Verfahren um den Missbrauch der Tarifautonomie der CGZP: BAG, Urt. v. 17.11.2010 – 10 AZR 649/09, NZA 2011, 289 ff., Beschl. v. 23. 5. 2012 @ 1 AZB 58/11, NZA 2012, 623 ff. Siehe auch die umfassende Darstellung bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 92 f. Zu den arbeits- und sozialrechtlichen Nachwehen der Entscheidung des BAG: Schüren, Warum ist die Geschichte des AÜG so schwierig?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 77 (89 ff.). 110

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Eine weitere Neuerung war die Einführung der sogenannten Personal-ServiceAgenturen (PSA). Diese sollten eine auf Arbeitsvermittlung und somit auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt abzielende staatlich betriebene Arbeitnehmerüberlassung insbesondere für schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose betreiben.116 Hierzu konnten Verleihunternehmen von der Bundesagentur für Arbeit mit der Einrichtung und dem Betrieb einer solchen PSA beauftragt werden.117 Die PSA erwies sich jedoch als arbeitsmarktpolitischer Misserfolg,118 weswegen die Möglichkeit der Schaffung dieser Agenturen durch Art. 1 Nr. 17 des Neuausrichtungsgesetzes am 1. Januar 2009 wieder aufgehoben wurde. Die nächste große Novellierung des AÜG erfolgte mit einigem Abstand am 28. April 2011 mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.119 Das Gesetz diente vor allem der Umsetzung der RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (sogenannte Leiharbeitsrichtlinie), die von den Mitgliedstaaten gem. Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie bis zum 5. Dezember 2011 umgesetzt werden musste.120 Demgemäß enthielt das Gesetz auch zahlreiche von der Umsetzung der Richtlinie motivierte Neuerungen, die allesamt zum 1. Dezember 2011 in Kraft traten. Zu nennen ist vor allem, dass unter direkter Übernahme des Wortlauts der Richtlinie (Art. 1 Abs. 1 RL 2008/104/EG) eine Überlassung nun „vorübergehend“ zu erfolgen hatte.121 Ebenso auf den Wortlaut der Richtlinie (Art. 1 Abs. 2 RL 2008/104/EG) ging zurück, dass nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht mehr die Gewerbsmäßigkeit verlangt wurde, sondern lediglich, dass die Überlassung im Rahmen der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verleihers erfolgt. Die Richtlinie sah auch ein umfassendes Gleichbehandlungsgebot vor, von dem allerdings durch Tarifverträge der Sozialpartner unter Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer abgewichen werden konnte (Art. 5 Abs. 1, 3 RL 2008/104/EG). Da das AÜG eine derartige Regelung bereits enthielt, war diesbezüglich keine Harmonisierung erforderlich.122 116

Siehe hierzu insbesondere die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 15/25 v. 5. 11. 2002, S. 27 f. 117 Der entsprechende § 37c Abs. 1 SGB III lautete: „Die Agentur für Arbeit kann erlaubt tätige Verleiher mit der Einrichtung und dem Betrieb von Personal-Service-Agenturen beauftragen. Aufgabe der Personal-Service-Agenturen ist insbesondere, eine Arbeitnehmerüberlassung zur Vermittlung von Arbeitslosen in Arbeit durchzuführen sowie ihre Beschäftigten in verleihfreien Zeiten bei der beruflichen Eingliederung zu unterstützen und weiterzubilden.“. 118 Näheres hierzu: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 57. 119 BGBl. I S. 642. 120 Siehe hierzu die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 2. Zur näheren Auseinandersetzung mit der Richtlinie: ab S. 136 ff. 121 § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a. F. lautete: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend.“. 122 So implizit die Ausführungen bei: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 93. In gewisser Weise wurden die Regelungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz der Richtlinienvorgabe „vorauseilend“ eingeführt. Vgl. hierzu: Boemke, RiW 2009, 177 (178);

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

Das Gesetz enthielt aber auch noch andere maßgebliche Änderungen, die nicht auf eine Umsetzung der Richtlinie zurückgingen, sondern nationalen Regulierungsinteressen dienten. Hierzu zählte vor allem der verstärkte Schutz der Leiharbeitnehmer, der insbesondere durch den Ausschluss des sogenannten „Drehtüreffekts“ mittels der Einführung von § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 4 AÜG a. F. gewährleistet werden sollte.123 Der Begriff „Drehtüreffekt“ bezeichnet hierbei eine Praxis, bei der Stammarbeitnehmer gekündigt und sodann unmittelbar wieder als Leiharbeitnehmer zu günstigeren Konditionen eingesetzt werden (auch „sell and lease back“ genannt).124 Nach der neu eingeführten Regelung durfte in diesem Fall keine Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz gemacht werden. Die (wieder) eingesetzten Leiharbeitnehmer mussten also gleich der Stammbelegschaft behandelt und insbesondere dergestalt entlohnt werden.125 Außerdem wurde in § 3a AÜG a. F. – der auch im heutigen AÜG in abgeänderter Form126 noch enthalten ist – die Möglichkeit zur Festsetzung einer Lohnuntergrenze mittels einer Rechtsverordnung durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales geschaffen.127 Dies diente neben dem Schutz der Leiharbeitnehmer auch maßgeblich volkswirtschaftlichen Interessen, da zum 1. Mai 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union hergestellt wurde und man dementsprechend einen Unterbietungswettbewerb verhindern wollte,128 weswegen die Regelung auch bereits am 30. April 2011 in Kraft trat. Die jüngste Reform erfuhr das AÜG durch das unter der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD beschlossene Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze vom 21. Februar 2017, das am 1. April 2017 in Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329 (1330). Gegen ein solches Verständnis spricht indes, dass die erstmalige Einführung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Leiharbeitsrichtlinie Jahre voraus lag. 123 Siehe hierzu die Begründung des Gesetzesentwurfs: BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 9. 124 Näheres zu dieser Praxis: Böhm, DB 2010, 672 ff.; Hamann, NZA 2011, 70 (75). 125 Zum Drehtüreffekt und dessen Verhinderung durch die Novelle: Schüren, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 97; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 68. Insbesondere die sog. „Drehtürklausel“ aus § 8 Abs. 3 AÜG (heutiger Fassung), wonach tarifliche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz für Mitarbeiter, die innerhalb der letzten sechs Monate vor Beginn der Überlassung beim entsprechenden Entleiher tätig waren, für sechs Monate ausgeschlossen werden, adressiert dieses Phänomen und verhilft den Leiharbeitnehmern in diesem Fall zu vollständiger Gleichstellung (für sechs Monate). Vgl. hierzu näher: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 204 ff. 126 Durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie (BGBl. I S. 1506) wurde die Norm geringfügig geändert (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 100). 127 Die erste Rechtsverordnung dieser Art war die Erste Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit v. 21. 12. 2011 mit einem Mindeststundenentgelt von 7,89 E in Westdeutschland und von 7,01 E in Ostdeutschland. Die aktuelle (vierte) Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit v. 20. 8. 2020 sieht ab dem 1. 4. 2022 für das Bundesgebiet eine Lohnuntergrenze von 10,88 E. 128 Vgl. BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 13 f. Siehe auch: Bayreuther, DB 2011, 706 ff.

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Kraft trat.129 Erneut wurde eine Überlassungshöchstdauer eingeführt, nach der die Überlassung nun auf 18 Monate begrenzt ist. Die Überlassungshöchstdauer ist jedoch nicht mehr – wie in vorangegangenen Regelungen – als Erlaubnisversagungsgrund normiert, sondern als zwingende tatbestandliche Voraussetzung dafür, dass Arbeitnehmerüberlassung überhaupt zulässig ist. Gleichwohl adressiert das Gesetz einen dahingehenden Rechtsverstoß ebenfalls in den Erlaubnisversagungsgründen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG). Eine weitere Neuheit stellt auch die Regelung dar, dass die Tarifparteien der Einsatz- und nicht etwa der Verleihbranche von dieser Überlassungshöchstdauer durch Tarifvertrag abweichen können (§ 1 Abs. 1b AÜG). Der Gleichbehandlungsgrundsatz hingegen wird nun – in Bezug auf das Arbeitsentgelt („Equal Pay“) – ab dem neunten Monat einer Überlassung verpflichtend. Tarifliche Abweichungen von demselben (hierbei seitens der Verleihbranche) sind grundsätzlich nur bis zu diesem Zeitpunkt möglich (§ 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG). Eine längerfristige tarifvertragliche Abweichung ist nur mit einer in § 8 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1, Nr. 2 AÜG näher ausgestalteten stufenweisen Heranführung des Arbeitsentgelts an das tariflich vereinbarte Arbeitsentgelt von vergleichbaren Arbeitskräften der Einsatzbranche zulässig.130 2. Arbeitnehmerüberlassung in der Europäischen Union: Europäische Rechtsetzungsimpulse und die Regulierung in den Mitgliedstaaten Dank der europäischen Grundfreiheiten können Dienstleistungen, Waren und auch Arbeitskraft grenzüberschreitend in EU-Mitgliedstaaten angeboten werden. Das führt in der Konsequenz auch dazu, dass Arbeitnehmer im europäischen Binnenmarkt vielfach in anderen Mitgliedstaaten ihre Arbeitskraft anbieten bzw. einer Arbeit nachgehen.131 Dieser Grundmechanismus des freien europäischen Binnenmarkts macht auch vor dem Phänomen der Arbeitnehmerüberlassung nicht halt.132 Ebenso wie andere Spielarten des Arbeitslebens133 findet auch Arbeitnehmerüber129

BGBl. I S. 258. Siehe hierzu die Ausführungen (und insbesondere die instruktive grafische Darstellung) bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 32 ff. 131 Im Jahr 2014 arbeiteten 7,07 Millionen EU-Bürger in einem Mitgliedstaat, der nicht ihrer Staatsangehörigkeit entspricht. Vgl. hierzu: Memo der EU-Kommission, Arbeitskräftemobilität in der EU; abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_MEMO-14 – 541_de. htm; zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 132 Siehe hierzu die jüngste Analyse der EU-Kommission zum Entsenden von Arbeitskräften in andere Mitgliedstaaten durch Arbeitgeber (Posting of workers) und dem Anteil der Arbeitnehmerüberlassung (temporary employment) hieran: Posting of workers, Report on A1 Portable Documents issued in 2018, S. 27, 29; abrufbar unter: https://www.mobilelabour. eu/13148/report-on-posting-of-workers-a1-portable-documents-issued-in-2018/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 133 Bei grenzüberschreitender Entsendung von Arbeitnehmern ist ggf. das Arbeitnehmerentsendegesetz zu beachten. 130

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

lassung grenzüberschreitend innerhalb des europäischen Binnenmarktes statt. Allerdings führt dieser Umstand zu zahlreichen Rechtsfragen und hinsichtlich der (arbeits-)vertraglichen Beziehungen zwischen den Beteiligten insbesondere in die Rechtsbereiche des internationalen Privat- und Sozialversicherungsrechts,134 auf die im Rahmen dieser Bearbeitung nicht weiter eingegangen werden kann.135 a) Die europäischen Gesetzgebungsimpulse bis zur Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) Bezüglich der im Rahmen dieser Bearbeitung im Vordergrund stehenden analytischen Betrachtung der inländischen Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung – vorwiegend136 im Rahmen des AÜG – ist hingegen die Richtliniensetzung der Europäischen Union hinsichtlich der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung von großer Bedeutung. Diese befruchtet und überformt die nationale Gesetzgebung. Aus der jüngsten Vergangenheit dieser europäischen Rechtsetzungsimpulse ist hier insbesondere die bereits angesprochene Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit) zu nennen, auf deren konkreten Inhalt an späterer Stelle vertiefter eingegangen wird (vgl. S. 142 ff.). Diese Richtlinie steht jedoch am Ende einer – wenngleich nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönten – Vorgeschichte an Richtlinien und Richtlinienvorschlägen bezüglich einer harmonisierenden Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung.137 So trat die Europäische Kommission schon in den 1980er Jahren mit einem ersten Versuch einer solchen Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung, die insbesondere eine einheitliche Regelung zum Schutz der Leiharbeitnehmer einführen sollte, mittels eines Richtlinienvorschlags auf den Plan.138 Dieser Vorschlag wurde jedoch nie angenommen.139 134 Siehe hierzu jüngst die Entscheidung des EuGH zur Frage, welches nationale Sozialversicherungsrecht anwendbar ist, wenn Leiharbeitnehmer vorwiegend in einem anderen Mitgliedstaat tätig sind: EuGH, Urt. v. 3.6.2021 – C-784/19, NZA 2021, 1461 ff. 135 Mit grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, insbesondere den anwendbaren rechtlichen Grundlagen, ihrer Fundierung in den Grundfreiheiten und den Auswirkungen der rechtlichen Determinanten auf die Wettbewerbssituation im Binnenmarkt, setzt sich Wilde eingehend auseinander (Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 93 ff). Überblicksartig: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 638 ff.; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 43 ff. 136 Vgl. unten zum sektoralen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie aus § 6a Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch): S. 381 ff. 137 Umfassend zu den entsprechenden Richtlinien und Richtlinienvorschlägen: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 555. 138 Richtlinienvorschlag v. 7. 5. 1982, ABl. C 128, S. 2 (abgedruckt bei: Becker/Bader, RdA 1983, 1 ff.). 139 Umfassend zum Inhalt des Richtlinienvorschlags: Schmidt, Die Richtlinienvorschläge der Kommission der Europäischen Gemeinschaften zu den atypischen Arbeitsverhältnissen, 1992, S. 41 ff.

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung

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Ein (kleiner) Schritt in eben diese gesetzgeberische Richtung folgte dann allerdings mit RL 91/383/EWG des Rates vom 25. Juni 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis, die jedenfalls minimale Arbeitsschutzmaßnahmen für diese Arten von atypischen Beschäftigungsverhältnissen vorsahen.140 Eine darauf aufbauende und weiterführende Regulierung von atypischen Arbeitsverhältnissen, die man sich etwa angesichts von Verhandlungen der europäischen Sozialpartner im Rahmen des Verfahrens nach Art. 138 EGVerhoffte, führte nur teilweise zum Erfolg. Während die Verhandlungen zwar bezüglich der Regulierung von Teilzeitarbeitsverhältnissen und befristeten Arbeitsverhältnissen zu den Richtlinien RL 1997/81/EG vom 15. Dezember 1997 und RL 1999/70/EG vom 28. Juni 1999 führten, mussten die Sozialpartner am 21. Mai 2001 feststellen, dass sie hinsichtlich der Arbeitnehmerüberlassung zu keinem gemeinsamen Ergebnis kommen konnten.141 Auch ein weiterer Richtlinienentwurf der Kommission im Jahr 2002 führte nicht zum Erfolg.142 Mit der erfolgreichen Verabschiedung der Richtlinie 2008/104/EG am 19. November 2008 durch das Europäische Parlament und den Rat nahm diese Serie an Misserfolgen europäischer Gesetzgebung jedoch ein Ende.143 Spätestens seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 5. Dezember 2011 bildet die Leiharbeitsrichtlinie den gemeinsamen Nenner der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in den Mitgliedstaaten. Die Richtlinie stellt jedoch nur den sprichwörtlichen kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Die Regelungsmodelle in den Mitgliedstaaten divergieren trotz der harmonisierenden Wirkung der Richtlinie zum Teil erheblich. Das mag zum einen in der Rechtsnatur der Richtlinie selbst begründet liegen, die nur hinsichtlich des Ziels und nicht hinsichtlich der Wahl der Form und Mittel für die Mitgliedstaaten verbindlich ist.144 Zum anderen lässt die Leiharbeitsrichtlinie aber auch etwa hinsichtlich des erklärten Ziels des Gleichbehandlungsgebots diverse Abweichungsmöglichkeiten nach den Bedingungen des jeweiligen nationalen Rechts zu, was möglicherweise zum Teil bereits der Tatsache geschuldet ist, dass sich die Regu-

140

Siehe hierzu auch: Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 29. Vgl. Schüren/Wank, RdA 2011, 1 f. Siehe hierzu auch die Erwägungsgründe 3 – 7 der Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG). 142 Laut Thüsing scheiterte dies v. a. am Widerstand Großbritanniens und Deutschlands hinsichtlich des vorgesehenen Gleichbehandlungsgebots, wenngleich in Deutschland schon im Jahr 2003 durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt die Equal pay-Regelung deutlich verschärft wurde (vgl. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 29). Zu diesem Streitpunkt auch: Wank, NZA 2003, 14 (15). 143 Weiterführend zur Genese der Leiharbeitsrichtlinie: Schüren/Wank, RdA 2011, 1 f. 144 Vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV. Vertiefend hierzu: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, 2022, Art. 288 AEUV Rn. 24 ff. 141

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

lierungssysteme in den Mitgliedstaaten schon von vornherein erheblich unterschieden – woran die Richtlinie demgemäß anknüpfte.145 b) Die Regulierung in den Mitgliedstaaten Im Folgenden sollen diese verschiedenen Regulierungsansätze daher überblicksartig erläutert werden. Die Gemeinsamkeit der Regulierungssysteme in den Mitgliedstaaten ist – was schon aus der Natur der Arbeitnehmerüberlassung selbst folgt – die oben beschriebene Dreiecksbeziehung zwischen Entleiher, Verleiher und Leiharbeitnehmer.146 Die (arbeits-)vertragsrechtliche Ausgestaltung dieser rechtlichen Beziehungen variiert allerdings. Eine anschauliche grobe Gliederung der verschiedenen rechtlichen Gestaltungen der vertraglichen Beziehungen lässt sich dergestalt vornehmen, dass zwischen einem „verleiherbezogenen“ und einem „entleiherbezogenen“ Modell unterschieden wird147 bzw. – jeweils inhaltlich gleichbedeutend148 – zwischen einem „Arbeitgeberprinzip“ und einem „Agenturprinzip“.149 Ersteres Modell ordnet die vertragliche Beziehung zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer als gewöhnliches Arbeitsverhältnis ein, woran auch die Überlassung an den Entleiher nichts ändert.150 Das Arbeitsverhältnis ist in diesem Modell grundsätzlich vornehmlich unbefristet, und die arbeitsvertraglichen Bedingungen richten sich nach den Bedingungen des Verleihbetriebes.151 Zudem darf hier

145

Siehe hierzu Erwägungsgrund 10 der Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG). So ebenfalls: Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272. 147 So die Terminologie bei: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 619; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57. 148 Eine ebenfalls inhaltlich mit diesen Differenzierungen gleichbedeutende Unterscheidung trifft auch Wank, der die Grundmodelle in den Mitgliedstaaten teils schlicht in Modell 1 und Modell 2 aufgliedert (vgl. Behrens/Richter, NZA 2003, 87 f.) bzw. an anderer Stelle in ein „Verleiherbetriebs-bezogenes“ und ein „Entleiher-betriebsbezogenes Modell“ unterteilt (vgl. Wank, RdA 2003, 1 [3]). So dem Grunde nach auch bei: Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272. 149 So die Terminologie bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 13 ff., der aber auch „gemischte Regime“ nennt, die sich in keines der Grundmodelle einordnen lassen (vgl. ebd. S. 23 f.). Vgl. auch: Kocher, Europäisches Arbeitsrecht, 2020, § 5, Rn. 114 (wobei hier nur das „Agenturprinzip“ als ein eigenes Prinzip bezeichnet wird). 150 Vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 13; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57. Einige Beispiele für die weitere Ausgestaltung der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung innerhalb dieses Modells in den Mitgliedstaaten finden sich bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 15 f. 151 Vgl. Behrens/Richter, NZA 2003, 87; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57; Wank, RdA 2003, 1 (3). 146

A. Die zivilrechtliche Gestalt der Arbeitnehmerüberlassung

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typischerweise die Dauer des Arbeitsvertrages nicht auf die Dauer einer konkreten Überlassung beschränkt werden.152 Diesem Konzept steht das zweitgenannte Modell gegenüber, welches das Leiharbeitsverhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer meist als Arbeitsverhältnis eigener Art begreift,153 das auf die Dauer einer spezifischen Überlassung hin befristet ist.154 Eine Regulierung der Dauer von Überlassungen lässt sich in diesem Modell dann darüber generieren, dass die Höchstlaufzeit des Leiharbeitsverhältnisses selbst im Gesetz geregelt wird.155 Aufgrund des Gleichlaufs der Dauer von Überlassung und Leiharbeitsvertrag ist der Leiharbeitnehmer bei diesem Regulierungsansatz dann allerdings in verleihfreien Zeiten ohne Anstellung – und damit ohne Lohn.156 Darüber hinaus geht mit diesem Modell auch oftmals einher, dass sich die Bedingungen, zu denen der Leiharbeitnehmer beschäftigt wird – und hierbei insbesondere der Lohn – nach dem Betrieb des Entleihers richten.157 Die Regelungen des AÜG lassen sich keinem dieser Grundmodelle eindeutig zuordnen. Zwar begreift das AÜG das Leiharbeitsverhältnis als ein gewöhnliches Arbeitsverhältnis, auf das etwa auch das allgemeine Befristungsrecht Anwendung findet. Dies spricht zwar zunächst dafür, dass sich das AÜG dem Grunde nach am erstgenannten Modell, also dem „verleiherbezogenen“ Modell bzw. dem „Arbeitgeberprinzip“ orientiert.158 Allerdings spricht die Regulierung der Arbeitsbedingungen, insbesondere des Lohns, der sich dem Gleichbehandlungsgrundsatz entsprechend am Betrieb des Entleihers orientiert, eher für das zweitgenannte, „entleiherbezogene“ Modell bzw. das „Agenturprinzip“. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist freilich nach der Leiharbeitsrichtlinie grundsätzlich verbindlich (Art. 5 152

Vgl. Behrens/Richter, NZA 2003, 87; Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57; Wank, RdA 2003, 1 (3). Bis zur Aufhebung dieses sog. Synchronisationsverbotes durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt war dies auch in Deutschland der Fall. 153 Beispielhaft seien hier die Regelungen in Frankreich und Luxemburg genannt, die das Leiharbeitsverhältnis gerade nicht als „contrat de travail“, sondern als „contrat de mission“ begreifen. Beispiele für die weitere Ausgestaltung der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung innerhalb dieses Modells in den Mitgliedstaaten finden sich bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 18 f. 154 Vgl. Behrens/Richter, NZA 2003, 87; Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272; Wank, RdA 2003, 1 (3). 155 Hierzu: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 15 f. 156 Hierauf hinweisend: Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57; Wank, RdA 2003, 1 (3). 157 Vgl. Behrens/Richter, NZA 2003, 87; Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57. 158 So auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 15; Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 272.

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

Abs. 1 RL 2008/104/EG), sodass diese Facette des deutschen Regulierungssystems nicht einer autonomen nationalen Regulierungsentscheidung entspringt.159 Für den Fall, dass Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden (also dem Grunde nach das „verleiherbezogene“ Modell vorliegt) sieht Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes allerdings eine Abweichungsmöglichkeit vor. Diese hat der deutsche Gesetzgeber indes trotz des grundsätzlich im AÜG vorherrschenden „verleiherbezogenen“ Modells nicht genutzt und sich somit für eine Vermischung der oben genannten Modelle entschieden. Im Ergebnis verbindet das Regelungsregime des AÜG damit Ansätze beider Modelle zu einem gemischten Regelungsmodell.160 Hinsichtlich der verschiedenen Regulierungsmodelle in den übrigen Mitgliedstaaten lässt sich in der Konsequenz festhalten, dass diese zwar auf dem gemeinsamen Nenner der Leiharbeitsrichtlinie aufbauen, sich dann aber schon in ihren Grundstrukturen hinsichtlich der Regelung der vertraglichen Beziehungen bei der Arbeitnehmerüberlassung stark unterscheiden. Hinzu kommt, dass von den erheblichen Abweichungsmöglichkeiten, die die Leiharbeitsrichtlinie vorsieht (siehe S. 169 ff.), in sehr unterschiedlichem Ausmaß Gebrauch gemacht wird, sodass sich die Regulierungsmodelle in den Mitgliedstaaten als teils restriktiv und teils eher liberal darstellen. In Frankreich ist etwa keine tarifliche Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz zulässig, während in den Niederlanden die nähere Regulierung in dieser Frage dem Grunde nach den Tarifparteien überlassen wird.161 So unterschiedlich sich die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung hinsichtlich der (arbeits-)vertraglichen Konzeption des oben beschriebenen Dreiecksverhältnisses auch darstellt, so sehr ähneln sich die Regelungsregime in einem anderen Aspekt. Gemein ist den meisten nationalen Regelungen namentlich eine irgendwie geartete administrative Kontrolle der Arbeitnehmerüberlassung – etwa in Form der unter anderem im AÜG vorgesehenen und detailliert geregelten Verleiherlaubnis.162 Dieser administrative und damit öffentlich-rechtliche Überbau der Arbeitnehmerüberlassung wird im Übrigen weitgehend zum Rechtsgebiet des Gewerberechts und gerade nicht zum originären Arbeitsrecht gezählt.163 Hieraus folgt in der Konsequenz insbesondere, dass bei grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassung, 159 Eine erste Normierung eines Gleichbehandlungsgebotes war indes schon vor dem Inkrafttreten der Richtlinie durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt eingeführt worden (vgl. zur Regulierungshistorie S. 47 f.). 160 So ebenfalls: Behrens/Richter, NZA 2003, 87; Thüsing, Europäisches Arbeitsrecht, 2017, § 4 Rn. 57. 161 Hierzu: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 27. 162 Siehe nur: European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Temporary Agency work in an enlarged European Union, 2006, S. 19 („Most countries operate a licensing, registration or similar approval system for TAW“). 163 So auch die Zuordnung bei: Becker, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 19, 76 ff.; Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 626 f.

B. Arbeitnehmerüberlassung im Spiegel der Interessen der Beteiligten

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also bspw. einer Arbeitnehmerüberlassung über die Grenzen eines Mitgliedstaates der Union hinaus, hinsichtlich der gewerberechtlichen Regeln des entsprechenden Arbeitnehmerüberlassungsrechts eines Mitgliedstaates das sogenannte Territorialitätsprinzip gilt.164 Hiernach muss eine grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung die gewerberechtlichen Regularien eines Staates erfüllen, sobald sie Inlandsbezug zu diesem hat,165 also etwa in oder aus diesem Staat heraus erfolgt.166 Dies führt bei einer grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung dann ggf. auch dazu, dass ein Verleihunternehmen die gewerberechtlichen Voraussetzungen zweier Staaten zugleich erfüllen muss, was insbesondere dann Schwierigkeiten mit sich bringt, wenn sich die entsprechenden Voraussetzungen widersprechen.167 In Summe ist festzuhalten, dass die Regulierungssysteme in den Mitgliedstaaten daher – wenngleich sie allesamt die Leiharbeitsrichtlinie inkorporieren – in ihren arbeitsrechtlichen Dimensionen recht unterschiedlich sind, zugleich aber gewerberechtliche Ähnlichkeiten aufweisen.

B. Arbeitnehmerüberlassung im Spiegel der Interessen der Beteiligten und des Staates Die nunmehr aufgezeigten historischen Implikationen und die grundlegenden zivilrechtlichen Eigenschaften der Arbeitnehmerüberlassung zugrunde gelegt, gilt es im Folgenden, der Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen der Lebenswirklichkeit weiter auf den Grund zu gehen. Im Fokus steht hierbei die Frage, welche tatsächlichen Folgen ihr Einsatz für die an ihr beteiligten Privatrechtssubjekte und den regulierenden Staat hat und welche Chancen und Risiken mit ihr für die jeweiligen Akteure einhergehen. Die diesbezüglichen Gesichtspunkte stellen sich – so viel sei bereits verraten – als überaus divers dar. Die jeweiligen Interessen sind zum Teil deckungsgleich, widersprechen sich aber auch in anderen Aspekten. Zugleich verstärken oder bedingen sie sich zuweilen gegenseitig. Hinzu kommt, dass die Interessen der Beteiligten und die tatsächlichen Folgen der Arbeitnehmerüberlassung darüber hinaus ganz maßgeblich von der aktuellen regulativen Ausgestaltung der Arbeitnehmerüberlassung abhängen.168 Dass die Arbeitnehmerüberlassung bei alledem ein erhebliches Konfliktpotenzial bietet, vermag nicht zu überraschen. Im

164 Hierauf verweisend: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 626; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 45. 165 Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 627. 166 Vgl. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 45. 167 Hierauf hinweisend: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 632; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 45. 168 Dies ebenfalls betonend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 30.

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

Folgenden sollen die Gesichtspunkte, die diese Friktionen auslösen, basierend auf dem jeweiligen empiriebasierten Kenntnisstand analysiert werden.

I. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Entleiher Als erstes sollen dabei die Interessen der Entleiher in den Blick genommen werden. Hierbei lohnt sich jedoch zunächst ein kurzer Blick auf die tatsächliche Struktur der Entleihunternehmen. Festzuhalten ist hierbei, dass die Arbeitnehmerüberlassung auf den Arbeitsmarkt insgesamt bezogen eindeutig ein Randphänomen ist. Lediglich zwischen 2 bis 4 % aller Betriebe nutzen überhaupt Arbeitnehmerüberlassung,169 im Jahr 2008 waren es bspw. 71.000 Betriebe.170 Auffällig ist hierbei, dass es die Großbetriebe sind, die Arbeitnehmerüberlassung intensiv und häufig nutzen, obwohl am Standort Deutschland insgesamt eher kleinere Betriebe dominieren und diese auch die meisten Arbeitnehmer beschäftigen.171 So griffen im Jahr 2008 bspw. nur 2,4 % der Kleinbetriebe auf Arbeitnehmerüberlassung zurück, jedoch mehr als 50 % der Großbetriebe mit mehr als 500 Beschäftigten.172 Arbeitnehmerüberlassung ist also in der breiten Masse der Betriebe eindeutig eine Seltenheit. Verbreitet ist sie hingegen in größeren Betrieben, die allerdings aufgrund ihrer oftmals marktbeherrschenden und arbeitsmarktpolitisch hervorgehobenen Stellung großen Einfluss auf die soziale und wirtschaftliche Struktur der Arbeitswelt haben.173 Die Bedeutung dieser Großbetriebe für die Arbeitnehmerüberlassung lässt sich bspw. auch daran erkennen, dass mit steigender Betriebsgröße grundsätzlich die Anzahl von entleihenden Betrieben innerhalb der jeweiligen betrieblichen Größenordnung steigt.174 169 Siehe hierzu die Berechnungen aufgrund Daten des IAB für die Jahre 1998 bis 2008 bei: Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 27; Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 113. 170 Vgl. Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 28. Fasst man den Blickwinkel hingegen deutlich enger und betrachtet nur Unternehmen, die mindestens einen Angestellten beschäftigen und im Handels-, Genossenschafts- oder Partnerschaftsregister eingetragen sind, ergibt sich, dass 52 % dieser Unternehmen Arbeitnehmerüberlassung nutzen. Hierzu: Hüther, Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 21 (22); IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 18, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirt schaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 171 Hierzu die Auswertung bei: Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 118. 172 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 115. 173 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 121. 174 Zur hier beschriebenen Verteilung der Entleihbetriebe: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (138 f.), mit weiteren empirischen Nachweisen. Siehe auch: Hüther, Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 21 (22); Schäfer, IW Trends 2015, 75 (86). Allerdings bilden Leiharbeitnehmer in kleineren und mittelständische Unternehmen – sofern sie denn eingesetzt

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1. Chancen Im Folgenden werden die Chancen eines Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung für die entleihenden Unternehmen herausgearbeitet. a) Flexibilitätsgewinne Eine maßgebliche Triebkraft in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Unternehmen ist zunächst der hiermit erhoffte Flexibilitätsgewinn. Dem liegt das grundsätzliche Ziel jedweden Unternehmens zugrunde, aus Gründen der Effizienz und damit in der Konsequenz auch der Wettbewerbsfähigkeit die eigenen Mitarbeiterkapazitäten so flexibel wie möglich am Arbeitsaufkommen auszurichten.175 aa) Das betriebliche Flexibilisierungsinstrumentarium Im einzelnen Unternehmen kann die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung aus betriebswirtschaftlicher Perspektive eine wesentliche Steuerungsgröße darstellen, um diese wirtschaftliche Flexibilität zu erreichen.176 Hiermit ist das oft beschworene Potenzial der Arbeitnehmerüberlassung angesprochen, den entleihenden Unternehmen eine Möglichkeit zu eröffnen, schnell und unkompliziert auf eine veränderte Marktsituation mit entweder einer Mehrbeschäftigung oder einem Abbau von Arbeitskräften reagieren zu können.177 In welchen Marktsituationen und in welchem Umfang es allerdings zum Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung zu Flexibilisierungszwecken kommt, hängt maßgeblich davon ab, wie attraktiv sich die Arbeitnehmerüberlassung als betriebliche Steuerungsmöglichkeit gegenüber anderen – ebenfalls der Flexibilität dienenden – Gestaltungsmöglichkeiten darstellt. Bevor hierauf vertiefter eingegangen wird, gilt es jedoch, zu ergründen, welche Faktoren überhaupt einen Bedarf an betrieblicher Flexibilität hinsichtlich der Mitarbeiterkapazitäten auslösen. Hierzu zählen zunächst langfristig vorhersehbare und damit auch durch langfristige personalplanerische Gegenmaßnahmen zumeist ab-

werden – dort oft auch einen größeren Anteil der Belegschaft als dies in Großunternehmen der Fall wäre. Vgl. Hüther, Wie nutzen deutsche Unternehmen Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/ Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 21 (23). 175 Diese betriebliche Flexibilität steht auch maßgeblich mit dem wirtschaftlichen Wachstum und der gesamtwirtschaftlichen Beschäftigung in einer Volkswirtschaft in Zusammenhang. Siehe etwa: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136) (m. w. N.); sowie unten S. 125 ff. 176 Vgl. etwa: Schäfer, IW Trends 2015, 75 (86); Schröpfer, Die Intensität der Leiharbeitsnutzung in Deutschland, 2013, S. 37 f.; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (55). 177 Siehe hierzu schon bereits im Jahr 1973 zutreffend: Becker, AÜG, 1973, Einleitung, Rn. 73. Sowie ferner: BT-Drs. 14/4220 v. 4. 10. 2000, S. 14.

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fangbare Faktoren, wie etwa seitens der Beschäftigten anfallender Erholungsurlaub oder erwartbare saisonbedingte Nachfrageschwankungen.178 Demgegenüber kaum vorhersehbar und damit einer langfristigen Personalplanung nur eingeschränkt zugänglich sind hingegen Faktoren wie krankheits- oder schwangerschaftsbedingte Ausfälle in der Belegschaft,179 konjunkturelle Schwankungen oder bspw. Engpässe bei Zulieferern.180 Insbesondere letztere Faktoren erfordern demgemäß eine kurzfristige betriebliche Reaktion. Hier wird das Flexibilitätspotenzial der Arbeitnehmerüberlassung relevant. Neben der Arbeitnehmerüberlassung stehen Unternehmen jedoch noch zahlreiche weitere Ressourcen zur Flexibilitätssteigerung zur Verfügung.181 So kann etwa auf durch Auftragsspitzen gestiegenen oder infolge von ausbleibenden Aufträgen gesunkenen Personalbedarf mit – untechnisch gesprochen – „mehr Arbeit“ oder „weniger Arbeit“ der Stammbelegschaft reagiert werden. Dementsprechende personalplanerische Mittel – um einige Beispiele182 zu nennen – wären in diesen Fällen etwa die Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit, ebenso wie interne Umstrukturierungen. Die Erkenntnis, dass die Arbeitnehmerüberlassung in der Praxis mit alternativen Flexibilisierungsmöglichkeiten in Konkurrenz steht, ist für die später anzustellende rechtliche Untersuchung keineswegs trivial. Vielmehr ist es dort gerade von durchschlagender Bedeutung, ob die Arbeitnehmerüberlassung ein betriebswirtschaftlich herausgehoben attraktives Mittel zur Flexibilitätssteigerung ist oder ob sie nur eine unter vielen gleich geeigneten Maßnahmen ist. Im ersten Szenario fällt die Rechtfertigung gesetzlicher Restriktionen, welche die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung einschränken, potenziell schwerer als im zweiten Szenario. Daher lohnt 178

Zutreffend: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 61. Ebenso langfristig vorhersehbar und damit hinsichtlich personeller Flexibilisierungsstrategien gut planbar ist letztlich auch die steigende Tendenz von Teilzeitstellen. Hierzu aus betrieblicher Perspektive: Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/ Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129 (137). 179 Vgl. etwa: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (115); Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2332); Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 15. Den Einsatz von Leiharbeitnehmern in solchen Fällen kann man auch treffend als „Ad hoc Ersatz“ von Arbeitskräften bezeichnen: Bouncken/Lehmann/Ratzmann, Nutzungsstrategien der Zeitarbeit in Industrieunternehmen, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 189 (200); Holst/ Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 16. 180 Vgl. Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 62. 181 Überblicksartig hierzu: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (105); Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2333). 182 Bzgl. weiterer Gestaltungsmöglichkeiten siehe die Analyse der verschiedenen personalplanerischen Instrumente bei: Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 61 ff. Überblicksartig: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 61 ff.

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sich ein einordnender Blick auf das betriebliche Flexibilisierungsinstrumentarium und die Klärung der Frage, welche Rolle die Arbeitnehmerüberlassung dort einnimmt. Eine anschauliche Strukturierung dieser Gestaltungsmöglichkeiten lässt sich dergestalt vornehmen, dass in interne und externe sowie in funktionale und numerische Anpassungsmöglichkeiten unterschieden wird.183 Intern und extern bezieht sich in diesem Zusammenhang auf innerhalb und außerhalb der innerbetrieblichen Abläufe begründete Umstände, während funktional und numerisch organisatorischplanerische und rein quantitative Faktoren beschreiben. Die bereits angesprochene Mehrarbeit im Sinne von etwa angeordneten Überstunden bzw. die Kurzarbeit als deren Äquivalent zur Reduzierung des Arbeitsaufwands im Betrieb lässt sich innerhalb dieser Strukturierung als intern-numerische Handlungsoption einordnen.184 Es wird hierbei also innerhalb der betrieblichen Abläufe rein quantitativ auf veränderte Umstände reagiert. Im Fall der Mehr- oder Kurzarbeit geschieht dies in der Form, dass die Arbeitszeit der Beschäftigen entsprechend angepasst wird. Andere Möglichkeiten auf dieser Ebene wären die zeitliche Verschiebung des Jahresurlaubs, Sonderschichten oder die vermehrte Nutzung von Arbeitszeitkonten.185 Demgegenüber stellen vermehrte Einstellungen oder Entlassungen von Arbeitskräften sowie die Nutzung atypischer Beschäftigungsverhältnisse wie befristeter Arbeitsverträge flexibilitätsbringende Anpassungsmöglichkeiten rein quantitativer Art dar, die jedoch außerhalb der betrieblichen Abläufe stattfinden, weswegen sie als extern-numerisch zu bezeichnen sind.186 Zu diesen atypischen Beschäftigungsverhältnissen und damit zu den extern-numerischen Optionen zählt insbesondere auch die Arbeitnehmerüberlassung.187 183 Diese instruktive Analyse der betrieblichen Handlungsoptionen inklusive der Arbeitnehmerüberlassung findet sich anknüpfend an ein von Atkinson stammendes Konzept (Atkinson, Flexibility, Uncertainty and Manpower Management, IMS-Report No. 89) bei: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136); Bouncken/Lehmann/Ratzmann, Nutzungsstrategien der Zeitarbeit in Industrieunternehmen, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 189 (194); Klammer/Tillmann, Flexicurity: Soziale Sicherung und Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, 2001, S. 7; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 122; Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (87). In der juristischen Literatur wird sie – begrüßenswerter Weise – bisher aufgegriffen bei: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 250. Eine andere Unterteilung findet sich bei Kreikebaum, der in quantitative, intensitätsmäßige, zeitliche und selektive Anpassungsformen unterscheidet. Vgl. hierzu: Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257 (268). 184 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). 185 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). 186 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). 187 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). I. E. ebenso: Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 122. Siehe auch die Einordnung der Arbeitnehmerüberlassung bei Kreikebaum, der sie als quantitative Anpassungsmöglichkeit beschreibt. Vgl. hierzu: Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257 (268).

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Diesen rein quantitativen (numerischen) Handlungsmöglichkeiten sind diejenigen gegenüberzustellen, die organisatorisch-planerische Entscheidungen betreffen und demgemäß als funktional zu charakterisieren sind. Intern-funktional sind hierbei all jene Handlungsmöglichkeiten organisatorisch-planerischer Art, welche die innerbetrieblichen Abläufe betreffen, also bspw. die Umsetzung von Arbeitskräften, die Neudefinition von Abteilungsgrenzen oder die Änderung der Arbeitsteilung.188 Extern-funktional ist demgegenüber etwa die organisatorisch-planerische Entscheidung, Aufträge an Fremdfirmen zu vergeben oder diese zurückzunehmen bzw. Unternehmensteile ein- oder auszugliedern.189 Die oben aufgeworfene Frage, wann und in welchem Umfang Unternehmen zur Flexibilitätssteigerung innerhalb dieses Konglomerats an Optionen auf die externnumerische Möglichkeit der Arbeitnehmerüberlassung zurückgreifen, erfährt hiermit freilich noch keine Klärung. Hierzu ist die Arbeitnehmerüberlassung zu den genannten übrigen Optionen in Verhältnis zu setzen.190 Ausschlaggebend ist hierbei die Überlegung, ob sich ein grundlegendes generalisiertes Muster hinsichtlich der Frage herausdefinieren lässt, wann Unternehmen auf welche Flexibilität einfordernden Faktoren mit welcher Option reagieren und insbesondere wann die Arbeitnehmerüberlassung hierbei typischerweise ins Spiel gebracht wird. bb) Die Rolle der Arbeitnehmerüberlassung im betrieblichen Flexibilisierungsinstrumentarium In Bezug auf die oben angesprochenen Faktoren, die eine betriebliche Flexibilität einfordern, lässt sich hinsichtlich der Frage, in welchem Ausmaß diese einen Rückgriff auf die Arbeitnehmerüberlassung verursachen, zunächst grundlegend danach differenzieren, ob das Arbeitsaufkommen im Ergebnis zu- oder abnimmt und ob diese Veränderungen im oben beschriebenen Sinne eher langfristig vorhersehbar sind oder kurzfristig eintreten. Auf einen kurzfristigen Einbruch der Nachfrage und damit des Arbeitsaufkommens wird etwa eher mit der Ausschöpfung der externnumerischen und extern-funktionalen Möglichkeiten reagiert, indem etwa Leiharbeitskräfte freigesetzt oder Fremdaufträge zurückgenommen werden.191 Erst nachgeordnet und vor allem im Hinblick auf langfristige und vorhersehbare Verände188

Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (136). 190 Die Rolle der Arbeitnehmerüberlassung im aufgezeigten Instrumentarium der betrieblichen Flexibilisierungsmöglichkeiten anhand einer vollumfänglichen vergleichenden Gegenüberstellung mit allen anderen Gestaltungsmöglichkeiten zu ermitteln, würde indes den Umfang dieser Arbeit übersteigen. Hierzu aber die (ansatzweisen) Versuche bei: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 63 ff.; Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 61 ff. 191 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (138 f.). Die mit Arbeitnehmerüberlassung einhergehende generelle Möglichkeit, auf kurzfristige Veränderungen zügig reagieren zu können, hebt auch Kreikebaum hervor. Vgl. hierzu: Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257 (268). 189

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rungen der Marktsituation werden interne Ressourcen angetastet, indem etwa betriebliche Abläufe geändert werden. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Nachfragesteigerungen. Während langfristig vorhersehbare Nachfragespitzen eher über befristete Verträge abgedeckt werden, kommt bei kurzfristigen Erhöhungen der Nachfrage typischerweise die Arbeitnehmerüberlassung zum Einsatz.192 Dies ist vor allem darin begründet, dass sich Leiharbeitnehmer im Vergleich zu befristet eingestellten Arbeitskräften deutlich schneller aus den Angeboten der Verleihunternehmen akquirieren lassen, als dies bei der Akquise befristet eingestellter Arbeitnehmer der Fall wäre,193 was gerade bei plötzlich auftretenden Nachfragespitzen evident von Vorteil ist.194 Zudem stellt sich eine mit einem befristeten Vertrag einhergehende Übernahme des Arbeitgeberrisikos gerade bei kurzfristig auftretenden und in ihrer Dauer nicht absehbaren konjunkturellen Veränderungen regelmäßig als gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung, bei der das Arbeitgeberrisiko per Definition beim Verleiher verbleibt, als unattraktiver dar.195 Dies liegt auch gerade daran, dass Leiharbeitskräfte im Vergleich zu befristet Beschäftigten erheblich einfacher und flexibler abgebaut werden können.196 Aber auch hinsichtlich dieser kurzfristigen Anpassungen spielt die Arbeitnehmerüberlassung zum Teil eine eher nachgeordnete Rolle. Unternehmen greifen so meist zunächst auf intern-numerische Ressourcen wie bspw. angeordnete Überstunden zurück und schöpfen diese Möglichkeit aus, bevor von der Arbeitnehmerüberlassung Gebrauch gemacht wird.197 Das hat den Hintergrund, dass Leiharbeitnehmer im Regelfall eine gewisse Einarbeitungszeit erfordern, die sich naturgemäß 192

So die Differenzierung bei: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (137). Zwar verfügen viele Unternehmen, insbesondere im verarbeitenden Gewerbe, über eine gewisse Kartei an Initiativbewerbungen, aus denen im Bedarfsfall zügig befristete Beschäftigungen hervorgehen können. Vgl. hierzu: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (137). Hinsichtlich einer im Bedarfsfall notwendigen schnellstmöglichen Akquise von Arbeitskräften ist aber das Instrument der Arbeitnehmerüberlassung angesichts der Möglichkeiten, die insbesondere eine Kooperation mit mehreren Verleihunternehmen bietet (siehe hierzu: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian [Hrsg.], Zeitarbeit, 2017, S. 55 [59]) demgegenüber von Vorteil. 194 So auch: Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Interessen der Verleiher und der Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, 1975, S. 72; Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 72. 195 Vgl. Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 72 f.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung Legitimität, S. 54. Zur Verlagerung des Arbeitgeberrisikos; Jahn, Der Gleichstellungsgrundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 2015, S. 60. 196 Der Überlassungsvertrag kann etwa auflösend bedingt, einvernehmlich beendet oder ohne die strengen Vorgaben des TzBfG gekündigt werden. Vgl. zuletzt anschaulich: Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 30. 197 Vgl. etwa: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (137); Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 61; Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 85; Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 (190). 193

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mit steigender Komplexität des Aufgabenkreises erhöht und daher kontinuierlicher Produktivität generell abträglich ist.198 Erfordert der entsprechende Aufgabenkreis zudem ein hohes Maß an betriebsspezifischem Erfahrungswissen, kann sich „Mehrarbeit“ der Stammbelegschaft von vornherein als gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung geeignetere Alternative erweisen.199 Allerdings hat auch eine Anpassung an eine veränderte Marktsituation mittels intern-numerischer Optionen, wie etwa der „Mehrarbeit“, ihre Grenzen in einerseits der drohenden Überbelastung und dem damit einhergehenden Produktivitätsabfall auf Seiten der Stammbelegschaft und andererseits in rechtlichen Restriktionen wie zum Beispiel täglicher Höchstarbeitsdauer,200 sodass die Arbeitnehmerüberlassung oftmals zu einer veritablen Option wird.201 Von einiger Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Beteiligung des Betriebsrates. So hat dieser hinsichtlich der Verlängerung oder Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) – also der Anordnung von Überstunden oder Kurzarbeit – deutlich stärkere Beteiligungsrechte. Während die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung unter § 99 BetrVG fällt und demnach vom Betriebsrat lediglich aufgrund der in § 99 Abs. 2 BetrVG enumerativ aufgezählten Gründe die Zustimmung hierzu verweigert werden kann,202 kommt dem Betriebsrat im Falle von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu, das im Ergebnis regelmäßig dazu führt, dass eine Betriebsvereinbarung geschlossen werden muss.203 Ob Unternehmen daher ggf. eher auf Arbeitnehmerüberlassung statt auf die Nutzung intern-numerischer Ressourcen zurückgreifen, um eine Auseinandersetzung mit dem Betriebsrat zu umgehen, kann nur vermutet werden, ein entsprechender Konnex liegt aber nahe.204 Festzuhalten ist demnach, dass Arbeitnehmerüberlassung gegenüber der internnumerischen Handlungsoption der Anordnung von mehr oder weniger Arbeit in Bezug auf die Stammbeschäftigten nicht bereits aus sich heraus eindeutig von Vorteil 198 So schon früh: Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Interessen der Verleiher und der Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, 1975, S. 49. 199 So etwa: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (119); Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 (190). 200 Vgl. Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 66; Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257 (272). Siehe hierzu insbesondere die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes. 201 Vgl. Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (56). 202 Die Inanspruchnahme der Arbeitnehmerüberlassung stellt eine „Einstellung“ i. S. v. § 99 Abs. 1 Satz 1 dar. Hierzu: Thüsing, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 2022, § 99 Rn. 33 („Verleihung“). 203 Weiterführend zu Inhalt und Umfang der Mitbestimmung in diesen Fällen: Richardi/ Maschmann, in: Richardi, Betriebsverfassungsgesetz, 2022, § 87 Rn. 367 ff. 204 In diesem Sinne: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 66; Meier, Sozialer Fortschritt 2004, 142 (143).

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oder Nachteil ist. Eine betriebliche Flexibilisierungsstrategie, die bspw. zunächst auf „Mehrarbeit“ setzt – wie es in der Praxis wohl üblich ist205 – und dann stufenweise auf beide Möglichkeiten aufbaut, scheint daher sinnvoll zu sein.206 Gegenüber einer anderen Form der intern-numerischer Anpassungsmöglichkeiten, namentlich der Vorhaltung einer betriebseigenen Personalreserve, ist die Arbeitnehmerüberlassung hingegen eindeutig im Vorteil. Eine lediglich für Auftragsspitzen vorgehaltene und im Übrigen im Regelfall ungenutzte Personalreserve ist bereits mit vergleichsweise hohen Fixkosten verbunden.207 Im Übrigen muss eine funktionsfähige Personalreserve im Regelfall so ausgestaltet sein, dass sie diverse Arbeitsbereiche in einem Betrieb abdecken kann – etwa durch sogenannte Springer. Verleihunternehmen hingegen bieten demgegenüber typischerweise eine Vielzahl an Leiharbeitnehmern an, die ein breites Spektrum an Qualifikationen bereitstellen und gegenüber einer Personalreserve daher regelmäßig spezialisierter und damit effektiver sind.208 Von entscheidender Bedeutung für die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung ist auch die prognostizierbare Länge der beschriebenen Veränderung in der Marktsituation, auf die der Betrieb reagieren muss. Auch diesbezüglich ergibt sich eine charakteristische Funktion der Arbeitnehmerüberlassung. Ist ersichtlich, dass eine bspw. erhöhte Nachfrage oder der Bedarf nach einem für einen bestimmten Auftrag erforderlichen Spezialistenwissen nur von geringer Dauer sein wird, oder besteht hinsichtlich dieses zeitlichen Umstands keine Planungssicherheit, stellt sich die Arbeitnehmerüberlassung als attraktive Option dar,209 wohingegen im Übrigen andere Formen der Personalplanung erfolgsversprechender sind.210 Die Arbeitnehmerüberlassung scheint daher typischerweise vornehmlich als schnelles Reaktionsmittel in Form einer neben der Stammbelegschaft stehenden 205 Vgl. Kronauer/Linne, Einleitung: Flexicurity – Leibild, Rhetorik oder halbherziger Kompromiss?, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 9 (12). 206 So i. E. auch: Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 85. 207 Siehe etwa: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 68; Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257, 285; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 56. Darüber hinaus besteht bei über längere Zeiten nicht regelmäßig eingesetzten und daher unterforderten Arbeitnehmern die Gefahr, dass sie ineffektiver werden. Vgl. hierzu: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 68; Kreikebaum, in: Becker/Kreikebaum (Hrsg.), Zeitarbeit, 1982, S. 257, 285. 208 Vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 56. 209 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 143. 210 So bei: Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/ Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129 (133); Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (53); Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 (189); Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (64).

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personellen Ergänzung bei kurzfristig anfallenden Veränderungen in der Marktsituation und damit des Arbeitsaufkommens verwendet zu werden.211 Die Arbeitnehmerüberlassung ist hierbei jedoch nur eine Möglichkeit von vielen. So kommt sie typischerweise nachrangig zum Einsatz, nachdem interne Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.212 Auch wird sie komplementär und zeitlich parallel zu anderen Flexibilisierungsmöglichkeiten eingesetzt.213 Neben dem hier dargelegten Potenzial der Arbeitnehmerüberlassung als schnell verfügbare Ressource zur flexiblen Reaktion auf kurzfristig auftretende veränderte Marktlagen ist aber noch eine anderweitige Nutzung zu beobachten. So wird in einigen Branchen, die etwa in besonders hohem Maße von sich verändernden Auftragslagen und damit verändertem Personalbedarf betroffen sind,214 ein Teil der Stammbelegschaft dauerhaft durch Leiharbeitnehmer ersetzt, die sodann in Phasen geringerer Nachfrage wieder abgebaut werden können.215 Damit wird Arbeitneh211

So auch die Einschätzung von: Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129 (136); Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Interessen der Verleiher und der Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, 1975, S. 72; IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 29, abrufbar unter: https://www.personaldienstleis ter.de/iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 55; Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 (189); Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (64); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 23. Das deckt sich mit den in Befragungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung von den Unternehmen angegebenen Gründen für die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung, bei denen in erster Linie zeitlich begrenzter Personalbedarf und schnelle Verfügbarkeit genannt werden. Vgl. hierzu: Bellmann/Crimmann/Kohaut, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 27 (35). 212 Vgl. Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (141); Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 46; Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 85; Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 (189). 213 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 144 f. 214 Herrmann nennt unter Bezug auf den damaligen Geschäftsführer Wolfgang Fritzsch von JR Interiors GmbH und Co KG, einem Hersteller von Autoinnenteilen, insbesondere die Automobilindustrie (Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 73). Im Übrigen lässt sich seitens der Kunden eine zum Teil veränderte Erwartungshaltung beobachten, dass Betriebe intensiver auf individuelle Kundenvorstellungen eingehen, was ebenfalls ein gesteigertes Bedürfnis nach Flexibilität nach sich ziehen kann. Hierzu: Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129 (135). 215 Vgl. Breymeier/Schwaab, Im Gespräch: Chancen und Risiken der Zeitarbeit aus der Perspektive einer Gewerkschafterin, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 111 (113); Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 51; Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (47); Meier, Sozialer Fortschritt 2004, 142 (143). Freilich kann eine solche Personalpolitik nur dort sinnvoll, wo dauerhafte Schwankungen und

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merüberlassung folglich nicht reaktiv im Hinblick auf sich veränderte Markt- oder Beschäftigungssituationen, sondern aktiv als strategische Veränderung der Unternehmensstruktur genutzt.216 Diese auf maximale Flexibilität ausgelegte Personalpolitik soll aber erst an späterer Stelle vertieftere Beachtung erfahren.217 b) Kostengesichtspunkte: Rentabilität der Arbeitnehmerüberlassung Von zentraler Bedeutung für Unternehmen, die von der Arbeitnehmerüberlassung zum dargelegten Zweck der Flexibilisierung Gebrauch machen wollen, ist die bereits angesprochene Frage der Kosten dieser Form des drittbezogenen Personaleinsatzes.218 Relevant ist hierbei insbesondere die Gegenüberstellung mit anderen Flexibilisierungsstrategien. Schon angesprochen sind in diesem Zusammenhang die deutlichen Mehrkosten einer im jeweiligen Betrieb vorgehaltenen Personalreserve. Kostenrelevant ist hierbei vor allem der bereits angesprochene Umstand, dass Leiharbeitnehmer im Gegensatz zu eigens im Betrieb in Form einer Personalreserve vorgehaltenen Stammarbeitnehmern im Bedarfsfall vergleichsweise einfach abgebaut werden können,219 während eine entsprechende Personalreserve den rechtlich und tatsächlich schwierigeren Weg der Kurzarbeit oder gar der Kündigung erfordert.220 Einen ganz eindeutigen Vorteil in Bezug auf die unmittelbaren Lohnkosten hat die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung aber auch gegenüber der Alternative der betrieblich angeordneten „Mehrarbeit“. Hier sind oftmals – tarif- oder einzelvertraglich ausgehandelte – Zuschläge in Höhe von 25 bis 50 % zu entrichten, was die nicht nur vorübergehende Nachfrageeinbrüche zu erwarten sind. Schließlich stellt der Verzicht auf gut eingearbeitete Stammarbeitnehmer auch ein unternehmerisches Risiko dar, sodass bei vorübergehenden Nachfrageschwankungen ggf. Kurzarbeit sinnvoller ist. Siehe hierzu: Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Interessen der Verleiher und der Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, 1975, S. 80; Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 74. 216 Überblicksartig: Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (208). 217 Siehe hierzu und zur Substitution von Stammarbeitnehmern in diesem Fall: S. 117 ff. 218 Hierauf im Besonderen abstellend: Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (86 ff.). 219 Der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag kann, wie jedes Dauerschuldverhältnis, gem. § 314 Abs. 1 BGB aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden, was allerdings regelmäßig nur bei schwerwiegenden Verstößen des anderen Teils der Fall ist (vgl. Schüren, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 337 ff.). Im Übrigen kann im Vertrag die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung vorgesehen werden, von der der Entleiher dann bei Nachfrageeinbrüchen Gebrauch machen kann. Vgl. hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 336. 220 Vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 54; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (62).

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direkten Personalkosten eines Leiharbeitnehmers im Ergebnis meist übersteigt.221 Sofern letzterer entsprechend geeignet ist, kann auch die Tatsache, dass der „mehrarbeitende“ Angestellte besser eingearbeitet ist, diesen Umstand nicht ausgleichen.222 Doch auch abseits dieser Einzelvergleiche sind es gerade die kostenmäßigen Charakteristika der Arbeitnehmerüberlassung, die einen (weiteren) Ansatzpunkt zur Begründung liefern, warum Arbeitnehmerüberlassung als betriebliches Flexibilisierungsmittel typischerweise gerade in der oben beschriebenen Form als Reaktionsmittel auf kurzfristig auftretende und vorübergehende Veränderungen des Arbeitskräftebedarfs genutzt wird. Ausschlaggebend ist hierbei insbesondere eine Vollkostenrechnung, die alle direkten223 und indirekten224 Personalkosten, die mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehen,225 berücksichtigt.226 Eben diese Vollkostenrechnung wird für beide aufgezeigten Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung entscheidend sein. Dies gilt sowohl dann, wenn Unternehmen vor der Entscheidung stehen, ob sie zur Überbrückung etwa kurzfristiger Nachfrageschwankungen auf Arbeitnehmerüberlassung oder auf intern-numerische Möglichkeiten wie „Mehr-“ oder Kurzarbeit, oder etwa auf die extern-numerische Möglichkeit befristeter Arbeitsverträge zurückgreifen, als auch dann, wenn Unternehmen in Erwägung ziehen, einen Teil der Stammbelegschaft zur dauerhaften Flexibilitätssteigerung durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen.227 Die Gemeinsamkeit der genannten intern- oder extern-numerischen Alternativen ist hierbei zunächst, dass sie alle die Beschäftigung eigener Arbeitnehmer und nicht den Einsatz fremder Arbeitskräfte betreffen. Hinsichtlich der unternehmerischen 221

Vgl. etwa: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61). 222 Vgl. erneut: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61). 223 Direkte Personalkosten sind die Kosten, die mit jeder tatsächlichen Arbeitsstunde anfallen, also Lohn- und Lohnnebenkosten. 224 Indirekte Personalkosten sind alle neben den direkten Personalkosten während der Rekrutierung, Freisetzung und während des Einsatzes anfallenden Kosten. 225 Eine anschauliche Aufschlüsselung dieser Kosten findet sich bei: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61 ff.). Hier wird allerdings auch betont, dass eine solche Vollkostenrechnung jedenfalls entscheidend sein „sollte“, womit angedeutet ist, dass Erwartungen an die Rationalität betrieblicher Entscheidungen ggf. nicht überstrapaziert werden dürfen. 226 So auch: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 138. 227 Ein kostenmäßiger Vergleich der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber der Nutzung intern- oder extern-funktionaler (also planerisch-organisatorischer) Handlungsmöglichkeiten zur Flexibilitätssteigerung soll an dieser Stelle schon deshalb ausgespart bleiben, weil die obigen Beobachtungen gezeigt haben, dass sich der Anwendungsbereich dieser Optionen mit dem der Arbeitnehmerüberlassung eher nicht überschneidet.

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Entscheidung für oder wider die Arbeitnehmerüberlassung werden die kostenmäßigen Erwägungen also regelmäßig auf einen Vergleich der Vollkosten des Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber der Beschäftigung von im Betrieb befristet oder unbefristet angestelltem Personal hinauslaufen.228 Eben jene gilt es folglich gegenüberzustellen. Auffallend sind zunächst die erheblichen Kostenvorteile hinsichtlich der indirekten Personalkosten, die sich bereits bei der Rekrutierung von Leiharbeitnehmern gegenüber der Rekrutierung von Direktbeschäftigten ergeben. Der gesamte Ablauf der klassischen Rekrutierung eines Arbeitnehmers, von der Personalwerbung bis zur Personalauswahl einschließlich der hierbei anfallenden Administration, entfällt entweder ganz oder wird erheblich verkürzt und damit vergünstigt, indem lediglich aus den Angeboten der Verleihunternehmen – die ihrerseits die Rekrutierungsaufgabe im Wesentlichen bereits erfüllt haben – ausgewählt werden muss.229 Doch auch während der Beschäftigung und ihrer Beendigung ergeben sich hinsichtlich der Arbeitnehmerüberlassung Vorteile, die im Wesentlichen damit zusammenhängen, dass das Verleihunternehmen und nicht das entleihende Unternehmen Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist und daher die mit dieser Arbeitgeberposition einhergehenden Pflichten und Risiken trägt. So verbleiben unter anderem die administrativen Kosten für Gehaltsabrechnungen und die Abführung von Sozialabgaben beim Verleihunternehmen.230 Ein noch erheblicheres Einsparungspotenzial bietet demgegenüber die Tatsache, dass das Entleihunternehmen aufgrund des Arbeitnehmerüberlassungsvertrages im Regelfall nur die tatsächlich anfallenden Arbeitsstunden entlohnt. Das mit der Arbeitgeberstellung verbundene Risiko, Fehlzeiten und Ausfälle entlohnen zu müssen, verbleibt ebenfalls beim Verleihunternehmen.231 Hinzu kommt der auch in der Kostenbetrachtung Ausschlag gebende – und schon mehrfach erwähnte – Vorteil, dass Leiharbeitnehmer im Vergleich zu betrieblich Beschäftigten vergleichsweise einfach abgebaut werden können. Schon allein die mit einer Kündigung eines betrieblich Beschäftigten einhergehenden 228

So auch die Gegenüberstellung bei: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61 ff.). 229 So auch: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 257; Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (117); Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 57. Für eine nähere Aufschlüsselung der im Einzelnen anfallenden Kosten: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61). 230 Hierauf ebenfalls abstellend: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 257; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/ Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (61); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 23. 231 Vgl. Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 54; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 54; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (62); Vitols, Die Regulierung der Zeitarbeit in Deutschland, 2003, S. 19.

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Kosten für Arbeitszeugnisse, sonstige administrative Erfordernisse wie Lohnabrechnungen und ggf. anfallende Kosten für gerichtliche Auseinandersetzungen entfallen gänzlich.232 Diese typischen Arbeitgeberpflichten und -risiken spart das Entleihunternehmen folglich ein, was isoliert betrachtet schon ein Beweggrund zur Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung sein kann.233 Demgemäß überrascht es nicht, dass die Auslagerung von Personalfunktionen – worunter vor allem die erhebliche Entlastung der Personalabteilung gefasst wird – zum Teil als neben den oben genannten Flexibilisierungsinteressen stehendes übergeordnetes Motiv für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung genannt wird.234 Insbesondere die bei der Rekrutierung und während des Einsatzes im Vergleich zu betrieblich Beschäftigten deutlich geringer ausfallenden indirekten Personalkosten von Leiharbeitnehmern sind es, die bei der Vollkostenrechnung den wesentlichen Vorteil der Arbeitnehmerüberlassung ausmachen. Setzt man die direkten Personalkosten – also die unmittelbar für eine Arbeitsstunde anfallenden Kosten – eines bspw. befristet betrieblich Beschäftigten mit dem eines Leiharbeitnehmers gleich, so ergibt sich, dass die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers immer kostengünstiger sein wird, als die eines befristet betrieblich Beschäftigten.235 Sind die direkten Personalkosten für einen Leiharbeitnehmer hingegen höher als für einen bspw. befristet betrieblich Beschäftigten oder ist der Lohn des Leiharbeitnehmers aufgrund der aktuellen „Equal pay“-Regelung spätestens ab dem neunten Monat der Überlassung an das Gehalt eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers angeglichen, schwindet der mit den geringeren indirekten Personalkosten zunächst einhergehende Kostenvorteil mit steigender Einsatzdauer – bis im Ergebnis die Kosten der Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers diejenigen der Beschäftigung eines betrieblich Beschäftigten übersteigen.236

232 Vgl. auch: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (117 f.); Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (62). 233 So geben bspw. im verarbeitenden Gewerbe 4 von 10 Unternehmen an, dass die Verringerung des Beschäftigungsrisikos eine wichtige Rolle bei der Entscheidung für Arbeitnehmerüberlassung ist. Hierzu: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (129). 234 Vgl. Bouncken/Lehmann/Ratzmann, Nutzungsstrategien der Zeitarbeit in Industrieunternehmen, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 189 (196). 235 Siehe hierzu und auch zu den folgenden Kostenvergleichen die graphische Darstellung bei: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (63). 236 Siehe auch: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (63). I. E. – wenngleich ohne konkrete Berechnung – wohl auch: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 261 ff.

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Es mag zunächst verwundern, dass die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers, der aufgrund der „Equal pay“-Regelung ein an die Stammarbeitnehmer angeglichenes Gehalt erhält, gegenüber der Beschäftigung eines Stammarbeitnehmers im Ergebnis und auf längere Zeit hin betrachtet teurer ist. Dies liegt daran, dass ein durch „Equal pay“ angeglichenes Gehalt nicht mit den tatsächlich vom Entleihunternehmen zu zahlenden Stundenkosten gleichzusetzen ist. Diesbezüglich kommen schließlich im Vergleich zu einer Stammarbeitskraft noch weitere Kostenpunkte hinzu. Zum einen preisen Verleihunternehmen die Tatsache, dass das Arbeitgeberrisiko und die damit ggf. im Falle von Kündigungen einhergehenden Kosten bei ihnen verbleiben, als eine Art „Risikoprämie“ in das vom Entleihunternehmen zu zahlende Entgelt ein.237 Zum anderen kommt auch der vom Verleiher einzustreichende und meist in Form einer Gebühr ausgestaltete Gewinn hinzu,238 sodass die tatsächlich anfallenden Stundenkosten eines Leiharbeitnehmers, der aufgrund von „Equal pay“ das Gehalt eines Stammarbeitnehmers erhält, im Ergebnis über denen eines Stammarbeitnehmers liegen.239 Daraus folgt für die oben angesprochene unternehmerische Entscheidung, ob zu Flexibilitätszwecken auf die Möglichkeiten betrieblicher Beschäftigung oder auf Arbeitnehmerüberlassung zurückgegriffen wird, hinsichtlich der Kostenfrage das Folgende: Die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers bei gleichen oder geringeren direkten Personalkosten wird sich immer als kostenmäßig attraktiver gegenüber der Beschäftigung eines betrieblich Beschäftigten darstellen, während der Rückgriff auf Leiharbeitnehmer mit höheren Stundenkosten – bzw. bei Greifen der „Equal pay“Regelung – nur für begrenzte Zeit kostenmäßig attraktiver ist.240 Hiermit erklärt sich auch das oben angesprochene Charakteristikum der Arbeitnehmerüberlassung als Überbrückung für vorübergehende und meist kurzzeitig auftretende oder in ihrer Dauer nicht absehbare Schwankungen der Marktsituation. Da ein Leiharbeitnehmer bei längeren Einsätzen im Vergleich zu betrieblich Beschäftigen oftmals teurer ist, werden Unternehmen in diesem Fall typischerweise zu betrieblich Beschäftigten greifen,241 während eindeutig vorübergehendem oder in seiner Dauer nicht abseh-

237 Hierzu: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (130); Hamann, EuZA 2009, 287 (307). 238 Vgl. Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329 (1329); Hierzu aus der betrieblichen Erfahrung: Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129 (134). 239 Vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 48 f. 240 So das Resultat bei: Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/ Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (63 f.). Dort wird das hierbei gefundene Ergebnis auch ebenso auf unbefristet Beschäftigte übertragen. I. E. ebenso: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 138; Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 28. 241 Dieser Effekt lässt sich durch ein „Leiharbeitnehmer-Rondell“ z. T. umgehen. Vgl. hierzu u. a. im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes: S. 438 ff.

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barem Anpassungsdruck typischerweise mit Arbeitnehmerüberlassung begegnet wird. Ungeklärt ist damit aber, wie sich angesichts dieses kostenmäßigen Charakteristikums das Phänomen erklären lässt, dass Entleihbetriebe zuweilen einen Teil der Stammarbeitnehmer zur Flexibilitätssteigerung dauerhaft durch Leiharbeitnehmer ersetzen. Übersteigen die Kosten eines Leiharbeitnehmers spätestens mit dem ab dem neunten Monat der Überlassung verpflichtend geltenden „Equal pay“-Prinzip auf Dauer die Kosten eines betrieblich Beschäftigten, erscheint dies betriebswirtschaftlich kaum sinnvoll. Denkbar ist diese Alternative nur, wenn der sich bei einer Arbeitnehmerüberlassung anfangs abzeichnende Kostenvorteil dauerhaft und wiederkehrend ausgenutzt wird, indem immer wieder Leiharbeitnehmer ausgetauscht werden, bevor der Zeitpunkt erreicht ist, an dem sich ihr Einsatz nicht mehr als kostengünstiger darstellt.242 Auf diese mögliche Strategie zur Ersetzung von Stammarbeitnehmerschaft durch Leiharbeitnehmer soll aber an späterer Stelle noch einmal vertieft eingegangen werden (vgl. S. 117 ff.). Betont werden muss an dieser Stelle noch einmal, welch großen Einfluss die gesetzliche Regulierung, wie bspw. die durch die Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingeführte verpflichtende „Equal pay“-Regelung ab dem neunten Monat einer Überlassung,243 auf die kostenmäßige Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung hat. Wie oben aufgezeigt wurde, ist die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers gegenüber einem Stammbeschäftigten bei identischen direkten Personalkosten immer die kostenmäßig attraktivere Wahl, während dies bei Geltung der besagten „Equal pay“-Regelung nur vorübergehend der Fall ist. Liegt das Gehalt eines Leiharbeitnehmers also etwa aufgrund tariflicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz – wie sie vor der Novellierung 2017 zeitlich unbegrenzt zulässig waren – dauerhaft unter dem eines Stammarbeitnehmers, sodass sich die von den Entleihbetrieben zu zahlenden Kosten nach Einpreisung des Gewinns der Verleihunternehmen in etwa decken, so würde sich die Beschäftigung eines Leiharbeitnehmers gegenüber einem betrieblich Beschäftigten dauerhaft als kostengünstigere Alternative darstellen. Dies hat sich spätestens mit der Novellierung des AÜG im Jahre 2017 geändert. Hiermit wird deutlich, dass die Rückwirkungen veränderter rechtlicher Rahmenbedingungen auf die wirtschaftliche Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung und damit auch ihre Rolle im Arbeitsmarkt nicht unterschätzt werden dürfen.244

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Erneut zur Möglichkeit eines „Leiharbeitnehmer-Rondells“: S. 438 ff. Zur verfassungsrechtlichen Überprüfung dieser zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität des Gleichbehandlungsgrundsatzes: S. 433 ff. 244 Vgl. Schäfer, IW Trends 2015, 75, 76, 82. Die Bedeutung der rechtlichen und tariflichen Rahmenbedingungen für die Wahl verschiedener Flexibilisierungsmöglichkeiten betont auch: Bellmann, Sozialer Fortschritt 2004, 135 (137). 243

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c) Rekrutierung von Stammarbeitnehmern Ein weiteres Interesse an der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung seitens potenzieller Entleihbetriebe stellt auch die vereinfachte Rekrutierung von Stammarbeitnehmern dar.245 Dieses Interesse ist hinter den genannten Flexibilisierungsinteressen indes als nachrangig zu betrachten.246 Gleichwohl kann der personalpolitische Aspekt der vereinfachten Rekrutierung von Arbeitnehmern für die Unternehmen einzelfallabhängig eine Rolle spielen.247 Wie bereits erläutert wurde, entfällt bei der Rekrutierung eines Leiharbeitnehmers ein Großteil der Bemühungen, die Unternehmen bei der Einstellung eines Stammarbeitnehmers typischerweise auf sich nehmen müssen. Eine Vorauswahl qualifizierter Kräfte ist schließlich durch die Verleihunternehmen bereits geleistet worden.248 Beschäftigt ein Entleihunternehmen einen Leiharbeitnehmer – der sich aufgrund dieser Vorauswahl meist bereits als hinreichend qualifiziert erweisen wird – und stellt während der Überlassungsdauer fest, dass sich dieser für eine Übernahme eignet, kann der Leiharbeitnehmer unschwer in ein Stammarbeitsverhältnis übernommen werden, sofern dies seinen Interessen entspricht (vgl. auch S. 90 ff.). Durch die Überlassung entsteht dabei im Ergebnis eine faktische Probezeit,249 bei der sich zudem der Vorteil bietet, dass die Betriebe im Bedarfsfall einen potenziellen Stammarbeitnehmer über einen längeren Zeitraum kennen lernen können, als dies 245 Umfassend aus makroökonomischer Perspektive zu dieser dort als „Intermediationsfunktion“ bezeichneten Komponente: Pfleger, Matching und Zeitarbeit, 2012, S. 80 ff. Diesen Beweggrund (über-)betonend: Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 16. 246 So gaben etwa bei einer Befragung von Unternehmen durch das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) nur 15 % der Unternehmen an, dass eine Eignungsfeststellung für die Festanstellung für sie eine Rolle spiele. Hierzu: Bellmann/Crimmann/Kohaut, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 27 (35). Siehe auch: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 60. 247 Insbesondere beim Einsatz von Spezialisten und Facharbeitern mittels Arbeitnehmerüberlassung kann die Erprobung eine übergeordnete Rolle spielen. So gaben bspw. in einer Befragung der IW Consult GmbH 54 % der befragten Unternehmen in Bezug auf diese Gruppe von Leiharbeitnehmern an, dass die Erprobung als Einsatzmotiv eine sehr wichtige Rolle spiele. Hierzu: IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 31, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeu tung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 248 Hierzu noch einmal abschließend: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 257; Felder, Zeitarbeit im betrieblichen Kontext: weit mehr als ein Rekrutierungskanal, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 151 (152); Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 57. 249 Vgl. Dulger, Zeitarbeit – Erfahrungen aus der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 129, 134; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 57; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (58); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 23.

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bei der Probezeit im eigentlichen Sinne, die im Regelfall sechs Monate nicht überschreiten darf (vgl. § 622 Abs. 3 BGB), der Fall wäre.250 Hiermit ist auch der sogenannte „Klebeeffekt“ angesprochen. Wie hoch die Chancen für eine Übernahme in ein Stammarbeitsverhältnis im Anschluss an eine Überlassung aber tatsächlich sind und wie prävalent der „Klebeeffekt“ in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche daher ist, soll erst an späterer Stelle genauer untersucht werden (vgl. S. 90 ff.). Festzuhalten ist hingegen, dass die Arbeitnehmerüberlassung neben der beschriebenen Flexibilisierungsfunktion Unternehmen darüber hinaus die Möglichkeit bietet, vergleichsweise risikofrei, vereinfacht und günstig Stammpersonal zu akquirieren. 2. Risiken Mit der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung können für das entleihende Unternehmen jedoch auch Risiken und nachteilige Effekte einhergehen. a) Konflikte in der Belegschaft Eine mögliche negative Folge der Arbeitnehmerüberlassung können etwa Konflikte in der Belegschaft darstellen, die durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern hervorgerufen werden. Ein gewisses Konfliktpotenzial ist hierbei ggf. bereits dem Umstand geschuldet, dass mit der Arbeitnehmerüberlassung eine neben der Stammbelegschaft stehende Art von Beschäftigten in den Betrieb eingeführt wird. So ist denkbar, dass schon die Segmentierung der Belegschaft in die (im Übrigen homogene) Stammbelegschaft und die Gruppe der Leiharbeitnehmer Konflikte nach sich ziehen kann, die allein darin begründet sind, dass sich zwei typologisch unterschiedliche Gruppen von Beschäftigten gegenüberstehen, die jeweils Gegenstand von Diskriminierungen und Distinktionsprozessen sein können.251 Hinzu kommt ein auf Seiten der Stammbelegschaft möglicherweise empfundenes Bedrohungserleben, das auf tatsächlicher oder befürchteter Verdrängung der eigenen Arbeitsplätze durch die Gruppe der Leiharbeitnehmer beruht.252 Dieses Bedro250 Siehe hierzu: Ensmann/Schwaab, Im Interview: Strategische Überlegungen und Erfahrungen in der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 143 (144). In Bezug auf das französische Recht: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 259. 251 Aus der Betriebspraxis: Lehmann/Haseloh, Zeitarbeit aus Sicht eines Intensivnutzers, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 75 (89). Aus arbeitspsychologischer Sicht: Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/ Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (140). 252 Vgl. Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (152); Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbei-

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hungserleben und die sich dadurch ggf. entwickelnden Abwehrprozesse, die sich möglicherweise auch durch Spannungen zwischen Unternehmensführung und Betriebsrat ausdrücken,253 sind naturgemäß dort zu erwarten, wo Unternehmen Stammbelegschaft tatsächlich abbauen, um die Unternehmensstrategie aktiv mittels der Arbeitnehmerüberlassung zu einem flexibleren Modell umzugestalten.254 Abwehrprozesse seitens der Stammbelegschaft gegenüber den Leiharbeitnehmern können aber auch aufgrund der durch deren Einsatz möglicherweise veränderten Arbeitsbedingungen entstehen. Denkbar ist so bspw., dass Stammarbeitnehmer dadurch stärker belastet werden, dass sie wechselnde Leiharbeitnehmer häufig einarbeiten müssen.255 Ebenso ist auch denkbar, dass Leiharbeitnehmer Leistungsnormen übererfüllen und somit gefühlter Konkurrenzdruck auf den Stammarbeitnehmern lastet, der sich in Spannungen gegen die vermeintlichen Verursacher entlädt.256 Negative Auswirkungen in Form von Konflikten können nicht zuletzt auch deswegen entstehen, weil die kollegialen Bezugsgruppen in der Belegschaft aufgrund eines häufigen Wechsels der Leiharbeitnehmer beliebiger werden und somit eine gefühlte Entsolidarisierung der Belegschaft entsteht, die sich in geringerer Arbeitsmotivation Bahn bricht.257 Eine solche gefühlte Entsolidarisierung ist letztlich auch dort denkbar, wo Leiharbeitnehmer von Nachteilen wie Schicht- und Wochenenddiensten, welche die entsprechende Arbeitsumwelt mit sich bringt und die im Übrigen von der Stammbelegschaft gemeinsam ertragen werden, ausgenommen sind. Etwa in der Krankenund Altenpflege kommt es aufgrund des sich in der Branche verschärfenden Fachkräftemangels mitunter zu der Situation,258 dass Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Einteilung von Dienstplänen in einer vorteilhaften Stellung sind.259 tersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (71); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 25. 253 Vgl. Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2334); Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 62. 254 Vgl. Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (60). 255 So schon früh: Herold, Der Einsatz temporärer Arbeitskräfte in der Unternehmung unter besonderer Berücksichtigung der Eingliederungsschwierigkeiten am Arbeitsplatz, 1976, S. 122 ff.; Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2334). 256 Vgl. Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2334); Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (71); Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 62. 257 Vgl. Kadel/Koppert, BB 1990, 2331 (2334); Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (71); Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 62. 258 Zum Fachkräftemangel in der Kranken- und Altenpflege und zur Rolle der Arbeitnehmerüberlassung: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, Mai 2022, S. 10 ff., abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statisti ken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publication File&v=13, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Aber nicht nur Abwehrprozesse der Stammbelegschaft gegenüber dem Einsatz von Leiharbeitnehmern können der Grund für Konflikte in der Belegschaft sein. Werden die Leiharbeitnehmer tatsächlich oder gefühlt nachteilig behandelt oder entsteht seitens der Stammbelegschaft der Eindruck, dass es diesen grundsätzlich im Arbeitsleben aufgrund ihrer Stellung schlechter ergeht, sind auch – gegenteilig zu Abwehrprozessen – Solidarisierungen mit den Leiharbeitnehmern möglich,260 die sich in Konflikten gegenüber der Betriebsführung äußern. Solche Konflikte zwischen der Stammbelegschaft und der Betriebsführung sind jedoch auch dort denkbar, wo die Betriebsführung für die mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern möglicherweise in der Belegschaft einhergehenden Konflikte verantwortlich gemacht wird und es in der Folge zu Loyalitätsverlusten gegenüber dem Betrieb und gesteigerten Eigenkündigungen kommt.261 b) Effizienz- und Produktivitätsverluste Entleihende Unternehmen müssen sich beim Leiharbeitnehmereinsatz aber nicht nur mit möglichen Konflikten in der Belegschaft auseinandersetzen, sondern auch ggf. die bereits angedeuteten Einbußen an Effizienz und Leistung des eingesetzten Personalkörpers in Kauf nehmen. Nimmt man zunächst das entleihende Unternehmen als Ganzes in den Blick, steigt zwar die unternehmensweite Effizienz, wenn es Unternehmen gelingt, Arbeitnehmerüberlassung im oben beschriebenen Sinne zur Flexibilitätssteigerung einzusetzen und die Mitarbeiterkapazitäten dementsprechend flexibel am tatsächlichen Arbeitsaufkommen auszurichten.262 Nimmt man aber demgegenüber die Effizienz des Personalkörpers in den Blick, ergibt sich aber unter Umständen ein anderes Bild. Der oben erwähnte Umstand, dass die typischerweise über kürzere Zeiträume eingesetzten Leiharbeitnehmer nicht die gleiche Leistung zu erbringen vermögen wie routinierte Stammarbeitnehmer, vermag zu Effizienzverlusten führen.263 Diese können aber freilich nur in Bereichen zu Tage treten, die ein höheres Maß an betrieblicher Erfahrung erfordern. Ist dies nicht der Fall, werden die Faktoren 259 Zu Erfahrungen aus der Praxis: „Pflegekräfte fliehen in die Leiharbeit“, Süddeutsche Zeitung v. 22. 5. 2018, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/pflegepersonalletzter-ausweg-leiharbeit-1.3987460, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 260 Vgl. etwa: Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (71). 261 Zu diesem Phänomen: Davis-Blake/Broschak/George, Academy of Management Journal 2003, 475 (482 f.). 262 Vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 3; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (60). 263 Das gegenüber Stammarbeitnehmern geringere Humankapital in Bezug nehmend: Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (37); Nielen/ Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 (390).

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der Erfahrung und Routine keinen nennenswerten Unterschied in Bezug auf die Effizienz der Leiharbeitnehmer gegenüber den Stammarbeitnehmern ausmachen.264 Wenn sie auf Übernahmechance hoffen und daher eine besonders hohe Produktivität an den Tag legen, können Leiharbeitnehmer umgekehrt sogar zu einer erhöhten Effizienz des Personalkörpers beitragen.265 Aus den oben beschriebenen möglichen Konfliktpotenzialen können sich hingegen wiederum ggf. Produktivitätsabfälle und damit Effizienzverluste des Personals ergeben. Denkbar ist etwa, dass die Motivation und damit die Produktivität der Leiharbeitnehmer aufgrund abwehrender Haltungen der Stammbelegschaften nachlässt.266 Aber auch hinsichtlich der Stammarbeitnehmer sind Effizienzverluste denkbar. Diese können zum einen mit dem oben beschriebenen Bedrohungserleben der Stammarbeitnehmer zusammenhängen.267 Derselbe Effekt kann aber auch darauf beruhen, dass sich die Stammarbeitnehmer angesichts einer personellen Reserve an Leiharbeitnehmern „kündigungssicher“ wähnen, da bei Bedarf vorwiegend Leiharbeitnehmer abgebaut werden und der eigene Arbeitsplatz damit als sicherer empfunden wird.268 Ein solcher Effekt tritt aber nur dort auf, wo Arbeitnehmerüberlassung reaktiv als neben der Stammbelegschaft stehende Personalressource angesichts einer kurzfristig auftretenden Veränderung im Arbeitsaufkommen ge264 Dies gilt, sofern das Entleihunternehmen bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer darauf achtet, sich bei den Verleihunternehmen für bereits erfahrene Arbeitskräfte zu entscheiden. Hierzu aus betrieblicher Erfahrung: Ensmann/Schwaab, Im Interview: Strategische Überlegungen und Erfahrungen in der betrieblichen Praxis, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 143 (144). 265 Vgl. hierzu: Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 3; Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (109). 266 Vgl. Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (109); Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (37). Aus einer ggf. ablehnenden Haltung der Stammbelegschaft kann aber auch eine gewisse soziale Isolation der Leiharbeitnehmer im Einsatzbetrieb folgen. Vgl. zur (fehlenden) Integration der Leiharbeitnehmer in die Belegschaft am Arbeitsplatz: S. 106 f. Hierdurch kann es demgegenüber indes auch zu einem effizienzsteigernden Effekt kommen, indem sich Leiharbeitnehmern verstärkt auf ihre Arbeit konzentrieren und keine Zeit und Energie auf die Einbindung in das soziale Gefüge des Einsatzbetriebes verwenden. Vgl. bereits: Hempel, Das Spannungsverhältnis zwischen dem sozialen Schutz der Arbeitnehmer und den wirtschaftlichen Interessen der Verleiher und der Entleiher bei der Arbeitnehmerüberlassung, 1975, S. 87. 267 Etwa weil die Stammarbeitnehmer dazu neigen könnten, weniger mit den Leiharbeitnehmern zu kooperieren (vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 3). 268 Vgl. Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (152); Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 46. Zu diesem Aspekt gesondert: S. 94 f.

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nutzt wird. Werden hingegen aktiv Stammarbeitsplätze mit Arbeitnehmerüberlassung substituiert, kann die gegenteilige Folge eintreten: In der Stammbelegschaft kommt es dann angesichts einer befürchteten Ersetzung des eigenen Arbeitsplatzes ggf. zu Effizienzsteigerungen.269 Wie sich zeigt, können die Effekte der Arbeitnehmerüberlassung auf die Effizienz des Personalkörpers abhängig von verschiedenen Vorzeichen vielfältig sein. Ein wesentlicher Faktor, der auf die Motivation und damit auf die Produktivität der Belegschaft Einfluss zu haben scheint, ist hierbei auch in der Art und Weise zu sehen, wie Unternehmen Arbeitnehmerüberlassung einsetzen. So wird etwa zum Teil ein erheblicher Unterschied bezüglich der hier in Rede stehenden Produktivitätsgesichtspunkte darin gesehen, ob Unternehmen Arbeitnehmerüberlassung zur oben beschriebenen Flexibilitätssteigerung verwenden oder vornehmlich als lediglich vereinfachtes und kostengünstiges Mittel der Personalrekrutierung.270 Unabhängig davon lässt sich die Art und Weise der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung offenkundig als einen wesentlichen Faktor hinsichtlich der Effizienz und Produktivität der Stammbelegschaft ausmachen. So ist etwa nicht von der Hand zu weisen, dass allein das Bedrohungserleben der Stammbelegschaft und die damit assoziierten Abwehrprozesse und möglichen Produktivitätseinbußen von ganz anderer Qualität sind, wenn die Arbeitnehmerüberlassung aktiv genutzt wird, um

269 Siehe etwa: Kock, Die austauschbare Belegschaft, 1990, S. 87. Vgl. ferner unten: S. 117 ff. 270 Vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 17 f. Gemeint ist die sog. „Screening Strategy“, bei der Arbeitnehmerüberlassung dazu genutzt wird, um die bestmöglichen zukünftigen Stammarbeitnehmer aus den breiten Spektrum des Angebots der Verleihunternehmen „auszusieben“ (to screen). Vgl. hierzu: Evers, Zeitarbeit: Gründe – Strategien – Intensität, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 55 (59); Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (37). In diesem Fall sei das Bedrohungserleben der Stammbelegschaft und die damit möglicherweise einhergehenden Produktivitätsabfälle minimiert, während die Motivation der Leiharbeitnehmer, die eine Festanstellung vor Augen hätten, entsprechend hoch sei (vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 17; Nielen/Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 [390]). Setzt ein Unternehmen hingegen Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument ein, seien demgegenüber die mit dem beschriebenen Bedrohungserleben der Stammbelegschaft assoziierten demotivierenden und damit produktivitätsschädigenden Effekte möglicherweise so stark, dass sie die mit höherer Flexibilität einhergehenden positiven Effekte für das Unternehmen insgesamt überträfen (vgl. hierzu Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 18). Diese drastische Schlussfolgerung geht freilich an der Realität der entleihenden Unternehmen vorbei, spielt doch die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung als vornehmliches Mittel der Personalrekrutierung in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. So auch: Evers, Zeitarbeit: Gründe – Strategien – Intensität, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 55 (62); Hirsch/Müller, The Economic Journal 2012, F216 (F233).

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Stammarbeitsplätze zu substituieren und nicht um nur kurzfristig und daher reaktiv veränderte Arbeitsaufkommen zu adressieren.271 Festzuhalten ist angesichts der beschriebenen möglichen Effekte, dass Effizienzverluste jedenfalls nicht immer zu befürchten sind, aber in bestimmten Nutzungssituationen wahrscheinlich werden können. Entsprechend uneindeutig stellt sich daher auch die diesbezügliche empirische Datenlage dar, die sowohl auf eine höhere als auch auf eine niedrigere Produktivität seitens der Leiharbeitnehmer hinweist.272 Zum Teil wird auch nahegelegt, dass mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern zunächst eine insgesamt gesteigerte Unternehmensperformance einhergeht, welche dann allerdings mit steigendem Anteil an Leiharbeitnehmern einen Zenit erreicht und dann umgekehrt wieder abnimmt.273 Diese Beobachtung ist insofern interessant, als dass hieraus abgeleitet werden könnte, dass es hinsichtlich der Produktivität eines entleihenden Unternehmens einen optimalen Anteil an Leiharbeitnehmern an der Belegschaft geben könnte, den es nicht zu überschreiten gilt.274 c) Imageverlust durch Arbeitnehmerüberlassung? Nicht von der Hand zu weisen ist auch das für Entleihunternehmen möglicherweise mit einem Gebrauch der Arbeitnehmerüberlassung einhergehende Risiko eines Imageverlustes in der Öffentlichkeit. Arbeitnehmerüberlassung haftet nach wie vor eine gewisse negative Reputation an. Obwohl Arbeitnehmerüberlassung zwar von Seiten des Gesetzgebers über die Jahrzehnte eine deutliche Liberalisierung bis zur zeitweisen gemeinsamen Zusammenarbeit mit der Branche275 und damit eine gewisse rechtliche Anerkennung erfahren hat,276 spiegelt sich diese nicht zwingend 271

In diese Richtung: Nielen/Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 (390). Vgl. etwa: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (109) (m. w. N.). 273 Treffend: „inverse U-shaped relationship“ (vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 17 f.; Nielen/Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 [390]). Ähnlich: Hirsch/Müller, die einen „robust hump-shaped productivity effect of the share of temps“ erkennen (Hirsch/Müller, The Economic Journal 2012, F216 [F233]). 274 Vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 17; Nielen/Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 (390). Dieser optimale Anteil wird in der Literatur zum Teil auch quantitativ beziffert. So etwa mit 10 bis 15 % (vgl. Beckmann/Kuhn, Temporary Agency Work and Firm Performance, 2009, S. 18) oder 13 bis 15 % (vgl. Nielen/ Schiersch, Industrial Relations 2014, 365 [391]). Ebenfalls zum Risiko sinkender Produktivität bei steigender Anzahl an Leiharbeitnehmern: Lehmann/Gantz/Eichel, Zeitarbeit aus Sicht industrieller Entleihbetriebe: in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Flexibilität im Unternehmen, 2012, S. 46 (71). 275 Gemeint ist die Einführung der PSA durch das am 1. 1. 2003 in Kraft tretende Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 161). 276 Vgl. Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Vorwort, dort unter Verweis auf BAG, Urt. v. 9.12.2003 – 9 AZR 16/03, NZA 2004, 921 (923) („Wie die Regelung der Arbeitnehmer272

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in einer Anerkennung derselben als probates Mittel betrieblicher Personalpolitik in der gesellschaftlichen Sphäre wider. Insbesondere die Gewerkschaften kritisieren Arbeitnehmerüberlassung vielmals als potenziell Arbeitnehmer schlechter stellende und Sozialstandards gefährdende Beschäftigungsform.277 Diesem Urteil schließen sich auch teilweise die politischen Parteien an. Die Linke hatte etwa zuletzt in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 in beispielloser Kompromisslosigkeit kundgetan: „Wir wollen Leiharbeit verbieten.“.278 Eine zeitweise sehr kritische Berichterstattung in der medialen Öffentlichkeit,279 wie bspw. über die als missbräuchlich empfundene Nutzung des oben beschriebenen „Drehtüreffekts“280 hat lange zu diesem Negativimage beigetragen. Die Reputation der vergleichsweise jungen Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung mag indes auch damit zusammenhängen, dass hiermit vom etablierten Normalarbeitsverhältnis, das dem Grunde nach mit Sicherheit und Beständigkeit assoziiert wird, abgewichen wird.281 Dieselbe Entwicklung kann aber überlassung im AÜG zeigt, ist Leiharbeit jedenfalls seit dem 1. 1. 2003 ein vom Gesetzgeber grundsätzlich akzeptiertes Mittel der betrieblichen Personalpolitik“). In diese Richtung auch: Stolz, Rechtliche Entwicklungstendenzen der Zeitarbeit und branchenpolitische Herausforderungen, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 343 (349). 277 Siehe nur die Ausführungen von Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall (Wetzel, in: Ulber, AÜG, 2023, Geleitwort, S. 5 f.). Zusammenfassend zur Sicht der Gewerkschaften: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 38 ff.; Vitols, Die Regulierung der Zeitarbeit in Deutschland, 2003, S. 21 f. 278 Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www. die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_ zur_Bundestagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Die SPD wendet sich hingegen nicht prinzipiell gegen die Arbeitnehmerüberlassung, sieht aber die Notwendigkeit, dass Leiharbeitnehmer „ab dem ersten Tag den gleichen Lohn erhalten wie Festangestellte“ (SPD, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 27, abrufbar unter: https://www.spd.de/filead min/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Die gleiche Forderung findet sich auch bei der Linkspartei wieder; zusätzlich wird eine Flexibilitätsprämie gefordert – bis das beabsichtigte Verbot eintritt. So auch Bündnis 90/Die Grünen (vgl. Bündnis 90/Die Grünen, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 103 f., abrufbar unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIE-GRUENENBundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Die CDU/CSU hingegen will hinsichtlich der Arbeitnehmerüberlassung offenkundig am Status Quo festhalten (vgl. CDU/CSU, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 38, abrufbar unter: https:// www.csu.de/common/download/Regierungsprogramm.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023), während die FDP v. a. die Überlassungshöchstdauer abschaffen will (vgl. FDP, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 28, abrufbar unter: https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/ FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 279 Als besonders herausstechend ist wohl die Sozialreportage „Ganz Unten“ aus dem Jahr 1985 von Günther Wallraff zu bezeichnen. 280 Näheres zu dieser Praxis: Böhm, DB 2010, 672 ff.; Hamann, NZA 2011, 70 (75). 281 Zur Erosion des Normalarbeitsverhältnisses: Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183.

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auch mit einem positiven (da modernen) Image einhergehen, indem die flexiblere Arbeitswelt der Arbeitnehmerüberlassung mit dem Typus eines selbstverantwortlichen und risikobereiten Arbeitnehmers in Verbindung gebracht wird.282 Gleichwohl bleibt ein insgesamt eher negatives Image der Arbeitnehmerüberlassung in der Öffentlichkeit zu konstatieren, welches ggf. auch auf Unternehmen, die von diesem Mittel der Personalpolitik Gebrauch machen, abfärben kann.283 Denkbar ist daher, dass ein Verleih- oder Entleihunternehmen von Seiten der Öffentlichkeit und somit auch von Seiten potenzieller Arbeitnehmer mit geringerem Lohn, fehlender Sicherheit und geringeren Sozialstandards assoziiert wird.

II. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Verleiher Auch die Sicht der Verleihunternehmen auf die Arbeitnehmerüberlassung verdient eine genauere Betrachtung. Bereits aus juristischer Perspektive ist ihre Rolle im oben beschriebenen Dreipersonenverhältnis als besonders zentral einzuordnen, da ein Arbeitsverhältnis nur zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer besteht. Darüber hinaus sind es im Wesentlichen die Verleiher, die Adressaten der Regelungen des AÜG sind. Daher lohnt sich ein Blick darauf, welche Unternehmen in Deutschland überhaupt Arbeitnehmerüberlassung betreiben.284 Aufschluss hierüber bieten die Erhebungen der Bundesagentur für Arbeit über diejenigen Betriebe, die eine Verleiherlaubnis besitzen.285 Es zeigt sich hierbei das Bild einer sehr heterogenen Gruppe an Betrieben. Nach der genannten Erhebung der Bundesagentur für Arbeit waren von 47.000 Verleihbetrieben am 31. Dezember 2021 lediglich 11.000 Betriebe solche, die schwerpunktmäßig Arbeitnehmerüberlassung betreiben. Die übrigen Betriebe, die eine Verleiherlaubnis besaßen, waren sogenannte „Mischbetriebe“, die also ihren Schwerpunkt in einer anderen Branche als der Verleihbranche hatten, gleichwohl aber zusätzlich Arbeitnehmerüberlassung betrieben. Der Umstand, dass vor allem die vergleichsweise wenigen schwerpunktmäßigen Verleihbetriebe typischerweise eine große Anzahl an Leiharbeitnehmern beschäftigen, führt dazu, dass diese – trotz ihrer vergleichsweise geringen absoluten Anzahl – mit 79 % der Beschäftigten in der

282

Vgl. Promberger, in: Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183. 283 Vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 63. 284 Für eine tiefergehende Aufschlüsselung der verschiedenen Unternehmenstypen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben: Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 75 ff. 285 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 8, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Arbeitnehmerüberlassung einen Großteil der Leiharbeitnehmer beschäftigen.286 Es sind folglich vor allem die größeren, schwerpunktmäßig Arbeitnehmerüberlassung betreibenden Unternehmen, die den größten Marktanteil haben. Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Verleihbetriebe nehmen demgegenüber Betriebe ein, die Arbeitnehmer an andere Unternehmen desselben Konzerns im Sinne von § 18 AktG verleihen. Solche Unternehmen treten mit ihrer Verleihtätigkeit nicht am Markt auf, sondern bedienen lediglich den internen Arbeitsmarkt eines Konzerns. Gerade wegen dieses fehlenden Marktbezuges ist diese Form der Arbeitnehmerüberlassung durch § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG im Wesentlichen aus dem Anwendungsbereich des AÜG ausgenommen.287 Solche konzerninternen Personaldienstleistungsgesellschaften sind vor allem dazu geeignet, eine konzerneigene Flexibilitätsreserve vorzuhalten.288 Daneben können Arbeitnehmer in konzerninternen Verleihunternehmen für den Konzern insgesamt erprobt werden.289 1. Chancen Die mit der Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Verleiher einhergehenden Chancen werden im Folgenden näher betrachtet.

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Von den Mischbetrieben beschäftigten am Erhebungszeitpunkt des 31. 12. 2021 mehr als 90 % weniger als 10 Leiharbeitnehmer, während dies auf die Gesamtheit der Verleihbetriebe bezogen nur bei etwa drei Viertel der Betriebe der Fall war. Letzteres kommt dadurch zustande, dass die Betriebe, die schwerpunktmäßig Arbeitnehmerüberlassung betreiben, zum größeren Anteil weit mehr Leiharbeitnehmer beschäftigen: 36 % von ihnen beschäftigen 50 oder mehr Leiharbeitnehmer, 39 % beschäftigen zwischen 10 und 49 Leiharbeitnehmer, während lediglich 25 % ebenfalls nur unter 10 Leiharbeitnehmer beschäftigten. Vgl. hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 8, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/ Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung. pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 287 Vgl. BT-Drs. 10/3206 v. 26. 4. 1985, S. 33; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 284. Die hiermit vorgenommene Privilegierung findet allerdings nur dann Anwendung, wenn „der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird“. Soll das konzerninterne Verleihunternehmen also Arbeitnehmer ausschließlich dazu einstellen, um sie intern zu verleihen, – um also i. E. klassische Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben – liegt keine Privilegierung vor und es gelten die Bestimmungen des AÜG. Siehe hierzu zuletzt auch weiterführend die umfassende Analyse bei: Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 336 ff. 288 Umfangreich zur Nutzung konzerninterner Verleihunternehmen: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 82 ff.; Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 37 ff. 289 Hierdurch kann ggf. konzernintern eine hohe betriebliche Flexibilität generiert werden (Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 89).

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a) Kostengesichtspunkte: Rentabilität aus Sicht der Branche Gemeinsam ist jeder Form von Verleihtätigkeit zuvörderst die Orientierung auf die Wirtschaftlichkeit dieser Tätigkeit. In die hiermit zwingend verbundene Kostenund damit Wirtschaftlichkeitserwägung sind – wie bereits oben spiegelbildlich für die Seite der Entleiher geschehen – nicht nur die direkten, sondern auch die indirekten Kosten einer Verleihtätigkeit miteinzubeziehen. Positiv schlägt jedoch bei einer Verleihtätigkeit zunächst zu Buche, dass sich die Lohnkosten für Leiharbeitnehmer insgesamt als niedriger darstellen, als es bei vergleichbaren Arbeitnehmern der Fall wäre.290 Hieran hat offenkundig auch die verpflichtende Geltung des „Equal pay“-Prinzips nach dem neunten Monat der Überlassung, von der jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt tarifvertraglich abgewichen werden kann, nichts geändert. Auch im Jahr 2019 verdienen Leiharbeitnehmer bei grundsätzlich gleichen Voraussetzungen hinsichtlich Einsatzfeld und Qualifizierung im Durchschnitt weniger als die übrigen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.291 Diesem Kostenvorteil stehen jedoch einige Charakteristika der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber, die sich negativ auf die Kostenbilanz der Verleihunternehmen auswirken. So können zum Beispiel Risiken, wie die Gefahr, einen Leiharbeitnehmer nicht verleihen zu können und dennoch Lohn zahlen zu müssen, oder auch die Gefahr, gute Arbeitskräfte an Entleihunternehmen zu verlieren, indirekte Kostenpunkte darstellen (hierzu S. 85 f.). Ein sich daneben negativ auswirkender Faktor sind die im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis aufgrund des besonderen regulativen Zugriffs des Gesetzgebers auf die Arbeitnehmerüberlassung zuweilen ergebenden höheren administrativen Kosten.292 Diese hinsichtlich der Rentabilität der Arbeitnehmerüberlassung negativ ins Gewicht fallenden Faktoren führen aber offenbar nicht dazu, dass die Arbeitneh290 Die Brutto-Einkünfte von Leiharbeitnehmern in verschiedenen Berufssparten und Anforderungsbereichen und damit auch spiegelbildlich die von den Arbeitgebern gezahlten Entgelte sind im Durchschnitt niedriger. Hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Bereinigter Pay Gap von Leiharbeitnehmern, Januar 2019, S. 23, 26, abrufbar unter: https://doku.iab.de/exter ne/2019/k190313r01.pdf; zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 291 Siehe hierzu die Aufschlüsselungen des bereinigten Pay Gaps von Leiharbeitnehmern nach Anforderungsniveau, Berufsabschluss, Berufssegmenten etc., bei: Bundesagentur für Arbeit, Bereinigter Pay Gap von Leiharbeitnehmern, Januar 2019, S. 23, 26, abrufbar unter: http://doku.iab.de/externe/2019/k190313r01.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Zur finanziellen Lage der Leiharbeitnehmer gesondert: S. 112 ff. 292 Hierzu bereits: Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 96. So erfordert bspw. allein das Erfüllen der formalen Anforderungen, die § 12 Abs. 1 AÜG an den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher stellt sowie die zahlreichen Unterrichtungs- und Auskunftspflichten des Verleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer (§ 11 Abs. 1 bis 3 AÜG) und der Erlaubnisbehörde (§ 7 Abs. I und II AÜG) einen nicht unerheblichen administrativem Aufwand. Dieser ist indes für größere Verleihunternehmen vermutlich einfacher auszugleichen als für kleinere Unternehmen, die ihren Schwerpunkt ohnehin in anderen Branchen haben (Mischbetriebe).

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merüberlassung als Betätigungsfeld unattraktiv wäre. Vielmehr ist es vielen Verleihunternehmen gelungen, sich in den letzten Jahrzehnten am Markt erfolgreich zu etablieren.293 Insgesamt entwickelt sich die Branche trotz aller regulatorischen Eingriffe und der beschriebenen Risiken vergleichsweise stabil.294 Arbeitnehmerüberlassung ist also eine rentable Branche. b) Verwendungsbreite: Vielfältige und schnelle Einsatzmöglichkeiten Letzterer Umstand wird auch darin begründet sein, dass die Arbeitnehmerüberlassung die Möglichkeit bietet, unternehmensseitig breit gefächert und zügig in verschiedene Branchen einzusteigen. Sind erst einmal Kontakte zu Entleihunternehmen in einer jeweiligen Einsatzbranche geknüpft, kann sich ein Verleihunternehmen schnell etablieren und ggf. sogar in mehreren Branchen zeitgleich tätig sein. Aufgrund der Tatsache, dass Arbeitnehmerüberlassungsverträge für die Entleihunternehmen im Gegensatz zu Arbeitsverträgen mit keinem allzu hohen Risiko verknüpft sind, werden diese in der Praxis häufig zügig geschlossen.295 Der Einstieg in verschiedene Branchen verläuft daher vergleichsweise unkompliziert. Hiermit geht auch eine erhöhte Flexibilität einher. Schwindet in einer Branche die Nachfrage nach Arbeitnehmerüberlassung, können sich Verleihunternehmen häufig gleichwohl am Markt behaupten und auf andere Bereiche konzentrieren. Dieser Vorteil eröffnet sich zwar in erster Linie größeren Betrieben, die eine höhere Anzahl an Leiharbeitnehmern beschäftigen und in verschiedenen Branchen aktiv sind.296 Jedenfalls dem Grunde nach geht mit einer Verleihtätigkeit aber die Möglichkeit einher, sich schnell und vielfältig und damit flexibel am Markt aufzustellen. 2. Risiken Mit dem Geschäft der Arbeitnehmerüberlassung gehen für die Verleihunternehmen aber auch stets gewisse typische Risiken einher.

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Randstad, eines der größten Verleihunternehmen, ist seit 1968 in Deutschland aktiv. Am 31. 12. 2021 etwa gab es 47.000 Verleihbetriebe zu verzeichnen: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 8, abrufbar unter: https://statis tik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generi sche-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=pu blicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 295 Vgl. zur insofern niedrigen „Hemmschwelle“: Durian, Neue Anforderungen an Personaldienstleister, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 295 (305). 296 Siehe zur Diversität der Einsatzbereiche etwa beispielhaft die Auflistung von Einsatzmöglichkeiten bei Randstad: https://www.randstad.de/karriere/berufe/?gclid=EAIaIQobChMI3 JnfpfGS9gIVd5BoCR3FKQjuEAAYASAAEgL5IPD_BwE, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 294

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a) Gefahr der Abwerbung von Leiharbeitnehmern durch Entleiher Eine solche Gefahr besteht für die Verleihunternehmen insbesondere darin, dass Entleihbetriebe Leiharbeitnehmer in Stammarbeitsplätze abwerben. Zwar spielt – wie oben geschildert (vgl. S. 73 f.) – die Rekrutierung von Stammpersonal aus der Leiharbeitnehmerschaft für die Entleihunternehmen bei der Entscheidung darüber, ob Arbeitnehmerüberlassung betrieblich genutzt wird, eine eher untergeordnete Rolle.297 Wenn es jedoch zur Abwerbung kommt, ist dies für die Verleihunternehmen betriebswirtschaftlich im Regelfall ein herber Verlust. Schließlich sind sie es, die die Kosten für die Akquise von qualifiziertem Leiharbeitspersonal tragen. Diese Kosten, die Entleihunternehmen bei einer solchen Abwerbung spiegelbildlich einsparen, hat das Verleihunternehmen auf sich genommen. Wenn sich diese Investitionen nach einer Abwerbung aufgrund dadurch fehlender Einsatzmöglichkeiten allerdings nicht amortisieren, hat sich die entsprechende Einstellung eines Leiharbeitnehmers nicht rentiert.298 Festhalten lässt sich daher, dass das für Entleiher und Leiharbeitnehmer vorteilhafte Phänomen des „Klebeeffekts“ auf Kosten der Verleiher stattfindet. Im Ergebnis bleibt den Verleihunternehmen nur die Möglichkeit, den zu befürchtenden Verlust eines Arbeitnehmers durch Abwerbung mittels einer vom Entleihunternehmen zu zahlenden Vermittlungsprämie auszugleichen.299 Eine solche ist im Übrigen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 AÜG auch explizit zulässig (siehe hierzu S. 544 ff.). b) Risiko verleihfreier Zeiten Ebenfalls eng mit der Tatsache verknüpft, dass es die Verleiher sind, die im oben beschriebenen Dreiecksverhältnis das Arbeitgeberrisiko tragen, ist die naturgemäß mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehende Gefahr, einen Leiharbeitnehmer nicht verleihen zu können und dennoch auch in diesem Fall alle direkten und indirekten Personalkosten tragen zu müssen. Zwar trägt jeder Arbeitgeber das Risiko, dass die Kosten eines Arbeitnehmers im Falle fehlender Einsatzmöglichkeiten und daher ausbleibender Wertschöpfung nicht ausgeglichen werden können. Für Verleihunternehmen stellt sich dieses grundlegende Arbeitgeberrisiko jedoch als be297 Wie oft und unter welchen Vorzeichen dieser sogenannte „Klebeeffekt“ tatsächlich vorkommt wird unten detailliert analysiert: S. 90 ff. 298 Vgl. hierzu etwa: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 202. Dieser betriebswirtschaftliche Verlust ist zudem dann für das Verleihunternehmen besonders ausschlaggebend, wenn der Leiharbeitnehmer im Entleihunternehmen wertvolle Erfahrungen gesammelt hat und einen auf dem Arbeitsmarkt entsprechend gestiegenen Wert hat. Vgl. aus betrieblicher Sicht: Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (45). 299 Vgl. Herrmann, Schaffung von Arbeitsplätzen durch Leiharbeit?, 2009, S. 98; Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (58).

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sonders unkalkulierbar dar, da sie nicht nur mit anderen Unternehmen, sondern auch mit den weiteren oben erläuterten betrieblichen Flexibilisierungsmöglichkeiten (vgl. S. 59 ff.) im potenziellen Entleihunternehmen konkurrieren. Dieses Risiko müssen Verleihunternehmen bei ihrer Personalplanung in Rechnung stellen, wollen sie wirtschaftlich und rentabel Arbeitnehmerüberlassung betreiben. Eine Möglichkeit, diesem Risiko beizukommen, besteht ggf. darin, die soeben beschriebene breite Einsatzmöglichkeit (vgl. S. 84 f.) der Arbeitnehmerüberlassung zu nutzen, um das Risiko verleihfreier Zeiten auf einzelne Betriebe oder Branchen zu streuen. Eine andere Möglichkeit kann darin bestehen, das Risiko verleihfreier Zeiten als „Risikoprämie“ in das von den Entleihern zu zahlende Entgelt einzupreisen,300 sofern dies angesichts des Wettbewerbsdrucks unter den Verleihunternehmen möglich ist. c) Imageverlust durch Arbeitnehmerüberlassung? Das oben beschriebene (vgl. S. 79 f.) Negativimage der Arbeitnehmerüberlassung in der (medialen) Öffentlichkeit spielt auch für die Verleihbetriebe eine nicht erhebliche Rolle. Schließlich sind die Verleiher auf einen Zuwachs an potenziellen Leiharbeitnehmern, die sich allerdings ggf. vom negativen Bild dieser Beschäftigungsform abschrecken lassen,301 angewiesen. Nicht verschwiegen werden soll indes, dass auch einige Verleihunternehmen über das negative Bild der Arbeitnehmerüberlassung schon aufgrund ihres geschäftlichen Zuschnitts unzweifelhaft erhaben sind, indem dort etwa lediglich die Rechtsform der Arbeitnehmerüberlassung als Vehikel zur Umsetzung sozialer Projekte genutzt wird.302 Derartige Unternehmen stellen aber naturgemäß die Ausnahme dar. Die übrige Branche hat nach wie vor mit dem schlechten Image der Arbeitnehmerüberlassung in der Öffentlichkeit zu kämpfen. Diesem Image versuchen die Verleihunternehmen verstärkt Herr zu werden. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere die von den beiden großen Arbeitgeberverbänden in der Arbeitnehmerüberlassung – 300

Zu dieser betrieblichen Praxis: Crimmann/Lehmann, Der Preis der Flexibilität: Was darf Zeitarbeit kosten?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 103 (130). 301 In einer Befragung von 216 Personen im Jahr 2012 gaben knapp 40 % an, dass sie sich nicht vorstellen könnten, in einem Zeitarbeitsverhältnis zu arbeiten und begründeten dies mit dem schlechten Image der Branche. Hierzu: Sehm, Entscheidung für flexible Arbeitsverhältnisse aus der Arbeitnehmerperspektive am Beispiel der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Flexibilität im Unternehmen, 2012, S. 75 (87). 302 So nutzt etwa das Münchener Start-Up „Social Bee“ – eine gemeinnützige GmbH – die Arbeitnehmerüberlassung, um Geflüchteten den Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und damit eine gelungene Integration zu unterstützen. Alle erzielten Einnahmen werden hierbei für die Betreuung und Weiterbildung der Geflüchteten genutzt, während das erklärte Langzeitziel des Unternehmens die Übernahme der Leiharbeitnehmer durch vormalige Entleihbetriebe ist. Siehe hierzu: https://www.social-bee.de/ueber-socialbee/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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dem Interessenverbund Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ)303 und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP)304 – aufgestellten und sanktionsbewehrten Kodizes, die für alle jeweiligen Mitglieder verbindliche Standards im Umgang mit Behörden, Entleihbetrieben und Leiharbeitnehmern setzen.305 Der Verhaltenskodex der BAP soll nach eigenen Angaben für „moralisch einwandfreies Handeln“ stehen,306 während es das erklärte Ziel der iGZ ist, sich mithilfe des selbstgesetzten Kodexes für „Fairness, Zuverlässigkeit, Respekt, Vertrauen und Seriosität“ einzusetzen.307 Aus der in den Angaben der iGZ hierauf folgenden Äußerung, man befinde sich schließlich im „Wettstreit um die besten Köpfe und geschicktesten Hände“308 wird auch sogleich deutlich, warum es eines solchen Kodexes aus Sicht der Verleihunternehmen bedarf. Die Unternehmen sind sich des negativen Images der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Auswirkungen auf die Personalakquise bewusst und versuchen mit guter Öffentlichkeitsarbeit dagegen zu steuern. Ob es sich daher bei Maßnahmen wie dem Ethik-Kodex lediglich um gut gemeinte, aber wirkungslose „Publicity“ handelt, oder ob der Sanktionen und eine Schlichtungsstelle vorsehende Ethik-Kodex zu einer die Interessen der Beteiligten ausgleichenden Selbstregulierung führt, sei zunächst dahingestellt (hierzu unten S. 344 ff.). Nicht abstreiten lässt sich jedoch, dass die hiermit vorgenommene Öffentlichkeitsarbeit naturgemäß für eine positivere Rezeption der Arbeitnehmerüberlassung führen könnte – nicht zuletzt auch bei potenziellen Leiharbeitnehmern und Ent-

303 Der iGZ ist ein im Jahr 1998 gegründeter und nach eigenen Angaben im Jahr 2020 3704 Verleihunternehmen umfassender und damit mitgliedsstärkster deutscher Interessenverband in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche (https://ig-zeitarbeit.de/igz/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 304 Der BAP ist ein im Jahr 2011 aus dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) hervorgegangener und nach eigenen Angaben 1800 Mitglieder starker Arbeitgeberverband in der Arbeitnehmerüberlassung (https://www.personaldienstleister.de/der-bap/ueberblick-struk tur.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 305 Zum Ethik Kodex der iGZ: https://weiss-pm.de/files/igz-ethik-kodex.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Zum Verhaltens-Kodex der BAP: https://zeitarbeit.rahmer.de/fileadmin/ user_upload/BAP_Verhaltenskodex_web.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Der BAP greift in seinem Verhaltenskodex auch Regelungen des „Code of Conduct“ der World Employment Confederation Europe – dem Kodex des europäischen Zeitarbeitsverbandes – auf, in dem der BAP als einzige deutsche Organisation Mitglied ist. Siehe hierzu die Angaben des BAP, abrufbar unter: https://zeitarbeit.rahmer.de/fileadmin/user_upload/BAP_Verhaltensko dex_web.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 306 Siehe hierzu: https://zeitarbeit.rahmer.de/fileadmin/user_upload/BAP_Verhaltenskodex_ web.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 307 Vgl. iGZ, Ethik-Kodex, S. 3, abrufbar unter: https://weiss-pm.de/files/igz-ethik-kodex. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 308 Vgl. iGZ, Ethik-Kodex, S. 3, abrufbar unter: https://weiss-pm.de/files/igz-ethik-kodex. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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leihunternehmen. Insbesondere der iGZ scheint sich dessen bewusst zu sein und tritt souverän und letztlich auch streitbar auf.309

III. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Leiharbeitnehmer Der Blick auf die in der Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigten ist allein aufgrund der gesetzgeberischen Fokussierung auf die Interessen der Leiharbeitnehmer von besonderer Bedeutung. Schließlich motivierten diese bereits die erstmalige spezialgesetzliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung im Jahr 1972. Explizit ging es dem Gesetzgeber dort um den „arbeits- und sozialversicherungsrechtliche(n) Schutz der Leiharbeitnehmer“.310 Im Ergebnis entstand ein Gesetz, das in seiner grundsätzlichen Konzeption vor allem als ein „Schutzgesetz zugunsten der Leiharbeitnehmer“ rezipiert wurde.311 Im Zeichen dieser gesetzgeberischen Fokussierung auf die Situation der Leiharbeitnehmer steht auch die jüngste Novelle des AÜG aus dem Jahr 2017. Der Gesetzgeber wollte hiermit vor allem die „Stärkung der Stellung von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern“ erreichen und stellte in Rechnung, dass Arbeitnehmerüberlassung bei „wechselnden Einsätzen vielfach mit Unsicherheiten für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verbunden“ ist und dass Leiharbeitnehmer „teilweise auch bei längeren Einsatzdauern zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen beschäftigt (werden) als vergleichbare Stammbeschäftigte“.312 Schon allein aus dieser generalisierten gesetzgeberischen Zielrichtung wird offensichtlich, dass die Lage der Leiharbeitnehmer für die Dekodierung des hinter der Arbeitnehmerüberlassung stehenden tatsächlichen Interessenkonflikts elementar ist. Von Interesse ist hierbei zunächst die Zusammensetzung der Beschäftigtengruppe der Leiharbeitnehmer. Im Jahresdurchschnitt 2021 etwa waren 816.000 Leiharbeitnehmer in der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt. Davon waren 95 % sozialversicherungspflichtig und insgesamt 79 % in Vollzeit beschäftigt.313 Hinsichtlich der Tätigkeitsbereiche der Leiharbeitnehmer sind der Berufssektor der Produktionsberufe mit 38 % sowie der Sektor der wirtschaftlichen Dienstleistungsberufe mit 36 % vorherrschend. Es folgen personenbezogene (13 %), kaufmännische und unternehmensbezogene Dienstleistungsberufe (11 %) sowie schließlich IT- und na309

Auf dem Bundeskongress des iGZ im Jahr 2018 lieferte sich etwa der Hauptgeschäftsführer Werner Stolz ein Streitgespräch mit Dr. Gregor Gysi und konfrontierte diesen unter anderem mit der Forderung der Links-Partei, Arbeitnehmerüberlassung abzuschaffen. Hierzu: https://www.ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/zeitarbeit-mehr-durchblick-fuer-gregor-gysi, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 310 Vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 1. 311 So bereits explizit: Becker, in: Becker/Wulfgramm (Hrsg.), AÜG, 1985, Vorwort, S. 5. 312 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1 f. 313 Vgl. hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 9, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/ Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Ak tuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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turwissenschaftliche Dienstleistungsberufe (2 %).314 Ferner nehmen Leiharbeitnehmer überdurchschnittlich oft reine Helfertätigkeiten wahr.315 Diesem Ergebnis entsprechend stellt sich der Anteil an Fachkräften sowie Spezialisten und Experten in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Beschäftigungsdurchschnitt als gering dar.316 Ähnlich verhält sich das Qualifikationsniveau der Leiharbeitnehmer. Während im Beschäftigungsdurchschnitt 16 % ohne Berufsabschluss arbeiten, sind dies in der Arbeitnehmerüberlassung mit 32 % doppelt so viele Beschäftigte. Während in der Arbeitnehmerüberlassung 11 % Akademiker arbeiten, sind es im Beschäftigungsdurchschnitt 19 %. Einzig der Anteil an Arbeitnehmern mit einem anerkannten Berufsabschluss ist mit 57 % in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber einem Durchschnittsanteil von 66 % annähernd vergleichbar. Die meisten (71 %) der Leiharbeitnehmer sind darüber hinaus Männer. Auffällig ist im Übrigen auch die Altersstruktur und die Verteilung von Staatsangehörigkeiten unter den Leiharbeitnehmern. Während im Beschäftigungsdurchschnitt nur 32 % unter 35 Jahre alt sind, sind dies in der Arbeitnehmerüberlassung 48 %. Bezüglich der Staatsangehörigkeiten zeigt sich ein mit 41 % gegenüber einem Anteil von 13 % im Beschäftigungsdurchschnitt deutlich erhöhter Anteil an Arbeitnehmern mit nicht-deutscher 314 Zu den vertretenen Berufssektoren: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 12, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Stati scher-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/ArbeitsmarktDeutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Die von der Bundesagentur für Arbeit als Grobrasterung verwendeten Berufssektoren lassen sich z. T. weiter aufgliedern: Produktionsberufe sind so etwa Land-, Forstund Gartenbauberufe, Fertigungsberufe und fertigungstechnische Berufe sowie Bau- und Ausbauberufe. Wirtschaftliche Dienstleistungsberufe umfassen demgegenüber Sicherheits-, Verkehrs-, Logistik- und Reinigungsberufe, während Lebensmittel- und Gastgewerbeberufe, Medizinische und nicht-medizinische Gesundheitsberufe sowie soziale und kulturelle Dienstleistungsberufe unter die personenbezogenen Dienstleistungsberufe fallen. Die kaufmännischen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufe umfassen hingegen etwa Handelsberufe und Berufe in Unternehmensführung und -organisation. Zu dieser Aufschlüsselung. Hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Methodenbericht Berufssektoren und Berufssegmente, 2015, S. 13, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/ Grundlagen/Methodik-Qualitaet/Methodenberichte/Uebergreifend/Generische-Publikationen/ Methodenbericht-Berufssektoren-und-Berufssegmente.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 315 In der Arbeitnehmerüberlassung trifft dies auf etwa 57 % zu, während es im Beschäftigungsdurchschnitt nur 19 % sind. Hierzu und zu den folgenden quantitativen Verteilungen: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 15, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/ Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung. pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 316 Fachkräfte: Ca. ein Drittel in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber mehr als der Hälfte der Beschäftigten insgesamt; Spezialisten und Experten: 5 % in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber 12 % bzw. 13 % insgesamt. Vgl. hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 15, abrufbar unter: https://statistik.ar beitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Pu blikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publication File, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Staatsangehörigkeit. Eine Besonderheit der Arbeitnehmerüberlassung ist zudem, dass offenbar ein hoher Anteil von Geflüchteten ihren Einstieg in den Arbeitsmarkt in der Arbeitnehmerüberlassung findet. So waren im Jahresdurchschnitt 2021 58.000 Beschäftigungsaufnahmen von arbeitslosen Geflüchteten in der Arbeitnehmerüberlassung zu verzeichnen.317 Aber auch der insgesamt zu verzeichnende Anteil an Beschäftigungsaufnahmen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus erfolgen, ist in der Arbeitnehmerüberlassung hoch. Im Jahresdurchschnitt 2021 waren etwa 64 % der Leiharbeitnehmer, die ein Leiharbeitsverhältnis begannen, unmittelbar vorher nicht beschäftigt.318 1. Chancen Welche Chancen mit der Arbeitnehmerüberlassung für diese Beschäftigten einhergehen wird im Folgenden untersucht werden. a) Integration in den Arbeitsmarkt Genauer in den Blick genommen werden muss insbesondere der sogenannte „Klebeeffekt“. Gemeint ist hiermit das bereits oben angesprochene Phänomen, dass Leiharbeitnehmer von Entleihbetrieben, in denen sie sich vorher während einer Überlassung faktisch erprobt haben, unmittelbar in ein – meist zunächst befristetes319 – Arbeitsverhältnis übernommen werden und somit im umgangssprachlichen Sinne „kleben bleiben“. Als „Klebeeffekt“ in diesem Sinne wird indes nur dasjenige Phänomen beschreiben, bei dem Leiharbeitnehmer im unmittelbaren Anschluss an eine Entleihung durch das Entleihunternehmen übernommen werden.320 Übernahmen eines vormalig im Entleihunternehmen eingesetzten Leiharbeitnehmers, die zeitlich unabhängig von einer konkreten Überlassung stattfinden, kann man hingegen treffend als „Übernahmeeffekt“ bezeichnen.321 317 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 15, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 318 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 16, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 319 Die „Erprobung“ wird in der Praxis häufig in einem befristeten Arbeitsverhältnis zunächst fortgesetzt, bevor der Leiharbeitnehmer unbefristet übernommen wird (Szcesny/ Schmidt, Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen, 2008, S. 89). 320 Zu dieser Differenzierung etwa: Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 45; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 127. 321 Vgl. Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 47; Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Ar-

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Von diesen Phänomenen abzugrenzen ist darüber hinaus der sogenannte „Brückeneffekt“. Hierunter versteht man das Phänomen, dass ein Leiharbeitnehmer aufgrund der während mehrerer Entleihungen gewonnenen betrieblichen Erfahrungen in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis in einem Unternehmen übergeht, das an Überlassungen dieses Arbeitnehmers nicht direkt involviert war.322 Diese hier zugrunde gelegte Terminologie wird aber zugegebenermaßen in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Teils wird der oben als „Klebeeffekt“ bezeichnete Vorgang als solcher im „engeren Sinne“ aufgefasst und der „Brückeneffekt“ unter einen allgemeiner gefassten „Klebeeffekt“ subsumiert.323 Andere hingegen bezeichnen den obigen „Übernahmeeffekt“ als „mittelbaren Klebeeffekt“324 oder fassen das dortige Geschehen terminologisch unter den „Brückeneffekt“.325 Teils wird auch schlicht das Gesamtphänomen des Einstiegs in reguläre Beschäftigung durch Arbeitnehmerüberlassung als „Brückenfunktion“326 oder „Sprungbrettfunktion“327 bezeichnet. Doch so vielfältig die Terminologie und die dahinterstehenden Mechanismen auch sind, gemeinsam ist ihnen allen, dass sie einen kausalen Zusammenhang zwischen einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung und einer zeitlich nachfolgenden Beschäftigung in einem regulären Arbeitsverhältnis beschreiben.328 Im Fokus der folgenden Betrachtung steht daher diese Kausalitätsverbindung. Die hiermit beschriebene Integration in reguläre Arbeit durch eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung spielt nicht zuletzt für die Motivationslage der Leiharbeitnehmer, die sich für eine Beschäftigung in der Branche entscheiden, eine

beitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (212). 322 Vgl. hierzu näher: Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (45). 323 So bei: Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (91). 324 So bei: Sende/Galais/Knubben/Moser, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 161 (162). 325 So wohl bei: Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 127. 326 Siehe etwa: Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 2. Jahn und Rudolph hingegen verstehen unter Brückenfunktion das Potenzial zur Überbrückung von Auftragsspitzen (vgl. Jahn/Rudolph, Zeitarbeit: Auch für Arbeitslose ein Weg mit Perspektive, 2002, S. 7). 327 So etwa: Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 18 ff.; Lepper, WISTA 2015, 88 (90). 328 Etwas aus der Reihe fällt daher die Idee, man könne auch eine längerfristige Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung als einen in einem weiteren Sinne verstandenen Klebeeffekt in Beschäftigung verstehen. So indes: Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (92).

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tragende Rolle.329 Auch die Verleihunternehmen betonen – trotz der Tatsache, dass sich der Wechsel eines Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis als Verlust darstellt (vgl. S. 85 f.) – dieses integrative Potenzial der Arbeitnehmerüberlassung.330 aa) Die Datenlage: Divergierende Angaben zu Umfang und Ursachen Von welchem Umfang die „Klebe-“, „Brücken-“ oder „Übernahmeeffekte“ aber tatsächlich sind, unter welchen Umständen sie auftreten und ob sie ggf. überhaupt in statistisch signifikantem Umfang existieren, ist jedoch ausweislich der bestehenden Datenlage keineswegs eindeutig zu beantworten.331 Die empirische Einschätzung dieses Aspektes der Arbeitnehmerüberlassung ist von „voneinander deutlich abweichenden wissenschaftlichen Interpretationen abhängig (…), die auf zum Teil gegensätzlichen theoretischen ,Konstruktionen‘ und Erkenntnisinteressen basieren“,332 und weist entsprechend starke Variationen auf. Erste Einblicke in den tatsächlichen Umfang der oben beschriebenen Effekte bietet zunächst die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Unter anderem wird hierin untersucht, ob Personen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus eine Anstellung in der Arbeitnehmerüberlassung angetreten haben, nach zwölf Monaten immer noch in der Arbeitnehmerüberlassung oder in einer anderen Branche sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind. So waren etwa im Erhebungszeitraum 2021 nach zwölf Monaten 64 % dieser Gruppe sozialversicherungspflichtig beschäftigt, wovon wiederum 40 % ausschließlich in der Arbeitnehmerüberlassung und 24 % in einer 329

Aus arbeitspsychologischer Sicht: Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (151). In regelmäßigen repräsentativen Umfragen ermittelt das „Observatoire des Métiers et de l’Emploi“ in Frankreich mittels groß angelegter Umfragen die Interessenlage der Leiharbeitnehmer. Im Jahr 2011 gaben hierbei 86 % der Befragten an, dass sie in der Arbeitnehmerüberlassung arbeiten, um einen Arbeitsplatz zu finden. Siehe hierzu die Darstellung der Erhebung bei: Mattoug, Das französische Modell der Zeitarbeit: Ein Modell für wen?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 225 (228). 330 Siehe die umfangreichen Angaben des BAP zum Integrationseffekt: https://www.integra tionsdienstleister.de/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Vgl. kritisch zu derartigen Verlautbarungen: Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (45). Es sollte nicht überraschen, dass eine Übernahmequoten von 80 %, wie sie das oben erwähnte Verleihunternehmen „Social Bee“ erzielt, nur die Ausnahme und nicht die Regel sind (Beeger, FAZ v. 25. 11. 2018, abrufbar unter: https://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/ die-gruender/das-start-up-social-bee-will-starthelfer-fuer-fluechtlinge-in-deutschland-sein-1 5897236.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 331 Viel zu kurz greift indes die apodiktische Feststellung Stepiens, der lediglich konstatiert, dass es empirische Untersuchungen hierzu kaum gebe und der Frage nicht weiter nachgeht (vgl. Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 32). 332 So treffend: Widuckel, Paradigmenwechsel in der Zeitarbeit – Perspektive oder Sackgasse?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Neue Herausforderungen in der Zeitarbeit, 2013, S. 19 (21).

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anderen Branche tätig waren.333 Eine gewisse Abwanderung von der Arbeitnehmerüberlassung in andere Branchen ist also belegbar. Ein „Klebeeffekt“ ist hiermit aber noch nicht dargetan.334 Schließlich ist unklar, ob gerade die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung kausal dafür war, dass ein gewisser Teil dieser Beschäftigtengruppe einen Weg in andere Branchen gefunden hat, oder ob andere Faktoren den Ausschlag gaben. Das gleiche Evaluationsproblem stellt sich, wenn Erhebungen lediglich danach fragen, wohin „der berufliche Werdegang nach der Zeitarbeit“ führte.335 Dergestalt ermittelte Angaben von 28,9 % „Klebe-“ bzw. „Übernahmeeffekt“ und 33,1 % „Brückeneffekt“ dürfen daher nicht bereits als Beleg für umfangreiche Kausaleffekte herangezogen werden. Warum aus derartigen Zahlen nicht freiheraus der Beweis für einen umfangreichen „Klebe-“ oder „Brückeneffekt“ abgeleitet werden darf, wird anhand einer Untersuchung zur Arbeitnehmerüberlassung in Nordrhein-Westfalen deutlich. Dort wird belegt, dass der Erwerbsstatus einer Person nach einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung stark davon abhängt, wie der Erwerbsstatus vor der Episode in der Arbeitnehmerüberlassung war. Während Arbeitnehmer, die vor einer solchen Phase in einem regulären Arbeitsverhältnis vollzeit- oder teilzeitbeschäftigt waren, im darauffolgenden Jahr zu rund 80 % ebenfalls wieder dergestalt vollzeitbeschäftigt sind, beläuft sich dieser Anteil bei Arbeitnehmern, die vor einer Episode in der Arbeitnehmerüberlassung arbeitslos waren, nur auf rund ein Drittel.336 Jedenfalls einen gewissen „Klebeeffekt“ legen diese Zahlen zweifellos nahe. Daneben tritt aber auch ein umfangreicher „Überbrückungseffekt“. Entscheidend für den Erwerbsstatus nach einer Episode in der Arbeitnehmerüberlassung ist hiernach offenbar vor allem der Erwerbsstatus, aus dem Arbeitnehmer in die Arbeitnehmerüberlassung wechseln. Die Phase in der Arbeitnehmerüberlassung stellt demnach eher eine Zwischenepisode dar, die für die positive Entwicklung der Erwerbsbiografie der Arbeitnehmer nur eine untergeordnete Rolle spielt.337 Frappierend gering ist demge333 Vgl. hierzu und zu weiteren Erhebungen dieser Art: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 20, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagen tur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/ Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 334 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 20, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Allerdings ist nicht bekannt, ob es sich hierbei um den sogenannten ,Klebeeffekt‘ handelt oder die Beschäftigung außerhalb der Zeitarbeit anderweitig gefunden wurde“). 335 So aber die im Auftrag des Verleihunternehmens Orizon GmbH von der Lünendonk GmbH mit 2041 Teilnehmern online durchgeführte Befragung (https://www.orizon.de/de/pres selounge/mit-vitamin-z-schnell-zum-naechsten-job, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 336 Vgl. Szcesny/Schmidt, Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen, 2008, S. 86 f. 337 So die Konklusion bei: Szcesny/Schmidt, Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen, 2008, S. 88.

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genüber die in dieser Untersuchung festgestellte integrative Wirkung der Arbeitnehmerüberlassung bei Berufsanfängern.338 Gleichwohl ist ein gewisser integrativer Effekt der Arbeitnehmerüberlassung in den regulären Arbeitsmarkt – jedenfalls für vormalig Arbeitslose – aufgrund der genannten Erhebungen naheliegend. Der Beweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen der Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung und einer darauffolgenden regulären Beschäftigung ist damit aber noch nicht erbracht. Im Gegenteil: Die offenbar überwiegende Bedeutung der vormaligen Beschäftigung auf den Erwerbsstatus nach der Arbeitnehmerüberlassung legt nahe, dass verstärkt andere Faktoren der Erwerbsbiografie als die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung selbst den Ausschlag geben, ob für Arbeitnehmer der Weg über die Arbeitnehmerüberlassung in eine reguläre Beschäftigung führt. Gleichwohl muss gesehen werden, dass gewisse Übernahmephänomene von Leiharbeitnehmern in Regelarbeitsverhältnisse in der Literatur verbreitet angenommen werden. Die genauen Prozentangaben in Bezug auf diese Effekte unterscheiden sich jedoch zum Teil erheblich.339 Eine Untersuchung der Daten der integrierten Erwerbsbiografien des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt etwa zu dem Ergebnis, dass in Bezug auf die Gesamtheit der Leiharbeitnehmer im Zeitraum von 2004 bis 2006 vor einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung 8 % überwiegend außerhalb und 18 % überwiegend in der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt waren und nach dieser Beschäftigungsepisode wiederum 25 % überwiegend außerhalb und 31 % überwiegend in der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigt waren.340 Eine gewisse Erhöhung – jedenfalls auch – der Beschäftigung außerhalb der Arbeitnehmerüberlassung wird für Betroffene nach einer Episode in der Arbeitnehmerüberlassung also auch hier beobachtet. Auch diese Untersuchung betont aber die Bedeutung des vorherigen Erwerbsstatus auf den Status nach der Arbeitnehmerüberlassung.341 In Bezug auf vormalig Arbeitslose ergibt sich etwa, dass im entsprechenden Zeitraum nur 5 bis 9 % dieser Gruppe nach einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung im regulären Arbeitsmarkt beschäftigt waren, ohne dass weitere Leiharbeitsepisoden folgten.342 Hierin wird

338 Personen, die im Vorhinein einer Berufsausbildung in die Arbeitnehmerüberlassung einsteigen, waren zu 16 % im ersten Jahr nach dieser Episode außerhalb der Branche in Vollzeit oder Teilzeit erwerbstätig – 73 % hingegen waren arbeitslos (vgl. Szcesny/Schmidt, Zeitarbeit in Nordrhein-Westfalen, 2008, S. 86). 339 Eine Übersicht eines Großteils der diesbzgl. empirischen Erhebungen findet sich bei: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 63. 340 Vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 4. 341 Vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 4. 342 Vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 4; mit weiteren detaillierteren Aufschlüsselungen dieser Erwerbsbiografien.

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erstmals deutlich, in welchen (schmalen) Grenzen die beschriebenen kausalen Effekte abzustecken sind.343 Erfreulicheres ergibt sich in der genannten Untersuchung hinsichtlich eines Nutzens dieser Effekte für Langzeitarbeitslose. Hier erweist sich die Aufnahme einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber einem Verbleib in der Arbeitslosigkeit eindeutig als vorteilhaft.344 Gegenüber einer Beschäftigungsaufnahme außerhalb der Arbeitnehmerüberlassung zeigt sich diesbezüglich hingegen ein kurzfristig nachteiliger und über lange Sicht neutraler Effekt einer Beschäftigungsaufnahme in der Arbeitnehmerüberlassung.345 Erneut verdichtet sich daher der Eindruck, dass Integrationseffekte – wenngleich prozentual gering – möglich sind, die oben beschriebene Kausalität auch hieraus aber nicht abgeleitet werden kann. Eindeutiger fällt dieser Zusammenhang demgegenüber nur bei Langzeitarbeitslosen aus. In eine ähnliche Richtung gehen auch weitere Untersuchungen des IAB,346 sowie eine Untersuchung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.347 Dort wird bspw. untersucht, wie hoch der Anteil an ehemalig eingesetzten Leiharbeitnehmern an den Neueinstellungen in Entleihbetrieben in den Jahren 2003 und 2008 war und auf jeweils 7 und 12 % beziffert.348 Der Anteil an ehemaligen Leiharbeitnehmern an allen Neueinstellungen von Entleihbetrieben (unabhängig von vorherigen Einsätzen im Unternehmen) wird hingegen mit 18 % angegeben.349 Dennoch findet sich auch hier der Hinweis darauf, dass auch angesichts dieser Zahlen unklar ist, ob die Betroffenen gerade wegen der Überlassungsepisode eine reguläre Arbeit fanden oder ob nicht andere individuelle Merkmale der Erwerbsbiografie den Ausschlag gaben.350 Einen ähnlichen Blickwinkel nehmen weitere Untersuchungen ein, die jeweils messen, wie groß der Anteil an Leiharbeitnehmern ist, der in einem entsprechenden Untersuchungszeitraum zu einem aktuellen oder früheren Einsatzbetrieb wechseln 343

Vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 4. So untersuchten die Autoren etwa, wie viele Personen aus zwei Gruppen Langzeitarbeitsloser nach 270 Tagen Beobachtungszeitraum eine Anstellung außerhalb der Arbeitnehmerüberlassung finden konnten. I. E. gelang dies in der Gruppe der Langzeitarbeitslosen, die eine Episode in der Arbeitnehmerüberlassung vorzuweisen hatten, zu 11 % mehr als es bei vergleichbaren Arbeitslosen der Fall war, während dieser Anteil nach einem Jahr ca. 17 Prozentpunkte höher lag (vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 6). 345 Vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 6. 346 Vgl. Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 45 ff.; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 119 ff.; Rudolph/Schröder, MittAB 1997, 102 (125). 347 Vgl. Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 10 ff. 348 Vgl. Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 5.; Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 46. 349 Vgl. Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 5. 350 Vgl. Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 49. 344

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konnte.351 Der „Klebe-“ bzw. „Übernahmeeffekt“ wird mit 14 %352 bzw. 23 %353 beziffert. Hinsichtlich der ausgehend von der übrigen Literatur weitgehend ungeklärten Frage, inwiefern die Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung für solche Übernahmephänomene kausal ist, stellt aber eine der genannten Untersuchungen den betreffenden Einsatzunternehmen hierbei die Kontrollfrage, ob sie die übernommenen Leiharbeitnehmer auch ohne vorangegangene Überlassungsepisode eingestellt hätten. Hierbei geben durchschnittlich 46 % der Unternehmen an, dass der entsprechende Einsatz die „Conditio sine qua non“ zur Einstellung war und die Betroffenen ohne diese Erprobung nicht eingestellt worden wären.354 Damit liegt jedenfalls ein veritabler Hinweis darauf vor, dass die entsprechende Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung eine mindestens wesentliche Rolle bei der Erklärung der oben aufgezeigten Übernahmeeffekte spielt. Gleichwohl muss in Rechnung gestellt werden, dass diese hypothetische ex-post-Einschätzung des eigenen Einstellungsverhaltens in ihrer Aussagekraft nicht überschätzt werden darf.355 bb) Ergebnisse: Evaluationsprobleme und Mindestangaben Insgesamt können daher gewisse Abwanderungsbewegungen von Leiharbeitnehmern in reguläre Beschäftigung und Übernahmephänomene von Entleih- oder Drittunternehmen aufgrund der obigen Zahlen nicht bezweifelt werden. Aufgrund der beschriebenen faktischen Erprobung eines Leiharbeitnehmers im Einsatzunternehmen kommt es offenbar „fallweise“356 zum „Klebeeffekt“. Gleichwohl bleibt unklar, inwiefern andere Faktoren der jeweiligen Erwerbsbiografie den Ausschlag 351 Vgl. Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 107 ff., 266 ff.; IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, S. 32, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/ iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 120; ders., Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 205, 207. 352 Vgl. Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 107 ff., 266 ff.; IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, S. 32, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/ iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 120; ders., Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 205, 207. 353 Hierbei wurden allerdings lediglich 114 Leiharbeitnehmer ausschließlich im kaufmännischen Bereich begutachtet (vgl. Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 267 f.). 354 Die übrigen befragten Unternehmen gaben zu 33 % an, dass sie jedenfalls die Hälfte der eingestellten Leiharbeitnehmer in diesem Fall nicht eingestellt hätten und weitere 21 % hätten weniger als der Hälfte eine Festanstellung verwehrt (vgl. IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 33, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/iw-koeln-veroef fentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 355 Zudem wurden nur 420 Unternehmen begutachtet (vgl. IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 14, abrufbar unter: https://www.personaldienstleister.de/iw-koeln-veroef fentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutung-der-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 356 So treffend: Rudolph/Schröder, MittAB 1997, 102 (125).

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darüber geben, ob der Absprung in den regulären Arbeitsmarkt gelingt und – anders gewendet – ob sich dieser Wechsel nicht etwa angesichts der überragenden Bedeutung anderweitiger Faktoren gar trotz einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung vollzieht. Empirisch abstecken lässt sich demgegenüber der tatsächliche Rahmen, in dem sich „Klebe-“, „Brücken-“ oder „Übernahmeeffekte“ bewegen. Insgesamt ist von einer Übernahmequote von Leiharbeitnehmern in reguläre Arbeit von im Durchschnitt nicht mehr als maximal 15 % auszugehen.357 Beachtet werden muss aber, dass solche deskriptiven Prozentangaben lediglich einen Selektionseffekt widerspiegeln, der auch maßgeblich vom Einfluss der aktuellen Konjunkturlage abhängig sein kann und die entsprechenden Kausalitätsbeziehungen nicht abbildet.358 Die Aussagekraft der genannten Mindestangaben hinsichtlich der arbeitsmarktpolitischen Bedeutung der Integrationseffekte darf daher nicht überschätzt werden. Einen mit hoher Wahrscheinlichkeit positiven Effekt auf die Erwerbsbiografie scheint die Aufnahme einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung aber für Arbeitslose darzustellen.359 Arbeitslose können hiernach ihre Chancen, zukünftig überhaupt in ein Beschäftigungsverhältnis zu finden, durch die Aufnahme einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung offensichtlich bedeutend und nachhaltig verbessern.360 Insofern kann Arbeitnehmerüberlassung ein „Sprungbrett“361 bzw. ein „stepping stone“362 in Beschäftigung sein. Ihr kommt also eine „access-to-work-function“ zu.363 Der Einstieg in reguläre Arbeit wird allerdings nicht signifikant erleichtert. Während mit einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung zwar durchaus eine erhöhte Chance auf einen Einstieg in den Arbeitsmarkt per se einhergeht, erhöht sich die Chance auf einen Einstieg in ein 357 Auch Krekeler leitet aus der Summe der Erhebungen her, dass sich die Übernahmequote zwischen 7 und 15 % bewegt (vgl. Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 64). 358 Ein festgestellter Prozentsatz kann auch verstärkt durch eine im Untersuchungszeitraum prosperierende oder krisenhafte Konjunkturlage beeinflusst sein. Hierauf hinweisend (vgl. Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 5; Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 204). Auf dieses grundsätzliche Evaluationsproblem ebenfalls hinweisend: Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (212). 359 Zu diesem Ergebnis kommen folgende Untersuchungen: Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 18 ff.; Kvasnicka, in: Autor (Hrsg.), Studies of Labor Market Intermediation, 2009, S. 335, 366 f.; Lepper, WISTA 2015, 88 (90 f.). 360 Vgl. Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 29; Kvasnicka, in: Autor (Hrsg.), Studies of Labor Market Intermediation, 2009, S. 335, 366; Lepper, WISTA 2015, 88 (95). 361 So explizit: Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 29; Lepper, WISTA 2015, 88 (95). 362 So explizit: Kvasnicka, in: Autor (Hrsg.), Studies of Labor Market Intermediation, 2009, S. 335 (366). 363 So die Bezeichnung bei: Kvasnicka, in: Autor (Hrsg.), Studies of Labor Market Intermediation, 2009, S. 335 (367).

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Normalarbeitsverhältnis daher nicht.364 Das arbeitsmarktpolitische Potenzial der Arbeitnehmerüberlassung, das die „Klebe-“, „Brücken-“ oder „Übernahmeeffekte“ beschwören, kann also bei Arbeitslosen kaum in ausschlaggebendem Maße verifiziert werden. Dennoch kann Arbeitnehmerüberlassung für diese Personengruppe zumindest einen wichtigen „Türöffner“ zum Arbeitsmarkt darstellen und stellt jedenfalls keinen „Stolperstein“ auf dem Weg in ein Arbeitsverhältnis dar.365 Mit dem Einstieg in die Arbeitnehmerüberlassungsbranche wird aber für diese Gruppe eine „Zeitarbeitskarriere“ erheblich wahrscheinlicher als der Weg in ein Normalarbeitsverhältnis.366 Auch wenn also seitens der Leiharbeitnehmer die Hoffnung besteht, durch Arbeitnehmerüberlassung in den regulären Arbeitsmarkt einzusteigen – eine veritable Chance hierauf besteht kaum.367 Arbeitnehmerüberlassung ist eher ein „schmaler Steg“ als eine breite Brücke in das Normalarbeitsverhältnis.368 b) Attraktivität durch Abwechslungsreichtum oder Alternative zur Arbeitslosigkeit Ein mit der Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung in der Regel einhergehender – zuweilen als positiv beurteilter – Umstand ist demgegenüber in dem Abwechslungsreichtum der in den Einsatzunternehmen übernommenen Tätigkeiten zu sehen.369 Gerade dadurch, dass Leiharbeitnehmer typischerweise in diversen Betrieben eingesetzt werden, lernen sie schließlich verschiedene Arbeitgeber und 364 Vgl. Baumgarten/Kvasnicka, Durchlässiger Arbeitsmarkt durch Zeitarbeit?, 2012, S. 29; Kvasnicka, in: Autor (Hrsg.), Studies of Labor Market Intermediation, 2009, S. 335 (366); Lepper, WISTA 2015, 88 (95). Beispielhaft seien hier auf die oben genannte Studie des IAB verwiesen. Hiernach sind nach einem zweijährigen Beobachtungszeitraum lediglich 8 % einer Gruppe von Langzeitarbeitslosen nach einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung regulär beschäftigt, 57 % verbleiben in der Arbeitnehmerüberlassung. Personen, die überhaupt schon einmal in ihrem Erwerbsleben Berührungspunkte mit Arbeitnehmerüberlassung hatten, verbleiben sogar zu 80 % für nicht unerhebliche Teile ihrer Erwerbsbiografie in der Branche (vgl. Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 88). 365 So treffend: Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (96). 366 Siehe etwa: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 164; Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (45); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 76. 367 So i. E. auch aus der juristischen Diskussion: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 246; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 41. 368 So treffend: Lehmer/Ziegler, Brückenfunktion der Zeitarbeit, 2010, S. 1. 369 Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 161. Kritisch zu diesem Aspekt: Hamann, EuZA 2009, 287 (295). Vgl. auch: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 265.

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Betriebe kennen. Diese „boundaryless career“, die ohne die im klassischen regulären Arbeitsverhältnis üblicherweise vorzufindende feste Bindung an einen spezifischen Arbeitsplatz auskommt, kann daher für einige Leiharbeitnehmer einen Vorteil gegenüber einer regulären Beschäftigung darstellen.370 Einen Vorteil kann ebenso der Umstand darstellen, dass das Verleihunternehmen die Suche nach passenden Einsatzunternehmen vornimmt. Die zeitlich deutlich umfangreichere Suche nach einem Arbeitgeber bzw. einem (dauerhaft) präferierten Arbeitsumfeld im Hinblick auf einen Stammarbeitsplatz wird folglich eingespart.371 Diese beiden möglichen Vorteile einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung hatte auch bereits das Bundesverfassungsgericht in seinem Grundsatzurteil von 1967 aufgegriffen, wenn es dort ausführte, die Arbeitnehmerüberlassung mobilisiere „die Arbeitskraft solcher Arbeitnehmer, die aus verschiedenen Gründen keine Dauerstellung [sic!], auch nicht für eine Teilzeitbeschäftigung, annehmen können oder wollen. Dies gilt namentlich für Arbeitskräfte, die einerseits auf eine besonders elastische Gestaltung der Arbeitszeit Wert legen, andererseits, wenn sie zur Verfügung stehen, sofort in einer ihren individuellen Fähigkeiten entsprechenden Weise eingesetzt werden möchten und durch die Beziehung zu dem ihnen bekannten, zuweisenden Unternehmer gesichert sein wollen.“372 Ein bestimmter Typus von Arbeitnehmern mag daher eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung präferieren. Schließlich besteht eine gegenüber der Selbstständigkeit durch die arbeitsvertragliche Bindung an das Verleihunternehmen erhöhte Absicherung bei gleichzeitiger Flexibilität, hohem Abwechslungsreichtum und einem geringeren Aufwand bei der Arbeitssuche.373 Für den größeren Teil der Leiharbeitnehmer werden aber die soeben erläuterten Vorteile, die für eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung streiten, nicht den ausschlaggebenden Beweggrund darstellen. Ein wesentlicher Faktor wird vielmehr in dem Umstand zu sehen sein, dass sich eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung aufgrund des relativ problemlosen und zeiteffizienten Einstiegs in eine solche (wenngleich meist kurzzeitige) Beschäftigung gut zur Überbrückung beschäftigungsloser Zeiten nutzen lässt.374 Auf diese vorherrschende 370 Vgl. hierzu: Sende/Galais/Knubben/Moser, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 161 (162 f.). 371 So auch: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 66. 372 Vgl. BVerfGE 21, 261 (269). 373 Insbesondere hoch qualifizierte Fachkräfte (etwa IT-Experten), die typischerweise seitens der Entleihunternehmen für längerfristige Projektarbeiten eingesetzt werden, präferieren in Einzelfällen aus den entsprechenden Gründen eine Leiharbeitstätigkeit. Vgl. etwa hierzu: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 86; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 41. 374 Näher hierzu: Sehm, Entscheidung für flexible Arbeitsverhältnisse aus der Arbeitnehmerperspektive am Beispiel der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Flexibilität im Unternehmen, 2012, S. 75 (97); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 24. So auch

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Motivationslage deuten auch vereinzelt spezifische Befragungen von Leiharbeitnehmern hin.375 Der schnelle Einstieg in die Branche verspricht demgemäß eine Alternative zu drohender oder bereits eingetretener Arbeitslosigkeit. Arbeitnehmerüberlassung kann folglich als „Lückenfüller“ in der Erwerbsbiografie dienen, indem beschäftigungslose Zeiten geschlossen werden.376 2. Risiken Den mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Chancen stehen allerdings auch diverse Risikofaktoren gegenüber, die im Folgenden ergründet werden. a) Hohe Fluktuation und instabile Beschäftigungsverhältnisse Beschäftigungen in der Arbeitnehmerüberlassung sind in der Tendenz gegenüber der durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung deutlich unbeständiger.377 Die gesamte Branche ist geprägt von einer hohen Fluktuation mit

(„Hauptsache Arbeit“) bei: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 164. Ähnlich: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 201, 263; Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/ Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (43). Ähnlich auch aus dem juristischen Schrifttum: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 63. 375 Vgl. Sehm, Entscheidung für flexible Arbeitsverhältnisse aus der Arbeitnehmerperspektive am Beispiel der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Flexibilität im Unternehmen, 2012, S. 75, 87. Diese Befragung von 216 Personen im Jahr 2012 ergab, dass 68,9 % der Befragten als Grund für eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung angaben, dass diese gegenüber einer Arbeitslosigkeit attraktiver sei, wohingegen lediglich 12 % den Abwechslungsreichtum der Beschäftigungsform als Motiv nannten. Zwar hatten von den Befragten nur 13 % Erfahrungen in der Arbeitnehmerüberlassung vorzuweisen, was in die Betrachtung der dort gewonnenen Ergebnisse einbezogen werden muss. Gleichwohl wird hierdurch eine Tendenz hinsichtlich der Motive, die Arbeitnehmer in die Arbeitnehmerüberlassung führen, deutlich. 376 Platzhoff beschreibt zudem die vom Verleihunternehmen re&wo angebotene Möglichkeit, betriebsbedingt gekündigte Arbeitnehmer in konjunkturell angespannten Zeiten beim Verleihunternehmen „unterzubringen“ um diese dann von diesem zu gegebener Zeit wieder zurück zu übernehmen (vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 65). So gehen gut eingearbeitete Arbeitnehmer bei betriebsbedingten Kündigungen nicht dauerhaft an die Konkurrenz verloren. Mangels anderweitiger Rechercheergebnisse handelt es sich aber wohl um ein Ausnahmephänomen. 377 Vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 162; Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (42).

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zahlreichen beendeten, aber auch sehr vielen neu begonnenen Beschäftigungsverhältnissen.378 Besonders anschaulich lässt sich diese erhöhte Dynamik der Beschäftigungsverhältnisse an den Zugängen in Arbeitslosigkeit, die aus einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung heraus erfolgen, verdeutlichen. So waren etwa in der gleitenden Jahressumme von April 2021 bis März 2022 insgesamt 2,1 Millionen Personen arbeitslos, die zuvor einer Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt nachgingen. 229.000 der genannten Zugänge in Arbeitslosigkeit waren dabei allein der Arbeitnehmerüberlassung zuzuordnen. Damit gingen folglich im entsprechenden Zeitraum fast 12 % der Zugänge in Arbeitslosigkeit auf eine Branche zurück, die nur gut 2 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stellt.379 Hieraus wird auch bereits eines der wesentlichen Risiken für Leiharbeitnehmer deutlich. Die Wahrscheinlichkeit aus der Arbeitnehmerüberlassung heraus arbeitslos zu werden, ist beinahe sechs Mal so hoch wie das branchenübergreifende Gesamtrisiko.380 Eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung ist somit in der Tendenz instabiler und unsicherer als ein Stammarbeitsverhältnis.381 Zudem ist die Dauer der Beschäftigungen in der Arbeitnehmerüberlassung auffallend kurz.382 Nur 20 % der im Jahr 2021 beendeten Leiharbeitsverhältnisse währten mindestens ein Jahr. 14 % der Arbeitsverhältnisse überdauerten demgegenüber mindestens sechs Monate aber weniger als ein Jahr. Am häufigsten endeten die Leiharbeitsverhältnisse demgegenüber mit 37 % in einem Zeitraum von mindestens einem bis zu sechs Monaten, während 29 % weniger als einen Monat überdauerten. Für das Jahr 2011 etwa lässt sich so eine durchschnittliche Beschäf-

378 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 16, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 379 Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 18 f., abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themenim-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Ent wicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 380 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 19, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 381 Dies führt i. E. zu erhöhter „beruflicher Diskontinuität“. Siehe Bolder/Naevecke/ Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 162. 382 Zum Folgenden: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 18, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statis tiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitar beit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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tigungsdauer von 8,7 Monaten in der Arbeitnehmerüberlassung verzeichnen – während der branchenübergreifende Durchschnitt bei 50 Monaten lag.383 Von der isolierten Betrachtung dieser hohen Fluktuation auf die erhöhte Gefahr einer Arbeitgeberkündigung und einer darauffolgenden Arbeitslosigkeit zu schließen, wäre aber zu kurz gegriffen. Die hohe Dynamik in den Beschäftigungsverhältnissen steht vielmehr in gewisser Weise auch spiegelbildlich zu den oben herausgearbeiteten positiven Aspekten der Arbeitnehmerüberlassung, die Arbeitnehmer für sich nutzen können. Arbeitnehmerüberlassung kann eine Brücke in reguläre Beschäftigung schlagen oder aufgrund des vereinfachten Einstiegs in Beschäftigung als Überbrückung einer Episode von Arbeitslosigkeit genutzt werden. Beide Fälle setzen – optimalerweise – eine Episode in der Arbeitnehmerüberlassung von nur kurzer Dauer voraus. Gleichzeitig muss gesehen werden, dass das Risiko, durch eine Arbeitgeberkündigung aus einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung unfreiwillig auszusteigen, deutlich erhöht ist. Jedes dritte Arbeitsverhältnis wird in der Branche mittels Arbeitgeberkündigung beendet, während dies in der Gesamtwirtschaft nur jedes siebte betrifft.384 Die Verleihunternehmen müssen ihren Personalbestand offenkundig möglichst flexibel an die Nachfrage der Entleihunternehmen anpassen.385 Schließlich kann es stets dazu kommen, dass potenzielle Entleihunternehmen keinen Bedarf an dem Flexibilisierungspotenzial der Arbeitnehmerüberlassung sehen und sich stattdessen für eine andere Alternative des betrieblichen Flexibilisierungsinventars entscheiden. Auf dieses der Verleihtätigkeit inhärente Risiko reagieren die Verleihunternehmen offenkundig auffällig häufig mit einer Arbeitgeberkündigung.386 Daneben dürfte aber auch der Umstand, dass sich in der Arbeitnehmerüberlassung vermehrt Beschäftigte mit problematischen Erwerbsbiografien (vgl. S. 88 ff.) sammeln, zu den häufigen und oftmals in der Probezeit erfolgenden Arbeitgeberkündigungen beitragen. b) Kompetenzentwicklung in der Arbeitnehmerüberlassung Einen weiteren Risikofaktor für die Leiharbeitnehmer kann die in der Branche oftmals fehlende oder mangelhafte Kompetenzentwicklung darstellen. Kompetenzentwicklung in diesem Sinne meint nicht nur den durch die wahrgenommenen 383 Vgl. Kunkel, Die Rolle der Leiharbeit auf dem deutschen Arbeitsmarkt, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 39 (42). 384 Vgl. etwa: Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 157. 385 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 13, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 386 Vgl. auch hierzu aus arbeitsrechtlicher Perspektive: Bayreuther, NZA 2016, 1304 (1304 f.).

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Tätigkeiten selbst – und somit gewissermaßen informell – erreichten Kenntnisgewinn, sondern auch formale Angebote in Gestalt von organisierten und zielgerichteten Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten.387 Jedenfalls bezüglich der ersteren Möglichkeit kompetenzieller Entwicklung bietet die Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung zunächst dadurch einen Vorteil, dass Leiharbeitnehmer typischerweise diverse Betriebe durchlaufen und somit naturgemäß eine kompetenzielle Fortentwicklung stattfindet. Arbeitnehmerüberlassung ist somit per Definition „training-on-the-job“.388 Ein deutlich abweichendes Bild zeigt sich jedoch hinsichtlich der Kompetenzund Profilentwicklung der Leiharbeitnehmerschaft in Bezug auf arbeitgeberseitig angebotene Weiterbildungs- und Qualifizierungsangebote. Hier erfahren Leiharbeitnehmer deutliche Benachteiligungen und sind weit weniger häufig und intensiv Rezipienten von formaler Kompetenzentwicklung wie es in Normalarbeitsverhältnissen der Fall wäre.389 Für die Verleihunternehmen stellen sich Investitionen in die Möglichkeiten der formalen Kompetenzentwicklungen schließlich oftmals als Verlustgeschäft dar,390 Je 387 Zu dieser gängigen Unterscheidung: Bouncken/Fischer/Lehmann, Zeitschrift für Personalforschung 2012, 115 (118). 388 Vgl. hierzu: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 35; Sende/Galais/Knubben/Moser, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 161 (162); Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189. Gleichwohl wird dieser Effekt ggf. dadurch gedämpft, dass Leiharbeitnehmer in den Entleihbetrieben häufig für Tätigkeiten eingesetzt werden, die durch eine starke Standardisierung und Kontrollierbarkeit gekennzeichnet sind, was die Möglichkeiten informeller Kompetenzentwicklung begrenzen kann (vgl. Kalleberg/Rognes, Journal of Organizational Behavior 2000, 315 [331]). Diesbezüglich muss auch gesehen werden, dass sich die oftmals kurzen Einsatzzeiten in verschiedenen Betrieben auch dergestalt auswirken können, dass spezifische Tätigkeitsqualifikationen gerade nicht erworben werden können. Hierauf ebenfalls hinweisend: Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 34. 389 Vgl. hierzu: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 31 ff.; Sende/ Galais/Knubben/Moser, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 161 (163); Kraemer/Speidel, Prekäre Leiharbeit: Zur Integrationsproblematik einer atypischen Beschäftigungsform, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 119 (133 f.); Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (180); Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (194). Bei einer Erwerbstätigenbefragung des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin aus dem Jahr 2012 gaben lediglich 27,1 % der Leiharbeitnehmer und 58,9 % der Beschäftigten an, in den letzten zwei Jahren formale Weiterbildungsmaßnahmen erhalten zu haben (vgl. Bellmann/ Grunau/Leber/Noack, Weiterbildung atypischer Beschäftigter, 2013, S. 22). Siehe auch zuletzt aus dem juristischen Schrifttum: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 62. 390 Vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 166.

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besser ein Leiharbeitnehmer für die Einsätze in Entleihunternehmen qualifiziert wird, desto größer wird mitunter die Wahrscheinlichkeit einer Abwerbung.391 Die hohen Kosten von Weiterbildungsangeboten amortisieren sich dann im Ergebnis nicht beim Verleih-, sondern beim Entleihunternehmen.392 Auch die erläuterte Kurzlebigkeit von Beschäftigungen in der Arbeitnehmerüberlassung mag Unternehmen davon abschrecken, langfristig in die Qualifikation der Leiharbeitnehmer zu investieren.393 Gleichzeitig finden sich aber auch Hinweise darauf, dass sich Investitionen in die formale Kompetenzentwicklung der Leiharbeitnehmerschaft für die Verleihunternehmen dergestalt positiv auswirken, dass eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit am Markt und eine engere Bindung der Leiharbeitnehmer an das Verleihunternehmen generiert wird.394 Die empirisch festzustellende deutlich geringere formale Weiterbildung von Leiharbeitnehmern zeigt indes, dass dies nicht der gelebten Realität in den Verleihbetrieben entspricht. Auch die Entleihunternehmen investieren hingegen nicht flächendeckend in die formale Weiterbildung und Qualifizierung der Leiharbeitnehmer. Vorrangig wird in das betriebseigene Humankapital – die Stammarbeitnehmerschaft – investiert, bei dem sich diese Investitionen eher amortisieren als bei nur vorübergehend im Betrieb verbleibenden Leiharbeitnehmern. Stellt ein Entleihunternehmen fest, dass sich die Qualifikationen eines Leiharbeitnehmers als unzureichend erweisen, wird es diesen eher auswechseln als in dessen Weiterbildung zu investieren.395 Anders verhält es sich lediglich, wenn Arbeitnehmerüberlassung nicht zur Flexibilitätssteigerung, sondern zur Personalrekrutierung eingesetzt wird,396 was aber nach den obigen Er391

Vgl. Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (195). Außerdem ist es den Verleihunternehmen aufgrund der konkreten Marktsituation oftmals nicht möglich, höhere Weiterbildungskosten in die Überlassungsentgelte einzupreisen (vgl. Bolder/Naevecke/ Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 33). 392 Zu diesen externen Effekten: Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (194). 393 Wenngleich kurzfristige Weiterbildungen, die zielgerichtet auf einen bestimmten Überlassungseinsatz angelegt sind, in der Praxis ggf. vorkommen. Vgl. hierzu: Galais/Moser/ Sende, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (73). 394 Vgl. Bouncken/Fischer/Lehmann, Zeitschrift für Personalforschung 2012, 115 (137). Insbesondere die sogenannte „modulare Teilqualifikation“, die klassische Qualifikationsprogramme auf mehrere Teilmodule aufspaltet und somit einerseits Kostenrisiken für die Verleihbetriebe minimiert und sich andererseits gut auf die typischerweise stark fluktuierende Belegschaft anwenden lässt, kann hierbei ein gangbarer Weg sein. Vgl. hierzu: Bies-Herkommer/Küpper/Würth, Modulare Teilqualifizierung in der Zeitarbeitsbranche, in: Schwaab/ Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 211 (215 ff.). 395 Vgl. Galais/Moser/Sende, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (73). Siehe auch die treffende Beschreibung aus dem juristischen Schrifttum: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 38. 396 Vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 164.

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kenntnissen (vgl. S. 73 f.) als leitendes Motiv der Entleihunternehmen kaum eine Rolle spielt. Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sind die oben genannten externen Effekte hingegen positiv zu bewerten, da es für diese Sichtweise nicht darauf ankommt, in welchem Unternehmen sich getätigte Weiterbildungsinvestitionen amortisieren – solange nur überhaupt von ihnen profitiert wird. Da das Auseinanderfallen von Investition und Profit im Fall von Abwerbungen gut qualifizierter Leiharbeitnehmer aber die Verleihunternehmen abschreckt, diese Investitionen gesamtwirtschaftlich aber zugleich wünschenswert sind, wird eine staatliche Förderung der Weiterbildungsmöglichkeiten von Leiharbeitnehmern teilweise für erforderlich gehalten.397 Es sind aber nicht nur die gesamtwirtschaftlich vorteilhaften Effekte, die mit einer gesteigerten formalen Kompetenzentwicklung der Leiharbeitnehmer einhergehen und daher eine staatliche Förderung ggf. notwendig erscheinen lassen. Vielmehr finden sich auch Hinweise darauf, dass zum einen die individuelle Arbeitsproduktivität von Leiharbeitnehmern, die an formaler Weiterbildung teilnehmen, deutlich steigt398 und dass zum anderen auch die zukünftige Beschäftigungsfähigkeit dieser Leiharbeitnehmer maßgeblich und dauerhaft zunimmt.399 Insbesondere der letztgenannte Punkt verdient besondere Aufmerksamkeit. Schließlich sind es doch gerade die oben erläuterten integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung, die von ihren Befürwortern so oft hervorgehoben werden. Wenn sich die mit einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung ggf. einhergehende integrative Wirkung mittels formaler Weiterbildungsmöglichkeiten also signifikant steigern lässt, so spricht viel für den hohen arbeitsmarktpolitischen Wert einer kompetenziellen Weiterentwicklung der Leiharbeitnehmerschaft.400 Es deutet 397

Vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 166; Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (194). Siehe hierzu auch unten: S. 581 ff. 398 Deutliche Produktivitätssteigerungen bei Arbeitnehmern, die an Weiterbildungsangeboten teilnehmen, beobachtend: De Grip/Sauermann, The Effects of Training on own and coworker Productivity, S. 21 f. 399 Vgl. Ehlert/Kluve/Schaffner, Temporary Work as an Active Labor Market Policy, 2012, S. 2. So i. E. auch: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 162. 400 Gesteigerte Weiterbildungsoptionen könnten die negativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung auf die Leiharbeitnehmer gar zum Teil kompensieren (vgl. Bolder/Naevecke/ Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 162). Zu eben diesem Ergebnis kommt auch die Untersuchung eines deutschen Pilotprojektes für junge Langzeitarbeitslose, das individuelles Coaching, verschulte kompetenzielle Weiterbildungsmaßnahmen und Beschäftigungen in der Arbeitnehmerüberlassung kombiniert (vgl. Ehlert/Kluve/Schaffner, Temporary Work as an Active Labor Market Policy, 2012, S. 6). Hierbei wurden in drei deutschen Städten gering gebildete Langzeitarbeitslose im Durchschnittsalter von 23 Jahren für eine Dauer von einem Jahr dem entsprechenden Programm unterzogen. Im Anschluss wurden die Beschäftigungsverhältnisse jeweils 6 und 18 Monate nach dem Ende des Programmes mit Hilfe entsprechender Kontrollgruppen untersucht. So zeigte sich z. B., dass die Beschäftigungswahrscheinlichkeit der ehemaligen Teilnehmer 6 Monate nach dem Programm 40 % höher lag als in der Kontrollgruppe, die das Programm nicht durchlaufen hatte. Nach 18 Monaten lag diese

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daher einiges darauf hin, dass sich die oben beschriebenen „Klebe-“, „Brücken-“ „Übernahme-“ oder „access-to-work“-Effekte mittels einer Kombination mit Weiterbildungsmöglichkeiten durchaus signifikant steigern lassen.401 Die Lebenswirklichkeit zeichnet jedoch – wie gesehen – ein anderes Bild. Auffallend ist, dass sich die Weiterbildungsproblematik auch im internationalen Vergleich widerspiegelt. So kam etwa eine Studie mit 16305 Nichtleiharbeitnehmern und 345 Leiharbeitnehmern aus 15 EU-Mitgliedstaaten zu dem Ergebnis,402 dass gerade dort, wo der Gleichbehandlungsgrundsatz die Lohndifferenzen zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbeschäftigten nivelliert, die Benachteiligung der Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Weiterbildungsmöglichkeiten zunimmt. Möglicherweise wird die mit der Gleichbehandlung einhergehende Verteuerung der Arbeitnehmerüberlassung daher jedenfalls teilweise wieder dadurch ausgeglichen, dass die vorangegangene Lohndiskriminierung durch eine Weiterbildungsdiskriminierung ersetzt wird.403 c) Fehlender Zusammenhalt in der Belegschaft und geringere Bindung zum Betrieb Ein weiterer Nachteil einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung kann darin begründet sein, dass es Leiharbeitnehmern häufig nicht gelingt, im Kollegenkreis des Entleihunternehmens – ggf. aber auch nicht im Verleihunternehmen – eine ähnlich starke Integration zu erreichen, wie es bei Stammarbeitnehmern in einem Normalarbeitsverhältnis der Fall wäre.404 Dass sich im Entleihunternehmen keine intensive Kollegialität zwischen Stammund Leiharbeitnehmern durchsetzt, liegt zunächst schon aufgrund der zumeist kurzen Dauer der Überlassungsepisoden und dem lediglich temporären Verbleib der Leiharbeitnehmer im Betrieb auf der Hand. Ein intensiverer Zusammenhalt im Kollegenkreis oder eine Identifikation der Leiharbeitnehmer mit dem Einsatzbetrieb ist daher nicht zu erwarten.405 Hinzu kommen die potenziellen Abwehrreaktionen Wahrscheinlichkeit nochmals um 26 % höher. Während der größere Teil der Teilnehmer hierbei in der Arbeitnehmerüberlassungsbranche verblieb, war aber immerhin ein Drittel außerhalb der Branche tätig (ebd., S. 7). 401 So auch: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 161 ff. 402 Vgl. Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (180 f.). 403 So die Konklusion bei: Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (180). 404 Siehe näher hierzu: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 61. Dies ebenfalls annehmend: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 233; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 66. 405 Dies auch annehmend: Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194 (200).

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gegenüber den Leiharbeitnehmern und Entsolidarisierungen der Stammarbeitnehmer von diesem Belegschaftsteil (vgl. S. 74 f.). Im Ergebnis können diese Prozesse für die Leiharbeitnehmer zu Diskriminierungen innerhalb der Belegschaft des Entleihbetriebes führen, die über einen nur fehlenden oder mangelhaften Zusammenhalt im Kollegenkreis qualitativ hinaus gehen.406 Hinzu kommt, dass sich die der Arbeitnehmerüberlassung inhärente Aufspaltung von Arbeitgeber und dem weisungsbefugten Entleiher negativ auswirken kann. Der Leiharbeitnehmer ist schließlich regelmäßig mit den bestehenden Strukturen im Entleihbetrieb unbekannt und dem Entleihunternehmen als Arbeitsanweiser ausgesetzt, ohne dass eine realistische Aussicht darauf besteht, dass der Arbeitgeber helfend eingreift.407 Die Folge dieser mangelnden Zugehörigkeit zum Entleihbetrieb wird daher oftmals Segregation, Diskriminierung und eine insgesamt geringere subjektiv erlebte Wertschätzung der Leiharbeitnehmer sein.408 Diese Separierung kann zur Folge haben, dass seitens der Leiharbeitnehmer die gefühlte Bindung zum Entleihbetrieb und das damit einhergehende Engagement vergleichsweise gering ist.409 So überrascht es nicht, dass dieser in der arbeitspsychologischen Literatur als „Commitment“ beschriebene Wert in Bezug auf die Leiharbeitnehmerschaft geringer ausfällt, als es bei Stammarbeitnehmern der Fall wäre.410 Interessant ist aber, dass die Bindung zum Entleihunternehmen über die Dauer eines Einsatzes nicht linear erfolgt. Vielmehr steigt das „Commitment“ in den ersten Monaten zunächst an und fällt danach drastisch ab, wonach es ggf. wieder ansteigt.411 Diese Beobachtung lässt sich wohl darauf zurückführen, dass Leihar406 So etwa aus arbeitspsychologischer Sicht: Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/ Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (152). 407 Vgl. Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (149). 408 Im angelsächsischen Rechtskreis hat diese Realität in den Entleihbetrieben bereits im Sprachgebrauch ihren Niederschlag gefunden, wenn dort von „blue-collar worker“ und „lightblue-collar worker“ gesprochen wird und man damit unterscheidet, ob diese bei dem entsprechenden Konzern oder lediglich für diesen arbeiten. Hierauf hinweisend: Böhm, NZA 2004, 823 (825). 409 Die Kurzlebigkeit der Einbindung in den Entleihbetrieb, kombiniert mit geringerer Qualifikation und damit einer gewissen Austauschbarkeit kann ein gesteigertes Commitment nicht entstehen lassen. Vgl. hierzu: Bornewasser, Commitment bei Zeitarbeitnehmern: Eine kritische Größe beider externen Flexibilisierung, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 129 (146). 410 So etwa: Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 (25); Galais/Moser, Human Relations 2009, 589 (597). Demgegenüber ein „moderates“ Commitment statuierend, dieses aber nicht in Relation zu demjenigen von Stammarbeitnehmern setzen: Daciulyte/Aranauskaite, Human Resources Management & Ergonomics 2012, S. 31 (42). 411 Mit fortlaufender Überlassung gleichen sich die Arbeitserlebnisse der Leiharbeitnehmer sodann an die der Stammarbeitnehmer an. Vgl. hierzu Bornewasser, Commitment bei Zeit-

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beitnehmer zunächst ein höheres Engagement an den Tag legen, um ihre Kompetenz zu signalisieren und ggf. Übernahmeeffekte zu provozieren. Wird diese Hoffnung enttäuscht, bricht das „Commitment“ ein.412 Aus Sicht der Entleihbetriebe ist ein geringes „Commitment“ der Leiharbeitnehmer keine begrüßenswerte Beobachtung. Schließlich ist hierin ein leistungssteigernder und damit kostenträchtiger Faktor zu sehen, ohne den dauerhaft nicht auszukommen ist.413 Für die Seite der Leiharbeitnehmer gilt aber ggf. ein gegenteiliges Ergebnis. Eine verstärkte Integration im und eine intensive affektive Bindung zum Entleihunternehmen sind sogar kontraproduktiv, wenn der Einsatz ohnehin nur temporär ist und Übernahmehoffnungen im Regelfall enttäuscht werden.414 Wenn es also seitens der Leiharbeitnehmer zu verhindern gilt, zum „falschen“ Betrieb eine Bindung aufzubauen, muss die Frage gestellt werden, wie es sich mit der Intensität dieser Bindung gegenüber dem Verleihunternehmen verhält. Auch hier ist jedoch das „Commitment“ eher schwach ausgeprägt und unterscheidet sich kaum von der zum Entleihunternehmen bestehenden Bindung.415 Dies ist darauf zurückzuführen, dass eine maßgebliche Bindung grundsätzlich zu traditionellen Arbeitgebern aufgebaut wird, bei denen der Arbeitnehmer in die Belegschaft gut integriert ist.416 Der meist lediglich Arbeitskraft vermittelnde und damit transaktionale Charakter der Verleihtätigkeit verhindert eine solche Bindung,417 ebenso wie die starke Fluktuation innerhalb der Belegschaft einer intensiven Integration im Kollegenkreis abträglich ist.418 arbeitnehmern: Eine kritische Größe beider externen Flexibilisierung, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 129 (148). Ähnlich auch: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 53. 412 Vgl. Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (150). Ggf. findet auch eine gewisse Integration in den Kollegenkreis statt. Vgl. hierzu: Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (72). 413 Vgl. Bornewasser, Commitment bei Zeitarbeitnehmern: Eine kritische Größe beider externen Flexibilisierung, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 129 (148 ff.). 414 Vgl. Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (78). 415 Vgl. Bornewasser, Commitment bei Zeitarbeitnehmern: Eine kritische Größe beider externen Flexibilisierung, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 129 (147). 416 So grundlegend: Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (150). 417 Vgl. auch: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 51; Galais/Moser, Human Relations 2009, 589 (613). 418 Es drängt sich der Schluss auf, dass der im Rahmen des Normalarbeitsverhältnisses zu fördernde Wert des „Commitments“ im atypischen Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerüberlassung keinen Platz findet. In diese Richtung wohl: Bornewasser, Commitment bei Zeitar-

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d) Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Stresserleben Unmittelbar mit der soeben erläuterten Bindung gegenüber dem Einsatzunternehmen verknüpft ist wiederum der Faktor der Arbeitszufriedenheit oder derjenige des allgemeinen Wohlbefindens der Leiharbeitnehmer. Grundsätzlich gilt, dass mit einem erhöhten „Commitment“ auch eine gesteigerte Arbeitszufriedenheit und ein erhöhtes Wohlbefinden einher geht.419 Da die im Zuge etwaig entwickelter stärkerer Bindungen seitens der Leiharbeitnehmer zum Entleihunternehmen aufgebauten Beziehungen aber aufgrund ihrer Kurzlebigkeit ohnehin im Regelfall ein zeitiges Ende finden – auch weil Übernahmehoffnungen meist enttäuscht werden – scheint sich dieses Verhältnis von „Commitment“ zum Einsatzbetrieb und der Zufriedenheit im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung aber umzukehren.420 Auch den Faktor der Arbeitszufriedenheit bzw. des allgemeinen Wohlbefindens der Leiharbeitnehmer betreffend, ist es also nicht ratsam, wenn Leiharbeitnehmer zum „falschen“ Betrieb – also dem Entleihbetrieb – eine gesteigerte Bindung aufbauen.421 Ein ähnlich negatives Bild zeigen auch Untersuchungen, die das Arbeitserleben der Leiharbeitnehmer und die mit der wahrgenommenen Arbeit zusammenhängenden Belastungen in den Blick nehmen. Jedenfalls potenziell weist eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung so etwa diverse Faktoren auf, die grundsätzlich zu erhöhtem Stress führen können und der erlebten Zufriedenheit und dem Wohlbefinden der Leiharbeitnehmer abträglich sein können.422 Schon allein die naturgemäß für Leiharbeitnehmer notwendige häufige neue Einarbeitung in unbekannte Betriebe sowie die bereits oben erläuterte erhöhte Kündigungsgefahr können massive Stressoren darstellen.423 Je größer in diesem Zusammenhang die Erwartungen an die örtliche und arbeitsplatzbezogene Flexibilität der Leiharbeitnehmer

beitnehmern: Eine kritische Größe beider externen Flexibilisierung, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 129 (147). 419 Vgl. Galais/Moser, Human Relations 2009, 589 (590). 420 Vgl. Galais/Moser, Human Relations 2009, 589 ff. Jedenfalls wenn es zu Neuzuweisungen an andere Einsatzbetriebe kommt, weisen diejenigen Leiharbeitnehmer, die in der Zwischenzeit ein hohes „Commitment“ zum bisherigen Einsatzbetrieb aufgebaut hatten, ein signifikant schlechteres Wohlbefinden auf. So das Ergebnis bei: Galais/Moser, Human Relations 2009, 589 (606). 421 Anders verhält es sich mit Leiharbeitnehmern, die freiwillig in der Branche tätig sind und so nicht auf Übernahmephänomene hoffen. Diese weisen eine insgesamt höhere Arbeitszufriedenheit auf (vgl. Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 58). 422 Grundlegend zum Zusammenhang von Stresserleben und Gesundheit bei Leiharbeitnehmern: Lemanski, Stress und Gesundheit in der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 75 ff. Zu solch erhöhten Stressfaktoren auch: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 226. 423 Leiharbeitnehmer haben demzufolge potenziell einen „high strain job“. Hierzu: Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (191). Ähnlich: Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (77).

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sind, desto mehr können die gestiegenen Belastungen der Erwerbsarbeit sogar Bindungen auf Ebene des Familien- und Freundeskreises negativ beeinflussen.424 Aber auch die Tatsache, dass Leiharbeitnehmer einen eigenen peripheren Belegschaftsteil bilden, in den im Vergleich zur Stammbelegschaft weniger in Form von Weiterbildungsangeboten investiert wird, kann ein Stressfaktor sein.425 Ebenso kann die mangelnde Integration im Kollegenkreis für Stress und weniger Zufriedenheit und Wohlbefinden sorgen.426 Wenngleich für Leiharbeitnehmer also diverse Stressfaktoren eine potenzielle Bedrohung darstellen können, spiegelt sich diese Erkenntnis dennoch nicht eindeutig in der empirischen Datenlage zum Stresserleben, Wohlbefinden und der Arbeitszufriedenheit der Leiharbeitnehmer wider. Teilweise wird etwa statuiert, dass Leiharbeitnehmer insgesamt eine höhere Rate an psychischen Erkrankungen aufweisen und Arbeitsunfälle häufiger vorkommen als dies bei Stammarbeitnehmern der Fall wäre427 und die Leiharbeitnehmer in Bezug auf die hier in Rede stehenden Faktoren benachteiligt seien.428 Andererseits wird aber auch konstatiert, dass das subjektive Stresserleben der Leiharbeitnehmer mit demjenigen von Stammarbeitnehmern vergleichbar sei,429 wenngleich die erlebte Arbeitsunsicherheit, die Zu424 Siehe hierzu: Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 26. Vgl. ferner: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 233. Teilweise wird von „blockierter Lebensplanung“ gesprochen (vgl. Kraemer/Speidel, Prekäre Leiharbeit: Zur Integrationsproblematik einer atypischen Beschäftigungsform, in: Vogel [Hrsg.], Leiharbeit, 2004, S. 119 [132]). Weiterführend zu den charakteristischen potenziellen psychomentalen Belastungen in der Zeitarbeit: Wieland/Krajewski, Psychische Belastung und Qualifizierung in neuen Arbeitsformen I: Zeitarbeit, 2002, S. 21. 425 Vgl. Benkhai/Lemanski, Gesundheit und Stress in der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 205 (222); Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (190). 426 Dieser Umstand lässt sich auch als „Rollenstress“ umschreiben. Hierzu: Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (190). 427 So die breite Metaanalyse von: Virtanen/Kivimäki/Joensuu/Elovainio/Vahtera, International Journal of Epidemiology 2005, 610 (617). Zugleich wird aber von Kausalitätszuweisungen abgesehen. Vielmehr wird vorgeschlagen den Zusammenhängen weiter nachzugehen, indem bspw. die Rate von typischerweise stressinduzierten Erkrankungen wie kardiovaskulären Erkrankungen unter Leiharbeitnehmern untersucht wird (vgl. Virtanen/Kivimäki/Joensuu/Elovainio/Vahtera, International Journal of Epidemiology 2005, 610 [620]). 428 Vgl. Lemanski, Stress und Gesundheit in der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 75 (81); Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (164 f.); Schubert/ Langhoff/Krietsch, Ursache-Wirkungs-Kette des Syndroms psychischer Belastungen bei der Leiharbeit, in: Smettan, (Hrsg.), Chancen und Herausforderungen der Wirtschaftspsychologie: Kongressband zum 8. Kongress für Wirtschaftspsychologie, 2010, S. 261 (262). 429 Vgl. Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (192).

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friedenheit mit der jeweiligen Arbeit sowie der Rückhalt der Kollegen in der Arbeitnehmerüberlassung geringer ausfielen.430 Das insofern inkonsistente Bild lässt sich letztlich nur darauf zurückführen, dass die von Arbeitnehmern erlebte Arbeitszufriedenheit, ihr Wohlbefinden und ihr subjektives Stresserleben nicht singulär auf den Faktor zurückzuführen ist, ob sie in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind oder Stammarbeitnehmer sind.431 Eine wichtige Schlüsselrolle bei der erlebten Zufriedenheit der Leiharbeitnehmer spielt vielmehr deren Motivation.432 Wer aufgrund einer persönlichen Präferenz einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung nachgeht, wird auch eine höhere Arbeitszufriedenheit erzielen, als ein Leiharbeitnehmer, der dort nicht arbeiten möchte.433 Einen weiteren wesentlicheren Faktor stellt die mit der jeweiligen Tätigkeit einhergehende subjektiv empfundene Unsicherheit in Bezug auf den zukünftigen Beschäftigungs- und Erwerbsstatus am Arbeitsplatz dar.434 Allerdings ist eine Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung prinzipiell – wie gesehen – mit erhöhter Unsicherheit verbunden und damit auch mit einer geringeren Arbeitszufriedenheit.435 430 Zur vollständigen Aufschlüsselung der entsprechenden Umfrage: Lemanski, Mitarbeiterbefragung zum Vergleich von Zeit- und Stammarbeitnehmern, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 61 ff. Auch andere Untersuchungen kommen zum Teil zu dem Ergebnis, dass eine Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung nicht zwangsweise mit negativen Auswirkungen auf Stresserleben, Wohlbefinden und Arbeitszufriedenheit einhergehen muss. Siehe De Witte/Näswall, Economic and Industrial Democracy 2003, 149 (174); sowie Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 269, 273 ff. 431 So i. E. auch: Lemanski, Stress und Gesundheit in der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Zeitarbeit und Flexibilisierung, 2012, S. 75 (100). 432 Hierauf ebenfalls hinweisend: Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 (27); Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (164). 433 Vgl. hierzu: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 53; Ellingson/Gruys/ Sackett, Journal of Applied Psychology 1998, 913 (919 f.); Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (195). 434 Vgl. De Witte/Näswall, Economic and Industrial Democracy 2003, 149 (175 f.). 435 Vgl. De Witte/Näswall, Economic and Industrial Democracy 2003, 149 (176). Zugleich wird aber festgestellt, dass Leiharbeitnehmer ihre Arbeit nicht als übermäßig unsicher wahrnehmen, da sie sich einen Einstieg in permanente Beschäftigungen versprechen oder ihnen dieser versprochen wurde. Vgl. hierzu: De Witte/Näswall, Economic and Industrial Democracy 2003, 149 (177). Die Realität ist jedoch eine andere, sodass die subjektiv empfundene Arbeitsunsicherheit die objektive Arbeitsunsicherheit in der Branche möglicherweise nicht widerspiegelt. Auf diesen Aspekt ebenfalls hinweisend: De Witte/Näswall, Economic and Industrial Democracy 2003, 149 (178). Siehe hierzu auch insbesondere die Untersuchung von Bornewasser, der bei Leiharbeitnehmern eine erheblich höhere objektive Arbeitsunsicherheit feststellt als bei Stammarbeitnehmer (vgl. Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser [Hrsg.], Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 [20]).

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Zusammenfassend muss daher festgehalten werden, dass die Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis potenzielle gesundheitlich-mentale Risiken birgt,436 da die mit einer Leiharbeitstätigkeit tendenziell steigenden Anforderungen an die Flexibilität bezüglich Arbeitsort und Arbeitszeit sowie eine grundsätzlich gesteigerte objektive Arbeitsunsicherheit ihren Tribut fordern.437 e) Finanzielle Lage Auffallend ist zudem, dass Leiharbeitnehmer – trotz „Equal Pay“ – grundsätzlich erheblich geringer entlohnt werden als Stammarbeitnehmer.438 Sozialversicherungspflichtig Vollzeitbeschäftigte erhielten so etwa am beispielhaften Stichtag des 31. Dezember 2021 im Median ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 3.516 E, während der Medianverdienst der Leiharbeitnehmer bei 2.083 E lag.439 Diese massive Differenz im Entgelt lässt sich zunächst zum Teil damit erklären, dass Leiharbeitnehmer verstärkt im Niedriglohnsektor arbeiten.440 Aber auch in diesem Niedriglohnsektor setzt sich die Diskrepanz in den Entgelten fort. Leiharbeitnehmer, die eine Helfertätigkeit ausüben, verdienen mit 1.799 E erheblicher weniger als Helfer im Durchschnitt aller Branchen, wo der Verdienst 2.426 E beträgt.441 Die deutliche finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer zeigt sich besonders 436

Hierzu abschließend: Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 (18 f.); Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 61 ff.; Wieland/Krajewski, Psychische Belastung und Qualifizierung in neuen Arbeitsformen I: Zeitarbeit, 2002, S. 22 ff. 437 Teilweise wird gar behauptet, dass die Arbeitnehmerüberlassung implizit den Idealtypus „eines autonomen, sich selbst genügenden, grenzenlos mobilen Arbeitnehmers, der zeitintensive Bindungen (Familie, Freund- und Nachbarschaften) zugunsten einer erwerbsgerichteten Durchgestaltung des Lebensalltages hinter sich lässt“, voraussetze (vgl. Wieland/ Krajewski, Psychische Belastung und Qualifizierung in neuen Arbeitsformen I: Zeitarbeit, 2002, S. 22). 438 Vgl. nun auch die parallele Analyse bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 111 ff. 439 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 24, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 440 Bei vollzeitbeschäftigten Stammarbeitnehmern sind es 40 %, bei vollzeitbeschäftigten Leiharbeitnehmern 80 %. Vgl. hierzu: Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (175). 441 Ähnliche Differenzen zeigen sich in allen Anforderungsniveaus. Eine detaillierte Gegenüberstellung der Bruttomonatsentgelte in den jeweiligen Anforderungsniveaus findet sich bei: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 24, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themenim-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Ent wicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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eindrucksvoll an dem – im Vergleich zur Gesamtheit der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten – hohen Anteil an Arbeitnehmern innerhalb der Leiharbeitnehmerschaft, die ihr Einkommen mit Arbeitslosengeld II aufstocken müssen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können.442 Ähnliches gilt in Bezug auf eine feststellbare gesteigerte Armutsgefährdung.443 Eine einfache Gegenüberstellung des durchschnittlichen Entgeltniveaus lässt indes wenig Aufschluss darüber zu, ob eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer per se mit einer schlechteren Entlohnung und damit einer potenziell prekären Beschäftigung einhergeht. Genauso könnte dies daran liegen, dass sich in der Arbeitnehmerüberlassung gerade Arbeitnehmer sammeln, die typischerweise problematische Erwerbsbiografien aufweisen (vgl. S. 88 ff.). Mit anderen Worten: Unklar ist, ob eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer Prekariat zur Folge hat oder ob Arbeitnehmer in einer prekären Lebenslage eine Tendenz zur Arbeitnehmerüberlassung haben. Eine Untersuchung der Bundesagentur für Arbeit geht den Gründen für die beschriebene Entgeltdifferenz („Pay Gap“) daher differenzierter auf den Grund.444 Untersucht wird hierbei der Zusammenhang zwischen der unterschiedlichen Zusammensetzung der Leiharbeitnehmer und der übrigen Beschäftigten und der entsprechenden Entgeltdifferenz. Im Ergebnis können erhebliche Unterschiede in der soziodemografischen Struktur – insbesondere hinsichtlich Alter, Staatsangehörigkeit, beruflicher Tätigkeit und Beschäftigungsdauer beim jeweiligen Arbeitgeber – insgesamt 55 % der Entgeltdifferenz erklären (sogenannter bereinigter „Pay Gap“).445 Die spezifische Struktur der Leiharbeitnehmerschaft und nicht die Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung selbst ist also für einen nicht unerheblichen Anteil der insgesamt finanziell nachteiligen Lage der Leiharbeitnehmer verantwortlich. Freilich kann fast die Hälfte der Diskrepanz in den Entgelten mit diesen soziodemografischen Merkmalen nicht erklärt werden. Über etwaige andere Ursachen – wie grundsätzlich instabilere Erwerbsbiografien von Leiharbeitnehmern und ggf. in dieser Gruppe fehlende Kompetenzen – lässt sich ausweislich der Untersuchungen der Bundesagentur für Arbeit hingegen nur mutmaßen.446 442

So ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, dass dies bei 12,6 % der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Leiharbeitnehmern und bei nur 2,8 % der Beschäftigten im Branchenquerschnitt der Fall ist (vgl. BT-Drs. 16/9657 v. 19. 6. 2008, S. 3). 443 Seigis errechnet, dass Leiharbeitnehmer gegenüber Normalarbeitnehmern 2,7–mal so häufig armutsgefährdet sind (vgl. Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 73). 444 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Bereinigter Pay Gap von Leiharbeitnehmern, Januar 2019, abrufbar unter: https://doku.iab.de/externe/2019/k190313r01.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 445 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Bereinigter Pay Gap von Leiharbeitnehmern, Januar 2019, S. 4, abrufbar unter: https://doku.iab.de/externe/2019/k190313r01.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 446 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Bereinigter Pay Gap von Leiharbeitnehmern, Januar 2019, S. 40, abrufbar unter: https://doku.iab.de/externe/2019/k190313r01.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Naheliegend ist allerdings, dass die tendenziell problematischen Erwerbsbiografien vieler Leiharbeitnehmer, die zuweilen von Beschäftigungslosigkeit und geringer Qualifikation geprägt sind, das geringe Lohnniveau in der Branche zum Teil erklären können. Eine Schlüsselrolle in Bezug auf die finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer dürfte daneben jedoch auch in dem Umstand zu sehen sein, dass die Interessenvertretung der Leiharbeitnehmerschaft in den Gewerkschaften, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich des Entgelts abweichende Tarifverträge aushandeln, unzureichend ist (hierzu etwa S. 450 f.). Dies spricht wiederum dafür, dass für die finanzielle Lage der Leiharbeitnehmer nicht deren individuelle Erwerbsbiografien, sondern die Leiharbeitstätigkeit per se verantwortlich zu zeichnen ist. Eindeutige Antworten finden sich in der Literatur hierzu aber nicht. Fest steht allerdings, dass in der Arbeitnehmerüberlassung strukturell geringere Entgelte zu erwarten sind, als es branchenübergreifend der Fall wäre. Die Langzeitfolgen einer solchen dauerhaft geringen Entlohnung – wie bspw. eine zu befürchtende Altersarmut447 – sind indes nicht zu unterschätzen.

IV. Arbeitnehmerüberlassung aus Sicht der Stammarbeitnehmer Von Interesse ist indes nicht nur die Sicht der unmittelbar an der vertraglichen Dreieckskonstellation der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Akteure, sondern auch der Blickwinkel der Stammarbeitnehmer der Entleihbetriebe. 1. Chancen Zunächst gilt es, die in Bezug auf die Stammarbeitnehmer möglicherweise zu erwartenden positiven Neben- und Synergieeffekte eines Leiharbeitnehmereinsatzes im Betrieb zu untersuchen. a) Beschäftigungsschutz durch Leiharbeitnehmereinsatz Ein solcher maßgeblich positiver Effekt zugunsten der Stammarbeitnehmer eines Entleihbetriebes ist zunächst darin begründet, dass der Arbeitgeber bei etwa einbrechender Nachfrage vorrangig einen vorhandenen Leiharbeitnehmeranteil abbaut, bevor Stammarbeitnehmer betriebsbedingt gekündigt werden.448 Schließlich ist

447 Zur Korrelation zwischen prekären Beschäftigungen (wie der Arbeitnehmerüberlassung) und späterer Altersarmut: Keller/Seifert, MittAB 2002, 90, 103. Zu den Langzeitfolgen von Altersarmut in Bezug auf das Sozialversicherungssystem im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung: Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011, S. 29 ff. 448 Vgl. Bornewasser, Auswirkungen der Zeitarbeit auf Beschäftigte: Eine sozialwissenschaftliche Betrachtung, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 137 (152); Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von

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erstere Möglichkeit rechtlich ungleich unkomplizierter als der alternative Weg einer Kündigung von Stammarbeitnehmern.449 Dieser Umstand hat für Stammarbeitnehmerbelegschaften in von wirtschaftlichen Problemsituationen betroffenen Betrieben die vorteilhafte Folge, dass ein dortiger Leiharbeitnehmereinsatz faktisch zu einem begrenzten Beschäftigungsschutz führt.450 Für die Leiharbeitnehmerschaft ist die mit dieser Logik wiederum in Bezug auf das Arbeitsverhältnis zum Verleihunternehmen assoziierte Gefahr, in solchen Szenarien arbeitgeberseitig betriebsbedingt gekündigt zu werden,451 ein wesentlicher Nachteil der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung (vgl. S. 100 ff.). In der Konsequenz verwirklicht sich hierin gerade die typische Konjunkturanfälligkeit der Arbeitnehmerüberlassung, die im Zweifel zulasten der Leiharbeitnehmer geht.452 Aus Sicht der Stammarbeitnehmer ergibt sich hieraus indes der Vorteil des Beschäftigungsschutzes. Dieser ist in Bezug auf die einschlägigen kündigungsschutzrechtlichen Aspekte auch explizit höchstrichterlich anerkannt. So geht das Bundesarbeitsgericht davon aus, dass eine entsprechende Kündigung eines Stammarbeitnehmers im Lichte von § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b KSchG voraussetze, dass dieser nicht auf einem Arbeitsplatz eingesetzt werden kann, der derzeit von einem Leiharbeitnehmer besetzt wird. Dies gilt nach der Rechtsprechung des Gerichts indes nur, wenn der entsprechende Leiharbeitnehmer auf einem dauerhaft verfügbaren Arbeitsplatz eingesetzt wird.453 Im Ergebnis ist hiermit die sogleich Leiharbeit, 2009, S. 46. Hierauf ebenfalls hinweisend: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 42. 449 Im Überlassungsvertrag kann die Möglichkeit einer ordentlichen Kündigung vorgesehen werden, von der der Entleiher dann bei Nachfrageeinbrüchen gegenüber dem Verleihunternehmen Gebrauch machen kann. Vgl. hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 336. 450 Dass dies wiederum die Integration der Leiharbeitnehmer durch die Stammbelegschaften in den Entleihbetrieben nicht fördert, dürfte naheliegen. 451 Vgl. hierzu aus arbeitsrechtlicher Perspektive: Bayreuther, NZA 2016, 1304 (1304 f.). 452 Vgl. auch die deutlich höhere Kurzarbeiterquote in der Arbeitnehmerüberlassung während der Corona-Krise: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 11, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Con tent/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutsch land-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Siehe auch weiterführend zu der in § 11a AÜG eingeführten Regelung, nach welcher das in § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG geregelte Recht des Leiharbeitnehmers auf Vergütung bei Annahmeverzug des Verleihers qua Verordnung im Falle einer Vereinbarung von Kurzarbeit für den Arbeitsausfall und für die Dauer aufgehoben werden kann, für die dem Leiharbeitnehmer Kurzarbeitergeld gezahlt wird: Waltermann, NZS 2020, 337 ff. Die dortige Verordnungsermächtigung ist gem. § 11a Satz 2 AÜG bis zum 30. 9. 2022 befristet. 453 Vgl. hierzu v. a.: BAG, Urt. v. 15. 12. 2011 @ 2 AZR 42/10, NZA 2012, 1044 (1047) („Beschäftigt der Arbeitgeber Leiharbeitnehmer dagegen, um mit ihnen ein nicht schwankendes, ständig vorhandenes [Sockel-]Arbeitsvolumen abzudecken, kann von einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit i. S. von § 1 II 2 KSchG auszugehen sein, die vorrangig für sonst zur Kündigung anstehende Stammarbeitnehmer genutzt werden muss.“). Siehe auch: BAG, Urt. v. 19.4.2012 – 6 AZR 578/10, NZA 2013, 400 ff. Weiterführend hierzu: Bayreuther,

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noch zu diskutierende Nutzungsstrategie mancher Entleihunternehmen gemeint, vermittels derer Leiharbeitnehmer auf Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die typologisch ebenso von einem Stammarbeitnehmer belegt werden könnten, sodass die entsprechende Einsatzlogik demgemäß auf einer Substitution von Stamm- durch Leiharbeitnehmerbelegschaften aufbaut (vgl. S. 117 ff.). Dieser kündigungsschutzrechtliche Aspekt des Beschäftigungsschutzes liegt hingegen in Bezug auf den umgekehrten Fall, in dem Leiharbeitnehmer im Sinne der oben (vgl. S. 62 ff.) zur Abdeckung eines aufgrund von Auftragsspitzen oder Vertretungsbedarf auftretenden Personalbedürfnisses reaktiv eingesetzt werden, nicht vor.454 Gleichwohl führt die flexibilitätssteigernde Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung in ihrer reaktiven Form jedenfalls zu einem faktischen – wenngleich nicht rechtlich aufgewerteten – Beschäftigungsschutz der Stammarbeitnehmer, indem ein neben der Stammarbeitnehmerschaft stehender Personalkörper aufgebaut wird, mit dem Schwankungen des Arbeitskräftebedarfs ausgeglichen werden können. b) Fachlicher Austausch und Entlastung bei vermehrtem Arbeitsaufkommen Ein weiterer Positiveffekt kann darin begründet sein, dass Leiharbeitnehmer naturgemäß einen Erfahrungsschatz anhäufen, der sich von demjenigen der Stammarbeitnehmer potenziell unterscheidet. Hiervon können Stammarbeitnehmer profitieren. Alternative Handlungsabläufe, Arbeitsschritte oder Möglichkeiten der Kooperation, die Leiharbeitnehmer mit in das jeweilige Einsatzunternehmen und somit in die Stammbelegschaft tragen, können seitens dieser potenziell genutzt werden, um das tägliche Arbeitspensum besser oder effizienter zu bewältigen. Ebenso darf auch nicht vernachlässigt werden, dass der typischerweise zur Bewältigung von schwankendem Arbeitsvolumen genutzte Leiharbeitnehmereinsatz, potenziell die Stammarbeitnehmer entlasten kann. Auf intern-numerische Optionen der Flexibilisierung wie etwa Mehrarbeit oder Umstrukturierungen muss dann ggf. nicht mehr in intensivem Maße zurückgegriffen werden, was einen Entlastungseffekt zur Folge haben kann. Denkbar ist darüber hinaus, dass der möglicherweise bei schwankenden Auftragslagen wachsende interne Druck auf die Arbeitnehmerschaft durch den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung geringer wird. Insgesamt ist es daher nicht fernliegend, dass Stammarbeitnehmer in Betrieben, in denen Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilitätsreserve eingesetzt wird, ein geringeres Stresserleben erfahren. Doch auch die gegenteilige Wirkung ist möglich. Aufgrund der NZA 2016, 1304 (1307 f.). Zur Gegenansicht, die das Erfordernis vorrangiger Beendigungen von Leiharbeitsverhältnissen dann verneint, wenn der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmern auf einem schlüssigen und daher zu billigenden unternehmerischen Konzept beruhe: Moll/Ittmann, RdA 2008, 321 (325). 454 In diesem Fall liegt keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit i. S. v. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b KSchG vor: BAG, Urt. v. 19.4.2012 – 6 AZR 578/10, NZA 2013, 400 (Ls. 2). Vgl. auch: Bayreuther, NZA 2016, 1304 (1308). A. A. hingegen etwa: Hamann, NZA 2010, 1211 (1215 f.).

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Tatsache, dass sich der Tätigkeitsbereich von Leiharbeitnehmern oftmals auf einfache Tätigkeiten beschränkt, bleiben für die Stammarbeitnehmer ggf. vor allem komplexere Aufgaben übrig, sodass deren Arbeitsbelastung im Ergebnis sogar steigt.455 Beide Verläufe sind demnach je nach den konkreten betrieblichen Voraussetzungen möglich. 2. Risiken Eine prominentere Rolle in der wissenschaftlichen und politischen Debatte stellen aber vor allem die mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern im einzelnen Betrieb für die Stammbelegschaft einhergehenden Risiken dar. a) Verdrängungs- und Substitutionseffekte Insbesondere die Problematik der Verdrängung oder der Substitution von in Normalarbeitsverhältnissen beschäftigten Stammarbeitnehmern durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern ist ein wiederkehrendes Motiv.456 Unklar ist jedoch oftmals, was überhaupt unter diesen Prozessen zu verstehen ist. Zum Teil wird etwa vertreten, dass Leiharbeitnehmer per se reguläre Beschäftigungsverhältnisse substituieren würden, da die im konkreten Entleihunternehmen vorhandene Arbeitsnachfrage im Regelfall auch genauso gut mit Stammarbeitnehmern zu decken gewesen wäre.457 Ein derart pauschales Verständnis von Verdrängung regulärer Arbeit durch Arbeitnehmerüberlassung geht aber an der Realität vorbei. Schließlich sind auch betriebswirtschaftliche Gründe denkbar, weswegen ein mit einem Leiharbeitnehmer besetzter Arbeitsplatz im konkreten Betrieb vorher unbesetzt war und sich nicht durch einen Stammarbeitnehmer besetzen ließ.458 Gemeint ist die oben beschriebene Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument, mit dem einem kurzfristig veränderten Arbeitsaufkommen reaktiv begegnet werden kann. In den zugrundeliegenden Fällen ist der Einsatz eines (zusätzlichen) Stammarbeitnehmers aus den oben beschriebenen naheliegenden Gründen (vgl. S. 59 ff.) regelmäßig betriebswirtschaftlich nicht sinnvoll. Vielmehr müssen Betriebe in solchen Fällen auf ihr breit gefächertes Flexibilisierungsinstrumentarium zurückgreifen. 455

Hierauf hinweisend: Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/ Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (195). 456 Vgl. allein die Gesetzesbegründung zur letztmaligen Novellierung: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 16 („Der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern kann hingegen zu der Verdrängung von Stammarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern im Einsatzbetrieb führen.“). Eine zur hiesigen Untersuchung dieser Problematik parallele Aufarbeitung findet sich auch bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 46 ff. 457 In diese Richtung wohl: Crimmann/Ziegler/Ellguth/Kohaut/Lehmer, Forschungsbericht zum Thema „Arbeitnehmerüberlassung“, 2009, S. 38. 458 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 196.

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Hierbei steht aber der Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht in Konkurrenz zu Stammarbeitsplätzen, sondern in Konkurrenz zu diesen alternativen Flexibilisierungsmöglichkeiten. Wird also Arbeitnehmerüberlassung in dieser Art und Weise reaktiv als „Flexibilitätspuffer“ eingesetzt, geschieht dies typischerweise nicht, um Stammarbeitsplätze zu ersetzen.459 Eine Substitution von Stammarbeitnehmern durch Leiharbeitnehmer kann demzufolge nur dort stattfinden, wo ein Leiharbeitnehmer einen Arbeitsplatz übernimmt, für den ebenso ein Stammarbeitnehmer hätte eingesetzt werden können.460 Dort, wo also statt eines Stamm- ein Leiharbeitnehmer eingesetzt wird, findet Substitution statt.461 Begreift man Substitution in diesem Sinne, ergibt sich indes die Schwierigkeit, dass nur wenig empirische Evidenz zu so verstandenen Substitutionseffekten existiert. Wenn bspw. umfangreich untersucht wird,462 wie viele Entleihbetriebe im Beobachtungszeitraum von 1998 bis 2003 ihr Leiharbeitnehmersegment ausbauten, während die Stammbelegschaft stagnierte, abgebaut wurde oder unproportional gering ausgebaut wurde,463 so beantwortet dies nicht die hier in den Fokus gestellte

459 Daher gehen bspw. Kämmerer und Thüsing, die der Arbeitnehmerüberlassung – insofern verkürzend – einzig die Rolle eines Flexibilitätspuffers zuschreiben, davon aus, dass „keine wirkliche, sondern nur eine Anscheinsgefahr für die Arbeitsplätze im Entleihbetrieb“ bestehe (vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 60). 460 Diese Definition findet sich indes so in der Literatur nicht wieder. Höchstens implizit lässt sie sich aus einem Begriffsverständnis herauslesen, dass auf eine von der OECD verwendete Begrifflichkeit („substitution“) zurückgeht (siehe OECD, Employment Outlook 1993, S. 46, abrufbar unter: http://www.oecd.org/els/employmentoutlook-previouseditions.htm, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023), wenn dort davon die Rede ist, dass Substitution der „Ersatz von Stammmitarbeitern durch Zeitarbeitnehmer bei unverändertem Beschäftigungsstand im Unternehmen“ sei, während ein Verdrängungseffekt demgegenüber dort festzustellen sei, wo reguläre Beschäftigung durch den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in einem Betrieb, etwa aufgrund von Wettbewerbsvorteilen, mittelbar zu Entlassungen bei anderen Betrieben führe. Vgl. hierzu: Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (213); Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (96). Letzterer Effekt ist offenkundig kaum empirisch zu erfassen, weswegen diesem Verständnis von Verdrängung hier nicht weiter nachgegangen wird. 461 Dies kann die Kündigung von Stammarbeitnehmern voraussetzen. Vgl. insofern aus arbeitsrechtlicher Perspektive zu einer unmittelbaren Austauschkündigung: Bayreuther, NZA 2016, 1304 (1307 f.). Ebenso ist es aber denkbar, dass Unternehmen bei betrieblichen Vergrößerungen neu zu schaffende Arbeitsplätze mit Drittpersonal besetzen. 462 Siehe die breite Untersuchung bei: Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 195 ff. 463 Vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 196. Eine „direkte Substitution“, bei der also konkrete Stammarbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden, ist dort nicht Gegenstand der Untersuchung.

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Substitutionsfrage.464 Schließlich ist mit einem Ausbau der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung bei einer mindestens stagnierenden Anzahl von Stammarbeitnehmern noch keine Substitution im hier zugrunde gelegten Sinne belegt. Zwar ist hierin möglicherweise die Ursache für entsprechende Beobachtungen zu sehen. Genauso ist es aber möglich, dass die entsprechenden Betriebe lediglich auf eine erhöhte Volatilität im gegebenen Marktsegment reagiert haben und bspw. häufigere Auftragsspitzen oder ähnliche Schwankungen im Arbeitsvolumen mit einem Ausbau der betrieblichen Flexibilitätsreserve ausgeglichen haben. Dann ist aber möglicherweise kein Stammarbeitsplatz substituiert worden, da betriebswirtschaftlich vertretbar kein solcher zu schaffen oder zu besetzen war.465 Einen aussagekräftigen Hinweis auf Substitutionseffekte liefert demgegenüber eine makroökonomische Berechnung, die die Beschäftigungsentwicklungen in den Jahren 1991 bis 2010 in den Blick nimmt.466 Dort wird darauf hingewiesen, dass eine gesamtwirtschaftlich zu beobachtende erhöhte Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung auf diversen Kanälen reguläre Beschäftigung beeinflussen kann.467 Einerseits können in den betroffenen Unternehmen unmittelbar Stammarbeitsplätze ersetzt werden. Andererseits sind aber auch mittelbarere Effekte denkbar, indem etwa Arbeitnehmerüberlassung nutzende Unternehmen andere Unternehmen verdrängen, sodass diese wiederum Stammarbeitnehmer abbauen. Die Untersuchung stellt zur Überprüfung dieser Substitutionsthese sodann die Entwicklung der Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung der Beschäftigungsentwicklung außerhalb der Branche gegenüber. Hierbei wird festgestellt, dass ein gesamtwirtschaftlicher Zuwachs von Leiharbeitnehmern zur Hälfte mit dem Abbau von Stammarbeitsplätzen einhergeht. Auf einen Zuwachs von 200.000 Leiharbeitnehmern kommen also 100.000 verdrängte Arbeitsplätze innerhalb der übrigen Beschäftigung.468 Eindeutige Kausalitäten und vor allem auch Wirkmechanismen von Substitutionseffekten bleiben hierbei gleichwohl im Dunkeln.469 Erhellender hinsichtlich solcher Wirkmechanismen konkreter Substitutionseffekte ist hingegen eine Untersuchung des Nutzungsverhaltens beim Einsatz von Leiharbeitnehmern in sechs großen Betrieben aus der Metall- und Elektroindustrie 464 Im Ergebnis stellt Promberger fest, dass ein Viertel der Entleihbetriebe und somit 0,75 % der Gesamtbetriebe in Deutschland ein derartiges Verdrängungsmuster aufwiesen (vgl. Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 199, 201). In diesen Unternehmen (v. a. Großbetrieben) könne also eine gewisse Verdrängungspraxis festgestellt werden. 465 Hierauf ebenfalls hinweisend: Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, 2013, S. 3. 466 Siehe hierzu die aufschlussreiche Analyse des IAB: Jahn/Weber, Macroeconomic Dynamics 2016, 1264 (1268); sowie zuvor die deutschsprachige Version: Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, 2013, S. 4. 467 Vgl. Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, 2013, S. 4. 468 Vgl. Jahn/Weber, Macroeconomic Dynamics 2016, 1264 (1270). 469 Freilich deutet sich hierin schon die Wirkung der Arbeitnehmerüberlassung auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung an. Hierzu gesondert: S. 125 ff.

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aus dem Jahr 2009, die jedenfalls anekdotische Evidenz zu Substitutionseffekten der Arbeitnehmerüberlassung liefert.470 Diese Untersuchung kommt zu dem erstaunlichen Ergebnis, dass nur einer der sechs Betriebe Leiharbeitnehmer im oben beschriebenen – und in gewisser Weise herkömmlichen – Sinne reaktiv einsetzt. Die übrigen Betriebe verfolgen mit dem Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung ein anderes Ziel. Hier wird Arbeitnehmerüberlassung aktiv als Teil einer unternehmerischen Strategie eingesetzt, die vor allem die Absicherung der eigenen Profitabilität gegen latente Absatzrisiken zum Ziel hat,471 was hierin als „strategische Nutzung“ bezeichnet wird.472 Diese Form des Einsatzes von Leiharbeitnehmern zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass die Betriebe von vornherein so strukturiert sind, dass sie ohne den Einsatz von Leiharbeitnehmern ihre Auftragsvolumina gar nicht bewältigen könnten. Die Stammbelegschaft wird also gezielt so gering wie möglich gehalten, was treffend als „Personalpolitik der unteren Linie“ bezeichnet wird,473 sodass der Einsatz von Leiharbeitnehmern dauerhaft benötigt wird. Hierbei besteht zu jedem Zeitpunkt ein gehöriger Anteil der Beschäftigten aus Leiharbeitnehmern – in einigen Betrieben sind es bis zu 30 % der Gesamtbelegschaft.474 Das Ziel dieser strategischen Nutzung ist es, die Auswirkungen zukünftiger und aus der unternehmerischen Perspektive als besonders ungewiss eingeschätzter Entwicklungen in den Produktmärkten maximal kontrollieren zu können und somit die eigene Profitabilität zu schützen.475 Der 470

Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 8 ff. Auf diese Untersuchung als Quelle jedenfalls anekdotischer Evidenz von Substitutionseffekten ebenfalls hinweisend: Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (208). Eine ähnliche Untersuchung zu vergleichbaren Nutzungsstrategin bei der Volkswagen AG und Airbus findet sich bei: Schenck, Arbeitnehmerüberlassung und Flexibilisierung betrieblicher Arbeitsmärkte, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 98 (115). 471 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 4 f. Eine ähnliche Beschreibung dieser Nutzungsstrategie findet sich bei Promberger, der davon ausgeht, dass in diesen Betrieben die strategische Nutzung vor allem dazu dienen soll „branchentypischen Konjunkturkrisen oder größeren Absatzschwierigkeiten“ begegnen zu können (vgl. Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 104). 472 Aufgegriffen wird der Begriff bei: Schenck, Arbeitnehmerüberlassung und Flexibilisierung betrieblicher Arbeitsmärkte, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 98 (99); Schröpfer, Die Intensität der Leiharbeitsnutzung in Deutschland, 2013, S. 32 ff. Anderswo findet sich die Bezeichnung „strategische Intensivnutzung“ (Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann [Hrsg.], Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 [208]) oder „permanente Extremnutzung“ (Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 104) sowie „systematische Nutzung“ (Jahn/Rudolph, Zeitarbeit: Auch für Arbeitslose ein Weg mit Perspektive, 2002, S. 3). 473 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 17. 474 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 27. Ähnliches berichtet Promberger bzgl. einiger „permanenter Extremnutzer“ der Arbeitnehmerüberlassung und geht dort von einem dauerhaften Anteil von 20 Prozent Leiharbeitnehmern an der Gesamtbelegschaft aus (vgl. Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 104). 475 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 17.

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dauerhaft hohe Leiharbeitnehmeranteil liefert somit ein stetiges „Sicherheitsnetz“ gegen die Unsicherheiten der Absatzmärkte.476 Die Struktur der Belegschaft ist in diesen Betrieben folglich auch von derjenigen in Betrieben, die Arbeitnehmerüberlassung nur punktuell als Flexibilitätsreserve nutzen, zu unterscheiden. In letzteren besteht typischerweise eine deutlich erkennbare Trennung zwischen der Stamm- bzw. Kernbelegschaft und einer Randbelegschaft aus zeitweise eingesetzten Leiharbeitnehmern. Die Leiharbeitnehmerschaft ist hierbei – schon aufgrund der vorübergehenden Natur des Einsatzbedürfnisses – denklogisch nicht intensiv in die betriebliche Struktur eingebunden. Konträr verhält es sich bei der strategischen Nutzung. Leiharbeitnehmer sind hierbei ein dauerhafter Teil der Belegschaft und werden bei möglichst langer Überlassungsdauer in diversen Betriebsteilen auf den gleichen Arbeitsplätzen wie Stammarbeitnehmer eingesetzt. Hiermit wird die Trennung von Stamm- und Randbelegschaft faktisch aufgehoben.477 Mit dieser Einsatzlogik geht sodann aber auch einher, dass Stammarbeitnehmer in den Betriebsteilen, in denen Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, durch diese unmittelbar substituierbar sind.478 Sowohl Stamm- als auch Leiharbeitnehmer können hier dem Grunde nach stets die Tätigkeit des jeweils anderen erfüllen. Damit geht für die Stammarbeitnehmer ein erheblicher direkter Disziplinierungseffekt einher.479 Durch die direkte Konkurrenz zu den Leiharbeitnehmern wird die drohende Ersetzung jederzeit zum realistischen Szenario. Interessanterweise ist in den betroffenen Betrieben zudem zu beobachten, dass mit dem intensiven Einsatz von Leiharbeitnehmern zugleich nach außen hin eine teils fast vollständige Abschottung des internen Arbeitsmarkts erfolgt. Stammarbeitnehmer werden nicht mehr am externen Arbeitsmarkt akquiriert, sondern aus der Leiharbeitnehmerschaft heraus übernommen.480 Für die Leiharbeitnehmer steigen damit grundsätzlich die Übernahmechancen. Für das Gros der Betroffenen erfüllt sich die Hoffnung auf eine Übernahme indes nicht481 – schließlich würde eine flächendeckende Umwandlung der Leih- in eine Stammarbeitnehmerschaft der betrieblichen Nutzungsstrategie gerade zuwiderlaufen.482 Die Autoren kommen gar zu 476 Insofern auf die vereinfachte Möglichkeit Leiharbeitnehmer abzubauen hinweisend: Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 18. Siehe hierzu bereits: S. 114 ff. 477 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 18. 478 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 44. 479 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 48. 480 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 45. 481 Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 45. 482 Die z. T. in der juristischen Literatur vorgebrachte These, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmer auf dauerhaft vorhandenen Stammarbeitsplätzen für die Leiharbeitnehmer gerade mit erhöhten Übernahmechancen einhergeht (vgl. etwa: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG [Stand: 2023] Rn. 105) verfängt daher nicht. Zuletzt indes auch ansatzweise in diese Richtung: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 37).

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dem Schluss, dass die betreffenden Unternehmen dieses latente Übernahmeversprechen dadurch bestärken, dass Leiharbeitnehmer gezielt und regelmäßig übernommen werden. In der Folge würden veritable Aufstiegschancen lediglich inszeniert, um die Leiharbeitnehmer zu motivieren und zu disziplinieren.483 Dass mit einer solchen strategischen Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung eine Substitution von Stammarbeitskräften einher geht, liegt auf der Hand.484 Zum einen planen die Betriebe hierbei von vornherein einen erheblichen Anteil an Leiharbeitnehmern ein, die faktisch Arbeitsplätze von Stammarbeitnehmern besetzen. Zum anderen besteht aufgrund der identischen Arbeitsbedingungen von Leih- und Stammarbeitnehmern eine unmittelbare Konkurrenz und jederzeitige Substituierbarkeit. Ähnliche Beobachtungen und Annahmen finden sich in der übrigen Literatur.485 Insbesondere in der Pflegebranche lassen sich vergleichbare Mechanismen beobachten. Auch hier wird Arbeitnehmerüberlassung flächendeckend eingesetzt, um eine von vornherein zu dünne Personaldecke auszugleichen,486 womit eine Substitution regulärer Beschäftigung einhergeht.487 Unklar bleibt indes, wie verbreitet derartige Nutzungsstrategien aktuell sind. Insbesondere gesetzliche Neuerungen, wie der bspw. nach dem neunten Monat einer Überlassung verpflichtende „Equal Pay“-Grundsatz, verteuern und erschweren einen solchen flächendeckenden und langfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern erheblich (vgl. S. 437 ff.).488 Gleichwohl sind Nutzungsstrategien, die auf Substitutionseffekten gerade aufbauen, offenkundig möglich und jedenfalls teilweise Realität.

483

Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 46. In diese Richtung deutbar: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 16 („Der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern kann hingegen zu der Verdrängung von Stammarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern im Einsatzbetrieb führen.“). 485 Siehe insbesondere: Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 104. In Bezug auf die Pflegebranche: Bräutigam/Dahlbeck/Enste/Evans/Hilbert, Flexibilisierung und Leiharbeit in der Pflege, 2010, S. 31; vgl. auch: Schenck, Arbeitnehmerüberlassung und Flexibilisierung betrieblicher Arbeitsmärkte, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 98 ff. Ebenfalls von entsprechenden Nutzungsverhalten ausgehend: Jahn/Rudolph, Zeitarbeit: Auch für Arbeitslose ein Weg mit Perspektive, 2002, S. 3; Schröpfer, Die Intensität der Leiharbeitsnutzung in Deutschland, 2013, S. 32 ff.; Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (208). 486 Vgl. Bräutigam/Dahlbeck/Enste/Evans/Hilbert, Flexibilisierung und Leiharbeit in der Pflege, 2010, S. 31. 487 Vgl. Bräutigam/Dahlbeck/Enste/Evans/Hilbert, Flexibilisierung und Leiharbeit in der Pflege, 2010, S. 5. 488 Dieser Effekt lässt sich durch ein „Leiharbeitnehmer-Rondell“ z. T. umgehen. Vgl. hierzu u. a. im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes: S. 438 ff. 484

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b) Leiharbeitnehmer als Streikbrecher Eine weitere aus der Sicht der Stammarbeitnehmer überaus problematische Einsatzmöglichkeit von Leiharbeitnehmern besteht darin, diese als faktische Streikbrecher einzusetzen. Dabei werden Arbeitsplätze streikender Stammarbeitnehmer während eines Arbeitskampfes mit Leiharbeitnehmern besetzt. Dass dies den Interessen der Stammarbeitnehmern abträglich ist, ist selbstverständlich. Der auf die Betriebsführung ausgeübte Druck, die Produktion nicht aufrecht erhalten zu können, lässt mit dem Einsatz von Leiharbeitnehmern dann augenblicklich nach und die Wirkung des Arbeitskampfes schwindet erheblich.489 Eindeutige – und nicht nur anekdotische – empirische Belege darüber, wie verbreitet dieses aus Sicht der Stammarbeitnehmer und der entsprechenden Gewerkschaften abschreckende Szenario in der Praxis tatsächlich ist, finden sich allerdings nicht.490 Der Gesetzgeber geht ungeachtet dessen davon aus, dass der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher „in den letzten Jahren“ in verschiedenen Branchen häufiger zu beobachten gewesen sei und „Leiharbeitnehmer (…) dabei zum Teil massiv unter Druck gesetzt (wurden), als Streikbrecher tätig zu werden“.491 Demgemäß ist einem zu vermeidenden Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrechern in § 11 Abs. 5 AÜG umfangreich Rechnung getragen worden.492 Unabhängig von der Frage nach der tatsächlichen Prävalenz des Streikbrechereinsatzes muss jedoch klar sein, dass dieser nicht nur desaströse Auswirkungen in Bezug auf einen stammarbeitnehmerseitigen Arbeitskampf zeitigt, sondern dass es sich auch zugleich um eine Nutzungsmodalität der Arbeitnehmerüberlassung handelt, die sich sehr weit von ihrer herkömmlichen Rolle als Flexibilisierungsinstru489

Vgl. nur: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (Ls. 2). Platzhoff berichtet lediglich von einem Fall aus dem Jahr 2002 (vgl. Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 53 f.). Mehr Nachweise finden sich bei: Klein/ Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (181). Zu konkreten Medienberichten: Bognanni, Real heuert Streikbrecher über Briefkastenfirma an, Handelsblatt v. 1. 7. 2015, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/ unternehmen/handel-konsumgueter/tarifstreit-mit-verdi-real-heuert-streikbrecher-ueber-brief kastenfirma-an/v_detail_tab_comments/11997518.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Bonstein, Die fast lautlose Ver.di-Oper, Der Spiegel v. 18. 11. 2007, abrufbar unter: https:// www.spiegel.de/wirtschaft/die-fast-lautlose-ver-di-oper-a-94aa4694-0002-0001-0000-000054 002238, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Dierig, KiK setzt Leiharbeiter als Streikbrecher ein, Welt v. 30. 11. 2014, abrufbar unter: https://www.welt.de/wirtschaft/article134852801/ KiK-setzt-Leiharbeiter-als-Streikbrecher-ein.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Stern v. 30. 11. 2014, Leiharbeiter als Streikbrecher, abrufbar unter: https://www.stern.de/wirtschaft/ kik-tarifkonflikt-leiharbeiter-als-streikbrecher-3241416.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 491 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27. 492 Zur Verfassungsmäßigkeit des Verbots des Streibrechereinsatzes: S. 466 ff. Zuletzt hatte das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde über die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Verbotsnorm zu entscheiden. Allerdings hatte das Gericht die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Siehe hierzu: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 ff. 490

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ment entfernt.493 Im Ergebnis mutiert der Leiharbeitnehmereinsatz in diesem Fall zu einem Missbrauch, sodass ein gesetzgeberisches Eingreifen – ungeachtet der entsprechenden rechtlichen Bewertungen (hierzu unten S. 466 ff.) – rechtspolitisch unzweifelhaft zu begrüßen ist.

V. Arbeitnehmerüberlassung aus staatlicher Sicht Eine eingehende Betrachtung verdient auch die staatliche Perspektive auf die Arbeitnehmerüberlassung. Die gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Vorteile und zu vermeidenden Risiken, die mit diesem besonderen Konstrukt atypischer Beschäftigung einhergehen, waren aus Sicht des die Arbeitnehmerüberlassung regulierenden Gesetzgebers stets von größter Bedeutung. Die gesetzgeberischen Motive der vergangenen Jahrzehnten stellen sich dabei allerdings als recht divers dar. Im Gesetzesentwurf zur erstmaligen Einführung des AÜG im Jahr 1972 sah der Gesetzgeber vor allem die Notwendigkeit, überhaupt ein die Arbeitnehmerüberlassung betreffendes spezialgesetzliches Regelungsregime zu errichten. Unmittelbar vor der Einführung des AÜG war die Anzahl der Verleihbetriebe stark angestiegen, wobei es vermehrt zu Verstößen gegen gesetzliche Regelungen kam,494 denen man mit der Installierung umfangreicher Reglementierungen entgegenwirken wollte.495 Dem Gesetzgeber ging es hier folglich nicht um eine normative gesetzgeberische Bewertung der Arbeitnehmerüberlassung, sondern vielmehr um die Vermeidung unerwünschter Nebenfolgen dieses Beschäftigungsmodells. Ganz anders verhielt es sich bspw. bei der jüngsten Novellierung des AÜG aus dem Jahr 2017.496 Der Gesetzgeber sah hier in der Arbeitnehmerüberlassung eine „etablierte Form des flexiblen Personaleinsatzes“, der eine „besondere arbeitsmarktpolitische Bedeutung“ zukomme, indem geringqualifizierte vormalig Arbeitslose dort eine Beschäftigung finden könnten. Angesichts der gleichwohl für Leiharbeitnehmer zum Teil prävalenten Risiken solle daher die „Kernfunktion“ der Arbeitnehmerüberlassung gestärkt werden, indem diese „als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs geschärft, Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung verhindert (und) die Stellung der Leiharbeitnehmerinnen und 493 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27 („Nicht zu den Kernfunktionen der Arbeitnehmerüberlassung gehört es, Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einzusetzen.“). 494 Zur entsprechenden historischen Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung: S. 40 ff. 495 Vgl. bereits: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 1 („In den letzten Jahren verstießen Verleiher zunehmend, vor allem zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer, gegen Vorschriften des Arbeits- und Sozialversicherungsrechts sowie des Arbeitsförderungsgesetzes. Besonders gefährdet waren ausländische Arbeitnehmer. Die Möglichkeiten des geltenden Rechts erwiesen sich als unzureichend, diese Mißstände zu unterbinden.“). 496 Zum Folgenden: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1.

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Leiharbeitnehmer gestärkt (…)“ werde. Offenkundig wird hier eine staatliche Haltung sichtbar, die Arbeitnehmerüberlassung einen gewissen Wert zuspricht und ihr einen konkreten Platz im Arbeitsmarkt zuweist. Welche Motive und Grundannahmen hierbei für den regulierenden Gesetzgeber tragend waren bzw. sind und sein könnten wird im Folgenden betrachtet. 1. Volkswirtschaftliche Erwägungen Von zentraler Bedeutung sind zunächst die aus volkswirtschaftlicher Sicht mit dem Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung durch deutsche Betriebe einhergehenden makroökonomischen Folgen. Eine wesentliche Frage ist zunächst, ob Arbeitnehmerüberlassung aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive insgesamt zusätzliche Beschäftigung schafft. In der Literatur werden hierauf ganz unterschiedliche Antworten gegeben. Zum Teil wird etwa davon ausgegangen, dass Arbeitnehmerüberlassung gesamtwirtschaftlich „kaum neue Arbeitsplätze schaffen kann, sondern lediglich die Besetzung vorhandener Jobs neu organisiert“,497 indem die vorhandenen Arbeitsvolumina lediglich auf Verleihbetriebe umgelagert würden. Dieses Verständnis der Arbeitnehmerüberlassung als gesamtwirtschaftliches Nullsummenspiel findet allerdings weder eine Stütze in theoretischen Überlegungen noch in empirischen Beobachtungen. So sind kurzfristige Auftragsspitzen und ähnliche Ereignisse durchaus Faktoren, denen im einzelnen Betrieb zuweilen nur mit den Möglichkeiten atypischer Beschäftigungen begegnet und für die betriebswirtschaftlich vertretbar kein regulärer Arbeitsplatz besetzt werden kann.498 Wären Unternehmen in solchen Szenarien auf Stammarbeitnehmer beschränkt, wären sie gezwungen nach Ausschöpfung intern-numerischer Kapazitäten das Arbeitsvolumen geringer zu halten oder gar zusätzliche unerwartete Aufträge nicht anzunehmen.499 Folglich kann Arbeitnehmerüberlassung durchaus neue Arbeitsplätze schaffen. Ebenso ist es denkbar, dass durch Arbeitnehmerüberlassung solche Arbeitnehmer, auf die der geringe Eigenaufwand und der hohe Abwechslungsreichtum einer Beschäftigung als Leiharbeitnehmer einen besonderen Reiz haben und die anderenfalls keiner oder nur einer sporadischen Beschäftigung nachgehen würden, durch Arbeitnehmerüberlassung womöglich zu einer sozialversicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigung (vgl. S. 98) gelangen. Nicht zuletzt auch die Bedeutung der

497

So explizit: Promberger, Topographie der Leiharbeit, 2012, S. 195. Siehe hierzu bereits oben: S. 62 ff. Vgl. etwa: Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, 2013, S. 3. 499 So auch: Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (100). 498

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Arbeitnehmerüberlassung als „Türöffner“ in den Arbeitsmarkt für vormalig Arbeitslose kann in Bezug auf diese Beschäftigungswirkung zum Tragen kommen.500 Diese einzelnen Faktoren beschreiben jedoch jeweils nur singulär Wirkmechanismen der Arbeitnehmerüberlassung, die zwar denkbar sind, deren konkrete Tragweite jedoch nur schwerlich bezifferbar ist. Sie alle zusammen können jedoch als Bündel an gesamtwirtschaftlichen Wirkungen eine mögliche Erklärung für etwaige Feststellungen in Bezug auf die gesamtwirtschaftliche Beschäftigungswirkung der Arbeitnehmerüberlassung liefern. Aufschluss über diese gesamtwirtschaftliche Beschäftigungswirkung bietet die bereits oben erwähnte (vgl. S. 125) makroökonomische Berechnung.501 Die Autoren kommen hierbei zu dem Ergebnis, dass die Hälfte eines gesamtwirtschaftlich zu beobachtenden Zuwachses von Leiharbeitnehmern zwar durch einen Verlust an Beschäftigung außerhalb der Branche erkauft wird. Die andere Hälfte eines solchen Zuwachses an Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung ist aber insgesamt als zusätzliche Beschäftigung zu begreifen, die also mit dem Abbau von etwa Stammarbeitsplätzen nicht in Verbindung steht.502 Unabhängig von den vielseitigen Integrationseffekten oder anderen singulären Wirkmechanismen scheint Arbeitnehmerüberlassung also in ihrer Gesamtheit zu einem gesamtwirtschaftlich zu verzeichnenden Zuwachs an Beschäftigung zu führen. Allein mit dem Umstand, dass ein geringer Anteil der Leiharbeitnehmer die Branche um ihrer selbst willen präferiert und ansonsten im Zweifel keiner Erwerbsarbeit nachgehen würde (vgl. S. 98) lässt sich diese positive gesamtwirtschaftliche Beschäftigungswirkung aber nicht erklären. Ebenso wenig kann hierfür allein die beschriebene Funktion der Arbeitnehmerüberlassung für Langzeitarbeitslose verantwortlich gemacht werden. Naheliegend ist vielmehr, dass der dargestellte Beschäftigungszuwachs auch maßgeblich mit der Tatsache zusammenhängt, dass sich in der Arbeitnehmerüberlassung vermehrt Personen mit problematischen Erwerbsbiografien und etwa geringeren Qualifikationen sammeln (vgl. S. 88 ff.), die vielfach den unkomplizierten Einstieg in die Arbeitnehmerüberlassung nutzen, um einer Arbeitslosigkeit zu entgehen (vgl. S. 98 f.). Ob diese Arbeitnehmer allerdings arbeitslos wäre,503 wenn die Arbeitnehmerüberlassung nicht wäre, oder ob 500 Vgl. etwa: Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (48); Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (98). Verwiesen sei hier zudem auf den gesamtwirtschaftlich durchaus wünschenswerten „Spillover-Effekt“ (vgl. Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian [Hrsg.], Zeitarbeit, 2017, S. 189 [194]). 501 Vgl. Jahn/Weber, Macroeconomic Dynamics 2016, 1264 ff.; sowie die deutschsprachige Version: Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung. 502 Vgl. Jahn/Weber, Zeitarbeit: Zusätzliche Jobs, aber auch Verdrängung, 2013, S. 4; Jahn/Weber, Macroeconomic Dynamics 2016, 1264 (1270) („net gain“). 503 In diese Richtung lässt sich die Gesetzesbegründung der letzten Novellierung aus dem Jahr 2017 verstehen, wenn es dort heißt, dass der Arbeitnehmerüberlassung eine „besondere

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sie in diesem Fall einen Weg in reguläre Beschäftigung finden würden, kann nur gemutmaßt werden.504 Dass ein gesamtwirtschaftlicher Zuwachs an Leiharbeitnehmern aber zur Hälfte als zusätzliche Beschäftigungssteigerung zu begreifen ist, die reguläre Arbeit nicht verdrängt, deutet jedoch darauf hin, dass ersteres zumindest auch der Fall ist.505 Abgesehen davon, dass die Arbeitnehmerüberlassung also möglicherweise in Bezug auf Personen mit problematischen Erwerbsbiografien, die ansonsten ggf. (dauerhaft) arbeitslos wären, für eine Beschäftigung sorgt, kommt ihr aus staatlicher Perspektive noch ein weiterer wesentlicher Positiveffekt zu. Da die Arbeitnehmerüberlassung vielfach angesichts drohender Arbeitslosigkeit als „Lückenfüller“ genutzt wird, entlastet sie jedenfalls in Bezug auf die in diesem Fall entstehenden Zeiträume, in denen ansonsten (vorübergehend) Arbeitssuchende staatliche Leistungen in Anspruch nehmen würden, die sozialen Sicherungssysteme. Unabhängig davon, ob ein Leiharbeitnehmer in diesem Fall in der Arbeitnehmerüberlassung dauerhaft verbleibt oder durch ihren integrativen Effekt – bzw. womöglich trotz der Leiharbeitsepisode – den (Wieder-)Einstieg in reguläre Arbeit schafft, ist daher jedenfalls in Teilen eine positive arbeitsmarktpolitische Wirkung zu verzeichnen.506 Arbeitnehmerüberlassung schafft aber nicht nur gesamtwirtschaftlich zusätzliche Beschäftigung. Sie trägt auch einen Anteil dazu bei, dass die deutsche Volkswirtschaft insgesamt anpassungsfähig und damit wettbewerbsfähig bleibt und konjunkturelle Schwankungen und Krisen übersteht – was in der Tat auch zum Teil politisch betont wird.507 Diese Einsicht beruht im Wesentlichen auf der offenkundigen Erkenntnis, dass Volkswirtschaften angesichts einer zunehmend erhöhten Volatilität auf den Abarbeitsmarktpolitische Bedeutung“ zukomme und dies mit dem dort hohen Anteil an Geringqualifizierten und vormalig Arbeitslosen in Verbindung gebracht wird (vgl. BT-Drs. 18/ 9232 v. 20. 7. 2016, S. 1). 504 Offenbar jedenfalls von einem gewissen Eingliederungseffekt in den Arbeitsmarkt ausgehend: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 21, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuel le-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 505 In diese Richtung auch: Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (48). 506 Zu weiteren sozial- und arbeitsmarktpolitischen Erwägungen: S. 124 ff. 507 Vgl. nur die Ausführungen Ursula von der Leyens, damalige Bundesministerin für Arbeit und Soziales, aus dem Jahr 2012: „Wir benötigen eine hohe Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt. Nur so können wir im globalen Wettbewerb agieren, Krisenzeiten ohne allzu große Schäden überstehen und schnell von der wieder anziehenden Konjunktur profitieren. Dank Maßnahmen und Arbeitsformen wie Kurzarbeit und Zeitarbeit ist es uns in Deutschland gelungen, die Folgen der Finanzkrise abzufedern und heute besser dazustehen als viele andere Staaten.“ (von der Leyen, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel [Hrsg.], Zukunft Zeitarbeit, 2012, Vorwort).

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

satzmärkten und einem stetig ansteigenden internationalen Wettbewerbsdruck maximal flexibel und anpassungsfähig sein müssen. Dass diese Flexibilität nur über die Anpassungsfähigkeit der einzelnen Unternehmen erreicht werden kann, liegt auf der Hand.508 Hierbei spielt gerade die Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument eine wichtige Rolle, sodass sich deren Flexibilisierungspotenzial auf mikroökonomischer Ebene auch auf der übergeordneten makroökonomischen Ebene in Bezug auf die konkrete Volkswirtschaft widerspiegelt.509 Dass der deutsche Arbeitsmarkt aufgrund etwa vergleichsweise rigider Kündigungsschutzvorschriften von Haus aus nicht übermäßig anpassungsfähig ist, war nie ein Geheimnis.510 Gerade aus diesem Grund kommt der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilitätsmotor eine besondere Bedeutung zu.511 Zu Recht wird Arbeitnehmerüberlassung daher zum Teil als ein für die Volkswirtschaft insgesamt notwendiges Instrument einer modernen Arbeitsmarktordnung bezeichnet.512 Teilweise wird gar statuiert, dass die gesamtwirtschaftliche Flexibilität und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft erst durch atypische Beschäftigungsformen wie Arbeitnehmerüberlassung, Werkvertragslösungen und ähnliche Konstrukte ermöglicht wird.513

508 Vgl. etwa: Hohendammer/Walwei, WSI Mitteilungen 2013, 239 (242); Strotmann/ Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (86). 509 Im Ergebnis sorgt dies dafür, dass Konjunkturkrisen besser abgefedert werden können, sodass es schneller und nachhaltiger wieder zum wirtschaftlichen Aufschwung kommen kann. Vgl. hierzu: IW Consult GmbH, Zeitarbeit in Deutschland, 2011, S. 18, abrufbar unter: https:// www.personaldienstleister.de/iw-koeln-veroeffentlicht-studie-zur-wirtschaftlichen-bedeutungder-zeitarbeit, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (85). 510 Vgl. Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (85). Ähnlich: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 252. 511 Da Leiharbeitsplätze in den Entleihunternehmen im Krisenfall regelmäßig als erstes abgebaut werden, wird die Arbeitnehmerüberlassung auch als „Frühindikator“ wirtschaftlichen Abschwungs bezeichnet. Vgl. etwa hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 22, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/ DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeits markt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 512 Vgl. etwa: Sachverständigenrat zur Begutachtung gesamtwirtschaftlicher Entwicklung, Jahresgutachten 2014/2015, S. 292. 513 Vgl. Sachverständigenrat zur Begutachtung gesamtwirtschaftlicher Entwicklung, Jahresgutachten 2014/2015, S. 292. In diese Richtung wohl auch: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 267 f. Dies lässt sich so deuten, dass ein (stamm-)arbeitnehmerfreundlicher Arbeitsmarkt mit flexiblen Personallösungen wie der Arbeitnehmerüberlassung um der gesamtwirtschaftlichen Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit willen erzeugt wird.

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2. Sozial- und arbeitsmarktpolitische Erwägungen Eine gesonderte Betrachtung verdienen auch die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Erwägungen, die den Gesetzgeber immer wieder umgetrieben und zu Regularien der Arbeitnehmerüberlassung motiviert haben.514 Ein aktuell nicht mehr relevantes – aber lange Zeit zentrales – Regulierungsinteresse des Gesetzgebers im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung war die Bewahrung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols. Dies lag zum einen daran, dass Arbeitnehmerüberlassung und Arbeitsvermittlung in ihren frühen Entwicklungsphasen rechtstatsächlich eng miteinander verknüpft waren (hierzu S. 40 ff.). Zum anderen aber begriff auch der Gesetzgeber für gewisse Zeit Arbeitnehmerüberlassung als Teilphänomen der Arbeitsvermittlung.515 Bis zur Aufhebung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols und der Öffnung der Arbeitsvermittlung für Private war daher die Verhinderung verbotener privater Arbeitsvermittlung ein regulatorischer Ansatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz.516 Derartige Bemühungen und regulatorische Bestrebungen gehören gleichwohl seit der Öffnung der Arbeitsvermittlung am 1. Oktober 1994 der Vergangenheit an. Ein weiterer gesetzgeberischer Beweggrund in der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung ist auch der Schutz und der Erhalt des Normalarbeitsverhältnisses. Anders lässt es sich jedenfalls nicht verstehen, wenn der Gesetzgeber anlässlich der jüngsten Reform des AÜG im Jahr 2017 davon spricht, Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ hin zu orientieren.517 Offenkundig war es hierbei das erklärte gesetzgeberische Ziel, dass der Arbeitnehmerüberlassung eine spezifische Stellung in Arbeitsleben und Arbeitsmarkt zugewiesen wird. Über diese Stellung sollte die Arbeitnehmerüberlassung demgemäß im Umkehrschluss auch nicht hinauswachsen und nicht in die übrige Arbeitsmarktordnung hineinwirken. Gegenüber der besonderen Konstellation der Arbeitnehmerüberlassung will der Gesetzgeber also – jedenfalls implizit – das Normalarbeitsverhältnis518 bewahren. Hierunter fällt nach allgemeinem Verständnis vor allem das unbefristete Arbeitsverhältnis auf Vollzeitbasis bei voller Integration in die sozialen Sicherungs514 Hierbei kommt es z. T. zu Überschneidungen mit den soeben aufgezeigten gesamtwirtschaftlichen Wirkmechanismen der Arbeitnehmerüberlassung. 515 § 48 Abs. 5 des Arbeitsnachweisgesetzes v. 27. 7. 1922. 516 Siehe oben zu § 13 AÜG a. F.: S. 19. Vgl. ferner § 1 AÜG in seiner Erstfassung von 1967: „Arbeitgeber, die Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen wollen, ohne damit Arbeitsvermittlung nach § 13 des Arbeitsförderungsgesetzes zu betreiben (Verleiher), bedürfen der Erlaubnis.“. Hinzu kam, dass Verleiher in den Anfangsjahren des AÜG auch oftmals illegale Arbeitsvermittlung betrieben und allein schon deswegen – wenngleich nicht wegen ihrer Verleihtätigkeit selbst – in besonderem Maße im Fokus staatlicher Regulierung standen. Siehe hierzu den ersten Bericht der Bundesregierung über Erfahrungen bei der Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 9. 7. 1974, BT-Drs. 7/2365 v. 9. 7. 1974, S. 13. 517 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 518 „Reguläre Arbeit“ ist ein Synonym und insofern gleichbedeutend.

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systeme, bei dem der Arbeitnehmer Leistungen nur gegenüber dem Arbeitgeber und nicht gegenüber Dritten erbringt.519 Hiervon weicht die Arbeitnehmerüberlassung als Beschäftigungsform erheblich ab. Wie der Begriff des Normalarbeitsverhältnisses bereits verdeutlicht, ist diese Form des Arbeitsverhältnisses lange der rechtstatsächliche Regelfall und das gesetzgeberische Leitbild gewesen.520 Mit dem vermehrten Aufkommen atypischer Beschäftigungsformen wie befristeter Beschäftigungen, Teilzeitbeschäftigungen oder auch der Arbeitnehmerüberlassung hat sich dieses deutliche Regel-Ausnahme-Verhältnis jedoch zu einem Nebeneinander der Beschäftigungsformen gewandelt.521 Von zentraler gesetzgeberischer Bedeutung ist die Bewahrung des Normalarbeitsverhältnisses offenkundig aber noch im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung, will der Gesetzgeber diese auf ihre „Kernfunktion“522 beschränken. Um einen Schutz des Normalarbeitsverhältnisses um seiner selbst willen wird es dem Gesetzgeber hierbei aber nicht gehen. Ein in Bezug auf die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung tragendes Motiv kann der Erhalt des Normalarbeitsverhältnisses vielmehr nur insoweit sein, wie sich die Arbeitnehmerüberlassung als gegenüber dem althergebrachten Orientierungspunkt des Normalarbeitsverhältnisses als nachteilig erweist. Nur dort also, wo Differenzen zum Normalarbeitsverhältnis bestehen und die Arbeitnehmerüberlassung hinter den gewohnten Standards des Normalarbeitsverhältnisses zurückbleibt,523 kann aus dieser Diskrepanz gesetzgeberischer Handlungsbedarf entstehen. Wenn also das Normalarbeitsverhältnis in diesem Zusammenhang vor allem als Schablone dient, die auf das Beschäftigungsfeld der Arbeitnehmerüberlassung gelegt werden kann, um Missstände und Unzulänglichkeiten derselben aufzudecken, dann geht der Schutz des Normalarbeitsverhältnisses nicht weiter als die Verhinderung der oben bereits ausführlich beschriebenen Risiken, die für die verschiedenen 519 Vgl. etwa: Preis, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 611a BGB Rn. 144. So lautet im Wesentlichen auch die Definition des Statistischen Bundesamtes. Hierzu näher: Wingerter, WISTA 2009, 1080 (1081). 520 Vgl. Preis, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 611a BGB Rn. 144; Schubert, NJW 2010, 2613 (2614). 521 Zu dieser allgemeinen Entwicklung: Deinert, RdA 2014, 65 ff., Schubert, NJW 2010, 2613 (2615 ff.); Waltermann, NZA 2010, 860 ff. Sowie aus sozialwissenschaftlicher Sicht: Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser, Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 ff.; Promberger, Leiharbeit: Flexibilität und Unsicherheitspotentiale in der betrieblichen Praxis, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 183 f.; Wingerter, WISTA 2009 (1080 ff.) 522 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 523 Hierzu noch einmal abschließend zur Relation von Prekariat, Normalarbeitsverhältnis und Arbeitnehmerüberlassung: Bornewasser, Psychologische Aspekte der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Schwerpunkt Zeitarbeit, 2011, S. 7 (13). Zu – gemessen am Standard des Normalarbeitsverhältnisses – prekären Erwerbsformen (wie der Arbeitnehmerüberlassung): Kraemer/Speidel, Prekäre Leiharbeit: Zur Integrationsproblematik einer atypischen Beschäftigungsform, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 119 (121).

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Beteiligten – insbesondere für die Leiharbeitnehmer – im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis mit dieser Beschäftigungsform einhergehen. Ein weiteres gesetzgeberisches Anliegen, das in den Anfangsjahren des AÜG sehr prävalent war, ist demgegenüber die Verhinderung der Umgehung arbeits- und sozialrechtlicher Pflichten durch die Verleihunternehmen. Vor dem oben erwähnten Eindruck (vgl. S. 41 f.), dass Verleiher oftmals zu Ungunsten der Leiharbeitnehmer arbeits- und sozialrechtliche Standards missachteten, sah man die Notwendigkeit, ein Kontrollregime zu errichten, um den vergleichsweise neuen Markt der Arbeitnehmerüberlassung regulativ einzuhegen.524 Hierbei handelte es sich freilich nicht um per se mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehende Risiken, sondern um Makel, die als Nebenfolge mit der boomenden Branche einhergingen. Ähnliche Gründe motivierten den Gesetzgeber letztlich auch zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe.525 Schließlich habe sich „dort unter den besonderen Bedingungen der Tätigkeit häufig wechselnder Arbeitnehmer auf wechselnden Baustellen unter dem Deckmantel der zugelassenen Arbeitnehmerüberlassung der illegale Arbeitskräfteverleih ausgedehnt“.526 Demzufolge waren in der von Schnelllebigkeit dominierten Baubranche Arbeitnehmerüberlassungen, die nicht den regulativen Vorgaben des AÜG entsprachen, besonders häufig,527 weswegen man sich insgesamt zu einem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in dieser Branche entschloss. Insbesondere die sogenannten Scheinwerkverträge, bei denen Verleihunternehmen Arbeitnehmerüberlassung als Werkverträge tarnten, um die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung (etwa die damalige Überlassungshöchstdauer) zu umgehen, waren besonders häufig.528

VI. Zwischenergebnis: Arbeitnehmerüberlassung im Spannungsfeld vielfältiger Interessen und Folgen für die Beteiligten und den Arbeitsmarkt und daher regelungsbedürftige Konfliktlage Wie die bisherigen Ausführungen gezeigt haben, ist die Arbeitnehmerüberlassung in ihren Folgen für die Betroffenen und für den Arbeitsmarkt sowie hinsichtlich der 524

Vgl. nur: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9 f. Ähnlich sind auch die frühen Feststellungen bei: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 16. 525 § 12a AFG a. F., eingeführt durch das Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) v. 22. 12. 1981, BGBl. I S. 1497. 526 Vgl. BT-Drs. 9/799 v. 9. 9. 1981, S. 32. 527 Pieroth ging davon aus, dass sich in der Bauwirtschaft zeitweise 6000 legal und 200.000 illegal beschäftigte bzw. überlassene Leiharbeitnehmer gegenüberstanden (vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 21). 528 „Umgehungsverträge“: BT-Drs. 7/2365 v. 9. 7. 1974, S. 6; 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35. Hinzu kamen noch weitere Beweggründe. Vgl. dazu unten ausführlich: S. 367 ff.

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verschiedenen Chancen und Risiken, die für die Akteure mit dieser Beschäftigungsform einhergehen können, überaus vielfältig. Die entleihenden Unternehmen bezwecken mit dem Leiharbeitnehmereinsatz in den meisten Fällen nicht etwa die Nutzung eines Rekrutierungskanals oder die Einsparung einer eigenen Personalakquise. Vielmehr geht es typischerweise darum, eine Antwort auf kurzfristig auftretende und vorübergehende bzw. in ihrer Dauer nicht absehbare Veränderungen des Personalbedarfs zu finden. In diesem Fall wird Arbeitnehmerüberlassung im obigen Sinne reaktiv eingesetzt. Daneben tritt eine aktive Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung als dauerhafte Personallösung,529 bei welcher Leiharbeitnehmer in beträchtlich größerem Umfang eingesetzt werden. Hierbei wird ein Teil der Arbeitsplätze, die typischerweise mit Stammarbeitnehmern zu besetzen wäre, dauerhaft mit (wechselnden) Leiharbeitnehmern besetzt. Diese „strategische Intensivnutzung“530 der Arbeitnehmerüberlassung ist allerdings wohl nicht flächendeckend verbreitet. Aus der Perspektive der Verleihunternehmen ist insbesondere die hohe Konjunkturanfälligkeit der Arbeitnehmerüberlassung von Bedeutung. So ist die Branche erfahrungsgemäß schnell und intensiv von konjunkturellen Schwankungen betroffen, da Entleihbetriebe in mikro- und makroökonomischen Krisenzeiten oftmals zunächst Leiharbeitnehmer abbauen und die Nachfrage nach diesen einbricht. Nicht im Interesse der Verleihunternehmen sind zudem Abwanderungsprozesse von im Einzelfall gut qualifizierten Leiharbeitskräften in die Entleihunternehmen, welche die Verleihunternehmen finanziell letztlich nur mit einer Vermittlungsprämie ausgleichen können. Gerade um diese Integrationsphänomene in die Entleihunternehmen geht es aber vielfach den Leiharbeitnehmern. Zwar werden die Besonderheiten einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung für einige Leiharbeitnehmer eine gewisse Anziehungskraft ausüben. Für die meisten Leiharbeitnehmer ist die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung aber nur ein Mittel zum Zweck. Zunächst wird sie als Reaktion auf eine drohende Arbeitslosigkeit gewählt.531 Darüber hinaus aber er529

Siehe insbesondere: Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 8 ff.; Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 104. Sowie in Bezug auf die Pflegebranche: Bräutigam/Dahlbeck/Enste/Evans/Hilbert, Flexibilisierung und Leiharbeit in der Pflege, 2010, S. 31. Vgl. auch: Jahn/Rudolph, Zeitarbeit: Auch für Arbeitslose ein Weg mit Perspektive, 2002, S. 3; Schröpfer, Die Intensität der Leiharbeitsnutzung in Deutschland, 2013, S. 32 ff.; Schenck, Arbeitnehmerüberlassung und Flexibilisierung betrieblicher Arbeitsmärkte, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 98 ff.; Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (208). 530 Vgl. Spermann, Die neue Rolle der Zeitarbeit für den Arbeitsmarkt, in: Bouncken/ Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 203 (208). 531 Hierzu insbesondere: Sehm, Entscheidung für flexible Arbeitsverhältnisse aus der Arbeitnehmerperspektive am Beispiel der Zeitarbeit, in: Bouncken/Bornewasser (Hrsg.), Flexibilität im Unternehmen, 2012, S. 75 (97); Seigis, Leiharbeiter im sozialen Abseits, 2011,

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hoffen sich viele Leiharbeitnehmer, dass eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung den Verlauf ihrer weiteren Erwerbsbiografie direkt oder indirekt positiv beeinflusst, indem sie etwa von einem Entleihunternehmen in ein reguläres Arbeitsverhältnis übernommen werden. Solche Hoffnungen werden aber in der Realität oftmals enttäuscht. Nur ein höchstens geringer zweistelliger Prozentsatz (ca. 15 %)532 der Leiharbeitnehmer wird von Entleihunternehmen übernommen. Der weitestgehend nicht quantifizierbare kausale Effekt, den die Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung auf diese Quote hat, ist hierbei noch unberücksichtigt. Für vorher Arbeitslose hingegen kann Arbeitnehmerüberlassung jedenfalls einen Türöffner zum Arbeitsmarkt insgesamt darstellen.533 Wahrscheinlicher als eine Integration in reguläre Arbeit ist hingegen auch für diese Gruppe eine Karriere in der Branche selbst. Abgesehen von dem der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten „training-on-thejob“ sind die Leiharbeitnehmer zudem weitestgehend von formaler Kompetenzentwicklung exkludiert.534 Doch auch hierüber hinaus müssen Leiharbeitnehmer viele Nachteile in Kauf nehmen. Leiharbeitsverhältnisse sind tendenziell instabiler und Leiharbeitnehmer laufen eher Gefahr, arbeitgeberseitig gekündigt zu werden.535 Zugleich sind sie etwa hinsichtlich Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Stresserleben tendenziell gefährdeter, als dies bei Stammarbeitnehmern der Fall wäre. Nicht zuletzt sind sie auch finanziell erheblich schlechter gestellt. Jedenfalls eine gewisse Aufwertung ihrer Position erfahren Leiharbeitnehmer aber, wenn Entleihunternehmen die Arbeitnehmerüberlassung aktiv und strategisch nutzen. In diesen Fällen sind sie ein fester Bestandteil der Belegschaft und die betreffenden S. 24. So auch („Hauptsache Arbeit“): Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 16. Ähnlich: Galais, Anpassung bei Zeitarbeitnehmern, 2003, S. 201, 263; Möller/Walwei/ Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/ Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (43). 532 Hierzu erneut zusammenfassend die Metaanalyse bei: Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 64. 533 Vgl. etwa: Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (48); Strotmann/Moczadlo, Beschäftigungswirkungen der Zeitarbeit aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 83 (98). 534 Vgl. hierzu: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 31 ff.; Sende/ Galais/Knubben/Moser, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 161 (163); Kraemer/Speidel, Prekäre Leiharbeit: Zur Integrationsproblematik einer atypischen Beschäftigungsform, in: Vogel (Hrsg.), Leiharbeit, 2004, S. 119 (133 f.); Nienhüser/Matiaske, Leiharbeit ist gleich gut? – Arbeitsbedingungen, Arbeitszufriedenheit und Gleichbehandlung von Leiharbeitern in Europa, in: Martin (Hrsg.), Personal als Ressource, 2003, S. 157 (180); Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (194). 535 Vgl. etwa: Promberger, Leiharbeit im Betrieb, 2006, S. 157. Siehe hierzu nun auch die Analyse der kündigungsrechtlichen Aspekte bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 117 ff.

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Kap. 2: Arbeitnehmerüberlassung als Phänomen des Arbeitslebens und -rechts

Unternehmen scheinen bei dieser Nutzungsform im Bedarfsfall Stammarbeitskräfte vor allem aus den Reihen der Leiharbeitnehmerschaft zu rekrutieren. Gleichwohl sind veritable Übernahmechancen auch hier eine Illusion,536 baut doch die aktive Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung gerade darauf auf, dass ein gehöriger Teil der Belegschaft in der Arbeitnehmerüberlassung verbleibt. Die zuletzt erwähnte Aktivnutzung der Arbeitnehmerüberlassung durch die Entleihunternehmen stellt aber für die Stammbelegschaften das Worst-Case-Szenario dar. Nicht nur baut diese Nutzungsstrategie von vornherein auf einer Substitution von Stammbelegschaften auf. Die Stammarbeitnehmer stehen hierbei auch in ständiger Konkurrenz zu Leiharbeitnehmern. Anders verhält es sich allerdings, wenn Arbeitnehmerüberlassung vom Entleihbetrieb lediglich reaktiv eingesetzt wird. Hier besteht kein ernstzunehmender Substitutionsdruck zulasten der Stammarbeitnehmer. Ein danebenstehendes Problem stellt der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher dar, der für einen stammarbeitnehmerseitig geführten Arbeitskampf katastrophale Folgen hat. Aus staatlicher Perspektive gilt es hingegen, das Flexibilisierungspotenzial der Arbeitnehmerüberlassung um seiner gesamtwirtschaftlichen Wirkkraft willen zu erhalten und zu stärken. Arbeitnehmerüberlassung hat hiernach durchaus einen berechtigten Platz in der Arbeitsmarktordnung, indem sie die Volkswirtschaft etwa gegen konjunkturelle Schwankungen robuster macht. Sie schafft darüber hinaus in gewissem Umfang zusätzliche Beschäftigung, wenngleich diese (zur Hälfte537) mit einer Ersetzung regulärer Arbeit erkauft wird. Beachtet werden muss aber, dass jegliche Vorteile dieser Beschäftigungsform letztendlich jedenfalls zum Teil auf Kosten der Leiharbeitnehmer entstehen, da die Arbeitnehmerüberlassung – jedenfalls im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis – in vielerlei Hinsicht nachteilhaft ist. Wünschenswert wäre es daher, wenn der Gesetzgeber diesem Interessenkonflikt mittels staatlicher Regulierung abhilft. Ob dies in Form des AÜG gelungen ist, bleibt noch zu prüfen. Fest steht aber, dass ein gehöriger Interessenkonflikt besteht, der staatliche Regulierung zunächst erforderlich erscheinen lässt.

536 537

Vgl. Holst/Nachtwey/Dörre, Funktionswandel von Leiharbeit, 2009, S. 45. Vgl. Jahn/Weber, Macroeconomic Dynamics 2016, 1264 (1270).

Kapitel 3

Unionsrechtliche und grundgesetzliche Determinanten des zwischen den beteiligten Akteuren bestehenden Interessenkonflikts: Arbeitnehmerüberlassung als freiheitsund schutzrechtlich aufgeladenes Spannungsfeld? Der aufgezeigte Interessenkonflikt in der Arbeitnehmerüberlassung wird – wie jeder Interessenkonflikt der Lebenswirklichkeit – durch die Vorgaben des höherrangigen Rechts aufgegriffen und überspannt. Welche Determinanten das Unions- und das Verfassungsrecht dem regulierenden AÜG-Gesetzgeber hierbei im Einzelnen vorgeben, lässt sich in einer ersten Grobrasterung dieser durch das höherrangige Recht erfolgten Überformung zunächst dadurch ausdrücken, dass danach gefragt wird, welche freiheitsrechtlichen Determinanten dem Gesetzgeber regulatorische Grenzen aufzeigen und welche schutzrechtlichen Determinanten ihn demgegenüber zum gesetzgeberischen Eingreifen bewegen. Bezogen auf den rechtstatsächlichen Interessenkonflikt zwischen den Beteiligten der Arbeitnehmerüberlassung lässt sich diese Grobrasterung vor allem auf die Frage zuspitzen, inwiefern freiheitsrechtliche Verbürgungen zugunsten der Verleih- und Entleihunternehmen und damit – verallgemeinernd gesprochen – der Arbeitgeberseite wirken und inwiefern schutzrechtliche Determinanten demgegenüber zugunsten der Leih- und Stammarbeitnehmer und somit der Arbeitnehmerseite wirken. Inwieweit einerseits das Unionsrecht in Gestalt der Leiharbeitsrichtlinie und den übergeordneten primärrechtlichen Vorgaben und andererseits das Grundgesetz in Form grundrechtlicher Verbürgungen und der Vorgaben des Sozialstaatsprinzips die Konfliktlinien der sich gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten durch freiheits- und schutzrechtliche Determinanten prägen, ist daher folgend zu eruieren.

136 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts: Der verbindliche Regelungsrahmen der Leiharbeitsrichtlinie und die Wertungen des Primärrechts Der europäische Gesetzgeber ist im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nicht inaktiv geblieben. Spätestens seit der erfolgreichen Verabschiedung der Leiharbeitsrichtlinie (RL 2008/104/EG) am 19. November 2008 überformt und befruchtet das Europarecht die nationale Gesetzgebung. Doch nicht nur die vieldiskutierte Leiharbeitsrichtlinie spielt eine tragende Rolle. Auch die Bestimmungen des Primärrechts muss der nationale Gesetzgeber bei der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung und der ihr innewohnenden Interessenkonflikte beachten.

I. Erste Determinante: Die (sekundärrechtliche) Leiharbeitsrichtlinie Der zentrale Grundstein europarechtlicher Regulierung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ist zunächst die Leiharbeitsrichtlinie. Ihre gewichtige Rolle hat sie aber zweifelsohne nicht nur ihrem Regelungsgehalt zu verdanken, sondern vielmehr auch der Tatsache, dass ihr eine beachtliche Serie an vorangegangenen Regulierungsversuchen auf europäischer Ebene vorausging (siehe hierzu S. 52 ff.). Als erstes1 nennenswertes Resultat jahrzehntelanger Bemühungen verdient die Leiharbeitsrichtlinie demgemäß besondere Aufmerksamkeit. 1. Grundkonzeption und Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie Zunächst sollen die aus den Erwägungsgründen ersichtliche und in den Kontext der übrigen europarechtlichen Arbeitsmarktpolitik einzuordnende Grundkonzeption der Richtlinie und ihr Anwendungsbereich herausgearbeitet werden. a) Die Leiharbeitsrichtlinie im Kontext unionsrechtlicher Arbeitsmarktpolitik und das Konzept der Flexicurity Die Richtlinie nimmt in ihren Erwägungsgründen unmissverständlich auf die arbeitsmarktpolitischen Bemühungen um eine verbesserte Vereinbarkeit von Flexibilität und Sicherheit auf europäischer Rechtsetzungsebene Bezug.2 Insbesondere 1

Sofern man die Richtlinie 91/383/EWG des Rates v. 25. 6. 1991 zur Ergänzung der Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Arbeitnehmern mit befristetem Arbeitsverhältnis oder Leiharbeitsverhältnis nicht miteinbezieht. 2 Siehe die Erwägungsgründe 8 und 9 RL 2008/104/EG.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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wird hierzu auf die „vereinbarten gemeinsamen Flexicurity-Grundsätze (…), die auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Flexibilität und Sicherheit auf dem Arbeitsmarkt abstellen (…)“ rekurriert.3 Hiermit wird die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch die Leiharbeitsrichtlinie in eine Reihe gestellt mit einem wesentlichen Ziel europäischer Arbeitsmarktpolitik im Bereich der atypischen Beschäftigungsverhältnisse: Dem Streben nach „Flexicurity, d. h. [der] Strategie zur gleichzeitigen Stärkung von Flexibilität und Sicherheit zugunsten beider am Beschäftigungsverhältnis beteiligten Parteien“.4 Den Hintergrund der „Flexicurity“-Idee bildet die Erkenntnis, dass die Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten aufgrund von fortschreitender europäischer Wirtschaftsintegration, Globalisierung, technischem Fortschritt und demografischem Wandel erheblichen Umstrukturierungen unterworfen sind,5 die auch vor Arbeitsinhalten und Beschäftigungsformen nicht Halt machen.6 Diesem Umstand will die Idee der „Flexicurity“ Rechnung tragen, indem einerseits anerkannt wird, dass Unternehmen ein „ausreichendes Maß an Flexibilität“ in Form von atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie der Arbeitnehmerüberlassung, der Teilzeitarbeit oder den befristeten Arbeitsverhältnissen benötigen, „um ihre Anpassungsfähigkeit zu verbessern“, während aber gleichzeitig „den Arbeitnehmern eine wirksame Beschäftigungssicherheit in Aussicht gestellt werden muss“.7 Der „Flexicurity“ geht es aber nicht nur um eine einseitige Gewährung von unternehmerischer Flexibilität auf der einen und Beschäftigungs- und Rechtssicherheit für die Arbeitnehmer auf der anderen Seite.8 Vielmehr soll gerade diese „zu enge Sichtweise“ überwunden werden und dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sowohl Arbeitnehmer mehr „Flexibilität, um ihr Privat- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können“ benötigen, während auch für Arbeitgeber „insbesondere Rechtssicherheit“ von zentraler Wichtigkeit sei.9 Im Einzelnen sollen 3

Siehe Erwägungsgrund 9 RL 2008/104/EG. Vgl. den Bericht der Flexicurity-Kommission, Rat der Europäischen Union – 17047/08, S. 3. Auf eine lange Tradition als europäisches Arbeitsmarktkonzept kann die „Flexicurity“ indes nicht zurückblicken, vielmehr wurde sie beinahe zeitgleich mit der Leiharbeitsrichtlinie von der Kommission eingebracht und im Folgenden vom Rat gebilligt. Siehe hierzu die Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM (2007) 359 endgültig sowie im Folgenden den Bericht der Flexicurity-Kommission zur Umsetzung der gemeinsamen Grundsätze für den „Flexicurity“-Ansatz im Rahmen des Zyklus 2008 – 2010 der Lissabon-Strategie, Dezember 2008, Rat der Europäischen Union – 17047/08. Siehe auch das Grünbuch (Ein moderneres Arbeitsrecht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts) der Kommission: KOM (2006) 708 endgültig, S. 5 ff. 5 Vgl. Mitteilung der Kommission, KOM (2007) 359 endgültig. 6 Vgl. Bericht der Flexicurity-Kommission, Rat der Europäischen Union – 17047/08, S. 4. 7 Vgl. Bericht der Flexicurity-Kommission, Rat der Europäischen Union – 17047/08, S. 4. 8 Vgl. Bericht der Flexicurity-Kommission, Rat der Europäischen Union – 17047/08, S. 4. 9 Vgl. Bericht der Flexicurity-Kommission, Rat der Europäischen Union – 17047/08, S. 4; Mitteilung der Kommission, KOM(2007) 359 endgültig. 4

138 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

„flexible und zuverlässige vertragliche Vereinbarungen“ gesetzlich garantiert sowie „moderne Systeme der sozialen Sicherheit“, die eine angemessene Einkommenssicherung bieten, forciert werden. Gleichzeitig sollen aber auch „umfassende Strategien des lebenslangen Lernens, durch die sich die ständige Anpassungsfähigkeit und Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitnehmer gewährleisten lassen“, und „wirksame aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, die Übergänge zu neuen Arbeitsverhältnissen erleichtern“, entwickelt werden. Unter anderem sollen also der unternehmerischen Flexibilität dienende flexible Arbeitsformen im Ergebnis sozialverträglich ausgestaltet und diese gleichzeitig als probates personalplanerisches Mittel anerkannt werden. Zugleich wird die Fokussierung auf das Normalarbeitsverhältnis als Idealzustand nicht aufgegeben.10 Die Implementierung der „Flexicurity“-Idee auf europäischer Ebene greift indes eine zeitlich vorangegangene Debatte in der sozialwissenschaftlichen Literatur auf,11 in der das Konzept teilweise anders interpretiert wird. Hier wird „Flexicurity“ gemeinhin nicht so verstanden, dass es um eine gleichzeitige Gewährung von Flexibilität und Schutz auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite gehe. Vielmehr versucht das Konzept nach dem dortigem Verständnis nur eine Balance zwischen einerseits Unternehmens- und Arbeitsmarktflexibilität und andererseits den damit ggf. einhergehenden Risiken für die Beschäftigten zu finden.12 Demgemäß stehen sich nach diesem Begriffsverständnis das Flexibilitätsbedürfnis der Arbeitgeber- und das Sicherheitsbedürfnis der Arbeitnehmerseite gegenüber. Auf diese Weise – der Konzeption von „Flexicurity“ in der Literatur augenscheinlich folgend – wird teilweise auch die Leiharbeitsrichtlinie interpretiert.13 Der europäische Gesetzgeber will die Richtlinie aber offenbar nicht als lediglich einseitig die Unternehmensflexibilität und die Arbeitnehmersicherheit fördernd verstanden 10 Anders lassen sich die Ausführungen der Kommission, dass die „Flexicurity“ nicht besage, dass „das Konzept unbefristeter Verträge veraltet ist“ (vgl. Mitteilung der Kommission, KOM[2007] 359 endgültig), nicht verstehen. So i. E. auch: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 31. 11 Zur sozialwissenschaftlichen Debatte: Klammer/Tillmann, Flexicurity: Soziale Sicherung und Flexibilisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse, 2001, S. 11 ff.; Kronauer/ Linne, Einleitung: Flexicurity – Leibild, Rhetorik oder halbherziger Kompromiss?, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 9 ff.; Tangian, Liberal and Trade-Unionist Concepts of Flexicurity, 2004, S. 2; Wilthagen/Tros, Transfer 2004, 166 (170). 12 Vgl. Kronauer/Linne, Einleitung: Flexicurity – Leibild, Rhetorik oder halbherziger Kompromiss?, in: Kronauer/Linne (Hrsg.), Flexicurity, 2007, S. 9 (15). Siehe hierzu auch insbesondere die Definition bei: Tangian, Liberal and Trade-Unionist Concepts of Flexicurity, 2004, S. 2. Diese findet sich nahezu identisch auch bei: Wilthagen/Tros, Transfer 2004, 166, 170 („Flexicurity is a policy strategy that attempts, synchronically and in a deliberate way, to enhance the flexibility of labour markets, work organization and labour relations on the one hand, and to enhance security – employment security and social security – notably for weak groups in and outside the labour market on the other hand“). 13 Vgl. Rieble, Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 97 (98 f.) („Die Richtlinie 2008/104/EG (…) versucht einen Ausgleich zwischen Marktfreiheit und Arbeitnehmerschutz“).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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wissen.14 Die Richtlinieninhalte selbst legen allerdings nahe, dass es ihr – parallel zum Verständnis der „Flexicurity“ in der sozialwissenschaftlichen Debatte – vorwiegend um den Versuch einer Vereinbarung von unternehmerischer Freiheit und den hierin zu verortenden Flexibilitätsinteressen sowie um den Schutz der Leiharbeitnehmer geht.15 Zweifelhaft ist jedoch, ob die Richtlinie in ihrer Grundkonzeption bereits dem Leiharbeitnehmerschutz den Vorrang gewährt bzw. diesen als regulatorisches Ziel in den Vordergrund stellt.16 Begründet wird derartiges teilweise damit, dass die Richtlinie in ihrer Zielbestimmung (Art. 2 RL 2008/104/EG) vom „Schutz der Leiharbeitnehmer“ spricht, während demgegenüber nur ein „angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit“ zu garantieren sei.17 Ferner wird angeführt, dass die „Flexicurity“-Idee selbst bereits maßgeblich auf den Arbeitnehmerschutz zugeschnitten sei und demgemäß auch innerhalb der auf dieses Konzept Bezug nehmenden Richtlinie der Leiharbeitnehmerschutz das vorrangige Ziel sei.18 Solch eine Interpretation der Richtlinie ist aber keineswegs zwingend.19 Zum einen ist dem „Flexicurity“-Grundsatz weder in der ursprünglichen sozialwissenschaftlichen Debatte noch in der unionsrechtlichen Regelungshistorie eine eindeutige Schlagseite in Richtung des Wortbestandteils „Security“ zu entnehmen. Vielmehr ging es stets um eine Verbindung der antagonistischen Zielrichtungen Flexibilität und Sicherheit.20

14 So geht er bspw. explizit davon aus, dass die Richtlinie „nicht nur dem Flexibilitätsbedarf der Unternehmen, sondern auch dem Bedürfnis der Arbeitnehmer, Beruf und Privatleben zu vereinbaren“ entspreche (siehe Erwägungsgrund 11 RL 2008/104/EG). 15 Siehe nur Art. 4 und Art. 5 – 8 der Richtlinie sowie die Erwägungsgründe 11, 12, 23, ferner das in Art. 2 formulierte Ziel der Richtlinie („Ziel dieser Richtlinie ist es, für den Schutz der Leiharbeitnehmer zu sorgen, […] wobei zu berücksichtigen ist, dass ein angemessener Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit festgelegt werden muss, um wirksam zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Entwicklung flexibler Arbeitsformen beizutragen.“). I. E. auch: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 2 Rn. 1; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 69; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 30; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 448. 16 So aber eine verbreitete Lesart bei: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 59; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 130; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 449; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 131. 17 Vgl. etwa: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 449. 18 Vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 116, 131. 19 Daher richtigerweise zweifelnd: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmer-überlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 71 ff. 20 Vgl. Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.11 („antagonistische Ziele“).

140 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Zum anderen aber lässt sich auch aus den Formulierungen der Richtlinie ein eindeutiges Rangverhältnis dieser beiden Motive nicht herauslesen.21 Insbesondere kann die Tatsache, dass die Richtlinie mehrere arbeitnehmerschützende Vorschriften (Art. 5 – 8 RL 2008/104/EG) enthält und in ihren Zielbestimmungen einerseits vom „Schutz der Leiharbeitnehmer“ und andererseits (nur) vom „angemessenen Rahmen für den Einsatz von Leiharbeit“ spricht, auch anders erklärt werden. Schließlich ist das Flexibilitätsinteresse der Unternehmen ohnehin bereits Ausdruck freiheitlicher unternehmerischer Entscheidungen, zu deren Schutz und Förderung der Unionsgesetzgeber nichts anderes tun muss, als den Mitgliedstaaten einen „angemessenen Rahmen“ zur Gewährung dieser Freiheitsbetätigung vorzugeben.22 Den Schutz der Leiharbeitnehmer hingegen gilt es gegenüber den Unternehmensinteressen durchzusetzen und zu gestalten. Es stehen sich also einerseits das Unterlassen weitergehender Freiheitseingriffe und andererseits das aktive Durchsetzen von Schutzstandards gegenüber. Naturgemäß erfordert letztere Option ein Mehr an expliziten Regelungen. Hieraus kann nicht der Rückschluss gezogen werden, der entsprechende Schutzaspekt würde von vornherein schwerer wiegen. Insgesamt schützt die Richtlinie also beides gleichermaßen nebeneinander: Die unternehmerische Flexibilität bei der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung und den Schutz der Leiharbeitnehmer. Aus der Verbindung beider Ziele ergibt sich der in Art. 2 der Richtlinie vorgegebene „angemessene Rahmen“ für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung.23 Freilich hindert dies nicht, einzelne Vorschriften der Richtlinie – je nach ihrem Regelungsgehalt – arbeitnehmer- oder arbeitgeberschützend auszulegen.24 Eine allgemeine Stoßrichtung der Richtlinie im Sinne eines „in dubio pro Leiharbeitnehmerschutz“,25 die bei ihrer Auslegung zu beachten wäre, gibt es hingegen nicht.26 21 Pant weist richtigerweise darauf hin, dass den arbeitnehmerschutzbetonenden Erwägungsgründen 12 und 23 und Art. 5 – 8 der Richtlinie auch die Zielbestimmung aus Art. 2, die Leiharbeitnehmerschutz und den betrieblichen Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung als nebeneinanderstehende Ziele nennt sowie die Erwägungsgründe 2, 8 und 11 und Art. 4 gegenüberstehen (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 71). 22 So geschehen in Art. 4 RL 2008/104/EG. Vgl. zum Schutz der entsprechenden Freiheiten durch das Primärrecht: S. 206 ff. 23 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 2 Rn. 1. 24 Vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 72. 25 So aber: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 72 („bei Unklarheiten im Zweifel für den Arbeitnehmerschutz“). 26 So i. E. auch: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (109); Junker, ZfA 2016, 197 (199); Kolbe, in: Franzen/Gallner/ Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 2 Rn. 1.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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b) Anwendungsbereich der Leiharbeitsrichtlinie Die Leiharbeitsrichtlinie gilt gem. Art. 1 Abs. 1 für „Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.“ Erforderlich ist also für den (Leih-)Arbeitsvertrag, dass der Leiharbeitnehmer beim Leiharbeitsunternehmen angestellt ist, „um einem entleihenden Unternehmen überlassen zu werden und dort unter dessen Aufsicht und Leitung vorübergehend zu arbeiten“.27 Damit stellt die Richtlinie klar, dass eine kausale Verknüpfung zwischen Leiharbeitsvertrag und Überlassung vonnöten ist.28 Ferner gilt die Richtlinie für „öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht“.29 Auf den ersten Blick fraglich ist aber, ob die Richtlinie als „Leiharbeitsunternehmen“ nur reine Verleihbetriebe oder auch Mischbetriebe30 erfasst.31 Vor dem Hintergrund, dass es das erklärte Ziel der Richtlinie ist, einen harmonisierten und einheitlichen Rahmen für die Regulierung in den Mitgliedstaaten zu schaffen und in Anbetracht der Tatsache, dass bspw. in Deutschland ein erheblicher Teil der Verleihunternehmen Mischbetriebe sind, erscheint es aber kaum dem Willen des Unionsgesetzgebers zu entsprechen, Mischbetriebe nicht als „Leiharbeitsunternehmen“ anzusehen.32 Gemäß Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten zudem solche Arbeitsverträge, die im „Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen wurden“, vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausschließen. Nicht aus dem Anwendungsbereich ausschließen dürfen die Mitgliedstaaten in Teilzeit oder befristet angestellte Leiharbeitnehmer.33 Im Übrigen aber erfasst die Richtlinie jede Spielart der Arbeitnehmerüberlassung zu jedwedem

27

Art. 3 Abs. 1 c) RL 2008/104/EG; sowie gleichbedeutend auf das Leiharbeitsunternehmen bezogen in Art. 3 Abs. 1 b) RL 2008/104/EG. Nach früherem (deutschem) Verständnis erfasst die Richtlinie demgemäß nur unechte Leiharbeit. Hierzu: Boemke, RIW 2009, 177 (178); Waas, ZESAR 2009, 207 (209). 28 Vgl. Boemke, RIW 2009, 177 (178). 29 Siehe Art. 2 Abs. 2 RL 2008/104/EG. Diese Fokussierung auf alle Unternehmen, die „wirtschaftliche Tätigkeiten“ – auch unabhängig von Erwerbszwecken – ausüben, ist weiter gefasst als das deutsche AÜG a. F. Siehe hierzu bereits einführend oben: S. 30, dort Fn. 4. 30 Zur Zusammensetzung der Verleihbetriebe und zu dieser Unterscheidung: S. 81 f. 31 Hierzu: Hamann, EuZA 2009, 287 (297 f.). 32 So i. E. auch: Hamann, EuZA 2009, 287 (297); Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (481). 33 Siehe Art. 3 Abs. 2 UnterAbs. 2 RL 2008/104/EG.

142 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

betrieblichen Zweck, solange nur eine Arbeitnehmerüberlassung nach dem oben gegebenen Verständnis vorliegt.34 2. Wesentliche Inhalte Von zentraler Bedeutung ist nun, inwieweit die konkreten inhaltlichen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber einerseits freiheitsrechtliche regulatorische Grenzen in Bezug auf eine Beschneidung der Arbeitnehmerüberlassung aufzeigen, und welche schutzrechtlichen Vorgaben andererseits spezifische Gesichtspunkte des Leiharbeitnehmerschutzes aufgreifen. Es gilt daher, zu ergründen, wie genau der Unionsgesetzgeber die der „Flexicurity“-Idee (vgl. S. 136 ff.) zugrundeliegende Verheiratung von Freiheit und Sicherheit in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung in konkrete Regelungsvorgaben übersetzt hat. Analysiert werden also die Regelungselemente der Richtlinie, die etwa die für die Entleihunternehmen zulässige Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung festlegen, sowie die Regelungen, welche die für die Leiharbeitnehmerschaft bestehenden Risiken einzugrenzen und die maßgeblichen Chancen zu verstärken suchen.35 a) Die „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung Eine erste mutmaßliche Regulierungsentscheidung hinsichtlich der zulässigen Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung nimmt die Richtlinie bereits beim Abstecken des Anwendungsbereiches in ihrem Art. 1 vor, wenn dort davon die Rede ist, dass die Richtlinie für Leiharbeitnehmer gilt, die „vorübergehend“ überlassen werden. Der Ausdruck wiederholt sich in den Begriffsbestimmungen der Richtlinie.36 Welcher normative Gehalt dieser Wendung zukommt, ist indes fraglich.

34 Dies zeigt sich auch insbesondere daran, dass es den Mitgliedstaaten gem. Art. 3 Abs. 2 UnterAbs. 2 der Richtlinie nicht möglich sein soll, „Personen (…), die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind“ vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Hiermit will der Unionsgesetzgeber bewirken, dass es für die Geltung der Richtlinie nicht darauf ankommen soll, ob ein konkretes Arbeitsverhältnis nach den nationalen Bestimmungen als Leiharbeitsverhältnis eingeordnet wird, sondern die in der Richtlinie aufgestellten Kriterien hierfür bestimmend sein sollen. Vgl. hierzu den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern, KOM (2002) 149 endgültig, S. 16; sowie auch Waas, ZESAR 2009, 207 (209). 35 Nicht gesondert eingegangen wird hier daher auf Art. 9 und Art. 11 – 14 der Richtlinie. 36 Vgl. Art. 3 Abs. 1 b) – e) RL 2008/104/EG.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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aa) Unionsrechtliche Regulierung der Dauer der Überlassung durch das Merkmal „vorübergehend“? Für heftigen und andauernden37 Streit hat alsbald nach dem Erlass der Richtlinie insbesondere die Frage geführt, wie angesichts der Fokussierung der Richtlinie auf „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung mit solcher Arbeitnehmerüberlassung umzugehen sei, die nicht als „vorübergehend“ eingeordnet werden kann. Nicht „vorübergehend“ ist zunächst nach allgemeinem Sprachverständnis, was kein vorherbestimmtes Ende hat.38 Mit anderen Worten geht es daher um die Frage, wie mit nicht nur „vorübergehender“, sondern dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung ausweislich der Richtlinie zu verfahren ist. Die hierzu vorgelagerte Frage ist, ob dem Merkmal „vorübergehend“ überhaupt eine zeitliche oder sachliche Regelungskomponente entnommen werden kann und von dieser ausgehend differenziert werden kann, in welchem Fall eine Überlassung noch als „vorübergehend“ eingestuft werden kann. Die Meinungen zu diesem Fragenkomplex gehen deutlich auseinander. Einige Stimmen im arbeitsrechtlichen Schrifttum39 sehen in der Bezeichnung lediglich ein deskriptives Element, das keinen eigenen Regelungsgehalt enthalte, sondern den typischen Fall der Arbeitnehmerüberlassung beschreibe und eine Anwendung der Richtlinie auf nicht „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung folglich unberührt

37 Siehe nur die jüngsten umfangreicheren monografischen – sich teils fundamental entgegenstehenden – Beiträge zum Komplex der (vermeintlich) unionsrechtlich durch das Merkmal „vorübergehend“ determinierten Begrenzungen der Arbeitnehmerüberlassung: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 151 ff.; Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 75, 125; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 210 ff.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 74 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 125 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 130 f.; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 112, 184; Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 218 ff. 38 Anders lässt sich „vorübergehend“ (bzw. die Bezeichnungen in der englischsprachigen und französischsprachigen Version der Richtlinie: temporarily, temporaire) nicht verstehen. Siehe hierzu den Eintrag im Duden, wo „vorübergehend“ als „nur zeitweilig, nur eine gewisse Zeit dauernd; momentan“ erläutert wird (vgl. Duden online, abrufbar unter: https://www.du den.de/rechtschreibung/voruebergehend, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Eine umfassende Darstellung aller Sprachfassungen findet sich bei: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 44 f. 39 So etwa: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 100; Boemke, RIW 2009, 177 (179); ders., Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (112); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 62; Lembke, DB 2011, 414 (415); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 125 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 130 f.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (490).

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ließe. Andere Stimmen40 wiederum sehen in dem Merkmal eine regulierende Begrenzung von Überlassungen und ziehen daraus den Schluss, dass sich die Richtlinie nur auf „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung beziehe und dass die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung im Umkehrschluss unionsrechtlich ungeregelt sein solle. Verbreitet ist hingegen aber auch die Ansicht,41 nach der die Fokussierung der Richtlinie auf die „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung eine Regelungskomponente und zugleich ein implizites Verbot dauerhafter Überlassungen enthält. Der Hintergrund dieser Unklarheiten ist vor allem derjenige, dass die Richtlinie selbst dazu schweigt, wann Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ einzuordnen ist und was daraus folgt, wenn dies nicht der Fall ist.42 Insbesondere werden in der Richtlinie keine Rechtsfolgen wie etwa Sanktionen mit einer nicht „vorübergehenden“ Überlassung verknüpft.43 Vor dem Erlass der Richtlinie war die Wendung „vorübergehend“ im deutschen Recht im Kontext der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung allerdings nicht unbekannt. Seit dem Erlass des AÜG im Jahr 1972 war namentlich die konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung dann privilegiert und unterfiel nicht dem Anwendungsbereich des AÜG, wenn der hierbei überlassene Leiharbeitnehmer „seine Arbeit vorübergehend nicht bei seinem Arbeitgeber leistet“.44 Nicht nur vorübergehende konzerninterne Arbeitnehmerüberlassung sollte demgegenüber nicht privilegiert werden und den Restriktionen des AÜG unterfallen.45 Als nicht vorüber40 So die Ansicht von: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 75, 125; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 59 f.; Steinmeyer, DB 2013, 2740 (2741); Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 221; Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632 (634). 41 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 168; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 117; Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 611; dies./Schüren, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern, 2014, S. 18; dies./Schüren, NZA 2014, 569 (570); Deinert, RdA 2017, 65 (77); Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 44 f.; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); ders., NZA 2015, 904 (905); Kiss/Blankó, EuZA 2010, 208 (214); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 78, 92; Leuchten, NZA 2011, 608 (609); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 460; Schüren/Wank, RdA 2011, 1 (3); Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 112, 184; Wank, RdA 2017, 100 (109); Ulber, AuR 2010, 10 (11.). 42 Vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 464. 43 Hierauf hinweisend: Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (486); Rieble, Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 97 (102 f.). 44 § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG in der Fassung bis zur Änderung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes v. 28. 4. 2011 (BGBl. I S. 642). 45 Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 596 f.

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gehend und daher nicht privilegiert sah man die „endgültige“ Arbeitnehmerüberlassung an, deren Vorliegen man aus einer Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls ermittelte.46 Ein durch den Gesetzgeber selbst nicht näher konkretisiertes Merkmal „vorübergehend“ war also auch im deutschen Rechtskosmos im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bekannt. Im Unterschied zur Verwendung dieses Terminus in der Leiharbeitsrichtlinie sah das AÜG aber vor, wie mit nicht „vorübergehender“ Arbeitnehmerüberlassung zu verfahren war. An diese Erfahrungen mit dem unbestimmten Rechtsbegriff „vorübergehend“ im Kontext der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung knüpfte der deutsche Gesetzgeber anlässlich der Umsetzung der Richtlinie an, indem das Merkmal „vorübergehend“ wortlautgetreu in das deutsche AÜG übernommen wurde.47 Der Gesetzgeber sah sich offenkundig durch die hiermit vermeintlich einhergehende Vorgabe der Richtlinie, Arbeitnehmerüberlassungen zeitlich zu begrenzen, dazu motiviert, diese so verstandene „flexible Zeitkomponente“ unmittelbar zu übernehmen.48 In der nationalen Debatte wurde das neue Merkmal im AÜG dem folgend im Wesentlichen ebenfalls als zeitliche Regelungskomponente und zugleich als Verbot hierüber hinausgehender Überlassungen verstanden.49 Die Interpretation des Merkmals „vorübergehend“ durch den nationalen Gesetzgeber ist in Bezug auf die Frage, wie der gleichlautende Begriff in der Leiharbeitsrichtlinie auszulegen ist, allerdings nicht entscheidend. Welche regulative Vorgabe aus dem Merkmal „vorübergehend“ zu entnehmen ist, kann sich vielmehr nur aus der Analyse der Richtlinie selbst ergeben.50 Die diesbezügliche Auslegungsfrage hat in jüngster Zeit einen maßgeblichen Impuls von Seiten des EuGH erhalten, der sich in Bezug auf die Rechtssachen C-681/ 1851 und C-232/2052 zum Gehalt der Richtlinienbestimmung „vorübergehend“ äußerte. Obwohl die dortigen Ausführungen hinsichtlich der Streitfrage um den regulativen Inhalt der Bestimmung viel zur Aufklärung beigetragen haben (siehe etwa S. 157 ff.), muss das diesbezüglich in der Literatur vertretene Meinungsspektrum aus zwei Gründen dennoch analysiert werden. Zum einen lassen sich die Ausführungen des Gerichts überhaupt nur vor dem Hintergrund des lange geführten Streits um das Merkmal „vorübergehend“ nachvollziehen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das 46 Vgl. BAG, Urt. v. 21.3.1990 – 7 AZR 198/89, NZA 1991, 269 (273); Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (486); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 465. 47 § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a. F. lautete: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend“. 48 Vgl. BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 8. 49 Statt vieler: BAG, Beschl. v. 10.7.2013 – 7 ABR 91/11, NJW 2014, 331 (336); weiterführend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 295. 50 Offengelassen bei: BAG, Beschl. v. 10.7.2013 – 7 ABR 91/11, NJW 2014, 331 (335). 51 EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 ff. 52 EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 ff.

146 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Merkmal sowohl von Literaturstimmen – vor allem den Vertretern der sogleich erstgenannten Ansicht – als auch vom EuGH (vgl. S. 185 ff.) mit dem in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG normierten Missbrauchsverbot in Verbindung gebracht wird, welches seinerseits Gegenstand von Auslegungsstreitigkeiten ist. Hierdurch wird die Streitfrage um den Gehalt von „vorübergehend“ erheblich komplexer. Zum anderen aber dauert der genannte Streit trotz der Stellungnahmen des EuGH an, da diese zum Teil von den Vertretern der entsprechenden Ansichten unter Verweis auf Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG in die eine oder andere Richtung interpretiert werden.53 Dem Inhalt von „vorübergehend“ lässt sich daher nur im Lichte der im Folgenden zu betrachtenden Auseinandersetzung nachgehen. (1) Verbot der dauerhaften Überlassung und beschränkende Vorgabe zur Überlassungsdauer durch das Merkmal „vorübergehend“? Vorherrschend ist in der bisherigen Debatte zunächst die Ansicht, dass der Unionsgesetzgeber durch das Merkmal „vorübergehend“ zum einen den Mitgliedstaaten eine die Überlassungsdauer beschränkende Vorgabe gemacht und zum anderen dauerhafte Überlassungen verboten habe.54 Zurückzuführen sei dies nach den Vertretern dieser Ansicht zunächst auf die Entstehungsgeschichte der Richtlinie. So habe sich der Unionsgesetzgeber mit der gezielten Einfügung des Merkmals „vorübergehend“ bewusst für eine Beschränkung

53 Siehe hierzu die jüngsten und in der Sache gegenteiligen Interpretationen der genannten Urteile in der Literatur. So etwa im Wesentlichen wie hier: Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 (248 f.); Franzen, NZA 2021, 24 (27); ders., EuZA 2021, 143 (163); Feuerborn, EuZA 2022, 109 (117); Mückl/Bähr, EWiR 2022, 312 (313 f.); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2020, 756. Demgegenüber a. A.: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 297; Klengel, AuR 2021, 181 (185); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20. Hamann leitet aus der Bestimmung gar – trotz der genannten Judikate der sogleich erstgenannten Ansicht entsprechend – jüngst einen konkreten Arbeitsplatzbezug her (vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 302 ff.). 54 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 168; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 117; Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 611; dies./Schüren, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern, 2014, S. 18; dies./Schüren, NZA 2014, 569 (570); Deinert, RdA 2017, 65 (77); Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 44 f.; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 105 f.; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); ders., NZA 2015, 904 (905); Kiss/Blankó, EuZA 2010, 208 (214); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 78, 92; Leuchten, NZA 2011, 608 (609); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 460; Schüren/Wank, RdA 2011, 1 (3); Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 112, 184; Wank, RdA 2017, 100 (109); Ulber, AuR 2010, 10 (11.). Dies deckt sich im Wesentlichen mit der soeben erläuterten Interpretation der Richtlinienbestimmung durch den die Richtlinie ursprünglich umsetzenden Gesetzgeber.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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auf nur „vorübergehende“ Überlassungen entschieden.55 In der Tat wurde das Merkmal erstmalig am 20. Oktober 2002 durch einen Bericht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten in die Begriffsbestimmungen zu Leiharbeitnehmern, Verleih- und Entleihunternehmen in einen (freilich später gescheiterten) Richtlinienvorschlag der Kommission eingefügt.56 Die Begriffsbestimmungen sollten aber lediglich der Klarstellung und Vollständigkeit dienen.57 Von einem allein aus diesem Grund angenommenen Regelungs- und Verbotscharakter des hierbei verwendeten Merkmals „vorübergehend“ kann daher keine Rede sein. Übersetzt wurde das hier erstmalig verwendete Merkmal „temporarily“ zunächst mit „zeitweilig“. In einem folgenden Änderungsvorschlag der Kommission wurde das Merkmal beibehalten, zusätzlich in die Beschreibung des Anwendungsbereichs der Richtlinie eingefügt und nun mit „befristet“ übersetzt.58 Diese Verwendung des Merkmals und dessen Übersetzung in die deutsche Version der Richtlinie fanden so auch Einzug in die Leiharbeitsrichtlinie vom 19. November 2008.59 Aus dieser Regelungshistorie könne man daher schließen, dass mit der bewussten Einführung des Merkmals „temporarily“ eine materielle Regelungswirkung der oben beschriebenen Art einhergehe.60 Gestützt wird dieses Ergebnis insbesondere auch auf Art. 5 Abs. 5 Satz 1 sowie auf Art. 6 der Richtlinie. Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG verpflichtet die 55 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 206; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 44; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 105 f.; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 460; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 104 f. 56 Siehe näher zur Entstehungsgeschichte der Leiharbeitsrichtlinie und den ihr vorangegangenen europäischen Regulierungsversuchen: S. 52 f. Vgl. zum hier benannten Richtlinienvorschlag den Bericht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern v. 23. 10. 2002, A5 – 0356/2002 endgültig, S. 20 ff. 57 Siehe hierzu die Begründungen zur Einfügung der Begriffsbestimmungen ab S. 20 des vorgenannten Berichts („It seems inappropriate to leave a Directive on temporary agency work without a definition of a temporary agency worker.“; „It seems inappropriate to leave a Directive on temporary agency work without a definition of a temporary work agency.“; „For completeness, given how critical the term is to the previous definitions, it seems appropriate to have a definition of ,user undertaking‘.“). 58 Geänderter Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern v. 28. 11. 2002, KOM (2002) 701 endgültig, S. 8 ff. 59 Siehe hierzu insbesondere den Gemeinsamen Standpunkt (EG) Nr. 24/2008 vom Rat, festgelegt am 15. 9. 2008 im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Leiharbeit, C 254 E/04, S. 2 f. 60 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 206; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 44; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 105 f.; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 460; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 104 f.

148 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Mitgliedstaaten dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, „um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern und um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern“ (vgl. hierzu ausführlich S. 178 ff.). Aus dem letzten Teilsatz wird hergeleitet, dass dann, wenn „aufeinander folgende Überlassungen“ nach der Vorstellung des Richtliniengebers eine Umgehung der Bestimmungen der Richtlinie darstellen könnten, dies erst recht für dauerhafte Überlassungen gelten müsse.61 Schließlich sei das Merkmal „vorübergehend“ eine materielle Bestimmung der Richtlinie, die offenbar durch aufeinanderfolgende Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers dergestalt umgangen werden könne, dass faktisch eine nicht nur „vorübergehende“ Überlassung entstehe. Nach dieser Lesart umgehe eine dauerhafte Überlassung diese begrenzende Vorgabe daher ebenso. Darüber hinaus wird auch Art. 6 der Richtlinie angeführt. Hierin wird unter anderem festgelegt, dass die Leiharbeitnehmer „über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet“ werden müssen (vgl. Art. 6 Abs. 1 RL 2008/104/EG). Hieraus wird gemeinhin hergeleitet, dass der europäische Gesetzgeber die integrative Funktion der Arbeitnehmerüberlassung forcieren wollte.62 Wenn aber Leiharbeitnehmer dauerhaft entliehen werden dürften, gäbe es für die Entleihunternehmen weniger Anreize, Leiharbeitnehmern den Zugang zu Dauerbeschäftigungen im Entleihunternehmen zu eröffnen.63 Das integrative Potenzial der Arbeitnehmerüberlassung wäre in diesem Fall erheblich reduziert. Daher sei es nach dieser Ansicht mit dem ausweislich Art. 6 der Richtlinie erklärten Ziel des Richtliniengebers nicht vereinbar, dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung zuzulassen bzw. Überlassungen nicht zeitlich zu begrenzen,64 was für eine Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ als zeitliche Begrenzungsvorgabe spreche. 61

Vgl. hierzu: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 117; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 45; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 74 ff.; Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 29; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 106. 62 Dass Art. 6 der Richtlinie unter anderem diesem Ziel dient, ist zunächst unstreitig. Vgl. hierzu: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 1; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.92. Siehe detaillierter unten: S. 195 ff. 63 Siehe etwa: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 144; Hamann, EuZA 2009, 287 (312). 64 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 45; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 144; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 108.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Das Merkmal „vorübergehend“ weist nach dieser Ansicht also eine regulierende Natur auf, nach der die Arbeitnehmerüberlassung zeitlich begrenzt wird und jede nicht zeitlich begrenzte und damit dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung unmittelbar durch die Richtlinie verboten wird. Gestritten wird innerhalb dieser Ansicht sodann darüber, ob sich das so verstandene zeitliche Begrenzungselement auf die jeweilige Überlassungsepisode oder die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung auf einem konkreten Arbeitsplatz bezieht – mit anderen Worten: ob die Vorgabe „vorübergehend“ leiharbeitnehmerbezogen oder arbeitsplatzbezogen zu verstehen ist.65 Ferner beziehen sich die weiteren Vorgaben der Richtlinie nach dem so vertretenen Begriffsverständnis nur auf die „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung, sodass etwa eine Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie auf dauerhafte Arbeitnehmerüberlassungen nicht möglich sei.66 Fragen dazu, wie im Lichte der Richtlinie mit nicht nur „vorübergehend“ überlassenen Leiharbeitnehmern zu verfahren ist, sind bei konsequenter Anwendung dieser Ansicht aber ohnehin obsolet, da die nicht „vorübergehende“ Arbeitnehmerüberlassung hiernach schlicht verboten ist. (2) Dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung ist unionsrechtlich ungeregelt? Von ähnlichen Grundannahmen geht auch die Ansicht aus, die die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung als unionsrechtlich ungeregelt ansieht.67 Auch hier wird die Vorgabe „vorübergehend“ so interpretiert, dass hiermit eine die Arbeitnehmerüberlassung begrenzende Vorgabe geschaffen wurde und sich die Richtlinie demgemäß nur auf die „vorübergehende“ Form der Arbeitnehmerüberlassung beziehe.68 Hieraus wird aber ein der vorgenannten Ansicht diametral69 entgegenstehendes Ergebnis hinsichtlich der nicht „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung ab65

Für eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung etwa: Deinert, RdA 2017, 65 (77); Hamann, NZA 2015, 904 (905); ders., in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 302 ff.; Wank, RdA 2017, 100 (109); wohl auch: Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (570). Für einen Leiharbeitnehmerbezug etwa: Henssler, RdA 2017, 83 (92); Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG Rn. 56. Demgegenüber sowohl Arbeitsplatz- als auch Arbeitnehmerbezug für richtlinienkonform haltend: Junker, ZfA 2016, 197 (202). Siehe zuletzt zusammenfassend: Seiwerth, NZA 2020, 273 (274). 66 Dies wäre nur über eine Analogie möglich, für die es indes angesichts der hiernach eindeutigen zeitlichen Vorgabe „vorübergehend“ an einer planwidrigen Regelungslücke fehlen würde. Siehe hierzu: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 155. 67 Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 75, 125; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 59 f.; Steinmeyer, DB 2013, 2740 (2741); Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 221; Stiebert/Pohl, ZESAR 2021, 241 (242); Thüsing/Stiebert, DB 2012, 632 (634). 68 Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 75; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 59. 69 So treffend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 89.

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geleitet. Diese sei nicht etwa implizit verboten, sondern schlicht durch die Richtlinie nicht geregelt worden.70 Schließlich könne der Richtlinie insgesamt und dem Merkmal „vorübergehend“ im Besonderen kein eindeutiger Verbotscharakter entnommen werden.71 Folglich habe der Unionsgesetzgeber die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung nicht regulieren und sie insgesamt den Mitgliedstaaten zur eigenmächtigen Regulierung überlassen wollen. Die hiermit ggf. einhergehenden negativen Folgen – wie bspw. einen Unterbietungswettbewerb der Mitgliedstaaten, die eine dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung zuließen – seien hinzunehmen.72 (3) Anwendung der Leiharbeitsrichtlinie auf die dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung? Zu einer entgegengesetzten Auslegung des Merkmals „vorübergehend“ kommen hingegen diejenigen, die hierin nur eine Beschreibung des üblichen Anwendungsfalls der Arbeitnehmerüberlassung sehen, mit der dieselbe nicht materiell begrenzt werden soll.73 Die Konsequenz dieser Betrachtung ist, dass jede Form der Arbeitnehmerüberlassung – auch die nicht „vorübergehende“ und daher dauerhafte – unionsrechtlich gestattet und durch die weiteren Bestimmungen der Richtlinie reguliert wird. Ein argumentativer Anknüpfungspunkt dieser Lesart ist unter anderem, dass sich die Richtlinie selbst hinsichtlich des Merkmals „vorübergehend“ ausschweigt. Insbesondere die Tatsache, dass die Richtlinie den Fall, in dem eine Überlassung nicht mehr als „vorübergehend“ anzusehen ist, mit keinem Wort erwähnt – geschweige denn hieran Rechtsfolgen anknüpft –, erweckt Skepsis gegenüber der vielfach vorgetragenen Verbotsthese.74 Vielmehr ist es offensichtlich fraglich, was 70

Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 125; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 60. 71 Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 125; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 60. 72 Vgl. Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 60. 73 So die Ansicht von: Albers, Die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Frankreich, 2017, S. 100; Boemke, RIW 2009, 177 (179); ders., Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (112); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 62; Lembke, DB 2011, 414 (415); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 125 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 130 f.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (490). Gegen die Herleitung einer Beschränkung der Dauer der Überlassungen durch die Richtlinie: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 90. Ebenfalls skeptisch: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 13. 74 Vgl. Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (489).

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der Unionsgesetzgeber für diesen Fall vorsieht – unterstellt man, dass das Merkmal „vorübergehend“ eine die Arbeitnehmerüberlassung begrenzende Vorgabe enthält. Die zweitgenannte Ansicht schlägt hierzu vor, dass der Unionsgesetzgeber die Form der Arbeitnehmerüberlassung, die nicht mehr „vorübergehend“ ist, unionsrechtlich ungeregelt belassen wollte. Dann würde allerdings neben der unionsrechtlich überformten „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung eine den Mitgliedstaaten überlassene alternative Form der Arbeitnehmerüberlassung bestehen. Diese Konstellation ist aber ganz offenkundig mit dem erklärten Willen des Unionsgesetzgebers, eine einheitliche, unionsweite und abschließende harmonisierende Regelung zur Arbeitnehmerüberlassung zu schaffen, nicht vereinbar.75 Vielmehr würde gerade ein solches Nebeneinander unionsrechtlich geregelter und ungeregelter Arbeitnehmerüberlassung zu verstärkter Rechtsunsicherheit führen, die mit den „Flexicurity“-Grundsätzen der Richtlinie nur schwer vereinbar wäre. Nicht zu erklären wäre darüber hinaus, warum der Unionsgesetzgeber manchen Leiharbeitnehmern den Schutz der Richtlinienbestimmungen zukommen lassen wollte, während andere (dauerhaft überlassene) nicht in den Genuss bspw. des Gleichbehandlungsgrundsatzes kommen sollten.76 Dass der Unionsgesetzgeber mit dem Merkmal „vorübergehend“ einerseits eine zeitliche Vorgabe schuf und andererseits diejenigen Fälle der Arbeitnehmerüberlassung, die diesem Postulat nicht entsprechen, ungeregelt und gleichzeitig zulässig sehen wollte, kann daher aus diesem Grund ausgeschlossen werden. Hält man aber daran fest, das Merkmal „vorübergehend“ als eine die Arbeitnehmerüberlassung begrenzende Vorgabe zu interpretieren, kann also die einzig mögliche Konsequenz diejenige sein, dass der Unionsgesetzgeber alle sonstigen langfristigen oder gar dauerhaften Erscheinungsformen der Arbeitnehmerüberlassung verbieten wollte. Zu Recht wird aber in Zweifel gezogen, ob aus dem Merkmal „vorübergehend“ ein solches Verbot folgen kann. Dagegen spricht zunächst die Stellung des Merkmals innerhalb der Richtlinie. Erwähnung findet es lediglich im Anwendungsbereich und in den Begriffsbestimmungen. Berechtigterweise lässt sich daher fragen, warum der Unionsgesetzgeber ein etwaiges Verbot bestimmter Überlassungen nicht als solches kodifiziert hat, sondern es lediglich implizit innerhalb des Anwendungsbereichs und der Begriffsbestimmungen in das Merkmal „vorübergehend“ hineingelesen wissen wollte.77 Dies erscheint insbesondere vor dem Hintergrund von Art. 4 der Richtlinie, 75 Siehe hierzu Erwägungsgrund 23 RL 2008/104/EG. Vgl. ferner: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 165 f. Ebenfalls in diese Richtung argumentierend und darüber hinaus die Ziele der Richtlinie (Art. 2 RL 2008/104/EG) in Bezug nehmend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 127. 76 So auch: Boemke, RIW 2009, 177 (179); Rieble, Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 97 (103). 77 In diese Richtung: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 107.

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der den Mitgliedstaaten konkrete Kriterien für Verbote der Arbeitnehmerüberlassung vorgibt, nicht schlüssig.78 Hierbei ist auch zu beachten, dass zum Entstehungszeitpunkt der Richtlinie in diversen europäischen Ländern – so auch in Deutschland – eine langfristige bzw. dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung grundsätzlich zulässig war. Hätte man dem auf europäischer Ebene bewusst entgegentreten wollen, hätte es eines eindeutigen Verbots bedurft.79 Darüber hinaus muss bedacht werden, dass eine implizit aus Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen herausgelesene zeitliche Begrenzung inklusive eines Verbots jeder hierüber hinausgehender Arbeitnehmerüberlassung womöglich sogar dem unionsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz zuwiderlaufen würde.80 Festgehalten werden muss daher nach alledem, dass der Unionsgesetzgeber das Merkmal „vorübergehend“ ausführlicher und eindeutiger hätte regeln müssen, wenn entlang dieses vermeintlich zeitlich begrenzenden materiellen Merkmals die Scheidelinie zwischen zulässiger „vorübergehender“ und nicht mehr zulässiger dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung verlaufen soll.81 Dass der Unionsgesetzgeber derartig nachlässig mit einem solch essenziellen Merkmal umgegangen ist, erscheint daher unwahrscheinlich. Denkbar ist vielmehr, dass es sich bei dem Merkmal lediglich um ein deskriptives Element handelt, dass den archetypischen Charakter der Arbeitnehmerüberlassung umschreibt, ohne hiermit einen materiellen Regelungsgehalt zu verfolgen. Hierfür spricht auch gerade die Begriffshistorie des Merkmals, die mit entgegengesetzter Argumentation vielfach von den Vertretern der erstgenannten Ansicht hervorgehoben wird. Seinen Einzug in die Richtlinienvorschläge der Kommission fand das Merkmal schließlich erstmalig als Teil der Begriffsbeschreibungen von Entleih- und Verleihunternehmen sowie von Leiharbeitnehmern.82 Diese wurden 78

Vgl. Thüsing, NZA 2014, 10 (12). Vgl. Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (112). Ebenfalls in diese Richtung: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 60 f. 80 So jedenfalls bzgl. der Herleitung einer kalendarisch bemessenen Höchstfrist aus dem Merkmal „vorübergehend“: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 114. Ähnlich auch Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 132 („Art. 1 und 3 RL sind zu unbestimmt formuliert, um eine eigenständige Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung zu begründen.“). 81 In diese Richtung: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 61. Da keine „Anhaltspunkte für die Abgrenzung von vorübergehendem und nichtvorübergehendem Einsatz und auch nicht etwa ein Verbot des nicht-vorübergehenden Einsatzes festgesetzt wurden, fehlt es insoweit an den essentialia einer Regelung.“ (Vgl. Rieble/ Vielmeier, EuZA 2011, 474 [489]). 82 Siehe den Bericht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern v. 23. 10. 2002, A5 – 0356/2002, endgültig, S. 20 ff. 79

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eingefügt, da man es für unangemessen hielt, eine Richtlinie über „temporary agency work“ zu erlassen, ohne die entsprechenden Akteure zu definieren.83 Nun sollte es nicht überraschen, dass man die Akteure im Bereich der „temporary agency work“ trefflich damit umschreiben kann, dass die hierbei vorgenommenen Überlassungen „temporarily“, also „vorübergehend“, „zeitweilig“ oder „befristet“, sind. Dass hiermit ein materieller Regelungsgehalt und nicht etwa nur eine Deskription einhergehen soll, ist keineswegs selbstverständlich.84 Genauso könnte man auch schlicht auf den Begriff der „temporary agency work“ rekurriert haben, um die Begriffsbeschreibungen sprachlich vollständig und einheitlich zu gestalten. Eindeutigere Hinweise darauf, dass die Begrifflichkeit in der darauffolgenden Genese der Richtlinie als materielle Regelungsvorgabe verstanden wurde, finden sich nicht.85 Angesichts der Unergiebigkeit der Richtlinie selbst und ihrer Genese wird daher davon ausgegangen, dass das Merkmal „vorübergehend“ nur ein „Appell ohne Rechtsfolge“,86 bzw. ein „Redaktionsversehen“87 oder ein „Programmsatz“88 ist, mit der der Unionsgesetzgeber keine materielle Regelungswirkung erzielen wollte. Demgemäß ist die Richtlinie auf jede Form der Arbeitnehmerüberlassung – unabhängig von ihrer Dauer – zu beziehen. (4) Zwischenergebnis: Weder Verbot dauerhafter Überlassungen noch Gebot zeitlicher Beschränkungen Ein an die Mitgliedstaaten gerichtetes Gebot zeitlicher Begrenzungen der Arbeitnehmerüberlassung durch das Merkmal „vorübergehend“ ist der Richtlinie also nicht zu entnehmen, ebenso wenig wie ein Verbot solcher Überlassungen, die über eine mit dem Merkmal vermeintlich eingeführte zeitliche Grenze hinausgehen. Zugegebenermaßen muss aber auch gesehen werden, dass sich der Unionsgesetzgeber ausweislich der erwähnten Regelungen in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 und Art. 6 der Richtlinie zum einen möglicherweise gegen eine Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern positioniert (Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG) und zum anderen für eine Stärkung der integrativen Funktion der Arbeitnehmer83 Siehe den vorgenannten Bericht des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, ebd., S. 20 („It seems inappropriate to leave a Directive on temporary agency work without a definition of […]“). 84 Aus ähnlichen Gründen hieran ebenfalls zweifelnd: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 66. 85 Den Nachweis einer eindeutigen Positionierung des Unionsgesetzgebers hinsichtlich einer zeitlichen Begrenzung durch das Merkmal „vorübergehend“ bleibt selbst Gregori schuldig, die die Genese der Leiharbeitsrichtlinie im Hinblick auf ein etwaiges Verbot dauerhafter Überlassungen hin detailliert untersucht. Vgl. insofern: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 170 ff. 86 So explizit: Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (489). 87 So explizit: Rieble, Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/ Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 97 (103). 88 So explizit: Lembke, DB 2011, 414 (415).

154 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

überlassung (Art. 6 RL 2008/104/EG) ausgesprochen hat. Ob dies jeweils der Fall ist und ob hieraus konkrete inhaltliche Regelungsvorgaben für die Mitgliedstaaten in der Weise hervorgehen, dass diese eine typischerweise Stammarbeitsplätze subsituierende Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung verhindern und gleichzeitig ihre Regelungen darauf ausrichten müssen, „Brücken-“ und „Klebeeffekte“ zu forcieren,89 bleibt aber noch zu prüfen (siehe S. 178 ff. und S. 198 ff.). Aus der Richtlinie kann jedenfalls nicht hergeleitet werden, dass der Unionsgesetzgeber diese möglicherweise angestrebten Ziele mit der Einführung einer zeitlichen Regelungsgröße in Form des Merkmals „vorübergehend“ zu erreichen suchte. Als eine solche materielle Regelungsgröße lässt sich das Merkmal „vorübergehend“ schließlich nach der hier vertretenen Auffassung nicht auslegen. Dieser Befund deckt sich im Übrigen auch mit der Ansicht der Europäischen Kommission.90 Zwar ist es nicht die Kommission, sondern der EuGH, der das letzte Wort bei der Auslegung der Leiharbeitsrichtlinie hat.91 In der später noch näher zu diskutierenden Rechtssache C-533/13 (vgl. S. 159 ff), in der ein finnisches Arbeitsgericht dem EuGH unter anderem die Vorlagefrage stellte, ob der „längerfristige Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens im Rahmen der gewöhnlichen Arbeitsaufgabe des Unternehmens als verbotener Einsatz von Leiharbeitskräften eingestuft werden kann“,92 ließ sich der EuGH zu diesem „längerfristigen Einsatz“ indes nicht aus. Bereits ansatzweise aufschlussreicher zur Natur des Merkmals „vorübergehend“ positionierte sich der Gerichtshof anlässlich der bereits erwähnten und ebenfalls 89

So die Ansicht von: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 75 ff., 133, 196 ff. Ähnliche Ansätze finden sich bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 103 f.; Brors/Schüren, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern, 2014, S. 17 f.; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462. 90 Siehe die in einer schriftlichen Stellungnahme an den Beschwerdeführer in einem Beschwerdeverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland getätigte Äußerung der Kommission, Beschwerdeverfahren gegen Deutschland, CHAP (2015) 00716: „Die Richtlinie sieht keine Beschränkung der Dauer der Arbeitnehmerüberlassung an die entleihenden Unternehmen vor. […] Die oben genannten Ausführungen zeigen, dass der durch die Richtlinie über Leiharbeit gewährte Schutz auch für Leiharbeitnehmer gilt, die im Rahmen einer langfristigen Überlassung über einen längeren Zeitraum unter der Aufsicht und Leitung ein und desselben entleihenden Unternehmens arbeiten.“ Siehe hierzu auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 118. 91 Schließlich überwacht zwar die Kommission die Anwendung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten. Dies steht aber gem. Art. 17 Abs. 1 Satz 3 EUV unter der Kontrolle des EuGH (vgl. zudem Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV). Siehe hierzu etwa: Franzen, RdA 2015, 141 (148); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 46. 92 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, BeckRS 2015, 80381, Rn. 20; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 46.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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später noch zu diskutierenden Rechtssache C-681/18 (vgl. S. 185 ff.). Hierbei hatte ein italienisches Gericht dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie einer nationalen Bestimmung, die keine Beschränkungen aufeinanderfolgender Überlassungen eines Leiharbeitnehmers bei einem Entleihunternehmen vorsehe und damit dauerhafte Überlassungen ermögliche, entgegenstehe.93 Immerhin statuierte der Gerichtshof anlässlich dieser Vorlage zwar, dass die Richtlinie sicher stellen wolle, dass Entleihungen bei einem Unternehmen „nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werden und das Überlassungsverhältnis daher ausweislich der Definitionsbestimmungen in Art. 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG „seiner Natur nach vorübergehend“ sei.94 Eine handfeste sekundärrechtliche materielle Vorgabe in Bezug auf die Dauer der Überlassung wollte der Gerichtshof aus dem so festgestellten „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ aber erkennbar nicht entwickeln.95 Eben diese Linie verfolgte der EuGH auch jüngst in seinem Urteil in der Rechtssache C-232/20 weiter.96 Hierin hatte sich der Gerichtshof anlässlich einer Vorlage des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg erstmalig mit den Vorgaben des AÜG im Lichte der Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie auseinanderzusetzen. Das Landesarbeitsgericht hatte dem EuGH unter anderem die Vorlagefragen gestellt, ob eine Überlassung „schon dann nicht mehr als ,vorübergehend‘ im Sinne (…) der Leiharbeitsrichtlinie anzusehen (sei), wenn die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird“ und ob eine „Überlassung eines Leiharbeitnehmers unterhalb einer Zeitspanne von 55 Monaten als nicht mehr ,vorübergehend‘ im Sinne (…) der

93

Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1463, Rn. 30). Das Urteil wird besprochen bei: Feuerborn, EuZA 2022, 109 ff.; v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2020, 756; Stiebert/Pohl, ZESAR 2021, 241 ff. 94 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 60 f.). 95 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 63). Kolbe hingegen sieht in dem Urteil in der Rechtssache C-681/18 die Ansicht bestätigt, dass die Richtlinie ein „arbeitnehmerbezogenes Dauerüberlassungsverbot“ beinhalte (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20; i. E. ebenso: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 297). Hieraus kann jedoch – wie gesehen – bereits in Ansehung der Rechtssache C-681/18 keine konkrete Regulierungsvorgabe i. S. e. Verbotes dauerhafter Überlassungen folgen. Aus dem so angenommenen „Dauerüberlassungsverbot“ folgt daher für die mitgliedstaatliche Regulierung gerade keine Vorgabe, solch ein Verbot gesetzlich zu implementieren. Spätestens mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-232/20 wird es offenkundig, dass der Gerichtshof die Anforderungen eines solchen „Verbots“ auf eine Bemühenspflicht minimiert. In diese Richtung wohl auch: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 13, 32 („Deutlich wird aber, dass die Mitgliedstaaten überhaupt Maßnahmen gegen den Missbrauch treffen müssen“). 96 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 31 ff.). Das Urteil wird besprochen bei: Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 ff.; Mückl/Bähr, EWiR 2022, 312 ff.

156 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Richtlinie (…) anzusehen“ sei.97 Erneut hatte der EuGH diesbezüglich darauf rekurriert, dass die Vorgabe „vorübergehend“ die Mitgliedstaaten vor allem darauf verpflichte, dafür Sorge zu tragen, dass die Arbeitnehmerüberlassung „nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werde – ohne dass hiermit allerdings eine konkrete materielle Regelungsvorgabe in Bezug auf die Einsatzzeiten einhergehe.98 Auch auf diese Entscheidung – insbesondere im Lichte des auch hierin näher behandelten Missbrauchsverbots aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/104/EG – wird indes noch gesondert einzugehen sein (siehe unten S. 189 ff.). Es sei allerdings bereits darauf hingewiesen, dass der EuGH in der benannten Entscheidung erstmalig – und mit bemerkenswerter Eindeutigkeit – klarstellte, dass die Richtlinie selbst mit der Beschreibung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ keine materielle Regelungsvorgabe in Bezug auf die Überlassungszeiten geschaffen hat. So führt der EuGH aus, dass „die Richtlinie 2008/104 nicht speziell darauf abzielt, die Dauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers an ein entleihendes Unternehmen festzulegen, bei deren Überschreitung eine solche Überlassung nicht mehr als ,vorübergehend‘ eingestuft werden kann. Denn weder Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104, der (…) darauf Bezug nimmt, dass Arbeitnehmer entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um ,vorübergehend‘ zu arbeiten, noch irgendeine andere Bestimmung dieser Richtlinie legt eine Dauer fest, bei deren Überschreitung eine Überlassung nicht mehr als ,vorübergehend‘ eingestuft werden kann. Ebenso wenig werden die Mitgliedstaaten durch eine Bestimmung dieser Richtlinie verpflichtet, im nationalen Recht eine solche Dauer vorzusehen.“.99

Eine unmissverständlichere Klarstellung in Bezug auf die Frage, welcher Regelungsgehalt aus der Vorgabe „vorübergehend“ folgt, hätte man sich angesichts des aufgezeigten diffizilen und langwährenden Streits über diese Auslegungsproblematik kaum wünschen können. Fest steht nunmehr, dass die Einführung von zeitlichen Begrenzungen für den Einsatz von Leiharbeitnehmern durch entweder unbestimmte Zeitkomponenten wie das Merkmal „vorübergehend“ oder etwa kalendarisch zu bemessende Höchstüberlassungszeiten eine autonome nationale Entscheidung der Mitgliedstaaten und nicht durch die Richtlinie 2008/104/EG determiniert ist. Diese – bisher in der nationalen Debatte in der Tat nur vereinzelt vertretene100 – Auffassung hat nunmehr durch die Entscheidung des EuGH eine maßgebliche Aufwertung erfahren. Das Bundesarbeitsgericht hat die hier vorge-

97 Zu den Vorlagefragen: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (549, Rn. 27). 98 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550 ff., Rn. 34, 56). 99 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 53). 100 So explizit auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 61; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 115.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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nommene Interpretation der Rechtsprechung des EuGH kürzlich bestätigt.101 Abweichende Ansichten, die dem Merkmal eine konkrete Regelungsvorgabe in Bezug auf die zeitliche Ausrichtung der Überlassungszeiten zu entnehmen suchen, sind im Lichte der überragenden Bedeutung des EuGH für die Richtlinienauslegung kaum mehr vertretbar.102 bb) „Vorübergehend“ als deskriptive Auslegungsvorgabe und Zustandsbeschreibung hinsichtlich des Charakters der Arbeitnehmerüberlassung Fraglich bleibt nach alledem aber, wie das Merkmal „vorübergehend“ zu verstehen ist, wenn es keine eigene normative Regelungsvorgabe enthält. Den Begriff lediglich als „Redaktionsversehen“103 abzutun, vermag der mehrfachen Verwendung in der Richtlinie sowie der Tatsache, dass die Wendung in den Richtlinienentwürfen seit ihrer ersten Verwendung mehrfach übernommen wurde, nicht gerecht zu werden. Dass der Unionsgesetzgeber das Merkmal jedenfalls bewusst und planvoll eingefügt hat – wenngleich auch nicht als normative Regelungsvorgabe –, ist nicht von der Hand zu weisen. Eines steht daher fest: Der Unionsgesetzgeber geht davon aus, dass Arbeitnehmerüberlassungen typischerweise „temporarily“, also nur für einen vorübergehenden Zeitraum, geschehen. Hieraus zu folgern, dass die Arbeitnehmerüberlassung nach der Vorstellung des Unionsgesetzgebers nur zur Abdeckung kurzfristigen Personalbedarfs im Sinne der obigen reaktiven Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung verwendet werden soll,104 geht aber zu weit. Die Verwendung des Merkmals beschreibt schließlich nur, was bereits aus dem Begriff „temporary agency work“ folgt: Leiharbeitnehmer werden typischerweise vorübergehend überlassen. 101 Siehe hierzu die (nach Einreichung dieser Studie) ergangenen wegweisenden Urteile: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (306, Rn. 15); Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 313 (316, Rn. 56). 102 Das hier gefundene Ergebnis – und die Auslegung des EuGH – findet auch in der Tatsache eine Bestätigung, dass auch nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie diverse Mitgliedstaaten keine zeitlichen Begrenzungen für den Einsatz von Leiharbeitnehmern vorsahen (siehe hierzu die Übersicht über zeitliche Begrenzungen der Überlassung von Leiharbeitnehmern [„maximum duration“]: Grabell/Groeger, Temp Worker Regulations Around the World, 2014, abrufbar unter: https://projects.propublica.org/graphics/temps-aro und-the-world, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Dass diese Handhabe von Seite des Richtliniengebers gerügt wurde, geschweige denn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet wurde, ist nicht bekannt. Hierzu bereits: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (106). 103 So explizit: Rieble, Wohin entwickelt sich die Zeitarbeit?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 97 (103). 104 In diese Richtung aber: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 212. Sowie selbst unter Eindruck der jüngsten EuGH-Rechtsprechung: Klengel, AuR 2021, 181 (185); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20.

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Dass dem Unionsgesetzgeber diese archetypische Natur der Arbeitnehmerüberlassung vor Augen stand, als er die Richtlinie 2008/104/EG erließ und die Arbeitnehmerüberlassung als „temporarily“ bzw. „vorübergehend“ umschrieb, lässt sich aber durchaus inhaltlich fruchtbar machen. Zwar geht hiermit nur eine deskriptive und nicht eine normative Vorgabe einher. Diese durch den Begriff „vorübergehend“ transportierte Deskription der Arbeitnehmerüberlassung kann aber als Auslegungshilfe bei Unklarheiten hinsichtlich der übrigen – inhaltlich gehaltvolleren – Bestimmungen der Richtlinie genutzt werden.105 Hier findet das Merkmal in Form einer deskriptiven Auslegungshilfe seine Bestimmung. Eine darüber hinausgehende materiell-regulierende normative Wirkung ist ihm hingegen nicht zu entnehmen.106 Anders können auch die Ausführungen des EuGH in den Rechtssachen C-681/18 und C-232/20 nicht gedeutet werden, wenn dort von dem „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ die Rede ist, demzufolge Überlassungen ihrer „Natur nach vorübergehend“ seien.107 Ob in der Kombination dieser Zustandsbeschreibung mit dem Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG ein hierüber hinausgehender materieller Regelungsauftrag in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Überlassungen erfolgt, bleibt noch zu prüfen (vgl. S. 178 ff.). Die Vorgabe „vorübergehend“ selbst vermag jedenfalls keine eigene Regulierungswirkung zu entfalten. b) Verbote der Arbeitnehmerüberlassung Eine solche eigene materiell-rechtliche Regelungsvorgabe stellt die Leiharbeitsrichtlinie aber augenscheinlich mit ihrem Art. 4 auf, der an „Einschränkungen und Verbote“ der Arbeitnehmerüberlassung in den Mitgliedstaaten bestimmte Anforderungen stellt. Nach Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG sind diesbezügliche Regularien „nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt“, wozu „vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren 105

Ähnlich bereits: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 61 („Art. 1 I Leiharbeit-Richtlinie kann ergänzend als Grundsatzentscheidung und Leitlinie dafür herangezogen werden.“). In diese Richtung auch: Lembke, DB 2011, 414 (415). Siehe letztlich auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 124. Pant will dem Merkmal aber darüber hinaus noch eine Einzelfallkontrolle entnehmen, wonach Überlassungen jedenfalls dann nicht mehr der unionsrechtlichen Idee der Arbeitnehmerüberlassung entsprechen, wenn sie im eigentlichen Sinne keine Überlassung mehr sind, da Leiharbeitspersonal vollständig und endgültig auf den Entleiher verlagert wird. 106 Vgl. auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 125 („Jeder weitergehende Versuch (…) inhaltliche Vorgaben in das Merkmal vorübergehend hineinzulesen, läuft auf eine rechtspolitische Begriffsakrobatik hinaus.“). 107 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 61, 63); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 34).

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des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten“, zählen. Prima facie legt der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten hiermit spezifische materiell-rechtliche Zügel für den Fall an, dass sie die den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung begrenzen oder verbieten wollen. aa) Zeitlich begrenzte prozedurale Prüfpflicht der mitgliedstaatlichen Behörden oder materielles Beschränkungsverbot? So einleuchtend dieses Normverständnis ausweislich des Richtlinienwortlauts auch erscheint: Wie der EuGH mit seiner Entscheidung in der bereits erwähnten Rechtssache C-533/13 verdeutlicht hat,108 ist dies keineswegs der Fall. Konkret ging es hierin um die Vorlage eines finnischen Työtuomioistuin (Arbeitsgericht), dass dem EuGH zwei Vorlagefragen stellte. Neben der bereits erwähnten zweiten Vorlagefrage, die sich auf den „längerfristigen Einsatz von Leiharbeitnehmern neben den eigenen Arbeitnehmern eines Unternehmens“ bezog, legte das Gericht dem EuGH zunächst die Frage vor, „ob Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen (sei), dass den nationalen Behörden einschließlich der Gerichte die dauerhaft geltende Verpflichtung auferlegt wird, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln sicherzustellen, dass keine innerstaatlichen Vorschriften oder Tarifvertragsbestimmungen in Kraft sind oder angewandt werden, die einer Vorschrift der Richtlinie zuwiderlaufen“.109

Folglich ging es um die Frage, ob Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie eine an die Mitgliedstaaten – und insbesondere deren Gerichte – adressierte dauerhafte materiell-rechtliche Prüfpflicht hinsichtlich des mitgliedstaatlichen Rechts enthält. Der EuGH verneinte diese Frage.110 Begründet wurde dies vor allem damit, dass sich der Bedeutungsgehalt von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG nur aus einer „Gesamtbetrachtung dieses Artikels“ ergeben könne.111 Aus dieser ergebe sich, dass die Norm „nur an die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats gerichtet ist, indem ihnen eine Überprüfungsverpflichtung auferlegt wird, damit sie sicherstellen, dass etwaige Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit gerechtfertigt sind“. Der EuGH führte sodann aus, dass Art. 4 RL 2008/104/EG „daher die nationalen Gerichte nicht verpflichtet, alle Bestimmungen des nationalen Rechts unangewendet zu lassen, die Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit enthalten“, die nicht aus den in Art. 4 Abs. 1 genannten Gründen gerechtfertigt sind.112 Schließlich seien die Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 2 – 4 der Richtlinie ver108 EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234). Bekannt ist die Entscheidung unter ihrem Titel AKT (Auto- ja Kuljetusalan Työntekijäliitto AKT ry). 109 Abgedruckt bei: EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, BeckRS 2015, 80381 Rn. 20. 110 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234, Rn. 32). 111 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234, Rn. 24). 112 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234, Rn. 32).

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pflichtet gewesen, ihre nationalen Einschränkungen und Verbote bis zum 5. Dezember 2011 zu überprüfen und die Kommission über die Ergebnisse dieser Überprüfung zu informieren. In Zusammenschau mit dieser in Art. 4 Abs. 2 – 4 der Richtlinie niedergelegten Regelung könne Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG demgemäß nur eine Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Recht bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie zu überprüfen und ggf. abzuändern, beinhalten.113 Insgesamt lege die Norm daher zwar den Rahmen fest, „in dem sich die Regelungstätigkeit der Mitgliedstaaten in Bezug auf Verbote und Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit abspielen darf“. Die Überprüfung, ob das nationale Recht diesem Rahmen entsprach, galt aber nur bis zur Umsetzungsfrist der Richtlinie und richtete sich nur an „die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats“ und gerade nicht an dessen Gerichte.114 Folglich sieht der EuGH115 Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie lediglich als eine an die Behörden der Mitgliedstaaten gerichtete zeitlich beschränkte prozedurale Prüfungspflicht. Welchen Rechtfertigungsmaßstab die mitgliedstaatlichen Behörden hierbei anzuwenden hatten, geschweige denn, welche staatliche Stelle überhaupt als die im Urteil angesprochene mitgliedstaatliche Behörde zu identifizieren sei, wird jedoch offen gelassen.116 Mehr noch: Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG ist nach der Argumentation des EuGH seit dem Ablauf der Umsetzungsfrist letztlich wirkungslos. Nationale Beschränkungen und Verbote sind seitdem nicht mehr anhand von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zu beurteilen. Völlig anders hatte noch der Generalanwalt die Vorschrift interpretiert.117 Generalanwalt Szpunar sah in Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG „eindeutig eine materielle Regelung, die das Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen beinhaltet“.118 Hiermit habe der Unionsgesetzgeber gerade nicht erreichen wollen, dass die Mitgliedstaaten lediglich „eine unverbindliche Bestandsaufnahme von Einschränkungen vornehmen“.119 Diese Erkenntnis stützte der Generalanwalt unter anderem auf die Grundkonzeption der Richtlinie, nach der – getreu dem Gedanken der „Flexicurity“ – einerseits dem Schutz der Leiharbeitnehmer gedient werde (so geschehen in Art. 5 – 8 RL 2008/ 104/EG), andererseits aber auch ein angemessener Rahmen für den Einsatz der 113

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234, Rn. 29). Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2015 – C-533/13, NJW 2015, 1233 (1234, Rn. 32). 115 So treffend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 137. 116 Vgl. Stiebert, NJW 2015, 1234 (1235). In Deutschland handelt es sich um das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (vgl. Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 4). 117 Dessen Schlussantrag v. 20. 11. 2014 ist abgedruckt bei: Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404. 118 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 28. 119 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 39. 114

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Arbeitnehmerüberlassung gewahrt und demgemäß dem Flexibilitätsinteresse der Wirtschaft gedient werden müsse.120 Letzteres geschehe – so gesehen synallagmatisch dem Schutz der Leiharbeitnehmer gegenübergestellt – in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie.121 Für die Überprüfung des nationalen Rechts anhand dieser justiziablen Vorgabe aus Art. 4 Abs. 1 seien zudem einerseits die nationalen Gerichte zuständig, die im Zweifel das Vorlageverfahren nach Art. 267 AEUV induzieren könnten sowie andererseits auch die Kommission, die Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV gegen die der Vorgabe aus Art. 4 Abs. 1 nicht nachkommenden Mitgliedstaaten anstrengen könne.122 In materiell-rechtlicher Hinsicht konkretisiere Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG das bereits aus Art. 56 AEUV folgende Verbot ungerechtfertigter Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, das unter anderem auch Leiharbeitsunternehmen schütze.123 Diese Auffassung entsprach im Wesentlichen auch der in der (deutschen) Literatur vorherrschenden Rezeption von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG.124 Entsprechend harsch fiel die Reaktion auf das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-533/13 aus.125 So wird die Reduktion von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auf eine rein prozedurale Prüfpflicht der mitgliedstaatlichen Behörden anhand der Fokussierung auf Art. 4 Abs. 2 – 4 der Richtlinie etwa als „einfacher Trick“ abgetan.126 Dass allein die „Systematik die Indizwirkung des klaren Wortlauts vollständig widerlegen soll“, könne nicht überzeugen,127 die knappe Entscheidung des EuGH sei insgesamt „kaum nachzuvollziehen“.128 Die Herleitung einer rein prozeduralen Prüfpflicht anhand der Absätze 2 bis 4 von Art. 4 der Richtlinie ist angesichts der übrigen Richtlinienartikel in der Tat in sys120

Vgl. hierzu Art. 2 RL 2008/104/EG. Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 35. 122 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 78, 82. 123 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 91. 124 Siehe nur die Besprechungen des AKT-Urteils bei: Albers, ZESAR 2015, 344 ff.; Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313 ff.; Sittard/Houf, EuZW 2015, 385 ff.; Stiebert, NJW 2015, 1233 ff. Ebenso eine materiell-rechtliche Prüfpflicht befürwortend: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (114); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 59 f.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 140 ff.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 72. 125 Vgl. insbesondere: Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313 (317); Sittard/Houf, EuZW 2015, 385 (387); Stiebert, NJW 2015, 1233 (1235). 126 So explizit: Stiebert, NJW 2015, 1233 (1235). 127 So explizit: Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313 (317). 128 So explizit: Sittard/Houf, EuZW 2015, 385 (387). 121

162 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

tematischer Hinsicht nicht widerspruchsfrei. Vergleicht man etwa die innere Systematik von Art. 4 mit der von Art. 5 der Leiharbeitsrichtlinie, ergibt sich die Parallele, dass beide in ihrem ersten Absatz ein Kontrollregime aufstellen, um dieses dann in den weiteren Absätzen (unter anderem prozedural) aufzubereiten.129 Dass der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 5 der Richtlinie aber ebenfalls nur eine an die mitgliedstaatlichen Behörden gerichtete prozedurale Prüfpflicht darstellt, deren Einhaltung von den nationalen Gerichten nicht überprüft werden könne, wird nicht ernsthaft behauptet.130 Kritisiert wird zudem, dass dem Flexibilitätsbedürfnis der Wirtschaft – und dementsprechend anteilig auch dem „Flexicurity“-Konzept der Richtlinie – insgesamt nicht Rechnung getragen wird, wenn Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG die materiell-rechtliche Wirkkraft verwehrt bleibt.131. Verwunderlich sei zudem, dass sich der EuGH gerade gegen diejenige Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie entschieden hat, die dem Unionsrecht die größtmögliche praktische Wirksamkeit verliehen hätte und somit das klassische europarechtliche Auslegungskriteriums des „effet utile“ unangewendet lasse.132 „Nicht bezweckt haben“ dürfte der EuGH auch das so bezeichnete „absurde Ergebnis“, dass nach seiner Lesart von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG dieser zwar bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist von den mitgliedstaatlichen Behörden zu beachten war, gegenüber dem nach diesem Zeitpunkt erlassenen nationalen Recht aber nicht mehr in Stellung gebracht werden könne.133 Aufgrund all dieser Defizite sprächen daher im Ergebnis „die besseren Gründe (…) dafür, mit (Generalanwalt) Szpunar Art. 4 Abs. 1 RL als materiell-rechtliche Vorgabe einzustufen, deren Einhaltung von den mitgliedstaatlichen Gerichten überprüft werden kann“.134

129

Hierauf richtigerweise hinweisend: Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 7. So richtigerweise auch: Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 7. 131 In diese Richtung: Boemke/Sachadae, EuZA 2015, 313 (318); Sittard/Houf, EuZW 2015, 385 (387). In der Konsequenz ist es schließlich vor allem die wirksame Kontrolle von nationalen Einschränkungen und Verboten der Arbeitnehmerüberlassung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten, die dem EuGH im Rahmen von Art. 267 AEUV Zweifelsfälle zuführt. Hierauf hinweisend: Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 8. 132 Vgl. Franzen, RdA 2015, 141 (149); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 142. 133 So pointiert: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 148. 134 So explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 72. 130

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

163

bb) Zwischenergebnis: Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG ist kein sekundärrechtliches materielles Beschränkungsverbot Wer Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG als sekundärrechtliches materielles Beschränkungsverbot erfasst, muss sich jedoch die Frage stellen, ob sich eine solche Lesart unter dem Eindruck der Judikatur des EuGH überhaupt aufrecht erhalten lässt. Schließlich hat sich der EuGH mehr als eindeutig zur Auslegung von Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrechtlinie positioniert. Streiten lässt sich anlässlich des vorgenannten Urteils allenfalls um die Frage, ob Art. 4 Abs. 1 jedenfalls eine materielle Regelung enthält, anhand derer die Kommission – notfalls im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens – nationale Einschränkungen und Verbote aktuell noch überprüfen könnte,135 oder ob sich auch dieser Wirkmechanismus mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie erledigt hat. Nimmt man die Entscheidung des EuGH indes beim Wort, verpflichtete Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die mitgliedstaatlichen Behörden nur bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist, sodass zeitlich danach erlassene nationale Einschränkungen und Verbote auch nicht mehr von der Kommission anhand von Art. 4 Abs. 1 zu überprüfen sind.136 Die Konsequenz des Urteils in der Rechtssache C-533/13 hinsichtlich des nach der Umsetzungsfrist erlassenen nationalen Rechts ist daher eindeutig. Derartige Beschränkungen und Verbote der Arbeitnehmerüberlassung sind nicht anhand eines etwaigen materiellen Einschränkungsverbotes aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie zu überprüfen. Anders lässt sich das Urteil ausweislich des unmissverständlichen Tenors kaum interpretieren.137 Es fragt sich allerdings, ob man sich über das eindeutige Normverständnis des EuGH hinwegsetzen kann. Schließlich entscheidet der EuGH gem. Art. 267 Abs. 1 lit. b) AEUV über die Auslegung der Handlungen der Organe der Union und somit auch über die Auslegung der Richtlinien.138 Zu diesem Zweck hatte auch das finnische Arbeitsgericht den EuGH angerufen, woraufhin dieser sein Verständnis von der Auslegung von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG deutlich machte. 135

So bereits: Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 82. 136 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 4 Rn. 4; i. E. ebenso: Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 8. Ein Vertragsverletzungsverfahren wäre im Kontext von Art. 4 Abs 1 der Richtlinie demnach nur für den Fall denkbar, dass die mitgliedstaatlichen Behörden ihre laut dem AKTUrteil bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist bestehende Prüfpflicht hinsichtlich des nationalen Rechts nicht, unzulänglich oder zu spät wahrgenommen hätten (vgl. Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 8). 137 Anders sieht es Pant, der meint, dass das Urteil in der Rechtssache C-533/13 einer Interpretation von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG als materieller Regelung nicht entgegenstehe (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 152). 138 Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 267 AEUV Rn. 10.

164 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Fraglich ist jedoch, wie verbindlich dieses Normverständnis für die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte ist. Umstritten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, wie weit die rechtliche Bindungswirkung eines im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV gefällten Urteils reicht. Im Besonderen geht es um die Frage, ob der „im Lichte der Entscheidungsgründe“139 zu verstehende Tenor hinsichtlich einer Auslegung des Unionsrechts nur das Gericht des Ausgangsverfahrens (inter partes) – hier das ursprünglich vorlegende finnische Arbeitsgericht – bindet oder auch gegenüber sonstigen mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichten (erga omnes) in der Weise Wirkung entfaltet, dass mitgliedstaatliche Gerichte zur Vorlage verpflichtet sind, wenn sie von der dargelegten Auslegung des Unionsrechts abweichen wollen und ferner mitgliedstaatliche Behörden die Rechtsauffassung des EuGH beachten müssen. Gegen eine rechtliche Wirkkraft einer solchen Entscheidung außerhalb des Ausgangsverfahrens spricht zunächst die in Art. 267 Abs. 3 AEUV niedergelegte sachliche Unabhängigkeit der mitgliedstaatlichen Instanzgerichte, die diesen die Entscheidungsprärogative über eine Vorlage zubilligt.140 Allerdings spricht auch viel dafür, dass mitgliedstaatliche Gerichte und Behörden über das Ausgangsverfahren hinaus an die Auffassung des EuGH gebunden sind, wenn der EuGH sein Auslegungsverständnis unionsrechtlicher Normen im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV bereits deutlich gemacht hat. Namentlich ist es gerade das Ziel des Vorabentscheidungsverfahrens, auf eine Vereinheitlichung der Auslegung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten hinzuwirken.141 Für eine weitergehende Bindungswirkung der das Unionsrecht auslegenden Urteile im Vorabentscheidungsverfahren spricht also nicht zuletzt auch der „effet utile“. Ausschlaggebender ist aber eine prozessökonomische Betrachtungsweise. Schließlich sind letztinstanzliche Gerichte ohnehin verpflichtet, den EuGH hinsichtlich der Auslegung des Sekundärrechts anzurufen (vgl. Art. 267 Abs. 3 AEUV). Weicht also ein Instanzgericht von einem Auslegungsurteil des EuGH ab, wird die Rechtssache gleichwohl – früher oder später über den Umweg über das zuständige letztinstanzliche Gericht – (erneut) den EuGH erreichen.142 Aus prozessökonomischer Sicht wäre es daher zu begrüßen, von einer Bindungswirkung auch für Instanzgerichte außerhalb des Ausgangsverfahrens auszugehen.143 Eindeutiger verhält es sich allerdings mit der Bindungswirkung 139 Vgl. Höpfner, in: Franzen/Gallner/Oetker (Hrsg.), Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2020, AEUV, Art. 267 Rn. 94; Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 267 AEUV Rn. 51. 140 Vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 267 AEUV Rn. 51. 141 Vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 267 AEUV Rn. 72 („Leitfunktion des Vorabentscheidungsurteils“). 142 Dies gilt schon deshalb, weil die Abweichung von bisheriger EuGH-Judikatur regelmäßig einen Berufungs- oder Revisionsgrund darstellt und demnach vor das letztinstanzliche Gericht führen wird (vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 267 AEUV Rn. 72). 143 Vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 267 AEUV Rn. 72. I. E. ähnlich: Schwarze, in: Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 2012, Art. 267 Rn. 71.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

165

hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Behörden in Bezug auf im Rahmen von Art. 267 AEUV gefällte Auslegungsurteile. Diesbezüglich besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass die Behörden mangels eigener Vorlageberechtigung und um einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts willen auf das Auslegungsverständnis des EuGH verpflichtet sind.144 Zumindest hinsichtlich der mitgliedstaatlichen Behörden, der letztinstanzlichen Gerichte und – hierfür spricht jedenfalls einiges – auch der Instanzgerichte außerhalb des ursprünglichen hier in Rede stehenden Verfahrens ist das dargelegte Verständnis von Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie also bindend. Die rechtswissenschaftliche Literatur bindet das Urteil aber selbstverständlich nicht. Hier ist man nach wie vor frei darin, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie auch anders zu interpretieren. Fragen muss man sich aber, ob sich die Mühe lohnt. Die unions- und mitgliedstaatliche Rechtspraxis wird sich schließlich an der Judikatur des EuGH orientieren (müssen). Aber auch abgesehen von diesem rein praktischen Gesichtspunkt ist ein Beharren auf einem vermeintlichen materiell-rechtlichen Charakter von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie in inhaltlicher Hinsicht nicht notwendig. Schließlich lässt sich – auch wenn man dem Normverständnis des EuGH folgt – nach wie vor das Primärrecht gegen Beschränkungen und Verbote der Arbeitnehmerüberlassung in Stellung bringen – namentlich in Gestalt der unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 GrCh und der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV.145 Auch diese Gewährleistungen verbieten schließlich ungerechtfertigte Eingriffe in das entsprechend geschützte unternehmerische Flexibilisierungsinteresse, das sich in Form der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung ausdrückt.146 Das ausweislich der Richtlinie erstrebte und dem „Flexicurity“-Grundsatz entsprechende Ziel, einerseits die Leiharbeitnehmer zu schützen und andererseits einen angemessenen Rahmen für den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung zu garantieren (vgl. Art. 2 RL 2008/104/EG) ist folglich mit dem genannten Urteil keineswegs konterkariert. Der Schutz der Leiharbeitnehmer wird nun jedoch unmittelbar über die Richtlinie und der Schutz des Flexibilitätsbedürfnisses der Betriebe demgegenüber über das Primärrecht zu erreichen sein. Der unionsrechtliche Hebel, um ungerechtfertigte Beschränkungen und Verbote der

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Vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 267 AEUV Rn. 73; Pechstein, EUProzessrecht, 2011, Rn. 869. 145 Hierauf ebenfalls hinweisend: Franzen, RdA 2015, 141 (149); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.40; Temming, JurisPRArbR 25/2015, Anm. 1, S. 7. Ebenfalls darauf hinweisend, dass der EuGH nur eine Überprüfung nationaler Normen anhand des Sekundärrechts und gerade nicht anhand des Primärrechts ausschließt: Sittard/Houf, EuZW 2015, 385 (387). 146 Hierauf hatte auch schon Szpunar hingewiesen: Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 20.11.2014 – C-533/13, BeckRS 2014, 82404, Rn. 91. Siehe ferner zu den primärrechtlichen Gewährleistungen detailliert unten: S. 205 ff.

166 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Arbeitnehmerüberlassung zu beseitigen, ist in der Konsequenz daher das Primärrecht und nicht Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG.147 Dem Normverständnis des EuGH braucht man sich daher nicht gänzlich zu verschließen. Mit Blick auf die Praxis und zugleich unter Anerkennung der zentralen Bedeutung des Gerichtshofs für die Auslegung des Unionsrechts (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV) ist es vielmehr sinnvoller, die durch das Urteil geschaffene Rechtswirklichkeit zu akzeptieren – auch wenn im Hinblick auf die Systematik der Richtlinie stringentere und sachnähere Auslegungen von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/ EG auf der Hand gelegen hätten. c) Der Gleichbehandlungsgrundsatz Nachdem sowohl dem Merkmal „vorübergehend“ als auch Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG kein nennenswerter materieller Regelungsgehalt entnommen werden konnte, gilt es nunmehr, den Blick dem „Herzstück der Richtlinie“148 in Bezug auf den Schutz der Leiharbeitnehmer zuzuwenden: Dem in Art. 5 RL 2008/ EG/104 normierten Gleichbehandlungsgrundsatz. Der dort niedergelegte Leiharbeitnehmerschutz soll nach der Konzeption der Richtlinie nicht in erster Linie durch Restriktionen dieser Personaleinsatzform erreicht werden, sondern vielmehr durch eine grundsätzliche Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern mit den Stammarbeitnehmern des Entleihunternehmens.149 aa) Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen So regelt Art. 5 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie, dass „die wesentlichen Arbeitsund Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer (…) während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen, die für sie gelten würden, wenn sie von jenem genannten Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären“ entsprechen müssen. Die hier genannten „wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen“ werden in Art. 3 Abs. 1 lit. f) der Richtlinie als „die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die 147 Dessen Kriterien werden sich aber ggf. als Auslegungshilfe in Bezug auf die Rechtfertigungsmöglichkeiten des Primärrechts im spezifischen Fall der Arbeitnehmerüberlassung heranziehen lassen. Ebenfalls in diese Richtung: Franzen, RdA 2015, 141 (150). 148 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 1. Ähnlich: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.11 („Kernvorschrift“); Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 66 („Zentralgestirn“). Die zentrale Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist im Übrigen auch schon aus der Formulierung in Art. 2 der Richtlinie zu erkennen, in dem es heißt, dass der „Schutz der Leiharbeitnehmer“ und die Verbesserung der „Qualität der Leiharbeit“ erreicht werde, „indem die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern gemäß Artikel 5 gesichert wird“. 149 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (304).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, Tarifvertrag und/oder sonstige verbindliche Bestimmungen allgemeiner Art, die im entleihenden Unternehmen gelten, festgelegt sind und sich auf (…) die Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit, Urlaub, arbeitsfreie Tage (und) Arbeitsentgelt“ beziehen, legaldefiniert. Damit bezieht sich der Gleichbehandlungsgrundsatz auf das Gros der im Entleihbetrieb geltenden Bedingungen („Equal Treatment“) ebenso wie auf das dem Leiharbeitnehmer zu gewährende Arbeitsentgelt („Equal Pay“).150 Von Interesse ist hierbei insbesondere der vom Richtliniengeber gewählte Vergleichsmaßstab zur Ermittlung der notwendigen Gleichbehandlung. Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie ist der Leiharbeitnehmer mindestens so zu behandeln und zu entlohnen, wie er behandelt und entlohnt worden wäre, wenn er vom Entleihunternehmen „unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz“ eingestellt worden wäre. Es ist also eine hypothetische, auf den vom Leiharbeitnehmer besetzten konkreten Arbeitsplatz bezogene Betrachtung durchzuführen, bei der danach gefragt wird, wie die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen im Entleihunternehmen im Falle einer fiktiven Direktanstellung auf diesem Arbeitsplatz ausgestaltet gewesen wären.151 Überlegt werden muss also jeweils, zu welchen Bedingungen der konkrete Leiharbeitnehmer auf dem konkreten Arbeitsplatz im konkreten Entleihunternehmen als Stammarbeitnehmer eingestellt worden wäre. Es geht also gerade nicht um einen Vergleich mit anderen, mit dem vom Leiharbeitnehmer eingenommenen Arbeitsplatz vergleichbaren Stammarbeitsplätzen, sondern um eine fiktive einzelfallbezogene Betrachtung.152 Daher ist es auch nicht von Bedeutung, wenn kein vergleichbarer Stammarbeitsplatz im konkreten Unternehmen besteht und der hypothetische Vergleich daher ohne den helfenden tatsächlichen Anhaltspunkt eines vergleichbaren Arbeitnehmers stattfinden muss.153 Freilich wird dies oftmals der Fall sein. Dies betrifft namentlich die Fälle, in denen die Arbeitnehmerüberlassung als reaktive Flexibilitätsreserve eingesetzt wird und der entsprechende Leiharbeitnehmer auf einem vorübergehenden Arbeitsplatz tätig wird, der nur aufgrund eines kurzfristig aufgetretenen oder zeitlich nicht absehbaren Arbeitskräftebedarfs – etwa in Gestalt einer Auftragsspitze – vorhanden ist und gerade nicht mit einem (zusätzlichen) Stammarbeitnehmer zu besetzen gewesen wäre. Der betreffende Leiharbeitnehmer

150 Vgl. etwa jüngst zur Gleichbehandlung in Bezug auf den Urlaub: EuGH, Urt. v. 12.5.2022 – C-426/20, NZA 2022, 1041 ff. 151 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 4; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 514 f. 152 Vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 515. 153 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 6; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 521; Thüsing/Stiebert, ZESAR 2012, 199 (203).

168 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

kann in diesem Fall auch nicht mit einer tatsächlichen Direkteinstellung in den Vergleich gesetzt werden.154 Deutlich wird aus der in der Richtlinie gewählten Betrachtung des konkreten Arbeitnehmers in Bezug auf den konkreten Arbeitsplatz aber nicht zuletzt auch, dass das hypothetische Vergleichsszenario – möglichst realitätsnah – die personenbezogenen Merkmale des konkreten Leiharbeitnehmers und die Eigenarten des Betriebes abbilden muss.155 Daher sind auch die Berufserfahrung, die Kompetenz, das Alter und die Ausbildung des jeweiligen Leiharbeitnehmers zu berücksichtigen.156 Ebenso sind die Charakteristika des Entleihunternehmens zu beachten und zwar im Besonderen die des konkreten Einsatzbetriebes. Um eine möglichst realitätsnahe fiktive Einstellungssituation zu konstruieren, ist daher nur der betreffende Betrieb entscheidend. Es nicht etwa eine unternehmensweite Betrachtung der Arbeitsbedingungen bei Entleihunternehmen anzustellen, die mehrere Betriebe unterhalten.157 In der Konsequenz kommt es daher auf eine möglichst realitätsnahe hypothetische Überlegung darüber an, wie die Arbeitsbedingungen des konkreten Leiharbeitnehmers auf dem konkreten Arbeitsplatz im Entleihunternehmen im Falle einer Stammbeschäftigung aussähen. Ganz ohne den helfenden Versuch einer Betrachtung von vergleichbaren Stammarbeitnehmern auf vergleichbaren Arbeitsplätzen, aus der man für die hypothetische Vergleichsüberlegung Anhaltspunkte ziehen kann, wird man hierbei freilich nicht auskommen.158 154

Bei der (typischen) reaktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung werden in der Regel nicht in erheblichem Maße Stammarbeitsplätze substituiert, da auf den zu befriedigenden betrieblichen Arbeitskraftbedarf in diesem Fall nicht mit einem (zusätzlichen) Stammarbeitnehmer, sondern allenfalls mit anderen Formen der Flexibilitätssteigerung reagiert werden kann. Siehe hierzu oben: S. 117 ff. 155 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (307); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 5; Sansone, in: Preis/ Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.58. 156 Zu beachten ist hierbei (bspw. beim Lebensalter) allerdings, dass für den Leiharbeitnehmer im Vergleichsszenario die im Entleihunternehmen geltenden und in Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie aufgezählten Diskriminierungsverbote und Schutzbestimmungen zugunsten bestimmter Personengruppen angewendet werden müssen. 157 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 5; Thüsing/Stiebert, ZESAR 2012, 199 (202). A. A. ist hingegen: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 514. 158 So implizit: Hamann, EuZA 2009, 287 (307); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 5 ff. Aus solchen vergleichenden Betrachtungen sind aber diejenigen Stammarbeitnehmer und Arbeitsplätze auszuwählen, die der hypothetischen Direkteinstellung des konkreten Leiharbeitnehmers am nächsten kommen. Wenn bspw. mit mehreren vergleichbaren Arbeitnehmern auf vergleichbaren Arbeitsplätzen im Entleihbetrieb zu unterschiedlichen Einstellungszeitpunkten unterschiedliche Arbeitsbedingungen ausgehandelt wurden, ist derjenige Arbeitnehmer vergleichend heranzuziehen, dessen Einstellungszeitpunkt dem konkreten Betrachtungszeitpunkt der Überlassung am nächsten liegt. Vgl. hierzu: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kom-

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Über die vergleichend ermittelten hypothetischen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen kann im Einzelfall auch hinausgegangen werden. Schließlich spricht Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG nur davon, dass die entsprechenden Bedingungen „mindestens“ gewährt werden müssten.159 Dies spielt insbesondere dann eine Rolle, wenn sich im Rahmen des anzustellenden Vergleichs herausstellt, dass die von Seiten des Verleihunternehmens während der Überlassungszeit gewährten Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen günstiger sind als diejenigen, die bei fiktiver Direktanstellung im Entleihunternehmen gelten würden.160 Unbeantwortet lässt Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG allerdings, ob das Verleihoder das Entleihunternehmen dem Leiharbeitnehmer die entsprechenden Arbeitsbedingungen inklusive des Entgelts zu gewähren hat und wer demgemäß Gleichbehandlungsschuldner ist.161 Hiermit trägt die Richtlinie dem Umstand Rechnung, dass die Ausgestaltung der Vertragskonstellationen im Dreiecksverhältnis der Arbeitnehmerüberlassung in den Mitgliedstaaten stark variiert und teils das Verleih-, teils das Entleihunternehmen unmittelbarer Vertragspartner des Leiharbeitnehmers ist.162 In Deutschland besteht eine arbeitsvertragliche Bindung aber nur zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleihunternehmen, sodass im deutschen Rechtskreis nur dieses Schuldner der Gleichbehandlung sein kann. bb) Ausnahmeoptionen Den in Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG normierten Gleichbehandlungsgrundsatz hat der Unionsgesetzgeber den Mitgliedstaaten aber keinesfalls als unverrückbare Regelung des Leiharbeitnehmerschutzes vorgegeben. Vielmehr erlaubt die Leiharbeitsrichtlinie den mitgliedstaatlichen Regelungsregimen in Art. 5 Abs. 2 – 4 vielmentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 7; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 524. 159 Von dieser Betrachtung geht Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie bereits selbst aus, ohne dass Art. 9 Abs. 1, nach dem über die Richtlinienbestimmungen hinausgehende die Leiharbeitnehmer besserstellende Regelungen erlassen werden dürfen, eine Rolle spielen würde (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 2). 160 Richtigerweise kann es hierbei nicht um einen Vergleich einzelner Bedingungen gehen („Rosinenpicken“), sondern um einen Vergleich von Sachgruppen, zu denen die Bedingungen zusammengefasst werden. Vgl. hierzu: Hamann, EuZA 2009, 287 (307); Kolbe, in: Franzen/ Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 2; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.64. 161 Vgl. Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, §16 Rn. 66; Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 1; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.44. 162 Vgl. Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, §16 Rn. 66. Vgl. zur vertraglichen Konstruktion: S. 32 ff.

170 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

fältige Ausnahmemöglichkeiten von der in Art. 5 Abs. 1 vorgeschriebenen Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer.163 (1) Ausnahmen bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen Gemäß Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG können die Mitgliedstaaten „in Bezug auf das Arbeitsentgelt“ („Equal Pay“) „nach Anhörung der Sozialpartner die Möglichkeit vorsehen, dass vom Grundsatz des Absatzes 1 abgewichen wird, wenn Leiharbeitnehmer, die einen unbefristeten Vertrag mit dem Leiharbeitsunternehmen abgeschlossen haben, auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden“. Nach der Auffassung des Richtliniengebers kann also ein unbefristeter Vertrag, der es ermöglicht, dass der Leiharbeitnehmer auch zwischen einzelnen Überlassungsepisoden – und somit „durchgehend“ – bezahlt wird, eine Ungleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts rechtfertigen.164 Solche unbefristeten Verträge seien – so Erwägungsgrund 15 der Leiharbeitsrichtlinie – schließlich die „übliche Form des Beschäftigungsverhältnisses“, sodass „angesichts des hierdurch gegebenen besonderen Schutzes die Möglichkeit vorgesehen (werde), von den im entleihenden Unternehmen geltenden Regeln abzuweichen“. Dieser Logik folgend gewährt Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie in diesem Fall eine Abweichungsmöglichkeit hinsichtlich der Entgeltgleichheit.165 163 Für die nationale Betrachtung irrelevant und daher hier nicht gesondert aufgeführt ist Art. 5 Abs. 4 RL 2008/104/EG. Dieser ermöglicht es denjenigen Mitgliedstaaten, „in denen es entweder kein gesetzliches System, durch das Tarifverträge allgemeine Gültigkeit erlangen, oder kein gesetzliches System bzw. keine Gepflogenheiten zur Ausweitung von deren Bestimmungen auf alle vergleichbaren Unternehmen in einem bestimmten Sektor oder bestimmten geografischen Gebiet gibt“, vom Gleichbehandlungsgrundsatz abzuweichen. Die hiermit vornehmlich auf das Vereinigte Königreich und Irland zugeschnittene Ausnahmeoption bezieht sich auf Mitgliedstaaten, die mangels gesetzlicher Regelungen zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen nicht auf die Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 3 zugreifen können. Vgl. hierzu weiterführend: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 24; Zimmer, NZA 2013, 289 (292). 164 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 14; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 535. 165 Mit Blick auf das in den Mitgliedstaaten neben dem in Deutschland im Wesentlichen vorherrschenden „verleiherbezogenen“ Modell der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung ist daneben auch das „entleiherbezogene“ Modell üblich, bei dem der Leiharbeitnehmer in der Konsequenz nur während der Überlassungen Entgelt erhält (vgl. oben S. 54 ff.). In diesen Regelungssystemen wäre eine Abweichung von der Entgeltgleichheit demnach nicht zulässig. Unbeantwortet lässt die Richtlinie im Rahmen dieser Ausnahmeoption indes die Frage, von wem die Leiharbeitnehmer „auch in der Zeit zwischen den Überlassungen bezahlt werden“ müssen (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 15). Relevant wird dies im Besonderen im Fall von einem nach §§ 169 ff. SGB III von staatlicher Seite gezahlten Kurzarbeitergeld. Bezweifeln könnte man in dieser Konstellation, ob eine solche Sozialleistung eine „Bezahlung“ im Sinne der Richtlinienbestimmung darstellen kann (dies daher ablehnend: Ulber, AuR 2010, 10 [14]). Richtigerweise geht es der Ausnahmevorschrift aus Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG aber nur

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Obwohl in Deutschland Leiharbeitsverträge in rechtlicher Hinsicht dem Grunde nach als gewöhnliche Arbeitsverträge betrachtet werden, die im Regelfall unbefristet sind, hat der deutsche Gesetzgeber von der Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie keinen Gebrauch gemacht.166 (2) Ausnahmen für tarifvertragliche Regelungen unter Achtung des „Gesamtschutzes“ In Bezug auf die deutsche Regulierung relevanter ist daher vielmehr die zweite Ausnahmeoption zum Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/ EG, von der der deutsche Gesetzgeber in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG Gebrauch gemacht hat, von Interesse. Hiernach können die Mitgliedstaaten „nach Anhörung der Sozialpartner diesen die Möglichkeit einräumen, auf der geeigneten Ebene und nach Maßgabe der von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen Tarifverträge aufrechtzuerhalten oder zu schließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern Regelungen in Bezug auf die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern, welche von den in Satz 1 aufgeführten Regelungen abweichen können, enthalten“.

Es ist den Mitgliedstaaten also ausweislich Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG überlassen, den Sozialpartnern die Möglichkeit zu gewähren, vom Gleichbehandlungsgrundsatz tarifvertraglich abzuweichen und diesen Grundsatz demgemäß tarifdispositiv zu stellen.167 Hiermit wird den Mitgliedstaaten ein erheblicher Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eingeräumt.168 Im Ergebnis steht der Gleichbehandlungsgrundsatz in Gänze169 und nicht nur für unbefristete Arbeitsverträge zur Disposition.170 darum, dass der Leiharbeitnehmer in der Zeit zwischen den Überlassungen arbeitsvertraglich geschützt ist und gerade nicht arbeitslos wird, sodass auch eine Bezahlung, die nicht von Seiten des Arbeitgebers erfolgt, ausreichen muss (vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 538; ähnlich: Kolbe, in: Franzen/ Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 14). 166 Die Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG wird sogar z. T. als an Deutschland adressierte Ausnahmeregelung verstanden (vgl. Jahn, Der Gleichstellungsgrundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 2015, S. 150; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 535). 167 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 18; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.77. 168 Vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 546; Waas, ZESAR 2009, 207 (211). 169 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 18; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 24; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.76; Ulber, AuR 2010, 10 (14); Waas, ZESAR 2009, 207 (211); anders sehen es Brors und Zimmer, die meinen, dass aus Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie folge, dass hinsichtlich des

172 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Auf welcher Ebene die tarifvertraglichen Ausnahmen (solange sie nur „geeignet“ sind) ausgestaltet werden, ist den Mitgliedstaaten überlassen, ebenso wie die „von den Mitgliedstaaten festgelegten Bedingungen“ hinsichtlich solcher tarifvertraglicher Regelungen maßgeblich sind. Zwingend ist nur zweierlei. Zum einen, dass die tarifvertraglichen Regelungen selbst die entsprechenden Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz enthalten und nicht nur die konkreten Arbeitsvertragspartner durch den Tarifvertrag ermächtigt werden, eigenständig hiervon Abweichendes zu vereinbaren.171 Schwieriger zu beurteilen ist demgegenüber die Frage, ob die im nationalen Recht in § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG vorgesehene Möglichkeit, durch individualvertragliche Inbezugnahme solcher Tarifverträge, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, im Ergebnis ebenfalls eine Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erreichen, mit der hier in Rede stehenden Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG in Einklang steht (dazu näher S. 421 ff.). Zum anderen schreibt die Richtlinie für tarifvertragliche Abweichungen auch vor, dass diese den „Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern“ achten müssen. Gänzlich frei sind die Tarifvertragsparteien bei Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in inhaltlicher Hinsicht also nicht. Inwieweit die Richtlinie entsprechende tarifvertragliche Abweichungen mit dem Postulat zur Achtung dieses „Gesamtschutzes“ aber einschränkt, ist ausweislich des Richtlinientextes unklar. Eine Mindestgrenze für den Schutz von Leiharbeitnehmern, die es im Falle einer Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz ggf. in Form eines „Gesamtschutzes“ zu beachten gäbe, enthält die Richtlinie schließlich nicht.172 Ebenso wenig kann mit dem „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ ein zu beachtender allgemeiner Arbeitsschutz gemeint sein,173 spricht doch die Richtlinie gerade von einem „Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer“ und nicht einem Schutz von Arbeitnehmern per se.174 Entgelts nur bei unbefristeten Arbeitsverträgen abgewichen werden dürfe (Brors, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 602; Zimmer, NZA 2013, 289 [293 ff.]). Hiergegen spricht indes der eindeutige Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie, der unterschiedslos alle Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen in Bezug nimmt. 170 Vgl. Hamann, NZA 2011, 70 (71); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.76. A. A. erneut: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 602; Zimmer, NZA 2013, 289 (293 ff.). 171 Sog. Zulassungs- bzw. Öffnungsnormen im entsprechenden Tarifvertrag sind also ausweislich des Wortlauts („enthalten“) unzulässig. Vgl. hierzu: Kolbe, in: Franzen/Gallner/ Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 18; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.83. A. A. und im Hinblick auf § 9 AÜG a. F. eine Delegierung auf die kollektiv- oder individualvertragliche Ebene durch Öffnungsnormen für richtlinienkonform haltend: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 195. 172 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 21. 173 Bspw. in Form eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. 174 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 21.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Trotz des Fehlens konkreter inhaltlicher Vorgaben hinsichtlich des zu wahrenden „Gesamtschutzes“ wird aus der Formulierung dennoch zum Teil hergeleitet, dass der Abstand zu den Arbeitsbedingungen im Entleihunternehmen bei einer Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz nicht „zu groß“175 werden dürfe und bspw. eine Abweichung von der Entgeltgleichheit allenfalls bis zu einer Grenze von 10 % im Vergleich zum Entleihbetrieb zulässig sei.176 Ob mit dem Postulat des zu achtenden „Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ aber überhaupt eine harte Angemessenheitskontrolle der tariflichen Abweichungen hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes erreicht werden sollte, ist fraglich. Dagegen spricht, dass im Laufe der Genese der Leiharbeitsrichtlinie die ungleich striktere Formulierung „sofern ein angemessenes Schutzniveau für die Leiharbeitnehmer gewährleistet ist“ durch den zu wahrenden „Gesamtschutz“ ersetzt wurde.177 Hinzu kommt, dass es in Erwägungsgrund 19 der Richtlinie heißt, dass diese die „Autonomie der Sozialpartner“ gerade nicht beeinträchtigen wolle.178 Hiermit nimmt die Richtlinie die in Art. 28 GrCh geschützte Tarifautonomie in Bezug, was richtigerweise als Bekenntnis zur Unabhängigkeit der Sozialpartner verstanden werden muss und einer Interpretation der Formulierung als strikte Angemessenheitsprüfung von Tarifverträgen gerade entgegensteht.179 Hieraus allerdings herzuleiten, dass mit dem Postulat des „Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer“ gar kein Kontrollmaßstab für tarifliche Abweichungen einherginge, ist mit dem Wortlaut der Formulierung ebenfalls nur schwer zu vereinbaren.180 Wenn man der Formulierung daher einen Kontrollmaßstab entnehmen will, so kann sich dieser nur auf die Rolle einer äußersten Grenzziehung in Bezug auf tarifvertragliche Ausnahmen beschränken.181 175

So etwa: Düwell/Dahl, DB 2009, 1070 (1073); Klumpp, GPR 2009, 89 (91). So explizit: Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 99 f. Demgegenüber in Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG zur Sittenwidrigkeit von Vergütungsabreden eine Grenze von zwei Dritteln des Entgelts eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers als Untergrenze des zu wahrenden Gesamtschutzes vorschlagend: Riechert, NZA 2013, 303 (308). 177 Vgl. Franzen, EuZA 2022, 3 (8 f.); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 546; Thüsing, RdA 2009, 118 (119). 178 Vgl. Franzen, EuZA 2022, 3 (14); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 20; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 543. 179 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 20; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 544. 180 So aber („bloßer Programmsatz“): Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (498). Genauso verhält es sich, wenn man den „Gesamtschutz“ bereits deswegen als erfüllt ansieht, weil aus der Tarifautonomie stets eine Angemessenheitsvermutung für abgeschlossene Tarifverträge folge. So die Ansicht von: Lembke, DB 2011, 414 (416). Dem deutlich widersprechend: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 281 ff.; Seiwerth, ZESAR 2021, 127 (130). 181 So richtigerweise: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 544. In diese Richtung auch zuletzt: Franzen, EuZA 2022, 3 (11 f.). 176

174 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Fraglich ist aber, ob bei dieser Kontrolle nur das vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende tarifvertragliche Werk als „Gesamtpaket“ zu begutachten ist182 oder ob das Postulat aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG dem nationalen Gesetzgeber aufgibt, die Voraussetzungen, unter denen ein Tarifvertrag bei einer Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz den „Gesamtschutz“ wahrt, selbst zu normieren.183 Der Sinn und Zweck der Richtlinienverpflichtung auf den zu wahrenden „Gesamtschutz“ spricht dafür, dass weder der abweichende Tarifvertrag, noch das diesen zulassende nationale Recht den entsprechenden „Gesamtschutz“ explizit sicherstellen muss.184 Schließlich kommt es der Richtlinie offenkundig nur darauf an, dass das gesamte leiharbeitnehmerspezifische Schutzniveau – trotz der Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz – nicht unter eine untere Haltelinie absinkt.185 Ob dieser im Ergebnis zu wahrende „Gesamtschutz“ durch den Tarifvertrag selbst, die diesen zulassende nationale Regelung oder durch eine Gesamtschau aus der tariflichen Gestaltung und dem gesamten nationalen Regelwerk,186 das auf den Schutz der Leiharbeitnehmer abzielt, gewährleistet wird, ist in der Konsequenz unerheblich.187 Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG geht es vielmehr angesichts seiner wortkargen Fokussierung auf den im Ergebnis zu wahrenden „Gesamtschutz“ nicht um das „Wie“, sondern nur um das „Ob“ des Leiharbeitnehmerschutzes. Viel spricht daher dafür, in die entsprechende Kontrollbetrachtung der tariflichen Abweichungen alle (tarifvertraglichen und gesetzlichen) Regelungen, die dem Schutz der Leiharbeitnehmer dienen, einzubeziehen, sodass etwa auch leiharbeitnehmer-

182 So die Ansicht von: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 544. 183 So etwa: Fuchs, NZA 2009, 57 (61), der darauf abstellt, dass das AÜG die Mindestarbeitsbedingungen aufstellt, unter denen eine tarifvertragliche Abweichung zulässig ist. So wohl auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 79 ff., 97. Vgl. zu dieser Frage auch: Kolbe, in: Franzen/ Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 22. 184 In diese Richtung zutreffend: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 21. Die Mitgliedstaaten müssen nur i. E. den „Gesamtschutz“ sicherstellen: Franzen, EuZA 2022, 3 (6 ff., 17). 185 Hierfür spricht auch die Formulierung in Erwägungsgrund 16 der Richtlinie, wonach den Sozialpartnern gestattet werden dürfe, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, „sofern das Gesamtschutzniveau für Leiharbeitnehmer gewahrt bleibt“, was nur auf den i. E. zu wahrenden „Gesamtschutz“ (vgl. Franzen, EuZA 2022, 3 [17]) abstellt, nicht aber auf die Bedingungen von dessen Erreichung. A. A.: Fuchs, NZA 2009, 57 (61). 186 Das leiharbeitnehmerschützende Regelwerk zur Begutachtung des „Gesamtschutzes“ in Bezug nehmend: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 46. In diese Richtung auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 138. Vgl. auch Franzen, wenngleich dieser nur auf gesetzliche und nicht tarifvertragliche Regelungen abstellt (Franzen, EuZA 2022, 3 [14 f., 17]). Wohl auch: Hamann, jurisPR-ArbR 29/2021 Anm. 3, S. 5 f. 187 So wohl auch: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 21.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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spezifische Mindestlohnregelungen zu beachten sind, die die Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz ggf. abfedern.188 Der EuGH hat den zu achtenden „Gesamtschutz“ kürzlich mit Urteil189 vom 15. Dezember 2022 indes anders interpretiert. Vorangegangen war eine Vorlage des Bundesarbeitsgericht nach Art. 267 AEUV.190 Der EuGH hat sich im betreffenden Urteil in der Rechtssache C-311/21 der Sichtweise des Generalanwalts191 angeschlossen und den zu achtenden „Gesamtschutz“ nunmehr dergestalt interpretiert, dass Tarifverträge, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz zuungunsten der Leiharbeitnehmerschaft abweichen, darauf verpflichtet sind, den Leiharbeitnehmern zugleich „Vorteile in Bezug auf wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen (zu) gewähren, die geeignet sind, ihre Ungleichbehandlung auszugleichen“.192 In der Konsequenz liest der EuGH den „Gesamtschutz“ hiernach als eine konkret-individuelle Vergleichsbetrachtung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen derjenigen Leiharbeitnehmer, zu deren Nachteil vom Gleichbehandlungsgrundsatz abgewichen wird, und den Bedingungen vergleichbarer Stammarbeitnehmer.193 Der „Gesamtschutz“ zielt dem EuGH zufolge daher auf eine Kompensation der fehlenden Gleichbehandlung (etwa hinsichtlich des Entgelts) ab, die nur durch Sondervorteile der Leiharbeitnehmer erreicht werden kann, welche im Ergebnis in einem angemessenen Verhältnis zu der ausbleibenden Gleichbehandlung stehen müssen.194 Anders als hier vertreten sieht der EuGH zudem einzig die Sozialpartner, die derartige Tarifverträge aushandeln, für diese Kompensation in der Verantwortung.195 Konsequentermaßen ist daher nach dieser Lesart auch nicht – ebenfalls anders als hier vertreten – die Gesamtheit an leiharbeitnehmerschützenden Regelungen im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaates heranzuziehen, sondern allein die maßgebliche tarifliche Regelung.196 Diese Maßgaben kulminieren letztlich darin, dass die Frage, ob der so verstandene „Gesamtschutz“ gewahrt ist, nur in Bezug auf den konkreten Einzelfall beantwortet werden kann, indem die wesentlichen Arbeits188

Hierauf ebenfalls abzielend: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 21. 189 EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 ff. Besprochen wird das Urteil bei: Bissels/Singraven, DB 2023, 327 (330 ff.); Däubler, NZA 2023, 73 ff.; Franzen, NZA 2023, 25 ff.; Thüsing, NZA 2023, 31 (36 f.). 190 BAG, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A), NZA 2021, 800 ff. 191 Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 14.7.2022 – C-311/21. 192 EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33, Rn. 44). Eine ähnliche Lesart findet sich zuvor bereits bei Kolfhaus, der aus der Gesamtschutzklausel einen relativen Schutzbegriff herausliest, der auf einen Ausgleich der unterschrittenen Gleichbehandlung abzielt (Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 156 ff., 258 ff.). 193 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33 f., Rn. 46 ff.). 194 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33, Rn. 39). 195 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33, Rn. 39; sowie 35 f., Rn. 70 ff.). 196 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33, Rn. 39).

176 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

und Beschäftigungsbedingungen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. f) RL 2008/104/EG eines konkreten Leiharbeitnehmers in einem konkreten Entleihunternehmen denjenigen eines dortigen vergleichbaren Stammarbeitnehmers gegenübergestellt werden. Sobald der entsprechende Tarifvertrag, der unterhalb des Gleichbehandlungsgrundsatzes diese Bedingungen ausgestaltet, für den individuell in den Blick genommenen Leiharbeitnehmer keine geeignete Kompensation in Bezug auf die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen vorsieht, liegt eine unionsrechtswidrige Unterschreitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Welcher Natur diese Kompensation sein muss und ab wann genau etwa von einem angemessenen Ausgleich bei einer Unterschreitung des „Equal Pay“-Grundsatzes ausgegangen werden kann, lässt der EuGH allerdings offen.197 Er beschränkt sich vielmehr auf die Festlegung des anzustrebenden Endzustands: Erzielt werden soll eine Implementierung solcher Sondervorteile im abweichenden Tarifvertrag, die „geeignet sind, (die) Ungleichbehandlung auszugleichen“.198 Der Generalanwalt hatte hierzu noch beispielhafte Ausführungen getroffen.199 Die Darstellungen des EuGH lassen dergleichen vermissen.200 Hinzu kommt, dass der EuGH explizit nicht die mitgliedstaatliche Legislative in der Pflicht sieht, diesem vagen Maßstab durch nationale Regulierungsvorgaben Konturen zu verleihen.201 Die hierauf abzielende Frage des Bundesarbeitsgerichts hat der EuGH namentlich damit beantwortet, dass Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie „dahin auszulegen ist, dass der nationale Gesetzgeber nicht verpflichtet ist, die Voraussetzungen und Kriterien für die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern im Sinne dieser Bestimmung vorzusehen“.202 Vielmehr „müssen die Sozialpartner (…) diese Richtlinie beachten, indem sie ua den Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern gem. Art. 5 III der Richtlinie achten“.203 Die entsprechende Kontrollinstanz, die demzufolge über die Verpflichtung der Sozialpartner auf den „Gesamtschutz“ wa197 Vgl. hierzu die weiterführenden Überlegungen zur Kompensation bei: Däubler, NZA 2023, 73 (74 f.); Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 326 ff. 198 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (33, Rn. 44). 199 Der Generalanwalt bringt etwa eine Kompensation durch zusätzliche Urlaubstage, welche zu der ausgebliebenen Gleichbehandlung in einem angemessenen Verhältnis stehen müssten, ins Spiel. Gleichzeitig wird eine Kompensation durch etwa ein „Geschenk aus der Werbeabteilung“ als unverhältnismäßig bezeichnet (jeweils: Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 14.7.2022 – C-311/21, Rn. 39, 40). Inwiefern aber die tariflichen Regelungen Kompensationen enthalten müssen, welche zugunsten der Leiharbeitnehmer Vorteile bewirken, die etwa eine ausgebliebene Entgeltgleichheit vollständig aufwiegen, wird selbst aus den vom Generalanwalt angenommenen „strengsten Anforderungen“ (ebd., Rn. 39) an die Rechtfertigung nicht deutlich. 200 Dies auch konstatierend: Bissels/Singraven, DB 2023, 327 (332). 201 Dieser vom EuGH vertretenen Lesart steht das Konzept von Kolfhaus diametral entgegen, da dieser die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber in der Pflicht sieht, die Bedingungen des „Gesamtschutzes“ konkret gesetzlich aufzuschlüsseln (Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 258 ff., 265 f.). 202 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (35, Rn. 68). 203 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (35, Rn. 67).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

177

chen soll, ist dem EuGH zufolge im Ergebnis nicht der nationale Gesetzgeber, sondern die nationale Judikative, welche vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge auf die Einhaltung des „Gesamtschutzes“ überprüfen müssen.204 Für den nationalen Gesetzgeber entstehen demgegenüber offenbar keine nennenswerten Verpflichtungen.205 Diese Sichtweise verschiebt die Überlegung, ob die nationale Ausgestaltung der Gleichbehandlungsfrage den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie entspricht, von der legislativen Debatte auf die tarifvertragliche und judikative Diskursschicht (vgl. hierzu unten S. 424 ff.). (3) Missbräuchliche Anwendung der Ausnahmeoptionen Wenngleich die Leiharbeitsrichtlinie den Mitgliedstaaten also verschiedene Ausnahmeoptionen in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz belässt, so installiert sie gleichwohl in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG eine diesbezügliche Schranke. Die Mitgliedstaaten haben hiernach bei allen Ausnahmeoptionen dafür Sorge zu tragen, dass eine missbräuchliche Anwendung der Ausnahmebestimmungen unterbleibt.206 Nach Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG sind sie verpflichtet „die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten“ zu ergreifen, „um eine missbräuchliche Anwendung dieses Artikels zu verhindern“. Zwar nimmt Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG mit seiner Formulierung „missbräuchliche Anwendung dieses Artikels“ den gesamten Art. 5 in Bezug. Richtigerweise kann aber nur eine missbräuchliche Anwendung der Ausnahmeoptionen und nicht des Gleichstellungsgrundsatzes selbst gemeint sein.207 Was die Kriterien für einen Missbrauch in diesem Sinne sind, wird aus dem Richtlinientext selbst nicht deutlich.208 Objektiv missbräuchlich wäre eine Inanspruchnahme der Ausnahmebestimmungen aber jedenfalls dann, wenn diese zu Konsequenzen

204

Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (36, Rn. 76 ff.). Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (36, Rn. 76) („Daraus folgt, dass […] die Bestimmungen der RL 2008/104 den Mitgliedstaaten […] nicht den Erlass einer bestimmten Regelung, mit der der Gesamtschutz von Leiharbeitnehmern iSv Art. 5 III dieser Richtlinie gewährleistet werden soll, vorschreiben“). 206 Vgl. hierzu: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 28; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.86. 207 Vgl. Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 77; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 30; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 555. So verstanden wird die Formulierung auch im Bericht des Ausschusses der Ständigen Vertreter an den Rat, 11064/08 SOC 323 CODEC 679, v. 4. 6. 2008, S. 7. 208 In Anlehnung an das unionsrechtlich noch nicht vollumfänglich geklärte Prinzip des Rechtsmissbrauchs ist aber ein objektives und subjektives Element erforderlich. Weiterführend hierzu: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 555. 205

178 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

führte, die mit den Zielen der Richtlinie offensichtlich nicht vereinbar sind.209 Hieran wird ein hoher Maßstab anzusetzen sein. Ein Verstoß gegen das Missbrauchsverbot hinsichtlich der Ausnahmeoptionen aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG wird daher im Rahmen des AÜG – dies sei hier bereits vorweggenommen – nicht in Rede stehen.210 Eine andere Stoßrichtung verfolgt demgegenüber Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie, wenn dort im zweiten Halbsatz – unmittelbar folgend auf die soeben erläuterte Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Verhinderung der missbräuchlichen Anwendung des Artikels selbst – davon die Rede ist, dass diese Verpflichtung auch gerade bestehe, „um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern“. Hier wird nun – jedenfalls dem Wortlaut nach – nicht mehr der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG bzw. dessen Ausnahmeoptionen in Bezug genommen, sondern die Richtlinie in ihrer Gesamtheit. cc) Missbrauchsverbot: Verhinderung aufeinanderfolgender Überlassungen Der insofern gegenüber dem alleinigen Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz verbreiterte Blickwinkel der soeben genannten Richtlinienbestimmung wird vielfach als Einfallstor für eine Argumentation genutzt, welche die entsprechende Missbrauchsformulierung zur Begründung einer Auslegung der Richtlinienbestimmung „vorübergehend“ aus Art. 1, 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG als Verbot dauerhafter Arbeitnehmerüberlassung heranzieht (siehe bereits S. 146 ff.).211 Hierbei wird argumentiert, dass der Richtliniengeber ausweislich der verwendeten Formulierung davon ausgehe, dass „aufeinander folgende Überlassungen (…) die Bestimmungen der Richtlinie“ umgehen könnten. Richtigerweise könne es sich bei diesen „Bestimmungen“ nur um das Postulat „vorübergehend“ handeln,212 das 209 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 28. 210 Kolfhaus kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Formulierung einer mangelhaften Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer durch die Gewerkschaften entgegenstelle und sieht auch in diesem Lichte keinen Rechtsmissbrauch (vgl. Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 194 f.). 211 So bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 117; Brors/Schüren, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern, 2014, S. 17 f.; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 45; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 98; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 74 ff.; Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 29; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 106. 212 Vgl. LAG Berlin Brandenburg v. 16. 4. 2013, NZA-RR 2013, 621, 624; v. 10. 4. 2013, NZA- RR 2013, 527, 529; Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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umgangen werde, wenn ein Leiharbeitnehmer in Form von „aufeinander folgenden“ Überlassungen dauerhaft einen Arbeitsplatz besetze. Erst recht würde diese Richtlinienbestimmung nach dieser Lesart aber umgangen, wenn ein Leiharbeitnehmer im Rahmen einer Überlassung von vornherein dauerhaft auf einem solchen Arbeitsplatz eingesetzt und somit ein Dauerarbeitsbedarf mittels Arbeitnehmerüberlassung gedeckt würde.213 Wenn man allerdings – wie hier (vgl. S. 157 ff.) – das Merkmal „vorübergehend“ nicht als materielle Beschränkung der Überlassungsdauer interpretiert, schwindet die Überzeugungskraft dieser Argumentationslinie. Schließlich steht dann keine Richtlinienbestimmung zur Verfügung, welche die Arbeitnehmerüberlassung zeitlich beschränkt und in der Konsequenz dazu führt, dass Arbeitnehmerüberlassung nicht zur Abdeckung von dauerhaftem Beschäftigungsbedarf eingesetzt wird – wie es etwa bei der oben beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie typischerweise geschieht (vgl. S. 117 ff.). In der Tat erscheint die vorgebrachte Argumentation dann zirkelschlüssig. Wenn nämlich aus dem Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie der materielle Wert der Richtlinienbestimmung „vorübergehend“ aus Art. 1, 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG hergeleitet werden soll, so setzt dieser Verweis auf das Missbrauchsverbot den zu beweisenden materiellen Inhalt des Merkmals „vorübergehend“ bereits voraus. Mit anderen Worten: Die in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG genannten „Bestimmungen der Richtlinie“, die insbesondere durch „aufeinander folgende Überlassungen“ nicht umgangen werden sollen, kann man nur dann als das Merkmal „vorübergehend“ interpretieren, wenn man bereits an dessen materiellen Gehalt glaubt. Wer eine überzeugende Deduktion ihres materiellen Regelungsgehalts ohne diesen zirkelschlüssigen Blick auf das Missbrauchsverbots Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG aber schuldig bleibt,214 kann auch das Missbrauchsverbot nicht als Beweis für einen materiellen Gehalt der Begrifflichkeit „vorübergehend“ anbringen. Wenn aber „vorübergehend“ nicht als diejenige Richtlinienbestimmung, die durch „aufeinander folgende Überlassungen“ umgangen werden könnte, interpretiert werden kann, so fehlt im Ergebnis auch der Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie der Ansatzpunkt für eine Argumentation, die aus diesem Missbrauchsverbot eine Vorgabe herleitet, die einem dauerhaften Einsatz von Leiharbeitnehmern im Unternehmen entgegensteht. Schließlich steht dann keine materielle Richtlini213

Eine instruktive Darstellung dieser Argumentation findet sich bei: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 75 ff. 214 So aber z. T. die Argumentationslinien bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 117; Feldhaus, Leiharbeit in Deutschland und Großbritannien, 2013, S. 45; Hamann, EuZA 2009, 287 (311); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 74 ff.; Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 29; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462; Topoglu, Konsequenzen der AÜG-Novelle für die Beschäftigungsdauer im Entleiher-Unternehmen, 2015, S. 106.

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enbestimmung, durch welche Überlassungen in zeitlicher Hinsicht materiell reguliert werden, als „Bestimmungen der Richtlinie“ zur Verfügung. Im Ergebnis kann das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG nur schwerlich gegen eine dauerhafte und typischerweise Stammarbeitsplätze subsituierende Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung in Stellung gebracht werden. (1) Regelungsentscheidung wider die dauerhafte Überlassung und die Substitution von Stammarbeitnehmern? Diesen Argumenten zum Trotz wird aus der Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie dennoch zum Teil der unmittelbare Wille des Richtliniengebers hergeleitet, Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung zu unterbinden, bei denen Leiharbeitnehmer zu schlechteren Bedingungen auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden.215 Unabhängig davon, welche Richtlinienbestimmungen die „Bestimmungen der Richtlinie“ seien, auf die der Richtliniengeber in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 rekurriere, ergebe sich direkt aus der Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1, dass die Beschäftigungsbedingungen im Entleihunternehmen nicht durch den „unbegrenzten Einsatz von Leiharbeitnehmern unterlaufen werden“ dürften.216 Selbst wenn also „vorübergehend“ nicht als materielle Begrenzung der Arbeitnehmerüberlassung herhalten könne, ergebe sich aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie dennoch die Wertung, dass die Besetzung von Dauerarbeitsplätzen durch aufeinander folgende oder von vornherein als dauerhaft geplante Überlassungen missbräuchlich sei.217 Schließlich seien Leiharbeitnehmer bei derartigen Nutzungsstrategien der Arbeitnehmerüberlassung – wie für die Beschäftigung in der Branche typisch – schlechter gestellt, sei es in Bezug auf Entgelt und Arbeitsbedingungen oder in Bezug auf die Integration in der Belegschaft.218 Hiergegen positioniere sich der Richtliniengeber mit Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie, sodass aus dieser Bestimmung folge, dass die Mitgliedstaaten die Arbeitnehmerüberlassung so 215 So die Ansicht von: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 75 ff., 133, 196 ff. Ähnliche gedankliche Ansätze, jedoch ohne dass aus der isolierten Betrachtung von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie materielle Regelungen hergeleitet werden würden, finden sich bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 172; Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EURichtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 103 f.; Brors/Schüren, Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit verhindern, 2014, S. 17 f.; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 462. 216 So explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 78. 217 Pasch meint insofern, dass sich der Wille des Gesetzgebers, Stammarbeitnehmer substituierende Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung zu verbieten, direkt aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie herleite; das Merkmal vorübergehend diene nur als „Aufhänger“ (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 78). 218 Hierauf – mit jedenfalls einiger Berechtigung in Bezug auf die mannigfaltige Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer (vgl. oben: S. 100 ff.) – hinweisend: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 77 f.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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zu regulieren hätten, dass eine Substitution von Stammarbeitnehmern in der Form, dass hierbei Leiharbeitnehmer anstelle dieser zu schlechteren Arbeitsbedingungen eingesetzt würden, unterbunden werde.219 Diese Ansicht geht zunächst im Grundsatz von der richtigen Annahme aus, dass aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG zweifelsohne die Wertung folgt, dass „aufeinander folgende Überlassungen (…) die Bestimmungen der Richtlinie“ umgehen könnten und demnach vom Richtliniengeber mindestens kritisch gesehen wurden. Zweifeln lässt sich jedoch an den weiteren Ableitungen, die aus dieser Grundannahme gezogen werden. Fragen muss man sich im Besonderen, aus welchem Grund der Unionsgesetzgeber „aufeinander folgende Überlassungen“ überhaupt als potenziell unerwünscht ansah und es daher für erforderlich hielt, sie in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie gesondert aufzuführen. Dass dies geschah, um eine Befriedigung von einem Dauerarbeitsbedarf durch aufeinander folgende Einsätze von Leiharbeitnehmern zu verhindern, ist anlässlich des eher kargen Wortlauts nicht zwingend. Ferner ist diese Frage untrennbar mit der Identifizierung der in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 genannten „Bestimmungen der Richtlinie“ verbunden. Nur diejenigen aufeinander folgenden Überlassungen „mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen“ gilt es schließlich nach dem Willen des Richtliniengebers „zu verhindern“. Einzig aus der Kombination aufeinander folgender Überlassungen und einer hiermit bezweckten Umgehung der Richtlinienbestimmungen ergibt sich daher die in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie erkennbare negative unionsrechtliche Bewertung solcher aufeinander folgender Überlassungen. Klärungsbedürftig ist also in erster Linie die Frage, welche Richtlinienbestimmungen in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 gemeint sind.220 Die betreffende Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 nimmt – wie gesehen – anders als der vorherige Halbsatz nicht die Ausnahmebestimmungen aus Art. 5 in Bezug, sondern die gesamte Richtlinie. Aus streng systematischer Sicht wären aber hier wie dort nur Inhalte von Art. 5 – also etwa Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz – in Bezug zu nehmen gewesen.221 Hierfür hat sich der Unionsgesetzgeber ausweislich des gewählten Wortlauts 219

So explizit bei: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 196 ff. Teils wird zur Begründung derartiger Thesen auch angeführt, dass sich die gegen aufeinander folgende Überlassungen gerichtete Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 an einem französischen Missbrauchsverbot (vgl. Vigneau, France: Another Approach to Flexicurity, in: Ahlberg/Bercusson/Bruun/Kountouros/Vigneau/Zappalà [Hrsg.], Transnational Labour Regulation, 2008, S. 85 [91]) orientiere, dass aufeinander folgende Überlassungen ebenfalls verbiete, um in der Konsequenz zu verhindern, dass Dauerarbeitsplätze mittels Arbeitnehmerüberlassung besetzt werden. So bei: Blanke, Welche Änderungen des deutschen Gesetzes erfordert die Umsetzung der EU-Richtlinie Leiharbeit?, 2010, S. 103 f.; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 98. 220 Auch in diese Richtung fragend: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (108). 221 Hierauf ebenfalls hinweisend: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 556.

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aber nicht entschieden, weshalb zu fragen ist, welche Richtlinienbestimmungen abseits von Art. 5 der Richtlinie gemeint sein könnten. Teilweise wird hierzu – wie oben erwähnt – lediglich angeführt, dass dauerhaft einem Entleihbetrieb überlassene Leiharbeitnehmer (wie alle Leiharbeitnehmer) die typischen Risiken dieser Beschäftigungsform ertragen müssten und dass sie insgesamt „nicht dieselben Rechte wie die Stammbelegschaft“ genießen würden.222 So richtig diese Beobachtung auch sein mag – nur wenige Rechte der Leiharbeitnehmer wurden explizit vom Richtliniengeber in „Bestimmungen der Richtlinie“ gegossen. Von überragender Bedeutung ist hierbei unzweifelhaft das Recht der Leiharbeitnehmer auf Gleichbehandlung. Trotz des Wortlauts des Missbrauchsverbots, das augenscheinlich auf Bestimmungen außerhalb von Art. 5 RL 2008/104/EG verweist, bietet es sich daher an, auch in den Norminhalten des Gleichbehandlungsgrundsatzes sorgfältig nach „Bestimmungen der Richtlinie“ zu suchen, die durch „aufeinander folgende Überlassungen“ umgangen werden könnten. (2) Regelungsentscheidung wider die Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes? Passend zur systematischen Stellung der Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie findet sich in unmittelbarem Umfeld derselben eine passende Regelung – namentlich die in Art. 5 Abs. 4 Satz 2 RL 2008/104/EG zugelassene „Wartezeit für Gleichbehandlung“. Nach dieser Regelung ist es im Falle der hier nicht näher besprochenen Ausnahmeoption in Art. 5 Abs. 4 den betreffenden Mitgliedstaaten überlassen, vom Gleichbehandlungsgrundsatz in der Weise abzuweichen, dass eine bestimmte Überlassungsdauer festgelegt wird, ab welcher der Gleichbehandlungsgrundsatz für einen überlassenen Leiharbeitnehmer greift. Die Mitgliedstaaten können hiernach also gesetzlich eine zeitliche Grenze festlegen, ab welcher der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt, sodass Leiharbeitnehmer bis zu diesem Zeitpunkt der Überlassung auf die Gleichbehandlung „warten“ müssen. Explizit normiert ist diese Möglichkeit nur in Art. 5 Abs. 4 Satz 2 der Richtlinie, richtigerweise wird diese Option aber auch bei Nutzung der übrigen Ausnahmeoptionen bestehen müssen.223 Auch in der deutschen Regulierung findet sich eine derartige Regelung. Die in § 8 222 So explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 76 f. 223 Hiergegen spricht zwar die Tatsache, dass der Richtliniengeber Wartezeiten nur für Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie normiert hat. Wenn die Ausnahmeoptionen aus Art. 5 Abs. 2 – 3 allerdings auch ein vollständiges Abweichen vom Gleichbehandlungsgrundsatz – bzw. im Fall von Art. 5 Abs. 2 von der Entgeltgleichheit – vorsehen, muss auch hier erst recht eine weniger intensive Abweichung möglich sein. Vgl. insofern: Franzen, RdA 2015, 141 (147); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 17, 23. Hierfür spricht auch Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie, der es stets zulässt, für den Leiharbeitnehmer günstigere Bedingungen festzulegen. Hierauf rekurrierend: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.79. Jedenfalls i. E. zustimmend: Greiner, RdA 2017, 153 (158); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (498). A. A. hingegen: Stang/Ulber, NZA 2015, 910 (913 f.).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Abs. 4 Satz 1 AÜG niedergelegte und zum 1. April 2017 in Kraft getretene zeitliche Begrenzung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit von der Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts, nach welcher vom „Equal Pay“-Grundsatz abweichende Tarifverträge nur bis zum neunten Monat einer Überlassung gestattet sind (hierzu näher S. 437 ff.), laufen ebenfalls im Ergebnis darauf hinaus, dass Leiharbeitnehmer im Anwendungsbereich dieser Tarifverträge bis zu diesem Zeitpunkt keine Gleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts erfahren („Warten auf Equal Pay“224). Wenn nun aber Mitgliedstaaten auf diese Weise von der beschriebenen Option Gebrauch machen und Wartezeiten in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz festlegen, ist es ein Leichtes, den in Art. 5 Abs. 1 vorgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz durch „aufeinander folgende Überlassungen“ zu umgehen. Leiharbeitnehmer könnten schlicht immer wieder für kürzere Episoden überlassen werden, um das Erreichen der entsprechenden Wartezeiten und so die Gleichbehandlung im Ergebnis auszuhebeln.225 Auch die Kommission ging in Bezug auf die in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie genannten „aufeinander folgenden Überlassungen“ von diesem Szenario aus.226 Die Richtlinienbestimmungen, von denen man befürchtete, dass sie durch mehrfach hintereinander erfolgende Überlassungen umgangen werden könnten, sind hiernach die „Grundsätze der Gleichbehandlung und des gleichen Entgelts“, denen man sich mittels der Ausnutzung der Wartezeiten-Option entziehen könne.227 224

So treffend: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 17, 23. 225 Diese Möglichkeit sehen auch: Franzen, NZA 2021, 24 (26); Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79; Kolbe, in: Franzen/ Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 29; Waas, ZESAR 2009, 207 (212). Pasch leitet aus der Formulierung dennoch her, dass sich diese gegen eine Substitution von Stammbeschäftigten richte, während Kolbe meint, dass es „richtigerweise (…) nur um das Verbot der Dauerüberlassung gehen“ könne. 226 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit KOM (2014) 176 final, S. 9: „Gemäß Artikel 5 Absatz 5 sind die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine missbräuchliche Anwendung des Artikels 5 und insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Das Risiko, dass die Grundsätze der Gleichbehandlung und des gleichen Entgelts umgangen werden, ist besonders hoch, wenn sie nicht vom ersten Tag der Überlassung der Leiharbeitnehmer, sondern erst nach einer Wartezeit angewendet werden.“ So auch die Expert Group der Kommission: „In particular, a Member State resorting to Article 5(4) and providing e. g. for a 12-week qualifying period for equal treatment needs to adopt provisions preventing successive 11-week assignments, as this would circumvent the principle of equal treatment“ (vgl. Expert Group, Transposition of Directive 2008/104/EC on Temporary agency work, August 2011, S. 25). 227 Der Kommission zustimmend: Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 77. Ebenso: Waas, ZESAR 2009, 207 (212).

184 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Risikobehaftet und deshalb in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie gesondert erwähnt sind „aufeinander folgende Überlassungen“ hiernach deshalb, weil sie im Fall nationaler Wartezeitenregelungen in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz geeignet sind, diesen zu konterkarieren. Es spricht daher viel dafür, dass die negative Bewertung solcher Überlassungen also gerade nicht darauf beruht, dass Entleiher mittels aufeinander folgender Überlassungen einen Dauerbeschäftigungsbedarf befriedigen könnten, sondern darauf, dass sie hierbei den Gleichbehandlungsgrundsatz unterlaufen könnten. In allererster Linie bezieht sich die Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie also auf Art. 5 Abs. 1 – das „Herzstück der Richtlinie“.228 Folglich ist der Formulierung auch keine dahingehende Wertung zu entnehmen, dass sich der Richtliniengeber unmittelbar gegen typischerweise Stammarbeitnehmer substituierende dauerhafte Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung positioniert. Erst recht lässt sich hieraus dann auch nicht ein an die Mitgliedstaaten gerichteter Regelungsauftrag entnehmen, solche Überlassungsformen zu unterbinden.229 Das wäre angesichts der systematischen Stellung des Missbrauchsverbots befremdlich – wäre eine solch zentrale Regelung doch dann innerhalb eines Halbsatzes inmitten einer den Missbrauch der Ausnahmebestimmungen zum Gleichbehandlungsgrundsatz adressierenden Regelung geradezu „versteckt“. Eindeutig aus der Formulierung ableitbar ist daher nur die Schlussfolgerung, dass ein Unterlaufen des Gleichbehandlungsgrundsatzes – etwa bei aufeinander folgenden Überlassungen im Kontext von Wartezeitenregelungen – zu verhindern ist.230 Ungeklärt bleibt bei diesem Verständnis der Formulierung in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG, die „aufeinander folgende Überlassungen“ adressiert, dennoch, warum der Richtliniengeber hier von den „Bestimmungen der Richtlinie“ und nicht – wie im Satzteil davor – von einer „missbräuchlichen Anwendung dieses Artikels“ spricht. Am wahrscheinlichsten ist – insbesondere ausweislich der Sichtweise der Kommission231 –, dass es sich lediglich um ein redaktionelles Versehen handelte, mit 228

Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 1. Ähnlich: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.11 („Kernvorschrift“); Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 66 („Zentralgestirn“). 229 So aber die Ansicht von: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 75 ff., 133, 196 ff. 230 So auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 109 f.; Waas, ZESAR 2009, 207 (212). Wohl auch: Franzen, NZA 2021, 24 (26). Neben dem vermeintlichen Ziel, die Substitution von Stammbelegschaften zu verhindern, leitet dies auch Pasch aus der Formulierung ab (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79, 203). 231 Siehe erneut: Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit KOM (2014) 176 final, S. 9.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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dem man den Blick nicht zwangsweise über Art. 5 der Richtlinie hinaus erheben wollte. Folglich handelt es sich bei dem Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG nach der überzeugenderen Ansicht um eine Regelungsentscheidung, die vor allem Umgehungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes verhindern soll. Hierfür spricht auch gerade die Erkenntnis, dass kaum andere gehaltvolle materielle Vorgaben in „Bestimmungen der Richtlinie“ zu finden sind, die durch „aufeinander folgende Überlassungen“ umgangen werden könnten.232 In Betracht käme einzig Art. 6 RL 2008/104/EG, sofern man dieser Bestimmung den an die Mitgliedstaaten gerichteten Regelungsauftrag entnimmt, den Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleiher zu fördern, was demgemäß durch „aufeinander folgende Überlassungen“ konterkariert werden könnte.233 Dass auch diese Richtlinienbestimmung nicht in dieser Weise ausgelegt werden kann, wird noch zu zeigen sein.234 Das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG wäre daher – wenn man es nicht auf die Wartezeitenregelungen beziehen würde – im Wesentlichen gehaltlos. (3) Die Ansicht des EuGH Der EuGH vertritt in zwei jüngeren Judikaten indes eine andere Rechtsauffassung, die sich in Ansätzen der hier erstgenannten Ansicht zuordnen lässt. (a) Rechtssache C-681/18 Dies betrifft zunächst das Urteil vom 14. Oktober 2020 in der Rechtssache C-681/ 18. Anlass zur dortigen Entscheidung gab ein italienisches Gericht, das dem EuGH unter anderem die Frage vorlegte, ob Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie einer nationalen Bestimmung entgegenstehe, die keine Beschränkungen aufeinanderfolgender Überlassungen eines Leiharbeitnehmers bei einem Entleihunternehmen vorsehe und damit im Ergebnis faktisch dauerhafte Überlassungen ermöglichte. Der EuGH verneinte diese Frage zwar und stellte fest, dass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie dem Wortlaut nach die nationalen Gesetzgeber lediglich darauf verpflichte, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um „insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen dieser Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern“ und damit keine spezifische nationale Maßnahme vorsehe.235 Die Richtlinie verpflichte die nationalen Gesetzgeber andererseits aber jedenfalls darauf, in Umsetzung von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 232 Ebenfalls in diese Richtung überlegend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 109. 233 So die Ansicht von: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79 ff.; 196, 205. 234 Dies hängt indes v. a. vom materiellen Gehalt dieser Richtlinienbestimmung ab. Siehe hierzu sogleich: S. 198 ff. 235 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1464, Rn. 42).

186 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

überhaupt Maßnahmen vorzusehen, die die genannten aufeinanderfolgenden missbräuchlichen Überlassungen verhindern.236 Wann eine solche missbräuchliche Überlassungspraxis vorliege, beantwortete der EuGH in besagtem Urteil ebenfalls. Hierbei werde gerade nicht ausschließlich der Gleichbehandlungsgrundsatz bzw. die soeben dargestellte Überlassungspraxis, die den Gleichbehandlungsgrundsatz anhand etwaiger Wartezeitenregelungen umgeht, in Bezug genommen – womit der Gerichtshof der Ansicht der Kommission ausdrücklich widersprach.237 Vielmehr ziele die Formulierung „Bestimmungen der Richtlinie“ auf den Umstand, dass die Richtlinie insgesamt den Zweck verfolge, Überlassungen an ein Entleihunternehmen „nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werden zu lassen und das Überlassungsverhältnis daher ausweislich der Definitionsbestimmungen in Art. 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG „seiner Natur nach vorübergehend“ sei.238 Schließlich berücksichtige die Richtlinie auch das Interesse der Leiharbeitnehmer an der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und forciere daher den „Zugang der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen“, was insbesondere in Art. 6 Abs. 1 und 2 der Richtlinie zu Tage trete.239 Im Ergebnis verwehre es Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten daher, „keine Maßnahmen zu ergreifen, um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren“. Die Mitgliedstaaten seien zwar nicht auf bestimmte Regularien, wie etwa eine zeitliche oder enumerative Beschränkung von Überlassungen eines Leiharbeitnehmers an ein Entleihunternehmen verpflichtet. Dennoch müssten aber in Umsetzung der Richtlinie in nationalem Recht Maßnahmen, die den „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ wahren, erlassen werden.240 Recht nebulös erscheint es, wenn der Gerichtshof hierbei davon spricht, dass der „vorübergehende Charakter der Leiharbeit“ zu wahren sei und Überlassungen „ihrer Natur nach vorübergehend“ seien. Diese insbesondere aus den Begriffsbestimmungen der Richtlinie hergeleitete Feststellung will der Gerichtshof nämlich offenkundig nicht zu einer handfesten materiellen Vorgabe in Bezug auf die Überlassungsdauer verdichten. Schließlich sieht er keine Notwendigkeit, aus dem Gebot, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, um aufeinanderfolgende, Richtlinienbestimmungen umgehende Überlassungen zu verhindern, eine unionsrechtliche Verpflichtung herzuleiten, nach der die Mitgliedstaaten Überlassungen zeitlich oder enumerativ zu beschränken hätten. Stattdessen reiche es aus, wenn die Mitgliedstaaten irgendwelche Maßnahmen ergriffen, um den – so kaum fassbaren – „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ zu wahren. Den mitgliedstaatlichen Gerichten, die die so verstandene Richtlinienvorgabe aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 im Ernstfall justiziabel auslegen müssen, hilft der Gerichtshof nicht nennenswert weiter. 236

Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 63). Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 56, 58). 238 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 60 f.). 239 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1465, Rn. 50 f.). 240 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72). 237

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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So gibt der EuGH diesen lediglich mit auf den Weg, dass eine Überlassungszeit, die in Folge aufeinanderfolgender Überlassungen „länger ist als was vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“, möglicherweise einen „Hinweis auf einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen im Sinne von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104“ darstelle. Bei alledem verkennt der Gerichtshof, dass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104 die Mitgliedstaaten nur schwerlich zur Ergreifung irgendwie gearteter Restriktionen der Überlassungszeiten verpflichten kann, wenn die bei dieser Argumentation in Bezug genommenen und möglicherweise umgangenen „Bestimmungen der Richtlinie“ nur im „vorübergehende Charakter“ der Arbeitnehmerüberlassung gesehen werden. Wenn mit diesem Merkmal keine ernsthafte materielle Richtlinienvorgabe, sondern nur das unionsrechtliche Verständnis der Natur der Arbeitnehmerüberlassung gemeint ist, das nationalen Vorschriften, die die Zahl aufeinanderfolgender Überlassungen unbeschränkt lassen, nicht entgegensteht, geht die Konzeption des Gerichtshofs von der Wirkung von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie letztlich fehl. Indem der EuGH aus der Norm einerseits eine Positionierung gegen aufeinander folgende Überlassungen ableiten will und daher das Merkmal „vorübergehend“ als einzuhaltende Richtlinienbestimmung anvisiert, diesem Merkmal andererseits aber keinen prüffähigen materiellen Maßstab entnehmen will, nach dem zumindest die Anzahl oder Gesamtdauer aufeinanderfolgender Überlassungen einschränkend reguliert werden muss, widerspricht er sich im schlimmsten Fall selbst. Mindestens aber wird mit diesem Normverständnis die Regelung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie zu einer Bemühenspflicht degradiert. Letztgenanntes Szenario schwebt dem EuGH aber offenkundig vor. So meint er etwa, dass die nationalen Gerichte ein Indiz für einen Verstoß gegen die so verstandene Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 darin sehen könnten, wenn eine Überlassungszeit durch aufeinanderfolgende Überlassungen, „länger ist als was vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“. Nichts anderes kann dann von den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern verlangt werden, die sich folglich lediglich um eine irgendwie geartete Wahrung des „vorübergehenden Charakters“ der Arbeitnehmerüberlassung bemühen müssen.241 241 Kolbe hingegen sieht in dem Urteil in der Rechtssache C-681/18 die Ansicht bestätigt, dass die Richtlinie ein „arbeitnehmerbezogenes Dauerüberlassungsverbot“ beinhalte (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 1 Rn. 20; i. E. ebenso: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 297). Hieraus kann aber – wie gesehen – bereits in Ansehung der Rechtssache C-681/18 keine konkrete Regulierungsvorgabe i. S. e. Verbotes dauerhafter Überlassungen folgen. Aus dem angenommenen „Dauerüberlassungsverbot“ folgt daher für die mitgliedstaatliche Regulierung keine Vorgabe, solch ein Verbot gesetzlich zu implementieren. Spätestens mit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-232/20 wird es offenkundig, dass der Gerichtshof die Anforderungen eines solchen „Verbots“ auf eine Bemühenspflicht minimiert. In diese Richtung wohl auch: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 13, 32. Vgl. auch zuletzt die Bestätigung der hier vertretenen Lesart durch die (nach Einreichung dieser Studie) ergangenen Urteile des BAG: Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (306, Rn. 15); Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 313 (316, Rn. 56).

188 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

In der Konsequenz scheint der EuGH die maßgebliche Kontrollinstanz hinsichtlich solcher Einzelfälle, die Überlassungszeiten aufweisen, die länger sind, „als was vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“, vielmehr bei den nationalen Gerichten zu sehen und gerade nicht beim Gesetzgeber.242 Anders kann es nicht verstanden werden, wenn der Gerichtshof verlauten lässt, dass die Gerichte im konkreten Fall prüfen müssten, ob „eine objektive Erklärung dafür gegeben wird, dass das betreffende entleihende Unternehmen auf eine Reihe aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge zurückgreift“,243 um in der Folge einen Missbrauch festzustellen. Bei der Beantwortung der Frage nach dieser so verstandenen objektiven Erklärung kommt es aber nach der Ansicht des Gerichtshofs offenbar nicht darauf an, ob der Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung „von der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe“244 abhängig gemacht wird. Zu derartigen Begründungserfordernissen für den Leiharbeitnehmereinsatz, die darauf abzielen, solche Überlassungsformen zu verhindern, „die in Wirklichkeit den ständigen Personalbedarf des betreffenden entleihenden Unternehmens“ decken, sind die nationalen Gesetzgeber daher nicht verpflichtet.245 Der oben analysierten Vorstellung (vgl. S. 180 ff.), dass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Implementierung von Regelungsmechanismen verpflichte, die sich gegen Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung wenden, bei der Leiharbeitnehmer typischerweise auf dauerhaft zur Verfügung stehenden Arbeitsplätzen in Stammarbeitnehmer substituierender Weise eingesetzt werden, hat der EuGH daher eine Absage erteilt. Vielmehr nimmt der Gerichtshof eine arbeitnehmer- und gerade nicht eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung ein. Hiernach kommt es maßgeblich darauf an, ob die Überlassungsepisoden insgesamt zu einer „Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werden und gerade nicht, ob dieser auf einem Stammarbeitsplatz eingesetzt wird.246 Damit bleibt es für den Gesetzgeber bei

242 Vgl. zu dieser Rechtsmissbrauchskontrolle durch die nationalen Gerichte angesichts des Urteils in der Rechtssache C-681/18: Brors, AuR 2021, 156 (158); Feuerborn, EuZA 2022, 109 (115 f.); Stiebert/Pohl, ZESAR 2021, 241 (243). Vgl. auch Klengel, AuR 2021, 181 (185), der indes zugleich eine gesetzliche Neuregelung fordert. 243 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 71). 244 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72). 245 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1465 Rn. 48; 1467, Rn. 72). 246 Richtig ist zwar, dass Einzelfälle, in denen Leiharbeitnehmer für erhebliche Dauer von einem Entleihunternehmen – etwa durch aufeinanderfolgende Überlassungen – eingesetzt werden, den Schluss nahelegen, dass hierbei ein Stammarbeitsplatz besetzt wird. Dieser Schluss ist indes nicht zwingend und eine entsprechende arbeitsplatzbezogene Nachweispflicht, dass gerade kein Stammarbeitsplatz besetzt wird, hat der EuGH nicht gefordert. Dies indes unmittelbar aus der hiesigen Entscheidung des Gerichtshofs – und daher zu weitgehend – ableitend: Klengel, AuR 2021, 181 (185). Demgegenüber wie hier: Feuerborn, EuZA 2022, 109 (118 ff.); Mückl/Bähr, EWiR 2022, 312 (313).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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der Verpflichtung, überhaupt Maßnahmen zu erlassen,247 um den „vorübergehenden Charakter“ der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Den hiervon ausgehend in die Pflicht genommenen nationalen Gerichten wird zur Beurteilung der Frage, ob Überlassungsfälle „vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden“ können, indes kein konkreter Maßstab aufgezeigt.248 Mit alledem gibt der EuGH den nationalen Gerichten Steine statt Brot. Eine derart unergiebige Handhabe des Maßstabs aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG wäre freilich zu vermeiden gewesen, hätte der EuGH die Formulierung – wie hier vorgeschlagen – konsequent mit der Linie der Kommission auf den Gleichbehandlungsgrundsatz bezogen.249 Doch wenngleich die dogmatische Struktur der Argumentation des Gerichtshofs auch fragwürdig ist: Das nationale Recht – und so auch das AÜG – wird sich an die Interpretation der Richtlinienbestimmung durch den EuGH halten müssen. Schwerfallen dürfte es allerdings nicht, die Ansprüche, die der EuGH aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 RL 2008/104/EG an die Wahrung des „vorübergehenden Charakters“ der Arbeitnehmerüberlassung stellt, gesetzgeberisch einzuhalten. Der Maßstab, ab wann nationale Bestimmungen die „erforderlichen Maßnahmen“ zur Genüge ergreifen und Überlassungen „vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden“ können, dürfte denkbar weit sein.250 (b) Rechtssache C-232/20 Eben diese Auslegungsvariante der Regelung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit der Vorgabe „vorübergehend“ aus Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG verfolgte der EuGH auch im bereits erwähnten Urteil in der Rechtssache C-232/20 weiter. Der EuGH bestätigte hierin zunächst die in der Rechtssache C-681/18 bereits dargelegte Variante eines Missbrauchsverbots aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit der Vorgabe „vorübergehend“ aus Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG, welche die Mitgliedstaaten dazu verpflichte, „die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um aufeinanderfolgende Überlassungen eines Leiharbeitnehmers zu verhindern (…)“, sodass im Ergebnis dafür Sorge getragen werde, „dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird“.251 Neben der bereits herausgearbeiteten (vgl. S. 153 ff.) Einsicht, dass die Wendung „vorübergehend“ den 247

Ebenso: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 13, 32. Wohl auch: Stiebert/Pohl, ZESAR 2021, 241 (243). 248 Dies ebenfalls kritisierend: Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 (248 f.). 249 Die Entscheidung unter diesem Gesichtspunkt ebenfalls kritisierend: Franzen, NZA 2021, 24 (26); ders., EuZA 2021, 143 (163); Feuerborn, EuZA 2022, 109 (115). A. A.: Klengel, AuR 2021, 181 (185). 250 In diese Richtung auch: Franzen, NZA 2021, 24 (27); ders., EuZA 2021, 143 (163); Feuerborn, EuZA 2022, 109 (117); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2020, 756. A. A.: Klengel, AuR 2021, 181 (185). 251 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56).

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Mitgliedstaaten selbst keine zeitliche Begrenzung der Überlassungszeiten vorgibt, positionierte sich der EuGH im genannten Urteil auch mit einer ungewöhnlich eindeutigen Diktion zur Frage des Arbeitsplatzbezuges der Begrifflichkeit.252 So ziele das Merkmal „vorübergehend“ nicht darauf ab, „den Einsatz von Leiharbeit auf Arbeitsplätze zu beschränken, die nicht dauerhaft vorhanden sind oder die vertretungsweise besetzt werden, da dieser Begriff nicht den Arbeitsplatz kennzeichnet, der im entleihenden Unternehmen zu besetzen ist (…)“253 Die Richtlinie zähle „auch nicht die Fälle auf, die den Einsatz dieser Arbeitsform rechtfertigen“, vielmehr belasse sie den Mitgliedstaaten diesbezüglich einen „bedeutenden Wertungsspielraum“.254 Wie im vorgenannten Urteil in der Rechtssache C-681/18 bereits angeklungen war, folge daher auch aus dem Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG in Kombination mit der Maßgabe „vorübergehend“ nicht, dass den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern aufgegeben werde, „den Einsatz von (…) der Angabe der technischen oder mit der Produktion, der Organisation oder der Ersetzung eines Arbeitnehmers zusammenhängenden Gründe abhängig zu machen“.255 All dies kulminiert sodann in der bemerkenswerten Klarstellung, „dass der Unionsgesetzgeber nicht die Absicht hatte, den Einsatz von Leiharbeit zu beschränken, indem er dem Leiharbeitnehmer nur die Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz mit vorübergehendem Charakter gestattete“.256 Damit ist zugleich auch die Frage, ob aus dem Merkmal „vorübergehend“ eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung folgt, unionsrechtlich geklärt.257 Folgerichtig beantwortete der EuGH die dahingehende Vorlagefrage des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg demgemäß auch dergestalt, dass der „Begriff ,vorübergehend‘ der Überlassung eines Arbeitnehmers (…) an ein entleihendes Unternehmen, die zur Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz erfolgt, der dauerhaft vorhanden ist und der nicht vertretungsweise besetzt wird, nicht entgegensteht“. Der oben analysierten Ansicht (vgl. S. 146 ff.), die aus der Wendung „vorübergehend“ zum Teil eine arbeitsplatzbezogene Begrenzungsvorgabe herleitet, vermittels derer die Mitgliedstaaten unionsrechtlich dazu gezwungen seien, den Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen – mit anderen Worten: die aktive Nutzungsstrategie – zu verhindern, hat der EuGH hiermit endgültig eine Absage erteilt. Auch über den Umweg über das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG, mit dem sodann die Vorgabe „vorübergehend“ als vermeintliche regulative Richtlinienbestimmung anvisiert werden kann, leitet der EuGH keine solche unionale Ver252

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 28 – 38). Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 31). 254 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 33). 255 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 35). 256 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 36). 257 Vgl. Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 (248); Mückl/Bähr, EWiR 2022, 312 (313). Diesem Umstand zum Trotz an der Herleitung arbeitsplatzbezogener Betrachtungen aus der Richtlinie festhaltend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 302 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 344. 253

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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pflichtung ab. Die rechtspolitische Begründung, die der EuGH zur Negierung dieses Arbeitsplatzbezuges anführt, kann allerdings nicht geteilt werden. So geht der Gerichtshof davon aus, dass ein solches arbeitsplatzbezogenes Verständnis des Merkmals „vorübergehend“ auch aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes nicht geboten sei, da die Richtlinie darauf abziele, „den Zugang der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen zu fördern“, was wiederum die Auslegung nahelege, „dass ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur vorübergehenden Besetzung eines dauerhaft vorhandenen Arbeitsplatzes überlassen werden kann, den er später dauerhaft besetzen könnte“.258 Der Gerichtshof scheint hierbei davon auszugehen, dass ein Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen,259 die typologisch Stammarbeitsplätze sind, vermehrte Übernahmen erwarten lasse. Nach dem hier Festgestellten geht diese Einschätzung indes fehl. Schließlich sind gerade dort, wo Leiharbeitnehmer im Rahmen der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie dauerhaft eingesetzt werden und Stammarbeitnehmer so strukturell ersetzt werden, Übernahmephänomene nicht zu erwarten (vgl. S. 117 ff.).260 Abseits dieser Überlegungen bleibt es nach den Ausführungen des EuGH in der Rechtssache C-232/20 bei der hier vertretenen Betrachtung der Maßgabe „vorübergehend“ als Deskription des unionalen Verständnisses der Beschäftigungsform der Arbeitnehmerüberlassung (vgl. S. 157 ff.), die in der Kombination mit dem benannten Missbrauchsverbot einzig darauf verpflichte, dafür Sorge zu tragen, „dass Leiharbeit bei demselben entleihenden Unternehmen nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer wird“.261 Die Regelungsdichte, die aus der Kombination des Missbrauchsverbots mit der Maßgabe „vorübergehend“ für die mitgliedstaatliche Regulierung der Überlassungszeiten folgt, machte der EuGH im hier in Rede stehenden Urteil nunmehr noch deutlicher. Auf die Frage des vorlegenden Landesarbeitsgerichts, ob die „Überlassung eines Leiharbeitnehmers unterhalb einer Zeitspanne von 55 Monaten als nicht mehr ,vorübergehend‘ (…) anzusehen“ sei, betonte der Gerichtshof zunächst, dass aus der Wendung „vorübergehend“ kein 258

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 37). Zwar ist eine nur zur Erprobung und damit in ihrer Dauer abgegrenzte Besetzung eines Stammarbeitsplatzes mit einem Leiharbeitnehmer für sich betrachtet unproblematisch. Wenn sich auf eine Erprobung allerdings keine Übernahme in ein Stammarbeitsverhältnis anschließt und ein Arbeitsplatz mit etwa wechselnden Leiharbeitnehmern besetzt wird, liegt die zu vermeidende aktive Nutzungsstrategie vor. Die vermeintliche Erprobung und hierauf folgende Übernahmen setzen auch nicht die Besetzung auf einem Stammarbeitsplatz voraus (so aber: Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 [248]; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 306). Vielmehr kann eine Erprobung auch im Rahmen der reaktiven Nutzung auf vorübergehend vorhandenen Arbeitsplätzen erfolgen. 260 Dies legt jedenfalls die hier herausgearbeitete Analyse des Nutzungsverhaltens der Arbeitnehmerüberlassung in Deutschland nahe. Ob in anderen Mitgliedstaaten Nutzungsstrategien verbreitet sind, welche die Arbeitnehmerüberlassung verstärkt als Rekrutierungskanal (S. 52 f.) nutzen, bei der potenzielle Stammarbeitnehmer zunächst als Leiharbeitnehmer erprobt werden, kann hier nicht ergründet werden. 261 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). 259

192 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Regelungsauftrag in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Überlassungszeiten folge. Da die Regelung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG in Verbindung mit der Maßgabe „vorübergehend“ aber zugleich zur Wahrung der Natur der Arbeitnehmerüberlassung im Einzelfall – also der Vermeidung der erläuterten „Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“262 – verpflichte, stehe es den Mitgliedstaaten zugleich frei, „im nationalen Recht eine bestimmte Dauer festzulegen, bei deren Überschreitung eine Überlassung (…) nicht mehr als vorübergehend angesehen werden kann“.263 Wenn sich ein nationaler Gesetzgeber hierfür entscheide, müsse die festgelegte Maximaldauer aber die entsprechende Natur der Arbeitnehmerüberlassung wahren, indem sie „vorübergehend, d. h. nach der Bedeutung dieses Begriffs im allgemeinen Sprachgebrauch zeitlich begrenzt“ sei.264 Der Verpflichtung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG sei aber ebenso Genüge getan, wenn „in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats diese Dauer nicht genannt wird“. Schließlich sei es dann „Sache der nationalen Gerichte, diese Dauer für jeden Einzelfall und unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände (…) zu bestimmen (…) und sich zu vergewissern, (…) dass die aufeinanderfolgenden Überlassungen eines Leiharbeitnehmers nicht darauf ausgelegt waren (…) die vorübergehende Natur der Leiharbeit zu umgehen“.265 Mit anderen Worten ist der so vertretenen Lesart des Missbrauchsverbots also bereits gedient, wenn die mitgliedstaatlichen Gerichte in Abwesenheit einer gesetzlichen Zeitvorgabe sicherstellen, dass das unionale Verständnis der Arbeitnehmerüberlassung im Sinne eines nur „vorübergehenden“ Einsatzes im Entleihunternehmen gewahrt bleibt. Ein entsprechender Missbrauch im Sinne von Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG sei hiernach vor allem dann indiziert, wenn eine Beschäftigungsdauer vorliege, „die länger ist, als das, was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählen, vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“ und – im Falle aneinandergereihter Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers – „keine objektive Erklärung dafür gegeben wird, dass das betreffende entleihende Unternehmen auf eine Reihe aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge zurückgreift“.266 In Bezug auf diese objektive Erklärung verweist der EuGH allerdings gerade nicht auf die Überlegung, ob der Leiharbeitnehmer auf einem dauerhaften Arbeitsplatz eingesetzt wird. So hatte es zwar noch der Generalanwalt explizit vorgeschlagen.267 Indem der EuGH diesen Ansatz offenbar verwarf, bestätigte er erneut, dass die Richtlinie keinen entsprechenden Arbeitsplatzbezug enthält. Nach alledem beant262

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 57). 264 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 57). 265 Vgl. insbesondere: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 58). 266 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 60, 62). 267 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 9.9.2021 – C-232/20, Rn. 49.

263

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wortete der EuGH die diesbezügliche Vorlagefrage daher dergestalt, dass das Missbrauchsverbot in Verbindung mit dem Merkmal „vorübergehend“ so auszulegen sei, „dass es einen missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender Überlassungen eines Leiharbeitnehmers darstellt, wenn diese Überlassungen auf demselben Arbeitsplatz bei einem entleihenden Unternehmen für eine Dauer von 55 Monaten verlängert werden, falls die aufeinanderfolgenden Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers bei demselben entleihenden Unternehmen zu einer Beschäftigungsdauer bei diesem Unternehmen führen, die länger ist als das, was unter Berücksichtigung sämtlicher relevanter Umstände, zu denen insbesondere die Branchenbesonderheiten zählen, und im Kontext des nationalen Regelungsrahmens vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann, ohne dass eine objektive Erklärung dafür gegeben wird, dass das betreffende entleihende Unternehmen auf eine Reihe aufeinanderfolgender Leiharbeitsverträge zurückgreift. Diese Feststellungen zu treffen, ist Sache des vorlegenden Gerichts.“

Damit bestätigt sich die bereits im Urteil in der Rechtssache C-681/18 eingeschlagene Richtung. Die Einhaltung des unionalen Verständnisses von der Arbeitnehmerüberlassung und daher auch die Einhaltung des durch das Missbrauchsverbot transportierten Auftrags, dafür Sorge zu tragen, dass Entleihungen nicht zur befürchteten „Dauersituation“ werden, wird vor allem den mitgliedstaatlichen Gerichten zugewiesen. Für den nationalen Gesetzgeber folgt aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG in Bezug auf die Wahrung der „vorübergehende(n) Natur der Leiharbeit“ daher nur eine sehr geringe Regelungsdichte. Zwar lässt sich aus dem Umstand, dass der EuGH die Installierung zeitlicher Begrenzungen der Überlassungsepisoden nicht für nötig hält, nicht herleiten, dass die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber überhaupt keine Maßnahmen ergreifen müssten, um den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Eine solche gänzliche Untätigkeit ist schließlich bereits im Urteil in der Rechtssache C-681/18 für unzulässig gehalten worden, was der EuGH im hier in Rede stehenden Urteil explizit bekräftigte.268 Abgesehen von einer solchen gänzlichen Zurückhaltung genügt aber jedes irgendwie geartete mitgliedstaatliche Regelungsregime, das darauf abzielt, Missbräuche zu verhindern, die das unionale arbeitnehmerbezogene Verständnis von der vorübergehenden Natur der Überlassungen konterkarieren, der so verstandenen Regelung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG. Schließlich ist in dem Fall, in dem eine explizite Höchstdauer im nationalen Recht nicht vorgesehen ist, die mitgliedstaatliche Judikative darauf verpflichtet, Missbrauchsfälle im Wege einer Einzelfallkontrolle einzuhegen.269 Insofern muss die oben in Bezug auf das Urteil in

268

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). Hierzu auch bereits: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 124. Pant will dem Merkmal „vorübergehend“ eine Einzelfallkontrolle entnehmen, wonach Überlassungen jedenfalls dann nicht mehr der unionsrechtlichen Konzeption der Arbeitnehmerüberlassung entsprächen, 269

194 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

der Rechtssache C-681/18 vorgenommene Interpretation wiederholt werden: Die Deskription der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ führt auch in der Kombination mit dem hiesigen Missbrauchsverbot nur zu einer weichen Bemühenspflicht für den nationalen Gesetzgeber, den entsprechenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Ob der Gesetzgeber konkrete Überlassungshöchstgrenzen festlegt oder ob er dies unterlässt, ist ihm aber gänzlich freigestellt. Die eigentliche Arbeitsaufgabe obliegt den nationalen Gerichten. Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich dargelegt, wann es die Grenze dessen, was noch „vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“ überschritten sieht. Namentlich sei dies dann der Fall, wenn eine „Überlassung ohne jegliche zeitliche Begrenzung erfolgt“.270 (4) Zwischenergebnis bezüglich des Missbrauchsverbots Damit enthält das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG zum einen die vom EuGH dargelegte Verpflichtung, das unionale Verständnis der Natur der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Dieser Vorgabe ist aber aufgrund des diesbezüglich begrenzten materiellen Inhalts gerade keine arbeitsplatzbezogene und daher der Substitution von Stammarbeitnehmern entgegenstehende Bedeutungsebene zu entnehmen. Vielmehr erschöpft sich diese Lesart des Missbrauchsverbots nur in einer weichen arbeitnehmerbezogenen Mindestvorgabe hinsichtlich der Vermeidung von Nutzungen der Arbeitnehmerüberlassung, die ihrem vorübergehenden Charakter nicht mehr gerecht werden. In der Konsequenz sollen in erster Linie die nationalen Gerichte seine Einhaltung im Einzelfall gewährleisten. Abseits dieses Verständnisses des Missbrauchsverbots verpflichtet Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG aber zum anderen auch darauf, eine Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Kontext von Wartezeitenregelungen (vgl. S. 182 ff.) zu verhindern. Zwar ist die Interpretation des EuGH in Bezug auf die Richtlinienbestimmungen insofern entscheidend. Der EuGH hat allerdings nicht ausgeschlossen,271 dass die Formulierung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG neben der dargelegten Lesart des Missbrauchsverbots auch für weitere „Bestimmungen dieser Richtlinie“ offen ist, deren Missbrauch es zu verhindern gilt. Auch die wenn sie im eigentlichen Sinne keine Überlassungen mehr seien, da Leiharbeitspersonal vollständig und endgültig auf den Entleiher verlagert werde. 270 Eine Überlassungsdauer von 48 Monaten sei in diesem Lichte daher offensichtlich zulässig, vgl.: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (312, Rn. 74 f.). Das BAG sieht bei einer nicht vorübergehenden Überlassung zudem den Fall, dass „der Leiharbeitnehmer dauerhaft anstelle eines Stammarbeitnehmers eingesetzt werden soll“ (ebd., Rn. 74). Hieraus folgt aber explizit nicht eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung, sondern vielmehr eine arbeitnehmerbezogene (ebd., Ls. 1). Das BAG geht offenbar lediglich – wie hier – davon aus, dass dann, wenn ein Leiharbeitnehmer dauerhaft eingesetzt wird, dies typischerweise auf einem Stammarbeitsplatz geschieht. 271 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 59) („Daraus folgt, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 5 V 1 der RL 2008/104 auferlegte Verpflichtung […] sich auf alle Bestimmungen dieser Richtlinie bezieht.“).

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hier favorisierte Auffassung, nach der das Missbrauchsverbot auf die im Rahmen des Gleichbehandlungsgrundsatzes potenziell problematischen Wartezeitenregelungen abzielt, behält daher neben der Ansicht des EuGH ihre Gültigkeit. d) Zugang zu Beschäftigung, Gemeinschaftseinrichtungen und beruflicher Bildung Nachdem vorstehend herausbearbeitet wurde, dass aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und dem diesbezüglichen Missbrauchsverbot begrenzte leiharbeitnehmerschützende Vorgaben folgen, ist sodann mit Art. 6 RL 2008/104/EG eine weitere Richtlinienbestimmung in den Blick zu nehmen, die Leiharbeitnehmerinteressen in konkrete Schutzvorgaben übersetzt. Inhaltlich werden hierin verschiedene Regelungsfelder erfasst: Die Förderung der Übernahme von Leiharbeitnehmern durch das Entleihunternehmen sowie die Förderung des Zugangs zu beruflicher Fortund Weiterbildung und der verbindliche Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten im Entleihbetrieb. Insgesamt zielen die Regelungen darauf ab, die Qualität der Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung zu verbessern.272 aa) Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten Die letztgenannte Regelungskomponente, der Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten, ist in Art. 6 Abs. 4 RL 2008/104/EG niedergelegt. Hiernach sollen die Leiharbeitnehmer „unbeschadet des Artikels 5 Satz 1 (…) in dem entleihenden Unternehmen zu den gleichen Bedingungen wie die unmittelbar von dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten“ haben. Hiervon soll nach dem Willen des Richtliniengebers insbesondere der Zugang „zur Gemeinschaftsverpflegung, zu Kinderbetreuungseinrichtungen und zu Beförderungsmitteln“ umfasst sein, „es sei denn, eine unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt“. Inhaltlich wird hiermit der bereits in Art. 5 der Richtlinie umfangreich geregelte Gleichbehandlungsgrundsatz erweitert.273 Allerdings richtet sich der Gleichbehandlungsanspruch in Bezug auf Gemeinschaftseinrichtungen und -dienste gegen den Entleiher274 – anders als Art. 5 Abs. 1 272

Siehe nur den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern, KOM (2002) 149 endgültig, S. 16. 273 Vgl. pointiert: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 11 („Der Sache nach geht es um einen Aspekt des Gleichbehandlungsgrundsatzes“). Hierzu auch: Thüsing/Stiebert, ZESAR 2012, 199 (201 f.). Daher wird die Regelung hier ungeachtet ihrer nachgeordneten Stellung in Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie unmittelbar im Anschluss an den soeben besprochenen Gleichbehandlungsgrundsatz betrachtet. 274 Hierfür sprechen jedenfalls der Wortlaut und die systematische Stellung der Norm sowie der Grundsatz des „effet utile“. Dergestalt argumentierend: Hamann, EuZA 2009, 287

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der Leiharbeitsrichtlinie, der hierzu schweigt und letztlich je nach nationalem Regelungssystem auszulegen ist. Der Entleiher hat also dem ihm überlassenen Leiharbeitnehmer in dem Maße, in dem die unmittelbar von ihm beschäftigten Arbeitnehmer Zugang hierzu haben, Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten zu gewähren.275 Welche Einrichtungen und Dienste im Einzelnen von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie erfasst sind, ist allerdings fraglich. Aus den dort genannten – allesamt für den Arbeitnehmer unentgeltlichen – Beispielen ließe sich ggf. herleiten, dass jedenfalls Geldleistungen – wie bspw. Pensionskassen – auszuschließen wären.276 Gegen eine solche restriktive Sichtweise spricht aber der lediglich beispielhafte Charakter der aufgezählten Einrichtungen und Dienste, der „effet utile“ und nicht zuletzt auch die in Art. 6 Abs. 4 vorgesehene Möglichkeit, „aus objektiven Gründen“ Ausnahmen von entsprechenden Zugängen zu gewähren.277 Hiernach kann das Entleihunternehmen Leiharbeitnehmer in Bezug auf den zu gewährenden Zugang zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten dann ungleich behandeln, wenn dies durch objektive Gründe gerechtfertigt ist.278 Ein objektiver Grund wäre bspw. darin zu sehen, dass Leiharbeitnehmer typischerweise nur kurze Zeit im Entleihunternehmen ar(319); Lembke, NZA 2011, 319 (323); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 11; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 498 f.; Ulber, AuR 2010, 10 (13). A. A.: Steuer, Die Arbeitnehmerüberlassung als Mittel zur Förderung des Arbeitsmarktes in Deutschland, 2009, S. 360. 275 Damit ist ein anderer Vergleichsmaßstab als der hypothetische Maßstab aus Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie gewählt. Abgestellt werden muss hinsichtlich der gleichen Gewährung des Zugangs zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten auf die tatsächlich im entsprechenden Unternehmen angestellten Stammarbeitnehmer und die Bedingungen, unter denen diese den Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen und Diensten haben (vgl. Sansone, in: Preis/Sagan [Hrsg.], Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.108). Das hat auch zur Folge, dass der Leiharbeitnehmer ggf. konkret geltende weitere Leistungsanforderungen erfüllen muss, da der Zugang schließlich unter den für die Stammbelegschaft geltenden Bedingungen zu gewähren ist (vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 494). Streiten lässt sich aber darüber, ob die im einzelnen Entleihbetrieb oder die im gesamten Entleihunternehmen geltenden Einrichtungen und Dienste zu Grunde zu legen sind. Der Wortlaut („Unternehmen“) spricht indes für die letztgenannte Variante. So auch: Lembke, NZA 2011, 319 (324); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.104. A. A. hingegen: Kock, in: Thüsing, AÜG, 2018, §§ 13a, 13b Rn. 23. Ähnlich („wohl“): Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 13b Rn. 11. 276 So etwa: Kock, in: Thüsing, AÜG, 2018, §§ 13a, 13b Rn. 19; Lembke, NZA 2011, 319 (323 f.). Konkreter auf die Nutzung von Räumlichkeiten abstellend: ders., in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 13b Rn. 27 f. 277 Vgl. Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 497. Ebenfalls gegen diese restriktive Lesart: Ulrici, AÜG, 2017, § 13b Rn. 9; Vielmeier, NZA 2012, 535 (537). 278 Im Besonderen bietet sich eine Parallelbetrachtung zu Art. 157 AEUV an. Hierzu: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.110.

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beiten und gerade deshalb Zugänge zu manchen Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten faktisch unmöglich sind.279 Die Bestimmung soll nach Ansicht der Kommission insgesamt vor allem dazu dienen, die Integration der Leiharbeitnehmer in den Betrieb zu fördern und dadurch das „Gefühl der Zugehörigkeit zum Unternehmen“ und ihre Motivation zu steigern.280 Im Ergebnis erhofft man sich hierdurch eine Steigerung der Gesamtproduktivität.281 Offenbar sind der Kommission die Wirkzusammenhänge zwischen dem „Commitment“ zum Entleihbetrieb, der Integration in die Belegschaft des Entleihbetriebs und der dortigen Produktivität ebenso bewusst wie die Tatsache, dass es um diese Werte in der Leiharbeitnehmerschaft potenziell schlechter steht.282 Aus diesen Gründen sah man sich bewogen, regulativ einzuschreiten, um die Integration der Leiharbeitnehmer in den Entleihbetrieb und dadurch unter Umständen auch deren Motivation und Produktivität zu steigern.283 bb) Zugang zu Fort- und Weiterbildung Ähnliche Erkenntnisse werden den Richtliniengeber zur Maßgabe von Art. 6 Abs. 5 bewogen haben. Hiernach ist der Zugang der Leiharbeitnehmer zu Fort- und Weiterbildungsangeboten (und Kinderbetreuungseinrichtungen) insbesondere auch in den Zeiten zwischen den Überlassungen (Art. 6 Abs. 5 lit. a) RL 2008/104/EG) und im Entleihunternehmen (Art. 6 Abs. 5 lit. b) RL 2008/104/EG) zu fördern. Der rechtstatsächliche Hintergrund dieser Bemühungen ist, dass die Kompetenzentwicklung der Leiharbeitnehmer mittels Fort- und Weiterbildung oftmals defizitär ist (vgl. S. 102 ff.). Für die Leiharbeitnehmer erweist sich dieses Manko als besonders nachteilig – ist es doch gerade die durch Fort- und Weiterbildung voran zu treibende Kompetenz- und Profilentwicklung, die die Integration der Leiharbeitnehmer in die Entleihbetriebe steigern könnte. Dass dieser Missstand in Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie 279 In Bezug auf bspw. Pensionskassen unter bestimmten Umständen: Sansone, in: Preis/ Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.111. 280 Vgl. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern, KOM (2002) 149 endgültig, S. 39 f. 281 Vgl. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie über die Arbeitsbedingungen von Leiharbeitnehmern, KOM (2002) 149 endgültig, S. 40. 282 Zur zusammenfassenden Darstellung der Chancen und Risiken der Arbeitnehmerüberlassung aus der Sicht der Beteiligten: S. 131 ff. 283 Das nationale Recht wird den hierin aufgestellten Vorgaben zum Zugang der Leiharbeitnehmer zu Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten in § 13b AÜG – wenngleich unter richtlinienkonformer Auslegung in Bezug auf den anzulegenden Vergleichsmaßstab und den (richtigerweise) unternehmensweiten Zugangsanspruch – gerecht. So auch: Hamann, NZA 2011, 70 (77), ders., RdA 2011, 319 (320); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.111 f.; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 13b Rn. 30 f. Daher sind die Regelungsentscheidungen unionsrechtskonform; insofern seien sie aus der späteren unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung der wesentlichen Regulierungsentscheidungen (siehe ab S. 351 ff.) exkludiert.

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unionsrechtlich adressiert wird, um die – wie es dort heißt – „berufliche Entwicklung und Beschäftigungsfähigkeit“ der Leiharbeitnehmer zu fördern, ist daher zu begrüßen. Nimmt man die Norm näher in den Blick, zeigt sich jedoch, dass die Richtlinie die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung der Leiharbeitnehmer nur auf ein geringfügiges Mindestmaß verpflichtet. Art. 6 Abs. 5 enthält gerade keine Verpflichtung, einen Anspruch der Leiharbeitnehmer auf Fort- und Weiterbildung zu normieren. Vielmehr sollen die Mitgliedstaaten lediglich „die geeigneten Maßnahmen“ treffen „oder den Dialog zwischen den Sozialpartnern nach ihren nationalen Traditionen und Gepflogenheiten mit dem Ziel (…), den Zugang der Leiharbeitnehmer zu Fort- und Weiterbildungsangeboten“ zu fördern, anregen. Ausweislich dieser Formulierung genügen die Mitgliedstaaten den in Art. 6 Abs. 5 aufgestellten Richtlinienzielen also sogar dann, wenn sie lediglich einen Dialog über die Förderung von Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen zwischen den Sozialpartnern forcieren.284 Angesichts dieser – ungeachtet der Wichtigkeit der Fortbildungsproblematik – nur geringfügigen Anforderung lässt sich die Norm treffend als eine reine „Bemühenspflicht“285 bezeichnen. Einen richtlinientypischen Umsetzungsbefehl enthält sie gerade nicht.286 cc) Zugang zu Beschäftigung Eindeutigere und strengere Regelungen enthalten demgegenüber Art. 6 Abs. 1 – 3 der Richtlinie, die das in der Artikelüberschrift zuerst angesprochene Regelungsfeld betreffen, nämlich den Zugang der Leiharbeitnehmer zu einer Beschäftigung im Entleihunternehmen. Um diesen zu fördern, müssen die Leiharbeitnehmer gem. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie „über die im entleihenden Unternehmen offenen Stellen unterrichtet (werden), damit sie die gleichen Chancen auf einen unbefristeten Arbeitsplatz haben wie die übrigen Arbeitnehmer dieses Unternehmens“. Die Richtlinie adressiert hiermit also unmittelbar die Entleihunternehmen, welche die ihnen überlassenen 284 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 17; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 37; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.116. 285 So explizit: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 37; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.116. 286 So explizit: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 18; Vielmeier, NZA 2012, 535 (540). Daher gehen auch diejenigen Überlegungen fehl, die dem Gesetzgeber insofern eine mangelnde Umsetzung vorwerfen (vgl. in Bezug auf Ansprüche des Leiharbeitnehmers gegen den Entleiher: Boemke, RiW 2009, 177 [187]; Ulber, AuR 2010, 10 [15]). Ebenso wenig kann § 13b AÜG dahingehend richtlinienkonform ausgelegt werden, dass hieraus ein Anspruch auf die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen entstünde. Vgl. aber in diese Richtung: Forst, AuR 2012, 97 (100).

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Leiharbeitnehmer über offene Stellen informieren müssen, um die Chancen derselben auf eine Stammbeschäftigung zu erhöhen.287 Die weiteren Details dieser Informationsverpflichtung sind zum Teil unklar. Gestritten wird unter anderem darüber, ob über Stellen im einzelnen Betrieb oder auch darüber hinaus über Stellen im gesamten Unternehmen informiert werden muss und ob die Eignung der entliehenen Leiharbeitnehmer für die zu besetzende Stelle eine Rolle spielt.288 Ausweislich des Wortlauts, der von der Chance auf einen unbefristeten Arbeitsplatz spricht, muss man sich zudem fragen, ob nur über unbefristete Stellen informiert werden muss.289 Neben dieser Informationsverpflichtung verpflichtet die Richtlinie in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 die Mitgliedstaaten dazu, gegen Klauseln vorzugehen, „die den Abschluss eines Arbeitsvertrags oder die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem entleihenden Unternehmen und dem Leiharbeitnehmer nach Beendigung seines Einsatzes verbieten oder darauf hinauslaufen, diese zu verhindern“, wobei (auch in Deutschland übliche) vom Entleihunternehmen zu erbringende Vermittlungsprämien zulässig sind (Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2). Solche Prämien darf das Verleihunternehmen vom Leiharbeitnehmer bei einem Wechsel zum Entleihunternehmen aber gem. Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG nicht fordern.290 Die Stoßrichtung dieser Bestimmungen ist eindeutig: Der Richtliniengeber will die oben beschriebenen integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung – allen voran den oft angeführten „Klebeeffekt“ – forcieren und dahingehende Hemmnisse 287

Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 1; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.94. 288 Für eine Informationsverpflichtung in Bezug auf Stellen im Unternehmen spricht jedenfalls der Wortlaut. Vgl. in diese Richtung Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.93; ebenso: Kock, BB 2012, 323 (324). Für eine umfassende Informationsverpflichtung, unabhängig von der (vermeintlichen) Eignung der entliehenen Leiharbeitnehmer spricht der „effet utile“. I. E. ebenso: Expert Group, Transposition of Directive 2008/104/EC on Temporary agency work, August 2011, S. 39; Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 80; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.93. A. A.: Kock, BB 2012, 323 (324). 289 Für eine Informationsverpflichtung auch in Bezug auf befristete Stellen spricht jedenfalls die Tatsache, dass Leiharbeitnehmer den Weg in eine unbefristete Stammbeschäftigung typischerweise über eine befristete Beschäftigung finden. Der Wortlaut, der lediglich von einer Chance auf einen unbefristeten Arbeitsplatz spricht, schließt diese Auslegung nicht aus. Vgl. hierzu: Hamann, EuZA 2009, 287 (315). I. E. ebenso: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.93. Möglich ist, dass der deutsche Wortlaut der Bestimmung, der auf unbefristete Stellen rekurriert, durch einen Übersetzungsfehler oder jedenfalls ein Redaktionsversehen zu Stande kam. So auch: Hamann, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 13a Rn. 8; Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 2. 290 Siehe unten zur unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung der Prämienregelungen des AÜG: S. 540 ff.

200 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

abbauen.291 Fraglich ist jedoch, ob Art. 6 Abs. 1 – 3 der Richtlinie dieses hinter den einzelnen Bestimmungen stehende Regelungsziel zu einem übergeordneten und an die Mitgliedstaaten gerichteten Regelungsauftrag erheben wollte. Derartiges wird zum Teil vertreten,292 wenn etwa aus Art. 6 RL 2008/104/EG nicht nur das generelle Ziel abgeleitet wird, den „Übergang von der Leiharbeit in die sog. Normalbeschäftigung“ zu fördern,293 sondern darüber hinaus angenommen wird, dass dieses Regelungsziel eine der „Mindestanforderungen der Leiharbeitsrichtlinie“ sei, die die Mitgliedstaaten zu erfüllen hätten.294 Entnähme man Art. 6 RL 2008/104/EG auf diese Weise den unmittelbaren Regelungsauftrag, die integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung zu fördern, müsste man das nationale Regelungsregime konsequentermaßen als Ganzes darauf hin überprüfen, ob der nationale Gesetzgeber dieses hinreichend auf eine Förderung des Übergangs von Leiharbeitnehmern in ein Stammarbeitsverhältnis im Entleihunternehmen ausgerichtet hat.295 Diesem Erfordernis wäre wiederum dann nicht Genüge getan, wenn das nationale Recht es gestatten würde, dass Entleihunternehmen einen dauerhaften Arbeitskraftbedarf, für den typischerweise Stammarbeitnehmer eingesetzt werden, durch einen wechselnden Einsatz von Leiharbeitnehmern befriedigen.296 Damit wäre zweifellos viel für die Interessen der Leiharbeitnehmer getan. Bei Lichte betrachtet kann aber nicht angenommen werden, dass der Richtliniengeber derart Weitgehendes zugunsten der Leiharbeitnehmer normiert hätte. Zweifeln lässt sich an der These schon deshalb, weil der Unionsgesetzgeber die Förderung der Übernahmeeffekte in den Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 RL 2008/ 104/EG nicht explizit als Regelungsvorgabe niedergelegt hat – obwohl ihm dieses Ziel als die Regelungen motivierende gedankliche Vorgabe präsent gewesen sein muss. Wäre die allgemeine Förderung von Übernahmeeffekten tatsächlich ein direkt an die Mitgliedstaaten gerichteter Regelungsauftrag, hätte der Richtliniengeber streng genommen sogar auf die differenzierten Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 verzichten können. Schließlich hätte man diesen vermeintlichen Regelungsauftrag dann schlicht als solchen normieren und die Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 ent291 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 1; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.92. 292 Zum Folgenden: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79 ff.; 196, 205. 293 So explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79 ff.; 196. 294 So explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 196. Dieser Logik folgend wird das deutsche Recht dort dann anhand dieser Mindestvorgabe überprüft (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 205). 295 Pasch kommt daher zu dem Ergebnis, dass das AÜG richtlinienwidrig sei (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 205, 213). 296 So die Ansicht von: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 205.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

201

weder weglassen oder als insbesondere zu beachtende Ausprägungen dieses Regelungsauftrags beispielhaft aufzählen können. Hierfür hat sich der Richtliniengeber aber gerade nicht entschieden. Stattdessen hat er ausdrücklich nur die Informationspflicht und die auf etwaige Vermittlungsprämien bezogenen Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 normiert.297 Daher spricht viel dafür, diese Entscheidung ernst zu nehmen und auch nur die expliziten Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 als verbindliche Regelungsaufträge zu begreifen. Will man dennoch den hinter diesen Regelungen stehenden Telos als verbindliche Regelung festlegen,298 stößt man auf weitere methodische Bedenken. So verpflichtet eine Richtlinie gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV die Mitgliedstaaten nur auf das ausweislich der Richtlinie zu erreichende Ziel. Sie enthält demgemäß an die Mitgliedstaaten gerichtete finale Vorgaben dazu, dass bestimmte, dort festgelegte Ergebnisse erreicht werden müssen.299 Hinsichtlich des laut der Artikelüberschrift von Art. 6 der Leiharbeitsrichtlinie anzugehenden Regelungsfelds des Zugangs der Leiharbeitnehmer zu Beschäftigungen in den Entleihunternehmen hat der Richtliniengeber die zu erreichenden Ergebnisse aber explizit in Art. 6 Abs. 1 – 3 der Richtlinie festgelegt. Diese Regelungsentscheidung zu ignorieren und den Telos der dortigen Einzelregelungen zum verbindlichen Richtlinienziel zu erheben, ist jedenfalls keine gängige Methode der Richtlinienauslegung. Der in Art. 6 Abs. 1 – 3 der Richtlinie geregelte Zugang der Leiharbeitnehmer erschöpft sich vielmehr in den dort explizit niedergelegten Regelungen hinsichtlich einer Informationsverpflichtung der Entleihunternehmen und den Anforderungen an Vermittlungsprämien.300 Eine hierüber hinausgehende Regelungskomponente kann der Norm nicht entnommen werden. Eine implizite Bestätigung hat das hier gefundene Ergebnis zuletzt von Seiten des EuGH im Urteil in der Rechtssache C-232/ 20 erhalten. Zwar hatte der EuGH dort einzig der Vorgabe „vorübergehend“ den entsprechenden Arbeitsplatzbezug explizit abgesprochen (vgl. S. 189 ff.). Daneben stellte der Gerichtshof allerdings auch fest, dass „keine Bestimmung der Richtlinie 2008/104 die Art der Arbeit oder die Art der Stelle, die im entleihenden Unternehmen 297

So auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 110 f. Ähnlich kritisch: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/ Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (107 f.). 298 Hierauf läuft die Ansicht von Pasch hinaus (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 205). 299 Weiterführend: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 288 AEUV Rn. 24. 300 Der entsprechende Informationsanspruch nach Art. 6 Abs. 1 RL 2008/104/EG ist richtlinienkonform in § 13a AÜG umgesetzt – wenngleich die Norm richtlinienkonform im Hinblick auf eine unternehmensweite Informationspflicht auszuweiten ist. Vgl. hierzu: Hamann, RdA 2011, 319 (335); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.111. Auch die genannte Regelung ist daher unionsrechtskonform; daher wird auf sie in der Überprüfung der wesentlichen Regulierungsentscheidungen nicht gesondert eingegangen.

202 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

besetzt werden soll“, betreffe.301 Dies muss man auch auf die hier in Rede stehenden Regelungen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 RL 2008/104/EG beziehen. Hierfür spricht auch, dass der EuGH darüber hinaus darauf verwies, dass eine arbeitsplatzbezogene Sichtweise auch im Lichte des hier in Rede stehenden „Zugang(s) der Leiharbeitnehmer zu unbefristeter Beschäftigung bei dem entleihenden Unternehmen“ nicht geboten sei, da auch dann, wenn „ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer einem entleihenden Unternehmen zur vorübergehenden Besetzung eines dauerhaft vorhandenen Arbeitsplatzes überlassen“ werde, Übernahmephänomene erwartbar seien.302 Der erläuterten Lesart, die den Regelungen zum Zugang zu Beschäftigungen in vormaligen Entleihunternehmen aus Art. 6 Abs. 1 – 3 der Richtlinie eine arbeitsplatzbezogene Regelungskomponente entnimmt, welche zur Verhinderung des Leiharbeitnehmereinsatzes auf Dauerarbeitsplätzen verpflichtet, hat der EuGH mit den genannten Annahmen mittelbar eine Absage erteilt. e) Vertretung der Leiharbeitnehmer und Sanktionsregime Zwei weitere Mindestvorgaben in Bezug auf den Leiharbeitnehmerschutz enthält die Leiharbeitsrichtlinie in Art. 7 und Art. 10 RL 2008/104/EG. Ersterer enthält Vorgaben hinsichtlich der Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten für die Einrichtung von Arbeitnehmervertretungen. So müssen die Leiharbeitnehmer gem. Art. 7 Abs. 1 bei den Schwellenwerten im Verleihunternehmen berücksichtigt werden. Alternativ können die Mitgliedstaaten aber auch festlegen, dass die Leiharbeitnehmer im Entleihunternehmen berücksichtigt werden (Art. 7 Abs. 2 RL 2008/104/EG). Eine Berücksichtigung im Verleihunternehmen ist dann nicht mehr erforderlich (Art. 7 Abs. 3 RL 2008/104/EG) – wenngleich zulässig. Auch eine doppelte Zurechnung der Leiharbeitnehmer in Bezug auf die Schwellenwerte sowohl im Verleih- als auch im Entleihunternehmen ist also ausweislich der Richtlinie zulässig.303 Mindestens in einem von beiden Unternehmen müssen die Leiharbeitnehmer aber berücksichtigt werden. Dem wird das AÜG mit der gem. § 14 Abs. 1 AÜG geltenden grundsätzlichen Zurechnung der Leiharbeitnehmer zum Verleihbetrieb sowie der zusätzlichen Zurechnung zum Entleihbetrieb während einer solchen Episode gerecht.304

301

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 33). Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 37). Die hiermit ins Feld geführte Annahme, dass ein Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen vermehrte Übernahmen zur Folge habe, ist bereits kritisiert worden (S. 189 ff.). 303 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (322); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 7 Rn. 2. 304 Die Richtlinienkonformität der in § 14 AÜG getroffenen Regelungsentscheidungen wird daher nicht bezweifelt. Siehe nur: Boemke, RiW 2009, 177 (188); Hamann, EuZA 2009, 287 (322 f.); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 7 Rn. 5; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.120. Auch diese Regelungsentscheidungen werden 302

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

203

In Art. 10 RL 2008/104/EG sichert der Richtliniengeber wiederum die im Vorhinein geregelten konkreten sachlichen Vorgaben des Leiharbeitnehmerschutzes – allen voran die des Gleichstellungsgrundsatzes – dadurch ab, dass hierin Anforderungen an mitgliedstaatliche Sanktionen aufgestellt werden.305 Nach Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Mitgliedstaaten demnach „geeignete Maßnahmen“ für den Fall vorsehen, dass das Verleih- oder Entleihunternehmen die Bestimmungen der Richtlinie nicht einhält.306 Ferner werden die Mitgliedstaaten in Art. 10 Abs. 2 verpflichtet, „im Falle eines Verstoßes gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie“ Sanktionen vorzusehen, die „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein müssen. Vermittels der letzteren Vorgabe sind daher sowohl das Verleih- als auch das Entleihunternehmen durch mitgliedstaatliche Regulierung auf verhältnismäßige, aber gleichwohl wirksame und abschreckende Weise mit Sanktionen in die Pflicht zu nehmen, wenn sie richtlinienumsetzende nationale Bestimmungen verletzten. 3. Zwischenergebnis: (Nur) leiharbeitnehmerschützende Mindestvorgaben und in der Folge breite regulatorische Spielräume der Mitgliedstaaten Die Leiharbeitsrichtlinie bildet als das „leiharbeitsspezifischste“ unionsrechtliche Regelungswerk das Zentrum der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung auf der Ebene der Europäischen Union. Der „Flexicurity“-Idee getreu wurde hier versucht, der unternehmerischen Freiheit in Gestalt wirtschaftlicher Flexibilitätsinteressen und dem Schutz der Leiharbeitnehmer gleichermaßen Rechnung zu tragen. Dem erstgenannten Ziel, dem Interesse der Entleih- und Verleihunternehmen an einem möglichst breiten und von staatlicher Regulierung weitestgehend freien Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung, wird augenscheinlich in Art. 4 der Richtlinie gedient. Nach der hier vertretenen – der Judikatur des EuGH folgenden – Ansicht wird man Art. 4 RL 2008/104/EG aber nicht als eine Vorgabe interpretieren können, die den nationalen Gesetzgeber in dieser Hinsicht materiell begrenzt. Dies heißt indes nicht, dass die wirtschaftlichen Interessen der an der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Unternehmen unionsrechtlich schutzlos gestellt sind. Allerdings kommt es in Bezug auf den Schutz der diesbezüglichen Freiheitsinteressen maßgeblich auf die (sogleich herauszuarbeitenden) Gewährleistungen des Primärrechts an, durch welche die Entleih- und Verleihunternehmen vor nicht zu rechtfertigenden und über

daher hiermit aus der späteren unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung der wesentlichen Regulierungsentscheidungen exkludiert. 305 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 10 Rn. 1. 306 Dies bezieht sich in erster Linie auf die Implementierung eines geeigneten Verwaltungsund Rechtsschutzes in Bezug auf die Durchsetzung der Richtlinienbestimmungen. Vgl. hierzu: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 10 Rn. 1.

204 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

die Bestimmungen der Richtlinie hinausgehenden Verboten und Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung geschützt werden. Folgt man der Auslegung des EuGH und interpretiert Art. 4 der Richtlinie auf die erläuterte Weise, bekommen die materiellen Regelungen der Richtlinie in der Konsequenz in gehörigem Maß „Schlagseite“ in Richtung des zweitgenannten Interesses: Dem Leiharbeitnehmerschutz. Die Leiharbeitsrichtlinie dient daher in ihren Inhalten vor allem dem „Security“-Bestandteil der „Flexicurity“-Idee. Die freiheitlichen Interessen der beteiligten Unternehmen – also die „Flexibility“-Komponente“ – werden demgegenüber nicht in konkrete materielle Regelungsvorgaben in Bezug auf die mitgliedstaatliche Regulierung übersetzt. Die Regulierung durch die Leiharbeitsrichtlinie konzentriert sich daher vor allem auf leiharbeitnehmerschützende Mindestvorgaben. Allem voran betrifft dies den Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. S. 166 ff.) – das zentrale leiharbeitnehmerschützende Anliegen der Richtlinie. Daneben werden die Mitgliedstaaten darauf verpflichtet, sich für die Fort- und Weiterbildung der Leiharbeitnehmer einzusetzen und Hemmnisse in Bezug auf die integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung zu adressieren (vgl. S. 197 ff.). Allerdings spiegelt die diesbezügliche Regelungsintensität die Wichtigkeit dieser Gesichtspunkte für die Leiharbeitnehmerschaft nicht wider. Der Unionsgesetzgeber greift hier entweder nur einzelne Interessenpunkte heraus und verdichtet diese zu konkreten materiellen Pflichten in Bezug auf die mitgliedstaatliche Regulierung oder er beschränkt sich gar auf eine reine Bemühenspflicht (vgl. S. 195 ff.). Eine zeitliche Begrenzung der zulässigen Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung durch das Merkmal „vorübergehend“ lässt sich der Richtlinie darüber hinaus nicht entnehmen (vgl. S. 153 ff.). Der EuGH betont zwar, dass aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie folge, dass die Mitgliedstaaten zumindest Maßnahmen ergreifen müssten, um den „vorübergehenden Charakter“ der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Explizite Anforderungen an solche Maßnahmen gehen hiermit aber nicht einher. Ebenso wenig erlegt der Richtliniengeber den Mitgliedstaaten die Vorgabe auf, ihr nationales Recht auf eine Förderung von Übernahmeeffekten auszurichten oder zu verhindern, dass von der Arbeitnehmerüberlassung in einer die Stammbelegschaften substituierenden Weise Gebrauch gemacht wird (vgl. S. 198 ff.). Der Richtliniengeber hat sich also nicht ausdrücklich gegen bestimmte Formen der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung, wie der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie, ausgesprochen. Unter dem Geltungsbereich der Richtlinie sind daher auch solche (mutmaßlich sozialschädlichen) Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung zulässig, solange die einzelnen Bestimmungen der Richtlinie gewahrt werden. In der Summe ist die Leiharbeitsrichtlinie daher zwar eine Richtlinie des Leiharbeitnehmerschutzes. Über Mindestvorgaben zu vereinzelt herausgegriffenen Interessenpunkten des Leiharbeitnehmerschutzes geht die dortige Regulierung aber nicht hinaus, sodass sie den oben dargestellten komplexen Interessenkonflikt nicht in

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Gänze überspannt. Hieraus folgt zugleich, dass die Leiharbeitsrichtlinie der mitgliedstaatlichen Regulierung breite Spielräume belässt. Von einem vermeintlichen unionalen „Vorrang des Normalarbeitsverhältnisses“307 gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung kann also nicht die Rede sein. Die Leiharbeitsrichtlinie bekennt sich vielmehr normativ weder zu einer strikten Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung, noch steht sie einer mitgliedstaatlichen Regulierungstendenz dieser Art entgegen.308 Sie schafft lediglich spezifische Mindeststandards für den Schutz der Leiharbeitnehmer. Alle hierüber hinausgehenden Grundentscheidungen hinsichtlich der regulativen Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung bleiben den Mitgliedstaaten überlassen.

II. Zweite Determinante: (Primärrechtliche) Grundfreiheiten und Grundrechte Angesichts der erheblichen Spielräume, welche die Leiharbeitsrichtlinie der mitgliedstaatlichen Regulierung belässt, ist daher die Frage, inwieweit die vielfältigen Bestimmungen des Primärrecht die entsprechenden mitgliedstaatlichen Bewegungsfreiräume eingrenzen, von zentraler Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die wirtschaftlichen Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen an der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung, da diese – wie gesehen – von der Leiharbeitsrichtlinie selbst nicht maßgeblich regulativ aufgegriffen werden. 1. Unionsrechtliche Grundfreiheiten Für die nationale Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung sind zunächst die Bestimmungen der europäischen Grundfreiheiten relevant. Sowohl die Dienstleistungsfreiheit als auch die Freizügigkeit sind als primärrechtliche Eckpunkte im Rahmen des nationalen Regelungssystems miteinzubeziehen. Hierauf weist auch die Leiharbeitsrichtlinie selbst hin, wenn es dort heißt, die Richtlinie solle „im Einklang mit den Vorschriften des Vertrags über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit“ umgesetzt werden.309

307 So aber explizit: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 116. Vielmehr folgt aus der Richtlinie gerade, dass die Arbeitnehmerüberlassung ausweislich des Unionsgesetzgebers einen Platz in der unionalen Arbeitsmarktordnung hat. So auch: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (125). 308 Ebenso: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 163. 309 Erwägungsgrund 22 RL 2008/EG/104.

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a) Anwendungsbereich der Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten dienen der Verwirklichung eines freien Binnenmarktes (vgl. Art. 26 Abs. 2 AEUV) und erlangen daher nur dort Relevanz, wo ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.310 In Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung kommen die Grundfreiheiten also einzig im Falle eines grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatzes zur Anwendung.311 Um derartige Fallgestaltungen geht es zwar im Rahmen dieser Untersuchung nicht primär. Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten darauf verpflichtet, nationales Recht so zu gestalten, dass es im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte den Gewährleistungen der Grundfreiheiten nicht zuwiderläuft und im Ergebnis Angehörige anderer Mitgliedstaaten nicht diskriminiert. Rechtfertigungsbedürftig sind hierbei auch nationale Regelungen, die zwar nicht an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, aber dennoch Angehörige anderer Mitgliedstaaten mittelbar diskriminieren.312 Auch die neutralen und nicht nach der Staatsangehörigkeit differenzierenden Regelungen des AÜG können daher bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ggf. an den Grundfreiheiten zu messen sein. Daher sollen die Wertungen der Grundfreiheiten in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung im Folgenden überblicksartig analysiert werden. b) Anwendbare Grundfreiheiten Im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung sind es vor allem die Dienstleistungsund Niederlassungsfreiheit, welche die Tätigkeit der Verleihunternehmen im Binnenmarkt schützen sowie die Freizügigkeit, die auf Seiten der Leiharbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Sachverhalten unionsrechtlichen Schutz gewährt. aa) Die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AEUV und die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 ff. AEUV der Verleihbetriebe Grenzüberschreitende Tätigkeiten der Verleihunternehmen sind daher zunächst durch die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) geschützt. Nach der Legaldefinition aus Art. 57 AEUV ist eine Dienstleistung in diesem Sinne jede Leistung, die grenzüberschreitend und gegen Entgelt erbracht wird, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit von Personen unterliegt. In persönlicher Hinsicht können sich alle Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten sowie diesen gem. Art. 55 in Verbindung mit Art. 48 AEUV gleichgestellte Gesellschaften mit Sitz in der Gemeinschaft auf die Dienstleis310

Statt vieler: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 42. Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 532; Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 22. 312 In Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Dienstleistungsfreiheit: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 47; Kluth, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 56. 311

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

207

tungsfreiheit berufen. Unter diese Gewährleistungsgarantie fällt unzweifelhaft auch die entgeltliche Überlassung von Arbeitskräften an ein Entleihunternehmen durch das Verleihunternehmen,313 sodass sich die Verleihunternehmen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten auf die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AUEV berufen können.314 Eine Beschränkung dieser Grundfreiheit kann in jeder mitgliedstaatlichen Maßnahme gesehen werden, die grenzüberschreitende Dienstleistungen gegenüber rein innerstaatlichen Dienstleistungen direkt oder indirekt sowie offen oder versteckt benachteiligt. Dies gilt selbst dann, wenn es sich um eine an sich unterschiedslos geltende Regelung handelt, die geeignet ist, die Tätigkeit ausländischer Dienstleister zu benachteiligen.315 Damit zielt die Dienstleistungsfreiheit zum einen auf die Verhinderung von Diskriminierungen ausländischer Dienstleistungserbringer gegenüber inländischen ab. Zum anderen aber genügt für eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit bereits jede Maßnahme, die zwar nicht diskriminiert, eine grenzüberschreitende Dienstleistung gegenüber der inländischen aber weniger attraktiv macht.316 Gerechtfertigt werden können Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit nur durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.317 Insbesondere der Leiharbeitnehmerschutz ist als ein solches Allgemeininteresse einzuordnen.318 Strebt ein Verleihunternehmen demgegenüber eine dauerhafte Verleihtätigkeit in einem fremden Mitgliedstaat und nicht nur eine grenzüberschreitende Dienstleistung 313 So die ständige Rechtsprechung des EuGH. Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.1981 – 279/80, NJW 1982, 1203 f.; v. 07.2.2000 – C-279/00, NJW-RR 2000, 708 f.; v. 10.2.2011 – C-307, NZA 2011, 283 ff. 314 Vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 90; Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 38. 315 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.7.1991 – C-76/90, Rn. 12; v. 18.6.1998 – C-266/96, Rn. 56. Detaillierter zu den Beschränkungsmöglichkeiten: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 54 ff. 316 So die ständige Rechtsprechung. Vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, NJW 1996, 579 (581, Rn. 37); v. 28.3.1996 – C-272/94, Rn. 10; v. 12.12.1996 – C-3/95, EuZW 1997, 53 (54, Rn. 25) Weiterführend hierzu: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 57 ff.; Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 85 ff. 317 In Betracht kommen im Rahmen des AÜG allenfalls indirekte oder versteckte bzw. die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung weniger attraktiv machende Regelungen. Ausführlicher zu den Rechtfertigungsmöglichkeiten: Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 106 ff.; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 71 ff. Offene Diskriminierungen sind nur über die gesonderten Voraussetzungen des Art 52 AEUV zu rechtfertigen. Vgl. hierzu Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 102; Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 74. 318 Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 549. So hat der EuGH etwa einen (dem Arbeitnehmerschutz dienenden) durch die Unternehmen einzuhaltenden Mindestlohn an anderer Stelle als explizit zulässig erachtet. Hierzu: EuGH, Urt. v. 17.11.2015 – C-115/14, NZA 2016, 155 (156, Rn. 54).

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an und wird das Unternehmen hierin durch dortige mitgliedstaatliche Regularien beschränkt, ist nicht die Dienstleistungs-, sondern die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 ff. AEUV) einschlägig. Diese umfasst dauerhafte, grenzüberschreitende und selbstständige Tätigkeiten und ist unter den gleichen Vorzeichen einer Rechtfertigung zugänglich.319 In der Konsequenz ist die Verleihtätigkeit im Binnenmarkt daher umfangreich unionsrechtlich geschützt, sodass mitgliedstaatliche Einschränkungen und Verbote, die sich zulasten grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassungen auswirken ein Rechtfertigungsbedürfnis auslösen. bb) Die Freizügigkeit der Leiharbeitnehmer aus Art. 45 ff. AEUV Die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer ist hingegen im Falle grenzüberschreitender Arbeitnehmerüberlassungen von der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus Art. 45 ff. AEUVerfasst.320 Zwar wird teilweise auch vertreten, dass die Dienstleistungsfreiheit hierbei einschlägig sei, da Leiharbeitnehmer keinen Zugang zum ausländischen Arbeitsmarkt suchen und folglich kein „Inlandsarbeitsverhältnis“ entstehen würde – welches Voraussetzung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sei.321 Das maßgebliche Differenzierungskriterium zwischen der Dienstleistungsfreiheit und der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist aber die Selbstständigkeit. Dienstleistungen werden selbstständig erbracht, während Arbeitnehmer unselbstständige Tätigkeiten ausführen.322 Aus diesem Grund ist auch die grenzüberschreitende Tätigkeit eines Verleihunternehmens – wie gesehen – der Dienstleistungsfreiheit zuzuordnen.323 Ein Leiharbeitnehmer hingegen erbringt unselbstständige Leistungen und kann sich daher im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen.324 Aus demselben Grund kann sich ein Leiharbeitnehmer auch nicht 319

Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 544 ff. Vgl. EuGH, Urt. v. 10.2.2011 – C-307, 308, 309/09, NZA 2011, 283 (284); v. 18.6.2015 – C-586/13, NZA 2015, 925 (926); v. 11.9.2014 – C-91/13, BeckRS 2014, 81837; siehe ferner: Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 39 f. 321 Vgl. Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 42; Kort, NZA 2002, 1248 (1250). 322 Statt vieler: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 14. 323 Hieraus aber den Schluss zu ziehen, dass auch der von einem solchen Unternehmen überlassene Leiharbeitnehmer die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen würde, ginge indes fehl. Zwar ist dies bei einem Arbeitnehmer, der für seinen Arbeitgeber im Ausland dessen dienst- oder werkvertragliche Verpflichtung erfüllt, durchaus der Fall, da ein solcher Arbeitnehmer lediglich Erfüllungsgehilfe seines die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmenden Arbeitgebers ist. Ein Leiharbeitnehmer hingegen erfüllt durch seine Tätigkeit nicht die Verpflichtung seines ihn verleihenden Arbeitgebers, er selbst ist die geschuldete Leistung. Folglich „hilft“ er auch nicht dabei eine Dienstleistung zu erfüllen, diese erfüllt der Verleiher durch die Überlassung selbst. Wer selbst keine Dienstleistung erbringt, kann aber auch nicht unter die Dienstleistungsfreiheit fallen. Vgl. hierzu weiterführend: Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 39 f. 324 So die treffende Argumentation bei: Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 40. 320

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

209

etwa auf die Niederlassungsfreiheit berufen, die eine dauerhafte selbstständige Tätigkeit voraussetzt. Leiharbeitnehmer, die grenzüberschreitend eingesetzt werden wollen, sind in diesem Freiheitszuschnitt daher durch die Freizügigkeit geschützt. Hinsichtlich ihres Schutzniveaus richtet sich diese ähnlich wie die Dienstleistungsfreiheit gegen unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen.325 Auch hier sind die zweitgenannten mittelbaren Diskriminierungen der Rechtfertigung nur dann zugänglich, wenn sie aus Gründen des Allgemeininteresses erfolgen und verhältnismäßig sind.326 2. Unionsrechtliche Grundrechte Einen anderen Ansatzpunkt als die der Verwirklichung des Binnenmarktes dienenden Grundfreiheiten nehmen hingegen die in der Grundrechtecharta niedergelegten unionsrechtlichen Grundrechte ein. a) Anwendungsbereich der Grundrechte Im Gegensatz zu den Grundfreiheiten entfalten die Grundrechte nicht erst bei grenzüberschreitenden Sachverhalten ihre Wirkung, sondern gelten auch bei reinen Inlandssachverhalten. Konkret adressiert die Grundrechtecharta in Art. 51 Abs. 1 zwar zunächst die „Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union“. Allerdings haben auch die sodann genannten Mitgliedstaaten „ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ die Grundrechtecharta zu beachten. Was im Einzelnen hierunter zu verstehen ist und ob und wie sich der Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte auf die durch die Leiharbeitsrichtlinie überformte nationale Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch das AÜG ausdehnt, ist daher im Folgenden zu untersuchen. aa) Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta gem. Art. 51 Abs. 1 GrCh Unzweifelhaft ist zunächst, dass mit der „Durchführung des Rechts der Union“ nicht nur das Primärrecht, sondern insbesondere auch das Sekundärrecht gemeint ist. Dies umfasst namentlich Richtlinien – wie die Leiharbeitsrichtlinie – im Sinne von Art. 288 AEUV. Bei der legislativen Umsetzung und dem administrativen Vollzug dieser Unionsrechtsakte haben die Mitgliedstaaten die Unionsgrundrechte demnach zu beachten.327 Weniger eindeutig verhält es sich allerdings mit der Frage, wann genau die Mitgliedstaaten unionsrechtliches Sekundärrecht im Sinne von Art. 51 325

Vgl. etwa: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 46 f. Vgl. etwa: Brechmann, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 45 AEUV Rn. 48. 327 Statt vieler: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 8. 326

210 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Abs. 1 GrCh „durchführen“ und demgemäß der Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Grundrechte eröffnet wird. Der EuGH hat dieses Erfordernis in der Vergangenheit teils sehr weitgehend interpretiert und den Unionsgrundrechten in Bezug auf die Umsetzung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten generös zur Anwendung verholfen. Zum Teil ist in den Judikaten des EuGH davon die Rede, dass die Grundrechtecharta bereits „in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen“ gelte – unabhängig davon, ob das entsprechende nationale Recht konkrete unionsrechtliche Vorgaben umsetze.328 Teilweise329 wird aber auch – etwas restriktiver – davon ausgegangen, dass die Unionsgrundrechte dann anwendbar seien, wenn die unionsrechtlichen Vorschriften in dem betreffenden Sachbereich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten im Hinblick auf den im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalt schaffen. Derartige Verpflichtungen werden Richtlinien – wie die Leiharbeitsrichtlinie – regelmäßig begründen. Allerdings verpflichtet das Regelungsinstrument der Richtlinie die mitgliedstaatliche Gesetzgebung in der Regel nur auf einige konkret bestimmte Mindestvorgaben (zusammenfassend S. 203 ff.). Hinsichtlich der entsprechenden Umsetzung und der Regulierung der nicht unional überformten Rechtsfragen des entsprechenden Regelungsgebiets belässt eine Richtlinie den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern einen gehörigen Freiraum. Eine Trennung dieser durch Richtlinien determinierten und nicht determinierten Regelungsbereiche im Hinblick auf die Frage nach der „Durchführung des Unionsrechts“ nimmt der EuGH dennoch nicht vor. Dies liegt daran, dass der EuGH auch für die durch Unionsrecht nicht determinierten Bereiche nationaler Gesetzgebung innerhalb von insgesamt unionsrechtlich durchzogenen Regelungsbereichen insgesamt von einer Anwendbarkeit der Grundrechtecharta ausgeht. Nur zusätzlich zu den europäischen Grundrechtsgewährleistungen könnten in diesen Bereichen auch nationale Grundrechte Anwendung finden.330 Insofern würden europäische und nationale Grundrechtsverbürgungen kumulieren.331 328 So entschied der EuGH in der Rechtssache C-617/10. Hier sah der EuGH den Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte deswegen als eröffnet an, weil steuerliche Sanktionen und Steuerstrafverfahren der Mitgliedstaaten – obwohl das Unionsrecht hierzu keine konkreten Umsetzungspflichten enthält – „teilweise im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung von Mitteilungspflichten auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer“ stünden und verwies auf die RL 2006/12/EWG, Art. 4 Abs. 3 EUV, die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Betrugsbekämpfung (Art. 325 AEUV) und den Beitrag der Mitgliedstaaten zum Haushalt der Union über Mehrwertsteuer-Eigenmittel. Hieraus ergebe sich ein „unmittelbarer Zusammenhang“ der Einnahmeerzielung aus solchen Mehrwertsteuern mit dem Haushalt der Union, weswegen es sich im Entscheidungsfall um die Durchführung von Unionsrecht handelte. Vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10, NJW 2013, 1415 (1416). 329 Vgl. EuGH, Urt. v. 6.3.2014 – C-206/13, NVwZ 2014, 575 (576). 330 Vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 26.2.2013 – C-617/10, NJW 2013, 1415 (1416). („Hat das Gericht eines Mitgliedstaats zu prüfen, ob mit den Grundrechten eine nationale Vorschrift oder Maßnahme vereinbar ist, die in einer Situation, in der das Handeln eines Mitgliedstaats nicht vollständig durch das Unionsrecht bestimmt wird, das Unionsrecht i. S. von Art. 51 der Charta durchführt, steht es somit den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin frei, nationale

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

211

Von einer ebensolchen scharfen Trennung der Anwendungsbereiche der nationalen und der europäischen Grundrechte ging indes lange Zeit das Bundesverfassungsgericht aus. Zwar akzeptierte das Gericht,332 dass innerstaatliche und das Unionsrecht umsetzende Rechtsakte nicht am Grundgesetz gemessen werden – solange der EuGH einen dem Grundgesetz vergleichbaren Grundrechtsschutz gewährleistet. Dies galt nach Auffassung des Gerichts aber nur dort, wo das Unionsrecht zwingende Vorgaben macht, die durch nationale Umsetzungsakte im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh durchgeführt werden. Der recht weiten Interpretation von Art. 51 Abs. 1 GrCh durch den EuGH stellte sich das Gericht ausdrücklich entgegen und konstatierte, dass nicht „jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des Unionsrechts oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses“ ausreichen könnten, um eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Grundrechtecharta auszulösen.333 In Bezug auf die Richtlinienumsetzung durch die Mitgliedstaaten bedeutete dies, dass nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Unionsgrundrechte nur dort zur Anwendung kamen, wo nationale Vorschriften zwingende Vorgaben des Unionsrechts umsetzen. Bei mitgliedstaatlichen Umsetzungsspielräumen oder nicht unional überformten Regelungen kämen demgegenüber die Grundrechte des Grundgesetzes zur Anwendung.334 Diese scharfe Trennung der Anwendungsbereiche der europäischen und mitgliedstaatlichen Grundrechtskataloge hat das Bundesverfassungsgericht indes in jüngster Zeit mit der Entscheidung „Recht auf Vergessen I“335 aufgegeben.336 Zwar hält das Bundesverfassungsgericht hierin an seiner Entscheidung fest, „innerstaatliches Recht und dessen Anwendung grundsätzlich auch dann am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes (zu prüfen), wenn es im Anwendungsbereich des Unionsrechts liegt, dabei aber durch dieses nicht vollständig determiniert ist“.337 Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden“). 331 Sog. „Kumulationsthese“. Vgl. hierzu: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 10. 332 Siehe etwa BVerfGE 118, 79 (95 f.) unter Verweis auf die „Solange II“-Entscheidung: BVerfGE 73, 339 (387). 333 Vgl. BVerfGE 133, 267 (316). 334 Sog. „Alternativitätsthese“ Vgl. hierzu: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 10. 335 BVerfGE 152, 152 ff. Die Entscheidung wird besprochen bei: Kühling NJW 2020, 275 ff.; Hoffmann, NVwZ 2020, 33 ff.; Peifer GRUR 2020, 34 ff. Bereits vereinzelt auf die Entscheidung und ihre Auswirkung auf die Frage, ob die Überlassungshöchstdauer an den nationalen oder den unionalen Grundrechtsgewährleistungen zu messen ist: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 96 ff. 336 So explizit auch: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 12 („Diese sog. Alternativitätsthese, die von zwei separierten Grundrechtsräumen ausging, hat es […] in der Entscheidung „Recht auf Vergessenwerden I“ [2019] aufgegeben […]“). 337 Vgl. BVerfGE 152, 152 (169, Rn. 42).

212 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Allerdings sieht es den Prüfungsmaßstab für nicht vollständig determiniertes nationales Recht nicht mehr nur noch auf die Grundrechte des Grundgesetzes beschränkt. Vielmehr soll neben diesen nun im Einzelfall auch die Grundrechtecharta zur Anwendung kommen können – sofern es im Einzelfall um eine „Durchführung des Unionsrechts“ aus Art. 51 Abs. 1 GrCh geht.338 Bei der Interpretation dieser Hürde zeigt sich das Bundesverfassungsgericht in der betreffenden Entscheidung aber vergleichsweise großzügig. Möglich sei insbesondere, „dass innerstaatliche Regelungen auch dann als Durchführung des Unionsrechts iSd Art. 51 Abs. 1 GRCh zu beurteilen sein können, wenn für deren Gestaltung den Mitgliedstaaten Spielräume verbleiben, das Unionsrecht dieser Gestaltung aber einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, der erkennbar auch unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden soll.“339 Auch nicht vollständig durch das Unionsrecht determinierte nationale Regelungen, bei denen der mitgliedstaatliche Gesetzgeber etwa Umsetzungsspielräume hat und autonome Regulierungsentscheidungen treffen kann, können also zusätzlich an der Grundrechtecharta zu messen sein. Der Prüfungsmaßstab für nicht vollständig unionsrechtlich determiniertes nationales Recht verändert sich hiermit aber nicht so sehr, wie es die Entscheidung prima facie vermuten lässt. Denn das Bundesverfassungsgericht betont sogleich, dass der primäre Prüfungsmaßstab weiterhin die Grundrechte des Grundgesetzes bleiben, da davon ausgegangen wird, dass die grundgesetzlichen Grundrechtsverbürgungen die Grundrechte der Grundrechtecharta mitgewährleisten.340 Die Grundrechte des Grundgesetzes sind aber im Lichte der Charta als gemeinsamer europäischer Grundrechtsüberlieferung auszulegen.341 Ferner ist eine Überprüfung nationalen Rechts anhand der Grundrechtecharta immer dann geboten, wenn das nationale Recht den Schutzgehalt der Charta ausnahmsweise nicht mitgewährleistet.342 In der Konsequenz ergibt sich für nicht vollständig durch Unionsrecht determinierte nationale Regelungen also das Folgende: Sofern den Mitgliedstaaten bei der Gestaltung derselben zwar Spielräume verbleiben, das Unionsrecht dieser Gestaltung aber einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, treten die europäischen Grundrechtsgewährleistungen neben die Grundrechte des Grundgesetzes. Allerdings wird die widerlegbare Vermutung aufgestellt, dass eine Überprüfung anhand der Grundrechte des Grundgesetzes genügt. Fragen muss man sich allerdings, wann nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts eine nationale Regelung noch als „Durchführung des Unionsrechts“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh zu begreifen ist und – so die Formulierung in der 338

Vgl. BVerfGE 152, 152 (169, Rn. 43). Vgl. BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 44). 340 Vgl. BVerfGE 152, 152 (176, Rn. 59). Vgl. hierzu auch treffend: Kingreen, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 12 („Aber in der Regel bleibt das Bundesverfassungsgericht im nichtdeterminierten Bereich wie schon zuvor dabei, dass allein die Grundrechte des Grundgesetzes zu prüfen sind.“). 341 Vgl. BVerfGE 152, 152 (177, Rn. 60). 342 Vgl. BVerfGE 152, 152 (179, Rn. 63). 339

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

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Entscheidung – „den Mitgliedstaaten Spielräume verbleiben, das Unionsrecht dieser Gestaltung aber einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, der erkennbar auch unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden soll.“343 Ob damit der gleiche – recht weite – Prüfungsmaßstab gemeint ist, wie ihn der EuGH bei der Überprüfung dieser Voraussetzung anwendet oder strenger danach differenziert werden muss, ob das Unionsrecht – etwa in Richtlinienform – für den entsprechenden Sachverhalt konkrete Zielvorgaben macht, aber gewisse Spielräume lässt, wird nicht gänzlich klar.344 Die Frage nach der Anwendbarkeit der europäischen oder nationalen Grundrechtsregime ist zudem – will man dem Bundesverfassungsgericht folgen – nur dann von Relevanz, wenn die nationalen Grundrechte das Schutzniveau der Grundrechtecharta im Einzelfall nicht mitgewährleisten. Erst wenn dies der Fall ist, wird man auf die Grundrechte der Grundrechtecharta zurückgreifen müssen. Wenn mitgliedstaatliches Recht als „Durchführung des Unionsrechts“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh gewertet werden kann, wird man daher zwingend feststellen müssen, ob die Grundrechtecharta ein höheres Schutzniveau bereithält. Schließlich hängt in solchen Fällen von dieser Frage ggf. die Vereinbarkeit des mitgliedstaatlichen Rechts mit höherrangigen Rechtsmaßstäben ab. Eine zusammenfassende Näherung an den Gehalt des hier daher zentralen „Durchführungserfordernisses“ könnte wie folgt aussehen. Dort, wo der nationale Gesetzgeber zwingende Vorgaben des Unionsrechts umsetzt, liegt ganz eindeutig eine „Durchführung des Unionsrechts vor“. Hier können um der Einheitlichkeit des Unionsrechts willen nur die Unionsgrundrechte einschlägig sein – ist doch der nationale Gesetzgeber in diesen Fällen letztlich der verlängerte Arm des Unionsgesetzgebers.345 Lässt das Unionsrecht jedoch (etwa in Richtlinienform) bei der Umsetzung von unionalen Vorgaben deutliche inhaltliche Spielräume für autonome Entscheidungen des nationalen Gesetzgebers, so wird man differenzieren müssen, ob das Unionsrecht nach den Worten des Bundesverfassungsgerichts „einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, der erkennbar auch unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden soll“, oder ob dies im Einzelfall nicht mehr anzunehmen ist. Anders verhält es sich bei Regelungsfragen hinsichtlich eines zwar durch das Unionsrechts durchwirkten, aber in Bezug auf die konkrete inhaltliche Frage unionsrechtlich ungeregelten Sachverhalts. Wo das Unionsrecht schweigt und keine

343

Vgl. BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 44). Eine Annäherung an die weitere Interpretation von Art. 51 Abs. 1 GrCh durch den EuGH deutet sich an, wenn das BVerfG von der „dynamischen, fachrechtsakzessorischen Anlage der Unionsgrundrechte, wie sie von Art. 51 Absatz 1 GRCh vorgegeben ist und von der Rechtsprechung des EuGH weiter entfaltet wurde“ spricht (vgl. BVerfGE 152, 152 [174, Rn. 54]). Skaliert man diese Entscheidung in größere Zusammenhänge, wird man die hierin angenommene Kumulation nationaler und europäischer Grundrechtsgewährleistungen sicherlich als Brücke zur Rechtsprechung des EuGH betrachten können. 345 So treffend: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 13. 344

214 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten beinhaltet,346 entscheiden die Mitgliedstaaten schließlich autonom, sodass hier nur die nationalen Grundrechtsverbürgungen zur Anwendung kommen. bb) Anwendbarkeit der Grundrechtecharta im Rahmen des AÜG In dieser Art und Weise muss auch in Bezug auf das durch die Leiharbeitsrichtlinie teilweise überformte AÜG danach differenziert werden, welche Regelungen als „Durchführung des Unionsrechts“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh zu betrachten sind.347 Diejenigen Regelungen, die eine unmittelbare Umsetzung der Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie darstellen, sind demgemäß nur an den Unionsgrundrechten zu messen. Diejenigen Regelungen hingegen, die zwar die in der Leiharbeitsrichtlinie determinierten Ziele umsetzen, die sich aber im Rahmen seitens der Richtlinie belassener inhaltlicher Spielräume bewegen, sind an den Grundrechten des Grundgesetzes und ggf. zusätzlich – sofern die Richtlinie „einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt“ und die Unionsgrundrechte im Einzelfall einen höheren Schutzstandard garantieren – an den Grundrechten der Grundrechtecharta zu messen. Inhaltlich durch die Richtlinie nicht determinierte und autonom vom nationalen Gesetzgeber gefällte Regulierungsentscheidungen sind demgegenüber ausschließlich am Grundgesetz zu messen.348 In die letztgenannte Kategorie ist bspw. die Überlassungshöchstdauer einzuordnen, da der Leiharbeitsrichtlinie nach der hier vertretenen Auffassung keine Vorgabe entnommen werden kann, nach der Überlassungen zeitlich zu beschränken wären.349 Ebenso wenig enthält die Leiharbeitsrichtlinie Vorgaben in Bezug auf den 346

Vgl. erneut: EuGH, Urt. v. 6.3.2014 – C-206/13, NVwZ 2014, 575 (576). Bereits vereinzelt auf die Entscheidung und ihre Auswirkung auf die Frage, ob die Überlassungshöchstdauer an den nationalen oder unionalen Grundrechten zu messen ist: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff. 348 Ähnlich wie hier – aber noch nicht vor dem Eindruck der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – differenzieren auch Kämmerer und Pant danach, ob Regelungsentscheidungen des AÜG Vorgaben des Leiharbeitsrichtlinie umsetzen und ob der Gesetzgeber sich hierbei im Rahmen von Umsetzungsspielräumen bewegt (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 35 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 84 f.). Ähnlich auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 97 ff., welche die aktuelle Judikatur des Bundesverfassungsgerichts jedenfalls teilweise berücksichtigt. Deutlich weitgehender meint Temming hingegen, dass mitgliedstaatliches Recht, das Leiharbeit reguliert, aufgrund der Leiharbeitsrichtlinie in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle und daher bspw. an der unternehmerischen Freiheit gemessen werden könne (vgl. Temming, JurisPR-ArbR 25/2015, Anm. 1, S. 7). Ähnlich wohl auch Franzen, der den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta mit der Leiharbeitsrichtlinie als eröffnet sieht (vgl. Franzen, RdA 2015, 141 [149]). 349 Zwar leitet der EuGH aus der Leiharbeitsrichtlinie die an die Mitgliedstaaten gerichtete Verpflichtung her, Maßnahmen zu ergreifen, um den „vorübergehenden Charakter“ der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren. Eine Vorgabe zur Regulierung der zeitlichen Dimension 347

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

215

administrativen bzw. gewerberechtlichen Überbau der Arbeitnehmerüberlassung, wie etwa das Erfordernis einer behördlichen Erlaubnis.350 Folgt man – wie hier – der Ansicht des EuGH, ist auch Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie nicht als regulative Vorgabe zu verstehen, sodass auch weitere, die Arbeitnehmerüberlassung beschränkende Vorgaben des nationalen Rechts, wie bspw. die Regelungen in Bezug auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher oder das bereichsspezifische Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche, als Regelungen ohne unionsrechtliche Determinierung zu klassifizieren sind, die folglich nicht am Maßstab der Grundrechtecharta zu überprüfen sind. Eindeutige Vorgaben macht die Leiharbeitsrichtlinie aber in Bezug auf den Gleichstellungsgrundsatz und dessen Ausnahmeoptionen, auf Informationspflichten der Entleihunternehmen über offene Stellen gegenüber den Leiharbeitnehmern, auf den Zugang von Leiharbeitnehmern zu Gemeinschaftseinrichtungen und Fort- und Weiterbildungen351 sowie auf die Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer bei Arbeitnehmervertretungen und in Bezug auf das Erfordernis eines nationalen Sanktionsregimes bei der Verletzung richtlinienumsetzender nationaler Bestimmungen. Ob die einzelnen Bestimmungen des AÜG, die diese Richtlinienvorgaben umsetzen, konkret nur an den Grundrechten der Grundrechtecharta oder an den Grundrechten des Grundgesetzes und ggf. zusätzlich auch noch an der Grundrechtecharta gemessen werden müssen, ist dann eine Frage des konkreten Einzelfalls. Diese Differenzierung wird maßgeblich davon abhängen, ob der nationale Gesetzgeber eine unionsrechtliche Regulierungsentscheidung umsetzt oder autonom eine eigene Regulierungsentscheidung fällt. Im erstgenannten Fall handelt es sich um eine „Durchführung des Unionsrechts“, sodass nur Unionsgrundrechte zur Anwendung kommen. Im zweitgenannten Fall ist weiter danach zu differenzieren, ob die Leiharbeitsrichtlinie „einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt“. In diesem Fall kommen die Unionsgrundrechte zusätzlich zu den vorrangig zu prüfenden deutschen dieser Beschäftigungsform geht hiermit aber nicht einher. Siehe hierzu: EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 63); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). Wie hier – aber noch nicht vor dem Eindruck der genannten Judikatur – gehen auch Kämmerer und Pant davon aus, dass die Überlassungshöchstdauer eine nicht durch das Richtlinienrecht determinierte autonome Regulierungsentscheidung des deutschen Gesetzgebers ist und daher an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen ist (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 62; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 84, 115). A. A. in Bezug auf die Frage nach der Anwendbarkeit des nationalen oder unionalen Grundrechtsregimes: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff. 350 Diesen Aspekt der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung wollte der Richtliniengeber bewusst unberührt lassen (vgl. Art. 4 Abs. 4 RL 2008/104/EG). 351 Die Richtlinienkonformität der die Bestimmungen aus Art. 6 Abs. 1 und 4 RL 2008/ 104/EG jeweils umsetzenden Regelungen aus §§ 13a, 13b wurde indes schon festgestellt und ist insofern aus der späteren unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung der wesentlichen Regulierungsentscheidungen exkludiert.

216 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Grundrechten in Betracht – sofern sie im Einzelfall einen höheren Schutzstandard gewähren. Diese diffizilen Abgrenzungsfragen, die nach der Entscheidung „Recht auf Vergessen I“352 – sofern man (wie hier)353 dem Bundesverfassungsgericht folgt – in Bezug auf richtliniengeprägte nationale Regulierungsentscheidungen erforderlich geworden sind, können nicht an dieser Stelle in vorgelagerter Art und Weise für alle Regulierungsentscheidungen des AÜG vorgenommen werden. Die Festlegung des grundrechtlichen Prüfungsmaßstabs354 nach den hier herausgearbeiteten Parametern soll vielmehr erst im Rahmen der jeweilig grundrechtlich zu überprüfenden Maßgaben des AÜG geschehen (ab S. 351 ff.). b) Anwendbare Grundrechte Von entscheidender Bedeutung ist aber nicht nur die Frage nach der „Durchführung des Rechts der Union“, sondern auch, inwiefern die Grundrechtecharta die Interessen der an der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Akteure schützt. Schließlich sind die Grundrechte der Grundrechtecharta nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – der hier explizit gefolgt wird – bei der Überprüfung richtliniengeprägter nationaler Bestimmungen, für die die Richtlinie einen maßgeblichen Rahmen setzt, nur dann anzuwenden, wenn sie im Einzelfall einen höheren Schutzstandard gewährleisten als die nationalen Grundrechtsverbürgungen. Dem ist im Folgenden nachzugehen. aa) Die unternehmerische Freiheit der Entleih- und Verleihbetriebe aus Art. 16 GrCh Gemäß Art. 16 GrCh wird die „unternehmerische Freiheit (…) nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt“. Hiermit bekennt sich der Unionsgesetzgeber zum Schutz der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit in allen ihren Ausprägungen, sofern es sich – in Abgrenzung zu Art. 15 GrCh, der die wirtschaftliche Betätigung Unselbstständiger schützt –

352 BVerfGE 152, 152 ff. Die Entscheidung wird besprochen bei: Kühling NJW 2020, 275 ff.; Hoffmann, NVwZ 2020, 33 ff.; Peifer GRUR 2020, 34 ff. Bereits vereinzelt auf die Entscheidung und ihre Auswirkung auf die Frage, ob die Überlassungshöchstdauer an den nationalen oder den unionalen Grundrechtsgewährleistungen zu messen ist: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff. 353 Ähnlich auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff., die die aktuelle bundesverfassungsgerichtliche Judikatur teilweise berücksichtigt. 354 Eine parallele Herausarbeitung des Prüfungsmaßstabs unter teilweiser Berücksichtigung der aktuellen Judikatur des Bundesverfassungsgerichts findet sich auch bei: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

217

um die Betätigungen Selbstständiger handelt.355 Unter diese Grundrechtsgewährleistung ist demgemäß auch das wirtschaftliche Nutzungsinteresse der Entleih- und Verleihbetriebe an der Arbeitnehmerüberlassung zu subsumieren.356 Sowohl das Interesse der Entleiher, Arbeitnehmerüberlassung möglichst breit als reaktive oder aktive Flexibilisierungsmöglichkeit einzusetzen, als auch das Interesse der Verleiher, Arbeitnehmerüberlassung am Markt anzubieten, ist also auf unionsrechtlicher Ebene – parallel zu Art. 12 Abs. 1 GG (hierzu S. 229 f.) – durch Art. 16 GrCh geschützt. Gesetzliche Eingriffe in diese freiheitlichen Interessen bedürfen einer Rechtfertigung,357 deren Voraussetzungen in Art. 52 Abs. 1 GrCh festgelegt sind. Hiernach gilt ein einfacher Gesetzesvorbehalt. Zudem ist der Wesensgehalt der entsprechenden grundrechtlichen Verbürgungen zu wahren (Art. 52 Abs. 1 Satz 1 GrCh). Ferner müssen Eingriffe dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten und „den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen“ (Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GrCh). Als legitime Zwecke einer Beeinträchtigung der gewährten Grundrechte – und so auch in Bezug auf Art. 16 GrCh – kommen also sowohl von der Union anerkannte Gemeinwohlinteressen als auch Individualinteressen in Betracht.358 Als von der Union anerkannte Gemeinwohlziele im Sinne von Art. 52 Abs. 1 Satz 2 GrCh lassen sich bspw. die in Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie genannten Konkretisierungen der zur Rechtfertigung von Verboten und Einschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung dort geforderten „Allgemeininteressen“ identifizieren.359 Die weiteren Prüfungsmodalitäten der abwehrrechtlichen Funktion von Art. 16 GrCh decken sich im Wesentlichen mit der aus der deutschen Rechtssphäre bekannten Grundrechtsdogmatik, indem vollumfänglich (selbstständige) berufliche Tätigkeiten geschützt werden und im Falle von Eingriffen ein einfacher Gesetzesvorbehalt, eine Wesensgehaltsgarantie und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gefordert werden. Zwar findet sich die aus dem deutschen Grundrechtsverständnis bekannte Drei-Stufen-Theorie (vgl. S. 237 ff.) und die damit einhergehende Differenzierung nach Berufsausübung und Berufswahl nicht in den Judikaten des EuGH 355

Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 16 GrCh Rn. 1; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 16 GrCh Rn. 6. 356 So auch: Franzen, RdA 2015, 141 (150); Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 99. 357 Freilich sind auch „nicht-normative“ und demgemäß (in der Lesart deutscher Grundrechtsdogmatik) mittelbar-faktische Grundrechtseingriffe erfasst. Vgl. hierzu: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 16 GrCh Rn. 11. In Betracht kommen vorliegend indes nur normative Eingriffe in Form gesetzlicher Vorgaben des AÜG. 358 Vgl. etwa: Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 52 GrCh Rn. 67. 359 Ebenfalls in diese Richtung: Franzen, RdA 2015, 141 (150). Dies ist unabhängig davon, dass der EuGH Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie die materielle Wirkkraft im Wesentlichen abgesprochen hat.

218 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

wieder.360 Eine je nach Eingriffsintensität differenzierend intensive Verhältnismäßigkeitsprüfung bietet sich jedoch auch im Rahmen von Art. 16 GrCh an. Die Interessen der an der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Unternehmen sind also unionsrechtlich – wenn auch nicht durch die Leiharbeitsrichtlinie und ihren Art. 4 Abs. 1 selbst – vor mitgliedstaatlichen Beschränkungen der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung geschützt. Einen höheren Schutzstandard als ihn die Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes – namentlich Art. 12 Abs. 1 GG (hierzu S. 229 ff.) – vorsehen, statuiert Art. 16 GrCh zugunsten der Verleih- und Entleihunternehmen aber prima facie nicht. bb) Die Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 15 GrCh Art. 15 GrCh schützt demgegenüber das freiheitliche Nutzungsinteresse der Leiharbeitnehmer vor staatlichen Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung.361 Diese Freiheitsverbürgung erfasst in erster Linie diejenigen Leiharbeitnehmer, welche gezielt den Weg in die Arbeitnehmerüberlassung als einer Alternative zu regulären Beschäftigungsformen wählen und daher an einer dort freiheitlichen Berufsausübung ein gesteigertes Interesse haben.362 Zwar ist der Großteil der Leiharbeitnehmerschaft nicht um ihrer selbst willen in der Branche tätig und eher an (grundrechtlichem) Schutz als an Freiheitsverbürgungen interessiert. Dies ändert jedoch nichts daran, dass Art. 15 GrCh das zuweilen anzutreffende Nutzungsinteresse der Leiharbeitnehmer erfasst. Die Berufswahl und -ausübung eines unselbstständigen Berufes – und so auch die Berufswahl und Berufsausübung jener Leiharbeitnehmer – ist daher durch Art. 15 GrCh vor staatlichen Eingriffen geschützt.363 Da der größere Anteil der Leiharbeitnehmerschaft die Tätigkeit in der Branche jedoch nicht aus originär freiheitlichen Motiven ergreift, stellt sich in Bezug auf den Gewährleistungsgehalt von Art. 15 GrCh die Frage, ob die unionale Berufsfreiheit neben der soeben aufgezeigten abwehrrechtlichen Funktion auch eine schutzrechtliche Funktion beinhaltet, die zu einem regulierenden Ausgleich zwischen den (von Art. 16 GrCh erfassten) freiheitlichen unternehmerischen Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen und den diesen gegenüberstehenden Interessen der Leiharbeitnehmer zwingen würde. Schließlich wählt der größere Anteil der Leiharbeitnehmer eine Beschäftigung in der Branche, um etwa einer Arbeitslosigkeit zu entgehen und ggf. über das Vehikel 360 Zu dieser Differenz: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 16 GrCh Rn. 10. 361 I. E. auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 39. 362 Dies vor allem aufgrund des bereits beschriebenen Abwechslungsreichtums in der Leiharbeitstätigkeit (vgl. hierzu S. 98 f.). 363 Vgl. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 15 GrCh Rn. 5; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 15 GrCh Rn. 8.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

219

der Arbeitnehmerüberlassung den Absprung in reguläre Beschäftigung zu schaffen. Die erhofften Übernahmeeffekte sind aber anders als vielmals behauptet nicht die Regel, sondern vielmehr ein Randphänomen.364 Während die für die meisten Leiharbeitnehmer mit der Tätigkeit in der Branche einhergehenden Chancen also überschaubar sind, müssen sie viele Nachteile gegenüber den in regulären Arbeitsverhältnissen beschäftigten Stammarbeitnehmern hinnehmen (vgl. zusammenfassend S. 131 ff.). Dem größeren Teil der Leiharbeitnehmer geht es folglich nicht um die möglichst freie und von staatlichen Eingriffen unbelastete Ausübung der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung, sondern vielmehr – wie angedeutet – um das genaue Gegenteil. In ihrem Interesse ist gerade eine regulative Einhegung der Risiken und negativen Aspekte, die aus ihrer Perspektive mit einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung einhergehen. Gleiches ließe sich in Bezug auf die Stammarbeitnehmer annehmen, die – teils berechtigterweise – fürchten müssen, von Leiharbeitnehmern verdrängt zu werden (vgl. S. 117 ff.). Diese Frage führt indes zu der grundsätzlicheren Überlegung, inwieweit und an welcher Stelle die Grundrechtecharta schutzrechtliche Gewährleistungen enthält. Eine ausdrückliche Normierung von Schutzinhalten findet sich nur vereinzelt in der Grundrechtecharta, namentlich in Art. 1, 17 Abs. 2 und 24 Abs. 1 Satz 1 GrCh, die davon sprechen, dass die Menschenwürde „zu achten und zu schützen“ ist, das geistige Eigentum geschützt wird und Kinder einen Anspruch „auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind“ haben.365 Abseits dieser einzelnen Normierungen von grundrechtsgarantiertem Schutz heißt es allerdings in Art. 51 Abs. 1 Satz 2 GrCh in globalerem Duktus, dass die Mitgliedstaaten zum einen die Grundrechte zu achten haben, zum anderen aber auch deren Anwendung fördern müssten. Aus dem Gleichklang von „Achten“ und „Fördern“ wird daher zum Teil hergeleitet, dass die Grundrechtsgewährleistungen der Grundrechtecharta sowohl zu achtende Abwehr- als auch zu fördernde Leistungsrechte und damit auch Schutzpflichten enthielten – unabhängig von den in den Überschriften der Grundrechtecharta vorgenommenen typologischen Zuordnungen der Grundrechte in „Freiheiten“, „Gleichheit“, „Solidarität“, „Bürgerrechte“ und „Justizielle Rechte“.366 Ob und inwieweit einem einzelnen Grundrecht eine schutzrechtliche Funktion zu entnehmen ist, sei dann jeweils durch Auslegung zu ermitteln.367 364

Der „Klebeeffekt“ beläuft sich auf maximal ca. 15 %. Siehe hierzu oben S. 96 f. Hieraus ist jedenfalls abzuleiten, dass der Grundrechtecharta ein nicht nur auf die Abwehr staatlicher Eingriffe beschränkter Schutz nicht fremd ist. Vgl. in diese Richtung: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 207 f. 366 Vgl. Jarass, GrCh, 2021, Art. 51 Rn. 7; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 22. 367 Vgl. Jarass, GrCh, 2021, Art. 51 Rn. 6; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 51 GrCh Rn. 22; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 15 GrCh Rn. 30. Ebenfalls grundrechtliche Schutzpflichten im Rahmen der GrCh und auch im Besonderen für Art. 15 Abs. 1 GrCh befürwortend: Blanke, in: Stern/Sachs, GrCh, 2016, Art. 15 Rn. 38. 365

220 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Nach dieser Logik wird teils auch der Berufsfreiheit aus Art. 15 Abs. 1 GrCh eine schutzrechtliche Komponente entnommen,368 nach der die Grundrechtsverpflichteten „für einen ausreichenden Schutz der grundrechtlichen Betätigung gegenüber Behinderungen durch Private zu sorgen“369 hätten. Genauere Präzisierungen dieser Schutzpflichten fänden sich sodann in Art. 27 – 32 GrCh im Abschnitt „Solidarität“.370 Selbst wenn man jedoch annimmt, dass die freiheitlichen Verbürgungen der Grundrechtecharta neben ihrer abwehrrechtlichen Funktion auch eine spiegelbildliche schutzrechtliche Gewährleistung enthalten könnten und dass etwaige Schutzpflichten nicht gebündelt im Abschnitt „Solidarität“ oder explizit in den einzelnen Freiheitsverbürgungen (Art. 1, 17 Abs. 2, 24 Abs. 1 Satz 1 GrCh) niedergelegt worden sind, muss man an einer solchen Interpretation der Grundrechte jedenfalls im Fall von Art. 15 Abs. 1 GrCh zweifeln. Schließlich hat der Unionsgesetzgeber in Art. 27 ff. GrCh auf das Arbeitsleben und die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung zugeschnittene leistungs- bzw. schutzrechtliche Gewährleistungen explizit normiert.371 Ob neben diesen differenzierten Regelungen noch Raum für eine allgemeine schutzrechtliche Funktion von Art. 15 Abs. 1 GrCh verbleibt, ist mehr als fraglich. Betrachtet man die Berufsfreiheit aus Art. 15 Abs. 1 GrCh im gesamten Regelungszusammenhang der Grundrechtecharta, ergibt sich vielmehr aus der dortigen Systematik, dass schutzrechtliche Aspekte des Berufslebens explizit und abschließend in den genannten Normen des Abschnitts „Solidarität“ normiert wurden.372 Angesichts solcher präziser Gewährleistungen in Bezug auf den Schutz des Arbeitnehmers vor der Arbeitgeberseite erübrigt sich ein Rückgriff auf eine allgemeinere leistungsrechtliche Funktion von Art. 15 Abs. 1 GrCh. Es spricht sogar viel dafür, dass sich die Herleitung allgemeiner Schutzpflichten aus Art. 15 Abs. 1 GrCh Anders sieht dies hingegen Nicolaysen, der grundrechtliche Schutzpflichten im Rahmen des Primärrechts ablehnt, da deren Anerkennung unweigerlich zu einer Kompetenzerweiterung der Unionsorgane führen würde (vgl. Nicolaysen, EuR 2003, 719 [723]). 368 Siehe insofern auch Sturm, die im Kontext von Art. 15 GrCh – allerdings ohne nähere Begründung – von einer „staatlichen Schutzpflicht“ spricht (vgl. Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 147). 369 So explizit: Jarass, GrCh, 2021, Art. 15 Rn. 12. Ebenfalls in diese Richtung: Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh, Art. 15 Rn. 16. 370 Vgl. Jarass, GrCh, 2021, Art. 15 Rn. 12, Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 15 GrCh Rn. 12. 371 Jaeckel meint hingegen, dass u. a. die (im Abschnitt „Solidarität“ befindlichen) Gewährleistungen aus Art. 31 GrCh zwar „ihrem Wortlaut nach keinen Hinweis auf einen positiven Schutzauftrag“ enthielten – sie „könnten aber ihrer Zielrichtung nach auf eine Gewährleistung der jeweiligen Rechtsgüter gerade auch gegenüber anderen Privatpersonen gerichtet sein“ (vgl. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 208). 372 Ebenfalls in diese Richtung: Schmitz, JZ 2001, 833 (840) („Schließlich ergeben sich insofern Abweichungen vom deutschen Recht, als Kapitel IV eine Reihe von sozialen Grundrechten enthält, die gerade auf Schutz ausgerichtet sind. Für sie gelten besondere Regeln, welche die allgemeine Schutzpflichtendogmatik für die betroffenen Freiheitsbereiche verdrängen.“).

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

221

grundsätzlich verbietet – will man nicht die in den differenzierten Regelungen in Art. 27 ff. GrCh niedergelegten schutzrechtlichen Erwägungen umgehen.373 Im Ergebnis lassen sich die Gewährleistungen aus Art. 15 Abs. 1 GrCh daher nur in abwehrrechtlicher Art und Weise zugunsten derjenigen Leiharbeitnehmer in Stellung bringen, für die die Arbeitnehmerüberlassung eine präferierte Tätigkeitsform darstellt. Schutzrechtliche Gewährleistungen in Bezug auf die übrigen Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer sind demgegenüber in Art. 27 ff. GrCh zu suchen. Aus diesem Grund lässt sich auch – der mit Art. 15 GrCh in einem engen Sachzusammenhang stehende – Art. 14 Abs. 1 GrCh, der das „Recht auf Zugang zur beruflichen (…) Weiterbildung“ statuiert, nicht in einer schutzrechtlichen Art und Weise in Stellung bringen, um etwa staatliche Akteure zum schutzrechtlich bedingten Ausgleich der durch Verleih- und Entleihunternehmen in zu geringem Maße angebotenen beruflichen Weiterbildung zugunsten der Leiharbeitnehmerschaft zu zwingen. Da die schutzrechtlichen Gewährleistungen im Arbeitgeber-ArbeitnehmerVerhältnis in Art. 27 ff. GrCh umfangreich niedergelegt worden sind und die dortigen Normen auch diesbezüglich keine schutzrechtliche Komponente enthalten, ist auch hier ein schutzrechtlicher Rückgriff auf Art. 14 Abs. 1 GrCh unzulässig. Auch das in Art. 14 Abs. 1 GrCh niedergelegte Recht richtet sich – ebenso wie die hier in Rede stehende Berufsfreiheit aus Art. 15 GrCh – nur in abwehrrechtlicher Richtung gegen staatliche Eingriffe.374 Die bisher in den Blick genommenen grundrechtlichen Gewährleistungen enthalten daher insgesamt nur abwehrrechtliche Funktionen, durch welche die Interessen der Beteiligten an der freiheitlichen Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung unionsrechtlich aufgegriffen werden. cc) Das Grundrecht der Leiharbeitnehmer auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen aus Art. 31 GrCh Einen schutzrechtlichen Gegenpol könnte das in Art. 31 GrCh niedergelegte Grundrecht auf „gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen“ darstellen. Nach Art. 31 Abs. 1 GrCh hat jeder Arbeitnehmer unter anderem „das Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“. Insbesondere die grundrechtsverbürgte Garantie „gerechter“ Arbeitsbedingungen unter der verheißungsvollen Kapitel373

I. E. wie hier: Schmitz, JZ 2001, 833 (840). Dem hier gefundenen Ergebnis entsprechend wird auch in der Kommentarliteratur Art. 14 Abs. 1 GrCh nur in abwehrrechtlicher Richtung diskutiert, etwa wenn staatliche Maßnahmen den Zugang zu Bildung beschränken. Vgl. hierzu: Bernsdorff, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh, 2019, Art. 14 Rn. 14; Jarass, GrCh, 2021, Art. 14 Rn. 10; Kempen, in: Stern/ Sachs, GrCh Kommentar, 2016, Art. 14 Rn. 24; Kingreen, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 14 GrCh Rn. 7. Jarass schließt darüber hinaus eine leistungsrechtliche Komponente (wohl) aus (vgl. Jarass, GrCh, 2021, Art. 14 Rn. 11) („Art. 14 Abs. 1 dürfte keine weiteren positiven Leistungsansprüche vermitteln […]“). 374

222 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

überschrift „Solidarität“ begründet daher die Vermutung, dass sich in Art. 31 GrCh ein leistungsstarkes, die Leiharbeitnehmerinteressen schützendes Gegenstück zu den von Art. 16 GrCh geschützten unternehmerischen Interessen verbirgt. Auch die Leiharbeitsrichtlinie selbst erwähnt in ihrem ersten Erwägungsgrund Art. 31 GrCh und gibt vor, dass die Richtlinie „die uneingeschränkte Einhaltung von Artikel 31 der Charta gewährleisten“ solle. Die Versuchung ist daher groß, den unternehmensseitigen Interessen auf primärrechtlicher Ebene Art. 31 GrCh als allgemeines, die Interessen der Leiharbeitnehmer schützendes Grundrecht auf „gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen“ gegenüberzustellen. Dann wäre der hier betrachtete, der Arbeitnehmerüberlassung innewohnende Interessenkonflikt beidseitig primärrechtlich aufgeladen. In der Konsequenz wäre dieser Interessenkonflikt dann bereits auf Ebene des Primärrechts dergestalt aufzulösen, dass die unternehmensseitigen Interessen und das Bedürfnis der Leiharbeitnehmer an verbesserten Beschäftigungsbedingungen oder gesteigerten Übernahmeeffekten so auszugleichen wären, dass beiden Seiten gedient wäre. Die Leiharbeitnehmer belastenden negativen Aspekte der Arbeitnehmerüberlassung würden damit hin zu „gerechten“ Arbeitsbedingungen ausgeglichen werden.375 In diese Richtung zielende Interpretationen von Art. 31 GrCh gehen aber an dem eigentlichen Gewährleistungsgehalt des Grundrechts vorbei. Denn die durch die Normüberschrift geweckte Erwartung auf ein wirkmächtiges grundrechtliches Versprechen gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen wird durch die in Art 31 Abs. 1 und 2 GrCh gewährten Gewährleistungen nicht eingelöst.376 Diese enthalten gerade kein allgemeines (Schutz-)Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen, sondern vielmehr nur Einzelgewährleistungen des technischen Arbeitsschutzes und des Arbeitszeitschutzes.377 So präzisiert etwa Art. 31 Abs. 1 GrCh den gewährten Schutzgehalt auf das Recht auf „gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen“, während Art. 31 Abs. 2 GrCh von dem Recht auf die „Begrenzung der Höchstarbeitszeit, auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten sowie auf bezahlten Jahresurlaub“ spricht. Die im ersten Absatz genannten gesunden, sicheren und würdigen Arbeitsbedingungen beschreiben dabei das Recht auf technischen 375 In diese Richtung interpretieren wohl Hamann und Klengel Art. 31 Abs. 1 GrCh, wenn sie in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer meinen, dass „der durch Art. 16 GrCh garantierten unternehmerischen Freiheit (…) das Recht der Arbeitnehmer auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen aus Art. 31 GRCh gegenüber“ stehe, und daraus schließen, dass die „Begrenzung der Überlassungshöchstdauer (…) im Interesse der Arbeitnehmer auf stabile Beschäftigungsverhältnisse“ hinwirke und daher die Tätigkeit der Verleihunternehmen reguliere (vgl. Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194 [198]). Ein ähnlicher Ansatz findet sich bei BAG, Beschl. v. 10.7.2013 – 7 ABR 91/11, NZA 2013, 1296 (1300) in Bezug auf ein Verbot dauerhafter Überlassungen, dass nach Ansicht des Gerichts Art. 31 Abs. 1 GrCh diene. So auch: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 108. 376 Vgl. Lang, in: Stern/Sachs, GrCh, 2016, Art. 31 Rn. 20 („Art. 31 verliert […] trotz seiner vollmundigen Ankündigung an Attraktivität oder Sprengkraft.“) 377 Vgl. Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 31 GrCh Rn. 2 f.; Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 31 GrCh Rn. 4.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

223

Arbeitsschutz im gesundheitlichen Sinne – mit anderen Worten: den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.378 Die Formulierung „würdige Arbeitsbedingungen“ fällt diesbezüglich offenkundig aus der Reihe. Teils wird die Wendung daher dahingehend interpretiert, dass sie unter anderem menschenunwürdige „elementare Gleichheitsverstöße – namentlich im Bereich des Erfordernisses eines gleichen Lohns für gleiche Arbeit“ verbiete.379 Es erscheint indes aus systematischer Perspektive verfehlt, in die beinahe beiläufig erwähnten „würdigen Arbeitsbedingungen“ eine leistungsstarke gleichheitsrechtliche Komponente hineinzulesen. Auch die „würdigen Arbeitsbedingungen“ werden als unmittelbar neben der Gesundheit und Sicherheit stehende Charakterisierung daher im Sinne eines technischen Arbeitsschutzes zu verstehen sein.380 Noch deutlicher wird die Wirkrichtung des Grundrechts im Hinblick auf Art. 31 Abs. 2 GrCh, der die grundrechtliche Gewährleistung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen auf die Gewähr bestimmter Arbeitszeitschutzrechte hin präzisiert. Art. 31 GrCh entfaltet als Antipode zu den von Art. 16 GrCh geschützten unternehmerischen Interessen also nur im schmalen Bereich der in Art. 31 Abs. 1 und 2 GrCh geregelten Aspekte des technischen Arbeitsschutzes und des Arbeitszeitschutzes Wirkung.381 Die Wirkkraft des Grundrechts zugunsten der Leiharbeitnehmer ist also deutlich geringer, als es die verheißungsvolle Titelüberschrift vermuten lässt.382 Insbesondere im Kontext der viel diskutierten Überlassungshöchstdauer des AÜG findet die Norm so bspw. keine Anwendung383 – sofern man die Überlassungshöchstdauer überhaupt als richtlinienumsetzende Regelung begreift. 378 Vgl. Hüpers/Reese, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh der EU, 2019, Art. 31 Rn. 27; Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 31 GrCh Rn. 3; Lang, in: Stern/Sachs, GrCh, 2016, Art. 31 Rn. 15. 379 Vgl. Lang, in: Stern/Sachs, GrCh, 2016, Art. 31 Rn. 13. In diese Richtung: Hanau, NZA 2010, 1 (2 f.); Hüpers/Reese, in: Meyer/Hölscheidt, GrCh der EU, 2019, Art. 31 Rn. 29. 380 Vgl. Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 31 GrCh Rn. 3. 381 Ähnlich auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 103 („Zu einer echten Abwägung zwischen leiharbeitsrechtlichem Sozialschutz aus Art. 31 GRC und unternehmerischer Freiheit nach Art. 16 GRC kommt es daher nicht pauschal bei jeder die Leiharbeit betreffenden Rechtsfrage, sondern immer nur insoweit, wie zugleich der materielle Gewährleistungsgehalt von Art. 31 GRC zugunsten des Leiharbeitnehmers betroffen ist.“). 382 Abweichend vom hier gefundenen Ergebnis meint etwa Lang, dass jedenfalls Art. 31 Abs. 1 GrCh ein wirkmächtiges Instrument darstellen könne, mit dem sich eine weitreichende gerechtigkeitsorientierte Einflussnahme auf das Arbeitsrecht verwirklichen ließe. Ein ernsthafter Appell zur materiell-rechtlichen Ausformung dieser Stoßrichtung findet sich auch hier gleichwohl nicht, wenn auf diesen Appell bereits im nächsten Satz lediglich die Feststellung folgt, dass Art. 31 Abs. 1 GrCh allein „schon deshalb zu begrüßen“ sei, weil damit eine „verbreitete Erwartungshaltung weiter Bevölkerungskreise aufgegriffen wurde“ (vgl. Lang, in: Stern/Sachs, GrCh, 2016, Art. 31 Rn. 21). 383 Hierzu auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 103 ff.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 97 f., 101.

224 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Einzig in Bezug auf die oben festgestellte schlechtere Arbeitszufriedenheit, das (auch gesundheitliche) Wohlbefinden und das Stresserleben der Leiharbeitnehmer könnte diskutiert werden, ob die diesbezüglichen Interessen der Leiharbeitnehmer durch Art. 31 Abs. 1 GrCh unionsgrundrechtlich aufgeladen werden. Versteht man den in Art. 31 Abs. 1 GrCh niedergelegten Arbeitsschutz allerdings wortlautgetreu als einen rein technischen Arbeitsschutz, der einen Anspruch auf Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeitsausübung und nicht einen Anspruch auf möglichst gesundheitsverträgliche Arbeitsformen garantiert, erübrigt sich diese Überlegung. 3. Zwischenergebnis: Vorwiegend abwehrrechtliche Überformung des zwischen den Akteuren bestehenden Interessenkonflikts Die unionsrechtlichen Grundfreiheiten und die Gewährleistungen der Grundrechtecharta schützen in ihrer Gesamtheit also in erster Linie die Leiharbeitnehmer und die Verleih- und Entleihunternehmen in abwehrrechtlicher Art und Weise. Diejenigen Leiharbeitnehmer, die ihrer gewählten Tätigkeit in der Branche möglichst frei von staatlichen Regularien nachgehen wollen, sind in diesem Interesse bei grenzüberschreitenden Sachverhalten durch die Grundfreiheit der Freizügigkeit geschützt. Ferner muss das nationale Recht des AÜG, sofern es die unionsrechtlichen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie umsetzt, die unionsgrundrechtliche Berufsfreiheit dieser Leiharbeitnehmer wahren. Gleiches gilt für die Verleih- und Entleihunternehmen, die jeweils in ihren wirtschaftlichen Betätigungen durch einerseits die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit und andererseits durch die unternehmerische Freiheit der Grundrechtecharta geschützt sind. Einen über den in Art. 31 Abs. 1 GrCh garantierten Arbeitsschutz hinausgehenden, breit angelegten staatlichen Schutzauftrag in Bezug auf die Interessen der Leiharbeitnehmer, die bei einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung von mannigfaltigen negativen Folgen betroffen sind, enthält das Primärrecht aber nicht. Damit enthalten die primärrechtlichen Gewährleistungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung vor allem abwehrrechtliche Wertungen in Bezug auf die Interessen der an der Arbeitnehmerüberlassung beteiligten Akteure. Die oben aufgeworfene Frage danach, ob die unionalen Grundrechtsgewährleistungen in Bezug auf den hier in Rede stehenden Interessenkonflikt einen höheren Schutzstandard gewähren als die Grundrechte des Grundgesetzes, kann daher – vorbehaltlich der sogleich folgenden Untersuchung der dortigen Gewährleistungen – an dieser Stelle dahingehend beantwortet werden, dass dies ausweislich der unionalen Grundrechtsgewährleistungen nicht der Fall ist.

A. Die unionsrechtlichen Vorgaben des Sekundärrechts und des Primärrechts

225

III. Zwischenergebnis zu den sekundärund primärrechtlichen unionsrechtlichen Determinanten: Primärrechtlich flankierte Mindestvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie und dadurch Fortbestehen mitgliedstaatlicher Freiräume Insgesamt ergibt sich damit in Bezug auf die unionsrechtlichen Determinanten im Regelungsbereich der Arbeitnehmerüberlassung, dass zum einen die spezifischen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern zwingende Regulierungsentscheidungen vorgeben. Abseits des von der Leiharbeitsrichtlinie Vorgegebenen und dem damit unionsrechtlich überformten Bereich ist es jedoch den nationalen Gesetzgebern selbst überlassen, autonome Regulierungsentscheidungen zu treffen. Dieser den Mitgliedstaaten überlassene Regulierungsbereich ist von erheblichem Umfang. Wie die Arbeitnehmerüberlassung abseits der Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zu regulieren ist, etwa ob sie strikteren Restriktionen unterworfen werden soll, um als sozialschädlich empfundene Einsatzformen zu unterbinden oder ob sie demgegenüber zur Aktivierung erhoffter positiver konjunktureller Wirkungen dereguliert werden soll, bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Im Bereich dieser autonomen mitgliedstaatlichen Regulierung finden die europäischen Grundrechtsgewährleistungen der Grundrechtecharta keine Anwendung. Nur die in Betracht kommenden Grundfreiheiten weisen den nationalen Gesetzgebern hier im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte in ihre Schranken. Im demgegenüber durch die Leiharbeitsrichtlinie überformten Bereich der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung flankiert das europäische Primärrecht die Vorgaben der sekundärrechtlichen Richtlinie. Hier sind die Gewährleistungen der Grundrechtecharta der maßgebliche Überprüfungsmaßstab für dasjenige nationale Recht, das Richtlinienvorgaben umsetzt. Das gilt allerdings – der hier zugrunde gelegten Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgend – nur für diejenigen Regelungen, die auf Umsetzungsbefehlen des europäischen Richtliniengebers beruhen. Diejenigen Regelungen hingegen, die Regelungsbereiche betreffen, die zwar durch die Leiharbeitsrichtlinie inhaltlich mindestens zum Teil vorgegeben sind, die sich aber im Rahmen seitens der Richtlinie belassener inhaltlicher Spielräume bewegen, sind an den Grundrechten des Grundgesetzes zu überprüfen. Nur zusätzlich, sofern die Richtlinie „einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt“ und die Unionsgrundrechte im Einzelfall einen höheren Schutzstandard garantieren, sind die Grundrechte der Grundrechtecharta anzuwenden. Im Einzelnen sind es vor allem die abwehrrechtlichen Gewährleistungen der Berufsfreiheit und der Unternehmerischen Freiheit aus Art. 15 und 16 GrCh, die dem nationalen Gesetzgeber in diesen Bereichen Grenzen bei der Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung ziehen. Nennenswerte schutzrechtliche Funktionen zugunsten der Leih- oder Stammarbeitnehmerschaft lassen sich – insbesondere aus dem

226 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

diesbezüglich eher inhaltsarmen Grundrecht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen aus Art. 31 GrCh – nicht herleiten. Trotz der teilweisen unionalen Überformung der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung bleibt daher viel Raum für autonome nationale Gesetzgebung, die in der Konsequenz am Verfassungsrecht des Grundgesetzes zu messen ist.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben: Berufsfreiheit, Koalitionsfreiheit, Gleichheitssatz und Sozialstaatsprinzip Angesichts dieser erheblichen Freiräume, die dem nationalen Gesetzgeber in Bezug auf die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung angesichts der unionsrechtlichen Determinanten verbleiben, spitzt sich die weitere Untersuchung daher zunächst auf die folgende Überlegung zu. Namentlich steht die entscheidende Frage im Raum, ob die grundgesetzlichen Vorgaben den Zuschnitt der Regulierung, der angesichts der Determinanten des höherrangigen Rechts zulässig ist, weiter verengen als dies durch das Unionsrecht – und hier allem voran durch die Mindestvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie – der Fall ist. Die grundgesetzlichen Determinanten des zwischen den beteiligten Akteuren in der Arbeitnehmerüberlassung bestehenden Interessenkonflikts erfordern daher eine sorgfältige Betrachtung.

I. Dritte Determinante: Gewährleistung und Schutz grundrechtlicher Positionen Geht es um rechtstatsächliche Interessenkonflikte, sind zunächst die Gewährleistungen des Grundrechtskatalogs der erste Ansatzpunkt für verfassungsrechtliche Wertungen. Die klassischerweise in ihrer abwehrrechtlichen Funktion dem Bürger gegenüber dem eingreifenden Handeln des Staates zur Seite stehenden Grundrechte zeigen freiheitsverkürzenden staatlichen Regulierungen Grenzen auf.384 An diese muss sich der Gesetzgeber auch im Rahmen des AÜG halten. Die Wirkung grundrechtlicher Wertungen auf das Regulierungshandeln des Staates geht jedoch über die Begrenzungsfunktion der Abwehrrechte hinaus. Schließlich begrenzen Grundrechte nicht nur staatliches Handeln, sie verpflichten staatliche Akteure auch zum positiven Handeln. Insbesondere verpflichten sie den Staat auf den Schutz grundrechtlich verbürgter Interessen des Bürgers. Die hiermit angesprochenen Schutzpflichten erweitern grundrechtliche Verbürgungen zu einem mehrdimensionalen Wirkungskonstrukt,385 in dessen Mitte der Staat als zwischen 384

Siehe etwa sogleich zur abwehrrechtlichen Funktion der Berufsfreiheit: S. 229 ff. Diesem etablierten Zweiklang aus einer abwehrrechtlichen und einer leistungs- bzw. schutzrechtlichen Funktion steht die Unterteilung der Grundrechtsgewährleistungen in eine den Staat verpflichtende objektiv-rechtliche und eine den Bürger mit einem Eingriffsabwehr385

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

227

den verschiedenen grundrechtlichen Wirkrichtungen im Konfliktfall Ausgleich schaffende Instanz steht.386 Von überragender Bedeutung ist dabei zunächst das Grundrecht der Berufsfreiheit, das (neben der Eigentumsgarantie) das „Hauptfreiheitsrecht des Wirtschaftslebens“ ist.387 In besonderem Maße gilt dies für die Arbeitgeber-ArbeitnehmerBeziehung. Insbesondere in Bezug auf dortige Interessenkonflikte ist die Berufsfreiheit die zentrale grundrechtliche Determinante, was sich als Voreinschätzung für die nachfolgende Untersuchung auch auf die Arbeitnehmerüberlassung übertragen lässt. Die abwehrrechtliche grundrechtliche Garantie freier Berufswahl und Berufsausübung gilt für die Arbeitgeber- als auch für die Arbeitnehmerseite.388 Bei Interessenkonflikten innerhalb der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist die grundgesetzliche Voreinstellung daher zunächst einmal diejenige der Waffengleichheit. Auch aus diesem Grund gilt für politisch aufgeladene Konfliktlagen wie der hier zugrunde liegenden, dass die grundgesetzlichen Wertentscheidungen grundsätzlich keine Schlagseite hin zu der einen oder anderen wirtschaftspolitischen Haltung entfalten.389 Gleiches gilt auch für grundrechtlich aufgeladene Konflikte des Berufslebens. In den Grundrechten findet sich zunächst keine Grundprägung hin zu einer ordoliberalen und daher in der Tendenz arbeitgeberfreundlichen oder einer demgegenüber sozialpolitisch motivierten arbeitnehmerfreundlichen Politik.390 Das oder Leistungsrecht ausstattende subjektiv-rechtliche Dimension in der Weise gegenüber, dass jeweils der abwehr- und der leistungs- bzw. schutzrechtlichen Dimension eine objektive und eine subjektive Wirkung zukommt. Vgl. hierzu: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 11 ff. (m. w. N.). Nach der von Georg Jellinek entwickelten Statuslehre (Jellinek, System der subjektiv-öffentlichen Rechte, 1905, S. 81 ff.) ist die Abwehrfunktion dem status negativus und die Schutzfunktion dem status positivus zuzuordnen. 386 Zu einer Schutzpflicht in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG: ab S. 240 ff. Dieses Austarieren zur Wahrung grundrechtlicher Abwehrrechte und Schutzpflichten trifft indes den Staat und gerade nicht die Privaten. Das gilt auch im Arbeitsrecht. Die einst etwa vom BAG ins grundrechtsdogmatische Spiel gebrachte Idee, dass auch private Akteure Grundrechte zu wahren hätten, gehört erfreulicherweise der Verfassungshistorie an. Spätestens mit seinem Urteil vom 27. 5. 2004 ist das BAG von dieser Position abgerückt. Vgl. hierzu: BAG, Urt. v. 27.5.2004 – 6 AZR 129/03,NZA 2004, 1399 ff. (3: Orientierungssatz: „Die Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien beruht deshalb nicht unmittelbar auf der Abwehrfunktion der Grundrechte, sondern mittelbar auf deren Schutzfunktion.“). Festzuhalten ist, dass auch im Arbeitsrecht keine unmittelbare Drittwirkung besteht, denn die Grundrechte adressieren den Staat und nicht die Privaten. Statt vieler: Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, 2019, § 15 Rn. 540 ff.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 77 ff. 387 So treffend: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 4. 388 Vgl. etwa: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 91. 389 Das Grundgesetz ist wirtschaftspolitisch neutral und gibt keine konkrete Wirtschaftsordnung oder Wirtschaftspolitik vor. Vgl. BVerfGE 50, 290 (338) („der Gesetzgeber […] jede ihm sachgemäß erscheinende Wirtschaftspolitik verfolgen darf, sofern er dabei das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte beachtet“). Weiterführend hierzu: Scholz, in: Dürig/ Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 85 (m. w. N.). 390 Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 85.

228 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

bedeutet freilich nicht, dass im konkreten Fall der Arbeitnehmerüberlassung grundrechtliche Konfliktlagen im Ergebnis nicht zugunsten einer Interessenseite entschieden werden könnten. In seiner Grundeinstellung ist das Grundgesetz – und im Besonderen die Berufsfreiheit – aber hinsichtlich der Entscheidung grundrechtlicher Spannungslagen in die eine oder andere Richtung zunächst ergebnisoffen. Bei der Lösung von Konfliktlagen in der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung ist aber staatlicherseits nicht nur die abwehrrechtliche Funktion von Art. 12 Abs. 1 GG auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu beachten. Vielmehr ist auch gerade der Berufsfreiheit eine Schutzpflichtenfunktion beizumessen.391 Das damit staatlicherseits zu beachtende Nebeneinander von abwehrrechtlichen und schutzrechtlichen Inhalten der Berufsfreiheit und die damit einhergehende grundrechtliche Mehrdimensionalität entsprechender Konflikte hat auch das Bundesverfassungsgericht mit seinem Beschluss vom 29. Dezember 2004 für den Regelungsbereich der Arbeitnehmerüberlassung bereits angemahnt.392 Hierbei erkannte das Bundesverfassungsgericht an, dass dem „durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Leiharbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen (…) das – ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte – Interesse des Arbeitgebers“ gegenüberstehe.393 Da beide Arbeitsvertragsparteien unter dem Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG stünden, seien diese kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden. Hierbei obliege es dem Gesetzgeber, die „Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen“ ebenso wie die „Vorausschau auf die künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung“ sowie eine „Bewertung der Interessenlage, d. h. die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit“ vorzunehmen.394 Explizit ist hier also davon die Rede, dass bei der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung abwehr- und schutzrechtliche Wirkfunktionen von Art. 12 Abs. 1 GG miteinander in Einklang zu bringen sind. Mehr noch: Der regulierende Gesetzgeber muss hierbei die rechtstatsächlichen Gegebenheiten gewissenhaft ausforschen und in seine Regulierungsentscheidungen dergestalt einpreisen, dass ein „angemessener Ausgleich“ entsteht.395 391 Einleitend hierzu: Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, 2019, § 15 Rn. 544 ff.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 4 ff. 392 Hierzu und zum Folgenden: BVerfGK 4, 356 ff. In conreto befasste sich der Beschluss mit Verfassungsbeschwerden von Verleihunternehmen und Arbeitgeberverbänden gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz a. F. Das Gericht konnte keinen Verstoß gegen die Grundrechte der Beschwerdeführer erkennen und nahm die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an. 393 Vgl. BVerfGK 4, 356 (364). 394 Vgl. BVerfGK 4, 356 (364). 395 Nur so lassen sich die Wendungen von den „maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen“ sowie „künftige Entwicklung und die Wirkungen seiner Regelung“ und

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

229

Der im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bestehende Interessenkonflikt wird damit ausweislich des Bundesverfassungsgerichts zu einem grundrechtsinternen Konflikt innerhalb des Grundrechts der Berufsfreiheit, der mittels eines Austarierens abwehr- und schutzrechtlicher Zielgrößen zu entscheiden ist. Zum Gehalt dieser Garantien ist damit indes noch nicht viel gesagt. Ausgehend von den Worten des Bundesverfassungsgerichts steht aber fest, dass die abwehr- und schutzrechtlichen Funktionen des Grundrechts vorliegend auf der Folie der sozialen und ökonomischen Zusammenhänge abzustecken und mithin vor dem Hintergrund des bereits ergründeten Interessenkonflikts (zusammenfassend S. 131 ff.) auszuleuchten sind. 1. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in ihrer abwehrrechtlichen Funktion Demgemäß ist Art. 12 Abs. 1 GG zunächst in seiner abwehrrechtlichen Funktion in Bezug auf die berufliche Freiheitsausübung der an der Arbeitnehmerüberlassung Beteiligten zu betrachten. a) Schutzbereich der Berufsfreiheit Diese abwehrrechtliche Wirkung schützt in persönlicher Hinsicht sowohl die Arbeitgeberseite der Verleih- und Entleihunternehmen,396 die sich ggf. über Art. 19 Abs. 3 GG als juristische Personen des Privatrechts auf das Grundrecht berufen können, als auch die Leiharbeitnehmer vor staatlichen Eingriffen.397 In sachlicher Hinsicht erfasst das einheitliche Grundrecht der Berufsfreiheit die Berufswahl- und die Berufsausübungsfreiheit.398 Ein Beruf ist hierbei nach einhelliger Auffassung „jede auf die Dauer berechnete und nicht nur vorübergehende, der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienende Betätigung“.399 Hiervon sind gerade auch untypische Berufsbilder umfasst.400 Damit stellt Art. 12 Abs. 1 GG in ganzheitlicher die geforderte „Bewertung der Interessenlage, d. h. die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit“ einordnen. Vgl. im Einzelnen: BVerfGK 4, 356 (364). 396 Ob Art. 12 Abs. 1 GG auch die Entleihunternehmen vor den Regelungen des AÜG, die regelmäßig unmittelbar nur die Verleihunternehmen adressieren, schützt, ist indes eine Frage des Eingriffsbegriffs und nicht eine Frage des Schutzbereichs. 397 So auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 42. 398 Grundlegend: BVerfGE 7, 377 (401) (Apotheken-Urteil); Scholz, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 266. 399 Vgl. BVerfGE 7, 397 (398); Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 40; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 29. 400 Pant meint in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer hingegen, dass diese die Leiharbeitnehmer nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG beschränken könne, da „der Begriff Leiharbeitnehmer, ebenso wie derjenige des Direktbeschäftigten, nicht den Beruf des

230 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Art und Weise berufliche Freiheitsbetätigungen von der Wahl eines Berufes über die Ausübungsmodalitäten bis zur Beendigung des Berufes unter grundrechtlichen Schutz.401 Unter die insofern garantierte Berufsausübungsfreiheit fällt auch gerade die freiheitliche Entscheidung der arbeitgeberseitigen und arbeitnehmerseitigen Vertragsparteien, vertragliche Regelungen abzuschließen und – auf die Arbeitnehmerüberlassung bezogen – vertragliche Konditionen – wie Überlassungszeiten und Entgelte – festzulegen. Diese spezifische Ausprägung der Vertragsautonomie wird damit nicht von der Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, sondern von der sachnäheren Berufsfreiheit erfasst.402 In den Genuss des umfassenden Schutzes beruflicher Betätigungen kommen selbst diejenigen Entleihunternehmen, die von der Arbeitnehmerüberlassung in einer Art und Weise Gebrauch machen, die man zurecht als sozialschädlich wird bezeichnen müssen. Gemeint ist die oben umschriebene aktive und typischerweise Stammarbeitsplätze substituierende Nutzungsstrategie, die mit zahlreichen Nachteilen für die Leih- und Stammarbeitnehmer einhergeht (vgl. S. 117 ff.). Zwar wird zum Teil diskutiert, ob sozial- oder gemeinschädlichen Berufstätigkeiten der Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG verwehrt werden solle.403 Doch selbst wenn man sich dieser Schutzbereichsverwehrung dem Grunde nach anschlösse, würde diese richtigerweise nur für Tätigkeiten gelten, die schon ihrem Wesen nach nicht erlaubt sind, weil sie dem Menschenbild des Grundgesetzes evident widersprechen404 und daher nicht allein aufgrund der Tatsache, dass sie im Einzelfall in einer Art und Weise ausgeübt werden, die dem grundrechtlichen Berufsbegriff entspricht, den besonderen Schutz Arbeitnehmers, sondern nur die arbeitsrechtliche Zuordnung zu einem bestimmten Vertragsarbeitgeber“ bezeichne (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 196). Dem ist zu widersprechen. Der Begriff des Berufes in Art. 12 Abs. 1 GG ist auch für untypische Berufsbilder offen; dem Grundrechtsträger kommt sogar ein autonomes Berufsprägungsrecht zu, nach dem auch gänzlich unbekannte Berufsbilder unter Art. 12 Abs. 1 GG fallen müssen, solange sie nur die Charakteristika eines Berufes erfüllen. Vgl. hierzu: Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 41; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 275 f. Erst recht müssen daher auch Grundrechtsträger, die gezielt eine Beschäftigung als Leiharbeitnehmer aufgrund der dortigen spezifischen Besonderheiten wählen, dem Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG unterfallen. Deren in Ausübung von Art. 12 Abs. 1 GG gewählter Beruf ist dann nicht der des Arbeitnehmers in einer bestimmten Branche, sondern der des Leiharbeitnehmers, der in der entsprechenden Branche tätig wird. 401 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 18; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 25 ff. 402 In Bezug auf die Vertragsautonomie im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 68 f. In Bezug auf die Arbeitsvertragsautonomie allgemein: BVerfGE 33, 171 (191); 81, 242 (260 f.); Boemke, NZA 1993, 532 (534); Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 77; Scholz, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 123. 403 Vgl. BVerfGE 115, 276 (279); BVerwGE 22, 286 (289); Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 380 (m. w. N.). 404 So explizit: Mann, in: Sachs, GG, 2021, Art. 12 Rn. 54. Zustimmend: Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 29.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

231

aus Art. 12 Abs. 1 GG erlangen sollen.405 In derartige Kategorien gesellschaftlich allgemein geächteter Tätigkeiten lassen sich Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung, die aus den oben genannten Gründen zweifelsohne als problematisch anzusehen sind, nicht einreihen, sodass an dem umfänglichen Schutz der beruflichen Freiheitsbetätigungen der Verleih- und Entleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer im Ergebnis kein Zweifel besteht. b) Eingriffe in den Schutzbereich Greift der Staat mit den Regelungen des AÜG in die berufliche Freiheit der Beteiligten ein, muss er sich den Anforderungen der Rechtfertigung stellen. Typischerweise stellen die Regelungen des AÜG Eingriffe im Sinne des klassischen Eingriffsbegriffes dar, da sie in Form von imperativen, finalen und unmittelbar wirkenden Rechtsakten grundrechtliche Freiheit verkürzen.406 Die Regularien des AÜG sind zwar vielschichtig, beschneiden aber vielfach unmittelbar nur die Berufsausübungsfreiheit der Verleihunternehmen, indem sie etwa Erlaubnisvorbehalte oder sektorale Verbote statuieren (vgl. ab S. 351 ff.). Unmittelbare Adressaten der Regelungen des AÜG sind daher oftmals nur die Verleihunternehmen. Das Grundrecht der Berufsfreiheit schützt aber – wie soeben erläutert – auch die Entleihunternehmen, die von der Arbeitnehmerüberlassung in privatautonomer Art und Weise Gebrauch machen wollen, ebenso wie auch die Leiharbeitnehmer, die ggf. möglichst frei von staatlicher Regulierung ihrer Tätigkeitsform nachgehen wollen. Ob die Regelungen des AÜG auch diesen gegenüber als grundrechtliche Eingriffe zu werten sind, muss zwar im Einzelfall geprüft werden. Vor dem Hintergrund des erweiterten Eingriffsbegriffs und der Regelungsnatur der Normen des AÜG lässt sich dies aber als generalisierende Prämisse – vorbehaltlich später noch vorzunehmender differenzierterer Untersuchungen – zunächst annehmen. c) Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen Sobald durch eine Regelung des AÜG ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen, der Entleihunternehmen oder der Leiharbeitnehmer festgestellt 405 Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 35. Nach dem BVerfG entfallen solche Tätigkeiten dem Schutzbereich, „die schon ihrem Wesen nach als verboten anzusehen sind, weil sie aufgrund ihrer Sozial- und Gemeinschaftsschädlichkeit schlechthin nicht am Schutz durch das Grundrecht der Berufsfreiheit teilhaben können“ (vgl. BVerfGE 115, 276 [279]). So verdienen Diebstahl und Mord auch dann nicht besonderen grundrechtlichen Schutz, wenn sie im konkreten Einzelfall ggf. in einer Art und Weise ausgeübt wird, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung oder Erhaltung einer Lebensgrundlage dient und sie daher als berufliche Tätigkeit klassifiziert werden könnten. Hierzu: Scholz, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 35; Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 380. 406 Zu Eingriffen in Art. 12 Abs. 1 GG durch imperativen Rechtsakt: Ruffert, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 52 ff. Zur Eingriffsdogmatik allgemein: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 392 ff.

232 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

wird, muss sich die entsprechende Regelung den Anforderungen der Rechtfertigungsprüfung stellen. Art 12 Abs. 1 GG enthält als Schranke hierbei zunächst einen einfachen Gesetzesvorbehalt,407 der sowohl in Bezug auf die Berufswahlfreiheit als auch für die Berufsausübungsfreiheit gilt.408 In der Folge ist im Einzelfall zu prüfen, ob der Gesetzgeber von diesem Schrankenvorbehalt in Bezug auf die entsprechende Vorschrift des AÜG in verfassungsgemäßer Art und Weise Gebrauch gemacht hat. aa) Allgemeine Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Der Schrankenvorbehalt aus Art. 12 Abs. 1 GG ist in verfassungskonformer Art und Weise ausgeübt worden, wenn die das Grundrecht einschränkenden Normen – hier die Regelungen des AÜG – ihrerseits verfassungskonform sind, weil sie den formellen409 und materiellen Vorgaben der Verfassung entsprechen. Von Interesse ist vor allem, ob die Regelungen des AÜG die verfassungsrechtliche Konfliktlage grundgesetzkonform auflösen. Eine genauere Betrachtung verdient daher jeweils die Frage, ob die mit den Regelungen des AÜG, also etwa mit sektoralen Verboten (vgl. S. 366 ff.) oder mit der Überlassungshöchstdauer (vgl. S. 488 ff.) einhergehenden Eingriffe in die Berufsfreiheit der Beteiligten den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprechen.410 Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu genügen, müssen Beschränkungen einen legitimen Zweck verfolgen,411 zur Erreichung dieses Zwecks geeignet und erforderlich sein und die grundrechtlich verbürgte Freiheitsbetätigung nicht unangemessen belasten. Geeignet ist eine Beschränkung in diesem Sinne, wenn sie das angestrebte Ziel zumindest fördert;412 erforderlich ist sie, wenn der verfolgte Zweck 407

Dem Erfordernis des Gesetzesvorbehalts können die in Form eines formellen Parlamentsgesetzes erlassenen Regelungen des AÜG entsprechen. Selbst wenn man für die durch das AÜG vorgenommenen Grundrechtseingriffe aufgrund der Wesentlichkeitstheorie einen Parlamentsvorbehalt fordern würde (vgl. hierzu: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 405), würden die dortigen Regelungen einem solchen Erfordernis genügen. 408 Ständige Rspr.: BVerfGE 54, 237 (246); 84, 133 (148); 110, 304 (321); vgl. ferner: Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 74. 409 Ziel dieser Arbeit ist indes vor allem die Entschlüsselung des der Arbeitnehmerüberlassung zugrundeliegenden unions- und verfassungsrechtlich aufgeladenen Interessenkonfliktes und die Klärung der Frage, ob das AÜG diesem Interessenkonflikt auf unions- und verfassungsrechtlich konforme Art und Weise Rechnung trägt. Für dieses Untersuchungsziel sind Fragen der formellen Verfassungsmäßigkeit nicht von Belang. 410 Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch der rechtsstaatliche Bestimmtheitsgrundsatz und die Wesensgehaltsgarantie aus Art. 19 Abs. 2 GG zu wahren sind. Von zentralerer Bedeutung für das Untersuchungsziel ist aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 411 Im Zweifel ist der objektiv erkennbare Normzweck entscheidend (vgl. BVerfGE 1, 299, 312 ff.), der dann nicht mehr als legitim einzuordnen ist, wenn er vom Grundgesetz missbilligte Ziele umfasst (vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 51). 412 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 53; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 334.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

233

nicht durch ein weniger belastendes Mittel ebenso effektiv hätte erreicht werden können.413 Im Rahmen der Angemessenheit ist schließlich zu prüfen, ob der mit dem Eingriff verfolgte Zweck und die Einbußen grundrechtlicher Freiheit zutreffend gegeneinander abgewogen wurden,414 was regelmäßig dann nicht mehr der Fall ist, wenn die Belastungen der Grundrechtsträger die positiven Folgen in Bezug auf den verfolgten Zweck überwiegen. Innerhalb der Prüfungsstufen der Geeignetheit und Erforderlichkeit steht dem in Grundrechte eingreifenden Staat allerdings ein gewisser Prognosespielraum zu – die sogenannte Einschätzungsprärogative.415 Dieser Beurteilungsspielraum des Staates – bzw. des regulierenden Gesetzgebers im Falle des AÜG – findet aber dort seine Grenzen, wo die staatlicherseits zugrunde gelegten Erwägungen offensichtlich fehlgehen und vernünftigerweise keine Grundlage für eine gesetzgeberische Maßnahme darstellen können.416 Die ihm zuzubilligende Einschätzungsprognose entbindet den Gesetzgeber folglich nicht von seiner oben angesprochenen Verpflichtung, die rechtstatsächlichen Voraussetzungen und Implikationen seiner Entscheidungen gewissenhaft zu eruieren.417 Ihm kommt lediglich ein gewisser Spielraum dabei zu, aufbauend auf dieser faktischen Basis, dahingehend Prognosen vorzunehmen, ob eine Maßnahme im Einzelfall hinsichtlich des gesetzten Zwecks förderlich ist oder ob etwa eine mildere Maßnahme gleich wirksam wäre. Eine solche Einschätzungsprärogative kommt dem Gesetzgeber indes im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nicht zu.418 Hier besteht vielmehr eine vollständige Überprüfbarkeit der gesetzgeberischen Abwägungen. bb) Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Bereich des Arbeitsrechts? In der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts419 finden sich jedoch – insbesondere in Bezug auf die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung – teilweise auch gegenteilige Ansätze, die dem Gesetzgeber auch bei der Angemessenheits-

413 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 55; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 336. 414 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 57 f.; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 340 ff. 415 In Bezug auf die Geeignetheit: BVerfGE 90, 145 (173); 110, 141 (157); Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 53; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 338. In Bezug auf die Erforderlichkeit: BVerfGE 102, 197 (218); 110, 141 (157); 117, 163 (189); Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 55; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 338. 416 Vgl. BVerfGE 121, 317 (350); Lang, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 2 Rn. 26. 417 Siehe hierzu erneut: BVerfGK 4, 356 (364). 418 Vgl. nur: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 57. 419 In Bezug auf das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft in § 12a AFG a. F.: BVerfGE 77, 84 (112). Ähnlich: BVerfGE 115, 205 (234).

234 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

prüfung augenscheinlich gewisse Spielräume – deren Überprüfung sich das Gericht entsprechend verwehrt – einräumen. So statuierte das Bundesverfassungsgericht420 etwa in einem Beschluss vom 6. Oktober 1987 in Bezug auf die Angemessenheit des damaligen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe das Folgende: „Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit kommt den von den beschwerdeführenden Verleihern und Entleihern hervorgehobenen arbeitsmarktpolitischen, volks- und betriebswirtschaftlichen Vorteilen legaler Arbeitnehmerüberlassung keine maßgebende Bedeutung zu. Ihnen werden (…) erhebliche Nachteile auch des legalen Verleihs für die sozialen Belange der Arbeitnehmer sowie die Ordnung und Gestaltbarkeit des Arbeitsmarktes entgegengehalten. Diese Vor- und Nachteile zu gewichten, obliegt allein der arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, der den ihm zustehenden Prognose- und Beurteilungsspielraum hier nicht überschritten hat“.

Damit eröffnet das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung dem Gesetzgeber für die Angemessenheitsprüfung augenscheinlich eine Beurteilungsprärogative, die derjenigen der Geeignetheits- und Erforderlichkeitsprüfung gleichkommt. Ob hiermit aber tatsächlich eine Absenkung der Prüfungstiefe im Rahmen der Angemessenheit und damit eine Verkürzung des Grundrechtsschutzes von einem solchen Ausmaß einhergehen soll, wie sie die Formulierung zunächst vermuten lässt, wird aus der Entscheidung insgesamt nicht deutlich. Schließlich scheint die aufgestellte Prämisse von der „arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Beurteilungs- und Gestaltungsfreiheit“421 das Bundesverfassungsgericht nicht daran zu hindern, im bereits nächsten Absatz die genannten Vor- und Nachteile zu bewerten und gegeneinander abzuwägen und damit eben jene Prognose selbst vorzunehmen, die es dem Gesetzgeber im vorherigen Absatz scheinbar exklusiv zu überlassen gewillt war.422 Damit besteht anlässlich des genannten Urteils in der Konsequenz kein maßgeblicher Grund dafür, von der bekannten Prüfdichte der Angemessenheit für den Rechtsbereich der Arbeitnehmerüberlassung abzuweichen.423 Vielmehr ist die auf der Folie rechtstatsächlicher und – sofern vorhanden – evidenzbasierter Erkenntnisse vorzunehmende Abwägung voll überprüfbar und so auch im Rahmen dieser Untersuchung vorzunehmen. Das entbindet freilich nicht davon, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung ent-

420

Vgl. BVerfGE 77, 84 (112) (Hervorhebungen durch den Verfasser). Vgl. BVerfGE 77, 84 (112). 422 Vgl. BVerfGE 77, 84 (112). 423 Im Ansatz ähnlich: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 117. Der Tendenz des Bundesverfassungsgerichts, die Anforderungen an die Angemessenheit durch Einbeziehung derselben in die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ebenfalls kritisch gegenüberstehend: Ulber, NZA 2016, 619 (622). 421

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

235

sprechender Regelungen traditionell einen breiten Spielraum überlässt.424 Paradigmatisch für diese Tendenz sind die Ausführungen des Gerichts in seinem Beschluss vom 3. April 2001 zur Verfassungskonformität von § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG a. F.: „Auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung gebührt dem Gesetzgeber ein besonders weitgehender Einschätzungs- und Prognosevorrang. Es ist vornehmlich Sache des Gesetzgebers, auf der Grundlage seiner wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Vorstellungen und Ziele und unter Beachtung der Sachgesetzlichkeiten des betreffenden Sachgebiets zu entscheiden, welche Maßnahmen er im Interesse des Gemeinwohls ergreifen will.“425

In der Sache ist diese Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts bei der verfassungsrechtlichen Kontrolle auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung im Wesentlichen auf das Demokratieprinzip zurückzuführen. Schließlich sind politische Entscheidungen auf eben diesen Gebieten in besonderem Maße von der Einschätzung aktueller Problemlagen und der Prognostizierung der Konsequenzen normsetzender Regulierung abhängig. Diesbezügliche Einschätzungen und Prognosen sind aber oftmals von politischen Implikationen durchwirkt und damit im Wesentlichen Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers.426 Gerade im Bereich der Regulierung des Arbeitslebens ist es angesichts der Meinungsvielfalt im Hinblick auf die wirtschaftlichen und sozialen Folgen gesetzgeberischer Regulierung nur bedingt möglich, einen verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstab zu etablieren, der geeignet ist, die Annahmen des Gesetzgebers vollumfänglich auf ihre „Richtigkeit“ hin zu überprüfen.427 Möglich und auch geboten ist es allerdings, die Identifizierung und Gewichtung der sich im Einzelfall entgegenstehenden Rechtsgüter und Interessen durch den Gesetzgeber auf ihre verfassungsrechtliche Vertretbarkeit hin zu überprüfen.428 Von ähnlichen Gedanken scheint sich auch das Bundesverfassungsgericht hat leiten lassen, wenn es etwa feststellte, 424 Vgl. BVerfGE 103, 293 (307); 146, 71 (74); 149, 126 (128). Siehe hierzu auch in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 116; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 187; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 184. In Bezug auf die Regelungen des Mindestlohns: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (116 ff.). 425 Vgl. BVerfGE 103, 293 (307) (Hervorhebungen durch den Verfasser). 426 Vgl. etwa: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (117). 427 Vgl. erneut: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (117). 428 Vgl. erneut: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (117). Im Maßstab ähnlich auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 117.

236 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

dass spätestens dann, wenn eine gesetzliche Regelung auf dem Gebiet des Arbeitsrechts in einem Zeitpunkt überprüft wird, in dem die Entwicklung der Rechtswirklichkeit bereits fortgeschritten ist und die aktuellen Umstände von den zum Zeitpunkt des Gesetzeserlasses tragenden Annahmen abweichen, nicht nur die ursprüngliche Prognose des Gesetzgebers, sondern gerade auch die tatsächlich eingetretene Entwicklung maßgeblich sei.429 In diesem Lichte betrachtet, wird der Verweis auf die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative mit fortschreitender Zeit und dem damit im Regelfall ansteigenden Wissen über die Auswirkungen entsprechender Regulierungen auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung daher immer mehr zum Verlegenheitsargument. Wie das Bundesverfassungsgericht jüngst in seinem viel beachteten Beschluss zu den (Hartz IV betreffenden) „Sanktionen im Sozialrecht“ vom 5. November 2019 feststellte, kann sich der Gesetzgeber umso weniger lediglich „auf plausible Annahmen stützen (…) je länger die Regelungen in Kraft sind“ und er demgemäß „in der Lage ist, fundierte Einschätzungen zu erlangen“.430 Der oft beschworene besonders großzügige Spielraum des Gesetzgebers in den Bereichen der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung entbindet diesen also nicht davon, Regularien zum Ausgleich der betroffenen Interessen auf der Folie der rechtstatsächlichen, sozialen und ökonomischen Zusammenhänge zu entwickeln und Veränderungen derselben in Rechnung zu stellen. Spiegelbildlich hierzu sind gesetzgeberische Entscheidungen demgemäß auch anhand aktueller Erkenntnisse zu bewerten. Je größer das Wissensfundament über die Auswirkungen und Implikationen entsprechender Regelungen ist, desto weniger ist lediglich die beim Normerlass von Seiten des Gesetzgebers vorgenommene Prognose auf ihre Vertretbarkeit zu prüfen und desto mehr ist eine vollumfängliche Interessengewichtung vor dem Hintergrund der tatsächlichen Entwicklungen vorzunehmen.

429 Siehe hierzu die Ausführungen des Gerichts zu den tatsächlich feststellbaren Auswirkungen der Reform des AÜG durch das Erste Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: BVerfGK 4, 356 (362). Hierauf ebenfalls hinweisend: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (120). Auch abseits des Arbeitsrechts hat das BVerfG bereits entschieden, dass die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers dann nicht mehr trägt, wenn eine aufgrund vormalig vertretbarer gesetzgeberischer Prognosen als verfassungskonform zu beurteilende Regelung angesichts aktueller Erkenntnisse nicht nachgebessert wurde und so mit der Zeit verfassungswidrig wird (vgl. BVerfGE 143, 216 [221]). So ebenfalls in Bezug auf berufsregelnde und wirtschaftslenkende Vorschriften, bei denen eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers bestehe: Breuer, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VIII, 2010, § 171 Rn. 30. 430 Vgl. BVerfGE 152, 68 (Ls. 3). Ähnlich bereits: BVerfGE 143, 216 (221).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

237

cc) Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die Drei-Stufen-Theorie Eine berufsfreiheitsspezifische Konkretisierung erfährt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch die Drei-Stufen-Theorie des Bundesverfassungsgerichts. Um einerseits der Erstreckung des Schrankenvorbehalts auf die (nach dem Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 GG) schrankenlos gewährte Berufswahlfreiheit und andererseits den divergierenden Eingriffsintensitäten von Eingriffen in die Berufswahl- und die Berufsausübungsfreiheit gerecht zu werden, werden die Anforderungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hiernach stufenweise daran angepasst, ob ein Eingriff in die Berufswahl- oder die Berufsausübungsfreiheit vorliegt.431 Während Berufsausübungsregelungen durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden können,432 gelten für Beschränkungen der Berufswahl strengere Kriterien. Für Regelungen, die die Berufswahl objektiv beschränken, da sie unabhängig von der Person des Grundrechtsberechtigten bestehen, ist als legitimer Zweck die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut erforderlich.433 Subjektive Berufszulassungsregelungen hingegen sind nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts zulässig.434 Liegen demgegenüber Berufsausübungsregelungen vor, sind lediglich vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls erforderlich.435 Damit ist bei Berufsausübungsregelungen im Ergebnis eine gewöhnliche Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.436 Als allzu strikte Vorgabe darf die Drei-Stufen-Theorie aber nicht verstanden werden. Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht Berufsausübungsregelungen, die im Einzelfall eine höhere Eingriffsintensität aufwiesen, einer strengeren – den Anforderungen an Berufswahlregelungen entsprechenden – Prüfung unterzogen. Dies galt etwa dann, wenn Berufsausübungsregelungen sich so sehr verdichteten, dass sie zur Berufsaufgabe zwangen,437 oder auf andere Art und Weise so 431 Vgl. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 116; Ruffert, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 93; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 342. Zur Kritik der Lehre an der Drei-Stufen-Theorie weiterführend (jeweils m. w. N.): Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 102 f.; Wieland, in: Dreier, GG, 2018, Art. 12 Rn. 95 ff. 432 Vgl. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 119; Ruffert, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 96; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 343. 433 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 418, 421; Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 119; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 99. 434 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 418, 420; Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 119; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 97. 435 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 418, 419; Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 119; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 94. 436 So explizit: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 418. 437 Siehe hierzu etwa: BVerfGE 17, 269 (276); 30, 292 (313).

238 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

intensiv ausfielen, dass sie Berufswahlregelungen nahekamen.438 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach anerkannt, dass eine strikte Unterscheidung zwischen Berufsausübungs- und Berufswahlregelungen im Einzelfall schwerfallen kann,439 sodass in diesem Fall ausgehend von der entsprechenden Eingriffsintensität bestimmt werden muss, welche Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung zu stellen sind. Eine höhere Eingriffsintensität, die entsprechend höhere Anforderungen an die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach sich zieht, kann dem Bundesverfassungsgericht zufolge indes auch dann vorliegen, wenn „einzelne, für sich betrachtet geringfügige Eingriffe in grundrechtlich geschützte Bereiche in ihrer Gesamtwirkung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung führen, die das Maß der rechtsstaatlich hinnehmbaren Eingriffsintensität überschreitet“.440 Derartiges lässt sich auch auf Berufsausübungsregelungen des AÜG übertragen, die ggf. erst gemeinsam („additiv“) zu einer unverhältnismäßigen Belastung kumulieren können und dementsprechend nicht nur isoliert, sondern auch in einer Gesamtbetrachtung verfassungsrechtlich begutachtet werden müssen.441 Auch Berufsausübungsregelungen – als welche die Regularien des AÜG vorwiegend einzuordnen sind (im Einzelnen ab S. 351 ff.) – können also je nach Eingriffsintensität strengeren (Rechtfertigungs-)Anforderungen unterworfen werden. Der Drei-Stufen-Lehre kommt im Ergebnis daher eher eine heuristisch-strukturierende Funktion zu,442 die mit der widerlegbaren Vermutung operiert, dass Berufsausübungsregelungen von geringer Eingriffsintensität sind und daher leichter zu rechtfertigen sind. Die Besonderheiten des Einzelfalles müssen aber insoweit berücksichtigt werden, als dass die gedankliche Orientierung an der Drei-StufenTheorie ein Rangieren je nach Eingriffsintensität nicht verhindert. In der Konsequenz gilt daher auch im Rahmen der Berufsfreiheit die universelle Regel: Je intensiver der Eingriff, desto höher die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit.

438

So bei: BVerfGE 11, 30 (44); 77, 84 (106); 82, 209 (229). Siehe hierzu etwa: BVerfGE 92, 140 (151); 95, 193 (214); 103, 172 (183). 440 Vgl. BVerfGE 123, 186 (265); ähnlich: BVerfGE 112, 304 (319); 114, 169 (247). Sog. additiver Grundrechtseingriff. Einführend: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 401; weiterführend: Ruschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019, S. 260 („Die Kriterien des additiven Grundrechtseingriffs sind eine Mehrzahl staatlicher Grundrechtseingriffe in dasselbe Grundrecht desselben Grundrechtsträgers, deren Wirkungen zeitgleich bestehen“). 441 So sieht es etwa Kämmerer in Bezug auf die Kumulation aus Überlassungshöchstdauer und der Begrenzung der Tarifdispositivität des Gleichbehandlungsgrundsatzes (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 50 f., 85 f.). 442 Vgl. Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 104; sowie weiterführend: ders., Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 432. Zur abstrakten Ordnung der Prüfungsebenen durch die Drei-Stufen-Theorie: Breuer, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VIII, 2010, § 171 Rn. 47 ff. 439

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

239

dd) Alternativbetrachtung: Kollidierendes Verfassungsrecht Eine vom klassischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abweichende Rechtfertigungsprüfung ist aber dort vorzunehmen, wo Grundrechte um anderer Grundrechte willen oder zur Verwirklichung anderweitiger Werte von Verfassungsrang beschränkt werden. Hierbei kann es sich zuvörderst um staatliche Schutzpflichten handeln.443 Möglich ist es aber auch, dass sozialstaatliche Gebote oder anderweitige Handlungsziele, die sich den Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmungen entnehmen lassen, in Betracht kommen.444 Kollidieren Verfassungsgüter miteinander, hat der regulierende Staat einen schonenden Ausgleich zwischen beiden Grundrechtspositionen zu erzielen und demgemäß praktische Konkordanz herzustellen.445 Im Ergebnis geht es hierbei darum, den sich im Konfliktfall gegenüberstehenden Grundrechtspositionen zwar Grenzen zu ziehen, dabei aber beide zu maximal möglicher Wirkung gelangen zu lassen und nicht etwa einem Verfassungsgut gegenüber dem anderen uneingeschränkt den Vorzug zu gewähren.446 Das Bundesverfassungsgericht selbst hat sich bei der praktischen Umsetzung dieser besonderen Abwägungsmethode nicht ausdrücklich auf ein bestimmtes Prüfverfahren festgelegt.447 Es spricht allerdings viel dafür, den schonenden Ausgleich einer grundrechtlichen Konfliktlage in die bekannte gedankliche Struktur des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu implementieren.448 Die Drei-Stufen-Lehre ist auf diese Konstellation der verfassungsrechtlichen Kollisionen aber nicht zugeschnitten.449 443

Dies ist unumstritten. Vgl. exemplarisch: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 85. Das Bundesverfassungsgericht geht explizit von der Möglichkeit aus, mittels Art. 20, 20a GG schrankenlos gewährtes Verfassungsrecht zu begrenzen. Vgl. etwa BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307); 128, 1 (37 ff.). Dem wird sich hier angeschlossen. A. A. mit Verweis auf die in diesen Fällen weite Gestaltungsprärogative des Staates, der keine konkrete Handlungspflicht entnommen werden kann: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 86. Vgl. auch weiterführend: Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, 2006, S. 264 ff. Siehe zudem zu sozialstaatlichen Handlungsverpflichtungen detailliert: S. 301 ff. 445 In Bezug auf die Berufsfreiheit: Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 125; Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Einleitung GG Rn. 67 f.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 306. Vgl. zur praktischen Konkordanz ferner: BVerfGE 41, 29 (50); 52, 223 (247). 446 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 91; bzgl. der Berufsfreiheit: Schmidt, in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Einleitung GG Rn. 68. Die weiteren Konsequenzen für die verfassungsrechtliche Abwägung in diesem Fall, in dem der Staat eine grundrechtliche Konfliktlage mittels praktischer Konkordanz aufzulösen hat, bei der auf der einen Seite ein Grundrecht in abwehrrechtlicher und auf der anderen Seite ein Grundrecht in schutzrechtlicher Wirkrichtung geltend gemacht wird, hängt maßgeblich von dem Rechtsfolgengehalt der grundrechtlichen Schutzpflicht ab. Siehe hierzu S. 266 ff. 447 Hierauf ebenfalls hinweisend: Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Einleitung GG, Rn. 68. 448 So erdachte auch Hesse, auf den der Topos der praktischen Konkordanz zurück geht, diese als modifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, 1999, Rn. 317 f.). Die praktische Konkordanz ebenfalls innerhalb des Ver444

240 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

ee) Konsequenzen für die Berufsausübungsregelungen des AÜG Im Ergebnis sind die Berufsausübungsregelungen des AÜG daher vor allem am klassischen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu messen. Strengere Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung können sich etwa dann ergeben, wenn die im Grunde nur die Berufsausübung betreffenden Regelungen des AÜG im Einzelfall – etwa durch Kumulation mit anderen Berufsausübungsregelungen – intensivere Eingriffe darstellen. Ein differenzierterer Maßstab ist an die verfassungsrechtliche Abwägung auch anzulegen, wenn eine verfassungsrechtliche Kollision vorliegt und im Wege praktischer Konkordanz ein möglichst schonender Ausgleich herzustellen ist. Einzupreisen ist stets ein gewisser staatlicher Einschätzungsspielraum im Bereich des Arbeits- und Wirtschaftslebens, der allerdings nicht von der gewissenhaften Prüfung verfassungsrechtlicher Vertretbarkeit entbindet. d) Zwischenergebnis zur abwehrrechtlichen Funktion der Berufsfreiheit In seiner abwehrrechtlichen Funktion schützt das „Hauptfreiheitsrecht des Wirtschaftslebens“450 also umfangreich die berufliche Tätigkeit der Verleih- und Entleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer vor staatlichen Eingriffen. Die spezifische Schrankendogmatik der Berufsfreiheit stellt dabei – je nach Eingriffsintensität – hohe Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Im Ergebnis wirkt die Berufsfreiheit damit in ihrer abwehrrechtlichen Funktion als wirkmächtiges verfassungsrechtliches Regulierungsverbot bzw. Deregulierungsgebot,451 das den Gesetzgeber zur Zurückhaltung zwingt. An dieser Stellgröße sind die Regularien des AÜG daher im Einzelnen zu messen. 2. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in ihrer schutzrechtlichen Funktion Der abwehrrechtlichen Funktion der Berufsfreiheit ist jedoch prima facie die schutzrechtliche Funktion des Grundrechts auf Seiten der Leiharbeitnehmer (und ggf. der Stammarbeitnehmer) gegenüberzustellen. Auch das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung in seinem Beschluss vom 29. Dezember 2004 die Schutzfunktion der Berufsfreiheit ins Spiel gebracht, indem es postulierte, dass

hältnismäßigkeitsgrundsatzes verortend: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 91; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 306. 449 Vgl. Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 125. 450 Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 4. 451 Treffend: Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 12 GG Rn. 21.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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„dem durch Art. 12 I GG geschützten Interesse des Leiharbeitnehmers an zumutbaren Arbeitsbedingungen (…) das – ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte – Interesse des Arbeitgebers (…), die Arbeitsbedingungen der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer möglichst kostengünstig gestalten zu können“,

gegenüberstehe.452 Explizit ist hier vom verfassungsrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG determinierten „Schutz der Arbeitnehmer“ die Rede. Dieser verfassungsrechtliche Impetus kommt freilich nicht von ungefähr. Vielmehr steht der Rekurs auf grundrechtliche Schutzpflichten zugunsten der (Leih-)Arbeitnehmer in einer Reihe mit einer bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die den Arbeitnehmer in einer Situation „struktureller Unterlegenheit“ sieht und daher grundrechtliche Schutzpflichten aktiviert sieht (siehe ab S. 253 ff.). Bevor auf die Einzelfragen einer solchen Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten einzugehen ist, gilt es zunächst, sich die grundlegende Konstellation eben dieser grundrechtlichen Schutzfunktion vor Augen zu führen. Der gedankliche Ansatz der Schutzpflichtendogmatik ist hierbei der eines „Rechtsdreiecks“ bzw. Grundrechtsdreiecks aus Grundrechtsgeschütztem, Grundrechtsbeeinträchtigendem und dem Grundrechtsschützer.453 In diesem Dreieck geht der grundrechtliche Eingriff in die Sphäre des Grundrechtsgeschützten nicht – wie aus der grundrechtlichen Abwehrkonstellation im bipolaren Staat-Bürger-Verhältnis gewohnt – von der staatlichen Gewalt aus. Vielmehr ist der Grundrechtsbeeinträchtigende selbst Grundrechtssubjekt und kann sich in Bezug auf Handlungen, die ihrerseits die Grundrechte des Grundrechtsgeschützten belasten, meist selbst auf Grundrechte berufen. Der Staat wechselt in der Schutzpflichtenkonstellation also gewissermaßen die Seite und wird vom potenziellen Grundrechtsgegner zum Grundrechtsschützer, um so Gefährdungen der Grundrechtsgüter zu verhindern.454 Im Einzelfall kann sich diese Dreieckskonstellation so auswirken, dass der Staat in die Grundrechte des grundrechtsbeeinträchtigenden Privaten eingreift, um den Grundrechtsgeschützten in seinen Grundrechtsgütern vor Gefährdungen zu bewahren – was sich treffend als „Schutz durch Eingriff“ bezeichnen lässt.455 Im Ergebnis kehrt sich damit die Funktion der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte dergestalt um, dass grundrechtliche Schutzpflichten staatliche Eingriffe in Grundrechte erst bewirken. Innerhalb des hier zu diskutierenden Grundrechtsbereichs der Berufsfreiheit birgt die grundrechtliche Schutzpflicht dem folgend das 452

Vgl. BVerfGK 4, 356 (364). Siehe hierzu vor allem: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 410; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 204; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 34; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 124, der (richtigerweise) darauf hinweist, dass sich die Schutzpflichtenkonstellation z. B. bei Gefahren durch Naturkatastrophen nicht durch dieses Grundrechtsdreieck beschreiben lässt. 454 Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 946. 455 Siehe etwa: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 41; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 163 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 80 ff. 453

242 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Potenzial, dem Regulierungsverbot bzw. Deregulierungsgebot der Abwehrfunktion der Berufsfreiheit spiegelbildlich ein Regulierungsgebot zum Schutz Grundrechtsgefährdeter entgegenzustellen.456 a) Verfassungsdogmatische Begründung der Schutzpflichtenfunktion Mittlerweile457 lässt sich die Schutzpflichtendogmatik als in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt bezeichnen.458 Wenngleich auch im Ergebnis an ihrer Existenz kaum Zweifel besteht, wird zur verfassungsdogmatischen Begründung ihrer Existenz keineswegs ein einheitlicher Weg beschritten.459 Einer verfassungsdogmatischen Begründung der Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte bedarf es indes nur dort, wo sie nicht bereits ausdrücklich grundgesetzlich normiert ist. Explizit bestimmt sind im Grundrechtskatalog des Grundgesetzes allerdings nur wenige ausdrückliche Schutzpflichten.460 Insbesondere Art. 1

456 Siehe hierzu zunächst abstrahierend: S. 246 ff. Sowie konkret in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung: S. 272 ff. 457 Die mit der „Entdeckung“ der Schutzpflichten einhergehende gedankliche Umstrukturierung der Grundrechte ist in der Vergangenheit auf massive Kritik gestoßen. Im Wesentlichen befürchtete man, dass „die Grundrechte unter der Hand aus einem Hort der Freiheitssicherung zur Grundlage einer Fülle von freiheitsbeschränkenden Reglementierungen“ würden. Siehe hierzu exemplarisch das Sondervotum der Richterin Rupp-v. Brünneck und des Richters Simon zum ersten Schwangerschaftsabbruchsurteil: BVerfGE 39, 68 (73 ff.). Weitere Nachweise zu (frühen) ablehnenden Stimmen in der Literatur finden sich bei: Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 165. 458 So die ständige Rspr. des BVerfG, die hier nicht abschließend aufgezählt werden kann (im Folgenden ausgehend von der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung): BVerfGE 39, 1 (41); 49, 89 (141); 57, 250 (285); 88, 203 (251); 92, 26 (46). Sowie aus der Literatur (ebenfalls nicht abschließend): Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 410 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 39 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 1 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 29 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 83 ff.; Sachs, in: Sachs, GG, 2021, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 35; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 931 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 20 ff. 459 Siehe hierzu zuletzt auch die instruktive Analyse bei: Gebhard, Impfpflicht und Grundgesetz, 2022, S. 118 ff. 460 Eindeutig ist die unmissverständliche Verbürgung aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG, das sogenannte Wächteramt des Staates. Hieraus folgt eine ausdrückliche Schutzpflicht zugunsten der grundrechtlich gewährleisteten Belange der Kinder, die zugleich das Grundrecht der Eltern beschränkt. Daher bildet die Konstellation ein paradigmatisches Beispiel für die Verknüpfung von Schutz und Abwehr im Sinne des Grundrechtsdreiecks (vgl. hierzu: Isensee, in: Isensee/ Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 38 ff. Ähnlich: Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 28). Selbst wenn man dem entgegenhält, dass es Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG nicht um den Schutz eines bestimmten Grundrechts des Kindes geht, sondern um die Kontrolle des elterlichen Handelns insgesamt (vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 350; Ruffert, Vorrang der Verfassung und

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

243

Abs. 1 Satz 2 GG, der von aller staatlicher Gewalt verlangt, die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG als unantastbar erklärte Menschenwürde „zu achten und zu schützen“ beschreibt unmissverständlich – jedenfalls in Bezug auf die Menschenwürdegarantie – den dualen Wirkmechanismus der Grundrechte: Der Staat hat nicht nur Eingriffe zu unterlassen („achten“), er ist auch zu aktivem Handeln verpflichtet („schützen“).461 Dem Grundgesetzgeber scheint die Konstellation einer Grundrechtskollision, die im Ernstfall durch grundrechtliche Eingriffe aufzulösen ist, also durchaus bewusst gewesen zu sein.462 Aus den vereinzelten textlichen Hinweisen auf einen grundrechtlichen Zweiklang aus Achten und Schützen kann jedoch das Konzept allgemeiner Schutzpflichten nicht hergeleitet werden.463 Dennoch wurde der Schutzpflichtfunktion aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG zum Teil eine Grundentscheidung des Verfassungstextes für die gesamte Grundrechtsordnung

Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 153), so wird doch die Konstellation eines „Schutzes durch Eingriff“ in Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG deutlich. 461 Vgl. nur: Hillgruber, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 1 Rn. 7; Herdegen, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 1 Rn. 78; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 31; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 142 f. Bereits das BVerfG hat früh festgestellt, dass Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG den Schutz der Menschenwürde vor Angriffen durch Dritte vor Augen habe (vgl. BVerfGE 1, 97 [104]), freilich ohne Bezug zur noch nicht entwickelten Schutzpflicht. Weniger eindeutig verhalten sich indes die Erwähnungen von Schutz in Art. 6 Abs. 1 und 4 GG, die ohne eine – wie in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG – ausdrücklich danebengestellte Abwehrfunktion („achten“) nicht als ausdrückliche Schutzfunktion verstanden werden können, will man den Abwehrcharakter der Vorschriften nicht aufgeben (vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 146). Eine sich hingegen ausschließlich auf den Abwehrcharakter dieser Grundrechte beschränkende Auslegung wäre mit dem eindeutigen Wortlaut aber ebenso wenig vereinbar (vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1991, S. 30; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S. 32). Als einen deutlichen Hinweis auf den Dualismus aus Achten und Schützen wird man die dortigen Formulierungen also zwar nicht verstehen können, gleichwohl wird nur die gleichsame Garantie von Abwehr- und Schutzfunktion dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 und 4 GG gerecht. 462 Weitere Rekurse auf den Schutz grundrechtlicher Positionen vor Gefahren durch die Inanspruchnahme der Freiheitsrechte durch andere Grundrechtsberechtigte finden sich in den Schrankenbestimmungen. Zu nennen sind hier insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, nach dem die Allgemeine Handlungsfreiheit um der „Rechte anderer“ willen eingeschränkt werden kann sowie das „Recht der persönlichen Ehre“ in Art. 5 Abs. 2 GG, die „Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen“ in Art. 13 Abs. 7 GG oder den Schutz „der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen“ in Art. 13 Abs. 5 Satz 1 GG, die allesamt Kollisionsfälle aus Freiheitsbetätigung und Individualrechtsgütern beschreiben. Vgl. zu alledem: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 34 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 147 f. Allerdings entsteht aus drittschützenden Schrankenbestimmungen kein grundrechtlicher Anspruch auf Schutz zugunsten des beeinträchtigten Dritten. Vielmehr beinhalten Schranken nur Eingriffstitel (vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 149). 463 Vielmehr lassen sich die dortigen Rekurse auf Schutzpflichten nur mit Hilfe eben dieses Konzepts als zur Schutzpflichtendogmatik gehörend erkennen (Zirkelschluss). Vgl. hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 37.

244 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

entnommen,464 da allen Grundrechten ein Menschenwürdekern innewohne und daher konsequenterweise allen Grundrechten die doppelte Gewährleistungsanordnung von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG zukommen müsse.465 Naheliegender ist es aber, der Doppelung von Achten und Schützen in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nur die allgemeine Aussage zu entnehmen, dass dem Grundgesetz ein Nebeneinander aus Abwehr- und Schutzfunktion nicht fremd ist.466 Wenn das Grundgesetz aber an derart herausgehobener Stelle von der Abwehr- und von der Schutzfunktion spricht und die Abwehrfunktion zweifelsfrei als die generelle Wirkrichtung der folgenden Grundrechte verstanden wird, spricht viel dafür, dass die daneben genannte Schutzfunktion im folgenden Grundrechtskatalog ebenfalls dem Grunde nach Wirkung entfaltet.467 Da der explizite Hinweis auf die Abwehrfunktion („achten“) aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG nicht so verstanden wird, dass sich dieser nur auf die Menschenwürde beziehen würde,468 kann auch aus Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG die Anerkennung grundrechtlicher Schutzpflichten abgelesen werden.469

464

So bei: Bleckmann, DVBl. 1988, 938, 942; Canaris, AcP 1984, 201 (226). Vgl. Canaris, AcP 1984, 201 (226). Ähnliche Tendenzen finden sich z. T. in der Judikatur. So im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch, in dem das Gericht annimmt, dass neben der objektiven Werteordnung des Grundgesetzes, die Schutzpflicht in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG „darüber hinaus auch aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG“ folge (vgl. BVerfGE 39, 1 [41]). Im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch ist die Hervorhebung von Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG noch präsenter: „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet“ (vgl. BVerfGE 88, 203 [251]). Wer grundrechtliche Schutzpflichten allerdings aus dem den Grundrechten innewohnenden Menschenwürdekern herleitet, läuft Gefahr, die Schutzpflichtenfunktion auf den von der Menschenwürde durchwirkten Teilbereich der jeweiligen Grundrechte zu verkürzen. Das ist bereits deshalb zu vermeiden, weil der Menschenwürdekern der Grundrechte nur schwerlich vom übrigen Gewährleistungsgehalt zu trennen ist (vgl. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 43). 466 Vgl. Calliesss, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. II, 2006, § 44 Rn. 5; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 145, 171. 467 So die überzeugende Argumentation (argumentum e simile) bei: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 145. 468 So überzeugend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 145 f., der zudem anmerkt, dass die explizite Erwähnung der Abwehrfunktion in Art. 1 Abs. 3 GG auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass dem Grundgesetzgeber vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft die Bedrohung der Menschenwürde durch staatliche Eingriffe besonders präsent gewesen sein muss. Insofern hätte die Nennung der Wirkrichtungen des Grundrechts nur deklaratorischen Charakter. 469 Vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 145. Ähnlich wohl auch Stern, der davon spricht, dass die aus den objektiv-rechtlichen Gehalten der Grundrechte abzuleitenden Schutzpflichten durch die „Geltungsanordnung des Art. 1 Abs. 3 GG“ unmittelbar verbindlich werden (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 948). 465

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

245

Das Bundesverfassungsgericht leitet die Schutzpflichtenfunktion demgegenüber zu einem Großteil aus der objektiven Werteordnung der Grundrechte her.470 Hiernach enthalten die Grundrechte nicht nur subjektive Abwehrrechte, vielmehr statuieren sie auch eine objektive Werteordnung, „die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt (…)“, und aus der sodann Schutzverpflichtungen deduziert werden können.471 Weitere Begründungsansätze aus der Literatur leiteten grundrechtliche Schutzpflichten in der Vergangenheit demgegenüber aus dem Staatszweck der Sicherheit472 470 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41 f.); 49, 89 (141); 56, 54 (73); 81, 242 (255); 92, 26 (46); 98, 365 (395); 117, 202 (227). Schon vorher klang dort die Tendenz zur Annahme einer positivrechtlichen Verpflichtung zum Schutz der Grundrechte an. So war zum Teil in Bezug auf Art. 5 Abs. 3 GG davon die Rede, dass der Staat sein „Handeln positiv danach einzurichten“ habe, „schützend und fördernd einer Aushöhlung dieser Freiheitsgarantie vorzubeugen“ (BVerfGE 35, 79 [114]). Ähnlich bereits früher in Bezug auf die Menschenwürde: BVerfGE 1, 97 (104). Diesen Tendenzen fehlte aber der Rekurs zur objektiven Werteordnung der Grundrechte. Hierzu überblicksartig: Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 29 f. 471 BVerfGE 39, 1 (41 f.). Dieser Herleitung (im neueren Schrifttum) zustimmend: Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, 2000, S. 196 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 158 f. Ebenfalls zustimmend: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 948. Demgegenüber steht die Kritik, dass sich die objektiv-rechtliche Komponente der Grundrechte bereits denklogisch aus dem subjektiv-rechtlichen Charakter der Grundrechte ergibt (so treffend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 165). Insofern ist die objektiv-rechtliche Dimension der Grundrechte nichts anderes als das, was übrigbleibt, wenn man die subjektivrechtliche Dimension subtrahiert (vgl. Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 478; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 56 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 165). In der Tat fällt auf, dass die subjektiv-rechtliche Dimension des Abwehrrechts keineswegs mithilfe der objektiven Werteordnung der Grundrechte begründet wird. Um die Abwehrfunktion verfassungsdogmatisch zu begründen, wird gemeinhin der Wortlaut der grundrechtlichen Verbürgungen angeführt. Daher spricht viel dafür, auch die Schutzpflichtenfunktion aus den wörtlich verbürgten Grundrechtsgehalten selbst herzuleiten und nicht erst mühsam aus diesen eine objektive Werteordnung zu destillieren um diese anschließend zur subjektiv-rechtlichen Komponente der Schutzpflicht zu kondensieren (treffend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 169). Krings plädiert daher für eine „grundrechtsendogene“ Herleitung von Schutzpflichten aus dem Verfassungstext mittels der klassischen Auslegungsmethoden (Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 102 ff.; 170). 472 So z. B. (allerdings in Kombination mit dem objektiv-rechtlichen Begründungsansatz): Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 414 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 64 ff. Siehe auch: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 11 ff., 27 ff. Den Ausgangspunkt dieser ideengeschichtlichen Herleitung bildet die Annahme, dass der moderne Staat sich vor allem durch seine Sicherungsfunktion legitimiere. Vgl. hierzu: Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 155; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 37. Eine tiefergehende Erläuterung hierzu findet sich bei: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191, S. 11 ff. Das Gewaltmonopol der Staatsgewalt über die ihr unterworfenen Bürger, verpflichte diese Staatsgewalt daher im Gegenzug ausdrücklich dazu, die Rechte der Bürger aktiv gegeneinander zu schützen. Vgl. etwa: Alexy, Theorie der

246 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

oder aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit den grundrechtlichen Schrankenbestimmungen her.473 Vereinzelt wurde auch der Versuch unternommen, die der Schutzpflichtenthematik zugrunde liegende Konstellation über die Wirkrichtung des Abwehrrechts aufzulösen und demgemäß ohne einen Rückgriff auf explizite Schutzpflichten auszukommen.474 Durchgesetzt hat sich aber – wie gesehen – der breite Konsens über die Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten – trotz aller Divergenzen über ihre verfassungsdogmatische Herleitung. b) Die Struktur grundrechtlicher Schutzpflichten Wenngleich daher der Dualismus aus Abwehr- und Schutzfunktion in der Grundrechtsdogmatik nicht mehr zur Debatte steht, besteht über die Voraussetzungen und Rechtswirkungen der Schutzpflichten (noch) kein dementsprechend breiter Konsens. Anders als die Struktur des grundrechtlichen Abwehrrechts, dessen Zusammensetzung aus Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung zur gängigen verfassungsrechtlichen Methodik zählt, wird die Prüfung der grundrechtlichen Schutzpflicht weniger einheitlich strukturiert. Nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht erweist einer einheitlichen verfassungsdogmatischen Prüfstruktur der Grundrechte, 1985, S. 414; Sodan, NVwZ 2000, 601 (603). Demgemäß an den Gesellschaftsvertrag anknüpfend: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 148 f. 473 So bei: Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, 1981, S. 78 ff., 141 ff. Eine konkrete grundrechtliche Schutzpflicht kann aus den Schrankenbestimmungen aber nicht hergeleitet werden, da diese nur die Möglichkeit zum grundrechtlichen Eingriff vorsehen und nicht auf diesen verpflichten. Vgl. hierzu: Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 49. Auch das Sozialstaatsprinzip kann ob seiner Konturlosigkeit nicht eigenständig zur Herleitung konkreter Rechtsfolgen herhalten. Vgl. hierzu näher: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 394; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 45; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 49. Allerdings kann aus dem Sozialstaatsprinzip auch ein Mandat zu sozialem Schutz derjenigen abgeleitet werden, die im Privatrechtsverkehr typischerweise strukturell schwache Positionen innehaben. Hierzu einleitend und überblicksartig: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 196 ff. Siehe auch unten: S. 302 ff. 474 So bei: Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 63 ff.; Schwabe, Probleme der Grundrechtsdogmatik, 1977, S. 213 ff. Dem wurde berechtigterweise vorgeworfen, dass die dortige Lösung von einem Zirkelschluss ausgeht. Wenn dort etwa statuiert wird, dass staatliche Duldungspflichten in Bezug auf private Übergriffe i. E. abwehrrechtliche Eingriffe seien, so geht dies zugleich davon aus, dass der Staat diese Eingriffe grundsätzlich zu unterlassen habe und i. E. somit – da das Unterlassen der Erfüllung der angenommenen Duldungspflicht das Verbot des privaten Übergriffs sein muss – den belasteten Privaten vor Übergriffen Dritter schützen muss. Woher aber diese Schutzverpflichtung kommt, kann die abwehrrechtliche Lösung nur mit dem vagen Hinweis auf das staatliche Gewaltmonopol erklären. Siehe hierzu die Kritik bei: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 417; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 97; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 125 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 162 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

247

grundrechtlichen Schutzpflicht zuweilen einen „Bärendienst“. So sieht das Bundesverfassungsgericht etwa im Bereich des Privat- und insbesondere Arbeitsrechts regelmäßig grundrechtliche Schutzpflichten bereits deswegen als aktiviert an, weil sich Arbeitnehmer in einer Situation „struktureller Unterlegenheit“475 befänden (vgl. S. 253 ff.). Unklar ist hierbei, ob es sich um eine eigene, auf den Bereich des Privatund im Besonderen des Arbeitsrechts zugeschnittene Voraussetzung handelt oder ob das Bundesverfassungsgericht nur semantisch – aber nicht inhaltlich – von der jedenfalls dem Grunde nach etablierten Schutzpflichtendogmatik abweicht oder ob sich der Topos der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers überhaupt in die verfassungsrechtliche Kategorie der grundrechtlichen Schutzpflichten einordnen lässt (vgl. sogleich S. 258 ff.). Angesichts dieser Unklarheiten lohnt sich daher zunächst der Versuch einer abstrahierenden Herausarbeitung der Prüfstruktur der grundrechtlichen Schutzpflicht unter besonderer Berücksichtigung der Schutzpflichtenkonstellation im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG. aa) Tatbestand grundrechtlicher Schutzpflichten Eine erste sinnvolle Aufteilung der Prüfung grundrechtlicher Schutzpflichten lässt sich durch die Differenzierung nach Tatbestand und Rechtsfolge vornehmen.476 (1) Schutzgut und Gefahrenquelle: Persönlich-sachlicher Gewährleistungsbereich des Grundrechts und nicht-staatlicher Eingriffsakteur Sodann stellt sich die Frage, welche grundrechtlichen Schutzgüter durch die grundrechtlichen Schutzpflichten überhaupt erfasst werden. Die Antwort ergibt sich bereits aus der der Schutzpflichtenidee inhärenten Vorstellung, dass den Abwehrrechten des Grundgesetzes jeweils ein korrespondierendes Recht auf Schutz vor privaten Übergriffen zukommt.477. Im Ergebnis sind also alle Grundrechtsverbürgungen dem Grunde nach dazu fähig, eine Schutzpflicht des Staates auszulösen,478 475

Siehe hierzu den prägenden Handelsvertreterfall: BVerfGE 81, 242 (254 ff.). So auch explizit: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 171, 234; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 75. 477 Einzelne Grundrechte aus dem Kreis der zu schützenden Grundrechtsbestimmungen auszuschließen, verbietet sich daher (treffend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 173). Z. T. wird im Rahmen der zu schützenden Rechtsgüter in natürliche und rechtserzeugte Güter unterschieden (vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 174 ff.). Die Unterscheidung wirkt sich auf die Prüfung grundrechtlicher Schutzpflichten aber letztlich nicht aus. 478 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 222; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 62; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 172; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 168; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 944; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 75. 476

248 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

sodass die Schutzpflicht analog zu den Abwehrrechten den Freiheitsausschnitt erfasst, den das jeweilige Grundrecht in sachlicher und persönlicher Hinsicht gewährt.479 Mit anderen Worten: Der persönliche und sachliche Schutzbereich müssen eröffnet, das grundrechtliche Schutzgut also einschlägig sein.480 In Bezug auf eine etwaige Aktivierung einer Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung ergibt sich daher nichts anderes als das oben in Bezug auf das korrespondierende Abwehrrecht Gesagte (vgl. bereits oben S. 229 ff.). Die in Betracht kommenden Leih- und ggf. Stammarbeitnehmerinteressen müssen sich folglich sachlich unter Art. 12 Abs. 1 GG fassen lassen (hierzu S. 274 ff.). Als Quelle für die dem Schutzgut drohende Gefahr muss zudem ein nichtstaatlicher Eingriffsakteur ausgemacht werden. Hierunter wird in allererster Linie der Übergriff durch den grundrechtsberechtigten Privaten im Sinne des oben angesprochenen Grundrechtsdreiecks gefasst.481 Andere Gefahrenquellen können ggf. in Naturereignissen und Gefahren ausländischen Ursprungs oder gar der Selbstschädigung gesehen werden.482 Im Rahmen dieser Arbeit geht es aber einzig um den Übergriff483 durch den Privaten.484 Im konkreten Kontext der Arbeitnehmerüber479

Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 222; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 62. Dietlein meint hingegen, dass das zu schützende Freiheitssubstrat im Verhältnis zwischen schützendem Staat, Beeinträchtigendem und Beeinträchtigtem im Zweifel nicht unmittelbar den Grundrechten zu entnehmen, sondern mittels eines Rückgriffs auf das einfache Recht zu bestimmen sei (vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S. 83 f.). Dieser Ansatz hilft aber jedenfalls dann nicht weiter, wenn es gerade um die Frage geht, ob der Gesetzgeber seiner grundrechtlichen Schutzaufgabe nachgekommen ist (vgl. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 62). 480 Der Begriff Schutzgut wird hier als Beschreibung der dem grundrechtlichen Schutzbereich unterfallenden Freiheitssphäre gebraucht. So auch schon bei: Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 222 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 172. 481 Das ist der unumstrittene Hauptanwendungsfall der grundrechtlichen Schutzpflichtenthematik. Vgl. hierzu: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 190; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 75 f.; sowie implizit auch: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 225; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 63. 482 Siehe hierzu ausführlich: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 79 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 195 ff. 483 Die Terminologie „Übergriff“ bildet hierbei das Äquivalent zum grundrechtlichen Eingriff (hierzu gesondert S. 250 ff.) und hat sich in der grundrechtsdogmatischen Literatur insbesondere in Bezug auf die Durchwirkung von Privatrechtsverhältnissen durch die Schutzpflichtenthematik durchgesetzt. Verwendung findet der Terminus in diesem Kontext (nicht abschließend aufgezählt) bei: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 107 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 191 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 55 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 26 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 196 ff., 440.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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lassung steht hierbei der grundrechtliche Übergriff der Verleih- und Entleihunternehmen zulasten der Leih- und ggf. der Stammarbeitnehmer zur Debatte. Zentral für die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht ist, dass die Gefahrenquelle tatsächlich der Private ist und dass nicht etwa der Staat für die Grundrechtsbeeinträchtigung verantwortlich ist. In letzterem Fall wäre schließlich die Abwehrfunktion der Grundrechte einschlägig. Diskutiert wird diese Abgrenzung zwischen privatem und staatlichem Handeln etwa, wenn staatliche Verbote, die grundrechtsbeeinträchtigendes Privathandeln verhindern, wieder zurückgenommen werden und Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private in der Folge (wieder) stattfinden.485 Insofern bildet diese Abgrenzungsdebatte die Kehrseite der Diskussion um den abwehrrechtlichen Eingriffsbegriff und insbesondere um die Frage, ab welcher Handlungsqualität dem Staat innerhalb eines multikausalen, von staatlichen und privaten Handlungen geprägten Beeinträchtigungsszenarios grundrechtliche Eingriffe zuzurechnen sind.486. Ein Eingriffshandeln des Staates kann hierbei letztlich nur dann angenommen werden, wenn die staatlichen Maßnahmen das drittbeeinträchtigende Privatverhalten als konstitutive Bedingung erst ermöglichen.487 In denjenigen Konstellationen hingegen, in denen die autonome private Entscheidung des Grundrechtsbeeinträchtigenden das Gesamtgeschehen prägt, ist die Schutzpflicht einschlägig. Dass dieser Übergriff durch den Privaten rechtsförmig, final und unmittelbar sein muss, wie es beim abwehrrechtlichen Eingriff (jedenfalls im klassischen Sinne) erforderlich ist, wird aus naheliegenden Gründen nicht gefordert. Sehr wohl wird aber diskutiert, ob der Übergriff des Grundrechtsberechtigten verfassungsrechtlich rechtswidrig sein muss, da er zu missbilligenden privaten Zwang oder Gewalt beinhaltet.488 Dieser Ansatz verliert allerdings die eigentliche Blickrichtung der Schutzpflichtendogmatik aus den Augen.489 Auf die verfassungsrechtliche Rechtswidrigkeit des privaten Handelns kann es richtigerweise nicht ankommen. Im Ge484 Dies ist der Anwendungsfall der Schutzpflichtendogmatik im Privatrecht (vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 195). 485 Hierzu: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 68 f. 486 Siehe zu dieser Parallelität der Diskussionen: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 63 ff. Die hierbei diskutierten Szenarien sind vielfältig. Der dazu geführte Meinungskampf kann hier nicht nachvollzogen werden. Ausführlicher hierzu: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 63 ff. 487 So die einleuchtende Differenzierung bei: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 79. 488 Siehe hierzu ausführlich: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 520 ff. 489 Staatliche Schutzpflichten nehmen nicht das Verhalten des übergreifenden Privaten in den Fokus. Vielmehr sollen sie der Grundrechtsgutsbeeinträchtigung durch diesen und damit einem zu vermeidenden Erfolgsunrecht entgegenwirken. Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 196. I. E. zustimmend: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 341.

250 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

genteil: Welches private Verhalten verfassungsrechtlich rechtswidrig ist und verhindert werden muss, ist wiederum aus der sorgsamen Überprüfung der grundrechtlichen Schutzpflicht selbst erst abzuleiten.490 Im Ergebnis kommt es daher lediglich darauf an, ob das von dem in Ausübung seiner Freiheitsrechte handelnden Privaten ausgehende Verhalten das einschlägige grundrechtliche Schutzgut tatsächlich beeinträchtigt. (2) Gefahrenschwelle: Privater Grundrechtsübergriff als Eingriffsäquivalent und die Gefahrenprognose Damit ist die zentrale tatbestandliche Stellschraube zur Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten angesprochen: Die Gefahrenschwelle. Diese Scheidelinie muss das grundrechtsbeeinträchtigende private Handeln überschreiten, um eine Aktivierung der staatlichen Schutzpflicht auszulösen. Gefragt werden muss an dieser Stelle, ob der Grundrechtsbeeinträchtigende – im Duktus des Grundrechtsdreiecks – den Grundrechtsgeschützten überhaupt in seinem grundrechtlichen Schutzgut tangiert. Die Frage nach der Gefahrenschwelle bildet daher das Äquivalent zum Eingriff im Sinne der abwehrrechtlichen Funktion des Grundrechts,491 bei dem überprüft wird, ob das entsprechende Grundrecht staatlicherseits schutzbereichsverkürzend beeinträchtigt wurde.492 Versteht man die Schutzpflicht als ein auf das Grundrechtsdreieck bezogenes Spiegelbild dessen, was das Abwehrrecht für die Staat-Bürger-Beziehung ist, so ist an diese Grundrechtsbeeinträchtigung hinsichtlich ihrer Beeinträchtigungsqualität der für die Grundrechtsverkürzung durch staatlichen Eingriff entwickelte Maßstab anzulegen.493 Erforderlich ist daher, dass vom grundrechtlichen Schutzgut erfasste Freiheitsausübungen ganz oder jedenfalls teilweise durch privaten Übergriff494 unmöglich gemacht oder erschwert werden.495 490 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 196. Ähnlich: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 233 („Rechtswidrigkeit kann allenfalls die Rechtsfolge der Schutzpflicht, nicht eines ihrer Tatbestandsmerkmale sein.“). 491 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 124 („eingriffsadäquate Beeinträchtigung“). 492 Treffend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 222 („abstrakte Analyse des möglicherweise störenden Verhaltens“). 493 Vgl. Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 124 („eingriffsadäquate Beeinträchtigung“). 494 Vgl. erneut zur Verwendung dieses Terminus für durch Private bewirkte Grundrechtsbeeinträchtigungen als Äquivalent zum staatlichen Eingriff (nicht abschließend aufgezählt): Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 107 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 191 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 55 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 26 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 196 ff., 440. 495 Dies entspricht dem modernen Eingriffsbegriff des Abwehrrechts. Vgl. hierzu: BVerfGE 105, 279 (299 f.); Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 39; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 294.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

251

Für das Überschreiten dieser Gefahrenschwelle ist es insbesondere von entscheidender Bedeutung, welche Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit bzw. die Nähe der Grundrechtsbeeinträchtigung zu stellen sind. Anders als im Rahmen der grundrechtlichen Abwehrfunktion496 wird für die Aktivierung der staatlichen Schutzpflicht verbreitet und richtigerweise angenommen, dass bereits ein unterhalb der tatsächlichen Freiheitsverkürzung einzuordnendes Beeinträchtigungsgeschehen eine Schutzpflicht aktivieren kann, wenn damit nur eine hinreichende Gefahr der Grundrechtsbeeinträchtigung einhergeht.497 Der Schaden bzw. die Grundrechtsverkürzung muss also noch nicht eingetreten sein. Würde man dies für die Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten fordern, würde ein staatliches Eingreifen zum Grundrechtsschutz schließlich regelmäßig zu spät erfolgen.498 Aus dem Wirkungsmechanismus der Schutzpflichtenfunktion folgt daher zwingend, dass diese den Staat zur Prävention privater Grundrechtsbeeinträchtigungen verpflichtet.499 Das konkrete Beeinträchtigungsszenario im Sinne des Grundrechtsdreiecks erfordert also nicht das Überschreiten einer Schädigungs- oder Störungsschwelle, sondern die wortwörtliche Überschreitung der Gefahrenschwelle. Erkennt man dies an, stellt sich lediglich die Frage, welcher Wahrscheinlichkeitsmaßstab an den Eintritt der Gefahr anzulegen ist. Vielfach wird der im Gefahrenabwehrrecht verbreitete Maßstab der Gefahrenschwelle der (konkreten) Gefahr als Ausgangspunkt verwendet.500 Berechtigterweise wird jedoch darauf hinge-

496

Instruktiv zu Grundrechtsgefährdungen im Rahmen des Abwehrrechts: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 225 f. 497 Vgl. etwa bereits BVerfGE 39, 1 (42), nach dem der Staat grundrechtliche Schutzgüter vor „Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren“ habe. Siehe ferner: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 112; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 235; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 86; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 227; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 75. 498 Vgl. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 228. 499 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 235; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 86; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 228. 500 Vgl. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 236; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 229; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 143. I. E. ebenfalls zustimmend: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 86. Die Heranziehung eines einfachgesetzlichen Standards bei einer verfassungsrechtlichen Prüfung ist zwar auf Kritik gestoßen. So etwa: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 107 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 77 f. Schon aus Praktikabilitätsgründen ist aber zumindest die grundsätzliche Zugrundelegung des dogmatisch gewachsenen und reichhaltig diskutierten Gefahrenbegriffs zu begrüßen. Auch aus verfassungsdogmatischer Sicht ist der Rekurs auf das einfache Recht nicht prinzipiell zu verurteilen – lässt sich die klassische polizeiliche Eingriffsschwelle bei Zugrundelegung der Schutzpflichtendogmatik doch gerade als einfachgesetzliche Konkretisierung des Konflikts zwischen abwehrrechtlichen Freiheitsgarantien und grundrechtlichen Schutzpflich-

252 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

wiesen, dass grundrechtliche Schutzpflichten für den Gesetzgeber im Einzelfall ggf. auch schon unterhalb der Grenze der konkreten Gefahr aktiviert sein können.501 Denkbar sind schließlich gerade in Bezug auf die abstrakt-generelle und zeitlich weitreichende Legislativtätigkeit Konstellationen, die zwar nicht (im polizeilichen Sinne) konkrete Gefahrensituationen darstellen, denen aber sehr wohl bereits verfassungsrechtlich präventiv entgegenzutreten ist.502 Grundrechtsbeeinträchtigungen können etwa an dieser geforderten Gefahr insofern scheitern, als dass diese eine Sachlage fordert, „bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden“ für ein grundrechtliches Schutzgut eintreten muss.503 Insbesondere die zeitliche Komponente, die einen Schadenseintritt in „absehbarer Zeit“ und mithin ein jedenfalls in einem gewissen Umfang vorausschaubares Zeitmoment erfordert, wird für den präventiv eingreifenden Gesetzgeber nicht immer sinnvoll zu erfüllen sein. Schließlich gilt es, im Rahmen der Schutzpflichtenerfüllung Grundrechtsbeeinträchtigungen bestenfalls erst gar nicht entstehen zu lassen, sodass es für die abstrakt-generelle Tätigkeit des Gesetzgebers im Einzelfall auf die Merkmale des benannten Gefahrenbegriffs nicht immer ankommen kann.504 Einen tauglichen Ansatzpunkt für die Überprüfung der grundrechtlichen Gefährdungsschwelle im Rahmen der Schutzpflichtenaktivierung stellt der polizeiliche Gefahrenbegriff aber zweifellos dar – wenngleich im Einzelfall von dessen Anforderungsniveau nach unten hin abgewichen werden können muss. Nicht vergessen werden darf darüber hinaus, dass die polizeiliche Gefahr mit der etablierten Je-desto-Formel bereits einen Mechanismus beinhaltet, der die Gefahrenprognose dergestalt manipuliert, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts proportional zum Schadensausmaß abgesenkt werden können und die Prognose somit an die Gegebenheiten der konkreten Sachlage angepasst werden kann.505 Eben dies bietet sich auch für die Gefahrenprognose im Rahmen der grundrechtlichen Schutzpflicht an. ten verstehen. Daher überzeugend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 229. 501 Vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 113. 502 Vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 113. Ähnlich auch Unruh, der in der Folge gar keine festlegbare Gefahrenschwelle statuiert (vgl. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 77). A. A. hingegen: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 229. 503 So die Legaldefinition in § 2 Nr. 1 NPOG: Im Sinne dieses Gesetzes ist „1. Gefahr: eine konkrete Gefahr, das heißt eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung eintreten wird“. Beinahe wortlautgleich: § 3 Nr. 3 lit. a) BremPolG und § 3 Nr. 3 lit. a) SOG LSA. 504 Zumal der dortige Gefahrenbegriff ohnehin auf ein Eingreifen der Exekutive in konkrete Gefährdungssituationen zugeschnitten ist. Dies betonend: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 113; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 77. 505 Hierauf ebenfalls hinweisend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 231.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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(a) Bundesverfassungsgericht: Präzisierung und Absenkung der Anforderungen im Privatrecht und insbesondere im Arbeitsrecht anhand des Topos der strukturellen Unterlegenheit Ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfährt die mit der Gefahrenschwelle an die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht gestellte Anforderung allerdings für den Bereich des Privatrechts und insbesondere des Arbeitsrechts eine gewisse Präzisierung, wenn nicht gar eine Absenkung. Erstmalig im sogenannten Handelsvertreterfall506 und sodann in weiteren hieran anknüpfenden Judikaten507 entwickelte das Bundesverfassungsgericht für vertraglich durchwirkte Rechtsverhältnisse zwischen Privaten besondere Kriterien, ab denen grundrechtliche Schutzpflichten – namentlich in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG – Wirkung entfalten. Im besagten Handelsvertreterfall hatte das Gericht anlässlich eines einschneidenden vertraglich eingegangenen Wettbewerbsverbots zulasten des beschwerdeführenden Handelsvertreters ausgeführt, dass dann, wenn ein Vertragsteil gegenüber dem anderen ein so starkes Übergewicht habe, dass er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen könne und dies für den anderen Vertragsteil in einer Fremdbestimmung resultiere, die Mittel des Vertragsrechts allein keinen sachgerechten Interessenausgleich bewirken könnten.508 Wo es aber an einem „annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten“ fehle, und über grundrechtlich verbürgte Positionen durch einen Privaten mit den Mitteln des Privatrechts verfügt werde, müssten staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern. Solche eingreifenden gesetzlichen Vorschriften, die „sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht“ entgegenwirken, würden „die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip“ verwirklichen.509 Dort wo die Selbstregulierungskraft der Privatautonomie die grundrechtlich getragenen Interessen der Beteiligten eines Privatrechtsverhältnisses nicht auszugleichen vermag, sieht das Bundesverfassungsgericht also den Gesetzgeber in der Pflicht. Diese Verpflichtung setzt das Bundesverfassungsgericht in unmittelbaren Zusammenhang mit einerseits dem Sozialstaatsprinzip – dazu in einem späteren Abschnitt (ab S. 301 ff.) – sowie den „objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts“ – mit anderen Worten: der grundrechtlichen Schutzpflicht.510 506

Vgl. BVerfGE 81, 242 (254 ff.). Vgl. BVerfGE 89, 214 (232); 98, 365 (395); 126, 286 (300 f.); 134, 204 (223); 142, 268 (285); sowie BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.). Für eine tiefergehende Analyse der gesamten Rechtsprechungslinie im Hinblick auf die Schutzpflichtendogmatik: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 472 ff. 508 Vgl. BVerfGE 81, 242 (254). 509 Vgl. BVerfGE 81, 242 (254 f.). 510 Zwar wird der Terminus Schutzpflicht hier vom BVerfG nicht verwendet. Die Entscheidung legt aber in ihrer Gesamtheit nahe, dass mit den „objektiven Grundentscheidungen 507

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Die Erkenntnis, dass die Privatautonomie insbesondere im Arbeitsleben aufgrund der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers zuweilen an einem Funktionsdefizit leidet und die in Ausübung grundrechtlicher Freiheit ausgehandelten Vertragsbedingungen nicht immer zu einer beiderseitig interessengerechten Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses führen, ist indes nicht neu.511 Dass die Arbeitnehmer, denen es letztlich um Existenzsicherung geht, ihre eigenen vertraglichen Interessen gegenüber dem wirtschaftlich mächtigeren Arbeitgeber nicht durchsetzen, ist eine gesicherte Grundannahme moderner Arbeitsmarktpolitik.512 Mit Recht wird man konstatieren können, dass Arbeitnehmer aufgrund der Eigenarten des Arbeitsmarktes bei Vertragsverhandlungen mit ihren Arbeitgebern per se strukturell unterlegen und oftmals nicht in der Lage sind, ihre Interessen eigenverantwortlich durchzusetzen.513 Vergleichbare Konstellationen lassen sich abseits der ArbeitgeberArbeitnehmer-Beziehung etwa auch im Bereich des Verbraucherrechts oder des Mietrechts ausmachen.514 Auf das hier in Rede stehende Arbeitsrecht bezogen kann dieser Umstand zum einen die Kompensation entsprechender Ungleichgewichtslage anhand einer im Wege mittelbarer Drittwirkung durchzuführenden verfassungsrechtlichen Inhaltskontrolle arbeitsvertraglicher Regelungen seitens der Gerichte bedingen.515 Zum anderen aber wird hierin auch die Basis für die Tarifautonomie

des Grundrechtsabschnitts“ auf die Schutzpflichtendogmatik – die ihrerseits nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus den objektiven Wertgehalten der Grundrechte zu entnehmen ist – rekurriert wird. Vgl. hierzu detailliert: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 473 f. Zur grundgesetzdogmatischen Herleitung der Schutzpflichtenfunktion: S. 242 ff. 511 Hierzu aus der zivilrechtlichen Literatur: Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 69 ff.; Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, in: Wank (Hrsg.), FS Wiedemann, 2002, S. 559 ff.; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 137 ff. 512 Dies wird in exemplarischer Weise anhand der mit dem sogenannten „Konkurrenzparadoxon“ umschriebenen Situation deutlich. Sinkt etwa hiernach aufgrund der konkreten Marktsituation das Lohnniveau, werden die betroffenen Arbeitnehmer – entgegen üblicher Marktmechanismen – nicht etwa ihr Arbeitsangebot zurückziehen, sondern vielmehr weitere Arbeitsleistungen anbieten, was i. E. zu einer dramatischeren Absenkung des Lohnniveaus führen kann. Vgl. hierzu und m. w. N.: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 142. 513 Vgl. etwa: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 153. 514 Zusammenfassend und m. w. N. zur parallelen zivilrechtlichen Diskussion um materielle Vertragsgerechtigkeit im Wirkungsbereich der Privatautonomie: Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 76 ff.; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff. Siehe insbesondere in Bezug auf das Arbeitsrecht erneut: Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 69 ff.; Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, in: Wank (Hrsg.), FS Wiedemann, 2002, S. 559 ff.; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 137 ff. 515 Vgl. hierzu etwa in Bezug auf die Vertragsfreiheit: Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 2 Rn. 105 ff., 109 ff. (m. w. N.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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gesehen.516 Hiervon zu trennen ist aber die Frage, ob aus dieser Beobachtung generalisierend eine Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten zugunsten der Arbeitnehmer herzuleiten ist, die ein eingreifendes Handeln des Gesetzgebers bedingt. Diese Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten bei „sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht“ in Bezug auf privatrechtliche Verhältnisse, in denen es an einem „Kräftegleichgewicht der Beteiligten“ fehle, wiederholte das Bundesverfassungsgericht indes in folgenden Judikaten.517 Nicht immer tritt hierbei der Zusammenhang zur grundrechtlichen Schutzpflichtenfunktion so deutlich zu Tage wie in der Entscheidung zum Handelsvertreterfall.518 Überdeutlich wird der Konnex zwischen der den Ausgleich der vorausgesetzten Ungleichgewichtslagen adressierenden Rechtsprechungslinie und der grundrechtlichen Schutzpflicht aber in zwei Judikaten, die den Ausgleich grundrechtlicher Interessen von Arbeitnehmern und Arbeitgebern betreffen – namentlich einerseits in Bezug auf das allgemeine Befristungsrecht und andererseits in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes im AÜG a. F.519 Die Situation der „strukturell unterlegenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“520 wird hier ausdrücklich mit der Schutzpflicht in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung gebracht.521 Die erstgenannte Entscheidung geht sogar so weit zu statuieren, dass die „Sicherung der unbefristeten Dauerbeschäftigung als Regelbeschäftigungsform (…) der sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergebenden Pflicht des Staates zum Schutz der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 I, Art. 28 I GG Rechnung“ trage.522 Unumwunden wird also von den in Bezug auf den zweifelsohne strukturell unterlegenen Vertragspartner durch das Privatrecht nicht 516

Vgl. BVerfGE 84, 212 (229); BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.). Siehe auch: BAG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 AZR 364/97, NZA 1998, 754 (756); Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, NZA 2006, 1112 (1116); Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 (1057). Hierzu zudem ausführlich: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 24 ff.; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 153 ff.; treffend zudem: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 52 ff. („Kollektive Selbsthilfe durch Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie“). 517 Vgl. BVerfGE 89, 214 (232); 98, 365 (395); 126, 286 (300 f.); 134, 204 (223); 142, 268 (285); sowie BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.). Für eine tiefergehende Analyse der gesamten Rechtsprechungslinie im Hinblick auf die Schutzpflichtendogmatik: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 472 ff. 518 In der Entscheidung BVerfGE 134, 204 (223) etwa spricht das Gericht nur davon, dass angesichts „struktureller Ungleichgewichte“ im Bereich der „Gebiet der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung“ eingeschritten würde, ohne von einer grundgesetzlichen Verpflichtung zu einem ausgleichenden Einschreiten zu sprechen. Ebenso wenig eindeutig: BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.). 519 Befristungsrecht: BVerfGE 149, 126 ff.; Leiharbeitnehmer: BVerfGK 4, 356 ff. 520 Vgl. BVerfGE 149, 126 (144). 521 Vgl. BVerfGE 149, 126 (144); BVerfGK 4, 356 (364). 522 Vgl. BVerfGE 149, 126 (126, 142 f.).

256 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

ausreichend geschützten Interessen auf ein durch die grundrechtliche Schutzpflicht bedingtes Regelungsmandat des Gesetzgebers geschlossen. Die Feststellung der Überschreitung der grundrechtlichen Gefahrenschwelle, wie sie üblicherweise zur Aktivierung der Schutzpflicht gefordert wird, lassen die genannten Judikaten allerdings gänzlich vermissen. Immerhin die genannte Entscheidung zum Befristungsrecht spricht zwar zumindest davon, dass das Ziel, den für die Arbeitnehmer mit einem befristeten Arbeitsverhältnis einhergehenden Unsicherheiten zu begegnen, „besonderes verfassungsrechtliches Gewicht“ hätte, „weil es einer Schutzpflicht Rechnung trägt, die sich aus Art. 12 I GG ergibt“.523 In Bezug auf die Regelungen des AÜG hingegen meint das Gericht lediglich, dass diese der „Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer und damit dem Schutz ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 I GG)“ dienten und dass solche Regelungen erst den „Rahmen, in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art. 12 I GG unter angemessenen Bedingungen verwirklichen können“, schaffen würden.524 Beschränkende Regulierungen rechtfertigten sich daher daraus, „dass der Individualarbeitsvertrag vielfach ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt“.525 Eine konkrete Feststellung, dass die dort genannten, mit einem befristeten Arbeitsverhältnis einhergehenden Unsicherheiten oder die Umstände, die den Gesetzgeber zur Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer motivierten, zumindest die (konkrete) Gefahr einer Grundrechtsbeeinträchtigung in Bezug auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit der Arbeitnehmer durch die grundrechtsberechtigten Arbeitgeber mit sich bringen, liefert das Gericht in beiden Fällen allerdings nicht. Eine solche wäre aber zur Überschreitung der Gefahrenschwelle erforderlich gewesen. Stattdessen wird die Eröffnung der Schutzpflichtenfunktion von der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer und dem damit einhergehenden mangelnden Kräftegleichgewicht bei der Vertragsgestaltung abhängig gemacht, die es erforderlich mache, dass der Gesetzgeber zum Schutz der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Arbeitnehmer regulierend eingreife. Damit befinden sich die genannten Urteile dem Grunde nach auf der Linie des oben erwähnten Handelsvertreterfalls. Dort aber war noch ausdrücklich festgestellt worden, dass vertragliche Regelungen – namentlich das im konkreten Fall in Rede stehende Wettbewerbsverbot – Handelsvertretern von der anderen Seite unter Ausnutzung ihrer Abhängigkeitsposition und der eigenen wirtschaftlichen Übermacht beim Vertragsschluss aufgezwungen würden.526 Spä523

Vgl. BVerfGE 149, 126 (144). Vgl. BVerfGK 4, 356 (361) unter Verweis auf: BVerfGE 34, 307 (316); 77, 84 (116 f.). 525 Vgl. BVerfGK 4, 356 (361). 526 So das BVerfG (BVerfGE 81, 242 [260 f.]) im Handelsvertreterfall: „Auszugehen ist von der Einschätzung des Gesetzgebers, daß Handelsvertreter in ihrer Mehrzahl wirtschaftlich abhängig sind und deshalb – bei typisierender Betrachtungsweise – nicht über ausreichende Verhandlungsstärke verfügen, um ihre Rechte und Pflichten mit den Unternehmern frei aushandeln zu können. Insbesondere besteht nach der Begründung des Regierungsentwurfs die 524

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

257

testens in den beiden letztgenannten Urteilen fehlt eine solche Feststellung eines entweder bereits erfolgten privaten Grundrechtsübergriffs oder jedenfalls der Gefahr dessen zukünftigen Eintritts jedoch. Stattdessen wird sich mit der Feststellung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer begnügt. Im Ergebnis spart das Bundesverfassungsgericht damit einen Prüfungsschritt aus und schließt direkt von der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer auf die Aktivierung der deren Interessen gegen die Arbeitnehmerseite absichernden Schutzpflicht – ohne zumindest die Gefahr eines konkreten Grundrechtsübergriffs festzustellen. Dieser Verzicht auf die Feststellung eines typischerweise erforderlichen eingriffsäquivalenten privaten Grundrechtsübergriffs und die Beschränkung auf das zweifellos weichere Kriterium der strukturellen Unterlegenheit reduziert daher die Anforderungen der Gefahrenschwelle. Die für die Annahme einer Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten – im Besonderen in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG – erforderlichen Anforderungen werden von Seiten des Bundesverfassungsgerichts für den Bereich des Arbeitsrechts und gerade auch in Bezug auf das die Arbeitnehmerüberlassung regulierende Recht präzisiert und in der Konsequenz abgesenkt. Diese von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Handelsvertreterfall ausgehende Rechtsprechung, die eine Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten bereits dann annimmt, wenn ein aufgrund struktureller Unterlegenheit eines Vertragsteils bestehendes Kräfteungleichgewicht zum einseitigen Setzen vertraglicher Bestimmungen und somit zur fremdbestimmten Grundrechtsbeeinträchtigung führt, hat in der Literatur indes Zustimmung erfahren.527 Teilweise wird – im Lichte der entsprechenden Judikate – in Bezug auf die Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten zugunsten der Arbeitnehmer angenommen, dass im „Arbeitsrecht allein durch die strukturelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber typischerweise eine Konstellation besteht, in der die Privatautonomie des einzelnen Arbeitnehmers gefährdet ist“ und daher „das ,Ob‘ von Schutzpflichten nicht zweifelhaft sein“ könne.528 Schließlich liege eine „schutzpflichtenauslösende oder -aktivierende Konstellation“ immer bereits dann vor, Gefahr, daß ihnen bei Vertragsschluß Wettbewerbsabreden aufgezwungen werden. Diese Annahme ist vertretbar und hält sich im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.“. 527 In Bezug auf den Handelsvertreterfall: Hermes, NJW 1990, 1764 (1767 f.); Hillgruber, AcP 1991, 69 (76 ff.). Ebenfalls der Rechtsprechungslinie (jedenfalls implizit) zustimmend: Kämmerer, in: v. Münch/Kunig, GG, 2021, Art. 12 Rn. 5; Preis/Temming, Individualarbeitsrecht, 2019, § 15 Rn. 548; Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 12 GG Rn. 21; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 82; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 341; Umbach, in: Umbach/Clemens, GG, 2002, Art. 12 Rn. 63; Wieland, in: Dreier, GG, 2018, Art. 12 Rn. 149. Zurückhaltend hingegen: Ruffert, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 19 f. Ablehnend: Adomeit, NJW 1994, 2467 (2468); Diederichsen, AcP 1998, 172 (249 f.); Rittner, NJW 1994, 3330 (3331). 528 So bei: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 341.

258 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

„wenn die Beeinträchtigung eines Grundrechts von privater Seite droht.“ Das sei „im Arbeitsrecht typischerweise der Fall.“529 Damit wird kurzerhand eine Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten für einen ganzen Rechtsbereich – namentlich das Arbeitsrecht – global festgestellt, indem von der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer unmittelbar auf hinreichend wahrscheinliche grundrechtliche Beeinträchtigungen geschlossen wird. (b) Differenzierung: Der Topos der strukturellen Unterlegenheit und die Anforderungen der Gefahrenschwelle Ob die grundrechtliche Schutzpflichtenfunktion in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG derart leichtfertig und umfassend für den Bereich des Arbeitsrechts und so auch für die hier in Rede stehende Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung als aktiviert angesehen werden kann, muss aber bezweifelt werden. Die Konsequenzen einer so verstandenen Schutzpflichtenaktivierung zugunsten der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerseite wären zweifelsohne erheblich. Nähme man an, dass immer dort, wo Arbeitnehmer ihren Arbeitgebern strukturell unterlegen gegenüberstehen und so etwa vertragliche Gestaltungen im Verdacht seien, jedenfalls potenziell fremdbestimmt arbeitgeberseitig festgelegt worden zu sein, die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten der Arbeitnehmer aktiviert wäre, würden zwingende verfassungsrechtliche Vorgaben den Großteil der Regulierung arbeitsrechtlicher Beziehungen überformen. In der Konsequenz müsste der Interessenkonflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite womöglich sogar in Gänze als verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen der abwehrrechtlichen und der schutzrechtlichen Funktion von Art. 12 Abs. 1 GG gedacht und unter Beachtung der jeweiligen grundgesetzlichen Vorgaben von Seiten des Gesetzgebers entsprechend aufgelöst werden.530 Die wirkmächtigen grundrechtlichen Pole der Abwehr- und Schutzfunktion der Berufsfreiheit würden die ureigene Steuerungskraft dieses Rechtsgebietes im Ergebnis in Richtung eines reinen Verfassungsvollzugs zu reduzieren drohen.531 Die Frage danach, ob mit der strukturellen Unterlegenheit der (Leih-)Arbeitnehmerseite bereits per se eine Überschreitung der schutzpflichtendogmatischen Gefährdungsschwelle mit den eben beschriebenen Folgen einhergeht, ist indes nicht zu beantworten, ohne eine tiefere Ebene grundrechtsdogmatischer Diskussion zu betreten. Gemeint ist die Frage nach der verfassungsrechtlichen Handhabe in Bezug auf die freiheitsverkürzende Einwirkung des sozial und wirtschaftlich Mächtigeren 529 So bei: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 341. 530 So aber in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung deutbar: BVerfGK 4, 356 (364) („Da beide Arbeitsvertragsparteien unter dem Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG stehen, sind die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“). 531 Angesichts der entsprechenden verfassungsrechtlichen Spielräume des Gesetzgebers (siehe etwa S. 233 ff.) bestünden aber auch in diesem Szenario Wertungsfreiräume.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

259

auf die sozial und wirtschaftlich Schwachen im Bereich des Arbeits- und Wirtschaftslebens. Im Besonderen lässt sich die hier zugrundeliegende Problemstellung auf die Frage zuspitzen, inwiefern nicht viel eher das Sozialstaatsprinzip den verfassungsrechtlichen Hebel darstellt, um staatliche Akteure zum ausgleichenden Handeln in Anbetracht struktureller Ungleichgewichtslagen zu bewegen.532 Dass die Ingebrauchnahme grundrechtlicher Freiheit im Bereich des Wirtschaftslebens zu Ungleichgewichtslagen führen kann, die sich dergestalt verdichten können, dass die wirtschaftlich-sozial Schwachen ihre grundrechtlich verbürgte Freiheit tatsächlich nicht oder jedenfalls nicht zur Durchsetzung der eigenen Interessen wahrnehmen können, ist indes keine neue Erkenntnis.533 Letztlich beruht sie auf der generalisierten Beobachtung, dass die Freiheitsausübung in einem marktwirtschaftlich freien Wirtschaftssystem unweigerlich zu einer Akkumulation von wirtschaftlicher Macht bei bestimmten Marktteilnehmern und damit zu einem wirtschaftlichen Übergewicht und in der Konsequenz zu einer sozialen Ungleichheit führt. Zum verfassungsrechtlich relevanten Problemfeld wird dieser Umstand aber erst dann, wenn die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit in soziale und wirtschaftliche Unfreiheit umschlägt.534 In der Konsequenz kann eine aufgrund wirtschaftlicher Übermacht bestehende wirtschaftlich-soziale Ungleichgewichtslage etwa dazu führen, dass die wirtschaftlich-sozial Schwächeren ihre grundrechtlich verbürgte Freiheit im wirtschaftlichen Kontext nicht mehr ausüben können und es daher an den Voraussetzungen für eine Grundrechtsausübung fehlt.

532 Für die Anwendung der Schutzpflichtenfunktion: Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 37 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1595. Zurückhaltender: Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 273. Für eine vorrangige Anwendung der Grundrechte, ergänzt um die Wirkungen des Sozialstaatsprinzips: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 246 f.; Friauf, DVBl. 1971, 674 (677); Neumann, DVBl. 1997, 92 (100). Für eine besondere sozialstaatliche Aufladung der Schutzpflichtenfunktion: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 489 ff.; siehe auch: Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (44 ff.). Für eine Verortung im Sozialstaatsprinzip: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 104 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 357 f.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 505 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 165, 197 f., 445. Wohl auch: Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 297, 385. Anders hingegen noch etwa Grimm und Pieroth, die die Problematik innerhalb der objektivrechtlichen Grundrechtsdimension und daraus entspringender Leistungsrechte verorten (vgl. Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 228 ff.; Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 52). 533 Siehe hierzu bereits umfangreich: Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 264 ff.; Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 228 f.; Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 37 f.; Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1595. 534 So treffend: Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 267. Ähnlich: Grimm, Die Zukunft der Verfassung, 1991, S. 228 f.

260 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Diese Problemlage hat zu der verfassungsrechtlichen Diskussion geführt, ob die Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes den regulierenden Staat auch zu einem Schutz oder vielmehr einer Generierung der Grundrechtsvoraussetzungen insbesondere in wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichtslagen verpflichten.535 Der verfassungsrechtliche Hebel für diese „Effektivierung der Freiheitsrechte“536 wurde hierbei zum Teil in der grundrechtlichen Schutzpflicht gesehen.537 Mit einer gewissen verfassungsdogmatischen Akzentverschiebung wurde aber auch gefordert, den Anwendungsbereich grundrechtlicher Verbürgungen über das Scharnier des Sozialstaatsprinzips um eine weitere Ebene zu ergänzen und namentlich die grundrechtlich geschützte Freiheitsbetätigung durch staatliche Förderung und Unterstützung – wenn notwendig – erst zu ermöglichen.538 Im Ergebnis müsse der Gesetzgeber dann etwa „die materiellen und rechtlichen Voraussetzungen dafür (…) schaffen (…), daß sich nicht nur die wirtschaftlich Starken in der Gesellschaft ihrer Freiheit bedienen können“.539 Die Stoßrichtung dieser Bemühungen ist zwar im Ergebnis zu begrüßen. Schließlich gilt es schon allein aus demokratisch-integrativen Gründen, eine potenziell individualfreiheitsgefährdende Akkumulation wirtschaftlich-sozialer Macht in den Händen Weniger und das damit ggf. einhergehende strukturelle Ungleichgewicht hinsichtlich der Grundrechtschancen und -voraussetzungen innerhalb des Gesellschaftsgefüges zu vermeiden. Anderenfalls wäre zu befürchten, dass die Grundrechtsverbürgungen des Grundgesetzes im schlimmsten Fall zu Programmsätzen denaturieren, deren freiheitliche Verheißungen in der Rechtswirklichkeit keine Entsprechung fänden. Solchen Entwicklungen nicht nur die rechtliche Realität des 535 Schon früh: Häberle, VVDStRL 30 (1971), S. 44 (103) („Grundrechtsaktivierung ist im sozialen Leistungsstaat Verfassungsziel in dem Sinne, daß alle gleiche Grundrechtschancen haben sollen, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen und sich frei zu entfalten.“). 536 Weiterführend zu diesem Begriff: Rüfner, Grundrechtliche Leistungsansprüche, in: Gitter/Thieme/Zacher (Hrsg.), FS Wannagat, 1981, S. 379 (386). 537 Noch zaghaft äußerte sich Böckenförde, nach dem die Grundrechte einer wirtschaftlichsoziales Ungleichgewicht nivellierenden Regulierung nicht entgegenstünden, da sie „sozialer Bindung zugänglich und für sie offen“ seien (vgl. Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, 1991, S. 273). Eindeutiger bereits Stern: „Privatautonomie ist nicht nur zu respektieren, sie ist auch explizit zu schützen. Dieser grundrechtliche Schutzauftrag wird mitunter vergessen. Er wird gerade bei Ungleichgewichtigkeit aktuell. Wo private Macht individualfreiheitsgefährdend ist und nicht durch Konkurrenz und Wettbewerb konterkariert werden kann, gibt es nur eine Schutzbastion: den Staat.“ (Vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1595). Ebenso diese Ebene der Schutzpflicht ins Spiel bringend: Hesse, Verfassungsrecht und Privatrecht, 1988, S. 37 f., 41. 538 Vgl. Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 246 f.; Friauf, DVBl. 1971, 674 (677), der allerdings ein solches Grundrechtsverständnis in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG ablehnt (Friauf, DVBl. 1971, 674 [678]); siehe auch Neumann, DVBl. 1997, 92 (100). In diese Richtung, aber thematisch spezifisch begrenzt: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 489 ff.; siehe auch: Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (44 ff.). 539 Treffend: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 246 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

261

Arbeitsrechts – das derartigen Entwicklungen schon lange Widerstand leistet – entgegenzusetzen, sondern sie darüber hinaus auch als verfassungsrechtliche Konfliktlage zu begreifen, ist grundsätzlich zu befürworten.540 Zweifeln lässt sich aber berechtigterweise an der dogmatischen Konstruktion eines solchen verfassungsrechtlichen Mandats zur Nivellierung struktureller Ungleichgewichtslagen im Wirtschaftsleben anhand der Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte.541 Schließlich geht es bei staatlichen Bemühungen in Bezug auf den Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit wirtschaftlich-sozial Schwächerer nicht per se um den Schutz derselben vor dem grundrechtsrelevanten Übergriff eines konkreten Privaten. Vielmehr ist die (berechtigterweise) zu schützende Personengruppe oftmals allein aufgrund ihrer abstrakten und wirtschaftlich leistungsschwachen gesellschaftlichen Stellung schutzbedürftig.542 Zwar sind die etwa mangelnde Möglichkeit tatsächlicher Grundrechtsausübung im Wirtschaftsleben und die in diesem Zuge möglicherweise notleidenden grundrechtlich verbürgten Positionen hierbei ggf. als grundrechtliches Schutzgut im Sinne der Schutzpflichtendogmatik zu klassifizieren. Auch wird nicht selten ein wirtschaftlich-sozial mächtigerer Gegner als abstrakt verantwortliche schutzpflichtenrelevante Gefahrenquelle auszumachen sein. Der konkrete Übergriff in eine bestehende grundrechtlich relevante Rechtsposition oder jedenfalls die ausreichend wahrscheinliche Gefahr einer solchen durch das mächtigere private Gegenüber geht mit diesen Beobachtungen aber noch nicht notwendigerweise einher.543 Vielmehr setzt die beschriebene Unterlegenheitskonstellation bereits unterhalb der schutzpflichtenrelevanten Gefahrenschwelle an. Es wird hier nicht der sozial-wirtschaftlich Schwächere vor einem bestehenden oder konkret zu befürchtenden privaten Übergriff in seine bestehende Grundrechtsposition geschützt, sondern es wird unterhalb dieser Schwelle eine Umverteilung von Chancen und Risiken zwischen den beteiligten Privatrechtssubjekten angestrebt, um die Ungleichge540

So wird die zivilrechtliche Diskussion um die Dysfunktionalität der Vertragsfreiheit in Bezug auf die Herstellung einer Vertragsgerechtigkeit im Falle eines gestörten Verhandlungsgleichgewichts und die daran anschließenden Konzepte gesetzlicher Kompensationsmöglichkeiten (hierzu etwa: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff.; 38 ff.) mit der verfassungsrechtlichen bzw. grundrechtlichen Diskussion um die freiheitsverkürzenden Auswirkungen struktureller Unterlegenheit verschränkt. 541 Deutlich ablehnend etwa: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 505 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 165, 197 f., 445. Ebenfalls zumindest kritisch: Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 180 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 104 f. 542 Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 198 f. 543 Ruffert sieht hingegen ob der tendenziellen Anonymität und Konturlosigkeit der Gefahrensituation in den beschriebenen Ungleichgewichtslagen das Unterscheidungskriterium ersichtlich nicht in der Gefahrenschwelle, sondern plädiert für eine trennscharfe Prüfung des grundrechtlichen Schutzguts (vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 200 f.).

262 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

wichtslage zugunsten des Schwächeren dergestalt aufzulösen, dass dieser seine Grundrechte in annehmbarem Umfang überhaupt zum eigenen Nutzen wahrnehmen kann.544 Die zugrundeliegende Problematik ist zuweilen pointiert auf die Klarstellung reduziert worden, dass die Rollen der in wirtschaftlichen Ungleichgewichtslagen „sozial Stärkeren“ und „sozial Schwächeren“ nicht „rechtlicher, sondern soziologischer Natur“ sind.545 Die Schutzpflicht setze aber „definierte Rechtspositionen voraus“. Hieran fehlt es, wenn „Rechtspositionen überhaupt erst zu definieren und zuzuteilen“ sind. In diesem Fall interveniert der Staat nicht, „weil ein Privater das Rechtsgut des anderen verletzt,“ sondern, „weil eine Voraussetzung für die reguläre Grundrechtsausübung im privatautonomen Interessenausgleich fehlt und diese durch das staatliche Recht kompensiert werden soll.“546 Dem folgend kann die grundrechtliche Schutzpflicht daher nicht per se als verfassungsrechtliches Mandat zur allgemeinen Nivellierung der beschriebenen wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichtslagen gesehen werden. So kann auch der vom Bundesverfassungsgericht in Teilen angenommenen Aufladung der strukturellen Unterlegenheitsposition etwa der Arbeitnehmer mittels der grundrechtlichen Schutzpflichtenfunktion nicht ohne weiteres gefolgt werden.547 Das heißt aber nicht, dass die Verfassung keinen Handlungsauftrag enthielte, der den Gesetzgeber zur Regulierung struktureller Ungleichgewichtslagen anhält. Die Schutzpflichtendogmatik ist hierfür jedoch nicht die richtige verfassungsdogmatische Ebene.548 Zugleich muss aber gesehen werden, dass eine strukturelle Ungleichgewichtslage im Wirtschaftskontext von einer zunächst nicht per se schutzpflichtenrelevanten Gefährdungssituation in eine solche umschlagen kann. Gerade in der wirtschaftlichsozialen Konfliktsituation droht sich der grundrechtliche Übergriff stets zu reali-

544

So etwa: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 546 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 547 Die mit der Handelsvertreterentscheidung beginnende Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts daher vollständig ablehnend: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff. Ebenfalls in diese Richtung: Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 505 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 165, 197 f., 445. 548 Doch auch dem Sozialstaatsprinzip lässt sich ein Handlungsauftrag und ein Schutzmoment entnehmen (hierzu unten S. 301 ff.). Vorrangig ist jedoch stets die Bewertung der konkreten Konfliktsituation anhand der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik. So Ruffert, nach dem die „grundrechtsdogmatische Bewertung eines Schutzbedürfnisses und damit die Anwendung der grundrechtlichen Schutzpflicht grundsätzlich Vorrang vor einem Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip genießt. Soweit keine Bedrohung grundrechtlicher Schutzräume von außen vorliegt, sondern es um die Entfaltung dieser Freiräume geht, kann das Sozialstaatsprinzip aktiviert werden.“ (Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 358). Zustimmend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 358. 545

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

263

sieren, was sodann zu einer Aktivierung der Schutzpflicht führt.549 Eine strukturelle Unterlegenheitssituation kann also ein Indiz für eine schutzpflichtenrelevante Grundrechtsgefährdung sein. Sie ist aber nicht mit dieser gleichzusetzen. (c) Konsequenzen für die Gefahrenschwelle Für die Prüfung der schutzpflichtenaktivierenden Gefahrenschwelle lässt sich daher festhalten, dass der beschriebenen strukturellen Unterlegenheitssituation in wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichtslagen zwar eine indizielle Wirkung für eine Überschreitung der Gefahrenschwelle zukommt. Wo wirtschaftlich-sozial Stärkere wirtschaftlich-sozial Schwächeren in einer privatrechtlichen Beziehung gegenüberstehen, können diese – soziologischen550 – Rollen schließlich leichthin in das schutzpflichtenrelevante Gegenüber aus Grundrechtsbeeinträchtigtem und Grundrechtsgeschützten umschlagen und der wirtschaftlich-soziale Interessenkonflikt einen grundrechtsrelevanten privaten Übergriff hervorbringen. Solange ein solcher grundrechtsverkürzender Übergriff des im wirtschaftlich-sozialen Sinne strukturell Überlegenen nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, wird die Gefahrenschwelle aber nicht überschritten, sodass der Gesetzgeber auch nicht qua Schutzpflicht regulierend eingreifen muss. Bleibt die Konfliktsituation also unterhalb dieser konkreten Schwelle, stellt sich für den Gesetzgeber nicht die Aufgabe, Übergriffe des mächtigeren Privaten zu verhindern. Ggf. aber stellt sich dennoch die Aufgabe, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der strukturell unterlegene Private seine grundrechtlichen Positionen trotz der wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichtslage im eigenen Interesse ausüben kann.551 Soll die Schutzpflicht grundrechtsdogmatisch dem Grunde nach das auf das Grundrechtsdreieck bezogene Spiegelbild dessen sein, was in der dualen StaatBürger-Beziehung die Abwehrrechtsfunktion der Grundrechte ist, muss bei der Überprüfung der Gefahrenschwelle und dem dortigen privaten Übergriff ein dem abwehrrechtlichen Eingriff ähnelnder Maßstab angewandt werden. Erforderlich ist also ein tatsächlich feststellbarer grundrechtsverkürzender Übergriff – oder jedenfalls die anzunehmende Gefahr eines solchen (oben abstrahierend S. 250 ff.). Anderenfalls würde sich die Schutzpflichtendogmatik zu sehr von der abwehrrechtlichen Funktion entfernen. Wer demgegenüber die Anforderungen an die schutzpflichtenaktivierende Gefahrenschwelle dergestalt absenken will, wie es das Bundesverfassungsgericht augenscheinlich in der oben dargelegten Rechtsprechungslinie (vgl. S. 253 ff.) tut, verlässt den Boden der Schutzpflichtendogmatik.552 549 Hierauf hinweisend: Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 199 f. 550 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 551 Hierzu erneut abschließend: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 200. Zudem detailliert unten im Rahmen des Sozialstaatsprinzips: S. 301 ff. 552 Den Maßstab für die Aktivierung der Schutzpflichtenfunktion durch die schlichte Annahme eines wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichts derartig zu reduzieren, täte den strukturell unterlegenen Privaten, zu deren Gunsten eingeschritten würde, womöglich gar einen

264 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Unzweifelhaft ist daher auch in den beschriebenen gesellschaftlichen Konfliktsituationen die indizierte Schutzpflichtenaktivierung gewissenhaft zu prüfen und zumindest nach der Gefahr eines privaten Grundrechtseingriffs zu fragen. Welcher Maßstab für die Überschreitung der Gefahrenschwelle in diesen Fällen angewendet werden muss, ist eine andere Frage. Richtigerweise wird dem Grunde nach an der Formel der konkreten Gefahr festzuhalten sein (vgl. S. 250 f.), wenngleich von dieser im Einzelfall abgewichen werden kann. Stets jedoch wird der Nachweis zu erbringen sein, dass die wirtschaftlich-soziale Übermacht des überlegenen Privaten die ausreichend wahrscheinliche Gefahr beinhaltet, im Einzelfall hinsichtlich konkreter grundrechtlich geschützter Positionen (vgl. S. 247 ff.) in einen Übergriff umzuschlagen. Im Gegensatz zum reinen Rekurs auf die nur abstrakte wirtschaftlichsoziale Übermacht und die damit einhergehende strukturelle Unterlegenheit ist damit jedenfalls mindestens das Vorbringen von Tatsachen erforderlich, die die entsprechende Gefahr eines Grundrechtsübergriffs befürchten lassen. Es müssen also Tatsachen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass die grundrechtliche Freiheit der strukturell Unterlegenen verkürzt wird. Bleibt die soziale Ungleichgewichtslage unter dieser Nachweisgrenze, so ist die Schutzpflichtenfunktion nicht aktiviert. In diesem Licht lässt sich im Übrigen auch beispielhaft der Handelsvertreterfall betrachten.553 Dort war zum einen ausdrücklich festgestellt worden, dass das in Rede stehende vertragliche Wettbewerbsverbot die Berufsfreiheit des beschwerdeführenden Handelsvertreters in erheblichem Maße beeinträchtigte. Allein aus dem vom Bundesverfassungsgericht angenommenen wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewicht bei der Vertragsgestaltung konnte damit aber noch nicht darauf geschlossen werden, dass diese nachteilige Vertragsgestaltung sich als Übergriff in die grundrechtliche Freiheit – hier die Vertragsfreiheit – des Handelsvertreters bewerten ließ. Vielmehr hätte geprüft werden müssen, ob dessen Entscheidung, der beeinträchtigenden Vertragsgestaltung zuzustimmen, tatsächlich nicht Ausdruck grundrechtlicher Freiheit war und im eigenen Interesse geschah, sondern gerade eine andere Vertragsgestaltung in Ausübung freiheitlicher Grundrechtsbetätigung gewollt war. Wenn ein anderer Vertragsinhalt gewollt gewesen wäre, hätte sodann überlegt werden müssen, ob das mächtigere Gegenüber diesen qua grundrechtlicher Freiheitsausübung vorgebrachten entgegenstehenden Wille sodann mittels Übergriff – etwa durch Drohung, Täuschung, Zwang oder sonstige zu missbilligende Druckausübung im Sinne einer vis compulsiva – überwunden hatte.554 Die Umstände des Bärendienst. Gälte die wirkmächtige Schutzpflichtenfunktion schließlich bereits überall dort, wo gesellschaftliche Unterlegenheitskonflikte bestünden, müsste die Aufladung ziviler Konflikte mittels des Gegenübers von Abwehr- und Schutzfunktion geradezu inflationär hinzugedacht werden. Damit wäre einer Denaturierung der grundrechtlichen Positionen und demgemäß einem gehörigen Verlust an Verfassungswirksamkeit der Weg bereitet. 553 BVerfGE 81, 242 ff. 554 Ähnlich wie hier die Forderung von Lindner, der die Schutzpflichtenaktivierung von Zwang, Täuschung oder sonstigen unlauteren Einwirkungen abhängig macht (vgl. Lindner,

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

265

Einzelfalls hierbei auf die Plausibilität der einen oder anderen Möglichkeit hin zu untersuchen, um mindestens die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Grundrechtsübergriffs zu belegen, wäre allerdings notwendig gewesen. Nur dann wäre die Ungleichgewichtslage in eine durch das vertragliche Gegenüber zu verantwortende Grundrechtsbeeinträchtigung umgeschlagen.555 Welche Anforderungen an den Grundrechtsübergriff des wirtschaftlich-sozial Stärkeren hierbei zu stellen sind – wann also eine Überwindung der grundrechtlich garantierten Freiheitsposition des Gegenübers vorliegt und wann demgegenüber nur in überzeugender Weise verhandelt wurde –, ist eine andere Frage, die hier nicht im Detail geklärt werden kann. Ein Übergriffsmoment qua willensbeugender Einwirkung,556 in dem sich die strukturelle Unterlegenheit grundrechtsrelevant realisiert und welche die Ausübung der grundrechtlich garantierten Freiheit ganz oder teilweise unmöglich macht, muss aber hinreichend wahrscheinlich sein. Dem Grunde nach lassen sich die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im Handelsvertreterfall auch auf diese Weise interpretieren, wenn dort zumindest festgestellt wird, dass vertretbarerweise anzunehmen sei, dass Wettbewerbsverbote Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 505 f.). Zu weit geht das dort Vorgeschlagene indes, wenn ein festgestellter Grundrechtsübergriff gefordert wird, da nicht dessen tatsächliches Vorliegen, sondern dessen hinreichende Wahrscheinlichkeit genügen muss. Ähnlich auch Isensee, der einen grundrechtlichen Übergriff, der ein Handeln gegen den Willen des anderen beinhaltet, fordert (vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197) und dies bei allen „Maßnahmen, welche die Freiheit der Entschließung (zu) „verhindern (suchen)“ für gegeben erkennt und hier insbesondere die Androhung körperlichen Zwangs, Betrug, Erpressung, Nötigung und Untreue nennt (vgl. ders., in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 97). In diese Richtung auch Cremer, der für die Schutzpflichtenaktivierung im Rahmen der Privatautonomie ein Handeln gegen den Willen des anderen als privaten Grundrechtsübergriff für notwendig hält und hier explizit Drohung und Täuschung einordnet (vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 489 f.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer [Hrsg.], FS Schnapp, 2008, S. 29 [44 f.]. 555 Hiervon unberührt ist die Frage, ob eine solche im Handelsvertreterfall vorgelegen hat. Dies ablehnend: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 556 Denkbar aber diskussionswürdig ist insbesondere, die Schwelle hierbei in Parallelität zum einfachen Recht etwa in Bezug auf eine willensbeeinflussende Täuschung oder Drohung in der arglistigen Täuschung oder widerrechtlichen Drohung i. S. v. § 123 Abs. 1 BGB zu sehen. Dann würde sich das im Rahmen der Schutzpflichtenaktivierung anzuwendende Verständnis von Selbstbestimmung durch grundrechtliche Freiheit mit demjenigen des Zivilrechts decken, wo auch Willenserklärungen, die nicht dem eigenen Interesse entsprechen grds. Gültigkeit besitzen, allerdings etwa im materiellen Sinne „unfreie“ Willenserklärungen über das Anfechtungsregime aus §§ 116 ff. BGB beseitigt werden können (in diese Richtung wohl: Isensee, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 97). Allerdings haben Schutzpflichten im Bereich privatautonomer Vertragsgestaltung und die zivilrechtlichen individualrechtlichen Möglichkeiten, sich von Verträgen zu lösen, von vorneherein divergierende Ansatzpunkte. So kann eine aktivierte Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1GG dort auch gerade darauf hinauslaufen, dass konkrete inhaltliche Fragen vertraglich indisponibel gestellt werden (vgl. Isensee, ebd., Rn. 100). Wo typisierbar ein zivilrechtliches Beziehungsgeflecht vorliegt, dass z. B. Anfechtungsfälle begünstigt, könnte dies aber wiederum ein Indiz für Schutzpflichtenaktivierungen darstellen, sodass dort über etwa das Anfechtungsregime hinaus ein Bedürfnis strengeren gesetzgeberischen Einschreitens besteht.

266 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

der dort in Rede stehenden Art hiervon betroffenen Handelsvertretern aufgezwungen würden.557 Eindeutig ist diese Interpretation des Handelsvertreterfalles jedoch nicht. Ist schließlich demgegenüber nur eine Situation festzustellen, bei der – wie das Bundesverfassungsgericht gleichsam im Handelsvertreterfall feststellt – „die Bedingungen freier Selbstbestimmung tatsächlich [nicht] gegeben sind“, die grundrechtlichen Freiheitsgarantien im eigenen Interesse also gar nicht wahrgenommen werden und demgemäß auch nicht qua grundrechtlichem Übergriff vom Anderen überwunden werden müssen, so sind nicht die grundrechtlichen Schutzpflichten der passende verfassungsdogmatische Hebel, sondern die – etwaig im Sozialstaatsprinzip zu verortende (vgl. S. 301 ff.) – Gewährleistung der Voraussetzungen der Grundrechtsausübung.558 Diese beiden verfassungsrechtlichen Systeme sind zu trennen und ihre jeweilige Anwendbarkeit ist in der einzelnen Problemsituation anhand der konkreten Umstände zu prüfen. Eine derartige sorgfältige Analyse der Umstände des Einzelfalls ist ebenso im Rahmen des der Arbeitnehmerüberlassung innewohnenden Interessenkonflikts zu fordern. bb) Rechtsfolge grundrechtlicher Schutzpflichten: Das Untermaßverbot und das subjektive Recht auf Schutz Bevor indes die letztgenannte schutzpflichtenspezifische Analyse des der Arbeitnehmerüberlassung innewohnenden Interessenkonflikts angetreten wird, soll im Folgenden der Gehalt der Rechtsfolge einer aktivierten Schutzpflicht überblicksartig herausgearbeitet werden. Zunächst ist dabei dem objektiven Gehalt der Schutzpflicht und damit ihrem Inhalt und Umfang nachzugehen. Anders als beim Abwehrrecht, das von den adressierten staatlichen Akteuren das präzise feststellbare Unterlassen einer staatlichen Handlung verlangt, ist die Schutzpflicht in ihrer Rechtsfolge auf staatliches Tätigwerden gerichtet.559 Naturgemäß ist sie daher in ihrer Rechtsfolge zunächst 557 Vgl. BVerfGE 81, 242 (260 f.) („Auszugehen ist von der Einschätzung des Gesetzgebers, daß Handelsvertreter in ihrer Mehrzahl wirtschaftlich abhängig sind und deshalb – bei typisierender Betrachtungsweise – nicht über ausreichende Verhandlungsstärke verfügen, um ihre Rechte und Pflichten mit den Unternehmern frei aushandeln zu können. Insbesondere besteht nach der Begründung des Regierungsentwurfs die Gefahr, daß ihnen bei Vertragsschluß Wettbewerbsabreden aufgezwungen werden. Diese Annahme ist vertretbar und hält sich im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.“). 558 Vgl. auch: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff., wenngleich Isensee den Handelsvertreterfall von vornherein abseits der Schutzpflichtendogmatik sieht. Ebenfalls die verfassungsrechtlichen Systeme der Schutzpflicht und der sozialstaatlichen Gewährleistung der Grundrechtsvoraussetzung trennend, aber am Beispiel des Handelsvertreterfalls für arbeitsrechtliche Konkurrenzverbote auf das mit diesen einhergehende „Erfolgsunrecht“ und nicht auf einen Grundrechtsübergriff bei der Vertragsgestaltung abstellend: Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 445 f. 559 Zu dieser Divergenz: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 262 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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unbestimmt.560 Im Ausgangspunkt verpflichtet sie aber zunächst unstrittig zu einem staatlichen Handeln.561 Die nähere inhaltliche Konkretisierung dieses Handelns und der Maßstab von dessen Überprüfbarkeit stellen demgegenüber die Kernproblematiken der Rechtsfolgenseite der grundrechtlichen Schutzpflicht dar. Wen hingegen die staatliche Handlungsverpflichtung adressiert, lässt sich wiederum leichter feststellen. Dem Grunde nach trifft die Schutzpflicht und der aus ihr resultierende Handlungsauftrag alle staatlichen Akteure.562 Erst aus dem Umstand, dass die aus der Schutzpflicht erwachsende staatliche Handlungsverpflichtung regelmäßig einen Eingriff in die Grundrechte des die Schutzpflicht auslösenden Privaten nach sich zieht und demgemäß an den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalten zu messen ist, ergibt sich, dass primär der Gesetzgeber zur Erfüllung der Schutzpflicht mittels materiellem Gesetz verpflichtet ist.563 Der verfassungsrechtliche Maßstab, der an die staatliche Handlung und damit an die Erfüllung der Schutzpflicht anzulegen ist, lässt sich demgegenüber weniger leicht bestimmen. Das Bundesverfassungsgericht wendet grundsätzlich das sogenannte Untermaßverbot an und belässt dem Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum. Das Untermaßverbot verpflichtet diesen hierbei lediglich darauf, einen Mindeststandard an Schutzgewährleistungen zugunsten des betroffenen Grundrechtsträgers einzuhalten.564 Dieser Mindeststandard ist nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts dann gewahrt, wenn die getroffenen Maßnahmen „nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind, das gebotene Schutzziel zu erreichen, oder erheblich dahinter zurückbleiben“.565 Das Minimum an Schutzge560

Vgl. BVerfGE 142, 313 (337). Überblicksartig: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 126. Statt vieler: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 263. 562 Dies ergibt sich bereits aus der in Art. 1 Abs. 3 GG statuierten Grundrechtsbindung aller drei Gewalten, die richtigerweise neben der abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte auch auf die staatliche Schutzpflicht rekurriert. Zur Begründung der Schutzpflichtenfunktion anhand des Verfassungswortlauts bereits oben: S. 242 ff. 563 Vgl. Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 89; Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltgarantie, 2005, S. 57. Teils wird daher von primärer und sekundärer Schutzpflicht gesprochen; jeweils bezogen auf Verhinderung des privatrechtlichen Übergriffs mittels Gesetz und dessen praktischer Durchsetzung durch die Verwaltung. Vgl. hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 266 f. Weiterführend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 245 ff. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen aus dem Vorbehalt des Gesetzes. Vgl. hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 281 f. Hierzu auch: Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 91; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 229. Auch im ersten Abtreibungsurteil nahm das BVerfG v. a. den Gesetzgeber in die Pflicht. Vgl. BVerfGE 39, 1 (44) („Wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des sich entwickelnden Lebens erfüllt, ist in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden“). 564 So etwa: BVerfGE 88, 203 (254 f.) („Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muß die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen.“). Siehe ferner: BVerfGE 77, 170 (215); 115, 118 (159 f.); BVerfGK 10, 208 (211). 565 Vgl. BVerfGE 77, 170 (214 f.). 561

268 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

währleistung ist damit jedenfalls hinsichtlich seines Ergebnisses festgelegt: Die Handlungen des Staates müssen nach dem Untermaßverbot mindestens einen im Ergebnis nicht völlig ungeeigneten und unzulänglichen Schutz darstellen. Wie und womit dieser Schutz im Einzelfall erreicht wird und ob über das Mindestmaß des Untermaßverbotes hinausgegangen wird – solange nicht das Übermaßverbot unterschritten wird – ist aber damit nicht gesagt und unterliegt demgegenüber der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers.566 Dieser mit dem Untermaßverbot festgelegte Mindeststandard für die Schutzpflichterfüllung ist nicht unumstritten und war wederholt Gegenstand von Kritik.567. Der erläuterte Maßstab hat sich ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber durchgesetzt.568 Zu einem allzu geringen Minimalstandard bei der Schutzpflichtenerfüllung, wie es die Formulierungen des Bundesverfassungsgerichts vermuten lassen, führt das Untermaßverbot nicht. Schließlich stellt das Bundesverfassungsgericht nähere Kriterien auf, die zum einen das im Einzelfall nach dem Untermaßverbot gebotene Mindestmaß qualitativ festlegen und zum anderen auch das Ermessen hinsichtlich der Gestaltung der Mittel verengen können. Genannt werden hierbei etwa das Ausmaß der Grundrechtsbeeinträchtigung oder -gefährdung und die damit verbundene Wertigkeit des betroffenen Grundrechts,569 die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts570 sowie letztlich auch entgegenstehende Rechtsgüter, insbesondere die Grundrechte Dritter.571

566 Vgl. BVerfGE 49, 89 (131). Siehe auch: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 293 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 269 ff. 567 Vorgetragen wurde neben der allgemeineren Kritik an dessen Konturlosigkeit so etwa, dass das Untermaßverbot nichts beinhalte, was sich bei einem drittschützenden Eingriff in Grundrechte nicht bereits aus dem Übermaßverbot ergebe. Das Mindestmaß an gebotenem Schutz ergebe sich nach dieser Lesart des Grundrechtsdreiecks aus dem, was nach dem Übermaßverbot höchstens als zulässige Grundrechtsbegrenzung zu akzeptieren sei. So die Ansicht von: Hain, DVBl. 1993, 982 (983). Darüber hinaus wurde auch dafür plädiert, das Verhältnismäßigkeitsprinzip statt des Untermaßverbotes als Maßstab auf der Rechtsfolgenseite der Schutzpflicht zu etablieren. So etwa umfangreich: Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, 2009, S. 204 ff. Siehe hierzu auch: Mayer, Untermaß, Übermaß und Wesensgehaltgarantie, 2005, S. 154 ff.; sowie in der Anwendung bei: v. Wickede, Sonderkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2009, S. 254 ff. 568 Dem Grunde nach dem Untermaßverbot zustimmend, wenngleich z. T. mit Präzisierungen und Abwandlungen: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 127; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 300 ff.; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 96; Kingreen/Poscher, Grundrechte, 2022, Rn. 137; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 297 ff.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 218 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 87. 569 Vgl. BVerfGE 46, 160 (164). 570 Vgl. BVerfGE 49, 89 (142); 53, 30 (57). 571 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Die beiden erstgenannten Kriterien, die Schwere der Grundrechtsgefährdung und die Wahrscheinlichkeit eines Schadens, wird man richtigerweise bereits bei der Betrachtung der Schutzpflichtaktivierung anbringen müssen.572 Insbesondere aber über den letztgenannten Punkt – die Grundrechte Dritter – hält im Ergebnis eine Proportionalitätsbetrachtung zur Festlegung des aufgrund der Schutzpflicht gebotenen staatlichen Handelns Einzug in die Rechtsfolgenbetrachtung.573 Was im Einzelfall aus dem Untermaßverbot folgt, ist also maßgeblich auch unter Berücksichtigung des dem Grundrechtsdreieck zugrundeliegenden Konflikts aus dem Gegenüber von Abwehr- und Schutzfunktion zu ergründen. Die in Konflikt geratenen Grundrechtspositionen müssen also einander zugeordnet, gewichtet und abgewogen werden, um das Maß des im Rahmen der Schutzpflicht Gebotenen zu ermitteln. Bei dieser Ermittlung ist explizit keine praktische Konkordanz herzustellen. Die Grundrechtspositionen müssen also nicht derartig einander zugeordnet werden, dass sowohl die abwehrrechtliche als auch die schutzrechtliche Funktion zu maximaler Wirkung gelangen. Schließlich schuldet der Staat bei der Erfüllung der ihn treffenden Schutzpflichten kein Optimum an Schutz, sondern lediglich einen im Ergebnis hinreichenden Mindestschutz.574 Aus den Schutzpflichten folgt daher kein Optimierungsgebot, sehr wohl aber eine Erfolgs- und nicht nur Bemühenspflicht in Bezug auf das gebotene Mindestmaß an Schutz.575 Die Untergrenze dessen, was der Staat in Ansehung der Schutzpflicht tun muss ist aber dem Bundesverfassungsgericht zufolge auch mit Blick auf die entgegenstehenden Grundrechte des eingreifenden Privaten zu ermitteln. Liegt dieser Mindeststandard fest, darf der Staat sehr wohl praktische Konkordanz anstreben – er muss dies aber nicht.576 Zwischen dem auf 572

Dort im Besonderen im Rahmen der Gefahrenschwelle: S. 250 ff. So statuierte das Bundesverfassungsgericht etwa, dass im Rahmen des Untermaßverbotes ein „unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter (…) angemessener Schutz“ (BVerfGE 88, 203 [254]). 574 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 269; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 262. 575 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 299. Wenn dennoch von einem Optimierungsgebot gesprochen wird, so bezieht sich dies auf die Wahl des effektivsten Mittels und nicht auf das zu erreichende Ergebnis. Vgl. hierzu jeweils: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 269; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 262; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996, S. 88. Siehe auch bereits: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 75 ff. 576 So bereits treffend: Jarass, AöR 1985, 362 (384). Hieraus darf aber nicht abgeleitet werden, dass aus der aktivierten Schutzpflicht ein geringeres Maß an verfassungsrechtlichem Schutz folgt, als dies bei sonstigen kollidierenden Verfassungsgütern der Fall wäre. Zwar ist in letzterem Fall praktische Konkordanz – also jeweils die maximal mögliche Verwirklichung der sich gegenüber stehenden Verfassungsgüter – herzustellen. Da jedoch anderweitige Güter von Verfassungsrang – wie etwa sozialstaatliche Handlungsaufträge – kein definierbares Mindestmaß an Schutzhandlungen verlangen, wird die aufgrund praktischer Konkordanz herzustellende, jeweils maximal mögliche Wirksamkeit der dortigen Güter zu einem i. E. deutlich niedrigeren Schutz führen, als dies bei einer Schutzpflicht der Fall wäre. Schließlich steht in diesen Szenarien regelmäßig das strengere Übermaßverbot des betroffenen Abwehr573

270 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Seiten der Schutzpflicht anhand der genannten Kriterien festgelegten Untermaß und dem andererseits im Rahmen der gleichsam wirkenden Abwehrfunktion geltenden Übermaßverbot als der Obergrenze des Schutzes durch Eingriff tut sich schließlich ein Einschätzungsspielraum für den regulierenden Gesetzgeber auf. Wie breit dieser Einschätzungsspielraum ist, hängt auf der einen Seite von dem anhand der Kriterien des Einzelfalls zu bestimmenden Untermaß ab. Auf der anderen Seite grenzt das in Bezug auf den Privaten, in dessen Grundrechte zum Schutz eingegriffen werden soll, zu beachtende Übermaßverbot den Einschätzungsspielraum ab. Je nach Ausgangslage kann sich – wie das Bundesverfassungsgericht zum Teil generalisierend betont577 – ein vergleichsweise breiter Gestaltungsspielraum ergeben. Demgegenüber können aber im Einzelfall auch Übermaß- und Untermaßverbot zusammenfallen und sich der Spielraum demgemäß gar auf nur eine einzige Handlungsalternative (und ein einziges zulässiges Mittel) reduzieren.578 Im Übrigen aber fallen Unter- und Übermaß nicht zusammen, sodass im Regelfall ein Einschätzungsspielraum besteht.579 In der Ausübung des diesbezüglichen Ermessens ist der Gesetzgeber indes nicht völlig frei. Ermessenslenkend sind richtigerweise die grundrechtlichen Maximen des Ausgangskonflikts. Einerseits wird der staatliche Akt also das Ziel verfolgen müssen, die Schutzpflicht durch eine angemessene Wahl der Mittel effektiv zu erfüllen und andererseits das Abwehrrecht zu wahren, den grundrechtlichen Konflikt also zum Ausgleich zu bringen.580 rechts gegenüber, das regelmäßig ein höheres verfassungsrechtliches Gewicht „auf die Waagschale legt“. Die praktische Konkordanz erfordert in diesem Fall lediglich, dass das diesem Abwehrrecht gegenüberstehende verfassungsrechtliche Gebot nicht völlig leerlaufen darf. Hierüber geht der aufgrund einer Schutzpflichtenaktivierung gebotene Mindestschutz deutlich hinaus. 577 Vgl. BVerfGE 77, 170 (214 f.); 88, 203 (254); 115, 118 (159 f.). 578 Vgl. BVerfGE 39, 1 (52 ff.); 77, 170 (215). Siehe ferner: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 295. Letzteres wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn in Erfüllung einer Schutzpflicht in ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht eingegriffen wird. Hier darf staatlicherseits nicht über das aufgrund des Untermaßverbotes minimal Gebotene hinausgegangen werden, da ansonsten der Geltungsanspruch des vorbehaltlos gewährten Grundrechts verletzt würde. Hierzu weiterführend: Lenz, Vorbehaltlose Freiheitsrechte, 2006, S. 291 ff. 579 Abzulehnen ist daher insbesondere die sog. Kongruenzthese (Hain, DVBl. 1993, 982 [983]), nach der auf das Untermaßverbot verzichtet werden könne, da das in Ansehung der Schutzpflicht staatlich Gebotene gleichzusetzen sei mit dem, was aufgrund des Übermaßverbotes maximal zulässig sei. Vgl. hierzu tiefergehend: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 304; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2000, S. 94 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 299; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 216 f. 580 Siehe hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 303, der daneben noch weitere Verfassungsdirektiven nennt. Zu letzterem: ders., in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 301. Siehe auch: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 278 ff. Daneben spielt etwa auch die Möglichkeit des Eigenschutzes durch den Grundrechtsträger selbst eine Rolle. Zu diesem sog. Subsidiaritätsprinzip: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 246;

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Nichts anderes als das hier Festgestellte statuiert auch das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die Schutzpflichtenerfüllung im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung in der bereits oben genannten Entscheidung.581 Das Bundesverfassungsgericht sieht hier, „da beide Arbeitsvertragsparteien unter dem Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG stehen“, den Gesetzgeber in der Pflicht, „die kollidierenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden“. Diese Wendung ist aber nicht als Verpflichtung auf die Herstellung praktischer Konkordanz zu verstehen. Das Gericht sieht die Herstellung möglichst großer Wirksamkeit der Grundrechtspositionen auch hier erkennbar nur als ermessensleitende Direktive, wenn es im Folgenden davon spricht, dass dem Gesetzgeber bei diesem Interessenausgleich „ein weiter Gestaltungsfreiraum eingeräumt“ wird und eine „Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten (…) nur angenommen werden (kann), wenn eine Grundrechtsposition den Interessen des anderen Vertragspartners in einer Weise untergeordnet wird, dass in Anbetracht der Bedeutung und Tragweite des betroffenen Grundrechts von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann“. Damit wird – wie gewohnt – das Untermaßverbot als Maßstab der Schutzpflichtenerfüllung bemüht. Mit diesem objektiven staatlichen Handlungsauftrag korrespondiert ein subjektiver Anspruch auf Schutz vor dem privaten Grundrechtsübergriff.582 Dieser Umstand ist im Ergebnis unumstritten583 und nur in der dogmatischen Begründung Gegenstand von Diskussionen.584 Auf das objektiv aufgrund des Untermaßverbotes gebotene

Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 271; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 278. 581 Vgl. BVerfGK 4, 356 (364). 582 Vertiefend hierzu: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 133 ff.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 231 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 234 ff. 583 Vgl. BVerfGE 48, 127 (161); 69, 1 (22); 77, 170 (214 f.). Aus der Literatur statt vieler: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 231, mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 835. 584 Insbesondere die Begründung der grundrechtlichen Schutzpflichtenfunktion spiegelt sich bei der Frage nach dem subjektiven Gehalt derselben wider. Wer die Schutzpflichtenfunktion etwa aus einer objektiven Werteordnung der Grundrechte herleiten will, muss die dogmatische Untiefe überwinden, aus den grundsätzlich subjektiv wirkenden Grundrechten zunächst eine objektive Rechtswirkung zu entwickeln, um dann wieder den Weg zurück zur Subjektivierung antreten zu müssen. Vgl. hierzu weiterführend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 235; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 237 ff. Derartige Probleme ergeben sich indes dann nicht, wenn man die Schutzpflichten unmittelbar aus dem Verfassungswortlaut herleitet. So überzeugend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 235; vgl. ferner: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 322 („Die Anerkennung des subjektiven Rechts entspricht dem individualistischen Charakter der Grundrechte des Grundgesetzes“).

272 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Maß an Schutz besteht somit unzweifelhaft ein unmittelbarer grundrechtlicher Anspruch des Schutzbedürftigen.585 c) Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung? Nach alledem ist im Folgenden zu ergründen, inwieweit die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte – namentlich in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG – zugunsten der Leih- oder auch der Stammarbeitnehmer in Stellung zu bringen ist. Das Bundesverfassungsgericht nimmt (wie gesehen) einen Schutz der Leiharbeitnehmer über die Schutzpflichtenfunktion von Art. 12 Abs. 1 GG mit globaler Wirkung für den zugrundeliegenden Interessenkonflikt an,586 wodurch dieser in Gänze zu einem Grundrechtskonflikt im Sinne des Grundrechtsdreiecks avanciert. Damit bewegt sich das Gericht im Rahmen der herausgearbeiteten Rechtsprechungslinie um den Topos der strukturellen Unterlegenheit sozial-wirtschaftlich schwächerer Privater (vgl. S. 253 ff.) und der hieraus hergeleiteten Aktivierung grundrechtlicher Schutzpflichten. Die hierbei vorgenommene breite Annahme einer Schutzpflichtenaktivierung zugunsten der Leiharbeitnehmerschaft findet zum Teil im Schrifttum eine unreflektierte Entsprechung, wenn etwa festgestellt wird, dass die Leiharbeitnehmer „eine ,besonders strukturierte Arbeitnehmergruppe‘ darstellen, die sich in das differenzierte System unselbstständiger Berufe im Sinne von Art. 12 Abs. 1 mit prinzipiellen verfassungsrechtlichem Schutzanspruch einfügt“.587 Ebenso wird ausge585 Dieser Schutzanspruch lässt sich den grundrechtlichen Leistungsrechten zuordnen, sofern man diese als all jene grundrechtlichen Rechte begreift, die dem Einzelnen einen Anspruch auf ein positives staatliches Tun verleihen. So zutreffend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 257, unter Verweis auf: Alexy, Theorie der Grundrechte, 1985, S. 402. 586 Siehe erneut: BVerfGK 4, 356 (364). 587 Vgl. etwa zu einem (vermeintlichen) prinzipiellen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch der Leiharbeitnehmer aus der grundgesetzlichen Kommentarliteratur: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 298. Ähnlich auch Wieland, der meint, der Staat komme seiner Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch durch Regelungen zur Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer nach (Wieland, in: Dreier, GG, 2018, Art. 12 Rn. 153). Pant hingegen erkennt in Ansehung von BVerfGK 4, 356 (364 f.) die Schutzpflichtenaktivierung in Bezug auf die Interessen der Leiharbeitnehmer an, beschränkt sich aber darauf, die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu betonen und aus einem möglichen Verfassungskonflikt daher keinerlei nennenswerte Implikationen für die Ausgestaltung des einfachen Rechts herleiten zu wollen (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 189 ff., 201). Kottlors hingegen erkennt zwar ebenfalls angesichts der strukturellen Unterlegenheit der Leih- und Stammarbeitnehmer im Lichte der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eine Schutzpflichtenaktivierung an, legt ausgehend von dieser Erkenntnis aber keine dem Untermaßverbot genügenden Mindestschutz fest, sondern begnügt sich mit einer Betrachtung im Wege praktischer Konkordanz (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 137 f.). In ähnlicher Weise verfährt Petras, der aufgrund struktureller

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

273

hend von dem Topos der strukturellen Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer auf eine Aktivierung objektiv-rechtlicher Gewährleistungen der Berufsfreiheit geschlossen, wobei aber die – zu trennenden – Anwendungsfelder der Schutzpflichtendogmatik und der Gewährleistung realer Grundrechtsvoraussetzungen ohne eine nähere Prüfung vermengt werden.588 Für solche Gemeinplätze kann indes angesichts der herausgearbeiteten verfassungsdogmatischen Struktur der grundrechtlichen Schutzpflicht kein Raum bestehen. Im Gegenteil: Begreift man die – im Übrigen noch festzustellende – strukturelle Unterlegenheit der wirtschaftlich-sozial schwächeren Leiharbeitnehmer gegenüber einem zu konkretisierenden wirtschaftlich-sozial stärkeren Privaten nicht bereits per se als schutzpflichtenrelevante Konstellation, sondern – wie hier – nur als Indiz für einen konkret zu befürchtenden oder eingetretenen Grundrechtsübergriff, so verlieren derartig verallgemeinernde Annahmen von Schutzpflichtimplikationen ihre Wertigkeit zur Beurteilung der verfassungsrechtlichen Determinanten des hier zugrundeliegenden Interessenkonfliktes. Vielmehr ist differenziert festzustellen, an welchen Stellen des privatrechtlich überformten Beziehungsgeflechts zwischen den sich gegenüberstehenden Privaten der wirtschaftlich-soziale Konflikt zum grundUnterlegenheit eine Schutzpflicht in Bezug auf vertragliche Fremdbestimmungen aktiviert sieht, diese aber weder herausarbeitet noch vom sozialstaatlichen Handlungsauftrag abgrenzt (vgl. Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 97 ff.). So auch Kolfhaus, der in globaler Weise von einer strukturellen Unterlegenheit auf aktivierte Schutzpflichten schließt (vgl. Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 361, 426). Verfassungsdogmatisch ungenau ist auch Berenbrinker, die der Berufsfreiheit der Arbeitgeberseite zunächst den Leiharbeitnehmerschutz gegenüberstellt, ohne diesen verfassungsrechtlich näher einzuordnen, später aber diesbezüglich offenbar vom Untermaßverbot ausgeht (vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 113 f., 119 f.). Gleiches gilt für Kruppa, die im Rahmen der Festhaltenserklärung eine Schutzpflicht annimmt, wo einzig die Abwehrrechtsfunktion einschlägig ist (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 261). Röpke hingegen will gar in der Tatsache, dass die Leiharbeitnehmerinteressen in den Gewerkschaften unterrepräsentiert sind, eine Aktivierung der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten der Leiharbeitnehmer (ohne nähere Prüfung) annehmen (vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 163 ff.). Präziser sind hingegen Kämmerer und Thüsing, die zwar die Schutzpflichtenaktivierung zugunsten der Leiharbeitnehmer aufgrund des vom Bundesverfassungsgericht vertretenen Topos des strukturellen Ungleichgewichts für wahrscheinlich halten, im Einzelfall des dort besprochenen Gleichbehandlungsgrundsatzes a. F. aber einen Nachweis der Fremdbestimmung durch die mächtigere Arbeitgeberseite zulasten der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer fordern (vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 70 ff.). 588 So insbesondere bei Li und Stepien, die unter Verweis auf die Ausführungen Pieroths zur Arbeitnehmerüberlassung (Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 52), wo der Berufsfreiheit in objektiv-rechtlicher Hinsicht noch die Gewährleistung „realer Vorbedingungen der Freiheit“ entnommen wurde, einen Schutzauftrag hinsichtlich der Voraussetzungen der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer annehmen (vgl. Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 74 f.; Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 241 f.). Ähnlich auch: Löwisch, ZfA 1996, 293 (295); Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 159.

274 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

rechtlichen Konflikt wird, indem der mächtigere Private kraft seiner überlegenen Stellung in konkrete grundrechtlich geschützte Positionen der Leiharbeitnehmer in hinreichend feststellbarem Maße eingreift oder einzugreifen droht. Dies soll im Folgenden geschehen. aa) Tatbestand Zunächst ist eine Beurteilung der tatbestandlichen Seite einer Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG in Bezug auf die Interessen der Leih- und ggf. der Stammarbeitnehmer vonnöten. (1) Schutzgut: Erfassung der Arbeitnehmerinteressen durch den persönlich-sachlichen Gewährleistungsbereich von Art. 12 Abs. 1 GG Zuerst ist daher der Frage nachzugehen, inwiefern sich die oben erläuterten Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer in von Art. 12 Abs. 1 GG erfasste grundrechtliche Schutzgüter „übersetzen“ lassen. (a) Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer Hierfür seien zunächst die oben festgestellten rechtstatsächlichen Charakteristika der Arbeitnehmerüberlassung und die sich daraus ergebenden Interessen der Leihund Stammarbeitnehmer in Erinnerung gerufen.589 Für die Leiharbeitnehmer stellt sich die Arbeitnehmerüberlassung angesichts des oben Festgestellten – im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis – hinsichtlich zahlreicher Interessenpunkte als tendenziell nachteilig dar. Für den Großteil der Leiharbeitnehmerschaft ist die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung nur eine gegenüber der Arbeitslosigkeit attraktivere Alternative (vgl. S. 98 f.), mit der die Hoffnung verbunden ist, dass sie den Verlauf der weiteren Erwerbsbiografie im Sinne der oben erläuterten Integrationseffekte (vgl. S. 90 ff.) positiv beeinflusst. Tatsächlich ist jedoch das Ausmaß dieser Phänomene gering und höchstens im niedrigen zweistelligen Prozentbereich (ca. 15 %)590 anzusiedeln. Wahrscheinlicher als ein Einstieg in Normalarbeitsverhältnisse ist eine Leiharbeitskarriere. Auch die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung selbst ist für die Leiharbeitnehmer mit Nachteilen verbunden. So sind sie weitestgehend von formaler Kompetenzentwicklung exkludiert (vgl. S. 102 ff.). Darüber hinaus sind Leiharbeitsverhältnisse tendenziell instabiler und Leiharbeitnehmer laufen eher Gefahr, arbeitgeberseitig gekündigt zu werden (vgl. S. 100 ff.). Zudem kommt es oftmals weder im Verleihnoch im Entleihbetrieb zu einem sozialen Zusammenhalt innerhalb der Belegschaft 589

Hierzu zusammenfassend oben: S. 131 ff. Ausführlicher zu den Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer: S. 88 ff. 590 Hierzu noch einmal zusammenfassend die Metaanalyse bei Krekeler, Klebeeffekt der Leiharbeit?! – Zu Theorie und Empirie des betrieblichen Übernahmeverhaltens, 2016, S. 64.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

275

(vgl. S. 106 ff.). Vielmehr stellen Leiharbeitnehmer im Entleihunternehmen eher eine exkludierte Randbelegschaft dar. Ferner weisen Leiharbeitnehmer in der Tendenz eine geringere Identifikation mit ihren Verleih- und Entleihbetrieb auf und sind hinsichtlich Arbeitszufriedenheit, Wohlbefinden und Stresserleben gefährdeter als es bei Stammarbeitnehmern der Fall wäre (vgl. S. 109 ff.). Nicht zuletzt sind sie auch finanziell erheblich schlechter gestellt (vgl. S. 112 ff.). Aus Sicht der Stammarbeitnehmer ist es vor allem die befürchtete Substitution durch Leiharbeitnehmer, die es zu verhindern gilt (vgl. S. 117 ff.). Dies gilt in erster Linie für die aktive Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung durch Entleihunternehmen, die darauf abzielt, Stammbelegschaften und die dazugehörigen Arbeitsplätze zum Teil durch eine flexibel handhabbare Leiharbeitnehmerbelegschaft zu ersetzen, wodurch die Stammarbeitnehmer in ständiger Konkurrenz zu Leiharbeitnehmern stehen. (b) Übersetzung der Interessen in schutzpflichtenrelevante Schutzgüter Sodann stellt sich die Frage, inwiefern sich diese Interessen unter das im Rahmen der Schutzpflicht erfasste grundrechtliche Schutzgut der Berufsfreiheit subsumieren lassen. Der Umstand, dass Leiharbeitnehmer finanziell schlechter gestellt sind sowie dass sie weniger häufig Adressaten von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sind und sich in Vertragskonstellationen befinden, die ihnen ein gehöriges Maß an Flexibilität abverlangen, lässt sich grundsätzlich unter die im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertragsautonomie im Berufskontext (vgl. S. 229 ff.) fassen, da all diese Aspekte zunächst naturgemäß Sache der arbeitsvertraglichen Gestaltung sind. Im Hinblick auf die Schutzpflichtenaktivierung kann ausgehend von diesem Schutzgut eine Überschreitung der Gefahrenschwelle durch die Verleihunternehmen geprüft werden – dies unter der noch zu überprüfenden Hypothese, dass die Arbeitgeberseite die beschriebene Lage ausnutzt, in der sich viele Leiharbeitnehmer befinden und ihre wirtschaftlich-sozial überlegene Position zur einseitigen Bestimmung nachteiliger Vertragskonstellationen in Stellung bringt. Im Ergebnis könnten den Leiharbeitnehmern nachteilige Vertragskonstellationen qua grundrechtlichem Übergriff fremdbestimmt diktiert werden, sodass die Leiharbeitnehmer finanziell schlechter gestellt werden, weniger Weiterbildungsangebote auf Kosten der Verleihunternehmen erhalten, und die ihnen abgeforderte Flexibilität nicht durch vertragliche Bestimmungen eingehegt wird. Zwar ist hinsichtlich einer finanziellen Benachteiligung der Leiharbeitnehmer zu beachten, dass vom Gleichbehandlungsgebot aus § 8 Abs. 1 AÜG auch in Bezug auf die Entgeltgleichheit nur tarifvertraglich abgewichen werden kann (§ 8 Abs. 2 – 4 AÜG), was vor allem für die Bedeutung der Koalitionsfreiheit im Kontext der bspw. finanziellen Benachteiligung der Leiharbeitnehmer spricht. Angesichts des nur geringen Organisationsgrades der Leiharbeitnehmerschaft werden tarifvertragliche Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch ungleich häufiger über eine individualvertragliche Bezug-

276 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

nahme auf den Tarifvertrag realisiert (§ 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG),591 sodass die hiesige Überlegung hinsichtlich eines möglichen Grundrechtsübergriffs zulasten der Leiharbeitnehmer in Bezug auf deren finanzielle Schlechterstellung Bedeutung behält. Schwieriger zu beurteilen ist die Erfassung der leiharbeitnehmerseitigen Interessen durch das grundrechtliche Schutzgut der Berufsfreiheit in Bezug auf die oftmals enttäuschten Integrationseffekte. Fasst man den Wechsel vom Leiharbeitsverhältnis beim Verleihunternehmen in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen oder einem Drittunternehmen als Wechsel des grundrechtlich geschützten Berufes selbst auf, so ließe sich die damit einhergehende Integration in ein Normalarbeitsverhältnis als Ausdruck der Berufswahlfreiheit eines Leiharbeitnehmers begreifen. Hiergegen spricht jedoch, dass sich die tatsächlich ausgeübte berufliche Tätigkeit mit einem derartigen Übergang in der Regel nicht ändert. Nur die rechtlichen Konditionen der Ausübung dieser Tätigkeiten und insbesondere die Person des Arbeitgebers ändern sich. So wird etwa ein an ein metallverarbeitendes Unternehmen entliehener Metallbauer beim Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen regelmäßig die selben Tätigkeiten ausüben wie vor diesem Übergang. Allenfalls der Arbeitsplatz wird hierbei gewechselt, sodass viel dafür spricht, den entsprechenden Übergang als Ausdruck der ebenfalls durch Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Arbeitsplatzwahlfreiheit zu begreifen. Diese ist der Wahl eines Berufes nachgeordnet und umfasst die Wahl derjenigen Arbeitsstelle, auf der ein gewählter Beruf ausgeübt wird; ferner erfasst sie auch die Wahl des Vertragspartners.592 Eben dies entspricht dem bei einem entsprechenden Wechsel des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis vorgefundenen Prozess: Der gewählte Beruf wird regelmäßig beibehalten, der Arbeitsplatz – und hiermit verbunden die Person des Arbeitsgebers – wird jedoch gewechselt.593 591 Die Dimensionen der individualvertraglichen Bezugnahme werden erst dadurch deutlich, dass nur ca. 2 % der Leiharbeitnehmer überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 13; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 363), zugleich aber eine Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes i. E. der unumstrittene Regelfall ist. Hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 189; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 8 AÜG Rn. 26 („Normalfall“). Weiterführend zur Ausgestaltung dieser Bezugnahmen im Individualvertrag: Schindele/Söhl, NZA 2014, 1049 ff. 592 Vgl. BVerfGE 84, 133 (146); Manssen, in: Huber/Voßkuhle, GG, 2023, Art. 12 Rn. 61; Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 44; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 440. 593 Eine Klassifizierung der Leiharbeitstätigkeit selbst als Beruf i. S. d. Berufswahlfreiheit ist nur dort sinnhaft, wo Arbeitnehmer die Arbeitnehmerüberlassung gerade aufgrund ihrer Spezifikationen als präferierte Branche auswählen, um dort bestimmte berufliche Tätigkeiten auszuüben (vgl. hierzu S. 229 ff.). Zwar lässt sich – diese Erkenntnis voraussetzend und gewissermaßen spiegelbildlich umkehrend – auch vertreten, dass ein Leiharbeitnehmer, der gerade den Integrationseffekt in ein vormaliges Entleihunternehmen anstrebt, seine Berufswahlfreiheit in Richtung eines Stammarbeitsverhältnisses aufgrund der dortigen Spezifika

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Zur einmal ausgeübten Arbeitsplatzwahlfreiheit gehört aber auch das Recht, einen einmal gewählten Arbeitsplatz beizubehalten.594 Eine Schutzpflichtenaktivierung ist daher auch in Bezug auf den Umstand denkbar, dass Leiharbeitnehmer häufig arbeitgeberseitig gekündigt werden. Nicht ohne weiteres den Schutzgütern der Berufsfreiheit zuzuordnen sind demgegenüber die übrigen mit der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung für die Leiharbeitnehmer einhergehenden Risiken. Faktoren wie die zu beobachtende geringere Bindung zu Verleih- und Entleihbetrieb und die damit einhergehende geringere Identifikation mit der Arbeit, geringere Arbeitszufriedenheit und geringeres (körperliches) Wohlbefinden und höheres Stresserleben der Leiharbeitnehmer stehen unzweifelhaft in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung. Unter die freiheitlichen Garantien der Berufswahl-, Berufsausübungs- und der Arbeitsplatzwahlfreiheit lassen sie sich aber nicht subsumieren. Gleichwohl muss auch gesehen werden, dass der offenkundige Zusammenhang des Berufes mit der Selbstverwirklichung des Arbeitnehmers, seiner Stellung in der Gesellschaft und seiner Identitätsbildung bei der Betrachtung der Gewährleistungen der Berufsfreiheit stets mitzudenken ist.595 Damit steht die Berufsfreiheit in einem engen Zusammenhang zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht.596 Nichts anderes muss in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung gelten. Die aufgrund der Spezifika der Leiharbeitstätigkeit typischerweise mangelnde Bindung und Identifikation mit Betrieb und Arbeit schlägt in belastender Weise auf die durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Leiharbeitnehmer geschützte Selbstverwirklichung durch. Erkennt man diesen Zusammenhang des Berufes mit weiteren grundrechtlichen Gewährleistungen an, stellt sich die Frage, warum nicht auch andere grundrechtlich geschützte Positionen in Wirkzusammenhang mit der Berufsfreiheit gesetzt werden können. Gerade am Beispiel der Leiharbeitstätigkeit offenbart sich dieses Bedürfnis. So ist der Zusammenhang dieser aufgrund der hohen Flexibilitätsanforderungen in der Tendenz belastenden Tätigkeit597 mit dem körperlich-geistigen Wohlbefinden und der Ausgestaltung familiärer und freundschaftlicher Beziehungen der Tätigkeit nicht zu übersehen (hierzu S. 109 ff.). Viel spricht daher dafür, bei der Prüfung der grundrechtlichen Gewährleistungen der Berufsfreiheit nicht nur deren Bedeutung für ausübt. Die Grenzen zur Arbeitsplatzwahlfreiheit dürften hier daher fließend sein. Eine trennscharfe Abgrenzung ist indes schon deswegen nicht zwingend erforderlich, weil eine etwaige grundrechtliche Schutzpflicht hier wie dort zu wirken vermag. 594 Vgl. BVerfGE 84, 133 (Ls. 1). Weiterführend: v. Wickede, Sonderkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2009, S. 275 f. 595 Siehe etwa: BVerfGE 59, 302 (315); 100, 271 (284). 596 Diese Verbindung reicht indes nicht so weit, als dass etwa der Verlust eines Arbeitsplatzes die (sich im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht niederschlagende) Menschenwürde verletzt. Vgl. etwa: BVerfGE 84, 133 (158). 597 Sog. „high strain job“. Detaillierter hierzu: Lemanski, Zeitarbeit und Gesundheit, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 181 (191); Moser/Galais/Sende, Zeitarbeit aus Mitarbeitersicht, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 67 (77).

278 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

die durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte Selbstverwirklichung, sondern auch für die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte körperliche Unversehrtheit und den durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützten Bereich der Familie mitzudenken. Dies geht freilich nicht über eine gehaltvolle Aufladung der Berufsfreiheit – der in Folge dessen bei Abwägungsprozessen ggf. noch höheres Gewicht zukommt – hinaus. Die Schutzgüter dieser Grundrechte sind in Bezug auf die Leiharbeitnehmer ggf. berührt, eine Schutzpflichtenaktivierung angesichts zu befürchtender Übergriffe seitens der Verleih- und Entleihunternehmen ist hier jedoch nicht zu erkennen.598 Die genannten Querverbindungen und Ausstrahlungen der Berufsfreiheit auf die genannten grundrechtlichen Schutzgüter sind jedoch mitzudenken. Hinsichtlich der Stammarbeitnehmer ergibt sich, dass die ihrerseits befürchteten Substitutionseffekte allenfalls unter den Schutz der Arbeitsplatzwahlfreiheit gefasst werden können. Diese schließt auch den Wettbewerb um Arbeitsplätze ein.599 Wenn also ein Entleihunternehmen vormalige Stammarbeitsplätze vermehrt mit Leiharbeitnehmern besetzt, ist grundsätzlich die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Stammarbeitnehmer betroffen. Gleiches gilt, wenn ein Entleihunternehmen Stammarbeitskräfte zugunsten von Leiharbeitnehmern kündigt. (2) Gefahrenquelle: Verleih- und Entleihunternehmen als Eingriffsakteur Als Gefahrenquelle innerhalb des der Schutzpflichtenfunktion zugrunde liegenden Grundrechtsdreiecks können im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung nur die Verleih- und Entleihunternehmen in Betracht kommen. Diese sind – so die Voraussetzung der Schutzpflicht (vgl. S. 247 ff.) – private Akteure. Hinter den etwaigen Grundrechtsübergriffen dieser privaten Grundrechtsberechtigten steht auch nicht der Staat. Konstellationen wie die oben beschriebenen, in denen etwa staatliche Verbote, die grundrechtsbeeinträchtigendes Privathandeln verhindern, wieder zurückgenommen werden und Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Private – für die dann ggf. der Staat selbst zur Verantwortung gezogen werden kann – in der Folge (wieder) stattfinden, sind im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Die letzten Novellierungen des AÜG verschärften die Regularien etwa mit der Einführung der Überlassungshöchstdauer und der zeitlich gestaffelten Verpflichtung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (siehe überblicksartig ab S. 47). Die 598

Nur weil eine etwaige Beeinträchtigung der Berufsfreiheit durch privaten Übergriff zu besorgen ist und dies auf anderweitige grundrechtlich geschützte Bereiche wie das Allgemeine Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit ausstrahlt, kommt noch keine Schutzpflichtaktivierung hinsichtlich dieser Bereiche in Betracht. Derartige Ausstrahlungen sind dem privaten Gefahrverursacher nicht ohne weiteres zuzurechnen. Zudem würde die Schutzpflicht des Staates im beruflich-wirtschaftlichen Kontext gänzlich uferlos, wenn auch vor solchen mittelbaren Beeinträchtigungen zu schützen wäre. Ebenfalls i. E. keine Aktivierung einer grundrechtlichen Schutzpflicht zugunsten der Leiharbeitnehmer in Bezug Art. 2 Abs. 2 GG erkennend: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 161. 599 Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 439.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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erläuterte Abgrenzung muss allerdings gerade bezüglich etwaiger zukünftiger Rücknahmen dieser Verschärfungen im Blick behalten werden. Würden etwa staatlicherseits leiharbeitnehmerschützende Vorschriften zurückgenommen werden und daher drittbeeinträchtigendes Privatverhalten erst möglich, müsste überprüft werden, ob dieses staatlicherseits „sehenden Auges“ veranlasst wurde und daher gerade nicht die autonome private Entscheidung des Grundrechtsbeeinträchtigenden, sondern die staatliche Deregulierung das Gesamtgeschehen prägt. Derartige Szenarien sind jedoch aktuell nicht ersichtlich, sodass das aktuelle Geschehen in der Arbeitnehmerüberlassung die Identifikation der privaten Entleih- und Verleihunternehmen als mögliche Gefahrenquellen nahelegt. (3) Gefahrenschwelle: Grundrechtsübergriff durch Verleihund Entleihunternehmen Von diesen privaten Akteuren muss dann aber auch ein Handeln ausgehen, das die berufsbezogene Vertragsautonomie und die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leih- und Stammarbeitnehmer (hierzu jeweils S. 275 ff.) mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu beeinträchtigen droht oder bereits tatsächlich beeinträchtigt. Anzuwenden ist hierbei zunächst grundsätzlich der Gefahrenmaßstab der konkreten Gefahr (vgl. oben S. 250 ff.). Es müssen also konkrete Anhaltspunkte ersichtlich sein, die eine Grundrechtsbeeinträchtigung nahelegen. Innerhalb des zugrundliegenden Interessenkonflikts zwischen Verleih- und Entleihunternehmen auf der einen Seite und der Leih- und Stammarbeitnehmerschaft auf der anderen Seite müssen also Umstände auszumachen sein, die einen privaten Grundrechtsübergriff ausreichend wahrscheinlich machen. Sind diese Umstände nicht auszumachen oder legen sie nicht den Schluss auf einen wahrscheinlichen Grundrechtsübergriff nahe, so ist dieser nur denkbar und ggf. plausibel. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt dann aber nicht vor, sondern vielmehr nur die Möglichkeit der Grundrechtsbeeinträchtigung, was für die Überschreitung der Gefahrenschwelle und damit die Schutzpflichtenaktivierung nicht ausreicht. (a) Indiz: Der Topos der strukturellen Unterlegenheit Einen Anhaltspunkt für drohende oder bereits eingetretene Grundrechtsübergriffe der Verleih- und Entleihunternehmen zu Lasten der Leih- und ggf. auch der Stammarbeitnehmer kann zunächst der vom Bundesverfassungsgericht und Teilen der Literatur vertretene Topos der strukturellen Unterlegenheit der (Leih-)Arbeitnehmer darstellen (vgl. S. 253 ff.). Verschließt man sich jedoch – wie hier vertreten – der allzu leichtfertigen Ableitung einer Schutzpflichtenaktivierung aus einer festzustellenden wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewichtslage, so kann dieser Topos allenfalls auf eine Indizwirkung beschränkt werden (vgl. S. 263 ff.). Die Feststellung dieser für die Schutzpflichtenaktivierung indiziellen strukturellen Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer fällt angesichts der beschriebenen tendenziell prekären Lage der Leiharbeitnehmer indes nicht schwer. Nicht nur handelt

280 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

es sich bei der Leiharbeitnehmerschaft um eine im Vergleich zum Beschäftigtendurchschnitt jüngere Arbeitnehmerschaft mit niedrigerer Qualifikation, die vermehrt Tätigkeiten mit niedrigerem Anforderungsprofil nachgeht, häufiger nicht-deutscher Staatsangehörigkeit ist und die oftmals aus einer Episode der Arbeitslosigkeit kommt (siehe oben S. 88 ff.). Zu diesen tendenziell bereits problematischeren Erwerbsbiografien kommen die beschriebenen Nachteile der Arbeitnehmerüberlassung selbst hinzu (vgl. ab S. 100 ff.). Zweierlei kommt also im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung zusammen. Einerseits eine hinsichtlich der individuellen Erwerbsbiografien und des sozio-ökonomischen Status tendenziell prekäre Arbeitnehmerschaft, deren Ziel es in überwiegendem Maße ist, der Arbeitslosigkeit kurzfristig durch den Weg in die Arbeitnehmerüberlassung – oder sogar dauerhaft mittels einer Nutzung vermeintlicher Integrationseffekte in die Normalbeschäftigung – zu entgehen und andererseits eine Realität, die diesen Hoffnungen nicht entsprechen kann, da die Interessen der Leiharbeitnehmer sich nicht mit den Zielen der Entleih- und Verleihunternehmen decken. Das Ergebnis ist eine zum Großteil finanziell und hinsichtlich Qualifikationen und Weiterbildung, Arbeitszufriedenheit und Wohlbefinden schlechter gestellte Leiharbeitnehmerschaft. Deren strukturelle Unterlegenheit wird hiermit nur allzu deutlich. Jedenfalls beim Vertragsschluss mit dem Verleihunternehmen ist es um die Verhandlungsstärke der Leiharbeitnehmer ob dieser Umstände schlecht bestellt. Sicherlich wird dies nicht auf alle Leiharbeitnehmer zutreffen.600 Für einen Großteil jedoch lässt sich das beschworene Kräfteungleichgewicht der Vertragsparteien und die damit einhergehende wirtschaftlich-soziale Ungleichheit bejahen. Eine strukturelle Unterlegenheit derselben lässt sich daher annehmen. Ähnliches lässt sich im Hinblick auf die Entleihunternehmen und das Interesse der Leiharbeitnehmer an einer Übernahme feststellen. Für die Leiharbeitnehmer ist die Überwindung der mit der Arbeitnehmerüberlassung vielfach einhergehenden Risiken und Nachteile nicht selten in dem Übergang in ein Normalarbeitsverhältnis bei einem Entleihunternehmen zu sehen. Gepaart mit der häufig problematischen Erwerbsbiografie vieler Leiharbeitnehmer ergibt sich auch hieraus ein Ungleichgewicht bei der Anbahnung und Realisierung etwaiger Übernahmen. Vergleichbares trifft indes nicht auf die Stammarbeitnehmerschaft zu. Hier kann nicht mehr und nicht weniger von einer strukturellen Unterlegenheit und einem Kräfteungleichgewicht ausgegangen werden, als dies nicht ohnehin für die Position abhängig Beschäftigter gegenüber ihren Arbeitgebern per se gilt. Von einer besonderen strukturellen Ungleichgewichtslage im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung kann hier nicht gesprochen werden. Verschärfter fällt die Situation der Stammarbeitnehmer nur dort aus, wo Entleihunternehmen von der Arbeitnehmerüberlassung 600 Gemeint ist insbesondere der kleine Anteil derjenigen hochqualifizierten Leiharbeitnehmer, die bspw. in der IT-Branche tätig sind und v. a. Projektarbeiten durchführen und für die das arbeitsvertragliche Modell der Arbeitnehmerüberlassung Vorteile bietet (siehe hierzu bereits oben: S. 98 f.). Ähnliches gilt in Teilen für die Pflegebranche.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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im Sinne der oben beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie Gebrauch machen und so in der Regel ein höherer Substitutions- und interner betrieblicher Konkurrenzdruck auf den Stammarbeitnehmern lastet. (b) Grundrechtsübergriff beim Vertragsabschluss seitens des Verleihunternehmens? Jedenfalls in Bezug auf die vertragliche Interaktion mit dem Verleihunternehmen haben die Leiharbeitnehmer also eine aufgrund der genannten Faktoren oftmals strukturell unterlegene Position inne. Zumindest indiziell deutet dies darauf hin, dass die Verleihunternehmen die vielmals wirtschaftlich-sozial potenziell prekäre Lage der Leiharbeitnehmerschaft ausnutzen und nachteilige Vertragskonditionen dergestalt einseitig setzen, dass sich Grundrechtsübergriffe in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Vertragsautonomie zu Lasten der Leiharbeitnehmer realisieren. Im Ergebnis könnten diesen durch grundrechtlichen Übergriff beim Vertragsschluss finanzielle Nachteile,601 eine Schlechterstellung hinsichtlich betrieblicher Weiterbildungsmaßnahmen oder vertragliche Konditionen, die die Eigenarten der Leiharbeitstätigkeit nicht einhegen602 oder die es versäumen, die erhofften Übernahmeeffekte bereits individualvertraglich positiv zu beeinflussen,603 einseitig und damit fremdbestimmt diktiert werden.604 601

Dies etwa dadurch, dass den Leiharbeitnehmern eine Nutzung der Bezugnahme auf Tarifverträge, die von der „Equal pay“-Regelung eine Ausnahme machen (§ 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG) aufgezwungen wird. 602 Auch dies ist dahingehend denkbar, dass den Leiharbeitnehmern eine Nutzung der Bezugnahme auf Tarifverträge, die von der „Equal treatment“-Regelung eine Ausnahme machen (§ 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG) aufgezwungen wird. Ebenso aber könnten die Leiharbeitnehmer mit entsprechendem freiheitsverkürzendem Druck oder Zwang (und damit grundrechtlichem Übergriff) davon abgebracht werden, vertragliche Gestaltungen, die die nachteiligen Auswirkungen des Flexibilitätsfaktors etwa durch eine Begrenzung auf bestimme Entleihunternehmen, einen örtlichen Radius des Einsatzgebietes etc., durchzusetzen. 603 Theoretisch denkbar wäre dies etwa dadurch, dass im Arbeitsvertrag bereits festgehalten wird, dass Leiharbeitnehmer nicht – oder jedenfalls nur vertretungsweise – auf Stammarbeitsplätzen eingesetzt werden oder jedenfalls die Überlassungsepisoden zeitlich begrenzt werden, sodass eine Ingebrauchnahme der Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. aktiven Nutzungsstrategie vermieden wird. 604 Der Gedanke einer eigenen Schutzpflichtenaktivierung in Bezug auf den Umstand, dass die Gewerkschaften beim Abschluss tarifvertraglicher Regelungen i. S. v. § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG zuungunsten der gewerkschaftlich organisierten Leiharbeitnehmer vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, hat neben der hiesigen, auf die individualvertragliche Bezugnahme dieser Tarifverträge fokussierten Schutzpflichtenaktivierung keinen eigenen Wert. Konkret wäre eine solche Schutzpflicht in Bezug auf das Interesse gewerkschaftlich organisierter Leiharbeitnehmer denkbar, von der eigenen Koalition interessengerecht vertreten zu werden, was sich ggf. als Schutzgut im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG einordnen ließe. Allerdings verfängt der Gedanke einer diesbezüglichen staatlichen Verpflichtung schon deshalb nicht, weil gewerkschaftlich organisierte Leiharbeitnehmer aus einer Gewerkschaft, die ihre Interessen nicht vertritt, jederzeit austreten können, um den Missstand – und damit die Gefährdung grundrechtlich geschützter Interessen durch die entsprechende Gewerkschaft – zu beenden. Dies wiederum würde dazu führen, dass die in Rede stehenden Arbeits- und Entgeltbedingungen abseits des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur noch über die Bezugnahme-

282 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Geprüft werden muss nun allerdings, ob sich dieses Indiz in der Realität erhärtet. Zu untersuchen ist daher, ob es mindestens hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Verleihunternehmen ihre mächtigere Position tatsächlich ausnutzen und nachteilige Vertragskonditionen mittels grundrechtlichem Übergriff einseitig durchsetzen und so die den grundrechtlichen Schutzgütern der Berufsfreiheit zuzuordnenden Interessen der Leiharbeitnehmer beeinträchtigen. Die beschriebenen Umstände müssen also Grundrechtsübergriffe nahelegen. Es muss also im Rahmen der Vertragskonstellation zwischen Leiharbeitnehmer und Verleihunternehmen mehr dafür sprechen, dass Vertragskonstellationen einseitig unter grundrechtlichem Übergriff durchgesetzt werden, als dass dies ohne einen grundrechtlichen Übergriff erfolgt. Ein solcher kann aber nur dann vorliegen, wenn die Umstände nahelegen, dass die Leiharbeitnehmer ihre berufsbezogene Vertragsautonomie nicht gerade freiheitlich und willentlich dergestalt ausüben, dass nachteilige Vertragskonstellationen akzeptiert werden.605 In diesem Sinne freiheitliche und von der berufsbezogenen Vertragsautonomie getragene Entscheidungen können wiederum nur dann ausgeschlossen werden, wenn die Interessen der Leiharbeitnehmer bereits gegen einen zwar freiheitlich entschiedenen, aber in den Konditionen nachteiligen Vertragsschluss sprechen.606 Nur dann müssten sich die Verleihunternehmen kraft ihrer überlegenen wirtschaftlich-sozialen Stellung gegen entgegenstehende Interessen der Leiharbeitnehmer und damit gegen deren freiheitliche Entscheidung wenden und nachteilige Vertragskonditionen etwa mittels Drohung, Täuschung oder sonstigem Druck fremdbestimmt und unter grundrechtlichem Übergriff durchsetzen, um die entgegenstehende Freiheitsausübung der Leiharbeitnehmer zu überwinden. Die vorgefundenen Umstände legen jedoch das Gegenteil nahe. Gerade die besondere Situation vieler Leiharbeitnehmer spricht viel eher dafür, dass nachteilige Vertragsgestaltungen vielfach gerade in Ausübung der beruflichen Vertragsautonomie bewusst und gezielt akzeptiert werden. Angesichts häufig problematischer Erwerbsbiografien und aktueller oder zu befürchtender Arbeitslosigkeit ist schließlich anzunehmen, dass viele Leiharbeitnehmer den schnellen und vergleichsweise unkomplizierten Einstieg in die Arbeitnehmerüberlassung wählen, um im Anschluss ggf. erhoffte Integrationseffekte in die Normalbeschäftigung zu nutzen. Dieser zügige Ausweg aus einer Arbeitslosigkeit oder anderenfalls prekären Vorsituation wird dann aber gerade im Hinblick auf zu erwartende Übernahmeeffekte bewusst mit den von den Verleihunternehmen gesetzten Vertragsbedingungen „erkauft“. Naheliegend ist es daher, dass die ohnehin häufiger geringqualifizierten Leiharbeitnehmer, die aufgrund oftmals problematischer Erwerbsbiografien bereits klauseln erreicht werden könnte – womit wiederum die hier diskutierte individualvertragliche Konstellation im Fokus stünde. 605 Vgl. auch Kämmerer und Thüsing, die den Verweis auf eine strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer zur Annahme einer (nicht näher präzisierten) Schutzpflicht nicht genügen lassen, sondern einen konkreten Nachweis der Fremdbestimmung fordern (Kämmerer/ Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 70 ff.). 606 Im Ansatz ähnlich: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 72.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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keinen guten Stand im Wettbewerb des Arbeitsmarktes haben, Nachteile in der Vertragskonstellation bewusst und freiwillig in Kauf nehmen, um eine beschäftigungslose Lücke in der Erwerbsbiografie zügig zu schließen. Eine bevorstehende Episode in der Arbeitnehmerüberlassung wird aus ihrer Sicht aufgrund der erhofften Integrationseffekte ohnehin oftmals nur als eine Zwischenlösung betrachtet werden, deren Nachteile ob ihrer komplikationsarmen Verfügbarkeit akzeptiert werden. Es ist daher anzunehmen, dass für Leiharbeitnehmer vielfach nachteilige Vertragsbedingungen zwar einseitig von den Verleihunternehmen gesetzt, den Leiharbeitnehmern aber nicht fremdbestimmt aufgezwungen werden, da diese Bedingungen von den Leiharbeitnehmern angesichts ihrer spezifischen Situation und den mit der Arbeitnehmerüberlassung verbundenen Zielen und Hoffnungen hingenommen werden. Anders könnte man die Situation des Vertragsschlusses in Bezug auf solche Abreden deuten, die geeignet wären, die erhofften Übernahmeeffekte bereits positiv zu beeinflussen, indem etwa auf individualvertraglicher Ebene festgelegt würde, dass Leiharbeitnehmer nicht – oder jedenfalls nur vertretungsweise – auf dauerhaft zu besetzende Stammarbeitsplätze überlassen werden oder jedenfalls die Überlassungsepisoden zeitlich begrenzt werden. Hiermit würde der oben als aktive Nutzungsstrategie beschriebenen Ingebrauchnahme der Arbeitnehmerüberlassung, bei der Leiharbeitnehmer typischerweise Stammarbeitskräfte substituierend eingesetzt werden und bei der es nur in zu vernachlässigendem Umfang zu dem von den Leiharbeitnehmern gewünschten Übernahmephänomenen kommt (vgl. hierzu oben detailliert S. 117 ff.), der Riegel vorgeschoben. Gleiches wäre in Bezug auf individualvertragliche Abreden denkbar, die die Überlassungszeiten begrenzen.607 Dass die Leiharbeitnehmer diesbezügliche Abreden nicht adressieren, um eine Leiharbeitstätigkeit ob ihrer erhofften Integrationseffekte wahrzunehmen, lässt sich nur schwerlich behaupten. Das heißt indes nicht, dass hier ein grundrechtlicher Übergriff in Rede steht, vermöge dessen Verleihunternehmen den Leiharbeitnehmern Vertragsgestaltungen, die entsprechende Abreden nicht enthalten, einseitig aufzwingen. Im Gegenteil: Deutlich wahrscheinlicher ist, dass die Leiharbeitnehmer den Kausalitätszusammenhang zwischen einerseits dem Arbeitsplatz, auf dem sie eingesetzt werden oder der Länge der Überlassungszeiten und andererseits dem Umfang von Übernahmeeffekten nicht erfassen und daher schon gar keine von der Vertragsautonomie getragene Willensentscheidung bezüglich des Hinwirkens auf den Abschluss derartiger Abreden entwickeln. Wo aber keine grundrechtliche Freiheitsausübung in Rede steht, muss diese auch nicht durch privaten Übergriff der Verleihunternehmen überwunden werden. Ein grundrechtlicher Übergriff der Verleihunternehmen in die berufliche Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer wird also in den beschriebenen Situationen 607

Kürzere Überlassungsepisoden erschweren es Entleihunternehmen schließlich zumindest, einzelne Leiharbeitnehmer auf dauerhaften Stammarbeitsplätzen einzusetzen – was der aktiven Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung entgegenwirken würde und sich positiv auf Übernahmeeffekte auswirken könnte. Eben diesen Gedanken verfolgt der Gesetzgeber mit der Überlassungshöchstdauer. Vgl. hierzu später umfangreich: S. 501 ff.

284 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

des Vertragsschlusses gar nicht stattfinden. Im Einzelfall mag zuweilen das Gegenteil zu beobachten sein. Denkbar sind insbesondere Fälle, in denen Verleihunternehmen – wider besseres Wissen – die Leiharbeitnehmer über die Ausmaße der integrativen Wirkungen einer Leiharbeitstätigkeit täuschen (hierzu ab S. 117), um diese trotz nachteiliger Vertragskonditionen zum Vertragsabschluss zu bewegen. Ebenso könnten etwa Situationen denkbar sein, in denen etwa in Interessenverbänden organisierte Verleihunternehmen auf – in Ausübung ihrer Vertragsautonomie – entsprechende Forderungen stellende Leiharbeitnehmer damit einwirken, dass solche „renitenten“ Arbeitnehmer verbandsweit gemieden werden würden. Eine solche Druckausübung wäre als grundrechtlicher Übergriff zu verstehen. Über eine hypothetische Möglichkeit gehen diese Gedanken jedoch nicht hinaus. Flächendeckende Grundrechtsübergriffe, die eine Schutzpflichtenaktivierung für den Gesetzgeber nach sich ziehen würden,608 sind vielmehr eher fernliegend, da sie schlichtweg gar nicht nötig sind. Es sind folglich viel eher die besondere Marktstruktur und die Gesamtsituation der Leiharbeitnehmer, die die genannten negativen Konditionen zur Folge haben, und gerade nicht der tatsächliche oder naheliegende und daher hinreichend wahrscheinliche grundrechtliche Übergriff durch die wirtschaftlich-sozial mächtigeren Verleihunternehmen. Dementsprechend kann aus den tatsächlichen Umständen nicht abgeleitet werden, dass sich der von einem Kräfteungleichgewicht geprägte Interessenkonflikt in einem schutzpflichtenrelevanten Interessenkonflikt realisiert. Ein Überschreiten der Gefahrenschwelle durch die Verleihunternehmen in Bezug auf die grundrechtlich verbürgte Vertragsautonomie ist also nicht zu beobachten. (c) Grundrechtsübergriff bei den Kündigungs- und Einstellungsentscheidungen der Entleih- und Verleihunternehmen und im Rahmen der Festhaltenserklärung? Anders verhält sich die Lage hinsichtlich etwaiger Kündigungs- und Einstellungsentscheidungen der Verleih- und Entleihunternehmen, die einerseits Leiharbeitnehmer überproportional arbeitgeberseitig kündigen und andererseits über die Übernahme der ihnen überlassenen Leiharbeitnehmern in ein Stammarbeitsverhältnis entscheiden und demgemäß ggf. Stammarbeitskräfte kündigen. Solche arbeitgeberseitigen Entscheidungen, die über den Verlust oder das Erlangen eines Arbeitsplatzes bestimmen, sind freilich immer als private Übergriffe in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitnehmer zu charakterisieren.609 Dies ergibt 608

Das schließt indes eine verfassungsrechtliche Kontrolle vertraglicher Regelungen in den Einzelfällen, in denen ein Grundrechtsübergriff gleichwohl naheliegt, im Wege mittelbarer Drittwirkung nicht aus. Vgl. hierzu etwa in Bezug auf die Vertragsfreiheit: Di Fabio, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 2 Rn. 105 ff., 109 ff. 609 Zur Kollision dieser Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitnehmer mit der Berufsfreiheit der Arbeitgeberseite und daraus erwachsende Schutzpflichten: BVerfGE 84, 133 (146 f.); 85, 360 (372 f.); 92, 140 (150); 97, 169 (176 f.). Siehe ferner: Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/ Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 12 GG Rn. 36 ff.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 59 („[…] ein genereller Ausschluss des Kündigungsrechts wäre jedoch

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sich richtigerweise bereits daraus, dass in diesen Fällen ein Privater über das grundrechtlich durch Art. 12 Abs. 1 GG erfasste Schutzgut der Arbeitsplatzwahlfreiheit verfügt. Aus dieser Erkenntnis folgt zwar kein verfassungsunmittelbares Recht auf das Erlangen oder das Behalten eines Arbeitsplatzes.610 Sehr wohl aber aktiviert die grundsätzlich grundrechtlich aufgeladene Konfliktsituation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Einstellungs- oder Kündigungsentscheidung staatliche Schutzpflichten, die demgemäß im Ergebnis die Verpflichtung des Staates auf die Implementierung eines dem Untermaßverbot genügenden Mindestmaßes an Schutz nach sich ziehen.611 Im Ergebnis verpflichtet daher die Schutzpflichtenfunktion der Arbeitsplatzwahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG den gesetzgebenden Staat zumindest darauf, das Kündigungsschutzrecht so auszugestalten, dass etwa evident unsachliche Gründe im Rahmen der Kündigungsentscheidung ausgeschlossen werden und Fristenregelungen getroffen werden.612 Derartige Schutzpflichtenaktivierungen sind jedoch nicht spezifisch für die Arbeitnehmerüberlassung. Vielmehr ist der grundsätzliche Konflikt zwischen dem Arbeitnehmerinteresse an dem Erlangen oder dem Behalten eines Arbeitsplatzes und der von der arbeitgeberseitigen Berufsfreiheit getragenen Entscheidungsfreiheit in diesen Angelegenheiten bereits dem Arbeitsrecht insgesamt immanent. Zugunsten der Leih- und Stammarbeitnehmer greift hier kein anderer als derjenige verfassungsrechtlich gebotene Minimalschutz, der zugunsten aller abhängig Beschäftigter gilt. Eine hierüber hinausgehende verfassungsrechtliche Aufladung des spezifischen Interessenkonfliktes der Arbeitnehmerüberlassung über eine Schutzpflicht zugunsten der Leiharbeitnehmer könnte sich demgegenüber in Bezug auf zwei weitere spezifische Umstände der Arbeitnehmerüberlassung ergeben. Zum einen wird in Bezug auf diejenigen Entleihunternehmen, die von der Arbeitnehmerüberlassung in Form der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie Gebrauch machen, zum Teil die Tendenz berichtet, gezielt den Eindruck flächendeckender Übernahmen zu erwecken, um so die Motivation zu stärken und den internen mit Art. 12 unvereinbar.“). Ausführlich in Bezug auf das Kündigungsrecht und m. w. N.: v. Wickede, Sonderkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2009, S. 282 ff. Zurückhaltender hingegen: Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 434 ff. Ablehnend etwa: Lindner, RdA 2005, 166 (168). 610 Vgl. nur: BVerfGE 84, 133 (146 f.); 85, 360 (373); 92, 140 (150); 96, 152 (163); 96, 171 (180); 96, 189 (197); 96, 205 (210 f.); 97, 169 (175). Vgl. ferner: Scholz, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 53 ff. 611 In Bezug auf das Kündigungsrecht: Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 12 GG Rn. 38; v. Wickede, Sonderkündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 2009, S. 287. 612 Vgl. etwa: Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 465 f.; Schmidt, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 12 GG Rn. 38 (jeweils m. w. N.). Unsachliche und daher willkürliche Gründe könnten demgegenüber kraft einer Schutzpflicht in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit ebenso bei der Einstellungsentscheidung auszuschließen sein. Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 64 f., wenngleich dies dort mit dem Sozialstaatsprinzip begründet wird.

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Konkurrenzdruck zu erhöhen (siehe oben ab S. 117 ff.). Hierin kann sicherlich eine Täuschung gesehen werden, die im Ergebnis dazu führen könnte, dass Leiharbeitnehmer in diesen Fällen ihre Arbeitsplatzwahlfreiheit fälschlicherweise in Richtung – der für sie gar nicht vorhandenen – Stammarbeitsplätze ausrichten. Naheliegend und damit hinreichend wahrscheinlich ist dieses Szenario aber nicht. Viel eher verstärkt ein solches Verhalten der Entleihunternehmen lediglich den ohnehin schon in Ausübung der Arbeitsplatzwahlfreiheit seitens der Leiharbeitnehmer gefassten Entschluss, einen Stammarbeitsplatz im Entleihunternehmen anzustreben. Schließlich ist die mit einer Überlassungsepisode verbundene Hoffnung auf eine solche Übernahme ohnehin schon präsent. Dass die willentliche Ausübung der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer daher tatsächlich durch derartige Handlungen der Entleihunternehmen kausal verfälscht werden könnte, ist folglich weit weniger wahrscheinlich, als dass Übernahmehoffnungen lediglich – wenngleich unlauterer Weise – bestärkt werden. Ein dieses grundrechtliche Schutzgut verkürzender Grundrechtsübergriff ist damit nicht wahrscheinlich, sodass diesbezüglich die Gefahrenschwelle nicht überschritten wird. Anders verhält es sich demgegenüber dort, wo Verleihunternehmen den Leiharbeitnehmern kraft ihrer wirtschaftlichen Übermacht vertragliche Regelungen aufzwingen, die den Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis bei einem Entleihunternehmen erschweren oder gar verhindern.613 Solche Regelungen würden im Ergebnis die Arbeitsplatzwahlfreiheit der betroffenen Leiharbeitnehmer einschränken. Die Schutzpflichtenaktivierung hängt aber nicht von diesem „Erfolgsunrecht“ ab, sondern davon, ob die nachteilige Vertragsgestaltung auf eine Ausübung grundrechtlicher Freiheit oder einen Grundrechtsübergriff beim Vertragsschluss zurückzuführen ist.614 Die Umstände streiten hier indes für letzteres. Dafür, dass betroffene Leiharbeitnehmer derartig nachteilige Vertragskonstellationen – um die erhofften Vorteile der Arbeitnehmerüberlassung zu nutzen – in Ausübung ihrer beruflichen Vertragsautonomie im grundrechtlichen Sinne freiwillig abschließen, spricht nicht viel. Schließlich werden die Nachteile der Arbeitnehmerüberlassung von den Leiharbeitnehmern gerade auch aufgrund der erhofften Übernahmephänomene akzeptiert, sodass kaum anzunehmen ist, dass vertraglichen Regelungen, die diese Hoffnungen gerade zunichtemachen, kein Widerstand entgegengebracht werden würde, der mindestens durch erheblichen Druck seitens der Verleihunternehmen zu überwinden wäre. Etwas anderes ließe sich allenfalls dort annehmen, wo Verleihunternehmen die aus ihrer Sicht (vgl. S. 85 f.) zu vermeidenden Integrationseffekte mittels einer im Fall der Übernahme vom Leiharbeitnehmer zu entrichtenden Vermittlungsprämie zu hemmen suchen. Hier könnte angenommen werden, dass Leiharbeitnehmer derartigen Vertragskonstellationen ggf. freiheitlich zustimmen würden, um gleichwohl zumindest die Möglichkeit von – dann teuer erkauften – 613

Siehe § 9 Abs. 1 Nr. 4 AÜG. Siehe hierzu bereits oben ausführlich: S. 279 ff. Da sich derartige Vertragsgestaltungen aber i. E. vor allem auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit negativ auswirken, wird der Problemkreis hier angeführt. 614

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Übernahmeeffekten offen zu halten. Das Gegenteil und damit der Grundrechtsübergriff sind aber wahrscheinlicher. Selbst wenn man beide genannten Szenarien für ähnlich wahrscheinlich hielte, müsste vor dem Hintergrund des beschriebenen gleitenden Gefahrenmaßstabs der Je-desto-Formel – für deren Anwendung im Rahmen der Prüfung der Gefahrenschwelle hier plädiert wird (vgl. S. 250 ff.) – gesehen werden, welch schwerer Übergriff mit derart aufgezwungenen vertraglichen Konstellationen, die sich gegen Übernahmephänomene richten, einhergehen würde. Dass die Arbeitnehmerüberlassung trotz ihrer Nachteile zumindest möglicherweise ein Sprungbrett in ein Normalarbeitsverhältnis darstellt, ist schließlich ein zentrales Anliegen der Leiharbeitnehmerschaft. Diesem Interesse kraft wirtschaftlicher Überlegenheit entgegenzuwirken, würde einen massiven Grundrechtsübergriff darstellen, an dessen Wahrscheinlichkeit daher keine allzu hohen Anforderungen geknüpft werden dürfen. Vielmehr muss sichergestellt werden, derartige einseitig durchgesetzte Vertragskonstellationen erst gar nicht aufkommen zu lassen.615 Noch eindeutiger zu bejahen ist demgegenüber ein grundrechtlicher Übergriff dort, wo Verleihunternehmen – bildlich gesprochen – über den Kopf des Leiharbeitnehmers hinweg Integrationseffekte konterkarieren, indem mit dem Entleihunternehmen unmittelbar eine vertragliche Absprache, die eine Übernahme ausschließt, getroffen wird.616 In solchen Fällen wäre das Schutzgut der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer kraft privaten Übergriffs beeinträchtigt. Dass derartigen Absprachen, welche die seitens der Leiharbeitnehmer erhofften Übernahmeeffekte torpedieren, entgegenzutreten ist, hat nicht nur der europäische Gesetzgeber erkannt und diesem Erfordernis in der Leiharbeitsrichtlinie Rechnung getragen (vgl. S. 197198 ff.). Auch das AÜG ist dieser Gefahr bereits begegnet und hat derartige vertragliche Absprachen zwischen einerseits dem Verleih- und Entleihunternehmen und andererseits dem Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmern untersagt.617 Diese tragen damit unmittelbar der so eröffneten Schutzpflicht in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit und der beruflichen Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer Rechnung.618 615

Daher steht der Annahme der Überschreitung der Gefahrenschwelle auch nicht der Umstand entgegen, dass derartige Vertragsgestaltungen aus der Praxis – soweit ersichtlich – noch nicht berichtet wurden. Der mit diesen Gestaltungen einhergehende grundrechtliche Übergriff wäre zu einschneidend und das Interesse der Verleihunternehmen an einer Verhinderung von Übernahmephänomenen zu groß, als dass die Aktivierung einer Schutzpflicht an das Erfordernis tatsächlicher Nachweise hierfür geknüpft werden könnte. 616 Auch diesbezüglich gilt, dass zwar keine Vertragsgestaltungen dieser Art tatsächlich berichtet wurden, dies aber zur Überschreitung der Gefahrenschwelle nicht zu fordern ist. 617 Siehe § 9 Abs. 1 Nr. 3 – 5 AÜG. Vgl. hierzu umfangreich unten: S. 540 ff. 618 Die Vorschriften als Ausdruck des Schutzes der Arbeitsplatzwahlfreiheit interpretierend: BGH, Urt. v. 3.7.2003 – III ZR 348/02, NZA 2003, 1025 (1025); bzw. auf die Vertragsfreiheit rekurrierend: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 03.12.1998 – 11 Sa 31/98; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 172 („Berufsfreiheit“). Ähnlich bereits die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13, wenngleich dort davon die Rede ist, dass es nicht etwa aufgrund der Schutzpflichten, sondern aufgrund des Sozialstaatsprinzips erforderlich sei, die Arbeitsplatzwahlfreiheit entsprechend zu schützen.

288 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Ein weiterer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu befürchtender Grundrechtsübergriff der Verleih- und ggf. der Entleihunternehmen in Bezug auf die berufliche Vertragsautonomie und der auch in diesem Fall mit ihr in Zusammenhang stehenden Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer steht dort im Raum, wo auf Leiharbeitnehmer Druck ausgeübt wird oder diese getäuscht werden,619 um sie zur Abgabe der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b, Abs. 2 und Abs. 3 AÜG normierten Festhaltenserklärung zu bewegen und so die aufgrund eines Rechtsverstoßes eintretende Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und den Übergang des betreffenden Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu verhindern.620 Diesbezügliche Missbrauchspotenziale sind in Anbetracht der Tatsache, dass die betroffenen Unternehmen im Regelfall ein verstärktes Interesse daran haben, den gesetzlich angeordneten Arbeitgeberwechsel zu verhindern und zugleich der Gesetzgeber dem betroffenen Leiharbeitnehmer mit der Festhaltenserklärung das maßgebliche Mittel in die Hand gegeben hat, um diese Verhinderung zu bewirken, anzunehmen und aktivieren im gleichen Maße eine entsprechende Schutzpflicht. bb) Rechtsfolge: Mindestmaß an Schutz vor Grundrechtsübergriffen in Bezug auf Integrationseffekte beeinträchtigende vertragliche Bestimmungen und in Bezug auf die Festhaltenserklärung Im Ergebnis ist eine Schutzpflicht zugunsten der Leiharbeitnehmer also nur dort aktiviert, wo Verleihunternehmen die Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung zu konterkarieren drohen, indem den Leiharbeitnehmern einerseits Übernahmephänomene ausschließende oder erschwerende Klauseln unter Überwindung derer von der berufsbezogenen Vertragsautonomie getragenen Interessen aufgezwungen werden oder solche Übernahmephänomene beeinträchtigende Klauseln mit den Entleihunternehmen vertraglich vereinbart werden. Daneben tritt das singuläre Phänomen der Festhaltenserklärung, im Zuge dessen unter Umständen ebenfalls ein derartiger Grundrechtsübergriff zu besorgen ist. Nur in diesen expliziten Fällen folgt daher aus der Schutzpflichtenaktivierung, dass staatlicherseits ein dem Untermaßverbot genügendes Mindestmaß an Schutz zu installieren ist. 619 Vgl. zu diesem Missbrauchspotenzial: Deinert, RdA 2017, 65 (80); Hamann, AuR 2016, 136 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 432 ff.; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473 (1475); Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 288, 291; Wank, RdA 2017, 100 (113); in Anklängen („auf Betreiben des Verleihers“) bereits: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 26. Vgl. unten zur näheren verfassungsrechtlichen Überprüfung der Regelung: S. 572 ff. 620 Diese Drucksituation mit dem Topos der strukturellen Unterlegenheit in Verbindung bringend – indes ohne verfassungsrechtliche Wertung: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 213 („Das Festhaltensrecht, welches den Rechtskreis des [Leih-]Arbeitnehmers erweitern soll, verkehrt sich hierdurch zur Last, soweit sich der [Leih-]Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis erhalten möchte. Zwar kann die auf Seiten des Verleihers liegende strukturelle Verhandlungsübermacht dazu genutzt werden, negativ auf die Dispositionsfreiheit des Leiharbeitnehmers einzuwirken; unstreitig ist dem entgegenzuwirken.“).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Der nähere Gehalt dieses Mindestmaßes ist nun anhand der Umstände des konkreten Grundrechtskonflikts zu beurteilen (vgl. abstrahierend S. 266 ff.). Wie soeben ausgeführt, hätte eine Beeinträchtigung der mit der Arbeitsplatzwahlfreiheit assoziierten Integrationseffekte für die hiervon betroffenen Leiharbeitnehmer massive Negativfolgen. Es läge daher zum einen in den Fällen, in denen Verleihunternehmen mit Entleihunternehmen entsprechende Absprachen treffen, eine schwere Grundrechtsbeeinträchtigung der Arbeitsplatzwahlfreiheit vor. Zum anderen läge in den Fällen, in denen Verleihunternehmen den Leiharbeitnehmern in dieser Richtung nachteilige Abreden oder eine Ausübung der Festhaltenserklärung aufzwingen, eine schwere Beeinträchtigung der Vertragsautonomie mit erheblichen Auswirkungen auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit vor. Daneben sind solche Beeinträchtigungen aufgrund der Interessen der Verleihunternehmen – denen häufige Übernahmen bzw. Abwerbungen diametral entgegenstehen – auch entsprechend hinreichend wahrscheinlich. Abweichend zu bewerten sind – wie gesehen (vgl. S. 284 f.) – Vertragskonstellationen, die den Leiharbeitnehmern Vermittlungsprämien aufzwingen. Insgesamt aber handelt es sich bei den zu verhindernden Grundrechtsübergriffen nach den hiesigen Erkenntnissen um solche von vergleichsweise schwerwiegender Art, die – mit Abstufungen – in höherem Maße wahrscheinlich sind. Doch auch entgegenstehende Grundrechte Dritter – hier die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen – sind bei der Bemessung des aufgrund des Untermaßverbotes Gebotenen bereits einzupreisen. Beachtet werden muss hierbei insbesondere, dass es gerade dem Geschäftsmodell und den Interessen der meisten Verleihunternehmen entspricht, gut eingearbeitete Leiharbeitskräfte zu halten (vgl. S. 85). Die Wichtigkeit dieses Interesses und die hiervon geleiteten Verhinderungsbemühungen hinsichtlich solcher Übernahmeeffekte dürfen daher bereits bei der Bemessung des aufgrund der Schutzpflichtaktivierung Gebotenen nicht unbeachtet bleiben. Gleichwohl wiegt das Schutzinteresse der Leiharbeitnehmer in diesem Kontext so schwer, dass für den aufgrund des Untermaßverbotes gebotenen Minimalschutz zumindest gelten muss, dass solche vertraglichen Absprachen, die gerade darauf zielen, Übernahmeeffekte erst gar nicht aufkommen zu lassen, zu verhindern sind. Unberührt bleiben davon allerdings solche Vertragskonstellationen, die Übernahmeeffekte per se zulassen, ihre nachteiligen Auswirkungen auf die Interessen der Verleihunternehmen jedoch auszugleichen suchen.621 Hierunter fallen dem Grunde nach angemessene Vermittlungsprämien,622 solange sie sich nicht dergestalt auswirken, dass Übernahmeeffekte maßgeblich konterkariert werden. Über dieses Maß hinaus kann dem Untermaß-

621 Vgl. zum Ausgleich dieser wirtschaftlichen Nachteile auch zuletzt instruktiv: BGH, Urt. v. 10.3.2022 – III ZR 51/21, Rn. 18 f. 622 Der BGH etwa hält im Rahmen von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG ein Vermittlungshonorar von maximal zwei Bruttomonatsgehältern für zulässig (vgl. etwa: BGH, Urt. v. 5.11.2020 – III ZR 156/19, NZA 2021, 50 [51]). Vgl. ferner zu den Maßstäben zur Beurteilung der Angemessenheit der Vermittlungsvergütung: BGH, Urt. v. 10. 11. 2011 @ III ZR 77/11, NZA-RR 2012, 67 ff.

290 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

verbot angesichts der entgegenstehenden Interessen der Verleihunternehmen kein Handlungsauftrag entnommen werden. Steht das aufgrund des Untermaßverbotes Gebotene indes fest, besteht für den Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zwischen diesem aufgrund der Schutzpflichtenaktivierung gebotenen Mindestmaß und dem gegenüberstehenden Abwehrrecht des eingreifenden Privaten, in dem sich das gewählte rechtliche Mittel zu bewegen hat (vgl. abstrahierend S. 266 ff.). Auf eine Herstellung praktischer Konkordanz ist der Gesetzgeber hierbei insbesondere nicht verpflichtet.623 Ob und wenn ja in welchem Umfang daher mit Leiharbeitnehmern oder Entleihunternehmen ausgemachte Prämienregelungen verfassungsrechtlich zulässig sind, bestimmt sich dann erst in der konkreten Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter und dem sich daraus ergebenden Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers. Näheres dazu kann erst anhand der konkreten gesetzlichen Regelung eruiert werden. Im Zuge dessen sind die sich aus dem Übermaßverbot hinsichtlich der Berufsfreiheit der Verleihunternehmen ergebenden Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen dem aufgrund des Untermaßverbotes Gebotenen gegenüberzustellen und zu überprüfen, ob sich die gewählten Regelungen im Rahmen des sich daraus ergebenden Spielraums halten. Ähnliches gilt für die Missbrauchspotenziale der Festhaltenserklärung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b, Abs. 2 und Abs. 3 AÜG. Die Verpflichtung auf das entsprechende Untermaß an Schutz verpflichtet den Gesetzgeber hier dazu, Sorge zu tragen, dass eine Situation, in der Verleih- oder Entleihunternehmen den Leiharbeitnehmer mittels Täuschung oder Druck dazu bewegen, entgegen seinem grundrechtlich geschützten Interesse eine Festhaltenserklärung abzugeben und so eine Integration in das vormalige Entleihunternehmen zu verhindern, erst gar nicht entstehen kann. Ob die rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Regelungen zum fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis diesem verfassungsrechtlichen Anspruch genügen und gleichzeitig dem Übermaßverbot Rechnung getragen wird, wird unten detailliert erörtert (vgl. S. 558 ff.). 3. Die Koalitionsfreiheit der beteiligten Akteure aus Art. 9 Abs. 3 GG Neben den Wertungen der Berufsfreiheit ist in Bezug auf die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung auch die Koalitionsfreiheit der beteiligten Akteure aus Art. 9 Abs. 3 GG zu beachten. Insbesondere die grundgesetzlich gewährleistete Tarifautonomie der Koalitionen steht in einem engen funktionalen Zusammenhang zu der bereits oben ausführlich beschriebenen Einsicht, dass die Arbeitnehmerseite 623

Anders hingegen Li und Stepien in Bezug auf den dort aufgrund des objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalts angenommenen Schutzauftrag zugunsten der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer und die entgegenstehenden Grundrechte der Arbeitgeberseite (vgl. Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 177; Stepien, Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, 2020, S. 250 f.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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bei der privatautonomen Arbeitsvertragsgestaltung tendenziell strukturell unterlegen ist (vgl. insofern abstrahierend S. 253 ff.). So geht etwa das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Tarifautonomie „die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annährend gleichwertiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (…)“ sucht.624 Hinter dieser Sentenz steckt die – bereits dargetane – Erkenntnis, dass die privatautonome individualvertragliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse vielfach aufgrund der spezifischen Unterlegenheitssituation der Arbeitnehmerseite und der daraus resultierenden mangelnden Durchsetzungsfähigkeit nicht zu gerechten Ergebnissen führen kann. Diese grundsätzliche strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmer und die damit oftmals einhergehende Verhandlungsschwäche findet ihren Ausgleich in der durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie.625 a) Schutzbereich der Koalitionsfreiheit Der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit umfasst in personeller Hinsicht zunächst sowohl die individuelle als auch die kollektive Ausübung des Grundrechts, was treffenderweise als Doppelfunktion (oder auch Doppelgrundrecht) bezeichnet wird.626 In sachlicher Hinsicht erfasst das Grundrecht im positiv-rechtlichen Sinne einerseits in individueller Hinsicht das Recht, Koalitionen beizutreten und in ihnen zu verbleiben sowie in individueller und kollektiver Hinsicht das Recht der koalitionsmäßigen Betätigung.627 Unter letzteres fällt insbesondere das Recht zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen mittels Tarifvertrag.628 Hierbei kommt dem Grundrecht auch gerade die Wertung zu, dass die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zwar nicht absolut, aber jedenfalls relativ nur subsidiär durch den Staat zu regulieren sind und der tarifvertraglichen Regulierung daher prinzipiell

624

Vgl. BVerfGE 84, 212 (229); BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.); vgl. auch: BAG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 AZR 364/97, NZA 1998, 754 (756); Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, NZA 2006, 1112 (1116); Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/ 06, NZA 2007, 1055 (1057). Hierzu zudem ausführlich: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 153 ff. 625 Hierzu ausführlich: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 153 ff.; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 52 ff. (treffend: „Kollektive Selbsthilfe durch Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie“). 626 Zu diesem Zweiklang: Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 44; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 39. 627 Vgl. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 53, 56; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23, 30. 628 Vgl. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 56; Linsenmaier, in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23.

292 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

der Vorzug zu gewähren ist.629 Das schließt zwar eine staatliche Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen keineswegs aus, es macht eine solche aber rechtfertigungsbedürftig.630 Als besondere Ausprägung der koalitionsmäßigen Betätigung schützt das Grundrecht im positiv-rechtlichen Sinne auch den Arbeitskampf, soweit er auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet ist und erforderlich ist, um Tarifautonomie herzustellen.631 Daneben schützt die Koalitionsfreiheit aber auch im negativ-rechtlichen Sinne in Bezug auf ihre individuelle Ausübung das Recht, einer Koalition fernzubleiben.632 Die Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen sowie der Stamm- und Leiharbeitnehmer werden also zum Teil ebenfalls von der Koalitionsfreiheit erfasst. Diese erlangt jedenfalls dort Wirkungskraft, wo die Regelungen des AÜG Arbeitsund Wirtschaftsbedingungen determinieren und sie demnach dem Wirkbereich der Tarifautonomie entziehen.633 Gleichsam müssen die Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit auch dort beachtet werden, wo die gesetzlichen Regelungen tarifvertragliche Abweichungen erlauben.634 b) Normgeprägtes Grundrecht: Eingriff oder Ausgestaltung? Eine Besonderheit ergibt sich in Bezug auf die verfassungsrechtliche Überprüfung staatlicher Maßnahmen im Lichte der Koalitionsfreiheit daraus, dass diese ein jedenfalls teilweise normgeprägtes Grundrecht ist. Dies zeigt sich vor allem daran, dass die vielfältige individuelle und vor allem kollektive Ausübung der Koalitionsfreiheit von vornherein eine gesetzliche Ausgestaltung erfordert, um die Grundrechtsgewährleistungen überhaupt wahrnehmen zu können.635 Dem Gesetzgeber kommt daher in Bezug auf die Koalitionsfreiheit ein erheblicher Gestaltungsund Konkretisierungsauftrag zu, der darauf abzielt, die funktionellen und organi-

629

Vgl. BVerfGE 116, 202 (219 f.); sowie im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung: BVerfGK 4, 356 (363). Vgl. auch: Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 61; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 271. 630 Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 271. 631 Vgl. BVerfGE 84, 212 (229); 88, 103 (115); 92, 365 (393 f.); Cornils, in: Epping/ Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 67 ff.; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 165. 632 Vgl. BVerfGE 44, 322 (352); 50, 290 (367); 55, 7 (21); 57, 220 (245); 64, 208 (213); 73, 261 (270); 92, 365 (393); 116, 202 (218). Diese ist auch nicht in Art. 2 Abs. 1 GG zu verorten. So treffend: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 221. Weiterführend hierzu: Hellermann, Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993, S. 25 ff. 633 So etwa in Bezug auf die Lohnuntergrenze: S. 407 ff. 634 So etwa in Bezug auf die Abweichungsmöglichkeiten im Rahmen der Überlassungshöchstdauer: S. 523 ff. 635 Vgl. hierzu: BVerfGE 50, 290 (368); 58, 233 (247); Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 72 f.; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 42.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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satorischen Voraussetzungen und Handlungsmöglichkeiten der Koalitionen auf eine tragfähige und funktionsgerechte Rechtsordnung zu stellen.636 Hieraus ergibt sich allerdings die Schwierigkeit, dass bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung staatlicher Maßnahmen, die in den Schutzbereich der Koalitionsfreiheit fallende Freiheitsausübungen erfassen, zwischen Eingriffen in die Koalitionsfreiheit und Ausgestaltungen derselben unterschieden werden muss, da an beide staatlichen Akte unterschiedliche Maßstäbe der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung anzusetzen sind (siehe sogleich S. 297 ff.). aa) Ausgestaltung zum Ausgleich struktureller Disparitäten oder Eingriff (zur Schutzpflichterfüllung)? In die Kategorie der Ausgestaltung gehört hierbei etwa die Ausgestaltung eines funktionsfähigen einfachgesetzlichen Tarifvertragssystems, das die Umsetzung der Tarifautonomie überhaupt erst ermöglicht.637 Uneindeutiger wird die Differenzierung zwischen Eingriff und Ausgestaltung dort, wo dem der Koalitionsfreiheit innewohnenden internen Grundrechtskonflikt zwischen der kollektiven Koalitionsfreiheit der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite mittels staatlicher Regulierung Rechnung getragen wird. Insbesondere im Arbeitskampfrecht wird diese Kategorie regulativen Einschreitens virulent. Das Bundesverfassungsgericht sieht auch in solchen koordinierenden Regelungen, die das grundrechtsinterne Gegenüber von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite dergestalt adressieren, dass die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können, Ausgestaltungen der Koalitionsfreiheit und keine Eingriffe.638 Bei einer solchen Ausgestaltung, die dieser internen Grundrechtskollision Rechnung trägt, geht es im Ergebnis darum, aufgrund struktureller Ungleichgewichtslagen bestehende Disparitäten zwischen den sich gegenüberstehenden Koalitionen auszugleichen, um im Ergebnis eine Ausübung der Tarifautonomie – möglichst „auf Augenhöhe“ – zu ermöglichen.639 Disparitäten zwischen den Koalitionen, die allerdings nicht auf strukturellen Ungleichgewichtslagen, sondern etwa auf der inneren Schwäche einer Koalition beruhen, sind demgegenüber nicht auszugleichen, da die Koalitionsfreiheit nicht dahingehend auszugestalten ist, dass von sich aus schwachen Koalitionen erstmalig Durchsetzungsstärke verliehen wird – insofern ist der Staat zur Neutralität verpflichtet.640 Auch in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung ist dieser Aspekt der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zuletzt im Rahmen der Problematik des Einsatzes von 636

Vgl. Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 167. Siehe nur: Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 79; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 55. 638 Vgl. BVerfGE 88, 103 (115); 92, 365 (394). 639 Vgl. BVerfGE 92, 26 (42); 92, 365 (394 ff.); 94, 268 (284). 640 Vgl. BVerfGE 92, 365 (396); 146, 71 (122). 637

294 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Leiharbeitnehmern als Streikbrecher (siehe bereits S. 123 f.) aktuell geworden. So hatte das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsmäßigkeit von § 11 Abs. 5 AÜG zu entscheiden, der einen solchen streikbrechenden Einsatz verbietet.641 Da durch einen streikbrechenden Einsatz von Leiharbeitnehmern die Wirkkraft eines Streiks der Stammbelegschaft im Entleihbetrieb regelmäßig schwindet, sah das Bundesverfassungsgericht hier eine strukturell bedingte gestörte Parität gegeben, die der Gesetzgeber mittels grundrechtlicher Ausgestaltung aufgefangen hatte.642 Die Einordnung solcher auf einen Ausgleich struktureller Disparitäten gerichteter Regulierungen als reine Ausgestaltungen der Koalitionsfreiheit stößt allerdings zum Teil auf die Kritik, dass diese Ausgestaltungen – insbesondere in Bezug auf die Ausgestaltung der Arbeitskampffreiheit – vielmehr als Eingriffe zu verstehen seien.643 Die Kritik gründet sich hierbei vor allem auf dem grundsätzlichen Normverständnis der Koalitionsfreiheit.644 So sei die Koalitionsfreiheit vor allem ein Freiheitsrecht und keine Funktionsgarantie, die auf ein Idealbild struktureller Parität ausgerichtet sei. Als Freiheitsrecht gewährleiste Art. 9 Abs. 3 GG aber auch im Arbeitskampf gerade die Freiheit, die eigene Übermacht gegenüber dem anderen Verband durchzusetzen und in Ausübung grundrechtlicher Freiheit zu autonom ausgestalteten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gelangen, in denen sich die ursprünglichen strukturellen Disparitäten durchaus widerspiegeln dürften. Ein nach diesem Verständnis zum Ausgleich struktureller Disparitäten vorgenommener Eingriff in die Koalitionsfreiheit der einen Seite ließe sich dann ggf. über eine Schutzpflicht in Bezug auf die Koalitionsfreiheit der anderen Seite rechtfertigen.645 Zuletzt ist dies auch in Bezug auf die Regelung zum Streikbrechereinsatz (§ 11 Abs. 5 AÜG) vorgeschlagen worden.646 Das Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher wäre nach diesem Verständnis dann als grundrechtlicher Eingriff in die positiv-rechtliche Seite der kollektiven Koalitionsfreiheit der Ver641 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 ff. Detaillierter hierzu unten: S. 466 ff. 642 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188 f.). 643 Vgl. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 98 ff.; vertiefend: Cornils, Die Ausgestaltung der Grundrechte, 2005, S. 406 ff. Kritisch auch: Kemper, in: Huber/Voßkuhle, GG, 2023, Art. 9 Rn. 128 ff. Jüngst in Bezug auf das Verbot des Streikbrechereinsatz aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG: Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/ Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (156 f.); Krois, NZA 2020, 1229 (1231); Willemsen/Mehrens, NZA 2015, 897 (901). 644 Siehe hierzu und zum Folgenden: Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 99. 645 Vgl. Bertke, Zur Zulässigkeit von Sympathiestreiks, S. 201 ff.; Engels, Verfassung und Arbeitskampfrecht, 2008, S. 278 f., 292 f.; Frieling/Jacobs/Krois, ArbeitskampfR-HdB, § 2 III. Angesprochen aber letztlich nicht weiter verfolgt wird der Schutzpflichtengedanke in Bezug auf das Arbeitskampfrecht auch vom Bundesverfassungsgericht. Vgl. etwa BVerfGE 88, 103 (115 f.); siehe auch: BVerfGE 84, 212 (226 f.). 646 Vgl. Krois, NZA 2020, 1229 (1232 f.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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bände der Entleihunternehmen zu bewerten, der ggf. über eine Schutzpflicht in Bezug auf das gegenüberstehende Grundrecht der Arbeitnehmerverbände zu rechtfertigen wäre. Damit würde die Sonderkonstellation der Ausgestaltung des internen Grundrechtskonflikts der Koalitionsfreiheit angesichts zu behebender struktureller Disparitäten in die allgemeine Schutzpflichtendogmatik verschoben werden. Aus grundrechtsdogmatischer Sicht sprächen hierfür jedenfalls Kohärenzerwägungen. Gegen dieses Verständnis des internen Grundrechtsrechtskonflikts spricht aber zunächst eine praktische Erwägung. Schließlich müsste für eine Schutzpflichtenaktivierung zugunsten der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerkoalition aus dem Indiz der strukturellen Disparität zunächst ein jedenfalls hinreichend wahrscheinlicher grundrechtlicher Übergriff der überlegenen Arbeitgeberseite nachgewiesen werden. Dass das im Rahmen der Koalitionsfreiheit zu adressierende strukturelle Ungleichgewicht aber – wie auch im Rahmen der Berufsfreiheit in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung (siehe oben ausführlich ab S. 272 ff.) – oftmals nicht auf einen hinreichend wahrscheinlichen grundrechtlichen Übergriff des anderen Teils zurückgeht, lässt sich anschaulich am Beispiel des Streikbrechereinsatzes verdeutlichen. Setzen Entleihunternehmen in streikbrechender Weise Leiharbeitnehmer ein, geht hiermit kein grundrechtlicher Übergriff zulasten der Koalitionen der Stammarbeitnehmer einher. Diese können nach wie vor in Ausübung ihres Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG den Arbeitskampf betreiben und in Tarifverhandlungen mit der Arbeitgeberseite eintreten. Ihre grundrechtliche Freiheit wird damit nicht verkürzt. Die von Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Freiheiten können nach wie vor wahrgenommen werden, da sie nicht ganz oder teilweise von Seiten der Entleihunternehmen unmöglich gemacht werden. Vielmehr wird die grundrechtliche Freiheitsausübung nur in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt, wenn die Auswirkungen des Arbeitskampfes auf die Arbeitgeber durch deren Streikbrechereinsatz ins Leere gehen. Art. 9 Abs. 3 GG schütz aber nicht die reine Wirksamkeit von Arbeitskampfmaßnahmen und sonstigen koalitionsmäßigen Betätigungen gegenüber dem anderen Verband. Vielmehr wird nur die unbeeinträchtigte Ausübung der garantierten Freiheit selbst grundrechtlich verbürgt. Damit ließe sich jedenfalls § 11 Abs. 5 AÜG nicht mit einer Schutzpflicht hinsichtlich der kollektiven Koalitionsfreiheit der Arbeitnehmerseite rechtfertigen. Das staatliche Interesse, der Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmerseite zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen und die strukturelle Überlegenheit der Arbeitgeberseite mittels eines Verbotes des Streikbrechereinsatzes zu nivellieren, ließe sich dann ggf. nur über eine Effektivierung bzw. „Wirksamwerdung“ des Grundrechts der Koalitionsfreiheit qua sozialstaatlichem Handlungsauftrag erreichen (siehe hierzu ab S. 301 ff.). Ähnliches wird auch in Bezug auf andere Themenfelder des internen Grundrechtskonflikts der Koalitionsfreiheit festzustellen sein. Eine nähere Analyse kann hier nicht erfolgen. Festzustellen ist aber, dass der Rückgriff auf die Schutzpflichtendogmatik auch im Rahmen des der Koalitionsfreiheit innewohnenden Antagonismus der entsprechenden Grundrechtspositionen nur bei einer sorgsamen Prüfung

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der Schutzpflichtenaktivierung fruchtbar gemacht werden kann. Lediglich von einem festgestellten tatsächlichen Kräfteungleichgewicht unreflektiert auf die Schutzpflicht als einem kollidierenden Verfassungsgut zu schließen, das etwaige Eingriffe zu rechtfertigen vermag, hat auch hier keinen Wert. Gegen die Identifizierung staatlicher Regelungen, die strukturelle Disparitäten im Gegenüber der Koalitionen auszugleichen suchen, als grundrechtlichem Eingriff spricht aber noch ein weiteres Argument. Geht man mit dem Bundesverfassungsgericht647 davon aus, dass die Funktion der Koalitionsfreiheit gerade auch im Ausgleich der strukturellen Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim individualvertraglichen Abschluss von Arbeitsverträgen zu sehen ist und dass ein annährend gleichwertiges Aushandeln der Löhne und Arbeitsbedingungen durch kollektives Handeln erst ermöglicht wird, so spricht viel dafür, die gesetzliche Herstellung eines Kräftegleichgewichts als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit und nicht als Eingriff zu betrachten. Erkennt man die Funktion der Koalitionsfreiheit somit auch darin, dasjenige auszugleichen, was die Privatautonomie im beruflichen Kontext zuweilen nicht zu leisten vermag, lässt sich die Koalitionsfreiheit gewissermaßen als Freiheitsrecht mit Funktionsziel begreifen. Soll die Koalitionsfreiheit daher geeignet sein, die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite in kollektiver Weise auszugleichen, so steht die hierin garantierte Freiheitsausübung denklogisch unter dem Vorbehalt eines annähernden Kräftegleichgewichts.648 Wenn die Koalitionsfreiheit nun aber dieses bereits auf der individualvertraglichen Ebene feststellbare und sich auf kollektivvertraglicher Ebene fortsetzende Kräfteungleichgewicht auszugleichen sucht, ist eine gesetzliche Maßnahme, die diesem Ideal Rechnung trägt, nicht als Eingriff, sondern als Ausgestaltung zu betrachten. Welche Lösung – Eingriff oder Ausgestaltung – in den hier in Rede stehenden Konstellationen indes die richtige ist, soll im Rahmen dieser Arbeit nicht entschieden werden. Eine Entscheidung braucht es aber auch bereits deshalb nicht, weil sich die Einordnung einer staatlichen Maßnahme als Eingriff oder Ausgestaltung richtigerweise nicht auf den materiell-rechtlichen Maßstab der verfassungsrechtlichen Überprüfung auswirkt (siehe sogleich S. 297 ff.).

647

Vgl. BVerfGE 84, 212 (229); BVerfG, Beschl. v. 23.11.2006 – 1 BvR 1909/06, NJW 2007, 286 (287 f.). Siehe auch: BAG, Urt. v. 17.2.1998 – 1 AZR 364/97, NZA 1998, 754 (756); Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, NZA 2006, 1112 (1116); Urt. v. 19.6.2007 – 1 AZR 396/06, NZA 2007, 1055 (1057). Hierzu ausführlich: Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 153 ff.; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 52 ff. (treffend: „Kollektive Selbsthilfe durch Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie“). 648 Die Koalitionsfreiheit lässt sich daher durchaus als funktional auf einen – wie Cornils spöttisch anmerkt – in gewisser Weise „domestizierten“ Aushandlungsmechanismus ausgerichtet verstehen. Vgl. hierzu: Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 99.1.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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bb) „Eindeutige“ Eingriffe Abseits von diesem Abgrenzungsproblem stehen allerdings andere staatliche Maßnahmen, die ohne weiteres als Eingriff in das Grundrecht und nicht als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zu erfassen sind. Gemeint sind etwa staatliche Maßnahmen, die in den positiv-rechtlichen Gehalt der Koalitionsfreiheit eingreifen, indem die der Tarifautonomie der Koalitionen unterfallenden Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gesetzlich reguliert werden.649 Aber auch in die negative Koalitionsfreiheit kann dahingehend eingegriffen werden, dass unmittelbar staatlicher Zwang ausgeübt wird, einer Koalition beizutreten oder durch sozialinadäquaten Druck ein dahingehender mittelbarer Zwang entsteht.650 Ein von staatlichen Regelungen ausgehender bloßer Anreiz zum Koalitionsbeitritt genügt hierfür allerdings nicht.651 c) Rechtfertigung von Eingriffen und Ausgestaltungen Wie soeben bereits angeklungen ist, sind Grundrechtseingriffe in die Koalitionsfreiheit nur über kollidierendes Verfassungsrecht zu rechtfertigen.652 In der Folge ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung unter Beachtung der Grundsätze der praktischen Konkordanz (vgl. hierzu bereits S. 239 f.) durchzuführen.653 Ein anderer Maßstab ist dem Bundesverfassungsgerichts zufolge hingegen dort anzulegen, wo es um die Auflösung von Grundrechtskollisionen zwischen sich gegenüberstehenden Trägern der Koalitionsfreiheit im Wege der Ausgestaltung des Grundrechts geht. Da diese nach der überkommenen Rechtsprechung gerade keine Eingriffe sind, braucht es auch keinen kollidierenden Wert von Verfassungsrang, um das Grundrecht zu beschränken. Vielmehr ist der grundrechtliche Konflikt aus der beschriebenen Ausgleichslogik der Koalitionsfreiheit heraus aufzulösen. In der 649 Vgl. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 76 f.; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 87. Wenn der Gesetzgeber die Regulierung der Arbeitsbedingungen an sich nimmt, folgt aus Art. 9 Abs. 3 GG darüber hinaus keine unbedingte Pflicht, diese tarifdispositiv zu stellen: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 59 f. 650 Vgl. Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 227 ff. 651 Vgl. BVerfGE 31, 297 (302); 116, 202 (218); Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/ Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23. 652 Vgl. BVerfGE 84, 212 (228); 88, 103 (115) 92, 26 (41); Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 86 ff.; Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 49. 653 Vgl. Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 90. Auf den Streit, ob auch der Schrankenvorbehalt aus Art. 9 Abs. 2 GG auf die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Anwendung findet, kann hier – zumal die dortige Schranke hier ohnehin nicht in Betracht käme – nicht eingegangen werden. Ausführlich eine Anwendung des Schrankenvorbehalts herleitend: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 336 ff. (m. w. N.).

298 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Konsequenz hat das Bundesverfassungsgericht654 daher zuweilen betont, dass nicht der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zur Rechtfertigung anzuwenden sei, sondern vielmehr eine weite Einschätzungsprärogative bestehe, die ihre Grenzen am objektiven Gehalt von Art. 9 Abs. 3 GG und der damit einhergehenden Garantie der Tarifautonomie finde. Damit ist die oben angesprochene Funktion der Koalitionsfreiheit angesprochen, in einem möglichst ausgeglichenen Kräftegleichgewicht der Koalitionsparteien die strukturelle Unterlegenheit der Arbeitnehmerseite auszugleichen. Die Rechtsprechungslinie zu dieser Form der Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit verliert jedoch zunehmend an Kontinuität. Oftmals wird trotz der Einordnung einer staatlichen Maßnahme als Ausgestaltung die – eigentlich dem Grundrechtseingriff vorbehaltene – Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt.655 Schließt man sich der Einordnung grundrechtsinterner Kollisionen als Ausgestaltungen an, muss ein solcher Rekurs auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz dem grundrechtsdogmatischen Einwand begegnen, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz untrennbar mit dem grundrechtlichen Eingriffsbegriff verknüpft ist. Führt man sich jedoch die Eigenart der beschriebenen Ausgestaltungsvariante im Kontext von Art. 9 Abs. 3 GG vor Augen, bei der kollidierende Verfassungsgüter innerhalb desselben Grundrechts dergestalt gegenübergestellt werden, dass eine annähernde Kräfteparität entsteht, und vergleicht dies mit der Wirkfunktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, löst sich dieses Spannungsfeld auf. Schließlich ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerade darauf angelegt, miteinander kollidierende Rechtspositionen angesichts eines grundrechtsbeeinträchtigenden Staatshandelns miteinander abzuwägen. Gerade um einen solchen abzuwägenden Interessenantagonismus geht es aber auch bei den beschriebenen Ausgestaltungen zur Behebung struktureller Disparitäten bei der Grundrechtskollision der kollektiven Koalitionsfreiheit. Auch hier wird – um eines Ausgleichs der Interessen willen und vorliegend mit dem Ziel der Kräfteparität – die grundrechtliche Freiheit einer Seite beschnitten. Wenn man dies nicht bereits als Eingriff auffasst (vgl. S. 293 ff.), so ist damit jedenfalls eine eingriffsähnliche Ausgestaltung des Grundrechts verbunden, die sich trefflich anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überprüfen lässt.656 Rückt man die hier in Rede stehenden Ausgestaltungen aber derart in die Nähe des Eingriffs, spricht auch nichts dagegen, als legitimen Zweck im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einen Wert von Verfassungsrang zu fordern und so eine Kongruenz zum Erfordernis der verfassungsimmanenten Schranken bei der Recht654

Vgl. etwa: BVerfGE 92, 365 (394 ff.); 146, 71 (121 f.). Zunächst eine Ausgestaltung identifizierend, dann aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anwendend: BVerfGE 92, (394 ff.); sowie auch in Bezug auf den Streikbrechereinsatz: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188). Ähnlich auch: BAG, Beschl. v. 5. 10. 2010 @ 1 ABR 88/09, NZA 2011, 300 (303); Urt. v. 17.11.2010 – 10 AZR 649/09, NZA 2011, 289 (297 f.). 656 Dies in Bezug auf die Entscheidung zu § 11 Abs. 5 AÜG hingegen kritisierend: Klein, NJW 2020, 3069 (3070 f.). A. A. aufgrund der Einordnung der Norm als Eingriff: Krois, NZA 2020, 1229 (1231 f.). 655

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

299

fertigung von Eingriffen in Art. 9 Abs. 3 GG herzustellen. Selbst wenn man dies nicht fordern würde, lägen entsprechende kollidierende Verfassungsgüter, derentwegen die eingriffsähnliche Ausgestaltung zur Nivellierung struktureller Disparitäten vorgenommen wird, ohnehin meist bereits vor. Schließlich geht es bei den hier in Rede stehenden Ausgestaltungen der Sache nach entweder um eine Schutzpflichterfüllung in Bezug auf die kollektive Koalitionsfreiheit der anderen oder jedenfalls um die ihrerseits verfassungsrechtlich aufgeladene Effektivierung der grundrechtlichen Position über das Sozialstaatsprinzip (vgl. ausführlich ab S. 305 ff.). Der Streit um die Qualifizierung solcher staatlicher Maßnahmen, die interne Grundrechtskollisionen auflösen, als Ausgestaltung oder Eingriff lässt sich daher über die Ebene der Rechtfertigung auflösen, wenn – wie hier vertreten – an eingriffsnahe Ausgestaltungen der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als verfassungsrechtlicher Überprüfungsmaßstab angelegt wird. Beide die Koalitionsfreiheit berührende staatlichen Akte – Eingriff und eingriffsähnliche Ausgestaltung – müssen daher der Verhältnismäßigkeitsprüfung standhalten. Ein verminderter Überprüfungsmaßstab, der die staatliche Einschätzungsprärogative hinsichtlich der Ausgestaltung der Wirkvoraussetzungen der Koalitionsfreiheit in den Fokus stellt, mag daneben für staatliche Akte, die ohne weiteres als Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zu begreifen sind, relevant bleiben. Ausgestaltungen dieser Art spielen aber im Rahmen des hier verfassungsrechtlich abzumessenden Regelungssystems des AÜG keine Rolle. In Betracht kommen vorliegend nur Eingriffe oder eingriffsähnliche Ausgestaltungen in Bezug auf die Koalitionsfreiheit. 4. Die Wertungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG Eine untergeordnete, aber gleichwohl nicht zu vernachlässigende Rolle in Bezug auf die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung spielen auch die Wertungen des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dieser umfasst nach allgemeinem Verständnis die Pflicht des Staates, wesentlich ungleiche Vergleichsgruppen nicht gleich und wesentlich gleiche Vergleichsgruppen nicht ungleich zu behandeln.657 Zu rechtfertigen sind entsprechende Gleich- oder Ungleichbehandlungen über eine an die Rechtfertigungsprüfung von Eingriffen in Freiheitsgrundrechte angenäherte Verhältnismäßigkeitsprüfung.658 Näheres zu diesem Gewährleistungs-

657

Zum Überblick und m. w. N.: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 778 ff. Siehe etwa: BVerfGE 138, 136 (180 f.). Zur Entwicklung des Rechtfertigungsmaßstabes von der Willkürformel zur Neuen Formel: P. Kirchhof, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 3 Rn. 240 ff.; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 3 Rn. 24 ff. 658

300 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

gehalt kann jeweils erst in Bezug auf die einzelnen verfassungsrechtlichen Untersuchungen der Normen des AÜG folgen.659 Eine Schutzpflicht in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz in privatrechtlichen Gestaltungen, die sich in Form des oben beschriebenen Grundrechtsdreiecks ausdrücken ließen, folgt aus Art. 3 Abs. 1 GG aber nicht.660 Der Gleichheitssatz ist vielmehr eine exklusiv staatsbezogene Pflicht, aus der keine Wirkung für den Privatrechtsverkehr mit der Folge, dass ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen Privater durch Private staatlicherseits entgegenzutreten wäre, herausdefiniert werden kann.661 Eine solche Anwendung von Art. 3 Abs. 1 GG im Privatrechtsverkehr wäre mit der Privatautonomie, die gerade eine individuelle und im Ergebnis auch möglicherweise ungleiche Rechtsgestaltung eröffnet, von vornherein unvereinbar.662 Zwar gibt es jüngst in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und auch in der Literatur gegenteilige Tendenzen, die eine Verpflichtung Privater auf den Gleichheitssatz jedenfalls dort befürworten, wo sich Private aufgrund erheblicher sozialer Übermacht – etwa bei Monopolstrukturen – gegenüber anderen Privaten in einem dem Staat-Bürger-Verhältnis ähnlichen grundrechtlichen Gefährdungsverhältnis befinden.663 Unabhängig von der dogmatischen Frage, ob einer solchen Erstreckung des Gleichheitssatzes auf den Privatrechtsverkehr zu folgen ist, kann eine solche aber 659 In Bezug auf die jeweiligen Einzelregelungen wäre es angesichts des aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Prüfungsregimes zunächst denkbar, alle Normen, die an die Verleih- oder Entleihtätigkeit anknüpfen, am Gleichheitssatz zu messen, da mit diesen stets eine Sonderbehandlung gegenüber anderen Arbeitgebern einhergeht. Ein solch weites Verständnis des Gleichheitssatzes stößt allerdings schon auf die Schwierigkeit, überhaupt entsprechende Vergleichsgruppen zu bilden, um eine Überprüfung anhand des Gleichbehandlungsgrundsatzes fruchtbar zu machen. Daneben entfaltet der Gleichheitssatz indes auch innerhalb der einzelnen Regelungen des AÜG etwa dort Wirkung, wo bspw. den Tarifpartnern auf Verleiher- und Entleiherseite bezüglich der Tariföffnungsklauseln der die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen regulierenden Normen des AÜG unterschiedliche Möglichkeiten der tariflichen Gestaltung eröffnet werden. Einleitend hierzu in Bezug auf die Tariföffnungsklausel hinsichtlich der Höchstüberlassungsdauer: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 341. Derartige Ungleichbehandlungen sind auch nicht an einem etwaigen gleichheitsrechtlichen Element der Koalitionsfreiheit – die offenkundig ein Freiheitsgrundrecht ist – zu messen. Vgl. hierzu aber („ggf. in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1“): Cornils, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 9 Rn. 102. 660 Vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 84 f.; Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 222, 252; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 175 f. 661 Vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 84 f.; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 175 f. 662 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 222, 252; Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 3 Rn. 93a („Saat zur Zerstörung der Privatautonomie“); Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 175 f. 663 In Bezug auf ein Stadionverbot: BVerfGE 148, 267 (Ls. 2); Sachs, JuS 2019, 89 (90 f.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

301

allenfalls dort angenommen werden, wo nicht nur eine faktische Machtstellung vorliegt, sondern der ungleich behandelte Private sich zugleich gegenüber dem mächtigeren Gegenüber in einer dem Staat-Bürger-Verhältnis vergleichbaren Situation der Ausweglosigkeit befindet, bei der er die gewünschte Gleichbehandlung nur vom genannten Privaten und nicht anderweitig erhalten kann.664 Spätestens an dieser Voraussetzung fehlt es aber, wenn etwa Verleih- oder Entleihunternehmen Leih- und Stammarbeitnehmer hinsichtlich bspw. der Arbeits- und Entgeltbedingungen, Weiterbildungsmöglichkeiten oder Einstellungschancen ungleich behandeln. Selbst wenn man in der strukturellen Überlegenheitsposition des Unternehmens ein dem Staat-Bürger-Verhältnis ähnliches grundrechtliches Gefährdungsverhältnis sähe, müsste man feststellen, dass sich der Leiharbeitnehmer bereits aufgrund der Austauschbarkeit des jeweiligen Unternehmens allenfalls in einer momentanen Situation der Ausweglosigkeit befindet, die per se vorübergehend ist und daher nicht die Qualität der vom Bundesverfassungsgericht angedachten Gefährdungssituation erreichen kann. Art. 3 Abs. 1 GG kommt daher in derartigen Konstellationen nicht zur Anwendung. Hieran ändert auch die – fragwürdige – Figur der Erstreckung des Gleichheitssatzes auf das Privatrechtsverhältnis in monopolartigen strukturellen Überlegenheitssituationen nichts. Von dieser grundrechtsdogmatischen Fragestellung unberührt und thematisch zu trennen ist indes der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, der zwar ebenso wie der Gleichheitssatz ein Gleichbehandlungsbedürfnis befriedigt, jedoch nicht auf das Verfassungsrecht, sondern auf ein dem Privatrecht bereits selbst innewohnendes Gerechtigkeitsprinzip zurück geht.665 Da im Rahmen dieser Untersuchung allerdings die unions- und grundgesetzliche Überformung der Arbeitnehmerüberlassung im Fokus steht, wird dieser Aspekt daher hier ausgeklammert.

II. Vierte Determinante: Das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes Eine letzte umfassende Betrachtung im Hinblick auf die grundgesetzlichen Determinanten des zwischen den Beteiligten in der Arbeitnehmerüberlassung bestehenden Interessenkonflikts gilt dem Sozialstaatsprinzip. Näher aufzuschlüsseln ist in diesem Zusammenhang vor allem der bereits erwähnte – mutmaßlich aus dem Sozialstaatsprinzip zu entnehmende – Auftrag zur Effektivierung der Grundrechte bzw. zur Gewährleistung der Voraussetzungen der grundrechtlichen Freiheitsausübung. Bevor jedoch dieser besonderen Ausprägung des Sozialstaatsprinzips nachgegangen werden kann, ist zunächst dessen verfassungsdogmatischer Charakter überblicksartig vor Augen zu führen. 664

Vgl. Kischel, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 3 Rn. 93b. Vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 176. 665

302 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

1. Grundlegendes: Wirkweise und Funktion des Sozialstaatsprinzips Erwähnung findet das Sozialstaatsprinzip neben der zentralen Festlegung in Art. 20 Abs. 1 GG nur in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG. Weder Wirkweise noch Funktion werden aus dem reinen Verfassungstextbefund daher deutlich. Einen gewissen Hinweis darauf, dass die Sozialstaatlichkeit von gleicher verfassungsrechtlicher Relevanz wie etwa Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip ist, liefert das Grundgesetz dann aber damit, dass es das Prinzip als einen der in Art. 20 Abs. 1 GG niedergelegten Grundsätze durch Art. 79 Abs. 3 GG vor der Verfassungsänderung bewahrt. Trotz dieser offenkundigen Hervorhebungen des sozialen Gedankens durch das Grundgesetz ist die Relevanz des Sozialstaatsprinzips für die verfassungsrechtliche Diskussion in der Vergangenheit zuweilen grundsätzlich in Frage gestellt worden. So wurde das Sozialstaatsprinzip zum Teil als eine Programmformel abgetan, dessen Gehalt im Gegensatz zu den vom Rechtsstaatsprinzip getragenen grundrechtlichen Freiheiten nicht fixierbar oder gar mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht vereinbar sei.666 Eine in diese Richtung gehende Negation des verfassungsrechtlichen Gehalts des Sozialstaatsprinzips hat sich indes in der Literatur nicht durchsetzen können und auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen Niederschlag gefunden.667 Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht vielfach betont, dass aus dem Sozialstaatsprinzip das unmittelbar den Gesetzgeber adressierende Ziel der Herstellung einer gerechten Sozialordnung folgt.668 Allein aus dieser Formel lässt sich aber der materielle Gehalt des Prinzips noch nicht ableiten – was nicht zuletzt an der Offenheit des Begriffs des Sozialen selbst liegt.669 Nähere Konturen erhält der Inhalt des Sozialstaatsprinzips erst dort, wo aus der Wendung von der gerechten Sozialordnung gehaltvollere Zielvorgaben für konkrete Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens deduziert werden.670 So wird etwa aus dem Sozialstaatsprinzip einerseits die staatliche Pflicht hergeleitet, soziale Sicherungssysteme zu etablieren.671 Andererseits – und für die hiesige Untersuchung von höherer Relevanz – entspringt aus der Forderung nach einer gerechten Sozialordnung auch die staatliche Fürsorge für diejenigen, die aufgrund gesellschaftlicher oder persönlicher Umstände an einer freien persönlichen und sozialen Entfaltung gehindert sind.672 666

Siehe hierzu etwa paradigmatisch: Forsthoff, VVDStRL 12 (1954), S. 8 ff. Ausführlicher zur u. a. von Forsthoff vertretenen Infragestellung des normativen Gehalts des Sozialstaatsprinzips: Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 22 ff.; Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 121 ff. 668 Siehe etwa: BVerfGE 59, 231 (263); 94, 241 (263); 110, 412 (445). 669 Vgl. Benda, Handbuch des Verfassungsrechts, 1994, § 17 Rz. 92, 109. 670 Auf eine ausführliche Darstellung der Wirkbereiche des Sozialstaatsprinzips wird hier verzichtet. Weiterführend: Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 110 ff. 671 Siehe etwa: BVerfGE 28, 324 (348 f.); 45, 376 (387). 672 Siehe hierzu: BVerfGE 45, 376 (387); 100, 271 (284). 667

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

303

Angesprochen ist hiermit der oben bereits erwähnte Themenkreis der vom Sozialstaatsprinzip motivierten Gewährleistung der Voraussetzungen der grundrechtlichen Freiheitsausübung. Hiernach erwächst aus dem Sozialstaatsprinzip der an den Staat gerichtete Auftrag, dafür Sorge zu tragen, dass die von grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen konstituierte Freiheitssphäre auch tatsächlich von allen Bürgern wahrgenommen werden kann.673 Die Verbürgungen der grundrechtlichen Freiheiten sollen nicht zu Programmsätzen denaturieren, deren freiheitliche Verheißungen in der Rechtswirklichkeit keine Entsprechung finden. Hierzu gilt es, die Chancengleichheit zu gewährleisten und vor allem Abhängigkeitsverhältnisse zu kontrollieren. Die Fürsorge dafür, dass möglichst alle Bürger die Freiheiten des Grundgesetzes real ausüben können und damit die Voraussetzungen der Freiheitsausübungen forciert werden müssen, ist damit eine sozialstaatliche Aufgabe. Nicht zu verwechseln ist diese Wirkdimension des Sozialstaatsprinzips mit der Diskussion um soziale Grundrechte, kraft derer zum Teil ein breiter subjektiver Erfüllungsanspruch des Einzelnen gegenüber dem Staat im Hinblick auf die tatsächliche Ermöglichung der grundrechtlichen Freiheitsausübung durch etwa monetäre Unterstützung ins Spiel gebracht wurde.674 Derartige flächendeckende Ansprüche sind mit der hier genannten Funktion des Sozialstaatsprinzips nicht gemeint. Die generelle Wirkweise des Sozialstaatsprinzips in Bezug auf diese Gewährleistungsfelder wird in zwei Wirkdimensionen unterteilt.675 Einerseits tritt die staatliche Verpflichtung auf die Sozialstaatlichkeit in Konkurrenz zur abwehrrechtlichen Funktion der Grundrechte und kann für den regulierenden Staat einen Eingriffstitel darstellen. Staatliche Eingriffe lassen sich daher ggf. über sozialstaatliche Belange rechtfertigen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht hierzu konstatiert, dass das Sozialstaatsprinzip nicht selbst unmittelbar Grundrechte beschränken kann, sondern hierfür der Konkretisierung durch einfaches Recht bedarf.676 Dies ergibt sich allerdings bereits aus der allgemeinen Grundrechtsdogmatik. Grundrechte, die unter einem Schrankenvorbehalt stehen, können ohnehin nur durch ein einfaches Gesetz beschränkt werden und für Einschränkungen in vorbehaltlose Grundrechte ist bereits aufgrund des Parlamentsvorbehalts nichts anderes zu for-

673 Anschaulich: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 393. Siehe auch ausführlicher: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 128 ff. („Sozialstaat als enabling state“), 131 f. Siehe ferner: Drexl, Die wirtschaftliche Selbstbestimmung des Verbrauchers, 1998, S. 246 f.; Friauf, DVBl. 1971, 674 (677); Scherzberg, Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität“, 1989, S. 142 f. („Grundrechtsförderung“). 674 Überblicksartig und m. w. N. zur Diskussion um soziale Grundrechte: Cremer, in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (30 f.). 675 Vgl. Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 390 („Doppelcharakter von Sozialstaatlichkeit“). Daneben wirkt das Sozialstaatsprinzip – wie jedes verfassungsrechtliche Postulat – auch bei der Interpretation des einfachen Rechts. Vgl. etwa BVerfGE 1, 97 (105); 59, 231 (262 f.). 676 Vgl. BVerfGE 52, 283 (298); 59, 231 (263); 65, 182 (193).

304 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

dern.677 Das Sozialstaatsprinzip vermag daher nicht selbst als Eingriffstitel zu dienen.678 Vielmehr muss es erst durch das einfache Recht operationalisiert werden. Dann aber kann es als hinter einer konkreten gesetzlichen Regelung stehende verfassungsrechtliche Größe mit dem betroffenen Freiheitsrecht abgewogen werden und ggf. sogar über das Abwehrrecht obsiegen.679 Neben diese sozialstaatliche Gestaltungsermächtigung, nach der das Sozialstaatsprinzip sozialstaatlich motivierte Grundrechtseingriffe zu rechtfertigen vermag, verpflichtet die Sozialstaatsklausel den Gesetzgeber vor allem im Sinne eines objektiven Handlungsauftrags darauf, die Wirkfunktionen des Sozialstaatsprinzips qua gesetzlicher Regelung umzusetzen.680 Dieser Gestaltungsauftrag gibt allerdings verfassungsrechtlich nur das Ziel – die gerechte Sozialordnung – vor und lässt hinsichtlich der Mittel und Wege alles offen. Aber auch hinsichtlich dieses Ziels gilt, dass das Sozialstaatsprinzip als Prozess zu verstehen ist und bezüglich der Herstellung einer gerechten Sozialordnung nicht saturierbar ist.681 Zu konkreten Regelungspflichten, auf die ein subjektiver Anspruch bestünde, verdichtet sich der sozialstaatliche Handlungsauftrag nach alledem nur selten.682 Eine Ausnahme bildet etwa der Anspruch auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, der aus der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip hergeleitet wird.683 Das Bundesverfassungsgericht will diesen Anspruch explizit als Grundrecht verstanden wissen.684 In der Sache aber geht es hierbei darum, staatlicherseits die Mindestvoraussetzungen zu garantieren, die notwendig sind, um überhaupt ein menschenwürdiges Dasein entwickeln zu können und sich aus diesem heraus freiheitlich zu 677

Neumann spricht daher von einer „grundrechtsdogmatischen Trivialität“ (Neumann, DVBl. 1997, 92 [100]). 678 Siehe hierzu näher: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 394 ff. 679 Es kann daher bei Grundrechten mit Gesetzesvorbehalt als kollidierendes Verfassungsrecht, das dem eingreifenden Gesetz inhaltlich Konturen verleiht oder im Falle von vorbehaltlosen Grundrechten als verfassungsimmanente Schranke, die das eingreifende Gesetz erst verfassungsrechtlich genügen lässt, zur Anwendung kommen und in die Abwägung einbezogen werden. Vgl. hierzu: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 141 ff., 143 ff.; siehe auch: Neumann, DVBl. 1997, 92 (101 f.). 680 Siehe etwa: BVerfGE 1, 97 (105); 59, 231 (263); 94, 241 (263); 110, 412 (445). 681 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 200 („progressus in infinitum“); siehe auch: Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 394 („Für Sozialstaat gibt es nicht den Endzustand, das ,Haus am Ende des Weges‘.“). 682 Es lässt sich dem Sozialstaatsprinzip etwa kein Gebot auf bestimmte soziale Leistungen entnehmen. Vgl. etwa BVerfGE 94, 241 (263); 110, 412 (445). Siehe auch: BVerfGE 59, 231 (262 f.); 65, 182 (193); Butzer, Fremdlasten in der Sozialversicherung, 2001, S. 396 (m. w. N.); Sachs, in: Sachs, GG, 2021, Art. 20 Rn. 47. 683 Vgl. BVerfGE 45, 187 (228 f.); 82, 60 (85); 113, 88 (108 f.); 125, 175 (219 ff.). Zuvor bereits zu entsprechenden sozialstaatlichen Herleitungen: BVerfGE 40, 121 (133); 44, 353 (375. Siehe auch vertiefend: Wallerath, JZ 2008, 157 ff. 684 So explizit: BVerfGE 125, 175 (Ls. 1).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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entfalten. Insofern lässt sich der Anspruch auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verfassungsdogmatisch in die oben erwähnte Kategorie der Grundrechtsvoraussetzungen einordnen.685 Ohne ein Mindestmaß materieller Subsistenz ist die Wahrnehmung der Freiheitsgrundrechte schließlich kaum möglich, sodass die elementarste Grundrechtsvoraussetzung die Gewährleistung des Existenzminimums ist.686 Daher überrascht es auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht zum Teil die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG hinzuzitiert und so deutlich macht, dass sozialstaatliche Fürsorgemaßnahmen auch die Grundlage für die persönliche und soziale Entfaltung qua Freiheitsausübung gewährleisten.687 Durch die Verbindung des Sozialstaatsprinzips, das in einer seiner Wirkdimensionen den Staat auf die Gewährleistung der realen Voraussetzungen der Grundrechtsausübung verpflichtet, mit entsprechenden grundrechtlichen Verbürgungen, kann dementsprechend im Ausnahmefall ein subjektiver Anspruch auf staatliches Tätigwerden entstehen. Für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums ist dies allgemein anerkannt.688 Weniger eindeutig sind die Konturen der Gewährleistung der Voraussetzungen der grundrechtlichen Freiheitsausübungen als sozialstaatlicher Wirkfunktion allerdings im Bereich der hier in Rede stehenden und von der Berufsfreiheit geprägten Bereiche des Arbeits- und Wirtschaftslebens. 2. Besondere Ausprägung: Sozialstaatliche Schutzpflicht Gerade in Bezug auf die oben beschriebenen Fälle, in denen privatrechtliche Verhältnisse von einem wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewicht geprägt sind und daher den dortigen vertraglichen Gestaltungen der Makel der mutmaßlichen Fremdbestimmung anhaftet und in denen das Bundesverfassungsgericht den verfassungsrechtlichen Hebel zugunsten der wirtschaftlich-sozial Schwächeren zuweilen in der Schutzpflichtenfunktion sieht, wird aber das Sozialstaatsprinzip in der genannten Wirkdimension von denjenigen in Stellung gebracht, die eine Erfassung solcher Konstellation durch die Schutzpflichtendogmatik ablehnen.689 685 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 190 Rn. 78, 186; Wallerath, JZ 2008, 157 (163 f.). 686 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, § 190 Rn. 78. 687 Vgl. hierzu etwa: BVerfGE 100, 271 (284). Vertiefend zu diesem Zusammenhang: Wallerath, JZ 2008, 157 (164 f.) („Letztlich findet der Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 GG […] seinen Grund in der Anerkennung des Rechts und der Pflicht des Staates, im Wege ,sozialer Intervention‘ der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu dienen.“). 688 Siehe nur – statt vieler – aus der Kommentarliteratur: Grzeszick, in: Dürig/Herzog/ Scholz, GG, 2022, Art. 20 Rn. 23 ff. (m. w. N.). 689 Vgl. Brenner, Vertrags- und Wettbewerbsfreiheit, in: Merten/Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Band V, 2013, § 115 Rn. 31 ff.; Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491 ff.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (44 ff.); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff., 200;

306 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Bereits oben wurde dargelegt, dass richtigerweise nicht bereits aus einem wirtschaftlich-sozialen Ungleichgewicht bei Vertragsschlüssen auf eine Fremdbestimmung des Stärkeren über den Schwächeren qua grundrechtlichem Übergriff und daher eine Aktivierung der Schutzpflichtenfunktion zugunsten des Schwächeren geschlossen werden kann (siehe S. 263 ff.). Wenn die Umstände des Einzelfalls nicht für einen jedenfalls hinreichend wahrscheinlichen grundrechtlichen Übergriff sprechen, verbleibt die feststellbare soziologische690 Beobachtung der strukturellen Unterlegenheit des schwächeren Vertragspartners unterhalb der verfassungsrechtlichen Kategorie der Schutzpflicht. Es fragt sich jedoch, ob in solchen Konstellationen, denen auch die privatrechtliche Beziehung zwischen Leiharbeitnehmern und Verleihunternehmen grundsätzlich zugeordnet werden kann (vgl. oben S. 279 ff.), das Sozialstaatsprinzip ein verfassungsrechtliches Mandat zur gesetzlichen Nivellierung des strukturellen Ungleichgewichts zwischen den Vertragspartnern beinhalten kann. a) Verfassungsdogmatische Begründung: Anreicherung der Schutzpflichtendogmatik mit sozialstaatlichen Zielvorgaben zur Schließung verfassungsrechtlicher Schutzlücken In Bezug auf die oben herausgearbeitete, mit dem Handelsvertreterfall beginnende Rechtsprechungslinie und den vom Bundesverfassungsgericht hierin für die beschriebenen Privatrechtsverhältnisse ins Spiel gebrachten Topos der strukturellen Unterlegenheit ist aber gerade eine solche an die Schutzpflichtenfunktion angelehnte Dogmatik für das Sozialstaatsprinzip bereits entwickelt worden.691 Das SozialKrings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 357 ff.; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 505 f., 507; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 165, 197 ff., 445; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S. 297, 385 (Isensee zustimmend). Ähnlich auch Neuner, der zwischen dem „liberalen“ und dem „sozialen Paradigma“ unterscheidet (vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269 ff.). I. E. ebenfalls zwischen sozialstaatlichem und schutzpflichtdogmatischem Schutzauftrag unterscheidend: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 2005, S. 104 f. (Trennung sozialstaatlicher Förderungspflichten von den Schutzpflichten, wo „nicht die Bedrohung grundrechtlicher Schutzräume von außen zu besorgen, sondern die Entfaltung grundrechtlicher Freiräume zu verwirklichen ist“). Ähnlich: Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 368, 392. Ebenfalls in diese Richtung unterscheidend, zwischen Schutzpflicht und Sozialstaat aber anderweitig abgrenzend: Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 133 ff. 690 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 691 Grundlegend: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491 („Grundrechtliche Schutzpflichtfunktion in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip“); ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (dort bereits die Überschrift: „Grundrechte und Sozialstaatsprinzip: Vertragsfreiheit und die [partiell] sozialstaatliche Imprägnierung der grundrechtlichen Schutzpflicht“). Siehe auch Isensee, der explizit eine „unechte (sozialstaatliche) Schutzpflicht“ anerkennt (vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof [Hrsg.], HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 198).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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staatsprinzip vermag hier eben das zu besorgen, woran die Schutzpflichtenfunktion in Bezug auf von strukturellen Disparitäten geprägte und faktisch fremdbestimmte Vertragsgestaltungen scheitert – namentlich diese offenkundig regulativ einzufangenden privatrechtlichen Konstellationen692 verfassungsrechtlich zu unterfüttern und den Gesetzgeber zum eingreifenden Handeln qua Gesetz zu bewegen. Schließlich lässt die Schutzpflichtenfunktion – das oben dargelegte Verständnis ihrer Struktur (siehe ausführlich ab S. 246 ff.) zugrunde gelegt – offenbar eine verfassungsrechtliche Schutzlücke in Bezug auf wirtschaftlich-sozial Schwächere erkennen, die mit dem Sozialstaatsprinzip geschlossen werden kann. Dass überhaupt eine solche Schutzlücke besteht, sollte nach dem oben Gesagten außer Frage stehen. Am Beispiel des Handelsvertreterfalles sei die Diskrepanz zwischen dem Schutzniveau der Schutzpflichtenfunktion und dem tatsächlichen Schutzbedürfnis strukturell Unterlegener jedoch abschließend illustriert. So macht es zwar verfassungsdogmatisch im Hinblick auf die Schutzpflichtenaktivierung einen Unterschied, ob dem Handelsvertreter das diesen belastende Wettbewerbsverbot mittels grundrechtlichen Übergriffs durch Zwang, Drohung, Täuschung oder anderweitigem willensbeugenden bzw. willensbeeinflussenden Verhalten des vertraglichen Gegenübers in fremdbestimmender Weise diktiert wurde. Für den Handelsvertreter selbst macht die An- oder Abwesenheit eines solchen grundrechtlichen Übergriffs indes wertungsmäßig kaum einen Unterschied.693 In beiden Fällen befindet er sich in einer Zwangslage, die im Fall des grundrechtlichen Übergriffs vom mächtigeren Gegenüber forciert wird, im Fall des Fehlens eines Übergriffs aber jedenfalls ausgenutzt wird. Die strukturelle Unterlegenheit bleibt in beiden Fällen bestehen, sodass es wertungsmäßig geboten erscheint, ihr auch in beiden Fällen Ebenso: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 358 („Da es hier um die wechselseitige Ausrichtung und Anpassung individueller Freiheitssphären geht, kann – nicht in Identität, aber in Parallelität zu den grundrechtlichen Schutzpflichten – auch in Abwesenheit eines Übergriffstatbestandes von sozialstaatlichen Schutzpflichten gesprochen werden.“). I. E. gleich aber terminologisch unterschiedlich: Neuner, der zwischen dem „liberalen“ und dem „sozialen Paradigma“ unterscheidet (vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269 ff.). 692 In der Sache bezieht sich dies auf all jene privatrechtlichen Beziehungsgeflechte, die von einem Kräfteungleichgewicht und daher einer potenziellen Fremdbestimmung geprägt sind. Abseits der Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehung lässt sich derartiges etwa auch im Bereich des Verbraucherrechts oder des Mietrechts ausmachen. Zusammenfassend und m. w. N. zur parallelen zivilrechtlichen Diskussion um materielle Vertragsgerechtigkeit im Wirkungsbereich der Privatautonomie: Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 76 ff.; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff. Siehe insbesondere in Bezug auf das Arbeitsrecht erneut: Heinrich, Formale Freiheit und materiale Gerechtigkeit, 2000, S. 69 ff.; Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, in: Wank (Hrsg.), FS Wiedemann, 2002, S. 559 ff.; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 137 ff. 693 In dieser Weise ähnliche Situationen grundrechtlicher Übergriffe und solche ohne einen derartigen Übergriff gegenüberstellend und wertungsmäßig die gleiche Schutzbedürftigkeit feststellend: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493.

308 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

verfassungsrechtlich zu begegnen. Schließlich liegt materiell-wertungsmäßig in beiden Fällen eine Fremdbestimmung vor, der sich zwar im Falle des fehlenden grundrechtlichen Übergriffs in grundrechtlicher Freiheitsausübung autonom gebeugt wird, die aber im Ergebnis nicht als materiell „frei“ und dem eigenen Interesse dienend angesehen werden kann.694 Nur weil ein grundrechtlicher Übergriff in privatrechtlichen Konstellationen struktureller Unterlegenheit oftmals fehlt, heißt das daher nicht, dass nicht dennoch ein Bedürfnis besteht, verfassungsrechtlich einzuschreiten. Diese offene verfassungsrechtliche Flanke kann das Sozialstaatsprinzip über eine weit verstandene Interpretation seiner Wirkfunktion der Gewährleistung der realen Grundrechtsvoraussetzungen schließen. Bevor jedoch auf diese dogmatische Verwurzelung eingegangen werden kann, sei zunächst festgehalten, dass die besagte verfassungsrechtliche Flanke freilich nur offen ist, wenn der grundrechtlichen Privatautonomie nicht bereits eine materielle Ebene hinzugefügt wird, nach der die Ausübung dieses Freiheitsgrundrechts nicht nur formal zu verstehen ist, sondern auch im Einzelfall jeweils materiell zu prüfen ist, ob die Grundrechtsausübung materiell „frei“ und im eigenen Interesse geschieht.695 Ein solches Verständnis grundrechtlicher Vertragsautonomie wird hier aber nicht zugrunde gelegt. Die Schutzpflicht setzt zu schützende definierte grundrechtliche Rechtspositionen voraus.696 Grundrechtliche Freiheit aber schützt die formale Freiheitsausübung und nicht die Interessengerechtigkeit ihrer Ergebnisse. Dem folgend erfasst auch eine Schutzpflicht in Bezug auf die Vertragsautonomie nur die Integrität der formalen Vertragsfreiheit vor dem vertraglichen Gegenüber,697 sie schützt aber gerade nicht vor den Ergebnissen der formal grundrechtlich frei ausgeübten Vertragsfreiheit.698 Einen solchen materiellen Blick auf die Interessengerechtigkeit formal grundrechtlich freier Vertragsentscheidungen im Kontext struktureller Unterlegenheit vermag nur das Sozialstaatsprinzip zu erlauben. Dogmatisch liefert hierbei die bereits erwähnte Wirkfunktion des Sozialstaatsprinzips, die den Staat dazu verpflichtet, diejenigen, die aufgrund gesellschaftlicher oder persönlicher Umstände an der grundrechtlich konstituierten Freiheitsentfaltung gehindert sind, dahingehend zu 694 Insofern ebenfalls das Sozialstaatsprinzip mit materiellen Aspekten privatautonomer grundrechtlicher Entscheidung in Verbindung bringend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 358; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 330. 695 So die von Höfling vorgeschlagene Materialisierung der Vertragsautonomie, nach der diese nicht nur formal verstanden wird, sondern auch ein materieller Blick auf die dadurch erzielten Ergebnisse geworfen wird (Höfling, Vertragsfreiheit, 1991, S. 45 ff.) I. E. verläuft diese Betrachtung dann parallel zur Idee der Vertragsgerechtigkeit in der zivilrechtlichen Debatte. Vgl. hierzu etwa: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeitsund Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff. (m. w. N.). 696 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197. 697 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 („Unversehrtheit der Vertragsfreiheit“). 698 Vgl. tiefergehend hierzu: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 489 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

309

unterstützen, dass die Voraussetzungen der Freiheitsausübung gewährleistet werden.699 Führt man sich die hier in Rede stehenden Fälle – beispielhaft den Handelsvertreterfall – allerdings vor Augen, so wird klar, dass es hierbei wiederum nicht um die Ausübbarkeit der grundrechtlichen Freiheit per se geht. Der Handelsvertreter ist schließlich nicht aufgrund fehlender tatsächlicher Voraussetzungen der Ausübbarkeit seiner Privatautonomie daran gehindert, überhaupt formal eigene Vertragsentscheidungen zu fällen. An den Voraussetzungen dazu, grundrechtliche Freiheit ausüben zu können, fehlt es hier nicht. Angesichts der aufgrund der strukturellen Unterlegenheit bestehenden faktischen Zwangslage fehlt es aber an der Möglichkeit, eine den eigenen Interessen genügende privatautonome Entscheidung zu fällen.700 Es fehlt daher an der Fähigkeit, die grundrechtliche Freiheit zum Erzielen materiellwertungsmäßig freier Entscheidungen zu nutzen.701 Diese dogmatische Spitzfindigkeit darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch letzteres ein Thema des Sozialstaatsprinzips ist. Bricht man das oben beschriebene sozialstaatliche Interesse an den Voraussetzungen der Freiheitsausübung herunter, geht es hierbei darum, dafür zu sorgen, dass grundrechtliche Freiheit auch rechtstatsächlich dazu eingesetzt werden können muss, freie Entfaltung zu erzielen. Dann aber kann es nicht darauf ankommen, ob es um die Voraussetzungen formaler grundrechtlicher Freiheitsentscheidung selbst geht oder um die Voraussetzungen von deren materieller Wirksamkeit im Hinblick auf die freie Entfaltung. In beiden Fällen ist letztere freie Entfaltung gehemmt, sodass ein sozialstaatliches Interesse zum gesetzgeberischen Ausgleich in beiden Fällen besteht. Dass dieser Ausgleich in der Rechtsfolge nicht nur darauf gerichtet sein kann, die Ausübbarkeit der Vertragsfreiheit zugunsten des wirtschaftlich-sozial Schwächeren zu gewährleisten, indem dessen Verhandlungsposition qua gesetzlicher Regelung gestärkt wird, sondern auch dahin gehen kann, einzelne regulative Fragen aus der vertraglichen Gestaltung völlig herauszunehmen, ist eine von diesem dogmatischen Ursprung loszulösende Fragestellung.702

699 Ausdrücklich die Gewährleistung der Ausübbarkeit grundrechtlicher Freiheit als Motivation eines sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses festmachend: Isensee, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 199; Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 198 f. Siehe bereits zu einem auf diese Art sozialstaatlich aufgeladenen Verständnis einer Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG unter Verweis auf das numerus-claususUrteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 33, 303 [331 f.]): Erichsen, Jura 1980, 551 (558 f.). 700 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 („Dilemma der Vertragsfreiheit“). 701 In Parallelität zur zivilrechtlichen Diskussion könnte man dies auch als die tatsächliche Fähigkeit bezeichnen, qua Vertragsautonomie materielle Vertragsgerechtigkeit erzielen zu können. Vgl. hierzu (auch m. w. N. zur zivilrechtlichen Diskussion): Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff. 702 Insofern liegt dann i. E. gerade keine Grundrechtsförderung mehr vor. Vgl. hierzu: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 („Mit der Beseitigung der Vertragsfreiheit erledigt sich dann ihr Dilemma.“).

310 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Festhalten lässt sich jedoch, dass die sozialstaatliche Wirkfunktion der Gewährleistung der Voraussetzungen der Freiheitsentfaltung die Lücke schließen kann, welche die Schutzpflichtenfunktion offenlässt.703 Wo der grundrechtliche Übergriff fehlt, kann dieser durch die Ausnutzung der Verhandlungsstärke des wirtschaftlichsozial Mächtigeren und die damit einhergehende Hemmung grundrechtlicher Freiheit ersetzt werden. Abgesehen von dieser Subtraktion des grundrechtlichen Übergriffs lässt sich für diese so verstandene sozialstaatliche Schutzpflicht eine ähnliche dogmatische Prüfstruktur entwickeln wie für die grundrechtliche Schutzpflicht (siehe oben ab S. 246 ff.). Erkennt man dieses Konzept grundsätzlich an, kommt es nicht zwingend darauf an, ob man dies nun als eine Anreicherung der grundrechtlichen Schutzpflichtenfunktion durch das Sozialstaatsprinzip704 oder als eine sozialstaatliche und daher „unechte“ Schutzpflicht705 interpretiert oder von einem „sozialen Paradigma“ im Gegensatz zum „liberalen“ spricht.706 Die Unterschiedlichkeit in den Bezeichnungen ist ggf. nur eine semantische und keine verfassungsdogmatische Diskrepanz. Nach alledem ist die materiell-wertungsmäßige Fremdbestimmung vertraglicher Gestaltungen zulasten wirtschaftlich-sozial strukturell Unterlegener durch das überlegene Gegenüber daher nicht nur durch die grundrechtliche Schutzpflicht aufzufangen. Erfolgt diese Fremdbestimmung durch eine Ausnutzung der Disparitätskonstellation, gelangt vielmehr auch ein sozialstaatliches Schutzprogramm zur Anwendung. Der Schutzgrund der erstgenannten Verfassungsfunktion ist die Integrität der grundrechtlichen Freiheitsausübung, der Schutzgrund der zweiten Verfassungsfunktion ist die Ermöglichung der Ausübungs- bzw. Wirksamkeitsvoraussetzungen grundrechtlicher Freiheitsausübung. Das Differenzierungsmerkmal lässt sich im grundrechtlichen Übergriff festmachen.707 703

So ausdrücklich Cremer: „Kompensation des fehlenden ,privaten Übergriffs‘ durch das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip“ (Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491, 493; siehe auch: ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer [Hrsg.], FS Schnapp, 2008, S. 29 [45]). 704 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491, 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (45). 705 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 198. 706 Vgl. Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269. 707 Siehe hierzu sogleich: S. 315 ff. Anders sieht es Kingreen, der das Unterscheidungsmerkmal zwischen sozialstaatlichem Grundrechtsvoraussetzungsschutz und grundrechtlicher Schutzpflicht in der Gefahrenquelle erblickt. Sobald eine solche personal festzustellen ist, könne nur die grundrechtliche Schutzpflicht einschlägig sein, da es beim sozialstaatlichen Schutzmoment um einen keiner personalen Gruppe zuzuordnenden Systemdefekt gehe („sublime Gefahr“). Daher ordnet Kingreen den Handelsvertreterfall auch der grundrechtlichen Schutzpflicht zu, da hier ein gefährdendes Gegenüber festzumachen sei (vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 133 ff., 139). Ein solches Verständnis greift allerdings dann zu kurz, wenn man für die grundrechtliche Schutzpflicht – wie hier – einen wahrscheinlichen Grundrechtsübergriff fordert. Dann müssten auch bei Kingreens Konzept Fälle mit feststellbarem personalem Gegenüber aus der Schutzpflichtenfunktion herausgefiltert werden. In ähnlicher Weise wie Kingreen zwischen einerseits

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

311

Das hier gefundene Ergebnis ist im Übrigen auch nicht als Bruch mit der Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts rund um den Topos der strukturellen Unterlegenheit zu verstehen. Zwar rekurriert das Gericht hier vor allem auf die Schutzpflichtenfunktion, sodass die genannten Judikate gemeinhin im Lichte der grundrechtlichen Schutzpflicht und des Grundrechtsdreiecks betrachtet werden (vgl. S. 253 ff.). Oftmals mitzitiert – vom Handelsvertreterfall708 bis zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes im AÜG a. F.709 – wird aber auch das Sozialstaatsprinzip. Interpretiert man dies nicht nur als argumentativen Zierrat, sondern als möglichen Rekurs auf die Wirkfunktion des Sozialstaatsprinzips, die Voraussetzungen für Freiheitsentfaltung überhaupt zu gewährleisten, kann man die bundesverfassungsgerichtliche Erfassung der beschriebenen privatrechtlichen Konstellationen auch im Lichte eines sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses beleuchten.710 In jedem Fall aber steht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem hier gefundenen Ergebnis nicht entgegen. Jedoch sind grundrechtlicher Schutz und sozialstaatlich motiviertes Einschreiten ungeachtet der Tatsache, dass das Gericht sie zum Teil in einem Atemzug erwähnt,711 in Tatbestandsbedingungen und Rechtsfolgen nicht per se synonym und voraussetzungsgleich. Struktur und Gehalt der hier angenommen sozialstaatlichen Schutzpflicht gilt es daher im Folgenden zu erfassen. b) Die Struktur der sozialstaatlichen Schutzpflicht Obwohl die verfassungsrechtliche Konstellation einer sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion bereits erdacht wurde,712 ist ihre Prüfstruktur noch nicht dargetan worden. Versteht man sozialstaatliche Schutzpflicht allerdings als Parallelität zur

konkretem Dritten und andererseits einem Schutz vor diffus verursachtem freiheitserheblichem Mangel differenzierend: Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 392. 708 Vgl. BVerfGE 81, 242 (254 f.). 709 Vgl. BVerfGK 4, 356 (364). 710 Jedenfalls BVerfGK 4, 356 (364) unter Verweis auf BVerfGE 34, 307 (316); 77, 84 (116 f.) lässt sich in diesem Lichte verstehen: „Zwingende Regelungen des Arbeitsrechts schaffen erst den Rahmen, in dem die mehrheitlich abhängig Beschäftigten ihre Grundrechte aus Art. 12 I GG unter angemessenen Bedingungen verwirklichen können.“. 711 Siehe hierzu: BVerfGE 81, 242 (254), wo es heißt, dass Vorschriften, die „sozialem und wirtschaftlichem Ungleichgewicht“ entgegenwirken, „die objektiven Grundentscheidungen des Grundrechtsabschnitts und damit zugleich das grundgesetzliche Sozialstaatsprinzip“ verwirklichen. 712 Sog. „unechte (sozialstaatliche) Schutzpflicht“. Vgl. hierzu insbesondere: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 198. Ebenso: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 358. Ähnlich: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491 („Grundrechtliche Schutzpflichtfunktion in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip“); ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (dort in der Überschrift: „sozialstaatliche Imprägnierung der grundrechtlichen Schutzpflicht“).

312 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

grundrechtlichen Schutzpflicht713 und als verfassungsrechtliche Auffanggröße für diejenigen Fälle struktureller Unterlegenheitssituationen in privatrechtlichen Vertragskonstellationen, in denen es am grundrechtlichen Übergriff fehlt, so bietet sich an, sie in ihrer Struktur an die grundrechtliche Schutzpflicht anzulehnen. aa) Tatbestand sozialstaatlicher Schutzpflichten Sinnvoll ist daher auch hier eine Unterteilung in eine Tatbestands- und Rechtsfolgenseite. Auch eine sozialstaatliche Schutzpflichtenfunktion muss also zunächst aktiviert sein, um rechtliche Wirkung zu entfalten. (1) Schutzgut: Formale Grundrechtsvoraussetzungen oder materielle Grundrechtswirksamkeit Ihr „Schutzgut“ ist aber nicht die grundrechtliche Freiheitsausübung in Bezug auf die konkrete grundrechtliche Gewährleistung. Das sozialstaatlich zu bewahrende Schutzgut ist vielmehr zunächst in den Voraussetzungen der formalen Freiheitsausübung in Bezug auf die in Betracht kommenden Grundrechte zu sehen. In diese Richtung wirkt auch bereits der oben beschriebene Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum (hierzu einleitend S. 302 ff.).714 In Bezug auf die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung zu besorgenden vertraglichen Fremdbestimmungsmomente wird es indes nur selten an den etwa finanziellen oder kognitiven Voraussetzungen fehlen, von etwa der berufsbezogenen Vertragsfreiheit generell Gebrauch zu machen.715 Vielmehr steht gerade eine Ingebrauchnahme der Vertragsautonomie im Raum. Darüber hinaus leidet die Grundrechtsausübung aber an einem dahingehenden Mangel, dass die freiheitliche Entscheidung nicht im eigenen Interesse ausgeübt wird. Dies kann man als „konkretentscheidungsbezogenes Defizit“ oder als eine „Gefährdung der Willensbildung“ beschreiben716 oder als Schutz davor, vertragliche Bindungen einzugehen, die zum

713

So bei: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 358. Wenngleich die Ausgangssituation hier nicht die hier vorliegende zum Grundrechtsdreieck parallele Dreieckskonstellation ist. 715 Selbst in dem Fall, in dem Leiharbeitnehmer vertragliche Abreden, die darauf zielen, die erhofften Übernahmeeffekte absichern (wie z. B. durch die vertragliche Verpflichtung, nicht auf Stammarbeitsplätzen oder nur über begrenzte Zeit überlassen zu werden) nicht adressieren, weil es insofern prima facie an der Kenntnis entsprechender Sachzusammenhänge fehlt, wird man nicht behaupten können, dass dies daran liege, dass es an den Voraussetzungen der Ausübung der Vertragsfreiheit selbst mangele. Vertragliche Abreden werden in Gestalt der entsprechenden Arbeitsverträge schließlich in jedem Fall in formal freier Manier geschlossen, sodass die generellen Voraussetzungen für die Grundrechtsausübung nichtsdestoweniger vorliegen werden. 716 So bei: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 274. 714

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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eigenen Nachteil gereichen.717 In der Konsequenz geht es daher formal letztlich um einen Schutz vor sich selbst,718 jedoch anlässlich einer wertungsmäßig-materiellen Fremdbestimmung. Richtigerweise ist dies aber kein Fall der Ausübbarkeit eines Grundrechts. Wenn daher zuweilen angenommen wird, dass es in Fällen wie dem Handelsvertreterfall an der Ausübbarkeit der Vertragsfreiheit fehle,719 ist dem nur insoweit zuzustimmen, als es um die Voraussetzung geht, Vertragsfreiheit nicht nur formal, sondern auch materiell dem eigenen Interesse gemäß auszuüben und somit wertungsmäßig privatautonom zu handeln. Dies könnte man daher als Voraussetzung materieller Grundrechtsausübung verstehen oder – so der hier gewählte Terminus – als materielle Grundrechtswirksamkeit.720 Beides, die formale Grundrechtsvoraussetzung und die Voraussetzung ihrer Wirksamkeit, sind aber Themen des Sozialstaatsprinzips (siehe bereits oben S. 301 ff.). Gerade dies kommt etwa auch in Bezug auf den hier als Kontrollüberlegung herangezogenen Handelsvertreterfall – wenn man den grundrechtlichen Übergriff dort negiert – in Betracht. Der strukturell unterlegene Handelsvertreter schließt in formal freier Grundrechtsausübung eine vertragliche Abrede, die seinem Interesse offenkundig nicht entspricht.721 Allein dies genügt freilich für eine Aktivierung einer 717 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; siehe ferner: Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992, S. 147 f., 153 f. 718 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; siehe ferner: Hillgruber, Der Schutz des Menschen vor sich selbst, 1992, S. 147 f., 153 f. 719 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 („Nicht die Vertragsfreiheit ist gestört, sondern die Voraussetzung ihrer Ausübung“). 720 Der gedankliche Hintergrund hinter dieser hier gewählten Terminologie ist es, zum einen von der Idee der Grundrechtsvoraussetzung und dem damit verknüpften formalen Freiheitsverständnis Abstand zu nehmen und zum anderen den Blick auf das Ergebnis der Grundrechtsausübung zu richten. Grundrechtliche Freiheitsausübung kann nur im materiellwertungsmäßigen Sinne „wirksam“ zugunsten des Grundrechtsberechtigen sein, wenn die tatsächliche Möglichkeit besteht, vermittels der Grundrechte die eigenen Interessen zu verfolgen und demgemäß in echter freiheitlicher Selbstentfaltung zu handeln. Nur dann ist das Ergebnis eines Vertrages als materiell richtig, da wertungsmäßig freiheitlich zustande gekommen, zu bewerten. Eben dies soll hier mit der materiellen Grundrechtswirksamkeit beschrieben werden. Siehe insofern auch zur parallelen zivilrechtlichen Diskussion um materielle Vertragsgerechtigkeit im Wirkungsbereich der Privatautonomie: Busche, Privatautonomie und Kontrahierungszwang, 1999, S. 76 ff.; Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 13 ff.; insbesondere in Bezug auf das Arbeitsrecht: Thüsing, Gedanken zur Vertragsautonomie im Arbeitsrecht, in: Wank (Hrsg.), FS Wiedemann, 2002, S. 559 ff.; Ulber, Tarifdispositives Gesetzesrecht im Spannungsfeld von Tarifautonomie und grundrechtlichen Schutzpflichten, 2010, S. 137 ff. 721 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100. Anders hingegen grenzt Ruffert in Bezug auf den Handelsvertreterfall zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht und sozialstaatlichem Schutz ab, indem hier auf die freiheitsgefährdende Wirkung des eingegangenen Vertrages abgestellt wird (vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 445).

314 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

sozialstaatlich motivierten Schutzpflichtenfunktion noch nicht. Vielmehr muss dieser materielle Freiheitsmangel auf einem Moment der Fremdbestimmung durch das vertragliche Gegenüber beruhen – ebenso wie dies in Bezug auf die grundrechtliche Schutzpflicht beim Grundrechtsübergriff der Fall ist. In diesen Themenkreis der materiellen Grundrechtswirksamkeit aufgrund (gesondert festzustellender) privater Übermacht lässt sich auch die der kollektiven Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG inhärente Problematik der Ausgestaltung des Grundrechts zum Ausgleich struktureller Disparitäten einordnen (vgl. oben S. 293 ff.). Auch hier geht es regelmäßig nicht um grundrechtliche Übergriffe oder einen Mangel an den Voraussetzungen dafür, kollektive Koalitionsfreiheit überhaupt ausüben zu können. Vielmehr steht das Problem im Vordergrund, dass die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Handlungen in ihrer Wirksamkeit angesichts des übermächtigen Gegenübers eingeschränkt sind und sich nicht effektiv zur Wahrung der eigenen (koalitionsmäßigen) Interessen einsetzen lassen (hierzu sogleich S. 324 ff.). (2) Gefahrenquelle: Wirtschaftlich-soziale Übermacht eines Grundrechtsberechtigten Diese Gefährdung muss sodann von einem wirtschaftlich-sozial mächtigeren Grundrechtsberechtigten als vertraglichem Gegenüber ausgehen. Insofern lässt sich das vom Bundesverfassungsgericht und (in Teilen) der Lehre zu den Fällen struktureller Unterlegenheit und dem dortigen mächtigeren privaten Antagonisten des grundrechtlich zu Schützenden Gesagte (vgl. S. 250 ff.) hier erneut anbringen. Dem zu schützenden strukturell unterlegenen Privaten muss daher ein konkreter mächtigerer Grundrechtsberechtigter gegenüberstehen.722 Die hier vertretene sozialstaatliche Schutzpflichtenfunktion orientiert sich schließlich an der grundrechtlichen Schutzpflicht, ersetzt jedoch das grundrechtliche Schutzgut in der soeben erläuterten Weise und substituiert den grundrechtlichen Übergriff. Im Übrigen aber wird sie subsidiär – sofern kein grundrechtlicher Übergriff vorliegt – auf eben jene vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Fälle wirtschaftlich-sozialer Disparitäten angewandt.

722 So auch diejenigen, die in den genannten von struktureller Unterlegenheit geprägten Fällen, für ein sozialstaatliches Mandat und nicht für die grundrechtliche Schutzpflicht plädieren: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491 ff., 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (46 f.); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 ff.; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 197 ff., 200; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 357 ff.; Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269 ff., Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 197 ff., wenngleich Ruffert die Gefahrenquelle als weniger individualisiert betrachtet, als es in der Dreieckskonstellation der Schutzpflicht der Fall wäre, dann aber – wie hier – anhand eines fehlenden grundrechtlichen Übergriffs abgrenzt.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

315

Insofern unterscheidet sich dieser konkrete Zuschnitt sozialen Schutzes auch von der dem sozialstaatlichen Handlungsauftrag zum Schutz Schwächerer zuweilen attestierten Konturlosigkeit bei einem Einschreiten ob „gegnerloser Not“.723 Vielmehr spiegelt sich hier dieselbe Gefahr für die grundrechtliche Freiheit wider, wie sie aus der Ingerenz Dritter im Sinne des Grundrechtsdreiecks bekannt ist.724 Diese Gefahr zulasten wirtschaftlich-sozial Schwächerer ist aber gerade nicht anonym und auch nicht hinsichtlich ihres personalen Ursprungs diffus, wie es bei einem Schutz vor den freiheitsverkürzenden Auswirkungen etwa von Armut im Falle des Anspruchs auf ein menschenwürdiges Existenzminimums oder einem Schutz vor dem Wechselfällen des Lebens im Sozialrecht der Fall ist.725 Vielmehr ist der freiheitsgefährdende Antagonist gerade ein grundrechtsberechtigter Privater, sodass nicht die Situation einer gegnerlosen anonymen Freiheitsgefahr vorliegt. (3) Gefahrenschwelle: Grundrechtshemmung aufgrund spezifischer Unterlegenheitssituation und Ausnutzungsmoment des überlegenen Grundrechtsberechtigten Damit nun aber ein der grundrechtlichen Schutzpflicht ähnliches Schutzbedürfnis überhaupt entstehen kann, ist – parallel zum grundrechtlichen Übergriff bei der schutzpflichtendogmatischen Gefahrenschwelle – zweierlei erforderlich: Zum einen muss es aufgrund einer strukturellen Unterlegenheit des zu schützenden Privaten zu einer Hemmung grundrechtlicher Freiheit im Sinne des oben beschriebenen Schutzgutes kommen. Zum anderen aber muss diese Hemmung auch gerade auf eine Ausnutzung der überlegenen Position des grundrechtlichen Gegenübers zurückgehen, in der sich das strukturelle Ungleichgewicht der Vertragspartner realisiert. In letzterem Ausnutzungsmoment ist insofern das „sachliche Äquivalent für den ,pri-

723 So die treffende Begrifflichkeit bei: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 118 f.; siehe auch: Cremer., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (46). 724 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (46 f.); i. E. auch: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 200. 725 Anders erneut Kingreen, der das Unterscheidungsmerkmal zwischen sozialstaatlichem Schutz und grundrechtlicher Schutzpflicht in der Gefahrenquelle erblickt. Sobald eine solche personal festzustellen ist, könne nur die grundrechtliche Schutzpflicht einschlägig sein, da es beim sozialstaatlichen Schutzmoment um einen keiner personalen Gruppe zuzuordnenden Systemdefekt gehe („sublime Gefahr“) (vgl. Kingreen, Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund, 2003, S. 133 ff., 139). In ähnlicher Weise zwischen einerseits konkretem Dritten und andererseits einem Schutz vor diffus verursachtem freiheitserheblichem Mangel differenzierend: Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 392. Auch Ruffert betrachtet die Gefahrenquelle im Falle des sozialstaatlichen Schutzes als weniger individualisiert und eher anonym, grenzt dann aber – wie hier – anhand eines fehlenden grundrechtlichen Übergriffs ab (vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 197 ff.).

316 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

vaten Übergriff‘“726 zu sehen. Nichts anderes ist gemeint, wenn davon gesprochen wird, dass für eine Kompensation der bekannten Ungleichgewichtslagen ein Ergebnis vorliegen müsse, das einerseits durch „Defizite im eigenverantwortlichen Bereich der Willensbildung geprägt ist und zugleich Elemente einer Fremdbestimmung aufweist“.727 Beides ist also erforderlich: Das „konkret-entscheidungsbezogene Defizit“,728 das eine Selbstschädigung durch das Eingehen nachteiliger Vertragsinhalte nach sich zieht,729 sowie der Umstand, dass das grundrechtliche Gegenüber diesen Freiheitsmangel ausnutzt und kraft seiner überlegenen Position für den unterlegenen Teil nachteilige Vertragskonditionen faktisch einseitig und fremdbestimmt setzt.730 Letzteres erfordert mindestens ein subjektives Element der Kenntnis hinsichtlich der strukturellen Unterlegenheit des Gegenübers und dem daraus folgenden Defizit die eigene Position durchzusetzen. Wer daher eine emotionale oder materielle Zwangslage des anderen ausnutzt, um Verträge einseitig zu diktieren, handelt wertungsmäßig nicht anders als derjenige, der unter Überwindung des Willens seines vertraglichen Gegenübers in dessen grundrechtliche Positionen übergreift.731 Beides kann – sofern das Ausnutzungsmoment dem Übergriffsmoment wertungsmäßig gleichkommt – im materiellen Sinne freiheitsgefährdend wirken und daher ein verfassungsrechtliches Verwerflichkeitsurteil nach sich ziehen. In Bezug etwa auf die bekannten Bürgschaftsfälle, in denen der mächtigere Vertragspartner den Unterlegenen aufgrund dessen Zwangslage bewusst übervorteilt, ist ein solches subjektives Ausnutzungsmoment, das ein wertungsmäßiges Verwerflichkeitsurteil rechtfertigt, zweifellos gegeben.732 Inwiefern eine derartige Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit des Gegenübers auch im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung zu besorgen ist, wird noch zu prüfen sein (siehe ab S. 321 ff.). Um dieses fremdbestimmende Ausnutzungsmoment zu ermitteln, bietet sich ein ähnlicher Maßstab an, wie er bereits oben für die Prüfung der Gefahrenschwelle und den dortigen privaten Grundrechtsübergriff verwandt wurde (vgl. S. 250 ff.). Erforderlich sein muss daher auch im Rahmen des hier zu Prüfenden, dass zumindest die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer subjektiven Ausnutzung der strukturellen Un726

So treffend: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). 727 So explizit: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f. 728 So explizit: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 274 f. 729 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100. 730 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f., der hierfür wertungsmäßig den zivilrechtlichen Tatbestand der Wucher aus § 138 Abs. 2 BGB an, bei der zum einen ein materieller Mangel der Entscheidungsfindung vorliegt und dies zum anderen vom vertraglichen Gegenüber i. S. e. Ausbeutung ausgenutzt werde. 731 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). 732 Hierzu näher: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47); Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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terlegenheit und des daraus folgenden Mangels der Freiheitsausübung beim vertraglichen Gegenüber besteht. Ausgewertet werden müssen für diese Prognose wiederum die Umstände des Einzelfalls, die ein solches fremdbestimmendes Moment nahelegen müssen. Ohne das Erfordernis einer solchen Fremdbestimmung durch Ausnutzung wäre die aufgrund der parallelen Dreieckskonstellation gegebene Verwandtschaft des hier vertretenen sozialstaatlichen Schutzprogramms zur grundrechtlichen Schutzpflicht indes dahin. Läge eine solche Fremdbestimmung durch die Ausnutzung der Unterlegenheit des Gegenübers nicht vor, würde sich die vorgefundene Situation struktureller Unterlegenheit und die daraus resultierenden nachteiligen Vertragsschlüsse wieder in die vom Sozialstaatsprinzip selbst erfasste Konstellation „gegnerloser Not“733 verwandeln. In diesem Fall würde sich im nachteiligen Vertragsschluss schließlich nicht gerade die Einwirkung des mächtigeren Gegenübers qua mindestens subjektiv erkannter Ausnutzung realisieren. Vielmehr wären dann wiederum nur die aufgrund der individuellen Lebensumstände – wie Armut und anderer anonymer Zwänge – bestehende Unterlegenheitssituation des wirtschaftlich-sozial Schwächeren als Gefahrenquelle für dessen prekäre Situation auszumachen. Kurzum: An einem Ausnutzungsmoment durch den mächtigeren Grundrechtsberechtigten muss festgehalten werden, will man an einer sozialstaatlichen Schutzpflicht in Parallelität zur grundrechtlichen Schutzpflicht festhalten. In Abgrenzung zu gegnerlosen Grundrechtsgefahren muss daher gefordert werden, dass ein hinreichend wahrscheinliches subjektives Ausnutzungsmoment das materiell-wertungsmäßig fremdbestimmte (Vertrags-)Geschehen mindestens vornehmlich kausal prägt. Liegt ein solches Ausnutzungsmoment im Einzelfall nicht vor oder prägt es das Geschehen nicht wesentlich, kann zugunsten des wirtschaftlich-sozial Schwächeren nur der generelle und vage sozialstaatliche Handlungsauftrag zur Nivellierung persönlicher oder gesellschaftlicher Freiheitshemmnisse und gerade nicht die hier ergründete sozialstaatlich motivierte Schutzpflicht in Stellung gebracht werden.734 bb) Rechtsfolge sozialstaatlicher Schutzpflichten Damit klingt auch schon der maßgebliche Beweggrund für die Etablierung eines parallelen sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses an. Wenn das sozialstaatliche Ziel der Effektuierung grundrechtlicher Freiheitspositionen die Lücke in der Schutzpflichtendogmatik schließen kann, die mit dem Erfordernis eines grundrechtlichen Übergriffs bei privaten Vertragsgestaltungen entsteht, stellt sich die Frage, ob dann nicht auch eine zur grundrechtlichen Schutzpflicht parallele Rechtsfolge zu fordern ist. Mit anderen Worten: Die Kongruenz auf tatbestandlicher Ebene müsste eine Kongruenz auf der Rechtsfolgenseite nach sich ziehen. Im Er733

So die treffende Begrifflichkeit bei: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987, S. 118 f.; siehe auch: Cremer., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (46). 734 Siehe oben zur generellen Wirkung des Sozialstaatsprinzips: S. 302 ff.

318 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

gebnis würde die hier vertretene sozialstaatliche Schutzpflichtenfunktion eine dem schutzpflichtendogmatischen Untermaßverbot vergleichbare Handlungsverpflichtung nach sich ziehen, auf die im Ergebnis ein subjektiver Anspruch auf Schutz entspräche. In diesem Fall würde das hier zugrunde gelegte Konzept sozialen Schutzes über das für gewöhnlich dem sozialstaatlichen Handlungsauftrag Entnommene (siehe einleitend S. 301 ff.) hinaus gehen. Dieser verdichtet sich schließlich nach allgemeiner Ansicht grundsätzlich nicht zu einer sich auf konkretere Rechtsfolgen zuspitzenden Handlungsverpflichtung, auf die gar ein subjektiver Anspruch bestünde. Nur in Einzelfällen – wie etwa dem Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums – wird derartiges angenommen. Im Übrigen erschöpfen sich sozialstaatliche Verpflichtungen in vagen verfassungsrechtlichen Handlungsmaximen, die nur hinsichtlich der Verfolgung des fernen und von vornherein nicht zu erfüllenden sozialen Ziels verpflichtend sind. Ob das hier vertretene Konzept eines sozialstaatlichen Schutzes im Gegensatz zum generellen sozialstaatlichen Handlungsauftrag und in Parallelität zu dem oben ausgebreiteten Rechtsfolgengehalt der grundrechtlichen Schutzpflicht (vgl. S. 266 ff.) tatsächlich konkrete objektive Rechtsverpflichtungen und subjektive Rechtsansprüche nach sich ziehen kann, ist daher im Folgenden zu prüfen. (1) Objektiver Gehalt: Handlungsverpflichtung auf einen dem Untermaßverbot entsprechenden Mindeststandard? Eine objektive staatliche Verpflichtung auf einen Mindeststandard wird in Bezug auf die hier in Rede stehenden und aufgrund von Disparitäten faktisch fremdbestimmten Vertragsgestaltungen indes nur selten gefordert.735 Allerdings besteht für das hier zugrunde gelegte sozialstaatliche Schutzpflichtverständnis kein Grund, den daraus folgenden Handlungsauftrag auf eine reine Bemühenspflicht zu beschränken. Schließlich geht es hier nicht um gegnerlose anonyme Freiheitsgefahren zulasten wirtschaftlich-sozial Schwächerer, denen im Ergebnis staatlicherseits kaum in antizipierbarer Weise begegnet werden kann. Vielmehr liegen bei der hier vertretenen besonderen Ausprägung sozialstaatlichen Schutzes ganz konkrete Dreieckskonstellationen zu Grunde, bei denen ein fremdbestimmendes Handlungsmoment konkret auszumachender Grundrechtsberechtigter zu besorgen ist. Diese Konstellation ist so nah an der grundrechtlichen Schutz735

So schon früh bei: Gamillscheg, der aus dem Sozialstaatsprinzip zugunsten der Arbeitnehmer keine bindenden Anweisungen entnehmen will (vgl. Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht, 1989, S. 71). Siehe auch: Ruffert, nach dem „sozialstaatlicher Arbeitnehmerschutz“, der die aus einem Ungleichgewicht folgenden Belastungen durch sozialstaatliche Gesetzgebung zu kompensieren sucht, kein Mindestmaß, das mit dem Untermaßverbot der Schutzpflichtenlehre vergleichbar wäre, kenne (vgl. Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S. 445 f.). Ebenfalls zurückhaltend: Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, 2003, S. 356; Rüfner, Grundrechtliche Leistungsansprüche, in: Gitter/Thieme/Zacher (Hrsg.), FS Wannagat, 1981, S. 379 (382 f.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

319

pflicht, dass nichts dagegen spricht, ein zumindest minimal konturiertes Handlungsgebot hinsichtlich konkreter gesetzgeberischer Regulierungsmöglichkeiten zu statuieren.736 Dies gilt erst recht, wenn man das Sozialstaatsprinzip gewissermaßen nur als inhaltliche Akzentverschiebung heran zieht und das hier entwickelte Schutzverständnis im Übrigen bei der grundrechtlichen Schutzpflicht ansiedelt.737 Anders verhält es sich, wenn man die sozialstaatliche Schutzpflichtenfunktion als eigene originär sozialstaatliche Kategorie interpretiert.738 Auch dann muss sich jedoch aus der aufgezeigten Parallelität zur grundrechtlichen Schutzpflicht ergeben, dass ein zumindest dem Untermaßverbot ähnlicher Schutzstandard zugunsten des strukturell Unterlegenen greifen muss. Erkennt man dies grundsätzlich an, bleibt indes die Frage im Raum stehen, worauf dieses soziale Minimum in den hier zugrundeliegenden Fällen struktureller wirtschaftlich-sozialer Disparität gerichtet sein kann. Führt man sich die Eigenart dieser Konstellationen vor Augen, stehen vor allem Maßnahmen im Raum, die die Dysfunktionalität der freiheitlich-privatautonomen Vertragsgestaltung dort, wo diese aufgrund materieller Fremdbestimmung bei formaler Selbstbestimmung nicht zu sachgerechten Ergebnissen kommt, nivellierend ausgleicht. Diese Kompensation kann zum einen dergestalt geschehen, dass die Freiheitsausübung des strukturell Unterlegenen etwa durch eine Informationsverschaffung unterstützt wird, bspw. durch das breite Spektrum zivilrechtlicher Formerfordernisse mit Warnfunktion oder aber durch besondere Möglichkeiten, sich von nicht interessengerechten Vertragsinhalten nachträglich zu lösen.739 Gleichsam aber können auch inhaltliche Aspekte der Vertragsgestaltung aus dem privatautonom zu gestaltenden Bereich – der den Vertragspartnern zur Disposition stünde – herausgenommen und indisponibel gesetzlich geregelt werden.740 Dann wird zwar nicht mehr dem sozialstaatlichen Be736

So auch i. E. in Kongruenz zur grundrechtlichen Schutzpflicht: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). Vgl. auch Heinig, der einem „sozialstaatlich-grundrechtlichen Verständnis“ der Ausbildungsplatzwahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zumindest ein „vage konturiertes Untermaßverbot“ entnimmt (vgl. Heinig, Der Sozialstaat im Dienst der Freiheit, 2008, S. 402). Den Gesetzgeber wohl ebenfalls auf ein Mindestmaß kompensatorischer Maßnahmen verpflichtend: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100. 737 So Cremer, der das Sozialstaatsprinzip lediglich als Lückenfüller zur „Imprägnierung“ der Schutzpflichtendogmatik heran ziehen will, im Übrigen aber dogmatisch bei der klassischen Schutzpflicht bleibt (Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 491 ff.; ders., in: Butzer/ Kaltenborn/Meyer [Hrsg.], FS Schnapp, 2008, S. 29 [45 ff.]). 738 So etwa: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 198 („unechte sozialstaatliche Schutzpflicht“); sowie: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 230, 269 („soziales Paradigma“). 739 Siehe hierzu etwa vertieft zu den zivilrechtlichen Kompensationsmöglichkeiten eines sozialstaatlich motivierten Schutzes des Schwächeren: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 274 ff. 740 In diese Richtung: Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 100 („Doch die kompensatorischen Maßnahmen, mit denen der Staat der sozialen Dis-

320 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

stimmungsgrund – die tatsächliche grundrechtliche Freiheitsausübung zu forcieren – gedient. Sehr wohl aber geht es auch dann, wenn der grundrechtlichen Freiheit inhaltliche Gestaltungsfragen ob der Gefahr materiell-wertungsmäßiger Fremdbestimmung entzogen werden, darum, privaten Gefährdungen freiheitlicher Selbstentfaltung zu begegnen, was ebenso wie die Gewährleistung der realen Freiheitsvoraussetzungen ein Thema des Sozialstaatsprinzips ist (siehe S. 306 ff.). Das Gleiche lässt sich dann auch in Bezug auf die kollektive Ausübung der Vertragsfreiheit in Form der kollektiven Koalitionsfreiheit festhalten. Ist hier eine Aktivierung des sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses zu besorgen, muss entweder die Verhandlungsposition der unterlegenen Koalition in Bezug auf die Tarifvertragsfreiheit verbessert oder konkrete inhaltliche Fragen von vornherein gesetzlich reguliert werden. Folglich haben sich die staatlichen Maßnahmen zur Nivellierung des oben tatbestandlich festgestellten fremdbestimmenden Ungleichgewichts also innerhalb dieser Optionen zu bewegen. Im Übrigen gilt das oben in Bezug auf die grundrechtsdogmatische Schutzpflicht Gesagte (vgl. zur dortigen Rechtsfolgenseite ab S. 266 ff.) auch hier. Die konkrete Handlungsdichte – also die Intensität der zu ergreifenden regulativen Maßnahmen – hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Verpflichtet ist der Gesetzgeber in jedem Fall nur auf das sich hieraus ergebende Mindestmaß, hinter das er nicht zurückfallen darf. Im Ergebnis dürfen die ergriffenen kompensatorischen Maßnahmen das Schutzbedürfnis der strukturell unterlegenen Gruppe daher nicht völlig verfehlen. (2) Subjektiver Gehalt: Recht auf sozialstaatlichen Schutz? Erkennt man auf diese Weise eine Parallelität zur grundrechtlichen Schutzpflicht auch auf der Rechtsfolgenseite an, spricht konsequentermaßen auch nichts dagegen, auf das sozialstaatliche Minimum auch einen verfassungsrechtlichen subjektiven Anspruch auf Schutz zu richten.741 Zwar besteht in Bezug auf die Subjektivierung sozialstaatlicher Positionen generell größte Zurückhaltung. Gemeinhin wird es aufgrund der oftmals vorausgesetzten Endlichkeit des finanziell Möglichen nur sehr einschränkend befürwortet, aus dem Sozialstaatsprinzip subjektive Leistungsansprüche herzuleiten.742

parität abhelfen will, bestehen gerade darin, die Vertragsfreiheit für eine Seite oder für beide einzuschränken, wenn nicht sogar aufzuheben und durch zwingende Rechtssätze und Rechtssprüche des Staates zu ersetzen. Mit der Beseitigung der Vertragsfreiheit erledigt sich dann ihr Dilemma.“) 741 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493 f.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 103; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 200. 742 Siehe nur: BVerfGE 33, 303 (333) („Vorbehalt des Möglichen“). Vgl. auch Grzeszick, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 20 Rn. 24 ff. (m. w. N.).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Dieser – letztlich jedem Sozialhandeln entgegenschlagende – allgemeine Fiskaleinwand kann aber in Bezug auf das hier vertretene sozialstaatliche Schutzpflichtverständnis aus zwei Gründen nicht fruchtbar gemacht werden. Zum einen ist die hier in Rede stehende spezielle Ausprägung einer Schutzpflicht hinsichtlich ihrer finanziell-leistungsrechtlichen Relevanz nicht mit sozialstaatlich motivierten Transferleistungen, die typischerweise Staatsmittel in ganz erheblichem Ausmaß binden, vergleichbar.743 Zum anderen ist die hier zugrundeliegende Konstellation parallel zur grundrechtlichen Schutzpflicht zu betrachten, die zwar auch – je nach dem konkret aus dem Untermaßverbot abzuleitenden Mindestmaß an Schutz – ein finanzwirksames gesetzliches Einschreiten erfordern kann,744 bei der trotz dieses Umstands ein subjektiver Anspruch auf Schutz aber nicht bestritten wird (vgl. S. 266 ff.). Setzt man das hier zugrunde gelegte Schutzpflichtverständnis zur klassischen grundrechtlichen Schutzpflicht parallel, kann sich daher hier wie dort nichts anderes ergeben.745 c) Sozialstaatliche Schutzpflicht im Kontext der Arbeitnehmerüberlassung? Nach alledem muss nun geprüft werden, inwiefern ein sozialstaatlich motiviertes Schutzpflichtverständnis zugunsten der Leih- oder Stammarbeitnehmer in Stellung gebracht werden kann. Erdacht worden ist solch ein sozialstaatliches Schutzmoment in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung bisher nicht. Zwar wird der Schutz der Leiharbeitnehmerinteressen in der Literatur nicht selten mit dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung gebracht,746 dies aber nicht unter den hier zugrunde gelegten Vorzeichen. aa) Tatbestand Zu prüfen ist daher zunächst die tatbestandliche Aktivierung des hier zugrunde gelegten sozialstaatlich angereicherten Schutzpflichtverständnisses.

743

So auch: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493 f.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/ Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). 744 Hierauf hinweisend: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 321 ff., 493 f.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). 745 Vgl. Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493 f.; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47); Isensee, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VII, 2011, § 150 Rn. 103; ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. IX, 2011, § 191 Rn. 200. 746 So etwa das Sozialstaatsprinzip zur Unterfütterung gesetzlicher Maßnahmen als diesen innewohnende Zweckbestimmung heran ziehend: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 45, 82 f.; Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 46 ff.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 132 ff. 295; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 188, 198; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 239 f., 253 f.

322 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

(1) Schutzgut: Grundrechtsvoraussetzungen und Grundrechtswirksamkeit in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 9 Abs. 3 GG Als verfassungsrechtlich zu bewahrende Schutzgüter kommen nach dem oben Gesagten zweierlei Komplexe in Betracht. In Frage kommen zum einen auf Seiten der Leiharbeitnehmer die Voraussetzungen der Ausübbarkeit der berufsbezogenen Vertragsautonomie bzw. deren Wirksamkeit zur Entfaltung der eigenen Interessen gegenüber den Verleihunternehmen als dem arbeitsvertraglichen Gegenüber.747 Zum anderen ist aber auch die Wirksamkeit der Arbeitskampffreiheit der Stammbelegschaften bzw. der dortigen Gewerkschaften gegenüber den Entleihunternehmen im Falle eines streikbrechenden Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Schutzgut in Betracht zu ziehen. (a) Berufsbezogene Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG Insofern wiederholt sich hier das bereits oben in Bezug auf die grundrechtliche Schutzpflichtenaktivierung Gesagte (vgl. S. 279 f.). Es ist zu konstatieren, dass die Leiharbeitnehmer ihre Interessen gegenüber den ihnen arbeitgeberseitig zugeordneten Verleihunternehmen offenkundig nicht durchzusetzen vermögen. Eine höhere Entlohnung auf Stammarbeitnehmerniveau, eine arbeitgeberseitige Verpflichtung zu Weiterbildungsmaßnahmen oder anderweitige Einhegungen der mit der erhöhten Flexibilität in der Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Belastungen werden individualvertraglich nicht vereinbart. Anders ist die vorgefundene Situation in der Leiharbeitnehmerschaft kaum zu erklären.748 Insbesondere ist zu beobachten, dass vom Gleichbehandlungsgrundsatz, der den Leiharbeitnehmern eine Entlohnung auf Stammarbeiterniveau sichern würde („Equal pay“), oftmals durch individualvertragliche Bezugnahme auf einen von 747

Ansatzweise denkbar wäre im Lichte der Erkenntnis, dass Verleihunternehmen Leiharbeitnehmer zuweilen in Entleihunternehmen überlassen, die von der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie Gebrauch machen, daneben auch eine mögliche Schutzpflichtenaktivierung in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer. Schließlich wird das von der Arbeitsplatzwahlfreiheit erfasste Interesse an einer Nutzung der Integrationseffekte in diesen Fällen regelmäßig konterkariert. Das Resultat dieser Überlegung wäre ggf. eine gesetzgeberische Verpflichtung auf einen Mindestschutz vor derartigen Nutzungsformen – was i. E. möglicherweise die Einführung einer Überlassungshöchstdauer oder ähnlicher Konstrukte verfassungsrechtlich verpflichtend stellen würde. Allein das möglicherweise subjektive Erkennen des Umstands, dass der Leiharbeitnehmer regelmäßig nicht darüber mitzubestimmen hat, in welche Unternehmen er überlassen wird und seine Arbeitsplatzwahlfreiheit in Bezug auf Stammarbeitsplätze daher faktisch wirkungslos ist, gepaart mit dem Wissen um die mittelbaren Zusammenhänge von Integrationseffekten und den Einsatzstrategien des Entleihunternehmens kann den Verleihunternehmen indes nicht zum Vorwurf gemacht werden. Für eine maßgebliche ausnutzende Fremdbestimmung, die das hier vertretene Schutzprogramm aktivieren würde, genügt dies nicht. Die Problematik fußt daher in der Globalkritik an der strukturell schwachen Position des Leiharbeitnehmers, die einzig einen Platz im weiten Schutzprogramm des Sozialstaatsprinzips hat (vgl. unten S. 333 ff.). 748 Vgl. erneut zusammenfassend zu den Interessen der Beteiligten: S. 131 ff.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

323

diesem Grundsatz abweichenden Tarifvertrag749 abgewichen wird (§ 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG).750 Aber auch die Thematik des Integrationseffektes (siehe oben S. 90 ff.) der Arbeitnehmerüberlassung in reguläre Beschäftigung wird – wie oben bereits erläutert wurde (vgl. S. 281 ff.) – prima facie auf individualvertraglicher Ebene nicht angegangen. Zumindest theoretisch denkbar wäre es schließlich, dass Leiharbeitnehmer individualvertraglich festlegen, dass sie nicht auf dauerhaft zu besetzende Stammarbeitsplätze verliehen werden. Dann würde der oben als aktive Nutzungsstrategie (vgl. hierzu S. 117 ff.) beschriebenen Ingebrauchnahme der Arbeitnehmerüberlassung, bei der es nur in zu vernachlässigendem Umfang zu Übernahmephänomenen kommt, der Riegel vorgeschoben. Gleiches wäre in Bezug auf individualvertragliche Abreden denkbar, welche die Überlassungszeiten begrenzen.751 Zu solchen individualvertraglichen Gestaltungen kommt es aber erkennbar nicht. Im Raum steht nun die Frage, ob sich hierin mit entsprechend ausreichender Wahrscheinlichkeit eine subjektiv-bewusste Ausnutzung der Unterlegenheitssituation der Leiharbeitnehmer realisiert. Dass jedenfalls die privatautonome Durchsetzung der leiharbeitnehmerseitigen Interessen dysfunktional verläuft, steht hierbei außer Zweifel. Ob dies im Einzelfall aber darauf zurückzuführen ist, dass die Voraussetzungen der Vertragsautonomie überhaupt nicht vorliegen oder dass die Ausübung der Vertragsautonomie nicht dem materiell-wertungsmäßigen Interesse der Leiharbeitnehmer entspricht und als fremdbestimmt qualifiziert werden muss, ist damit nicht geklärt.752 749

Zumindest theoretisch denkbar wäre angesichts dieser Tarifverträge die Aktivierung einer sozialstaatlichen Schutzpflicht in Bezug auf das Interesse der Leiharbeitnehmer an einer interessengerechten kollektiven Vertretung durch die Gewerkschaften. Wenn die Gewerkschaften schließlich vom Gleichbehandlungsgrundsatz zum Nachteil der Leiharbeitnehmer abweichen, so läuft deren Koalitionsfreiheit in ihrer Wirksamkeit regelmäßig leer, da sie zwar Koalitionen beitreten, dort aber i. E. wenig für ihre Interessen erreichen können. Allerdings scheitert ein eigenständiger dahingehender Schutzgedanke schon daran, dass Leiharbeitnehmer diesen Missstand fehlender Interessenvertretung und daher die Tatsache, dass sie unter Tarifverträge fallen, die ihren Interessen nicht entsprechen, stets beenden können, indem sie aus der Koalition austreten. In diesem Fall stünde dann wiederum die hier in den Fokus gestellte Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes über die Bezugnahmeklauseln im Raum. 750 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 189; Wank, in: Müller-Glöge/ Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 8 AÜG Rn. 26 („Normalfall“). 751 Kürzere Überlassungsepisoden erschweren es Entleihunternehmen schließlich zumindest, einzelne Leiharbeitnehmer auf dauerhaften Stammarbeitsplätzen einzusetzen – was der aktiven Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung entgegenwirken würde und sich positiv auf Übernahmeeffekte auswirken könnte. Eben diesen Gedanken verfolgt der Gesetzgeber mit der Überlassungshöchstdauer. Mit kürzeren Überlassungsepisoden geht indes aufgrund der zeitlich gestaffelten verpflichtenden Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes (§ 8 Abs. 4 AÜG) oftmals einher, dass Leiharbeitnehmer diese nicht erhalten (hierzu ausführlicher: S. 505 ff.). 752 Die Unterscheidung spielt aber zunächst auch keine Rolle, da beide Varianten Themenfelder des sozialstaatlichen Auftrags sind (vgl. S. 305 ff.).

324 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Denkbar sind beide Varianten der Hemmung grundrechtlicher Freiheitsausübung. Dass dem Risiko, in einer Weise verliehen zu werden, die die mit der Arbeitnehmerüberlassung verbundenen leiharbeitnehmerseitigen Hoffnungen auf Übernahmen konterkariert, individualvertraglich nicht begegnet wird, könnte zunächst daran liegen, dass in der Leiharbeitnehmerschaft schlichtweg das Wissen um die Eigenarten dieser Beschäftigungsform fehlt und somit ein Informationsdefizit die Ingebrauchnahme der Vertragsfreiheit in diese Richtung hemmt.753 Ebenso steht aber bspw. in Bezug auf die – untechnisch gesprochen – individualvertragliche Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine grundrechtliche Freiheitshemmung in der Art im Raum, dass einer finanziellen Schlechterstellung754 gerade – zwar formal privatautonom aber materiell-wertungsmäßig entgegen dem eigenen Interesse – zugestimmt wird, um den Weg in die Arbeitnehmerüberlassung zur Überbrückung einer Arbeitslosigkeit und zur Nutzung von Übernahmeeffekten beschreiten zu können (vgl. S. 281 ff.).755 In diesem Fall wäre das hier in Rede stehende Schutzgut dasjenige, was oben als materielle Grundrechtswirksamkeit beschrieben wurde (siehe S. 312 ff.). Der eigentliche Kipppunkt zur Aktivierung einer sozialstaatlichen Schutzfunktion zugunsten der Leiharbeitnehmer bleibt mit dieser dogmatischen Einordnung aber noch unberührt. Die wesentliche Frage ist vielmehr diejenige, ob diese Nichtoder Missentscheidungen vertraglicher Natur, die mutmaßlich auf der strukturellen Unterlegenheitssituation der Leiharbeitnehmer fußen, mit entsprechender Wahrscheinlichkeit auf einem subjektiv-bewussten Ausnutzungsmoment der Gegenseite beruhen (vgl. S. 315 ff.). (b) Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG Auch in Bezug auf die Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer bzw. der dortigen Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG gilt das bereits oben Gesagte (vgl. oben S. 293 ff.). Wenn Entleihunternehmen Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einsetzen, ist hierin zwar kein grundrechtlicher Übergriff in grundrechtliche Positionen der Stammarbeitnehmerseite zu sehen, sodass die schutzpflichtendogmatische Gefahrenschwelle nicht überschritten wird. Sehr wohl aber wird der Streik in 753 Es fehlt indes nicht an den kognitiven Voraussetzungen der Ausübung der Vertragsfreiheit insgesamt, sondern an der Möglichkeit, diese interessenwahrend in Stellung zu bringen. 754 Inwieweit derartige Tarifverträge in Zukunft eine solche Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer werden beinhalten können, hängt auch davon ab, wie die nationale Arbeitsgerichtsbarkeit die vom EuGH in der Rechtssache C-311/21 (siehe oben S. 171 ff.) vorgenommene Interpretation des „Gesamtschutzes“ mit Leben füllen wird. Die Erwartungen an eine hieraus folgende deutliche Veränderung der Tariflandschaft in der Arbeitnehmerüberlassung dürfen aber nicht überspannt werden. Die Aktivierung der hier herausgearbeiteten Schutzpflicht wird im Hinblick auf etwaige Veränderungen der Tarifverträge in der Zukunft aber noch aktualisierend zu überprüfen sein. 755 Ggf. unter Nutzung der informellen kompetenziellen Weiterbildung durch verschiedene Arbeitseinsätze („training-on-the-job“). Vgl. zu diesem Aspekt: S. 102 ff.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

325

seiner Wirksamkeit erheblich beeinträchtigt, sodass die grundrechtlich von der kollektiven Koalitionsfreiheit umfasste Arbeitskampffreiheit in ihrer materiellen Wirksamkeit eingeschränkt ist. Damit ist auch diesbezüglich der oben als materielle Grundrechtswirksamkeit bezeichnete Themenkreis betroffen. (2) Gefahrenquelle: Verleih- und Entleihunternehmen als wirtschaftlich-soziale Übermacht Als Gefahrenquelle kommen auch hier die Verleih- und Entleihunternehmen als wirtschaftlich-sozial Stärkere in Betracht. Dass der vom Bundesverfassungsgericht und Teilen der Lehre aufgegriffene Topos der strukturellen Unterlegenheit aufgrund wirtschaftlich-sozialer Disparität gerade in der Arbeitnehmerüberlassung in paradigmatischer Weise seinen Niederschlag findet, ist bereits gezeigt worden (vgl. S. 279 f.). Nichts anderes ergibt sich hier. Die Verleih- und Entleihunternehmen sind als wirtschaftlich-soziale Übermacht mit deutlich größerer Verhandlungsstärke zu charakterisieren. Den Leih- und Stammarbeitnehmern steht also nicht die anonyme gegnerlose Übermacht der Marktkräfte gegenüber, sondern die personell bestimmbaren Verleih- und Entleihunternehmen. Lediglich in Bezug auf die Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes könnte überlegt werden, ob nicht die wahre Gefahrenquelle gar nicht dieser personell bestimmbare Grundrechtsberechtigte ist, sondern hinter der Grundrechtshemmung wiederum der Staat als Verantwortlicher auszumachen ist, da dieser die Fremdbestimmung durch die Verleihunternehmen erst dadurch ermöglicht, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz individualvertraglich disponibel gestellt wird. Parallel zu dem, was oben im Rahmen der klassischen Schutzpflicht in Bezug auf diese Abgrenzung zwischen privater und staatlicher Verantwortung und damit zur Einschlägigkeit der Schutzpflicht oder des Abwehrrechts gesagt wurde (siehe oben S. 247 f.), gilt aber auch hier, dass die autonome Entscheidung des Grundrechtsbeeinträchtigenden das Gesamtgeschehen prägt und nicht ein eingreifendes staatliches Handeln. (3) Gefahrenschwelle: Grundrechtshemmung aufgrund der strukturellen Unterlegenheit der Leih- und Stammarbeitnehmer und eines Ausnutzungsmoments der Verleih- und Entleihunternehmen? Damit nun aber ein schutzpflichtiger Handlungsauftrag, auf den auch seitens der Leih- und/oder Stammarbeitnehmer ein subjektiver Anspruch auf ein sozialstaatliches Mindestmaß an Schutz gegenüber der ausnutzenden Fremdbestimmung des arbeitgeberseitigen Gegenübers besteht, ist – wie oben gezeigt – zweierlei erforderlich (hierzu abstrahierend S. 312 ff.). Zum einen müssen die Leih- und Stammarbeitnehmer in ihrer grundrechtlichen Freiheit in Bezug auf deren Ausübbarkeitsvoraussetzungen oder in Bezug auf deren materielle Wirksamkeit aufgrund ihrer strukturellen Unterlegenheit gehemmt sein. Zum anderen aber muss ein mindestens hinreichend wahrscheinliches subjektives Ausnutzungsmoment der Verleih- oder

326 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Entleihunternehmen dieses Geschehen maßgeblich prägen. Nur dann ist es dem Unwert des Grundrechtsübergriffs der klassischen Schutzpflicht gleichzustellen. Beidem ist in Bezug auf die genannten Schutzgüter im Folgenden auf den Grund zu gehen. (a) Grundrechtshemmung und Ausnutzungsmoment in Bezug auf die berufsbezogene Vertragsautonomie der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG Der oben aufgezeigte Umstand (vgl. S. 281 ff.), dass die Leiharbeitnehmer wesentliche Interessenschwerpunkte in Ausübung ihrer Vertragsautonomie individualvertraglich mutmaßlich gar nicht angehen oder der Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zwar in Ausübung ihrer Vertragsautonomie zustimmen, dabei aber grundrechtliche Freiheit entgegen dem eigenen Interesse wahrnehmen, geht ganz offenkundig auf die bereits dargetane Unterlegenheitsposition der Leiharbeitnehmer zurück (siehe hierzu S. 279 f.). Der Auslöser für diese Nicht- oder Missentscheidungen vertraglicher Natur wird vor allem darin begründet sein, dass einerseits ein Informationsdefizit hinsichtlich der Nachteile der Arbeitnehmerüberlassung besteht, der Weg in die Arbeitnehmerüberlassung aber zum anderen auch nicht selten als Übergangslösung betrachtet wird, die den Weg in reguläre Beschäftigung ebnet und eine Arbeitslosigkeit überbrückt. Auch dort, wo also den Leiharbeitnehmern die Nachteile der Beschäftigungsform bewusst sind bzw. der finanzielle Nachteil gerade in Ausübung grundrechtlicher Freiheit akzeptiert wird, werden diese Mängel daher wohl in Kauf genommen, um die erhofften Vorteile der Arbeitnehmerüberlassung zu nutzen. Die Lage der Leiharbeitnehmer kann nach alledem generalisierend als paradigmatische Bekräftigung der Erkenntnis erblickt werden, dass sich in arbeitsvertraglichen Abreden für gewöhnlich nicht paritätisch das Arbeitnehmer- und das Arbeitgeberinteresse widerspiegeln, sondern sich hierin vielmehr die strukturelle Unterlegenheitssituation der Arbeitnehmerseite realisiert. Dies geschieht zwar nach dem hier Festgestellten nicht durch grundrechtlichen Übergriff, sehr wohl aber durch eine grundrechtliche Freiheitshemmung, indem die Voraussetzungen grundrechtlicher Freiheitsausübung aufgrund der spezifischen strukturellen Situation der Leiharbeitnehmer gar nicht vorliegen oder zumindest grundrechtliche Freiheit nicht im eigenen Interesse ausgeübt werden kann. Eben diesen „Defizite(n) im eigenverantwortlichen Bereich der Willensbildung“756 gilt es verfassungsrechtlich mit der hier vertretenen sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion entgegenzutreten. Dies gilt allerdings nur dann, wenn gerade „Elemente einer Fremdbestimmung“757 in Form des oben beschriebenen Ausnutzungsmomentes das vertragliche Geschehen prägen und einem hypothetischen grundrechtlichen Übergriff wertungsmäßig entsprechen (siehe oben S. 315 ff.). Ein solches prägendes Ausnutzungsmoment kann allerdings nur schwerlich dort angenommen werden, wo ar756 757

So die Terminologie bei: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f.; 274 f. So explizit: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

327

beitsvertragliche Regelungen den Nachteilen der Arbeitnehmerüberlassung erst gar nicht begegnen. Werden individualvertragliche Abreden, die die mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Flexibilitätsanforderungen, die typischerweise geringe Weiterbildungsdichte oder Überlassungsformen, die Integrationseffekte kaum auftreten lassen, seitens der Leiharbeitnehmer erst gar nicht gegenüber den Verleihunternehmen adressiert (vgl. hierzu S. 279 ff.), liegt gerade kein deren Lage ausnutzendes und die einseitigen Vertragsbestimmungen prägendes Fremdbestimmungsmoment der Arbeitgeberseite vor. Zwar ist anzunehmen, dass die Verleihunternehmen nicht selten von den Nachteilen einer Leiharbeitstätigkeit wissen. Ebenso ist davon auszugehen, dass arbeitgeberseitig die faktische Zwangslage vieler Leiharbeitnehmer, die die Arbeitnehmerüberlassung gerade als Notlösung wählen, gekannt wird. Ein subjektives Ausnutzungsmoment kann daher als jedenfalls hinreichend wahrscheinlich betrachtet werden. Allerdings prägt nicht dieses Ausnutzungsmoment das für die Leiharbeitnehmer nachteilige Geschehen rund um den Vertragsschluss. Vielmehr steht hier die strukturelle Situation der Leiharbeitnehmer kausal im Vordergrund. Allein der Umstand, dass seitens der Verleihunternehmen eine vertragliche Adressierung der genannten Aspekte unterlassen wird, kann kein fremdbestimmendes Ausnutzungsmoment beinhalten, dass in seinem verfassungsrechtlichen Unwertgehalt in Bezug auf die Freiheitsentfaltung des vertraglichen Gegenübers einem grundrechtlichen Übergriff gleichkäme. Es ist also nicht das die strukturelle Unterlegenheit ausnutzende Gegenüber, dass die Grundrechtshemmung prägt. Vielmehr ist hierfür die wirtschaftlich-soziale Lage der Leiharbeitnehmer verantwortlich. Anders lässt sich das Vertragsgeschehen indes dort deuten, wo der Gleichbehandlungsgrundsatz individualvertraglich durch Bezugnahme auf tarifvertragliche Regelungen ausgeschaltet wird (§ 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG). Auch hier lässt sich ein hinreichend wahrscheinliches Ausnutzungsmoment der tendenziell erwerbsbiografisch schwierigen Lage der Leiharbeitnehmer, die aus den genannten Gründen auch bereit sind, auf eine Entlohnung auf Stammarbeiterniveau zu verzichten,758 seitens des Verleihunternehmens annehmen.759 Im Gegensatz zum soeben Gesagten steht hier nun aber auch eine ausdrückliche vertragliche Regelung im 758

Auch Hamann und Klengel sehen die Leiharbeitnehmerseite in diesem Fall in einer erheblichen Drucksituation; da die Alternative zur Zustimmung zur Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz nur der Verzicht auf den Arbeitsvertrag insgesamt sei (vgl. Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 [501]). Ähnliches konstatierend: Schüren, RdA 2006, 303 (306) („Arbeitsplätze gibt es in der Branche nur für diejenigen, die bereit sind, Arbeitsverträge mit Tarifbezugnahme zu akzeptieren.“). 759 Damit soll nicht gesagt sein, dass die individualvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrages keinerlei Vorteile für die Leiharbeitnehmer mit sich brächte, wenngleich die nachteilige Ausschaltung des „Equal Pay“-Grundsatzes wohl überwiegt. Vgl. hierzu: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 101, 123. Es ist jedoch vor allem davon auszugehen, dass der Tarifvertrag arbeitgeberseitig vor allem wegen der Ausnahme vom Gleichbehandlungsgrundsatz einbezogen wird, was für die Leiharbeitnehmer einen erheblichen Nachteil darstellt. Dies steht im Rahmen der hier zu untersuchenden Fremdbestimmung im Vordergrund.

328 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Raum, die arbeitgeberseitig eingeführt werden muss. Damit liegt nicht nur ein aktives, faktisch fremdbestimmendes Handeln der Arbeitgeberseite vor, welches schon per se das Geschehen eher zu prägen vermag als ein Unterlassen. Hinzu kommt noch die zentrale Bedeutung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Eine mit ihm einhergehende erhebliche Verbesserung der finanziellen Lage der Leiharbeitnehmer ist schließlich geeignet, die zahlreichen Nachteile, die die Beschäftigungsform im Übrigen mit sich bringt, in Teilen ausgleichen. Sowohl die den Leiharbeitnehmern abverlangte Flexibilität und die damit einhergehenden Negativfolgen als auch das (oft erfolglose) Streben nach einem – vor allem besser vergüteten – Stammarbeitsplatz wäre mit „Equal Pay“ zumindest teilweise ausgleichend zu begegnen.760 Dass dieses nicht nur aus Sicht des europäischen Richtliniengebers zentrale (vgl. S. 166 ff.), sondern auch in der öffentlichen Debatte761 diskutierte Anliegen zulasten der Leiharbeitnehmern auf Ebene des Individualvertrages häufig ausgeschaltet wird, ist daher wertungsmäßig gerade auf die prägende und bewusste Ausnutzung der vielfach gegebenen Notsituation der Leiharbeitnehmer durch die Verleihunternehmen zurückzuführen.762 Sicherlich wird vielen Leiharbeitnehmern ihre erwerbsbiografisch schwierige Situation und ihr daher hinsichtlich auszuhandelnder Lohnbedingungen geringes Verhandlungsgewicht bewusst sein. Dass aber gerade die hierauf beruhende Zustimmung zur Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, die zwar formal privatautonom763 aber materiell-wertungsmäßig entgegen dem eigenen Interesse geschieht (vgl. S. 281 ff.), von vielen Verleihunternehmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in fremdbestimmt ausnutzender Weise diktiert wird, stellt das hier in Rede stehende und die Gefahrenschwelle überschreitende Handeln dar.

760

Der Umstand, dass Integrationseffekte gering ausfallen und eine einmal aufgenommene Leiharbeitstätigkeit häufig in einer dauerhaften Karriere in der Branche endet, wird durch eine verpflichtende Gleichbehandlung indes nicht unmittelbar adressiert. Vgl. zu diesen unterschiedlichen Regelungszielen unten: S. 438 ff. 761 Siehe hierzu etwa die aufgrund einer Episode der Satiresendung „Die Anstalt“ angestoßenen Bemühungen Däublers, die Praxis der Tarifausnahmen hinsichtlich des Gleichstellungsgrundsatzes vor den EuGH zu bringen. Vgl. hierzu: https://www.labournet.de/politik/all tag/leiharbeit/arbed_leiharbeit/die-anstalt-prof-wolfgang-daeubler-und-labournet-germany-ge sucht-leiharbeiterinnen-fuer-eine-klage-vor-dem-eugh-fuer-gleichen-lohn-und-gleiche-bedin gungen-auch-in-deutschland/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Die aktuelle Entscheidung des EuGH in der Rs. C-311/21 ist auch ein Resultat dieser Bemühungen, vgl.: Klengel, AuR 2023, 20 (23). 762 In der Wertung ähnlich, aber ohne verfassungsrechtlichen Bezug: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 137 („Aufgrund des evidenten Verhandlungsungleichgewichts zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer wirkt die voraussetzungslose Bezugnahmemöglichkeit nicht anders als eine arbeitgeberseitig oktroyierte Allgemeinverbindlicherklärung – eine realistische Chance, sich gegen die Bezugnahme zu wehren und so der Unterschreitung des Gleichbehandlungsgebots zu entgehen, besteht für den Leiharbeitnehmer nicht“.). 763 Vgl. den Gedanken bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 296 (kein „freiwilliger Verzicht“).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

329

Diese hinreichend wahrscheinliche ausnutzende Fremdbestimmung prägt hier das Geschehen und ist jedenfalls in ausreichendem Umfang mit einem grundrechtlichen Übergriff vergleichbar. Zwar ist das materiell-wertungsmäßig fremdbestimmende Diktieren der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatz im verfassungsrechtlichen Unwertgehalt nicht mit dem vergleichbar, was bspw. in Bezug auf die bekannten Bürgschaftsfälle vergleichbar, in denen der mächtigere Vertragspartner den Unterlegenen aufgrund dessen emotionaler oder wirtschaftlicher Zwangslage bewusst übervorteilt und diesen extrem belastende Vertragsbestimmungen einseitig setzt.764 Dies liegt zum einen daran, dass die Inbezugnahme eines entsprechenden Tarifvertrages für die Leiharbeitnehmer nicht nur Nachteile mit sich bringt.765 Zum anderen aber trifft ein geringeres Lohnniveau als dasjenige, das der Gleichbehandlungsgrundsatz verschaffen würde, die Leiharbeitnehmer nicht in existenzbedrohender Weise. An der Feststellung, dass ein Fremdbestimmungsmoment durch die Ausnutzung der oftmals schwierigen Lage der Leiharbeitnehmer anzunehmen ist, ändert dies freilich nichts. Die Schwere dieses Ausnutzungsmoments wird wiederum bei der Betrachtung dessen, was durch ein Gesetz als sozialstaatliches Schutzmaß vor solch einer Fremdbestimmung zu gewährleisten ist, zu beachten sein (siehe sogleich S. 330 ff.). (b) Grundrechtshemmung und Ausnutzungsmoment in Bezug auf die Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG Erheblich leichter fällt die Beurteilung der Lage in Bezug auf die Feststellung eines prägenden fremdbestimmenden Ausnutzungsmomentes hinsichtlich der Arbeitskampffreiheit der Stammarbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG.766 Wird die Arbeitskampffreiheit der Stammbelegschaften dadurch in ihrer Wirksamkeit beeinträchtigt, dass Entleihunternehmen Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einsetzen, verwirklicht sich hierin gerade die strukturelle Kräftedisparität zwischen der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite.767 Zudem ist hierbei eine ganz bewusste 764 Vgl. zu einer Anwendung des hier vertretenen sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses in diesen Fällen: Cremer, Freiheitsgrundrechte, 2003, S. 493; ders., in: Butzer/Kaltenborn/Meyer (Hrsg.), FS Schnapp, 2008, S. 29 (47). Ähnlich: Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, 1999, S. 269 f. 765 Auf entsprechende Branchenzuschläge verweisend: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 39 f.; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 138. 766 Einen insofern ähnlichen „Schutzauftrag des Art. 9 III GG“ diskutiert in diesem Zusammenhang auch Beckerle, der allerdings zu der Einsicht kommt, dass hieraus keine Verpflichtung des Gesetzgebers erwachse, den Streikbrechereinsatz mittels gesetzlichen Verbots zu unterbinden (vgl. Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/ Münder/Richter/Schmidt [Hrsg.], Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 [137]). 767 Teilweise wird demgegenüber vertreten, dass das Einsatzverbot schon keine strukturelle Ungleichheit adressiere, sondern lediglich eine innere Schwäche der Gewerkschaften in solchen Branchen, in denen vielfach Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, ausgleiche, indem der Anteil der (faktisch) streikenden Beschäftigten dort „künstlich erhöht“ würde. Vgl. hierzu:

330 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

Ausnutzung der unterschiedlichen Stärke der sich gegenüberliegenden Koalitionen durch die Arbeitgeberseite das prägende Moment. Zwar geht es in diesem Fall nicht um das Ausnutzen der strukturellen Unterlegenheit des Gegenübers durch eine materiell-wertungsmäßige Fremdbestimmung von Vertragsinhalten. Sehr wohl aber wird im Falle eines Streikbrechereinsatzes die materielle Wirksamkeit des Grundrechtsgebrauchs der arbeitnehmerseitigen Koalition in Gestalt des Arbeitskampfes unter bewusster Ausnutzung von deren struktureller Unterlegenheit durch das arbeitgeberseitige Gegenüber beeinträchtigt. Dies aktiviert auf Ebene der kollektiven Koalitionsfreiheit ebenso das hier zugrunde gelegte Schutzpflichtenverständnis, wie es im Falle einer fremdbestimmenden Ausnutzung der Lage des wirtschaftlich-sozial Schwächeren auf individualvertraglicher Ebene der Fall wäre. bb) Rechtsfolge Die oben beschriebene Rechtsfolge eines Untermaßverbots, auf das auch ein subjektiver Schutzanspruch besteht, lässt sich also in Bezug auf die Leih- und Stammarbeitnehmer nur in zwei eng umrissenen Ausschnitten des privatrechtlichen Geschehens aktivieren. In Bezug auf die Leiharbeitnehmerschaft entfaltet die sozialstaatliche Schutzpflichtenfunktion einzig hinsichtlich des Umstands Wirkung, dass der diesen dienende Gleichbehandlungsgrundsatz – insbesondere bezüglich des „Equal Pay“Gebotes – durch Bezugnahme auf von diesem Grundsatz abweichende Tarifverträge ausgeschaltet wird. Dies steht den Interessen der Leiharbeitnehmer diametral entgegen, wird aber aller Wahrscheinlichkeit nach gerade nicht durch grundrechtlichen Übergriff erwirkt, sondern leiharbeitnehmerseitig formal privatautonom entschieden. Materiell-wertungsmäßig kann diese Entscheidung aber aufgrund der spezifischen Zwangslage, in der sich viele Leiharbeitnehmer befinden, nicht als frei gewertet werden. Diese Unterlegenheitssituation wird mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von den Verleihunternehmen gerade dazu genutzt – in subjektiver Kenntnis der wirtschaftlich-sozialen Lage der Leiharbeitnehmerschaft – die Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einseitig und materiell-wertungsmäßig fremdbestimmt vertraglich durchzusetzen. Dieses Fremdbestimmungsmoment ist dann auch jedenfalls im Grundsatz mit einem grundrechtlichen Übergriffsmoment vergleichbar, sodass das Rechtsfolgenprogramm der hiesigen sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion aktiviert wird. Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/ Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (162 f.). Dies überzeugt indes schon deswegen nicht, weil sich die Streikbeteiligung durch das Einsatzverbot selbst nicht erhöht. Vielmehr wird nur sichergestellt, dass sich die tatsächliche Organisations- und Durchsetzungsstärke einer Gewerkschaft auch in einem tatsächlich wirksamen Arbeitskampf widerspiegelt, indem der streikbrechende Leiharbeitnehmereinsatz, der diese Kampfstärke strukturell unterminieren würde, weitestgehend unmöglich gemacht wird. So auch treffend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 188 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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Gleiches gilt für den Streikbrechereinsatz von Leiharbeitnehmern, der die Wirksamkeit der Arbeitskampffreiheit hiervon betroffener Stammbelegschaften konterkariert. Auch hier ist ein fremdbestimmendes und freiheitsbeeinträchtigendes Ausnutzungsmoment der Gegenseite auszumachen, dem staatlicherseits zu begegnen ist. Nun stellt sich allerdings die Frage, welche Handlungsdichte der hiesigen Schutzpflichtenfunktion in Bezug auf diese Themenausschnitte zu entnehmen ist. (1) Schutz vor fremdbestimmter individualvertraglicher Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Der Gesetzgeber darf hinsichtlich der Regulierungsentscheidungen des AÜG in Bezug auf eine mögliche materiell-wertungsmäßig fremdbestimmte individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht unter das sich aus den konkreten Umständen des Einzelfalles ergebende sozialstaatlich gebotene Mindestmaß an Schutz zurück fallen.768 Die staatlichen Maßnahmen dürfen dabei nicht völlig ungeeignet sein, das Fremdbestimmungsmoment hinsichtlich der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu verhindern. Die Schutzhöhe dieses Mindestmaßes und die hieraus folgende Handlungsdichte ist damit noch nicht determiniert. Zu ermitteln ist dieses Mindestmaß aus den vorgefundenen Umständen dieser wahrscheinlichen Fremdbestimmungsmomente. Zum einen muss hierbei gesehen werden, dass in der subjektiven arbeitgeberseitigen Ausnutzung der prekären Lage, in der sich viele Leiharbeitnehmer befinden, und der einseitigen Durchsetzung der individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kein so schweres grundrechtshemmendes Fremdbestimmungsmoment gesehen werden kann, wie dies etwa in Bezug auf die bekannten Bürgschaftsfälle der Fall wäre. Andererseits aber hat der Gleichbehandlungsgrundsatz für die Leiharbeitnehmerschaft eine eklatant hohe Bedeutung und ist insbesondere in Bezug auf die Verpflichtung auf gleiche Bezahlung geeignet, die übrigen mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Risiken und Nachteile jedenfalls in Teilen auszugleichen. Hinzu kommt, dass gerade in Bezug auf die Festlegung der Arbeitsbedingungen und insbesondere des Arbeitsentgelts eine sowohl den Arbeitgeber- als auch den Arbeitnehmerinteressen dienende privatautonome Gestaltung zwischen Leiharbeitnehmern und Verleihunternehmen nicht erwartet werden kann. Zu groß ist das Interesse der Verleihunternehmen, die Lohnausgaben gering zu halten und den Ent-

768 Siehe zum im Wesentlichen dem Untermaßverbot entsprechenden Prüfungsmaßstab: S. 317 ff. Einen – im Gegensatz zum hier Gesagten – politischen und nicht verfassungsrechtlich bedingten Handlungsbedarf annehmend: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 52 f. („Die Tarifdispositivität in dieser Form zu erhalten, stellt daher eine politische Fehlentscheidung dar, welche die Tarifautonomie zu einem den Arbeitnehmer schädigenden Instrument pervertiert.“).

332 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

leihunternehmen Leiharbeitnehmer daher kostengünstiger anbieten zu können,769 und zu schwerwiegend ist die strukturelle Unterlegenheitssituation, in der sich viele Leiharbeitnehmer befinden. Begrüßenswert ist daher die auch bereits in der Leiharbeitsrichtlinie angelegte Verschiebung der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von der individual- auf die kollektivvertragliche Ebene, an die jedenfalls höhere Erwartungen hinsichtlich der Erzielung materiell interessengerechter Ergebnisse gestellt werden können.770 Diese Verschiebung negiert der Gesetzgeber indes dadurch, dass es individualvertraglich ermöglicht wird, auf Tarifverträge, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz Ausnahmen machen, Bezug zu nehmen. Die Verlagerung der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von der kollektivvertragliche auf die individualvertragliche Ebene ist angesichts der hier in Rede stehenden und zu verhindernden Fremdbestimmungsmomente kritisch zu sehen.771 Schließlich ist es nach dem oben Aufgezeigten (vgl. S. 281 ff.) vorprogrammiert, dass sich die strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer in solch einer individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes niederschlägt. Konsequent wäre es daher sicherlich, die Verschiebung der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die kollektivvertragliche Ebene vollständig beizubehalten und die Thematik der individualvertraglichen Gestaltung zu entziehen. Über das Mindestmaß an Schutz, auf das die hier vertretene Schutzpflichtenfunktion den Gesetzgeber lediglich verpflichtet, lässt sich solch ein regulatorischer Auftrag allerdings nicht erreichen. Mit einem demgegenüber nur warnenden Schriftformerfordernis für den Leiharbeitsvertrag (§ 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG), das dem Leiharbeitnehmer seinen Verzicht auf die Gleichbehandlung vor Augen führt, ist es angesichts der Wichtigkeit dieses Anliegens aber auch nicht getan. Ein Mehr an regulierendem Einschreiten, das ein fremdbestimmendes Ausnutzen der strukturellen Unterlegenheit zu verhindern oder jedenfalls auszugleichen geeignet ist, gilt es als Mindestschutzmaß zu fordern. Hierbei kann der Gesetzgeber bis zur völligen Streichung individualvertraglicher Bezugnahmeklauseln gehen. Verfassungsrechtlich verpflichtet ist er hierzu aber aus der sozialstaatlichen Schutzpflicht nicht. Ggf. könnte sich eine solche Regulierungsoption auch aufgrund eines Verstoßes gegen das gegenüberstehende Abwehrrecht der Verleihunternehmer als verfassungswidrig erweisen (siehe S. 448 ff.). Festzuhalten ist aber, dass der Gesetzgeber im Ergebnis 769 Die Attraktivität der Arbeitnehmerüberlassung im Vergleich zu anderen Flexibilisierungsinstrumenten ergibt sich schließlich auch gerade aus ihrer Kostengünstigkeit, sofern „Equal Pay“ nicht greift. Vgl. bereits oben ausführlich: S. 67 ff. 770 Es ist gerade die Funktion der grundrechtlichen Koalitionsfreiheit die Dysfunktionalität Privatautonomie hinsichtlich der Gestaltung arbeitsvertraglicher Regelungen auszugleichen. Siehe oben einleitend: S. 290 f. 771 So i. E. – allerdings ohne verfassungsrechtlichen Bezug – letztlich auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 123 („Es realisiert sich eben jene strukturelle Unterlegenheit, die der Grund dafür ist, dass die Rechtsordnung der Tarifautonomie als kollektiv ausgeübter Privatautonomie bedarf.“).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

333

darauf verpflichtet ist, Fremdbestimmungen bei der individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes regulativ wirksam zu verhindern. Die mindestens erforderliche regulative Handlungsdichte steht damit fest – hinsichtlich der Regulierungsoptionen besteht aber ein Ermessen. (2) Schutz vor Streikbrechereinsatz Einfacher ist die Beurteilung des verfassungsrechtlich gebotenen Mindestmaßes an Schutz hingegen in Bezug auf den Streikbrechereinsatz von Leiharbeitnehmern zulasten der Arbeitskampffreiheit betroffener Stammarbeitnehmer. Erkennt man dies als schutzpflichtenauslösendes Verhalten an, muss der Gesetzgeber dem Streikbrechereinsatz dergestalt entgegentreten, dass die Arbeitskampffreiheit betroffener Stammarbeitnehmer in ihrer Wirksamkeit nicht völlig leerläuft. Wie dies geschehen soll, wenn nicht durch ein mindestens teilweises Verbot des Streikbrechereinsatzes, ist kaum ersichtlich. Um hinter dem gebotenen Schutz nicht völlig zurückzufallen und die Wirksamkeit (stamm)arbeitnehmerseitiger Arbeitskämpfe zu gewährleisten, muss daher der streikbrechende Einsatz jedenfalls insoweit verboten werden, dass er dem Arbeitskampf nicht gänzlich die Wirkung nimmt. Dies muss nicht unbedingt auf das vollständige Verbot des Streikbrechereinsatzes – für das sich der Gesetzgeber in § 11 Abs. 5 AÜG entschieden hat – hinauslaufen. Das heißt indes nicht, dass nicht auch dieses Verbot verfassungsgemäß sein kann (hierzu ab S. 469 ff.). Das aufgrund der hiesigen Schutzpflicht Gebotene ist schließlich nicht mit dem gleichzusetzen, was verfassungsrechtlich maximal zulässig ist. Letzteres ergibt sich erst aus den grundrechtlichen Abwehrrechten der betroffenen Entleihunternehmen. Mindestens erforderlich und damit in jedem Fall verfassungsrechtlich nicht nur zulässig, sondern geboten, ist aber ein Verbot des Streikbrechereinsatzes aber mit der Wirkung, dass Arbeitskampfmaßnahmen der Stammbelegschaften mittels eines Streikbrechereinsatzes nicht im Wesentlichen wirkungslos werden.772 3. Weitere sozialstaatliche Aufladung von Regulierungsinteressen Zu konkreteren verfassungsrechtlichen Schutzansprüchen lässt sich das Sozialstaatsprinzip in Gestalt der hier vertretenen Anreicherung der Schutzpflichtenfunktion daher nur in wenigen Teilausschnitten des der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Interessenkonflikts verdichten. Im Übrigen muss es bei dem bereits oben hinsichtlich der Funktion und der Wirkweise des Sozialstaatsprinzips Gesagten bleiben (vgl. S. 302 ff.). Sozialstaatliche Erwägungen zugunsten der Leih- oder Stammarbeitnehmer können der abwehrrechtlichen Funktion der Berufs- und Ko772 Damit bestätigt sich das bereits oben im Rahmen der Koalitionsfreiheit Gesagte: Unabhängig davon, ob man Ausgestaltungsmaßnahmen der Koalitionsfreiheit ob struktureller Disparitäten als grundrechtlichen Eingriff auffasst oder nicht, steht jedenfalls in Bezug auf den Streikbrechereinsatz in beiden Fällen ein diese Maßnahmen rechtfertigender verfassungsrechtlicher Handlungsauftrag zur Verfügung, sodass sich der oben angesprochene Streit vorliegend nicht auswirkt. Vgl. bereits oben: S. 297 ff.

334 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

alitionsfreiheit der Verleih- und Entleihunternehmen nur dann entgegentreten, wenn sie durch den Gesetzgeber operationalisiert wurden. Dann allerdings können sozialstaatliche Erwägungen mit dem Abwehrrecht im Rahmen der Rechtfertigung abgewogen werden.773 Wo sozialstaatlich motivierte Schutzbelange hinsichtlich der Leih- und Stammarbeitnehmerschaft nicht gesetzlich operationalisiert wurden, kann das Sozialstaatsprinzip aus sich heraus aber keine Rechtswirkungen entfalten. Dort allerdings, wo die Regelungen des AÜG zugunsten der Leih- und Stammarbeitnehmerschaft wirken, lassen sich vielerlei Regelungszwecke als sozialstaatlich bedingt verstehen. Dies liegt vor allem an der Offenheit des sozialstaatlichen Handlungsauftrags selbst, der lediglich auf das Ergebnis – das Anstreben der gerechten Sozialordnung – abzielt, hinsichtlich der Mittel und Wege aber vielerlei offen lässt. Einer der konkreten Impulse, die vom sozialstaatlichen Auftrag ausgehen, ist es hierbei insbesondere, für diejenigen einzustehen, die an einer freien grundrechtlichen Entfaltung gehindert sind.774 Gerade auch der Arbeitnehmerschutz lässt sich über diesen Teilaspekt des Sozialstaatsprinzips verfassungsrechtlich aufladen, da die arbeitnehmertypische Abhängigkeitssituation gerade diejenige wirtschaftlich-soziale Disparitätskomponente enthalten kann, die zu einer Hemmung grundrechtlicher Freiheit führt.775 Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Aspekt sozialstaatlichen Handelns im Bereich des Arbeitsrechts insbesondere dort betont, wo es arbeitsrechtliche Regulierungen als der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit dienend verstanden hat.776 Schließlich ermögliche die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit „den zuvor Arbeitslosen“ überhaupt erst, „das Grundrecht aus Art. 12 I GG zu verwirklichen“.777 Diese oben bereits erläuterte Funktion des Sozialstaatsprinzips, die Voraussetzungen für die Ausübung grundrechtlicher Freiheit zu schaffen, wird hierbei zugleich mit der Entfaltung der Persönlichkeit und der Erlangung sozialer Achtung verknüpft, die mit der Berufsfreiheit in engem Zusammenhang stehen.778 So wird etwa die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu einem die Grundrechtsvoraussetzungen fördernden und damit originär sozialstaatlichen Thema und damit verfassungsrechtlich aufgewertet.

773 Siehe oben zu den Anforderungen an die Rechtfertigungsprüfung bei kollidierendem Verfassungsrecht: S. 239 f. 774 Zu dieser vom Sozialstaatsprinzip motivierten Gewährleistung der Voraussetzungen der grundrechtlichen Freiheitsausübung: S. 302 ff. 775 Siehe hierzu bereits die Ausführungen zur verbreiteten Herleitung der Schutzpflichtenaktivierung aus der strukturellen Unterlegenheitssituation der Arbeitnehmerschaft: S. 253 ff. 776 Siehe hierzu die Entscheidungen zu Lohnabstandsklauseln und zur Verfassungskonformität von § 10 Abs. 1 Satz 1 BUrlG a. F.: BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307). Sowie letztlich auch die Entscheidung zum Gleichbehandlungsgrundsatz a. F.: BVerfGK 4, 356 (361). 777 Vgl. BVerfGE 103, 293 (307); BVerfGK 4, 356 (361). Ähnlich: BVerfGE 100, 271 (284). 778 Vgl. BVerfGE 100, 271 (284); 103, 293 (307).

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

335

Dies ist indes nur ein möglicher Wirkaspekt, durch den das Sozialstaatsprinzip im Bereich des Arbeitsrechts gesetzlich operationalisiert werden kann. Nicht nur die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zugunsten vormals Arbeitsloser, auch die Verhinderung von Arbeitslosigkeit von vormals Beschäftigten kann ein sozialstaatliches Ziel darstellen.779 Ebenso kann aber auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen zugunsten derjenigen, die der Arbeitgeberseite gegenüber strukturell unterlegen sind und tendenziell im grundrechtlichen Sinne nicht für die eigenen Interessen einzustehen vermögen, sozialstaatlich unterfüttert werden.780 a) Sozialstaatliche Aufladung des Leiharbeitnehmerschutzes Damit ist auch gerade das Anliegen, die im Besonderen von struktureller Unterlegenheit gegenüber der Arbeitgeberseite betroffene Leiharbeitnehmerschaft zu schützen und deren Arbeitsbedingungen zu verbessern, sozialstaatlich zu erfassen.781 Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes im AÜG a. F. hierzu hervorgehoben, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz gerade deswegen sozialstaatlich aufgeladen sei, weil er insofern der Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit diene, als dass durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen – und daher der Qualität der Arbeitnehmerüberlassung – zugleich deren Akzeptanz erhöht und so Beschäftigungspotenziale erschlossen würden, was wiederum der Ermöglichung der Ausübung von Art. 12 Abs. 1 GG für vormals Arbeitslose diene.782 Doch auch abseits einer von der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit motivierten Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer, die im Ergebnis darauf abzielt, Arbeitnehmerüberlassung für potenzielle Arbeitnehmer attraktiver zu machen,783 kann der Schutz der vielfach gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis schlechter gestellten Leiharbeitnehmer über das generelle sozialstaatliche Ziel einer gerechten Sozialordnung verfassungsrechtlich unterfüttert werden.784 Auch das gesetzgeberi779

So auch in Bezug auf das gesetzgeberische Interesse, einer Ersetzung der Stammbelegschaften entgegenzuwirken: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 48. 780 Generell den Leiharbeitnehmerschutz – jedenfalls auch – dem Sozialstaatsprinzip zuordnend: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 45; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 198. Differenzierter: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 48 ff., 52 f. 781 So letztlich auch: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 52 f.; Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 45; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 198. 782 Vgl. BVerfGK 4, 356 (364 f.). 783 Siehe hierzu etwa auch: BVerfGE 100, 271 (284). 784 Letztlich spricht auch das BVerfG von einem „angemessenen Schutzniveau“ eines Regelungskonzepts, dass „den hohen Anforderungen Rechnung“ trage, denen die Leiharbeit-

336 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

sche Ziel, die Arbeitnehmerüberlassung im Hinblick auf ihre „Kernfunktion“ zu stärken, indem deren Wirkung „als Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung eines Arbeitskräftebedarfs geschärft“ werde,785 lässt sich daher etwa dort sozialstaatlich aufladen, wo die Arbeitnehmerüberlassung bspw. mittels der Überlassungshöchstdauer auf die klassische reaktive Nutzungsstrategie zur Akquirierung kurzfristigen Personalbedarfs beschränkt werden soll.786 Mit der oben beschriebenen, Stammarbeitnehmer ersetzenden aktiven Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung geht für die Leiharbeitnehmer schließlich etwa der Nachteil einher, dass die Integrationseffekte in reguläre Beschäftigung hier (vgl. S. 117 ff.) kaum vorkommen, sodass als sozialstaatlich bedingtes Regelungsziel dort die Verbesserung der Konditionen für die Leiharbeitnehmerschaft ausgemacht werden kann. Gleichsam ließe sich auch das Ziel, die Sozialpartner bei der tarifvertraglichen Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz auf eine hinreichende Gewährleistung der Interessen der Leiharbeitnehmerseite und daher etwa auf eine nicht zu weitgehende Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu verpflichten (hierzu etwa unten S. 450 ff.), mit dem sozialstaatlichen Schutzauftrag zugunsten strukturell Unterlegener begründen.787 Genauso aber könnte auch ein zum Teil gegenteiliger Regelungsansatz unter dem Gesichtspunkt der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sozialstaatlich unterfüttert werden, der die Beschäftigungspotenziale der Arbeitnehmerüberlassung stärkt, die zwar zum Teil auf Kosten regulärer Beschäftigung gehen, gesamtwirtschaftlich aber insgesamt ein Mehr an Beschäftigung entfalten können (siehe ausführlich oben S. 125 ff.). Zwar wird auch ein in der Tendenz deregulierender Ansatz, der die Steigerung des Beschäftigungspotenzials der Arbeitnehmerüberlassung etwa durch die Rücknahme gesetzlicher Restriktionen verfolgt, nicht ohne einen Leiharbeitnehmerschutz zu forcieren sein, will man das sozialstaatliche Ziel der gerechten Sozialordnung und des Schutzes strukturell Unterlegener ernst nehmen. Beides nehmer genügen müssen (BVerfGK 4, 356 [360]). Siehe zudem differenziert zu den sozialstaatlichen Rechtfertigungsmöglichkeiten des Gleichbehandlungsgrundsatzes a. F.: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 48 ff. 785 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 786 Im Gesetzesentwurf heißt es etwas, dass die Überlassungshöchstdauer und deren tarifvertragliche Abweichungsmöglichkeiten u. a. „soziale Leitplanken zugunsten der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern“ setzen (vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 15). 787 Dem liegt die Beobachtung zugrunde, dass die Gewerkschaften tendenziell v. a. die Interessen der Stamm- und nicht der Leiharbeitnehmer vertreten, die dort nur in geringem Umfang organisiert sind. Aus der alleinigen Feststellung, dass ein Mangel an gehaltvoller Interessenvertretung zugunsten der Leiharbeitnehmer vorliegt, herzuleiten, dass dies eine grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG aktiviere (so etwa: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 163 ff.) geht schon allein deswegen fehl, weil es hier offenkundig nicht um ein Schutzgut der Berufsfreiheit, sondern der Koalitionsfreiheit geht und darüber hinaus in der fehlenden wirksamen Interessenvertretung weder ein grundrechtlicher Übergriff, noch ein äquivalentes Ausnutzungsmoment gesehen werden kann, das die originär grundrechtliche oder die sozialstaatlich erweiterte Schutzpflichtenfunktion aktivieren würde.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

337

aber – der verstärkte Leiharbeitnehmerschutz ebenso wie die Entfaltung von Beschäftigungspotenzialen – lässt sich sozialstaatlich aufladen. Bei derartigen verfassungsrechtlichen Gedankenspielen darf jedoch nicht vergessen werden, dass das Sozialstaatsprinzip nur dort Wirkung erlangt, wo der Gesetzgeber es operationalisiert hat. Welche Aspekte des Leiharbeitnehmerschutzes daher im Einzelnen sozialstaatlich aufgeladen werden können, ist nicht von entscheidender Bedeutung. Vielmehr kommt es darauf an, inwiefern der Gesetzgeber sozialstaatliche Arbeitnehmerschutzbelange – sei es die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit oder die Etablierung angemessenerer Beschäftigungsbedingungen – qua gesetzlicher Regelung operationalisiert hat. Nur dort entfaltet das Sozialstaatsprinzip Relevanz für die verfassungsrechtliche Prüfung. Dass aber zahlreiche Aspekte des Schutzes der Leiharbeitnehmerschaft – von der Verbesserung ihrer finanziellen Situation bis zur Stärkung der Integrationseffekte in reguläre Beschäftigung – grundsätzlich sozialstaatlich aufgeladen werden können, liegt ob der Weite des sozialstaatlichen Handlungsauftrages auf der Hand.788 Relevanter ist daher die Frage, mit welchen Regulierungsentscheidungen das AÜG sozialstaatlich unterfütterte Schutzbelange zugunsten der Leiharbeitnehmer gegenüber den Grundrechten der Arbeitgeberseite in ihrer abwehrrechtlichen Funktion in Stellung bringt. Dies kann indes nur anhand der konkreten Einzelregelung untersucht werden. b) Sozialstaatliche Aufladung des Stammarbeitnehmerschutzes Der gleiche Befund gilt folglich auch für eine sozialstaatliche Aufladung derjenigen Regelungen des AÜG, die den Schutz der Stammarbeitnehmerschaft bezwecken. Auch das Interesse, der Verdrängung der Stammarbeitnehmer durch die Arbeitnehmerüberlassung entgegenzuwirken, kann daher ein sozialstaatliches Ziel sein.789 Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem oben angesprochenen sozialstaatlich unterfütterten Interesse, abhängig Beschäftigte vor einer Arbeitslosigkeit zu schützen (vgl. S. 335 f.). Daneben kann aber auch der Erhalt des Normalarbeitsverhältnisses (siehe oben S. 129 ff.) als eine gegenüber der Arbeitnehmerüberlassung tendenziell sozial verträglichere Form abhängiger Beschäftigung ein sozialstaatlich bedingtes Ziel darstellen. Doch nicht nur die mit der Arbeitnehmerüberlassung einhergehende Verdrängungsproblematik lässt sich sozialstaatlich einfangen. Auch der Schutz der Arbeitsbedingungen der Stammarbeitnehmer kann dort, wo diese durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern Gefahr laufen, verschlechtert zu wer-

788 Kämmerer und Thüsing wollen gar – dies thematisch abseits des Leiharbeitnehmerschutzes – den Betriebsfrieden im Entleihbetrieb ebenfalls als sozialstaatliche Erwägung auffassen. Konkret geht es hier um die Überlegung, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz geeignet ist, Abwehrprozesse der Stammbelegschaft gegenüber den Leiharbeitnehmern auszuschalten (vgl. Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 58). 789 Vgl. etwa: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 48.

338 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

den,790 sozialstaatlich aufgeladen werden – sofern denn der Gesetzgeber ein dahingehendes Interesse regulativ aufgreift.

III. Zwischenergebnis zu den grundgesetzlichen Determinanten: Arbeitnehmerüberlassung als nur in Teilen grundgesetzliche Kollisionslage Damit ergibt sich im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Determinanten des zwischen den Beteiligten in der Arbeitnehmerüberlassung bestehenden Beziehungsgeflechts das Folgende. Das Interesse der Verleih- und Entleihunternehmen daran, die Arbeitnehmerüberlassung unbehelligt durch staatliche Regulierungen und im Ergebnis möglichst frei nutzen zu können, unterfällt grundsätzlich der abwehrrechtlichen Funktion der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Gleiches gilt in Bezug auf die kleine Gruppe der Leiharbeitnehmer, die die Arbeitnehmerüberlassung als präferierte Beschäftigungsform wählen. Daneben wird das Interesse der arbeitgeberseitigen Verbände, die Arbeitsbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung autonom zu regulieren, auch von der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG erfasst. Die grundrechtlichen Determinanten wirken hier – in der den Abwehrrechten inhärenten Art und Weise – als grundsätzliches Regulierungsverbot oder ggf. Deregulierungsgebot auf den Gesetzgeber im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung ein. Dieser ordoliberalen und im Ergebnis deregulativ wirkenden verfassungsrechtlichen Wirkgröße kann kein in der Durchschlagskraft vergleichbares grundgesetzliches Programm entgegengesetzt werden. Weder der klassischen grundrechtlichen Schutzpflicht noch einer sozialstaatlichen Aufladung derselben kann ein flächendeckender verfassungsrechtlicher Handlungsauftrag zum Schutz der Leih- und Stammarbeitnehmern vor den negativen Auswirkungen der Arbeitnehmerüberlassung entnommen werden. Konkrete objektive Regulierungsaufträge, auf die gar ein subjektiver Anspruch bestünde, sind daher verfassungsrechtlich nicht in Stellung zu bringen. Nur in begrenzten Themenbereichen des zivilrechtlichen Beziehungsgeflechts kann ein solcher aus Schutzpflichten resultierender Handlungsauftrag den abwehrrechtlichen Determinanten als verfassungsrechtliche Antipode entgegengesetzt werden. Namentlich ist dies in Bezug auf Abreden, die zulasten der Leiharbeitnehmer Integrationseffekte beeinträchtigen oder in Bezug auf die individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes der Fall. Gleiches gilt hinsichtlich des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern zulasten der Koali790

So lässt sich etwa mit Kämmerer und Thüsing auch das Bewahren des Betriebsfriedens im Entleihbetrieb dort, wo Abwehrprozesse der Stammbelegschaft gegenüber den Leiharbeitnehmern im Raum stehen, im Rahmen des Sozialstaatsprinzips verorten (vgl. Kämmerer/ Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 58). Siehe zu derartigen Konflikten in der Belegschaft durch den Leiharbeitnehmereinsatz: S. 74 f.

B. Die grundgesetzlichen Vorgaben

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tionen der Stammarbeitnehmerseite. In diesen eng umgrenzten Bereichen ist entweder ein grundrechtliches Übergriffsmoment, das die grundrechtliche Schutzpflicht aktiviert, oder jedenfalls ein prägendes Ausnutzungsmoment der strukturell unterlegenen Lage des Gegenübers durch die Arbeitgeberseite anzunehmen, sodass im Ergebnis die grundrechtliche Schutzpflicht oder ein sozialstaatliches Schutzprogramm den Gesetzgeber zur schützenden Intervention verpflichtet. Für den Großteil der leih- und stammarbeitnehmerseitigen Interessen an der Einhegung der mit der Arbeitnehmerüberlassung assoziierten Risiken bleibt es demgegenüber bei einer Aufladung gesetzlicher Ziele durch das Sozialstaatsprinzip. Unter dessen offenes Schutzprogramm lassen sich vielerlei Überlegungen zugunsten der Leih- und Stammarbeitnehmer ebenso wie volkswirtschaftliche Betrachtungen über die Wirkungen der Arbeitnehmerüberlassung subsumieren. Diese verpflichten den Gesetzgeber im Gegensatz zu den obigen Schutzpflichtenkonstellationen dann aber nicht zum konkreten Einschreiten und generieren auch keinen status positivus. Vielmehr bedürfen sozialstaatlich unterfütterte Schutzinteressen zu ihrer verfassungsrechtlichen Wirksamwerdung erst der Operationalisierung durch den Gesetzgeber. Nur dort also, wo der Gesetzgeber im Rahmen des AÜG in sozialstaatlich bedingter Art und Weise reguliert, kann das Sozialstaatsprinzip die Regulierungsinteressen verfassungsrechtlich unterfüttern und eine einschränkende gesetzliche Maßnahme im Ergebnis rechtfertigen. Daraus folgt aber auch, dass dort, wo der Gesetzgeber sozialstaatlich unterfütterte Vorstellungen im AÜG nicht operationalisiert hat, aus dem Sozialstaatsprinzip selbst kein Handlungsauftrag folgt. Die verfassungsrechtliche Betrachtung der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung ist also abgesehen von den genannten Themenkreisen, die von der Schutzpflichtendogmatik erfasst sind, auf diejenigen Konstellationen, die das AÜG adressiert zurückgeworfen. Nur dort, wo Schutzpflichten konkrete Mindestanforderungen an Schutzmaßnahmen aufstellen, kann der Blick über dasjenige, was bereits geregelt wurde, hinaus erhoben werden. Abseits davon spielt die verfassungsrechtliche Aufladung der Interessen der Beteiligten über das Sozialstaatsprinzip nur dort eine Rolle, wo sozialstaatliche Interessen gesetzlich operationalisiert wurden. All dies ist in Bezug auf die verfassungsrechtliche Überformung der Interessen der Leih- und Stammarbeitnehmer eine in der Gesamtheit eher schmale Ausbeute. Dass die Leiharbeitnehmerschaft als eine „besonders strukturierte Arbeitnehmergruppe (…) mit prinzipiellen verfassungsrechtlichem Schutzanspruch“791 zu betrachten sei, ist verfassungsrechtlich daher nicht haltbar. Die Erkenntnis, dass ein regulatives laissez-faire und eine privatautonome Determinierung der Arbeitsbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung nicht zu 791 Siehe etwa: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 298. Ähnlich auch Wieland, der meint, der Staat komme seiner Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch durch Regelungen zur Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer nach (vgl. Wieland, in: Dreier, GG, 2018, Art. 12 Rn. 153).

340 Kap. 3: Arbeitnehmerüberlassung als freiheits- u. schutzrechtliches Spannungsfeld?

materiell-wertungsmäßig gerechten Ergebnissen führen würden, steht dabei außer Frage. Diese Einsicht lässt sich jedoch nur in geringem Maße in konkrete verfassungsrechtliche Handlungsverpflichtungen im Sinne der schutzpflichtigen Dreieckskonstellation übersetzen. Keineswegs aber sollte die Erkenntnis, dass der diesbezügliche rechtstatsächliche Interessenkonflikt nur in Teilen als grundgesetzliche Konfliktlage mit einem „waffengleichen“ Gegenüber von Abwehr- und Schutzfunktion zu begreifen ist, über den legislativen Handlungsbedarf zur regulativen Einhegung der Arbeitnehmerüberlassung hinwegtäuschen. Im Ergebnis besteht zwar kein umfassender verfassungsrechtlicher, sehr wohl aber ein rechtspolitischer Schutzanspruch der Leih- und in Teilen der Stammarbeitnehmerschaft. Dementsprechenden gesetzgeberischen Schutzbemühungen steht jedoch stets die wirkmächtige Abwehrfunktion der Grundrechte gegenüber.

Kapitel 4

Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung in Deutschland Die zuvor gewonnenen Erkenntnisse über die unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Determinanten zugrunde legend gilt es nun, den Blick auf das Regelungssystem des AÜG zu werfen. Im Fokus steht hierbei die zentrale Frage, ob die Einzelregelungen des AÜG den aufgezeigten Determinanten des höherrangigen Rechts entsprechen. Das Regulierungssystem des AÜG ist erst vor wenigen Jahren vermittels der letztmaligen Novellierung des AÜG im Jahr 2017 nicht unerheblich umstrukturiert worden. Die folgende Betrachtung beschränkt sich indes nicht auf die hiermit eingeführten Neuregelungen. Vielmehr soll das Regelungssystem des AÜG in Gänze in den Blick genommen und daher die wesentlichen und unions- und verfassungsrechtlich umstrittenen und bereits bestehenden oder geplanten1 Regulierungsentscheidungen des AÜG überprüft werden.2 Etwaige über die Überprüfung der Re1 Siehe die Ausführungen zum derzeit diskutierten Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflegebranche: S. 402 ff. 2 Exkludiert werden soll die Regulierungsentscheidung zur Privilegierung der konzerninternen Arbeitnehmerüberlassung aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG. Zwar wird in dem Umstand, dass Arbeitnehmer bei einem solchen Vorgehen von den Regelungen des AÜG – und somit auch den Schutzinhalten der Leiharbeitsrichtlinie – ausgenommen werden, teilweise ein Richtlinienverstoß erblickt. So die Ansicht von: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 634 ff.; Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1 Rn. 195. A. A. sind hingegen: Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 23; Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 1 AÜG Rn. 74. Allerdings soll im Rahmen dieser Arbeit einerseits die typische Überlassung eines eigens als Leiharbeitnehmer eingestellten Arbeitnehmers durch ein Verleihunternehmen, das typischerweise nicht in der rechtlichen Einheit eines Konzerns mit dem Entleihunternehmen verbunden ist, untersucht werden. Die wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge dieser „leiharbeitstypischen“ Ausgangslage sind oben ausführlich aufgezeigt worden (ab S. 57 ff.). Nur diese Ausgangslage adressiert indes auch die Leiharbeitsrichtlinie, sodass bereits viel dafür spricht, dass die Konzernleihe und die Arbeitnehmerüberlassung i. S. d. Leiharbeitsrichtlinie i. E. in einem Ausschließlichkeitsverhältnis zueinander stehen (vgl. etwa: Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 446). Zum anderen aber steht im hiesigen Abschnitt dieser Arbeit das Ineinandergreifen der Regelungen des AÜG im Fokus der Betrachtung, sodass der insofern außerhalb des Regelungsregimes des AÜG stehende konzerninterne Verleih aus dem Betrachtungsgegenstand herausfällt. Hinzuweisen ist aber auf die umfangreiche Untersuchung Sturms, welche die Regelungsentscheidung aus § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG (auch) einer – überzeugenden – unions- und verfassungsrechtlichen Analyse unterzieht (vgl. Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 79 ff.). Insofern besteht kein Forschungsdesiderat. Aus ähnli-

342

Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

gulierungsentscheidungen des AÜG hinausgehende Überlegungen in Bezug auf rechtspolitisch noch zu schließende Lücken im Regelungssystem des AÜG oder gar in Bezug auf alternative Regulierungsansätze sind hiervon zunächst zu trennen und auf eine sich an die konkrete Überprüfung der Regulierungsentscheidungen des AÜG anschließende Betrachtung verschoben (ab S. 580 ff.).

A. Gesetzgeberische Grundentscheidungen im nach Unionsrecht und Grundgesetz verbliebenen Handlungsrahmen Vorgeschaltet zu diesen Einzelbetrachtungen der konkreten Regulierungsentscheidungen des AÜG lohnt es sich jedoch, den gedanklichen Weg zur gesetzgeberischen Ausformung des Handlungsrahmens, der dem Gesetzgeber im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung im Lichte der Determinanten des höherrangigen Rechts verbliebenen ist, nachzuvollziehen und das AÜG selbst in seiner Zielsetzung und rechtsdogmatischen Struktur überblicksartig zu charakterisieren.

I. Möglichkeiten gesetzgeberischer Handlungsmaximen Nachzugehen ist daher etwa zunächst der Frage, welche grundlegenden Handlungsmaximen dem nationalen Gesetzgeber – abseits des mit dem AÜG eingeschlagenen Weg – offenstehen bzw. offenstanden. 1. Verbot der Arbeitnehmerüberlassung als mögliche gesetzgeberische Auflösung der Spannungslage? Der denkbar einfachste und zugleich radikalste Regulierungsansatz ist sicherlich derjenige eines Verbots der Arbeitnehmerüberlassung. Zweifelsohne würde die der Arbeitnehmerüberlassung innewohnende Spannungslage damit aufgelöst – namentlich in der Weise, dass deren benannte innere Problemfelder erst gar nicht virulent würden. Mit den freiheitlichen Gewährleistungen des unionsrechtlichen Primärrechts und der nationalen grundrechtlichen Freiheitsverbürgungen zugunsten der Verleih- und Entleihunternehmen und zugunsten derjenigen Leiharbeitnehmer, die eine Beschäftigung in der Branche in Ausübung grundrechtlicher Freiheit gerade chen Gründen aus der folgenden Betrachtung ausgeschlossen werden soll auch die Privilegierung der Personalgestellung im öffentlichen Dienst aus § 1 Abs. 3 Nr. 2b AÜG, hinsichtlich welcher das BAG dem EuGH kürzlich die Frage vorlegte, ob die Leiharbeitsrichtlinie auf diese Konstellation anwendbar sei und es mit der Richtlinie vereinbar sei, wenn das AÜG auf diese keine Anwendung finde (vgl. BAG v. 16.6.2021 – 6 AZR 390/20 [A], beim EuGH anhängig unter C-427/21).

A. Gesetzgeberische Grundentscheidungen im Handlungsrahmen

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präferieren, wäre ein flächendeckendes Verbot der Arbeitnehmerüberlassung aber nur schwer zu vereinbaren. Der Gesetzgeber hat sich allerdings schon einmal für diese scharfe Regulierungsmöglichkeit entschieden.3 § 37 Abs. 3 AVAVG sah ein Verbot gewerbsmäßiger Arbeitnehmerüberlassung vor, welches allerdings – wenig überraschend – vom Bundesverfassungsgericht am 4. April 1967 als unvereinbar mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl beurteilt wurde.4 Ein generelles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung steht dem Gesetzgeber – ungeachtet seiner verfassungsrechtlichen Zulässigkeit – spätestens seit der Leiharbeitsrichtlinie ohnehin nicht mehr als regulative Alternative zur Verfügung. Schließlich sieht die Richtlinie 2008/104/EG die Arbeitnehmerüberlassung als probaten Bestandteil einer unionalen Arbeitsmarktordnung an.5 Zwar folgt hieraus kein explizites Gebot an die Mitgliedstaaten, die Arbeitnehmerüberlassung in der nationalen Arbeitsmarktregulierung zu inkludieren. Allerdings stellt die Richtlinie für einzelne Verbote des Einsatzes von Leiharbeitnehmern Anforderungen auf.6 Dem liegt offenkundig das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugrunde, dass Leiharbeitnehmer grundsätzlich eingesetzt werden dürfen und dass teilweise Verbote ihres Einsatzes die Ausnahme sind.7 Ein flächendeckendes Verbot der Arbeitnehmerüberlassung befindet sich daher erst recht außerhalb des sekundärrechtlichen Regelungsrahmens, welcher der mitgliedstaatlichen Regulierung vorgegeben ist.8 Die Forderungen nach einem generellen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung haben sich damit erledigt.9 Sie sind schlichtweg bereits mit dem Unionsrecht nicht 3 Ausführlicher zur Entwicklung der Arbeitnehmerüberlassung und ihrer Regulierung in Deutschland: S. 40 ff. 4 BVerfGE 21, 261 ff. Ausführlich zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: Krüger, Zum Verbot der Leiharbeit, 1986, S. 36 ff., Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 31 ff. Überblicksartig: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 48 ff.; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 28. Weiterführend zu der – auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts noch zeitweise andauernden – Diskussion um ein generelles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 39 ff.; Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 58 ff. 5 Zu einer näheren Einordnung der Richtlinie innerhalb des europäischen Regulierungskonzeptes der „Flexicurity“: S. 116 ff. 6 Wenngleich hieraus nach der Ansicht des EuGH nur eine prozedurale Prüfpflicht erwächst (siehe S. 159 ff.). 7 In diese Richtung: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 4 Rn. 1 („Art. 4 belegt die grds. positive Haltung der Richtlinie gegenüber der Leiharbeit“). 8 Die vor der Überspannung der nationalen Regulierung durch die Leiharbeitsrichtlinie zuweilen vertretene Ansicht, dass ein Verbot derselben verfassungskonform wäre (so etwa ausdrücklich: Krüger, Zum Verbot der Leiharbeit, 1986, S. 183 ff., 194 ff.), ist daher nun zumindest unionsrechtlich nicht mehr haltbar. 9 Nichts anderes gilt in Bezug auf die Forderung der Partei Die Linke, die in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2021 noch kundtat: „Wir wollen Leiharbeit verbieten.“ (vgl. Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

vereinbar. Dies gilt jedenfalls für die nationale Ebene. Auf Unionsebene wäre eine härtere Linie gegen die Arbeitnehmerüberlassung indes ggf. über eine Abänderung der Leiharbeitsrichtlinie denkbar. Ebenso wie ein generelles Verbot der Arbeitnehmerüberlassung auf nationaler Ebene prima facie verfassungswidrig wäre, sähe sich aber auch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf ein striktes Verbot der Arbeitnehmerüberlassung qua Richtlinie erheblichen Zweifeln ob seiner Vereinbarkeit mit den Unionsgrundrechten der Grundrechtecharta ausgesetzt.10 2. Gesetzgeberische Alternativentscheidung: Weitgehende Zurückhaltung des Gesetzgebers und Selbstregulierung durch die Branche? Eine dem generellen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung diametral gegenüberstehende aber gleichsam radikale Alternativentscheidung zum eingeschlagenen Weg des AÜG wäre es demgegenüber aber auch, die Arbeitnehmerüberlassung weitestgehend gesetzlich ungeregelt zu belassen und sie den Selbstregulierungskräften des Arbeitsmarktes zu überlassen.11 Dass eine individualvertragliche Ausgestaltung der Arbeitnehmerüberlassung durch Arbeitsvertrag angesichts der sich entgegenstehenden Interessen der Beteiligten und der in besonderem Maße strukturell unterlegenen Position der Leiharbeitnehmer jedoch nicht zu einer interessengerechten Ausformung der Konditionen in der Branche führen würde, ist bereits dargetan worden.12 Auch an die Wirkkraft einer kollektivvertraglichen Aushandlung der Arbeitsbedingungen und -entgelte sind angesichts des geringen Organisationsgrades der Leiharbeitnehmer keine allzu hohen Erwartungen zu stellen.13 Der Status quo ist derjenige, dass sowohl von individual- als auch von kollektivvertraglicher Seite aus in der Arbeitnehmerüberlassung keine gleichsam arbeitnehmer- und arbeitgeberseitig interessengerechte

linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_ Bundestagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 10 Zur Grundrechtecharta, insbesondere zum Anwendungsbereich und den im Rahmen der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung anwendbaren Grundrechten: S. 209 ff. 11 So in der Tendenz aber: FDP, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 28, abrufbar unter: https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundestagswahl2021_1. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Unnötige gesetzliche Sondervorschriften zur Zeitarbeit behindern aber die Integrationsfunktion der Zeitarbeit in den Arbeitsmarkt und führen zu zusätzlicher Bürokratie. Das wollen wir ändern und zum Beispiel die Höchstüberlassungsdauer aufheben“). 12 Siehe zur strukturellen Disparität zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in der Arbeitnehmerüberlassung: S. 279 f. 13 Das heißt indes nicht, dass eine gezielte Förderung von Koalitionsstrukturen und des Organisationsgrads in der Leiharbeitnehmerschaft und eine damit einhergehende Verbesserung der Funktionsfähigkeit kollektivvertraglicher Selbstregulierung in der Branche nicht ein probates Ziel gesetzlicher Regulierung wäre. Hierzu ausführlich: S. 450 f.

A. Gesetzgeberische Grundentscheidungen im Handlungsrahmen

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Ausgestaltung der Konditionen erwartet werden kann.14 Würde sich der Gesetzgeber trotz dieser unverkennbaren Dysfunktionalität der individuellen oder kollektiven privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen regulativ gänzlich zurückziehen, geriete er womöglich sogar in Konflikt mit dem Sozialstaatsprinzip, das den Staat jedenfalls auf ein irgendwie geartetes gesetzliches Auffangen derjenigen Lebensbereiche des Wirtschafts- und Arbeitslebens verpflichtet, in denen die Selbstregulierung qua grundrechtlicher Freiheitsausübung dysfunktional verläuft.15 Eine gegenüber dem vagen Gehalt des sozialstaatlichen Handlungsauftrags eindeutigere Grenze, hinter die der regulierende Staat hinsichtlich der Arbeitnehmerüberlassung nicht zurückfallen darf, statuiert aber bereits die Leiharbeitsrichtlinie. Die dortigen Minimalkonditionen staatlicher Regulierung dürfen die Mitgliedstaaten nicht unterschreiten.16 Abseits der Basislinie des durch die Richtlinieninhalte Vorgegebenen kann sich der nationale Gesetzgeber im Übrigen aber durchaus auf eine Position geringerer Regulierungsdichte zurückziehen. Insbesondere der administrative Überbau der Arbeitnehmerüberlassung – namentlich etwa das Erfordernis einer behördlichen Erlaubnis für die Verleihtätigkeit und die Überwachung dieser (hierzu unten ab S. 351 ff.) – ist von der Richtlinie unberührt.17 Zwar finden sich in den meisten Mitgliedstaaten der Union dem deutschen System der Verleiherlaubnis ähnliche administrative Kontrollsysteme.18 Einige Mitgliedstaaten hingegen verzichten hierauf und beschränken sich auf die Mindestvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie

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Vgl. allein das harsche Urteil bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 52 f. („Die Tarifdispositivität in dieser Form zu erhalten, stellt daher eine politische Fehlentscheidung dar, welche die Tarifautonomie zu einem den Arbeitnehmer schädigenden Instrument pervertiert.“). 15 Zwar lässt sich aus dieser Wirkdimension des sozialstaatlichen Handlungsauftrags grds. kein subjektiver Anspruch auf konkrete Regulierungsentscheidungen herleiten (vgl. bereits oben S. 302 ff.). Ein vollständiges Zurückbleiben hinter dem sozialstaatlich motivierten Ausgestaltungsauftrag ist demgegenüber aber richtigerweise nicht als verfassungsrechtlich probate Regulierungsentscheidung zu akzeptieren. 16 Anderenfalls gilt die Richtlinie ggf. unmittelbar und es drohen Schadensersatzforderungen. Siehe hierzu etwa beispielhaft Pasch in Bezug auf die – so dort vertretene – unzureichende Umsetzung der Richtlinienvorgabe, Überlassungsepisoden auf „vorübergehende“ Überlassungen zu beschränken (vgl. Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 227 ff., 233 ff.). Der dortigen Auslegung des Richtlinienterminus „vorübergehend“ wird aber hier nicht gefolgt (vgl. nur S. 153 ff.). 17 Diesen Aspekt der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung wollte der Richtliniengeber bewusst den Mitgliedstaaten überlassen (siehe Art. 4 Abs. 4 RL 2008/104/EG). 18 European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions, Temporary Agency work in an enlarged European Union, 2006, S. 19 („Most countries operate a licensing, registration or similar approval system for TAW“).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

hinsichtlich der dort vorgegebenen Regulierung der Arbeitsbedingungen und -entgelte.19 Gleichwohl ist eine zurückhaltende Haltung des Gesetzgebers und eine minimalistische Regulierung angesichts der hier offenkundigen Dysfunktionalität freiheitlicher Selbstregulierung nicht zu begrüßen, wenngleich eine solche Zurückhaltung unionsrechtlich innerhalb der Grenzen des durch die Leiharbeitsrichtlinie Determinierten und verfassungsrechtlich innerhalb der Grenzen der entsprechenden grundrechtlichen und sozialstaatlichen Schutzaufträge denkbar wäre.20 An diesem Gesamteindruck ändern auch die Ethik-Kodizes der Interessen- und Arbeitgeberverbände wenig. Obwohl diese zum Teil sanktionsbewehrte Selbstverpflichtungen und eine Schlichtungsstelle verpflichtend machen, sollte ihr Regulierungspotenzial nicht überschätzt werden. Dies liegt zum einen daran, dass die sich gegenüberstehenden Interessen der Beteiligten in der Arbeitnehmerüberlassung schlichtweg zu unterschiedlich sind und sich teils sogar diametral entgegenstehen. Dass die Arbeitgeberseite daher keine breite, paritätisch arbeitnehmer- und arbeitgeberseitig interessengerechte Lösung des der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Spannungsfeldes durch eine Selbstregulierung anstrebt, sollte nicht überraschen.21 Hinzu kommt, dass Verleihunternehmen, die von sich aus mittels einer Selbstregulierung weitreichende Schritte hin zu einer Besserstellung der Leiharbeitnehmer unternehmen, hierdurch im Zweifel ihre Konkurrenzfähigkeit riskieren. Zum anderen aber erscheint es naheliegend, dass Ethik-Kodizes, mit denen sich die Branche vermeintlich autonom reguliert, vor allem einerseits als Strategie zur Vermeidung teurer und unvorhersehbarer gerichtlicher Auseinandersetzungen und andererseits als Öffentlichkeitsarbeit bewertet werden sollten.22 Dass von derartigen Selbstverpflichtungen daher insgesamt keine durchschlagende Regulierungskraft ausgeht, hat zuletzt die Situation der Leiharbeitnehmer in der Fleischindustrie während des ersten Jahres der Corona-Pandemie im Jahr 2020 eindrucksvoll illustriert. Die von zahlreichen Unternehmen unterzeichnete „Selbstverpflichtung für attraktivere Arbeitsbedingungen“ in der Fleischbranche 19 Zu nennen ist hier etwa beispielhaft die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in Schweden, wo auf eine Verleiherlaubnis oder ähnliche administrative Kontrollinstrumente verzichtet wird. Vgl. hierzu etwa: Häußling, Arbeitsrecht in Schweden, 2016, S. 45 f. 20 Zur grundrechtlichen Schutzpflicht und einer sozialstaatlichen Aufladung derselben im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung: S. 305 ff. 21 Die durch die Kontakt- und Beratungsstelle (KuSS) des iGZ am häufigsten behandelten Themenfelder sind vor allem Streitfälle über Lohnabrechnungen, Branchenzuschläge und die Berechnung von Urlaub und Arbeitszeitkonten (https://ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/kuss-be friedet-zeitarbeitsbranche-seit-zwei-jahren, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Die wesentlichen Regulierungsthemen der Arbeitnehmerüberlassung werden hier verständlicherweise nicht verhandelt. 22 Freilich darf nicht in Abrede gestellt werden, dass jedenfalls die Kontakt- und Beratungsstelle (KuSS) des iGZ nach eigenen Angaben eine Schlichtungsquote von 97,7 % aufweist. Vgl. etwa: https://ig-zeitarbeit.de/presse/artikel/kuss-befriedet-zeitarbeitsbranche-seitzwei-jahren, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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vom 21. September 201523 hat offenkundig nicht dazu geführt, dass sich die zum Teil desaströsen Konditionen, unter denen die in der Branche Beschäftigten tätig sind, verbessert haben,24 weswegen hier gleichwohl die Notwendigkeit eines staatlichen Eingreifens erkannt wurde.25 Freilich darf nicht vergessen werden, dass es sich hierbei um eine singuläre Branchenerfahrung handelt. Gleichwohl exemplifizieren die dortigen Entwicklungen, dass eine gesetzgeberische Zurückhaltung bei gleichzeitiger Forcierung der Selbstregulierung keinen gangbaren Weg darstellen kann. 3. Der Mittelweg: Staatlich regulierte Zulassung der Arbeitnehmerüberlassung als Regelungskonzept Begrüßenswert ist daher eine regulierende Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung und eine administrative Kontrolle der Branche durch staatliche Regelungsentscheidungen. Diesem Urteil wird man sich nicht nur rechtspolitisch anschließen müssen. Vielmehr hat der Unionsgesetzgeber mit den zwingenden Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie die Alternativen ohnehin verbaut. Doch auch hinsichtlich der nicht unionsrechtlich determinierten Rechtsfragen zeigt der sozialstaatliche Handlungsauftrag einem verstärkten Zurückziehen des regulierenden Gesetzgebers Grenzen auf. Entschieden hat sich der Gesetzgeber daher für eine regulierte Zulassung der Arbeitnehmerüberlassung auf dem Arbeitsmarkt – einerseits unter teilweiser gesetzlicher Determinierung der Konditionen in der Branche in Umsetzung der Leiharbeitsrichtlinie und andererseits auch unter Installierung eines administrativen Überbaus inklusive entsprechender Kontrollinstrumente. Beides – das frühe strikte 23 Insgesamt hatten 66 Unternehmen die Selbstverpflichtung bis Ende 2015 unterschrieben (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 16). Der Text der Selbstverpflichtung ist abrufbar unter: standortoffensive-fleischwirtschaft-selbstverpflichtung-attraktive-arbeitsbedingungen.pdf (bmwi.de), zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Insbesondere verpflichtete man sich dazu, den „Anteil ihrer Stammbelegschaft zu erhöhen“ und dafür zu sorgen, „dass sich sämtliche in ihren Betrieben eingesetzte Beschäftigte in einem in Deutschland gemeldeten, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden“. 24 Eben dieses geht auch aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der FDP hervor. Vgl. hierzu: BT-Drs. 19/21182 v. 21. 7. 2020, S. 4 f. („Bisherige Versuche der Branche, auf dem Weg der ,Selbstverpflichtung für attraktivere Arbeitsbedingungen‘ die Einhaltung des geltenden Rechts zu gewährleisten, haben nicht zu einer signifikanten Verbesserung der Situation geführt.“). Ähnlich und weiterführend: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 24. Anders hingegen der 3. Bericht der Standortoffensive deutscher Unternehmen der Fleischwirtschaft gegenüber dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie und dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales v. 24. 9. 2018, S. 5, abrufbar unter: https://www.vdew-online.de/wp-content/uploads/2014/08/Bericht-2018.pdf, abgerufen am 18. 5. 2021. Dort wird betont, dass die Überprüfungen durch den Zoll etwa kaum Verstöße gegen den Mindestlohn feststellen konnten. 25 So auch die Einschätzung bei: Zimmer, NZA 2022, 4 (5). Zur Überprüfung des Verbotes der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie: S. 381 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Verbot der Arbeitnehmerüberlassung ebenso wie die spätere verstärkte Deregulierung der Branche26 – gehören damit der Vergangenheit an.

II. Die Entscheidung des Gesetzgebers: Die Zulassung der Arbeitnehmerüberlassung und deren Regulierung durch das AÜG als Regelungskonzept Der mit dem AÜG aktueller Fassung beschrittene Weg der Regulierung ist zunächst hinsichtlich seiner Zielsetzung und seiner rechtsdogmatischen Struktur näher zu charakterisieren. 1. Die Grundkonzeption der mit dem AÜG verfolgten Zielsetzung: Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und der Arbeitnehmerschutz Das AÜG wurde schon früh als ein „Schutzgesetz zugunsten der Leiharbeitnehmer“ rezipiert.27 Die grundlegende Zielkonzeption des AÜG war in der Tat bereits in seiner Erstfassung aus dem Jahr 1972 in erster Linie auf den Leiharbeitnehmerschutz ausgerichtet, indem etwa die beschriebenen administrativen Kontrollinstrumente installiert wurden.28 Neben dieses Überwachungsinstrumentarium trat jedoch ebenfalls schon früh eine zusätzliche Zielvorstellung,29 die der das AÜG novellierende Gesetzgeber zuletzt damit umschrieben hat, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ begrenzen zu wollen.30 Ziel war es hierbei, die Arbeitnehmerüberlassung als „Instrument zur zeitlich begrenzten Deckung des Arbeitskräftebedarfs“31 zu stärken. Hiermit ist offenkundig gemeint, wenngleich dies nicht ausdrücklich so bezeichnet wird, den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung seitens der Entleihunternehmen in Gestalt der oben beschriebenen reaktiven Nutzungsstrategie zu forcieren, bei der typischerweise kurzfristiger Personalbedarf befriedigt wird32 und das, was oben als aktive Nutzungsstrategie umschrieben wurde (vgl. S. 117 ff.), bei der Teile der Stammbelegschaft durch Leiharbeitnehmer ersetzt werden, zu verhindern. Die erstgenannte Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung, die der Flexibilisierung angesichts eines Personalbedarfs dient, der sich durch Stammarbeitnehmer nur unzureichend auffangen lässt (vgl. S. 62 ff.), sieht der AÜG-

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Zum lange zu beobachtenden Liberalisierungstrend in der Regulierung: S. 47 ff. Vgl. Becker, in: Becker/Wulfgramm (Hrsg.), AÜG, 1985, Vorwort, S. 5. 28 Zu einer inhaltlichen Darstellung des AÜG erster Fassung: S. 41 ff. 29 So i. E. schon früh: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9, 12. 30 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 31 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 14. 32 Zur Rolle der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument: S. 59 ff. 27

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Gesetzgeber offenkundig als probates arbeitsmarktpolitisches und personalplanerisches Mittel an.33 Dieses mit der letztmaligen Novellierung des AÜG verfolgte gesetzgeberische Ziel lässt sich einerseits verfassungsrechtlich sozialstaatlich aufladen34 und andererseits mit zwei Beobachtungen aus der Rechtspraxis unterfüttern. Zum einen führt eine Verdrängung von Stammpersonal durch die aktive Nutzungsstrategie zwangsläufig zu einer Verdrängung des Normalarbeitsverhältnisses (siehe hierzu S. 129 f.), gegenüber dem das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerüberlassung per se bereits als nachteilig zu werten ist. Zum anderen aber führt gerade eine Stammarbeitsplätze durch Leiharbeitnehmer ersetzende Nutzungsform dazu, dass die mit der Arbeitnehmerüberlassung vonseiten der Leiharbeitnehmer erhofften Integrationseffekte in ein Normalarbeitsverhältnis praktisch nicht vorkommen. Die Einschätzung, dass eine Nutzungsform, bei der Leiharbeitnehmer stammarbeitnehmerersetzend eingesetzt werden, sozialschädlich sein kann, ist allerdings nicht neu und war bereits dem AÜG erster Fassung immanent. So sah der Gesetzgeber bereits im Jahr 1972 die Gefahr, dass mittels der Arbeitnehmerüberlassung auch „Dauerarbeitnehmer“ überlassen würden und so zu befürchten sei, dass „Arbeitgeber auf die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern ausweichen, um sich arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zu entziehen“,35 weswegen man eine Überlassungshöchstdauer von sechs Monaten installierte.36 Dass der Gesetzgeber diese konzeptionelle Ausrichtung des AÜG indes in vollständiger Kenntnis der oben dargetanen Risiken der Arbeitnehmerüberlassung für die Leiharbeitnehmer und der Eigenarten ihrer Nutzungsmodalitäten durch die Entleihunternehmen vornahm, ist eher zweifelhaft. Sehr wohl aber hat der Gesetzgeber die Zielrichtung des AÜG in Parallelität zu den oben festgestellten Beobachtungen zumindest auch auf eine Forcierung der reaktiven und eine Vermeidung der aktiven Nutzungsstrategie ausgerichtet. Ob ihm dies gelang, ist eine andere Frage. Allerdings lässt sich das gesetzgeberische Bemühen um die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre so verstandene „Kernfunktion“ als Adressierung der oben aufgezeigten Problemstellungen begreifen. Die Grundkonzeption des AÜG geht also vor allem in zweierlei Richtungen. Zum einen wird versucht, die Leiharbeitnehmer vor unseriösen Verleihunternehmen, die 33

Der Gesetzgeber (BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 15) führt daher etwa zur Überlassungshöchstdauer das Folgende aus: „Zur Kernfunktion der Arbeitnehmerüberlassung gehört, dass sie vorübergehend erfolgt. Der dauerhafte Einsatz von Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern kann hingegen zu der Verdrängung von Stammarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern im Einsatzbetrieb führen. Dem soll künftig gesetzlich entgegengewirkt werden. Hierzu wird eine Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten eingeführt, die bestehende Regelungen aus der betrieblichen Praxis aufgreift.“. 34 Zur beispielhaften Unterfütterung der etwa mit der Überlassungshöchstdauer verfolgten Regelungsziele mittels des sozialstaatlichen Handlungsauftrags: S. 501 ff. 35 Vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9. 36 Vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 12.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sich ihren Pflichten entziehen, mittels administrativer Kontrollmechanismen zu schützen. Zum anderen aber wird auch versucht, die Arbeitnehmerüberlassung auf eine probate und sozial verträgliche Nutzungsform zu beschränken.37 Hinter beidem steht der Leiharbeitnehmer- und in Teilen auch der Stammarbeitnehmerschutz bei der gleichzeitigen Bemühung um die Befriedigung des Flexibilitätsbedürfnisses der die Arbeitnehmerüberlassung Nutzenden. Daneben ist auch die Aufwertung der Position der Leiharbeitnehmer als gesetzgeberisches Anliegen zu identifizieren – allem voran mittels des Gleichbehandlungsgrundsatzes.38 Dieser ist jedoch in erster Linie unionsrechtlich determiniert und entzieht sich einer autonomen nationalen Regelungskonzeption.39 Nur dort, wo der Gesetzgeber über die entsprechenden Richtlinienvorgaben hinausgeht und etwa eine Verpflichtung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz ab dem neunten Monat einer Überlassungsepisode vorschreibt, ist die Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer als eigenes nationales Regelungskonzept zu werten. Hier tritt zum Leiharbeitnehmerschutz und zur Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ daher die finanzielle Verbesserung der Position der Leiharbeitnehmerschaft hinzu.40 2. Die regelungsdogmatische Grundkonzeption des AÜG: Verquickung öffentlich-rechtlicher Regularien mit zivil- und arbeitsrechtlichen Regularien In seiner regelungsdogmatischen Grundkonzeption vereint das AÜG zweierlei Regelungsdimensionen. Zum einen wird ein administrativer Überbau an Kontrollmechanismen installiert. Diese Regulierungsschicht des AÜG ist originär öffentlichrechtlicher Natur und lässt sich mit typischen Regularien des Wirtschaftsverwaltungsrechts in eine Reihe stellen.41 Insbesondere das Konzept des Erlaubnisvorbe37 Siehe ergänzend bereits die Ausführungen zum gesamtwirtschaftlichen Beschäftigungspotenzial der Arbeitnehmerüberlassung: S. 125 ff. 38 Siehe hierzu etwa die Ausführungen zur Gleichbehandlung anlässlich der letzten AÜGNovellierung: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 15. 39 Teilweise wird auch behauptet, dass die Leiharbeitsrichtlinie eine Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf eine Stammarbeitsplätze nicht gefährdende Nutzungsform – und so i. E. auf den oben als reaktive Nutzungsform beschriebenen Einsatz – verbindlich stellen würde (vgl. oben etwa S. 198 ff.). Dem wird hier aber nicht gefolgt, sodass die Konzeption des AÜG, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre so verstandene „Kernfunktion“ zu begrenzen, eine autonome nationale Regulierungsentscheidung darstellt, die allenfalls in Parallelität zur unionsrechtlichen Deskription der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ (siehe hierzu S. 157 ff.) steht. 40 Die Differenzierung zwischen diesen beiden Formen des Leiharbeitnehmerschutzes wird auch später virulent: S. 505 ff. 41 So auch bereits die systematische Unterteilung bei Becker, der die Regularien des AÜG in einerseits gewerberechtliche (und daher öffentlich-rechtliche) und arbeitsrechtliche Normierungen unterteilt (vgl. Becker, in: Becker/Kreikebaum [Hrsg.], Zeitarbeit, 1982, S. 19,

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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halts inklusive der entsprechenden Befristungs- und Bedingungsmöglichkeiten sowie die Regelungen zu Rücknahme und Widerruf sind aus zahlreichen vergleichbaren Normenkomplexen bekannt.42 Doch auch die sektoralen Verbote der Arbeitnehmerüberlassung sind als öffentlich-rechtliche Regularien einzuordnen, da auch sie in der dem Wirtschaftsverwaltungsrecht typischen Weise die wirtschaftliche Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung branchenspezifisch begrenzen und der näheren Regulierung der privatrechtlichen Ausgestaltung vorgeschaltet sind. Neben diesen öffentlich-rechtlichen Überbau tritt zum anderen die konkrete privatrechtliche Regulierung der Bedingungen der Arbeitnehmerüberlassung selbst. Diese Regelungsschicht ist als zivil- bzw. arbeitsrechtlich einzuordnen. Die hiermit vorgenommene Unterteilung dient indes lediglich einer Vorsortierung der konzeptionellen Schichten des AÜG. Auswirkungen auf die unions- und verfassungsrechtliche Untersuchung der Regularien des AÜG hat sie nicht.

B. Das Regelungsmodell des AÜG: Wahren die Regulierungsentscheidungen des AÜG den gesetzgeberischen Handlungsrahmen? Unter dem Eindruck der vorgenannten Weichenstellung sind nun die grundlegenden Regelungsentscheidungen des AÜG anhand der Determinanten des Unionsrechts und des Grundgesetzes zu überprüfen.

I. Öffentlich-rechtliche Regulierungsentscheidungen: Der administrative Überbau der Arbeitnehmerüberlassung und vorgelagerte Verbotsentscheidungen Zuerst ist der Blick auf die öffentlich-rechtlichen Regulierungsentscheidungen des AÜG zu richten: Das administrative Kontrollinstrumentarium und die der privatrechtlichen Regulierung vorgelagerten sektoralen Verbotsentscheidungen. 1. Erfordernis behördlicher Erlaubnis und deren Versagung Am Beginn des AÜG stellt der Gesetzgeber die Verleihtätigkeit in § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG unter den Vorbehalt einer staatlichen Erlaubnis, wenn es dort heißt, dass 76 ff.; ebenso: ders./Wulfgramm, AÜG, 1985, Vorbemerkung zu § 1 Rn. 2 f.). Zum dogmatischen Hintergrund von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt ggü. repressiven Verboten mit Befreiungsvorbehalt siehe die übersichtliche Darstellung bei: Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2019, Rn. 504. 42 Vgl. bspw. §§ 30, 33a ff. GewO.

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„Arbeitgeber, die als Verleiher Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zur Arbeitsleistung überlassen (Arbeitnehmerüberlassung) wollen (…) der Erlaubnis“ der Bundesagentur für Arbeit bedürfen.43 a) Die Erlaubnispflicht: Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt Regelungstechnisch handelt es sich um ein klassisches präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt,44 welches bereits im AÜG erster Fassung enthalten war.45 aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Den Vorgaben des Unionsrechts musste dieser frühe Erlaubnisvorbehalt im Gegensatz zum aktuellen Erlaubnisvorbehalt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG freilich noch nicht entsprechen. Zwar überlässt die Leiharbeitsrichtlinie die „Zulassung“ der Verleihunternehmen gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2008/104/EG bewusst der autonomen nationalen Regulierung. Dennoch ist diesbezüglich jedenfalls in Bezug auf das Phänomen der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung die Dienstleistungsfreiheit betroffener Verleihunternehmen aus Art. 56 ff. AEUV zu beachten.46 Da hinsichtlich der öffentlich-rechtlichen Regulierungsschicht des AÜG das sogenannte Territorialitätsprinzip gilt,47 muss schließlich auch ein Verleihunternehmen aus einem Mitgliedstaat der Union, das nach Deutschland Leiharbeitnehmer überlassen will, der Erlaubnispflicht aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG genügen. Die Dienstleistungsfreiheit schützt allerdings den freien Binnenmarkt nur insofern, als dass grenzüberschreitende Dienstleistungen gegenüber rein innerstaatlichen Dienstleistungen nicht benachteiligt werden dürfen. Dies bezieht sich auf direkte oder indirekte sowie offene oder versteckte Benachteiligungen und gilt auch dann, wenn staatliche Regelungen an sich unterschiedslos gelten, aber geeignet sind, die Tätigkeit ausländischer Dienstleister zu benachteiligen. Eine offene Benachteiligung ausländischer Verleihunternehmen durch den Erlaubnisvorbehalt ist hierbei zunächst 43 Vgl. § 17 Abs. 1 Satz 1 AÜG: „Die Bundesagentur für Arbeit führt dieses Gesetz nach fachlichen Weisungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durch.“. 44 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen AÜG, Ziff. 1.1 Abs. 1, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 13. Zum dogmatischen Hintergrund von präventiven Verboten mit Erlaubnisvorbehalt ggü. repressiven Verboten mit: Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2021, Rn. 504. 45 § 1 AÜG a. F.: „Arbeitgeber, die Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen wollen, ohne damit Arbeitsvermittlung nach § 13 des Arbeitsförderungsgesetzes zu betreiben (Verleiher), bedürfen der Erlaubnis.“. 46 Zur Anwendbarkeit der Grundfreiheiten und im Besonderen zu den Anforderungen der Dienstleistungsfreiheit: S. 206 ff. 47 Siehe hierzu: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 626; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 45.

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nicht zu erkennen. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade dadurch, dass die Erlaubnispflicht für inländische und ausländische Verleihunternehmen gleichermaßen gilt, liegt vielmehr eine Gleichbehandlung vor.48 Möglicherweise könnte diese an sich unterschiedslose Behandlung inländischer und ausländischer Verleihunternehmen aber dennoch geeignet sein, ausländische Verleihunternehmen gegenüber inländischen zu benachteiligen. Insbesondere die Tatsache, dass Verleihunternehmen aus Mitgliedstaaten, die die Verleihtätigkeit ebenfalls an eine behördliche Erlaubnis knüpfen, bei einer grenzüberschreitenden Überlassung die entsprechenden Voraussetzungen von zweierlei nationalen Regelungsregimen erfüllen müssen, könnte eine solche Benachteiligung darstellen.49 Allerdings haben ausländische Verleihunternehmen trotz dieses administrativen Mehraufwands gem. § 3 Abs. 4 AÜG die gleichen Chancen, die Verleiherlaubnis zu erhalten, wie dies auch für inländische Unternehmen der Fall ist,50 sodass aus der Erlaubnispflicht selbst für ausländische Verleihunternehmen, die grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben gedenken, kein Nachteil entsteht. Einer gewissen faktischen Benachteiligung begegnen ausländische Verleihunternehmen aber dann, wenn sich die Voraussetzungen zweier nationaler Erlaubnisvorbehalte widersprechen.51 Dass der nationale Gesetzgeber die Voraussetzungen der Verleiherlaubnis52 nicht mit allen Regelungsregimen der übrigen Mitgliedstaaten harmonisiert hat, ist ihm nicht zum Vorwurf zu machen, sodass auch aus diesem Umstand keine Benachteiligung durch den Erlaubnisvorbehalt im Sinne der Dienstleistungsfreiheit entsteht. Selbst wenn man dies anders sähe und vor dem Hintergrund, dass der EuGH eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit bereits dann erkennt, wenn eine Dienstleistung im Ausland gegenüber einer inländischen Dienstleistungserbringung durch nationale Regelungen weniger attraktiv gemacht wird,53 auch im hiesigen Szenario eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit ausländischer Verleihunternehmen durch den administrativen Mehraufwand einer mehrfachen Erlaubniseinholung annähme, wäre diese gleichwohl jedenfalls durch Gründe des Allge48 Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 628 („Art. 56 AEUV verbietet einem Mitgliedstaat nicht, ausländische und inländische Verleiher bei Genehmigungspflichten gleich zu behandeln.“). 49 Vgl. Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 632; Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 143 f.; Thüsing, in: Thüsing, AÜG, 2018, Einführung Rn. 45. 50 Hierauf hinweisend: Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 144. 51 Siehe hierzu ausführlicher: Brors, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 632 f. 52 Siehe hierzu sogleich im Rahmen der Versagungsgründe: S. 356 ff. 53 So die ständige Rechtsprechung. Vgl. etwa: EuGH, Urt. v. 30.11.1995 – C-55/94, NJW 1996, 579 (581, Rn. 37); v. 28.3.1996 – C-272/94, Rn. 10; v. 12.12.1996 – C-3/95, EuZW 1997, 53 (54, Rn. 25). Weiterführend hierzu: Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 85 ff.

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meininteresses gerechtfertigt.54 Dies sah der EuGH bereits im Jahr 1981 so, als er in Bezug auf grenzüberschreitende Arbeitnehmerüberlassungen anerkannte, dass ein unterschiedslos für inländische und ausländische Unternehmen geltendes Genehmigungserfordernis mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar sei.55 Unionsrechtliche Vorgaben und insbesondere die den Binnenmarkt schützende Dienstleistungsfreiheit stehen der Erlaubnispflicht aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG also nicht entgegen. bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Aus verfassungsrechtlicher Sicht konfligiert die Erlaubnispflicht mit der Berufsfreiheit der Verleihunternehmen.56 § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG greift im klassischen Sinne – also final, imperativ und durch unmittelbar wirkenden Rechtsakt – in deren Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG ein.57 Auf der Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung stellt sich im Folgenden die Frage, auf welcher Ebene der DreiStufen-Theorie (siehe S. 237 ff.) der Eingriff einzuordnen ist und welche Anforderungen demgemäß an den zur Rechtfertigung zu fordernden legitimen Zweck zu stellen sind. Der Gesetzgeber sah bereits anlässlich der Einführung des AÜG in seiner ersten Fassung vom 12. Oktober 1972 die Erlaubnispflicht als Berufsausübungsregelung und damit als Eingriff erster Stufe an, der schon durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann.58 Diese Einschätzung wird in der Literatur teilweise übernommen.59 Dies verkennt allerdings, dass die Erlaubnispflicht gerade nicht das „Wie“ der Berufsausübung regelt, sondern der Aufnahme der Verleihtätigkeit als notwendige Bedingung vorgeschaltet ist und somit den Zugang zur Verleihbranche – mit anderen Wort: das „Ob“ der Berufswahl – reguliert. Richtigerweise ist die Erlaubnispflicht daher als subjektive Berufszulassungsregelung zu klassifizieren, da sie in Zusammenschau mit den Versagungsgründen (hierzu sogleich S. 356 ff.) die Ausübung der Verleihtätigkeit an Umstände anknüpft, die in der Person des Grundrechtsberechtigten – hier des Verleihunter-

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Vgl. Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 144. Siehe hierzu: EuGH, Urt. v. 17.12.1981 – 279/80 („Im einzelnen folgt hieraus, daß es den Mitgliedstaaten freisteht und für sie eine legitime, im Allgemeininteresse getroffene politische Entscheidung darstellt, für die Überlassung von Arbeitnehmern in ihrem Hoheitsgebiet eine Genehmigungsregelung einzuführen […]“). 56 Zur Schutzbereichseröffnung (i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG): S. 229 f. 57 Auf die Feststellung einer objektiv berufsregelnden Tendenz kommt es daher nicht mehr an (vgl. hierzu S. 229). 58 Vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9 f. („Diese Einschränkungen der Berufsausübung sind geboten, um bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen des sozialen Rechtsstaates entsprechen und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer ausschließen. Damit sind die vorgesehenen Regelungen verfassungsgemäß.“). 59 Unter Verweis auf BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9 f.: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 4. A. A. hingegen: Hirdina, NZA 2011, 325 (330). 55

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nehmens – begründet sind.60 Erfasst man schließlich die Verleihtätigkeit als eigenständiges Berufsbild (vgl. oben S. 229 ff.), blockiert die Erlaubnispflicht daher zunächst den Zugang zu diesem Beruf. In Bezug auf den zum Zwecke der Rechtfertigung zu fordernden legitimen Zweck gilt daher, dass die Erlaubnispflicht allein zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts zulässig ist. Ein solches liegt aber in Gestalt des präventiven Schutzes der Leiharbeitnehmer vor Verleihern, die etwa ihren Arbeitgeberpflichten nicht nachkommen, und daher als unzuverlässig zu bewerten sind, unzweifelhaft vor.61 Dass der Schutz der in besonderem Umfang strukturell benachteiligten Gruppe der Leiharbeitnehmer ein wichtiges Interesse ist, ergibt sich hierbei spätestens daraus, dass der Gesetzgeber beim Leiharbeitnehmerschutz grundsätzlich seinem sozialstaatlichen Handlungsauftrag – sofern dieser in der entsprechenden Regelung operationalisiert wurde – und damit einem hochrangigen Gemeinschaftsgut entspricht.62 In diese Richtung lässt sich auch bereits die Gesetzesbegründung zur erstmaligen Einführung der Erlaubnispflicht verstehen, wenn es dort heißt, dass diese geboten sei, „um bei der Arbeitnehmerüberlassung Verhältnisse herzustellen, die den Anforderungen des sozialen Rechtsstaates entsprechen und eine Ausbeutung der betroffenen Arbeitnehmer ausschließen“.63 Ein den spezifischen Anforderungen an die Rechtfertigung einer Einschränkung der Berufswahlfreiheit genügender legitimer Zweck liegt damit vor. Durch das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt wird der Schutz der Leiharbeitnehmer auch gefördert, indem unzuverlässige Verleiher vor der Aufnahme der Verleihtätigkeit im Rahmen der Erlaubniserteilung und der dazugehörigen Prüfung der Versagungsgründe identifiziert und an der Verleihtätigkeit gehindert werden können, sodass die Erlaubnispflicht auch im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet ist. Ferner ist sie auch erforderlich, da etwa das mildere Mittel eines der Aufnahme der Verleihtätigkeit zeitlich nachgeordneten Überprüfens der Zuverlässigkeit der Verleihunternehmen die Leiharbeitnehmer nicht gleichsam effektiv schützen könnte, wie dies beim präventivem Verbot mit Erlaubnisvorbehalt der Fall ist.64 Letztlich besteht auch an der Angemessenheit der Erlaubnispflicht kein Zweifel. Zum einen 60 So auch bereits: Becker, in: Becker/Wulfgramm (Hrsg.), AÜG, 1985, § 1 Rn. 16 f.; ebenso: Ulrici, AÜG, 2017, § 3 Rn. 9. 61 Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3 Rn. 6. Ebenso, wenngleich weitergehend: Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 16 („Schutz der Leiharbeitnehmer, Schutz des Arbeitsmarktes“). 62 Ähnlich auch Hamann, der meint, dass die Erlaubnispflicht „der aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Verpflichtung des Staates zum Sozialschutz abhängig Beschäftigter“ diene (vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 4). Zur sozialstaatlichen Aufladung des Leiharbeitnehmerschutzes: S. 335 ff. 63 Vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 9 f. (Hervorhebung durch den Verfasser). 64 So auch bereits früh: Becker, in: Becker/Wulfgramm (Hrsg.), AÜG, 1985, § 1 Rn. 17 („Ein nachträgliches Einschreiten gegen unseriöse Verleiher (…) wäre kein taugliches Mittel gewesen, um die illegalen Praktiken einiger Verleiher wirksam zu unterbinden.“).

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wird die Intensität des Grundrechtseingriffs bereits dadurch abgemildert, dass bei Nichtvorliegen der sogleich näher zu untersuchenden Versagungsgründe ein gebundener Anspruch des Verleihunternehmens auf die Erteilung der Verleiherlaubnis besteht, was der verfassungsrechtlichen Position der Verleihunternehmen und damit der Wichtigkeit der Berufswahlfreiheit Rechnung trägt.65 Zum anderen aber steht mit dem sozialstaatlich untermauerten Leiharbeitnehmerschutz eine dem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG entgegentretende verfassungsrechtlich unterfütterte Position entgegen, die den ohnehin nicht übermäßig schweren Eingriff der Erlaubnispflicht in die grundrechtliche Position der Verleihunternehmen zu rechtfertigen vermag.66 Nichts anderes als die hier vorgenommene Wertung kann in Bezug auf den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gelten, der durch das präventive Verbot zumindest insofern betroffen ist, als dass eine ähnliche Restriktion für Arbeitgeber abseits der Arbeitnehmerüberlassung nicht gilt.67 Die Erlaubnispflicht selbst ist daher mit grundgesetzlichen Vorgaben unzweifelhaft vereinbar. b) Die Versagungsgründe Neben der Erlaubnispflicht selbst müssen jedoch auch die Versagungsgründe aus § 3 Abs. 1 AÜG, deren Vorliegen im konkreten Anwendungsfall zur Nichterteilung der Verleiherlaubnis führen, den unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben entsprechen. aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Die Versagungsgründe differenzieren allerdings gerade nicht – dies auch nicht indirekt oder versteckt – zwischen Verleihunternehmen aus Mitgliedstaaten der Union und nationalen Unternehmen, da beide gem. § 3 Abs. 4 AÜG unter den gleichen Bedingungen die Verleiherlaubnis erhalten können,68 sodass die Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AEUV den in § 3 Abs. 1 AÜG normierten Gründen nicht entgegensteht.69 Doch selbst wenn man in den Versagungsgründen eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit erblickt, so lässt sich das bereits oben zum Erlaubnisvorbehalt Gesagte wiederholen (siehe S. 351 ff.). Dass die Erlaubnis zu 65

In diese Richtung: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 4. Hieran wird i. E. nicht gezweifelt. Vgl. nur: Becker, in: Becker/Wulfgramm (Hrsg.), AÜG, 1985, § 1 Rn. 17; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 4; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 16. 67 Diesbzgl. hingegen kritisch: Hirdina, NZA 2011, 325 (330). 68 Dies sah bereits § 3 Abs. 2 AÜG in der Fassung v. 12. 10. 1972 vor („Angehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften erhalten die Erlaubnis unter den gleichen Voraussetzungen wie deutsche Staatsangehörige.“). Siehe hierzu auch: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 12. 69 Hieran wird in der Kommentarliteratur nicht gezweifelt. Vgl. etwa: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3 Rn. 16. 66

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versagen ist, wenn prognostiziert werden kann, dass ein Verleihunternehmen nicht die notwendige Zuverlässigkeit besitzt, weil es etwa die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, des Arbeitsschutzrechts oder gar die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1b AÜG nicht einhält (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) oder wenn das Unternehmen bereits keine Betriebsorganisation aufweist, die eine ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitgeberpflichten erwarten lässt (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) oder wenn zu prognostizieren ist, dass es dem Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 AÜG nicht Rechnung tragen wird (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG),70 lässt sich jeweils ebenso über das gewichtige Allgemeininteresse des Leiharbeitnehmerschutzes rechtfertigen, wie dies bereits in Bezug auf die Erlaubnispflicht selbst gilt.71 Der zuletzt erwähnte Versagungsgrund – die Prognose, dass das Unternehmen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht wahren wird – lässt sich sogar mit der Anordnung aus Art. 10 der Leiharbeitsrichtlinie, nach dem Verstöße gegen nationale Vorschriften, die der Umsetzung der Richtlinienbestimmungen dienen, entsprechend zu sanktionieren sind, ins Verhältnis setzen und stimmt dadurch erst recht mit den unionsrechtlichen Vorgaben überein.72 Die Versagungsgründe aus § 3 Abs. 1 AÜG sind daher insgesamt unionsrechtlich nicht zu beanstanden.

70 Die Versagungsgründe ergänzen und überlagern sich z. T. (vgl. Hamann, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 3 Rn. 6 ff.). Regelungstechnisch handelt es sich bei der Formulierung der Prognoseformel in § 3 Abs. 1 AÜG („wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen“) im Übrigen um eine insbesondere im Gefahrenabwehrrecht gebräuchliche Formulierung des Gefahrenvorfelds, die hinsichtlich des anzuwendenden Wahrscheinlichkeitsmaßstabes gemeinhin unterhalb der Gefahrenschwelle der konkreten Gefahr eingeordnet wird. Vgl. hierzu vertiefend: Wahnschaffe, ZG 2020, S. 231 (245 ff.). Die Fachliche Weisung der Bundesagentur für Arbeit zielt in diese Richtung, ist aber insofern ungenau: „Es ist nicht notwendig, mit letzter Gewissheit das Vorliegen von Versagungsgründen zu bejahen. Es reicht aus, wenn insofern konkrete, sich auf Tatsachen gründende Anhaltspunkte gegeben sind.“ (Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen AÜG, Ziff. 3.1 Abs. 2, abrufbar unter: https:// www.arbeitsagentur.de/datei/fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 71 So i. E. auch: Wilde, Arbeitnehmerüberlassung im Binnenmarkt, 2017, S. 144. Hirdina hingegen merkt an, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz dispositiv sei und dass die Versagung der Erlaubnis aufgrund einer zu prognostizierenden Nichteinhaltung desselben diesen daher kaum fördern könne (vgl. Hirdina, NZA 2011, 325 [330]). Dem muss allerdings entgegengehalten werden, dass zumindest dort, wo der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht kraft Tarifvertrags oder zumindest individualvertraglicher Bezugnahme auf denselben Geltung entfaltet, der Versagungsgrund zweifelsohne geeignet ist, die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu forcieren. 72 Dies hängt aber zunächst von der Frage ab, ob man den Gleichbehandlungsgrundsatz – vor dem Hintergrund, dass dieser schon vor Verabschiedung der Leiharbeitsrichtlinie im AÜG implementiert war – als Umsetzung der Richtlinie betrachten kann (vgl. hierzu S. 429 ff.). Darüber hinaus kann die Versagung der Verleiherlaubnis aufgrund einer zu prognostizierenden Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nur dann eine Sanktion sein, wenn bereits ein solches Verhalten vorlag, es sich also m. a. W. nicht um eine Ersterteilung der Erlaubnis handelt.

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bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Auch in Bezug auf die verfassungsrechtliche Beurteilung der Versagungsgründe ergibt sich nichts anderes als das bereits oben in Bezug auf die Erlaubnispflicht selbst Festgestellte. Diese sind in Verbindung mit der Erlaubnispflicht als subjektive Berufszulassungsregelungen zu qualifizieren, sodass die mit ihnen einhergehenden Beschränkungen der Berufswahlfreiheit nur durch besonders wichtige Gemeinschaftsgüter zu rechtfertigen sind. Indem die Versagungsgründe aber diejenigen Verleiher, von denen anzunehmen ist, dass sie unzuverlässig sind, an der Aufnahme der Verleihtätigkeit hindern, wird dem sozialstaatlich aufgeladenen Schutz der Leiharbeitnehmer Rechnung getragen (vertiefter oben auf S. 352 ff.). Der Gesetzgeber übersetzt hier die frühe Erfahrung, dass Verleihunternehmen oftmals etwa zu Ungunsten der Leiharbeitnehmer arbeits- und sozialrechtliche Standards missachteten (vgl. S. 129 ff.), in die Gründe zur Versagung der Erlaubnispflicht und ergänzt sie um die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der Überlassungshöchstdauer. All diese Versagungsgründe dienen aber gleichsam dem Leiharbeitnehmerschutz und genügen daher den Anforderungen an den legitimen Zweck zur Rechtfertigung von subjektiven Berufszulassungsregelungen. Dass der Zweck des Leiharbeitnehmerschutzes durch die Versagungsgründe auch gefördert wird und damit auch die Geeignetheit vorliegt, ist ebenfalls nicht in Zweifel zu ziehen. Einzig in Bezug auf die Erforderlichkeit ließe sich ggf. einwenden, dass jedenfalls bei Verleihern, die erstmalig eine Verleiherlaubnis beantragen,73 eine Prognose, ob diese die Regelungen des AÜG – wie bspw. die Überlassungshöchstdauer und den Gleichbehandlungsgrundsatz – einhalten werden, nur schwerlich durchzuführen ist. Daher könnte der mit diesen Versagungsgründen einhergehende Eingriff in die Berufswahlfreiheit der Verleihunternehmen ggf. dadurch abgemildert werden, dass diese nur auf eine erneute und nicht bereits auf die erstmalige Erlaubniserteilung bezogen werden. Allerdings bleibt bei der Ersterteilung der Erlaubnis die branchenspezifische Zuverlässigkeit in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer und den Gleichbehandlungsgrundsatz üblicherweise ohnehin zunächst unberücksichtigt. Es wird vielmehr eine unspezifische Zuverlässigkeitsprognose anhand des bisherigen Verhaltens des künftigen Verleihunternehmens aus etwa vorangegangenen andersartigen Tätigkeiten angestellt.74 Eine Abmilderung des mit der Geltung der entsprechenden Versagungsgründe für die Ersterteilung einhergehenden Eingriffs ginge damit, dass die branchenspezifischen Zuverlässigkeitskriterien nur auf die erneute Erteilung bezogen werden würden, also in der Rechtspraxis ohnehin nicht einher. Dass also diese branchenspezifische Zu73 Die Erlaubnis ist gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 AÜG auf ein Jahr befristet und kann darauffolgend nach entsprechendem Antrag verlängert werden. Obwohl die Verlängerung automatisch erfolgt, wenn die Bundesagentur für Arbeit den Verlängerungsantrag nicht abgelehnt hat, gelten bei der Verlängerung die gleichen Bedingungen wie bei der Ersterteilung, sodass auch hier die Versagungsgründe aus § 3 Abs. 1 AÜG zu prüfen sind. Vgl. hierzu: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 2 Rn. 71. 74 Vgl. hierzu tiefergehend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3 Rn. 7, 47.

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verlässigkeitsprognose in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer und den Gleichbehandlungsgrundsatz in § 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 AÜG undifferenziert auf jede Erlaubniserteilung bezogen wird, ist daher kein verfassungsrechtliches Problem, sondern lediglich als eine geringfügig ungenaue Normierungstechnik zu identifizieren. Auch an der Erforderlichkeit der Versagungsgründe besteht daher kein Zweifel. Ebenso wenig kann die Angemessenheit der Versagungsgründe bezweifelt werden. Der gewichtige Leiharbeitnehmerschutz überwiegt in den Fällen, in denen die Versagungsgründe die Tätigkeit entsprechend unzuverlässiger Verleihunternehmen verhindern, deren Berufswahlfreiheit.75 Insbesondere dadurch, dass bei der Anwendung und Auslegung der Versagungsgründe und insbesondere der vorzunehmenden Prognoseentscheidung im Einzelfall die Berufsfreiheit des betroffenen Verleihunternehmens im Einzelfall zu berücksichtigen ist,76 genügen die Versagungsgründe den verfassungsrechtlichen Positionen der betroffenen Unternehmen. c) Zwischenergebnis zur Erlaubnispflicht und den Versagungsgründen Sowohl die Erlaubnispflicht selbst als auch die Versagungsgründe genügen daher den unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben. Das AÜG installiert hier eine mit dem höherrangigen Recht insgesamt vereinbare Schranke zur administrativen Kontrolle der Zuverlässigkeit der Verleihunternehmen und realisiert so den diesbezüglichen Leiharbeitnehmerschutz. 2. Befristung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen Wird die Erlaubnis gem. § 2 Abs. 1 AÜG auf einen schriftlichen Antrag hin erteilt, kann sie allerdings gem. § 2 Abs. 2 AÜG mit Bedingungen und Auflagen im Sinne von § 36 VwVfG versehen werden. Zudem ist sie gem. § 2 Abs. 4 Satz 1 AÜG auf ein Jahr zu befristen, sodass im Rahmen der entsprechenden Fristen gem. § 2 Abs. 4 Satz 2 AÜG Verlängerungsanträge zu stellen sind. Mit dem Unionsrecht stehen diese Regulierungsentscheidungen nicht in Konflikt. Grundsätzlich aber treten auch Befristungen und Nebenbestimmungen mit der Berufsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmen in einen Wirkzusammenhang. Grundrechtsdogmatisch stellen allerdings die Befristung der Verleiherlaubnis aus § 2 Abs. 4 Satz 1 AÜG und die Bedingung aus § 2 Abs. 2 Satz 1 AÜG keine eigenständigen Grundrechtseingriffe dar.77 Dies liegt daran, dass sowohl die Befristung als 75

So i. E. auch: Ulrici, AÜG, 2017, § 3 Rn. 9. Hierauf ebenfalls hinweisend: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3 Rn. 9, Ulrici, AÜG, 2017, § 3 Rn. 6. 77 Genauer gesagt, sind die Ermächtigungen zum Erlass von Nebenbestimmungen und die Vorgaben zur Befristung in § 2 Abs. 2, 4 AÜG freilich schon deshalb selbst keine Grundrechtseingriffe, da sich jeweilige Grundrechtseinschränkungen erst mit dem Erlass einzelner 76

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auch die Bedingung lediglich die Erlaubnispflicht selbst in der Dimension ihrer zeitlichen Gültigkeit ausformen, sodass ihr grundrechtsbeeinträchtigendes Potenzial nicht über den mit der Erlaubnispflicht selbst bereits einhergehenden Grundrechtseingriff (siehe oben S. 354 ff.) hinausgeht. Schließlich determiniert die Befristung nur die Wirksamkeit der Verleiherlaubnis hinsichtlich ihres zeitlichen Endes, während die Bedingung den Eintritt der Wirksamkeit der Erlaubnis gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 AÜG davon abhängig macht, „daß keine Tatsachen eintreten, die nach § 3 die Versagung der Erlaubnis rechtfertigen“.78 Damit erschöpft sich der grundrechtsbeschränkende Gehalt der Befristung und der Bedingung aber in demjenigen Ausmaß an Grundrechtseingriff, welches bereits mit der Erlaubnispflicht selbst einhergeht. Anders verhält es sich indes mit der Auflage (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG), mit der dem betroffenen Verleihunternehmen zusätzlich zur Erlaubniserteilung ein Tun, Dulden oder Unterlassen aufgegeben werden kann und die mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden kann. In der Sache kann mit der Auflage – ebenso wie mit der Bedingung – gem. § 2 Abs. 2 AÜG aber ausschließlich darauf abgezielt werden, dass das Verleihunternehmen nicht die in § 3 AÜG genannten Versagungsgründe erfüllt. Daher ließe sich auch in Bezug auf die Auflage wiederum vertreten, dass dieser kein eigener grundrechtsbeeinträchtigender Gehalt zukommt, da sie den Verleihunternehmen lediglich etwas aufgeben kann, zu dem die Verleihunternehmen gem. § 3 im Rahmen der Erlaubniserteilung ohnehin bereits verpflichtet sind. Jedoch kommt der Auflage gleichwohl deshalb eine eigenständige Beeinträchtigungswirkung zu, weil mit ihr auf den konkreten Betrieb zugeschnittene Verhaltensanforderungen, die sich nicht unmittelbar bereits aus § 3 AÜG ergeben, sondern von der Bundesagentur für Arbeit aus den dortigen Versagungsgründen entwickelt werden, durchgesetzt werden können.79 Daher geht mit einer solchen

Nebenbestimmungen und Befristungen ergeben, sodass die Normen nicht unmittelbar wirken und m. a. W. nicht „self-executing“ sind (vgl. oben zum Eingriffsbegriff S. 231). Gleichwohl steht hier die verfassungsrechtliche Überprüfung der Regulierungsentscheidungen des AÜG im Vordergrund, sodass die Regelungen dennoch in diesem Lichte untersucht werden. 78 Nach verbreiteter Ansicht scheidet eine auflösende Bedingung (§ 158 Abs. 2 BGB; § 36 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 VwVfG) aus, da das AÜG keine Regelung für den Fall trifft, dass eine solche auflösende Bedingung die Wirksamkeit der Verleiherlaubnis aufhebt. Die Problematik der Nachwirkungen einer zunächst erteilten Verleiherlaubnis für den Fall, dass ein Verleihunternehmen keine wirksame Verleiherlaubnis mehr besitzt, war dem Gesetzgeber aber offenkundig grds. bewusst, wie § 2 Abs. 4 Satz 4 AÜG für den Fall der Nichtverlängerung der Erlaubnis illustriert. Daher spricht viel dafür, dass die Bedingung in § 2 Abs. 2 Satz 1 AÜG nur als eine aufschiebende i. S. v. § 158 Abs. 1 BGB bzw. § 36 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 VwVfG, verstanden wird. Vgl. hierzu näher: Kämmerer, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 2 Rn. 14; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 2 Rn. 44 ff.; Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/ Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 2 AÜG Rn. 4. A. A. hingegen: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 2 Rn. 24. 79 Vertiefend und mit Beispielen: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 2 Rn. 53.

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Auflage durchaus ein eigener Grundrechtseingriff einher,80 der es insofern ermöglicht, die Berufszulassungsentscheidung der Erlaubniserteilung im Einzelfall um Berufsausübungsregelungen zu ergänzen. Verfassungsrechtlich sind diese Eingriffe bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls zu rechtfertigen. Da aber auch die Auflagenerteilung auf die Einhaltung der Versagungsgründe aus § 3 AÜG abzielt – welche ihrerseits den bereits sozialstaatlich bedingten Leiharbeitnehmerschutz realisieren – ist dies der Fall. Eine zusätzliche Verpflichtung der Verleihunternehmen auf Verhaltensweisen, die ein Eintreten der Versagungsgründe aus § 3 AÜG unwahrscheinlicher werden lassen, ist im verfassungsrechtlichen Sinne geeignet, da dies den Leiharbeitnehmerschutz zusätzlich absichert. Die Auflagenerteilung ist insofern auch erforderlich, da sie – im Gegensatz zur aufschiebenden Bedingung – die Wirksamkeit der Erlaubnispflicht nicht tangiert und insofern bereits ein vergleichsweise mildes Mittel darstellt. Bezüglich der Angemessenheit kann auf das oben Gesagte verwiesen werden (vgl. S. 354 ff.). Der Leiharbeitnehmerschutz vermag die Berufsfreiheit – insbesondere dann, wenn es vorliegend lediglich um die Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit durch zusätzliche Auflagen geht – zu rechtfertigen, zumal bei der einzelnen Auflagenerteilung die Berufsfreiheit des betroffenen Verleihunternehmens konkret in Rechnung zu stellen ist. Auch an der Verfassungsmäßigkeit der Möglichkeit zur Auflagenerteilung aus § 2 Abs. 2 AÜG besteht daher kein Zweifel, sodass die Ermächtigungen zur Befristung und zur Erteilung von Nebenbestimmungen in § 2 Abs. 1 und 2 AÜG den grundgesetzlichen Vorgaben insgesamt entsprechen. 3. Rücknahme und Widerruf der Erlaubnis § 4 und § 5 AÜG sehen darüber hinaus vor, dass eine rechtswidrig erteilte Erlaubnis im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG zurückgenommen und eine zunächst rechtmäßig erteilte Erlaubnis widerrufen werden kann. Zwar berühren diese Regulierungsentscheidungen keine unionsrechtlichen Gewährleistungen.81 Sehr wohl aber sind die hier in Rede stehenden Aufhebungsmöglichkeiten der Verleiherlaubnis – wie jedwede Ermächtigungsnormen zur Rücknahme und zum Widerruf begünstigender Verwaltungsakte – an den Erfordernissen des Rechtsstaatsprinzips und im Besonderen an dem der Rechtssicherheit innewohnenden Gebot des Vertrau80 Dies deckt sich mit der insofern parallelen vorherrschenden Auffassung im Verwaltungsrecht, nach der die Auflage als ein eigenständiger Verwaltungsakt gesehen wird, der zum Hauptverwaltungsakt hinzutritt. Vgl. statt vieler und m. w. N.: Schröder, in: Schoch/Schneider, VwVfG, 2021, § 36 Rn. 79 ff. 81 Ein Zusammenhang mit dem Unionsrecht ließe sich einzig dort annehmen, wo die Bestimmungen zu Rücknahme und Widerruf die Versagungsgründe aus § 3 Abs. 1 AÜG in Bezug zu nehmen (so in § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG), der entsprechende Versagungsgrund auf die Nichteinhaltung einer der Umsetzung einer Richtlinienbestimmung dienenden AÜG-Norm rekurriert und daher ein Zusammenhang mit der Richtlinienvorgabe zur Installierung eines tauglichen Sanktionsregimes (Art. 10 RL 2008/104/EG) besteht.

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ensschutzes zu messen.82 In ihrer Regelungsstruktur orientieren sich §§ 4, 5 AÜG allerdings streng an den Tatbeständen aus §§ 48, 49 VwVfG und tragen den zu beachtenden Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes in nahezu identischer Art und Weise Rechnung.83 Damit bewegt sich der AÜG-Gesetzgeber nicht nur regelungstechnisch auf bekanntem und akzeptiertem Terrain. Auch die verfassungsrechtlichen Erfordernisse werden in Parallelität zu §§ 48, 49 VwVfG grundgesetzkonform ausgestaltet.84 Hinzu kommt, dass die Bundesagentur für Arbeit die Ermächtigungen in §§ 4, 5 AÜG bei der Anwendung auf den konkreten Einzelfall selbstverständlich verfassungskonform anwenden muss und entgegenstehende Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes und der grundrechtlichen Betroffenheit der Verleihunternehmen in die Ermessensentscheidung einzustellen hat.85 4. Überwachungsinstrumentarium Über die soeben besprochenen Regulierungsentscheidungen rund um die Erlaubnispflicht hinaus, hat der AÜG-Gesetzgeber mit dem als „Anzeigen und Auskünfte“ übertitelten § 7 AÜG ein ausdifferenziertes Überwachungsinstrumentarium in Bezug auf die Verleihunternehmen installiert.86 Im Besonderen verpflichtet § 7 Abs. 1 AÜG das Verleihunternehmen, der Bundesagentur für Arbeit diverse betriebliche und personelle Veränderungen anzuzeigen, während § 7 Abs. 2 AÜG die Bundesagentur für Arbeit dazu ermächtigt, vom Verleihunternehmen Auskunft über all jenes, was „zur Durchführung des Gesetzes erforderlich“ ist, zu verlangen. In § 7 Abs. 5 AÜG findet sich ein korrespondierendes Auskunftsverweigerungsrecht zu solchen Angaben, die das Verleihunternehmen oder einen der in § 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 ZPO bezeichneten Angehörigen der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit aussetzen würde. § 7 Abs. 3 und 4 AÜG statuieren sodann eine Ermächtigung zur betrieblichen Nachschau und zur Durchsuchung des Verleihunternehmens.

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Grundlegend: BVerfGE 59, 128 ff. Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 4 Rn. 1 („Sie sind leges speciales zu den Regelungen im Verwaltungsverfahrensgesetz [§§ 48 u. 49 VwVfG], entsprechen ihnen aber in ihrer Struktur weitestgehend“). 84 Dass letztere rechtsstaatlichen Anforderungen nicht genügen würden, wird nicht ernsthaft behauptet. Siehe hierzu in Bezug auf § 48 VwVfG und m. w. N.: Schoch, in: Schoch/ Schneider, VwVfG, 2021, § 48 Rn. 7, 120. 85 In Bezug auf die grundrechtliche Eingriffswirkung von Rücknahme und Widerruf gilt das bereits oben in Bezug auf die Ermächtigung zum Erlass von Nebenbestimmung aus § 2 Abs. 2 AÜG Gesagte. Der grundrechtliche Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen realisiert sich auch hier erst mit der entsprechenden Ausübung der Ermächtigungen aus §§ 4, 5 AÜG durch die Bundesagentur für Arbeit sodass die grundrechtliche Position des betroffenen Verleihunternehmens im Einzelfall zu beachten ist. 86 Vgl. hierzu bereits die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 12; sowie: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 7 Rn. 4. 83

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Erneut steht hier kein Konflikt mit unionsrechtlichen Vorschriften zur Debatte, sodass sich die Betrachtung auf die Vereinbarkeit dieses Überwachungsinstrumentariums mit der verfassungsrechtlichen Position betroffener Verleihunternehmen beschränkt. Zwar ließe sich zunächst daran denken, auch diese Regulierungsentscheidungen als Einschränkungen der Berufsfreiheit in Gestalt von Berufsausübungsregelungen zu verstehen.87 Weder die Anzeigepflichten und die Ermächtigung zum Auskunftsverlangen aus § 7 Abs. 1 und 2 AÜG, noch die Ermächtigungen zu betrieblicher Nachschau und Durchsuchung in § 7 Abs. 3 und 4 AÜG regulieren allerdings das „Wie“ der Berufsausübung selbst und schränken diese daher nicht rechtfertigungsbedürftig ein. Vielmehr flankieren sie in der Weise die Berufsausübungsfreiheit der Verleihunternehmen, als dass sie parallel zur eigentlichen Verleihtätigkeit Überwachungsmöglichkeiten installieren, ohne die Berufsausübungsfreiheit selbst zu beeinträchtigen.88 Grundrechtsrelevante Eingriffe werden durch dieses Überwachungsinstrumentarium nur in Bezug auf andere grundrechtliche Freiheitsgarantien verwirklicht. Im Besonderen gilt dies in Bezug auf die Anzeige- und Auskunftsregelungen in § 7 Abs. 1 und 2 AÜG für das dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG zugeordnete Recht auf informationelle Selbstbestimmung, auf die sich auch juristische Personen des Privatrechts über Art. 19 Abs. 3 GG berufen können.89 In der Sache schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die Kontrolle über die eigenen Daten und hierbei insbesondere das Recht, über die Preisgabe und Verwendung derselben zu bestimmen.90 Dieses Recht wird aber durch die Anzeige- und Auskunftspflichten in § 7 Abs. 1 und 2 AÜG eingeschränkt. Die Normen verpflichten die Verleihunternehmen dazu, der Bundesagentur für Arbeit betriebliche Änderungen anzuzeigen und umfangreich Auskunft zu erteilen und zu diesem Zwecke ggf. sogar gem. § 7 Abs. 2 Satz 2 AÜG geschäftliche Unterlagen vorzulegen. Damit hat das Verleihunternehmen nur begrenzt Kontrolle über die personenbezogenen – bzw. die entsprechende juristische Person betreffenden – Daten. 87

Eingriffsdogmatisch ergibt sich indes – wie bereits in Bezug auf die Ermächtigungen zum Erlass von Nebenbestimmungen und zu Rücknahme und Widerruf – erneut, dass die Ermächtigungen in § 7 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG nicht unmittelbar grundrechtsbeschränkend (da nicht „self-executing“) sind. Nur die Anzeigepflicht aus § 7 Abs. 1 AÜG wirkt i. d. S. unmittelbar und ist daher als grundrechtlicher Eingriff zu qualifizieren. 88 Anderes ließe sich allenfalls in Bezug auf die Anzeigepflicht aus § 7 Abs. 1 AÜG behaupten, wenn man argumentieren würde, dass die dortige Verpflichtung, betriebliche Veränderungen „vorher anzuzeigen“, dahingehende freiheitliche Entscheidungen der Berufsausübung hemmen würden. Das ist aber nicht naheliegend. Eine Beschränkung der Berufsausübungsfreiheit ließe sich daneben ggf. in der betrieblichen Nachschau i. S. v. § 7 Abs. 3 AÜG erblicken, sofern diese sich „kurzfristig beeinträchtigend auf den Geschäftsablauf auswirken kann“. Vgl. hierzu etwa: BSG NZA 1993, 524 (526). Auch das wird aber nur selten der Fall sein und hängt i. Ü. von den Umständen des Einzelfalles ab. 89 Vgl. BVerfGE 118, 168 (203); vertiefend: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 627. 90 Siehe hierzu etwa das insofern paradigmatische Volkszählungsurteil: BVerfGE 65, 1 (43). Vgl. zudem: BVerfGE 77 (84); 118, 168 (184).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Die Regelungen zur betrieblichen Nachschau und zur Durchsuchung in § 7 Abs. 3 und 4 AÜG greifen demgegenüber in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG ein, wie § 7 Abs. 3 Satz 3 AÜG – dem Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG folgend – auch bereits klarstellt.91 Zu rechtfertigen ist das Überwachungsinstrumentarium aus § 7 AÜG ebenso wie die Regelungen rund um die Verleiherlaubnis über das legitime Ziel des Leiharbeitnehmerschutzes. So dienen die Anzeigepflichten hinsichtlich betrieblicher oder personeller Veränderungen des Verleihunternehmens dazu, die Zuverlässigkeit des Verleihunternehmens im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG bei entsprechenden Strukturveränderungen vorsorglich zu kontrollieren,92 während die Auskunftspflichten in § 7 Abs. 2 AÜG zu denjenigen Angelegenheiten, „die zur Durchführung des Gesetzes erforderlich sind“, auf die Überprüfung der in § 3 AÜG aufgezählten Versagungsgründe insgesamt abzielen und im Besonderen der Vorbereitung etwaiger Entscheidungen über die Erteilung von Nebenbestimmungen, die Rücknahme oder den Widerruf oder gar über die Einleitung von Ordnungswidrigkeitenverfahren dienen.93 In die gleiche Richtung zielen auch die Ermächtigungen zur betrieblichen Nachschau und zur Durchsuchung, die ebenfalls auf die Überprüfung gesetzeswidriger Zustände und hierbei im Besonderen auf die Überprüfung des Vorliegens der in § 3 AÜG genannten Versagungsgründe zielen.94 Zwar spricht § 7 Abs. 3 AÜG nur von „begründeten Einzelfällen“ und ist insofern unpräzise. Jedenfalls aus dem systematischen Zusammenhang des Regelungskomplexes in § 7 AÜG mit § 3 AÜG und spätestens aus der Fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich jedoch, dass für die betriebliche Nachschau der Verdacht der Erfüllung der in § 3 AÜG genannten Versagungsgründe und damit letztlich eine zu befürchtende konkrete Gefährdung des Leiharbeitnehmerschutzes gemeint ist.95 Damit dient das 91 Betriebliche Nachschau und Durchsuchungen unterfallen deswegen dem Schutz von Art. 13 GG, weil zum Begriff der „Wohnung“ in Art. 13 Abs. 1 GG auch Geschäftsräume gezählt werden. Vgl. etwa: BVerfGE 44, 353 (371); Kluckert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 13 Rn. 3 (m. w. N.). 92 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 7 Rn. 8. Die Gesetzesbegründung spricht indes nur davon, dass die Anzeigepflicht „die erforderliche Kontrolle der Verleiher durch die Erlaubnisbehörde“ gewährleiste (vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13). 93 So explizit die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13). („Insbesondere kommen Auskünfte darüber in Betracht, ob die Arbeitnehmerüberlassung in Übereinstimmung mit den in § 3 genannten Voraussetzungen ausgeübt wird, um Entscheidungen nach § 2 Abs. 2, §§ 4 bis 6, 15 und 16 vorzubereiten.“). 94 So i. E. auch: BSG NZA 1993, 524 (526) („Die Vorschrift dient dem berechtigten Interesse an einer Aufdeckung von Verstößen gegen Vorschriften des AÜG.“). 95 Vgl. insofern: Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen AÜG, Ziff. 7.4 Abs. 1, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Diese sind z. B. dann gegeben, wenn der Erlaubnisbehörde konkrete Hinweise vorliegen [z. B. über eine Anzeige, eine Beschwerde oder frühere Beanstandungen], die den Anfangsverdacht begründen, dass der Verleiher die ihm nach § 3 obliegenden Pflichten missachtet haben könnte und zur Aufklärung dieses Sachverhaltes das Betreten der Ge-

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Überwachungsinstrumentarium insgesamt in letzter Konsequenz dem Leiharbeitnehmerschutz, indem es der Bundesagentur für Arbeit ermöglicht, Wissen über diejenigen Umstände zu erlangen, die für den bereits besprochenen Erlass von Nebenbestimmungen oder etwa zur Ausübung von Rücknahme und Widerruf – welche ihrerseits wiederum dem Leiharbeitnehmerschutz dienen – vonnöten sind. An der Geeignetheit und Erforderlichkeit dieser Regelungen können daher ebenso wenig Zweifel bestehen, wie an der Tatsache, dass der Leiharbeitnehmerschutz die konkreten Überwachungsregelungen und die mit ihnen einhergehenden Grundrechtseingriffe angemessen erscheinen lässt. Dies liegt gerade daran, dass es sich bei den Pflichten aus § 7 Abs. 1 und 2 AÜG um vergleichsweise milde Eingriffe handelt,96 die über den ungleich gewichtigeren Leiharbeitnehmerschutz gerechtfertigt werden können. Darüber hinaus sind auch die Ermächtigungen zu schärferen Eingriffen in § 7 Abs. 3 und Abs. 4 AÜG auf konkrete „begründete Einzelfälle“ bezogen, was demgemäß eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung im konkreten Anwendungsfall vorgibt.97 Kritisieren könnte man allenfalls, dass die Ermächtigungen zur betrieblichen Nachschau und Durchsuchung in § 7 Abs. 3 und Abs. 4 AÜG das Auskunftsverlangen aus § 7 Abs. 2 AÜG nicht als regelmäßig zu erwägendes milderes Mittel der Überwachung voranstellen und so die Erforderlichkeitsprüfung des Einzelfalls vorzeichnen. Dieses Erfordernis ergibt sich aber einerseits bereits aus den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes selbst. Andererseits ist auch das – wenngleich mildere – Auskunftsverlangen aus § 7 Abs. 2 AÜG nicht selten ungeeignet, um gesetzeswidriges Verhalten aufzudecken.98 Verfassungsrechtlich zu beanstanden ist das Überwachungsinstrumentarium daher nicht. Vielmehr ergänzt es den bereits durch die Regelungen rund um die Verleiherlaubnis installierten administrativen Leiharbeitnehmerschutz um im Einzelfall verfassungskonform anzuwendende Möglichkeiten der Kenntniserlangung. 5. Ordnungswidrigkeitentatbestände Ähnliches lässt sich in Bezug auf die Ordnungswidrigkeitentatbestände in § 16 AÜG sagen.99 Dort, wo diese die bereits besprochenen administrativen Konschäftsräume und die Prüfung der geschäftlichen Unterlagen ohne vorhergehendes Auskunftsersuchen erforderlich ist.“). 96 Die Auskunftspflicht wird darüber hinaus durch das Auskunftsverweigerungsrecht in § 7 Abs. 5 AÜG deutlich abgemildert. 97 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 7 Rn. 41. 98 Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Vertuschung droht. Vgl. in diese Richtung: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 7 Rn. 41. 99 Siehe hierzu weiterführend: Noack, BB 1973, 1313 ff. Darüber hinaus gilt hier erneut: Dort, wo die Ordnungswidrigkeitentatbestände Bestimmungen des AÜG, die Richtlinienbestimmungen umsetzen, – so bspw. in § 16 Abs. 1 Nr. 7a in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG – folgt der Ordnungswidrigkeitentatbestand dem

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trollmechanismen in Bezug auf die Verleihunternehmen aufgreifen, wiederholt sich aus grundrechtlicher Sicht im Wesentlichen das bereits Gesagte. Zwar greifen die zur Verhängung entsprechender Geldbußen gem. § 16 Abs. 2 AÜG ermächtigenden Ordnungswidrigkeitentatbestände aus § 16 Abs. 1 AÜG nicht in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG – da sie weder die Berufswahl-, noch die Berufsausübungsfreiheit einschränken – sondern in die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.100 Die zur Rechtfertigung der entsprechenden Kontrollmaßnahmen gemachten Überlegungen lassen sich hier aber übertragen. So dienen etwa auch die Ordnungswidrigkeitentatbestände, die die Einhaltung der Erlaubnispflicht selbst (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 und 1a AÜG) sowie etwa die Einhaltung von Auflagen (§ 16 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) oder die Einhaltung der Anzeige- und Auskunftspflichten (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 und 5 AÜG) nachzeichnen, mittelbar dem Leiharbeitnehmerschutz, dem diese Maßnahmen ihrerseits in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Art und Weise Rechnung tragen. Dass die Regulierungsentscheidung, eine entsprechende Absicherung dieser Maßnahmen durch Ordnungswidrigkeitentatbestände und entsprechende Geldbußen zu installieren, eine auch aus verfassungsrechtlicher Sicht generell probate Methode ist, steht hierbei außer Zweifel. Die verhältnismäßige Ausgestaltung der Geldbuße hängt sodann von der Einzelfallbetrachtung ab. Die Verfassungsmäßigkeit der übrigen Ordnungswidrigkeitentatbestände, welche die weiteren Regulierungsentscheidungen des AÜG absichern, ist dagegen im Wesentlichen von der Beurteilung dieser noch zu besprechenden Mechanismen selbst determiniert und kann ohne die entsprechenden Beurteilungen hier nicht vorweggenommen werden. Grundsätzlich aber ist das Installieren der Ordnungswidrigkeitentatbestände verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. 6. Sektorale Verbote der Arbeitnehmerüberlassung Innerhalb der hier im Fokus stehenden Regulierungsschicht des AÜG, die der regulativen Ausgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen der Beteiligten vorgeschaltet ist, greift der Gesetzgeber aber auch zu drastischeren und vielfach rechtlich und rechtspolitisch kritisierten Eingriffsmaßnahmen. Gemeint sind die Verbote der Arbeitnehmerüberlassung in spezifischen Sektoren des Arbeitsmarktsund Wirtschaftslebens. Im Besonderen betrifft dies das das nunmehr 40 Jahre währende Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b AÜG sowie das ab dem 1. April 2021 geltende Verbot in der Fleischindustrie aus § 6a Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch).101 Über diese Regulierungsentscheidungen hinaus soll der Blick Sanktionsauftrag aus Art. 10 RL 2008/104/EG – sofern die in Bezug genommene Bestimmung des AÜG tatsächlich als Umsetzung einer Richtlinienbestimmung zu werten ist. 100 Zum Eingriff in die Allgemeine Handlungsfreiheit durch ein Bußgeld etwa: BVerfG, Beschl. 29.7.2004 – 1 BvR 737/00, NJW 2004, 2662 (2663). 101 Exkludiert werden soll allerdings die sich jedenfalls mittelbar als ausländerspezifisches Verbot der Arbeitnehmerüberlassung auswirkende Regelung in § 40 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG,

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jedoch auch über den Bereich bereits normierter branchenspezifischer Verbote erhoben werden und das in jüngster Zeit vermehrt diskutierte Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflegebranche im Lichte höherrangiges Rechts untersucht werden. a) Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft Erstmalig eingeführt wurde das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft zum 1. Januar 1982 in Form von § 12a Arbeitsförderungsgesetz.102 Die ursprüngliche Fassung verbot jeden Einsatz von Leiharbeitnehmern für Arbeiten, „die üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden“ – was sich als Formulierung auch im § 1b Satz 1 AÜG heutiger Fassung wiederfindet – und wurde erst nach einigen Entschärfungen in sodann unveränderter Form in das AÜG inkorporiert.103 In der Sache verbietet § 1b Satz 1 AÜG den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung im Baugewerbe für die Arbeiten, die üblicherweise von Arbeitern durchgeführt werden. Von dieser Regel abweichend gestattet § 1b Satz 2 lit. a) AÜG den entsprechenden Einsatz aber „zwischen Betrieben des Baugewerbes und anderen Betrieben, wenn diese Betriebe erfassende, für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge dies bestimmen“, während § 1b Satz 2 lit. b) AÜG die Arbeitnehmerüberlassung „zwischen Betrieben des Baugewerbes, wenn der verleihende Betrieb nachweislich seit mindestens drei Jahren von denselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen oder von deren Allgemeinverbindlichkeit erfasst wird“ zulässt. aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Nachzugehen ist zunächst der Frage, ob dieses sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist. (1) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie Seit dem Erlass der Leiharbeitsrichtlinie (19. November 2008) wird in der Literatur verbreitet vertreten, dass das Verbot aus § 1b AÜG mit der Richtlinienvorgabe aus Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG nicht vereinbar und die Verbotsnorm daher unionsrechtswidrig sei.104 Diese Einschätzung wird hier aber explizit nicht geteilt. wonach die gem. § 39 Abs. 1 AufenthG zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit dann zu versagen ist, wenn der Ausländer als Leiharbeitnehmer tätig werden will. 102 Amtlich abgekürzt mit AFG. Eingeführt wurde es durch das Gesetz zur Konsolidierung der Arbeitsförderung (AFKG) v. 22. 12. 1981, BGBl. I, S. 1497. 103 Siehe hierzu bereits oben zur Entwicklung des AÜG: S. 47 ff. Sowie vertiefend: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 25 ff. 104 Vgl. Boemke, RiW 2009, 177 (181 f.); ders., in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1b Rn. 5; Hamann, EuZA 2009, 287 (312 f.); ders., in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 20; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (491 f.); Sudmann, Internationaler Personaleinsatz

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Schließt man sich – wie hier ausgeführt (siehe oben S. 159 ff.) – der Auslegung des EuGH an und interpretiert Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie lediglich als prozedurale Prüfpflicht, die die Mitgliedstaaten bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie dazu verpflichtete, ihr nationales Recht entsprechend zu überprüfen, kommt der Richtlinienbestimmung mindestens seit dem Ende der Umsetzungsfrist kein materieller Gehalt mehr zu. Wenn man die Norm daher auf diese Weise nicht als dauerhaftes materielles Beschränkungsverbot bzw. materiellen Prüfungsmaßstab für Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung ansieht, wird der entsprechenden Argumentation derjenigen, die § 1b AÜG als einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG werten wollen, der dogmatische Boden entzogen. Wo kein materieller Maßstab besteht, kann das nationale Recht auch nicht gegen einen solchen verstoßen. Da aber die Richtlinie im Übrigen keine Regelungen enthält, die an sektorale Verbote der Arbeitnehmerüberlassung Voraussetzungen knüpfen würden und die dem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft daher entgegenstünden, ist § 1b AÜG mit den Richtlinienbestimmungen vereinbar. (2) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht Weil die Richtlinie in Bezug auf die Entscheidung über sektorale Verbote der Arbeitnehmerüberlassung keine Regelungen trifft und diese daher der autonomen Regulierung der Mitgliedstaaten überlässt, ist § 1b AÜG auch nicht an den Bestimmungen der Grundrechtecharta zu messen.105 Ein gewisses Konfliktpotenzial in Bezug auf die Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit birgt aber der Umstand, dass Betriebe des Baugewerbes abweichend vom grundsätzlichen Verbot aus § 1b Satz 1 AÜG jedenfalls dann, wenn gem. § 1b Satz 2 lit. a) AÜG tarifvertragliche Bestimmungen den Einsatz erlauben oder wenn das entsprechende Verleihunternehmen seit mindestens drei Jahren von denselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen oder von deren Allgemeinverbindlichkeit erfasst wird, nicht unter das sektorale Verbot fallen.106 Der EuGH sah in diesen Bestimmungen in einer Entscheidung vom 25. Okin der Europäischen Union – Chancen für das deutsche Zeitarbeitsmodell, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 37 (40 ff.); Thüsing, RdA 2009, 118 (119); Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1b Rn. 23 (lediglich zweifelnd); Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 5. A. A. vermutlich („wohl auch europarechtskonform“): Urban-Crell, in: Urban-Crell/Germakowski/ Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 1b Rn. 1. 105 Zur Anwendbarkeit der Grundrechtecharta gem. Art. 51 Abs. 1 GrCh allgemein und zur Anwendbarkeit im konkreten Fall des AÜG: S. 209 ff. 106 Vor dem Hintergrund des weiten Verständnisses der Dienstleistungsfreiheit durch den EuGH, der eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit bereits in jeder nationalen Regelung, die eine grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung ggü. der inländischen weniger attraktiv macht, erkennt (so die ständige Rechtsprechung: S. 206 f.), kann auch hier bereits in dem sektoralen Verbot selbst eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit erblickt werden. Da sich die hieran anknüpfende Rechtfertigungsprüfung im Wesentlichen mit der sogleich erfolgenden verfassungsrechtlichen Prüfung decken würde, wird auf eine gesonderte Überprüfung des sektoralen Verbots an der Dienstleistungsfreiheit verzichtet. Siehe

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tober 2001 eine Verletzung der damaligen Art. 52 und 59 EGV.107 Moniert wurde, dass die Ausnahmeregelungen ausländische Bauunternehmen dazu zwangen, eine Niederlassung in Deutschland zu gründen um die entsprechende Tarifbindung herbeizuführen oder als Mitglied eines deutschen Arbeitgeberverbandes von einem Rahmen- und Sozialkassentarifvertrag erfasst zu werden.108 Der Kritik ist der AÜGGesetzgeber aber gefolgt und hat mit § 1b Satz 3 AÜG eine Regelung eingeführt, die die Diskriminierung ausländischer Bauunternehmen durch die Ausnahmebestimmungen aus § 1b Satz 2 lit. a) und b) AÜG aufhebt.109 Hiernach genügt es seither „abweichend von Satz 2“, wenn „Betriebe des Baugewerbes mit Geschäftssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes“, die zwar „nicht von deutschen Rahmen- und Sozialkassentarifverträgen oder für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträgen erfasst werden“, aber demgegenüber „nachweislich seit mindestens drei Jahren überwiegend Tätigkeiten ausüben, die unter den Geltungsbereich derselben Rahmen- und Sozialkassentarifverträge fallen, von denen der Betrieb des Entleihers erfasst wird“. Hiermit trägt das nationale Recht den Grundfreiheiten aus Art. 49 ff., 56 ff. EUV hinreichend Rechnung.110 bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Deutlich umstrittener und konfliktträchtiger ist die Frage, ob das prinzipielle Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b Satz 1 AÜG mit grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar ist. Im Raum steht im Besonderen eine Verletzung der in Art. 12 Abs. 1 GG garantierten Berufsfreiheit der Verleihunternehmen, die den entsprechenden Geschäftszweig nicht bedienen dürfen sowie eine Verletzung der Berufsfreiheit der Entleihunternehmen in der Bauwirtschaft, die auf das Flexibilitätsinstruments der Arbeitnehmerüberlassung – abseits der Ausnahmeregelungen – keinen Zugriff haben, und eine Verletzung der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, die in der Bauwirtschaft eingesetzt werden wollen. Daneben kommen auch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung der Grundrechtsträger und damit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht.111 hierzu auch sogleich die diesbzgl. unionsrechtliche Überprüfung des sektoralen Verbotes in der Fleischwirtschaft: S. 381 ff. 107 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001 – C-493/99, NZA 2001, 1299 ff. 108 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001 – C-493/99, NZA 2001, 1299 (1300 f.). 109 Dies geschah mit dem zum 1. 1. 2003 in Kraft tretenden Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (BGBl. I S. 4607). Siehe hierzu ferner: BT-Drs. 15/91 v. 14. 11. 2002, S. 17. 110 So offenbar: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 77 ff.; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1b Rn. 10; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 1b Rn. 3. A. A. ist hingegen Boemke, der gleichwohl eine Benachteiligung ausländischer Verleihunternehmen erkennen will (vgl. Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1b Rn. 50 f.). Sich dem anschließend: Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 5. 111 Nachrangig ließe sich auch über eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG unter dem Aspekt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nachdenken. Diese liegt aber

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Das Bundesverfassungsgericht hat indes die Vorgängerregelung zu § 1b Satz 1 AÜG – den insofern zum heutigen § 1b Satz 1 AÜG im Wesentlichen wortlautgleiche § 12a AFG a. F. – mit Beschluss vom 6. Oktober 1987 explizit für verfassungskonform erklärt und eine Verletzung der Berufsfreiheit und des Gleichheitssatzes abgelehnt.112 Ob die damaligen Erwägungen des Gerichts allerdings noch Gültigkeit haben und die Annahme, das branchenspezifische Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche sei verfassungskonform, noch immer trägt, wird bereits seit längerem verbreitet bezweifelt.113 Die vor gut 35 Jahren vorgenommene verfassungsrechtliche Wertung des Bundesverfassungsgerichts steht einer erneuten kritischen Überprüfung des Verbots auch nicht entgegen. Zwar gesteht das Gericht dem Gesetzgeber bei der Regulierung auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung traditionell einen erheblichen Gestaltungsspielraum zu und ist daher bemüht, die verfassungsrechtliche Überprüfung gesetzlicher Regulierungen in diesen Bereichen auf eine verfassungsrechtliche Vertretbarkeitskontrolle zu begrenzen.114 Hat das Gericht die Vertretbarkeit der gesetzlichen Wertungen einmal bejaht, entpflichtet dies allerdings nicht davon, die einstigen gesetzlichen Wertungen vor dem Hintergrund des mit fortschreitender Zeit ansteigenden Wissensstands über die tatsächlichen Umstände und Auswirkungen entsprechender Regulierungen auf den genannten Gebieten aufs Neue zu überprüfen.115 Auch die das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft tragende Gefahrenprognose des Gesetzgebers muss daher gerade im Lichte der aktuellen

schon deshalb nicht vor, weil das Eigentumsgrundrecht Hoffnungen auf zukünftige Erwerbschancen nicht umfasst (vgl. Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 58 f.). 112 Vgl. BVerfGE 77, 84 (112). Das Gericht stellte i. Ü. ausdrücklich fest, dass der Gesetzgeber im Nachgang zur früheren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts v. 4. 4. 1967 (BVerfGE 21, 261 ff.), nach der ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung verfassungswidrig sei, mit der Einführung des sektoralen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche keinen unzulässigen Normwiederholungsakt begangen hat. Vgl. hierzu: BVerfGE 77, 84 (Ls. 1); vertiefend: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 39 f. 113 Das Verbot für verfassungswidrig haltend: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 36 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 4. Jedenfalls kritisch: Boemke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 1b Rn. 4; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18; Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2; Reineke, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – Reformbedarf nach den Hartz-Reformen, in: Rieble (Hrsg.), FS Löwisch, 2007, S. 211 (218); Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1b Rn. 9. Vgl. auch bereits: Hanau, Gutachten C, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2000, S. C71 ff. A. A. Walser, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1b Rn. 6 ff. Auch die Verfassungsmäßigkeit der Regelung konstatierend: Urban-Crell, in: Urban-Crell/Germakowski/ Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 1b Rn. 1. 114 Zu dieser (vermeintlichen) Modifikation des Kontrollmaßstabs der Verhältnismäßigkeitsprüfung: S. 233 ff. 115 In diese Richtung zuletzt in Bezug auf die sog. Hartz IV-Sanktionen: BVerfGE 152, 68 (Ls. 3). Ähnlich bereits: BVerfGE 143, 216 (221).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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rechtlichen und wirtschaftlich-sozialen Gegebenheiten verfassungsrechtlich betrachtet werden.116 (1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Trotz des damaligen Urteils des Bundesverfassungsgerichts bietet es sich daher an, das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b Satz 1 AÜG erneut auf seine Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit hin zu überprüfen. (a) Eingriff in den Schutzbereich Ein Eingriff in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG in Bezug auf die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen, die Leiharbeitnehmer in die Bauwirtschaft überlassen wollen sowie bezüglich der Berufsfreiheit der dortigen Entleihunternehmen, denen dieses Flexibilisierungsinstrument entsprechend verwehrt bleibt und zuletzt auch hinsichtlich der Berufsfreiheit derjenigen Leiharbeitnehmer, die in der Bauwirtschaft eingesetzt werden wollen, liegt zunächst unzweifelhaft vor.117 § 1b Satz 1 AÜG stellt insofern einen Eingriff im klassischen Sinne. (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Diesen Eingriff gilt es daher verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Im Besonderen muss § 1b Satz 1 AÜG dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Stand halten.118 (aa) Legitimer Zweck: Bekämpfung illegaler Beschäftigungen In Bezug auf die verfassungsrechtlich einzufordernden legitimen Zwecke für das Verbot ist zunächst danach zu fragen, auf welcher Intensitätsstufe der Drei-StufenTheorie (vgl. oben S. 237 ff.) der Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleih- und Entleihunternehmen und der betroffenen Leiharbeitnehmer einzuordnen ist. Verbreitet wird hierbei angenommen, dass das partielle Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche nur eine Berufsausübungsregelung darstelle.119 Jedenfalls in Bezug auf die Berufsfreiheit der Entleihunternehmen lässt sich diese Einschätzung ohne weiteres teilen. Schließlich betrifft das Verbot des Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung in § 1b Satz 1 AÜG nicht die Berufswahlfreiheit der Betriebe in der 116 Wohl implizit auch: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 48 f., 50 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 4. 117 Vgl. nur: BVerfGE 77, 84 (106, 116) (nur bzgl. der Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmer); Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 17; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 43. 118 Weiterführend zur formellen Verfassungsmäßigkeit der Norm: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 37 ff. 119 Vgl. BVerfGE 77, 84 (106). Vgl. auch: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 47; Marschall, RdA 1983, 18 (20); Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 77; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 43 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Baubranche. Vielmehr wird nur einer von mehreren Flexibilisierungskanälen,120 mit denen entsprechende Betriebe bspw. kurzfristigem Arbeitsaufkommen beikommen können, verbaut, wodurch aber im Ergebnis lediglich die unternehmerische Gestaltungsfreiheit und damit die Berufsausübung tangiert wird. Weniger selbstverständlich ist indes die Annahme einer Berufsausübungsregelung in Bezug auf die betroffenen Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmer. Zwar wird hinsichtlich beider Gruppierungen von Grundrechtsträgern dem Grunde nach nur ein Ausschnitt des jeweils gewählten Berufsbildes eingeschränkt. So können Verleihunternehmen die Baubranche aufgrund des Verbotes nicht bedienen, während es im Baugewerbe tätigen Arbeitnehmern (kurzum: Bauarbeitern121) verwehrt ist, ihre berufliche Tätigkeit im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung auszuüben. Dies gilt aber nur, wenn man den ergriffenen Beruf jeweils als denjenigen eines Verleihers und denjenigen eines Bauarbeiters definiert. Nur dann lässt sich annehmen, es läge nur eine Berufsausübungsregelung vor. Auf den Großteil der Verleihunternehmen, die typischerweise hinsichtlich vielfältiger Branchen breit aufgestellt sind, sowie hinsichtlich der betroffenen Bauarbeiter, deren Berufsbild grundsätzlich unabhängig von der Arbeitnehmerüberlassung ist, wird diese Betrachtung sicherlich zutreffen. Jedoch sind auch Fallgestaltungen denkbar, in denen das zentrale Merkmal der jeweilig gewählten beruflichen Tätigkeit gerade die spezifische Kombination aus einer Verleihtätigkeit in Bezug auf die Baubranche bzw. einer Bauarbeitertätigkeit als Leiharbeitnehmer ist. So ist es durchaus denkbar, dass sich Verleihunternehmen mit spezifischer Ausstattung und besonderem branchenspezifischen Wissen auf die Baubranche spezialisieren, sodass sich der in Ausübung von Art. 12 Abs. 1 GG ergriffene Beruf durchaus als der eines „Bauverleihunternehmens“ bezeichnen ließe.122 Gleiches könnte für Bauarbeiter gelten, die ihre berufliche Expertise in spezifischer Form mit der Flexibilität und Einsatzbreite einer Tätigkeit als Leiharbeitnehmer verbinden. Erkennt man dies an, würde das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche jedenfalls die von diesen Fallgestaltungen betroffenen Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmer in ihrer Berufswahlfreiheit betreffen, sodass in § 1b Satz 1 AÜG diesbezüglich eine subjektive Berufszulassungsregelung zu sehen wäre, die nur zum Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts zulässig ist. Ob dann allerdings das Verbot in Gänze als subjektive Berufszulassungsregelung zu betrachten und an den dazugehörigen hohen Anforderungen zu messen wäre und demgemäß einem grundrecht120

Zur Rolle der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument: S. 62 ff. Diese Bezeichnung greift indes insofern zu kurz, als dass die unter § 1b Satz 1 aufgeführten „Arbeiten, die üblicherweise von Arbeitern verrichtet werden“ nach allgemeiner Auffassung v. a. die im Katalog in § 5 Ziffer 3 Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) aufgezählten Tätigkeiten fallen. Die Begrifflichkeit wird hier daher nur der Vereinfachung halber verwendet. Vgl. hierzu näher: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 54 ff. (m. w. N.). 122 In diese Richtung bereits: Becker, DB 1982, 2348 (2352). A. A. hingegen: Marschall, RdA 1983, 18 (20); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 44. Ebenfalls kritisch: BVerfGE 77, 84 (105 f.). 121

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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lichen „Minderheitenschutz“ Rechnung getragen werden müsste, ist damit noch nicht beantwortet.123 Diese dogmatische Problematik kann indes dahinstehen. Selbst wenn man die Einschätzung, dass § 1b Satz 1 AÜG für manche Verleihunternehmen und Arbeitnehmer eine subjektive Berufszulassungsregelung darstellt, nicht teilte, muss zumindest anerkannt werden, dass das Verbot aus § 1b Satz 1 AÜG für nicht wenige betroffene Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmer einen erheblichen Eingriff in die Berufsausübung darstellt, der über das typischerweise geringe Intensitätsniveau einer üblichen Berufsausübungsregelung hinausgeht. Schließlich wird den betroffenen Verleihunternehmen und Arbeitnehmern mit dem sektoralen Verbot ein nicht unerheblicher Teil ihrer beruflichen Gestaltungsfreiheit abgeschnitten.124 Gleiches gilt für die betroffenen Unternehmen in der Baubranche, die typischerweise ein hohes Flexibilitätsbedürfnis haben und denen mit § 1b Satz 1 AÜG ein zentrales Flexibilisierungsinstrument genommen wird.125 Zur Rechtfertigung dieses vergleichsweise weitreichenden Grundrechtseingriffs nur die bei Berufsausübungsregelungen typischerweise ausreichenden vernünftigen Gemeinwohlüberlegungen zu fordern, würde der Eingriffsintensität kaum Rechnung tragen. Im Ergebnis sind daher richtigerweise die Rechtfertigungsanforderungen der nächsthöheren Stufe – also der subjektiven Berufszulassungsregelung – zu fordern.126 Ausreichen können daher nur besonders wichtige Gemeinschaftsgüter. Zu prüfen ist daher, ob die mit dem sektoralen Verbot verfolgten Zwecke diesen Anforderungen genügen. In der Gesetzesbegründung zum ursprünglichen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft in § 12a AFG a. F. hieß es, dass sich „dort unter den besonderen Bedingungen der Tätigkeit häufig wechselnder Arbeitnehmer auf wechselnden Baustellen unter dem Deckmantel der zugelassenen Arbeitnehmerüberlassung der illegale Arbeitskräfteverleih ausgedehnt“ habe.127 123 Rissing meint demgegenüber, dass das sektorale Verbot nur als subjektive Berufszulassungsregelung zu verstehen wäre, wenn es sich für den Großteil der Betroffenen als solches darstellen würde – was ersichtlich nicht der Fall ist (vgl. Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 44 [Fn. 141]). Ähnlich wohl auch: BVerfGE 77, 84 (105) („generalisierende Betrachtungsweise“). 124 In diese Richtung auch bereits: BVerfGE 77, 84 (106). 125 Der erhöhte Flexibilitätsbedarf in der Bauwirtschaft ist v. a. auf die Kombination aus saisonbedingten Auftragsspitzen und häufigen witterungsbedingten Unterbrechungen bei gleichzeitig hohem Termindruck und belastungsbedingt hohem Krankenstand der Stammbelegschaft zurückzuführen. Vgl. etwa hierzu: Hanau, Gutachten C, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2000, S. C72; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 48 (Fn. 160). 126 Dass die Drei-Stufen-Theorie insofern nur eine Grobrasterung der Eingriffsintensitäten darstellt und nicht von einer – wie hier vorgenommenen – Einzelfallwertung befreien kann, ist bereits dargetan worden (vgl. oben S. 237 ff.). I. E. ebenfalls gewichtigere legitime Zwecke fordernd: BVerfGE 77, 84 (106); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 45. 127 Vgl. BT-Drs. 9/799 v. 9. 9. 1981, S. 32.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Demzufolge wurde angenommen, dass in der von Schnelllebigkeit128 dominierten Baubranche Arbeitnehmerüberlassungen, die nicht den regulativen Vorgaben des AÜG entsprachen, besonders häufig waren.129 Insbesondere die sogenannten Scheinwerkverträge, bei denen Verleihunternehmen Arbeitnehmerüberlassung als Werkverträge tarnten, um die Regelungen der Arbeitnehmerüberlassung zu umgehen, traten offenbar gehäuft auf.130 Um die flächendeckenden Verstöße gegen die Vorgaben des AÜG von vornherein zu unterbinden, entschloss man sich daher für ein sektorales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Branche. Doch nicht nur das Interesse, die durch die verbreitete illegale Arbeitnehmerüberlassung geschehenden Gesetzesverstöße zu unterbinden, stand hinter dem Verbot. Im Zuge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung und insbesondere den verbreiteten Scheinwerkverträgen wurden die Leiharbeitnehmer zudem hinsichtlich der entsprechenden Sozialversicherungen oftmals schutzlos gestellt, weil die diesbezüglichen Vorschriften vielfach umgangen wurden,131 sodass auch hier wieder der bereits bekannte sozialstaatlich motivierte (Leih-)Arbeitnehmerschutz zum Tragen kam. Daneben drohte die häufige Umgehung der entsprechenden Versicherungspflichten im Zuge der illegalen Arbeitnehmerüberlassung die Versicherungsträger hohe Beitragseinbußen in Millionenhöhe zu kosten.132 Hinzu kam jedoch auch die Beobachtung, dass die spezifischen tariflich vereinbarten Sozialleistungen des Baugewerbes – wie bspw. die Leistungen der dortigen Sozialkassen133 – für die Leiharbeitnehmer mangels entsprechender Tarifbindung nicht galten.134 Dies schuf zum einen massive Anreize für die Entleihunternehmen, in Stammpersonal ersetzender Weise Leiharbeitskräfte einzusetzen,135 was ebenso wie der verbreitete illegale Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in der Branche Wett128 Andere personalintensive Bereiche des Wirtschafts- und Arbeitslebens, die ebenso sehr von illegaler Beschäftigung betroffen und vergleichbar schnelllebig sind und teils schwer kontrolliert werden können, sind etwa die Gastronomie, der Montage- oder der Reinigungsbereich sowie Teile der Logistikbranche und der Landwirtschaft. Siehe bereits: Becker, DB 1982, 2348 (2353); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 61 f. 129 Pieroth ging – mit dem Verweis auf (unveröffentlichte) Berichte der Bundesregierung – davon aus, dass sich in der Bauwirtschaft zeitweise 6000 legal und 200.000 illegal beschäftigte bzw. überlassene Leiharbeitnehmer gegenüberstanden (vgl. Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 21). 130 Sog. „Umgehungsverträge“: BT-Drs. 7/2365 v. 9. 7. 1974, S. 6; 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35. 131 Vgl. BT-Drs. 9/847 v. 28. 9. 1981, S. 8; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 31. 132 Vgl. BT-Drs. 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 31. 133 Im Besonderen sind dies Urlaubs- und Lohnausgleichskassen sowie Zusatzversorgungskassen. Vgl. hierzu: BT-Drs. 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35. 134 Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 13 f. 135 Vgl. BT-Drs. 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 14.

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bewerbsverzerrungen befürchten ließ.136 Zugleich aber sah man in dem verstärkten Einsatz der nicht tarifgebundenen Leiharbeitnehmer eine Störung der durch die Tarifparteien geschaffenen sozialen Ordnung in der Bauwirtschaft.137 Nicht zuletzt kam indes diesbezüglich erneut der Gedanke des Leiharbeitnehmerschutzes zum Tragen, da die Leiharbeitnehmer nicht in den Genuss des sozialen Schutzes durch die Sozialkassen der Baubranche, und damit gerade den „auf ihre Tätigkeit zugeschnittenen tariflichen Regelungen“ kamen.138 Die gesetzgeberischen Erwägungen, die das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft trugen, sind allesamt als Gemeinschaftsgüter von besonderer Wichtigkeit zu qualifizieren.139 Dies gilt sowohl für den sozialstaatlich motivierten Leiharbeitnehmerschutz, als auch in Bezug auf die Sicherung der finanziellen Stabilität der Sozialversicherungsträger, die jeweils durch den hohen Anteil illegaler Arbeitnehmerüberlassung gefährdet wurden. Nichts anderes ergibt sich hinsichtlich des Interesses, die Störung der tarifvertraglich hergestellten sozialen Ordnung in der Branche abzustellen und dem Umstand zu begegnen, dass als Leiharbeitnehmer arbeitende Bauarbeiter aus dem branchenbezogenen tarifvertraglich festgelegten sozialen Schutz durch die Sozialkassen herausfielen. (bb) Geeignetheit: Förderung der Bekämpfungszwecke? Akzeptiert man die mit dem sektoralen Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche verfolgten gesetzgeberischen Interessen als verfassungsrechtlich legitime Zwecke, stellt sich im Folgenden die Frage, ob § 1b Satz 1 AÜG diesbezüglich – gerade auch aus aktueller Perspektive – förderlich ist. Das Bundesverfassungsgericht war in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1987 davon ausgegangen, dass das Verbot geeignet sei, die mit dem Einsatz illegaler Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Nachteile zu verhindern und auch in Bezug auf die übrigen gesetzgeberischen Ziele eine Verbesserung in der Branche herbeizuführen.140 Dafür, dass das sektorale Verbot den Einsatz illegaler Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern hilft, spricht zunächst die simple Überlegung, dass dort, wo keine Arbeitnehmerüberlassung erlaubt ist, auch keine illegale Arbeitnehmerüberlassung unter Umgehung der diesbezüglichen gesetzlichen Pflichten stattfinden kann. Stattdessen steht die Hoffnung im Raum, dass der Arbeitskräftebedarf, der vormalig mittels eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern befriedigt wurde, in Folge des Verbots mit – bestenfalls zusätzlichen – Stammbeschäftigten befriedigt wird. Vormalig legal oder illegal als Leiharbeitnehmer eingesetzte Bauarbeiter würden so als Stammbeschäftigte eingestellt werden, die zugleich auch in den Genuss des spezifischen ta136

Vgl. Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 31. Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 13. 138 Vgl. BT-Drs. 9/846 v. 28. 9. 1981, S. 35. 139 Vgl. BVerfGE 77, 84 (106 f.); Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 76; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 47. 140 Vgl. BVerfGE 77, 84 (108). 137

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

rifvertraglich vereinbarten Sozialschutzes in der Bauwirtschaft kommen würden. In diesem Fall wäre auch dem finanziellen Interesse an der Stabilität der Sozialversicherungsträger gedient. Ausweislich der obigen Ausführungen zur spezifischen Rolle der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument (vgl. S. 59 ff.) sollte aber klar geworden sein, dass sich ein betriebliches Flexibilisierungsinteresse nicht ohne Weiteres mit einem vermehrten Einsatz von Stammarbeitskräften befriedigen lässt. Die Überlegung, dass durch das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft die Bauunternehmen flächendeckend Stammarbeitskräfte einstellen würden, muss daher im Grundsatz fehl gehen. Das Gegenteil war zu erwarten. Dort, wo bei einem branchenspezifisch erhöht bestehenden Flexibilisierungsinteresse ein Flexibilisierungsinstrument gesetzlich verboten wird, werden die betroffenen Betriebe nicht zu Stammbeschäftigung, sondern zu anderweitigen Flexibilisierungsmaßnahmen greifen. Eine solche Entwicklung war im Nachgang zur erstmaligen Einführung des bereichsspezifischen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung auch zu beobachten. Ein nennenswerter Beschäftigungsanstieg war nicht zu verzeichnen, während zugleich eine tendenzielle Zunahme des Einsatzes von Werkunternehmern zur Flexibilitätssteigerung zu verzeichnen war.141 Dass zu erwarten war, dass ein Ausweichen der Bauunternehmen auf Werkvertragsnutzungen dazu führen könnte, dass unter dem Deckmantel derselben die illegale Arbeitnehmerüberlassung und in diesem Zuge eine mögliche Umgehung von Arbeitgeberpflichten weiterbestehen könnte,142 hatte das Bundesverfassungsgericht allerdings nicht gelten lassen.143 Trotz der Tatsache, dass ein großflächiger Umbruch hin zu mehr Stammbeschäftigung und einer damit einhergehenden Stärkung der tarifvertraglichen Ordnung und eine so erhoffte durchschlagende Bekämpfung des Einsatzes illegaler Arbeitnehmerüberlassung durch das Verbot nicht erwartet werden konnte – und auch heute nicht beobachtet werden kann –, ist die Geeignetheit hierdurch noch nicht zu verneinen. Zumindest in der Tendenz ist § 1b Satz 1 AÜG insofern eine Zweckförderung zu attestieren, als dass das Verbot jeglicher Arbeitnehmerüberlassung die Überwachung rechtlich zulässiger Gründe für die Tätigkeit von Arbeitskräften, die nicht der Stammbelegschaft zuzuordnen sind, zumindest erleichtert und so illegale Beschäftigungen besser ausfindig gemacht werden können.144 Daneben kommt dem 141

Vgl. Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 49. Eben dies konstatierend: Hanau, Gutachten C, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2000, S. C72. 143 Schließlich seien diesen Problematiken auch abseits des Verbots der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft Grenzen gesetzt. So etwa die Argumentation bei: BVerfGE 77, 84 (108 f.); Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 78; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 49 f. 144 Vgl. BVerfGE 77, 84 (108) („Es ist jedenfalls nicht unvertretbar anzunehmen, die illegale Arbeitnehmerüberlassung werde erschwert, wenn die Widerrechtlichkeit jeglicher Arbeitnehmerüberlassung feststehe“). 142

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Verbot auch eine gewisse Symbolwirkung zu, die möglicherweise in den Stammbelegschaften eine höhere Sensibilität für illegale Beschäftigungen induziert.145 Eine gewisse Zweckförderung dahingehend, dass illegale Arbeitnehmerüberlassungen zumindest in Teilen verhindert werden, ist daher anzunehmen. Führt man sich zudem den gehörigen Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers im Rahmen der Geeignetheit und die Tatsache, dass bereits eine irgendwie geartete Zweckförderung hierfür ausreichend ist, vor Augen, muss konstatiert werden, dass die Geeignetheit des sektoralen Verbots in Hinblick auf die gesetzgeberischen Ziele nicht völlig von der Hand zu weisen ist.146 (cc) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete Bekämpfungsmittel? Das sektorale Verbot aus § 1b Satz 1 AÜG muss darüber hinaus aber auch dem Gebot der Erforderlichkeit entsprechen. Ist (mittlerweile) ein milderes Alternativmittel ersichtlich, das hinsichtlich der genannten Zwecke gleichsam geeignet ist, so ist der Gesetzgeber auf dieses verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hatte indes einst auch dahingehende Einwände nicht gelten lassen.147 Zu beachten ist nunmehr aber, dass sich die rechtlichen Vorzeichen hinsichtlich der Verfolgung der genannten gesetzgeberischen Interessen erheblich verändert haben. Dies gilt sowohl in Bezug auf das Motiv, den Leiharbeitnehmern in der Bauwirtschaft den dortigen spezifischen tarifvertraglichen Schutz zukommen zu lassen und so die dortige tarifliche Ordnung zu stärken, als auch in Bezug darauf, hiermit einem dahingehenden Wettbewerbsdruck, von der Arbeitnehmerüberlassung in Stammarbeitnehmer ersetzender Weise Gebrauch zu machen, zu begegnen. Schließlich kommen in der Bauwirtschaft eingesetzte Leiharbeitnehmer bereits in den Genuss des dortigen besonderen tariflichen Schutzes. Diese Verbesserung ist allerdings nicht allein dem Gleichstellungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 AÜG zuzuschreiben, der zwar auf die Gewährung der den Stammarbeitnehmern in der Bauwirtschaft zukommenden Arbeitsbedingungen verpflichten würde, aber zugleich umfangreiche tarifvertragliche Ausnahmen zulässt (§ 8 Abs. 2 – 4 AÜG). Jedoch schiebt § 8 Abs. 3 Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) der Praxis, vom Gleichbehandlungsgrundsatz zum Nachteil der Leiharbeitnehmer abzuweichen, für Überlassungen in die Bauwirtschaft im Ergebnis einen Riegel vor. Hiernach ist eine tarifvertragliche Abweichung (unter anderem) im Fall einer Überlassung von Leiharbeitnehmern in einen Betrieb des Baugewerbes nicht möglich, sodass diesen durch die Verleihbetriebe das dort geltende Mindestentgelt – einschließlich der Überstundensätze – zu gewähren ist, die dortigen Urlaubsregelungen zu beachten sind und die Beiträge in die Sozialkassen des Baugewerbes entrichtet werden 145

Vgl. BVerfGE 77, 84 (108 f.) („rechtsbewußtseinsbildende Kraft“). So i. E. auch: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 49; Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 80; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 50. 147 Vgl. BVerfGE 77, 84 (109 f.). 146

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

müssen.148 Den Leiharbeitnehmern in der Bauwirtschaft kommen mithin die gleichen Arbeitsbedingungen zu wie den dortigen Stammbeschäftigten.149 Eine ernstzunehmende Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer in der Bauwirtschaft ist daher mittlerweile nicht mehr zu befürchten. Folglich lässt sich auch die gesetzgeberische Prognose, dass in der Bauwirtschaft ein besonderer wirtschaftlicher Druck dahingehend bestünde, in Stammarbeitnehmer ersetzender Art und Weise Leiharbeitnehmer einzusetzen, im Wesentlichen nicht mehr halten.150 Im Gegenteil: In der Tatsache, dass in der Bauwirtschaft vom Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nach unten hin abgewichen werden darf, ist sogar ein dahingehendes wirtschaftliches Hemmnis zu erblicken. Jedenfalls hinsichtlich des mit § 1b Satz 1 AÜG verfolgten Ziels, den Leiharbeitnehmern in der Bauwirtschaft den dortigen spezifischen tarifvertraglichen Schutz zukommen zu lassen und so zugleich die dortige tarifliche Ordnung zu stärken und einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung beizukommen, bedarf es des sektoralen Verbots also nicht mehr.151 Als milderes Mittel steht insofern die Einführung einer gesonderten Beitragspflicht der Verleihunternehmen in Bezug auf die Sozialkassen des Baugewerbes zur Verfügung,152 sofern man dies nicht bereits unter die aus § 8 Abs. 3 AEntG folgende Verpflichtung der Verleihunternehmen, den Leiharbeitnehmern bei Überlassungen in die Bauwirtschaft die dortigen tarifvertraglich vereinbarten Arbeitsbedingungen zu gewähren, subsumiert.153 Andernfalls genügt angesichts von § 8 Abs. 3 AEntG gesetzgeberische Zurückhaltung.154 148 Hierauf (zu Recht) hinweisend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18; Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2; Reineke, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – Reformbedarf nach den Hartz-Reformen, in: Rieble (Hrsg.), FS Löwisch, 2007, S. 211 (216); Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 3 f.; Waas, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 1b Rn. 9. Vgl. auch in Bezug auf das Urlaubskassensystem zuletzt: BAG, Urt. v. 8.12.2021 – 10 AZR 101/20, NZA 2022, 864 ff. 149 Hamann konstatiert daher, dass die Leiharbeitnehmer in der Bauwirtschaft aus diesem Grund besser geschützt seien als die Gesamtheit der Leiharbeitnehmer durch das AÜG selbst (vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18). A. A. ist Walser, der anführt, dass § 8 Abs. 3 AEntG nur die Beiträge zum Urlaubskassenverfahren umfasst (siehe Walser, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1b Rn. 10). 150 Vgl. Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18; Kock, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2; Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 3 f. 151 Unmissverständlich sind daher die Forderungen bei: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2 („Die Verbotsnorm gehört folglich aufgehoben“); Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 4 („Die Norm ist nicht mehr verfassungsgemäß“). 152 So wohl: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18. 153 Hiervon ausgehend: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2; Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 3. 154 Sofern man zum Erreichen des hier in Rede stehenden gesetzgeberischen Ziels kein weiteres Handeln des Gesetzgebers für nötig hält, fehlt es sogar bereits an der Geeignetheit des sektoralen Verbots, da dieses dann hinsichtlich des Ziels keinen zusätzlichen Mehrwert bringt.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Übrig bleibt daher nur noch das gesetzgeberische Ziel, mit dem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft die Bekämpfung der dort grassierenden illegalen Fremdbeschäftigung und der damit oftmals einhergehenden mangelnden Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen zu erleichtern. Auch diesbezüglich steht jedoch offenkundig mit der Verschärfung entsprechender Kontrollen – ggf. unter Aufstockung des Personals in den Überwachungsbehörden – ein milderes Mittel zur Verfügung.155 Das Bundesverfassungsgericht hatte indes in einer Verstärkung der entsprechenden Kontrollmaßnahmen, etwa durch „Schaffung eines Bau- oder Leiharbeiterpasses oder (…) Einführung eines Sozialversicherungsausweises“, keine probaten Alternativen gesehen.156 Nun muss aber zum einen gesehen werden, dass ein Sozialversicherungsausweis längst eingeführt ist,157 wenngleich dessen Beitrag zur Bekämpfung der illegalen Fremdbeschäftigung nicht überschätzt werden darf.158 Zum anderen aber ist die Bekämpfung illegaler Beschäftigung über die Jahrzehnte insgesamt stark forciert worden.159 Es ist daher insgesamt nur schwer vorstellbar, dass die Bekämpfung illegaler Beschäftigungsformen mittels (noch) engmaschigerer Kontrollmaßnahmen nicht in gleichem Maße zu verbessern wäre, wie dies durch das sektorale Verbot aus § 1b Satz 1 AÜG geschieht – zumal auch das sektorale Verbot die illegale Beschäftigung nur in dem oben ausgeführten begrenzten Maße zu verhindern vermag. Dies hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 6. Oktober 1987 noch anders bewertet.160 Selbst wenn man jedoch trotz der Veränderung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände an der Wertung des Bundesverfassungsgerichts festhalten wollte und in der Forcierung entsprechender Kontrollmöglichkeiten – etwa aufgrund der branchenbedingten Schnelllebigkeit161 – kein gleich geeignetes Mittel sähe und damit die Erforderlichkeit bejahen würde, müsste spätestens auf der Ebene der Angemessenheitsprüfung konstatiert werden, dass das alleinige Interesse an der Bekämpfung illegaler Beschäftigungen So wohl: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1b AÜG (Stand: 2023) Rn. 2; Ulrici, AÜG, 2017, § 1b Rn. 3. 155 Vgl. hierzu bereits: Gick, Gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung zwischen Verbot und Neugestaltung, 1984, S. 51 f.; Hanau, Gutachten C, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des dreiundsechzigsten Deutschen Juristentages, 2000, S. C72 f.; Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 53 f. 156 Vgl. BVerfGE 77, 84 (111). 157 Gesetz zur Einführung eines Sozialversicherungsausweises und zur Änderung anderer Sozialgesetze v. 6. 10. 1989, BGBl. I S. 1822. 158 So auch: Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 52. 159 Vgl. etwa den Dreizehnten Bericht der Bundesregierung über die Auswirkungen des Gesetzes zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung, BT-Drs. 18/12755 v. 9. 6. 2017. Hierauf hinweisend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1b Rn. 18. A. A. ist erneut Walser, der dies nicht gelten lassen will, da eine Verschärfung der Kontrolltätigkeit der Problematik nicht beikommen könne (Walser, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1b Rn. 11). 160 Vgl. BVerfGE 77, 84 (110 f.). Ebenso: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 82 f. 161 Der oftmals schnelle Wechsel zwischen Baustellen erschwert die Kontrolle. So etwa: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 82.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

den Maximaleingriff des sektoralen Verbots nicht zu rechtfertigen vermag.162 Eine solche Wertung hat der Gesetzgeber schließlich in anderen personalintensiven Bereichen des Wirtschafts- und Arbeitslebens, die ebenso sehr von illegaler Beschäftigung betroffen sind und ebenso schnelllebig und teils schwer zu kontrollieren sind,163 nicht vorgenommen und die Arbeitnehmerüberlassung daher dort nicht sektoral verboten. Eine solche Wertung wäre schließlich hier wie dort nicht angezeigt und verfassungsrechtlich nicht haltbar. (c) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b Satz 1 AÜG mit der Berufsfreiheit der betroffenen Verleih- und Entleihunternehmen sowie der entsprechenden Leiharbeitnehmer nicht vereinbar ist, da es schlicht nicht mehr erforderlich ist. (2) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG Das Verbot stellt daneben auch einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG dar.164 Eine für die Anwendbarkeit des Gleichheitssatzes notwendige Ungleichbehandlung wesentlich gleicher Vergleichsgruppen (vgl. oben S. 299) liegt in der Ungleichbehandlung derjenigen Entleih- und Verleihbetriebe in der Bauwirtschaft, die nicht unter die Privilegierungen aus § 1b Satz 2 lit. a) und b) AÜG fallen, und der von diesen eingesetzten (Bau-)Leiharbeitnehmer gegenüber den von diesen Privilegierungen erfassten Betrieben und den entsprechenden Leiharbeitnehmern sowie den Betrieben und Leiharbeitnehmern in anderen Branchen vor.165 Hinsichtlich der erforderlichen Rechtfertigung ergibt sich aber nichts anderes als das bereits soeben in Bezug auf die Vereinbarkeit des sektoralen Verbots mit der Berufsfreiheit der Betroffenen Gesagte. Die Befürchtungen um den Schutz der Leiharbeitnehmer vor den spezifischen Gefahren der Baubranche, denen das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung ursprünglich Rechnung trug, lassen sich nicht mehr halten. Damit schwindet auch die hieran anknüpfende Argumentation hinsichtlich der Stärkung der tariflichen Ordnung in der Branche und des zu verhindernden Wettbewerbsdrucks, der vermeintlich zu einem vermehrten Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung führte. Übrig bleibt – wie gesehen – nur die 162

So wohl i. E.: Reineke, Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – Reformbedarf nach den Hartz-Reformen, in: Rieble (Hrsg.), FS Löwisch, 2007, S. 211 (218). 163 Zu nennen sind hier etwa die Gastronomie, der Montage- oder der Reinigungsbereich sowie Teile der Logistikbranche und der Landwirtschaft. Vgl. hierzu bereits: Becker, DB 1982, 2348 (2353); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 61 f. Walser sieht die singulären Verbotsentscheidungen in der Bau- und Fleischindustrie allerdings vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative gerechtfertigt (vgl. Walser, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1b Rn. 6). 164 Anders noch aus den genannten Gründen: BVerfGE 77, 84 (118). 165 Vgl. Becker, DB 1982, 2348 (2353); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 59 f.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Erleichterung der Bekämpfung illegaler Beschäftigungen in der Branche, die aber isoliert betrachtet als Rechtfertigungsgrund für die erhebliche Ungleichbehandlung der entsprechenden Betroffenen nicht genügen kann. Daher ist auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG anzunehmen.166 cc) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Insgesamt muss daher konstatiert werden, dass das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft aus § 1b Satz 1 AÜG den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht standhalten kann. Zwar mag die gesetzgeberische Entscheidung, den Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in der Baubranche zu verbieten, ursprünglich ein probates und verfassungsgemäßes Mittel gewesen sein, um die zu beobachtenden Missstände zu beseitigen. Dies kann hier indes dahinstehen, haben sich die rechtlichen und tatsächlichen Bedingungen über die Zeit dergestalt verändert haben, dass es des sektoralen Verbots nicht mehr bedarf. b) Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie Neu hinzugekommen ist kürzlich ein weiteres sektorales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung. Namentlich ist zum 1. April 2021 mit § 6a Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch) ein Verbot des Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung in den Tätigkeiten des Kernbereichs der Fleischwirtschaft in Kraft getreten.167 Der unmittelbare Anlass zur Einführung des Verbotes waren die hohen Infektionsraten mit dem Virus SARS-CoV-2 innerhalb des eingesetzten Fremdpersonals in den Betrieben der Fleischindustrie im Zuge der COVID-19-Pandemie.168 In der Gesetzesbegründung heißt es, die COVID-19-Pandemie wirke insofern „wie ein Brennglas, unter dem Probleme sichtbar werden“, die in der Fleischindustrie schon seit langem bestanden.169 Gemeint ist hiermit vor allem, dass in der Branche „arbeitsund arbeitsschutzrechtliche Regelungen in hohem Maße nicht beachtet werden“.170

166 So auch bereits: Becker, DB 1982, 2348 (2353); Rissing, Das Verbot der Leiharbeit im Baugewerbe, 2001, S. 62. 167 Eingeführt wurde die gesetzliche Neuerung durch das Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz) v. 22. 12. 2020, BGBl. I S. 3334. 168 Vgl. hierzu: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 („,Hotspot‘ der Corona-Pandemie“); sowie Zimmer, NZA 2022, 4 (5). Vgl. auch: Tagesschau v. 23. 6. 2020, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/to ennies-corona-lockdown-101.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 169 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20. 170 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20. Vgl. auch bereits die Berichterstattung bei: Grossarth, Das billige Fleisch hat seinen Preis, FAZ v. 15. 4. 2013, abrufbar unter: https://

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

In der Sache betroffen sind hiervon Tätigkeiten im Bereich der Schlachtung und der Fleischverarbeitung.171 Dort ist nun gem. § 6a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 GSA Fleisch nicht nur weder durch das fleischverarbeitende Unternehmen selbst noch durch ein Nachunternehmen der Einsatz von Fremdpersonal per Werkvertrag erlaubt,172 sondern auch gem. § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch der Einsatz von Leiharbeitnehmern verboten. Für die entsprechenden Tätigkeiten des Kerngeschäfts darf ein solches Unternehmen gem. § 6a Abs. 2 Satz 1 GSA Fleisch vielmehr „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur im Rahmen von mit ihm bestehenden Arbeitsverhältnissen tätig werden lassen“. Damit ist für die genannten Arbeitsbereiche nur noch der Einsatz von Stammpersonal möglich.173 Ausgenommen sind hiervon gem. § 2 Abs. 2 GSA Fleisch nur Betriebe des Fleischerhandwerks, sodass das Verbot für alle Betriebe der industriellen Fleischverarbeitung gilt.174 In jüngster Zeit hat diesbezüglich die Frage für Diskussionen gesorgt, welche Betriebe – namentlich etwa auch lediglich Wurst produzierende Betriebe – zur Fleischwirtschaft zu zählen sind und damit unter den Geltungsbereich des Verbotes fallen.175 Richtigerweise muss das Verbot jedoch auch in Bezug auf diese Betriebe gelten.176 In der Konsequenz greift das Verbot unabhängig von der Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung. Sowohl eine flächendeckende, Stammarbeitnehmer substituierende (aktive) als auch eine sporadische, auf die Deckung kurzfristiger Nachfragespitzen ausgerichtete (reaktive) Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilitätsinstrument ist nicht mehr möglich.177 Lediglich letzteres ist durch die später im Gesetzgebungsverfahren178 eingeführte Regelung aus § 6a Abs. 3 GSA Fleisch gestattet, indem tarifgebundenen Betrieben im Rahmen einer durch die Einsatzbranche festgelegten tarifvertraglichen Regelung (noch) in engen Grenzen www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/lebensmittel/arbeitsbedingungen-auf-schlacht hoefen-das-billige-fleisch-hat-einen-preis-12148647.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3.2023. 171 Weiterführend: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 6a GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 23 ff. 172 Hierzu etwa gesondert und weiterführend: Kohte, ARP 2021, 37 ff. 173 Vgl. Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 14. 174 Weiterführend: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 2 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 10. 175 Siehe hierzu etwa die fachgerichtlichen Auseinandersetzungen mit dieser Frage nach dem Geltungsbereich des Verbotes: FG Hamburg, Beschl. v. 20.5.2021 – 4 V 33/21; Beschl. v. 20.12.2021 – 4 V 77/21; FG Nürnberg, Urt. v. 20.7.2021 – 1 K 382/21. Vgl. auch die instruktive Analyse bei Zimmer, NZA 2022, 4 (5 ff.). Siehe auch weiterführend: Linsenmaier, NZA 2021, 1315 ff. 176 So etwa Zimmer, NZA 2022, 4 (5 ff.), die von einem breiten Anwendungsbereich ausgeht. 177 Vgl. Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 6a GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 21. Zur Rolle der Arbeitnehmerüberlassung als Flexibilisierungsinstrument: S. 59 ff. 178 Siehe hierzu die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales: BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 11.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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ein Leiharbeitnehmereinsatz ermöglicht wird.179 Im Einzelnen darf der Leiharbeitnehmereinsatz hierbei 8 % des von Stammarbeitskräften kalenderjährlich erbrachten Arbeitszeitvolumens nicht überschreiten (§ 6a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GSA Fleisch). Zugleich darf das von den Leiharbeitnehmern geleistete Arbeitsvolumen das regelmäßige vertragliche kalenderjährliche Arbeitszeitvolumen von 100 vollzeitbeschäftigten Stammarbeitnehmern nicht überschreiten (§ 6a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GSA Fleisch).180 Wenn in dieser Art und Weise tarifvertraglich geregelte Leiharbeitnehmereinsätze stattfinden, gelten darüber hinaus gem. § 6a Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 und Nr. 2 GSA Fleisch die Restriktionen des AÜG mit der verschärften Maßgabe, dass die Überlassungshöchstdauer auf vier Monate begrenzt ist und hiervon nicht tarifvertraglich abgewichen werden kann.181 Hierbei ist der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an den Entleiher vollständig anzurechnen, sofern zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als sechs Monate liegen. Ferner sind gem. § 6a Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 GSA Fleisch die Abweichungsmöglichkeiten in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 8 Abs. 2 – 4 AÜG) nicht anwendbar, sodass ab dem ersten Einsatztag der Gleichstellungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 AÜG greift. In der Folge verbleibt für tarifgebundene Entleihunternehmen der Fleischindustrie in Anwendung eines von dieser gesetzlichen Option Gebrauch machenden Tarifvertrags182 ein schmaler Nutzungskorridor für den Leiharbeitnehmereinsatz. Allerdings verschafft diese Ausnahmeoption nur vorübergehend Abmilderung, da § 6a Abs. 3 GSA Fleisch zum 1. April 2024 außer Kraft tritt.183 Ob es sich daher nur um eine Übergangslösung handelt,184 die den betroffenen Unternehmen die Umstellung auf das gesetzliche Verbot erleichtern soll, oder ob die in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch getroffene Sonderregelung Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.185 Angesichts der 179

Vgl. insofern: BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 19 („zur Abdeckung saisonaler Auftragsspitzen“). 180 Siehe hierzu: BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 31 f. Sowie weiterführend: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 6a GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 27 ff. 181 Siehe hierzu und zum Folgenden erneut: BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 31 f.; Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 6a GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 31. 182 Ein Tarifvertrag, der die gesetzlich vorgegebenen Grenzen insoweit ausreizt, ist bereits zwischen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und den Arbeitgebern der deutschen Fleischwirtschaft vereinbart worden. Siehe hierzu: https://ig-zeitarbeit.de/fleischver arbeitung-zeitarbeitseinsatz-vereinbart/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 183 Vgl. BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 32. 184 In diese Richtung offenbar: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16 („Übergangszeitraum“); Zimmer, NZA 2022, 4 („übergangsweise“). Ähnlich: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 6a GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 27. 185 Vgl. BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 32 („Ob und ggf. wie die Regelung nach § 6a Absatz 3 nötig ist, angepasst oder fortgeführt werden soll, wird im Rahmen der Evaluierung zu prüfen sein“).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

nach aktueller Regelungslage nur zweijährigen Geltung dieser Option steht hier jedoch das Verbot aus § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch im Fokus. Sollte sich herausstellen, dass die tarifvertragliche Abweichungsoption aus § 6a Abs. 3 GSA Fleisch dauerhaft Geltung erhält, müsste allerdings untersucht werden, ob die nachfolgende unionsrechtliche und grundgesetzliche Überprüfung des Verbots unter den so (dauerhaft) geänderten Vorzeichen abweichend bewertet werden müsste. In Anbetracht des einerseits prima facie geringen Abmilderungseffekts der tarifvertraglichen Abweichungen in Bezug auf das Verbot und andererseits der Tatsache, dass dieses nur für tarifgebundene Unternehmen greift,186 spricht hierfür jedoch nicht viel.187 Ungeachtet dessen soll es für die folgende Untersuchung zunächst bei der isolierten Überprüfung des sektoralen Verbots bleiben. Über die Vereinbarkeit des Verbots hatte vor kurzem auch das Bundesverfassungsgericht188 zu entscheiden. Mehrere Verleihunternehmen, die Leiharbeitnehmer in die Fleischindustrie überlassen hatten, sowie ein Wurst produzierendes Entleihunternehmen hatten gegen die benannten Vorschriften Verfassungsbeschwerde eingelegt, da sie sich in ihrer Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG sowie (im Fall des Entleihunternehmens) in Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sahen. Das Bundesverfassungsgericht nahm die Verfassungsbeschwerden allerdings nicht zur Entscheidung an und monierte insofern, dass die betroffenen Unternehmen nicht den fachgerichtlichen Rechtsweg beschritten hatten.189 Ferner sei aus ihrem Vorbringen auch nicht ersichtlich, dass sie von dem sektoralen Verbot tatsächlich betroffen seien.190 Im Besonderen rekurrierte das Gericht darauf, dass das beschwerdeführende Entleihunternehmen nach dem diesbezüglichen Sachvortrag nicht eindeutig feststellbar unter das Verbot falle und – angesichts der oben angesprochenen Diskussion (vgl. 186 Eine erste verfassungsrechtlich kritische Auseinandersetzung mit § 6a Abs. 3 GSA Fleisch findet sich bei Thüsing, der vor allem kritisiert, dass die Regelung den tarifgebundenen Unternehmen für tarifvertragliche Regelungen kaum Spielräume belasse und somit kein Grund ersichtlich sei, diesen die dortige Abweichungsmöglichkeit zu eröffnen (vgl. Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Vorbemerkung zu § 1 GSA Fleisch [Stand: 2023] Rn. 14). 187 Sollte § 6a Abs. 3 GSA Fleisch Bestand haben müsste die folgende Prüfung zweigeteilt werden. Zunächst müsste überlegt werden, ob die in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch vorgesehenen Restriktionen für einen tarifvertraglich festgelegten Leiharbeitnehmereinsatz in Bezug auf die grundrechtlichen Positionen der tarifgebundenen Entleihunternehmen mit höherrangigem Recht vereinbar sind. Sodann müsste geprüft werden, ob das Verbot selbst unions- und verfassungskonform ist und inwieweit der Ausweg in die begrenzte tarifvertragliche Abweichungsoption aus § 6a Abs. 3 GSA Fleisch – gerade auch mit Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit, die vor Beitrittszwängen schützt – die Verbotswirkung abmildert. Vgl. insofern unten die Parallele zur Tarifdispositivität hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes (S. 434 ff.). Anders als dort droht hier aber abseits tarifvertraglicher Regelungen nicht der durch den Gleichbehandlungsgrundsatz verteuerte Leiharbeitnehmereinsatz, sondern das sektorale Verbot. Siehe unten die Überlegung in der Erforderlichkeit ab S. 397. 188 BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20. 189 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 18 ff. 190 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 25 f.

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S. 381 f.) um den Anwendungsbereich des Verbotes – gerade diesbezüglich eine fachgerichtliche Klärung notwendig sei. Spiegelbildlich sei es auch von den beschwerdeführenden Verleihunternehmen zu fordern, hinreichend darzulegen, dass Leiharbeitnehmer in Kernbereichstätigkeiten der Fleischwirtschaft überlassen wurden.191 Da es an den entsprechenden substantiierten Begründungen fehlte, ging das Bundesverfassungsgericht den aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen nicht nach. Die entsprechende Untersuchung wird daher im Folgenden vorgenommen. aa) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Ebenso wie in Bezug auf das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft stellt sich auch in Bezug auf § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch die Frage, ob das sektorale Verbot mit den unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist. (1) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie Hier wie dort wird zum Teil argumentiert, dass das sektorale Verbot europarechtswidrig sei, da es mit Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG kollidiere.192 Wenn man jedoch – wie hier – ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH in Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG kein auf Dauer angelegtes materielles Prüfprogramm erblickt, erübrigt es sich, das hier in Rede stehende sektorale Verbot an der Richtlinie zu messen (vgl. bereits parallel S. 367). (2) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht Ebenso wenig kommt in Bezug auf § 6 Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch eine Überprüfung der Norm anhand der Grundrechtecharta in Betracht (vgl. bereits parallel S. 368). Diskutiert wird aber zum Teil, ob das bereichsspezifische Verbot in der Fleischindustrie mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV vereinbar ist.193 191

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 27. Vgl. Bayreuther, NZA 2020, 773 (775); Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/ Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1165); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. A. A. und das Verbot für mit Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar haltend: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 23 f.; Deinert, Kurzgutachten: Womit kann man begründen, dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nur in der Fleischindustrie verboten werden können?, 2020, S. 18 f., abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/20200715_gut achten_deinert_werkvertraege_fleischindustrie.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. So auch bereits die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 42. 193 Einen entsprechenden Eingriff für gerechtfertigt haltend: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 23 f.; Deinert, Kurzgutachten: Womit kann man begründen, dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nur in der Fleischindustrie verboten werden können?, 2020, S. 18 f., abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/20200715_gutachten_deinert_ 192

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Allerdings muss gesehen werden, dass Art. 56 AEUV die Zielrichtung hat, Dienstleistungserbringer aus den Mitgliedstaaten vor Diskriminierungen und sonstigen Beeinträchtigungen, die von nationalen Rechtsgestaltungen ausgehen, zu schützen (siehe oben abstrahierend S. 206 f.). Es ist dabei zwar nicht von Bedeutung, auf welche Weise das nationale Recht die Tätigkeit ausländischer Dienstleister benachteiligt.194 Erforderlich ist jedoch eine irgendwie geartete Benachteiligung ausländischer Dienstleistungserbringer. Von diesem Erfordernis fehlt in den Beiträgen, die eine Vereinbarkeit des sektoralen Verbots mit der Dienstleitungsfreiheit prüfen, jede Spur.195 Dabei kann in § 6a GSA Fleisch bei jedweder denkbaren Betrachtung jedenfalls keine Diskriminierung ausländischer Unternehmen gegenüber nationalen Unternehmen erblickt werden. Schließlich trifft das Verbot unabhängig von der Frage, ob es sich um ein inländisches oder ausländisches Unternehmen handelt, zum einen jedes Verleihunternehmen und jeden Leiharbeitnehmer, solange diese auf den entsprechenden Wirtschaftszweig abzielen. Zum anderen trifft das Verbot die fleischverarbeitenden Industrieunternehmen, die von der Arbeitnehmerüberlassung Gebrauch machen. Insbesondere die in Bezug auf diese potenziellen Entleihunternehmen in § 2 Abs. 2 GSA Fleisch vorgesehene Ausnahme für Betriebe des Fleischerhandwerks beinhaltet keine Diskriminierung. Wenn dort etwa in § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GSA Fleisch gefordert wird, dass die entsprechenden Unternehmen ihre Tätigkeit „nach § 1 Absatz 2 der Handwerksordnung handwerksmäßig betreiben und in die Handwerksrolle des zulassungspflichtigen Handwerks oder in das Verzeichnis des zulassungsfreien Handwerks oder handwerksähnlichen Gewerbes eingetragen“ sind,196 dann kann dieses Eintragungserfordernis auch von Betrieben des Fleischerhandwerks aus Mitgliedstaaten der Union erfüllt werden.197 werkvertraege_fleischindustrie.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; so auch die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 42. A. A. und eine Verletzung annehmend: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1165 f.). (Dort wird zusätzlich ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 AEUV angenommen); Dilenge, DB 2020, 2241 (2242). 194 Vgl. etwa detaillierter zu den Beschränkungsmöglichkeiten: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 54 ff. 195 Einzig Dilenge führt hierzu aus, dass eine solche darin zu sehen sei, dass rein national tätige Verleihunternehmen gegenüber ausländischen Verleihunternehmen benachteiligt würden, denen durch das Verbot schließlich nur ein Teilbereich ihres räumlichen Geschäftsfelds genommen würde (vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 [2242]). Denkt man diese Argumentation allerdings zu Ende, muss gesehen werden, dass in dem sektoralen Verbot sogar eine Begünstigung – und keine Benachteiligung – ausländischer Verleihunternehmen, deren Tätigkeitsbereich sich gegenüber rein national agierenden Unternehmen auf mehrere Mitgliedstaaten erstreckt, zu erblicken wäre. 196 Weiterführend hierzu: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 2 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 10 f. 197 Siehe nur die aufgrund von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 Handwerksordnung (HwO) ergangene Verordnung über die für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz geltenden Voraussetzungen für die Ausübung eines zulassungspflichtigen Handwerks (EU/EWR-Handwerk-Verordnung – EU/EWRHwV).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Eine Erschwernis für ausländische Unternehmen kann hier nicht ausgemacht werden. Ein Konflikt des sektoralen Verbots aus § 6 Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch mit der Dienstleistungsfreiheit lässt sich hingegen dann annehmen, wenn man mit der vom EuGH vertretenen weit verstandenen Lesart der Dienstleistungsfreiheit bereits in jeder nationalen Regelung, die eine grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung gegenüber der inländischen weniger attraktiv macht, eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit erkennt.198 Schließlich wird eine Verleihtätigkeit ausländischer Verleihunternehmen in Bezug auf deutsche Fleischindustrieunternehmen durch das Verbot in Teilen unmöglich gemacht und somit gegenüber dem inländischen Verleih in der Tat „weniger attraktiv“ gemacht. Dieses über den Diskriminierungsschutz hinausgehende Verständnis der Dienstleistungsfreiheit zugrunde legend, müsste daher auch das sektorale Verbot selbst an der Dienstleistungsfreiheit gemessen werden. Eine dahingehende detaillierte Überprüfung des Verbotes kann hier allerdings deshalb unterbleiben, weil das sektorale Verbot im Folgenden noch umfangreich verfassungsrechtlich zu vermessen ist und sich die Rechtfertigungsanforderungen der Dienstleistungsfreiheit bei sonstigen Beschränkungen derselben, die zwar nicht diskriminieren, aber gleichwohl die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung zu beeinträchtigen geeignet sind, im Wesentlichen mit denjenigen des Verfassungsrechts decken.199 Daher steht das sektorale Verbot aus § 6 Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch auch insgesamt nicht in Konflikt mit dem Primärrecht bzw. decken sich die Rechtfertigungsanforderungen mit der sogleich in der verfassungsrechtlichen Untersuchung vorzunehmenden Prüfung. bb) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Umstrittener ist demgegenüber die Vereinbarkeit des sektoralen Verbots mit grundgesetzlichen Vorgaben.200 198 So die ständige Rechtsprechung. Vgl. hierzu detailliert: Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 85 ff. 199 In der Tat nähert der EuGH auf diese Weise die Dienstleistungsfreiheit einer grundrechtlichen Berufsfreiheit an und lässt den Charakter eines Diskriminierungsverbots hinter sich. Vgl. hierzu etwa: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 58. 200 Das Verbot für verfassungsgemäß haltend: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 14 ff.; Deinert, Kurzgutachten: Womit kann man begründen, dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nur in der Fleischindustrie verboten werden können?, 2020, S. 11 f., 17 ff., abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/20200715_gutachten_deinert_ werkvertraege_fleischindustrie.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 196; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 20. So auch die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 40 ff. Das Verbot demgegenüber für verfassungswidrig haltend: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774 f.); Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/ Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1164 f.); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Ud-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG In erster Linie steht das sektorale Verbot – ebenso wie das Verbot in der Bauwirtschaft – mit der Berufsfreiheit der betroffenen Unternehmen in der Fleischindustrie, der dorthin Leiharbeitnehmer überlassenden Verleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer selbst in Konflikt. (a) Eingriff in den Schutzbereich In Bezug auf die staatlichen Eingriffe in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der genannten Akteure wiederholt sich im Wesentlichen das oben bereits in Bezug auf das sektorale Verbot in der Bauwirtschaft Gesagte (vgl. S. 371). Für die Betriebe der Fleischindustrie, denen der Einsatz von Leiharbeitnehmern verboten wird, stellt sich das Verbot, das ihnen das Flexibilitätsinstrument der Arbeitnehmerüberlassung verwehrt, als Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit dar. Daneben wird auch die berufliche Tätigkeit der Verleihunternehmen, die die Fleischindustrie bedienen sowie die Berufstätigkeit der Arbeiter, die in der Branche via Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, eingeschränkt. (b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Auch diese Eingriffe gilt es daher verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. (aa) Legitimer Zweck: Leiharbeitnehmerschutz im Lichte des Gesundheitsschutzes und der Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ Erneut stellt sich daher die Frage, auf welcher Intensitätsstufe der Drei-StufenTheorie (vgl. S. 237 ff.) der Eingriff vorliegend einzuordnen ist und ob insbesondere eine Berufsausübungsregelung oder eine Beschränkung der Berufswahlfreiheit vorliegt. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages201 ging im Vorfeld der entsprechenden Gesetzesänderung in Anknüpfung an die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft davon aus, dass es sich lediglich um eine Berufsausübungsregelung handeln würde, die allerdings aufgrund der Intensität des Eingriffs nur durch entsprechend schwerwiegende Allgemeininteressen gerechtfertigt werden könne. Ähnliche Einschätzungen finden sich in der Literatur.202 sching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. Jedenfalls die Verfassungsmäßigkeit bezweifelnd: Düwell, BB 2021, 180 (183); Fuhlrott, ArbRAktuell 2020, 311 (313). 201 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 13. Von einer Berufsausübungsregelung geht auch die Gesetzesbegründung aus: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 40. 202 Vgl. Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/ Wank, NZA 2020, 1160 (1163); Deinert, Kurzgutachten: Womit kann man begründen, dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nur in der Fleischindustrie verboten werden können?, 2020, S. 17, abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/docu ment/20200715_gutachten_deinert_werkvertraege_fleischindustrie.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Dilenge, DB 2020, 2241.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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In Bezug auf die Berufsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer ergibt sich in Übereinstimmung mit den obigen Ausführungen hinsichtlich des sektoralen Verbots in der Bauwirtschaft, dass auch hier durchaus Fallkonstellationen wahrscheinlich sind, in denen Verleihbetriebe und Leiharbeitnehmer durch das sektorale Verbot in ihrer Berufswahlfreiheit betroffen sind, da sie sich in spezifischer Art und Weise auf die Fleischindustrie ausgerichtet haben.203 Unabhängig von der Frage, ob dann insgesamt eine Berufswahlregelung angenommen werden muss, ist das Verbot aber aufgrund seiner Eingriffsintensität ohnehin an den für subjektive Berufszulassungsregelungen erforderlichen Anforderungen zu messen und kann daher nur zugunsten besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter gerechtfertigt werden.204 Hieran kann auch der Umstand, dass sich nur wenige Verleihbetriebe auf die Fleischindustrie spezialisiert haben und die Gesetzesumstellung lange angekündigt war, nichts ändern.205 Für diejenigen Verleihbetriebe, deren Geschäftsmodell durch das sektorale Verbot hinfällig wird, stellt das Verbot einen ganz erheblichen Eingriff dar – unabhängig davon, ob eine Vorbereitungszeit für entsprechende betriebliche Anpassungen bestand.206 Dies kann den Eingriff allenfalls abmildern, ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die entsprechenden Verleihbetriebe in Folge des Verbots gezwungen sind, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Eine gewisse vorübergehende Abmilderung in Bezug auf die Eingriffsschwere tritt demgegenüber dann ein, wenn betroffene Entleihunternehmen von der begrenzten Möglichkeit tarifvertraglicher Abweichungen vom Verbot aus § 6a Abs. 3 GSA Fleisch Gebrauch machen. Selbst wenn man diese Regelung aufgrund ihrer vorübergehenden Natur jedoch – wie hier vertreten (vgl. S. 381 ff.) – nicht aus der Betrachtung ausklammern würde, müsste gesehen werden, dass die auch in diesem Fall nur sehr geringen Einsatzvolumina von Leiharbeitnehmern eine starke Schmälerung des Geschäftsfeldes der Verleihunternehmen nicht verhindern würden.207 Hinsichtlich der Berufsfreiheit der Unternehmen der Fleischindustrie ergibt sich zudem im Unterschied zu den vom sektoralen Verbot in der Bauwirtschaft betrof203

Einen anekdotischen Hinweis hierauf liefern die beschwerdeführenden Verleihunternehmen im oben genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, von denen eines etwa nach eigenen (freilich nicht näher belegten) Angaben durchschnittlich mehr als 86 % seiner 430 Beschäftigten an 32 Schlacht-, Zerlege- und Fleischverarbeitungsbetriebe überlassen habe. Siehe hierzu: BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 9. 204 Siehe insofern die parallelen Ausführungen in Bezug auf den legitimen Zweck des Verbots in der Bauwirtschaft: S. 371 ff. 205 So aber: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 20 f. 206 A. A., da nur ein bestimmtes Marktsegment betroffen sei: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, C, Rn. 196. 207 Insofern ist nicht gänzlich aufgeklärt, wie hoch der Anteil an Leiharbeitnehmern in den Belegschaften der betroffenen Betriebe typischerweise ist. Siehe hierzu etwa: BT-Drs. 19/ 21978 v. 31. 8. 2020, S. 20; BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 3; sowie auch BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 6.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

fenen Betrieben, dass sich das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung aus § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch zusammen mit dem Verbot des Einsatzes von Fremdpersonal auf Werkvertragsbasis aus § 6a Abs. 2 Satz 2 GSA Fleisch dergestalt auswirkt, dass den Unternehmen ein erheblich größerer Teil des üblichen betrieblichen Flexibilisierungsinstrumentariums entzogen wird. Im Besonderen wird diesen der Großteil der extern-numerischen Flexibilisierungsmöglichkeiten verbaut, sodass die betroffenen Unternehmen auf allein intern-numerische und intern-funktionale Flexibilisierung verwiesen sind.208 Bezieht man diesen Umstand in die Betrachtung der Eingriffsintensität des sektoralen Verbots mit ein, muss man zu dem Urteil kommen, dass das mit § 6a GSA Fleisch verfolgte Regelungskonstrukt die Entleihunternehmen insgesamt – gerade im Vergleich zu § 1b Satz 1 AÜG – hart trifft. Dies darf auch bei der hier vorzunehmenden isolierten Betrachtung des Verbotes des Leiharbeitnehmereinsatzes in § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch nicht völlig außer Acht gelassen werden.209 Insgesamt stellt sich das sektorale Verbot daher auch für die betroffenen Unternehmen der Fleischindustrie als einschneidender Eingriff dar. § 6a Abs. 3 GSA Fleisch vermag diesen Eingriff freilich – solange die Norm noch Gültigkeit besitzt – in geringem Umfang abzumildern.210 Der Annahme eines erheblichen Eingriffs kann auch nicht entgegengehalten werden, dass es den entsprechenden Industrieunternehmen möglich sei, die durch das Verbot entstehende Personallücke mit Stammpersonal zu schließen.211 Schließlich ersetzt eine Forcierung des Einsatzes von Stammpersonal gerade nicht die spezifische Flexibilitätssteigerung, die mit einem Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung erreicht werden kann.212 Fest steht also, dass das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung eine intensiv eingreifende Berufsausübungsregelung darstellt, die durch gewichtige Gemeinschaftsinteressen gerechtfertigt werden muss.

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Zur näheren Erläuterung des betrieblichen Flexibilisierungsinstrumentariums: S. 59 ff. Erwägenswert wäre es, zu überprüfen, ob sich das Verbot des Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung und des Einsatzes von Werkvertragsgestaltungen i. S. e. additiven Grundrechtseingriffs zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Berufsfreiheit der Entleihbetriebe verdichten. Dies kann jedoch dahinstehen, wenn das Verbot des Leiharbeitnehmereinsatzes bereits für sich betrachtet der verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhält. 210 Diese Abmilderung ist aber kein Automatismus. Vielmehr muss es den betroffenen Unternehmen überhaupt erst gelingen, einen entsprechenden Haustarifvertrag abzuschließen oder sie müssen einem entsprechend durchsetzungsstarken Arbeitgeberverband beitreten. Die Norm lässt beide Abweichungsmöglichkeiten zu (vgl. Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 2 GSA Fleisch [Stand: 2023] Rn. 28). Der ausgeübte Druck, tarifvertraglich selbst tätig zu werden oder einem Verband beizutreten, ist – sollte § 6a Abs. 3 GSA Fleisch Bestand haben – zudem an der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu messen. 211 In diese Richtung argumentierend: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 14. 212 Siehe insofern die obigen Ausführungen zur reaktiven und zur aktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung vor allem auf S. 117 ff. 209

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Die Gesetzesbegründung213 zeichnet ein düsteres Bild von den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und rechtfertigt aus dieser Bestandsaufnahme heraus das gesetzgeberische Einschreiten in Form von § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch. So werde die Arbeitnehmerüberlassung etwa ausweislich des im Branchenvergleich relativ hohen Anteils an Leiharbeitnehmern, die in der Fleischindustrie eingesetzt würden,214 „entgegen ihrer zentralen Funktion (…) nicht nur zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen eingesetzt“. Der Gesetzgeber rekurriert hier darauf, dass die Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie daher offenkundig verbreitet als Stammarbeitnehmer ersetzende Dauerlösung durch Befriedigung des bestehenden Personalbedarfs im Sinne der oben beschriebenen aktiven im Gegensatz zur reaktiven Nutzungsstrategie verwendet wird.215 Darüber hinaus hätten Kontrollen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls und der für Arbeitsschutz zuständigen Landesbehörden vielfach gezeigt, dass „arbeits- und arbeitsschutzrechtliche Regelungen in hohem Maße nicht beachtet werden“.216 Hinsichtlich dieser altbekannten Probleme wirke die Pandemie „wie ein Brennglas, unter dem Probleme sichtbar werden.“217 Es werde daher zunehmend klar, dass aus den in der Branche zu beobachtenden „unzureichenden Lebens- und Arbeitsbedingungen eine erhebliche Gefährdung nicht nur für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Fleischindustrie, sondern auch für die Öffentlichkeit resultieren kann.“218 Die oben beschriebenen hohen Infektionsraten mit SARS-CoV-2 in der Fleischindustrie werden daher unmittelbar mit der überkommenen Problematik der mangelhaften Arbeitsbedingungen und der dortigen Regelverstöße in Verbindung gebracht. Weiter führt die Gesetzesbegründung aus, dass den in der Fleischindustrie Beschäftigen eine besondere Schutzbedürftigkeit zukomme, da hier häufig Ausländer ohne deutsche Sprachkenntnisse, die in besonderem Maße auf die entsprechende Arbeit angewiesen seien, eingesetzt würden, die zudem zu den entsprechenden Verleihbetrieben – die

213 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20. Siehe auch die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales: BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 2 f. 214 Laut Aussage der Betriebe, die die oben genannte Selbstverpflichtung unterschrieben hatten, lag der Leiharbeitnehmeranteil in den letzten Jahren lediglich bei ca. 5 bis 10 % (vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20). Demgegenüber von einem Fremdarbeiteranteil (zu dem allerdings auch Werkvertragsarbeiter zu zählen sind) von ca. 50 % ausgehend: BTDrs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 3. Dafür, dass die hier erstgenannte Selbsteinschätzung (evtl. bewusst) deutlich zu niedrig gesetzt ist, spricht auch der Umstand, dass das im oben genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht beschwerdeführende Entleihunternehmen 300 seiner 650 Beschäftigten in Form von Arbeitnehmerüberlassung einsetzte, nachdem zuvor bereits das Verbot zum Einsatz von Werkvertragsgestaltungen in Kraft getreten war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1.6.2022 – 1 BvR 2888/20, Rn. 6). 215 Vgl. erneut die Ausführungen zur reaktiven und zur aktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung vor allem auf S. 117 ff. 216 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20 f. 217 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20 f. 218 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20 f.

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oftmals etwa auch die Mietverhältnisse in den Unterkünften organisieren – in einem extremen Abhängigkeitsverhältnis stünden.219 Das Ziel der Regelung sei es daher, „die gestörte Ordnung auf dem Teilarbeitsmarkt Fleischindustrie wiederherzustellen, den Arbeitsschutz zu verbessern und damit auch die Gesundheit der Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer zu schützen“.220 Das erklärte Ziel des Gesetzgebers ist es daher, sowohl der aktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung beizukommen als auch die Umgehung des Arbeitsschutzrechts und die hieran anknüpfende Gesundheitsgefährdung der Beschäftigten hinsichtlich des Virus SARS-CoV-2 zu verhindern. An der Wichtigkeit dieser Gemeinwohlbelange kann kein Zweifel bestehen. Der genannte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Bezug auf die in der Branche vorgefundene häufige Umgehung des erforderlichen Arbeitsschutzes als auch in Bezug auf das aktuelle Pandemiegeschehen lässt sich ggf. sogar in die grundrechtliche Schutzpflicht hinsichtlich des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit der Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG einordnen221 – sofern man in dem Handeln der entsprechenden Betriebe ein die Gefahrenschwelle überschreitendes Privathandeln erblickt (vgl. hierzu S. 250 ff.). Unabhängig von dieser grundrechtlichen Einordnung ist aber der Gesundheitsschutz der Beschäftigten ohnehin ein Ziel von hoher Wichtigkeit. Gleiches gilt für das Interesse, der in der Branche mutmaßlich verbreiteten aktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung zu begegnen.222 Dass sich das diesbezügliche Interesse, die Leiharbeitnehmer vor dieser Nutzungsform zu schützen, sozialstaatlich begründen lässt, ist bereits dargetan worden (siehe oben S. 335 ff.). Erhebt man den Blick über den Bereich der Fleischindustrie hinaus, lässt sich dieses regulative Interesse in den Gesamtkontext der gesetzgeberischen Zielsetzung, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre so verstandene „Kernfunktion“ zurückzuführen (hierzu bereits S. 348 ff.) einordnen – wenngleich dieser konzeptionelle Zusammenhang von Seiten des Gesetzgebers so nicht benannt wird. (bb) Geeignetheit: Förderung der Schutzzwecke? Das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie müsste hinsichtlich dieser probaten Ziele aber auch geeignet und daher mindestens förderlich sein. Auch diesbezüglich geht die Gesetzesbegründung davon aus, dass die Neuregelung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Die Geeignetheit liege insbesondere deswegen vor, weil vermittels des sektoralen Verbots gefördert werde, 219

Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 23 f. Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20 f. 221 In diese Richtung wohl: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774). 222 Vgl. erneut zu der auf dem vergleichsweise hohen Leiharbeitnehmeranteil in der Branche fußenden Annahme, dass die Arbeitnehmerüberlassung „entgegen ihrer zentralen Funktion (…) nicht nur zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen eingesetzt“ werde: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20. 220

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dass „bestimmte Arbeiten ausschließlich von eigenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Betriebsinhabers durchgeführt werden“ und damit erreicht würde, dass „effektivere Kontrollen der arbeitsrecht- und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen durch die jeweils zuständigen Behörden möglich werden“.223 Hierdurch werde auch ein „Beitrag zur Verhinderung illegaler Arbeitnehmerüberlassung geleistet (…), da verhindert wird, dass sich die illegale Arbeitnehmerüberlassung unter dem Deckmantel der legalen Arbeitnehmerüberlassung ausbreitet“.224 Daneben werde auch ein Schritt zur Verhinderung der Praxis, stark abhängige ausländische Arbeitnehmer mit gefälschten Ausweisdokumenten einzusetzen, getan.225 Die Argumentation ähnelt insofern in Teilen den bereits zur Begründung des sektoralen Verbots in der Bauwirtschafts von Seiten des Gesetzgebers vorgebrachten Erwägungen. Hier wie dort wird argumentiert, dass in der jeweiligen Branche unter dem Deckmantel der Arbeitnehmerüberlassung illegale Fremdbeschäftigung grassiere und die Arbeitgeber gesetzliche Vorschriften missachteten. Mit dem sektoralen Verbot geht in diesem Zusammenhang die Hoffnung einher, dass sich der illegalen Fremdbeschäftigung leichter nachkommen lässt und Verstöße gegen Arbeitgeberpflichten effektiver zu kontrollieren sind, wenn in den entsprechenden Betrieben nur eine homogene Stammbelegschaft vorzufinden ist. Verbunden wird dieser Gedankengang im Falle des hier in Rede stehenden Verbots in der Fleischindustrie zusätzlich mit der Vorstellung, dass die aufgrund von Umgehungen des Arbeitsschutzrechts zu beobachtenden Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten hinsichtlich des Virus SARS-CoV-2 im Falle einer homogenen Stammbelegschaft besser zu verhindern sind. Insbesondere die letztgenannte gesetzgeberische Erwägung, die dahin geht, dass mit dem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung auch ein Beitrag zum Schutz der Beschäftigten in der Fleischindustrie in Bezug auf die COVID-19-Pandemie geleistet wird, muss bezweifelt werden.226 Das liegt zwar nicht bereits daran, dass das sektorale Verbot erst zum 1. April 2021 in Kraft getreten ist und daher hinsichtlich eines Beitrags zur Verlangsamung des Pandemiegeschehens zu spät kommt.227 Vielmehr ist fraglich, ob zwischen dem gesetzgeberischen Ziel, die Fleischindustrieunternehmen auf die alleinige Nutzung von Stammpersonal zu beschränken und eine Umgehung arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen zu verhindern und dem Pandemiegeschehen ein sachlicher Zusammenhang besteht. Wenn etwa argumentiert wird, dass eine Verpflichtung der Unternehmen auf den reinen Stammarbeit223

Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 40. Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 40. 225 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 40. 226 In diese Richtung: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774); Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1163); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. 227 Siehe hierzu bereits: Bayreuther, NZA 2020, 773 (775); Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 20. 224

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nehmereinsatz zu einem Weniger an Verstößen gegen arbeits- und arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen führt228 und dies einen positiven Beitrag zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Bezug auf die Virusübertragungen nach sich ziehe, setzt dies voraus, dass es gerade die Nichteinhaltung der entsprechenden arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Verpflichtungen ist, die kausal zu den zu beobachtenden hohen Ansteckungsraten in den Betrieben der Fleischindustrie führt. Nur dann könnte es die Verbesserung der Einhaltung der entsprechenden Regularien sein, die den Gesundheitsschutz dahingehend fördern könnte. Dies ist aber gerade nicht der Fall. Führt man sich die in der Fleischindustrie bei entsprechenden Kontrollen auffallenden Verstöße etwa gegen das Arbeitszeit- und Arbeitsschutzrecht vor Augen, so kann kaum behauptet werden, dass es gerade das durch das Verbot erhoffte Abstellen dieser Missstände sein wird, das den pandemiespezifischen Gesundheitsschutz der dortigen Beschäftigten zu verbessern vermag. Wenn die dortigen Fremdbeschäftigten etwa Arbeitstage von bis zu 16 Stunden und aufgrund von bspw. extremen Lärmbelastungen gesundheitsschädigende Arbeitsplätze erdulden müssen,229 so steht dies nicht in einem sachlichen Zusammenhang mit den dort zu beobachtenden Infektionsraten. Allein der Umstand, dass Arbeitnehmer unzulässigerweise zu lange durchgehend tätig sind, kann die hohen Ansteckungen noch nicht begründen.230 Viel eher ist hierfür zum einen die in den entsprechenden Betrieben notwendigerweise vorherrschende sehr niedrige Raumtemperatur verantwortlich, die eine Virusübertragung begünstigt.231 Zum anderen aber ist es die beengte Situation in den Unterkünften der Beschäftigten, die die Infektionsraten in den Belegschaften in die Höhe treibt.232 Dass sich aber die Raumtemperatur in den Betrieben oder die Umstände in den Unterkünften der Beschäftigten dadurch ändern werden,233 dass diese aufgrund des Verbots nunmehr als 228 So Däubler, der darauf hinweist, dass vornehmlich Stammarbeitnehmer einsetzende Fleischindustriebetriebe deutlich seltener gegen arbeitszeit- und arbeitsschutzrechtliche Regelungen verstoßen würden (vgl. Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 16). 229 Siehe hierzu den Abschlussbericht „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ einer Überwachungsaktion des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen, S. 5, 12 ff., abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/docu ment/191220_abschlussbericht_fleischindustrie_druckdatei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 230 So auch: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774). 231 Hierauf bereits hinweisend: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774); Dilenge, DB 2020, 2241 (2242). Ähnlich: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1163). 232 Vgl. auch hierzu bereits: Bayreuther, NZA 2020, 773 (774); Dilenge, DB 2020, 2241 (2242). Ähnlich: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1163). 233 Parallel zum sektoralen Verbot wurden darüber hinaus Informationspflichten hinsichtlich der Unterkunftsbedingungen in den Betrieben eingeführt (vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 51).

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Stammbeschäftigte angestellt werden müssen, ist nicht ersichtlich.234 Die Ausschaltung dieser pandemiespezifischen Risikofaktoren, die mit der Tätigkeit in der Fleischindustrie per se einhergehen, kann nur durch eine gezielte Forcierung des dortigen Arbeitsschutzes und nicht durch das sektorale Verbot erreicht werden.235 Ein sachlicher Konnex zwischen dem sektoralen Verbot und dem pandemiebedingten Gesundheitsschutz der Beschäftigten besteht also nicht, sodass diesbezüglich die Geeignetheit zu verneinen ist. Pandemiespezifisch lässt sich das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie daher nicht erklären. Übrig bleiben demgemäß nur die gesetzgeberischen Erwägungen hinsichtlich der Verhinderung der Umgehung arbeitgeberseitiger Pflichten, die Erleichterung der diesbezüglichen Kontrolle und das Abstellen Stammarbeitnehmer ersetzender Beschäftigungsformen, zugunsten derer das sektorale Verbot förderlich sein könnte. Hinsichtlich des letztgenannten Interesses des Gesetzgebers lässt sich die Geeignetheit ohne Weiteres bejahen. Wo schließlich keine Arbeitnehmerüberlassung stattfindet, kann diese auch nicht „entgegen ihrer zentralen Funktion (…) nicht nur zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen“,236 sondern als aktive Nutzungsstrategie verwendet werden. In die gleiche Richtung zielen auch die Restriktionen in Bezug auf die in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch geregelte – und hier ausgeklammerte – begrenzte tarifvertragliche Abweichung vom sektoralen Verbot, die den Leiharbeitnehmereinsatz in seinem Umfang stark begrenzt.237 Weniger einleuchtend ist hingegen die Überlegung, dass die Umgehung gesetzlicher Regularien durch das sektorale Verbot verhindert werden würde. Zwar ist die Erwägung sachlich richtig, dass bei einem Verbot der Fremdbeschäftigung qua Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertragsgestaltung und dem daraus resultierenden Zwang zur Stammbeschäftigung nicht mehr damit zu rechnen ist, dass sich unter dem Deckmantel entsprechender Vertragsgestaltungen illegale Fremdbeschäftigungen verbreiten können. Weniger eindeutig verhält es sich aber hinsichtlich der Richtigkeit der Überlegung, dass mit dem sektoralen Verbot ein Rückgang der Umgehungen arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen seitens der Fleischindustrieunternehmen einher geht. Die Unternehmen trifft schließlich die Verpflichtung, die entsprechenden Regularien zu beachten, ganz unabhängig davon, ob die eingesetzten Arbeitnehmer als Stamm- oder Leiharbeitnehmer beschäftigt

234

Vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 (2242). In diese Richtung: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/ Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1163). 236 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20. 237 Siehe hierzu die Ausführungen des Ausschusses für Arbeit und Soziales, die darauf rekurrieren, dass die dortige Möglichkeit den Leiharbeitnehmereinsatz bei saisonalen Auftragsspitzen ermöglichen, im Übrigen aber die Zielsetzung des Gesetzes unberührt lassen soll (vgl. BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 31 f.). 235

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sind.238 § 11 Abs. 6 AÜG stellt schließlich klar, dass die Entleihunternehmen beim Leiharbeitnehmereinsatz für die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften ebenso verantwortlich sind, wie dies bei einem Stammarbeitnehmereinsatz der Fall wäre.239 Dies spricht zunächst dagegen, dass das sektorale Verbot zu einer Verbesserung der Einhaltung der entsprechenden Verpflichtungen beitragen könnte. Allerdings muss auch gesehen werden, dass zumindest vereinzelte empirische Hinweise dahingehend bestehen, dass in Fleischindustrieunternehmen mit einem hohen Anteil an Stammpersonal deutlich weniger häufig Gesetzesverstöße zu beobachten sind als in denjenigen Betrieben, die in hohem Maße auf Fremdbeschäftigung setzen.240 Daraus lässt sich indes nicht ableiten, dass allein ein höherer Anteil an Stammbeschäftigung kausal zu geringeren Gesetzesverstößen führt. In Anbetracht der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hinsichtlich der Förderlichkeit des gewählten Mittels muss man den entsprechenden Hinweis darauf, dass mit einem geringerem Fremdbeschäftigungsanteil eine Verbesserung der Einhaltung arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen zumindest korreliert, genügen lassen und die Geeignetheit des sektoralen Verbots bejahen. Insofern ist für die Geeignetheit keine zwingend bewiesene kausale Zweckförderung erforderlich. Ausreichend ist die Plausibilität derselben. Eine Verbesserung der Beschäftigungssituation der Arbeitnehmer in der Fleischindustrie, die über die prognostizierte Verbesserung der Adhärenz der Fleischindustrieunternehmen in Bezug auf die Einhaltung der arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen hinausgeht, wird mit dem sektoralen Verbot allerdings nicht einher gehen. Die dortigen insgesamt belastenden Arbeitsbedingungen müssen Leih-, Werkvertrags- und Stammarbeitnehmer gleichermaßen erdulden. Hieran ändert auch das sektorale Verbot nichts. Hinzu kommt, dass § 8 Abs. 3 AEntG hinsichtlich des Leiharbeitnehmereinsatzes – ebenso wie in der Bauwirtschaft – keine tarifvertragliche Abweichung von den wesentlichen Arbeitsbedingungen er-

238 Vgl. Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/ Wank, NZA 2020, 1160 (1163); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. 239 In diese Richtung auch: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Vorbemerkung zu § 1 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 10. Kritisch sehen kann man daher auch die Überlegung, dass durch den Zwang zu reiner Stammbeschäftigung eine Vereinfachung der Kontrolle arbeitsschutzrechtlicher Regularien erfolgt. Vielmehr fallen dann die bereits umfangreichen Kontrollen der Bundesagentur für Arbeit bzgl. der Einhaltung der Regelungen des AÜG und damit mittelbar auch des Arbeitsschutzes weg (vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 [2243]). 240 Siehe hierzu den Abschlussbericht „Faire Arbeit in der Fleischindustrie“ einer Überwachungsaktion des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NordrheinWestfalen, der deutlich weniger gravierende Verstöße in denjenigen Betrieben feststellt, die fast ausschließlich Stammpersonal einsetzen. Vgl. ebd., S. 7, abrufbar unter: https://www. mags.nrw/sites/default/files/asset/document/191220_abschlussbericht_fleischindustrie_druckda tei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Hierauf hinweisend: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 16.

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laubt und Leih- und Stammarbeitnehmer dort daher zu den im Wesentlichen gleichen Konditionen tätig sind.241 In Bezug auf das gesetzgeberische Interesse, dem Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung als Dauerlösung, der mit einer Ersetzung von Stammarbeitnehmern assoziiert ist, entgegenzuwirken, wird man dem sektoralen Verbot die Geeignetheit aber nicht völlig absprechen können. Gleiches gilt in Bezug auf die bezweckte Verbesserung der Einhaltung der arbeits- und arbeitsschutzrechtlichen Pflichten durch die Fleischindustrieunternehmen. (cc) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete Schutzmaßnahmen? Ferner muss das sektorale Verbot aber auch erforderlich sein. Zu untersuchen ist daher, ob mildere und zugleich gleich geeignete Mittel zur Verfügung stehen. Eine Beschränkung auf die Forcierung der Selbstregulierung der Branche wäre hinsichtlich der gesetzgeberischen Zwecke zunächst nicht von gleicher Geeignetheit gewesen. Dies hat zuletzt die „Selbstverpflichtung für attraktivere Arbeitsbedingungen“ in der Fleischbranche vom 21. September 2015242 illustriert, die nicht zu einer ernsthaften Verbesserung der Situation der dort beschäftigten Arbeitnehmer geführt hatte. Dass von derartigen Selbstverpflichtungen aber ohnehin kein nennenswertes Regulierungspotenzial auszugehen vermag, ist bereits dargetan worden (siehe oben S. 344 ff.). Eine gesetzgeberische Alternativentscheidung zur weitgehenden Zurückhaltung bezüglich der Regulierung der Fleischindustrie hätte sich hinsichtlich der genannten Schutzziele daher als Sackgasse erwiesen.243 Anders verhält es sich hinsichtlich der mit dem sektoralen Verbot verbundenen Zielvorstellung, dem Umstand zu begegnen, dass die Arbeitnehmerüberlassung in der Branche „entgegen ihrer zentralen Funktion (…) nicht nur zur Abdeckung von Auftragsspitzen und kurzfristigen Personalbedarfen“,244 sondern als aktive Nut241 Hierauf ebenfalls hinweisend: Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/ Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1165). Insofern kann es nur als gesetzgeberische Klarstellung verstanden werden, wenn in § 6a Abs. 3 Satz 4 Nr. 3 GSA Fleisch festgelegt wird, dass bei der dortigen tarifvertraglichen Abweichung ein Unterschreiten des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht möglich ist. Dilenge weist zudem darauf hin, dass die Leiharbeitnehmer in der Fleischindustrie sogar einen höheren Mindestlohn erhalten als die Stammbeschäftigten und daher vor Einführung des sektoralen Verbots diesbezüglich besser gestellt waren (vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 [2243]). 242 Insgesamt hatten 66 Unternehmen die Selbstverpflichtung bis Ende 2015 unterschrieben (vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 16). Der Text der Selbstverpflichtung ist abrufbar unter: standortoffensive-fleischwirtschaft-selbstverpflichtung-attraktive-arbeitsbedingungen.pdf (bmwi.de), zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Insbesondere verpflichtete man sich dazu, den „Anteil ihrer Stammbelegschaft zu erhöhen“ und dafür zu sorgen, „dass sich sämtliche in ihren Betrieben eingesetzte Beschäftigte in einem in Deutschland gemeldeten, sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis befinden“. 243 In diese Richtung i. E. auch: BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 42. 244 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 20.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

zungsstrategie eingesetzt wird. Hier hätte ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden. Wenn dem Gesetzgeber etwa die Überlassungshöchstdauer, die ebenfalls auf eine Zurückdrängung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ als reaktives Flexibilisierungsinstrument angelegt ist,245 zur Erreichung dieses Ziels nicht ausreichend erschien, hätten anderweitige Regulierungsoptionen abseits des scharfen Eingriffs durch das sektorale Verbot nahegelegen.246 Der Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung auf Dauerarbeitsplätzen in der Fleischindustrie, die typischerweise von Stammarbeitnehmern besetzt würden, hätte etwa konsequent verboten werden können, was der aktiven Stammarbeitnehmer ersetzenden Nutzungsstrategie einen Riegel vorgeschoben hätte.247 Gegenüber der mit dem sektoralen Verbot ergriffenen maximalen Eskalationsstufe des gesetzgeberischen Einschreitens wäre ein solches arbeitsplatzbezogenes Verbot ohne Zweifel milder gewesen, da es den Fleischindustrieunternehmen zumindest die Möglichkeit belassen hätte, von der Arbeitnehmerüberlassung zur reaktiven Flexibilitätssteigerung angesichts etwa kurzfristiger Personalbedarfe Gebrauch zu machen. In Bezug auf eine Verhinderung einer über diese Nutzungsform hinausgehenden Ingebrauchnahme der Arbeitnehmerüberlassung wäre diese Regelungsalternative auch gleich geeignet gewesen. Dem könnte einzig entgegengehalten werden, dass ein arbeitsplatzbezogenes Verbot des Leiharbeitnehmereinsatzes eine intensive Kontrolle benötigen würde. Einen erheblichen Kontrolldruck erfordert auch das sektorale Verbot aus § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch,248 sodass insofern kein nennenswerter Unterschied zwischen den Regelungsalternativen bestünde. Hinsichtlich des Ziels, einem überbordenden Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie entgegenzuwirken, ist das sektorale Verbot daher nicht erforderlich. An diesem Ergebnis würde sich selbst dann nichts ändern, wenn die in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch gewährte tarifvertragliche Abweichungsmöglichkeit dauerhaft Bestand hätte und daher – anders als hier – in die Betrachtung des sektoralen Verbots als den Grundrechtseingriff abmildernder Faktor mit einbezogen werden müsste. Schließlich ist es nicht ersichtlich, warum nicht tarifgebundenen Entleihunternehmen in der Fleischindustrie der Leiharbeitnehmereinsatz völlig verboten wird, wenn tarifgebundene Unternehmen daneben zumindest unter den in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch 245 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. Zur unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung der Überlassungshöchstdauer: S. 488 ff. 246 Vgl. hierzu auch die Gedanken bei: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/ Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Vorbemerkung zu § 1 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 11. 247 Zum Regulierungspotenzial dieser arbeitsplatzbezogenen Betrachtungsweise gegenüber der Überlassungshöchstdauer siehe im Rahmen der verfassungsrechtlichen Überprüfung der Überlassungshöchstdauer: S. 512 ff. In der Gesetzesbegründung wird demgegenüber lediglich auf eine Quotierung des Leiharbeitnehmeranteils als nicht gleich geeignetes Alternativmittel verwiesen (vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 42). Gerade diese sieht (der später eingefügte) § 6a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GSA Fleisch aber vor. 248 Insofern kritisiert Dilenge, dass die Unfähigkeit der staatlichen Kontrollinstitutionen, die bestehenden Regelungen durchzusetzen, durch das sektorale Verbot nicht behoben wird, da auch dieses erheblichem Kontrolldruck bedarf (vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 [2244]).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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geregelten verschärften Konditionen in begrenztem Maße zur Arbeitnehmerüberlassung greifen dürfen. Selbst wenn angenommen werden könnte, dass tarifgebundene Fleischindustrieunternehmen weniger häufig flächendeckend und in Stammarbeitnehmer ersetzender Weise (aktiv) Leiharbeitnehmer im Kernbereich der Fleischverarbeitung einsetzen und so weniger streng reguliert werden müssten – was nicht belegt und auch nicht plausibel ist249 –, ist nicht ersichtlich, warum den tarifungebundenen Unternehmen der Leiharbeitnehmereinsatz demgegenüber gänzlich versagt werden soll. Auch dann wäre die nächstlogische Regulierungsstufe in Bezug auf diese Unternehmen nicht das Verbot, sondern die weitergehende Einschränkung in Form der etwa oben vorgeschlagenen und differenzierteren Arbeitsplatzregelungen gewesen. Eine Einbeziehung der Regelung aus § 6a Abs. 3 GSA Fleisch vermag daher an der Einschätzung nichts zu ändern, dass mildere Mittel in Bezug auf die Ausrichtung des Leiharbeitnehmereinsatzes auf eine reaktive Nutzung in der Fleischindustrie zur Verfügung gestanden hätten. Im Gegenteil: Die Tatsache, dass der Gesetzgeber den Leiharbeitnehmereinsatz unter den in § 6a Abs. 3 GSA Fleisch aufgeführten engen Restriktionen250 in Bezug auf tarifvertraglich gebundene Fleischindustrieunternehmen offenbar für akzeptabel hält, veranschaulicht, dass andere in Bezug auf dieses Regulierungsziel gleich geeignete und mildere Restriktionsregelungen als das Verbot zur Verfügung gestanden hätten. Ebenso kritisch muss das sektorale Verbot in Bezug auf das Ziel, die Umgehung arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen durch die Industriebetriebe zu verhindern, gesehen werden. Diesbezüglich lässt sich dem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie das gleiche Argument entgegenbringen wie auch dem Verbot in der Bauwirtschaft (siehe oben S. 377 f.). Illegalen Fremdbeschäftigungen und Verstößen gegen etwa Arbeitszeit- und Arbeitsschutzregelungen ließe sich auch durch eine entsprechend intensive Kontrolle der Fleischindustriebetriebe begegnen.251 Die bereits bestehenden Regularien lassen sich verschärfen252 und die deren Einhaltung überprüfenden Kontrollen und Sanktionierungen intensi249

Vgl. auch den Gedanken bei: Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Vorbemerkung zu § 1 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 14 („Ein Schutz der Leiharbeitnehmer besteht auch ohne Tarifvertrag.“). Möglicherweise ergäbe sich in diesem Fall eine Ungleichbehandlung tarifgebundener gegenüber tarifungebundener Entleihunternehmen, die in Bezug auf Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftig wäre. 250 Diese umfassen etwa eine auf vier Monate verkürzte Überlassungshöchstdauer und einen verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatz. Siehe oben auf S. 381 f. 251 In diese Richtung: Bayreuther, NZA 2020, 773 (775); Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/Wank, NZA 2020, 1160 (1163 f.); Dilenge, DB 2020, 2241 (2244); Fuhlrott, ArbRAktuell 2020, 311 (313); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. Siehe auch die Forderung der Partei Die Linke, die eine Steigerung der Mindestbesichtigungsquote von 5 % der Betriebe auf 10 % und sodann eine kontinuierliche Steigerung anstrebten, da andernfalls ein Betrieb nur alle 20 Jahre kontrolliert werde. Der Antrag wurde abgelehnt (vgl. BT-Drs. 19/25141 v. 10. 12. 2020, S. 5, 20). 252 Vgl. hierzu weiterführend die Vorschläge bei: Bayreuther, NZA 2020, 773 (775).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

vieren.253 Die Gesetzesbegründung hält dem zwar entgegen, dass sich die Betriebe den entsprechenden Kontrollen der zuständigen Behörden hartnäckig entziehen würden und so eine „Verstärkung der Kontrollen allein (…) kein gleich geeignetes Mittel“ sei.254 Führt man sich die tatsächlichen Gegebenheiten in den Fleischindustriebetrieben allerdings vor Augen, wird klar, dass dies nur ein Verlegenheitsargument ist. Schließlich sind die Arbeitsplätze in der Fleischindustrie bereits aufgrund ihrer Standortgebundenheit um ein Vielfaches leichter zu kontrollieren als dies in der Bauwirtschaft aufgrund der – etwa aufgrund häufig wechselnder Baustellen – dort herrschenden Schnelllebigkeit der Fall ist (vgl. oben S. 371 f.).255 Wenn allerdings schon in Bezug auf das sektorale Verbot in der Bauwirtschaft nicht viel dafür spricht, dass eine Intensivierung der Kontrollen eine dem Verbot gleichkommende Verbesserung hinsichtlich der zu beklagenden Gesetzesverstöße besorgen könnte, so muss dies erst recht für die aus sich heraus bereits effektiver zu kontrollierende Fleischindustrie gelten. Insofern muss zunächst das Kontrollinstrumentarium hinsichtlich der beklagten Verstöße gegen arbeits- und arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen voll ausgeschöpft werden,256 bevor der Maximaleingriff in Form des sektoralen Verbots der Arbeitnehmerüberlassung berechtigterweise ergriffen werden kann. Hierüber kann auch die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative nicht hinweghelfen, stellt sich doch die Intensivierung der Kontrollen und ggf. die Verschärfung der etwa arbeitszeit- und arbeitsschutzrechtlichen Regelungen in der Fleischindustrie offenkundig als gleich geeignetes Mittel dar. Die Erforderlichkeit des Verbots muss daher angesichts des milderen und gleich geeigneten Mittels der Intensivierung und Ausweitung entsprechender Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Einhaltung arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Regelungen verneint werden. Selbst wenn man dies anders bewerten würde, wäre – parallel zum oben in Bezug auf das sektorale Verbot in der Bauwirtschaft Festgestellten – spätestens auf der Ebene der Angemessenheit zu konstatieren, dass das alleinige Interesse, die Umgehung arbeits- und arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften in der Branche zu verhindern, den Maximaleingriff des sektoralen Verbots nicht zu rechtfertigen vermag.

253

Vgl. Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/ Wank, NZA 2020, 1160 (1163 f.); Dilenge, DB 2020, 2241 (2244); Fuhlrott, ArbRAktuell 2020, 311 (313); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b; Thüsing, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, Vorbemerkung zu § 1 GSA Fleisch (Stand: 2023) Rn. 12. 254 Vgl. BT-Drs. 19/21978 v. 31. 8. 2020, S. 41. In diese Richtung auch: Däubler, Arbeitsrechtliche Probleme der Fleischindustrie, Gutachtliche Stellungnahme für DGB und NGG, 2020, S. 17; Deinert, Kurzgutachten: Womit kann man begründen, dass Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung nur in der Fleischindustrie verboten werden können?, 2020, S. 11, abrufbar unter: https://www.mags.nrw/sites/default/files/asset/document/20200715_gutachten_ deinert_werkvertraege_fleischindustrie.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 255 Vgl. Boemke/Düwell/Greiner/Hamann/Kalb/Kock/Mengel/Motz/Schüren/Thüsing/ Wank, NZA 2020, 1160 (1164); Dilenge, DB 2020, 2241 (2243). 256 Dies fordernd: Bayreuther, NZA 2020, 773 (776); Dilenge, DB 2020, 2241 (2244).

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(c) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit Art. 12 Abs. 1 GG Das sektorale Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie aus § 6a Abs. 2 Satz 3 GSA Fleisch ist daher mit der Berufsfreiheit der betroffenen Verleih- und Entleihunternehmen und der entsprechenden Leiharbeitnehmer nicht zu vereinbaren. Zwar sind die gesetzlichen Ziele legitim und von hohem Rang. Allerdings ist das Verbot weder in Bezug auf den bezweckten Gesundheitsschutz im Rahmen der COVID-19-Pandemie der richtige gesetzgeberische Ansatzpunkt, noch stellt es das verfassungsrechtlich zulässige Mittel hinsichtlich der Verhinderung eines breiten Einsatzes der Arbeitnehmerüberlassung in Form von Stammarbeitnehmer ersetzenden Dauerlösungen und der Bekämpfung der Umgehung arbeitsund arbeitsschutzrechtlicher Regelungen dar. Im Ergebnis kann dem Gesetzgeber hier zurecht vorgeworfen werden, angesichts der breiten negativen Medienberichterstattung über die Zustände in der Fleischindustrie anlässlich der COVID-19Pandemie einem gewissen Aktionismus257 anheimgefallen zu sein und – unzulässigerweise – zur großen symbolträchtigen Geste gegriffen zu haben. Der Lösung der tatsächlichen Probleme in der Fleischindustrie – namentlich die ohne Zweifel zum Teil zu beobachtenden unangemessenen Arbeitsbedingungen und der fehlende Arbeitsschutz – ist der Gesetzgeber mit dem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischwirtschaft nicht nähergekommen. Der sachlich richtige und verfassungsrechtlich zulässige Ansatzpunkt wäre es demgegenüber gewesen, die bestehenden Regularien zu verschärfen bzw. diese unter einer etwaigen Aufstockung des Personals in den zuständigen Behörden deutlich intensiver zu kontrollieren, um so den Missständen in der Fleischindustrie tatsächlich Herr zu werden. (2) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG Daneben kommt auch ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG in Betracht. Parallel zu dem oben in Bezug auf das Verbot in der Bauwirtschaft Gesagten (siehe oben S. 380) ergibt sich auch hier eine entsprechende Ungleichbehandlung aus der Tatsache, dass das Verbot Entleihbetriebe in der Fleischwirtschaft und die entsprechenden in die Fleischindustrie entleihenden Verleihbetriebe inklusive der dort tätigen Leiharbeitnehmer erfasst, während Betriebe und Leiharbeitnehmer anderer Branchen sowie Betriebe des Fleischerhandwerks, die unter die Privilegierung aus § 2 Abs. 2 GSA Fleisch fallen, von dem Verbot unberührt sind.258 Erneut ergibt sich, dass die von Seiten des Gesetzgebers angeführten Rechtfertigungsgründe der verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht standhalten können. Zwar ist es denkbar, dass etwa kleinere Betriebe des Fleischerhandwerks, die gem. § 2 Abs. 2 GSA Fleisch von dem Verbot ausgenommen 257

Vgl. Dilenge, DB 2020, 2241 (2241). Daneben ergibt sich potenziell in Bezug auf § 6a Abs. 3 GSA Fleisch eine Ungleichbehandlung tarifgebundener gegenüber tarifungebundener Entleihunternehmen. Ob die Tarifbindung allerdings ein sachliches Differenzierungskriterium ist, das die entsprechenden gesetzlichen Zwecke fördert, darf bezweifelt werden. 258

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sind, hinsichtlich illegaler Fremdbeschäftigungen und der Umgehung arbeitszeitund arbeitsschutzrechtlicher Regelungen leichter zu kontrollieren sind259 und die Privilegierung daher insofern einem sachlichen Differenzierungskriterium Rechnung trägt. Allein dies rechtfertigt aber noch nicht die mit dem Verbot einhergehende Ungleichbehandlung, ist doch das Verbot – wie gesehen – nicht das verhältnismäßige Mittel, um den gesetzgeberischen Erwägungen hier in verfassungsrechtlich zulässiger Art und Weise Rechnung zu tragen. Das gleiche gilt für die Ungleichbehandlung der Fleischindustrieunternehmen, der diese bedienenden Verleihunternehmen und der entsprechenden Leiharbeitnehmer gegenüber den entsprechenden Gruppen übriger Branchen. Selbst wenn man in den Eigenarten der Fleischindustrie ein sachliches Differenzierungskriterium erkennt, rechtfertigt auch dies nicht den Maximaleingriff. Das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie ist daher auch nicht mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu vereinbaren. c) Verbot in der Pflegebranche: de lege ferenda? Diskutiert wird in jüngster Zeit auch vermehrt darüber, die Arbeitnehmerüberlassung in der Pflegebranche zu verbieten.260 Zuletzt hatte das Land Berlin dem Bundesrat angetragen, dahingehend auf den Bundesgesetzgeber einzuwirken, dass „rechtlich zulässige Regelungen zur Unterbindung der Leiharbeit im Pflegebereich“ etwa im AÜG oder im SGB V und SGB XI erarbeitet und umgesetzt werden.261 Der sachliche Hintergrund dieser Bemühungen ist derjenige, dass es in der Kranken- und Altenpflege aufgrund des sich in der Branche verschärfenden Fachkräftemangels mitunter zu der Situation kommt,262 dass Pflegeeinrichtungen auf den Einsatz von Leiharbeitnehmern zwingend angewiesen sind, da sie in jedem Fall verpflichtet sind, ihren Personalbedarf zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Abläufe zu decken.263 Aus diesem Umstand folge zum Teil, dass die Verleihunternehmen aufgrund der vom grassierenden Fachkräftemangel geprägten Marktsituation bei den jeweiligen Be259 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages v. 17. 6. 2020, WD 6 – 3000 – 053/20, S. 19 f. 260 Siehe etwa die in diese Richtung zielenden Bemühungen des Landes Berlin vor dem Bundesrat: BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020. Vgl. hierzu: Sell, Kommt das Verbot der Leiharbeit in der Pflege? Und warum jetzt?, abrufbar unter: https://efarbeitsrecht.net/kommt-das-verbotder-leiharbeit-in-der-pflege-und-warum-jetzt/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Eine erste Einschätzung aus der Kommentarliteratur findet sich bei: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. 261 Vgl. BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020, S. 4. 262 Zum Fachkräftemangel in der Kranken- und Altenpflege: Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, Mai 2022, S. 14 ff., abrufbar unter: https://statistik.ar beitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Berufe/Generische-Publi kationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFile&v=13, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 263 Vgl. hierzu: Sell, Kommt das Verbot der Leiharbeit in der Pflege? Und warum jetzt?, abrufbar unter: https://efarbeitsrecht.net/kommt-das-verbot-der-leiharbeit-in-der-pflege-undwarum-jetzt/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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trieben deutlich höhere Überlassungsentgelte abrufen können,264 als dies in anderen Branchen üblicherweise der Fall sei. Gleichzeitig befänden sich die als Leiharbeitnehmer tätigen Pflegekräfte in einer gegenüber den dortigen Stammarbeitnehmern vorteilhaften Stellung, da sie diesen gegenüber zum Teil höhere Löhne erhielten und gegenüber ihrem Arbeitgeber häufig mehr Mitspracherechte hinsichtlich der Auswahl der Arbeitsschichten hätten.265 Im Ergebnis seien die Leiharbeitskräfte in der Pflege gegenüber dem dortigen Stammpersonal – die in Folge eines Leiharbeitnehmereinsatzes im Betrieb oftmals unbeliebte Arbeitsschichten übernehmen müssten – hinsichtlich der Entgelte und der Arbeitsbedingungen privilegiert, während die entleihenden Betriebe zur Deckung ihres Personalbedarfs zum Teil hohe Kosten aufwenden müssten.266 Angesichts dieser zu beobachtenden Umstände leitet das Land Berlin in seinem Antrag gegenüber dem Bundestag daher her, dass ein „generelles Unterbinden der Zeitarbeit in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern“ qua gesetzlicher Regelung – mit anderen Worten: ein gesetzliches Verbot – erforderlich sei.267

264

Diesem Umstand ist der Gesetzgeber allerdings mit der durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) zum 1. 1. 2020 eingefügten Regelung in § 6a Abs. 2 Satz 9 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) bereits entgegengetreten. Hiernach darf der Teil der Vergütungen von Leiharbeitnehmern, der über das tarifvertraglich vereinbarte Arbeitsentgelt für das Pflegepersonal mit direktem Arbeitsverhältnis mit dem Krankenhaus hinausgeht, im Pflegebudget nicht mehr berücksichtigt werden. Dies führt dazu, dass die betroffenen Einrichtungen die – allein schon in Folge des Vermittlungsentgelts – höheren Kosten für den Leiharbeitnehmereinsatz querfinanzieren müssen. Hiermit wird zum einen darauf hingewirkt, dass die Vergütung der Leiharbeitnehmer in der Pflege nicht überproportional ansteigt und die Einrichtungen auch aus finanziellen Gründen nur begrenzt zum Leiharbeitseinsatz greifen können (vgl. hierzu auch: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/ Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG [Stand: 2023] Rn. 16b). Die Arbeitnehmerüberlassung hat sich aber trotz dieses Regulierungsschritts in der Pflegebranche mit einem durchschnittlichen Beschäftigungsanteil von ca. 2 % etabliert (so die jüngste Einschätzung bei: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 12 f., abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themenim-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Ent wicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). 265 Vgl. Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarktsituation im Pflegebereich, Mai 2022, S. 11, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/The men-im-Fokus/Berufe/Generische-Publikationen/Altenpflege.pdf?__blob=publicationFi le&v=13, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Zu Erfahrungen aus der Praxis: „Pflegekräfte fliehen in die Leiharbeit“, Süddeutsche Zeitung 22. 5. 2018, abrufbar unter: https://www.sued deutsche.de/wirtschaft/pflegepersonal-letzter-ausweg-leiharbeit-1.3987460, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 266 Siehe hierzu die Darstellung bei: Sell, Kommt das Verbot der Leiharbeit in der Pflege? Und warum jetzt?, abrufbar unter: https://efarbeitsrecht.net/kommt-das-verbot-der-leiharbeitin-der-pflege-und-warum-jetzt/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Vgl. auch: BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020, S. 1. Siehe zugleich aber erneut § 6a Abs. 2 Satz 9 KHEntgG, der einem solchen Kostenanstieg entgegenwirkt. 267 Vgl. BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020, S. 2.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Ein solches Verbot müsste allerdings, wie die Ausführungen zu den soeben diskutierten sektoralen Verboten in der Bauwirtschaft und Fleischindustrie gezeigt haben, mit der Berufsfreiheit der betroffenen Entleih- und Verleihbetriebe und vor allem der Berufsfreiheit der in der Arbeitnehmerüberlassung tätigen Pflegekräfte aus Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar sein und darüber hinaus in Einklang mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG stehen.268 Insbesondere für die genannten Leiharbeitnehmer würde ein Verbot des Einsatzes in der Pflegebranche einen erheblichen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit darstellen. Schließlich sind die Arbeitsbedingungen – insbesondere hinsichtlich der belastenden Arbeitsschichtenmodelle – in der Arbeitnehmerüberlassung im Bereich der Pflege offenbar vorteilhafter, und auch das Arbeitsentgelt ist häufig ein höheres. Insofern haben die entsprechenden Pflegekräfte ein erhebliches Interesse daran, die Pflegetätigkeit in Form der Arbeitnehmerüberlassung auszuüben. In der Folge wäre in einem entsprechenden sektoralen Verbot mindestens eine intensiv eingreifende Berufsausübungsregelung zu sehen, die einem Eingriff in die Berufswahlfreiheit nahekäme. Ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege wäre daher nur über ein wichtiges Gemeinwohlinteresse zu rechtfertigen. Der oben angeführte Vorstoß des Landes Berlin führt zur Rechtfertigung eines möglichen Verbotes vor allem den genannten Umstand an, dass der zunehmende Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege und die tendenzielle Abwanderung der Pflegekräfte in Leiharbeitsverhältnisse die Stammbeschäftigten in der Branche belaste. Diese müssten unliebsame Schichten übernehmen und hohe Arbeitsbelastungen ertragen.269 Hinzu käme, dass diese höhere Belastung der Stammarbeitskräfte in Kombination mit der Tatsache, dass Leiharbeitskräfte oftmals weniger gut eingearbeitet seien, letztlich das Patientenwohl gefährde.270 Einer zu beobachtenden Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die Stammbelegschaften und einer Gefährdung der Versorgung der Patienten in der Pflege zu begegnen, wäre ohne Zweifel ein gesetzgeberischer Gemeinwohlbelang von ausreichender Wichtigkeit und käme daher grundsätzlich zur Rechtfertigung des entsprechenden Grundrechtseingriffs in Frage. Zum Teil wird hinter den Bemühungen um ein sektorales Verbot in der Pflege aber auch ein anderes Motiv erkannt. So ist nicht von der Hand zu weisen, dass ein entsprechendes Verbot in allererster Linie den potenziellen Entleihbetrieben dienen würde, die sich – wie gesehen – aufgrund der spezifischen Arbeitsmarktsituation in der Pflege in einer Unterlegenheitsposition befinden. Wäre der Leiharbeitnehmereinsatz in der Pflege verboten, wären weder Abwanderungsprozesse der Pflegekräfte zu befürchten, noch wären die entleihenden Betriebe darauf angewiesen, ihren

268 Ein etwaiges Verbot für verfassungswidrig haltend: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b. 269 Vgl. BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020, S. 2 f. 270 Vgl. BR-Drs. 103/20 v. 28. 2. 2020, S. 2 f.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Personalbedarf zu hohen Kosten271 mit Leiharbeitnehmern zu decken.272 Der mit einem sektoralen Verbot einhergehende massive Eingriff in die Berufsfreiheit der Betroffenen wäre über ein derartiges Partikularinteresse der Arbeitgeberseite – der für sich betrachtet nur schwerlich als wichtiger Gemeinwohlbelang identifiziert werden kann – kaum zu rechtfertigen. Anders wäre es zu bewerten, wenn mit einem sektoralen Verbot in der Pflegebranche eine Verbesserung der dortigen Arbeitsbedingungen verfolgt würde. Der Schutz der Arbeitnehmerinteressen ließe sich auch hinsichtlich des hier in Rede stehenden Themenfelds grundsätzlich sozialstaatlich aufladen (siehe hierzu S. 333 ff.), sodass ein entsprechender gewichtiger Gemeinwohlbelang zur Verfügung stünde. Allerdings wäre dann fraglich, ob das Verbot überhaupt geeignet wäre, die Arbeitsbedingungen in der Pflege ernsthaft zu verbessern. Letztlich würde das Verbot hinsichtlich der Verbesserung der Arbeitsbedingungen schließlich nur ein Nullsummenspiel darstellen. Die bisher für die als Leiharbeitnehmer tätigen Pflegekräfte verbesserten Arbeitsbedingungen würden – sofern diese als Stammarbeitskräfte in die Betriebe zurückkehren – wieder verschlechtert werden, während sich die Bedingungen für die bisherigen Stammarbeitskräfte voraussichtlich wieder verbessern könnten. Die in der Branche insgesamt zu beklagenden belastenden Arbeitsbedingungen wären damit aber insgesamt nicht adressiert. Übrig bliebe daher nur das gesetzgeberische Interesse, mit einem sektoralen Verbot der behaupteten Gefährdung des Patientenwohls beizukommen. Der diesbezüglich vorgebrachte Einwand, dass Leiharbeitskräfte in der Tendenz schlechter eingearbeitet seien, ist zwar nicht grundsätzlich von der Hand zu weisen. Fraglich wäre aber, ob mit einer generellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Entgelte nicht ein gegenüber dem Verbot erheblich milderes und gleichsam geeignetes Mittel zur Verfügung stünde, das geeignet wäre, den Pflegeberuf attraktiver zu machen und den Abwanderungsprozessen in die Arbeitnehmerüberlassung das Wasser abzugraben. Ginge der Gesetzgeber diesen Alternativweg, könnte sich das betriebliche Erfordernis, überhaupt zum Leiharbeitnehmereinsatz greifen zu müssen, womöglich weitestgehend erledigen. Stellt man all dies in Rechnung, wird klar, dass ein sektorales Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege erheblichen verfassungsrechtlichen Zweifeln 271

Diesem Umstand wirkt bereits der oben erwähnte § 6a Abs. 2 Satz 9 KHEntgG entgegen. Gleichwohl hat sich die Leiharbeit in der Pflegebranche etabliert (vgl. Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 12 f., abrufbar unter: https://sta tistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generi sche-Publikation/Arbeitsmarkt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=pu blicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023), sodass gewisse Abwanderungsprozesse in die Arbeitnehmerüberlassung und höhere Kosten für die betroffenen Einrichtungen gleichwohl zu konstatieren bleiben. 272 Vgl. Sell, Kommt das Verbot der Leiharbeit in der Pflege? Und warum jetzt?, abrufbar unter: https://efarbeitsrecht.net/kommt-das-verbot-der-leiharbeit-in-der-pflege-und-warumjetzt/, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

begegnen würde. Letztlich würde ein solches Verbot nur die Symptome eines Fachkräftemangels in der Pflegebranche bekämpfen, ohne deren Ursachen zu adressieren.273 Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege und eine mit der Entlastung der stark geforderten Pflegekräfte einhergehende Verbesserung des Patientenwohls lässt sich mit dem Verbot demgegenüber nicht erreichen. 7. Zwischenergebnis zu den öffentlich-rechtlichen Regulierungsentscheidungen Der administrative Überbau der Arbeitnehmerüberlassung in Gestalt der öffentlich-rechtlichen Kontrollinstrumentarien ist in seiner Gesamtheit weder unionsnoch verfassungsrechtlich zu beanstanden. Hier wird ein durchgängig schlüssiges Regelungskonzept verfolgt, das vor allem darauf ausgerichtet ist, die Leiharbeitnehmerschaft vor unzuverlässigen Verleihern zu schützen. Damit fügen sich die diesbezüglichen Regelungsentscheidungen in den sozialstaatlich motivierten Schutzauftrag zugunsten der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerseite ein. Anders zu beurteilen sind demgegenüber die erläuterten sektoralen Verbote. Bereits das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft muss (mittlerweile) verfassungsrechtlich kritisch beurteilt werden. Im Ergebnis kann hier der Maximaleingriff des Verbots den Rechtfertigungsanforderungen nicht standhalten. Gleiches gilt für das Verbot des Leiharbeitnehmereinsatzes in der Fleischindustrie. Auch dieses ist verfassungsrechtlich nicht haltbar und geht an den Missständen in der Branche vorbei. Aus ähnlichen Gründen wäre auch ein Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflegebranche verfassungswidrig. Dem Gesetzgeber ist hinsichtlich dieser schweren Grundrechtseingriffe insgesamt zu gesetzgeberischer Zurückhaltung hinsichtlich der ultima ratio des Verbots zu raten.

II. Arbeitsrechtliche Regulierungsentscheidungen: Leiharbeitsvertrag, Überlassungsvertrag und die Regulierung der Arbeitsbedingungen Die im Folgenden zu betrachtende arbeitsrechtliche Regulierungsschicht des AÜG beinhaltet wesentliche und umstrittene Regelungen in Bezug auf die privatrechtlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten. Dies bezieht sich maßgeblich auf die im Zuge der letztmaligen Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingeführten Neuregelungen. Die Diskussion um die unionsrechtliche und grundgesetzliche Zulässigkeit der einzelnen Regulierungsentscheidungen reicht jedoch deutlich 273 Eindringlich in diese Richtung: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 16b („Ein bloßes Herumdoktern an Symptomen stellt jedoch kein geeignetes Mittel dar, diese Arbeitsbedingungen zu verbessern, und wäre damit verfassungsrechtlich unverhältnismäßig.“).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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weiter zurück als diese Novellierung und bezieht sich auf zahlreiche weitere Einzelregelungen des AÜG. Die wesentlichen Weichenstellungen arbeitsrechtlicher Natur werden im Folgenden daher im Lichte der im vorherigen Kapitel dargelegten unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten untersucht.274 1. Lohnuntergrenze Eine dieser wesentlichen Regulierungsentscheidungen ist in der in § 3a AÜG niedergelegten Möglichkeit der Festlegung einer Lohnuntergrenze zu erblicken. Hiernach können gem. § 3a Abs. 1 Satz 1 AÜG „Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern, die zumindest auch für ihre jeweiligen in der Arbeitnehmerüberlassung tätigen Mitglieder zuständig sind“, in dem Fall, in dem sich diese bundesweit auf „tarifliche Mindeststundenentgelte im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung“ geeinigt haben, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales diese Mindeststundenentgelte gemeinsam zur verbindlichen Festsetzung als Lohnuntergrenze qua Rechtsverordnung vorschlagen. Das hierin niedergelegte Verfahren ist bereits mehrfach zur Anwendung gekommen.275 In den auf die genannte Formulierung folgenden Absätzen (§ 3a Abs. 2 – 6 AÜG) wird es näher ausdifferenziert. In der Sache führt die Festlegung eines entsprechenden tarifvertraglich ausgehandelten Mindestlohns durch eine Rechtsverordnung dazu, dass die so eingeführte Lohnuntergrenze flächendeckend für alle in Deutschland eingesetzten Leiharbeitnehmer gilt und von ihr auch nicht tarifvertraglich abgewichen werden kann.276 Im Ergebnis entsteht für die Branche hinsichtlich des Arbeitsentgelts in diesem Fall ein Korridor zwischen einerseits der Lohnuntergrenze und andererseits dem Gleichbehandlungsgrundsatz – von dem hingegen durch Tarifvertrag gem. § 8 Abs. 2 Sätze 2 und 4, Abs. 5 AÜG explizit bis zur Grenze des festgelegten Mindestentgelts abgewichen werden kann. An die Festlegung einer Lohnuntergrenze qua Rechtsverordnung sind darüber hinaus in § 17c AÜG zur effektiveren Kontrolle derselben Do274 Eine eigene unions- und verfassungsrechtliche Überprüfung des Verbotes des Kettenverleihs aus § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG, das im Zuge der Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingeführt wurde, soll dabei unterbleiben. Der hierin allenfalls zu erblickende geringfügige Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Verleihunternehmen ist schon deshalb gerechtfertigt, weil durch die Zwischenschaltung weiterer Verleiher im Ernstfall ein Unterlaufen des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu befürchten wäre. Vgl. insofern in der Literatur einzig auf die verfassungsrechtlichen Implikationen des Kettenverleihs eingehend: Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 18. 275 Die erste Rechtsverordnung dieser Art war die Erste Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit v. 21. 12. 2011 mit einem Mindeststundenentgelt von 7,89 E in Westdeutschland und von 7,01 E in Ostdeutschland (BAnz. 2011 Nr. 195 S. 4608). Die aktuelle (vierte) Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit v. 20. 8. 2020 sieht für die Zeit vom 1. 4. 2021 bis zum 31. 3. 2022 eine bundeseinheitliche Lohnuntergrenze von 10,45 E und für die Zeit vom 1. 4. 2022 bis zum 31. 12. 2022 von 10,88 E vor (BAnz. AT 31. 8. 2020 V 1). 276 Vgl. Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 3.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

kumentations- und Berichtspflichten niedergelegt, die der Sache nach dem oben erläuterten Überwachungsinstrumentarium (hierzu S. 362 ff.) zuzuordnen sind. Daneben findet sich in § 16 Abs. 1 Nr. 7b AÜG ein korrespondierender Ordnungswidrigkeitentatbestand (vgl. S. 365 f.).277 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Die Zulässigkeit der in § 3a AÜG niedergelegten Möglichkeit der Festlegung einer Lohnuntergrenze wird zum Teil aufgrund einer angenommenen Unvereinbarkeit derselben mit unionsrechtlichen Vorgaben bezweifelt.278 Sofern hierbei ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie moniert wird,279 kann dem aufgrund des hier zugrunde gelegten Normverständnisses dieser Richtlinienbestimmung (siehe oben S. 163 ff.) nicht gefolgt werden. Auch im Übrigen – abseits von Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG – ist die Einführung einer Lohnuntergrenze nicht durch die Leiharbeitsrichtlinie determiniert.280 Eine weitergehende Analyse verdient aber die Kritik hinsichtlich der Vereinbarkeit der Norm mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AEUV.281 Dass § 3a AÜG hinsichtlich der den freien Binnenmarkt adressierenden Dienstleistungsfreiheit (vgl. hierzu S. 206 f.) Konfliktpotenzial bietet, liegt bereits aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm auf der Hand. Zwar dient § 3a AÜG – wie es aus den Gesetzgebungsmaterialien hervorgeht –vordergründig der Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer, der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der finanziellen Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung.282 Allerdings war zur Einführung der Norm auch gerade das national-volkswirtschaftliche Interesse maßgeblich, einen Unterbietungswettbewerb zwischen ausländischen und inländischen Verleihunternehmen in Anbetracht der Tatsache, dass zum 1. Mai 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der Europäischen Union hergestellt wurde,283 zu verhindern – 277

Die unions- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser an § 3a AÜG anknüpfenden Regelungsentscheidungen hängt allerdings im Wesentlichen von der Zulässigkeit der Lohnuntergrenze selbst ab und bedarf daher keiner eigenständigen Betrachtung. 278 In der Norm einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG erblickend: Rieble/ Vielmeier, EuZA 2011, 474 (503). An der Vereinbarkeit der Norm mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV zweifelnd: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 33 ff., 38. 279 So bei: Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (503). 280 Allenfalls steht sie insofern mit der Richtlinie in Verbindung, als dass eine Lohnuntergrenze den laut Art. 5 Abs. 1, 3 RL 2008/104/EG zu achtenden „Gesamtschutz“ der Leiharbeitnehmer (mit-)gewährleistet und so die negativen Folgen einer tarifvertraglichen Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz für die Leiharbeitnehmerschaft zumindest teilweise kompensiert. Dies deckt sich allerdings nicht mit der Interpretation des „Gesamtschutzes“ durch den EuGH (vgl. hierzu S. 171 ff.). 281 Vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 33 ff., 38. 282 Vgl. BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 15. 283 Vgl. BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 13 f.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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weswegen die Regelung auch gerade am 30. April 2011 in Kraft trat. Die Einführung der Norm zielte ursprünglich also explizit darauf ab, diejenigen ausländischen Verleihunternehmen, die ihren Leiharbeitnehmern ein deutlich geringeres Lohnniveau gewährten, als dies im inländischen Durchschnitt der Fall war und die demgemäß auch attraktivere Verleihgebühren veranschlagen konnten, daran zu hindern, ungehindert den inländischen Markt zu erschließen und damit insgesamt eine Verdrängung inländischer Verleihunternehmen und eine Absenkung des Lohnniveaus herbeizuführen. Hierin ist ohne Zweifel eine Beeinträchtigung der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung zu erblicken – ggf. ist gar die Grenze zu einer indirekten Diskriminierung überschritten.284 In der Tat belastet die Norm in erster Linie ausländische Verleihunternehmen,285 indem diesen ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil genommen wird und sie demgemäß vom Markteintritt abgehalten werden können. Zu rechtfertigen ist diese Beeinträchtigung – bzw. Diskriminierung – nur über ein zwingendes Allgemeininteresse unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Um solch ein Allgemeininteresse handelt es sich jedenfalls nicht bei der ursprünglichen gesetzgeberischen Motivation, mit der Norm darauf abzuzielen, inländische Verleihunternehmen vor einem Verdrängungswettbewerb zu schützen – was indes auch heute noch eine tatsächliche Auswirkung der Norm darstellt.286 Der Schutz einzelner (inländischer) Marktteilnehmer ist als reines Partikularinteresse nicht geeignet, die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit ausländischer Dienstleistungserbringer zu rechtfertigen.287 Anders ist es zu beurteilen, wenn man die der Einführung von § 3a AÜG zugrunde liegende Anlasssituation so deutet, dass der deutsche Gesetzgeber einen unlauteren Wettbewerb zu verhindern suchte, da dieser

284

Einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit – in Form einer sonstigen Beeinträchtigung, die die grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung weniger attraktiv macht – schon deswegen annehmend, weil die Lohnuntergrenze einen administrativen Mehraufwand für ausländische Dienstleistungserbringer nach sich zieht: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 17. Demgegenüber eher in Richtung einer indirekten Diskriminierung argumentierend: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 34. Einer genauen Differenzierung bedarf es nicht, da an beide Beeinträchtigungsmodalitäten die gleichen Rechtfertigungsanforderungen zu stellen sind (vgl. S. 206 f.). 285 Vgl. etwa: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 34 („unterschiedslos für In- und Ausländer geltende Maßnahme, die jedoch faktisch fast ausnahmslos ausländische Verleiher belastet“). 286 Marseaut führt allerdings an, dass der befürchtete Unterbietungswettbewerb nach Einführung von § 3a AÜG zunächst ausblieb, obwohl noch keine Lohnuntergrenze festgelegt war (vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 27). Das steht aber der gesetzgeberischen Erwägung nicht per se entgegen, da diese Entwicklungen mit der Zeit ggf. noch eingetreten wären, wenn keine Lohnuntergrenze festgelegt worden wäre. 287 Vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001 – C-49/98 u. a., NZA 2001, 1377 (1379, Rn. 37 ff.). So auch die Wertung bei: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 35; Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 17.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

im Ergebnis die soziale Stellung der Leiharbeitnehmer bedrohte.288 Hierauf deutet jedenfalls hin, dass die Lohnuntergrenze gemäß der Gesetzesbegründung in erster Linie dem Schutz der Leiharbeitnehmer diente, indem dem (befürchteten) scharfen Wettbewerb in der Verleihbranche ein angemessenes Lohnniveau entgegengestellt wurde.289 Dass es sich bei dieser Erwägung des (Leih-)Arbeitnehmerschutzes um ein zur Rechtfertigung taugliches Allgemeininteresse handelt, hat der EuGH mehrfach bestätigt.290 Daneben ist auch das mit der Einführung einer Lohnuntergrenze verbundene Interesse, die finanzielle Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung zu gewährleisten sowie einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten, nicht zu beanstanden. Die in § 3a AÜG niedergelegte Regulierungsentscheidung verwirklicht daher ein entsprechendes Allgemeininteresse. Darüber hinaus muss sie aber auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen. Hinsichtlich des in Bezug auf die hier in Rede stehende Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit einschlägigen Regulierungsziels – einen aufgrund der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit zu befürchtenden Unterbietungswettbewerb zu verhindern, der zulasten der Leiharbeitnehmerschaft unter Absenkung des Lohnniveaus geführt wird – ist die Möglichkeit der Einführung einer Lohnuntergrenze zunächst förderlich und daher geeignet.291 Darüber hinaus muss sie aber auch erforderlich sein. Teils wird diesbezüglich kritisiert, dass dem Gesetzgeber dahingehend ein milderes Mittel zur Verfügung gestanden hätte, ausländischen Verleihunternehmen per Weisung der Bundesagentur für Arbeit zu ermöglichen, inländische Tarifverträge, die bereits eine Lohnuntergrenze vorsehen, in Bezug zu nehmen.292 Dies verkennt jedoch, dass es zuweilen gerade das maßgebliche Alleinstellungsmerkmal ausländischer Verleihunternehmen ist, auf dem inländischen 288 Auf den Schutz vor unlauterem Wettbewerb rekurrierend: Marseaut, in: Boemke/ Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 37. 289 Vgl. BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 15. 290 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.12.1981 – 279/80, NJW 1982, 1203 (1204); Urt. v. 23.11.1999 – C-369/96 u. a., NZA 2000, 85 (87); Urt. v. 15.3.2001 – C-165/98, NZA 2001, 554 (555); Urt. v. 25.10.2001 – C-49/98 u. a., NZA 2001, 1377 (1379); Urt. v. 24.1.2002 – C-164/99, NZA 2002, 207 (208); Urt. v. 18.12.2007 – C-341/05, NZA 2008, 159 (166); Urt. v. 18.9.2014 – C549/13, NZA 2014, 1129 (1130). Hierauf hinweisend: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 17. 291 Dem lässt sich auch nicht entgegenhalten, dass diese gesetzgeberischen Ziele bereits vollständig durch den allgemeinen Mindestlohn aus § 1 Abs. 1 MiLoG erreicht werden, da die Lohnuntergrenze höher liegt (dazu sogleich) und daher geeignet ist, die spezifischen Mehrbelastungen in der Arbeitnehmerüberlassung (siehe oben zusammenfassend S. 131 ff.) – teilweise – zu kompensieren. 292 Vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 36. Dies unter Verweis auf Thüsing/Lembke, ZfA 2007, 87 (97 f.), die dafür eintraten, ausländischen Verleihunternehmen eine Inbezugnahme inländischer, vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichender Tarifverträge, zu ermöglichen. Eine solche Weisung erfolgte erstmalig 2012; die entsprechende Möglichkeit zur Inbezugnahme ist in der aktuellen Fachlichen Weisung der Bundesagentur für Arbeit zum AÜG enthalten, dort Ziff. 8.5 Nr. 10, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur. de/datei/fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Verleihmarkt – aufgrund eines niedrigeren Lohnniveaus der beschäftigten Leiharbeitskräfte – Überlassungen unterhalb des durchschnittlichen inländischen Preisniveaus anbieten zu können. Ein veritables Interesse, entsprechende tarifvertragliche Bestimmungen, die eine Lohnuntergrenze vorsehen, in Bezug zu nehmen, besteht hier daher nicht – ganz im Gegensatz zur Inbezugnahme inländischer Tarifverträge, die vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen. Hierin kann also kein gegenüber der Festsetzung einer Lohnuntergrenze qua Rechtsverordnung gleich effektives Mittel gesehen werden. Letztlich muss § 3a AÜG auch angemessen sein. Diesbezüglich ist in Rechnung zu stellen, dass bereits aus der Art des gewählten Verfahrens, bei dem die Sozialpartner die festzusetzende Lohnuntergrenze vorschlagen, keine der Höhe nach die Arbeitgeberseite stark belastende Lohnuntergrenze resultiert und der entsprechende Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit ausländischer Verleihunternehmen daher nicht übermäßig schwer wiegt.293 Dies gilt erst recht, seitdem zum 1. Januar 2015 mit § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG) ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wurde,294 zu dem ausgehend von der in der Arbeitnehmerüberlassung geltenden Lohnuntergrenze keine große Differenz besteht.295 Den allgemeinen Mindestlohn müssen aber auch ausländische Verleihunternehmen in jedem Fall gewähren,296 sodass jedenfalls seit Einführung des allgemeinen Mindestlohns von der Lohnuntergrenze unter Berücksichtigung der bereits vom allgemeinen Mindestlohn ausgehenden Restriktionen keine eklatante Mehrbelastung ausländischer Dienstleistungserbringer ausgeht. Dem daher mit der Lohnuntergrenze einhergehenden wenig schwerwiegenden Eingriff stehen mit den genannten Interessen aber gewichtige Allgemeininteressen gegenüber, die die Lohnuntergrenze insgesamt angemessen erscheinen lassen. Mit dem Unionsrecht ist § 3a AÜG daher vereinbar.

293

Vgl. auch: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 17. BGBl. I S. 1348. 295 Vom 1. 4. 2021 bis zum 31. 3. 2022 gilt gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 Vierte Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung eine bundeseinheitliche Lohnuntergrenze von 10,45 E, während der allgemeine Mindestlohn gem. § 1 Dritte Mindestlohnanpassungsverordnung vom 1. 4. 2022 bis zum 31. 6. 2022 9,82 E und ab dem 1. 7. 2022 10,45 E beträgt. 296 Gem. § 1 Abs. 3 MiLoG gilt der allgemeine Mindestlohn der Höhe nach auch in der Arbeitnehmerüberlassung, sobald die branchenspezifische Lohnuntergrenze diesen unterschreitet. Auch für den Fall, in dem § 3a AÜG nicht bestünde, wären ausländische Verleihunternehmen sodann gem. § 20 MiLoG auf den allgemeinen Mindestlohn verpflichtet. Hiernach trifft die Verpflichtung aus § 1 Abs. 1 MiLoG schließlich auch Arbeitgeber mit Sitz im Ausland, sofern deren Arbeitnehmer im Inland beschäftigt sind. Letzteres wird für sehr kurze Beschäftigungen im Inland (etwa Transit eines ausländischen Lkw-Spediteurs) bezweifelt (vgl. Franzen, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 20 MiLoG Rn. 2); dergleichen wird aber bei Verleihunternehmen, die regelmäßig und für nicht unerhebliche Überlassungsepisoden Leiharbeitnehmer grenzüberschreitend überlassen, nicht der Fall sein, sodass auch in diesem Fall der allgemeine Mindestlohn zu entrichten wäre. Siehe weiterführend: BAG, Urt. v. 24.6.2021 – 5 AZR 505/20, NJW 2022, 415 ff. 294

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Daneben muss die Möglichkeit der Einführung einer Lohnuntergrenze aber auch mit grundgesetzlichen Vorgaben übereinstimmen. In Konflikt gerät § 3a AÜG im Besonderen mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG und der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. aa) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Die Festlegung einer Lohnuntergrenze auf Vorschlag der in § 3a Abs. 1 Satz 1 AÜG genannten zuständigen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände mit der Folge, dass der so festgelegte Mindestlohn branchenweit verbindlich wird, stellt einen Eingriff297 in die positive Koalitionsfreiheit (hierzu oben S. 297 f.) konkurrierender Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände dar,298 denen das Mandat zur Festlegung tarifvertraglicher Mindestentgelte entzogen wird und die daher in ihrer Tarifautonomie betroffen sind.299 Die in § 3a AÜG festgelegte Regulierungsentscheidung muss daher auch diesbezüglich den Rechtfertigungsanforderungen genügen. Im Ergebnis wird die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Entscheidung zur Festlegungsmöglichkeit einer Lohnuntergrenze indes vielfach angenommen.300 Der 297 Freilich kann in § 3a AÜG selbst noch kein Grundrechtseingriff gesehen werden, da die Norm nicht unmittelbar wirkt und m. a. W. nicht „self-executing“ ist (vgl. oben zum Eingriffsbegriff S. 231). Eine entsprechende Grundrechtsverkürzung kann vielmehr erst in der entsprechenden auf § 3a AÜG basierenden Verordnung erblickt werden. Hier steht jedoch die Überprüfung der Regulierungsentscheidungen des AÜG im Vordergrund, sodass die in § 3a AÜG niedergelegte Regelungsentscheidung dennoch in diesem Lichte untersucht werden soll. 298 Vgl. Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 3a AÜG (Stand: 2023) Rn. 2.2; Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 23; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 3a Rn. 7; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 3a AÜG Rn. 11; Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 9. A. A. etwa in Bezug auf allgemeinen Mindestlohn: Engels, JZ 2008, 490 (493). Weiterführend zu vergleichbaren Vergütungsregulierungen: Moll, RdA 2010, 321 (325 ff.). Umfassend zur Vereinbarkeit des allgemeinen Mindestlohns mit der Koalitionsfreiheit: Preis/Ulber, Die Verfassungsmäßigkeit des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns, in: Fischer-Lescano/Preis/ Ulber (Hrsg.), Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohns, 2015, S. 59 (83 ff.). 299 Daneben lässt sich auch über einen Eingriff in die negative individuelle Koalitionsfreiheit nachdenken, da die Festsetzungsmöglichkeit sich dahingehend auswirken könnte, dass arbeitnehmer- und arbeitgeberseitig ein Interesse entsteht, den tarifschließenden Sozialpartnern beizutreten, um deren Entscheidungen hinsichtlich der Lohnuntergrenze zu beeinflussen und daher i. E. ein faktischer Beitrittsdruck entsteht (vgl. hierzu etwa: Wilde, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 10). Die Koalitionsfreiheit schützt in ihrer negativ-rechtlichen Ausprägung aber nicht vor einem lediglichen staatlichen Beitrittsanreiz, sondern nur vor sozial inadäquatem Beitrittszwang (vgl. oben S. 297 ff.), welcher hier nicht zu besorgen ist. I. E. ebenso: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 10. 300 Die Rechtfertigung ohne Weiteres bejahend: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/ Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 3a AÜG (Stand: 2023) Rn. 2.2; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 3a Rn. 7; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021,

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weitgehende Konsens in der Literatur befreit gleichwohl nicht davon, die Rechtfertigungsprüfung hier näher zu beleuchten. Aus der Gesetzesbegründung geht zunächst – wie gesehen – hervor, dass § 3a AÜG vor allem dem Ziel, einem (befürchteten) Wettbewerb in der Verleihbranche zugunsten der Leiharbeitnehmerschaft ein angemessenes Lohnniveau entgegenzustellen und hieran anknüpfend die finanzielle Stabilität der Systeme der sozialen Sicherung zu gewährleisten.301 Verbunden mit letzterem Gesichtspunkt ist auch die gesetzgeberische Erwartung, mit § 3a AÜG einen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu leisten. Im Ergebnis dienen die in § 3a AÜG niedergelegten Regelungsentscheidungen damit vor allem dem Schutz der Leiharbeitnehmerschaft vor den Marktmächten. Sie lassen sich in eine Reihe stellen mit den übrigen bisher analysierten gesetzgeberischen Maßnahmen, die sich als Umsetzung des prinzipiellen sozialstaatlichen Schutzauftrages (vgl. S. 335 ff.) in Bezug auf die Leiharbeitnehmerschaft verstehen lassen.302 Der Gesetzgeber war bei Einführung von § 3a AÜG offenkundig bemüht, die entsprechende Regulierungsentscheidung an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu orientieren. Er rezipiert mit den genannten Regelungsinteressen gerade solche Zielvorgaben, die das Gericht bereits explizit als legitime gesetzliche Zielvorstellungen akzeptiert hat und die sich ohne Weiteres unter den sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag (vgl. erneut S. 335 ff.) subsumieren lassen. § 3a AÜG verfolgt daher ohne jeden Zweifel ein legitimes gesetzgeberisches Anliegen von Verfassungsrang, das einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit – die als schrankenloses Grundrecht ein kollidierendes Rechtsgut von Verfassungsrang erfordert (siehe S. 297) – grundsätzlich zu rechtfertigen vermag. Bezweifelt wird indes zum Teil die diesbezügliche Geeignetheit von § 3a AÜG. Dies betrifft zunächst die Frage, ob die Festsetzungsmöglichkeit einer Lohnuntergrenze hinsichtlich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit tatsächlich förderlich ist.303 Die dies verneinende Argumentation ist so simpel wie (augenscheinlich) naheliegend. Befürchtet wird eine Verteuerung des Faktors Arbeit durch die gesetzliche Lohnuntergrenze, die im Ergebnis dazu führen könnte, dass Arbeitsplätze abgebaut würden.304 Die Erwartung, dass die mit einer Lohnuntergrenze verbundene Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer zu einer Attraktivitätssteigerung und so zu einem Aufschwung in der Arbeitnehmerüberlassung führt, würde sich in diesem Fall ins Gegenteil verkehren. Derartige Negativszenarien waren allerdings in der

§ 3a AÜG Rn. 11. Mit differenzierterer Begründung: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 9 f. Kritisch hingegen: Hurst, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 3a Rn. 1; Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 23. 301 Vgl. BT-Drs. 17/5238 v. 23. 3. 2011, S. 15. 302 Ebenfalls einen Bezug zum Sozialstaatsprinzip herstellend: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 9. 303 So bei: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 26. 304 Vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 26.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Rechtswirklichkeit nicht zu beobachten.305 Nach der Einführung der Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Leiharbeit vom 21. Dezember 2011 war kein signifikanter Arbeitsplatzabbau zu beobachten. Im Gegenteil: Die Anzahl der Leiharbeitnehmer stieg auch nach Einführung der Lohnuntergrenze weiterhin an.306 Das aus § 3a AÜG resultierende Mindestentgelt scheint daher jedenfalls keinen hemmenden Effekt auf die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs in der Arbeitnehmerüberlassung gehabt zu haben und den dort zu beobachtenden Aufwärtstrend nicht ernsthaft geschmälert zu haben. Die Geeignetheit dieser Regulierungsentscheidung in Bezug auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit – gerade auch im Lichte der dem Gesetzgeber im Rahmen der Geeignetheit zuzubilligenden Einschätzungsprärogative – ist daher nicht von der Hand zu weisen. Folglich muss auch die Förderlichkeit und damit die Geeignetheit von § 3a AÜG hinsichtlich der Stärkung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Sozialversicherungssysteme bejaht werden. Wenn die Lohnuntergrenze die positive Entwicklung der Beschäftigungszahlen in der Arbeitnehmerüberlassung im Ergebnis nicht negativ beeinflusst hat, zugleich aber eine Verbesserung der dortigen Lohnbedingungen herbeigeführt hat, ist ihr insgesamt eine Erhöhung der Beitragsaufkommen zugunsten der Systeme der sozialen Sicherung zuzuschreiben.307 Kritisiert wird darüber hinaus aber auch, dass § 3a AÜG keine Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmer mit sich gebracht habe, da bereits vor Einführung der Norm und der aus ihr resultierenden Ersten Verordnung über eine Lohnuntergrenze in der Arbeitnehmerüberlassung in der Branche zum Teil Mindestlohntarifverträge existierten.308 Sieht man in diesen eine hinreichende Gewährleistung angemessener Lohnbedingungen für die Leiharbeitnehmerschaft, könnte die verbindliche Festsetzung einer Lohnuntergrenze qua Rechtsverordnung zur Verbesserung der Lohnbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich nichts mehr beitragen und dieses gesetzgeberische Anliegen daher nicht fördern, weswegen im Ergebnis die 305 Gleiches gilt für die ggü. dem allgemeinen Mindestlohn zunächst entgegengebrachten Befindlichkeiten. Vgl. etwa: Bruttel/Zilius, Wirtschaftsdienst – Zeitschrift für Wirtschaftspolitik, 98. Jahrgang, Heft 10 v. 2018, abrufbar unter: https://www.wirtschaftsdienst.eu/inhalt/ jahr/2018/heft/10/beitrag/auswirkungen-des-gesetzlichen-mindestlohns-bilanz-nach-fast-vierjahren.html, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Die vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns getroffenen Vorhersagen von substanziellen negativen Beschäftigungseffekten durch den Mindestlohn sind – jedenfalls bislang – nicht festzustellen.“). 306 Siehe hierzu die grafische Darstellung bei: Bundesagentur für Arbeit, Aktuelle Entwicklungen in der Zeitarbeit, Juli 2022, S. 7, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/ DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Zeitarbeit/generische-Publikation/Arbeits markt-Deutschland-Zeitarbeit-Aktuelle-Entwicklung.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 307 Zugleich bewirkt die Lohnuntergrenze durch die Installierung eines angemesseneren Lohnniveaus (mutmaßlich), dass ein geringerer Anteil der Leiharbeitnehmer einer Ergänzung ihres Arbeitsentgelts durch Sozialleistungen bedürfen (vgl. Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 8). Siehe zu dieser Problematik bereits oben: S. 92. 308 Vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 5, 29 f.

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diesbezügliche Geeignetheit von § 3a AÜG zu verneinen wäre.309 Die Erfahrungen mit dem teils erheblichen Lohndumping durch bspw. die Tarifverträge der „Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und PSA“ (CGZP), das sich bis zur Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP im Jahr 2010 fortsetzte,310 hat allerdings eindrucksvoll offenbart, dass aus tarifvertraglichen Vereinbarungen in der Arbeitnehmerüberlassung nicht immer ein angemessenes Lohnniveau hervorgeht.311 Der mit der staatlichen Festsetzung einer Lohnuntergrenze einhergehende Eingriff kann die Stellung der Leiharbeitnehmer in dieser Angelegenheit also durchaus maßgeblich verbessern. Auch mildere Mittel, die zugunsten der genannten gesetzgeberischen Zwecke gleichsam förderlich wären und einen geringeren Eingriff in die Koalitionsfreiheit darstellen würden, sind nicht ersichtlich (siehe bereits soeben S. 408 ff.), sodass auch an der Erforderlichkeit von § 3a AÜG kein Zweifel besteht.312 Zu guter Letzt muss die dortige Regelungsentscheidung auch angemessen sein.313 Hier muss nun gesehen werden, dass das sozialstaatlich motivierte und daher hochrangige Anliegen der Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmerseite durch eine flächendeckende Festsetzung einer Lohnuntergrenze den vergleichsweise 309 In diese Richtung zielt wohl der Gedankengang bei: Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 29 f., wenngleich die Problematik in der Erforderlichkeit adressiert wird. 310 Die CGZP schloss z. T. Tarifverträge mit Stundenlöhnen von 4,81 E ab (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 89 [m. w. N.]). Zum gerichtlichen Verfahren um den Missbrauch der Tarifautonomie der CGZP: BAG, Urt. v. 17.11.2010 – 10 AZR 649/09, NZA 2011, 289 ff., Beschl. v. 23. 5. 2012 @ 1 AZB 58/11, NZA 2012, 623 ff. Siehe auch die umfassende Darstellung bei: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 92 f. Zu den arbeits- und sozialrechtlichen Nachwehen der Entscheidung des BAG: Schüren, Warum ist die Geschichte des AÜG so schwierig?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 77 (89 ff.). 311 So ebenfalls: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 9, die § 3a AÜG daher auch als Garant der positiven Koalitionsfreiheit der tarifschließenden Parteien sieht, da diese vermittels § 3a AÜG vor unlauterem Wettbewerb durch Lohndumping betreibende Parteien geschützt würden. 312 Es hätten vielmehr auch eingriffsintensivere Regulierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden, wie bspw. die ursprünglich geplante Fassung von § 3a AÜG, der keinen Vorschlag der Sozialpartner, sondern einen Beschluss des Tarifausschusses nach § 5 Abs. 1 Satz 1 TVG hinsichtlich der Lohnuntergrenze vorsah (vgl. Böhm, NZA 2010, 1218 [1220]). 313 Marseaut meint, dass dies nur der Fall wäre, wenn die „positiven Folgen der Festsetzung einer Lohnuntergrenze (…) die negativen Folgen der Nichteinführung überwiegen“ (vgl. Marseaut, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 3a Rn. 25). Das überspannt den Maßstab der Angemessenheitsprüfung. Die Angemessenheit ist schließlich schon dann zu bejahen, wenn die mit dem Eingriff einhergehenden grundrechtlichen Belastungen die positiven Effekte hinsichtlich der verfolgten gesetzgeberischen Ziele nicht überwiegen – positive und negative Folgen des Eingriffs dürfen sich also die Waage halten. Hinzu kommt in Bezug auf den hier zu besorgenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, dass die Angemessenheitsprüfung im Lichte der praktischen Konkordanz zu erfolgen hat, sodass darauf zu achten ist, dass das sozialstaatlich unterfütterte Schutzziel und die betroffene Koalitionsfreiheit gleichermaßen verwirklicht werden.

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geringen Eingriff in die Koalitionsfreiheit der betroffenen Gewerkschaften und Verbände aufzuwiegen vermag (vgl. soeben parallel S. 408 ff.). Mit § 3a AÜG ist ein wichtiger Schritt zugunsten der Etablierung angemessener Arbeitsbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung getan, indem zumindest die Festsetzung einer unteren Lohngrenze ermöglicht wird und so Lohndumping vorgebeugt wird. Zugleich belässt die Lohnuntergrenze im Zusammenspiel mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz genug Spielraum für die tarifliche Gestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen durch die Sozialpartner,314 indem diese zwischen diesen beiden Polen frei tariflich tätig werden können. Im Ergebnis wird daher – dem kompromisshaften Erfordernis der praktischen Konkordanz folgend – sowohl der sozialstaatliche Schutzauftrag als auch der Anspruch der Sozialpartner auf tarifvertragliche Gestaltungsfreiheit gewahrt. Insgesamt ist in der Möglichkeit der Festsetzung einer Lohnuntergrenze aus § 3a AÜG daher keine Verletzung der Koalitionsfreiheit zu erblicken. Angesichts der finanziell nachteiligen Lage der Leiharbeitnehmerschaft (vgl. S. 112 ff.) und angesichts der Erfahrungen mit im Ergebnis zu Lohndumping führenden Tarifverträgen, die die unterlegene Stellung der Leiharbeitnehmerschaft ausnutzten, sind die in § 3a AÜG niedergelegten Regulierungsentscheidungen in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG verfassungsgemäß. bb) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Daneben ist in § 3a AÜG – bzw. in den aufgrund von § 3a AÜG erlassenen Verordnungen – auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG zu sehen.315 Dies begründet sich daraus, dass eine entsprechende Lohnuntergrenze den arbeitsvertraglich – unter Inanspruchnahme der Berufsausübungsfreiheit316 – auszuhandelnden Spielraum begrenzt. Hinsichtlich der Rechtfertigung dieses Eingriffs haben indes die soeben in Bezug auf den Eingriff in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG angestellten Wertungen Gültigkeit. Im Ergebnis kann an der Rechtfertigung des Eingriffs daher kein Zweifel bestehen.317 Vielmehr ist auf der Ebene der individualvertraglichen Ausgestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung in besonderem Ausmaß der oben bereits ausführlich ausgebreitete Umstand zu berücksichtigen (vgl. hierzu S. 279 ff.), dass hier eine privatautonome Gestaltung der entsprechenden Konditionen nicht in einem sowohl arbeitgeber- als auch arbeitnehmerseitig interessengerechten vertraglichen Ergebnis resultiert. Vielmehr lässt die spezifische strukturelle Unterlegenheitssituation der Leiharbeitnehmerschaft 314

Vgl. Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 9. So in der Kommentarliteratur einzig: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 11. 316 Zur Zuordnung der berufsbezogenen Vertragsautonomie zur Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG: S. 229 f. 317 Ebenso: Wilde, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 3a Rn. 11. 315

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gerade ein Versagen der freien grundrechtsgetragenen Vertragsgestaltung in Bezug auf die Generierung von Vertragsgerechtigkeit erwarten. Der sozialstaatliche Handlungsauftrag (siehe hierzu S. 301 ff.) zur Adressierung derartiger Disparitätsphänomene im beruflichen Miteinander streitet daher im Besonderen auf der von der Berufsausübungsfreiheit getragenen individual(arbeits-)vertraglichen Ebene für Regulierungsschritte, die solche Thematiken, bei denen keine vertragsgerechte Ausgestaltung durch formal freie Grundrechtsausübung zu erwarten ist, aus dem Bereich des vertraglich zu Verhandelnden herausnehmen. Gerade diesem Zweck dient die in § 3a AÜG niedergelegte Regelungsentscheidung zur Festsetzungsmöglichkeit einer Lohnuntergrenze. Mit ihr wird zugunsten der Leiharbeitnehmerschaft in Bezug auf das Arbeitsentgelt eine untere Grenze gezogen, sodass eine individualvertragliche Zustimmung zu besonders niedrigen Lohngestaltungen von vorneherein unmöglich ist. Der mit § 3a AÜG einhergehende Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmen – und in geringerem Umfang der Leiharbeitnehmer – ist daher im Lichte dieses sozialstaatlichen Anliegens gerechtfertigt. Darüber hinaus gilt auch hier, dass mit der entsprechenden Lohnuntergrenze kein allzu starker Eingriff in die grundrechtliche Position einher geht. So können etwa hochqualifizierte Leiharbeitnehmer, die eine Beschäftigung in der Branche gerade bevorzugen und ein Interesse daran haben, ihre Arbeitsentgelte grundrechtlich frei auszuhandeln, diese nach wie vor mit den entsprechenden Verleihunternehmen privatautonom ausgestalten. Schließlich wird die Lohnuntergrenze hier ohnehin weit abseits der in Betracht kommenden Lohngestaltungen liegen, sodass ggf. gar keine grundrechtliche Betroffenheit vorliegt. Im Übrigen gilt, dass das Interesse der Verleihunternehmen an der individualvertraglichen Ausgestaltung der Arbeitsentgelte hinter dem genannten Schutzinteresse zugunsten der strukturell unterlegenen Arbeitnehmerseite zurückstehen muss. Damit steht § 3a AÜG auch nicht mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG in Konflikt. c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Lohnuntergrenze Insgesamt ist die in § 3a AÜG niedergelegte Regulierungsentscheidung hinsichtlich der Festsetzungsmöglichkeit einer Lohnuntergrenze daher weder aus unions- noch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstanden. Vielmehr stellt sie einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Stellung der Leiharbeitnehmerschaft dar, während sie zugleich die Belange der arbeitgeberseitigen Verleihunternehmen nicht über Gebühr belastet. Führt man sich die oben aufgezeigten Negativfolgen, die mit einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung einhergehen können,318 vor Augen, kann die Entscheidung für eine Lohnuntergrenze als zumindest teilweise Kompensation der Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Be318 Zu den Risiken, die aus Leiharbeitnehmersicht mit dem „high strain job“, den die Arbeitnehmerüberlassung zuweilen darstellen kann, einher gehen: S. 100 ff.

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schäftigungsdurchschnitt gesehen werden, indem hierdurch eine untere Haltelinie hinsichtlich der Lohngestaltung installiert wird, die zumindest die Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer in finanzieller Hinsicht abmildert. Dies ist zu begrüßen – wenngleich im selben Atemzug betont werden muss, dass § 3a AÜG allein dem Schutzbedürfnis der Leiharbeitnehmer noch nicht zu genügen vermag. 2. Gleichbehandlungsgrundsatz Von zentraler Bedeutung für die gesetzliche Adressierung des der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Interessenkonflikt ist der in § 8 Abs. 1 AÜG niedergelegte Gleichbehandlungsgrundsatz, der die Verleihunternehmen gem. § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG darauf verpflichtet, „dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (…)“. a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Diese in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG niedergelegte Regelungsentscheidungen – ebenso wie die sich hieran anschließenden in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG normierten Ausnahmemöglichkeiten vom Grundsatz der Gleichbehandlung – sind zunächst anhand der unionsrechtlichen Vorgaben zu untersuchen. aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie: Der Gleichbehandlungsgrundsatz der Leiharbeitsrichtlinie und dessen Ausnahmeoptionen Der erste Ansatzpunkt ist hierbei die Überprüfung der nationalen Bestimmungen darauf, ob diese die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie in Bezug auf die Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und die Vorgaben zur Bestimmung entsprechender Ausnahmeoptionen einhalten. (1) Der Gleichbehandlungsgrundsatz des AÜG und die Anforderungen der Leiharbeitsrichtlinie Dass der Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG in unionsrechtswidriger Art und Weise hinter den Anforderungen, die die Leiharbeitsrichtlinie an die Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer stellt, zurückfallen würde, wird zunächst nicht behauptet.319 Vereinzelt entzündet sich allerdings Kritik an der 319 Vielmehr wird die Vereinbarkeit von § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG mit den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie erst gar nicht diskutiert und (wohl) implizit unterstellt. So etwa bei: Kock/ Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 7; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 25; Wank/Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 8 AÜG

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Ausgestaltung der in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG installierten Vergleichsbetrachtung zur Ermittlung der im Rahmen der Gleichbehandlung von Seiten des Verleihunternehmens zu gewährenden Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts.320 Diese Vergleichsbetrachtung zielt schließlich darauf ab, dass hierfür ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihunternehmens heranzuziehen ist, während die Leiharbeitsrichtlinie in Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG eine hypothetische Betrachtung vorgibt, die nach den Arbeits- und Entgeltbedingungen im Falle einer fiktiven Direktanstellung auf dem konkreten, vom Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz fragt.321 Die nationale Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG wählt also einen anderen Ansatz zur Ermittlung der erforderlichen Gleichbehandlung als dies die Leiharbeitsrichtlinie den Mitgliedstaaten aufgibt. Während das nationale Recht eine reale Vergleichsbetrachtung mit einem vergleichbaren Stammarbeitnehmer vorgibt, zielt die Richtlinie auf eine fiktive Vergleichsbetrachtung mit einer hypothetischen Anstellung. Bezweifelt werden muss aber, ob aus dieser Divergenz ein – zum Teil behaupteter322 – Verstoß gegen unionsrechtliche Vorgaben folgt. Schließlich wird die Vergleichsbetrachtung aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG selten zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der vorzunehmenden Gleichbehandlung kommen, als sich dies aus einer wortlautgetrauen Umsetzung von Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG ergeben würde.323 Dies ist gerade deswegen zu konstatieren, weil auch die in Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG vorgegebene hypothetische Betrachtung jedenfalls in dem Fall, in dem Stammarbeitsplätze vorhanden sind, die mit dem vom Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplatz vergleichbar sind, auf diesen Stammarbeitsplatz als helfenden tatsächlichen Anhaltspunkt zur Ermittlung der hypothetisch zu gewährenden Arbeitsbedingungen im Regelfall zurückgreifen wird. Hinsichtlich der im Ergebnis vom Verleihunternehmen zu erbringenden Gleichbehandlung des konkreten Leiharbeitnehmers ist § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG daher als mit den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie übereinstimmend zu betrachten. Rn. 1; bzw. knapp bejaht: Ulrici, AÜG, 2017, § 8 Rn. 16. Demgegenüber differenzierter (v. a. in Bezug auf den anzuwendenden Vergleichsmaßstab): Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 78 f.; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.45, 12.52, 12.56 und v. a. Rn. 12.61. Siehe insbesondere zur Kritik am Vergleichsmaßstab auch: Fuchs, NZA 2009, 57 (61); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (497); Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (481). Vgl. weiterführend die Argumentation bei Lembke und Stoffels, die den Gleichbehandlungsgrundsatz der Richtlinie bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen für unionsrechtswidrig halten (siehe Lembke/Stoffels, „Equal Treatment“ und seine Tarifausnahme – europarechts- oder verfassungswidrig, in: Gallner/Henssler/ Eckhoff/Reufels [Hrsg.], FS Moll, 2019, S. 377 [387 ff.]). 320 Insofern einen Richtlinienverstoß annehmend: Fuchs, NZA 2009, 57 (61); Hamann/ Klengel, EuZA 2017, 485 (497). 321 Vgl. detailliert zum Gleichbehandlungsgrundsatz der Leiharbeitsrichtlinie und zum dortigen Vergleichsmaßstab: S. 166 ff. 322 Vgl. Fuchs, NZA 2009, 57 (61); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (497). 323 Hierauf richtigerweise hinweisend: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 78; siehe auch bereits ansatzweise: Boemke, RiW 2009, 177 (178).

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Tritt dennoch einmal der Fall ein, dass man mit § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu einem anderen Gleichbehandlungsergebnis kommt, als es Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG hervorbringen würde, kann eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Bestimmung über die Divergenz324 der Vergleichsmaßstäbe hinweghelfen.325 Dies betrifft insbesondere den Fall, in dem ein nach § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderlicher vergleichbarer Stammarbeitnehmer fehlt326 und daher in jedem Fall auf die hypothetische Betrachtung aus Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG zurückgegriffen werden muss.327 Nichts anderes gilt in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. f) der Richtlinie vorgegebenen Gleichbehandlungsgegenstände und die hierin vorgenommene nähere Präzisierung der Arbeits- und Entgeltbedingungen, auf die sich das Gleichbehandlungsgebot bezieht. Auch die in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG genannten „wesentlichen Arbeitsbedingungen“ werden im Lichte der präziseren Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie auszulegen sein.328 Insgesamt genügt der Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG daher den Vorgaben aus Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG. Im Zweifelsfall – insbesondere dann, wenn eine Anwendung der nationalen Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zu unterschreiten drohen – ist der sekundärrechtlichen Vorgabe aus Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/EG mithilfe der richtlinienkonformen Auslegung zur Gültigkeit zu verhelfen. (2) Ermöglichung tarifvertraglicher Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz Konfliktträchtiger hinsichtlich der Frage nach der Übereinstimmung des inländischen Rechts mit den Vorgaben des Unionsrechts ist demgegenüber die nationale Ausgestaltung der tarifvertraglichen Ausnahmeoptionen vom Gleichbehandlungsgrundsatz in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG. Der nationale Gesetzgeber hat sich hier – wie erläutert (vgl. S. 170 f.) – gerade nicht für die in Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG

324 Der insofern von der Richtlinienbestimmung abweichende Vergleichsmaßstab lässt sich historisch mit dem Umstand erklären, dass der nationale Gleichbehandlungsgrundsatz der Richtlinie zeitlich voraus ging. 325 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (306); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (497); Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 87; Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 78; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.61; Thüsing, RdA 2009, 118 (118). 326 Beim reaktiven Einsatz der Arbeitnehmerüberlassung wird dies regelmäßig der Fall sein. Vgl. hierzu oben: S. 166 f. 327 Vgl. Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 110; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.61. 328 Siehe hierzu bereits in Bezug auf die Vorgängerregelung §§ 9 Nr. 2, 10 Abs. 4 AÜG a. F.: BAG, Urt. v. 23. 3. 2011 @ 5 AZR 7/10, NZA 2011, 850 (853); vgl. auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 47; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 8 AÜG Rn. 5.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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vorgesehene „deutsche“329 Ausnahmeoption hinsichtlich des Arbeitsentgelts im Falle von unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen entschieden, sondern von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG Gebrauch gemacht. Hiernach dürfen nationale Regelungen die Möglichkeit tarifvertraglicher Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz unter Wahrung des „Gesamtschutzes“ der Leiharbeitnehmer vorsehen (vgl. S. 171 ff.). Eben solche Ermöglichungen tarifvertraglicher Ausnahmen von der Grundregel aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG sieht das nationale Recht in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG vor. (a) Vereinbarkeit der Bezugnahmeklauseln mit den Richtlinienvorgaben Zunächst stellt sich hierbei die Frage, ob die Ermöglichung einer Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch individualvertragliche Bezugnahmen auf die entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen (§ 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG330) mit der Richtlinienvorgabe aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG vereinbar ist. Diese Möglichkeit einer Inbezugnahme tarifvertraglicher Regelungen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, wird vor dem Hintergrund der sekundärrechtlichen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie zuweilen kritisiert.331 Die dahingehende Argumentation stellt vor allem in Abrede, dass die Richtlinienbestimmung zur Ermöglichung tarifvertraglicher Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG eine Ermöglichung individualvertraglicher Ausnahmen von der Gleichbehandlung deckt.332 Argumentiert wird neben diesem auf den Wortlaut bezogenen Argument auch mit der Systematik der Ausnahmeoptionen aus Art. 5 Abs. 2 – 4 der Richtlinie.333 Die Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 4 RL 2008/104/EG sei schließlich gerade auf das Vereinigte Königreich und Irland zugeschnitten, da es dort mangels gesetzlicher Regelungen zur Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen nicht möglich sei, auf die Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG zuzugreifen. Demgegenüber sei dort aber eine individualvertragliche Inbezugnahme von Tarifverträgen üblich. Wäre eine solche nun von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG umfasst, hätte es der Ausnahmeoption aus 329

Die Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG wird z. T. als an Deutschland adressierte Ausnahmeregelung verstanden. So etwa bei: Jahn, Der Gleichstellungsgrundsatz im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, 2015, S. 150; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 535. 330 Die beiden Bezugnahmeklauseln sehen vor, dass „im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrages (…) nicht tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Anwendung des Tarifvertrages“, bzw. „die Anwendung der tariflichen Regelungen vereinbaren (können)“. 331 In der individualvertraglichen Inbezugnahme von Tarifverträgen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, einen Richtlinienverstoß erblickend: Blanke, DB 2010, 1528 (1529 f.); Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (842); Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 383; Zimmer, NZA 2013, 289 (292). 332 Vgl. die Kritik bei: Blanke, DB 2010, 1528 (1529 f.); Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (842); Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 383; Zimmer, NZA 2013, f. 289 (292). 333 So die Argumentation bei: Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (842); Zimmer, NZA 2013, 289 (292).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Art. 5 Abs. 4 der Richtlinie daher nicht bedurft. Hinzu komme, dass die Ermöglichung einer individualvertraglichen Bezugnahme zu einer Konkurrenzsituation zwischen den vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträgen führe.334 Schließlich werde ein Arbeitgeber gerade denjenigen Tarifvertrag individualvertraglich in Bezug nehmen, der ihm zum größtmöglichen Wettbewerbsvorteil verhilft – was im Regelfall auf denjenigen Tarifvertrag, der insbesondere weitestmöglich von „Equal Pay“ abweicht, zutreffen dürfte. Dies schwäche auf Dauer die Verhandlungsposition der Gewerkschaften und münde in tarifvertraglichen Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz, die dem in Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/ EG vorgesehenen „Gesamtschutz“ der Leiharbeitnehmerschaft nicht mehr gerecht würden.335 Dieser Kritik an den Bezugnahmeklauseln aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG ist jedenfalls hinsichtlich der letztgenannten Überlegung zuzustimmen. In der Tat führt die individualvertragliche Bezugnahmemöglichkeit zu der rechtstatsächlich zu beobachtenden Entwicklung, dass sich auf Dauer insbesondere diejenigen tarifvertraglichen Vereinbarungen durchsetzen, die in besonderem Maße zulasten der Leiharbeitnehmerschaft vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen.336 Diese Beobachtung wird gerade dadurch bestärkt, dass die Verleihunternehmen aus den oben erläuterten Gründen keine Schwierigkeiten haben dürften, eine Inbezugnahme solcher – zulasten der Leiharbeitnehmer – von der Gleichstellung in besonderem Maße Abstand nehmender Tarifverträge einseitig vertraglich durchzusetzen.337 Aus den soeben genannten Negativfolgen allerdings herzuleiten, dass der Richtliniengeber diesen entgegentreten wollte und daher die individualvertragliche Bezugnahme auf tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz gerade nicht von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG umfasst wissen wollte, geht allerdings zu weit. Gerade aus der Tatsache, dass die Richtlinie in Art. 5 Abs. 3 RL 2008/ 104/EG nicht erwähnt, wie eine tarifvertragliche Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz Geltung erhält, sondern nur regelt, ob und unter welchen Voraus334

Vgl. Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (844). Vgl. Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (844). 336 Dem lässt sich zwar entgegenhalten, dass die Arbeitgeberverbände auf die Mitwirkung der DGB-Gewerkschaften angewiesen sind, um Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu erzielen (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 138). Allerdings dürfen die Erwartungen an die interessengerechte Vertretung der Leiharbeitnehmerschaft angesichts des geringen Organisationsgrads derselben (nur ca. 2 % der Leiharbeitnehmer, vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 13; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 363) in den DGB-Gewerkschaften hier nicht überspannt werden (vgl. auch: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 86 ff.). 337 Zu der hier vertretenen Aktivierung einer sozialstaatlichen Schutzpflicht zugunsten der Leiharbeitnehmer in Bezug auf die hier in Rede stehende fremdbestimmte individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes: S. 326 ff. 335

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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setzungen die Möglichkeit, tarifvertragliche Ausnahmen zu gestatten, überhaupt vorgesehen werden kann, lässt sich vielmehr herleiten, dass hier eine den nationalen Gepflogenheiten offen gegenüberstehende Formulierung gewählt wurde, die einer (national üblichen) individualvertraglichen Inbezugnahme nicht entgegenstehen dürfte.338 Dem lässt sich einzig das oben genannte systematische Argument entgegenhalten, nach dem Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG mit Blick auf Art. 5 Abs. 4 RL 2008/104/ EG keine individualvertragliche Inbezugnahme zulasse. Den Ausschlag geben dürfte demgegenüber aber der Sinn und Zweck der Ausnahmeoption aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG. So kam es dem Richtliniengeber vor allem darauf an, dass es den Sozialpartner vorbehalten bleibt, im entsprechenden Diskurs Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu vereinbaren. Solange es aber die tarifvertragliche Ausgestaltung ist, welche die entsprechenden Abweichungen vorsieht, ist dem Postulat aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG Genüge getan. Eben dies ist im Rahmen der hier in Rede stehenden individualvertraglichen Bezugnahme der Fall.339 Der Sinn und Zweck von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG – der die Sozialpartner als unmittelbare Ausgestalter tarifvertraglicher Abweichungen vorsieht – ist demgegenüber lediglich dann nicht mehr gewahrt, wenn Zulassungs- oder Öffnungsnormen im entsprechenden Tarifvertrag die Arbeitsvertragsparteien ermächtigen, entsprechende Abweichungen auszuhandeln (siehe bereits S. 171 ff.). Ferner kann auch nicht behauptet werden, dass die Installierung individualvertraglicher Bezugnahmeklauseln in § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG automatisch dazu führen würde, dass der in Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG geforderte „Gesamtschutz“ nicht mehr gewahrt wird. Ungeachtet der Richtigkeit der oben herausgearbeiteten Beobachtung hinsichtlich der Negativfolgen dieser gesetzlichen Möglichkeiten zulasten der Leiharbeitnehmer, spiegelt sich diese Beobachtung nicht in einer pauschalen Richtlinienwidrigkeit aufgrund eines sodann nicht mehr gewahrten „Gesamtschutzes“ wider. Dies gilt zum einen dann, wenn man den „Gesamtschutz“ mit dem EuGH (Rs. C-311/21) als konkrete Kompensationsbetrachtung versteht (siehe oben S. 171 ff.), bei der einzig isoliert das einschlägige tarifvertragliche Regelwerk in den Blick zu nehmen ist. Aber auch dann, wenn man – wie hier – den „Gesamtschutz“ lediglich als untere Haltelinie bezüglich des im Falle tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahrenden Leiharbeitnehmerschutzes interpretiert, muss gesehen werden, dass das „Gesamt-

338 Vgl. etwa: Ulrici, AÜG, 2017, § 8 Rn. 18. Ebenfalls in diese Richtung: Boemke, RiW 2009, 177 (183); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (499); Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 348. 339 So auch: Boemke, RiW 2009, 177 (183); Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (499); Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 46; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 348; Ulrici, AÜG, 2017, § 8 Rn. 18; Waas, ZESAR 2009, 207 (211). Ähnlich auch: Schüren/Wank, RdA 2011, 1 (5).

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paket“340 nationaler (tarifvertraglicher und gesetzlicher) Regelungen, die geeignet sind, die Negativfolgen individualvertraglicher Bezugnahmeklauseln zulasten der Leiharbeitnehmerschaft abzufedern, im Zweifel ausreicht, um den Leiharbeitnehmerschutz nicht unter ein Mindestschutzniveau fallen zu lassen.341 Im Ergebnis ist daher zu konstatieren, dass die Leiharbeitsrichtlinie den Bezugnahmeklauseln aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG nicht entgegensteht, sondern dass sich diese unter die in Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG eröffnete Ausnahmeoption hinsichtlich tarifvertraglicher Regelungen subsumieren lassen. (b) Wahrung des „Gesamtschutzes“ Angesprochen ist damit bereits das Erfordernis des laut Art. 5 Abs. 3 RL 2008/ 104/EG zu wahrenden „Gesamtschutzes“, nach dem die in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG normierten Ausnahmeoptionen nur tarifvertragliche Regelungen zulassen dürfen, die „unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern“ vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen. Nach der oben favorisierten Interpretation dieses Postulats kommt der Bestimmung nur die soeben erwähnte Rolle einer äußersten Kontrolle des leiharbeitnehmerschützenden Regelwerkes zu (vgl. S. 171 ff.). Betrachtet man in diesem Lichte den Gesamtfundus342 der spezifisch leiharbeitnehmerschützenden Regularien des AÜG muss man hiernach in Zusammenschau mit dem vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifwerk als „Gesamtpa-

340

So die treffende Formulierung bei: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 544. 341 Hinzu kommt, dass § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG immer nur eine Bezugnahme des gesamten Tarifvertrags ermöglichen und keine „Rosinenpickerei“ der Verleihunternehmen hinsichtlich derjenigen tarifvertraglichen Regelungen, die ihren Interessen entsprechen. Vgl. hierzu jeweils: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 189; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 394. Ebenso in Bezug auf das AÜG a. F.: BAG, Urt. v. 16.10.2019 – 4 AZR 66/18, NZA 2020, 260 (Ls. 2); Hamann, EuZA 2009, 287 (310). Kritisch hingegen: Ulrici, BB 2020, 756 (762). 342 Vgl. insofern Vorlagefrage 4a des BAG in der Rs. C-311/21. BAG, Beschl. v. 16.12.2020 – 5 AZR 143/19 (A), NZA 2021, 800: „Ist die Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern iSd Art. 5 III Richtlinie 2008/104/EG gewahrt mit gesetzlichen Regelungen, die wie die seit dem 1. 4. 2017 geltende Fassung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes eine Lohnuntergrenze für Leiharbeitnehmer, eine Höchstdauer für die Überlassung an denselben Entleiher, eine zeitliche Begrenzung der Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf das Arbeitsentgelt, die Nichtgeltung einer vom Grundsatz der Gleichbehandlung abweichenden tariflichen Regelung für Leiharbeitnehmer, die in den letzten sechs Monaten vor der Überlassung an den Entleiher bei diesem oder einem Arbeitgeber, der mit dem Entleiher einen Konzern iSd § 18 AktG bildet, ausgeschieden sind sowie die Verpflichtung des Entleihers, dem Leiharbeitnehmer grundsätzlich unter den gleichen Bedingungen, wie sie für Stammarbeitnehmer gelten, Zugang zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten (wie insbesondere Kinderbetreuungseinrichtungen, Gemeinschaftsverpflegung und Beförderungsmittel), zu gewähren, vorsehen?“. Diesem Ansatz, der auf die leiharbeitnehmerschützenden Regelungen in Gänze blickt, zur Bestimmung des „Gesamtschutzes“ zustimmend: Franzen, EuZA 2022, 3 (14 f.), NZA 2023, 27 (28 f.).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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ket“343 zu dem Ergebnis kommen, dass die in § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG getroffene Regulierungsentscheidung zur Zulassung tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz den „Gesamtschutz“ der Leiharbeitnehmer wahren. Dieser Sichtweise hat der EuGH allerdings – wie gesehen (vgl. erneut S. 171 ff.) – eine Absage erteilt. Das vom EuGH geforderte Kompensationserfordernis in Tarifverträgen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz nach unten hin abweichen, kann nur von diesen Tarifverträgen selbst gewahrt werden. Eine Betrachtung, die für den „Gesamtschutz“ auch die leiharbeitnehmerschützende Regulatorik in den Blick nimmt, verbietet sich hiernach grundsätzlich. Man wird dem EuGH daher eine gewisse Inkohärenz vorwerfen können, wenn er einerseits die Kompensation durch den Tarifvertrag selbst in den Fokus stellt, andererseits aber zugleich darauf hinweist, dass auch eine etwaige „Entgeltfortzahlung in der Zeit zwischen den Überlassungen“ als Kompensationsfaktor Berücksichtigung finden kann. Schließlich wird diese Bezahlung zwischen den Überlassungen typischerweise durch das Gesetzesrecht und nicht das Tarifrecht gewährleistet.344 In Deutschland ist sie aufgrund von § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG und § 615 Satz 3 BGB zwingend.345 Unabhängig von einer etwaigen Kritik an der Argumentationslinie des EuGH wird man sich dessen Interpretation des „Gesamtschutzes“ jedoch beugen müssen. Insofern kommt dem Gerichtshof die Deutungshoheit über die Richtlinienbestimmungen zu. Abseits der Frage nach der dogmatischen Richtigkeit dieser Auslegung der Regelung aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG, steht die hier vornehmlich interessierende Frage, ob die in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG normierten Ausnahmeoptionen den vom EuGH postulierten „Gesamtschutz“ wahren. Angesichts der Tatsache, dass der EuGH den nationalen Gesetzgebern gerade nicht den Auftrag erteilt hat, die Bedingungen des Kompensationserfordernisses im nationalen Recht auszugestalten, sondern vielmehr die Sozialpartner in der Pflicht sieht, wird man dies bejahen können.346 Der Gesetzgeber kann sich daher getrost mit legislativer Untätigkeit 343

So die treffende Formulierung bei: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 544. 344 Auf diesen argumentativen Bruch hinweisend: Franzen, NZA 2023, 25 (27). 345 Vgl. insofern auch: Franzen, NZA 2023, 25 (27). Hierauf ebenfalls hinweisend, aber in diesem Umstand gerade aufgrund der Tatsache, dass dies in Deutschland zwingendes Recht ist, keinen Sondervorteil zugunsten der Leiharbeitnehmer erblickend, der als Kompensationsfaktor berücksichtigt werden kann: Däubler, NZA 2023, 73 (74). 346 So auch: Bissels/Singraven, DB 2023, 327 (332) („Die gesetzlichen Bestimmungen sind vor diesem Hintergrund europarechtskonform“). Zurückhaltender hingegen: Franzen, NZA 2023, 25 (29) („All diese Gesichtspunkte sprechen für die grundsätzliche Unionsrechtskonformität des deutschen Systems. Der EuGH hat sich hierzu mangels entsprechender Vorlagefragen und mangels Eignung des Ausgangsfalls nicht geäußert.“). Wohl ebenfalls von einer unionsrechtskonformen Regelung ausgehend, die aber europarechtskonform ausgelegt werden muss: Däubler, NZA 2023, 73 (76); ähnlich: Thüsing, NZA 2023, 31 (37). A. A. ist hingegen Kolfhaus, dem zufolge die Mitgliedstaaten die Aufgabe haben, den „Gesamtschutz“ legislativ vorzuzeichnen und der daher – allerdings nicht unter dem Eindruck der Entscheidung in der

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begnügen. Das gilt allerdings zunächst nur für den Gesetzgeber. Streng hiervon zu trennen ist die Frage, welche Folgen das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-311/ 21 für die nationale Tariflandschaft hat. Die Annahme, dass ein nicht unerheblicher Teil der Leiharbeitstarifverträge entsprechende Kompensationsmaßnahmen vermissen lassen,347 liegt nicht fern. Hieraus darf allerdings nicht voreilig der Schluss gezogen werden, dass die Tariflandschaft in der Arbeitnehmerüberlassung flächendeckend unionsrechtswidrig wäre.348 Schließlich hat der EuGH die konkrete inhaltliche Dichte des Kompensationserfordernisses nur vage vorgegeben. Inwieweit die nationale Arbeitsgerichtsbarkeit die Vorgabe mit Leben füllen wird, bleibt noch abzuwarten.349 Es spricht aber auch ein sachliches Argument dafür, dass die nationalen Tarifverträge den „Gesamtschutz“ nicht auf breiter Front unterschreiten. Namentlich gibt Art. 5 Abs. 2 RL 2008/104/EG ausdrücklich vor, dass im Fall von unbefristeten Leiharbeitsverträgen, bei denen Leiharbeitnehmer auch zwischen den Überlassungsepisoden bezahlt werden, vom „Equal Pay“-Grundsatz abgewichen werden kann (vgl. hierzu oben S. 170 f.). Der EuGH führt insofern selbst den Gedanken an, dass ein unbefristeter Arbeitsvertrag mit durchgängiger Bezahlung bereits eine hinreichende Kompensation für eine Unterschreitung der Entgeltgleichheit darstellt.350 Es lässt sich daher gut vertreten, dass diejenigen Leiharbeitnehmer, die in unbefristeten Arbeitsverträge beschäftigt sind und aufgrund der Regelungen aus § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG und § 615 Satz 3 BGB ohnehin zwischen den Überlassungen bezahlt werden, bereits eine hinreichende Kompensation erfahren.351 Übrig bleibt die Frage, ob die tarifvertraglichen Regelungen Kompensationen zugunsten derjenigen Leiharbeitnehmer, die unbefristet angestellt sind, vermissen lassen. Selbst wenn die nationalen Fachgerichte, die der EuGH als maßgebliche Kontrollinstanz in Bezug auf den „Gesamtschutz“ sieht, geneigt sind, derartiges

Rs. C-311/21 – zu dem Ergebnis kommt, dass § 8 Abs. 2 – 4 AÜG insoweit aufgrund eines Umsetzungsdefizits richtlinienwidrig sind (vgl. Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 258 ff., 323 ff.). 347 In diese Richtung: Däubler, NZA 2023, 73 (77); weiterführend: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 86 ff., 267 ff. 348 Vgl. aber erneut die Gedanken bei: Däubler, NZA 2023, 73 (77 f.). 349 In dem sich an die Beantwortung der Vorlagefragen anschließenden Urteil des BAG (Urt. v. 31. 05. 2023, Az.: 5 AZR 143/19) hat dieses nun – wie hier vertreten – jedenfalls für befristete Arbeitsverhältnisse vor allem in der durchgängigen Bezahlung der Leiharbeitnehmer auch in der Zeit zwischen den Überlassungen, die aufgrund von § 11 Abs. 4 S. 2 AÜG und § 615 Satz 3 BGB zwingend ist, eine hinreichende Kompensation erblickt. Eine Volltextveröffentlichung des Urteils steht allerdings noch aus. 350 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (34, Rn. 55). 351 Insofern lassen sich die Ausnahmeoptionen aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG in wohlwollender Interpretation des gesetzgeberischen Willens, eine unionsrechtskonforme Rechtslage zu implementieren, dahingehend umdeuten, dass hiermit von der Option aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/ EG Gebrauch gemacht wird. Vgl. hierzu: Franzen, NZA 2023, 25 (28); ähnlich: Bissels/Singraven, DB 2023, 327 (332); Thüsing, NZA 2023, 31 (36). A. A.: Däubler, NZA 2023, 73 (76).

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anzunehmen,352 so spricht wenig dafür, dass den entsprechenden Tarifverträgen die Wirksamkeit flächendeckend abgesprochen werden könnte. Schließlich ist es angesichts der konkreten Einzelfallbetrachtung,353 die der EuGH zur Betrachtungsgrundlage für den „Gesamtschutz“ erhebt, nur einer Gruppe möglich, etwaige Unterschreitungen des „Gesamtschutzes“ vor die Gerichte zu tragen: Der Leiharbeitnehmerschaft. Die Erwartungen an die Durchsetzungsfähigkeit einzelner Leiharbeitnehmer, die eine aufgrund von fehlenden Kompensationsmaßnahmen ausbleibende Gleichbehandlung werden einklagen müssen, dürfen allerdings angesichts der oftmals problematischen sozio-demografischen Struktur dieser Beschäftigtengruppe nicht überspannt werden.354 Der EuGH „wettet“ hier gewissermaßen auf die Klagefreude der Leiharbeitnehmerschaft. Diese Wette dürfte nicht aufgehen. Hinzu kommt, dass eine etwaige Unterschreitung des „Gesamtschutzes“ aufgrund der vom EuGH vertretenen konkreten Betrachtungsweise immer nur in Bezug auf einen konkreten Leiharbeitnehmer und nicht abstrakt für einen Tarifvertrag festgestellt werden kann.355 Ein „Flächenbrand“ hinsichtlich der Gleichbehandlungsfrage dürfte in der Tariflandschaft der Arbeitnehmerüberlassung auch nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-311/21 daher ausbleiben. Für die hier im Fokus stehende Betrachtung der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch das Gesetzesrecht bleibt es vielmehr bei der Erkenntnis, dass die Regelungen aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG unionsrechtskonform sind, da es schlichtweg nicht die Sache des Gesetzgebers ist, den „Gesamtschutz“ zu wahren. (c) Verhinderung aufeinanderfolgender Überlassungen zur Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes In Bezug auf die Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz sind darüber hinaus auch die in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/ 104/EG aufgestellten Anforderungen an einen zu verhindernden Missbrauch im Falle einer Ingebrauchnahme der in Art. 5 Abs. 2 – 4 RL 2008/104/EG niedergelegten Ausnahmebestimmungen zu beachten.

352 Explizit ausgeblendet ist hierbei noch die Frage, ob eine intensive inhaltliche Prüfung der Tarifverträge durch die Gerichte eine im Lichte von Art. 9 Abs. 3 GG unzulässige Tarifzensur darstellen könnte (vgl. Franzen, NZA 2023, 25 [27]). Ebenfalls ausgeblendet ist die dogmatische Frage, ob ein Tarifvertrag unionsrechtswidrig sein kann, wenn das Gesetzesrecht, das die Sozialpartner zu seinem Abschluss ermächtigt, unionsrechtskonform ist. Schließlich nimmt das Richtlinienrecht typischerweise die nationalen Gesetzgeber und aus systematischer Sicht nicht private Akteure im betreffenden Mitgliedsstaat in die Pflicht. Auf letzteres läuft die vom EuGH vertretene Ansicht indes hinaus, wenn die Sozialpartner den „Gesamtschutz“ unterlaufende Tarifverträge aushandeln können und daher „ultra vires“ handeln. Vgl. Däubler, NZA 2023, 73 (77) („Die Tarifparteien haben gewissermaßen ultra vires gehandelt“). 353 Vgl. EuGH, Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 (34, Rn. 46 ff.). 354 Daher ähnlich kritisch: Däubler, NZA 2023, 73 (76). 355 Dies richtigerweise feststellend: Bissels/Singraven, DB 2023, 327 (332).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Nach der hier vertretenen Ansicht ist die dortige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um insbesondere aufeinander folgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern“, in erster Linie als Adressierung einer möglichen Umgehung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Falle von Wartezeitenregelungen zu verstehen (siehe detailliert S. 182 ff.).356 Zwar hat der EuGH,357 dessen Interpretation der Richtlinienbestimmung – wie bereits mehrfach erläutert – insofern entscheidend ist, der Norm noch eine weitere Bedeutungsebene entnommen, nach der die Mitgliedstaaten dafür Sorge zu tragen hätten, dass eine Überlassung im Einzelfall „nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werde (ausführlich S. 185 ff.).358 Daneben ist der Formulierung aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG aber auch die hier vertretene Auffassung hinsichtlich der in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz potenziell problematischen Wartezeitenregelungen zu entnehmen. Folglich gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten in Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/ 104/EG (zumindest auch) auf, zu verhindern, dass sich etwaige Wartezeitenregelungen in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz dergestalt auswirken, dass dieser faktisch umgangen wird. Eben diesem Umstand trägt das nationale Recht aber in § 8 Abs. 4 Satz 4 AÜG Rechnung, nach dem „der Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher (…) vollständig anzurechnen (ist), wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen“.359 Danach müssen Überlassungsepisoden, die sich innerhalb einer aufgrund von § 8 Abs. 4 Satz 1 bzw. Satz 2 AÜG ermöglichten tarifvertraglichen Abweichung hinsichtlich des Arbeitsentgelts halten,360 zusammengerechnet 356

So auch: Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über die Anwendung der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit KOM (2014) 176 final, S. 9; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 109 f.; Waas, ZESAR 2009, 207 (212). Jedenfalls auch hierauf abstellend: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 79, 203. 357 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 60 f.), Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). 358 Zur Überprüfung der Überlassungshöchstdauer anhand dieser unionsrechtlichen Anforderungen: S. 489 ff. 359 Das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG jedenfalls auch mit der zeitlich begrenzten Tarifdispositivität hinsichtlich „Equal Pay“ in Verbindung bringend: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 31. Ansatzweise auch: Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194 (208). Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich dieser Zusammenhang zu Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG indes nicht; dort ist nur (in Bezug auf die Richtlinie unspezifisch) von „Umgehungsstrategien“ die Rede (vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25). 360 Da auf diese zeitlich begrenzte Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz – sofern die Überlassung nicht beendet wird – die Gleichbehandlung erfolgt, lässt sich dies treffend als „Warten auf Equal Pay“ bezeichnen (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 17, 23).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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werden, sofern sie nicht mehr als drei Monate auseinanderliegen. Eine den Gleichbehandlungsgrundsatz faktisch aushebelnde Überlassungspraxis, bei der derselbe Leiharbeitnehmer aufeinanderfolgend immer wieder mit kurzen Überlassungsepisoden – die für sich betrachtet nicht so lang sind, dass die Gleichbehandlung erfolgt – an ein Entleihunternehmen überlassen wird, ist damit unterbunden.361 Dies gilt zumindest dann, wenn zwischen diesen Episoden nicht mehr als drei Monate liegen. Der Vorgabe der Leiharbeitsrichtlinie aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG hinsichtlich der hier in Rede stehenden Verhinderung aufeinanderfolgender Überlassungen, die zulasten der betroffenen Leiharbeitnehmer den Gleichbehandlungsgrundsatz aushebeln, ist damit genügt.362 Insbesondere auch die Festlegung der entsprechenden Unterbrechungszeiträume auf „nicht mehr als drei Monate“ erschwert die entsprechende missbräuchliche Überlassungsstrategie hinlänglich. Zwar wird diese Umgehungspraxis hierdurch nicht gänzlich unmöglich gemacht. Dies ist angesichts des vergleichsweise konturlosen Prüfungsmaßstabs, den der EuGH dem seiner Ansicht nach aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG zu entnehmenden Missbrauchsverbot entnommen hat, aber auch nicht erforderlich.363 Insgesamt sind § 8 Abs. 2 – 4 AÜG gerade auch mit Hinblick auf den Umsetzungsspielraum, der den Mitgliedstaaten bei der Implementierung des ausweislich Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG Gebotenen zusteht, nicht zu beanstanden. bb) Geltung von Unionsgrundrechten? Nach alledem stellt sich nun die Frage, ob die nationale Version des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und dessen in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG vorgesehene Ausnahmeoptionen für tarifvertragliche Vereinbarungen an den Unionsgrundrechten zu messen sind. Dies hängt davon ab, ob diese Regelungsentscheidungen des AÜG mit Blick auf die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie als „Durchführung des Unionsrechts“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh betrachtet werden können. Nach der hier zugrunde gelegten Auffassung, die sich vor allem an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert,364 kommt es bei der Beurteilung dieser Frage auf zweierlei an. Zunächst ist zu fragen, ob die entsprechenden nationalen Bestimmungen un361 Möglich bleibt ein „Leiharbeitnehmer-Rondell“, bei dem wechselweise die gleichen Leiharbeitnehmer eingesetzt werden – die demgemäß sukzessive Einarbeitungserfahrung im Entleihunternehmen sammeln. 362 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 31. 363 Vgl. nur: EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 63; 1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). Siehe hierzu ausführlich oben ab S. 185 ff. 364 Siehe hierzu die obige Darstellung, die insbesondere die in BVerfGE 152, 152 (Recht auf Vergessen I) aufgestellten Kriterien aufgreift: S. 209 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

mittelbare Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie umsetzen – in welchem Fall sie nur an den Unionsgrundrechten zu messen sind – oder ob die nationalen Regelungen zwar in der Richtlinie determinierte Vorgaben adressieren, sich aber hierbei innerhalb seitens der Richtlinie belassener inhaltlicher Spielräume bewegen. Im letztgenannten Fall ist dann wiederum danach zu differenzieren, ob die Richtlinie in inhaltlicher Hinsicht in Bezug auf die entsprechende Regulierung „einen hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt“.365 In diesem Fall ist die nationale Regelung zwar vorrangig an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen. Sofern die Unionsgrundrechte im Einzelfall allerdings einen höheren Schutzstandard garantieren, sind zusätzlich die Grundrechte der Grundrechtecharta heranzuziehen. Liegt keine solche hinreichende inhaltliche Prägung durch die entsprechende Richtlinie vor, ist die nationale Regelung demgegenüber allein am Maßstab des Grundgesetzes zu überprüfen. In Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und die Ausnahmeoptionen aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG ist freilich zu konstatieren, dass die Leiharbeitsrichtlinie in Art. 5 RL 2008/104/EG in vielfacher Hinsicht detaillierte Vorgaben trifft (siehe ab S. 166 ff.), sodass an der Setzung eines „hinreichend gehaltvollen Rahmens“ im Ergebnis kein Zweifel bestehen kann.366 In Bezug auf die unionsrechtlichen Vorgaben hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes selbst könnte gar überlegt werden, ob die Leiharbeitsrichtlinie in Art. 5 Abs. 1 RL 2008/ 104/EG den Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes bereits so detailliert vorgibt, dass die nationale Ausprägung des Gleichbehandlungsgrundsatzes von vornherein nicht mehr als autonome gesetzgeberische Entscheidung betrachtet werden kann. In diesem Fall wäre § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG allein an den Vorgaben der Grundrechtecharta zu messen. Allerdings muss gesehen werden, dass Art. 5 Abs. 1 RL 2008/104/ EG – trotz aller Detailschärfe hinsichtlich des Gleichbehandlungsgegenstandes und des Gleichbehandlungsmaßstabs – den Mitgliedstaaten durchaus inhaltliche Spielräume belässt. So gibt die Richtlinie den Gleichbehandlungsgrundsatz nur als Mindestanforderung vor und lässt etwa die Frage nach der Gleichbehandlung in verleihfreien Zeiten oder nach dem Gleichbehandlungsschuldner unbeantwortet. Im Ergebnis muss daher davon ausgegangen werden, dass die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Überprüfung des nationalen Rechts an den Vorgaben des Verfassungsrechts nicht vollständig verdrängen. Bezweifeln kann man indes, ob die ursprüngliche Normierung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 10 Abs. 5 AÜG a. F., die der Leiharbeitsrichtlinie um Jahre vorausging,367 als „Durchführung des Unionsrechts“ zu betrachten war. Schließlich war zu diesem Zeitpunkt noch kein entsprechendes unionsrechtliches 365

Vgl. BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 44). Vgl. hierzu auch zuletzt die gedanklichen Ansätze bei: Franzen, EuZA 2022, 3 (21). 367 Siehe hierzu die obige Darstellung der Regulierungshistorie: S. 47 ff. Insofern lässt sich nur schwerlich von „vorauseilender“ Umsetzung der Richtlinie sprechen. So aber: Boemke, RiW 2009, 177 (178); Lembke/Ludwig, NJW 2014, 1329 (1330). 366

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Gleichbehandlungsgebot vorhanden.368 Jedenfalls diese frühe Einführung einer Gleichbehandlungsregelung muss daher als autonome Regelungsentscheidung des nationalen Gesetzgebers gewertet werden.369 Spätestens mit den Neuregelungen des Gleichbehandlungsgrundsatz, die im heutigen § 8 AÜG mündeten,370 hat der Gesetzgeber sich aber an den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie orientiert,371 sodass der Gleichbehandlungsgrundsatz heutiger Fassung als „Durchführung des Unionsrechts“ gem. Art. 51 Abs. 1 GrCh zu werten ist.372 Folglich sind die Regelungsentscheidungen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und § 8 Abs. 2 – 4 AÜG angesichts des entsprechend gehaltvollen inhaltlichen Rahmens, den die Leiharbeitsrichtlinie diesbezüglich setzt, neben den verfassungsrechtlichen Gewährleistungen auch an den Unionsgrundrechten zu messen. Dies gilt allerdings nach dem oben Gesagten nur, sofern die Verbürgungen der Grundrechtecharta im Einzelfall einen gegenüber dem nationalen Verfassungsrecht höheren Schutzstandard gewährleisten. Das ist aber nicht der Fall. Wie die obige Untersuchung der unionsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen gezeigt hat, ist den Grundrechten der Grundrechtecharta gemeinhin zwar ein den Grundrechten des Grundgesetzes im Grundsatz vergleichbarer Schutzmaßstab zu entnehmen.373 Dies gilt hingegen gerade nicht in Bezug auf einen staatlichen Schutzauftrag hinsichtlich der Interessen der Leiharbeitnehmer. Hier sinkt das Schutzniveau der Grundrechtecharta unter dasjenige des Grundgesetzes ab, dem zumindest singulär eine aus der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik – teilweise in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip – ableitbare staatliche Handlungsverpflichtung zugunsten der Leiharbeitnehmerinteressen und zulasten der demgegenüber abwehrrechtlich geschützten Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen zu entnehmen ist (siehe hierzu zusammenfassend S. 338 ff.). Einen solchen Schutzmaßstab, der über die schmale Verbürgung des in Art. 31 Abs. 1 GrCh garantierten Arbeitsschutzes hinausgehen würde, kennt die Grundrechtecharta nicht. Aus der dortigen abwehrrechtlichen Betonung kann aber im Umkehrschluss kein gegenüber dem grundgesetzlichen Schutzstandard wiederum höheres Schutzniveau zugunsten des Abwehrrechtsschutzes hergeleitet werden. Im Ergebnis sind die Regelungsentscheidungen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und § 8 Abs. 2 – 4 AÜG daher nicht zusätzlich anhand der Unionsgrundrechte zu überprüfen. 368 Vgl. hierzu auch: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 76. Das Bundesarbeitsgericht nahm gleichwohl schon vor für die Zeit vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Leiharbeitsrichtlinie ein Gebot zur richtlinienkonformen Auslegung an. So etwa bei: BAG, Urt. v. 23. 3. 2011 @ 5 AZR 7/10, NZA 2011, 850 (852). 369 Vgl. auch den Gesetzesentwurf: BT-Drs. 14/6944 v. 29. 9. 2001, S. 53 f. 370 Vgl. hierzu erneut die obige Darstellung der Regulierungshistorie des AÜG: S. 47 ff. 371 Der Gesetzesentwurf zum Ersten Gesetz zur Änderung AÜG („Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“) nimmt die Leiharbeitsrichtlinie ausdrücklich in Bezug (vgl. BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 1). 372 Demgegenüber eine Überformung durch das Unionsrecht ab dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie annehmend: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 76. 373 Vgl. insofern die obige Darstellung zum Schutzniveau der Grundrechte aus Art. 15 und 16 GrCh: S. 216 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Schließlich sind die hier in Betracht kommenden Grundrechte der Grundrechtecharta grundsätzlich in eben jenem Maße unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einschränkbar, wie es auch die Grundrechte des Grundgesetzes sind. Daher kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Unionsgrundrechte im vorliegenden Anwendungsfall ein nennenswert höheres Schutzniveau zugunsten der grundrechtlichen Abwehrfunktion enthielten, das eine Hinzuziehung der unionsrechtlichen Gewährleistungen über die verfassungsrechtlichen Verbürgungen des Grundgesetzes hinaus rechtfertigen würde. Insgesamt ist daher zu konstatieren, dass die Unionsgrundrechte – trotz der Überformung der Regelungsentscheidungen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und § 8 Abs. 2 – 4 AÜG durch die Leiharbeitsrichtlinie – hinsichtlich der Überprüfung dieser Regelungen des AÜG nicht zur Anwendung kommen.374 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Zu messen sind die Regelungen hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der entsprechenden Ausnahmeoptionen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und § 8 Abs. 2 – 4 AÜG daher in erster Linie an den grundgesetzlichen Vorgaben. Die im Schrifttum seit der erstmaligen Einführung des Gleichstellungsgedankens durch das Job-AQTIV-Gesetz vom 12. Oktober 2001 zum Teil geübte Globalkritik an der Verfassungsmäßigkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes selbst, die diesem zuweilen schwere Verstöße gegen die Grundrechte der Verleih- und Entleihunternehmen aus Art. 9 Abs. 3 GG und Art. 12 Abs. 1 GG attestierte,375 hat heute keinen Bestand mehr. Spätestens mit dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Leiharbeitsrichtlinie, die den Gleichbehandlungsgedanken für die mitgliedstaatliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung verpflichtend gemacht hat, haben sich die Bemühungen, die Gleichstellung der Leiharbeitnehmer aufgrund einer behaupteten Verletzung grundgesetzlicher Vorgaben aus dem nationalen Regelungswerk zu verbannen,376 erledigt. Der entsprechenden Kritik an dieser Stelle nachzugehen, ist 374

Selbst wenn man das hier zugrunde gelegte Verständnis hinsichtlich des grundlegenden Schutzstandards der unionsrechtlichen und der grundgesetzlichen Grundrechte nicht teilen würde, müsste nach der hier zugrunde gelegten Ansicht aber ohnehin zunächst das exakte Schutzniveau der grundgesetzlichen Vorgaben ermittelt werden, bevor auf eine zusätzliche Prüfung der unionsrechtlichen Verbürgungen zurückgekommen werden könnte. Dies wiederum würde die Überprüfung der Regelungsentscheidungen aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG und § 8 Abs. 2 – 4 AÜG anhand des Verfassungsrechts aber ohnehin voraussetzen, sodass sich in jedem Fall der hier gewählte Prüfungsaufbau empfiehlt. 375 Vgl. etwa die verfassungsrechtliche Kritik am Gleichbehandlungsgrundsatz a. F. bei: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 20 ff.; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 45 ff.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 170 ff., 197 ff. 376 Eine derartige Kritik könnte sich seit der Überformung des nationalen Rechts durch die Leiharbeitsrichtlinie höchstens dergestalt äußern, dass behauptet würde, die Leiharbeitsrichtlinie verstoße mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz selbst gegen die Vorgaben des Unions-

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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daher kaum der Mühe wert. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem schon mehrfach herangezogenen Beschluss vom 29. Dezember 2004 im Gleichbehandlungsgrundsatz a. F. keinen Verstoß gegen die Grundrechte der beschwerdeführenden Verleihunternehmen und Arbeitgeberverbände erkennen konnte und die Verfassungsbeschwerden daher nicht zur Entscheidung annahm.377 Von einem größeren verfassungsrechtlichen Interesse sind hingegen die inhaltlichen Spielräume, die die Leiharbeitsrichtlinie dem nationalen Gesetzgeber belässt und deren Ausgestaltung im AÜG ihrerseits mit den grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar sein muss. In concreto betrifft dies die in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG ermöglichten Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz sowie die in § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG normierten Möglichkeiten zur Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kraft individualvertraglicher Bezugnahme der entsprechenden tarifvertraglichen Regelwerke. aa) Vereinbarkeit der (zeitlich begrenzten) Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben Verfassungsrechtlich zu untersuchen sind daher zunächst die Regelungsentscheidungen zur Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG und die in § 8 Abs. 4 AÜG vorgesehene und im Rahmen der letztmaligen Novellierung des AÜG zum 1. 4. 2017 in Kraft getretene zeitliche Begrenzung dieser Abweichungsmöglichkeit.378

rechts und sei daher von vornherein mit höherrangigem Recht nicht vereinbar. Dies wird aber – soweit ersichtlich – nicht behauptet und kann auch hier nicht weiter eruiert werden. 377 Siehe hierzu: BVerfGK 4, 356 ff. Sich dieser Wertung anschließend: BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 954/11, NZA 2013, 680 (682). 378 Eine eigenständige Bewertung der Regelung zur Verhinderung des „Drehtüreffekts“ aus § 8 Abs. 3 AÜG soll hier ausbleiben, da die entsprechende Regelung weder in der Rechtsprechung noch im Schrifttum umstritten ist. Freilich verengt auch diese Regelung – ähnlich der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität – den Zuschnitt tarifvertraglicher Abweichungen und stellt daher einen grundrechtlichen Eingriff in die im Folgenden genannten Grundrechte dar. Wenn indes bereits die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität, mit welcher die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ verfolgt wird, verfassungsrechtlich zulässig ist, so muss dies erst recht für die Verhinderung des „Drehtüreffekts“ gelten. Schließlich wird hier Stammpersonal unmittelbar abgebaut und in die Arbeitnehmerüberlassung „getrieben“, um sodann i. S. d. aktiven Nutzungsstrategie Lohnkosten zu senken und Abbauprozesse des Personalkörpers zu erleichtern. Vgl. hierzu weiterführend: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, Einleitung, Rn. 97, § 8 Rn. 204; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, Einleitung, B, Rn. 68. Siehe auch zum insofern zu verhindernden Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung: BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 9. Diese offenkundig sozialschädliche Nutzungsstrategie kann daher unter den gleichen Vorzeichen gerechtfertigt werden.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(1) Vereinbarkeit der Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben Der Gesetzgeber bewegt sich mit der in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG379 normierten Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz auf dem seitens der Leiharbeitsrichtlinie im dortigen Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG vorgegebenen Regulierungspfad.380 Allein aus der Tatsache, dass die Ermöglichung einer tarifvertraglichen Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung unionsrechtlich vorgezeichnet ist, kann jedoch nicht hergeleitet werden, dass die konkrete rechtliche Ausgestaltung dieser von der Leiharbeitsrichtlinie eröffneten Option mit den Vorgaben des Verfassungsrechts übereinstimmt. (a) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Es gilt daher, die Entscheidung hinsichtlich einer tariflich dispositiven Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an der grundgesetzlichen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu messen. (aa) Vereinbarkeit mit der positiven Koalitionsfreiheit Argumentiert wird diesbezüglich zuweilen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz die positive Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 9 Abs. 3 GG verletze.381 In Bezug genommen wird hierbei die positive individuelle Koalitionsfreiheit, die das Recht, Koalitionen beizutreten und in ihnen zu verbleiben, umfasst (vgl. S. 291). In diese werde dadurch eingegriffen, dass die tarifdispositive Gestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf die Leiharbeitnehmer dahingehend Druck ausübe, aus den Gewerkschaften auszutreten, die die entsprechenden vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge aushandeln. Schließlich würden diese die Arbeits- und Entgeltbedingungen der Leiharbeitnehmer im Vergleich zur in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG gesetzlich niedergelegten Gleichbehandlung nur verschlechtern, sodass die Tarifdispositivität im Ergebnis einen faktischen Druck zum Austritt vermittle.382 379

Nur am Rande sei darauf hingewiesen, dass sich den tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeiten im Wege der Auslegung keine Verpflichtung auf eine Orientierung am Gleichbehandlungsgrundsatz selbst entnommen werden kann. Vgl. hierzu näher: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 135 ff., 156. 380 Die Einführung einer tarifdispositiven Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im AÜG reicht indes weiter zurück als die europäische Regulierung durch die Mitgliedstaaten, sodass jedenfalls hinsichtlich der erstmaligen Normierung der Tarifdispositivität im AÜG nicht von einer Orientierung am Unionsrecht gesprochen werden kann. 381 So die Ansicht von: Lembke/Stoffels, „Equal Treatment“ und seine Tarifausnahme – europarechts- oder verfassungswidrig, in: Gallner/Henssler/Eckhoff/Reufels (Hrsg.), FS Moll, 2019, S. 377 (390 ff.). 382 Vgl. Lembke/Stoffels, „Equal Treatment“ und seine Tarifausnahme – europarechts- oder verfassungswidrig, in: Gallner/Henssler/Eckhoff/Reufels (Hrsg.), FS Moll, 2019, S. 377 (391).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Diese Argumentation ist zunächst verfassungsdogmatisch insofern bemerkenswert, als dass sie die in Bezug auf die negative Koalitionsfreiheit anerkannte Variante eines staatlichen Eingriffs durch Zwang oder sozialinadäquaten Druck (vgl. hierzu S. 297 f.), der darauf abzielt, den Grundrechtsträger dazu zu bewegen, einer Koalition beizutreten, auf die positive Koalitionsfreiheit umkehrt. Unabhängig von der dogmatischen Richtigkeit dieses Eingriffsverständnisses muss jedoch bezweifelt werden, ob die entsprechende Überlegung in tatsächlicher Hinsicht Früchte trägt. Schließlich vermag auch ein Verlassen der betreffenden Gewerkschaften die Leiharbeitnehmer im Ergebnis kaum vor einer Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und einer dementsprechenden Verschlechterung ihrer Arbeits- und Entgeltbedingungen zu bewahren. Wie oben bereits ausführlich erläutert wurde, wird die Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes schließlich in der Regel durch eine individualvertragliche Inbezugnahme der entsprechenden Tarifverträge zulasten der strukturell unterlegenen Position der Leiharbeitnehmer einseitig durchgesetzt.383 Der Aushebelung des Gleichbehandlungsgrundsatzes können die Leiharbeitnehmer also – auch bei einem Austritt aus den entsprechenden Gewerkschaften – angesichts der aktuellen Regelungslage ohnehin kaum entgehen.384 Von einem staatlichen Druck zum Koalitionsaustritt, der die Schwelle zum Eingriff in die positive individuelle Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer übersteigt, kann also keine Rede sein.385 (bb) Vereinbarkeit mit der negativen Koalitionsfreiheit Spiegelbildlich zu der soeben analysierten verfassungsrechtlichen Kritik an der tarifdispositiven Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wurde aber zum Teil auch behauptet, dass diese die negative Koalitionsfreiheit der Verleihunternehmen beeinträchtige, indem sie die Unternehmen dazu zwinge, entsprechenden Arbeitgebervereinigungen beizutreten, um auf eine tarifliche Abweichung vom

383

Zur verfassungsrechtlichen Überprüfung der Bezugnahmeklauseln: S. 446 ff. Ebenfalls in diese Richtung und auf die Bezugnahmeklauseln rekurrierend: Seiwerth, ZESAR 2021, 127 (129). 385 Nichts anderes kann in Bezug auf die Behauptung gelten, die Tarifdispositivität würde die positive Koalitionsfreiheit der für die Verleihbranche zuständigen Gewerkschaften verletzen, da diesen Konkurrenz erwachse (vgl. hierzu: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 25). Dazu fähig, im Rahmen von § 8 Abs. 2 – 4 AÜG abweichende tarifvertragliche Regelungen zu treffen, sind schließlich auf Arbeitnehmerseite sowohl die DGB-Tarifgemeinschaft als auch die IG Metall und ver.di sowie auf Arbeitgeberseite mindestens die BAP und die iGZ (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 125), sodass nur die CGZP, die einzig für die Verleihbranche zuständig war, durch die Tarifdispositivität des Gleichbehandlungsgrundsatzes Konkurrenz erhielt. Das Konkurrenzargument trägt insofern mindestens seit der Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP nicht mehr (vgl. zum diesbzgl. gerichtlichen Verfahren: BAG, Urt. v. 17.11.2010 – 10 AZR 649/09, NZA 2011, 289 ff., Beschl. v. 23. 5. 2012 @ 1 AZB 58/11, Beschl. v. 23. 5. 2012 @ 1 AZB 58/11, NZA 2012, 623 ff.). 384

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Gleichbehandlungsgrundsatz hinzuwirken,386 bzw. – sofern sich dies als erfolgversprechend darstellt – mit den Gewerkschaften Haustarifverträge abzuschließen.387 Der sachlich zutreffende Hintergrund dieser Überlegung ist, dass die Tarifdispositivität hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Ergebnis die Verhandlungsbasis der Gewerkschaften deutlich stärkt, da die Arbeitgebervereinigungen darauf angewiesen sind, entsprechende Tarifverträge zu schließen, wenn sie den Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht hinnehmen wollen.388 Dass sich dieser Umstand nun aber dergestalt zu einem staatlicherseits wirkenden Zwang oder sozialinadäquaten Druck verdichten würde, einer tarifschließenden Koalition beizutreten, kann nicht behauptet werden. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht im bereits mehrfach angesprochenen Beschluss vom 29. Dezember 2004 bestätigt.389 Schließlich blieben die betroffenen Verleihunternehmen „frei darin, einem Arbeitgeberverband fernzubleiben oder sich mit anderen Unternehmen zu einem neuen Arbeitgeberverband zusammenzuschließen“.390 Darüber hinaus stehe es ihnen auch frei, „sich nicht an den Regelungen eines Verbandstarifvertrages zu orientieren, sondern, ohne Anschluss an einen Arbeitgeberverband, selbst einen Tarifvertrag zu vereinbaren (vgl. § 2 I TVG)“391 – womit die genannten Haustarifverträge gemeint sind. Im Ergebnis sei der von der tarifdispositiven Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ausgehende staatliche Druck – so das Bundesverfassungsgericht – nicht so stark, dass er die Schwelle zu einer Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit überschreite. Dem ist beizupflichten – zumal auch die in § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG angelegten Bezugnahmeklauseln eine etwaige Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit der Verleihunternehmen insofern abfedern, als dass die Unternehmen entsprechende Tarifverträge lediglich individualvertraglich in Bezug zu nehmen brauchen.392 Ein veritabler Druck, verhandlungsstarken Arbeitgeberverbänden bei386 Vgl. etwa: Hümmerich/Holthausen/Welslau, NZA 2003, 7 (10); Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 26 ff.; Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 42. In diese Richtung auch: Lembke, BB 2003, 98 (102); Rieble/Klebeck, NZA 2003, 23 (28). 387 Hierzu auch explizit: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 26 f. 388 Die starke Position der Gewerkschaften hat sich indes in den entsprechenden vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträgen nicht niedergeschlagen. Vgl. etwa hierzu: Schüren, RdA 2006, 303 (306). 389 Vgl. hierzu und zu den folgenden Zitaten: BVerfGK 4, 356 ff. Den Ausführungen des Gerichts zustimmend: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 26 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 8 Rn. 14. 390 Vgl. BVerfGK 4, 356 (363). 391 Vgl. BVerfGK 4, 356 (363). 392 Vgl. auch ansatzweise: BVerfGK 4, 356 (363) („Über die gesetzliche Tariföffnungsklausel – mit der Möglichkeit der einzelvertraglichen Bezugnahme auf die Tarifbedingungen – wird zudem den Verleihunternehmen die Möglichkeit eröffnet, die Arbeitsbedingungen tariflich zu gestalten.“).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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zutreten oder selbst im Hinblick auf Haustarifverträge tätig zu werden, um eine Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erreichen, besteht für die Verleihunternehmen daher kaum. (b) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit grundgesetzlichen Vorgaben Allein die Tatsache, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, den Gleichbehandlungsgrundsatz tarifdispositiv ausgestalten, verletzt daher keine grundrechtlichen Gewährleistungen, sodass diese Regelungsentscheidung mit den grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar ist. (2) Vereinbarkeit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität mit grundgesetzlichen Vorgaben Vereinzelte – aber vehemente – verfassungsrechtliche Kritik hat demgegenüber die in § 8 Abs. 4 AÜG vorgesehene und zum 1. April 2017 in Kraft getretene zeitliche Begrenzung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit von der Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts hervorgerufen.393 Hiernach darf vom „Equal Pay“-Grundsatz nur „für die ersten neun Monate einer Überlassung an einen Entleiher“ per Tarifvertrag abgewichen werden. Eine hierüber zeitlich hinausgehende Abweichung ist demgegenüber nur zulässig, „wenn (…) nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und (…) nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt“. Bis zum einschließlich neunten Monat einer Überlassung darf also ohne weitere Restriktion – sofern das Mindestentgelt nach § 3a AÜG nicht unterschritten wird – tarifvertraglich von „Equal Pay“ abgewichen werden. Ab dem zehnten Monat einer Überlassung ist eine Abweichung nur noch im Rahmen einer Heranführung im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG denkbar, bei der sich die Entlohnung des entsprechenden Leiharbeitnehmers bis zum 15. Monat der Überlassung an diejenige eines Stammarbeitnehmers annähert. Wird solch ein Abweichungsmodell verfolgt, ist ab dem 15. Monat bis zum einschließlich 18. Monat „Equal Pay“ verpflichtend – danach greift grundsätzlich die Überlassungshöchstdauer gem. § 1 Abs. 1b AÜG.394 (a) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Im Ergebnis führt die hiermit vorgenommene zeitliche Begrenzung zu einem Verbot tarifvertraglicher Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz ab dem neunten bzw. 15. Monat einer Überlassung, sodass der Gleichbehandlungsgrundsatz 393

Siehe v. a. die breite Kritik bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 40 ff.; kritisch auch: Franzen, RdA 2015, 141 (148). 394 Vgl. hierzu insbesondere die instruktive grafische Darstellung bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 32 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

ab diesem Zeitpunkt obligatorisch wird. Diese Regelungsentscheidung in Bezug auf Überlassungsepisoden, welche neun bzw. 15 Monate überschreiten, gerät daher in Konflikt mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. (aa) Eingriff in den Schutzbereich Richtig ist daher die Erkenntnis, dass in der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität ein Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der betroffenen Arbeitgeberverbände der Verleihbranche und der Gewerkschaften zu erblicken ist.395 Schließlich folgt aus § 8 Abs. 4 AÜG, dass die Tarifvertragsparteien über das Arbeitsentgelt für Überlassungen, die die entsprechenden Zeitpunkte aus § 8 Abs. 4 AÜG überschreiten, nicht mehr bestimmen können bzw. ihnen im Fall einer Abweichung über den neunten Monat einer Überlassung hinaus die Heranführung des entsprechenden Arbeitsentgelts im Sinne von § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG vorgeschrieben wird. Wo allerdings Arbeitsbedingungen durch staatliche Regulierung verbindlich ausgestaltet werden und der Tarifautonomie entzogen werden, liegt stets ein Eingriff in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG vor (vgl. oben S. 297). Diese verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit sagt indes noch nichts über die Verletzung der Koalitionsfreiheit durch die zeitliche Begrenzung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes aus. (bb) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Die diesbezüglich erforderliche Rechtfertigung bedarf eines kollidierenden Verfassungsgutes (siehe S. 297). Ein solches liegt hier in Gestalt des sozialstaatlich unterfütterten Leiharbeitnehmerschutzes ohne Weiteres vor. In Zusammenschau mit der noch näher zu untersuchenden Überlassungshöchstdauer (unten ab S. 488 ff.) verfolgt der Gesetzgeber mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität in Bezug auf die Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts das Ziel, den als sozialschädlich empfundenen Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung, bei der diese in einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Art und Weise zur Anwendung kommt, entgegenzuwirken und die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre so verstandene „Kernfunktion“ zu orientieren.396 Mit anderen Worten: Es wird bezweckt, die als probat bewertete reaktive Nutzungsstrategie gegenüber der demgegenüber zu verhindernden aktiven Nutzungsstrategie zu forcieren.397 Dass diese grundlegende gesetzgeberische Orientierungsentscheidung im Zeichen des sozialstaatlichen Schutzauftrages zugunsten der strukturell benachteiligten Leiharbeitnehmerschaft steht, ist bereits dargetan worden (vgl. einleitend oben S. 348 ff.). Genauso lässt sich

395

Vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 42. Vgl. etwa paradigmatisch: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 397 Vgl. zusammenfassend zu dieser Einordnung und den jeweiligen Vor- und Nachteilen für die Leih- und Stammarbeitnehmerschaft: S. 131 ff. 396

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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darüber hinaus auch der Schutz der Stammarbeitnehmer,398 die im Zuge dieser zu verhindernden aktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Leiharbeitnehmereinsatz austauschbar werden, sozialstaatlich unterfüttern und in die Betrachtung miteinbeziehen.399 In eben diesem Lichte – also im Sinne der (sozialstaatlichen Bedürfnissen Rechnung tragenden) Rückorientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion – muss auch die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität des „Equal Pay“-Grundsatzes betrachtet werden. Daneben tritt hier auch das Ziel, die finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer dadurch zu verbessern, dass eine Entlohnung auf Stammarbeitnehmerniveau ab einem gesetzten Zeitpunkt verpflichtend gestellt wird.400 Dass diese Verpflichtung auf den „Equal Pay“-Grundsatz erst ab diesem gesetzten Zeitpunkt eintreten soll, lässt sich hingegen nur mit der zuvor erläuterten Steuerungsabsicht erklären: Der Gesetzgeber verfolgt das Ziel, Anreize zu schaffen, von der Arbeitnehmerüberlassung nur im Sinne ihrer so verstandenen „Kernfunktion“ Gebrauch zu machen und sie nicht als Alternative zur Stammbeschäftigung zu etablieren. Aufgrund der aufgezeigten sozialstaatlichen Komponente dieses Regulierungsinteresses liegt damit ein legitimes Regulierungsziel von Verfassungsrang vor. Die mit der zeitlichen Begrenzung der tariflichen Abweichungsmöglichkeiten von der Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts einhergehende Verpflichtung der Verleihunternehmen auf den „Equal Pay“-Grundsatz ist hinsichtlich dieses gesetzgeberischen Zwecks auch förderlich und daher geeignet. Zwar trifft die verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab dem Überschreiten der in § 8 Abs. 4 AÜG niedergelegten Zeitpunkte unmittelbar nur die Verleihunternehmen als Gleichbehandlungsschuldner. Mittelbar jedoch wirkt sich dies auch auf die betroffenen Entleihunternehmen aus. Die betriebswirtschaftliche Rentabilität des Leiharbeitnehmereinsatzes in den Entleihunternehmen wird schließlich tendenziell in Frage gestellt, sobald der Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich des Arbeitsentgelts verpflichtend gilt und sich so die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber den Kosten für vergleichbare Stammarbeitnehmer erheblich verteuert.401 Dies trifft vor allem diejenigen Entleihunternehmen, die die Arbeitnehmerüberlassung in einer Stammarbeitnehmer substituierenden (aktiven) Nutzungsstra398 Auf den Schutz der Stammarbeitnehmer vor Substitution rekurriert auch Kämmerer, wenngleich die Verdrängungsgefahr hier als lediglich abstrakt bestehend eingeordnet wird (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 48 f.). 399 Vgl. zur sozialstaatlichen Aufladung dieses Stammarbeitnehmerschutzes und der damit verbundenen Bewahrung des Normalarbeitsverhältnisses: S. 337. 400 Vgl. hierzu: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 16. 401 Dies geschieht dadurch, dass sich das den Verleihunternehmen zu zahlende Überlassungsentgelt in Folge der so gestiegenen Personalkosten erhöht. I. E. kann der Leiharbeitnehmereinsatz bei Geltung des „Equal Pay“-Grundsatzes in der maßgeblichen Vollkostenrechnung gar die Kosten eines Stammarbeitnehmereinsatzes übersteigen (vgl. S. 67 ff.).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

tegie einsetzen. Hier wird ein Teil der dauerhaft angelegten Stammarbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzt – was offenkundig mit möglichst langen Überlassungsepisoden jeweils einzelner Leiharbeitnehmer am einfachsten durchzuführen ist. Die mit § 8 Abs. 4 AÜG einhergehende verpflichtende Gültigkeit des „Equal Pay“Grundsatzes zwingt die Entleihunternehmen aber faktisch dazu, eine angestrebte Besetzung von Stammarbeitsplätzen mit Leiharbeitskräften dergestalt durchzuführen, dass wechselnde Leiharbeitnehmer entliehen werden und der Abstand zwischen den Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers gem. § 8 Abs. 4 Satz 4 AÜG nicht mehr als drei Monate beträgt. Anderenfalls riskieren Entleihunternehmen, welche die Arbeitnehmerüberlassung in diesem Sinne strategisch einsetzen, erhebliche Kostennachteile, die durch die Vorteile dieser Nutzungsform ggf. nur begrenzt aufgewogen werden können. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Kostenvorteil der Arbeitnehmerüberlassung, der Unternehmen dazu veranlassen könnte, Leiharbeitnehmer in einer Stammarbeitnehmer substituierenden Art und Weise einzusetzen, gerade nicht auf der Entlohnung der Leiharbeitnehmer, die durch die verpflichtende Geltung des „Equal Pay“-Grundsatzes angehoben wird, sondern vielmehr in ersparten indirekten Personalkosten liege.402 Diese Erkenntnis ist zwar – wie bereits detailliert erläutert wurde (vgl. hierzu detailliert S. 62 ff.) – sachlich richtig. Jedoch wird für Entleihunternehmen, die gewillt sind, Leiharbeitnehmer in der beschriebenen intensiven Art und Weise einzusetzen, eine Vollkostenrechnung aller aufkommenden Kostenpunkte entscheidend sein. Dreht der Gesetzgeber nun in Gestalt der hier in Rede stehenden Regulierungsentscheidung an der „Stellschraube“ der direkten Personalkosten, steigen auch die Gesamtkosten für den Leiharbeitnehmereinsatz ab der Geltung der Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts insgesamt an. Wollen Unternehmen diese Kostennachteile vermeiden, sind sie auf den beschriebenen wechselnden oder zeitlich begrenzten Leiharbeitnehmereinsatz angewiesen. Die Tatsache, dass die Regulierungsentscheidung aus § 8 Abs. 4 AÜG die entsprechenden Entleihunternehmen – bei Beibehaltung der aktiven Nutzungsstrategie – faktisch zu solch einem Leiharbeitnehmereinsatz zwingt, erschwert daher diese Nutzungsform. Dem entsprechenden administrativen und organisatorischen Mehraufwand kommt mindestens eine abschreckende, ggf. aber auch eine kostenmäßig negativ ins Gewicht fallende Wirkung auf die aktive Nutzungsstrategie zu. Hinzu kommt, dass eine Beibehaltung der Besetzung von Stammarbeitsplätzen mit wechselnden Leiharbeitnehmern erfordert, gut eingearbeitete Arbeitskräfte vor dem Einsetzen der verpflichtenden Wirkung des „Equal Pay“-Grundsatzes wieder zu entlassen.403 Von der zeitlichen Begrenzung der diesbezüglichen Tarifdispositivität 402 So aber die Argumentation bei: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 49. 403 Dieser Negativeffekt lässt sich jedenfalls z. T. dadurch verhindern, dass wechselweise die gleichen Leiharbeitnehmer in Form eines „Leiharbeitnehmer-Rondells“ eingesetzt werden.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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geht daher eine nicht unerhebliche Abschreckungswirkung aus, die Arbeitnehmerüberlassung gerade nicht in Form der aktiven Nutzungsstrategie zu gebrauchen. Die dieser Nutzungsstrategie gegenüber zu stellende reaktive Nutzungsform wird von § 8 Abs. 4 AÜG hingegen kaum tangiert.404 Schließlich ist davon auszugehen, dass Leiharbeitnehmer in derartigen Szenarien typischerweise über kürzere Überlassungsepisoden eingesetzt werden, welche die zeitlichen Grenzen aus § 8 Abs. 4 AÜG nur selten überschreiten dürften.405 Um das gesetzgeberische Mittel aus § 8 Abs. 4 AÜG einerseits auf die zu verhindernden Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung auszurichten und die befürwortete Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung in ihrer „Kernfunktion“ beizubehalten, hat der Gesetzgeber sich auf eine notwendigerweise „gegriffene“406 zeitliche Grenzziehung festlegen müssen, die § 8 Abs. 4 AÜG auch vertretbar umgesetzt wurde.407 Die Geeignetheit dieser Regulierungsentscheidung in Bezug auf das gesetzgeberische Anliegen, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ hin zu orientieren und hierzu regulatorische Anreize zu etablieren, lässt sich damit nicht von der Hand weisen. Die vereinzelte Kritik, dass die verpflichtende Gültigkeit des „Equal-Pay“Grundsatzes den Leiharbeitnehmerschutz gegenüber der tarifvertraglichen Ausgestaltung der Entgeltbedingungen nicht wesentlich verbessere – und daher ungeeignet hinsichtlich des verfolgten Leiharbeitnehmerschutzes sei – greift daher zu kurz.408 Selbst wenn man sich der Wertung anschließt, dass die vom Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich des Arbeitsentgelts abweichenden Tarifverträge in der Regel keinen allzu erheblichen Abstand zu den unter Geltung des „Equal Pay“-Grundsatz erwartbaren Entgeltbedingungen nach sich ziehen und die entsprechenden Tarifverträge daher als interessengerecht hinsichtlich der Leiharbeitnehmerseite bewertet werden müssten,409 muss doch gesehen werden, dass § 8 Abs. 4 AÜG nicht allein das 404 In diese Richtung deutbar: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108 („mit steigender Einsatzdauer […] sukzessive Abschwächung des Flexibilisierungsinteresses“). 405 Dies ist allenfalls dort nicht der Fall, wo hoch qualifizierte Leiharbeitnehmer (etwa ITExperten) für längerfristige Projektarbeiten – die die zeitlichen Grenzen aus § 8 Abs. 4 AÜG überschreiten könnten – eingesetzt werden (vgl. in diese Richtung etwa: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 86). Da entsprechende Leiharbeitnehmer aber ohnehin in der Regel erhebliche Entgelte einstreichen, die jenseits des ausgehend vom „Equal Pay“-Grundsatz Gebotenen liegen, wird § 8 Abs. 4 AÜG diese vereinzelten Fälle des reaktiven Einsatzes nicht negativ tangieren. 406 So treffend: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108. 407 So auch: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108. 408 Vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 45 f. 409 Kämmerer führt aus, dass das tarifliche Gehalt eines Leiharbeitnehmers „in der Regel nahe 90 % desjenigen des Stammarbeitnehmers“ liege (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 47). Ähnlich auch: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 39 f. Auch hierin ist aber eine Verschlechterung zu sehen. Vgl. insofern die Darstellung bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 101, 123; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 138 („erheblich niedriger“); Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 22. Konkret sind noch immer (Haus-)Tarifverträge

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Ziel verfolgt, die finanzielle Lage der Leiharbeitnehmerschaft zu verbessern. Es geht vielmehr vorrangig um eine regulative Ausrichtung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“. Dieses Ziel wird aber nach dem soeben Festgestellten gefördert, sodass an der Geeignetheit zugunsten des Leiharbeitnehmerschutzes kein Zweifel besteht.410 Hinzu kommt, dass auch eine geringfügige finanzielle Besserstellung der Leiharbeitnehmer durch die verpflichtende Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts deren Stellung zu verbessern vermag, sodass auch in diesem Sinne von der Geeignetheit des gesetzgeberischen Mittels hinsichtlich des Leiharbeitnehmerschutzes auszugehen ist. Gesehen werden muss in diesem Zusammenhang indes auch, dass die mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität verfolgte Anreizfunktion hinsichtlich der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ die zugleich verfolgte finanzielle Besserstellung der Leiharbeitnehmer zum Teil gerade wieder konterkariert.411 Will der Gesetzgeber mit der hiermit einhergehenden Verteuerung der Arbeitnehmerüberlassung bewirken, dass Leiharbeitnehmer nicht über längere Zeiträume – und daher möglicherweise in stammarbeitnehmerersetzender Weise – entliehen werden, so wirkt er hiermit zugleich darauf hin, dass der finanzielle Vorteil der finanziellen Gleichstellung den Leiharbeitnehmern in dem Fall, in dem dieser Anreiz Wirkung entfaltet, gerade nicht zugutekommt. Die Divergenz dieser Zielrichtungen lässt sich aber auflösen. Dann, wenn entgegen der beschriebenen Anreizwirkung von der Arbeitnehmerüberlassung im Rahmen der aktiven Nutzungsform Gebrauch gemacht wird, werden dessen negative Folgen für den Leiharbeitnehmer bei längeren Überlassungszeiten zumindest mit einer finanziellen Gleichstellung kompensiert. Kürzere Überlassungsepisoden, die typologisch eher der reaktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung zuzuordnen sind, sind jedoch aus einer übergeordneten Regulierungsperspektive heraus als weniger problematisch einzuordnen, sodass es dieser Kompensation hier nicht bedarf. Vollständig widerspruchsfrei lassen sich die mit der hier in Rede stehenden Regelungsentscheidung verfolgten Zielsetzungen zwar nicht in Einklang bringen. Eine völlige Widerspruchsfreiheit erfordert die Geeignetheitsprüfung aber auch nicht. Ausreichend ist vorzufinden, die Abweichungen bis zu 42 % vom „Equal Pay“-Grundsatz vorsehen (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 101). Vgl. hierzu nun aber auch die detaillierte Analyse der Tariflandschaft bei Kolfhaus, welche diesen Eindruck bestätigt: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 86 ff. 410 Insofern ebenfalls zwischen diesen verschiedenen Zielrichtungen des Leiharbeitnehmerschutzes in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer differenzierend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 163 ff. („individuell-vermögensrechtlicher Leiharbeitnehmerschutz“ versus „erweiterter institutioneller Leiharbeitnehmerschutz“). Ähnlich bzw. sich dem anschließend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 123 f. 411 Zu dieser vermeintlichen Widersprüchlichkeit zwischen diesen Regelungszielen siehe auch die Ausführungen zur Überlassungshöchstdauer: S. 505 ff.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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eine Förderung aller gesetzgeberischen Zwecke, was – wie gesehen – bejaht werden kann. Steht die Geeignetheit der Maßnahme aus § 8 Abs. 4 AÜG fest, stellt sich nun die Frage der Erforderlichkeit und der – im Lichte der praktischen Konkordanz zu betrachtenden – Angemessenheit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität. Die Erforderlichkeit der in § 8 Abs. 4 AÜG niedergelegten Regelungsentscheidung ließe sich nur bezweifeln, wenn ein hinsichtlich der Koalitionsfreiheit der Betroffenen eindeutig milderes und hinsichtlich der erläuterten gesetzgeberischen Zwecke gleich geeignetes Mittel ersichtlich wäre.412 Ein solches milderes Mittel wäre zweifelsohne in einer Verlängerung der zeitlichen Grenzen aus § 8 Abs. 4 AÜG – ggf. im Gleichklang mit der Überlassungshöchstdauer – zu erblicken. Dann könnte ein einzelner Leiharbeitnehmer über eine längere Überlassungsepisode hinweg eingesetzt werden, ohne dass eine Verteuerung des Leiharbeitnehmereinsatzes in Folge des „Equal Pay“-Grundsatzes zu befürchten wäre. Offensichtlich wäre eine solche gesetzgeberische Gestaltung aber hinsichtlich der genannten Ziele nicht gleich geeignet. Die finanzielle Verbesserung der Situation der Leiharbeitnehmer würde hierdurch weniger gefördert, und auch die erläuterte Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung abseits ihrer „Kernfunktion“ würde weniger stark eingegrenzt. Eine weitreichende Verhinderung aktiver Nutzungsstrategien werden zwar auch die zeitlichen Grenzen aus § 8 Abs. 4 AÜG aus den genannten Gründen nicht erreichen können.413 Im Zweifel würde aber eine längere Ermöglichung der tariflichen Abweichung eine solche Nutzungsform weniger begrenzen, sodass die in § 8 Abs. 4 AÜG gewählten Zeitgrenzen – gerade auch vor dem Hintergrund der Einschätzungsprärogative – in Bezug auf die Erforderlichkeit nicht zu beanstanden sind.414 Übrig bleibt die Betrachtung der Angemessenheit. Diesbezüglich müsste der Regelungsentscheidung aus § 8 Abs. 4 AÜG zu attestieren sein, dass der Gesetzgeber hierin einen vom Gedanken der praktischen Konkordanz getragenen Kompromiss zwischen einerseits dem sozialstaatlich bedingten Schutz der Leih- und Stammarbeitnehmer vor zu verhindernden Nutzungsformen und andererseits dem legitimen Bedürfnis der betroffenen Sozialpartner an der tarifvertraglichen Ausgestaltung der Entgeltbedingungen gefunden hat. Hieran besteht kein Zweifel. Dem (grundrechtlich getragenen) Interesse der Arbeitgeberverbände der Verleihbranche, welche auch diejenigen Entleihunternehmen bedient, die von der Arbeitnehmerüberlassung zur (ebenfalls grundrechtlich getragenen) Deckung dauerhafter Perso412 Nur am Rande erwähnt sei die Überlegung Kämmerers, die verpflichtende Geltung des „Equal Pay“-Grundsatzes von der Dauer des Arbeitsvertrages des Leiharbeitnehmers abhängig zu machen (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 51 f.). Dies würde gar einen Anreiz liefern, die entsprechenden Arbeitsverträge entsprechend zu befristen. 413 Siehe insofern die obige Beschreibung des „Leiharbeitnehmer-Rondells“. 414 So i. E. auch: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108.

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nalbedarfe Gebrauch machen, steht hier das hinlänglich dargelegte (sozialstaatlich getragene) Bedürfnis, die Arbeitnehmerüberlassung tendenziell auf rein reaktive Nutzungsstrategien zu begrenzen, gegenüber. Die zeitliche Eingrenzung der Abweichungsmöglichkeit vom „Equal Pay“-Grundsatz trägt beidem kompromisshaft und so der praktischen Konkordanz genügend Rechnung. Schließlich bleibt auch die genannte aktive Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung und so auch die diesbezügliche Tätigkeit der Verleihunternehmen weiterhin grundsätzlich möglich – sie wird nur gegenüber der als legitim bewerteten Nutzung zur Deckung kurzfristiger Personalbedarfe erschwert. Diese Zielsetzung wird gefördert. Sie wird aber nicht unter Überwindung der entgegenstehenden grundrechtlichen Interessen der Entleihunternehmen und der diese bedienenden Verleihbranche final erreicht. Die Angemessenheit ist daher zu bejahen. Insgesamt kann der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität folglich nicht der Vorwurf eines ungerechtfertigten Eingriffs in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3GG gemacht werden.415 (b) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Neben dem soeben diskutierten Konflikt mit der Koalitionsfreiheit ist in der zeitlichen Beschränkung der Tarifdispositivität auch ein Eingriff in die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG zu erblicken. Dies betrifft zum einen die auf die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen einschließlich des Entgelts bezogene Vertragsautonomie der Verleihunternehmen und der Leiharbeitnehmer, die von der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG erfasst ist (siehe oben S. 229 ff.). Dies liegt daran, dass in Folge der zeitlich begrenzten Tarifdispositivität vom „Equal Pay“-Grundsatz auch individualvertraglich durch Inbezugnahme des entsprechenden Tarifwerks gem. § 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG nur noch zeitlich begrenzt abgewichen werden kann. Mittelbar trifft die zeitliche Begrenzung der tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeit aber auch – wie soeben ergründet – die Entleihunternehmen, die einzelne Leiharbeitnehmer nur noch unter Hinnahme einer nicht unerheblichen Verteuerung der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung entleihen können und zulasten derer Nutzungsmodelle, bei denen typischerweise einzelne Leiharbeitnehmer dauerhaft auf Stammarbeitsplätzen eingesetzt werden, erschwert werden. Auch die unternehmerische Entscheidung, von der Arbeitnehmerüberlassung in dieser Form Gebrauch zu machen, ist unzweifelhaft von der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG gedeckt,416 sodass auch diesbezüglich ein Eingriff vorliegt. Hinsichtlich der Rechtfertigung ergibt sich aber nichts Anderes als das soeben in Bezug auf die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Gesagte, sodass dies hier keiner weiteren Ausführung bedarf. Auch eine Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist daher nicht zu besorgen.

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Ebenfalls i. E. keinen Grundrechtsverstoß annehmend: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108. 416 Vgl. hierzu und auch zur Frage, ob eine solche als sozialschädlich empfundene Nutzungsform den Rückgriff auf die Berufsfreiheit zulässt: S. 229 f.

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(c) Vereinbarkeit mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG Moniert wird darüber hinaus vereinzelt,417 dass die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität eine Schlechterstellung derjenigen Leiharbeitnehmer bewirke, die für geringere Zeiträume überlassen werden, als sie in § 8 Abs. 4 AÜG niedergelegt sind, und die demgemäß – angesichts der entsprechenden tarifvertraglichen Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz hinsichtlich des Arbeitsentgelts – im Ergebnis nicht in den Genuss der „Equal Pay“-Regelung kämen. Hierin sei ein nicht zu rechtfertigender Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen. Dem kann nicht gefolgt werden. In dem gesetzgeberischen Bestreben, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zu begrenzen und einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung auf Dauerarbeitsplätzen entgegenzuwirken, ist ein sachliches Differenzierungskriterium zu sehen. Um dieses zu forcieren, wird zwar offenkundig in Kauf genommen, dass diejenigen Leiharbeitnehmer, die kürzer als neun Monate und daher typischerweise im Rahmen der reaktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung („Kernfunktion“) überlassen werden, oftmals keine Gleichstellung hinsichtlich des Arbeitsentgelts erfahren werden. Lediglich darauf zu rekurrieren, dass gerade der häufige Wechsel der Arbeitsstelle in Folge kürzerer Entleihungen eine besondere Belastung darstelle, weswegen gerade über kürzere Episoden überlassene Leiharbeitnehmer in den Genuss des „Equal Pay“-Grundsatzes kommen müssten,418 geht mit Blick auf das hier gezeichnete Gesamtbild aber fehl. Denjenigen Leiharbeitnehmern, die typischerweise über kurze Überlassungsepisoden zur Befriedigung kurzfristiger Personalbedarfe eingesetzt werden, kommen schließlich zumindest die genannten Integrationseffekte (vgl. S. 90 ff.) zuteil. Diese sind bei der reaktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung zumindest in begrenztem Umfang vorhanden, sodass die Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung – gerade bei einer Vielzahl von Überlassungen bei diversen Arbeitgebern und trotz der damit einhergehenden Belastung – das viel beschworene Sprungbrett in reguläre Arbeit darstellen kann. Dieser Effekt ist zwar hinsichtlich seiner tatsächlichen Häufigkeit nicht zu überschätzen.419 Dort hingegen, wo Leiharbeitnehmer über möglichst lange Überlassungsepisoden auf Dauerarbeitsplätzen eingesetzt werden, ist dieser Positiveffekt der Arbeitnehmerüberlassung nicht zu erwarten. Gerade auch vor diesem Hintergrund ist in der Tatsache, dass typischerweise über kürzere Überlassungsepisoden entliehene Leiharbeitnehmer von der Gleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts tendenziell ausgeschlossen werden, keine ungerechtfertigte Schlechterstellung zu sehen.420 Der Umstand, dass über kürzere Episoden überlassene Leiharbeitnehmer hierdurch faktisch von „Equal Pay“ ausgeschlossen werden können, wird zumindest durch die 417

Vgl. Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 346. In diese Richtung: Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 346. 419 Der Klebeeffekt beläuft sich auf ca. 15 %. Siehe hierzu oben S. 96 f. 420 So auch ausdrücklich: Kock/Greiner, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 8 Rn. 108.

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entsprechenden Integrationseffekte in reguläre Arbeit zum Teil aufgewogen. Leiharbeitnehmer, die demgegenüber durch Entleihunternehmen strategisch dauerhaft auf Stammarbeitsplätzen eingesetzt werden, dürfen hierauf nicht hoffen. Im Gegenzug werden sie im Regelfall nicht damit belastet, sich häufig in neue Entleihbetriebe einarbeiten zu müssen.421 Hinzu kommt der Umstand, dass Leiharbeitnehmer, die eine Vielzahl von Überlassungen bei diversen Arbeitgebern erleben, potenziell verstärkt die Vorteile informeller Kompetenzentwicklung nutzen können.422 Ein Gleichheitsproblem kann daher nicht konstatiert werden. bb) Vereinbarkeit der Bezugnahmeklauseln mit grundgesetzlichen Vorgaben Die Betrachtung der Regelungen zur Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer erfordert schließlich noch die Überprüfung der Bezugnahmeklauseln aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG anhand der grundgesetzlichen Vorgaben. Die Bezugnahmeklauseln ermöglichen es solchen Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmern, die nicht tarifgebunden sind, im Geltungsbereich eines von der Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen („Equal Treatment“) und des Arbeitsentgelts („Equal Pay“) abweichenden Tarifvertrages die Anwendung desselben individualvertraglich zu vereinbaren. Aufgrund des nur geringen Organisationsgrades der Leiharbeitnehmerschaft werden solche tarifvertraglichen Ausnahmen vom Gleichbehandlungsgrundsatz ungleich häufiger über diese individualvertragliche Bezugnahme realisiert,423 als dies durch eine entsprechende Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien geschehen würde. Dort, wo der Gleichbehandlungsgrundsatz abbedungen wird, geschieht dies daher im Regelfall durch individualvertragliche Bezugnahme.424 Hinzu kommt, dass diese Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch die häufige individualvertragliche Bezugnahme auf von der Grundregel des § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG abweichende Tarifverträge zum Normalfall geworden ist. Dies lässt sich trefflich auf folgende Sentenz reduzieren: „Arbeitsplätze gibt es in der 421 Übrig bleibt aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität allerdings die Belastung betroffener Leiharbeitnehmer dadurch, dass so agierende Entleihunternehmen zwischen entsprechend eingearbeiteten Leiharbeitnehmer wechseln müssen („Leiharbeitnehmer-Rondell“). 422 Sog. „training-on-the-job“. Hierzu eingehender S. 102 ff. 423 Die Dimensionen der individualvertraglichen Bezugnahme werden erst dadurch deutlich, dass nur ca. 2 % der Leiharbeitnehmer überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 13; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 363), zugleich aber eine Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes i. E. der unumstrittene Regelfall ist. So die Einschätzung bei: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 189; Wank, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 8 AÜG Rn. 26 („Normalfall“). 424 So auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 189; Wank, in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2021, § 8 AÜG Rn. 26 („Normalfall“).

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Branche nur für diejenigen, die bereit sind, Arbeitsverträge mit Tarifbezugnahme zu akzeptieren.“425 Die Verheißungen hinsichtlich des Leiharbeitnehmerschutzes, die von europäischer Ebene aus in Gestalt des in Art. 5 RL 2008/EG/104 vorgeschriebenen Gleichbehandlungsgrundsatz – dem „Herzstück der Richtlinie“426 – ausgingen, haben sich daher im Ergebnis auf nationaler Ebene nicht erfüllt. Das RegelAusnahme-Verhältnis aus einerseits dem Gleichbehandlungsgrundsatz und andererseits der ermöglichten tarifvertraglichen Abweichung, welches der nationale Gesetzgeber in § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 – 4 AÜG umgesetzt hat, hat sich daher umgekehrt: Perpetuiert hat sich in der Rechtswirklichkeit nicht der als solcher bezeichnete Grundsatz der Gleichbehandlung, sondern die Abweichung von demselben. Im Ergebnis geschieht dies gerade über die Ebene des Individualvertrages, die ausweislich des oben aufgezeigten verfassungsrechtlichen Interessenkonflikts als dysfunktional hinsichtlich einer interessengerechten Gestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen bezeichnet werden muss. (1) Verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen sozialstaatlicher Schutzpflicht und abwehrrechtlicher Berufsfreiheit In diesem Umstand ist im Lichte des oben aufgezeigten sozialstaatlichen Schutzpflichtverständnisses ein verfassungsrechtlich nicht ohne Weiteres hinnehmbarer Zustand zu erblicken ist.427 Im Ergebnis verpflichtet die herausgearbeitete verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung den Gesetzgeber428 zur Einhegung der potenziellen Fremdbestimmung, die zu Lasten der Leiharbeitnehmer mit der individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch Inbezugnahme auf hiervon abweichende Tarifverträge einhergeht. Verpflichtet ist der Gesetzgeber hierbei indes nur auf die Etablierung eines Mindestmaßes an Schutz.429 Entnehmen lässt sich der sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion daher nur das bekannte Untermaß, das im Ergebnis lediglich dazu verpflichtet, Fremdbestimmungen bei der individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes regulativ einzuhegen. Die mindestens erforderliche regulative Handlungsdichte steht damit zwar fest: Die staatlichen Maßnahmen dürfen nicht völlig ungeeignet sein, das Fremdbestimmungsmoment einzuhegen. Hinsichtlich der Re425

Vgl. etwa: Schüren, RdA 2006, 303 (306). Ähnlich: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 137. 426 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 5 Rn. 1. Ähnlich: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.11 („Kernvorschrift“); Forst, Leiharbeit, in: Schlachter/Heinig (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, 2021, § 16 Rn. 66 („Zentralgestirn“). 427 Vgl. zu dieser sozialstaatlichen Schutzpflicht und der Aktivierung derselben in Bezug auf die hier in Rede stehende individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes: S. 326 ff. 428 Vorrangiger Adressat jedweder Schutzpflicht ist der Gesetzgeber: S. 266 ff. 429 Zum Rechtsfolgengehalt dieser Schutzpflichtenfunktion im konkreten Fall: S. 331 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

gulierungsoptionen und der Festlegung des konkreten Schutzmaßes – über das gebotene Mindestmaß hinaus – besteht aber ein Spielraum. Der Gesetzgeber kann sich daher auf die Einführung von Mindestbedingungen beschränken oder aber gar eine Lösung im Sinne praktischer Konkordanz anstreben, um sowohl die Schutzinteressen der Leiharbeitnehmerseite als auch die abwehrrechtlich erfassten Interessen der Entleih- und Verleihunternehmen maximal zu berücksichtigen. Zwischen dem auf der einen Seite gebotenen Untermaß und dem auf der anderen Seite aufgrund der Abwehrfunktion zu wahrenden Übermaßverbot ergibt sich daher der besagte Einschätzungsspielraum für den regulierenden Gesetzgeber. (2) De lege ferenda: Lösungsvorschläge hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Konflikts Mit Blick auf diesen verfassungsrechtlichen Spielraum seien daher im Folgenden entsprechende Lösungsvorschläge hinsichtlich der hier zu besorgenden Einhegung des genannten Fremdbestimmungsmoments vorgestellt und bewertet.430 Fest steht schließlich, dass es derartiger Lösungsvorschläge bedarf – ist doch die aktuell gegebene individualvertragliche Bezugnahmemöglichkeit aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG allein verfassungsrechtlich nicht haltbar.431 (a) Vollständige Streichung der Bezugnahmeklauseln? Konsequent wäre es im Hinblick auf die festgestellte Dysfunktionalität der individualvertraglichen Ebene, die Zuweisung solcher Regelungen von Arbeits- und Entgeltbedingungen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, auf die kollektivvertragliche Ebene vollständig beizubehalten und sie der individualvertraglichen Ebene in der Konsequenz vollständig zu entziehen. Im Ergebnis ließe sich dies durch eine Streichung der Bezugnahmeklauseln erreichen.432 Hiermit würde das herausgearbeitete potenzielle Fremdbestimmungsmoment bei der Inbezugnahme von Tarifverträgen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG zulasten der Leiharbeitnehmerseite abweichen, möglicherweise beseitigt. 430 Das de lege lata vorgesehene Schriftformerfordernis aus § 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG vermag dem Leiharbeitnehmer einzig den Verzicht auf die Gleichbehandlung vor Augen zu führen, das diesbezügliche Fremdbestimmungsmoment aber nicht auszuschalten. 431 Ähnlich – wenngleich nicht verfassungsrechtlich argumentierend – auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 53 („politische Fehlentscheidung“). 432 Eine solche Streichung der Bezugnahmeklauseln ist vereinzelt bereits vorgeschlagen worden. Vgl. etwa: Rödl/Ulber, NZA 2012, 841 (842), dort allerdings aufgrund einer angenommenen Unvereinbarkeit derselben mit der Leiharbeitsrichtlinie. Siehe ferner: Waltermann, NZA 2010, 860 (863). Hierzu auch die Darstellung bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 124 f. Auch Kolfhaus denkt jüngst eine Streichung (knapp) an: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 326).

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(aa) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Diese die Schutzinteressen der Leiharbeitnehmerseite hinsichtlich der genannten Fremdbestimmung maximal verwirklichende433 Lösungsalternative würde freilich in einen nicht unerheblichen Konflikt mit dem entgegenstehenden Grundrecht derjenigen Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG geraten, die trotz entsprechend fehlender Tarifbindung oder mangelnder Verhandlungsstärke im Hinblick auf entsprechende Haustarifverträge dennoch die Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erreichen wollen.434 Insbesondere die Entlohnung der Leiharbeitnehmer unterhalb des Entgeltniveaus vergleichbarer Stammarbeitnehmer stellt schließlich einen wesentlichen Faktor hinsichtlich der Frage dar, ob ein potenzielles Entleihunternehmen ein bestehendes Flexibilisierungsbedürfnis unter Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung deckt oder ob es auf andere Flexibilisierungsinstrumente (vgl. ausführlich S. 59 ff.) zurückgreift. Aus Sicht der betroffenen Verleihunternehmen wäre in der fehlenden Möglichkeit einer individualvertraglichen Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes daher potenziell ein erhebliches Hemmnis zu erblicken, das die zu bedienende Nachfrage durch eine Verteuerung des Verleihangebots ggf. schmälern könnte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn tarifgebundenen Verleihunternehmen oder solchen Unternehmen, denen es gelingt, entsprechende Haustarifverträge abzuschließen, zugleich weiterhin eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz ermöglicht wird. Im Ergebnis würde diese Ungleichbehandlung einen Nachteil zuungunsten derjenigen Verleihunternehmen bedeuten, die tarifungebunden bleiben wollen oder keine Haustarifverträge durchsetzen und dementsprechend keine Abbedingung insbesondere des „Equal Pay“Grundsatzes erreichen können. Ein solcher Grundrechtseingriff würde freilich einen maßgeblichen Rechtfertigungsdruck erzeugen. Wenn es allerdings verfassungsrechtlich zulässig wäre, mit der Streichung der Bezugnahmeklauseln entsprechenden Druck zum Beitritt in einem (verhandlungsstarken) Arbeitgeberverband auf Verleihunternehmen auszuüben, denen mangels entsprechender Durchsetzungsfähigkeit der Abschluss den Gleichbehandlungsgrundsatz abbedingender Haustarifverträge nicht gelingt, wäre von einem solchen veritablen Rechtfertigungsdruck aber nicht auszugehen. Wenn in der Druckausübung in Richtung dieses Auswegs aus der verpflichtenden Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ein verfassungsrechtlich probates Mittel zu sehen wäre, könnte einer Streichung der Bezugnahmeklauseln daher kein Verfassungsverstoß attestiert werden. In diesem Fall wäre der Interessenlage der Verleihunternehmen – der verfolgten Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes – im Ergebnis Rechnung getragen, wenngleich dies nicht über die von Art. 12 Abs. 1 GG erfasste individualvertragliche Ebene geschähe. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines solchen 433

Und hinsichtlich dieses regulativen Ziels daher unzweifelhaft verfassungsrechtlich i. S. d. Verhältnismäßigkeit geeignete Variante. 434 Die Freiheit, Arbeits- und Entgeltbedingungen individualvertraglich auszugestalten, ist als berufsbezogene Vertragsautonomie von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst: S. 229 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Beitrittsdrucks ist indes anhand der Vorgaben der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu beurteilen. (bb) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Zweifelsohne würde mit einer Streichung der Bezugnahmeklauseln und dem daraus folgenden Anreiz, einem Arbeitgeberverband beizutreten, – sofern der Abschluss eines Haustarifvertrags435 nicht gelingt – ein erheblicher Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG einhergehen.436 Diese schützt schließlich nicht nur vor unmittelbarem staatlichen Zwang zum Koalitionsbeitritt, sondern auch vor einem durch sozialinadäquaten Druck ausgeübten dahingehenden mittelbaren Zwang.437 Ob bereits die Schwelle zu solch einem Zwang erreicht wäre oder nur ein von staatlichen Regelungen ausgehender bloßer Anreiz zum Koalitionsbeitritt vorläge,438 der im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit verfassungsrechtlich noch zu vertreten wäre, ist fraglich. Die Bewertung dieser Frage hängt im Wesentlichen davon ab, welche wirtschaftliche Bedeutung man der Ermöglichung einer Entlohnung der Leiharbeitnehmer unterhalb der Gleichbehandlung attestiert. Wer in dem Umstand, dass die Verleihunternehmen der Leiharbeitnehmerschaft in dieser Art geringere Entgelte zahlen, eine Grundbedingung für die Verleihtätigkeit selbst sieht, ohne die eine Tätigkeit in der Branche kaum möglich ist, der wird richtigerweise zu dem Ergebnis kommen müssen, dass in Folge einer Streichung der Bezugnahmeklauseln ein faktischer Zwang zum Koalitionsbeitritt zu einem verhandlungsstarken Arbeitgeberverband bestehe.439 Diese Bewertung ist aber nicht zwingend. Schließlich ist es durchaus denkbar, dass eine Verleihtätigkeit auch unter Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes wirtschaftlich sinnvoll möglich ist.440 Auch wenn allerdings in einer Unterschreitung des „Equal Pay“-Grundsatzes nicht die conditio sine qua non für eine wirtschaftlich sinnvolle Verleihtätigkeit erblickt werden kann, muss gleichwohl konstatiert werden, dass eine Streichung der Bezugnahmeklauseln für nicht tarifgebundene Verleihunternehmen einen Wettbewerbsnachteil nach sich ziehen würde, der einen nicht unerheblichen Anreiz zum Koalitionsbeitritt auslösen

435 Auch eine Druckausübung in Bezug auf den Abschluss eines Haustarifvertrags – allerdings ohne verfassungsrechtliche Herleitung – als Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit wertend: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 26 f. 436 Vgl. Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (499 f.). 437 Vgl. Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 227 ff. 438 Zu dieser Differenzierung: BVerfGE 31, 297 (302); 116, 202 (218); Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23. 439 So bei: Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (499 f.) („existenzielle Bedeutung“). 440 Welche Wirkungen eine Verteuerung des Leiharbeitnehmereinsatzes durch eine unabdingbare Verpflichtung auf den „Equal Pay“-Grundsatz – ggf. ergänzt um eine Flexibilitätsprämie – auf die Verleihbranche hätte, wird unten vertieft diskutiert: S. 586 ff.

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würde.441 Dass dieser Anreiz aufgrund der überragenden Bedeutung einer Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Schwelle zum verfassungsrechtlich unzulässigen Zwang überschreiten würde, ist damit aber nicht festgestellt. Dafür, dass dieser Beitrittsdruck verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann, spricht auch noch ein weiterer Umstand. Ein Rechtfertigungspotenzial in Bezug auf einen solchen Beitrittsdruck käme schließlich nicht nur dem Umstand zu, dass durch eine Streichung der Bezugnahmeklauseln das potenzielle Fremdbestimmungsmoment bei der Inbezugnahme von Tarifverträgen, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, beseitigt werden würde. Vielmehr würde sich hierdurch potenziell auch der Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften erhöhen und damit die dortige leiharbeitnehmerspezifische Interessenvertretung verbessert werden. Dies hat den Hintergrund, dass der Weg zur Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vermittels eines Koalitionsbeitritts zunächst keine unmittelbare Abhilfe schaffen würde. Der Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer ist derartig gering, dass eine Tarifbindung an vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge leiharbeitnehmerseitig nur selten zu erwarten wäre. Im Ergebnis würde den Verleihunternehmen auch bei erfolgreicher Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes qua Tarifvertrag und entsprechender Tarifbindung nur ein geringes Kontingent an Leiharbeitnehmern zur Verfügung stehen, die kraft eigener Tarifbindung unterhalb des „Equal Pay“-Grundsatzes entlohnt werden könnten. Ein Ausweg aus dieser Lage wäre in diesem Szenario für die Verleihunternehmen nur darin zu erblicken, auf potenzielle Leiharbeitnehmer bei entsprechenden Vertragsverhandlungen Druck auszuüben, einer Gewerkschaft beizutreten, die tarifvertragliche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz unterstützt. Das oben festgestellte Fremdbestimmungsmoment beim Vertragsschluss hinsichtlich der individualvertraglichen Inbezugnahme eines vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifvertrags würde sich in diesem Fall in eine fremdbestimmte Drucksituation hinsichtlich des Koalitionsbeitritts umwandeln. Arbeitsverträge gäbe es dann in der Branche womöglich nur noch für diejenigen, die bereit wären, einer Gewerkschaft beizutreten, die derartige Tarifverträge abgeschlossen hat.442 Den Interessen der Leiharbeitnehmer würde solch ein Koalitionsbeitritt schließlich potenziell entgegenstehen, da bei einer schlichten Verweigerungshaltung gegenüber dem Gewerkschaftsbeitritt die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu erwarten wäre.443 Dass die Leiharbeitnehmer, die sich regelmäßig in einer strukturellen 441 Dies würde nicht auf den geringen Anteil derjenigen Verleihunternehmen zutreffen, die etwa hoch spezialisierte Fachkräfte (z. B. IT-Experten) als Leiharbeitnehmer beschäftigen und typischerweise ohnehin Entgelte abseits des „Equal Pay“-Grundsatzes gewähren. 442 In Abweichung von der Aussage von Schüren, RdA 2006, 303 (306): „Arbeitsplätze gibt es in der Branche nur für diejenigen, die bereit sind, Arbeitsverträge mit Tarifbezugnahme zu akzeptieren“. 443 Insofern würde eine Streichung der Bezugnahmeklauseln auch einen Anreiz für diejenigen Leiharbeitnehmer schaffen, die bisher gewerkschaftlich organisiert sind, aus den Ge-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Unterlegenheitssituation gegenüber dem vertraglichen Gegenüber befinden und aufgrund ihrer individuellen Lebenssituation häufig auf eine Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung angewiesen sind, dem zu erwartenden Druck der Verleihunternehmen zum Koalitionsbeitritt standhalten würden, ist nicht zu erwarten.444 Aus verfassungsrechtlicher Sicht würde die Streichung der Bezugnahmeklauseln daher in Bezug auf die Leiharbeitnehmerseite wiederum in einer potenziellen Fremdbestimmungsproblematik münden, die im Rahmen der oben besprochenen sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion verfassungsrechtlich aufzufangen wäre, da ein durch die Verleihunternehmen ausgeübter Druck hinsichtlich des Koalitionsbeitritts zu erwarten wäre. Eine Streichung der Bezugnahmeklauseln würde daher zu verfassungsrechtlichen Folgeproblemen führen, die insofern das hier zu adressierende Fremdbestimmungsmoment beim Vertragsschluss austauschen würden. Hieraus kann aber nicht hergeleitet werden, dass der hier diskutierte Ansatz daher den Schutz der Leiharbeitnehmerinteressen verfehlen würde. Vielmehr muss gesehen werden, dass in dem zu erwartenden Umstand, dass potenziell erheblich mehr Leiharbeitnehmer – wenngleich aufgrund potenziell fremdbestimmenden Drucks der Verleihunternehmen – in Gewerkschaften eintreten würden, die Repräsentation der Leiharbeitnehmerinteressen in den Gewerkschaften verbessert würde.445 So wäre es schließlich denkbar, dass eine höhere Repräsentation der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften dazu führen würde, dass diese sich dort verstärkt engagieren und darauf hinwirken würden, dass sich die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge einer Gleichbehandlung annähern.446 Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang auch, dass die Verhandlungsposition der Gewerkschaften in Bezug auf die tarifvertragliche Strukturierung der Arbeitsund Entgeltbedingungen der Leiharbeitnehmerschaft bereits von vornherein vorwerkschaften auszutreten (in diese Richtung: Reim, ZTR 2003, 106 [109]). Allein hierin kann aber kein Verfassungsproblem gesehen werden, da es naturgemäß Sache der Gewerkschaften ist, durch eine wirksame Interessenvertretung Beitrittsanreize zu schaffen (vgl. auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 125). 444 Insofern würde sich die oben im Rahmen der sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion ausgebreitete Drucksituation hinsichtlich der Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hier entsprechend wiederholen. 445 Die Gründe für den geringen Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer sind mannigfaltig. Genannt werden kann das durchschnittlich jüngere Lebensalter der Leiharbeitnehmer, das statistisch mit einer geringeren Gewerkschaftszugehörigkeit assoziiert ist, die Hoffnung auf den Klebeeffekt, der einen baldigen Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis erwarten und daher eine gewerkschaftliche Organisation unnötig erscheinen lässt sowie nicht zuletzt auch der hier in Rede stehende Umstand, dass die DGB-Gewerkschaften traditionell zum Nachteil der Leiharbeitnehmer vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen. Vgl. hierzu weiterführend: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 37 f. 446 Vgl. auch bereits ansatzweise: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 326 („freiwillige Unterwerfung von Leiharbeitnehmer*innen nur unter ihnen günstige Tarifergebnisse“).

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teilhaft ist. Denn die Verleihunternehmen und die dortigen Arbeitgeberverbände sind auf eine Abbedingung des Gleichbehandlungsgrundsatzes angewiesen. Ein bloßes Drohen mit der gesetzlichen Regelung seitens der Gewerkschaften müsste daher in den Tarifverhandlungen streng genommen genügen, um das Gegenüber zu Zugeständnissen und insofern zur Wahl des „kleineren Übels“ gegenüber dem gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu bewegen.447 Dass sich diese starke Verhandlungsposition der Gewerkschaften allerdings nicht flächendeckend in leiharbeitnehmerfreundlichen Tarifverträgen,448 oder gar in einer Verweigerung einer tarifvertraglichen Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer gegenüber vergleichbaren Stammbeschäftigten durchsetzt, hat vor allem den Hintergrund, dass die Leiharbeitnehmer nur in geringem Umfang in den Gewerkschaften organisiert sind.449 Gleichzeitig gewinnt die Interessenvertretung der Gewerkschaften zugunsten der Stammarbeitnehmer zum Teil gegenüber der Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer die Oberhand, sodass Tarifverträge geschlossen werden, die eine Schlechterstellung der Leih- gegenüber den Stammarbeitnehmern nach sich ziehen.450 Festzuhalten ist daher, dass ein höherer Organisationsgrad der Leiharbeitnehmerschaft im Zweifel zu einer Verbesserung ihrer Interessenvertretung führen würde. In diesem maßgeblichen Positiveffekt, der potenziell mit einer Abschaffung der Bezugnahmeklauseln einhergehen würde, kann daher durchaus eine Kompensation der genannten verfassungsrechtlichen Negativfolgen erblickt werden. Zwar würde auch diese Verbesserung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung nur durch entsprechenden Druck der Verleihunternehmen auf die Leiharbeitnehmer erreicht werden, da für diese ein Fernbleiben von den Gewerkschaften den Gleichbehandlungsgrundsatz aktivieren und somit die bessere Wahl darstellen würde.451 Es wäre 447

So treffend: Bauer/Krets, NJW 2003, 537 (539). Vgl. auch: Schüren, RdA 2006, 303 (306). Dies in Bezug auf den Gleichbehnadlungsgrundsatz a. F. kritisierend: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 32. 448 Zwar muss gesehen werden, dass die entsprechenden Tarifverträge mittlerweile vielfach Entgelte vorsehen, die die Entlohnung der Leiharbeitnehmer in die Nähe des Gleichbehandlungsgrundsatzes rücken (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 47 [„in der Regel 90 %“]; Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 39 f.) Auch hierin ist aber eine Verschlechterung gegenüber dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu sehen (vgl. insofern die Darstellung bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 101, 123; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 8 Rn. 138; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 8 Rn. 22). Zudem sind noch immer (Haus-)Tarifverträge zu finden, die erhebliche Abweichungen (bis zu 42 %) vom „Equal Pay“-Grundsatz vorsehen (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 101). 449 Vgl. Hamann/Klengel, EuZA 2017, 485 (450 f.); Richardi, NZA 2013, 408 (410 f.). 450 Vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 40 f. 451 Dies verkennt hingegen Corzelius, der annimmt, dass eine Streichung der Bezugnahmemöglichkeiten dazu führen würde, dass die Gewerkschaften den Leiharbeitnehmerinteres-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

aber perspektivisch damit zu rechnen, dass hierdurch ein Großteil der Leiharbeitnehmer den Gewerkschaften beitreten würde, was zu einer maßgeblichen Verbesserung der dortigen Interessenvertretung beitragen könnte. Dieser Positivaspekt könnte wiederum das zu antizipierende Fremdbestimmungsmoment in Bezug auf den Gewerkschaftsbeitritt ausgleichen, sodass allein hierin kein verfassungsrechtliches Hindernis erblickt werden kann, dass einer Streichung der Bezugnahmeklauseln entgegenstünde. Ferner könnte man dieser Lösungsmöglichkeit auch nicht entgegenhalten, dass es mildere, aber in Bezug auf eine Stärkung der Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer gleich wirkungsvolle gesetzgeberische Alternativen gäbe und die hiesige Lösungsalternative daher im verfassungsrechtlichen Sinne nicht erforderlich wäre. Die sogleich zu diskutierenden Regulierungsmöglichkeiten, die ebenfalls dieses Ziel verfolgen, dabei aber eine Bezugnahmemöglichkeit bestehen lassen, würden schließlich perspektivisch nicht dazu führen, dass ein so großer Anteil der Leiharbeitnehmer den Weg in die Gewerkschaften finden würde, wie dies eine Streichung der Bezugnahmeklauseln versprechen würde. Die hier in Rede stehende Regulierungsmöglichkeit könnte also durchaus eine Lösung der verfassungsrechtlichen Gemengelage erreichen. Zwar würde ein erheblicher Beitrittsdruck auf tarifungebundene Verleihunternehmen ausgeübt werden. Daneben wäre damit zu rechnen, dass die Verleihunternehmen wiederum ihrerseits auf nicht tarifgebundene Leiharbeitnehmer einwirken würden, in diejenigen Gewerkschaften einzutreten, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge aushandeln. Beide Negativaspekte könnten allerdings dadurch eine rechtfertigende Kompensation erfahren, dass der Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer hierdurch verbessert werden würde und damit die Interessenvertretung derselben forciert werden würde.452 Gleichzeitig wäre für diejenigen Leiharbeitnehmer, die sich dem Koalitionsbeitritt verschließen, eine Gleichbehandlung auf Stammarbeitnehmerniveau zu erwarten. Dass die hiermit in Bezug genommene gesetzgeberische Hinwirkung auf einen höheren Organisationsgrad der Leiharbeitnehmerschaft ein legitimes gesetzgeberisches Ziel darstellt, steht aber im Übrigen außer Frage. Die Koalitionsfreiheit aus sen entsprechende Tarifverträge abschließen und so um diese werben würden, was zu vermehrten Beitritten der Leiharbeitnehmer führen würde (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 126). Dies ist allerdings allein aufgrund der Tatsache, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz bei schlichter Verweigerungshaltung gegenüber dem Gewerkschaftsbeitritt zu erwarten wäre – was in jedem Fall die bessere Option gegenüber einem nur in geringfügigem Maß von der Gleichbehandlung abweichenden Tarifvertrag darstellt – nicht zu antizipieren. 452 In diese Richtung auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 126 („Die Streichung der Bezugnahmemöglichkeit stellt damit einen Weg dar, der zu einer Rückbesinnung der Tarifautonomie in der Arbeitnehmerüberlassung als mitgliedschaftlich legitimierte, im Kern kollektive Privatautonomie führt.“).

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Art. 9 Abs. 3 GG verwehrt es dem Gesetzgeber nicht, Anreize hinsichtlich einer Stärkung tarifvertraglicher Strukturen zu etablieren.453 Unzulässig ist angesichts der negativen Koalitionsfreiheit einzig ein Zwang, einer Koalition beizutreten oder ein dahingehender sozialinadäquater Druck.454 Eine Pflicht zu einer gänzlich neutralen Haltung trifft den Staat demgegenüber nur in Bezug auf die Arbeitskampffreiheit.455 Dies gilt namentlich etwa in der Form, dass es ihm verwehrt ist, Disparitäten zwischen den Koalitionen auszugleichen, die nicht auf strukturellen Ungleichgewichtslagen, sondern bspw. auf der inneren Schwäche einer Koalition beruhen.456 Hiervon kann aber dann nicht die Rede sein, wenn der Staat mit regulativen Mitteln darauf abzielt, die Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer zu forcieren. Schließlich ist die Verhandlungsposition der Gewerkschaften in Bezug auf vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge bereits von vorneherein vorteilhaft. Es kann daher nicht davon die Rede sein, dass einer innerlich schwachen Gewerkschaft erstmalig zur Durchsetzungsstärke verholfen würde. Vielmehr steht das Ziel im Raum, die Funktionalität der tarifvertraglichen Aushandlung von Arbeits- und Entgeltbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung zu erhöhen. Insofern ist dieses gesetzgeberische Anliegen nicht per se illegitim. (cc) Zwischenergebnis zur Vereinbarkeit einer vollständigen Streichung der Bezugnahmeklauseln mit den grundgesetzlichen Vorgaben Eine vollständige Streichung der Bezugnahmeklauseln würde die betroffenen Verleihunternehmen daher nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigen. Unter den gleichen Vorzeichen – und hier nicht gesondert betrachtet – wäre daneben auch keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG zu besorgen.457 Diese 453 Anreize zum Koalitionsbeitritt sind zulässig: BVerfGE 31, 297 (302); 116, 202 (218); Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23. Demgegenüber die Antithese zur herrschenden Auffassung, die auf eine globale Kritik an staatlichen Anreizen zur Stärkung tariflicher Strukturen abzielt: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, S. 415, 527. 454 Vgl. Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 23; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 227 ff. 455 Weiterführend zur staatlichen Neutralitätspflicht im Arbeitskampf: Linsenmaier, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, Art. 9 GG Rn. 148 ff. 456 Vgl. BVerfGE 92, 365 (396); 146, 71 (122). 457 Die entsprechende Ungleichbehandlung läge in Gestalt der Differenzierung zwischen Verleihunternehmen, die eine Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Wege tarifvertraglicher Abweichung vornehmen, und solcher Verleihunternehmen, die dies unter individualvertraglicher Bezugnahme auf derartige Tarifverträge erreichen, vor. Da indes der Weg zur Unterschreitung des Gleichbehandlungsgrundsatzes den letztgenannten Verleihunternehmen bei Streichung der Bezugnahmeklauseln i. E. nicht versperrt bliebe, da dieser nach wie vor mittels einer Tarifbindung an entsprechend abweichende Tarifverträge (oder ggf. über einen Haustarifvertrag) möglich wäre, stellt sich auch hier die Frage, ob der mit der Streichung der individualvertraglichen Bezugnahmemöglichkeiten einhergehende Anreiz, kollektivvertraglich tätig zu werden, verfassungsrechtlich zulässig wäre. Da dies – wie gesehen – der Fall ist, läge auch diesbzgl. kein Verfassungsverstoß vor.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Eingriffe würden schließlich durch die Möglichkeit, über einen Koalitionsbeitritt zu entsprechenden Arbeitgeberverbänden eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz zu erreichen, kompensiert werden. Zwar würde die hier in Rede stehende Regulierungsoption im Hinblick auf die negative Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer zu dem Folgeproblem führen, dass sie eine Tendenz der Verleihunternehmen erwarten lassen würde, Leiharbeitnehmer zu einem Gewerkschaftsbeitritt zu drängen, damit überhaupt eine beidseitige Tarifbindung an entsprechende Tarifverträge erreicht werden könnte. Auch dies wiederum wäre aus verfassungsrechtlicher Sicht im Hinblick auf die hiermit eintretenden Positiveffekte ein hinnehmbarer Zustand, sodass eine Streichung der Bezugnahmeklauseln insgesamt ein gangbarer Weg wäre. Die verfassungsrechtliche Kritik hieran wäre aber vorprogrammiert.458 (b) Tarifdispositive Ausgestaltung als Ansatzpunkt? Eine andere Lösungsalternative bestünde ggf. darin, die tarifvertragliche Ausgestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen an die Voraussetzung einer verbesserten Interessenvertretung der Leiharbeitnehmerschaft zu knüpfen. Wie soeben schon deutlich geworden ist, steht die gewerkschaftliche Vertretung der Leiharbeitnehmerinteressen vor der Problematik, dass die Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften nur in geringem Umfang organisiert sind, während der Organisationsgrad der Stammarbeitskräfte deutlich höher ist. Dieser Umstand führt – gepaart mit der Tatsache, dass die Interessen der Stammarbeitnehmer hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung der Interessenlage der Leiharbeitnehmerschaft zum Teil widersprechen – zu einer suboptimalen Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften.459 Aus Sicht der Stammarbeitnehmerschaft geht schließlich mit dem Leiharbeitnehmereinsatz im eigenen Unternehmen zunächst der offenkundige Vorteil einher, dass im Falle etwa einbrechender Nachfrage zuerst der – insofern leichter abzubauende460 – Leiharbeitnehmeranteil freigesetzt wird, bevor der im Zweifel rechtlich schwierigere Weg betriebsbedingter Kündigungen des Stamm-

458 Man denke allein an die in der Literatur formulierte verfassungsrechtliche Kritik (Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 20 ff.; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 45 ff.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 170 ff., 197 ff.) am Gleichbehandlungsgrundsatz a. F., der ebenfalls bereits eine individualvertragliche Bezugnahmemöglichkeit auf hiervon abweichende Tarifverträge vorsah und ggü. der hier diskutierten Regulierungsoption daher wesentlich milder ausfiel. 459 Harscher ist hingegen das Urteil bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 52 f. („Die Tarifdispositivität in dieser Form zu erhalten, stellt daher eine politische Fehlentscheidung dar, welche die Tarifautonomie zu einem den Arbeitnehmer schädigenden Instrument pervertiert.“) 460 Umfassend zu dem hierdurch entstehenden faktischen Beschäftigungsschutz zugunsten der Stammarbeitnehmer bei entsprechendem Leiharbeitnehmereinsatz im Betrieb: S. 114 f.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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personals beschritten wird.461 Soll daher sichergestellt werden, dass von der Arbeitnehmerüberlassung zur Flexibilitätssteigerung Gebrauch gemacht wird und daher ein gewisser Anteil von Leiharbeitnehmern im Unternehmen vorhanden ist, so setzt dies voraus, das Entgelt entsprechender Leiharbeitnehmer unterhalb desjenigen eines Stammarbeitnehmers zu halten (vgl. hierzu S. 67 ff.). Gleichsam darf der Leiharbeitnehmereinsatz aber auch nicht aufgrund einer Absenkung des dortigen Lohnniveaus finanziell so attraktiv werden, dass eine verstärkte Ersetzung von Stammarbeitnehmern (siehe hierzu S. 117 ff.) droht. Im Ergebnis liegt daher angesichts der überproportionalen Interessenvertretung der Stammarbeitnehmerseite in den Gewerkschaften kein veritables Interesse vor, eine Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer zu forcieren.462 Im Gegenteil: Das Interesse der Gewerkschaften dürfte eher darin liegen, dass Leiharbeitnehmer gegenüber den Stammbeschäftigten geringer entlohnt werden – ohne zugleich aufgrund erheblicher Lohnunterschiede Anregungen zur Ersetzung des Stammpersonals zu schaffen. In der Konsequenz entstehen die in der Arbeitnehmerüberlassung vorzufindenden vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichenden Tarifverträge.463 Eine Verbesserung dieses Umstands könnte in einer direkten und gezielten Schaffung von Anreizen zur Erhöhung des Organisationsgrades der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften liegen. Ein höherer Leiharbeitnehmeranteil in den Arbeitnehmerkoalitionen könnte ggf. dazu führen, dass seitens der Gewerkschaften vermehrt das Interesse der Leiharbeitnehmer an einer weitestgehenden Angleichung der Arbeits- und Entgeltbedingungen an das Stammarbeitnehmerniveau forciert würde. Dies wäre geeignet, die übrigen Negativfolgen, die mit der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung zuweilen einhergehen, jedenfalls zum Teil zu kompensieren. In der Folge wären ggf. mindestens Tarifverträge, die den Gleichbehandlungsgrundsatz zwar abbedingen, aber die Interessen der Leiharbeitnehmer hierbei 461 Hierauf ebenfalls hinweisend: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 42. 462 So i. E. auch: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 42. 463 Corzelius kommt vor dem Hintergrund dieser Beobachtungen und im Lichte kollektivarbeitsrechtlicher Dogmatik zu dem Ergebnis, dass die Tarifverträge in der Arbeitnehmerüberlassung schlichtweg unwirksam seien (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 52 f., 62 f.). Schließlich seien diese Ausdruck einer Fremdbestimmung der Gewerkschaften, die hinsichtlich der Leiharbeitnehmerschaft kaum über eine mitgliedschaftliche Legitimation verfügen. Daher stünden die Tarifverträge gerade nicht im Zeichen der kollektiven Selbstbestimmung, die durch die Tarifautonomie überhaupt erst erreicht werden sollte (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 28 ff.). Zudem könne die Tarifautonomie in der Arbeitnehmerüberlassung angesichts der insofern qua individualvertraglicher Bezugnahme „aufoktroyierten“ nachteiligen Tarifverträgen nicht die strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmerschaft beseitigen. In der individualvertraglichen Bezugnahme würde sich vielmehr diese Unterlegenheit wiederum realisieren (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 123, 137).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

gezielter berücksichtigen und eventuell sogar Tarifverträge, die jedenfalls vom „Equal Pay“-Grundsatz nicht abrücken und so der finanziellen Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer entgegentreten, zu erwarten. Läge indes solch eine Interessenvertretung der Leiharbeitnehmerseite auf der kollektivvertraglichen Ebene vor, wäre in der hier in Rede stehenden potenziell fremdbestimmten Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes auf individualvertraglicher Ebene durch die Ingebrauchnahme der Bezugnahmeklauseln keine nennenswerte Verletzung der Interessen betroffener Leiharbeitnehmer mehr zu erblicken. Schließlich würde das dortige Fremdbestimmungsmoment dann durch eine gehaltvolle Interessenvertretung auf tarifvertraglicher Ebene kompensiert. Im Ergebnis wäre der Verpflichtung auf ein Mindestmaß an Schutz zugunsten der Leiharbeitnehmerseite, zu der der Gesetzgeber aufgrund der hier zugrunde gelegten sozialstaatlichen Schutzpflichtenfunktion berufen ist, Genüge getan. (aa) Mindestanforderungen an den Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer? Umsetzen ließe sich solch eine Forcierung der gewerkschaftlichen Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer in den tarifvertragsschließenden Gewerkschaften etwa mit einer Mindestquote464 an gewerkschaftlich vertretenen Leiharbeitnehmern im betreffenden Tarifbereich.465 Hiermit würde zwar mindestens eine eingriffsähnliche Ausgestaltung oder gar ein Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG einhergehen, was die Rechtfertigung dieses Regulierungsschrittes erforderlich machen würde. Über das gewichtige Interesse, der strukturellen Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer durch die Forcierung einer veritablen Interessenvertretung auf kollektivvertraglicher Ebene zu begegnen, ließe sich eine solche Mindestquote aber perspektivisch begründen. Angesichts der Vielzahl an Branchen, in denen Leiharbeitnehmer tätig werden und der demgemäß stark aufgesplitterten Interessenvertretung der Leiharbeitnehmerschaft dürfte diese Quotierung indes nicht zu hoch angesetzt werden.466 Kritisch zu sehen wäre daher etwa eine gesetzlich geforderte Quotierung von 100 % Leiharbeitnehmern – also die Forderung, dass nur eine (noch zu gründende) originäre 464 Eine solche Mindestquote hinsichtlich des Organisationsgrades der Leiharbeitnehmerschaft in der betreffenden Gewerkschaft fordern auch bereits: Schlachter/Klauk, AuR 2010, 354 (360 – 362). Allerdings wird dort der Versuch unternommen, eine solche Quotierung im Rahmen des geltenden Rechts über eine teleologische Reduktion zu erreichen, um so die materielle Richtigkeit des fraglichen Tarifwerkes zu indizieren. Vgl. hierzu auch die Darstellung bei: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 127. 465 Dass eine Gewerkschaft über eine Mindestmitgliederzahl in dem entsprechenden Tarifbereich verfügt, hat das BAG bisher für eine unmittelbare Geltung von Tarifverträgen nach § 4 Abs. 1 TVG nicht gefordert (vgl. BAG, Beschl. v. 28.3.2006 – 1 ABR 58/04, NZA 2006, 1112 [1121]). Dies in Bezug auf die Tariflandschaft in der Arbeitnehmerüberlassung (wohl kritisch) rezipierend: Richardi, NZA 2013, 408 (412). 466 Vorgeschlagen wurden etwa bereits 5 %. So bei: Schlachter/Klauk, AuR 2010, 354 (362).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Leiharbeitnehmergewerkschaft vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge abschließen könnte. Eine solche Gewerkschaft würde zwar eine maximale mitgliedschaftliche Legitimation beanspruchen.467 Allerdings müsste gesehen werden, dass eine Leiharbeitnehmergewerkschaft in Anbetracht der Tatsache, dass die Leiharbeitnehmerschaft zu einem nicht unerheblichen Anteil aus Personen besteht, die vormals arbeitslos waren oder die jedenfalls problematische Erwerbsbiografien aufweisen und an deren Willen zum Arbeitskampf keine hohen Erwartungen gestellt werden können, ggf. nicht die nötige soziale Mächtigkeit aufweisen würde.468 Einer angemessenen Mindestquote bedürfte es allerdings dann nicht, wenn die tarifvertragliche Ausgestaltung der Arbeits- und Entgeltbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung ohnehin bereits auf die Einhaltung eines die Interessen der Leiharbeitnehmerseite hinreichend berücksichtigenden Schutzniveaus verpflichtet wäre. Einen entsprechenden rechtlichen Ansatzpunkt für eine derartige inhärente Verpflichtung liefert dem Grunde nach der EuGH in der Rechtssache C-311/21 durch die dortige Interpretation des „Gesamtschutzes“.469 Auch die vom EuGH ins Spiel gebrachte Auslegung dieser Bestimmung als konkrete Kompensationsverpflichtung dürfte indes nicht dazu führen, dass vom „Equal Pay“-Grundsatz abweichende Tarifverträge die finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer aufgrund von tarifvertraglichen Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz wirksam ausgleichen werden. Eine nähere Konturierung des Schutzniveaus, das aus dem „Gesamtschutz“ folgt, durch die nationale Arbeitsgerichtsbarkeit bleibt noch abzuwarten. Zudem dürften zum Nachteil der Leiharbeitnehmer von „Equal Pay“ abweichende Tarifverträge aus den oben dargelegten Gründen ohnehin zum größten Teil ihre Gültigkeit behalten (vgl. ab S. 171 ff.). Ferner lässt sich der Tarifdispositivität hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG auch keine inhärente ungeschriebene Begrenzung hinsichtlich der tariflichen Regulierung der Arbeits- und Entgeltbedingungen entnehmen,470 kraft derer die tarifvertragsschließenden Parteien auf eine weitestgehende Orientierung am Gleichbehandlungsgrundsatz – und somit auf die interessengerechte Vertretung der Leiharbeitnehmerseite – verpflichtet wären.471 467

Vgl. hierzu und weiterführend zu den diesbzgl. tarifvertragsrechtlichen Bedenken: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 128 ff., 131 ff. 468 In diese Richtung zutreffend: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 136. 469 In diese Richtung zuvor bereits: Seiwerth, ZESAR 2021, 127 (129). 470 Entsprechende Tarifverträge lassen sich allenfalls an § 138 BGB messen, der insofern eine äußerste „Exzesskontrolle“ hinsichtlich solcher Arbeitsentgelte beinhaltet, die in einem groben Missverhältnis zur jeweiligen Arbeitsleistung stehen (vgl. etwa: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 120 ff., 133). 471 Vgl. hierzu umfassend und weiterführend: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 157 ff. Insbesondere lässt sich eine solche

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Eine Verpflichtung der Gewerkschaften, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz tarifvertraglich abzuweichen gedenken, auf eine Mindestquote an kollektivvertraglich vertretenen Leiharbeitnehmern wäre daher ein denkbarer Weg, der eine Beibehaltung der Bezugnahmeklauseln ermöglichen würde, da den Interessen der Leiharbeitnehmer auf tarifvertraglicher Ebene so perspektivisch hinreichend Rechnung getragen werden würde. Dies trüge dazu bei, die in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung in besonderem Maße festzustellende Dysfunktionalität der individualvertraglichen Ebene hinsichtlich der Erreichung interessengerechter Arbeits- und Entgeltbedingungen auf kollektivvertraglicher Ebene ausgleichen zu können.472 Eine derartige Mindestquote wäre freilich gesetzlich zu implementieren.473 Aus den Anforderungen an die Tariffähigkeit der in Rede stehenden Gewerkschaften folgt sie nicht.474 Die einer solchen Mindestanforderung hinsichtlich des Organisationsimmanente Grenze auch nicht mit einer etwaigen Schutzpflicht in Bezug auf die Interessen der Leiharbeitnehmer begründen, die von den Gewerkschaften im Rahmen der entsprechenden tariflichen Vereinbarungen ungenügend durchgesetzt werden (vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 163 ff.). Dieser Gedanke geht indes schon deswegen fehl, weil sich die grundrechtliche Schutzpflicht nicht als derartige verfassungsrechtliche Auffangebene für jedwede staatliche Interessenwahrnehmung strukturell Unterlegener verstehen lässt. Allenfalls lässt sich der hiesige Gedanke unter das Sozialstaatsprinzip fassen – das ggü. der Schutzpflicht aber hinsichtlich der daraus folgenden staatlichen Verpflichtung deutlich unergiebiger ist (ausführlich oben S. 301 ff.). 472 Vgl. insofern auch zur Stärkung der Möglichkeiten kollektiver Selbsthilfe durch die gesetzliche Forcierung der tarifautonomen Gestaltung im Angesicht struktureller Unterlegenheitssituationen: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 52 ff. 473 Denkbar wäre es daher etwa, diese zusätzliche Anforderung unmittelbar innerhalb von § 8 Abs. 2 – 4 AÜG einzufügen. 474 Aus der im Rahmen von § 2 Abs. 1 TVG zu fordernden sozialen Mächtigkeit folgt zwar, dass anhand objektiver Kriterien – wie bspw. der Anzahl an Mitgliedern und deren Stellung in den Betrieben – die Druckausübungsfähigkeit der jeweiligen Gewerkschaft zu ermitteln ist (vgl. Franzen, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 2 TVG Rn. 11 f.). Allerdings wird die Fähigkeit der Gewerkschaften, tatsächlichen Verhandlungsdruck auf die Gegenseite auszuüben, in Bezug auf Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei geringer Mitgliederstärke in der Leiharbeitnehmerschaft nicht fehlen, da ihre Verhandlungsposition angesichts der zwingenden gesetzlichen Regelung vorteilhaft ist (vgl. Bauer/Krets, NJW 2003, 537 [539]; Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 37 f.; Schüren, RdA 2006, 303 [306]). Im Zweifel wird daher in diesem Zusammenhang keine Mindestquote in der hier vorgeschlagenen Art im Rahmen der festzustellenden sozialen Mächtigkeit der Gewerkschaft erforderlich sein. Eine solche lässt sich daher auch nicht im Wege des Statusfeststellungsverfahrens nach § 97 ArbGG überprüfen. Das BAG hatte die Frage nach der sozialen Mächtigkeit im Übrigen im Verfahren um die Tariffähigkeit der CGZP offengelassen (vgl. BAG, Urt. v. 17.11.2010 – 10 AZR 649/09, NZA 2011, 289 [300]). Nicht verschwiegen werden soll zwar, dass die Feststellung der Tarifunfähigkeit der CGZP deren Lohndumping beendete und die Tarifabschlüsse zugunsten der Leiharbeitnehmer verbessert hat (vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 171 f.). Allerdings hat dies nichts an dem grundsätzlicheren Problem der geringen Repräsentation der Leihar-

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grades der Leiharbeitnehmer zum Teil entgegengebrachte kollektivarbeitsrechtliche Kritik,475 dass dieser Vorschlag eine funktionale Nähe zur – nach überwiegender Ansicht abzulehnenden – Konzeption der partiellen Tariffähigkeit aufweise, kann nicht geteilt werden. Wird die genannte Mindestquote gesetzlich festgelegt, verfängt die der dogmatischen Konstruktion der partiellen Tariffähigkeit gegenüber angebrachte Kritik der Rechtsunsicherheit nicht.476 Nicht verschwiegen sei jedoch bereits an dieser Stelle, dass es an dem Bedürfnis, an der tarifdispositiven Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen in dieser Weise anzusetzen, zugegebenermaßen bereits dann fehlen würde, wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtend gemacht würde und keine tarifvertraglichen Abweichungen mehr zugelassen würden.477 (bb) Mindestanforderungen an den Inhalt der Tarifverträge? Ein alternativer Ansatz zur Wahrung der Leiharbeitnehmerinteressen bei der Ausgestaltung von Tarifwerken, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, könnte darüber hinaus darin zu erblicken sein, nicht an dem Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer in der betreffenden Gewerkschaft, sondern an dem Ergebnis der Tarifverhandlungen selbst anzusetzen und demgemäß gesetzliche Mindestanforderungen an diesbezügliche Tarifverträge zu stellen.478 Denkbar wäre hierbei etwa, in Bezug auf die Abweichung vom „Equal Pay“-Grundsatz zu fordern, dass nur diejenigen Tarifverträge individualvertraglich einbezogen werden dürften, die eine festgelegte Abweichungsgrenze nicht unterschreiten.479 beitnehmerinteressen in den Gewerkschaften geändert. Nicht weiter verfolgt werden soll hier ferner der – insofern rechtsunsichere und dogmatisch angreifbare – Weg über eine teleologische Reduktion des geltenden Rechts (vgl. hierzu: Schlachter/Klauk, AuR 2010, 354 [360 ff., 362]). 475 So aber: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 127 f. 476 Vgl. zur Kritik der überwiegenden Ansicht (m. w. N.): Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 39 ff. 477 So die Reformüberlegungen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke. Siehe hierzu unten: S. 586 ff. Vgl. außerdem aus zivilrechtlich-analytischer Sicht zur „Staatshilfe durch zwingende Arbeitnehmerschutzgesetze“ im Hinblick auf die Kompensation struktureller Ungleichgewichtslagen: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 51 f. 478 Eine solche materiell-rechtliche Hürde i. S. e. „Bezugnahme nach Vorprüfung“ fordernd: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 137 ff. Allerdings wird hier nicht eine unmittelbar innerhalb der Bezugnahmeklausel aus § 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG einzufügende Tatbestandsvoraussetzung, sondern eine behördliche Prüfung ähnlich der Allgemeinverbindlicherklärung aus § 5 TVG gefordert. 479 Corzelius schlägt eine Grenze von 25 oder 30 % vor (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 140) – was nach h. E. nicht weit genug geht. Angemessen wäre vielmehr eine Grenze von maximal 20 %.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Die Implementierung einer solchen gesetzlichen Vorgabe bei gleichzeitiger Beibehaltung der Bezugnahmeklauseln hätte den Vorzug, dass das fremdbestimmte arbeitgeberseitige Diktat bei der Einbeziehung von Tarifwerken, die für die Leiharbeitnehmer nachteilig sind, jedenfalls in Bezug auf diesbezüglich besonders nachteilige Tarifwerke ausgeschlossen und das Fremdbestimmungsmoment somit abgemildert würde. Zugleich entstünde ein Anreiz für gewerkschaftlich organisierte Leiharbeitnehmer aus Gewerkschaften, die diese Abweichungsgrenzen unterschreiten, auszutreten und sich in Gewerkschaften zu engagieren, die diese Grenzen einhalten. In der Folge wäre damit zu rechnen, dass die Gewerkschaften diese Abweichungsgrenzen wahrende und daher interessengerechtere Tarifverträge anstreben, um einem Mitgliederverlust vorzubeugen. Zu einem Aufschwung hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Organisation der Leiharbeitnehmerschaft und damit zu einer echten Stärkung der kollektivvertraglichen Organisation des Arbeitslebens in Bezug auf die Arbeitnehmerüberlassung würde dieses Konzept freilich nicht führen. Schließlich bestünde angesichts der Tatsache, dass dennoch unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit der Leiharbeitnehmer eine Abweichung vom Gleichbehandlungsgrundsatz – gleichwohl nur bis zur entsprechenden Abweichungsgrenze – erreicht werden könnte, kaum ein Beitrittsanreiz. Sehr wohl aber würden solche Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz, die geradezu leiharbeitnehmerschädigend sind, verhindert werden. Offen bliebe, ob eine entsprechende Abweichungsgrenze als unmittelbare tatbestandliche Voraussetzung innerhalb der Bezugnahmeklausel aus § 8 Abs. 4 Satz 3 AÜG zu implementieren wäre oder ob dies in einem Prüfverfahren zur Öffnung von entsprechenden Tarifverträgen in Bezug auf die individualvertragliche Bezugnahme geschehen könnte.480 (cc) Zwischenergebnis bezüglich der Ausgestaltungsmöglichkeiten der Tarifdispositivität Die beiden hier vorgeschlagenen Konstruktionen sind gleich geeignet, in erheblichem Ausmaß vom „Equal Pay“-Grundsatz abweichende und daher leiharbeitnehmerschädigende Tarifverträge zu verhindern und stellen daher probate Lösungswege dar, um der staatlichen Schutzverpflichtung nachzukommen. Eine gesteigerte kollektive Interessenvertretung der Leiharbeitnehmerschaft, die über die 480 Letzteres schlägt Corzelius in Anlehnung an die Allgemeinverbindlicherklärung aus § 5 TVG unter Ersetzung des dort geforderten öffentlichen Interesses mittels der in Rede stehenden Abweichungsgrenze vor, bleibt aber einen konkreten Formulierungsvorschlag schuldig (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 140 ff.). Eine entsprechende Formulierung hinsichtlich eines solchen Verfahrens könnte wiederum in Bezug auf den „Equal Pay“-Grundsatz in § 8 Abs. 4 AÜG implementiert und an § 5 TVG angelehnt werden und wie folgt lauten: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann einen Tarifvertrag im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss (Tarifausschuss) auf gemeinsamen Antrag der Tarifvertragsparteien für individualvertragliche Inbezugnahmen nach Satz 3 öffnen, wenn dieser das nach Absatz 1 Satz 1 geschuldete Arbeitsentgelt um nicht mehr als 20 % unterschreitet“.

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alleinige Kompensation des Fremdbestimmungsmoments bei der individualvertraglichen Inbezugnahme durch die potenzielle Verbesserung der entsprechenden Tarifwerke hinausgeht, kann indes nur die erstgenannte Variante erreichen. (c) Individualvertragliche Bezugnahme als Ansatzpunkt? Eine andere Lösungsmöglichkeit wäre ggf. darin zu erblicken, in Bezug auf die Einhegung des in Rede stehenden Fremdbestimmungsmoments unmittelbar an der individualvertraglichen Ingebrauchnahme der Bezugnahmeklauseln anzusetzen. Es ist schließlich eine typische zivilrechtliche Lösungsstrategie, derartige Fremdbestimmungsmomenten mittels gesetzlicher Ausgleichsmechanismen zu begegnen, um im Ergebnis strukturelle Unterlegenheitssituationen zu nivellieren.481 Dort, wo die formal freie privatautonome Grundrechtsausübung aufgrund eines strukturellen Kräfteungleichgewichts nicht zu materiell interessengerechten Vertragsinhalten führen kann, ist der Gesetzgeber nach dem hier vertretenen Schutzpflichtverständnis jedenfalls dann, wenn dies kraft grundrechtlichen Übergriffs oder kraft eines Fremdbestimmungsmoments geschieht, verfassungsrechtlich zur Installierung eines Mindestmaßes an Schutz verpflichtet. Hierzu ist zuvörderst die Identifikation solcher Vertragskonstellationen, die typisierbar von struktureller Unterlegenheit geprägt sind, vonnöten, um dann die Implementierung von gesetzlichen Ausgleichsmechanismen zu forcieren, die die Unterlegenheitsposition des Betroffenen zu kompensieren suchen.482 Derartige zivilrechtliche Kompensationsmechanismen setzen typischerweise an der sachlich-inhaltlichen Ebene des vertraglich Vereinbarten an und überprüfen Vertragsinhalte auf inhaltliche Missstände. Zu nennen sind hier insbesondere die generalklauselartigen Ausgleichsmechanismen der Sittenwidrigkeitskontrolle aus § 138 Abs. 1 BGB und der Inhaltskontrolle aufgrund von § 242 BGB483 sowie die Kontrollinstrumente hinsichtlich allgemeiner Geschäftsbedingungen aus §§ 305 ff. BGB.

481 Ausdrücklich nicht gemeint ist an dieser Stelle daher der Vorschlag, die individualvertragliche Nutzung der Bezugnahmeklauseln an die personelle Voraussetzung der Tarifgebundenheit der Arbeitgeberseite zu knüpfen (vgl. hierzu: Deinert, SR 2017, 24 [28 f.]; Walser/ Deinert, AuR 2015, 386 [390]). Dies löst nicht das Problem des geringen Organisationsgrades der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften und der daraus folgenden dysfunktionalen Interessenvertretung. Vgl. insofern auch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 127. 482 Siehe hierzu zusammenfassend aus zivilrechtlicher Perspektive: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 35. 483 Siehe weiterführend aus zivilrechtlicher Perspektive: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 37 ff. Nicht verschwiegen werden soll, dass aus § 242 BGB nicht nur eine inhaltliche Kontrolle, sondern auch eine Ausübungskontrolle erwächst, kraft derer die Ausübung eines Rechts (ungeachtet dessen Inhalts) auf einen Rechtsmissbrauch in untersucht wird (vgl. Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 42 f.). Diese äußerste Rechtsmissbrauchskontrolle ist hier aber nicht einschlägig.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Diese und andere inhaltlich-sachliche zivilrechtliche Ausgleichsmechanismen führen hier indes nicht weiter. Die individualvertragliche Inbezugnahme solcher tarifvertraglicher Regelwerke, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, nimmt schließlich inhaltlich-sachlich nur das tariflich Vereinbarte auf, sodass eine solche inhaltlich-sachliche Kontrolle des Individualvertrags fehlgeht. Hinsichtlich der wertungsmäßigen Kontrolle des Vereinbarten lässt sich richtigerweise nur der Tarifvertrag selbst in Bezug nehmen. Dieser ist aber – auch in dem Fall, in dem er als vorformulierte Vertragsbedingung individualvertraglich Einzug in das Arbeitsverhältnis erhält – aufgrund von § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nicht anhand von §§ 305 ff. BGB zu überprüfen.484 Gleichsam unergiebig gestaltet sich auch etwa die Inhaltskontrolle entsprechender Tarifverträge aufgrund von § 138 BGB, aus dem insofern nur eine äußerste „Exzesskontrolle“ hinsichtlich solcher Arbeitsentgelte folgt, die in einem groben Missverhältnis zur jeweiligen Arbeitsleistung stehen.485 Die typischen inhaltlich-sachlichen zivilrechtlichen Kontrollinstrumente müssen in Bezug auf die hier in Rede stehende Konstellation daher außen vor bleiben. Eine AGB-Kontrolle hinsichtlich der Ingebrauchnahme der Bezugnahmeklauseln aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG kommt allenfalls dann in Betracht, wenn auf der individualvertraglichen Ebene durch die Einführung einer „Sondervereinbarung“, durch welche von den Arbeits- und Entgeltbedingungen des in Bezug genommenen Tarifvertrags zulasten des betroffenen Leiharbeitnehmers abgewichen wird, eine eigene inhaltlich-sachliche Regelung vorgenommen wird.486 Um Fälle, in denen von einem individualvertraglich in Bezug genommenen Tarifvertrag sogar noch benachteiligend abgewichen wird, geht es hier aber nicht. Vielmehr steht hier die Beobachtung im Zentrum, dass jede tarifvertragliche Abweichung hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes die Interessen der Leiharbeitnehmer grundsätzlich tendenziell benachteiligt und in der individualvertraglichen Einführung eines solchen Tarifvertrages in das Arbeitsverhältnis potenziell ein fremdbestimmtes Diktat der Arbeitgeberseite zu erblicken ist. Eine Lösung dieser Problemlage durch zivilrechtliche Kontrollinstrumente, die den Individualvertrag in Bezug nehmen, könnte daher ggf. darin zu sehen sein, nicht 484

Vgl. etwa: Schüren, RdA 2006, 303 (306). Corzelius stellt dies in Bezug auf die hier in Rede stehenden Tarifverträge, die vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichen, in Frage, da die Richtigkeitsvermutung bei solchen Tarifverträgen angesichts der geringen mitgliedschaftlichen Legitimation in der Leiharbeitnehmerschaft nicht vorliege (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 138 f.). Dem folgend wäre über eine teleologische Reduktion von § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nachzudenken, die Corzelius aber nicht anspricht. 485 Siehe hierzu umfassend – und ablehnend – in Bezug auf vom Gleichbehandlungsgrundsatz abweichende Tarifverträge: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 120 ff., 133. 486 Siehe weiterführend: Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 226 ff. In diesem Fall liegt ggf. eine unangemessene Benachteiligung des entsprechenden Leiharbeitnehmers i. S. v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vor, sodass i. E. die gesetzliche Regelung aus § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG zum Tragen kommt (vgl. Röpke, Die Gestaltbarkeit von Arbeitsbedingungen im Rahmen von § 9 Nr. 2 AÜG, 2016, S. 238.

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an der inhaltlich-sachlichen Ebene anzusetzen, sondern das situations- bzw. personenbedingte Fremdbestimmungsmoment im Augenblick der Inbezugnahme des Tarifvertrages zu adressieren. Einen solchen Ansatzpunkt wählt typischerweise das Verbraucherschutzrecht in Form der bekannten Widerrufsvorbehalte, die eine nachträgliche Loslösung vom Vertragsinhalt innerhalb einer vorgegebenen Frist ermöglichen.487 Auch ein solcher Widerrufsvorbehalt würde das einzuhegende Fremdbestimmungsmoment aber nicht beheben. Insofern sei noch einmal die der potenziellen Fremdbestimmung zugrundliegende Situation vor Augen geführt (siehe hierzu S. 279 ff.). Die Leiharbeitnehmer befinden sich bei Vertragsschluss vielfach in einer Drucksituation, da sie auf die Anstellung in der Arbeitnehmerüberlassung aus erwerbsbiografischen Gründen angewiesen sind. Zugleich ist es absehbar, dass die leiharbeitnehmerseitigen Erwartungen an die Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung in reguläre Beschäftigung überhöht werden. In dieser Situation ist daher nicht zu erwarten, dass ein auf den Vertragsschluss folgendes Besinnungsmoment die Leiharbeitnehmer dazu bewegen könnte, die Inbezugnahme zu widerrufen und im Ergebnis eine Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 8 Abs. 1 Satz 1 herbeizuführen. Zu groß dürfte die Sorge um eine darauffolgende Kündigung – ggf. gar in der Probezeit – und zugleich die Hoffnung auf einen positiven Effekt der Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung hinsichtlich der eigenen Erwerbsbiografie sein.488 Eine gesetzliche Adressierung der individualvertraglichen Bezugnahme auf entsprechende Tarifverträge durch die beschriebenen zivilrechtlichen Kontrollinstrumente ist daher kein tauglicher Ansatzpunkt. (3) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Bezugnahmeklauseln Eine veritable Lösung des verfassungsrechtlichen Konflikts, der den Bezugnahmeklauseln aus § 8 Abs. 2 Satz 3, Abs. 4 Satz 3 AÜG innewohnt, kann daher zum einen in einer Streichung der Bezugnahmeklauseln gesehen werden. Eine andere Lösungsstrategie ist in der Stärkung der kollektivvertraglichen „Selbsthilfe“ der Leiharbeitnehmerschaft zu erblicken. Eine Forcierung der gewerkschaftlichen Repräsentation dieser Beschäftigtengruppe – etwa durch eine Mindestquote – wäre hierbei eine mögliche Lösungsalternative. Ggf. würde sich der Gleichbehandlungsgrundsatz in diesem Fall zu dem entwickeln, was seine Namensgebung vermuten lässt: ein Grundsatz, von dem nur selten tarifvertraglich abgewichen wird.

487 Vgl. hierzu weiterführend: Vaupel, Die Kompensation von Ungleichgewichtslagen im Arbeits- und Verbraucherrecht, 2006, S. 67 ff., 81 ff. 488 Die insofern etwa bei Vertragsabschlüssen außerhalb von Geschäftsräumen (§ 312g Abs. 1 BGB) vorzufindende psychische Druck- bzw. Überrumpelungssituation, die sodann aber nach dem Verlassen dieser Situation und der darauffolgenden Besinnungszeit ggf. endet, ist mit dem hier in Rede stehenden Fremdbestimmungsmoment nicht vergleichbar. Die erwerbsbiografische Drucksituation des betroffenen Leiharbeitnehmers hält demgegenüber potenziell an.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung des Gleichbehandlungsgrundsatzes Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die nationale Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes einzig in Bezug auf die soeben diskutierten Bezugnahmeklauseln verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Im Übrigen sind keine Verletzungen unionsrechtlicher oder grundgesetzlicher Vorgaben festzustellen. 3. Das Verbot des Streikbrechereinsatzes Virulent geworden ist zuletzt auch die Problematik des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher in einem Arbeitskampf im Entleihunternehmen. § 11 Abs. 5 AÜG adressiert diese Thematik mit einerseits einem gesetzlichen Verbot dieses Streikbrechereinsatzes und andererseits mit einem Leistungsverweigerungsrecht entsprechender Leiharbeitnehmer. In concreto darf ein Entleihunternehmen Leiharbeitnehmer gem. § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG nicht tätig werden lassen, „wenn sein Betrieb unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen ist“. Dies gilt gem. § 11 Abs. 5 Satz 2 AÜG nur dann nicht, wenn Leiharbeitnehmer weder unmittelbar, noch mittelbar Aufgaben der am Arbeitskampf beteiligten Arbeitnehmer wahrnehmen.489 Hinzu kommt in § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG das erwähnte Leistungsverweigerungsrecht zugunsten von solchen Leiharbeitnehmern, die bei einem Entleihunternehmen, das unmittelbar von einem Arbeitskampf betroffen ist, tätig sind. Das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG wurde im Zuge der letzten Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingefügt.490 Unter der vorherigen Rechtslage bestand lediglich das Leistungsverweigerungsrecht. Dieses wird durch das – verfassungs- und unionsrechtlich konfliktträchtigere491 – gesetzliche Verbot sachlich überlagert und verdient daher keine umfassende Überprüfung.492 Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich daher auf das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG.

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Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 11 Rn. 155. Vgl. die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27 f. 491 Zwar wird das Leistungsverweigerungsrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG auch im Lichte der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG zu betrachten sein – ein Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Verleihunternehmen geht von der Regelung aber nicht aus. 492 In der Sache unterfallen dem Leistungsverweigerungsrecht nach der Einführung des gesetzlichen Verbots nur noch Fälle, in denen Leiharbeitnehmer auf nicht bestreikten Arbeitsplätzen während eines Arbeitskampfes eingesetzt werden (vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 11 Rn. 181). Auch in diesen Fällen können Konflikte mit der Stammbelegschaft entstehen (vgl. Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 VAÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/ Malorny/Münder/Richter/Schmidt [Hrsg.], Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 [175]). A. A. ist demgegenüber: Wank, RdA 2017, 100 (114). 490

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Die hiermit eingetretene Verschärfung hinsichtlich der Streikbrecherproblematik hat in der Literatur viel verfassungsrechtliche Kritik auf sich gezogen.493 Das Bundesverfassungsgericht hatte eine entsprechende Verfassungsbeschwerde gegen das Einsatzverbot aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG indes nicht zur Entscheidung angenommen und festgestellt, dass die Normen verfassungsgemäß seien.494 Dies befreit aber nicht davon, das Verbot des Streikbrechereinsatzes zu überprüfen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kritisch nachzuzeichnen. a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Das Verbot des Streikbrechereinsatzes müsste zunächst mit unionsrechtlichen Vorgaben übereinstimmen. aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie Hinsichtlich der Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie ist in Bezug auf das Verbot allenfalls Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG in Stellung zu bringen.495 Erneut ist jedoch zu konstatieren, dass dann, wenn man dieser Richtlinienbestimmung – dem EuGH folgend – keinen materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstab entnimmt (siehe S. 159 ff.), sie auch den Regelungen aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG nicht entgegenstehen kann.496 Hinzu kommt, dass der Richtliniengeber der Regulierung der Arbeitneh493 § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG für verfassungswidrig haltend: Bauer/Haußmann, NZA 2016, 803 (805 ff.); Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (124 f.); ders., ZfA 2017, 1 (3); Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (153 ff.); Franzen, RdA 2015, 141 (150 f.); Thüsing, NZA 2014, 10 (11); Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 172 ff. (die Regelung in Ansehung der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nun aber „hinnehmend“: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 11 Rn. 148); Wank, RdA 2017, 100 (114). A. A. sind: Deinert, RdA 2017, 65 (78 f.); Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/ Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (129 ff.); Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (180 ff.); Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161 ff. 494 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 ff. Siehe die Besprechungen bei: Germakowski/Urban-Crell, RdA 2021, 123 ff.; Sura, NZA-RR 2020, 615. 495 In § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG erblickend: Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (125). 496 Ebenfalls in dieser Art und Weise die Rechtsprechung des EuGH rezipierend und einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG ablehnend: Franzen, RdA 2015, 141 (151);

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

merüberlassung in den Mitgliedstaaten hinsichtlich etwaiger Verbote des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrechern ausweislich Erwägungsgrund 20 der RL 2008/104/EG offenkundig freie Hand lassen wollte.497 bb) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht Demgemäß ist die rechtliche Ausgestaltung des Streikbrechereinsatzes unionsrechtlich ungeregelt, sodass § 11 Abs. 5 AÜG auch nicht als „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh erblickt werden kann und somit nicht an den unionsrechtlichen Grundrechten zu messen ist. Sehr wohl aber muss das Einsatzverbot aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG an den unionsrechtlichen Grundfreiheiten – namentlich an der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV – gemessen werden. Zwar kann in dem Verbot des Streikbrechereinsatzes keine Benachteiligung erblickt werden, die geeignet ist, ausländische Dienstleister zu diskriminieren.498 Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Gesetzgeber es mit der Einführung des Verbotes im Jahr 2017 offenkundig (auch) darauf abgesehen hatte, dem gezielten Einsatz von aus dem Ausland entsandten Leiharbeitnehmern als Streikbrechern entgegenzuwirken.499 Selbst eine verdeckte Schlechterstellung ausländischer gegenüber inländischen Verleihunternehmen geht von § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG – der insofern unterschiedslos für den Einsatz von Leiharbeitnehmern jedweder Nationalität gilt – schließlich nicht aus. Folgt man jedoch der vom EuGH vertretenen Lesart der Dienstleistungsfreiheit und sieht bereits in jeder nationalen Regelung, die eine grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung gegenüber der inländischen weniger attraktiv macht, eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit,500 so muss auch das Verbot des Streikbrechereinsatzes den Anforderungen aus Art. 56 AEUV standhalten.501 Schließlich hat das Einsatzverbot unzweifelhaft zur Folge, dass eine Überlassung Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 180. Demgegenüber die Richtigkeit der Annahmen des EuGH dahin stehen lassend, aber das Einsatzverbot im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG als gerechtfertigt ansehend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 198 f. 497 „Die in dieser Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über Einschränkungen oder Verbote der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern lassen die nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten unberührt, die es verbieten, streikende Arbeitnehmer durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen.“ Hierauf ebenfalls verweisend: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/ 17, NZA 2020, 1186 (1187). 498 Vgl. etwa detaillierter zu den Beschränkungsmöglichkeiten: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 54 ff. 499 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27. 500 So die ständige Rechtsprechung. Vgl. hierzu detailliert: Müller-Graff, in: Streinz, EUV/ AEUV, 2018, Art. 56 AEUV Rn. 85 ff. 501 So auch: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 200 f. (allerdings unter geringfügig abweichender Interpretation der Eingriffsdogmatik im Rahmen von Art. 56 AEUV).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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von Leiharbeitnehmern in bestreikte deutsche Betriebe unmöglich gemacht wird, sodass sich der Tätigkeitsbereich ausländischer Verleihunternehmen in Deutschland entsprechend verkleinert. Hieraus folgt, dass eine grenzüberschreitende Verleihtätigkeit nach Deutschland gegenüber der inländischen Dienstleistungserbringung zumindest in geringfügigem Ausmaß weniger attraktiv wird.502 Einer tiefergehenden Überprüfung der Regelungen aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG anhand der Vorgaben aus Art. 56 Abs. 1 AEUV bedarf es hier dennoch nicht. Insofern wiederholt sich das bereits oben in Bezug auf das sektorale Verbot des Leiharbeitnehmereinsatzes in der Fleischindustrie (vgl. S. 385 ff.) Gesagte: Legt man ein über den Diskriminierungsschutz hinausgehendes Verständnis der Dienstleistungsfreiheit zugrunde, muss gesehen werden, dass sich die Rechtfertigungsanforderungen der Dienstleistungsfreiheit im Hinblick auf die so verstandenen sonstigen Beschränkungen im Wesentlichen mit denjenigen des Verfassungsrechts decken.503 Werden dessen Vorgaben aber ohnehin noch umfassend untersucht, erübrigt sich daher eine umfassende Untersuchung der Rechtfertigung hinsichtlich Art. 56 AEUV. b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Eine vertiefte Betrachtung verdient demgegenüber aber die verfassungsrechtliche Beurteilung der Regelung aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 AÜG. Oben ist bereits ausführlich dargetan worden, dass sich das gesetzgeberische Anliegen, zu verhindern, dass dem Arbeitskampf der Stammarbeitnehmerseite durch den Streikbrechereinsatz von Leiharbeitnehmern die Wirksamkeit genommen wird, im Wege des hier vertretenen sozialstaatlich durchwirkten Schutzpflichtverständnisses verfassungsrechtlich bedingen lässt (siehe ausführlich S. 329 f.). Hieraus folgt, dass der Gesetzgeber dazu verpflichtet ist, einen wirksamen Mindestschutz zugunsten der Arbeitskampffreiheit der stammarbeitnehmerseitigen Gewerkschaften in Bezug auf den hier in Rede stehenden Streikbrechereinsatz zu installieren. Der verfassungsrechtliche Ansatzpunkt für die Beurteilung des Einsatzverbotes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher ist allerdings nicht in dieser Schutzverpflichtung zu sehen, sondern vielmehr in der diesem verfassungsrechtlichen Schutzgebot gegenüberstehenden abwehrrechtlichen Position der betroffenen Entleihunternehmen zu erblicken.504 Im Zuge der obigen Darstellung der Koalitionsfreiheit als 502 Als wie intensiv der entsprechende Eingriff zu bewerten ist, hängt im Wesentlichen davon ab, wie prävalent der Streikbrechereinsatz in Deutschland tatsächlich ist. Die Häufigkeit desselben ist aber nicht ohne Weiteres exakt festzustellen: S. 123 f. 503 Diese Interpretation der Dienstleistungsfreiheit nähert die Grundfreiheit einer grundrechtlichen Berufsfreiheit an und lässt letztlich den Charakter eines Diskriminierungsverbots hinter sich. Vgl. hierzu: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 58. 504 Das typische verfassungsrechtliche Schema in dieser Konstellation beginnt mit dem betroffenen Abwehrrecht, das zugunsten der Schutzpflicht („Schutz durch Eingriff“) beeinträchtigt wurde und fragt dann im Rahmen der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nach der Aktivierung und dem Rechtsfolgengehalt der entsprechenden Schutzpflicht. Vgl. hierzu einleitend oben: S. 240 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

verfassungsrechtlicher Determinante innerhalb des Interessenkonflikts der Arbeitnehmerüberlassung wurde die Problematik des Streikbrechereinsatzes im Rahmen des Themenkreises der eingriffsähnlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zum Ausgleich struktureller Disparitäten im Gegenüber von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkoalitionen bereits angesprochen (siehe oben S. 293 f.). In diese grundrechtsdogmatische Konstellation ordnete auch das Bundesverfassungsgericht das Verbot des Streikbrechereinsatzes dem Grunde nach ein.505 Allerdings ließ das Gericht offen, ob sich der Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher überhaupt sachlich als Mittel des Arbeitskampfes einordnen lässt.506 Ausweislich dieser Ungenauigkeit mag man dem Bundesverfassungsgericht bereits gewisse Zweifel daran attestieren, ob sich die Problematik des Streikbrechereinsatzes unter die genannte Ausgestaltung zum Ausgleich von Kräfteungleichgewichten zwischen den sich gegenüberstehenden Koalitionen subsumieren lässt. aa) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG In Bezug auf die verfassungsrechtliche Überprüfung des Verbotes des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG stellt sich daher zunächst die Frage, ob die Hypothese haltbar ist, dass sich die Thematik als grundrechtsinterner Konflikt innerhalb der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG interpretieren lässt, den der Gesetzgeber in Form von § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG ausgestaltet hat. (1) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit der Entleihunternehmen: Ausgestaltung zum Ausgleich struktureller Disparitäten? Um das Verbot des Streikbrechereinsatzes als eine solche Ausgestaltung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG betrachten zu können, wäre es zunächst erforderlich, dass es sich bei der zugrundeliegenden Konstellation überhaupt um einen grundrechtsinternen Konfliktfall handelt, bei dem demgemäß auf beiden Seiten die Koalitionsfreiheit das einschlägige Grundrecht ist. Sowohl der Arbeitskampf der Stammarbeitnehmerseite als auch der die Wirksamkeit dieses Arbeitskampfes untergrabende Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher müsste daher unter den Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG zu fassen sein. Bei näherer Betrachtung muss aber konstatiert werden, dass dem nicht so ist. Weder kann sich das einzelne Entleihunternehmen, das Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einsetzt, in persönlicher Hinsicht auf die hier einschlägige Arbeitskampffreiheit als Ausprägung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG berufen.507 505

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1187). Da das Gericht die Rechtfertigung ohnehin als gegeben ansah, kam es auf diese Frage nicht an (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 [1187]). 507 So zutreffend und mit zahlreichen weiterführenden Nachweisen zur umstrittenen Frage, ob sich der einzelne Arbeitgeber generell auf die Arbeitskampffreiheit berufen kann: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 158 ff. 506

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Noch ist die unternehmerische Entscheidung eines solchen Entleihunternehmens, den bestreikten Betrieb unter Einsatz von Leiharbeitnehmern aufrechtzuerhalten, in sachlicher Hinsicht unter die Koalitionsfreiheit zu fassen.508 Zwar hat der Gesetzgeber den einzelnen Arbeitgeber in § 2 Abs. 1 TVG für tariffähig und somit auch für arbeitskampffähig erklärt. Es ginge aber fehl, hieraus wiederum herzuleiten, dass die Tarifverhandlungen oder Arbeitskampfhandlungen einzelner Arbeitgeber demgemäß auch unter Art. 9 Abs. 3 GG fallen würden.509 Folglich fehlt es bereits an der Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs. Gleichsam kann die unternehmerische Entscheidung zum Streikbrechereinsatz nur vom individuellen Entleihunternehmen und gerade nicht von der Arbeitgeberkoalition – die sich insofern in persönlicher Hinsicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen könnte – getroffen werden, sodass der streikbrechende Einsatz von Leiharbeitnehmern als Arbeitskampfmittel nicht unter den sachlichen Schutzgehalt der Koalitionsfreiheit zu fassen ist.510 Demgemäß lässt sich die Problematik des Streikbrechereinsatzes gerade nicht als grundrechtsinterner Konflikt innerhalb der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG begreifen, den der Gesetzgeber vermittels § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG auszugestalten sucht. Vielmehr verlaufen die grundrechtlichen Fronten zwischen einerseits der Koalitionsfreiheit der stammarbeitnehmerseitigen Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG und andererseits der Berufsfreiheit der vom Streik betroffenen Entleihbetriebe aus Art. 12 Abs. 1 GG (siehe sogleich S. 477 ff.).511

A. A. etwa: Rüthers, Die Arbeitskampfgarantie des Grundgesetzes, in: Brox/Rüthers (Hrsg.), Arbeitskampfrecht, 1985, Rn. 91. 508 Vgl. hierzu treffend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161. A. A. ist: Boemke, ZfA 2017, 1 (3), der jedoch den dort zitierten Beschluss des BAG (v. 12.12.2011 – 1 ABR 2/10, NZA 2012, 571 [573]) fehlinterpretiert. 509 Hierauf ebenso hinweisend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 159, dort unter Verweis auf: Thüsing, Der Außenseiter im Arbeitskampf, 1996, S. 62 (Fn. 181). Schließlich handelt der einzelne Arbeitgeber hierbei gerade abseits von kollektiver Koalitionsbetätigung (vgl. Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161). Allein aus den Gegebenheiten des einfachen Rechts (§ 2 Abs. 1 TVG) dennoch abzuleiten, dass der einzelne Arbeitgeber sich in diesem Szenario auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen könne, würde bedeuten, dass mittels des einfachen Rechts der Gehalt des Verfassungsrechts definiert würde, was bereits aus methodischer Sicht unzulässig wäre. 510 Unabhängig von der Einschlägigkeit von Art. 9 Abs. 3 GG steht die Frage, ob der Streikbrechereinsatz überhaupt ein Arbeitskampfmittel ist – was im Hinblick auf die Arbeitskampffähigkeit einzelner Arbeitgeber (§ 2 Abs. 1 TVG) und die Zielrichtung des Streikbrechereinsatzes aber zu bejahen ist (vgl. auch: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161). 511 So zutreffend auch: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161 ff. Ähnlich: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 235 („Dies bedeutet […] einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit solcher Unternehmen, die bestreikt werden […]).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(2) Vereinbarkeit mit der Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer: Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit durch „Zwangssolidarisierung“ mit dem Streik? Bevor im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 GG auf die eben genannte grundrechtliche Konfliktlage einzugehen ist, gilt es allerdings noch, einen Blick auf die Frage zu werfen, ob das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG mit der Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer vereinbar ist. Zum Teil wird der Regelungsentscheidung aus § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG attestiert, dass hiermit gegen deren negative Koalitionsfreiheit verstoßen würde, da diese durch das Verbot dazu gezwungen würden, sich mit dem Streik in einem (potenziellen) Entleihunternehmen zu solidarisieren.512 Diese Ansicht beruht im Wesentlichen auf der Beobachtung, dass es Leiharbeitnehmern durch das Verbot des Streikbrechereinsatzes verwehrt ist, selbst darüber zu entscheiden, ob sie auf einem bestreikten Arbeitsplatz in einem von einem Arbeitskampf betroffenen Entleihunternehmen tätig werden. Dies war wiederum unter der vorherigen alleinigen Geltung des Leistungsverweigerungsrechts aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG noch möglich. Da der streikbrechende Einsatz auf einem solchen Arbeitsplatz durch § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG verboten ist, seien betroffene Leiharbeitnehmer nunmehr gezwungen, den Streik faktisch zu unterstützen, was als Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG zu werten sei.513 Dieser Vorwurf beruht allerdings auf einem dogmatischen Fehlschluss. Wie oben bereits dargetan wurde (vgl. S. 291 f.), umfasst die negative individuelle Koalitionsfreiheit als Korrelat zur positiven individuellen Koalitionsfreiheit das Recht, keinem staatlichen Beitrittszwang oder sozialinadäquatem Beitrittsdruck ausgesetzt zu sein und demgemäß einer Koalition fernzubleiben. Diesen sachlichen Zuschnitt der negativen Koalitionsfreiheit sehen diejenigen, die eine Verletzung derselben durch das Verbot des Streikbrechereinsatzes annehmen, aber offenkundig nicht tangiert. Vielmehr liegt der dortigen Annahme (wohl) die Überlegung zugrunde, dass die hier einschlägige Arbeitskampffreiheit eine negative Kehrseite umfasse, die insofern das Recht beinhalte, einem Arbeitskampf fernzubleiben. Dieses Verständnis der Arbeitskampffreiheit als Teilgewährleistung der Koalitionsfreiheit würde indes voraussetzen, – wenn es dann dogmatisch entwickelt würde – dass die Arbeitskampffreiheit auch eine positive individuelle Freiheit enthält, an einem Arbeits512

Vgl. Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (124 f.); ders., ZfA 2017, 1 (3); Giesen, ZRP, 2016, 130 (133); Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 235. Wohl auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 176. Demgegenüber jedenfalls eine „Zwangssolidarisierung“ monierend, aber keinen grundrechtlichen Bezug herstellend: Thüsing, NZA 2014, 10 (11). 513 Vgl. Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (124 f.); ders., ZfA 2017, 1 (3); Giesen, ZRP, 2016, 130 (133); Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 235. Wohl auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 176.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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kampf mitzuwirken.514 Mit der grundsätzlichen Wirkrichtung der Arbeitskampffreiheit, die gerade kollektiv ausgeübt wird, wäre dies hingegen nur schwerlich zu vereinbaren.515 Dies heißt nicht, dass ein etwaiges leiharbeitnehmerseitiges Interesse, auf einem bestreikten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, um damit ggf. zugleich den vom Arbeitskampf betroffenen Arbeitgeber bzw. die entsprechende Arbeitgeberkoalition zu unterstützen, grundrechtlich nicht abgebildet wäre. Es ist aber nicht die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, die hierfür sachlich einschlägig ist. Vielmehr lässt sich die durch das Verbot, auf bestreikten Arbeitsplätzen eingesetzt zu werden, vermeintlich herbeigeführte „Zwangssolidarisierung“ unter die Arbeitsplatzwahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG fassen (siehe sogleich S. 473 ff.). Ein Verstoß gegen die Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer ist demgegenüber nicht zu besorgen. bb) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Aus abwehrrechtlicher Perspektive konfligiert das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 AÜG daher potenziell in zweierlei Hinsicht mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. Zum einen betrifft dies die Berufsfreiheit der vom Arbeitskampf betroffenen Entleihunternehmen.516 Zum anderen aber gilt es auch, einen verfassungsrechtlichen Blick auf die soeben erwähnte Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer zu werfen. (1) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer Anknüpfend an die zuvor gemachten Ausführungen zu einer (vermeintlichen) Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit der Leiharbeitnehmer könnten die Regelungen aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG mit der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG konfligieren. Teilweise wird eine Verletzung dieses Grundrechts mit Verweis auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer vertreten.517 Diese ist der Wahl eines

514 Hierauf ebenfalls hinweisend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 195 f. 515 Ebenso: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 195 f. 516 So zutreffend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161 ff. Ebenfalls auf die unternehmerische Freiheit rekurrierend: Lembke, NZA 2017, 1 (11). Ähnlich auch: Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 9 Rn. 235 („Dies bedeutet […] einen Eingriff in die unternehmerische Freiheit solcher Unternehmen, die bestreikt werden […]). 517 Vgl. Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 175, 191 f. Demgegenüber etwa auf die Berufsausübungsfreiheit abstellend und einen Eingriff für ungerechtfertigt haltend: Bauer/Haußmann, NZA 2016, 803 (805). A. A., aber ebenfalls auf die Berufsausübungsfreiheit abstellend: Deinert, RdA 2017, 65 (78); Ulrici,

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Berufes nachgeordnet und umfasst die Wahl derjenigen Arbeitsstelle, auf der ein gewählter Beruf ausgeübt wird.518 Äußerlich betrachtet ist diese grundrechtliche Gewährleistung in dem hier einschlägigen Szenario, in dem ein Leiharbeitnehmer auf einen konkreten Arbeitsplatz in einem Entleihunternehmen entliehen werden soll, dies aber durch § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG im Falle eines dortigen Arbeitskampfes weitestgehend unmöglich gemacht wird, zwar betroffen. Es darf aber nicht verkannt werden, dass ein Eingriff in den Schutzbereich der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer zunächst einen dahingehenden Willensentschluss betroffener Leiharbeitnehmer voraussetzt,519 gerade auf einen konkreten Arbeitsplatz in einem bestreikten Entleihunternehmen überlassen zu werden, der durch das Verbot des Streikbrechereinsatzes unmöglich gemacht oder jedenfalls erschwert würde.520 Andernfalls läge bereits keine grundrechtliche Freiheitsausübung vor, sodass schon der Schutzbereich der Arbeitsplatzwahlfreiheit nicht betroffen wäre.521 Läge indes eine dahingehende Freiheitsausübung vor, auf einen bestreikten Arbeitsplatz entliehen zu werden, müsste es gerade das staatliche Verbot aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG sein, dass den dortigen Einsatz unmöglich macht oder erschwert. Bereits an einem entsprechenden Willensentschluss der Leiharbeitnehmer, der überhaupt erst eine grundrechtliche Freiheitsausübung bedingt, in die sodann durch § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG eingegriffen werden könnte, lässt sich ernsthaft zweifeln. Der ausgehend von der entsprechenden Interessenlage bei den Leiharbeitnehmern entstehende Wille, auf einem bestimmten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, dürfte sich schließlich in erster Linie darauf richten, in einem Entleihunternehmen eingesetzt zu werden, das angemessene Arbeitsbedingungen bietet und eine Übernahme in ein Stammarbeitsverhältnis erwarten lässt. Dies in Rechnung stellend, wird es keine nennenswerte Schnittmenge dieser Interessenrichtung mit dem Willen geben, gerade in einem bestreikten Unternehmen eingesetzt zu werden. Nichts anderes dürfte sich im Hinblick auf ein etwaiges Interesse ergeben, durch den Einsatz auf einem bestreikten Arbeitsplatz den dortigen Streik zu brechen und sich somit mit dem betroffenen Arbeitgeber oder der jeweiligen Arbeitgeberkoalition zu AÜG, 2017, § 11 Rn. 13. Die Berufsausübungsfreiheit ist aber von vornherein nicht einschlägig – die speziellere Gewährleistung der Arbeitsplatzwahlfreiheit geht hier vor. 518 Vgl. BVerfGE 84, 133 (146); Ruffert, in: Epping/Hillgruber, GG, 2020, Art. 12 Rn. 44; Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 440. 519 Bauer/Haußmann, NZA 2016, 803 (805) verweisen insofern auf die „Willensfreiheit“ der Leiharbeitnehmer, verfolgen diesen Ansatz aber grundrechtsdogmatisch nicht weiter. 520 Anders sieht es Sundermann, der insofern lediglich darauf abstellt, ob staatlicherseits eine irgendwie geartete – abstrakte – Verhinderung der Arbeitsplatzwahlfreiheit vorliegt und nicht auf die rechtstatsächlichen Grundrechtsausübungen blickt (vgl. Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 175 f.). 521 Spätestens jedoch wäre ein Eingriff zu verneinen. Schließlich schützt die Abwehrrechtsfunktion der Grundrechte – im Gegensatz zur Schutzfunktion – nicht bereits vor einer Gefahr der Grundrechtsbeeinträchtigung, sondern – gefahrenabwehrrechtlich gesprochen – vor der Störung; m. a. W.: der tatsächlich eingetretenen Grundrechtsverkürzung.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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solidarisieren. Etwas anderes ließe sich allenfalls dann behaupten, wenn entsprechenden Leiharbeitnehmern unterstellt würde, sich durch den Streikbrechereinsatz in einem betroffenen Entleihunternehmen im Hinblick auf Übernahmehoffnungen in gewisser Weise „anzudienen“, um im Folgenden übernommen zu werden.522 Auch dieses Szenario dürfte aber als eher realitätsfern einzustufen sein.523 Selbst wenn man dies anders bewerten würde, und durchaus Raum für die Annahme sähe, dass Leiharbeitnehmer von ihrer Arbeitsplatzwahlfreiheit in Bezug auf bestreikte Arbeitsplätze Gebrauch machen,524 müsste in Rechnung gestellt werden, dass es nicht der Staat ist, der mit etwaigen gesetzlichen Verboten eine ggf. vorzufindende Grundrechtsausübung der Leiharbeitnehmer beeinträchtigt. Schließlich ist es vielmehr das vertragliche Konzept der Arbeitnehmerüberlassung selbst, das der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer grundsätzlich einen Riegel vorschiebt. Der einzelne Leiharbeitnehmer hat regelmäßig kaum Einfluss darauf, auf welchem Arbeitsplatz und in welchem Entleihunternehmen er eingesetzt wird. Die Umstände einer einzelnen Überlassungsepisode unterliegen vielmehr allein der Dispositionsbefugnis des Verleihers.525 Verfolgt daher ein Leiharbeitnehmer in Ausübung seiner Arbeitsplatzwahlfreiheit den Willen, auf einem bestreikten Arbeitsplatz in einem konkreten Unternehmen eingesetzt zu werden, besteht aufgrund des spezifischen Drei-Personen-Verhältnisses der Arbeitnehmerüberlassung im Regelfall von vornherein kein Raum dafür, diese grundrechtliche Freiheit tatsächlich auszuüben.526 Das Entscheidungsmonopol über den Einsatz auf einem bestimmten 522

In diese Richtung interpretierbar ist teilweise die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 [1188]), wenn das Gericht davon ausgeht, dass die Leiharbeitnehmer bei Ingebrauchnahme des Rechts aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG „die Chance, aus einer prekären in eine sicherere Beschäftigungsposition zu wechseln“ einbüßen würden. 523 Ein Szenario, in dem ein bestreiktes Entleihunternehmen etwa auf die streikenden Stammarbeitskräfte Druck ausübt, indem in Aussicht gestellt wird, als Streikbrecher eingesetzte Leiharbeitnehmer zu übernehmen, würde zunächst eine Kündigung der Streikenden voraussetzen – die dann durch vormalige Leiharbeitnehmer zu substituieren wären. Eine Kündigung streikender Arbeitnehmer wäre aber angesichts von § 612a BGB nur schwer möglich. 524 In diese Richtung wohl: Boemke, ZfA 2017, 1 (5); Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (160). Kritisiert wird hier, dass die Entscheidungsfreiheit der Leiharbeitnehmer in paternalistischer Art und Weise eingeschränkt wird. 525 So auch: Klein/Leist, SR 2017, 31 (37); Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 177. Demgegenüber die „Erwartung des Leiharbeitnehmers“, auf einem bestimmten Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, mit der Berufsausübungsfreiheit in Bezug setzend, einen etwaigen Eingriff aber für gerechtfertigt haltend: Ulrici, AÜG, 2017, § 11 Rn. 13. Ähnlich: Deinert, RdA 2017, 65 (78). 526 Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Verbot des Streikbrechereinsatzes die Entscheidung des Verleihunternehmens, wohin der einzelne Leiharbeitnehmer überlassen wird, determinieren wird. Hieraus abzuleiten, dass hinter der Tatsache, dass ein Leiharbeitnehmer – entgegen einem etwaigen Willen – nicht auf einen bestreikten Arbeitsplatz über-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Arbeitsplatz liegt beim Verleihunternehmen und ist daher als unternehmerische Entscheidung der Berufsausübungsfreiheit desselben zuzuordnen. Damit ergibt sich in Bezug auf eine mögliche Verletzung der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer durch § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG, dass eine solche bereits mangels Schutzbereichseröffnung der Arbeitsplatzwahlfreiheit nicht denkbar ist, bzw. dass diese mangels eines staatlichen Eingriffs durch das Verbot des Streikbrechereinsatzes nicht betroffen sein kann. Jede andere Sichtweise verliert die spezifischen Interessengesichtspunkte und die rechtliche Gestaltung der Arbeitnehmerüberlassung aus den Augen und verkennt die Tatsache, dass es nicht der Leiharbeitnehmer ist,527 der – kraft grundrechtlicher Freiheitsbetätigung – über den Einsatz auf einem konkreten Arbeitsplatz entscheidet.528 (2) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit der Entleihunternehmen Der zentrale grundrechtliche Konflikt in Bezug auf den Streikbrechereinsatz verläuft daher entlang der Koalitionsfreiheit der stammarbeitnehmerseitigen Gewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG und der Berufsfreiheit der vom Streik betroffenen Entleihbetriebe aus Art. 12 Abs. 1 GG.529

lassen wird, nicht die Entscheidung des Verleihunternehmens, sondern der Staat stehen würde, der insofern für einen grundrechtlichen Eingriff verantwortlich gemacht werden könnte, würde den Spezifika der Arbeitnehmerüberlassung zu wenig Beachtung schenken. Vielmehr ist es von vornherein das Verleihunternehmen, das über die Überlassungsmodalitäten entscheidet. Unabhängig davon, ob ein gesetzliches Verbot hinzutritt, besteht für grundrechtlich freiheitliche Entscheidungen der Leiharbeitnehmer daher kaum Raum. 527 Etwas anderes käme allenfalls dort in Betracht, wo sich Leiharbeitnehmer aufgrund branchenspezifischer Besonderheiten in der komfortablen Lage befinden, über die konkreten Einsatzumstände mitzuentscheiden – wenngleich auch hier die rechtliche Dispositionsbefugnis über die Überlassungsmodalitäten dem Verleihunternehmen zusteht. 528 Völlig verfehlt ist daher die Annahme Boemkes, der in § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG gar eine Verletzung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG erkennt, da die Leiharbeitnehmer hierdurch zu einem „fremdbestimmten Rechtsobjekt“ instrumentalisiert würden, indem sie einen Arbeitskampf einer Gewerkschaft unterstützen müssten, die „im Regelfall nicht einmal ihre Interessen repräsentiert“ (vgl. Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble [Hrsg.], Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 [124 f.]). Dass die Leiharbeitnehmer durch das Verbot des Streikbrechereinsatzes in ihrem aus der Subjektqualität als Mensch folgenden Achtungsanspruch verletzt werden, wird man dem Gesetzgeber offenkundig nicht vorwerfen können. 529 Mittelbar eingegriffen wird zugleich auch in die Berufsausübungsfreiheit von Verleihunternehmen, die in bestreikte Entleihunternehmen Leiharbeitnehmer überlassen wollen (vgl. hierzu näher: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 194 f.). Dieser nur marginale Eingriff verdient – zumal er erst recht zu rechtfertigen ist, wenn dies bereits in Bezug auf die grundrechtliche Position der betroffenen Entleihunternehmen gilt – keiner gesonderten Betrachtung.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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(a) Eingriff in den Schutzbereich Diese hier vorgebrachte Sichtweise bleibt indes bisher den Beweis schuldig, dass von § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG überhaupt ein Eingriff in den Schutzbereich der Berufsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen ausgeht. (aa) Schutzbereich: Die unternehmerische Entscheidung zum Streikbrechereinsatz als Inanspruchnahme der Berufsausübungsfreiheit Hierfür müsste der streikbrechende Einsatz von Leiharbeitnehmern unter den Schutzbereich der Berufsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen zu fassen sein. Wie oben bereits ausführlich dargetan wurde (siehe S. 229 ff.), ist unter Art. 12 Abs. 1 GG jedwede Ausübungsmodalität hinsichtlich eines ergriffenen Berufes zu fassen. In Bezug auf Unternehmen, die sich als juristische Personen des Privatrechts über Art. 19 Abs. 3 GG auf die Berufsfreiheit berufen können, bedeutet dies, dass jede Form unternehmerischer Entscheidung hinsichtlich der Ausgestaltung des eigenen Betriebes unter die insofern offene grundrechtliche Gewährleistung von Art. 12 Abs. 1 GG fällt. Hierunter ist auch die unternehmerische Entscheidung zum (streikbrechenden) Leiharbeitnehmereinsatz zu subsumieren.530 Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass der streikbrechende Einsatz von Leiharbeitnehmern offenkundig massive Auswirkungen auf den Arbeitskampf im entsprechenden Entleihbetrieb zeitigt. Der entsprechende Arbeitskampf ist zwar typologisch dem Kräftemessen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerkoalitionen zuzuordnen und steht daher in engem Sachzusammenhang mit dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG. Allerdings kommt es für die Einschlägigkeit dieses Grundrechts im Kontext des Streikbrechereinsatzes maßgeblich darauf an, ob sich der in Rede stehende Grundrechtsträger – hier das Entleihunternehmen – beim Einsatz des Arbeitskampfmittels auf die Koalitionsfreiheit berufen kann. Da dies – wie gesehen (vgl. S. 470 ff.) – nicht der Fall ist, kann auch der Streikbrechereinsatz nicht unter die Koalitionsfreiheit fallen.531 Die diesbezügliche unternehmerische Entscheidung bleibt vielmehr auch dann der Berufsausübungsfreiheit erfasst, wenn sie sich im Gesamtkontext im sachlichen Zusammenhang zum Arbeitskampf befindet. Sachlich einschlägig ist daher im hiesigen Kontext die Berufsausübungsfreiheit der von § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG betroffenen Entleihunternehmen. (bb) Eingriff: Übertragbarkeit der Dogmatik aus Art. 9 Abs. 3 GG zur ausgleichenden Ausgestaltung bei strukturellen Disparitäten? Da sich die Problematik des Streikbrechereinsatzes daher nicht als grundrechtsinterner Konflikt im Rahmen der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG begreifen lässt, stellt sich die Frage, ob die dort entwickelte Dogmatik zur Ausge530

So auch bereits: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 163. 531 Vgl. hierzu auch: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 161.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

staltung des Grundrechts im Hinblick auf den Ausgleich struktureller Disparitäten (vgl. S. 293 ff.) zwischen den sich gegenüberstehenden Koalitionen auf die hier in Rede stehende Konstellation übertragbar ist. Davon, dass sich das Verbot des Streikbrechereinsatzes im Lichte dieser Ausgestaltungsdogmatik als Maßnahme zur Installierung eines ungefähren Kräftegleichgewichts zwischen den Tarifvertragsparteien interpretieren lässt, ging offenkundig das Bundesverfassungsgericht aus.532 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen. Nimmt man das Ziel der Herstellung eines grundsätzlich paritätischen Kräfteverhältnisses zwischen den sich im Arbeitskampf gegenüberstehenden Tarifvertragsparteien ernst, muss dieses auch dort gesetzgeberisch zu verfolgen sein, wo dieses Kräftegleichgewicht durch die unternehmerische Entscheidung einzelner Arbeitgeber verschoben wird.533 Das Ziel der Dogmatik der Ausgestaltung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Ausgleich struktureller Disparitäten ist es schließlich, eine Verhandlungsparität herzustellen, die sich in den Möglichkeiten des Arbeitskampfes fortsetzt, um eine beiderseitig interessengerechte Aushandlung tarifvertraglicher Inhalte zu ermöglichen. Will man diesen Zweck fördern, macht es faktisch keinen Unterschied, ob ein Kräfteungleichgewicht kraft einer Übermacht einer Arbeitgeberkoalition selbst, oder aufgrund der Übermacht einzelner Arbeitgeber besteht. Daher spricht viel dafür, auch die rechtliche Adressierung der Problematik des Streikbrechereinsatzes unter Anwendung der für das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG entwickelten Dogmatik zum ausgleichenden gesetzlichen Einwirken auf das Kräfteverhältnis der Koalitionen aufzulösen.534 In der Folge ist das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG daher zwar als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen zu bewerten, zugleich aber lässt sich dieser Eingriff nicht ohne die Dogmatik aus Art. 9 Abs. 3 GG zum Ausgleich struktureller Disparitäten im Kräftegleichgewicht der sich gegenüberstehenden Koalitionen verstehen.

532

Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1187 f.). Die Tatsache, dass sich der hiesige Konflikt von vornherein gar nicht innerhalb der Gewährleistungen der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG (und somit „grundrechtsintern“) abspielt, hat das Gericht indes nicht ausdrücklich adressiert. 533 So auch bereits zutreffend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 185 f. 534 Nicht außer Acht gelassen werden darf hierbei auch, dass der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, nicht nur – wie es bereits aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt – die Arbeitgeberkoalition, sondern auch den einzelnen Arbeitgeber gemäß § 2 Abs. 1 TVG für tariffähig zu erklären. Auch dies streitet dafür, die Regelung aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG im Lichte der genannten Dogmatik zu beleuchten – verfolgt sie doch offenkundig das Ziel, einem zwar im Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG nicht grundrechtsfähigen, aber gleichwohl einfachrechtlich tarif- und damit in gewisser Weise arbeitskampffähigen einzelnen Arbeitgeber paritätswahrend Zügel anzulegen. Ebenfalls in diese Richtung: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 186.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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(b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung hat dies nun zur Folge, dass die in Bezug auf die Ausgestaltung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG in Anbetracht struktureller Kräfteungleichgewichte entwickelten Maßstäbe auch in Bezug auf den hiesigen Eingriff in die Berufsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen zu dessen Rechtfertigung anzuwenden sind. Vertritt man dabei – wie hier (siehe S. 297 ff.) – die Ansicht, dass auch eine eingriffsähnliche Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen muss, ergibt sich dem Grunde nach zunächst keine abweichende Rechtfertigungslast gegenüber einem gewöhnlichen grundrechtlichen Eingriff.535 Zu beachten ist gleichwohl, dass der mit dem Einsatzverbot aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG einhergehende Eingriff unter dem Zeichen des gewichtigen gesetzgeberischen Anliegens steht, ein Kräftegleichgewicht in Bezug auf den Arbeitskampf und somit auch in Bezug auf die Aushandlung tarifvertraglicher Absprachen zwischen den Tarifvertragsparteien herzustellen, das insofern bereits für sich genommen ein erhebliches Rechtfertigungspotenzial zu entfalten vermag. Ausgehend von diesen Erkenntnissen kommt in Bezug auf das Verbot des Streikbrechereinsatzes noch hinzu, dass dieses als Erfüllung einer sozialstaatlich bedingten Schutzpflicht in Bezug auf das Grundrecht der stammarbeitnehmerseitigen Koalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG zu werten ist (vgl. oben S. 329 ff.), aus dem die Verpflichtung auf einen wirksamen Mindestschutz gegenüber dem Streikbrechereinsatz folgt. Entgegen dem oben Gesagten536 besteht in Bezug auf die hiesige Problemstellung also die besondere Situation, dass eine grundrechtliche Schutzpflicht einschlägig ist, die den Gesetzgeber nicht nur – so die Ausgestaltungsdogmatik – zu einem gesetzgeberischen Einschreiten motiviert,537 sondern ihn vielmehr hierauf verpflichtet.

535 Hiervon offenbar ebenfalls implizit ausgehend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 179 ff. 536 Die der Ausgestaltungsdogmatik im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG zugrundeliegenden Situationen werden gemeinhin nicht ohne Weiteres über die Schutzpflichtendogmatik vollständig abbildbar sein. Siehe hierzu S. 293 ff. 537 Die Ausgestaltungsdogmatik induziert keine verfassungsrechtlichen Obliegenheiten, sondern präzisiert die Anforderungen an Eingriff und Rechtfertigung (vgl. S. 292 ff.). Anders verstehen lassen sich in Bezug auf den Streikbrechereinsatz hingegen die Ausführungen Beckerle, der z. T. von einem „Schutzauftrag des Art. 9 III GG“ spricht. Vgl. hierzu: Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (137).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(aa) Legitimer Zweck: Erfüllung der Schutzpflicht zugunsten der Koalitionsfreiheit der Stammarbeitnehmerkoalitionen aus Art. 9 Abs. 3 GG – und zugleich zum Schutz der Leiharbeitnehmer? Diese Besonderheit macht sich zunächst im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Einsatzverbotes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG in Bezug auf die zu überprüfende verfassungsrechtliche Legitimität der mit der Regelung verfolgten gesetzgeberischen Zwecke bemerkbar. So verfolgt der Gesetzgeber mit dem so bezeichneten Ziel, die mit dem Streikbrechereinsatz einhergehende „missbräuchliche Einwirkung auf den Arbeitskampf“ zu unterbinden,538 offenkundig das Interesse, eine annähernde Parität zwischen den Tarifvertragsparteien herzustellen und bedient damit zugleich die oben beschriebene Schutzpflicht.539 Daneben sieht der Gesetzgeber in dem Einsatzverbot aber auch einen Beitrag zum Schutz der Interessen der Leiharbeitnehmer.540 Schließlich sei vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtslage – dem Leistungsverweigerungsrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG – teils erheblicher Druck auf die Leiharbeitnehmer, die „in der Regel befristet und mit der Hoffnung auf Übernahme in einen Entleihbetrieb“ in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, ausgeübt worden.541 Daher gelte es, die Leiharbeitnehmer vor dahingehendem Druck zu schützen. Eben diese Zielsetzung greift auch das Bundesverfassungsgericht auf und stellt sie in Zusammenhang mit dem – nach der Judikatur des Gerichts recht weiten – Schutzpflichtverständnis in Bezug auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG.542 Die verfassungsdogmatische Kritik an diesem generalklauselartigen Rekurs auf die Schutzpflichtendogmatik muss hier nicht wiederholt werden. Verwiesen sei an dieser Stelle nur darauf, dass allein die Beobachtung, dass sich Leiharbeitnehmer aufgrund ihrer strukturell unterlegenen

538 Vgl. BT-Drs. 18/9723 v. 22. 9. 2016, S. 12 f. Kritisch zu dieser Terminologie: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 177 f. 539 Ebenso, allerdings ohne Rekurs auf eine staatliche Schutzpflicht: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1187 f.); Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (129 f.); Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (182 f.); Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 178 f. 540 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 28 f. 541 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 28 f. 542 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188) („Damit dienen die angegriffenen Regelungen unter anderem der Verbesserung der Stellung der Leiharbeitskräfte, also dem Schutz ihrer Berufsfreiheit […]“). Das BVerfG rekurriert hierbei auf die oben dargelegte Rechtsprechungslinie, die (insbesondere) für den Bereich des Arbeitsrechts von einem weiten Verständnis der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG ausgeht und diverse Regelungen, die dem Schutz der Arbeitnehmerseite dienen, mithilfe der (vermeintlichen) Schutzpflichtendogmatik in verfassungsrechtliches Licht rückt.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Position in einer Drucksituation befinden,543 von ihrem Leistungsverweigerungsrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG keinen Gebrauch zu machen, noch nicht die Aktivierung einer staatlichen Schutzpflicht nach sich zieht. Hierfür ist vielmehr mindestens erforderlich, dass eine etwaige Drucksituation auf einen hinreichend wahrscheinlichen Übergriff des privatrechtlichen Gegenübers – hier des Verleihunternehmens – oder jedenfalls auf ein die Gesamtsituation hinreichend prägendes Ausnutzungsmoment derselben zurückgeht (siehe oben S. 315 ff.). Dies ist hier fraglich.544 Der Gedankengang bedarf aber zugleich keiner tiefergehenden Erläuterung.545 Die Ausführungen des Gesetzgebers hinsichtlich des Leiharbeitnehmerschutzes dürfen vielmehr nicht den Blick darauf verstellen, worauf das Verbot des Streikbrechereinsatzes vor allem abzielt. In erster Linie adressiert die Regelung nicht die Interessen der Leiharbeitnehmer, sondern das Schutzinteresse der Stammarbeitnehmerschaft und der diesbezüglichen Koalitionen an einem wirksamen Arbeitskampf und dem darauf aufbauenden Interesse an paritätischer Verhandlungsstärke.546

543 Sundermann bezweifelt schon diese Drucksituation, da er die strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer mit Verweis auf die vorteilhafte Beschäftigungssituation in der Pflegebranche nicht anerkennen will (vgl. Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 174 f.). Die Sondersituation in der Pflege darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, in welcher prekären Lage sich die Leiharbeitnehmerschaft zum weit überwiegenden Teil befindet (siehe zusammenfassend S. 131 ff.). 544 Zwar wäre denkbar, dass die Verleihunternehmen in den Leiharbeitnehmern die Entscheidung hervorrufen, von ihrem Recht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG keinen Gebrauch zu machen, indem durch etwa Drohungen in grundrechtsbeeinträchtigender Weise Druck ausgeübt wird und so eine grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten der Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG aktiviert wäre. Wahrscheinlicher ist es jedoch, dass die Leiharbeitnehmer von ihrem Leistungsverweigerungsrecht keinen Gebrauch machen, um eine Überlassungsepisode – die potenziell eine Integration in Stammbeschäftigung mit sich bringen könnte – nicht zu verhindern. Vgl. in diese Richtung die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 [1188]). Die Leiharbeitnehmer würden hiernach womöglich bei Ingebrauchnahme des Rechts aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG „die Chance, aus einer prekären in eine sicherere Beschäftigungsposition zu wechseln“ einbüßen. Geht man hiervon aus, liegt aber eine formal freie Grundrechtsausübung vor, sodass keine Schutzpflicht aktiviert ist. 545 Weiterführend zur sachlichen Auseinandersetzung mit dem Gesichtspunkt des Leiharbeitnehmerschutzes: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 168 ff. 546 Offenkundig hat auch das BVerfG den Leiharbeitnehmerschutz nicht als tragende Erwägung interpretiert – überwiegen dort doch deutlich die Ausführungen zum Ziel der Kräfteparität zwischen den Tarifvertragsparteien. Vgl. hierzu: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188 f.). Ähnliche Gewichtungen vornehmend: Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (131 ff.); Franzen, RdA 2015, 141 (150 f.); Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (181 f.); Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Ent-

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Keiner eingehenden Erläuterung bedarf in diesem Zusammenhang die Einordnung dieses (schutzpflichtengetragenen) gesetzgeberischen Anliegens in die typisierenden Anforderungsabstufungen der Drei-Stufen-Theorie (hierzu S. 237 ff.). Da das Verbot des Streikbrechereinsatzes lediglich die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen tangiert, kann es bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, die in Form der hier in Rede stehenden Schutzbelange unzweifelhaft vorliegen.547 (bb) Geeignetheit und Erforderlichkeit Sodann stellt sich die Frage, ob das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG geeignet und erforderlich ist. Die Förderung des gesetzgeberischen Zwecks – die Unterbindung der Unterminierung des Arbeitskampfes der Stammarbeitnehmerseite durch den streikbrechenden Leiharbeitnehmereinsatz – und die hiermit verfolgte ausgleichende Ausgestaltung des Kräftegleichgewichts zwischen den Tarifvertragsparteien, kann man dem Verbot nicht absprechen.548 Etwas anderes ließe sich nur behaupten, wenn man bereits die Tatsachenbasis dieser gesetzgeberischen Erwägung selbst in Zweifel zieht und in dem Streikbrechereinsatz kein ernsthaft zu befürchtendes Phänomen erblickt.549 Es finden sich aber durchaus ausreichend Hinweise darauf, dass es sich nicht nur um ein theoretisches Problem handelt (vgl. oben S. 123 f.) – wenngleich der Gesetzgeber selbst diesen Beweis nicht angetreten ist.550 Die dortige Bewertung der vorgefundenen Rechtswirklichkeit ist aber als von der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative umfasst anzusehen. Eine verbreitete Kritik sieht demgegenüber aber bereits die Förderung eines paritätischen Kräftegleichgewichts zwischen den Tarifvertragsparteien als nicht gegeben an und spricht dem Einsatzverbot daher die Geeignetheit ab.551 Schließlich leiherbetrieb, 2020, S. 178 f. Demgegenüber vertieft auf die gesetzgeberische Erwägung hinsichtlich des Leiharbeitnehmerschutzes eingehend: Bauer/Haußmann, NZA 2016, 803 (805). 547 Ebenso: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 166. 548 So auch: Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (131 f.); Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (182 f.); Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 180. I. E. ebenso: Deinert, RdA 2014, 65 (78). 549 In diese Richtung: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 175. („Es fehlt eine Aussage dazu, dass es in erheblichem Umfang geschehen ist und die Kampfparität verändert hat.“) 550 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 27. 551 In diese Richtung etwa: Bauer/Haußmann, NZA 2016, 803 (805); Boemke, Systembildung im europäischen Arbeitsrecht – Recht der Arbeitnehmerüberlassung, in: Giesen/Junker/Rieble (Hrsg.), Systembildung im Europäischen Arbeitsrecht, 2016, S. 99 (124 f.); Fran-

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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sei die Ermöglichung der Aufrechterhaltung des bestreikten Betriebes gerade Voraussetzung für ein Kräftegleichgewicht, weswegen der Leiharbeitnehmereinsatz als Abwehrmaßnahme eine Verhandlungsparität erst bedinge. Das Einsatzverbot diene daher nicht dem erstrebten Kräftegleichgewicht, sondern verschiebe dieses zugunsten der Arbeitnehmerseite.552 Dieser Sichtweise hat das Bundesverfassungsgericht berechtigterweise eine Absage erteilt. Das Gegenteil ist schließlich der Fall – wie das Gericht treffend feststellt: „Mit dem Verbot ist es der Arbeitgeberseite erschwert, die Folgen des Streiks abzufangen; ohne das Verbot verliert der Streik an Durchsetzungskraft, da seine Folgen durch Fremdpersonaleinsatz nahezu folgenlos abgefangen werden können.“.553 Dem ist inhaltlich nichts hinzuzufügen. Es ist zur Herstellung eines Kräftegleichgewichts gerade nicht erforderlich, dass es der Arbeitgeberseite ermöglicht bleibt, den Streik völlig abzuwehren. Vielmehr ist es mit der angestrebten Arbeitskampfparität – zu der das Streikrecht überhaupt erst verhelfen soll – nicht vereinbar, wenn arbeitgeberseitig die Möglichkeit besteht, jedweden Streik dergestalt abzuwehren, dass dieser wirkungslos wird.554 Die Geeignetheit des Einsatzverbotes, eben diese Wirkkraft des Streiks und darauf aufbauend eine ausgleichende Ausgestaltung des Kräftegleichgewichts zwischen den Tarifvertragsparteien zu erreichen, ist daher gegeben. Darüber hinaus müsste das Verbot des Streikbrechereinsatzes aber auch erforderlich sein. Die Erforderlichkeit der Regelung ließe sich etwa in Zweifel ziehen, wenn man behauptete, dass das Leistungsverweigerungsrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG bereits ausgereicht habe, um dem Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrechern zu begegnen.555 Der Gesetzgeber ist indes vom Gegenteil ausgegangen und hat dargelegt, dass eine alleinige Geltung des Leistungsverweigerungsrechts „auf Grund der besonderen Situation von Leiharbeitskräften nicht

zen, RdA 2015, 141 (150 f.); Scholz, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, 2022, Art. 12 Rn. 235; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 175; Thüsing, NZA 2014, 10 (11); Willemsen/Mehrens, NZA 2015, 897 (901). 552 So explizit: Franzen, RdA 2015, 141 (151); Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 175. 553 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (Ls. 2). 554 So treffend: Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (183) unter Verweis auf: BAG, Urt. v. 10.6.1980 – 1 AZR 822/79, NJW 1980, 1642 (1644). 555 Vereinzelt wird daneben die Kritik vorgebracht, dass es ausgereicht hätte, das Einsatzverbot auf Leiharbeitnehmer zu beschränken, die während des Arbeitskampfes entliehen werden (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2018, § 11 Rn. 179). Dies allerdings wäre nicht gleich geeignet, den Streikbrechereinsatz zu verhindern, da ohne Weiteres Umgehungsstrategien denkbar wären, die etwa darauf abzielen würden, vor einem Beginn etwaiger Streiks vermehrt Leiharbeitnehmer zu entleihen, um diese im Falle eines Streiks einsetzen zu können (gl. hierzu: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 181).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

ausreichend“ gewesen sei, um Streikbrechereinsätze in der Praxis zu verhindern.556 Tragfähige Belege hierfür blieb der Gesetzgeber zwar schuldig.557 Allerdings lässt sich eine ausreichende Tatsachenbasis dafür, dass es trotz des Leistungsverweigerungsrechts nicht selten zum Einsatz von Leiharbeitnehmern als Streikbrechern gekommen ist, durchaus finden. Die gesetzgeberische Annahme, dass das Leistungsverweigerungsrecht allein noch nicht in gleicher Weise wie ein Verbot geeignet war, diese Einsätze zu verhindern, ist vor dem Hintergrund der legislativen Einschätzungsprärogative daher überzeugend.558 Diese Beobachtung wird auch von der Überlegung gestützt, dass es angesichts der spezifischen Situation, in der sich ein Großteil der Leiharbeitnehmer befindet, in der Tat vielmals nicht dazu kommen dürfte, dass von dem Leistungsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht wird. Die Regelung aus 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG ist daher nicht gleich geeignet, um das gesetzgeberische Ziel zu erreichen, sodass das Verbot aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG aus diesem Blickwinkel heraus erforderlich ist. Insgesamt ist das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG daher geeignet und auch erforderlich. (cc) Angemessenheit: Verfassungsrechtlicher Konflikt zwischen sozialstaatlicher Schutzpflicht und abwehrrechtlicher Berufsfreiheit im Lichte der Ausgestaltungsdogmatik Zu guter Letzt stellt sich nun die Frage, ob das Verbot des Streikbrechereinsatzes auch angemessen ist. Der verfassungsrechtlichen Position der Entleihunternehmen, die durch das Verbot in ihrer von Art. 12 Abs. 1 GG erfassten unternehmerischen Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt werden, muss folglich in Gestalt des herausgearbeiteten verfassungsrechtlichen Schutzauftrags in Bezug auf die Wirksamkeit des Arbeitskampfes der Stammarbeitnehmerseite ein entsprechend gewichtiger Zweck gegenüberstehen. Die Angemessenheitsprüfung ist daher zum einen durch den verfassungsrechtlichen Konflikt zwischen der abwehrrechtlichen Position der Arbeitgeberseite und dem sozialstaatlichen Schutzauftrag zugunsten der Stammarbeitnehmerseite geprägt. Zum anderen aber ist die Abwägung auch im Lichte der beschriebenen Dogmatik der Ausgestaltung des Kräfteverhältnisses der sich gegenüberstehenden Parteien des Arbeitskampfes zu betrachten.

556 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 28 f. Das Bundesverfassungsgericht ist der Argumentation gefolgt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 [1188]). 557 Dies kritisierend und daher (wohl) die Erforderlichkeit in Frage stellend: Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (159). 558 So i. E. ebenfalls: Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 (181); Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 182.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Dies in Rechnung stellend ergibt sich das Folgende für die Interessenabwägung der Angemessenheitsprüfung. Zunächst muss konstatiert werden, dass der Eingriff in die unternehmerische Freiheit der betroffenen Entleihunternehmen – der insofern eng mit deren Arbeitskampffreiheit559 verbunden ist – nicht so schwer wiegt, dass deren Freiheitsausübung und die damit verfolgten Interessen auf ein nicht mehr hinnehmbares Maß reduziert würden. Hierfür spricht zum einen, dass § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG den Einsatz von Leiharbeitnehmern im Streikfall nicht gänzlich unmöglich machen, sondern diesen nur weitestgehend verhindern.560 Zum anderen aber verbietet § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG nicht den streikbrechenden Einsatz von solchem Fremdpersonal, das nicht unter den Regelungsgehalt des AÜG fällt.561 Aber auch andere Arbeitskampfmittel abseits des Drittpersonaleinsatzes, zu denen der einzelne betroffene Arbeitgeber greifen kann, bleiben von der Regelung unberührt. Im Besonderen betrifft dies die Aussperrung oder die Betriebsstilllegung. Diese mögen zwar gegenüber dem Leiharbeitnehmereinsatz wirtschaftlich unattraktiver 559 Gemeint ist die Fähigkeit, einen Arbeitskampf zu führen, um entweder selbst – in Form von Haustarifverträgen kraft eigener Tariffähigkeit (vgl. § 2 Abs. 1 TVG) – oder als Mitglied der entsprechenden Arbeitgeberkoalition zu interessengerechten Tarifverträgen zu kommen. Dieses Interesse unterfällt aber nach der hier vertretenen Lösung nicht der Arbeitskampffreiheit als Teilgewährleistung der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG (vgl. S. 470 ff.). 560 Denkbar ist es etwa ausweislich § 11 Abs. 5 Satz 2 AÜG, in längeren Streikbruchketten Leiharbeitnehmer als Streikbrecher einzusetzen (vgl. hierzu näher: Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt [Hrsg.], Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 [186]) – sofern man dies nicht für eine unzulässige Umgehung von § 11 Abs. 5 Satz 1 AÜG hält (vgl. hierzu weiterführend: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 11 Rn. 157). Weiterhin dürfen Leiharbeitnehmer auf nicht bestreikten Arbeitsplätzen tätig werden – also dann, wenn sie im Rahmen der reaktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung im Entleihunternehmen eingesetzt werden. Hierauf im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ebenfalls hinweisend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 189. 561 Da das AÜG die konzerninterne und die nicht gewerbliche Arbeitnehmerüberlassung nicht erfasst, ist diesbzgl. ein streikbrechender Leiharbeitnehmereinsatz möglich, sofern denn die Voraussetzungen für diese Randphänomene vorliegen (vgl. hierzu: Deinert, RdA 2014, 65 [79]; Klein/Leist, Leiharbeitnehmereinsatz im Arbeitskampf – § 11 V AÜG als angemessener Ausgleich?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt [Hrsg.], Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 165 [186]; Sturm, Die Privilegierung von Konzernen gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 2 AÜG, 2020, S. 210). Auch Werk- und Dienstvertragsgestaltungen bleiben unberührt (vgl. Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/ Schmidt [Hrsg.], Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 [140]). Insofern ist zu erwarten, dass bestreikte Unternehmen den streikbrechenden Leiharbeitnehmereinsatz zukünftig durch anderweitiges Drittpersonal ersetzen werden. Sofern allerdings im Einzelfall eine verdeckte Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, greift wiederum das hiesige Einsatzverbot (vgl. Beckerle, ebd., S. 121 [140]). Ob abseits dessen Regelungsrahmens ein streikbrechender Einsatz von Drittpersonal möglich ist, der die vom Leiharbeitnehmereinsatz ausgehende Wirkung auf den Arbeitskampf erreicht und demgemäß womöglich gar eine staatliche Schutzpflicht zum Eingreifen aktiviert, bleibt indes abzuwarten. Derartige Phänomene werden indes aktuell (noch) nicht berichtet.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sein.562 Wirksame Arbeitskampfmittel sind sie aber in jedem Fall.563 Mit dem Verbot des Streikbrechereinsatzes wird den Entleihunternehmen daher zwar ein effektives Mittel genommen, das geeignet ist, die Folgen des Streiks „nahezu folgenlos“ abzufangen.564 Die Fähigkeit, gleichwohl einen wirksamen Arbeitskampf zu führen, wird aber nicht beeinträchtigt.565 Vielmehr stellt das Streikbrecherverbot erst den Rahmen her, in dem sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite im Arbeitskampf in einem ungefähren Kräftegleichgewicht begegnen können, um demgemäß zu beiderseitig interessengerechten Tarifverträgen zu kommen.566 Indem der Arbeitgeberseite die Möglichkeit des streikbrechenden Leiharbeitnehmereinsatzes genommen wird, wird sie (vor allem) auf die – zugegebenermaßen selbstschädigenden – Möglichkeiten der Aussperrung und der Betriebsstilllegung verwiesen, welche wiederum dem insofern gleichsam selbstschädigenden Streik der Arbeitnehmerseite gleichkommen.567 Folglich wird eine annähernde Waffengleichheit der Arbeitskampfmittel hergestellt. Damit hält sich die Regelungsentscheidung aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG auch im Rahmen der – hier abseits von ihrem ursprünglichen „Bestimmungsort“ in Art. 9 Abs. 3 GG angewandten – Dogmatik hinsichtlich der Ausgestaltung der Arbeitskampfbedingungen zur Herstellung einer Kräfteparität.568 Gleichzeitig erfüllt das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG die beschriebene verfassungsrechtliche Verpflichtung, zugunsten der Arbeitskampfinteressen der Stammarbeitnehmerseite ein Mindestmaß an wirksa562 Zwar wird auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern in der Gesamtkostenrechnung den Stammarbeitnehmereinsatz ggf. übersteigen (vgl. S. 67 ff.); die genannten Mittel sind demgegenüber aber verhältnismäßig kostenintensiver und spielten daher in der Vergangenheit kaum eine praktische Rolle. Vgl. weiterführend: Franke, Das Verbot des Streikeinsatzes von Leiharbeitnehmern – Ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Arbeitskampfes, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 143 (149). 563 Hierauf ebenfalls hinweisend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 187. 564 So ausdrücklich: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (Ls. 2). 565 Vgl. zudem: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188 f.). 566 Vgl. insofern zur Geeignetheit des Verbotes in Bezug auf die Herstellung einer Kräfteparität soeben auf S. 482 ff. 567 Dies pointiert feststellend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 188. Sicherlich wird auch schon der Einsatz weniger gut eingearbeiteter (vgl. hierzu oben S. 76 f.) und in der Gesamtkostenrechnung (vgl. oben S. 67 ff.) betriebswirtschaftlich teurerer Leiharbeitnehmer eine schädigende Komponente haben – dies wird aber durch damit weitestgehend erreichte Aufrechterhaltung des Betriebs ausgeglichen. 568 So auch i. E.: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 (1188 f.). Wie hier: Beckerle, Das Verbot des Streikbrechereinsatzes von Leiharbeitnehmern als unzulässige Weichenstellung für den Arbeitskampf?, in: Buhl/Frieling/Krois/Malorny/Münder/ Richter/Schmidt (Hrsg.), Der erwachte Gesetzgeber, 2017, S. 121 (140). Hierzu weiterführend: Sundermann, Arbeitnehmerüberlassung beim Arbeitskampf im Entleiherbetrieb, 2020, S. 187 ff.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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mem Schutz zu installieren, der nicht gänzlich ungeeignet ist, um zu verhindern, dass ein Arbeitskampf durch den streikbrechenden Einsatz von Leiharbeitnehmern faktisch wirkungslos wird. Zwar verhindert § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG nicht jede Form von streikbrechendem Drittpersonaleinsatz. Dies ist aber ausweislich der oben herausgearbeiteten Rechtsfolgenseite der sozialstaatlichen Schutzpflicht auch nicht erforderlich. Ausreichend ist der gebotene Mindestschutz (vgl. S. 317 ff.). Dieser wird durch § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG erreicht. Unter alleiniger Geltung des Leistungsverweigerungsrechts aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG wäre dies aus den genannten Gründen allerdings anders zu beurteilen gewesen. Schließlich konnte das Leistungsverweigerungsrecht offensichtlich nicht dazu führen, eine Unterminierung eines Arbeitskampfes durch Streikbrechereinsätze in der Praxis wirksam zu verhindern. Daraus folgt zwingendermaßen die Einsicht, dass der Gesetzgeber bis zur Einführung des Verbotes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht nicht nachgekommen ist. Allein aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber in Gestalt von § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG seinen verfassungsrechtlichen Pflichten nachkommt, kann aber noch nicht abgeleitet werden, dass diese Regulierungsentscheidung auch verfassungsrechtlich zulässig ist. Vielmehr darf auch die beschriebene abwehrrechtliche Position der betroffenen Entleihunternehmen nicht unangemessen beeinträchtigt werden.569 Nach den obigen Feststellungen zur Schwere des entsprechenden Eingriffs und in Anbetracht der gewichtigen Gegenposition der Stammarbeitnehmerseite wird man eine solche Unangemessenheit aber nicht feststellen können. Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber mit der Regelung aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG erst ein nahezu paritätisches Kräftegleichgewicht herstellt, indiziert vielmehr bereits die Angemessenheit dieser Regelungsentscheidung. Wenn das Verbot das grundrechtliche Kräftegleichgewicht im Hinblick auf den Arbeitskampf erst herstellt, kann hierin nicht die Unangemessenheit dieser Regelungen begründet sein. (3) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit Das Verbot des Streikbrechereinsatzes aus § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG ist daher sowohl mit der Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer als auch mit der Berufsfreiheit der Entleihunternehmen vereinbar.

569 Es sei noch einmal in Erinnerung gerufen, dass das Maß des verfassungsrechtlich Zulässigen sich insofern aus dem Spielraum zwischen einerseits dem Untermaß- und andererseits dem Übermaßverbot ergibt (vgl. hierzu S. 266 ff.). Allein der Umstand, dass der Gesetzgeber mit § 11 Abs. 5 Satz 1 und 2 AÜG dem Untermaßverbot genügt, heißt aber nicht, dass nur diese Regelung verfassungsrechtlich zulässig sein kann. Vielmehr ist grds. auch denkbar, dass im Hinblick auf das Übermaßverbot eine weniger intensive Verbotsregelung einzufordern wäre – die wiederum dem Untermaßverbot genügen sein müsste.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

cc) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Die Regelungsentscheidung zum Verbot des Streikbrechereinsatzes ist damit insgesamt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. c) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung des Verbots des Streikbrechereinsatzes Weder aus verfassungsrechtlicher noch aus unionsrechtlicher Perspektive kann dem Verbot des Streikbrechereinsatzes daher der Vorwurf gemacht werden, mit höherrangigem Recht unvereinbar zu sein. 4. Überlassungshöchstdauer Nun ist der Blick auf eine der zentralen Neuerungen zu richten, die die Novellierung des AÜG im Jahr 2017 mit sich brachte: Die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG. Ein echtes Novum stellt dieser Regulierungsschritt zwar nicht dar.570 Gleichwohl brachte die insofern – abgesehen von den Möglichkeiten tarifvertraglicher Abweichungen gem. § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG – starre Grenze der Überlassungshöchstdauer aber eine deutliche Verschärfung gegenüber § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜ a. F. mit sich. Hierin war lediglich der Wortlaut der Leiharbeitsrichtlinie aus Art. 1, 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/EG wiederholt und mit der Titulierung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ nach dem gesetzgeberischen Willen eine „flexible Zeitkomponente“ installiert worden, mit der man bewusst auf „genau bestimmte Höchstüberlassungsfristen“ verzichten wollte.571 Diese genau bestimmte Überlassungshöchstdauer wurde mit der Neuregelung aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG wiederum eingeführt, indem dort geregelt wird, dass Überlassungen „vorübergehend bis zu einer Überlassungshöchstdauer nach Absatz 1b“ (§ 1 Abs. 1 Satz 4 AÜG) zulässig sind und diese Überlassungshöchstdauer sodann (§ 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG) als „nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate“ definiert wird. Diese Regulierungsentscheidung hat zum Teil erhebliche Kritik hinsichtlich der Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit höherrangigem Recht auf sich gezogen.572 Vielfach wird der Regulierungsschritt aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG 570 Eine erste zeitliche Beschränkung der Überlassungsepisoden war bereits in der Erstfassung des AÜG v. 12. 10. 1972 enthalten und wurde in den folgenden Jahrzehnten mehrfach abgeändert. Vgl. insofern ausführlicher zur Regulierungshistorie: S. 47 ff. 571 Vgl. BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 8. Hierzu weiterführend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 41 ff. 572 Die Überlassungshöchstdauer (in Kumulation mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivät des Gleichbehandlungsgrundsatzes) für verfassungswidrig haltend: Belling,

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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aber auch als unions- und verfassungsrechtlich probates Mittel angesehen.573 Im Folgenden wird daher vor dem Hintergrund der oben herausgearbeiteten unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten untersucht, ob der Gesetzgeber den Rahmen des unions- und verfassungsrechtlich Zulässigen überschritten hat, als er die Überlassungsdauer in § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG auf 18 aufeinanderfolgende Monate festlegte und zugleich gem. § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG Abweichungsmöglichkeiten zuließ.574 a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Zunächst ist hierbei zu überprüfen, ob die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG inklusive der dort in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG vorgesehenen Abweichungsmöglichkeiten mit den Vorgaben des Unionsrechts vereinbar ist. aa) Vereinbarkeit mit der Leiharbeitsrichtlinie: Wahrung des „vorübergehenden“ Charakters der Arbeitnehmerüberlassung? Hierbei ist der Blick zunächst auf den die Dauer der Überlassungszeiten betreffenden Gehalt der Leiharbeitsrichtlinie zu richten. Wie oben bereits vertieft dargetan wurde (siehe ausführlich ab S. 142 ff.), ist der Beschreibung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ in Art. 1, 3 Abs. 1 lit. b) – e) RL 2008/104/ EG kein materiell-rechtlicher Regulierungsauftrag zu entnehmen, der die Mitgliedstaaten zur Implementierung konkreter Regulierungsschritte hinsichtlich der Länge der Überlassungszeiten verpflichten würde. Eine harte materielle Vorgabe zur Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung geht von der Bezeichnung dieser Form des Drittpersonaleinsatzes als „vorübergehend“ also nicht aus. Nichts anderes folgt

„Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 237 ff.; Franzen, RdA 2015, 141 (150); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 53 ff. Demgegenüber bzw. zusätzlich einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 RL 2008/104/EG annehmend: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 242 ff.; Rieble/Vielmeier, EuZA 2011, 474 (489 f.). 573 Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 110 ff.; Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194 (203 ff.); ders., in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338 f.; 340 ff.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 58 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 152 ff.; 194 ff.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 213 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20 f. 574 Gegenstand verfassungsrechtlicher Kritik im Rahmen der Abweichungsmöglichkeiten sind indes einzig die Regelungen aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG und § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG (vgl. unten ab S. 523 ff.), sodass sich die hiesigen Ausführungen auf die Betrachtung dieser Problempunkte beschränken.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

über den Umweg575 über das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/ 104/EG. Dieses verpflichtet die Mitgliedstaaten zwar darauf, Maßnahmen vorzusehen, um einzelne Überlassungen „nicht zu einer Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer“ werden zu lassen und so den Umstand zu wahren, dass das einzelne Überlassungsverhältnis „seiner Natur nach vorübergehend“ ist.576 Dies ändert aber nichts an dem oben Gesagten. Eine maßgebliche materielle Regulierungsvorgabe in Bezug auf die Dauer der Überlassungsepisoden folgt hieraus explizit nicht. Allerdings folgt aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG, dass das nationale Recht auf Maßnahmen, die den „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ wahren, nicht völlig verzichten darf.577 Die Regelungsdichte dieses so verstandenen Missbrauchsverbots ist indes äußerst gering und scheint jedes nationale Regelungsregime genügen zu lassen, das darauf hinwirkt, Überlassungen, die nicht mehr „vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden“ können, zu unterbinden.578 Die maßgebliche Kontrollverantwortung darüber, einzelne Überlassungen, die diesem unionalen Verständnis der Arbeitnehmerüberlassung nicht mehr entsprechen, zu verhindern, sieht der EuGH ohnehin bei den nationalen Gerichten. Die Anforderungen, die aus dem Regulierungsauftrag aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 RL 2008/104/EG für den Gesetzgeber folgen, dürfen daher insgesamt nicht überspannt werden. (1) Überlassungshöchstdauer So verwundert es im Lichte dieser Vorgaben auch nicht, wenn der EuGH in der nationalen Ausgestaltung der Überlassungsdauer durch die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG keinen Konflikt mit den Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG erkennt.579 Eben dieses Ergebnis hat das Bun575 Die Wendung „vorübergehend“ erhält dem EuGH zufolge hierbei – in gewisser Weise „durch die Hintertür“ – über die hiermit vorgegebene Zustandsbeschreibung der Arbeitnehmerüberlassung hinaus eine begrenzte Funktion, welche wiederum durch nationale Regulierung gewahrt werden muss. 576 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 60 f.); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). Vgl. bereits vertieft zu diesen Judikaten: S. 185 ff. 577 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). 578 In diese Richtung auch bereits vor dem Eindruck des Urteils in der Rechtssache C-681/ 20: Franzen, NZA 2021, 24 (27); ders., EuZA 2021, 143 (163); v. Steinau-Steinrück, NJWSpezial 2020, 756. Wohl auch: Feuerborn, EuZA 2022, 109 (118). 579 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56 ff.). Dem offenbar zustimmend: Bissels/Münnich/Krülls, ArbRAktuell 2022, 247 (248); Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 340. Ebenso bereits im Hinblick auf das vorherige Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18: Feuerborn, EuZA 2022, 109 (118 f.); Franzen, NZA 2021, 24 (27); v. Steinau-Steinrück, NJW-Spezial 2020, 756; Stiebert/Pohl, ZESAR 2021, 241 (243); Wank/ Roloff, in: Müller-Glöge/Preis/Schmidt (Hrsg.), Erfurter Kommentar, § 1 AÜG Rn. 46. Anpassungsbedarf sieht demgegenüber: Klengel, AuR 2021, 181 (185).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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desarbeitsgericht kürzlich bestätigt.580 Dies bezieht sich zunächst auf die einzelne Überlassungsepisode, die mit maximal 18 Monaten richtigerweise nicht länger ist, als das, „was vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“.581 Dass überhaupt eine derartige Überlassungshöchstdauer festgelegt wird, ordnet der EuGH vielmehr explizit als eine über die Mindestvorgaben der Richtlinie hinaus gehende Vorschrift ein.582 Genau so wenig bleibt das nationale Recht hinter diesem weichen Regelungsauftrag zurück, wenn in § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG vorgesehen ist, dass der „Zeitraum vorheriger Überlassungen durch denselben oder einen anderen Verleiher an denselben Entleiher (…) vollständig anzurechnen (ist), wenn zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen“. Hiermit war gerade bezweckt worden, Umgehungsstrategien auszuschließen, die dazu führen, dass durch kurzfristige Unterbrechungen des Einsatzes eines Leiharbeitnehmers bei einem Entleihunternehmen im Ergebnis ein Dauereinsatz ermöglicht wird.583 Zwar wird hierdurch der hier schon vielfach beschriebene Einsatz von Leiharbeitnehmern auf dauerhaft verfügbaren Stammarbeitsplätzen nicht verhindert.584 Dies ist aber ausweislich der Vorgaben, die der EuGH der Leiharbeitsrichtlinie entnommen hat, auch nicht erforderlich. Verhindert wird in jedem Fall, dass die Überlassung an ein einzelnes Unternehmen für einen einzelnen Leiharbeitnehmer zur „Dauersituation“585 wird – womit die Karenzzeitbestimmung aus § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG den Richtlinienvorgaben genügt.586 Der EuGH hatte sich zu dieser Bestimmung im Urteil in der Rechtssache C-232/20 zwar nicht explizit verhalten. Angesichts der Tatsache, dass bereits das vollständige Fehlen einer Regulierung der Überlassungsdauer dort für 580 Siehe hierzu die (nach Einreichung dieser Studie) ergangenen wegweisenden Urteile: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (306, Rn. 15); Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 313 (316, Rn. 56). 581 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 69); sowie: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 60). 582 So explizit: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 70) („Aus Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ergibt sich nämlich, dass diese Richtlinie das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, für Arbeitnehmer günstigere Rechtsvorschriften anzuwenden oder zu erlassen, zu denen eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gehört, die eine Höchstdauer festlegt […].“). Gem. Art. 9 Abs. 1 RL 2008/104/EG sind für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften stets zulässig. 583 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20. 584 Möglich bleibt die bereits oben in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (S. 417) beschriebene Rotation von Leiharbeitnehmern in Gestalt eines „Leiharbeitnehmer-Rondells“, bei dem wechselnde Leiharbeitnehmer auf demselben Arbeitsplatz jeweils im Rahmen der Überlassungshöchstdauer überlassen werden, somit Einarbeitungserfahrung sammeln und die Zeiträume zwischen den Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers zugleich die Karenzzeit aus § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG somit einhalten. Hierzu näher: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 302 („Rotationsmodell“). 585 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1466, Rn. 60); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 56). 586 I. E. ebenso: Franzen, NZA 2021, 24 (27); Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 343 (der zugleich auf die Missbrauchskontrolle durch die Fachgerichte verweist).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

richtlinienkonform gehalten wird,587 kann indes keine andere Schlussfolgerung gezogen werden. Zu einem konkreten Urteil kam der EuGH in der Rechtssache C-232/20 hingegen in Bezug auf die Vorlagefrage, ob die Regelung aus § 19 Abs. 2 AÜG gegen die genannte Richtlinienvorgabe verstoße, „wenn sie erstmals ab dem 1. April 2017 eine individuelle Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten vorschreibt, vorangegangene Zeiten der Überlassung aber ausdrücklich unberücksichtigt lässt, wenn bei Berücksichtigung der vorangegangenen Zeiten die Überlassung als nicht mehr vorübergehend zu qualifizieren wäre“.588 Nach § 19 Abs. 2 AÜG werden in Bezug auf die Berechnung der Überlassungshöchstdauer Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 nicht miteinbezogen. Zwar betonte der EuGH diesbezüglich erneut, dass es den Mitgliedstaaten freistehe, überhaupt Überlassungshöchstzeiten festzulegen. Wenn eine solche indes installiert werde, dürfe „ein Mitgliedstaat bei der Festlegung einer Höchstdauer (…) diese Dauer nicht so festlegen, dass sie über den vorübergehenden Charakter einer solchen Überlassung hinausgeht“.589 Dasselbe gelte, wenn „aufeinanderfolgende Überlassungen eines Leiharbeitnehmers in einer Weise“ ermöglicht werden, „die die Bestimmungen dieser Richtlinie gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 Satz 1 umgeht“. Mit anderen Worten dürfe die Einführung einer Überlassungshöchstdauer inklusive der entsprechenden Berechnungsmodalitäten also nicht im Ergebnis dazu führen, dass der vorübergehende Charakter der Arbeitnehmerüberlassung missachtet wird und im Ergebnis eine Überlassung zur Dauersituation für den betroffenen Leiharbeitnehmer werde.590 In der Folge beantwortete der EuGH die Vorlagefrage daher dergestalt, dass „die Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Höchstdauer der Überlassung desselben Leiharbeitnehmers an dasselbe entleihende Unternehmen festlegt, wenn sie durch eine Übergangsvorschrift die Berücksichtigung von vor dem Inkrafttreten dieser Regelung liegenden Zeiträumen bei der Berechnung dieser Dauer ausschließt und dem nationalen Gericht die Möglichkeit nimmt, die tatsächliche Dauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers zu berücksichtigen, um festzustellen, ob diese Überlassung im Sinne der Richtlinie ,vorübergehend‘ war; dies festzustellen ist Sache dieses Gerichts“.

Auch die Berücksichtigung von vor dem 1. April 2017 zurückgelegten Überlassungszeiten sah der EuGH also in Bezug auf die Einzelfallbeurteilung, ob eine Überlassung in einem Entleihunternehmen insgesamt noch „vorübergehend“ sei, als eine Angelegenheit der nationalen Gerichte an. Soweit § 19 Abs. 2 AÜG den Gerichten die Berücksichtigung dieser Zeiten verwehre, stehe sie der Richtlinie ent587 Es steht den Mitgliedstaaten frei, derartige Zeitbestimmungen festzulegen. Fehlen sie, sind allein die nationalen Gerichte in der Pflicht, Missbrauchsfälle zu verhindern. Vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 57 f.). 588 Zu den Vorlagefragen: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (549, Rn. 27). 589 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 71). 590 Vgl. auch: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 73).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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gegen. Allerdings sei es sogleich auch Sache der nationalen Gerichte, das nationale Recht dahingehend auszulegen, ob es die Berücksichtigung der Gesamtdauer der Überlassung tatsächlich verwehre.591 Wenn dem so ist, müsse das nationale Gericht die entsprechende nationale Vorschrift – hier § 19 Abs. 2 AÜG – grundsätzlich unangewendet lassen,592 da eine richtlinienkonforme Auslegung contra legem untunlich sei.593 Im Kontext von § 19 Abs. 2 AÜG würde ein solches Vorgehen indes dazu führen, dass ein Privater dadurch, dass eine nationale Regelung unangewendet gelassen wird, unmittelbar verpflichtet würde, sodass das nationale Gericht „nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet (sei), eine solche unionsrechtswidrige Übergangsvorschrift unangewendet zu lassen“.594 Der EuGH rekurriert hier auf die sogenannte horizontale Drittwirkung von Richtlinienbestimmungen, die nach ständiger Rechtsprechung unzulässig ist.595 Sofern sich also im Rahmen der Auslegung von § 19 Abs. 2 AÜG durch das zuständige nationale Gericht ergibt, dass die Regelung in der Tat eine Berücksichtigung der Gesamtdauer der Überlassungen unmöglich mache, so müsse das Gericht die Norm dennoch anwenden.596 Da dieses Szenario aber ob des eindeutigen Wortlauts von § 19 Abs. 2 AÜG wahrscheinlich ist, wird der Gesetzgeber nachbessern müssen, um seiner aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG folgenden Pflicht nachzukommen, dass Überlassungen für die Leiharbeitnehmer im Einzelfall nicht zur Dauersituation mutieren. Den vom EuGH diesbezüglich aufgestellten Anforderungen gerecht zu werden, dürfte indes ein leichtes sein.597 Dieser Nebenschauplatz darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die nationale Regulierung der Überlassung durch die Überlassungshöchstdauer nach der Ansicht des EuGH insgesamt richtlinienkonform ist. Erhebt man den Blick über das aktuelle Regelungsregime der Überlassungshöchstdauer hinaus, muss man sich im Lichte der vom EuGH aufgestellten Anforderungen vielmehr fragen, ob nicht bereits eine deutlich weniger strikte Ausgestaltung des nationalen Rechts ausgereicht hätte, um den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie hinsichtlich der Wahrung des „vorübergehenden Charakter(s) der Leiharbeit“598 Genüge zu tun.599 Auch ein genereller Verzicht auf eine explizite 591

Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 74, 78). Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (554, Rn. 79). 593 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (554, Rn. 77). 594 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (554, Rn. 81, 83). 595 Weiterführend: Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 288 AEUV Rn. 58. 596 Hierzu nun auch jüngst: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 26/21, 313 (316, Rn. 71 f.). 597 Ausreichen dürfte etwa die folgende Ergänzung von § 19 Abs. 2 AÜG: „Überlassungszeiten vor dem 1. April 2017 werden bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer nach § 1 Absatz 1b und der Berechnung der Überlassungszeiten nach § 8 Absatz 4 Satz 1 nicht berücksichtigt. Dies darf im Einzelfall nicht zu einer Überlassungsdauer führen, die nicht mehr vorübergehend ist.“ 598 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). 592

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Regelung einer Zeitkomponente der Überlassungsepisoden dürfte denkbar sein, solange nur ein irgendwie geartetes mitgliedstaatliches Regelungsregime besteht, das darauf abzielt, Missbräuche zu verhindern, die das unionale arbeitnehmerbezogene Verständnis von der vorübergehenden Natur der Überlassungen missachten. Solange nur überhaupt „Maßnahmen“ ergriffen werden, „um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren“,600 scheint es ausweislich der Rechtsprechung des EuGH unerheblich, ob diese Maßnahmen ausdrücklich die Überlassungsdauer selbst adressieren oder ob ein Konglomerat anderweitiger Regelungsmechanismen besteht, das ausreichend Anreize setzt, dauerhafte Überlassungen unter Geltung des jeweiligen nationalen Rechts auszuschließen. Derartige Gedanken verdienen hier allerdings keine Vertiefung.601 Fest steht, dass die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG mit der Leiharbeitsrichtlinie vereinbar ist. (2) Abweichungsmöglichkeiten Zugleich aber müssen auch die in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG niedergelegten Abweichungsmöglichkeiten – etwa durch die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche (§ 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG) – die beschriebenen Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie wahren. Ohne hierbei auf die Ausgestaltung der dortigen Ausnahmen näher einzugehen, muss jedoch in Bezug auf die Vereinbarkeit derselben mit der Maßgabe der Wahrung des „vorübergehenden Charakter(s) der Leiharbeit“602 das Folgende festgellt werden. Die Abweichungsmöglichkeiten eröffnen nur dahingehend eine Ausnahme von der Überlassungshöchstdauer, als dass von der dortigen Vorgabe nach oben oder unten zeitlich abgewichen werden darf. Eine Überlassungshöchstdauer ist aber in jedem Fall erforderlich.603 Dass hierbei im Einzelfall eine abweichende

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So ebenfalls im Hinblick auf EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18: Franzen, NZA 2021, 24 (27). 600 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). 601 Siehe aber unten zum alternativen Regelungsansatz einer verpflichtenden Gleichbehandlung (in Kombination mit einer Flexibilitätsprämie): S. 586 ff. 602 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 63). 603 Vgl. insofern bereits den Gesetzesentwurf (BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20). Zwar wird vereinzelt wiederum eine Höchstgrenze für die entsprechenden Abweichungsmöglichkeiten vertreten (so etwa: Seiwerth, NZA 2017, 479 [480 f.]), richtigerweise folgt eine solche aber weder aus dem AÜG, noch aus dem Unionsrecht, sodass eine feste Höchstgrenze für Abweichungen nicht besteht (vgl. etwa: Henssler, RdA 2017, 83 [97]; Kock, in: Rolfs/Giesen/ Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG [Stand: 2023] Rn. 114; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 298 f.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 105). Zu gewährleisten ist lediglich, dass auch entsprechende Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer den unionsrechtlich geforderten „vorübergehenden Charakter der Leiharbeit“ wahren. Sofern man dies im Rahmen der Abweichungsmöglichkeiten für möglich hält (vgl. hierzu weiterführend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Überlassungshöchstdauer zu Stande kommt, die Überlassungen hervorbringt, die bereits generell nicht mehr „vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden“604 können, ist unwahrscheinlich.605 Zudem kann die Einhaltung der hier in Rede stehenden unionsrechtlichen Vorgabe zumindest durch eine unionsrechtskonforme Auslegung der Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG erreicht werden, sodass Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG dem nationalen Recht diesbezüglich nicht entgegensteht. Bemerkenswert ist hierbei, dass der nationale Gesetzgeber bei der Implementierung der Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG die Adressaten der alternativen Ausgestaltungsmöglichkeiten der Überlassungshöchstdauer darauf verpflichtet, „den vorübergehenden Charakter der Arbeitnehmerüberlassung zu gewährleisten“.606 Insofern hatte der Gesetzgeber die hier zugrunde gelegte Auslegung der genannten Richtlinienbestimmungen durch den EuGH – gewissermaßen in „weiser Voraussicht“ – beinahe wortlautgleich antizipiert. In der Konsequenz kann aus den nationalen Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG nur eine solche Rechtsgestaltung folgen, die den in Rede stehenden Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie genügt. Dieses Ergebnis hat der EuGH in der Rechtssache C-232/20 jedenfalls in Bezug auf die Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen zugunsten der Tarifparteien der Einsatzbranche bestätigt. Das vorlegende Landesarbeitsgericht hatte insofern gefragt, ob die „Ausdehnung der individuellen Überlassungshöchstdauer den Tarifvertragsparteien überlassen werden“ könne und dies auch für „Tarifvertragsparteien, die nicht für das Arbeitsverhältnis des betroffenen Leiharbeitnehmers, sondern für die Branche des entleihenden Unternehmens zuständig sind“ gelte.607 Der Gerichtshof führte hierzu aus, dass die Richtlinie einem mitgliedstaatlichen Ansatz, der den Sozialpartnern gestattet, Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen festzulegen, nicht entgegenstehe, solange die Mitgliedstaaten „die erforderlichen Vorkehrungen (…) treffen, damit sie jederzeit gewährleisten können, dass die Ziele dieser Richtlinie erreicht werden“.608 Eben dieses Erfordernis wird dadurch erfüllt, dass auch eine Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 302 ff.), vermag auch eine alternative oder ergänzende Regulierung durch Sachgründe (vgl. hierzu unten S. 512 ff.) dieses Erfordernis erfüllen. 604 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 69); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 60). 605 Vgl. hierzu die beispielhafte Auflistung bei: BT-Drs. 20/4150 v. 20. 10. 2022, S. 11. Im Hinblick auf die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie womöglich noch zulässig aber in der Sache kritikwürdig ist eine dort ausgewiesene Höchstdauer von 540 Monaten. 606 Insofern bereits explizit: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20. Weiterführend zum somit begrenzten Spielraum: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 351 f. 607 Zu den Vorlagefragen: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (549, Rn. 27). 608 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (556, Rn. 107). Der EuGH bezog sich hierzu insbesondere auf Art. 9 Abs. 1 RL 2008/104/EG, wonach eine mitgliedstaatliche Bestrebung, „den Abschluss von Tarifverträgen oder Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern zu fördern oder zuzulassen, die für die Arbeitnehmer günstiger sind“ zulässig

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

tarifvertragliche Abweichung immer noch in einer Überlassungshöchstdauer resultieren muss, die sodann in ausreichendem Maße verhindert, dass die befürchtete Dauersituation für einen einzelnen Leiharbeitnehmer eintritt. Ferner erblickte der EuGH auch in dem Umstand, dass die Tarifvertragsparteien der Einsatzbranche für tarifvertragliche Abweichungen zuständig sind, keinen Richtlinienverstoß, da „die Richtlinie 2008/104 insoweit keine Einschränkung oder Verpflichtung vorsieht, so dass eine solche Entscheidung in den Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten fällt“.609 Im Ergebnis sei „die Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen (…), dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die die Tarifvertragsparteien ermächtigt, auf der Ebene der Branche der entleihenden Unternehmen von der durch eine solche Regelung festgelegten Höchstdauer der Überlassung eines Leiharbeitnehmers abzuweichen“.610 Es bleibt also bei dem hier gefundenen Ergebnis, nach dem auch die mitgliedstaatliche Verpflichtung darauf, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um den vorübergehenden Charakter der Leiharbeit zu wahren“,611 der tarifvertraglichen Abweichungsoption nicht entgegensteht.612 bb) Vereinbarkeit mit dem Primärrecht In der Folge stellt sich nun die Frage, ob die Bestimmungen zur Überlassungshöchstdauer und der diesbezüglichen Abweichungsmöglichkeiten nicht nur der Leiharbeitsrichtlinie sondern auch dem Primärrecht entsprechen. (1) Geltung von Unionsgrundrechten? Erneut stellt sich in diesem Zusammenhang daher die Frage, ob die zu untersuchende nationale Regulierungsentscheidung an den nationalen oder an den unionalen Grundrechtsgewährleistungen zu messen ist. Bereits oben ist dargetan worden (vgl. S. 157 ff.), dass die Überlassungshöchstdauer eine autonome Regelungsentscheidung des nationalen Gesetzgebers darstellt, die demgemäß nicht eine Vorgabe der Leiharbeitsrichtlinie umsetzt und in der Konsequenz auch nicht an den Grundrechten der Grundrechtecharta zu messen ist. Zwar hat der EuGH in der Überlassungshöchstdauer explizit eine eigene nationale Regulierungsentscheidung erkannt.613 Vor dem Hintergrund der weiteren Ausfühist sowie auf Art. 11 Abs. 1, wonach eine Umsetzung der Richtlinie auch dann vorliegt, wenn die Mitgliedstaaten sich „vergewissern (…), dass die Sozialpartner die erforderlichen Vorschriften im Wege von Vereinbarungen festlegen“ (EuGH, ebd., Rn. 106 f.). 609 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (556, Rn. 110). 610 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (556, Rn. 111). 611 Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 72); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 67). 612 Das BAG hat auch dies im Lichte der Judikatur des EuGH jüngst bestätigt: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (306, Rn. 20 ff.; 311, Rn. 57 ff.). 613 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 53).

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rungen des Gerichtshofs bezüglich der Rechtssachen C-681/18 und C-232/20, in welchen der EuGH aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG zumindest das an die Mitgliedstaaten gerichtete Gebot ableitete, überhaupt Maßnahmen zu erlassen, welche die vorübergehende Natur der Arbeitnehmerüberlassung als Beschäftigungsform wahren, wird man eine gewisse sekundärrechtliche Regelungsvorgabe in Bezug auf die Zeitkomponente der konkreten Überlassungsepisoden indes nicht in Abrede stellen können. Da hieraus allerdings nicht folgt, dass es gerade zeitliche Beschränkungen der Überlassungen sein müssen, kraft derer der hiermit verfolgte „vorübergehende Charakter“ der Arbeitnehmerüberlassung zu wahren ist, bleibt es dabei, dass die Überlassungshöchstdauer eine autonome nationale Regelungsentscheidung ist. Anders ist es nicht zu verstehen, wenn der EuGH einerseits die zeitliche Begrenzung der Überlassungen den Mitgliedstaaten überlässt, zugleich in diesem Kontext aber auch – wenngleich nur in einem Nebensatz – von der „Durchführung dieser Richtlinie“ spricht.614 Dieser scheinbare Widerspruch lässt sich nur dergestalt auflösen, dass die Richtlinie selbst keine konkreten Regelungsaufträge zur zeitlichen Begrenzung der Überlassungsepisoden enthält, zugleich aber durch das so verstandene Missbrauchsverbot darauf verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass Überlassungsepisoden im Ergebnis nicht zu Dauersituationen führen und die Überlassungshöchstdauer dieser letztgenannten Maßgabe offenbar dienlich ist. Einen begrenzten und aus der Leiharbeitsrichtlinie entspringenden Regulierungsauftrag zur Wahrung des unionalen Verständnisses der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ – der indes nicht zwingend durch unmittelbar die zeitliche Komponente des Leiharbeitnehmereinsatzes adressierende nationale Regelungen zu erfüllen ist – kann man aus der Rechtsprechung des EuGH daher ableiten. Vor dem Hintergrund der oben herausgearbeiteten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu S. 209 ff.) – der sich hier angeschlossen wird – führt dies allerdings nicht dazu, dass die Unionsgrundrechte zur Überprüfung der Überlassungshöchstdauer zur Anwendung kommen. Schließlich wäre diese nur dann als „Durchführung des Rechts der Union“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GrCh zu werten, wenn die Leiharbeitsrichtlinie den Mitgliedstaaten diesbezüglich einen „hinreichend gehaltvollen Rahmen setzt, der erkennbar auch unter Beachtung der Unionsgrundrechte konkretisiert werden soll.“615 Letzteres wird man mit Blick auf die dem EuGH zufolge aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG lediglich folgende Bemühenspflicht berechtigterweise verneinen können. Von einem gehaltvollen Regelungsrahmen, kraft dessen die nationale Regulierung der Überlassungszeiten als Durchführung des Unions614

So in: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (553, Rn. 71). Der EuGH verweist hier in Bezug auf die Übergangsvorschrift aus § 19 Abs. 2 AÜG darauf, dass sich aus Art. 9 Abs. 2 RL 2008/104/EG ergebe, dass „die Durchführung dieser Richtlinie unter keinen Umständen ein hinreichender Grund zur Rechtfertigung einer Senkung des allgemeinen Schutzniveaus für Arbeitnehmer in den von dieser Richtlinie abgedeckten Bereichen“. 615 Vgl. BVerfGE 152, 152 (169 f., Rn. 44).

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rechts an den Maßgaben der Grundrechtecharta zu messen wäre, kann hier nicht die Rede sein.616 In der Konsequenz kommen die Unionsgrundrechte bei der Überprüfung der Überlassungshöchstdauer daher nicht zur Anwendung. (2) Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten Interpretiert man die Überlassungshöchstdauer – wie hier – als autonome nationale Regulierungsentscheidung, die keine konkrete Richtlinienvorgabe umsetzt, so muss sich diese als mitgliedstaatliche Regelung, die eine grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung gegenüber der inländischen jedenfalls potenziell weniger attraktiv macht (hierzu S. 206 f.), mit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV vereinbaren lassen. Wie es bereits oben in Bezug auf das sektorale Verbot des Leiharbeitnehmereinsatzes in der Fleischindustrie (vgl. S. 385 ff.) und das Verbot des Streikbrechereinsatzes (vgl. S. 468 ff.) dargetan wurde, ergibt sich aber auch hier, dass sich die Rechtfertigungsanforderungen der Dienstleistungsfreiheit bei einer Interpretation derselben, die über den Diskriminierungsschutz hinausgeht, im Wesentlichen mit denjenigen des Verfassungsrechts decken.617 Eine eigenständige Überprüfung der Überlassungshöchstdauer anhand der Vorgaben der Grundfreiheiten ist daher neben der verfassungsrechtlichen Untersuchung nicht zwingend erforderlich. b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Von zentraler Bedeutung ist demgegenüber die Beurteilung der Regelungen aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG anhand der grundgesetzlichen Vorgaben. aa) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Die maßgebliche grundrechtliche Gewährleistung, an der die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b Sätze 1 und 2 AÜG zu überprüfen ist, stellt hierbei die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG dar. In Konflikt gerät die Überlassungshöchstdauer insbesondere mit der Berufsfreiheit der Entleihunternehmen, der Verleihunternehmen und zugleich auch derjenigen Leiharbeitnehmer, deren Interesse es ist, mit der Arbeitnehmerüberlassung einer präferierten Beschäfti-

616 Anders in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jüngst noch Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 97 ff.– allerdings unter Zugrundelegung der oben analysierten Ansicht, dass dem Merkmal „vorübergehend“ eine maßgebliche materielle Regelungsvorgabe zu entnehmen wäre (hierzu S. 146 ff.) und (noch nicht) vor dem Hintergrund jüngster EuGH-Rechtsprechung. 617 Diese Interpretation der Dienstleistungsfreiheit nähert die Grundfreiheit einer grundrechtlichen Berufsfreiheit an und lässt den Charakter eines Diskriminierungsverbots hinter sich. Vgl. hierzu: Kluth, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 2022, Art. 57 AEUV Rn. 58.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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gungsform nachzugehen.618 Die diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Beurteilungen der Überlassungshöchstdauer divergieren erheblich619 und werden im Folgenden vor dem Hintergrund der oben aufgestellten verfassungsrechtlichen Determinanten untersucht. (1) Eingriff in den Schutzbereich Zu prüfen ist in diesem Zusammenhang zunächst, ob die Überlassungshöchstdauer in die Berufsfreiheit der genannten Beteiligten eingreift. § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b Satz 1 Halbsatz 1 AÜG adressiert zunächst die Verleihunternehmen und implementiert die Pflicht, „Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate demselben Entleiher überlassen“. Hierin ist ohne Zweifel ein Eingriff im klassischen Sinne (siehe hierzu S. 231) zu erblicken, der die unternehmerische Entscheidungsfreiheit als Teilelement der Berufsausübungsfreiheit beeinträchtigt.620 Die auf die Entleihunternehmen bezogene spiegelbildliche Verpflichtung, „denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinander folgende Monate tätig werden (zu) lassen“, findet sich demgegenüber in § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b Satz 1 Halb-

618 Da sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen im Einzelnen nicht unterscheiden, werden die grundrechtlichen Positionen in Bezug auf die Berufsfreiheit hier gemeinsam erörtert. Vgl. demgegenüber zu abgeschichteten Prüfungen in Bezug auf die Berufsfreiheit der Entleiher, Verleiher und Leiharbeitnehmer: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 110 ff., 122 ff.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 109 ff., 141 ff., 143 ff. 619 Die Überlassungshöchstdauer (in Kumulation mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivät des Gleichbehandlungsgrundsatzes) für verfassungswidrig haltend: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 237 ff.; Franzen, RdA 2015, 141 (150); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 53 ff. Jedenfalls verfassungsrechtliche Bedenken äußernd: Bissels, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 1 Rn. 207; Thüsing, DB 2016, 2663 (2667) („verfassungsrechtlich angreifbar“). Die Regelung demgegenüber für verfassungskonform haltend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 110 ff.; Hamann/Klengel, EuZA 2017, 194 (203 ff.); ders., in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338 ff.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 58 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 152 ff.; 194 ff.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 213 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 19 f. Im Sinne der letztgenannten Ansicht hat sich nun auch das BAG (knapp) positioniert: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/ 21, NZA 2023, 305 (309, Rn. 38). 620 Ebenso: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 110; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338 („Die Festlegung einer Überlassungshöchstgrenze schränkt die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte unternehmerische Freiheit der an der Überlassung beteiligten Arbeitgeber ein.“); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 141 f. (die zugleich auch die berufsbezogene Vertragsfreiheit tangiert sieht); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 195.

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satz 1 AÜG, der demgemäß in gleicher Weise in deren Berufsfreiheit eingreift.621 Den eigenen Arbeitskräftebedarf als Unternehmen auf die eine oder andere Art zu decken und damit über die Gestaltung und Organisation der eigenen Personalstruktur zu entscheiden, ist schließlich eine Tätigkeit der Berufsausübung.622 Ähnliches gilt für die Leiharbeitnehmer, die ggf. ein Interesse daran haben, längere Zeit an ein Unternehmen überlassen zu werden und die entsprechend in der Ausübung ihrer Leiharbeitstätigkeit beschränkt werden.623 Daran kann auch die Tatsache nichts ändern, dass die Überlassungshöchstdauer nach der Intention des Gesetzgebers dem institutionellen Schutz der Leiharbeitnehmer und nicht deren Rechtsverkürzung dient.624 Schließlich entspricht die Verkürzung der Überlassungszeiten nicht dem Interesse derjenigen Leiharbeitnehmer, die (etwa aufgrund konkreter lukrativer Projektarbeiten) auch längere Überlassungsepisoden anstreben.625 Die gegenteilige Stoßrichtung der Regelung kann diese Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Leiharbeitnehmer nicht verhindern.626 Zwar betrifft die Überlassungshöchstdauer nicht die Arbeitsplatzwahlfreiheit der betroffenen Leiharbeitnehmer. Aufgrund der rechtlichen Gestaltung der Arbeitnehmerüberlassung ist es schließlich nicht der Leiharbeitnehmer, der – kraft grundrechtlicher Freiheitsbetätigung – über den Einsatz auf einem konkreten Ar621 Ebenso: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 122; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338; Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 111 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 195. Da es richtigerweise bei der Bemessung der Überlassungshöchstdauer nicht auf die im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag formell festgesetzte Überlassungsdauer, sondern nur auf die tatsächliche Überlassung im Entleihunternehmen ankommt, wird die berufsbezogene Vertragsfreiheit der Entleihunternehmen demgegenüber nicht tangiert (vgl. insofern überzeugend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 113 f.). 622 So auch bereits: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 122; Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 195. 623 So auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 143 ff. 624 So aber: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 195. 625 Dies kann im Einzelfall etwa auf IT-Spezialisten zutreffen, die zuweilen in typischerweise längeren Überlassungsepisoden tätig werden (vgl. dazu etwa: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 50). 626 So auch Kottlors, die gleichsam zu dem Ergebnis kommt, dass sich eine Schutznorm – wie die Überlassungshöchstdauer – nur auf standardisierte Sachverhalte bezieht, bei welchen der Gesetzgeber eine generelle Schutzbedürftigkeit erkennt. Aus der Tatsache, dass einzelne Grundrechtsträger nicht unter diese Schutzprämisse fallen und demgemäß durch die Schutznorm in ihre Interessen eingegriffen werden kann, ergibt sich sodann, dass eine solche Norm zugleich Schutz- und Eingriffsnorm zugunsten und zulasten von Individuen derselben typisierten Gruppe – hier der Leiharbeitnehmerschaft – sein kann (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 144).

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beitsplatz entscheidet. Demgemäß kann in dem Umstand, dass Leiharbeitnehmer nur im Rahmen der Überlassungshöchstdauer auf einem (ggf. favorisierten) Arbeitsplatz in einem Entleihunternehmen verbleiben dürfen, kein Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit erblickt werden.627 Sehr wohl aber ist in dem Umstand, dass ein betroffener Leiharbeitnehmer den Einsatz im Entleihunternehmen nach Erreichen der Überlassungshöchstdauer zu beenden hat, ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit zu sehen, da ein solcher Leiharbeitnehmer die ergriffene Berufswahl im Sinne einer Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung ggf. nicht in der gewünschten Art und Weise ausüben kann.628 (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Ein die Rechtfertigungsanforderungen der Verhältnismäßigkeitsprüfung aufwerfender Eingriff in die Berufsfreiheit der Entleihunternehmen, der Verleihunternehmen und der genannten Leiharbeitnehmer liegt daher vor. (a) Legitimer Zweck: Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zur Forcierung von Integrationseffekten und zur Verhinderung von Substitutionseffekten als sozialstaatlich aufgeladene Interessen In Bezug auf die verfassungsrechtlich einzufordernden legitimen Zwecke für das Verbot ist zunächst danach zu fragen, auf welcher Intensitätsstufe der Drei-StufenTheorie (siehe S. 237 ff.) der Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleih- und Entleihunternehmen und der betroffenen Leiharbeitnehmer einzuordnen ist. Soeben ist insofern bereits festgestellt worden, dass die Überlassungshöchstdauer nicht die Berufswahl oder die Arbeitsplatzwahlfreiheit selbst tangiert, sondern lediglich eine Berufsausübungsregelung darstellt, die bereits durch vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt werden kann. Denkbar ist hierbei jedoch, dass sich die mit der Überlassungshöchstdauer einhergehende Beeinträchtigung der Berufsausübungsfreiheit in ihrer Eingriffswirkung in Einzelfällen so sehr verdichten kann, dass der Eingriff einer subjektiven Berufswahlregelung gleichkommt und demgemäß im Rahmen des legitimen Zwecks der Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsguts zu fordern ist. In Betracht kommt eine solche Eingriffswirkung insbesondere dort, wo hoch spezialisierte Arbeitnehmer in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, um in diesem Rahmen für spezifische Projektarbeiten eingesetzt zu werden.629 Sofern diese Pro627 Ähnlich argumentierend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 145 f. 628 Dies ist auch gerade eine notwendige und daher bezweckte Folge der Überlassungshöchstdauer, sodass ein klassischer Eingriff vorliegt (vgl. hierzu auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 147). 629 Dies betrifft insbesondere etwa IT-Spezialisten, die zuweilen in typischerweise längeren Überlassungsepisoden tätig werden (vgl. dazu etwa: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 50).

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jektarbeiten typischerweise Überlassungsepisoden verlangen, die über die im Rahmen von § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b Sätze 1 und 2 AÜG vorgeschriebene Überlassungshöchstdauer hinausgehen, kann diese Regelungsvorgabe das wirtschaftliche Betätigungsfeld eben jener Leiharbeitnehmer und der auf diese spezialisierten Verleihunternehmen durchaus dergestalt einengen,630 dass eine Eingriffsintensität erreicht wird, die höhere Rechtfertigungsanforderungen nach sich zieht.631 Bezweifelt werden kann die Erheblichkeit dieses Eingriffs in Bezug auf die genannte Teilgruppe der Leiharbeitnehmer und der diesbezüglichen Verleihunternehmen allerdings bereits aufgrund der in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG vorgesehen Abweichungsmöglichkeiten.632 Einer weitergehenden Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung bedarf es allerdings bereits schon deswegen nicht, weil die gesetzgeberischen Zwecke der Überlassungshöchstdauer von solchem Gewicht sind, dass diese Regelungsentscheidung ohne Weiteres als dem Schutz eines besonders wichtigen Gemeinschaftsgut dienend charakterisiert werden kann. Wie oben bereits in Bezug auf die zeitliche Beschränkung der Tarifdispositivität hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes erläutert wurde (vgl. S. 434 f.), ist es gerade das gesetzgeberische Ziel der Überlassungshöchstdauer, den als sozialschädlich empfundenen Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung, bei der diese in einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Art und Weise zur Anwendung kommt,633 entgegenzuwirken und die Arbeitnehmerüberlassung demgegenüber auf ihre „Kernfunktion“ zu orientieren.634 Vor dem Hintergrund der oben aufgeführten Charakteristika der Leiharbeitsnutzung lässt sich der Überlassungshöchstdauer daher das Anliegen entnehmen, die reaktive Nutzungsstrategie gegenüber der aktiven Nutzungsstrategie zu forcieren.635 Dass diese grundlegende gesetzgeberische Orientierungsentscheidung gerade im Zeichen des sozialstaatlichen Schutzauftrages zugunsten der strukturell benachteiligten Leiharbeitnehmerschaft steht,636 ist bereits 630 Ob sich indes die Kombination aus einer spezifischen Berufsbildung und der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung als ein eigenes Berufsbild einordnen lässt, in welches sodann durch eine gesetzliche Regelung, die diese spezifische Berufstätigkeit unmöglich macht, in Form einer subjektiven Berufszulassungsregelung eingegriffen wird, ist bereits oben in Bezug auf das Verbot in der Bauwirtschaft erläutert worden (hierzu S. 369 ff.). 631 Vgl. hierzu – gerade auch in Verbindung mit der zeitlichen Beschränkung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 44, 50, 86 f. 632 Hierauf geht Kämmerer indes erkennbar nicht ein (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 44, 50, 86 f.). 633 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20 („Einer dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten wird entgegengewirkt“). 634 Vgl. etwa paradigmatisch: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 1. 635 Vgl. zusammenfassend zu dieser Einordnung und den jeweiligen Vor- und Nachteilen für die Leiharbeitnehmerschaft zusammenfassend: S. 131 ff. 636 Dem BAG zufolge ist die Überlassungshöchstdauer auf den Schutz der Leiharbeitnehmer und die „Gewährleistung ihrer Berufsfreiheit“ gerichtet, vgl.: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (309, Rn. 43).

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dargetan worden (siehe etwa S. 348 ff.) und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Genau so lässt sich darüber hinaus auch der Schutz der Stammarbeitnehmer,637 die im Zuge dieser zu verhindernden aktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Leiharbeitnehmereinsatz austauschbar werden, sozialstaatlich unterfüttern und in die Betrachtung miteinbeziehen.638 Im Ergebnis besteht daher kein Zweifel daran, dass der Gesetzgeber mit der Überlassungshöchstdauer den Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter verfolgt.639 Im Detail verfolgt die Überlassungshöchstdauer also eine doppelte Zielsetzung, die sich in beiderlei Hinsicht sozialstaatlich aufladen lässt. Zum einen soll die Substitution der Stammbelegschaften durch eine Leiharbeitnehmerbelegschaft verhindert werden. Zum anderen aber soll auch die Leiharbeitnehmerschaft selbst vor den oben erläuterten Negativauswirkungen einer solchen Nutzungsform bewahrt werden.640 Letztere Zielrichtung ergibt sich zwar im Gegensatz zu der gesetzgeberischen Zwecksetzung, einer Substitution von Stammbelegschaften entgegenzutreten,641 nicht ausdrücklich aus den Ausführungen des Gesetzgebers.642 Sehr wohl ergibt sie sich aber aus dem Umstand, dass die Überlassungshöchstdauer zum einen dahin wirken soll, Substitutionseffekte zu vermeiden und zugleich die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung etwa „zur Deckung von Auftragsspitzen“ zu forcieren und zum anderen, dass diese so verstandene Rückführung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zugleich die „Beschäftigung in den Stammbelegschaften stärken“ soll.643 Diese Zielsetzung lässt sich in der Tat nur so deuten, dass der Gesetzgeber gerade darauf abzielt, mit der Überlassungshöchstdauer die vielfach beschworenen Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung in reguläre Beschäftigung zu verstärken.644 Ob dem Gesetzgeber die empirischen Hinweise darauf, dass 637

Auf den Schutz der Stammarbeitnehmer vor Substitution rekurriert auch Kämmerer, wenngleich die Verdrängungsgefahr hier als lediglich abstrakt bestehend eingeordnet wird (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 48 f.). 638 Vgl. zu den negativen Auswirkungen einer aktiven Nutzungsstrategie auf die Stammbelegschaft: S. 117 ff. Vgl. zur sozialstaatlichen Aufladung des Stammarbeitnehmerschutzes und der damit verbundenen Bewahrung des Normalarbeitsverhältnisses: S. 337. 639 In den gesetzgeberischen Zielen demgegenüber – der Einordnung des Eingriffs innerhalb der Drei-Stufen-Theorie folgend – lediglich vernünftige Gemeinwohlbelange erblickend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 112 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 121; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 197. 640 Vgl. hierzu bereits die obigen Ausführungen zur grundkonzeptionellen Zielrichtung des AÜG, die Arbeitnehmerüberlassung auf eine sozialverträgliche Nutzungsform zu begrenzen: S. 348 ff. 641 So explizit: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20 („Einer dauerhaften Substitution von Stammbeschäftigten wird entgegengewirkt“). 642 Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 120. 643 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25 f. 644 So sieht es nun auch das BAG, dem zufolge die Überlassungshöchstdauer den Leiharbeitnehmer davor schütze, „auf einem Dauerarbeitsplatz“ eingesetzt zu werden und dazu

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

diese Integrationseffekte dort kaum vorkommen, wo Entleihunternehmen von der Arbeitnehmerüberlassung in einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Art und Weise Gebrauch machen, bewusst waren oder ob der Gesetzgeber zwar zugleich die Verhinderung dieser Substitutionseffekte und die Forcierung der beschriebenen Integrationseffekte verfolgte, diese aber nicht kausal miteinander in Verbindung brachte, wird hieraus nicht deutlich. Denkbar wäre schließlich auch, dass der Gesetzgeber lediglich davon ausging, dass die Überlassungshöchstdauer dadurch, dass sie den Entleihunternehmen eine feste Zeitgrenze vor Augen führt, dazu animiert, gegen Ende einer Überlassungsepisode verstärkt in Erwägung zu ziehen, ob ein gut eingearbeiteter Leiharbeitnehmer in ein Stammarbeitsverhältnis zu übernehmen ist.645 Auch dies ist freilich eine probate Zielsetzung, die sich dem sozialstaatlich zu verstehenden Interesse, den Leiharbeitnehmern zu einem Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis zu verhelfen, zuordnen lässt und die man der Überlassungshöchstdauer ausweislich der Ausführungen des Gesetzgebers wird beimessen können. Die tiefergehende Bedeutung der gesetzgeberischen Zielsetzung, Stammarbeitnehmer ersetzende Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung zu verhindern und zugleich Integrationseffekte zu forcieren, ist hiermit aber noch nicht getroffen. Schließlich geht mit dieser doppelten Zielsetzung auch die Wertung einher,646 dass Beschäftigungen in der Arbeitnehmerüberlassung gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis nachteilig sind und dass die Arbeitnehmerüberlassung gerade deshalb berechtigterweise auf die Befriedigung solcher betrieblicher Flexibilitätsbedürfnisse zu verweisen ist, in deren Zusammenhang sie in Form der oben beschriebenen reaktiven Nutzungsform zur Anwendung kommt. Zugleich steht diese Wertung mit der Erkenntnis in Zusammenhang, dass die Nachteile der Arbeitnehmerüberlassung für die dort Beschäftigten gerade dort virulent werden, wo die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung über diese – in gewisser Weise klassische – Nutzungsform hinaus hypertrophiert und der Leiharbeitnehmereinsatz als Alternative zu der Beschäftigung von Stammbelegschaften betrachtet wird.647

beitrage, dass dieser den Klebeeffekt nutzen könne. Vgl. hierzu: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (309, Rn. 46). 645 In diese Richtung aber: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 120. Ähnliche Gedanken finden sich bei: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 112 f.; Greiner, RdA 2017, 153 (154); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 166; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 145. 646 Die Wertung, dass das Normalarbeitsverhältnis vorteilhaft und daher zu präferieren sei und diese Zielsetzung auch gerade durch die Überlassungshöchstdauer forciert wird, erkennt auch Pant an (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 160). 647 In diese Richtung auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 163 ff., wenn dort von „institutionellem Leiharbeitnehmerschutz“ die Rede ist, der im Besonderen als Stärkung des Klebeeffekts und zugleich des Normalarbeitsverhältnisses verstanden wird.

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Dass dem Gesetzgeber diese tieferen rechtstatsächlichen Hintergründe vollends bewusst waren, kann aus den Angaben der Gesetzesbegründung nur ansatzweise herausgelesen werden. Mit der vorgenommenen doppelten Zielsetzung der Überlassungshöchstdauer zugunsten des Leih- und des Stammarbeitnehmerschutzes, die sich nur im Lichte der hier herausgearbeiteten Unterscheidung in die Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung verstehen lässt,648 hat der Gesetzgeber die verfassungsrechtliche Betrachtung aber für eine tiefergehende Analyse auf der Folie der rechtstatsächlichen Zusammenhänge geöffnet. Nichts anderes geht auch bereits aus der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu oben S. 233 ff.) hervor, nach der die verfassungsrechtliche Prüfung gerade auf die umfassende Ausforschung und Einbeziehung der sozialen und ökonomischen Zusammenhänge verpflichtet ist. (b) Geeignetheit: Förderung der Zwecke? Hinsichtlich dieser so verstandenen doppelten Schutzrichtung der Überlassungshöchstdauer müsste die Regelung aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG nun auch förderlich und somit geeignet sein. Eben diese Förderlichkeit wird der Überlassungshöchstdauer aber zum Teil bereits in Bezug auf den verfolgten Leiharbeitnehmerschutz in Gänze abgesprochen. Schließlich führe die Überlassungshöchstdauer dazu, dass Leiharbeitnehmer vielfach gerade nicht in den Genuss des Gleichbehandlungsgrundsatz kämen, wenn sie einen Entleihbetrieb im Regelfall nach 18 Monaten wieder verlassen müssten, dabei aber in Folge der zeitlich begrenzten Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“Grundsatzes grundsätzlich erst ab dem neunten oder dem 15. Monat einer Überlassung eine Gleichstellung hinsichtlich des Arbeitsentgelts erfahren würden.649 Eben diese finanzielle Gleichstellung würde den Leiharbeitnehmern nach kurzer Geltungsdauer durch die Überlassungshöchstdauer daher gerade genommen – was demgemäß nicht als leiharbeitnehmerschützend verstanden werden könne.650 Übrig bleibe in Bezug auf die Beurteilung des mit der Überlassungshöchstdauer verfolgten Leiharbeitnehmerschutzes insofern nur die Steigerung der integrativen Effekte der 648

Insofern wird hier in der Festlegung der gesetzgeberischen Zwecke nicht über dasjenige hinausgegangen, was dem subjektiven Willen des Gesetzgebers zu entnehmen ist. Vgl. hierzu und i. E. wie hier: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 120. 649 Siehe insofern die Kritik bei: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 112 f.; Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 159 f.; Franzen, RdA 2015, 141 (150); Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 141 f.; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473 (1474) Thüsing, NZA 2014, 10 (11). 650 Vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 159 f.; Franzen, RdA 2015, 141 (150); Henssler, RdA 2017, 83 (94); Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 142; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473 (1474) Thüsing, NZA 2014, 10 (11). Ähnlich auch mit Verweis auf das Gebot der Folgerichtigkeit: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 47.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Arbeitnehmerüberlassung. Auch eine mögliche Förderung von Übernahmephänomenen könne aber die mit der Überlassungshöchstdauer einhergehende Verhinderung längerfristiger Gleichstellungen hinsichtlich des Arbeitsentgelts kaum ausgleichen, da die beschworenen Klebeeffekte ohnehin zu vernachlässigen seien.651 In der Konsequenz wird aus diesen Wertungen zum Teil gar abgeleitet, dass die Überlassungshöchstdauer einzig den Interessen der Stammarbeitnehmer und gerade nicht denen der Leiharbeitnehmer diene, da im Ergebnis lediglich eine Substitution der Stammbelegschaften erschwert werde.652 Um diese Kritik an der Überlassungshöchstdauer auf ihre Überzeugungskraft hin untersuchen zu können, ist zunächst eine Abschichtung der vorgebrachten Kritikpunkte erforderlich. Namentlich liegt der Kritik zum einen eine abweichende Identifikation der oben dargelegten legitimen Schutzzwecke der Überlassungshöchstdauer zugrunde. Zum anderen kommt es aber hierauf aufbauend auch zu Fehlschlüssen hinsichtlich des Förderungszusammenhangs zwischen der Überlassungshöchstdauer und diesen gesetzgeberischen Zwecken. Nimmt man zunächst den ersteren Ansatzpunkt näher in den Blick, wird klar, dass die vorgebrachten Bedenken bereits die Ausformung des Leiharbeitnehmerschutzes missverstehen, der mit der Überlassungshöchstdauer verfolgt wird. Dieser erschöpft sich schließlich keineswegs eindimensional in der Forcierung des finanziellen Interesses der betroffenen Leiharbeitnehmer, in den Genuss des „Equal Pay“-Grundsatzes zu kommen.653 Letzteres wäre angesichts der diesbezüglich zeitlich begrenzten Abweichungsmöglichkeiten – insofern ist der Kritik recht zu geben – nur über eine Förderung längerer Überlassungszeiträume und gerade nicht mittels einer Überlassungshöchstdauer zu fördern. Gerade dies ist indes nicht das Ziel dieses Regulierungsschritts. Die Überlassungshöchstdauer verfolgt vielmehr ein leiharbeitnehmerschützendes Interesse mit einer anderen Stoßrichtung. Aktive Nutzungsformen, die gerade darauf angelegt sind, Leiharbeitnehmer dauerhaft im Betrieb zu halten und denen die Gefahr innewohnt, dass diese hierdurch langfristig in dieser gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis nachteiligen Beschäftigungsform verbleiben, sollen vermieden werden. Eben diese Zielsetzung ist aber bereits funktional von dem Interesse an einer finanziellen Gleichstellung der Leiharbeitnehmer zu trennen. Insofern gestaltet sich der Leiharbeitnehmerschutz als mehrdi-

651

So die Einschätzung von: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 156. Ähnlich: Franzen, RdA 2015, 141 (150) („Niemand weiß, ob Leiharbeitnehmer unter solchen Bedingungen vermehrt direkt beim Entleiher als Arbeitnehmer beschäftigt werden“). Ähnlich kritisch: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 114. 652 Vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 159 f.; Thüsing, NZA 2014, 10 (11). 653 Dieser – auflösbare – Widerspruch der verfolgten Zielrichtungen liegt bereits der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes zu Grunde (vgl. oben S. 438 ff.).

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mensional.654 Allein aus der Tatsache, dass eine der genannten Dimensionen des Leiharbeitnehmerschutzes durch die Überlassungshöchstdauer nicht gefördert wird, lässt sich daher nicht dessen generelle Ungeeignetheit herleiten. (aa) Geeignetheit hinsichtlich der Verhinderung von Substitutionseffekten Zu überprüfen bleibt daher, ob die Überlassungshöchstdauer den so verstandenen Leiharbeitnehmerschutz und die Ziele des Stammarbeitnehmerschutzes tatsächlich fördert. Dies kann allerdings angesichts der geringen Anforderungen, die die Geeignetheitsprüfung an die hier in Rede stehenden Maßnahme stellt, nicht ernsthaft bezweifelt werden. Ausreichend ist in diesem Zusammenhang schließlich bereits eine irgendwie geartete Förderung der anvisierten Zwecke – und gerade nicht die Erreichung derselben.655 Insofern muss konstatiert werden, dass die Überlassungshöchstdauer eine stammarbeitnehmerersetzende Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung jedenfalls erschwert. Möglich bleibt diese zwar – wie bereits oben in Bezug auf die zeitlich begrenzte Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes dargelegt (vgl. hierzu S. 438 ff.) – mittels eines rotierenden Einsatzes von Leiharbeitnehmern in Gestalt eines „Leiharbeitnehmer-Rondells“, bei dem wechselnde Leiharbeitnehmer auf demselben Arbeitsplatz jeweils im Rahmen der Überlassungshöchstdauer überlassen werden und zugleich die Zeiträume zwischen den Überlassungen desselben Leiharbeitnehmers die Karenzzeit aus § 1 Abs. 1b Satz 2 AÜG einhalten.656 Eine vollständige Erreichung des gesetzgeberischen Ziels, einer Substitution von Stammbelegschaften mittels des Leiharbeitnehmereinsatzes entgegenzutreten, wird daher nicht erreicht. Eben diese Nutzungsstrategie wird aber durch den insofern aufwendigeren Einsatz eines „Leiharbeitnehmer-Rondells“ erschwert – was für die Zweckförderung ausreicht.657 654 Ebenfalls zwischen diesen verschiedenen Zielrichtungen des Leiharbeitnehmerschutzes differenzierend und die Geeignetheit der Überlassungshöchstdauer in diesem Lichte befürwortend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 163 ff. („individuell-vermögensrechtlicher Leiharbeitnehmerschutz“ versus „erweiterter institutioneller Leiharbeitnehmerschutz“). Ähnlich bzw. sich dem anschließend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 123 f. 655 Dies ebenfalls in diesem Kontext betonend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 123. 656 Die Tatsache kritisierend, dass dieses dort als „Austausch-Karussell“ bezeichnete Vorgehen durch die Überlassungshöchstdauer nicht verhindert wird: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 150. Ähnlich: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 145; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473 (1474). 657 I. E. ebenso: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 115; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 122 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 167 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von

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Ein anderes Ergebnis ließe sich auf der verfassungsrechtlichen Ebene allenfalls erzielen, wenn man eine staatliche Schutzpflicht zugunsten der zu verhindernden Substitution der Stammarbeitnehmer annähme, die in der Konsequenz ein Mindestmaß an wirksamem Schutz vor derartigen Nutzungsformen verlangen würde. Selbst dann wäre aber zu prüfen, ob die Überlassungshöchstdauer einem solchen Mindestmaß an Schutz vor Substitutionseffekten nicht bereits ausreichend Rechnung trägt. Ohnehin aber kann der Gesetzgeber auf eine derartige Schutzverpflichtung im hier diskutierten Kontext – wie gesehen – nicht verpflichtet werden, sodass es bei dem Prüfungsmaßstab der Geeignetheit bleibt und eine anzunehmende Zweckförderung ausreicht. (bb) Geeignetheit hinsichtlich der Forcierung von Integrationseffekten Gleiches gilt für den bezweckten Leiharbeitnehmerschutz. Zwar ist der aufgezeigten Kritik an der Geeignetheit der Überlassungshöchstdauer hinsichtlich des Leiharbeitnehmerschutzes insofern recht zu geben, als dass der mittels der Überlassungshöchstdauer forcierte Schutz der Leiharbeitnehmer vor Nutzungsformen, die von der so verstandenen „Kernfunktion“ der Arbeitnehmerüberlassung abweichen, in Einzelfällen mit der nachteiligen Folge erkauft wird, dass Leiharbeitnehmer nicht in den langfristigen Genuss der finanziellen Gleichstellung kommen.658 Ob es die mit der Überlassungshöchstdauer verfolgte Zielsetzung der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ indes wert ist, in Einzelfällen das gleichsam leiharbeitnehmerschützende Interesse der finanziellen Gleichstellung zu konterkarieren, ist nicht die Aufgabe der hier anzustellenden verfassungsrechtlichen Beurteilung. Vielmehr ist dies der politisch-sachlichen Wertungsebene zuzuweisen. Die hierin implizierte Frage, ob die gleichzeitige Verfolgung der Förderung finanzieller Gleichstellung durch die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes und die Verfolgung der Forcierung von Integrationseffekten mittels der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ widerspruchsfrei innerhalb desselben Gesetzes zu leisten ist, mag man – so die oben aufgezeigte Kritik – bezweifeln.659 Zu einem verfassungsrechtlichen Fehlurteil führt eine solche etwaige politisch-sachliche Kritikwürdigkeit allerdings nicht. Innerhalb der hier in Rede stehenden verfassungsrechtlichen Prüfung steht schließlich nur die Frage in Rede, ob die Überlassungshöchstdauer einen Beitrag zur Förderung der Rückorientierung dieser Form des Drittpersonaleinsatzes auf ihre „Kernfunktion“ zu leisten vermag. Dies wird man aber nicht bestreiten Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 145 f. Siehe auch: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 19 f. 658 Vgl. hierzu auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 165 f. 659 Der angemahnte Widerspruch ist indes bereits darüber teilweise aufzulösen, dass auch die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität des „Equal Pay“-Grundsatzes nicht allein der finanziellen Besserstellung der Leiharbeitnehmer, sondern v. a. der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ dient (vgl. S. 438 ff.) – und insofern parallel zur Überlassungshöchstdauer verläuft.

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können. Eine Stammarbeitnehmer ersetzende Nutzungsform wird hierdurch – wie gesehen – erschwert, sodass ein Anreiz geschaffen wird, seitens der Entleihunternehmen von der Arbeitnehmerüberlassung vor allem in Form der „klassischen“ reaktiven Nutzungsform Gebrauch zu machen. Bei dieser sind im Gegensatz zur aktiven Nutzungsstrategie (siehe S. 117 ff.) Integrationseffekte eher anzutreffen. Hinzu kommt der zu prognostizierende Effekt, dass den Entleihunternehmen durch die harte Grenze der Überlassungshöchstdauer die oben bereits angedeutete Entscheidung abverlangt wird, einen gut eingearbeiteten Leiharbeitnehmer ggf. zu übernehmen. Dass auch dies einen positiven Einfluss auf die Steigerung der Integrationseffekte haben kann, ist nicht auszuschließen – was im Lichte der dem Gesetzgeber insofern zuzubilligenden Einschätzungsprärogative für die Annahme der Geeignetheit genügt.660 Eine Stütze findet diese Überlegung auch in der empirischen Beobachtung, dass Übernahmen von Leiharbeitnehmern durch vormalige Entleihbetriebe geringer ausfallen, wenn die zulässigen Höchstgrenzen für Überlassungsepisoden steigen oder gesetzliche Überlassungshöchstzeiten gar ganz wegfallen.661 Es besteht also offenbar ein Sachzusammenhang zwischen der Länge der Überlassungsepisoden und den Integrationseffekten.662 Dies wird sich zum einen auf die Tatsache zurückführen lassen, dass gerade Entleihunternehmen, welche die Arbeitnehmerüberlassung aktiv nutzen möglichst lange Überlassungsepisoden präferieren. Daneben lässt sich die genannte Beobachtung aber auch als Hinweis darauf deuten, dass die harte – und vergleichsweise frühe – Grenze der Überlassungshöchstdauer einen Anreiz zur Übernahmeentscheidung schafft. In jedem Fall aber kann nicht behauptet werden, dass die Überlassungshöchstdauer Integrationseffekte hemmen würde.663 660

I. E. ebenso: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 115; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 122 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 167 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 215. Siehe auch: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338. A. A. demgegenüber Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 145. 661 Vgl. Rudolph/Schröder, MittAB 1997, 102 (125); ähnlich: Bosch, IAQ-Standpunkte 2011: Missbrauch von Leiharbeit verhindern, S. 7, abrufbar unter: https://duepublico2.uni-due. de/servlets/MCRFileNodeServlet/duepublico_derivate_00045207/IAQ-Standpunkt_2011_02. pdf; zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 662 A. A. und offenbar in Unkenntnis entsprechender Quellen: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 241 („Im Übrigen existieren auch keine forensischen Daten, die eine Korrelation zwischen der vom Gesetzgeber gewählten zeitlichen Grenze von 18 bzw. 24 Monaten Überlassungshöchstdauer und einer besonderen Schutzbedürftigkeit von Leiharbeitnehmers nach diesem Überlassungszeitraum nahelegen.“). In diese Richtung wohl auch: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 145. 663 So aber teilweise die politische Einschätzung: FDP, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 28, abrufbar unter: https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_ Bundestagswahl2021_1.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Unnötige gesetzliche Sondervorschriften zur Zeitarbeit behindern aber die Integrationsfunktion der Zeitarbeit in den

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(cc) Zwischenergebnis bezüglich der Geeignetheit Insgesamt kann die Geeignetheit der Überlassungshöchstdauer in Bezug auf die genannten gesetzgeberischen Ziele daher bejaht werden. Sowohl hinsichtlich des Schutzes der Stammarbeitnehmer vor einer Substitution, als auch in Bezug auf die leiharbeitnehmerschützende Forcierung von Integrationseffekten ist die mit der Überlassungshöchstdauer bezweckte Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ förderlich. (c) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete alternative Regelungskonzepte? Im nächsten Schritt ist nun zu ergründen, ob die Überlassungshöchstdauer auch erforderlich ist, oder ob mildere und zugleich in gleichem Maße hinsichtlich der verfolgten Schutzinteressen geeignete Alternativen zur Verfügung stehen. (aa) Verpflichtende Gleichbehandlung Vereinzelt wird eine gleichsam geeignete Alternative zur Überlassungshöchstdauer in einem verpflichtenden Eingreifen des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab dem ersten Einsatztag erblickt.664 Sobald Leiharbeitnehmer die gleichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts erhielten, könnte nicht mehr davon gesprochen werden, dass diese den Stammarbeitnehmern gegenüber strukturell schlechter gestellt seien.665 Bereits der Umstand, dass dieser Regulierungsalternative eine der Überlassungshöchstdauer qualitativ entsprechende Förderlichkeit hinsichtlich der hier verfolgten spezifischen Ausgestaltung des Leiharbeitnehmerschutzes zukommt, lässt sich allerdings bezweifeln. Dies liegt zunächst daran, dass es nicht nur der Kostenvorteil des Leiharbeitnehmereinsatzes gegenüber dem Stammarbeitnehmereinsatz ist, der die beschriebene aktive Nutzungsstrategie ermöglicht (vgl. S. 117 ff.).666 Das Ziel dieser strategischen Intensivnutzung ist es schließlich, ein als besonders volatil empfundenes Marktgeschehen über eine spezifische Personalpolitik vermittels eines dauerhaft besonders hohen Leiharbeitnehmeranteils kontrollierend auszugleichen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass diese Positiveffekte die hohen Kosten einer derartigen Einsatzstrategie selbst bei einer verpflichtenden Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ab dem ersten Tag der Überlassung aufwiegen können. In der Konsequenz ist es daher unklar, ob eine frühe verpflichArbeitsmarkt und führen zu zusätzlicher Bürokratie. Das wollen wir ändern und zum Beispiel die Höchstüberlassungsdauer aufheben“). 664 So die Ansicht von: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 238 f. 665 Vgl. Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 23. In der Argumentation ähnlich: Thüsing, NZA 2014, 10 (11). 666 In ähnlicher Weise bezweifelnd, ob allein eine verpflichtende Gleichbehandlung Stammarbeitnehmer substituierende Nutzungsformen verhindern könnte: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 126 f.; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 147.

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tende Gleichbehandlung eine Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und die damit einhergehende Verhinderung von Substitutionseffekten erreichen würde. Eben dies vermag zwar auch – wie festgestellt – die Überlassungshöchstdauer nicht zu erreichen. In Anbetracht der Tatsache, dass eine verpflichtende Gleichbehandlung den dauerhaften, Stammarbeitnehmer ersetzenden Einsatz von Leiharbeitnehmern aber jedenfalls verteuern und daher erschweren würde, ließe sich daher durchaus annehmen, dass ihr eine Förderlichkeit hinsichtlich der genannten Steuerungsziele zukäme, die sich mit derjenigen der Überlassungshöchstdauer messen ließe. Ebenso ist aber auch die prognostische Wertung vertretbar, dass eine verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes keinen der Überlassungshöchstdauer entsprechenden Effekt zugunsten einer Verhinderung der beschriebenen Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung haben würde. Diese Regulierungsalternative könnte dann wiederum nur die finanzielle Lage der Leiharbeitnehmer verbessern. Insofern ist wiederum darauf zu verweisen, dass es gerade nicht die alleinige finanzielle Besserstellung der Leiharbeitnehmer ist, die mit der Überlassungshöchstdauer verfolgt wird (vgl. ausführlich S. 501 ff.), sodass eine verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in diesem Fall hinsichtlich der hier in Rede stehenden Gesichtspunkte des Leiharbeitnehmerschutzes nicht gleich geeignet wäre.667 Festzuhalten ist angesichts dieser Unsicherheiten in der verfassungsrechtlichen Bewertung daher, dass vor dem Hintergrund der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen ist. Ausschlaggebend ist darüber hinaus, dass eine verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinsichtlich der damit einhergehenden Eingriffswirkung keinesfalls milder ausfallen würde als eine alleinige Geltung der Überlassungshöchstdauer.668 Letztere verlangt Entleihunternehmen lediglich einen administrativen Mehraufwand ab, während erstere Option eine zum Teil maßgebliche Verteuerung und daher einen prima facie intensiveren Eingriff nach sich ziehen würde. Die genannte Verteuerung ließe sich lediglich dann verhindern, wenn die verpflichtende Gleichbehandlung hinsichtlich des Arbeitsentgelts nicht allein von den Verleihunternehmen zu tragen wäre, sondern diese staatlicherseits etwa in Form von Lohnkostenzuschüssen669 unterstützt werden würde. Der mit der Überlassungshöchstdauer verfolgten Zielsetzung, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre 667

Eine verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus diesem Grund nicht für gleich geeignet haltend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 171, unter Verweis auf: Greiner, RdA 2017, 153 (153 f.). 668 Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 127 f.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 171. Dies offen lassend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 116. 669 Angesichts der oftmals erwerbsbiografisch schwierigen Lage der Leiharbeitnehmer wäre insofern etwa eine Parallele zu § 88 SGB III denkbar.

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„Kernfunktion“ zurückzudrängen, wäre hiermit aber nicht gedient. Schließlich würde in diesem Fall von einer verpflichtenden Gleichbehandlung gerade kein Anreizeffekt in Bezug auf die Entleihunternehmen ausgehen, den – sodann gerade nicht verteuerten – Leiharbeitnehmereinsatz auf etwa Nachfragespitzen oder ähnliche Flexibilisierungsbedürfnisse zu begrenzen.670 Um dieses gesetzgeberische Anliegen zu verwirklichen käme es dann wiederum auf andere Regulierungsmaßnahmen an.671 Auch eine durch Lohnkostenzuschüsse in ihrer Eingriffswirkung abgemilderte verpflichtende Gleichbehandlung kann also keine gegenüber der Überlassungshöchstdauer in Bezug auf ihre spezifische Zielrichtung gleich geeignete Alternative darstellen. Als gegenüber der Überlassungshöchstdauer milderes und zugleich gleich geeignetes Mittel scheidet der Weg über eine verpflichtende Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes daher insgesamt aus. (bb) Arbeitsplatzbezogene Regulierung durch eine Sachgrundorientierung Ein weiterer alternativer Regulierungsansatz zur rein arbeitnehmerbezogenen Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG wird zum Teil in einer Orientierung der Überlassungshöchstdauer auf eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung durch etwa die Implementierung von Sachgründen erblickt.672 Vorgeschlagen wird in diesem Zusammenhang unter anderem eine Regulierung der Überlassungen, bei der allein bei Vorliegen von spezifischen betrieblich bedingten Sachgründen, die einen längeren Leiharbeitnehmereinsatz erfordern, eine Überschreitung der Überlassungshöchstdauer zugelassen wird. Dies wäre etwa in Anlehnung an § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG dergestalt denkbar, dass ein Entleihunternehmen bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer darlegen müsste, dass der betriebliche Bedarf an Leiharbeitnehmereinsatz – trotz der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer – voraussichtlich vorübergehend ist.673 Mit anderen 670

Vorausgesetzt, die Verleihunternehmen, die von Lohnkostenzuschüssen profitieren, würden die hiermit gewonnene Kostenerleichterung an die Entleihunternehmen weiterreichen – was allerdings aus Wettbewerbsgründen zu erwarten wäre. 671 Von dieser Betrachtung im Rahmen der Erforderlichkeit abzugrenzen ist demgegenüber aber die rechtspolitische Betrachtung, ob in einer verpflichtenden Gleichbehandlung in Kombination mit Lohnkostenzuschüssen und weiteren regulativen Maßnahmen, welche die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ begrenzen, eine Regulierungsalternative zu erblicken wäre, die Potenzial hinsichtlich der Befriedung der aufgezeigten Konfliktlagen bietet. Siehe hierzu gesondert ab S. 586 f. 672 Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 138 f.; Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (571); Happ/van der Most, BB 2015, 565 (569); Henssler, RdA 2017, 83 (94); Wank, RdA 2017, 100 (107 f.). Vgl. auch – allerdings unter Verweis auf das Unionsrecht: Hamann, NZA 2015, 904 (905 f.); sowie: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 173. Letzterer erblickt allerdings hierin lediglich die politisch-sachliche kohärentere Regulierungsoption und hält explizit aber die Überlassungshöchstdauer für verfassungsrechtlich erforderlich. 673 Dies vorschlagend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 138 f.; Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (571); Wank, RdA 2017, 100 (107 f.). Letztlich

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Worten: Vorgeschlagen wird der bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer zu fordernde Nachweis, dass ein Leiharbeitnehmer nicht auf einem Stammarbeitsplatz eingesetzt wird, da der fragliche Arbeitsbedarf und so auch der Arbeitsplatz prognostisch nur von vorübergehender Natur sein wird. Gleichsam könnte eine alternative zeitliche Begrenzung nach Vorbild des Regelungsmechanismus aus § 14 Abs. 1 und 2 TzBfG eingeführt werden, indem einerseits eine Überlassung bis zu einer zeitlichen Höchstgrenze zugelassen wird, andererseits aber auch hinsichtlich ihrer zulässigen Dauer durch das Gesetz nicht näher definierte und über diese Höchstgrenze hinausgehende Überlassungen – nach sachlicher Rechtfertigung – ermöglicht werden.674 Denkbar – aber noch nicht vorgeschlagen – wäre auch eine gänzliche Streichung der Überlassungshöchstdauer bei gleichzeitiger Implementierung von Sachgründen.675 In diesem Fall müsste ein Entleihunternehmen zu Beginn einer Überlassungsepisode stets nachweisen, dass der zu befriedigende Arbeitsbedarf nicht von solcher zu prognostizierender Art ist, dass hierfür typologisch ein Stammarbeitnehmer zu besetzen wäre. Forderungen nach derartigen Alternativkonzepten müssen vor dem Hintergrund des in Bezug auf die Regelung aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a. F., welche die Arbeitnehmerüberlassung lediglich als „vorübergehend“ titulierte und diese nicht durch eine Überlassungshöchstdauer konkretisierte, lange währenden Auslegungsstreit um die Frage, ob das Merkmal „vorübergehend“ arbeitnehmer- oder arbeitsplatzbezogen zu interpretieren sei, betrachtet werden.676 Durch die Überlassungshöchstdauer hat der Gesetzgeber diesen Streit indes zugunsten des Arbeitnehmerbezugs entschieden – was freilich nicht dazu geführt hat, dass die Forderungen nach einer arbeitsplatzbezogenen Regulierung verstummten. Dies bezieht sich nicht nur auf die aufgezeigte Kritik aus der Literatur,677 sondern auch auf die politische Forderung nach einem arbeitsplatzbezogenen Ansatz.678 auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 173. In diese Richtung wohl auch: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 71 f. 674 Dies als Regelungsalternative in Betracht ziehend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 139. 675 Vgl. aber ansatzweise hierzu bereits: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 128. 676 Vgl. zusammenfassend und mit zahlreichen Nachweisen hierzu: Hamann, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 293 f. 677 Vgl. erneut die Vorschläge bei: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 138 f.; Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (571); Hamann, NZA 2015, 904 (905 f.); Happ/van der Most, BB 2015, 565 (569); Henssler, RdA 2017, 83 (94); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 173; Wank, RdA 2017, 100 (107 f.). Sowie auch zuletzt für einen Arbeitsplatzbezug: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 303 ff. 678 Vgl. insofern zuletzt: Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LIN KE_Wahlprogramm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf („Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Auf die politisch-sachliche Sinnhaftigkeit solchen alternativen Regulierungsansatzes kommt es im Rahmen der hiesigen verfassungsrechtlichen Kontrollbetrachtung indes nicht an. Eine wertende politisch-sachliche Kohärenzbetrachtung (siehe unten ab S. 584 ff.) ist von der verfassungsrechtlichen Ebene gerade zu trennen. In Bezug auf die Erforderlichkeitsprüfung ist einzig darauf abzustellen, ob in einer arbeitsplatzbezogenen Regulierung in Kumulation mit der – oder alternativ zur – Überlassungshöchstdauer ein gleichsam geeignetes und zugleich milderes Mittel zu erblicken ist.679 Nicht von der Hand zu weisen ist hierbei zunächst die Erkenntnis, dass die Implementierung eines zu erbringenden Nachweises über das Vorliegen eines solchen Flexibilitätsbedürfnisses, zu dessen Befriedigung die Arbeitnehmerüberlassung typischerweise in ihrer reaktiven Nutzungsform heranzuziehen ist, eine stammarbeitnehmerersetzende aktive Nutzungsformen massiv erschweren oder gar unmöglich machen würde.680 Ein solches Sachgrunderfordernis wäre im Fall dieser zu verhindernden Nutzungsstrategien kaum zu erfüllen und etwaige Umgehungsstrategien wären deutlich schwerer zu erdenken als dies beim „LeiharbeitnehmerRondell“, mittels dessen die Überlassungshöchstdauer umgangen werden kann, der Fall ist. Wer diese erhöhte Wirksamkeit einer Sachgrundorientierung erkennt, muss aber zugleich eingestehen, dass die Kehrseite einer mittels dieser Regulierungsalternative forcierten Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ unweigerlich ein im Vergleich zur Überlassungshöchstdauer deutlich massiverer

muss an den Arbeitsplatz statt an die Person der Beschäftigten gebunden werden“), zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. 679 Zu einem strengeren Prüfungsmaßstab kommt Kämmerer mit Verweis auf das Gebot der Folgerichtigkeit (vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 71 ff.). Zwar legt Kämmerer richtigerweise zugrunde, dass sowohl § 14 TzBfG, als auch § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG die sozialverträgliche Regulierung des vorübergehenden Personaleinsatzes zum Gegenstand haben. Hieraus jedoch unter dem Signet der Folgerichtigkeit einen Gleichlauf der jeweiligen Regulierungsregime zu fordern, geht fehl. Schließlich ist die Arbeitnehmerüberlassung aus vielfachen Gründen typologisch von den dem allgemeinen Befristungsrecht unterfallenden Sachverhalten und der Zielsetzung der diesbzgl. Regulierung zu trennen (vgl. eingehend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 202 ff.; sich dem anschließend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 138 f.). Dass der Gesetzgeber die insofern herausgehobene Konstellation der Arbeitnehmerüberlassung spezifisch strenger reguliert, ist vor dem Hintergrund des Gebots der Folgerichtigkeit nicht zu beanstanden. Siehe zudem weiterführend (und kritisch) zum verfassungsrechtlichen Argument der Folgerichtigkeit bzw. Systemgerechtigkeit: Dieterich, Systemgerechtigkeit und Kohärenz, 2014, S. 300 ff. 680 So auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 129; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 168; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 148.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Grundrechtseingriff ist. Von einem milderen Mittel kann daher keine Rede sein.681 Ganz im Gegenteil: Gerade daraus, dass eine Ergänzung der Überlassungshöchstdauer um eine Sachgrundorientierung – oder gar die Implementierung einer solchen als Alternative zur rein zeitlichen Begrenzung – deutlich besser geeignet wäre, stammarbeitnehmerersetzende Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung zu unterbinden, folgt zwangsläufig, dass der Gesetzgeber hierauf nicht im Rahmen der Erforderlichkeit verwiesen werden kann. Schließlich zwingt die Erforderlichkeit nur zur Ergreifung der gleich geeigneten aber zugleich grundrechtlich milderen Alternative. Unter den umgekehrten Vorzeichen – also dann, wenn der Gesetzgeber sich für eine sachgrundorientierte Regulierung entschieden hätte – würde sich diese Wertung in ihr Gegenteil verwandeln. Dem Gesetzgeber könnte dann wiederum nicht vorgeworfen werden, dass eine solche strengere Regulierung nicht erforderlich wäre, da eine Überlassungshöchstdauer in Gestalt von § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG zwar milder aber keinesfalls gleichsam geeignet wäre (siehe ferner unten S. 584 ff.). An diesem Gedankengang verdeutlicht sich nur allzu sehr der Charakter der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Diese geht von der ergriffenen gesetzlichen Regulierungsentscheidung aus und fragt im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung nicht etwa nach politisch-sachlich kohärenteren oder schlichtweg „besseren“ Alternativen,682 sondern untersucht den eingeschlagenen Regulierungspfad nur auf ein offensichtliches Fehlurteil. Dieses liegt dann vor, wenn der Gesetzgeber zu einer milderen aber gleichsam geeigneten Alternative hätte greifen können. Erneut ist darauf hinzuweisen, dass ein strengerer verfassungsrechtlicher Kontrollmaßstab nur dann anzulegen gewesen wäre, wenn eine verfassungsrechtliche Schutzpflicht zu einem generellen Mindestgebot an wirksamem Schutz der Leihund Stammarbeitnehmerinteressen in Bezug auf die beschriebenen aktiven Nutzungsformen der Arbeitnehmerüberlassung verpflichtet hätte. Da letzteres nicht der Fall ist, bleibt es bei der vorgenommenen Wertung. Sachgrundorientierte Regulierungsalternativen, die nicht allein den konkret überlassenen Leiharbeitnehmer, sondern auch den zu besetzenden Arbeitsplatz im Entleihunternehmen in den Blick nehmen, sind hinsichtlich der hier in Rede stehenden gesetzgeberischen Zwecke zwar vielversprechend. Da sie hinsichtlich ihrer grundrechtlichen Eingriffswirkung aber zugleich wesentlich strenger ausfallen, entspricht die Überlassungshöchstdauer diesbezüglich dem Gebot der Erforderlichkeit.

681 I. E. ebenso: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 129; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 168; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 216. 682 Insofern inkonsequent daher: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 131, 138 f. Dort wird nicht klar zwischen verfassungsrechtlichen Überprüfungsmaßstäben und einer politisch-sachlichen Wertung getrennt.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(cc) Alternative Überlassungszeitbeschränkungen Zum Teil werden der grundsätzlich 18 Monate betragenden Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG auch alternative Überlassungszeitbeschränkungen gegenübergestellt. Vorgeschlagen werden sowohl kürzere Höchstbegrenzungen von etwa sechs Monaten in Kombination mit einer darauffolgenden Sachgrundprüfung, die im Einzelfall eine längere Überlassungsepisode zu rechtfertigen vermag, als auch längere Höchstgrenzen von bis zu zwei Jahren – parallel zur höchstens zulässigen kalendermäßigen Befristung von 24 Monaten aus § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG.683 Die entsprechenden Vorschläge stellen allesamt keineswegs Neuerungen dar. Vielmehr sind alternative Überlassungszeitbeschränkungen aus der Regulierungshistorie des AÜG hinlänglich bekannt.684 In Bezug auf die verfassungsrechtliche Bewertung dieser Vorschläge kommt erneut der soeben erläuterte spezifische Blickwinkel, der im Rahmen der Überprüfung der Erforderlichkeit einzunehmen ist, zum Tragen. Vom Ausgangspunkt der 18 Monate betragenden Überlassungshöchstdauer aus betrachtet muss eine längere Überlassungsdauer – spätestens im Lichte der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative – als zwar milder aber hinsichtlich der entsprechenden Ziele nicht gleich geeignet bewertet werden, während kürzere Überlassungsepisoden die Überlassungshöchstdauer zwar womöglich noch forcierter auf ihre „Kernfunktion“ zu orientieren vermögen,685 zugleich aber die betroffenen grundrechtlichen Positionen in erheblicherem Maße einschränken und daher nicht milder sind. Das gleiche gilt für eine etwaige Rückkehr zur weichen zeitlichen Begrenzung durch die Wendung „vorübergehend“, wie sie die Regelung aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG a. F. beinhaltete. Hiermit geht zwar ein potenzieller Flexibilitätsgewinn in Bezug auf die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung einher. Zugleich aber würde hierdurch zumindest der mit der Überlassungshöchstdauer eintretende Effekt aufgegeben, dass Entleihunternehmen eine harte zeitliche Grenze vor Augen geführt wird und so eine etwaige Übernahmeentscheidung forciert wird, weswegen auch diese Regelungsalternative nicht gleich geeignet wäre. Auch alternative Überlas683

Vgl. zum Spektrum der insofern vorgeschlagenen Alternativen einerseits: Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (571), und andererseits: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 71 ff., der zugleich auch die in Stellung gebrachte Kohärenzbetrachtung verfassungsrechtlich mit dem Gebot der Folgerichtigkeit unterfüttert. 684 Die Überlassungshöchstdauer betrug bereits drei, sechs, neun, zwölf oder 24 Monate. Siehe hierzu die Darstellung zur Novellierungshistorie des AÜG: S. 47 ff. 685 Gerade im Hinblick auf die Tatsache, dass die durchschnittliche Überlassungsdauer kürzer ist als die 18 Monate betragende Überlassungshöchstdauer, wird in Bezug den Effekt der Überlassungshöchstdauer, auf eine entsprechende Übernahmeentscheidung hinzuwirken, zum Teil zu Recht kritisiert, dass dieser durch eine deutlich kürzere Überlassungshöchstdauer ungleich besser zu forcieren wäre (vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 131). Über die Einsicht, dass eine deutliche Verkürzung der Überlassungshöchstdauer zu einer Mehrbelastung vor allem der grundrechtlich geschützten Interessen der Entleihunternehmen und der den dortigen Arbeitsbedarf deckenden Verleihunternehmen führen würde, kann auch diese Überlegung nicht hinweghelfen.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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sungszeitbeschränkungen stellen daher keine Regulierungsoptionen dar, durch die die Erforderlichkeit der Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG in Zweifel zu ziehen wäre. (dd) Widerspruchs- oder Leistungsverweigerungsrecht des Leiharbeitnehmers Einzig hypothetisch zu betrachten ist schließlich noch die Möglichkeit, dem einzelnen Leiharbeitnehmer eine Einflussmöglichkeit hinsichtlich der jeweiligen Überlassungsepisode in Form eines gesetzlich zu implementierendem Individualrechts an die Hand zu geben. In der Theorie könnte sich ein Leiharbeitnehmer, der längerfristig auf einem Stammarbeitsplatz eingesetzt werden soll, einem solchen Einsatz sodann widersetzen. Ähnliches wäre auch für die Fälle denkbar, in denen ein Leiharbeitnehmer in ein Entleihunternehmen überlassen werden soll, in dem etwa durch entsprechende Haustarifverträge deutlich vom „Equal Pay“-Grundsatz abgewichen wird. Eine derartige Einflussnahmemöglichkeit wäre – etwa im Lichte des Regelungsvorbilds des auf den Streikbrechereinsatz bezogenen Individualrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG – als ein Leistungsverweigerungsrecht oder als ein Widerrufsrecht auszugestalten. Die mit solchen zivilrechtlichen Ausgleichsinstrumenten verbundenen Hoffnungen auf die von der grundrechtlichen Privatautonomie getragene freiheitliche Selbstbehauptung betroffener Leiharbeitnehmer können angesichts der oben aufgezeigten Dysfunktionalität der individualvertraglichen Ebene jedoch keinen Bestand haben. Wer glaubt, in der Stärkung der Privatautonomie der Leiharbeitnehmer durch Installierung entsprechender individualrechtlicher Mechanismen einen Ausgleich der beschriebenen negativen Aspekte der Arbeitnehmerüberlassung zu finden, verkennt die Rechtswirklichkeit der strukturellen Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer. Es ist angesichts der hier schon vielfach dargelegten Umstände des diesbezüglichen Kräfteungleichgewichts gerade nicht zu erwarten, dass der Großteil der Leiharbeitnehmer, der zuweilen problematische Erwerbsbiografien aufweist, für seine Interessen selbstbehauptend aufzutreten vermag. Auch in einem etwaigen Widerspruchsrecht oder verwandter Instrumente kann daher keine Alternative erblickt werden, die der Überlassungshöchstdauer in ihrer Wirksamkeit in Bezug auf die genannten Ziele gleichkäme. Derartige Instrumente würden sich als ebenso unwirksam erweisen wie das Leistungsverweigerungsrecht aus § 11 Abs. 5 Satz 3 AÜG.686 Auf eine Stärkung der individualrechtlichen Ebene kann sich der Gesetzgeber daher nicht zurückziehen.687

686

Vgl. hierzu: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 28 f. Siehe insofern bereits die parallele Erkenntnis in Bezug auf die individualvertragliche Bezugnahme auf kaum interessengerechte Tarifverträge: S. 463 ff. 687

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(d) Angemessenheit: Abwägung zwischen liberaler Berufsfreiheit und sozialstaatlich aufgeladenen Schutzinteressen Um der Verhältnismäßigkeitsprüfung standzuhalten, muss die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG auch als angemessen zu bewerten sein. Die verfassungsrechtlich durch die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG erfassten grundrechtlichen Positionen der betroffenen Entleih- und Verleihunternehmen und in geringerem Umfang auch die Position etwaig betroffener Leiharbeitnehmer darf daher nicht über Gebühr beansprucht werden. Ihr muss vielmehr in Gestalt der beschriebenen regulativen Zwecke der Überlassungshöchstdauer ein die entsprechenden Eingriffe kompensierender Gemeinwohlbelang entgegenstehen. Maßgeblich ist in Bezug auf diese Abwägungsbetrachtung zunächst die Schwere des grundrechtlichen Eingriffs. Diesbezüglich gilt das bereits oben in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatz (vgl. S. 437 ff.) Gesagte. Auch mit der Überlassungshöchstdauer wird keine einzige denkbare Nutzungsstrategie der Arbeitnehmerüberlassung unmöglich gemacht. Selbst stammarbeitnehmerersetzende aktive Nutzungsformen bleiben weiterhin in Form des beschriebenen „Leiharbeitnehmer-Rondells“ möglich. Sie werden einzig erschwert, sodass – in Kombination mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität – eine Anreizwirkung entsteht, von der Arbeitnehmerüberlassung vornehmlich in Form der reaktiven Nutzungsstrategie zur Deckung vorübergehenden Personalbedarfs Gebrauch zu machen. In ihrer Eingriffswirkung ist die Überlassungshöchstdauer daher etwa mit den ungleich schwerwiegenderen Regulierungsentscheidungen der bereichsspezifischen staatlichen Verbote (siehe oben ab S. 366 ff.) kaum vergleichbar. Führt man sich ihre Regelungswirkung näher vor Augen, wird vielmehr klar, dass die Überlassungshöchstdauer es letztlich nur verhindert, eine einzelne Arbeitskraft dauerhaft als Leiharbeitnehmer zu beschäftigen.688 Entleihunternehmen, die sich hierdurch eingeschränkt sehen, bleibt es indes unbenommen, in dem Fall, in dem eine durch § 1 Abs. lb Satz 2 AÜG ermöglichte erneute Entleihung nach Ablauf der Karenzzeit oder die Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG keine Linderung verschafft, eine entsprechende Arbeitskraft mittels befristeter Verträge einzustellen.689 Selbst in diesem (unwahrscheinlichen) Fall, in dem ein Entleihunternehmen gerade einen einzelnen Leiharbeitnehmer dauerhaft einsetzen will, ist der mit der Überlassungshöchstdauer einhergehende Eingriff daher nicht übermäßig schwerwiegend.690 Eine Stütze findet diese Bewertung auch in der Regulierungshistorie der Überlassungshöchstdauer (siehe oben S. 47 ff.), der sich unzweifelhaft entnehmen lässt, dass Überlassungs688

Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 135. Vgl. Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 123; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 135 f. 690 I. E. ebenso: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 124; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 135; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 209 f. 689

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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zeitbeschränkungen dem Wachstum der Branche nie ernstlich entgegenstanden und ihnen demgemäß kaum eine unvertretbare ökonomische Auswirkung attestiert werden kann.691 Dem entsprechenden Eingriff gegenüber steht das gewichtige sozialstaatlich bedingte Ordnungsinteresse des Gesetzgebers, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zu orientieren. Vor dem Hintergrund der vergleichsweise milden Eingriffswirkung der Überlassungshöchstdauer ist es kaum zu vertreten, dass diese im Lichte der beschriebenen Zwecke von Verfassungsrang unangemessen ist.692 Zu einem abweichenden Urteil könnte einzig die Beobachtung führen, dass sich aus der Kombination aus Überlassungshöchstdauer und der mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes einhergehenden Verteuerung der Arbeitnehmerüberlassung ein Summierungseffekt ergibt, der im Sinne eines kumulativen Grundrechtseingriffs eine Schwere erreicht,693 die durch die gewichtigen sozialstaatlichen Regulierungsinteressen nicht mehr aufzuwiegen ist.694 Gerade für Verleihunternehmen, die hoch qualifizierte Fachkräfte verleihen und die dort betroffenen Leiharbeitnehmer (etwa IT-Experten), die typischerweise seitens der Entleihunternehmen für längerfristige Projektarbeiten eingesetzt werden, sei diese doppelte Eingriffswirkung verheerend.695 Diese Sichtweise verkennt aber bereits, dass die in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG gewährten Abweichungsmöglichkeiten von der Überlassungshöchstdauer eine Kompensation schaffen, indem hierdurch längere Überlassungsepisoden möglich werden.696 Zwar kann auch in diesem Fall ein Leiharbeitnehmer nur zu den für das Entleihunternehmen wirtschaftlich belastenden Bedingungen des „Equal Pay“-Grundsatzes eingesetzt werden, da dieser ab dem neunten bzw. 15. Monat einer Überlassung verpflichtend wird. Diejenigen hoch qualifizierten Leiharbeitnehmer, die typischerweise für länger als 18 Monate andauernde Projektarbeiten eingesetzt werden, dürften jedoch oh691 Hierauf richtigerweise hinweisend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 209 f. Vgl. auch: Hamann, NZA 2015, 904 (904 f.). 692 So i. E. auch: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 124; Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 338 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 140; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 214; Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 217. 693 Hierzu näher: Ruschemeier, Der additive Grundrechtseingriff, 2019, S. 260 („Die Kriterien des additiven Grundrechtseingriffs sind eine Mehrzahl staatlicher Grundrechtseingriffe in dasselbe Grundrecht desselben Grundrechtsträgers, deren Wirkungen zeitgleich bestehen“). 694 Insofern eine „Übersicherung“ annehmend: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 86 f. Ähnlich kritisch: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 149 ff. 695 Vgl. Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 86 f. 696 Hierauf ebenfalls verweisend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 212.

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nehin oberhalb oder zumindest in der Nähe einer finanziellen Gleichstellung zu vergleichbaren Stammarbeitnehmern entlohnt werden. Ein massiver additiver Grundrechtseingriff geht also auch von einer Kumulation aus der Überlassungshöchstdauer und der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes nicht einher.697 Ein verschärfter additiver Eingriff lässt sich allenfalls – wie gesehen – dort annehmen, wo Entleihunternehmen im Sinne der aktiven Nutzungsstrategie einen einzelnen Leiharbeitnehmer, der typischerweise qua tarifvertraglicher Regelung deutlich unterhalb des Gleichbehandlungsgrundsatzes zu entlohnen wäre, über längere Zeit und erheblich über 18 Monate hinaus entleihen wollen. In diesem Fall kumulieren die beiden Regelungsmechanismen in der Tat dergestalt, dass ein solches Nutzungsverhalten wirtschaftlich unvertretbar und daher faktisch unmöglich gemacht wird. In der Vielzahl der Fälle wird aber die beschriebene Ausweichbewegung über ein „Leiharbeitnehmer-Rondell“ den Eingriff erheblich abmildern. Doch selbst wenn dies in Einzelfällen nicht möglich sein sollte, wäre zu konstatieren, dass das Besetzen eines dauerhaften Arbeitsplatzes mittels des Einsatzes eines einzelnen Leiharbeitnehmers gerade diejenige Einsatzlogik ist, die es aus den beschriebenen Gründen zu verhindern gilt und deren Unterbindung die genannten sozialstaatlichen Regelungsinteressen zu rechtfertigen vermögen. Im Ergebnis kann daher kein Zweifel bestehen, dass die faktische Verhinderung eines solchen Nutzungsverhaltens der Arbeitnehmerüberlassung angemessen ist – zumal den Unternehmen selbst dann der oben dargelegte Rückgriff auf befristete Verträge unbenommen bleibt. (3) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit Von der Überlassungshöchstdauer geht demgemäß in keiner denkbaren Konstellation ein Eingriff von solcher Schwere aus, dass dieser über die sozialstaatlichen Schutzzwecke zugunsten der Leih- und Stammarbeitnehmer nicht zu rechtfertigen wäre. An der Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG besteht daher kein Zweifel. bb) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer und der Abweichungsmöglichkeiten mit der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG Zusätzlich zu der Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG stellt sich auch die Frage, ob zum einen die Regelung aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG selbst und zum anderen auch die in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG niedergelegten Abweichungsmöglichkeiten mit den Vorgaben der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar sind.

697 I. E. ebenfalls ablehnend: Greiner, RdA 2017, 153 (153 f.); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 136 f.

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(1) Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Tarifpartner Dies betrifft zunächst die Beobachtung, dass der Gesetzgeber mit der Regulierung der Überlassungszeiten durch die Überlassungshöchstdauer einen Teilbereich der Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer im Entleihbetrieb der freien Regulierung qua Tarifvertrag durch die zuständigen Tarifpartner entzogen hat.698 Wie oben bereits aufgezeigt wurde (vgl. S. 291 f.), umfasst die positive Koalitionsfreiheit in ihrer kollektivrechtlichen Ausprägung, dass jede staatliche Regulierung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen gegenüber der kollektivvertraglichen Selbstregulierung subsidiär und daher dem Grunde nach im Hinblick auf Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigungsbedürftig ist.699 Zwar hat der Gesetzgeber die Überlassungshöchstdauer nicht tariffest ausgestaltet, sondern in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG eine tarifvertragliche Abweichungsmöglichkeit durch die Tarifpartner der Einsatzbranche vorgesehen, sodass sich die Überlassungshöchstdauer nicht als unverrückbares staatliches Regelungsdiktat darstellt. Gleichwohl ist allein die Tatsache, dass der Gesetzgeber überhaupt eine staatliche Regulierung der Überlassungszeiten implementiert hat, grundrechtlich zu rechtfertigen.700 Fragen muss man sich in diesem Zusammenhang allerdings, welche Grundrechtsträger durch den jedenfalls teilweisen Entzug der Tarifmacht hinsichtlich der Regulierung der Überlassungszeiten in ihrer positiven kollektiven Koalitionsfreiheit beeinträchtigt sind: Die Tarifpartner der Entleihbranchen oder die Tarifpartner der Verleihbranche. Der Gesetzgeber hat sich ausweislich § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG offenkundig dazu entschlossen,701 den Koalitionen der Entleihbranchen die Regelungsbefugnis über tarifvertragliche Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer zuzuweisen. Dies heißt aber nicht, dass einzig die dortigen Tarifpartner zwingend sachlich zuständig für nähere Regulierungen der Überlassungszeiten sind. Denkbar ist aufgrund der spezifischen Dreipersonenkonstellation der Arbeitnehmerüberlassung auch, dass eine derartige Regulierung dieses sachlichen Teilausschnitts der Beschäftigungsbedingungen der Leiharbeitnehmer sowohl in Tarifwerken der Entleih- als auch der Verleihbranche getroffen werden kann. Anders als dies etwa bei Regelungen zum Arbeitsentgelt, die unmittelbar eine schuldrechtliche Verpflichtung der Verleihunternehmen betreffen (so etwa beim „Equal Pay“698

Vgl. hierzu auch die Prüfungen bei: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 279 ff.; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 332 f. 699 Dies setzt aber voraus, dass die Überlassungszeiten als Bestandteil dieser Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen überhaupt dem Schutzbereich von Art. 9 Abs. 3 GG unterfallen. Dies ist bei einem „grundrechtsfreundlichen“ und daher weiten Verständnis derselben gegeben. Hierzu kritisch aber i. E. ebenso: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 332 f. 700 So auch bereits zutreffend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 331. 701 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Grundsatz), der Fall ist und deren tarifvertragliche Ausnahmemöglichkeiten demgemäß zwingend den Tarifpartnern der Verleihbranche zuzuordnen sind, drängt sich eine solche Zuweisung der tarifvertraglichen Normsetzungszuständigkeit an die Koalitionen der Entleih- oder der Verleihbranche in Bezug auf die Regulierung der Überlassungszeiten nicht auf.702 Ohne eine gesetzliche Zuweisung wäre eine diesbezügliche tarifvertragliche Regulierung daher sowohl in Form von Inhaltsnormen auf Seiten der Verleihbranche, als auch in Form von Betriebsnormen auf Seiten der Entleihbranche möglich.703 Hieraus folgt zum einen, dass sowohl Tarifpartner beider Branchen dadurch grundrechtlich betroffen sind, dass der Gesetzgeber die Regulierung der Überlassungszeiten durch die Überlassungshöchstdauer jedenfalls teilweise an sich gezogen hat. Zum anderen hat die Ambivalenz der tariflichen Normsetzungszuständigkeit hinsichtlich dieser Regulierungsfragen auch maßgebliche Auswirkungen auf die verfassungsrechtliche Bewertung des Umstands, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, tarifvertragliche Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer zu treffen, nur den Koalitionen der Entleihbranche in die Hand gegeben und die Tarifpartner der Verleihbranche von dieser Tarifdispositivität ausgeschlossen hat. Unabhängig von diesen Implikationen stellt sich hier nun aber die Frage der Rechtfertigung der Überlassungshöchstdauer selbst, also der Normen aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG in Bezug auf den damit notwendigerweise einhergehenden Eingriff in die positive kollektive Koalitionsfreiheit der betroffenen Tarifpartner. Auch der Eingriff in die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG kann indes über ein kollidierendes Gut von Verfassungsrang in Gestalt der erläuterten gewichtigen sozialstaatlichen Ordnungsinteressen des Gesetzgebers im Lichte praktischer Konkordanz gerechtfertigt werden.704 Maßgeblichen Einfluss auf diese Wertung hat 702 Vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 328 f. 703 Vgl. Deinert, RdA 2017, 65 (76); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 279 f., 329. A. A. ist demgegenüber Kottlors, die entsprechende tarifvertragliche Abweichungen von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG einzig als Inhaltsnormen identifiziert, eine Normsetzungskompetenz der Tarifparteien der Entleihbranche ablehnt und daher zu dem Ergebnis kommt, dass § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vollständig leer läuft (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 227 ff.). Einen gänzlich anderen Weg verfolgt nun das BAG, das hierin weder eine Inhalts- noch eine Betriebsnorm sieht, vgl.: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (308, Rn. 28 ff.). 704 Vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 334 f.; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20; i. E. ebenfalls: Deinert, RdA 2017, 65 (76); Löwisch, DB 2017, 1449 (1449). Im Sinne dieser auch hier vertretenen Ansicht hat sich nun das BAG (knapp) positioniert: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (309, Rn. 38). A. A. hingegen sind Henssler und Höpfner, die der Überlassungshöchstdauer selbst bereits eine Verletzung der positiven Koalitionsfreiheit der Tarifpartner der Verleih- und der Entleihbranche attestieren. Siehe hierzu das Rechtsgutachten im Auftrag von iGZ und BAP, welches allerdings unveröffentlicht geblieben ist und auf dessen Zitation hier daher weitestgehend verzichtet wird (vgl. Henssler/Höpfner, Tarif- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer auf die Sozialpartner der Einsatzbranchen begrenzten

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bereits die Tatsache, dass die Überlassungshöchstdauer in Bezug auf die Tarifpartner der Entleihbranche gem. § 1 Abs. 1b S. 3 AÜG tarifdispositiv ausgestaltet ist und sich daher jedenfalls diesbezüglich als vergleichsweise milder Eingriff darstellt.705 Ob die Tatsache, dass diese gesetzgeberische Ausgestaltungsentscheidung hinsichtlich der Tarifdispositivität der Überlassungshöchstdauer die insofern hiervon ausgeschlossenen Tarifpartner der Verleihbranche wiederum in verfassungswidriger Weise beeinträchtigt, ist andere Frage, der im Folgenden nachzugehen ist. (2) Vereinbarkeit der Tarifdispositivität aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG mit der kollektiven Koalitionsfreiheit der Tarifpartner der Verleihbranche Eben dieser letztgenannten Regulierungsentscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG wird zum Teil attestiert, dass sie durch den hiermit im Ergebnis herbeigeführten Ausschluss der Tarifpartner der Verleihbranche von der tarifvertraglichen Normsetzung deren kollektive Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG verletze.706 Die insofern kritisierte Exklusion der dortigen Tarifpartner steht typologisch im Zeichen einer vermeintlich nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung. Während den Tarifpartnern der Einsatzbranche eine eigene Regulierungskompetenz in der betreffenden Rechtsfrage zuerkannt wird, schließt der Gesetzgeber eine solche für die Verleihbranche vollständig aus. Richtigerweise muss daher zunächst gefragt werden, ob die entsprechende Begrenzung der Tarifdispositivität nicht vielmehr im Lichte von Art. 3 Abs. 1 GG zu betrachten ist. Die Koalitionsfreiheit der betroffenen Tarifpartner der Verleihbranche ist jedoch bereits das sachnähere Grundrecht.707 Tariföffnungsklausel zur AÜG-Höchstüberlassungsdauer, Rechtsgutachten, 2016, S. 39, 41 f.) Richtigerweise kritisch demgegenüber: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 279 ff. 705 Unbeantwortet ist damit die Frage, ob nicht auch eine deutlich strengere – etwa tariffeste – Regelung der Überlassungshöchstdauer noch mit den grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar gewesen wäre. 706 Insofern die Verfassungswidrigkeit der Beschränkung der Tarifdispositivität auf die Tarifpartner der Einsatzbranche proklamierend: Henssler, RdA 2016, 18 (23); ders., RdA 2017, 83 (97); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 89 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 292 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 387a f.; ders., RdA 2018, 50 (52); Zimmermann, BB 2016, 53 (54). Kritisch („Systembruch“) aber ohne verfassungsrechtliche Wertung: Schüren/ Fasholz, NZA 2015, 1473 (1474). Vereinzelt wird in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG auch ein Eingriff in die negative Koalitionsfreiheit der Tarifparteien der Verleihbranche erblickt: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 310 ff. Dies setzt indes voraus, dass man dieser über ein Fernbleiberecht hinaus das Recht entnimmt, von „fremden“ Tarifverträgen unberührt zu bleiben (vgl. dergestalt etwa: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 29; Schüren, RdA 1988, 138 [138 ff.]). Eine tiefergehende Analyse dieser dogmatischen Frage kann hier indes dahinstehen, da sich die Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in eine so verstandene negative Koalitionsfreiheit nicht von den hiesigen Parametern unterscheiden würde. 707 Zumal die hier in Rede stehende Regulierungsentscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG zwangsweise auch dazu führt, dass die Verleihbranche mittelbar von den seitens

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Zudem ergibt sich die diesbezügliche grundrechtliche Betroffenheit der Tarifparteien der Verleihbranche in Bezug auf Art. 9 Abs. 3 GG auch daraus, dass diese aufgrund der hier in Rede stehenden gesetzgeberischen Regelungsentscheidung selbst dann von der tarifvertraglichen Regulierung ausgeschlossen sind, wenn die Tarifpartner der Einsatzbranche keine von der Regelung aus § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Tarifregelungen treffen.708 Zuletzt kommt hinzu, dass die diesbezüglich zweifelsohne zumindest auch betroffene Koalitionsfreiheit einen gegenüber dem allgemeinen Gleichheitssatz strengeren Rechtfertigungsmaßstab erfordert, sodass sich eine vorgelagerte Prüfung derselben anbietet.709 Blickt man – dies zugrunde legend – nun wiederum auf die eigentliche Grundrechtsprüfung, muss statuiert werden, dass sich ein Eingriff in die kollektive Koalitionsfreiheit der betroffenen Tarifpartner der Verleihbranche daher im Hinblick auf die Tatsache, dass diese von der tarifvertraglichen Gestaltungsbefugnis exkludiert werden, annehmen lässt.710 Dieser Eingriff bedarf zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung zunächst eines kollidierenden Rechtsguts von Verfassungsrang, das den bestehenden Eingriff unter Wahrung praktischer Konkordanz aufzuwiegen vermag. Hierzu ist es erforderlich, einen vertieften Blick auf die hinter der gesetzgeberischen Entscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG stehenden legislativen Wertungen zu werfen. Die unmittelbar der Tarifpartner der Entleihbranche getroffenen tarifvertraglichen Abweichungsentscheidungen in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer betroffen ist. So auch bereits die Argumentation bei: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 333. Weiterführend zu der hieraus (vermeintlich) folgenden Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 63 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 310 ff. Auch das BAG misst die Regelung nun vornehmlich an Art. 9 Abs. 3 GG: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (309, Rn. 39 ff.). 708 Auch aus diesem Grund die Verfassungswidrigkeit der Regelung annehmend: Henssler, RdA 2017, 83 (97). 709 Ebenfalls auf den Rechtfertigungsmaßstab verweisend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 334. 710 Die Kritiker nehmen insofern – mehr oder weniger ausdrücklich – einen entsprechenden Eingriff in die Koalitionsfreiheit an: Henssler, RdA 2016, 18 (23); ders., RdA 2017, 83 (97); Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 89 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 292; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 387a; ders., RdA 2018, 50 (52); Zimmermann, BB 2016, 53 (54). Einen Eingriff ebenfalls bejahend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 333 f. Weitergehend demgegenüber: Henssler/Höpfner, Tarif- und verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer auf die Sozialpartner der Einsatzbranchen begrenzten Tariföffnungsklausel zur AÜG-Höchstüberlassungsdauer, Rechtsgutachten, 2016, S. 42 ff. Letztere sehen in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG „eine vorweggenommene generalisierte Angemessenheitskontrolle der Tarifverträge der Zeitarbeit und damit eine antizipierte Tarifzensur“ (ebd., S. 46). Weiterführend und kritisch hierzu: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 289 ff.

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festgehaltenen Erwägungen des Gesetzgebers sind zwar insofern unergiebig.711 Gleichwohl lassen sich die hinter der Entscheidung stehenden rechtstatsächlichen Erwägungen auf Basis der hier gewonnenen Eindrücke entschlüsseln. So ist der maßgebliche Sachgrund der hiesigen Regulierungsentscheidung zunächst in der offensichtlichen Erkenntnis zu erblicken, dass es vornehmlich die Flexibilisierungsinteressen der Unternehmen (vgl. S. 59 ff.) der jeweiligen Entleihbranche sind, die das Bedürfnis für einen Leiharbeitnehmereinsatz überhaupt erst begründen. Die Wertung, dass es daher richtigerweise vornehmlich die Sache der Tarifpartner der Entleihbranche ist, die zeitliche Dauer des Leiharbeitnehmereinsatzes im Entleihunternehmen abweichend von der Regelung aus § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG tarifvertraglich zu bestimmen, erscheint daher schlüssig.712 Erkennt man dies an, erfordert es nicht viel, den Bogen zu den der Überlassungshöchstdauer selbst innewohnenden gewichtigen sozialstaatlich bedingten Regelungsinteressen zu schlagen, die – als kollidierende Verfassungsgüter – den oben aufgezeigten Eingriff in die Koalitionsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmen gleichsam zu rechtfertigen vermögen.713 Schließlich ist es bereits der Sache nach offenkundig allein den Tarifpartnern der jeweiligen Entleihbranche zuzuerkennen, darüber zu entscheiden, „wieviel Leiharbeit in einer Branche angemessen ist“.714 Die maximal zulässige Überlassungsdauer eines Leiharbeitnehmers – dies ist nun hinlänglich aufgezeigt worden – ist dabei eine maßgebliche Stellschraube, mittels derer der sowohl für die jeweiligen Entleihunternehmen als auch für die dortigen Stammarbeitnehmer interessengerechte Leiharbeitnehmeranteil und damit zusammenhängend das Ausmaß einer potenziellen Substitution von Stammarbeitnehmern kompromisshaft determiniert werden kann. Den verfassungsrechtlich unterfütterten Schutz der Stammarbeitnehmerbelegschaften vor Verdrängungstendenzen können daher dort, wo der regulierende Staat keine tariffeste Überlassungshöchstdauer vorgibt, im Ergebnis nur die Tarifpartner der Entleihbranchen absichern.715 Demgegenüber sind die Tarifpartner 711

Siehe nur: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 20 f. Vgl. auch bereits: Deinert, RdA 2017, 65 (76). 713 Kottlors geht demgegenüber – abweichend von der hier vertretenen Ansicht (vgl. oben S. 276 f.) – davon aus, dass in Art. 9 Abs. 3 GG nur durch ein kollidierendes Verfassungsgut in Gestalt einer konkreten staatlichen Handlungsverpflichtung eingegriffen werden könne (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 296 f.) Konsequentermaßen könnte dies im hiesigen Kontext nur eine Schutzpflicht zugunsten von Grundrechten der Leih- oder Stammarbeitnehmer sein – welche aber nach hier vertretener Ansicht im Kontext der Überlassungshöchstdauer nicht aktiviert ist. Insofern verfassungsdogmatisch unscharf spricht Kottlors demgegenüber lediglich von einem „Schutzbedürfnis auf Seiten der Leih- und Stammarbeitnehmer“ (ebd., S. 296), welchem eine verfassungsrechtliche Handlungspflicht hypothetisch unterstellt wird. 714 So treffend: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 361. 715 Daher die gesetzgeberische Entscheidung als systemgerecht befürwortend: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 162 ff., 166; Giesen, ZRP 2016, 130 (131). In diese Richtung auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 338; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20. Kritisch sehen muss 712

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

der Verleihbranche diesbezüglich schon deshalb der ungeeignete Adressat, weil die Arbeitnehmerüberlassung bekanntlich in zahlreichen Branchen erfolgt.716 Hinsichtlich einer interessengerechten Ausgestaltung alternativer Überlassungshöchstzeiten in den jeweiligen Branchen, mittels derer zugleich die zu befürchtenden Substitutionspotenziale auf ein für die dortigen Stammarbeitnehmer erträgliches Maß reduziert werden, weisen die Tarifpartner der Verleihbranche daher nicht die notwendige sachliche Sensibilität auf.717 Eben diesen Gedanken hat nunmehr auch das Bundesarbeitsgericht bestätigt.718 Weniger evident ist demgegenüber der sachliche Zusammenhang zwischen der in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG erfolgten alleinigen Zuweisung der Tarifdispositivität zugunsten der Tarifpartner der Entleihbranchen und dem mit der Überlassungshöchstdauer verfolgten zweiten Regulierungsziel: Dem sozialstaatlich aufgeladenen Regelungsinteresse, zugunsten des Leiharbeitnehmerschutzes die Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung zu stärken. Auch diesbezüglich muss aber erkannt werden, dass die Tarifpartner der Einsatzbranche die sachnähere Instanz sind, wenn es darum geht, zu beurteilen, zu welchem Zeitpunkt einer Überlassungsepisode es typischerweise zu den erwünschten Übernahmephänomenen in die Stammbelegschaft kommt.719 Wann daher innerhalb der einer Überlassungsepisode inhärenten faktischen Probezeit (vgl. oben S. 73 f.) ein Leiharbeitnehmer womöglich übernommen wird, obliegt demgemäß vor allem der Einschätzungsprärogative der Tarifpartner der jeweiligen Branche auf Entleiherseite, die diesen Faktor im Dialog branchenspezifisch berücksichtigen können. Nach alledem sind es daher vor allem die Tarifpartner der Entleihbranchen, die sich als geeignete „Gatekeeper“ erweisen, um Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer dergestalt tarifvertraglich auszuhandeln, dass den der Überlassungshöchstdauer innewohnenden verfassungsrechtlich unterfütterten staatlichen

man indes vor diesem Hintergrund den Umstand, dass Tarifverträge der Einsatzbranche teils eklatant von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Regelungen zur Überlassungshöchstdauer (teilweise bis zu 120 Monate) vorsehen (vgl. BT-Drs. 19/9779 v. 29. 4. 2019, S. 8). Allein hieraus lässt sich indes – gerade im Hinblick auf die hiesige Überlegung, dass von den Tarifparteien der Zeitarbeitsbranche keine der Substitution in effektiverer Weise entgegentretenden Tarifabschlüsse zu erwarten wären – nicht die Verfassungswidrigkeit der Entscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG herleiten (vgl. auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 298). 716 Vgl. hierzu allein die Vielzahl an verschiedenen branchenbezogenen tarifvertraglichen Regelungen, die von § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG Gebrauch machen und eine abweichende Überlassungshöchstdauer festlegen (vgl. BT-Drs. 19/9779 v. 29. 4. 2019, S. 8). 717 Ähnlich auch: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 361. 718 Siehe hierzu das (nach Einreichung dieser Studie) ergangene Urteil: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 305 (310, Rn. 49 ff.). 719 Dies richtigerweise feststellend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 336. In diese Richtung: Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20.

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Ordnungsinteressen Genüge getan wird.720 Die mit § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG getroffene gesetzgeberische Entscheidung, die Tarifpartner der Verleihbranche von der diesbezüglichen Tarifdispositivität zu exkludieren, lässt sich daher mithilfe der benannten kollidierenden Güter von Verfassungsrang rechtfertigen. Die getroffene Regelungsentscheidung ist sowohl besser geeignet, erforderlich und letztlich auch – im Lichte praktischer Konkordanz – angemessen in Bezug auf die Erreichung der verfolgten gesetzgeberischen Interessen.721 An diesem Urteil ändert sich auch dadurch nichts, dass dann, wenn die Tarifpartner der Entleihbranchen von § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG keinen Gebrauch machen, den Tarifpartnern der Verleihbranche keine subsidiäre Regelungskompetenz zusteht.722 Kritisieren darf man in diesem Zusammenhang, dass mit der insofern vorgenommenen Stärkung der Tarifstrukturen in den Entleihbranchen die tarifvertragliche Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer keine Aufwertung erfährt. Dass es um letztere indes schlecht bestellt ist und dass dieser Umstand im Lichte der hier festgestellten strukturellen Unterlegenheit der Leiharbeitnehmerschaft und der daraus folgenden potenziellen Fremdbestimmung derselben eine zu adressierende Problemlage darstellt, ist bereits ausgeführt worden (vgl. etwa S. 450 f.). Zu einem Verdikt der Verfassungswidrigkeit führt diese Erkenntnis im hiesigen Kontext freilich nicht.723 Erneut kommt die nun schon vielfach in Bezug genommene Erkenntnis zum Tragen, dass allein die generelle Beobachtung einer strukturell be720

A. A. demgegenüber: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 300 ff., die davon ausgeht, dass die Tarifvertragsparteien der Verleihbranche die sachnähere Instanz sind, um einen entsprechenden Interessenausgleich zu erzielen. 721 § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG daher ebenfalls als verfassungskonform bewertend: Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 162 ff., 166; Deinert, RdA 2017, 65 (76); Giesen, ZRP 2016, 130 (131); Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 361; Löwisch, DB 2017, 1449 (1449 f.) (jedenfalls implizit); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 340; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20. 722 Auch in diesem Fall vermag die Erkenntnis, dass einzig die Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen zugunsten der Tarifpartner der Entleihbranchen geeignet ist, die gesetzgeberischen Zielsetzungen der Überlassungshöchstdauer in Abwesenheit einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe zu gewährleisten, die kritisierte „Tarifentmündigung“ (so explizit: Henssler, RdA 2017, 83 [97]) der Verleihbranche zu rechtfertigen. Hinzu kommt, dass eine etwaige subsidiäre Regelungszuständigkeit der Verleihbranche die Trennung – sofern man diese anerkennt – von einerseits den Arbeitsbedingungen im Verhältnis zwischen Leiharbeitnehmer und Verleihunternehmen (so etwa das Arbeitsentgelt) und andererseits den Bedingungen des Einsatzes im Entleihunternehmen (so etwa die Überlassungshöchstdauer) negieren würde und daher regelungssystematisch einen Bruch erzeugen würde. Vgl. weiterführend zu diesen systemischen Aspekten: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 338. 723 Ähnlich, wenngleich nicht auf Basis der hier angestellten verfassungsdogmatischen Wertungen: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 341 („Die Debatte hierüber dürfte allerdings im Parlament besser aufgehoben sein als vor dem BVerfG.“).

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dingten Fremdbestimmungsproblematik keine generelle verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung auf den Plan ruft, die den Gesetzgeber zur Implementierung entsprechender Mindeststandards verpflichten würde. Eben dies gilt auch für den hier angemerkten Umstand, dass die Regelungsentscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG keinen Beitrag dazu leistet, die defizitäre tarifvertragliche Interessenvertretung der Leiharbeitnehmer regulativ zu adressieren. Es bleibt daher bei der obigen Wertung: § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG ist mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. (3) Vereinbarkeit der Abweichungsmöglichkeit durch Betriebs- oder Dienstvereinbarungen aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG mit der negativen Koalitionsfreiheit tarifungebundener Entleihunternehmen In der Folge stellt sich zudem die Frage, ob die den tarifungebundenen Entleihunternehmen in § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG zuerkannte Möglichkeit, von Öffnungsklauseln in solchen Tarifverträgen nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG Gebrauch zu machen, die von der Überlassungshöchstdauer abweichende Betriebs- oder Dienstvereinbarungen vorsehen, die negative Koalitionsfreiheit dieser Entleihunternehmen dadurch verletzt, dass diese Abweichungsmöglichkeit im Regelfall nur bis zu einer Überlassungshöchstdauer von maximal 24 Monaten besteht.724 Der sich hierin auftuenden verfassungsrechtlichen Problematik lässt sich nicht sinnvollerweise nachgehen, ohne zuerst jedenfalls überblicksartig die Regelungssystematik der Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 4 – 6 AÜG zu erläutern. In § 1 Abs. 1b Satz 4 AÜG wird zunächst tarifungebundenen Entleihunternehmen die Möglichkeit eröffnet, im Geltungsbereich eines Tarifvertrags nach § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG dort normierte und von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Regelungen per Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu übernehmen. Dieses „Nachzeichnungsrecht“725 tarifvertraglich festgelegter Abweichungen von der Überlassungshöchstdauer ist verfassungsrechtlich zunächst unproblematisch,726 da es gerade 724 § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG daher ausdrücklich als verfassungswidrig erachtend: Giesen, ZfA 2016, 153 (184); Henssler, RdA 2017, 83 (98 f.); Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG Rn. 74; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 320 ff.; Löwisch, DB 2017, 1449 (1452). Jedenfalls verfassungsrechtliche Bedenken äußernd: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 381; Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 122. 725 So treffend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 372. 726 Nur am Rande sei erwähnt, dass die in § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG eingeräumte Möglichkeit die obigen Wertungen zu § 1 Abs. 1b Satz 4 AÜG nicht tangiert. Zwar weist das entsprechende Nachzeichnungsrecht Parallelen zu den hier problematisierten Bezugnahmeklauseln (siehe hierzu S. 446 ff.) auf (vgl. auch in diese Richtung: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 352 f.). Allerdings adressieren die dortigen Bezugnahmemöglichkeit die individualvertragliche Ebene und nicht – wie hier – die Ebene der betrieblichen Interessenvertretung. Will man hierin gleichwohl einen Missstand in Bezug auf das diesbezügliche Kräfte(un)-

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der verfassungsrechtlichen Position tarifungebundener Entleihunternehmen Rechnung trägt.727 In § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG wird demgegenüber tarifgebundenen Entleihunternehmen die Möglichkeit eröffnet, – sofern ein Tarifvertrag im Sinne von § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG eine entsprechende Öffnungsklausel enthält – in Betriebsoder Dienstvereinbarungen eine von § 1 Abs. 1b Satz 1 AÜG abweichende Überlassungshöchstdauer festzulegen. Im Ergebnis führt diese Regelung dazu, dass den Tarifvertragsparteien der Entleihbranchen gestattet wird, die exakte Determinierung abweichender Überlassungszeitbeschränkungen auf die betriebliche Ebene zu verlagern, indem der Tarifvertrag im Sinne von § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG diese nähere Ausgestaltung der jeweiligen alternativen Überlassungshöchstdauer der betrieblichen Interessenvertretung überlässt.728 Auch die hierin eröffnete Möglichkeit zieht indes noch keine verfassungsrechtliche Kritik auf sich.729 Anders verhält es sich sodann aber mit der hier in den Blick zu nehmenden und in § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG normierten Möglichkeit für tarifungebundene Entleihunternehmen im Geltungsbereich eines Tarifvertrages mit entsprechender Öffnungsklausel nach § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG gleichsam per Betriebs- oder Dienstvereinbarung von dieser Öffnungsklausel Gebrauch zu machen und eigene Überlassungshöchstzeiten festzulegen. Anders als dies für tarifgebundene Entleihunternehmen in § 1 Abs. 1b Satz 5 AÜG geschieht, wird diese Möglichkeit in § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG nur bis zu einer Höchstgrenze von 24 Monaten gewährt. Diese Begrenzung findet wiederum allein dann keine Anwendung, wenn der Tarifvertrag im Sinne von § 1 Abs. 1b Sätze 3 und 5 AÜG für solche Betriebs- oder Dienstvereinbarung selbst eine zeitliche Höchstgrenze setzt. Aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG folgt daher eine evidente Ungleichbehandlung hinsichtlich der gewährten Abweichungsmöglichkeiten durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung zu Lasten tarifungebundener Entleihunternehmen. Ob diese – so die Kritik – einen Verstoß gegen die negative Koalitionsfreiheit dieser Betriebe nach sich zieht, ist zu bezweifeln.730 Erneut gilt es, sich den verfassungsrechtlichen Maßstab, der aus der negativen Koalitionsfreiheit für staatliche Regulierungsentscheidungen folgt, vor Augen zu führen. Die Koalitionsfreiheit schützt in ihrer negleichgewicht zwischen den über die abweichende Überlassungshöchstdauer verhandelnden Parteien erblicken, so lässt sich dies dadurch beheben, einen entsprechend gehaltvollen tarifvertraglichen Regelungsrahmen für entsprechende Betriebs- und Dienstvereinbarungen zu fordern (vgl. etwa dergestalt: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 379). 727 Vgl. etwa überblicksartig: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 366. 728 Vgl. weiterführend hierzu: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 349 ff. 729 Das BAG hat die Öffnungsklausel aus § 1 Abs. 1b Satz 5 kürzlich als mit höherrangigem Recht vereinbar erklärt, siehe: BAG, Urt. v. 14.9.2022 – 4 AZR 83/21, NZA 2023, 313 (316, Rn. 56). 730 Eine Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit ablehnend: Deinert, RdA 2017, 65 (76 f.); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 378 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 1 Rn. 401. Vgl. auch aus öffentlich-rechtlicher Perspektive: Kingreen, NZA 2021, 1 (8).

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gativ-rechtlichen Ausprägung schließlich nicht bereits vor einem staatlichen Anreiz zum Koalitionsbeitritt, sondern nur vor einem sozial inadäquaten Beitrittszwang (vgl. oben S. 297 f.). Auf einen wortwörtlichen Anreiz hatte es der Gesetzgeber indes ausdrücklich angelegt, als er die Möglichkeit zur Ingebrauchnahme entsprechender Öffnungsklauseln für tarifungebundene Entleihunternehmen in § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG unter eine zeitliche Begrenzung für abweichende Überlassungszeitbeschränkungen stellte.731 Es ist daher gerade das regulative Ordnungsinteresse des Gesetzgebers, tarifungebundene Entleihunternehmen durch die in § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG maximal gewährte Überlassungshöchstdauer von 24 Monaten zur Tarifbindung zu bewegen, sofern diese Höchstgrenze nicht als ausreichende Abweichung von der Regelung aus § 1 Abs 1b Satz 1 AÜG erachtet wird. Fragen muss man sich angesichts der mit § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG offensichtlich vom Gesetzgeber bezweckten Schlechterstellung tarifungebundener Entleihunternehmen in Bezug auf die Abweichungsmöglichkeiten qua Betriebs- oder Dienstvereinbarung allerdings, ob hierin überhaupt ein derart veritabler wirtschaftlicher Nachteil erblickt werden kann, der sich in der Folge zu einem ernstlichen Beitrittszwang zu entsprechenden Arbeitgeberkoalitionen verdichten würde.732 Für den Großteil der betroffenen tarifungebundenen Entleihunternehmen dürfte dieser Druck freilich zu vernachlässigen sein. Selbst wenn – so etwa im Rahmen der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie – im Entleihunternehmen ein betriebliches Bedürfnis besteht, optimalerweise einzelne Leiharbeitnehmer über die genannten 24 Monate währenden Überlassungsepisoden hinaus zu entleihen, so wird die Ausweichbewegung über das beschriebene „Leiharbeitnehmer-Rondell“ im Regelfall Abhilfe schaffen. Eine solche Einsatzlogik hätte zugleich den wirtschaftlichen Vorteil, dass die verpflichtende Wirkung des „Equal Pay“-Grundsatzes ab dem neunten bzw. 15. Monat einer Überlassung jedenfalls zeitweise umgangen würde.733 Für tarifungebundene Entleihunternehmen, die eine aktive Nutzungsstrategie verfolgen, stellt § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG so kein ernsthaftes Hindernis dar. Maßgeblich wirtschaftlich betroffen von der Regulierungsentscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG sind daher einzig Entleihunternehmen, deren Geschäftsmodell zwingend explizit längere Überlassungsepisoden erforderlich macht, die regelmäßig 24 Monate überschreiten.734 Gemeint sind diejenigen Entleihunternehmen, die 731

So ausdrücklich: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 21 („Für tarifgebundene Entleiher gilt diese Begrenzung nicht. So wird ein weiterer Anreiz zur Tarifbindung gesetzt.“). 732 Vgl. auch: Pant, der die Beurteilung davon abhängig macht, wie dieser Wettbewerbsnachteil hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Auswirkungen zu quantifizieren ist (vgl. Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 384). Im Maßstab ähnlich: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 322. 733 In diese Richtung: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 388. 734 Hierauf ebenfalls abstellend: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 387 f. Weitergehend

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spezialisierte Fachkräfte für längerfristige Projektarbeiten entleihen.735 Der Anteil dieser Entleihungen hoch qualifizierter Experten für längere Überlassungsepisoden am Gesamtvolumen der Arbeitnehmerüberlassung ist indes überaus gering (siehe hierzu S. 88 ff.). Dies allein ist zwar noch kein Argument, dass für sich betrachtet einen unzulässigen Druck auf die betroffenen tarifungebundenen Entleihunternehmen ausschließen würde. Sehr wohl aber spricht die Erkenntnis, dass die hier in Rede stehende Regulierungsentscheidung aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG nur die Partikularinteressen weniger Entleihunternehmen betrifft, dafür, dass von der Norm gerade kein ernstzunehmender Beitrittsdruck ausgeht. Schließlich vertritt ein entsprechender Arbeitgeberverband gerade die generalisierten Interessen zahlreicher Entleihunternehmen der jeweiligen Branche. Deren Gros dürfte wiederum von der Arbeitnehmerüberlassung nicht in derjenigen Art und Weise Gebrauch machen, die hier gemeint ist und die vornehmlich durch die beschränkte Abweichungsmöglichkeit aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG tangiert wird. Diejenigen Entleihunternehmen, deren Geschäftsfeld gerade die Entleihung spezifisch qualifizierter Leiharbeitnehmer über längere Überlassungsepisoden hinweg erfordert, werden durch die in Rede stehende Norm daher viel eher zum Abschluss eines Haustarifvertrages bewegt werden als zum Beitritt zu einem Arbeitgeberverband, der ihre spezifischen Interessen womöglich nicht zu vertreten geeignet ist.736 Diese Möglichkeit, der Begrenzung aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG durch Bemühungen um einen Haustarifvertrag zu entgehen, lässt § 1 Abs. 1b Satz 4 AÜG aber explizit offen.737 Vor einem etwaigen Anreiz zum Abschluss von Haustarifverträgen schützt die negative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG hingegen nicht.738 Vielmehr folgt aus ihr nur das demgegenüber: Kottlors, die nicht nur „Expertenüberlassungen“ als betroffen ansieht, sondern bereits dann, wenn „Produktionszyklen länger als 18 Monate laufen“, einen Wettbewerbsnachteil und daher einen erheblichen Beitrittsdruck annimmt (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 322). Abgesehen davon, dass hier die 24monatige Grenze aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG gemeint sein dürfte, sind in derartigen Fällen, in denen es im Gegensatz zur „Expertenüberlassung“ nicht auf eine spezifische Arbeitskraft ankommt und Leiharbeitnehmer im Regelfall ohne wirtschaftlichen Nachteil zu ersetzen sind („Leiharbeitnehmer-Rondell“), ernstliche wirtschaftliche Nachteile kaum zu erwarten. 735 In diesen Fällen dürfte auch die aufgrund der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des Gleichbehandlungsgrundsatzes eintretende finanzielle Belastung keine Rolle spielen (vgl. bereits oben S. 438). 736 So auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 388. A. A. ist Kottlors, die darauf hinweist, dass Haustarifverträge der Schwierigkeit begegnen dürften, dass die Gewerkschaften diesbzgl. womöglich nicht dialogbereit sind (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 322 f.). Aus dieser Prämisse einen veritablen Beitrittsdruck herzuleiten, der den betroffenen Entleihunternehmen i. E. keine andere Wahl lässt, als einem Arbeitgeberverband beizutreten, geht aber fehl. 737 Vgl. etwa Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 1 AÜG (Stand: 2023) Rn. 111. Weiterführend: Talkenberg, NZA 2017, 473 (477). 738 So explizit: Greiner, NZA 2018, 563 (565); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 393.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

beschriebene Fernbleiberecht von der Arbeitgeberkoalition. Gerade dieses wird aber durch § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG nicht tangiert. Vielmehr folgt aus der Norm lediglich ein Anreiz, als betroffener Betrieb eigenständig mit den entsprechenden Gewerkschaften in Tarifverhandlungen einzutreten und – so die Gesetzesbegründung – eine Tarifbindung zu erzielen.739 Dieses gesetzgeberische Ordnungsinteresse ist aus einem weiteren Grund aus verfassungspolitischer Sicht gerade zu begrüßen. Die kollektivvertragliche Ebene ist im Zweifel besser geeignet, um eine gleichsam arbeitnehmer- und arbeitgeberseitig interessengerechte Abweichung von der Überlassungshöchstdauer zu erzielen,740 als dies im Rahmen des beim Abschluss von Betriebs- und Dienstvereinbarungen stattfindenden betrieblichen Interessenausgleichs der Fall ist.741 Die zeitliche Begrenzung der Abweichungsmöglichkeit von der Überlassungshöchstdauer per Betriebs- oder Dienstvereinbarung, die tarifungebundenen Entleihunternehmen durch § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG gewährt wird, vermag deren neA. A. in Bezug auf den Gleichbehandlungsgrundsatz a. F. aber ohne verfassungsrechtliche Herleitung: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 26 ff. 739 So ausdrücklich: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 21 („Für tarifgebundene Entleiher gilt diese Begrenzung nicht. So wird ein weiterer Anreiz zur Tarifbindung gesetzt.“). 740 Diese (legitime) staatliche Wertung verkennend, wenn dort zur Rechtfertigung eines vermeintlichen Eingriffs in die negative Koalitionsfreiheit durch § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG nur die Ziele der Überlassungshöchstdauer selbst (unmittelbarer Leih- und Stammarbeitnehmerschutz) herangezogen werden: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 324 f. 741 Anders dürften dies diejenigen sehen, die aus Art. 9 Abs. 3 GG ein Gebot der Staatsneutralität herleiten. In diese Richtung wohl: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 381 („Schon das Regelungsziel an sich, einen Anreiz zur Tarifbindung von Unternehmen zu setzen [BT-Drs. 18/9232, 21], ist vor dem Hintergrund der Verpflichtung des Gesetzgebers zur tarifpolitischen Neutralität fragwürdig.“). Ähnlich: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 323; Löwisch, DB 2017, 1449 (1452). Eine globale Kritik an staatlichen Anreizen zur Stärkung tariflicher Strukturen (so etwa: Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, 1996, S. 415, 527), hat indes in der verfassungsrechtlichen Dogmatik zur Koalitionsfreiheit keinen eigenständigen Platz. Sie lässt sich weder in die Kategorie grundrechtlicher Freiheitsrechte, noch in diejenige der Schutzpflichten einordnen (so aber: Kempen, in: Staatliche Schutzpflicht gegenüber der Tarifautonomie?, Heinze [Hrsg.], FS Gitter, 1995, S. 427 ff., der demgegenüber eine staatliche Schutzpflicht zum Schutz der Tarifautonomie annimmt). Vielmehr bleibt es im Kontext der negativen Koalitionsfreiheit dabei, dass v. a. zu untersuchen ist, ob überhaupt zulasten von Grundrechtsträgern eine Grundrechtsverkürzung vorliegt. Da allerdings von § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG kein unzulässiger Beitrittsdruck ausgeht, ist ein Verfassungsverstoß nicht zu besorgen. Hieran ändert auch die Forderung nach einer neutralen Haltung des Staates hinsichtlich der Entwicklung tarifvertraglicher Strukturen nichts (vgl. ebenso: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 392). Ähnliches gilt für eine etwaige verfassungsrechtliche Aufladung des staatlichen Ordnungsinteresses, Anreize zur Tarifbindung zu schaffen, mithilfe der grundrechtlichen Schutzpflicht. Dort wo kein hinreichend wahrscheinlicher Grundrechtsübergriff in Rede steht, ist eine solche nicht aktiviert, sodass sich das hiesige Regulierungsinteresse im Bereich verfassungspolitischer Wertungsspielräume bewegt.

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gative Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG daher nicht zu verletzen. Schon allein der Umstand, dass nur eine spezifische und im Umfang geringe Gruppe von Entleihunternehmen hiervon betroffen ist und der Gesetzgeber diesen zudem ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung stellt, um die dort angestrebte Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung dennoch ungehindert auszuüben, steht der Annahme eines unzulässigen Drucks zum Beitritt zu einer Arbeitgeberkoalition entgegen. Sicherlich verschärft der Umstand, dass den betroffenen tarifungebundenen Entleihunternehmen der Weg versperrt ist, über eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung eine längerfristige Abweichung von der Überlassungshöchstdauer zu erreichen, den mit der Überlassungshöchstdauer selbst einhergehenden Eingriff in die Berufsfreiheit dieser Unternehmen.742 Die dennoch – abseits von § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG – bestehenden Abweichungsmöglichkeiten von der Überlassungshöchstdauer bieten den Betroffenen jedoch hinreichende Kompensationsmöglichkeiten, sodass die obige Wertung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Überlassungshöchstdauer hierdurch nicht in Frage zu stellen ist.743 cc) Vereinbarkeit der Abweichungsmöglichkeiten mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG Der Vollständigkeit halber ist noch eine kurze Bewertung der verfassungsrechtlichen Kritik vonnöten, die hinsichtlich der Regelung aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG – neben der behaupteten Verletzung der negativen Koalitionsfreiheit – zugleich die Frage nach einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG aufwirft.744 Eine tiefergehende Prüfung der genannten Regulierungsschritte anhand der Vorgaben des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes kann allerdings dahinstehen, da die Normen bereits den – ungleich strengeren – verfassungsrechtlichen 742 Dies bezieht sich auch darauf, dass die Angemessenheit der Überlassungshöchstdauer (u. a.) mit den Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG begründet wurde (siehe bereits oben S. 518 ff.). Vgl. zudem in Bezug auf die Intensivierung des Eingriffs in die Berufsfreiheit: Greiner, NZA 2018, 563 (565); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 394. 743 Ähnlich: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 395 („Tarifungebundenen Entleihern stehen demzufolge gewisse Selbsthilfemechanismen zur Verfügung, um die von § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG ausgehenden ökonomischen Belastungen abzumildern“). 744 Insofern verfassungsrechtliche Bedenken äußernd: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 381. Demgegenüber ausdrücklich einen Verstoß annehmend: Giesen, ZfA 2016, 153 (184); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 326 f. Ähnliches wird zum Teil auch der in § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG normierten Regelungsentscheidung, durch welche die Tarifdispositivität hinsichtlich der Überlassungshöchstdauer einzig den Tarifparteien der Entleihbranchen zugewiesen wird, attestiert (vgl. Henssler, RdA 2017, 83 [97]; Höpfner, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht: Kommentar, 2022, § 1 AÜG, Rn. 65).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Maßstäben aus Art. 9 Abs. 3 GG standhalten.745 So muss etwa in Bezug auf § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG gelten, dass die vorzufindende Ungleichbehandlung von tarifungebundenen gegenüber tarifgebundenen Entleihunternehmen hinsichtlich der Abweichungsmöglichkeiten durch Betriebs- oder Dienstvereinbarung durch das zu billigende staatliche Ordnungsinteresse der Stärkung der tariflichen Strukturen im Zuge der Implementierung von Anreizen zur Tarifbindung zu rechtfertigen ist.746 Die oben vorgenommenen Wertungen gelten daher hier wie dort.747 Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist daher insgesamt nicht zu besorgen. dd) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit der Überlassungshöchstdauer und der Abweichungsmöglichkeiten mit grundgesetzlichen Vorgaben In der Konsequenz ist daher zu konstatieren, dass sowohl die Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG, als auch die Regelungen zu entsprechenden Abweichungsmöglichkeiten aus § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG den grundgesetzlichen Vorgaben entsprechen. Das gesetzgeberisch verfolgte Anliegen, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zu orientieren und – in Kombination mit der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität hinsichtlich des „Equal Pay“-Grundsatzes – einen Anreiz zu schaffen, von der Arbeitnehmerüberlassung nicht in einer Stammarbeitnehmer ersetzenden Weise Gebrauch zu machen, ist nicht nur legitim, sondern vielmehr verfassungsrechtlich über die Wirkungen des Sozialstaatsprinzips als gewichtiges Ordnungsinteresse von Verfassungsrang aufzufassen. Dieses wird durch die Überlassungshöchstdauer gefördert – ohne zugleich die grundrechtlichen Positionen der an der Arbeitnehmerüberlassung Beteiligten über Gebühr zu beanspruchen. Im Ergebnis hält sich der Gesetzgeber damit gerade auf der Linie praktischer Konkordanz, zu der die beidseitige verfassungsrechtliche Aufladung der sich gegen745 Da die hiesige Problematik nach der hier vertretenen Auffassung zuförderst im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 GG zu beantworten ist, wäre es bereits aus Gründen der Grundrechtskonkurrenz vertretbar, Art. 3 Abs. 1 GG daneben für unanwendbar zu halten. Ähnliche Bedenken in diese Richtung („Wertungsvorrang“) hat auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 398. Die Beantwortung dieser dogmatischen Frage kann hier indes dahinstehen. 746 Ebenso: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 398 f. A. A. demgegenüber – insofern folgerichtig – aufgrund des angenommenen Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 3 GG: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 326 f. 747 Gleiches gilt für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung eines etwaigen durch § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG vermittelten Eingriffs in Art. 3 Abs. 1 GG zulasten der Tarifpartner der Verleihbranche. Auch die dortigen Erwägungen tragen zugleich die Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung zwischen den Tarifpartnern der Entleih- und der Verleihbranche. So auch: Hamann, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 1 Rn. 361; Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 341; Ulrici, AÜG, 2017, § 1 Rn. 20. A. A. demgegenüber wiederum: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 303 ff.

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überstehenden wirtschaftlichen Interessen und der genannten sozialstaatlichen Schutzzwecke verpflichtet. Weder dem einen noch dem anderen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt wurde der Vorzug gewährt. Ganz im Gegenteil: Die Überlassungshöchstdauer ist eine Kompromisslösung des der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Interessenkonflikts, die im Sinne eines schonenden Ausgleichs weder eine Freiheitsbetätigung unmöglich macht noch ein sozialstaatliches Schutzinteresse mit harter Hand durchsetzt. Notwendigerweise muss man sich im Lichte dieser Erkenntnis allerdings fragen, ob der Rahmen des verfassungsrechtlich Zulässigen nicht auch strengere Regulierungsentscheidungen, die den entsprechenden sozialstaatlichen Schutzzielen effektiver zur Durchsetzung verholfen hätten, zulassen würde. Skaliert man das verfassungsrechtliche Gegenüber aus liberaler Berufsfreiheit und sozialstaatlichen Schutzinteressen in größere Zusammenhänge und verlässt den Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer, scheint in der Tat nicht ausgeschlossen, dass auch strengere Regulierungsschritte, wie etwa eine tariffeste Überlassungshöchstdauer, eine Sachgrundorientierung derselben in Form eines Arbeitsplatzbezuges oder gar eine verpflichtende Gleichbehandlung der Leiharbeitnehmer ohne Abweichungsmöglichkeiten die Grenzen der grundgesetzlichen Vorgaben einhalten würden.748 Festzuhalten ist an dieser Stelle aber zunächst nur eines: An der Verfassungsmäßigkeit der Überlassungshöchstdauer besteht kein Zweifel. Gleiches gilt für die in § 1 Abs. 1b Sätze 3 – 8 AÜG gewährten Abweichungsmöglichkeiten in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer. Weder die gesetzgeberische Entscheidung hinsichtlich der Tarifdispositivität aus § 1 Abs. 1b Satz 3 AÜG noch die Regelung aus § 1 Abs. 1b Satz 6 AÜG verstoßen gegen grundrechtliche Gewährleistungen. Die hierin getroffenen Regulierungsschritte fügen sich schlüssig in das Gesamtkonzept der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ bei einer gleichzeitigen Förderung tarifvertraglicher Strukturen ein.

5. Unwirksamkeit von Verträgen und vertraglichen Vereinbarungen Den Schlussstein der in diesem Abschnitt zu diskutierenden arbeitsrechtlichen Regulierungsschritte des AÜG bilden die Vorschriften zur Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AÜG), des Leiharbeitsvertrages (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG) sowie zur Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die zu Ungunsten des Leiharbeitnehmers vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 AÜG abweichen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) oder die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b beschränken (§ 9 Abs. 1 Nr. 2a AÜG). Daneben adressiert 748 Siehe sogleich S. 584 ff. Vgl. auch die perspektivischen Überlegungen bei: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 213.

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das AÜG in § 9 AÜG vertragliche Bestimmungen zwischen Verleih- und Entleihunternehmen oder Verleihunternehmen und Leiharbeitnehmer, durch welche die oben beschriebenen Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung (siehe S. 90 ff.) beeinträchtigt werden (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 – 5 AÜG). In untrennbar engem Zusammenhang mit den Vorschriften zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG steht ferner der in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für diesen Fall angeordnete fingierte Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen, sofern der Leiharbeitnehmer nicht von der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG vorgesehenen und in § 9 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG näher präzisierten Festhaltenserklärung Gebrauch macht. Dieser Regelungskomplex wird anschließend an die hier im Fokus stehenden Unwirksamkeitsregelungen in einem gesonderten Abschnitt hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht beurteilt. a) Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages Innerhalb des hier in Rede stehenden Regelungsgeflechts ist der Blick zuerst auf die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AÜG angeordnete Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages für den Fall, in dem der Verleiher nicht die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG erforderliche Erlaubnis besitzt, zu richten. Diese Sanktionsbestimmung ergänzt die oben bereits auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht überprüfte Erlaubnispflicht aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG inklusive der in § 3 Abs. 1 AÜG normierten Versagungsgründe und der etwaigen Möglichkeiten zur Rücknahme oder zum Widerruf einer solchen Erlaubnis aus §§ 4, 5 AÜG.749 Die dortige Regelungskonstruktion eines präventiven Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt ist mit den Vorgaben des Unions- und Verfassungsrechts vereinbar (vgl. oben S. 352 ff.) Der Gesetzgeber hat hierin eine zulässige Schranke zur administrativen Kontrolle der Zuverlässigkeit der Verleihunternehmen installiert und realisiert so den Leiharbeitnehmerschutz. Nichts anderes kann der dahingehenden Regelungsentscheidung, dieser administrativen Schranke die zivilrechtliche Entsprechung einer Nichtigkeitsbestimmung folgen zu lassen, attestiert werden. Zwar ist in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AÜG ein Eingriff in die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte grundrechtliche Position der betroffenen Entleih- und Verleihunternehmen in Form einer Berufsausübungsregelung zu erblicken, die insofern vermittels eines legitimen Gemeinwohlbelangs eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfordert. Hier wie dort kann der entsprechende Eingriff aber in Gestalt des sozialstaatlich unterfütterten Schutzes der Leiharbeitnehmer vor Verleihern, denen die branchenspezifische Zuverlässigkeit fehlt, ge749

Vgl. insofern bereits die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13 („Nummer 1 ergänzt die Vorschrift aus § 1, Nummer 2 ergänzt die Vorschrift aus § 3 Abs. 1 Nr. 3, Nummer 3 ergänzt die Vorschrift aus § 3 Abs. 1 Nr. 4. Die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit ist ein wichtiges Mittel, die Verleiher zu einem gesetzmäßigen Verhalten zu veranlassen.“).

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rechtfertigt werden. In der Tat wäre es nur schwerlich begründbar, wenn sich die Gefährdung der Leiharbeitnehmer durch unzuverlässige Verleihunternehmen – welcher durch das der Aufnahme der Verleihtätigkeit vorgeschaltete präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gerade begegnet werden soll (vgl. oben S. 352 ff.) – dadurch perpetuieren würde, dass von diesen Verleihunternehmen mit entsprechenden Entleihunternehmen geschlossene Überlassungsverträge gleichwohl wirksam wären. Bereits die mit der Unwirksamkeitssanktion einhergehende Disziplinierungswirkung,750 die auf den diesbezüglichen Leiharbeitnehmerschutz zurückwirkt, indem sie die auf eine gültige Verleiherlaubnis angewiesenen Verleihunternehmen zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften veranlasst, macht die Regelung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AÜG insofern erforderlich. Dies heißt zwar in Ermangelung konkreter verfassungsrechtlicher Schutzverpflichtungen nicht, dass einzig die gesetzgeberische Konzeption einer Ergänzung des Erlaubnisvorbehalts um eine zivilrechtliche Unwirksamkeitsregelung dem sozialstaatlich motivierten Leiharbeitnehmerschutz gerecht werden könnte. Allerdings vermag dieser – parallel zu den Regelungen aus § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1 AÜG – den entsprechenden grundrechtlichen Eingriff zu rechtfertigen.751 b) Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages Eine differenziertere unions- und verfassungsrechtliche Betrachtung erfordert demgegenüber der Regelungskomplex der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG angeordneten Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und dem hiermit zusammenhängenden und in § 10 Abs. 1 AÜG normiertem fingierten Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen, sofern der Leiharbeitnehmer nicht von der sogenannten Festhaltenserklärung Gebrauch macht. Die Unwirksamkeitsregelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG können allerdings – wie bereits oben erwähnt – nicht isoliert ohne eine nähere Betrachtung der genannten Festhaltenserklärung und des fingierten Arbeitsverhältnisses zum Entleihunternehmen betrachtet werden. Dies bedarf daher einer zusammenhängenden Beurteilung (siehe unten ab S. 550 ff.).752 750 Vgl. erneut: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13 („Die zivilrechtliche Sanktion der Nichtigkeit ist ein wichtiges Mittel, die Verleiher zu einem gesetzmäßigen Verhalten zu veranlassen.“). Ggf. drohen dem Entleihunternehmen ggü. gar Schadensersatzansprüche, etwa aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB. Vgl. weiterführend: Schüren, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 79; Mengel, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 9 Rn. 16. 751 Der Vollständigkeit halber sei auch hier darauf verwiesen, dass die Leiharbeitsrichtlinie die „Zulassung“ der Verleihunternehmen gem. Art. 4 Abs. 4 RL 2008/104/EG der autonomen nationalen Regulierung überlässt und die Gewährleistung der Grundrechtecharta daher hier außer Betracht bleiben. Eine etwaige Einschlägigkeit der Dienstleistungsfreiheit aus Art. 56 ff. AEUV bzgl. betroffener Verleihunternehmen aus Mitgliedstaaten ist ferner nach den hier erläuterten Parametern zu rechtfertigen. 752 Vgl. auch Kottlors, die richtigerweise anführt, dass eine getrennte Betrachtung der Unwirksamkeitsregelung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG und der Fiktionsregelung aus

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

c) Unwirksamkeit weiterer vertraglicher Vereinbarungen Neben den Unwirksamkeitsregelungen zum Überlassungs- und Leiharbeitsvertrag enthält der Regelungskomplex aus § 9 Abs. 1 AÜG aber auch Unwirksamkeitsbestimmungen, die unmittelbar vertragliche Vereinbarungen bestimmten Inhalts adressieren. Dies betrifft zum einen die gesondert (vgl. S. 542 ff.) zu untersuchenden Vereinbarungen, durch welche die beschriebenen Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung beeinträchtigt werden. Zum anderen aber belegt das AÜG auch Vereinbarungen, die zu Ungunsten des Leiharbeitnehmers vom Gleichbehandlungsgrundsatz aus § 8 AÜG abweichen (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) oder die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder Gemeinschaftsdiensten im Unternehmen des Entleihers entgegen § 13b AÜG beschränken (§ 9 Abs. 1 Nr. 2a AÜG) mit einer Nichtigkeitsfolge. Erstere Bestimmung erfasst nicht nur solche arbeitsvertragliche Abreden, die unzulässigerweise Bestimmungen enthalten, die den Gleichbehandlungsgrundsatz unterschreiten, sondern auch tarifvertragliche Regelungen, die den Gestaltungsrahmen der in § 8 Abs. 2 – 4 AÜG gewährten tarifvertraglichen Abweichungsmöglichkeiten vom Gleichbehandlungsgrundsatz nicht einhalten.753 Hiermit flankiert der Gesetzgeber die Bestimmungen des Gleichbehandlungsgrundsatzes mit der Sanktion der Unwirksamkeit hiergegen verstoßender vertraglicher Vereinbarungen. Im Hinblick auf die zu untersuchende Vereinbarkeit dieser Regulierungsentscheidung mit § 10 Abs. 1 AÜG dazu führen würde, dass der ausschlaggebende Sachgrund für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Fiktionsregelung in dem Umstand zu sehen wäre, dass der Leiharbeitnehmer nicht ohne wirksamen Arbeitsvertrag dastehen dürfte und der Gesetzgeber daher die Notwendigkeit und somit auch die Rechtfertigung der Fiktionsregelung selbst herbeiführen könnte (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 349 f.). Ähnlich auch: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 183 f. A. A. ist demgegenüber Li, die zur Rechtfertigung der Fiktionsregelung wiederum die durch § 9 Nr. 1 AÜG a. F. bedingte Unwirksamkeit des Arbeitsverhältnisses und die damit einhergehenden Folgen anführt (vgl. Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 165 [„Ohne das fingierte Arbeitsverhältnis zum Entleiher könnte der illegal überlassene Leiharbeitnehmer keine arbeitsrechtlichen Ansprüche geltend machen, da sein Leiharbeitsvertrag zum Verleiher nach § 9 Nr. 1 AÜG unwirksam ist“]). Ähnlich auch: Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 219 („Weil das Leiharbeitsverhältnis bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer unwirksam wird, stünde der Leiharbeitnehmer ohne Beschäftigung dar. Um dies zu verhindern, wird ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher fingiert.“). Mit einiger Berechtigung verweist Kruppa demgegenüber darauf, dass es dem Gesetzgeber jedenfalls dann, wenn bereits feststeht, dass die Unwirksamkeitsregelungen verfassungsgemäß sind, unbenommen ist, aufgrund des hieraus resultierenden Schutzbedürfnisses weitere Maßnahmen zu ergreifen (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 295). 753 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 163; Wank/Roloff, in: MüllerGlöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar, 2023, § 9 AÜG Rn. 15. Kollektivvertragliche Regelungen nicht als umfasst ansehend: Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 103. In der Praxis betrifft § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG v. a. Branchenzuschlagstarifverträge, die nicht § 8 Abs. 4 Satz 2 AÜG entsprechen (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 163).

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dem höherrangigen Recht ist diese Sanktionsanordnung als Umsetzung der Richtlinienbestimmung aus Art. 10 Abs. 1 RL 2008/104/EG zu sehen, nach dem die Mitgliedstaaten „geeignete Maßnahmen“ für den Fall vorsehen müssen, dass das Verleih- oder Entleihunternehmen die Bestimmungen der Richtlinie nicht einhält. Konkret werden die Mitgliedstaaten in Art. 10 Abs. 2 dazu verpflichtet, „im Falle eines Verstoßes gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie“ Sanktionen vorzusehen, die zugleich „wirksam, angemessen und abschreckend“ sein müssen. Allem voran wird hiermit die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes abgesichert (vgl. oben S. 202). Gerade diesem Erfordernis trägt das nationale Recht in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG Rechnung.754 Die durch diese Unwirksamkeitsregelung forcierte Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aus § 8 AÜG bzw. die Einhaltung der Bedingungen seiner Ausnahmemöglichkeiten aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG muss man daher als Sanktionsregelung für Verstöße gegen mitgliedstaatliche Normen sehen, die der Umsetzung der Richtlinienbestimmungen dienen.755 Ferner ergänzt die Nichtigkeitsbestimmung aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG die dortigen Bestimmungen auch um eine wirksame, angemessene und hinreichend abschreckende Sanktion, sodass den Anforderungen aus Art. 10 Abs. 2 RL 2008/ 104/EG Genüge getan ist. Hieraus kann aber nicht hergeleitet werden, dass § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG als unmittelbare Umsetzung einer Richtlinienbestimmung zu werten ist, die demgemäß allein an den Vorgaben der Grundrechtecharta zu überprüfen wäre. Vielmehr belässt Art. 10 RL 2008/104/EG den Mitgliedstaaten bei der Installierung eines wirksamen Sanktionsregimes einen Umsetzungsspielraum,756 sodass in erster Linie das nationale Verfassungsrecht anwendbar ist. Der gewichtige verfassungsrechtlich unterfütterte Belang des Leiharbeitnehmerschutzes in Bezug auf die wirksame Umsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vermag daher einerseits den mit § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG einhergehenden grundrechtlichen Eingriff in die betroffene Position der Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG, die entsprechende unzulässige Vereinbarungen individualvertraglich durchzusetzen suchen, zu rechtfertigen. Gleiches gilt andererseits auch in Bezug auf den Eingriff in die Position der betroffenen 754 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 10 Rn. 3 („Die Durchsetzung des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 5 wird durch einen klagbaren Anspruch des Leiharbeitnehmers [vgl. § 8 I 1 AÜG] sichergestellt, flankiert durch einen Auskunftsanspruch des Leiharbeitnehmers nach § 13 AÜG sowie die Unwirksamkeit abweichender Vereinbarungen nach § 9 Nr. 2 AÜG“.). Vgl. auch tiefergehend zum AÜG a. F.: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 563 ff. Jedenfalls einen Zusammenhang zu den Regelungen der Leiharbeitsrichtlinie erkennend: Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 7 („Der durch die LeiharbeitsRL 2008/104/EG vorgegebene arbeitsrechtliche Schutz wird durch Abs. 1 Nr. 2, 2 a gestärkt.“). 755 Die Regelungen aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG machen von Art. 5 Abs. 3 RL 2008/104/EG Gebrauch (vgl. S. 171 ff.), sodass eine Richtlinienumsetzung i. S. v. § 10 Abs. 1, 2 RL 2008/ 104/EG vorliegt. 756 Vgl. nur: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 10 Rn. 1.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Koalitionspartner aus Art. 9 Abs. 3 GG, sofern diese in kollektivvertraglichen Abreden die Anforderungen aus § 8 Abs. 2 – 4 AÜG missachten. Ähnliches ist in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 2a AÜG zu konstatieren. Die hierin angeordnete Unwirksamkeit von Vereinbarungen, die den Zugang des Leiharbeitnehmers zu den Gemeinschaftseinrichtungen oder -diensten im Entleihunternehmen entgegen § 13b AÜG beschränken, versieht – gleichsam in Umsetzung der Vorgabe aus Art. 10 RL 2008/104/EG – die seinerseits der Richtlinienbestimmung aus Art. 6 Abs. 4 RL 2008/104/EG dienende Regelung aus § 13b AÜG mit einer den Anforderungen von Art. 10 Abs. 2 RL 2008/104/EG genügenden Sanktionsregelung.757 Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht kann die Regelung im Lichte der leiharbeitnehmerseitigen Interessen an der wirksamen Umsetzung eines auf Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten bezogenen Gleichbehandlungsanspruchs nicht beanstandet werden. In der Summe sind auch die Unwirksamkeitsbestimmungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 2a AÜG mit höherrangigem Recht vereinbar. d) Unwirksamkeit von Integrationseffekten beeinträchtigenden vertraglichen Bestimmungen Sodann gilt es, die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 – 5 AÜG in den Blick zu nehmen. Dieser Regelungskomplex adressiert unmittelbar solche vertraglichen Abreden, durch welche die beschriebenen Integrationseffekte (vgl. S. 90 ff.) beeinträchtigt werden können. Das Gesetz verbietet hierbei zum einen Vereinbarungen im Überlassungsvertrag, die es dem Entleiher untersagen, einen Leiharbeitnehmer einzustellen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 AÜG) sowie Vereinbarungen im Leiharbeitsvertrag, die es dem Leiharbeitnehmer untersagen, ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleihunternehmen einzugehen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1 AÜG). Zum anderen aber werden auch Vereinbarungen im Leiharbeitsvertrag, vermittels derer der Leiharbeitnehmer im Fall einer solchen Übernahme eine Vermittlungsvergütung an das Verleihunternehmen zu entrichten hat (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) verboten. Vereinbarungen im Überlassungsvertrag, die eine angemessene Vermittlungsprämie zwischen Verleih- und Entleihunternehmen für die aufgrund einer Überlassungs-

757 So explizit: Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.114 („Indem § 13b AÜG eine gerichtlich durchsetzbare Anspruchsgrundlage enthält sowie die Unwirksamkeit von § 13a AÜG [Hinweis: Gemeint sein dürfte § 13b AÜG] beschränkenden Vereinbarungen in § 9 Nr. 2a AÜG angeordnet wird, hat der deutsche Gesetzgeber die Anforderungen des Art. 10 Abs. 1 Leiharb-RL erfüllt.“). Vgl. auch: Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 567. Kolbe sieht im Lichte von Art. 10 RL 2008/104/EG eine tragfähige Umsetzung von Art. 6 Abs. 4 RL 2008/104/EG in der Weise, dass ungerechtfertigt von Gemeinschaftseinrichtungen und -diensten ausgeschlossene Leiharbeitnehmer „den Zugang durchsetzen oder Schadensersatz verlangen können“ (vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 11). Ersterem („Zugang durchsetzen“) dürfte durch die Unwirksamkeitsbestimmung aus § 9 Abs. 1 Nr. 2a AÜG Rechnung getragen sein.

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episode erfolgte Vermittlung eines Leiharbeitnehmers vorsehen, sind hingegen ausdrücklich zulässig (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG). Die unions- und verfassungsrechtlichen Hintergründe dieser Regelungen sind oben ausführlich dargetan worden. Zum einen adressieren die unionsrechtlichen Regelungsvorgaben der Leiharbeitsrichtlinie explizit derartige Abreden (siehe hierzu S. 198 ff.). Zum anderen ist es gerade die verfassungsrechtliche Perspektive auf die hiesigen Konstellationen, die innerhalb des Regelungsregimes des AÜG eine Sonderstellung einnimmt, da sich in ihr das typische Grundrechtsdreieck in Form des Konflikts zwischen grundrechtlicher Abwehr- und Schutzfunktion verwirklicht. So steht dem grundrechtlich von Art. 12 Abs. 1 GG erfassten Interesse der Verleihunternehmen, die aus ihrer Sicht zu vermeidenden Abwanderungseffekte (vgl. S. 85 f.) auszuschließen oder diese jedenfalls mittels entsprechender Vermittlungsprämien zu hemmen und zugleich deren wirtschaftliche Nachteile auszugleichen, eine in Bezug auf die entsprechenden grundrechtlichen Positionen aus Art. 12 Abs. 1 GG aktivierte Schutzpflicht zugunsten der Interessen der Leiharbeitnehmer entgegen (siehe oben S. 288 ff.).758 Im Ergebnis verpflichtet diese den regulierenden Staat dazu, ein Mindestmaß an Schutzmaßnahmen zu implementieren, die geeignet sind, der diesbezüglichen Gefahr in Bezug auf den Integrationseffekt für die zu schützenden Leiharbeitnehmerinteressen zu begegnen. Dieses verfassungsrechtlich gebotene Untermaß verdichtet sich im hier diskutierten Kontext darauf, dass solche vertraglichen Absprachen, die darauf abzielen, Übernahmeeffekte erst gar nicht aufkommen zu lassen, regulativ zu verhindern sind. Auf die vollständige Verhinderung derjenigen Absprachen, die Übernahmeeffekte per se zulassen, ihre nachteiligen Auswirkungen auf die Interessen der Verleihunternehmen jedoch auszugleichen suchen, ist der Staat hingegen nicht verpflichtet. Hierunter fallen die genannten Vermittlungsprämien – solange diese sich nicht dergestalt auswirken, dass sie Übernahmeeffekten entgegenstehen, sodass sie daher im Ergebnis geeignet sind, solche Effekte zu verhindern. Ob die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 – 5 AÜG diesen verfassungsrechtlichen Minimalgeboten genügen und zugleich wiederum das Übermaßverbot in Bezug auf die betroffene grundrechtliche Position der Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG wahren, ist daher im Folgenden zu untersuchen. Zugleich stellt sich aufgrund des herausgearbeiteten Nebeneinanders aus verfassungs- und unionsrechtlichen Vorgaben erneut die oben vertieft diskutierte Frage, an welchem höherrangigen Rechtsmaßstab die hier in Rede stehenden Regelungsentscheidungen jeweils zu messen sind (vgl. ausführlich S. 209 ff.). 758

Die Vorschriften als Ausdruck des Schutzes der Arbeitsplatzwahlfreiheit interpretierend: BGH, Urt. v. 3.7.2003 – III ZR 348/02, NZA 2003, 1025 (1025); sowie richtigerweise auf die Vertragsfreiheit rekurrierend: LAG Baden-Württemberg, Urt. 3.12.1998 – 11 Sa 31/98. Vgl. auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 172, 202 („Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers“). Ähnlich bereits die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13), wenngleich dort davon die Rede ist, dass es nicht etwa aufgrund der Schutzpflichten, sondern aufgrund des Sozialstaatsprinzips erforderlich sei, die Arbeitsplatzwahlfreiheit entsprechend zu schützen.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

aa) Unwirksamkeit von Integrationseffekte verhindernden Abreden im Überlassungsvertrag und im Leiharbeitsvertrag (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG) Dies bezieht sich zunächst auf die in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG angeordnete Unwirksamkeit solcher vertraglicher Abreden, die darauf abzielen, Abwanderungsprozesse von Leiharbeitnehmern in vormalige Entleihbetriebe zu verhindern. (1) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Die Leiharbeitsrichtlinie gibt hierzu in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2008/104/EG vor, dass die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet sind, die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, „damit Klauseln, die den Abschluss eines Arbeitsvertrags oder die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses zwischen dem entleihenden Unternehmen und dem Leiharbeitnehmer nach Beendigung seines Einsatzes verbieten oder darauf hinauslaufen, diese zu verhindern, nichtig sind oder für nichtig erklärt werden können“. Der Richtliniengeber will hiermit offenkundig die integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung forcieren und daher dahingehende Hemmnisse abbauen (siehe S. 198 f.).759 Dem kommt das nationale Recht mit der in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG unmittelbar gesetzlich angeordneten Unwirksamkeit derartiger Abreden unzweifelhaft nach.760 Kraft dieser Regelungen sind Integrationseffekte verhindernde Abreden zwischen den jeweiligen Vertragspartnern unwirksam, sodass die „erforderlichen Maßnahmen“ ergriffen wurden. In der Folge stellt sich die Frage, an welchem Grundrechtsregime die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG zu überprüfen sind. Die hier in Rede stehenden § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG sind in die Kategorie derjenigen Regelungen, die zwar in der Leiharbeitsrichtlinie determinierte Ziele umsetzen, die sich aber im Rahmen seitens der Richtlinie belassener inhaltlicher Spielräume bewegen, einzugruppieren. Einschlägig sind daher die grundgesetzlichen Gewährleistungen. Es sei denn, die Richtlinie setzt hier einen hinreichend gehaltvollen Rahmen und die Unionsgrundrechte garantieren im Einzelfall einen höheren Schutzstandard, sodass zusätzlich die Grundrechte der Grundrechtecharta heranzuziehen sind. Zwar gibt die Leiharbeitsrichtlinie in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 einen maßgeblichen und daher ohne Weiteres hinreichend gehaltvollen Regelungsrahmen vor. Gleichsam verbleiben der mitgliedstaatlichen Umsetzung aber auch erhebliche Spielräume. So lässt die Leiharbeitsrichtlinie zum einen die Bedingungen der in 759 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 1; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.92. 760 Vgl. nur: Boemke, RiW 2009, 177 (186); Hamann, EuZA 2009, 287 (316 ff.); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 10; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.101; Ulber, AuR 2010, 10 (14); Waas, ZESAR 2009, 207 (212 f.).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Blick genommenen Klauseln offen. Zum anderen bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, derartige Klauseln unmittelbar nichtig zu stellen oder die Erklärung derselben als nichtig zu ermöglichen. In Umsetzung der Richtlinie ist vielmehr nur das dargelegte Regelungsziel – entsprechende Hemmnisse hinreichend zu beseitigen – umzusetzen, indem die „erforderlichen Maßnahmen“ in diese Richtung unternommen werden. Daher sind die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG vornehmlich anhand der grundgesetzlichen Vorgaben zu überprüfen. Darüber hinaus können die Unionsgrundrechte nicht herangezogen werden, da sie im hiesigen Szenario keinen höheren Schutzstandard beinhalten. Die dargelegten in Bezug auf die in Rede stehende Konstellation aktivierten verfassungsrechtlichen Schutzpflichten erreichen vielmehr ihrerseits in diesem Kontext ein Schutzniveau, das unter der Geltung der Unionsgrundrechte seinesgleichen sucht.761 (2) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Unter Zugrundelegung der hier aufgezeigten verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung in Bezug auf die Verhinderung derartiger Abreden ist zu konstatieren, dass sich der Gesetzgeber hierbei auf der Linie des verfassungsrechtlich Erforderlichen hält. Die Verhinderung solcher Abreden, die Integrationseffekte verhindern, ist bereits verfassungsrechtlich geboten. Eben dieser Verpflichtung kommt der Gesetzgeber in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG nach. Die in Rede stehenden gesetzlichen Regelungen fallen demnach mit dem aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung Gebotenen zusammen. In der Folge bedarf daher auch die Frage, ob die Vorschriften zugleich das verfassungsrechtliche Übermaßverbot einhalten, keiner Untersuchung. Unter die Mindestverpflichtung, Integrationseffekte verhindernde Abreden zu unterbinden, hätte der Gesetzgeber schließlich ohnehin nicht zurückfallen dürfen (vgl. hierzu oben S. 288 ff.). Nur perspektivisch ließe sich überlegen, ob die regulative Grenze dessen, was in Ansehung des Übermaßverbotes in Bezug auf die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG als verfassungsrechtlich zulässig zu bewerten wäre, über dieses Mindestmaß hinausgeht. Mit anderen Worten: Es stellt sich einzig die Frage, ob das Übermaßverbot ggf. sogar eine noch strengere Regulierung solcher Abreden zulassen würde, als dies das Untermaßverbot fordert, oder ob die Grenze des aufgrund des Untermaßverbotes verfassungsrechtlich Gebotenen und diejenige des aufgrund des Übermaßverbotes verfassungsrechtlich Zulässigen in den Regelungsentscheidungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG zusammenfallen.762 Eine solche hypothetische strengere Regulierung von Integrationseffekte verhindernden Abreden könnte etwa darin erblickt werden, die im Rahmen der Erteilung der 761 Eine ausdifferenzierte Schutzpflichtendogmatik, die spiegelbildlich den Abwehrrechten in Bezug auf die grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen gegenübersteht, kennt die unionale Grundrechtsdogmatik nicht (vgl. oben S. 196 ff., S. 202). 762 Näher hierzu und zum i. Ü. zwischen Unter- und Übermaßverbot bestehenden Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers: S. 245 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Verleiherlaubnis anzustellende Zuverlässigkeitsprognose (vgl. oben S. 351 ff.) im Falle einer auf eine Ersterlaubnis nachfolgenden Erlaubniserteilung gesetzlich so auszugestalten, dass ein Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG im Regelfall die festzustellende Unzuverlässigkeit bedingt und daher zur Versagung der Erlaubnis führt.763 So ließe sich das besondere Interesse an der Verhinderung derartiger Praktiken und die herausgehobene Bedeutung der Integrationseffekte regulativ betonen.764 Gleiches gilt in Bezug auf die Überlegung, einen Verstoß gegen die Vorschriften aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG in die Ordnungswidrigkeitentatbestände aus § 16 Abs. 1 AÜG aufzunehmen. Ausweislich des hier festgelegten Mindestmaßes, das sich aus dem Untermaßverbot ergibt, ist derartiges indes nicht verpflichtend angezeigt. Schließlich werden die Auswirkungen derartiger Abreden bereits durch die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG vollumfänglich verhindert, sodass verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wäre, inwieweit solch weitergehende Sanktionen zu der Verfolgung der entsprechenden Schutzzwecke noch beitragen könnten.765 Ob Regelungen, die über die hier in Rede stehenden Regulierungsschritte hinausgehen, daher mit der entgegenstehenden Berufsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmer vereinbar wären, ist zu bezweifeln. Dies braucht hier aber nicht abschließend beantwortet zu werden. Verlässt man den Blickwinkel dieser hypothetischen verfassungsrechtlichen Betrachtung, bleibt hingegen zu konstatieren, dass die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG verfassungskonform sind. bb) Unwirksamkeit und regulierte Zulassung von Integrationseffekte hemmenden Vermittlungsprämien (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2, Nr. 5 AÜG) Sodann gilt es, die Regelungen zu Vermittlungsprämien in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2, Nr. 5 AÜG in den Blick zu nehmen, die diese zum einen in Bezug auf seitens eines Leiharbeitnehmers zu entrichtende Prämien gänzlich verbieten (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) und diese zum anderen in Bezug auf eine seitens eines Entleihunternehmens zu entrichtende Vergütung regulierend zulassen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG). 763 Nach bisheriger Rechtslage sind derartige Verstöße zwar im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG zu berücksichtigen. Ein selbstständiger Grund zur Versagung wird hierin indes zumeist nicht gesehen (vgl. Mengel, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 9 Rn. 62; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 179). Dies ließe sich durch eine ausdrückliche Erweiterung von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG ändern. 764 Dies würde sich mit der Grundkonzeption des AÜG decken, die auch gerade darauf abzielt, die Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung zu forcieren (vgl. S. 326 ff.). 765 In Bezug auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der insofern eingeschränkten Berufsfreiheit der Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG würde sich dies im Prüfungspunkt der Geeignetheit widerspiegeln (vgl. oben S. 210 f.). Da bereits aus der Unwirksamkeit entsprechender Abreden aufgrund von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG unmittelbar folgt, dass dem Übergang in den Entleihbetrieb nichts mehr entgegensteht, ist die Förderlichkeit hinsichtlich des verfolgten Zweckes zweifelhaft.

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(1) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Die Leiharbeitsrichtlinie gibt hierzu zum einen vor, dass das Verleihunternehmen vom Leiharbeitnehmer bei einem erfolgreichen Wechsel zum Entleihunternehmen derartige Prämien gem. Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG nicht fordern darf. Demgegenüber sind vom Entleihunternehmen zu erbringende Vermittlungsprämien gem. Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG explizit zulässig, sofern diese „einen Ausgleich in angemessener Höhe“ betreffen.766 (a) Vermittlungsprämien zulasten der Leiharbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) In Bezug auf die erstgenannte Vorgabe lässt sich leichthin konstatieren, dass der nationale Gesetzgeber dem Gebot der Leiharbeitsrichtlinie nachgekommen ist.767 Weniger eindeutig verhält es sich indes in Bezug auf die Richtlinientreue des nationalen Rechts hinsichtlich des Umstands, dass Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG nicht nur diesbezügliche Vermittlungsprämien, sondern auch vom Leiharbeitnehmer zu entrichtende Prämien für die Überlassungen selbst adressiert. Gemeint sind vom Leiharbeitnehmer im Falle einer Überlassung an das Verleihunternehmen – also den Arbeitgeber – zu entrichtende Zahlungen. Obwohl der Gesetzgeber diese Richtlinienverpflichtung ausdrücklich in Bezug genommen hatte,768 fehlt insofern eine explizite Umsetzung. Allerdings beabsichtigte der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG offenkundig eine vollständige Umsetzung der Vorgaben aus Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG, sodass viel dafür spricht, auch das Verbot von Überlassungsprämien – trotz einer fehlenden ausdrücklichen Normierung – im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung als von § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG erfasst anzusehen.769 In Bezug auf die Frage, ob die Norm demzufolge anhand der Unionsgrundrechte oder vor allem an den grundgesetzlichen Vorgaben zu messen ist, muss hierauf aufbauend festgestellt werden, dass es sich bei § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG um eine unmittelbare Umsetzung der Vorgaben aus Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG handelt. Schließlich belässt die Richtlinie der mitgliedstaatlichen Umsetzung in diesem Punkt 766

Vgl. zu diesen Vermittlungsprämien zwischen Entleih- und Verleihunternehmen in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 6; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.99. 767 Der Gesetzgeber hatte § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG explizit zur klarstellenden Umsetzung dieser Richtlinienvorgabe eingefügt (vgl. BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 10). Siehe auch: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 10; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.102. Eine klarstellende Ergänzung des nationalen Rechts hatten zuvor gefordert: Boemke, RiW 2009, 177 (186); Raab, ZfA 2003, 389 (422). 768 Siehe nur: BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 10. 769 So i. E. auch: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 10; Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 9 Rn. 524, 527; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.102. A. A. hingegen: Hamann, EuZA 2009, 287 (318), der dies § 9 Abs. 1 Nr. 4 AÜG entnimmt.

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keinerlei Spielraum.770 Die Richtlinie spricht hier nicht etwa davon, dass die „erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen sind oder lässt Regelungsoptionen offen. Vielmehr schreibt sie unmissverständlich vor, dass Verleihunternehmen von den betroffenen Leiharbeitnehmern für die genannten Fälle kein Entgelt verlangen dürfen. Es ist kaum ersichtlich, wie dies im nationalen Recht anders umgesetzt werden könnte als durch eine Unwirksamkeitsregelung. Demgemäß ist die Norm als „Durchführung des Unionsrechts“ im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GrCh zu betrachten und einzig an den Unionsgrundrechten zu messen. Im Besonderen betrifft dies die unternehmerische Freiheit der betroffenen Verleihunternehmen aus Art. 16 GrCh (siehe hierzu S. 216 f.), denen es infolge der Norm unmöglich ist, Abwanderungsprozesse durch von den Leiharbeitnehmern zu zahlende Verleihprämien zu kompensieren oder – bei richtlinienkonformer Auslegung von § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG – Überlassungsprämien zu fordern. In Bezug auf die Rechtfertigung dieser grundrechtlichen Betroffenheit kommt indes erneut zum Tragen, dass § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG die Richtlinienbestimmung aus Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG unmittelbar umsetzt. Dass der Richtliniengeber selbst mit Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG die Interessen der Verleihunternehmen unverhältnismäßig belastet und daher gegen Unionsgrundrechte verstößt, ist aber nicht ersichtlich. Vielmehr wird man der Richtlinienbestimmung ohne Weiteres attestieren können, dass sie dem übergeordneten Interesse, die integrativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung zu fördern, in angemessener Art und Weise gegenüber den wirtschaftlichen Interessen der Verleihunternehmen den Vorrang gewährt. Nichts anderes muss daher in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG gelten. Auch hieraus folgt kein Verstoß gegen Unionsrecht. (b) Vermittlungsprämien zulasten der Entleihunternehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG) Hinsichtlich der zweitgenannten Vorgabe, welche Vermittlungsprämien der Entleihunternehmen unter das Postulat einer angemessenen Höhe stellt, ist demgegenüber Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG in den Blick zu nehmen. Dieser sieht für derartige Prämienvereinbarungen in erster Linie eine Angemessenheitskontrolle vor.771 Als Parameter dieser Kontrolle nennt die Richtlinienbestimmung hierbei die Kosten für die „erbrachten Dienstleistungen in Bezug auf Überlassung, Einstellung und Ausbildung von Leiharbeitnehmern“. Hiermit trägt der Richtliniengeber dem oben beschriebenen Umstand Rechnung, dass die Verleihunternehmen die Kosten für die Akquise von qualifiziertem Personal tragen, welche wiederum Entleihunternehmen bei erfolgreicher Abwerbung eines Leiharbeitnehmers entsprechend einsparen. Wenn sich die seitens des Verleihunternehmens aufgenommenen Kosten daher nach einer Abwerbung aufgrund hierdurch fehlender Ein770 Darauf, dass kein Umsetzungsspielraum gesehen wurde, deutet auch die Gesetzesbegründung hin (vgl. BT-Drs. 17/4804 v. 17. 2. 2011, S. 10). 771 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 6; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.99.

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satzmöglichkeiten nicht amortisieren, hat sich die Einstellung eines Leiharbeitnehmers für das betroffene Verleihunternehmen nicht rentiert (vgl. ausführlicher S. 85 f.). Da diese Verluste je nach Rekrutierungsaufwand, Qualifikation des Leiharbeitnehmers und bisherigen Einsatzzeiten variieren können, ist zu Recht davon auszugehen, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten insofern vielerlei Umsetzungsmöglichkeiten belässt. Zulässig sein dürften explizite Normierungen einzelner Kriterien, Staffelungen der Vermittlungsprämien je nach Einsatzdauer und auch Pauschalierungen von Vermittlungsprämien.772 Das nationale Recht spricht in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG allerdings lediglich davon, dass die entsprechende Vermittlungsvergütung angemessen zu sein hat – was wiederum das Erfordernis einer Angemessenheitskontrolle aus der Richtlinienbestimmung spiegelt.773 Auch dies wird man aber als unionsrechtskonforme Umsetzung der Richtlinienvorgaben betrachten können. Dies gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Rechts, vermittels derer die Angemessenheitskriterien aus Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG Anwendung erhalten.774 Im Ergebnis ist der Richtlinienvorgabe daher hinreichend gedient.775 Darüber hinaus ist – parallel zu Art. 6 Abs. 2 UAbs. 1 RL 2008/104/EG – festzustellen, dass Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG der mitgliedstaatlichen Normierung derartige Umsetzungsspielräume überlässt, dass die hier in Rede stehende nationale Bestimmung an den Vorgaben des Grundgesetzes zu überprüfen ist. (2) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben Im Folgenden sind die Vorschriften aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2, Nr. 5 AÜG anhand der dargelegten verfassungsrechtlichen Determinanten zu beurteilen. (a) Vermittlungsprämien zulasten der Leiharbeitnehmer (§ 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG) Die Bestimmung aus § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG hingegen ist nach dem soeben festgestellten allein am Maßstab des Unionsrechts zu messen, sodass eine Überprüfung der Norm anhand verfassungsrechtlicher Kautelen außen vor bleibt.

772 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (317 f.); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 10; Sansone, in: Preis/ Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.102. Eine Staffelung der Vermittlungsprämie abhängig von der Einsatzdauer hat auch der BGH in Ansehung von § 9 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG a. F. explizit als angemessen beurteilt (vgl. BGH, Urt. v. 7.12.2006 – III ZR 82/06, NZA 2007, 571 [572]). 773 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (317) („Diese Ausnahme findet wiederum in Art. 6 Abs. 2 Unterabsatz 2 Richtlinie Leiharbeit eine Entsprechung“). 774 In diese Richtung: Boemke, RiW 2009, 177 (186); Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.103; Ulber, AuR 2010, 10 (14). 775 Vgl. Hamann, EuZA 2009, 287 (317 f.); Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 10; Sansone, in: Preis/ Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.103.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Wer dies in Abweichung von der hier zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. oben S. 209 ff.) oder aber unter Anwendung der dortigen Maßstäbe, aber unter einer abweichenden Interpretation von Art. 6 Abs. 3 RL 2008/104/EG anders bewertet, wird auch im Lichte des nationalen Verfassungsrechts nicht zu der Beurteilung kommen können, dass § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG mit höherrangigem Recht unvereinbar wäre. Das gesetzliche Verbot der entsprechenden Vereinbarungen dient dem verfassungsrechtlich von einer grundrechtlichen Schutzpflicht flankierten Interesse vieler Leiharbeitnehmer an einem Wechsel in eine Stammbeschäftigung bei einem vormaligen Entleihunternehmen, welches grundrechtlich von Art. 12 Abs. 1 GG erfasst ist.776 Gegen dieses gewichtige Interesse kann sich das seitens der Verleihunternehmen bestehende wirtschaftliche Interesse an der Verhinderung oder an der Kompensation von Abwanderungsbewegungen nicht durchsetzen. An diesem Ergebnis kann selbst dann kein Zweifel bestehen, wenn man entgegen der hier getroffenen Annahme nicht dazu kommt, dass eine Schutzpflicht zugunsten der diesbezüglichen Leiharbeitnehmerinteressen bestünde, kraft derer der Staat zu einem Mindestschutz verpflichtet ist. Selbst in diesem Fall würde das leiharbeitnehmerseitige Interesse – welches sodann zumindest im Zeichen des Sozialstaatsprinzips stünde – den mit § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG einhergehenden Eingriff rechtfertigen. Schließlich wurden die Interessen der Verleihunternehmen durch die aufgrund von § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG zulässigen Vermittlungsprämien, die von Entleihunternehmen zu entrichten sind, vom Gesetzgeber hinreichend berücksichtigt. Geht man demgegenüber den hier beschrittenen Weg und sieht in § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG zugleich die Erfüllung einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, so lässt sich berechtigterweise annehmen, dass der Gesetzgeber unter das dortige Schutzniveau – mit anderen Worten: das völlige Verbot leiharbeitnehmerseitiger Verleihprämien – nicht absinken darf.777 Nach den herausgearbeiteten Ergebnissen verpflichtet die genannte Schutzpflicht den Staat schließlich darauf, einem maßgeblichen Konterkarieren oder gar einer Verhinderung von Integrationseffekten entge-genzutreten. Gerade eine solche wäre aber vielerorts zu befürchten, wenn es Leiharbeitnehmern aufgebürdet würde, den Wechsel in ein Stammarbeitsverhältnis wortwörtlich zu „erkaufen“. Angesichts der zuweilen prekären Situation, in der sich ein Großteil der Leiharbeitnehmer befindet (vgl. hierzu S. 88 ff.), braucht es nicht viel Vorstellungsvermögen, um die Folgen selbst geringer Vermittlungsgebühren auf die Integrationseffekte und demgemäß auf die freie Ausübbarkeit der Arbeits776 Ebenso jedenfalls einen Schutzzusammenhang zu Art. 12 Abs. 1 GG herstellend: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG (Stand: 2023) Rn. 51; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 202. 777 Gegen ein verfassungsrechtliches Gebot zum ausdrücklichen Verbot solcher Abreden ließe sich allenfalls einwenden, dass vor der Einführung von § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG ein solches Verbot (in extensiver Auslegung) bereits aus § 9 Abs. 1 Nr. 4 AÜG abgeleitet wurde (vgl. hierzu: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG [Stand: 2023] Rn. 61; Rambach/Begerau, BB 2002, 937 [942]).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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platzwahlfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG abzuschätzen. So mancher Leiharbeitnehmer dürfte sich angesichts derartiger Belastungen gegen einen Wechsel in das Entleihunternehmen entscheiden. Selbst wenn man dies jedoch anders sieht, wird – wie aufgezeigt – keine verfassungsrechtliche Interpretation zu einem anderen Ergebnis kommen können, als dass § 9 Abs. 1 Nr. 5 AÜG mit grundgesetzlichen Vorgaben übereinstimmt. (b) Vermittlungsprämien zulasten der Entleihunternehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG) Auch hinsichtlich der gem. § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG explizit zulasten der Entleihunternehmen zugelassenen angemessenen Vermittlungsgebühren wird man in Bezug auf die verfassungsrechtliche Beurteilung zu keinem anderen Ergebnis als dem vorgenannten kommen können. Zwar antizipiert allein die Tatsache, dass sich der Gesetzgeber mit der Beschränkung dieser Vermittlungsprämien durch die Installierung einer Angemessenheitskontrolle auf der Linie von Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG bewegt (vgl. S. 198 f.), noch nicht die verfassungsrechtliche Richtigkeit der nationalen Bestimmung. Diesbezüglich muss allerdings gesehen werden, dass bereits die verfassungsrechtliche Erforderlichkeit eines Mindestmaßes an gesetzlichem Schutz vor solchen Vermittlungsprämien, die die beschriebenen Integrationseffekte schlechterdings verhindern,778 eine unbeschränkte Zulassung von Vermittlungsprämien verbieten würde.779 Eine explizite Begrenzung derartiger Gebühren ist also ohnehin verfassungsrechtlich erforderlich. Die Angemessenheitskontrolle,780 unter die § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG solche Vermittlungsgebühren stellt und die im Einzelfall einer interessengerechten Auslegung zugänglich ist, dient diesem Erfordernis in verfassungsgemäßer Art und Weise. Weder wird hiermit das Interesse der Leiharbeitnehmer an gelingenden Abwanderungen bzw. spiegelbildlich das Interesse der Entleihunternehmen am entsprechenden Rekrutierungskanal un-

778

Den sachlichen Zusammenhang zwischen dem von Art. 12 Abs. 1 GG erfassten Interesse der Leiharbeitnehmer an einem Wechsel in ein Stammarbeitsverhältnis und der Höhe der Vermittlungsvergütung erkennend: BGH, Urt. v. 10. 11. 2011 @ III ZR 77/11, NZA-RR 2012, 67 (68); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG (Stand: 2023) Rn. 51. 779 Die Arbeitsvermittlung außerhalb des AÜG kennt eine solche gesetzliche Beschränkung indes gerade nicht (vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 180). Hier greift einzig § 655 BGB ein, der i. Ü. im hiesigen Rahmen keine Anwendung findet (vgl. BGH, Urt. v. 11.3.2010 – III ZR 240/09, NZA 2010, 511 [513]; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 180). A. A. demgegenüber: Rambach/Begerau, BB 2002, 937 (938). 780 Rechtsprechung und Literatur haben – auch im Lichte der Richtlinienbestimmung aus Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 RL 2008/104/EG – detaillierte Kriterien entwickelt. Vgl. insbesondere tiefergehend zu entsprechenden Maßstäben: BGH, Urt. v. 10. 11. 2011 @ III ZR 77/11, NZARR 2012, 67 ff.; Urt. v. 5.11.2020 – III ZR 156/19, NZA 2021, 50 ff.; Schüren, in: Schüren/ Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 181 ff. (m. w. N.).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

zureichend geschützt, noch wird das wirtschaftliche Bedürfnis betroffener Verleihunternehmen, die investierten Kosten zu amortisieren, unterrepräsentiert.781 Offen bleibt einzig erneut die perspektivische Überlegung, ob das besprochene verfassungsrechtliche Schutzbedürfnis noch weitergehende Beschränkungen von Vermittlungsprämien rechtfertigen würde. Dem kann hier nicht vollumfänglich nachgegangen werden. Nur so viel sei gesagt: Unter ernstlichen Rechtfertigungsdruck geriete eine alternative Regelung, welche die Grenze zulässiger Vermittlungsprämien so gering ansetzt, dass Verleihunternehmen ihre finanziellen Verluste bei der Abwanderung eines Leiharbeitnehmers nicht ausgleichen könnten. Eine solche Regelung geriete womöglich in Konflikt mit der Berufsfreiheit der Verleihunternehmen, infolgedessen ein zu einseitiges Regulierungshandeln, das dem Übermaßverbot nicht standhält, verfassungsrechtlich vorwerfbar würde. Derartiges kann § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 AÜG indes nicht attestiert werden. e) Zwischenergebnis bezüglich der Beurteilung der Regelungen zur Unwirksamkeit von Verträgen und vertraglichen Vereinbarungen Insgesamt ist daher festzuhalten, dass der Regelungskomplex zur Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags und zur Unwirksamkeit konkreter vertraglicher Vereinbarungen insgesamt mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Dies trifft sowohl auf die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 AÜG angeordnete Unwirksamkeit des Überlassungsvertrages als auch auf die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 2, 2a AÜG zu. Ferner sind auch die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG und die Vermittlungsprämien adressierenden Bestimmungen in § 9 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 1, Nr. 4 AÜG sowohl mit den Vorgaben des Unionsrechts als auch mit dem nationalen Verfassungsrecht vereinbar. Die Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie werden hierin umgesetzt und zugleich stimmen die Regelungen mit den Anforderungen der unionalen Grundrechtsgewährleistungen überein. Zudem wird den verfassungsrechtlichen Schutzerfordernissen genüge getan und die getroffenen Regulierungsentscheidungen halten sich zugleich in den Grenzen des Übermaßverbotes. 6. Fingierter Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis Offen gelassen ist hiermit indes noch der Regelungskomplex aus zum einen der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG angeordneten Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und zum anderen dem hiermit zusammenhängenden und in § 10 Abs. 1

781 Die Norm gleichsam – wenn auch ohne explizite verfassungsrechtliche Wertung – als angemessenen Ausgleich bewertend: Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG (Stand: 2023) Rn. 51.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Satz 1 AÜG normierten fingierten Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen.782 Der Gesetzgeber forciert mit dieser Regulierungsentscheidung unmittelbar den vielfach beschriebenen Integrationseffekt der Arbeitnehmerüberlassung in reguläre Arbeit, dem sowohl aus Sicht eines Großteils der Leiharbeitnehmerschaft als auch aus sozialpolitischer Sicht eine übergeordnete Bedeutung zukommt. Wirft man einen Blick hinter die politisch-argumentative Kulisse, welche die Größenordnung des Integrationseffektes zuweilen überschätzt, um ein Zurückfahren regulativer Maßnahmen zu rechtfertigen,783 wird klar, dass der Integrationseffekt angesichts der hier gewonnen Erkenntnisse (siehe ausführlich S. 90 ff.) aus sich heraus die der Arbeitnehmerüberlassung im Übrigen innewohnenden Nachteile (vgl. detailliert ab S. 100 ff.) kaum zu kompensieren vermag. Den integrativen Effekt der Arbeitnehmerüberlassung daher gesetzlich vermittels der hiesigen Regelungsentscheidung unmittelbar zu fördern und dies zugleich mit einer Sanktion für Verfehlungen gegen die gleichsam leih- und ggf. auch stammarbeitnehmerschützenden Vorschriften des AÜG zu verbinden, ist freilich ein begrüßenswerter regulativer Weg. Dem Gedanken, dass ein durch staatliche Regulierungsbemühungen forcierter Integrationseffekt die nachteiligen Beschäftigungsbedingungen in der Arbeitnehmerüberlassung dadurch jedenfalls in Teilen ausgleichen könnte, dass Leiharbeitnehmern hierdurch der Weg in reguläre Beschäftigungen in einem Stammarbeitsverhältnis bei einem vormaligen Entleihunternehmen geebnet wird, kann man die sachliche Richtigkeit kaum absprechen. Nicht außer Acht gelassen werden darf bei der Beurteilung der unions- und verfassungsrechtlichen Überprüfung des hier in Rede stehenden fingierten Übergangs eines Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis aber, dass ein solcher – notwendigerweise typisierender – Regulierungsschritt den Interessen aller hieran Beteiligten Genüge tun muss. Dies betrifft daher nicht nur die Interessen derjenigen Leiharbeitnehmer, die einer Beschäftigung in der Arbeitnehmerüberlassung gerade ob ihrer erhofften Integrationseffekte nachgehen, sondern auch die Interessen derjenigen, die gerade die Arbeitnehmerüberlassung ob ihrer Spezifika vorziehen und die kein Interesse daran haben, in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunter-

782

Siehe auch § 10a AÜG, nachdem dieselben Rechtsfolgen eintreten, wenn ein Leiharbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 1 Satz 3 von einer anderen Person überlassen wird und diese gegen § 1 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 oder Abs. 1b verstößt. Insofern ergibt sich in Bezug auf diese Norm keine von den hier diskutierten Regelungen abweichende verfassungsrechtliche Prüfung (vgl. Ulrici, AÜG, 2017, § 10a Rn. 7). 783 Vgl. nur die politische Forderung bei: FDP, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 28, abrufbar unter: https://www.fdp.de/sites/default/files/2021-06/FDP_Programm_Bundes tagswahl2021_1.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Unnötige gesetzliche Sondervorschriften zur Zeitarbeit behindern aber die Integrationsfunktion der Zeitarbeit in den Arbeitsmarkt und führen zu zusätzlicher Bürokratie. Das wollen wir ändern und zum Beispiel die Höchstüberlassungsdauer aufheben.“).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

nehmen überzugehen.784 Die Regulierungsentscheidungen zum fingierten Übergang der Leiharbeitnehmer in Stammarbeitsverhältnisse sind vor diesem Hintergrund in jüngster Zeit aus unions- und verfassungsrechtlicher Perspektive vielfach kritisiert worden. Die einfachrechtliche und die unions- und verfassungsrechtliche Diskussion hat hierbei eine Breite erreicht,785 die eine tiefergehende Analyse und Aufbereitung der Problematik anhand des vertretenen Meinungsstandes im Rahmen dieser Arbeit unmöglich macht. Daher beschränkt sich die folgende Untersuchung darauf, den unions- und verfassungsrechtlichen Konflikt nachzuzeichnen und – vor allem – das vorgefundene Meinungsspektrum vor dem Hintergrund der hier gewonnenen Erkenntnisse in Bezug auf die Gewichtung der sich jeweilig entgegenstehenden Interessen und der diese Positionen kennzeichnenden unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten kritisch zu überprüfen. a) Beurteilung anhand unionsrechtlicher Vorgaben Bevor auf die Beurteilung der genannten Vorschriften mit den grundgesetzlichen Vorgaben einzugehen ist, an der sich die Kritik in der Literatur vorwiegend entzündet, sind die unionsrechtlichen Determinanten in den Blick zu nehmen.786 784 Hinzu kommen Fallkonstellationen, in denen Leiharbeitnehmer zwar dem Grunde nach eine Stammbeschäftigung anstreben, das Entleihunternehmen allerdings etwa in wirtschaftlicher Not ist und ein Wechsel daher nicht attraktiv erscheint (vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25). 785 Siehe allein die umfangreichen monografischen Auseinandersetzungen mit der unionsund verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des fingierten Übergangs in ein Stammarbeitsverhältnis im AÜG aktueller Fassung: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 345 ff. (allerdings nur in Bezug auf §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG); Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 256 ff.; Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 215 ff. Siehe auch bereits zum AÜG a. F.: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 152 ff.; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 181 ff. (mit kurzer verfassungsrechtlicher Einordnung der Neuregelungen des AÜG aktueller Fassung auf S. 187 – 191). Die Feststellung Kruppas, die „verfassungsrechtliche Komponente des Arbeitgeberwechsels im AÜG (sei) bislang nur vereinzelt etwas umfassender erörtert“ worden (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 256), greift insofern zu kurz und ignoriert offenbar mindestens die detaillierte Bearbeitung Lis zu § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. 786 Vgl. hierzu auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 345 ff. (in Bezug auf §§ 9 Abs. 1 Nr. 1b, 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG); Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 217 f. Im Übrigen fällt auf, dass die Auseinandersetzung mit der Frage, ob der hiesige Regelungskomplex als Umsetzung von Art. 10 RL 2008/ 104/EG zu werten ist und ob hieran anknüpfend unionale oder nationale Grundrechtsgewährleistungen den maßgeblichen Prüfungsmaßstab bilden, vielfach nicht stattfindet und vielmehr unmittelbar anhand der grundgesetzlichen Vorgaben geprüft wird. Vgl. nur: Brors, NZA 2016, 672 ff.; Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 348 ff.; Hennecke, NZA 2016, 1309 (1310 ff.); Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 257 ff.; Martina,

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Erneut stellt sich hierbei die Frage, inwieweit sich die Unwirksamkeitsregelungen hinsichtlich des Leiharbeitsvertrags aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG, die sodann gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu der Fiktion eines Stammarbeitsverhältnisses beim vormaligen Entleihunternehmen führen, im Lichte von Art. 10 RL 2008/104/ EG bewerten lassen. Diese Betrachtung setzt voraus, dass die jeweilig in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Bezug genommenen Verstöße gegen Bestimmungen des AÜG als Umsetzung von Verpflichtungen aus der Leiharbeitsrichtlinie zu betrachten sind. Der in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AÜG mit der Nichtigkeitsfolge hinsichtlich des Leiharbeitsvertrages bedachte erlaubnislose Verleih stellt allerdings eine autonome Entscheidung des nationalen Gesetzgebers dar, die mithin nicht der Umsetzung der Sanktionsvorgabe aus Art. 10 RL 2008/104/EG dient.787 Gleiches gilt für den mit der Novellierung des AÜG im Jahr 2017 eingefügten § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG, der Leiharbeitsverträge für nichtig erklärt, in denen „entgegen § 1 Absatz 1 Satz 5 und 6 die Arbeitnehmerüberlassung nicht ausdrücklich als solche bezeichnet und die Person des Leiharbeitnehmers nicht konkretisiert worden ist“.788 Auch die hierin adressierte verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, bei der ein Leiharbeitnehmer vorgeblich als Erfüllungsgehilfe im Rahmen eines Werk- oder Dienstvertrages tätig wird,789 in Wahrheit aber eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, entspricht keinem Regelungsgebot der Leiharbeitsrichtlinie, sodass auch § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG nicht im Lichte von Art. 10 RL 2008/104/EG zu beurteilen ist. Differenzierter zu betrachten ist demgegenüber § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG, der das Sanktionskorrelat zur Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1 Satz 4, Abs. 1b AÜG enthält. Wird diese überschritten, wird der Leiharbeitsvertrag unwirksam und es entsteht – ohne entsprechende Ausübung der Festhaltenserklärung – ein Stammarbeitsverhältnis zum vormaligen Entleihunternehmen. Dies lenkt erneut den Blick auf das Missbrauchsverbot aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie, aus welchem der EuGH in Verbindung mit der Beschreibung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ aus Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG die Verpflichtung der Mitgliedstaaten herleitete, das nationale Recht so auszugestalten, RdA 2018, 167 (168 ff.); Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff.; Reuter, RdA 2015, 171 (174 ff.); Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 181 ff.; Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 36 ff.; Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 10 Rn. 10; Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 10 f. Demgegenüber jedenfalls knapp auf eine mögliche Überformung durch die Leiharbeitsrichtlinie (Art. 10 RL 2008/104/EG) eingehend: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 1; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 197. Ohne auf die Leiharbeitsrichtlinie einzugehen, neben der verfassungsrechtlichen Prüfung zugleich eine Vereinbarkeit mit unionsrechtlichen Grundrechtsgewährleistungen prüfend: Hirdina, NZA 2011, 325 (326); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (15); Martina, RdA 2018, 167 (168). 787 Ebenso: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 197; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 217. 788 Ebenso: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 217. 789 Sog. Scheinwerkverträge bzw. Scheindienstverträge.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

dass Überlassungen, die länger sind als „was vernünftigerweise als ,vorübergehend‘ betrachtet werden kann“,790 verhindert werden. Wie oben bereits ausführlich dargetan wurde (vgl. S. 153 ff.) geht hiermit kaum mehr als eine deskriptive Zustandsbeschreibung der Arbeitnehmerüberlassung einher – welcher die Mitgliedstaaten allerdings Rechnung zu tragen haben. Da sich dies aber nicht zu einer konkreten materiellen Regelungsvorgabe in Bezug auf die zeitliche Regulierung der Überlassungsepisoden verdichtet, ist die Überlassungshöchstdauer als eine autonome Regelungsentscheidung des nationalen Gesetzgebers zu werten (vgl. etwa S. 489 ff.). Die Überlassungshöchstdauer selbst lässt sich daher nicht als Umsetzung einer etwaigen Richtlinienvorgabe aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG interpretieren. Daher muss spiegelbildlich auch in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG festgestellt werden, dass dieser wiederum nicht als eine Sanktionsbestimmung im Sinne von Art. 10 RL 2008/104/ EG einzuordnen ist. Zu einem anderen Ergebnis scheint diesbezüglich der EuGH in der Rechtssache C-232/20 zu kommen. Auf die Vorlagefrage, ob „für den Leiharbeitnehmer ein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen“ bestehe, wenngleich – unter Rekurs auf die Übergangsvorschrift aus § 19 Abs. 2 AÜG – „das nationale Recht eine solche Sanktion vor dem 1. April 2017 nicht vorsieht“,791 antwortete der EuGH, „dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 dahin auszulegen ist, dass in Ermangelung einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Sanktion für die Nichteinhaltung dieser Richtlinie durch Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen vorsieht, der Leiharbeitnehmer aus dem Unionsrecht kein subjektives Recht auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses mit dem entleihenden Unternehmen ableiten kann.“792

Hiermit betonte der Gerichtshof einerseits den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Implementierung von Sanktionen,793 zugleich aber stellte er eine entsprechende Sanktion auch unmittelbar in Zusammenhang mit der beschriebenen Auslegung des Missbrauchsverbots.794 In einem gewissen Widerspruch zu der zuvor postulierten 790

Vgl. EuGH, Urt. v. 14.10.2020 – C-681/18, NZA 2020, 1463 (1467, Rn. 69); Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (552, Rn. 60). 791 Zu den Vorlagefragen: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (549, Rn. 27). 792 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (555, Rn. 100). Hierbei fällt zudem auf, dass der EuGH die Vorlagefrage – richtigerweise – vor allem auf die Implementierung eines Sanktionsregimes – und damit auf Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie – bezieht, zugleich aber fortwährend explizit nur Art. 10 Abs. 1 RL 2008/104/EG in Bezug nimmt, der gerade keine Sanktionen regelt, der vor allem zur Implementierung geeigneter Verwaltungsund Gerichtsverfahren verpflichtet (vgl. oben S. 202 f.). 793 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (555, Rn. 98). 794 Dies verdeutlicht sich insbesondere daran, dass der EuGH auf einen „Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 5 Satz 1 der Richtlinie 2008/104“ rekurriert, bei der die Überlassung „nicht mehr vorübergehend wäre“. Vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (555, Rn. 97).

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Annahme, dass aus der Richtlinie kein konkreter Handlungsauftrag zur zeitlichen Regulierung der Überlassungsepisoden folge, nimmt der EuGH daher an, dass die entsprechende Sanktion der Überschreitung der Überlassungshöchstdauer im Lichte von Art. 10 RL 2008/104/EG zu sehen sei. Denkt man dies zu Ende, müsste in der Überlassungshöchstdauer denklogisch eine „einzelstaatliche Vorschrift zur Umsetzung dieser Richtlinie“ gem. Art. 10 Abs. 2 Satz 1 RL 2008/104/EG gesehen werden. Dies lässt sich im Hinblick darauf, dass sich die Überlassungshöchstdauer offensichtlich als Umsetzung der Bemühenspflicht (vgl. S. 189 ff.) aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG interpretieren lässt, zwar annehmen. Zugleich reibt sich diese Sichtweise aber mit der daneben vom EuGH vertretenen Interpretation der Richtlinie, nach der diese keine unmittelbare Vorgabe zur zeitlichen Begrenzung der Überlassungen beinhaltet. Folgt man der Sichtweise des EuGH trotz dieser Widersprüche, ist jedenfalls zu konstatieren, dass sich die Sanktion aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG im Rahmen des aufgrund von Art. 10 RL 2008/104/EG Gebotenen bewegt. Eine hinreichend effektive und daher den näheren Anforderungen aus Art. 10 Abs. 2 RL 2008/104/EG genügende Sanktion ist in der mit dem fingierten Übergang eines betroffenen Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG verbundenen Nichtigkeit des Leiharbeitsvertrages in jedem Fall zu sehen.795 Unbeantwortet ist hiermit zwar die Frage, ob Art. 10 RL 2008/104/EG auch andere und im Zweifel mildere Sanktionsmechanismen in Bezug auf die Überschreitung der Überlassungshöchstdauer genügen lassen würde oder ob einzig die vom Gesetzgeber ergriffene Regelungsoption einer Vertragsfiktion den Erfordernissen aus Art. 10 RL 2008/104/EG genügt.796 Dies muss hier allerdings nicht beantwortet werden – zumal der EuGH diesbezüglich offenkundig das mitgliedstaatliche Ermessen betont hat797 und die Vereinbarkeit der Regelung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG mit Art. 10 RL 2008/104/EG in jedem Fall außer Frage steht.798 Einzig in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG stellt sich demgemäß die Frage, ob die dortige Regulierungsentscheidung im Zusammenhang mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG neben den grundgesetzlichen Vorgaben auch anhand der Grundrechtecharta zu überprüfen ist. In Anbetracht der Tatsache, dass die Grundrechtsgewährleistungen 795 I. E. hieran auch nicht zweifelnd: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 346 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 222. 796 Für letzteres: Bartl/Romanowski, NZA 2012, 845 (856); Ulber, AuR 2010, 10 (15). 797 Vgl. EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (555, Rn. 98). 798 Ebenfalls diesbzgl. auf den weiten Umsetzungsspielraum, den die Richtlinie den Mitgliedstaaten bei der Implementierung von Sanktionsmaßnahmen gewährt, verweisend: BAG, Urt. v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196 (199); Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 347 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 346 f.; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, 2011, S. 569 ff.; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 29; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 222.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

der Grundrechtecharta im Vergleich mit den grundgesetzlichen Vorgaben keinen höheren Schutzstandard zu gewähren vermögen, ergibt sich indes auch hierzu, dass der Regelungskomplex insgesamt einzig anhand des nationalen Verfassungsrechts zu überprüfen ist.799 b) Beurteilung anhand grundgesetzlicher Vorgaben In der Folge sind die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in der Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG daher im Lichte der grundgesetzlichen Vorgaben in den Blick zu nehmen. aa) Vereinbarkeit mit der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG Die maßgebliche verfassungsrechtliche Gewährleistung, an welcher der hiesige Regelungskomplex gemessen werden muss, ist die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG. An der Frage, ob diese durch die genannten Regelungen verletzt wird, entzündet sich auch gleichermaßen die Auseinandersetzung um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der mit der Fiktion eines Stammarbeitsverhältnisses verbundenen Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages.800

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So i. E. auch: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 223. A. A. ist demgegenüber offenbar Kottlors, die die hiesige Sanktion an verfassungsrechtlichen und unionsrechtlichen Gewährleistungen überprüft (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 348 ff.; 378 ff.). 800 Aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 12 Abs 1 GG die Verfassungswidrigkeit der Regelungen – insbesondere mit Blick auf die Fiktion aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG – ganz oder teilweise annehmend: Böhm, NZA 2016, 528 (529 ff.); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (15 ff.); Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 257 ff., 300 f.; Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff.; Martina, RdA 2018, 167 (168 ff.); Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 215 ff., 302 f.; Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 36 ff. 80; Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 10 f. Demgegenüber die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen konstatierend: Brors, NZA 2016, 672 (673 f.); Horcher, RdA 2014, 93 (96) Pasch, Die „vorübergehende“ Überlassung von Arbeitnehmern in Deutschland, 2019, S. 219; Reuter, RdA 2015, 171 (174 ff.); Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 181 ff. Jedenfalls verfassungsrechtliche Bedenken äußernd und insbesondere ein Gegenrecht des Leiharbeitsnehmers – wie etwa die Festhaltenserklärung – fordernd: Gregori, Vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung, 2016, S. 348 ff.; Hennecke, NZA 2016, 1309 (1310 ff.); Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 37 ff.; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 152 ff., 213 f., Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 10 Rn. 10; kritisch („erscheint unproportional“) auch: Hirdina, NZA 2011, 325 (330); sowie („geht zu weit“) in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG auch: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 101.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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(1) Eingriff in den Schutzbereich Die Unwirksamkeitsfolge des Leiharbeitsvertrages und die daraus folgende Fiktion eines Übergangs in ein Arbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG greifen zunächst in die von Art. 12 Abs. 1 GG erfasste (siehe S. 229 f.) berufsbezogene Vertragsfreiheit des betroffenen Verleihunternehmens und des entsprechenden Leiharbeitnehmers ein.801 Hierauf folgt der fingierte Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen, der ebenfalls zum einen in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit des betroffenen Leiharbeitnehmers und zum anderen in Bezug auf die entsprechende berufsbezogene Vertragsfreiheit desselben und des Entleihunternehmens einen Eingriff in Art. 12 Abs. 1 GG darstellt.802 Diese Eingriffe erfolgen vermittels § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG auch allesamt durch einen imperativen, finalen und unmittelbar wirkenden Rechtsakt, der die jeweilige grundrechtliche Freiheitsgewährleistung verkürzt, sodass ein Eingriff im klassischen Sinne (siehe hierzu oben S. 231) vorliegt.803 Der Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der betroffenen Leiharbeitnehmer wird allerdings möglicherweise durch die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG vorgesehene und in § 9 Abs. 2 und Abs. 3 AÜG näher präzisierte Festhaltenserklärung kompensiert, sodass im Ergebnis keine grundrechtlich relevante Beeinträchtigung vorliegt. Schließlich kann ein Leiharbeitnehmer, der kein Interesse daran hat, in ein Stammarbeitsverhältnis beim Entleihunternehmen überzugehen, durch die Abgabe dieser Erklärung die Unwirksamkeitsfolge aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG und so auch die Fiktion aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG verhindern. Die Festhaltenserklärung kann den betreffenden Eingriff indes nur kompensieren, wenn sie der grundrechtlichen Position der entsprechenden Leiharbeitnehmer ihrerseits in verfassungskonformer Art und Weise Rechnung trägt.804 Hierauf soll aber erst an 801 Siehe hierzu auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 350 f., 365 f.; Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 258 f.; Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff.; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 152 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 224 ff. 802 Vgl. hierzu und zur Nähe der Fiktion zu den Kontrahierungszwängen, die (erzwungene) Willenserklärungen voraussetzen: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 155; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 229. 803 Vgl. auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 351; 369. A. A. ist demgegenüber Li, welche die Finalität des Eingriffs in Bezug auf die Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer ablehnt, da die Fiktionsregelung keinen Eingriff in deren Grundrechte bezwecke (vgl. Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 163 f.). Dem muss entgegengehalten werden, dass der bezweckte Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis gerade (final) gewollt ist und dies zwingend voraussetzt, dass der Leiharbeitnehmer hierüber nicht selbstbestimmt entscheiden kann. Ähnlich kritisch daher auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 369. 804 Vgl. auch: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 261.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

späterer Stelle eingegangen werden. Schließlich lohnt sich zunächst die Überlegung, ob der fingierte Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis bereits selbst – ohne eine kompensierende Abmilderung durch das Festhaltensrecht – verfassungskonform ist. In diesem Fall wäre eine Festhaltenserklärung nicht verfassungsrechtlich geboten – was einer Normierung derselben freilich nicht entgegenstehen würde. (2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Festzuhalten ist an dieser Stelle zunächst, dass die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG einerseits in die Berufsfreiheit der Verleih- und der Entleihunternehmen und andererseits in die Berufsfreiheit einzelner Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen und dass dies eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung erfordert. (a) Legitimer Zweck: Sanktionsregelung und zugleich Regelung zur Forcierung des (Leih-)Arbeitnehmerschutzes In Bezug auf den Maßstab dieser Rechtfertigung steht hierbei zunächst die Frage nach der Einordnung der jeweiligen Eingriffe anhand der bekannten Drei-StufenTheorie (siehe hierzu S. 237 ff.) im Raum. Die Eingriffe in die Berufsfreiheit der Verleihunternehmen durch einerseits die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und in die Berufsfreiheit der Entleihunternehmen durch die Vertragsfiktion sind zunächst als Berufsausübungsregelungen zu qualifizieren, da hier lediglich Modalitäten der unternehmerischen Betätigung betroffen sind.805 Schwieriger ist demgegenüber die Betrachtung der Eingriffsschwere in Bezug auf die durch die Fiktion aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG betroffene Arbeitsplatzwahlfreiheit der Leiharbeitnehmer. Hierbei ist zunächst zu beachten, dass sich die bekannte Stufenzuordnung nicht gänzlich auf einen Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit übertragen lässt. Die Drei-Stufen-Theorie ist schließlich originär zur Unterscheidung von Berufsausübungs- und Berufswahlregelungen erdacht worden, während die Arbeitsplatzwahlfreiheit eine demgegenüber eigene Gewährleistung darstellt, die der Berufswahl nachgeordnet ist (vgl. oben S. 229 ff.). Gleichwohl lassen sich die der Drei-StufenTheorie innewohnenden Unterscheidungskriterien auch dergestalt auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit übertragen, als dass Eingriffe in diese ebenfalls gewichtigere Rechtfertigungszwecke erforderlich machen, wenn sie einer subjektiven oder objektiven Berufswahlregelung nahekommen.806 Dies voraussetzend, lässt sich einer805

So auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 353; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 184 (in Bezug auf die Berufsfreiheit des Entleihers). 806 Diese dogmatische Frage offen lassend, in einem gesetzlichen Arbeitgeberwechsel aber – einem Eingriff auf erster Stufe entsprechend – eine Regelung zur Abwehr einer Gefahr für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut erkennend: BVerfGE 84, 133 (151). Hierauf Bezug nehmend und daher § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F. hinsichtlich der Eingriffsintensität auf einer Stufe mit einer objektiven Berufswahlregelung einordnend: LAG Hessen, Urt. v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, NZA RR 2002, 73 (76). Siehe auch: Kruppa, Die Festhaltenser-

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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seits vertreten, dass die hier in Rede stehenden Regelungen in Anbetracht der Tatsache, dass dem einzelnen Leiharbeitnehmer zum einen der Wechsel in ein Stammarbeitsverhältnis aufgezwungen wird und sich der Eintritt der auslösenden Unwirksamkeitsregelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG zum anderen auch regelmäßig seinem Einfluss entzieht, mit einer objektiven Berufszulassungsregelung vergleichbar seien.807 Genauso lässt sich aber andererseits auch im Hinblick auf den Umstand, dass der Beruf des Leiharbeitnehmers durch die Unwirksamkeitsund Fiktionsregelungen dem einzelnen betroffenen Grundrechtsträger nicht verwehrt werde, ein Eingriff im Sinne einer Berufsausübungsregelung annehmen.808 Der letztgenannte argumentative Ansatz kondensiert die Einordnung von Eingriffen in die Arbeitsplatzwahlfreiheit anhand der Drei-Stufen-Theorie vor allem auf die Frage, inwieweit ein solcher Eingriff nicht nur die Arbeitsplatz- sondern zugleich auch die Berufswahlfreiheit beeinträchtigt. Eine solche Eingriffsdopplung steht hier nicht in Rede. Ein betroffener Arbeitnehmer, der eine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer bevorzugt, kann sich von einem aufgrund von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG begründeten Arbeitsverhältnis lösen und seine Tätigkeit als Leiharbeitnehmer wieder aufnehmen,809 sodass unter diesem Gesichtspunkt der Vergleich mit einer subjektiven oder objektiven Berufswahlregelung fehl ginge. Eine Entscheidung darüber, auf welcher Eingriffsstufe die hier in Rede stehenden Regelungen anzusiedeln sind, kann allerdings dahinstehen,810 wenn die dem fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis innewohnenden Zwecke bereits den Anforderungen an eine objektive Berufswahlregelung genügen. Dies setzt voraus, dass die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dienen. Allen drei Unwirksamkeitsregelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG ist in Verbindung mit der Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zunächst die Intention gemeinsam, eine wirksame Sanktion zu schaffen, um einerseits die von der Nichtigkeitsfolge betroffenen Verleihunternehmen und die von der Fiktionsregelung betroffenen Entleihunternehmen dazu zu bewegen, die jeweiligen Vorschriften des klärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 271. 807 So etwa i. E.: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 272 f.; Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 49 ff., 60; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 234 f., 262, 273. 808 So bei: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 369 f.; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 184. 809 Vgl. zu den entsprechenden Möglichkeiten, sich vom Vertrag zu lösen: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 10 Rn. 129 ff. 810 Die Einordnung der Eingriffsschwere anhand der Drei-Stufen-Theorie aufgrund ähnlicher Abgrenzungsschwierigkeiten und vor allem mit dem schlichten Hinweis darauf, dass diese nur eine schematische Grobrasterung darstelle, offenlassend: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 90 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

AÜG einzuhalten.811 Hinzu kommen andererseits die spezifischen Sachinteressen, die mit der durch die Unwirksamkeitsfolge in Bezug genommenen Regelungen verfolgt und demgemäß forciert werden sollen. Hinsichtlich des durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG sanktionierten erlaubnislosen Verleihs bezieht sich dies auf die bereits oben im Rahmen der Untersuchung der Erlaubnispflicht diskutierten Beweggründe des Leiharbeitnehmerschutzes (vgl. dazu S. 351 ff.). Durch die Adressierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung in § 9 Abs. 1 Nr. 1a in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG wird demgegenüber angestrebt, Konstellationen zu verhindern, in denen Leiharbeitnehmer entgegen § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG im Rahmen eines bloß formal als Werkvertrag bezeichneten Vertrages überlassen werden und das Verleihunternehmen eine Verleiherlaubnis vorrätig hält, um für den Fall der Aufdeckung die im AÜG vorgesehenen Rechtsfolgen einer illegalen Überlassung zu umgehen.812 Für die Leiharbeitnehmer geht hiermit zugleich das Risiko einher, dass die leiharbeitnehmerschützenden Vorschriften des AÜG nicht eingehalten werden.813 Um derartige Konstellationen ebenso zu verhindern, wie diejenigen, in denen von vornherein unerlaubt Arbeitnehmerüberlassung betrieben wird, schafft die drohende Unwirksamkeit und die ggf. folgende Fiktionsregelung einen Anlass, von derartigen Umgehungstrategien verdeckter Arbeitnehmerüberlassung Abstand zu nehmen.814 Die Regelung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zielt hingegen darauf ab, die mit der Überlassungshöchstdauer verfolgte Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ (vgl. hierzu tiefergehend S. 501 ff.) zu forcieren, indem die hierbei bezweckte Stärkung des integrativen Effekts der Arbeitnehmerüberlassung herbeigeführt wird.815 811 Dies gilt für § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 (vgl. BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13) ebenso wie für die im Jahr 2017 eingefügten § 9 Abs. 1 Nr. 1a und 1b AÜG (vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25). Hierzu auch: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 295 f., Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 238, 263, 273 f. Zu § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 354 f. In ähnlicher Weise den „sozialen Schutz des Leiharbeitnehmers“ und eine Kontroll- und Selbstregulierungsfunktion“ als Regulierungszwecke identifizierend: Urban-Crell, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/ Hurst, AÜG, 2017, § 10 Rn. 2. 812 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25. Siehe auch: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 275 f. 813 Vgl. BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 14. 814 Vgl. auch die Darstellung bei: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 275 f., 295 f. 815 So explizit die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 26. Wie hier: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 354 f. Allerdings verkennt Kottlors, dass mit dieser Zielrichtung auch zugleich (mittelbar) ein Schutz der Stammarbeitnehmer vor Substitution einhergeht (vgl. Kottlors, ebd., S. 359). Den Stammarbeitnehmerschutz demgegenüber überbetonend: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 281 („Es kommt der Regelung vorrangig nur auf die Steuerung und Schaffung

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In der Konsequenz dienen die Unwirksamkeitsregelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit der Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG damit dem Ziel, vermittels einer wirksamen Sanktion einen Anreiz zur Einhaltung der entsprechenden Regelungen des AÜG zu etablieren und hierdurch die hinter den jeweilig in Bezug genommenen Regelungen stehenden Sachinteressen zu stärken. Daneben forciert die Fiktionsanordnung auch aus sich heraus bereits stets den genannten Integrationseffekt der Arbeitnehmerüberlassung.816 Im Fall von § 9 Abs. 1 Nr. 1b in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fallen hierbei sowohl das Sachinteresse der in Bezug genommenen Überlassungshöchstdauer als auch das Ziel der Fiktionsregelung zusammen, indem beide auf die Forcierung von Integrationseffekten und damit spiegelbildlich auch auf den Schutz der Stammbelegschaften vor Substitutionseffekten abzielen. Gemein ist all diesen Regelungszielen damit, dass sie auf den Leiharbeitnehmerschutz abzielen. Dass dieser in jeder der genannten Facetten ein durch den allgemeinen sozialstaatlichen Schutzauftrag zugunsten strukturell unterlegener Arbeitnehmergruppen (vgl. hierzu S. 301 ff.) bedingtes und überragend wichtiges Gemeinschaftsgut darstellt,817 dürfte hinreichend deutlich geworden sein. Ferner ist es auch nicht von der Hand zu weisen, dass sowohl ein erlaubnisloser Verleih, als auch die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung und etwaige Überschreitungen der Überlassungshöchstdauer jeweils reale Gefahren darstellen, die gesetzgeberisch zu adressieren sind. Folglich dienen die in Rede stehenden Regulierungsentscheidungen allesamt der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, sodass ein legitimer Zweck vorliegt.818

eines sozialen Arbeitsmarkts mit Blick ausschließlich auf die Stammbelegschaften sowie den Schutz derselben an.“). 816 Sofern man es als zulässig erachtet, das Auffangen der Folgen, die aus der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages resultieren, vermittels der Fiktionsregelung als rechtfertigendes Argument für deren Normierung in Anschlag zu bringen, so lässt sich als legitimer Zweck hier auch die Überführung des Leiharbeitnehmers in ein wirksames Arbeitsverhältnis mit einem zuverlässigen Schuldner anführen. Vgl. etwa dergestalt: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 295; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 165 f. Ähnlich: Mengel, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 10 Rn. 2. 817 So i. E. auch Kruppa und Stepien, welche die Regelungen auf Ebene einer objektiven Berufswahlregelung ansiedeln. Vgl. im Einzelnen: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 274 ff.; 295 f.; sowie (wenngleich kritisch) Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 238 ff., 264 f., 273 ff. 818 Einen legitimen Zweck im Lichte eines Eingriffs auf erster Stufe erkennen auch an: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 354 f., 369 f.; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 165 ff.; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 185.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

(b) Geeignetheit: Förderung des Sanktionszwecks und des (Leih-) Arbeitnehmerschutzes? Die entsprechenden Zwecke müssten durch das Zusammenspiel aus Unwirksamkeits- und Fiktionsregelung nun auch gefördert werden. Die hierbei erforderliche Zweckförderung wird man den Regelungen nicht absprechen können. So trägt die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrags beim erlaubnislosen Verleih gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AÜG dazu bei, dass der Leiharbeitnehmer – mangels wirksamer Leistungsverpflichtung – nicht illegal überlassen werden kann, während die Sanktionsdrohung zugleich einen Anreiz schafft, die Erlaubnis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG einzuholen.819 Gleichsam vermag auch die Unwirksamkeitsregelung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG der mit der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung einhergehenden Gefahr, dass dem Leiharbeitnehmer spezifische Schutzrechte des AÜG – etwa die Gleichbehandlung – vorenthalten werden, wirksam zu begegnen.820 Beide Regulierungsentscheidungen dienen daher den jeweils in den Blick genommen Facetten des Leiharbeitnehmerschutzes in Bezug auf unzuverlässige und gesetzliche Vorschriften missachtende Verleihunternehmen. Die hiermit verbundene Fiktion aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG intensiviert die entsprechende Sanktionswirkung und forciert zugleich einen weiteren Aspekt des Leiharbeitnehmerschutzes:821 Die Förderung des integrativen Effektes der Arbeitnehmerüberlassung.822 Dem lässt sich auch nicht entgegen, dass der mit der Fiktionsregelung einhergehende Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis zuweilen zu einem Weniger an Leiharbeitnehmerschutz führe. Zwar ist der Beobachtung sachlich richtig, dass sich das vormalige Entleihunternehmen von einem durch § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG „gewonnenen“ Arbeitnehmer womöglich per Kündigung entledigt und sich der erwünschte integrative Effekt daher ins Gegenteil verkehrt.823 An der generellen 819 Vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 276; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 244 f. 820 Vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 277, wenngleich hier zugleich darauf hingewiesen wird, dass allein die Unwirksamkeit dem Leiharbeitnehmer nicht dazu verhilft, festzustellen, welche Rechte zu seinen Ungunsten missachtet wurden. Siehe ferner: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 265 f. 821 Knapp hierzu: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 185. 822 In Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ebenfalls die Forcierung der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf die „Kernfunktion“ – und so die Förderung des Integrationseffekts – betonend: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 265. Unter anderen Vorzeichen – namentlich als Kompensation der Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages – die Geeignetheit bejahend: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 296; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 167. 823 So etwa die Argumentation bei: Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 64 f. Zur Kündi-

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Eignung der Fiktionsregelung ändert der Verweis auf derart entgegenstehende Einzelfälle indes nichts.824 Genau so wenig kann gegen die Förderung des Leiharbeitnehmerschutzes durch die Adressierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung in § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG argumentiert werden, dass in diesen Konstellationen im Regelfall eine rechtmäßig erteilte Erlaubnis gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG vorgehalten werde, welche die Zuverlässigkeit des Verleihunternehmens darlege.825 Schließlich wird man zumindest in dem durch die Sanktionierung der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung herbeigeführten erhöhten Überwachungsdruck in Bezug auf die Einhaltung der Erlaubnispflicht und der damit verbundenen Zuverlässigkeit der Verleihunternehmen eine Förderung der genannten Ziele erblicken können.826 Auch die Sanktionierung einer Überschreitung der Überlassungshöchstdauer in § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG fördert unzweifelhaft den Leiharbeitnehmerschutz. Dies geschieht zum einen durch die mit der entsprechenden Sanktion gesteigerte Adhärenz der Verleihunternehmen hinsichtlich der Überlassungshöchstdauer und zum anderen durch die in § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG herbeigeführte Integration in reguläre Arbeit.827 Insgesamt sind die hiesigen Regulierungsschritte daher in Bezug auf die gesetzgeberischen Zwecke geeignet. (c) Erforderlichkeit: Mildere und gleich geeignete alternative Regelungskonzepte? Es fragt sich daher in der Folge, ob die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG darüber hinaus dem Grundsatz der Erforderlichkeit standhalten. Mildere alternative Regelungskonzepte, die zugungsmöglichkeit, bei der die Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG regelmäßig noch nicht erfüllt sein dürfte: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 10 Rn. 125. 824 So i. E. auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 370; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 245. 825 So aber etwa: Franzen, RdA 2015, 141 (145); Henssler, RdA 2016, 18 (23). Ähnliche verfassungsrechtliche Kritik erhebend: Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (15 f.); Willemsen/ Mehrens, NZA 2015, 897 (901). 826 Dies ebenfalls genügen lassend: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 266 f. Wer die verfassungsrechtliche Geeignetheit der Vertragsfiktion demgegenüber jedenfalls für Fälle ablehnt, in denen ein Leiharbeitnehmer mittels eines Scheinwerk- oder Dienstvertrages überlassen worden ist, die Schutzvorschriften des AÜG aber eingehalten wurden und beim Verleihunternehmen ein entsprechender Arbeitsplatz vorhanden ist, kann die Vertragsfiktion aus § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG vermittels einer teleologischen Reduktion verfassungskonform auslegen (vgl. etwa: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 47 ff., 86). 827 Auch diesbzgl. kann der Zweckerreichung der Einwand, dass sich der verfolgte Integrationseffekt im Einzelfall ins Gegenteil verkehren mag (dergestalt zu § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG a. F.: Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 64 f.), nicht entgegengehalten werden (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 356, 370; Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 185, Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 277).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

gleich hinsichtlich der verschiedenen Facetten der genannten Regulierungszwecke gleich geeignet sind, lassen sich jedoch nicht ausmachen. Schließlich verfolgt der Gesetzgeber mit der Kombination aus der Unwirksamkeitsfolge aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG und der Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zum einen eine Sanktionierung unrechtmäßigen Verhaltens und die damit verbundene Prävention hinsichtlich der sanktionierten Verstöße gegen die in Bezug genommenen Sachregelungen. Zum anderen aber wird auch das daneben stehende Ziel der Förderung des integrativen Effekts der Arbeitnehmerüberlassung anvisiert.828 Wenn daher zuweilen behauptet wird, dass der Sanktionsintention gleichsam Genüge getan wäre, wenn der Bußgeldrahmen in Bezug auf die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG geregelten Rechtsverstöße erhöht und zugleich ein Entzug der Verleiherlaubnis aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG als alternative Sanktion etabliert würde,829 so geht dies an der dualen Regelungsintention der in Rede stehenden Regulierungsentscheidung vorbei. Freilich ist der Gesetzgeber in Bezug auf die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG genannten Rechtsverstöße zugleich auch den Weg gegangen, diese mit einem Bußgeld zu sanktionieren (§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1c, 1d, 1e AÜG) und sie in die Zuverlässigkeitsprüfung im Rahmen der Erlaubniserteilung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG) miteinzubeziehen.830 Dies dient allerdings nur dem erstgenannten Regelungsinteresse – der Sanktionierung der genannten Rechtsverstöße. Spätestens die mit der Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG verfolgte Steigerung des Integrationseffektes wird hiermit aber nicht gefördert,831 sodass auch eine Intensivierung dieser Sanktionsmechanismen als Alternativkonzept nicht gleichsam förderlich

828 In Bezug auf das letztere Regelungsziel eine außerordentliche Lösungsmöglichkeit verbunden mit einem Einstellungsanspruch ggü. dem Entleihunternehmen als Alternative zur Vertragsfiktion diskutierend aber im Rahmen der Erforderlichkeit ablehnend: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 247. 829 In diese Richtung: Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (15); Martina, RdA 2018, 167 (168); Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 101. 830 Eine wiederholte Nichteinhaltung der Überlassungshöchstdauer etwa führt im Regelfall zur Versagung der Erlaubnis. Vgl. hierzu: Bundesagentur für Arbeit, Fachliche Weisungen AÜG, Ziff. 3.1 Abs. 3, Ziff. 3.1.3 Abs. 1, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/ fw-aueg_ba016586.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Vgl. auch zur Berücksichtigung von Verstößen gegen die Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht aus § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG im Rahmen von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AÜG: ebd., Ziff. 1.1.6.7 Abs. 5. 831 So müssen auch die Ausführungen der Gesetzesbegründung verstanden werden. Siehe hierzu: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25 („Die Nichtigkeit des Vertrages als Rechtsfolge ist erforderlich […]. Durch Bußgeldbewehrung kann keine Zuordnung des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher erfolgen […].). Die hierin zum Ausdruck kommende Differenzierung zwischen dem Sanktionsgedanken und der Forcierung des Integrationseffekts verkennt hingegen Kruppa, die moniert, der Gesetzgeber hätte dartun müssen, warum es der „Zuordnung des Arbeitsverhältnisses zum Entleiher“ neben der Sanktionierung durch ein Bußgeld bedarf (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 278). Ähnlich kritisch: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 188.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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wäre.832 Das legitime gesetzgeberische Interesse, mittels der Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG über Sanktions- und Präventionsgedanken hinaus auch die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zu forcieren, wird auch dort verkannt, wo behauptet wird, die dortigen Regelungen seien vor dem Hintergrund der bestehenden Sanktionsregime zum Leiharbeitnehmerschutz nicht geboten, da eine Überschreitung der Überlassungshöchstdauer für den Leiharbeitnehmer nur eine Weiterbeschäftigung unter Geltung des „Equal Pay“-Grundsatzes bedeute und ihn daher nicht belaste.833 Diesbezüglich ist bereits dargetan worden, dass zwischen dem Interesse an einer finanziellen Gleichstellung der Leiharbeitnehmer und der Forcierung des Integrationseffektes der Arbeitnehmerüberlassung funktional zu unterscheiden ist (vgl. etwa S. 501 ff.). In den Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG – und insbesondere in § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG – kommt die letztere Schutzfunktion zum Tragen, sodass der Umstand, dass hierdurch das finanzielle Schutzinteresse nicht gefördert werde, verfassungsrechtlich nicht entgegengehalten werden kann.834 Aus demselben Grund sind auch die zum Teil diskutierten zivilrechtlichen Regelungsalternativen zur Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG835 wie etwa eine gesamtschuldnerische Haftung von Entleih- und Verleihunternehmen oder eine Haftung des Entleihunternehmens in Form einer Bürgschaft nicht gleich geeignet in Bezug auf das gesetzgeberische Ziel, vermittels der hier diskutierten Regelungen

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Hinzu kommt, dass sich bereits bezweifeln lässt, ob eine Erhöhung des Bußgeldrahmens oder ein Entzug der Verleiherlaubnis etwa bei Überschreiten der Überlassungshöchstdauer überhaupt eine mildere Eingriffswirkung erzielen würden. Jedenfalls aber wäre eine hiermit einhergehende alleinige Sanktionierung des Verleihunternehmens hinsichtlich des Sanktions- und Präventionsgedankens auch nicht gleichsam geeignet, da diese nur das Verleih- und nicht darüber hinaus auch das Entleihunternehmen treffen würden (vgl. hierzu: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 357 f.). Demgegenüber darauf verweisend, dass die Fiktionsregelung eine intensivere Sanktions- und Präventionswirkung entfalte: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 279; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 168. Ähnlich: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 247 f. 833 So etwa: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 101. In diese Richtung auch darauf verweisend, dass die übrigen Regelungsmechanismen (etwa § 8 AÜG) einen ausreichenden Schutzrahmen zugunsten der Leiharbeitnehmer beinhalten, sodass die hiesigen Regelungen nicht erforderlich seien: Martina, RdA 2018, 167 (169); Tuengerthal/Geißer/ Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 66 ff. 834 So i. E. auch Kottlors, nach der „ein monetärer Ansatz allein nicht ausreichend (ist), um in Bezug auf die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer angemessene Verhältnisse zu schaffen“ (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 359). 835 Vgl. hierzu insbesondere: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 186; sowie auch: Hamann, NZA 2015, 904 (908 f.).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

einen Beitrag zur Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ zu leisten.836 Mithin sind diese Regelungen auch erforderlich.837 (d) Angemessenheit: Konflikt zwischen sozialstaatlich aufgeladenen Schutzinteressen und liberaler Berufsfreiheit In Frage steht damit nur noch die Angemessenheit. Abzuwägen sind die legitimen regulatorischen Interessen hierbei zunächst mit der betroffenen Berufsfreiheit der Verleih- und Entleihunternehmen. In Bezug auf die Schwere der in Rede stehenden Grundrechtseingriffe ist festzustellen, dass zum einen der Verlust des Leiharbeitsvertrags für das betroffene Verleihunternehmen gem. § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG und zum anderen die gesetzliche Fiktion aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für das Entleihunternehmen erhebliche Grundrechtseingriffe darstellen. Die verfolgten Sanktionsziele und das übergeordnete Interesse, Leiharbeitnehmer in das als vorteilhaft bewertete Normalarbeitsverhältnis zu überführen, vermögen diese Eingriffswirkungen allerdings aufzuwiegen. Bereits dem letzteren Beweggrund – der in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG zugleich mit der Verstärkung der Regelungswirkung der Überlassungshöchstdauer kulminiert – kommt als gewichtigem und sozialstaatlich unterfüttertem Beweggrund ein hohes Rechtfertigungspotenzial zu.838 Vor dem Hintergrund dieser abstrakten Wertung kann der gegenüber der Regelungsentscheidung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG vorgebrachte Einwand, dass die hieraus entstehende erhebliche Eingriffswirkung das regulative Ziel überwiege und daher unverhältnismäßig sei,839 nicht überzeugen. Vorgebracht wird hierbei, dass ein Verleihunternehmen, das die Überlassungshöchstdauer überschreitet, – im Gegensatz zum in § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 AÜG adressierten erlaubnislosen Verleih – eine legale Beschäftigungsmög836 So auch schon früh die Skepsis des Gesetzgebers ggü. derartigen Alternativen. Nachzulesen bei: BT-Drs. 6/2303 v. 7. 8. 1972, S. 13 („Diese Regelung bietet dem Leiharbeitnehmer einen stärkeren Schutz als etwa eine subsidiäre Haftung des Entleihers für die Erfüllung der Pflichten des Verleihers gegenüber dem Leiharbeitnehmer.“). Dies so deutend, dass die Fiktionsregelung den Leiharbeitnehmer besser schütze, da das Verleihunternehmen aufgrund des entsprechenden Rechtsverstoßes automatisch in Bezug auf die Erfüllung der Arbeitgeberpflichten unzuverlässig sei: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 297; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 168. I. E. wie hier: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 358 f. 837 A. A. ist demgegenüber Stepien, der in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1a, 1b AÜG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG in einer widerlegbaren Vermutung einer Arbeitsvermittlung oder der Gewährung eines Einstellungsanspruchs ggü. dem Entleihunternehmen eine gleich geeignete und mildere Regelungsalternative sieht, da hieraus nicht automatisch der Verlust des Arbeitsverhältnisses folge (vgl. Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 268, 278). Auch die Festhaltenserklärung führt aber dazu, dass dies nicht eintritt. 838 Wie hier: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 362. Dies verkennend und auf den übrigen, vermeintlich ausreichenden Schutzrahmen der Leiharbeitnehmer (etwa § 8 AÜG) verweisend: Martina, RdA 2018, 167 (169). 839 Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 4a, 101.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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lichkeit für den Leiharbeitnehmer bereithalte.840 Zum einen ist dies schon deshalb zu bezweifeln, weil bereits die Sanktionierung eines (wiederholten) Verstoßes gegen die Überlassungshöchstdauer zur Versagung oder zum Entzug der Erlaubnis aus § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG führen kann – in Folge derer die Überführung des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen ohnehin angezeigt ist.841 Zum anderen aber vermag bereits die Überlegung, dass eine Überschreitung der Überlassungshöchstdauer nahelegt, dass das betreffende Entleihunternehmen von der Arbeitnehmerüberlassung in der berechtigterweise zu verhindernden aktiven Nutzungsstrategie Gebrauch macht, die Unwirksamkeits- und Fiktionsfolge aus § 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu rechtfertigen.842 Für die Angemessenheit der Regelungen spricht nicht zuletzt auch die Vermeidbarkeit des Grundrechtseingriffs zulasten der Verleih- und Entleihunternehmen.843 Sowohl das Verleihunternehmen hat – will es die Unwirksamkeitsfolge aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG vermeiden – ein Interesse daran, nicht gegen die dort in Bezug genommenen Regelungen zu verstoßen. Das gleiche trifft auch auf das Entleihunternehmen zu, das durch die Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG in die Rechtsfolgenseite entsprechender Gesetzesverstöße miteinbezogen wird und gleichsam ein Interesse hat, die Vermeidung von Rechtsverstößen kontrollierend abzusichern.844 In der Summe ist der Eingriff in die Berufsfreiheit der Verleih- und Entleihunternehmen daher angemessen. (aa) Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer versus sozialstaatlich motivierter Leiharbeitnehmerschutz? Es ist jedoch nicht diese potenzielle Verletzung der grundrechtlichen Position der durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG beeinträchtigten Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen, die zur Begründung der zum Teil behaupteten Verfassungswidrigkeit der dortigen Regelungen 840

Vgl. Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 4a, 101. Siehe § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 5 Abs. 1 Nr. 3 AÜG. Vgl. hierzu auch: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 362. 842 Ähnlich argumentiert auch Kottlors, die einem solchen unternehmerischen Verhalten, bei dem sich das Entleihunternehmen „wie ein Arbeitgeber der Arbeitskraft eines Leiharbeitnehmers (bedient), ohne die mit dieser Dispositionsbefugnis typischerweise einhergehenden arbeitgeberseitigen Pflichten einzugehen“ die Schutzwürdigkeit dieses Flexibilisierungsinteresses abspricht (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 362). Unklar ist allerdings, ob Kottlors meint, dass eine solche Nutzungsstrategie zwar grundrechtlich geschützt, aber der Sache nach nicht schützenswert ist. Einer als sozialschädlich empfundenen unternehmerischen Entscheidung den Grundrechtsschutz völlig abzusprechen, wäre schließlich unvertretbar (vgl. oben S. 229 f.). 843 Vgl. hierzu: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 187, 189. Zustimmend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 360. 844 Vgl. Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 283. 841

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vorgetragen werden. Vielmehr wird hierfür in erster Linie die abwehrrechtliche Position der vom fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis betroffenen Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG ins Feld geführt.845 Die hierbei im Wesentlichen ausschlaggebende Argumentation ist so simpel wie zutreffend. Für diejenigen Leiharbeitnehmern, die bereits grundsätzlich ein Leiharbeitsverhältnis aufgrund seiner Spezifika präferieren (hierzu oben S. 98) sowie für diejenigen, die zwar Integrationseffekte erhoffen, aufgrund von situativen Besonderheiten einen Wechsel zum konkreten Entleihunternehmen nicht wünschen,846 stellt der fingierte Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis einen drastischen Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit dar.847 Die Schwere des hiermit einhergehenden Eingriffs begründet sich zum einen aus dem hohen persönlichen Identifikationswert des eingeschlagenen Berufswegs und demgemäß den Querverbindungen der Berufsfreiheit zu den Gewährleistungsbereichen anderer grundrechtlicher Garantien.848 Abgesehen von dieser dogmatischen Einordnung spricht zum anderen auch der Umstand, dass der Eintritt der Unwirksamkeitsfolgen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG, der sodann den fingierten Übergang gem. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG auslöst, für betroffene Leiharbeitnehmer teilweise schwerlich vorherzusehen und daher kaum zu beeinflussen ist, für einen schweren Grundrechtseingriff.849 Dieser erfordert 845 So die ausdrückliche oder implizite verfassungsrechtliche Fokussierung bei: Kainer/ Schweipert, NZA 2017, 13 (15 ff.); Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 257 ff., 300 f.; Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 37 f.; Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 81 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 215 ff., 302 f.; Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 46 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 10 f. Demgegenüber insgesamt von der „Vertragsfreiheit der Beteiligten“ sprechend: Böhm, NZA 2016, 528 (529 ff.). Die „unternehmerische Freiheit des Entleihers“ in Bezug nehmend: Martina, RdA 2018, 167 (168 ff.). 846 Denkbar sind etwa Konstellationen, in denen sich das vormalige Entleihunternehmen in einer wirtschaftlichen Krise befindet und hinzukommt, dass der Schwellenwert aus § 23 Abs. 1 KSchG dort nicht erreicht wird und daher eine erhöhte Kündigungsgefahr besteht. Vgl. hierzu weiterführend: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25; Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 38; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 377; Wank, RdA 2017, 100 (113). 847 Vgl. auch die Feststellungen zur Schwere des Eingriffs bei: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 371 f.; Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 271 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 255, 270, 280. 848 Vgl. insofern allgemein zum Zusammenhang des Berufes mit der Selbstverwirklichung des Arbeitnehmers, seiner Stellung in der Gesellschaft und seiner Identitätsbildung, die es erfordert, diese Wirkkomponenten bei Eingriffen in das Grundrecht stets mitzudenken: BVerfGE 59, 302 (315); 100, 271 (284). Siehe auch im hiesigen Kontext zu diesen Ausstrahlungswirkungen eines Arbeitsplatzverlustes auf das wirtschaftliche, persönliche und soziale Leben des betroffenen Leiharbeitnehmers: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 254 f., 270, 280. 849 Insbesondere die Feststellung, ob es sich i. S. v. § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG um verdeckte Arbeitnehmerüberlassung handelt, dürfte einem betroffenen Leiharbeitnehmer schwerfallen

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demgemäß, dass die vom Gesetzgeber mit diesen Regulierungsentscheidungen verfolgten Sanktionszwecke und der vor allem im Lichte der Forcierung der „Kernfunktion“ der Arbeitnehmerüberlassung zu interpretierende Leiharbeitnehmerschutz einen entsprechend gewichtigen Gegenpol darstellen. Ferner müssen die Regelungen – da hiermit der sozialstaatliche Gestaltungsauftrag verfolgt wird – im Wege praktischer Konkordanz eine kompromisshafte Lösung darstellen, die keiner der sich gegenüberstehenden grundrechtlichen Positionen unter Missachtung der gegenüberliegenden den Vorrang gewährt.850 In der Folge spitzt sich der grundrechtliche Konflikt hier daher auf eine verfassungsrechtliche Konstellation zu, in der die Berufsfreiheit mancher Leiharbeitnehmer dem sozialstaatlich geprägten Schutz anderer Leiharbeitnehmer gegenübersteht. Dies allein ist indes nichts Ungewöhnliches. Es ist dem Arbeitsrecht immanent, dass arbeitnehmerbezogene Schutzgesetze mit den von grundrechtlicher Freiheit im Sinne der Abwehrrechtsfunktion getragenen Interessen solcher Arbeitnehmer konfligieren, auf welche die mit diesen Schutzgesetzen notwendigerweise einhergehende Typisierung nicht zutrifft.851 In dieser Art und Weise ist auch die hier in Rede stehende Situation zu verstehen. Der Gesetzgeber verhilft denjenigen Leiharbeit(vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 288, Ulrici, NZA 2015, 456 [457]). Zwar lässt sich in Bezug auf § 9 Abs. 1 Nr. 1 AÜG einwenden, dass sich der Leiharbeitnehmer nur darüber zu informieren braucht, ob eine Verleiherlaubnis vorliegt (so die Argumentation bei: Seier, Das fingierte Arbeitsverhältnis nach § 10 Abs. 1 AÜG, 2017, S. 187). Wenn dieser allerdings davon ausgeht, dass etwa (womöglich gar aufgrund von Täuschung) im konkreten Einzelfall einen Werkvertrag mit dem Entleihunternehmen annimmt, dürfte dazu keine Veranlassung bestehen (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 284). Ähnliches lässt sich für eine mögliche Überschreitung der Überlassungshöchstdauer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG) annehmen. Der Leiharbeitnehmer kann hier zwar den Grundrechtseingriff abwenden, indem er vor Überschreitung der Überlassungshöchstdauer die Fortsetzung der Tätigkeit verweigert (vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 367). Allerdings darf der Leiharbeitnehmer bereits deshalb, weil eine solche Weigerung – ggf. wenn das Verleihunternehmen der Meinung ist, die Höchstdauer sei noch nicht überschritten – eine Kündigung zur Folge haben kann, nicht auf diese Möglichkeit verwiesen werden (vgl. bereits: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 [23]). 850 Zur Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 177; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 230, 251. 851 Ähnlich wie hier die Konfliktlinie zwischen grundrechtlicher Freiheit derjenigen Leiharbeitnehmer, die des Schutzes nicht bedürfen, und dem Gedanken des Arbeitnehmerschutzes ziehend – wenngleich letzteres v. a. der objektiv-rechtlichen Funktion von Art. 12 Abs. 1 GG (unter Verweis auf: Pieroth, Arbeitnehmerüberlassung unter dem Grundgesetz, 1982, S. 52) untergeordnet wird: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 177 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 251 f. Vgl. auch in diese Richtung: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 98. Demgegenüber eine dem Abwehrrecht gegenüberzustellende Schutzpflicht bereits deswegen ablehnend, weil diese bereits auf abstrakter Wertungsebene einen Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit nie rechtfertigen könne: Tuengerthal/Geißer/Hennecke, Zur Verfassungswidrigkeit der bisherigen §§ 9 Nr. 1 und 10 Absatz 1 Satz 1 AÜG, 2015, S. 72 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

nehmern, die typischerweise problematische Erwerbsbiografien aufweisen und auf eine Integration in reguläre Arbeit hoffen, vermittels § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zu einer Chance auf ein dauerhaftes Stammarbeitsverhältnis. Dieser Schutzzweck verkehrt sich aber für diejenigen Leiharbeitnehmer, deren Interessen dies gerade widerspricht, in einen Grundrechtseingriff.852 Dieses Interessengegenüber ist kein verfassungsrechtliches Paradox und es lässt sich auch nicht in die Nähe der verfassungsrechtlichen Problematik des Schutzes eines Grundrechtsträgers „gegen sich selbst“ rücken.853 Vielmehr verdeutlicht sich in diesem grundrechtlichen Konflikt lediglich die Homogenität der Beschäftigtengruppe der Leiharbeitnehmer, deren Interessen naturgemäß divergieren können (vgl. oben S. 88 ff.). So wie in dieser Beschäftigtengruppe verschiedene Interessengruppen nebeneinander existieren können, so können auch die jeweiligen verfassungsrechtlichen Determinierungen dieser Interessen nebeneinander existieren. Denklogisch können diese Interessen daher im Rahmen einer gesetzlichen Regelung, die auf die Forcierung des einen gegenüber dem anderen Arbeitnehmerinteresse ausgerichtet ist, miteinander in Widerspruch geraten. Dieses Verständnis des hiesigen Verfassungskonflikts zugrunde legend, kann auch nicht behauptet werden, dass diese Konstellation abseits der verfassungsrechtlichen Kategorie des Schutzes der strukturell unterlegenen Arbeitnehmer im Verhältnis zum kräftemäßig überlegenen Arbeitgeber stehen würde, da sich hier nur Arbeitnehmerinteressen gegenüberstünden.854 Schließlich hat sich der Gesetzgeber mit § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG dafür entschieden, denjenigen Leiharbeitnehmern, die aufgrund der beschriebenen erwerbsbiografischen Merkmale gegenüber dem Verleihunternehmen in einer strukturell unterlegenen Situation sind, zu einer Interessenverwirklichung zu verhelfen. Zwar konfligiert dieses Regelungsinteresse mit der Berufsfreiheit derjenigen, denen diese Typisierung nicht entspricht und die den angestrebten Schutz womöglich mangels vergleichbarer struktureller Unterlegenheit nicht nötig haben. Unmittelbar konfligiert die hiesige Regelungsentscheidung daher nicht mit der grundrechtlichen Position der Arbeitgeberseite. Der Sache nach exemplifiziert sich der Konflikt zwischen sozialstaatlichen Schutzinteressen zugunsten strukturell Unterlegener und dem grundrechtlichen Abwehrrecht jedoch hier wie dort. Allein die Tatsache, dass 852 Ähnlich: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 251 („Schutz vor einem fremdbestimmten und entgegen dem eigenen Willen aufgezwungenen Arbeitnehmerschutz“). Auch in diese Richtung: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 98. 853 So aber: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 375 f.; Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 104 f. Ähnlich auch die Gedanken von: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 189 f. 854 So aber explizit: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 372 („Wurde noch unter […] ein entsprechender Schutzauftrag des Gesetzgebers zur Wahrung der Ausübung der Berufsfreiheit im Falle der angenommenen ,strukturellen Unterlegenheit‘ des Arbeitnehmers bejaht, so greifen diese Erwägungen vorliegend nicht. Es stehen sich nicht die Rechtspositionen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber, sondern auf beiden Seiten die des Arbeitnehmers, sodass nach anderen Anhaltspunkten zu suchen ist.“).

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die hier in Rede stehende Schutznorm auch die Freiheit mancher Grundrechtsträger aus derjenigen Arbeitnehmergruppe belastet, deren Interesse sie eigentlich verwirklichen soll, steht dieser Kategorisierung nicht entgegen. Der Ambiguität der verfassungsrechtlichen Interessen muss diese Regelungsentscheidung dennoch Rechnung tragen. Ungeachtet dieser dogmatischen Schwierigkeiten hinsichtlich der abstrakten Einordnung des verfassungsrechtlichen Interessenkonfliktes bleibt es daher bei dem oben aufgestellten Prüfungsmaßstab. Dem Gesetzgeber muss es gelungen sein, mit dem fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis eine Regelung zu schaffen, die dem Gebot der praktischen Konkordanz Rechnung trägt, indem sie sowohl die Arbeitsplatzwahlfreiheit der hiervon negativ betroffenen Leiharbeitnehmer aus Art. 12 Abs. 1 GG als auch das sozialstaatlich unterfütterte Schutzinteresse am entsprechenden Arbeitgeberwechsel kompromisshaft berücksichtigt und keiner der Positionen einseitig den Vorzug gewährt. Lässt man die Festhaltenserklärung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b, Abs. 2 und Abs. 3 AÜG, vermittels derer ein Leiharbeitnehmer dieser Rechtsfolge entgegenwirken kann, außen vor, muss indes konstatiert werden, dass die Regelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genügen.855 Zwar verbleibt dem betroffenen Leiharbeitnehmer angesichts des fingierten Übergangs die Kündigungsmöglichkeit in Bezug auf das fingierte Stammarbeitsverhältnis. Den Verlust des bisherigen Arbeitsplatzes, das Aufdrängen eines nicht frei gewählten neuen Arbeitgebers und damit zusammenhängend den mindestens zeitweisen Verlust der möglicherweise präferierten Beschäftigungsform kann eine solche Kündigung allerdings nicht verhindern.856 Im Ergebnis steht daher eine Regelung, die zulasten mancher Grundrechtsträger „kraft vermeintlich besserer Einsicht“857 deren Interessen völlig unterrepräsentiert und die damit unangemessen ist.858 Zu diesem Ergebnis kommt die verfassungsrechtliche Betrachtung auch ungeachtet der Frage, ob man der liberalen Berufsfreiheit der betroffenen Leiharbeitnehmer gegenüber dem sozialstaatlichen Schutzinteresse bereits auf abstrakter

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Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 378; Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 289 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 260 f., 272 f., 282. Vgl. auch ebenso zu § 10 Abs. 1 AÜG a. F.: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 192. Ähnliche Abwägungen finden sich bei: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 38. 856 Ebenso unter Verweis auf die ex-nunc-Wirkung eines entsprechenden außerordentlichen Kündigungsrechts: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 292 f. 857 Treffend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 378. (Zitierung aus: BVerfGE 128, 157 [186, Rn. 98]). 858 Vgl. Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 260 f., 272 f., 282. I. E. ebenso, dies allerdings nicht in die Prüfungsstufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung einordnend: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 90 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Gewichtungsebene einen generellen Wertüberhang attestiert.859 Dadurch, dass der Gesetzgeber – das Festhaltensrecht ausgeklammert – dem Schutzgedanken gegenüber der grundrechtlichen Freiheitsausübung vollständig den Vorrang gewährt, ist die Regelung in jedem Fall nicht angemessen.860 (bb) Kompensation des unverhältnismäßigen Eingriffs durch das Festhaltensrecht? Diesen unangemessenen und daher unverhältnismäßigen und nicht gerechtfertigten Eingriff in die Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer, deren Interessen der in Folge von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG eintretende Arbeitgeberwechsel nicht entspricht, vermag einzig die Festhaltenserklärung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b, Abs. 2 und Abs. 3 AÜG möglicherweise zu kompensieren. Nicht umsonst ist diese im Rahmen der Novellierung des AÜG im Jahr 2017 in das Gesetz aufgenommen worden. Die Ergänzung diente gerade der Umsetzung verfassungsrechtlicher Erfordernisse.861 Diesem Regulierungsschritt ging eine Debatte in der Literatur voraus, innerhalb derer bereits zuweilen die Implementierung eines solchen Gegenrechts des Leiharbeitnehmers – parallel zum Widerspruchsrecht im Rahmen des Betriebsübergangs aus § 613a Abs. 6 BGB – gefordert bzw. im Wege verfassungskonformer Auslegung konstruiert worden war.862

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So v. a. unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG zu § 613a BGB (siehe etwa: BAG, Urt. v. 30.9.2004 – 8 AZR 462/03, NZA 2005, 43 [45]; vgl. auch zum Gewicht der „Privatautonomie des Arbeitnehmers“ bei gesetzlichem Arbeitgeberwechsel: BVerfGE 128, 157 [186, Rn. 98]), aus der hervor geht, dass der dortige Arbeitgeberwechsel einen Arbeitnehmer nicht unter Überwindung grundrechtlicher Freiheit in ein Arbeitsverhältnis zwingen darf: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 375 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 251 ff. Umfassend bereits zu § 10 Abs. 1 AÜG a. F.: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 177 ff. 860 Zu weit geht aber die Annahme, dass der betroffene Leiharbeitnehmer durch die Fiktionsregelung zum Objekt gemacht würde und daher die Menschwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG verletzt sei (vgl. Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 10). Zwar ist der hiesige Eingriff in die Berufsfreiheit – wie festgestellt – aufgrund der Tatsache, dass der hohe personale Identifikationswert des gewählten Berufes immer auch auf andere grundrechtlich geschützte Lebensbereiche ausstrahlt und daher zu Recht als Teilaspekt eines menschenwürdigen Lebens aufgefasst werden kann, als schwerwiegend einzustufen. Allein aufgrund des Umstands, dass der Leiharbeitnehmer zum Adressaten einer staatlichen Regelung wird, kann dieser wiederum nicht in seinem aus der Subjektqualität als Mensch folgenden Achtungsanspruch verletzt werden. Vgl. mit ähnlichen Gedanken: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 164; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 259. 861 Vgl. die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25 („Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen ist auch in diesen Fällen ein Widerspruchsrecht der Leiharbeitnehmerin und des Leiharbeitnehmers vorgesehen.“). 862 Siehe bereits: LAG Hessen, Urt. v. 6.3.2001 – 2/9 Sa 1246/00, NZA-RR 2002, 73 (Ls. 2); Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 39. Diesen Gedanken sodann aufgreifend und weiterentwickelnd: Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 203 ff. Andere beschränken sich auf die teleologische Reduktion der Nichtigkeits-

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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Der Berufsfreiheit der von dem fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis betroffenen Leiharbeitnehmer vermag die Festhaltenserklärung allerdings nur dann Rechnung zu tragen – mit der Folge, dass sie die mit den Regelungen einhergehende Verletzung dieser grundrechtlichen Position kompensiert –, wenn sie diesen Leiharbeitnehmern auch tatsächlich eine wirksame Möglichkeit in die Hand gibt, der ungewollten Rechtsfolge entgegenzuwirken. Insofern ist ein wirksames Festhaltensrecht verfassungsrechtlich geboten. Dies gilt allerdings nur in dem Sinne, als dass der Gesetzgeber ohne die Zurverfügungstellung eines solchen Gegenrechts die verfassungsrechtliche Position der Leiharbeitnehmer verletzen würde.863 Verfassungsdogmatisch fehlerhaft ist demgegenüber die Annahme, dass eine Schutzpflicht in Bezug auf die Arbeitsplatzwahlfreiheit zur Implementierung eines Festhaltensrechts verpflichten würde.864 Wenn dies etwa mit einem vergleichenden Blick auf den rechtsgeschäftlichen Arbeitgeberwechsel aus § 613a BGB angenommen wird,865 so werden hiermit die verfassungsrechtlichen Wirkfunktionen des Abwehrrechts und der Schutzpflicht verwechselt. Richtig ist zwar, dass der auf einem rechtsgeschäftlichen Vorgang basierende Arbeitgeberwechsel nach § 613a BGB, bei dem private Grundrechtsträger über die Arbeitsplatzwahlfreiheit der betroffenen Arbeitnehmer verfügen, eine grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten dieser verfassungsrechtlichen Position aktiviert.866 Schließlich verkürzt dort ein Grundrechtsberechtigter qua grundrechtlicher Freiheitsausübung die grundrechtliche Freiheit eines anderen Grundrechtsträgers – was eine klassische Konstellation des

folge, wenn der Schutzzweck im Einzelfall nicht gewahrt war. So etwa: Brors, NZA 2016, 672 (675); sowie aktuell: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 47 ff., 86. 863 So ebenfalls: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 167. Hiervon wohl auch – jedenfalls implizit – ausgehend: Hennecke, NZA 2016, 1309 (1311); Henssler, RdA 2017, 83 (99); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 384 ff.; Li, Der Schutz des Leiharbeitnehmers vor dem Entleiher, 2016, S. 198 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 287 ff. 864 So aber explizit: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 259 f., 303, 305. 865 So die Ansicht von: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 260 („Soweit der Gesetzgeber es aber zulässt, dass der Arbeitgeber durch Rechtsgeschäft [Hervorhebung durch den Verfasser] ohne Zustimmung des Arbeitnehmers ausgewechselt wird, trifft ihn eine Schutzpflicht, die nicht nur das Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes trotz Arbeitgeberwechsels, sondern auch seine privatautonome Entscheidung über die Person des Vertragspartners beachten muss. Dem wurde bspw. mit der Regelung aus § 613Q BGB Rechnung getragen.“) sowie S. 261 („Eine dahingehende Schutzpflicht des Staates hat das Bundesverfassungsgericht zwar ausdru¨cklich nur im Rahmen des rechtsgescha¨ftlichen Arbeitgeberwechsels erwa¨hnt, es spricht aber einiges dafu¨r, dass das auch gelten muss, wenn der Staat unmittelbar selbst durch Gesetz [Hervorhebung durch den Verfasser] in die Arbeitsplatzfreiheit eingreift und einen Arbeitgeberwechsel anordnet.“). 866 Vgl. etwa explizit zu einer Schutzpflicht im Rahmen von § 613a BGB, dem die Widerspruchsmöglichkeit aus § 613a Abs. 6 BGB Rechnung trägt: BVerfGE 128, 157 (177).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

schutzpflichtentypischen Grundrechtsdreiecks darstellt.867 In der Konstellation im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ist die verfassungsrechtliche Situation aber aufgrund der Tatsache, dass es sich um einen gesetzlichen und nicht um einen rechtsgeschäftlichen Arbeitgeberwechsel handelt, eine andere. Es ist vorliegend nicht der private Akteur, der den Arbeitnehmer potenziell in ein Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitgeber zwingt, das dieser nicht gewollt hat. Vielmehr greift im Rahmen des fingierten Übergangs in ein Stammarbeitsverhältnis der Staat selbst – wie gesehen – in die Arbeitsplatzwahlfreiheit ein.868 Folglich liegt keine Schutzpflichtenaktivierung vor. Vielmehr ist es das klassische grundrechtliche Abwehrrecht, das den Gesetzgeber dazu zwingt, eine Ausgestaltung dieses Regelungskomplexes zu unterlassen, welche die einschlägige grundrechtliche Freiheitsposition außer Acht lässt.869 Fragen muss man sich aber angesichts der konkreten tatbestandlichen Voraussetzungen der Festhaltenserklärung aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b, Abs. 2 und Abs. 3 AÜG, ob sie diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht. Zu Recht werden die hohen Hürden, die das Gesetz an die Wirksamkeit der Erklärung und damit an die Verhinderung des womöglich ungewollten Stammarbeitsverhältnisses stellt, kritisiert.870 Im Besonderen muss der Leiharbeitnehmer die Festhaltenserklärung zunächst in schriftlicher Form (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b) in einer Agentur für Arbeit persönlich vorlegen (§ 9 Abs. 2 Nr. 1 AÜG). Sodann muss die Agentur die abzugebende Erklärung mit dem Datum des Tages der Vorlage und dem Hinweis versehen, dass sie die Identität des Leiharbeitnehmers festgestellt hat (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AÜG). Erst dann ergibt sich ein Zeitfenster von drei Tagen, innerhalb 867 Das BAG hatte in ständiger Rechtsprechung vertreten, dass es im Zusammenhang von § 613a BGB (u. a.) mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar wäre, wenn ein Arbeitnehmer verpflichtet würde, für einen Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht frei gewählt hat (vgl. BAG, Urt. v. 2.10.1974 – 5 AZR 504/73, NJW 1975, 1378 ff., Urt. v. 22.4.1993 – 2 AZR 313/92, 2 AZR 50/92, NJW 1994, 2170 ff.). Dem hatte sich der Gesetzgeber angeschlossen und das Widerspruchsrecht ausdrücklich normiert (vgl. BT-Drs. 14/7760 v. 7. 12. 2001, S. 20). 868 Daher verfängt auch der von Kruppa zur Begründung angebrachte Verweis auf BVerfGE 128, 157 (177) nicht (vgl. Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 261). Zwar verweist das BVerfG dort im Rahmen eines gesetzlichen Arbeitgeberwechsels auf die im Rahmen von § 613a BGB entwickelten Grundsätze, spricht sodann aber unmissverständlich davon, dass im Entscheidungsfall durch Gesetz in Grundrechte eingegriffen werde (Vgl. BVerfGE 128, 157 [178]) – womit die Entscheidung i. E. im Lichte des Abwehrrechts steht. 869 Im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG verdichtet sich diese mit dem Abwehrrecht korrespondierende Pflicht zum Unterlassen des ungerechtfertigten Grundrechtseingriffs aber darauf, dass die Gesamtregelung nicht ohne die Normierung eines tragfähigen Widerspruchsrechts Bestand haben kann – was den Gesetzgeber i. E. zu einem aktiven Tun verpflichtet. Da indes eine solche Verpflichtung typischerweise als Rechtsfolge einer Schutzpflicht (siehe oben S. 266 ff.) benannt wird, kann man die dogmatische Verwirrung bei Kruppa (ebd., S. 261) nachvollziehen. 870 Vgl. hierzu insbesondere: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 173 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 205 ff. Siehe auch: Henssler, RdA 2017, 83 (99).

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derer die Erklärung dem Verleih- oder Entleihunternehmen zugehen muss (§ 9 Abs. 2 Nr. 3 AÜG). Für diese Prozedur sieht das Gesetz zudem eine Frist von einem Monat vor, die jeweils ab dem zwischen Verleih- und Entleihunternehmen für den Beginn der Überlassung vorgesehenen Zeitpunkt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a AÜG) oder dem Überschreiten der zulässigen Überlassungshöchstdauer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1b AÜG) beginnt. Eine vor Beginn dieser Frist abgegebene Festhaltenserklärung ist dabei unwirksam (§ 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG). Richtigerweise wird in Bezug auf diese hohen „formalistischen Anforderungen“871 in erster Linie daran erhebliche verfassungsrechtliche Kritik geübt, dass die entsprechende Frist von einem Monat nach der gesetzgeberischen Konzeption – jedenfalls ihrem expliziten Wortlaut nach872 – unabhängig von der Kenntnis des Leiharbeitnehmers von dem fristauslösenden Ereignis beginnt.873 Da das AÜG auch keine Unterrichtungspflicht der Verleih- oder Entleihunternehmen über die Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und den darauf folgenden fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis vorsieht,874 zugleich aber die Kenntnis von diesen 871

So die Formulierung bei: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 205. Der Gesetzeswortlaut in § 9 Abs. 1 Nr. 1, 1a, 1b AÜG nennt keinen Kenntnismoment des Leiharbeitnehmers. Mit Blick auf die gesetzgeberische Intention, mit der Festhaltenserklärung den verfassungsrechtlichen Bedürfnissen hinreichend Rechnung zu tragen, lässt sich indes bereits im Wege der systematisch-teleologischen Auslegung vertreten, dass die Frist nur kenntnisunabhängig beginnen kann. So die Ansicht von: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 (28); Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (17) („telelogische Extension der Regelung“); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching, BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG (Stand: 2023) Rn. 88. Dies offenlassend und die Kenntnisabhängigkeit erst in verfassungskonformer Auslegung begründend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 396 ff. Ähnlich: Lembke, NZA 2017, 1 (9 f.). Eine Kenntnisabhängigkeit aus dem Gesetz nicht ableitend – ihr Fehlen aber kritisierend: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 263 f., 306 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 209 ff.; 292 ff.; Wank, RdA 2017, 100 (113); Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 9 Rn. 54; Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 11. Demgegenüber den Fristbeginn in Abhängigkeit von objektiven Umständen und nicht auch der Kenntnis des Leiharbeitnehmers aus Gründen der Rechtssicherheit befürwortend: Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 141. 873 Vgl. zur diesbzgl. verfassungsrechtlichen Kritik: Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 (17); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 386 ff.; Lembke, NZA 2017, 1 (9); Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 175 ff.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 292 ff.; Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 11. Aus der Kumulation der Anforderungen – aber mit Betonung auf die Kenntnisunabhängigkeit des Fristbeginns – ableitend, dass die Festhaltenserklärung die verfassungsrechtliche Position der betroffenen Leiharbeitnehmer nicht hinreichend sichere: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 267 ff. Ähnlich auch: Henssler, RdA 2017, 83 (99). A. A. demgegenüber ausdrücklich („zumutbar“): Deinert, RdA 2017, 65 (85). 874 Ulber hingegen will aus der Fürsorgepflicht eine solche Unterrichtungspflicht herleiten (vgl. Ulber, in: Ulber, AÜG, 2023, § 9 Rn. 44). Die Tatsache, dass eine solche in Parallelregelungen zum Arbeitgeberwechsel – etwa in § 613a Abs. 5 BGB – vorgesehen ist, spricht indes für das Gegenteil. Eine Unterrichtungspflicht daher nicht aus dem Gesetz ableitend: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 (28); Kock, in: Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Meßling/Udsching 872

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Umständen die Ingebrauchnahme des Festhaltensrechts denklogisch voraussetzt, ist nicht selten zu befürchten, dass betroffene Leiharbeitnehmer diese ihnen gewährte Wahlmöglichkeit gar nicht wahrnehmen können.875 Ohne eine Kenntnis des Leiharbeitnehmers vom Arbeitgeberwechsel ist aber keine fristwahrende Abgabe einer Festhaltenserklärung zu erwarten. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine gesetzliche Repräsentation der Interessen derjenigen Leiharbeitnehmer, denen die Rechtsfolgen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG nicht entsprechen, genügt die gesetzgeberische Konzeption damit nicht. Fraglich ist aber, ob dies zwingend zum Verdikt der Verfassungswidrigkeit führt. Insofern ist überzeugend dargelegt worden, dass der verfassungsrechtliche Makel der Festhaltenserklärung im Wege einer verfassungskonformen Auslegung über eine analoge Anwendung von § 613a Abs. 5 und Abs. 6 BGB behoben werden kann.876 Vermittels der entsprechenden Heranziehung der dortigen Unterrichtungspflicht und der Anknüpfung der Frist für die Abgabe der Festhaltenserklärung an die entsprechende Unterrichtung durch das Verleih- oder Entleihunternehmen wird die Festhaltenserklärung zu einem wirkungsvollen Gegenrecht der betroffenen Leiharbeitnehmer und kann so deren verfassungsrechtlicher Position gerecht werden. Der Hintergrund dieser Überlegung ist die Erkenntnis, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Festhaltenserklärung offenkundig der verfassungsrechtlichen Position der Leiharbeitnehmer, deren Interessen der fingierte Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis nicht entspricht, wirksam begegnen wollte877 – zugleich aber die (verfassungsrechtliche) Brisanz der hier in Rede stehenden Problematik eines möglichen Leerlaufens dieses Rechts bei Fehlen einer kenntnisabhängigen Frist unter vorheriger Unterrichtung im Gesetzgebungsverfahren verkannte.878 Eine entsprechende planwidrige Regelungslücke lässt sich daher annehmen. Gleiches gilt für die Vergleichbarkeit der Interessenlage. Zwar ist im Rahmen von § 613a BGB der Arbeitgeberwechsel – und damit die Nichtwahrnehmung des dortigen Widerspruchsrechts aus § 613a Abs. 6 BGB – von den beteiligten Unternehmen im Ge(Hrsg.), BeckOK Arbeitsrecht, § 9 AÜG (Stand: 2023) Rn. 88; Lembke, NZA 2017, 1 (9); Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 212. 875 Vgl. etwa: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 398; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 212 ff. 876 Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 396 ff. Parallel hierzu aber ohne die Vorschläge Kottlors zu rezipieren: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 176 ff. Ebenfalls bereits eine ähnliche verfassungskonforme Auslegung befürwortend: Lembke, NZA 2017, 1 (9 f.). Daneben wird teils für einen Fristbeginn ab Kenntnis plädiert, ohne dass dies verfassungsrechtlich unterfüttert wird (so etwa: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 [24]; Kainer/Schweipert, NZA 2017, 13 [15]). 877 Vgl. nur: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 25 („Nicht zuletzt aus verfassungsrechtlichen Gründen ist auch in diesen Fällen ein Widerspruchsrecht der Leiharbeitnehmerin und des Leiharbeitnehmers vorgesehen.“). 878 Vgl. ausführlich zur (Nicht-)Behandlung dieser Frage im Gesetzgebungsverfahren: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 404 f., 411 ff.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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gensatz zur hiesigen Situation im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG gerade gewollt.879 Blickt man jedoch auf die maßgeblichen Interessen, die durch das Widerspruchs- und das Festhaltensrecht gewahrt werden, so wird klar, dass die Regelungen – hier wie dort – der Arbeitsplatzwahlfreiheit der (Leih-)Arbeitnehmer Rechnung tragen, indem diesen ein wirksames Mittel gegen einen ungewollten Arbeitgeberwechsel in die Hand gegeben wird.880 Insgesamt spricht daher viel für eine Ergänzung der Festhaltenserklärung im Wege verfassungskonformer Auslegung, sodass sich deren Mängel in der Folge nicht zu einem verfassungsrechtlichen Unwerturteil verdichten. Wer dies anders sieht und den Weg über eine verfassungskonforme Ergänzung von § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG für versperrt hält, muss dem Gesetzgeber einen Nachbesserungsbedarf in Bezug auf die Ausgestaltung der Festhaltenserklärung attestieren.881 Dem wird sich hier aber ausdrücklich nicht angeschlossen.882 Zu verfassungsrechtlichen Problemen führt die Festhaltenserklärung aber wiederum, wenn die hierin gewährte Freiheit zugunsten derjenigen Leiharbeitnehmer, die sich kraft grundrechtlich freier Entscheidung gegen den gesetzlichen Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis entscheiden, in Unfreiheit zuungunsten derjenigen Leiharbeitnehmer umschlägt, die diesen Wechsel gerade begrüßen. Gemeint sind die oben bereits angesprochenen – und verfassungsrechtlich durch eine aktivierte Schutzpflicht flankierten – Konstellationen, in denen Verleih- oder Entleihunternehmen auf den betroffenen Leiharbeitnehmer zur Abgabe einer Festhaltenserklärung einwirken und so dessen Arbeitsplatzwahlfreiheit tangieren (siehe bereits S. 284 ff.). Denkbar ist in diesem Zusammenhang, dass Verleihunternehmen sich unter Überwindung der entgegenstehenden Interessen der Leiharbeitnehmer vertraglich zusichern lassen, dass Leiharbeitnehmer im entsprechenden Anwendungsfall von ihrer Festhaltenserklärung Gebrauch machen werden oder dass im Fall des 879 Diesen Unterschied in der Interessenlage der beteiligten Unternehmen hervorhebend: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 303 f.; Urban-Crell, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 9 Rn. 83. 880 So richtigerweise: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 414. 881 So zuletzt umfangreich: Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 190 ff.; 306 f.; Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 296 ff. Vgl. auch bereits: Ulrici, AÜG, 2017, § 9 Rn. 11. Siehe auch die Kritik bei Petras, der daneben fordert, dass die Erklärungsfrist und die Vorlagepflicht insgesamt aufgehoben werden sollte. Siehe hierzu und zu weiteren Kritikpunkten (vgl. Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 201 ff.). 882 Nicht verschwiegen werden darf indes, dass eine ausdrückliche Nachbesserung der Festhaltenserklärung um eine den Regelungen aus § 613a Abs. 5 und Abs. 6 BGB entsprechende Unterrichtungspflicht und einen kenntnisabhängigen Fristbeginn bereits aus Gründen der Rechtsklarheit zu befürworten wäre. Wenngleich mit ihrem Fehlen angesichts der hier präferierten verfassungskonformen Auslegung qua analoger Rechtsanwendung ein Verfassungsverstoß nicht einhergeht.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Eintritts der Unwirksamkeitsregelungen aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG auf den Leiharbeitnehmer unter Vorlage vorformulierter Festhaltenserklärungen Druck ausgeübt wird.883 Solchen Missbrauchsszenarien ist der Gesetzgeber aber begegnet. Bereits die Pflicht zur persönlichen Vorlage in einer Agentur für Arbeit aus § 9 Abs. 2 Nr. 1 AÜG sowie der aus § 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG folgende Umstand, dass die Festhaltenserklärung nicht im Vorhinein abgegeben werden kann, adressieren dieses Konfliktpotenzial.884 Selbst wenn man daher entsprechende vertragliche Vereinbarungen, vermittels derer der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Verleihunternehmen verpflichtet wird, die Festhaltenserklärung abzugeben,885 oder etwa die Vorlage vorformulierter Festhaltensvereinbarungen, die der Leiharbeitnehmer nur noch zu unterzeichnen braucht,886 als einfachgesetzlich zulässig betrachtet, so liegt aufgrund der rechtlichen Weichenstellungen keine Situation einer solchen strukturellen Unterlegenheit des Leiharbeitnehmers vor, die eine freiheitliche Entscheidung für oder gegen die Festhaltenserklärung ernstlich in Gefahr brächte. Schließlich folgt bereits aus § 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG, dass eine vor Beginn der entsprechenden Frist abgegebene (vorformulierte)887 Festhaltenserklärung bzw. eine Festhaltensvereinbarung in entsprechender Anwendung von § 9 Abs. 3 Satz 1 AÜG vor dem Eintritt der Unwirksamkeitsfolge unzulässig ist.888 Folglich kommen derartige Gestaltungen ohnehin nur für Konstellationen in Betracht, in denen der betreffende Leiharbeitnehmer aufgrund der hier vertretenen Unterrichtung in analoger Anwendung von 883 Vgl. zu diesem Missbrauchspotenzial: Deinert, RdA 2017, 65 (80); Hamann, AuR 2016, 136 f.; Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 432 ff.; Schüren/Fasholz, NZA 2015, 1473 (1475); Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 288, 291; Wank, RdA 2017, 100 (113). In Anklängen („auf Betreiben des Verleihers“) bereits: BT-Drs. 18/9232 v. 20. 7. 2016, S. 26. Dem kritisch gegenüberstehend: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 191 f. Weniger problematisch sind demgegenüber Verzichtserklärungen in Bezug auf die Abgabe der Festhaltenserklärung. Vgl. hierzu weiterführend: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 442 ff. 884 Vgl. etwa: Stepien, Berufsfreiheit des Leiharbeitnehmers, 2020, S. 288, 291. 885 So etwa: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 435. Allerdings wird eine solche Vereinbarung im Hinblick auf die gesetzliche Intention, die freiheitliche Entscheidung der Leiharbeitnehmer in engen Grenzen zu schützen, überwiegend für unzulässig gehalten: Mengel, in: Thüsing, AÜG, 2018, § 10 Rn. 7; Schüren, in: Schüren/Hamann, AÜG, 2022, § 9 Rn. 125; Urban-Crell, in: Urban-Crell/Germakowski/Bissels/Hurst, AÜG, 2017, § 10 Rn. 9. Präzisierend in Bezug auf im Voraus zulasten des Arbeitnehmers vereinbarte Abweichungen: Lembke, in: Boemke/Lembke, AÜG, 2013, § 10 Rn. 31; Ulrici, AÜG, 2017, § 10 Rn. 10. 886 Vgl. etwa: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 (27 f.); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 436 ff. 887 Umfangreich zu einer entsprechenden AGB-Kontrolle: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 (27 f.); Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 436 ff.; Kruppa, Die Festhaltenserklärung des Leiharbeitnehmers bei der illegalen und der verdeckten Arbeitnehmerüberlassung, 2021, S. 206 ff. 888 Vgl. Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 435.

B. Das Regelungsmodell des AÜG

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§ 613a Abs. 5 BGB und dem in analoger Anwendung von § 613a Abs. 6 BGB erst auf diese Unterrichtung hin folgenden Fristbeginn in der Situation ist, dass er über den bevorstehenden Arbeitgeberwechsel ausreichend informiert ist.889 Demgemäß besteht kein Informationsdefizit oder ein ähnliches Manko, das einer privatautonomen Ingebrauchnahme oder einem Verzicht auf die Festhaltenserklärung in diesem Fall im Wege stehen könnte. Vielmehr dürfte einem betroffenen Leiharbeitnehmer in dieser Situation klar sein, dass er nur die Monatsfrist verstreichen zu lassen braucht, um die Fiktionsregelung aus § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG Bestand werden zu lassen und in das – möglicherweise gewünschte – Stammarbeitsverhältnis überzugehen. Legt man die Festhaltenserklärung – wie hier – verfassungskonform aus, ist daher zu erwarten, dass ein Leiharbeitnehmer auch einem entsprechenden Druck des Verleih- oder Entleihunternehmens in freiheitlicher Selbstbehauptung entgegentreten kann.890 Nach den hiesigen Ergebnissen ist auch einer etwaigen Schutzpflicht in diesem Kontext Genüge getan. bb) Zwischenergebnis bezüglich der Vereinbarkeit des fingierten Übergangs in ein Stammarbeitsverhältnis mit grundgesetzlichen Vorgaben Insgesamt sind die Regelungen zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und dem hiermit verbundenen fingierten Übergang in ein Stammarbeitsverhältnis aus § 9 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2, 1a, 1b AÜG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG verfassungskonform. Die gesetzgeberische Intention, hiermit eine wirksame Sanktion für Rechtsverstöße zu schaffen und zugleich die integrative Wirkung der Arbeitnehmerüberlassung zu fördern, vermag die im Raum stehenden grundrechtlichen Eingriffe zu rechtfertigen. Dies gelingt aber in Bezug auf die betroffene Berufsfreiheit derjenigen Leiharbeitnehmer, denen die typisierende Schutzregelung nicht entspricht, nur im zwingenden Zusammenspiel mit der Festhaltenserklärung, die – um den Vorgaben des entsprechenden Abwehrrechts gerecht zu werden – einer verfassungskonformen Auslegung bedarf. Diese Auslegung vorausgesetzt, vermögen die Regulierungsentscheidungen dem komplexen verfassungsrechtlichen Interessengeflecht aus den unternehmerischen Interessen der Verleih- und Entleihunternehmen, der Berufsfreiheit der von den Regelungen negativ betroffenen 889 Vgl. zum Inhalt der Unterrichtungspflicht: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜG-Reform 2017, 2021, S. 417 ff. 890 Vgl. auch in ähnlicher Weise: Kottlors, Die Höchstüberlassungsdauer nach der AÜGReform 2017, 2021, S. 441 („In diesem Fall ist gewährleistet, dass der Leiharbeitnehmer aufgrund der Unterrichtung und in Kenntnis der Rechtsfolgen der Festhaltenserklärung eine privatautonome Entscheidung treffen kann“). Sollte der Leiharbeitnehmer darüber hinaus über die wahre Bedeutung der (vorformulierten) Festhaltenserklärung getäuscht werden, indem etwa signalisiert wird, dass deren Abgabe nur eine Formalität sei oder ansonsten die Arbeitslosigkeit drohe, so fängt bereits die Anfechtbarkeit wegen arglistiger Täuschung bzw. rechtswidriger Drohung nach § 123 BGB dieses Missbrauchspotenzial auf. Vgl. hierzu weiterführend: Hamann/Rudnik, NZA 2017, 22 (28). Ähnlich: Petras, Das Festhaltensrecht im neuen AÜG, 2022, S. 192.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Leiharbeitnehmer und – dem gegenüberstehend – dem sozialstaatlich bedingten Schutzinteresse in Bezug auf die Leiharbeitnehmerschaft und der aufgrund der Normierung der Festhaltenserklärung zugleich aktivierten Schutzpflicht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise Rechnung zu tragen. 7. Zwischenergebnis zu den arbeitsrechtlichen Regulierungsentscheidungen Die arbeitsrechtliche Regulierungsebene des AÜG ist in ihrer Gesamtheit mit den unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar. Dies gilt sowohl für die Möglichkeit zur Festsetzung einer Lohnuntergrenze, als auch in Bezug auf die nationale Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes inklusive der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität des „Equal Pay“-Grundsatzes, das Verbot des Streikbrechereinsatzes, die Überlassungshöchstdauer und ihre Abweichungsmöglichkeiten sowie hinsichtlich der Regulierungsentscheidungen zur Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags und des Leiharbeitsvertrages und dem mit letzterem verbundenen fingierten Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen – wenngleich hier nur die Ergänzung um eine verfassungskonforme Auslegung die grundrechtlichen Positionen wahrt. Einzig in Bezug auf die potenziell fremdbestimmte individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes können die Regelungen den Anforderungen nicht standhalten und es besteht ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

C. Weitere Regulierungsaspekte im Lichte der unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten: Gesetzliche Alternativen mit Regulierungspotenzial in Bezug auf den Interessenkonflikt der Arbeitnehmerüberlassung? Abseits der konkreten gesetzlichen Regulierungsentscheidungen des AÜG verbleiben jedoch noch weitere Regulierungsaspekte, für deren Adressierung sich der Gesetzgeber bisher nicht entschieden hat. Diese jeweiligen Regulierungsideen, die bereits ergriffenen Regulierungsentscheidungen zum Teil alternativ gegenüberstehen, werden im Folgenden im Lichte der herausgearbeiteten unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten auf ihre Zulässigkeit und im Lichte des aufgezeigten Interessenkonflikts der Arbeitnehmerüberlassung auf ihr Regulierungspotenzial hin kursorisch und perspektivisch untersucht.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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I. Gesetzliche Adressierung der Weiterbildungsproblematik? Ein Aspekt der Arbeitnehmerüberlassung, der für die Leiharbeitnehmer eine herausragende Rolle spielt, aber weder durch die Leiharbeitsrichtlinie (vgl. S. 197 f.) noch durch das nationale Recht891 in einem Umfang adressiert wird, der seiner Bedeutung gerecht werden würde, ist die fehlende Kompetenzentwicklung in der Arbeitnehmerüberlassung mangels formaler Weiterbildungsmöglichkeiten zugunsten der Leiharbeitnehmer (vgl. S. 102 ff.). Da entsprechende Investitionen in die Kompetenzentwicklung der Leiharbeitnehmer geeignet sind, den vielfach besprochenen Integrationseffekt zu fördern und sie somit auch gesamtwirtschaftlich wünschenswert sind, wird teilweise eine entsprechende staatliche Forcierung von Weiterbildungsmöglichkeiten zugunsten der Leiharbeitnehmer bereits für erforderlich gehalten.892 Im Ausgangspunkt spricht viel für den hohen arbeitsmarktpolitischen Wert einer kompetenziellen Weiterentwicklung der Leiharbeitnehmerschaft.893 In europäischen Nachbarländern ist die Weiterbildungsproblematik zum Teil dergestalt in tarifvertraglichen Regelungen adressiert worden, als dass dort zum einen vorgesehen ist, dass Verleihunternehmen jährlich einen geringen prozentualen Anteil der an den jeweiligen Leiharbeitnehmer gezahlten Lohnsumme in branchenbezogene Weiterbildungsfonds investieren und den Leiharbeitnehmern zugleich der Anspruch zusteht, entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen einzufordern, die sodann aus diesem Fonds finanziert werden.894 Derartige Regulierungstendenzen 891

Vereinzelt wird der Versuch unternommen, aus § 13b AÜG im Wege richtlinienkonformer Auslegung einen Anspruch auf die Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen abzuleiten (vgl. in diese Richtung: Forst, AuR 2012, 97 [100]). Da allerdings die Richtlinie insofern keinen Umsetzungsbefehl, sondern nur eine Bemühenspflicht enthält (siehe: Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 18; Vielmeier, NZA 2012, 535 [540]) gehen diese Bemühungen fehl. 892 Vgl. Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 166; Spermann, Was ist zu tun, damit Zeitarbeitsunternehmen mehr Weiterbildung anbieten?, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 189 (194). 893 Gesteigerte Weiterbildungsoptionen könnten die negativen Effekte der Arbeitnehmerüberlassung auf die Leiharbeitnehmer durch die so gesteigerte Beschäftigungsfähigkeit zum Teil kompensieren (vgl. etwa: Bolder/Naevecke/Schulte, Türöffner Zeitarbeit?, 2005, S. 162; Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern @ Lehren für Deutschland?, 2009, Arbeitspapier 182 der Hans-Böckler-Stiftung, S. 57, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/ pdf/p_arbp_182.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Insbesondere die sogenannte „modulare Teilqualifikation“, die klassische Qualifikationsprogramme auf mehrere Teilmodule aufspaltet und somit einerseits Kostenrisiken für die Verleihbetriebe minimiert und sich andererseits gut auf die typischerweise stark fluktuierende Belegschaft anwenden lässt, kann hierbei ein gangbarer Weg sein (vgl. hierzu: Bies-Herkommer/Küpper/Würth, Modulare Teilqualifizierung in der Zeitarbeitsbranche, in: Schwaab/Durian [Hrsg.], Zeitarbeit, 2017, S. 211 [215 ff.]). 894 Zu entsprechenden tarifvertraglichen Regelungen in Dänemark und Frankreich: Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern @ Lehren für Deutschland?, 2009, Arbeitspapier 182 der Hans-Böckler-Stiftung, S. 19, 39, abrufbar unter: https://www.boeckler.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sind in der deutschen Tariflandschaft bisher nicht zu beobachten. Die oben bereits angemahnte Installierung von Anreizen, die den Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer in den Gewerkschaften erhöhen und so ggf. eine interessengerechtere tarifvertragliche Vertretung derselben nach sich ziehen würden (vgl. oben ab S. 448 ff.), könnte auch in diese Richtung eine Verbesserung bewirken. Diesbezüglich unmittelbar vielversprechender wäre es indes, eine gesetzliche Verpflichtung der Verleihunternehmen auf derartige Weiterbildungsinvestitionen und einen diesbezüglichen leiharbeitnehmerseitigen Anspruch zu installieren. Der Sache nach kann dieser Regelungsalternative schließlich das Regulierungspotenzial nicht abgesprochen werden. Die geringere Weiterbildungsdichte in der Arbeitnehmerüberlassung würde hierin eine angemessene Berücksichtigung finden. Zugleich könnte hiermit ein langer Verbleib eines Leiharbeitnehmers in der Arbeitnehmerüberlassung – und so eine ausbleibende Integration in reguläre Arbeit – dadurch kompensiert, dass die vom jeweiligen Verleihunternehmen in einen solchen Weiterbildungsfonds einzuzahlenden Investitionen linear steigen würden und so auch dem betroffenen Leiharbeitnehmer vielversprechendere Weiterbildungsmöglichkeiten offen stünden. Dies könnte perspektivisch zugleich dessen Beschäftigungspotenzial steigern und so wiederum auf lange Sicht Integrationseffekte forcieren.895 Die Leiharbeitsrichtlinie stünde einer gesetzlichen Verpflichtung der Verleihunternehmen auf Investitionen in die Weiterbildung der Leiharbeitnehmer nicht entgegen. Art. 6 Abs. 5 RL 2008/104/EG lässt zwar bereits eine mitgliedstaatliche Forcierung des „Dialog(s) zwischen den Sozialpartnern (…) mit dem Ziel (…) den Zugang der Leiharbeitnehmer zu Fort- und Weiterbildungsangeboten“ zu fördern ausreichen.896 Neben dieser nur geringfügigen „Bemühenspflicht“897 lässt die Norm aber auch gesetzliche Vorgaben in Bezug auf die Adressierung der Weiterbildungsproblematik zu, indem sie die Mitgliedstaaten explizit – und alternativ zur alleinigen Forcierung des Dialogs zwischen den Sozialpartner – ermächtigt, „die geeigneten Maßnahmen“ zu ergreifen, um die entsprechende Kompetenzentwick-

de/pdf/p_arbp_182.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Hierüber auch bereits berichtend: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 69. 895 Dies müsste indes so ausgestaltet werden, dass der Weiterbildungsanspruch des Leiharbeitnehmers bei Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses nicht alternativ auszahlbar ist, denn sonst droht der positive Effekt der Kompetenzsteigerung zu schwinden. So auch in Bezug auf derartige Parallelregelungen in den Mitgliedstaaten: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 70. 896 Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 17; Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 37; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.116. 897 So explizit: Riesenhuber, Europäisches Arbeitsrecht, 2021, § 21 Rn. 37; Sansone, in: Preis/Sagan (Hrsg.), Europäisches Arbeitsrecht, 2019, § 12, Leiharbeit, Rn. 12.116.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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lung der Leiharbeitnehmer zu fördern. Diesbezüglichen gesetzlichen Vorgaben verschließt sich die Richtlinie daher nicht.898 Allerdings wäre mit einer solchen Verpflichtung zum einen ein erheblicher Eingriff in Tarifautonomie der betroffenen Tarifparteien aus Art. 9 Abs. 3 GG und zum anderen – durch die Zahlungsverpflichtung und den gegen sie gerichteten Anspruch auf Weiterbildung – ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der betroffenen Verleihunternehmen aus Art. 12 Abs. 1 GG und in deren Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verbunden.899 Perspektivisch ließe sich dieser indes im Hinblick auf die hohe Relevanz dieser Problematik und den insofern entgegenstehenden sozialstaatlich bedingten Regelungsbedarf rechtfertigen. Nachzudenken wäre in diesem Zusammenhang aber über eine staatliche finanzielle Hilfestellung in Bezug auf diese Weiterbildungsverpflichtungen.900 Hierdurch könnte die Eingriffsschwere abgemildert werden, indem die betroffenen Unternehmen finanziell entlastet würden. Erheblich eingriffsmilder aber gegenüber einer mit einem Anspruch der Leiharbeitnehmer gekoppelten gesetzlichen Verpflichtung nicht gleich geeignet wäre demgegenüber allerdings eine Ausgestaltung finanzieller Förderungen von Weiterbildungsmaßnahmen, die erst voraussetzen, dass Arbeitgeber Weiterbildungsmaßnahmen anbieten bzw. ihre Arbeitnehmer dazu freistellen.901 Schließlich fehlt es nach dem oben Festgestellten (vgl. S. 102 ff.) gerade an der arbeitgeberseitigen Motivation, überhaupt in Richtung einer Weiterbildung der Leiharbeitnehmer tätig zu werden, sodass auch eine alleinige staatliche Förderung finanzieller Art dieser Problemplage prima facie nicht wirksam abhelfen würde. Einer gesetzlichen Verpflichtung der Verleihunternehmen auf Weiterbildungsinvestitionen und einem diesbezüglichen leiharbeitnehmerseitigen Anspruch käme demgegenüber mehr Regulierungspotenzial zu.

898

Vgl. Kolbe, in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 2022, RL 2008/104/EG, Art. 6 Rn. 17 („Die Mitgliedstaaten können sich auf eine Alternative beschränken“). 899 Eine derartige finanzielle Verpflichtung würde das Vermögen als Ganzes betreffen und wäre daher nicht an Art. 14 Abs. 1 GG, sondern an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Vgl. zum grundrechtlichen Schutz in derartigen Fällen: Epping, Grundrechte, 2021, Rn. 448. 900 Siehe insofern etwa die in § 82 Abs. 3 SGB III vorgesehene kostenmäßige Förderung von arbeitgeberseitig angebotenen Weiterbildungsmaßnahmen. 901 Die in § 82 SGB III vorgesehenen kostenmäßigen Förderungen zugunsten des Arbeitgebers setzen etwa bereits Weiterbildungsmaßnahmen voraus. Doch auch die Förderung zugunsten des Arbeitnehmers aus § 82 Abs. 1 SGB III setzt regelmäßig voraus, dass sich der Arbeitgeber bereits an der Weiterbildungsmaßnahme kostenmäßig beteiligt (§ 82 Abs. 2 SGB III). Weiterführend hierzu: Schmidt, in: Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching (Hrsg.), BeckOK Sozialrecht, § 82 SGB III (Stand: 2022) Rn. 1 ff.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

II. Sachgrundorientierung der Arbeitnehmerüberlassung als Regulierungsalternative? Über eine Verbesserung der Benachteiligung der Leiharbeitnehmer in Bezug auf die formale Kompetenzentwicklung ginge der vorgenannte Regulierungsansatz aber nicht hinaus. Die nunmehr hinlänglich erläuterte Problematik der aktiven Nutzungsform der Arbeitnehmerüberlassung, bei der diese abseits ihrer „Kernfunktion“ – sprich der reaktiven Nutzungsstrategie – Verwendung findet, erfordert daneben eine eigene gesetzliche Adressierung. Eine probate Alternative zur gesetzgeberischen Regulierungsstrategie des AÜG aktueller Fassung, die vermittels der Überlassungshöchstdauer und der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität des „Equal Pay“-Grundsatzes versucht, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ hin zu orientieren, ist in einem sachgrundorientierten und damit arbeitsplatzbezogenen Regulierungsansatz zu sehen. Die entsprechenden Denkanstöße sind bereits dargetan worden (siehe oben S. 512 ff.) und bedürfen hier keiner erneuten Erläuterung.902 Zwar hatte der EuGH in der Rechtssache C-232/20 ausdrücklich entschieden, dass sich der Leiharbeitsrichtlinie insgesamt kein dahingehender Regulierungsauftrag entnehmen lässt, die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung allein auf die Besetzung von vorübergehend vorhandenen Arbeitsplätzen zu begrenzen.903 Einen arbeitsplatzbezogenen Regelungsansatz erzwingt die Richtlinie daher explizit nicht. Den Gefahren eines Stammarbeitnehmer ersetzenden Einsatzes von Leiharbeitnehmern war sich zwar der Generalanwalt in Bezug auf die betreffende Rechtssache offenkundig bewusst gewesen.904 Der EuGH hat der Herleitung arbeitsplatzbezogener Betrachtungsweisen aus den Inhalten der Leiharbeitsrichtlinie allerdings eine klare Absage erteilt. Dies heißt allerdings nicht, dass die Leiharbeitsrichtlinie einer arbeitsplatzbezogenen mitgliedstaatlichen Regulierung entgegenstehen würde.905 Schließlich lässt die Richtlinie gem. Art. 9 Abs. 1 RL 2008/104/EG stets das Recht 902

Einen solchen Ansatz befürwortend: Berenbrinker, Begrenzungen des Einsatzes von Leiharbeitnehmern, 2017, S. 138 f.; Brors/Schüren, NZA 2014, 569 (571); Happ/van der Most, BB 2015, 565 (569); Henssler, RdA 2017, 83 (94); Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 173; Wank, RdA 2017, 100 (107 f.). Dies im Hinblick auf das allgemeine Befristungsrecht aus dem Gebot der Folgerichtigkeit herleitend: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 71 ff. 903 Paradigmatisch: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 (550, Rn. 36). 904 Vgl. Generalanwalt beim EuGH, Schlussantrag v. 9.9.2021 – C-232/20, Rn. 49. 905 Hiergegen spricht auch nicht die vom EuGH vorgebrachte – und kritikwürdige – Annahme, dass der Einsatz eines Leiharbeitnehmers auf einem dauerhaft zu besetzenden Arbeitsplatz Übernahmephänomene erwarten lassen (vgl. hierzu: EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C232/20, NZA 2022, 549 [550, Rn. 37]). Offenbar ging der EuGH diesbzgl. lediglich davon aus, dass die Ziele der Richtlinie eine solche arbeitsplatzbezogene Betrachtung nur nicht zwingend erfordern – woraus nicht geschlussfolgert werden kann, dass die Richtlinie einem solchen Ansatz entgegensteht.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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der Mitgliedstaaten unberührt, über die Inhalte der Richtlinie hinausgehende und für die Leiharbeitnehmer günstigere Regelungen festzulegen. Ein sachgrundorientierter und arbeitsplatzbezogener Regulierungsansatz müsste einzig der Vorgabe aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG genügen. Dies zu bejahen, fiele indes nicht schwer. Schließlich würde eine Sachgrundorientierung des Leiharbeitnehmereinsatzes im Ergebnis dazu führen, dass dieser Einsatz zu beenden wäre, sobald der entsprechende Sachgrund – der wiederum auf den vorübergehenden Bedarf am Leiharbeitnehmereinsatz906 im Sinne der reaktiven Nutzungsstrategie zu orientieren wäre – nicht mehr vorläge. Im Ergebnis hätte der Gesetzgeber hiermit die unionsrechtliche Verpflichtung erfüllt, dafür Sorge zu tragen, dass Überlassungen nicht zu der befürchteten Dauersituation für einen Leiharbeitnehmer werden. Daneben müsste ein arbeitsplatzbezogener Regulierungsansatz aber auch verfassungsrechtlich zulässig sein. Oben ist bereits dargetan worden, dass der Gesetzgeber verfassungsrechtlich nicht auf diesen Regelungsweg verpflichtet ist, da hierin keine gegenüber der rein arbeitnehmerbezogenen Überlassungshöchstdauer grundrechtlich mildere Option zu sehen ist (vgl. erneut S. 510 ff.). Diese Beobachtung führt spiegelbildlich allerdings zugleich auch zu dem Schluss, dass dem Gesetzgeber – sofern er den Schritt zum strengeren arbeitsplatzbezogenen Regelungsregime wagt – mit dem Verweis auf die grundrechtlich mildere aber nicht gleich geeignete Überlassungshöchstdauer eine etwaig mangelnde Erforderlichkeit dieser Regulierungsalternative nicht vorgeworfen werden könnte. Auch die Angemessenheit einer sachgrundorientierten Regelung wäre daneben perspektivisch gegeben. Dadurch, dass ein tragfähiger arbeitsplatzbezogener Ansatz die aktiven Nutzungsformen erheblich erschweren oder gar unmöglich machen würde, wäre hiermit zwar ein im Kontrast zur Überlassungshöchstdauer erheblicherer Eingriff verbunden.907 Zugleich aber wäre das deutlich höhere Regulierungspotenzial einer solchen Regelungsalternative in Bezug auf das gesetzgeberische und von verfassungsrechtlicher Seite aus durch den sozialstaatlichen Gestaltungsauftrag bedingte Interesse geeignet, die Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und damit die reaktive Nutzungsform zu verweisen und so den Eingriff aufzuwiegen.908 906 Denkbar ist eine Orientierung an § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG. Vgl. erneut oben im Rahmen der Überlassungshöchstdauer: S. 512 ff. 907 Hinzu käme – mangels tarifvertraglicher Abweichungsmöglichkeiten im Kontext einer Sachgrundorientierung – auch ein Eingriff in Art. 9 Abs. 3 GG, der allerdings unter den gleichen Vorzeichen durch das kollidierende Verfassungsgut des Sozialstaatsprinzips gerechtfertigt werden könnte. 908 Dem könnte im Hinblick auf die rechtlich ungleich einfacher vorauszusehende Überschreitung der Überlassungshöchstdauer auch nicht entgegengehalt werden, dass mit einem arbeitsplatzbezogenen Ansatz ein verfassungsrechtlich problematischer Verlust an Rechtssicherheit einherginge. Schließlich wird der mit einem Arbeitsplatzbezug einhergehende Auslegungsbedarf auch in Bezug auf § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG den Arbeitsvertragsparteien zugetraut (vgl. auch: Pant, Gesetzliche und kollektivvertragliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung durch Höchstüberlassungszeiten, 2019, S. 173).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

Es ist daher zu prognostizieren, dass eine sachgrundorientierte und daher arbeitsplatzbezogene Regulierungsalternative sowohl unions- als auch verfassungsrechtlich zulässig wäre. Aufgrund ihres erheblichen Regulierungspotenzials in Bezug auf den dargelegten Interessenkonflikt der Arbeitnehmerüberlassung wäre es daher zu begrüßen, wenn der Gesetzgeber diesen Schritt gehen würde. Die maßgeblichen rechtlichen und politischen909 Ansätze liegen bereits vor.

III. Verpflichtender Gleichbehandlungsgrundsatz in Kombination mit einer Flexibilitätsprämie: interessengerechte Globallösung? Eine Regulierungsmöglichkeit mit einem völlig anderen Ansatz wäre wiederum darin zu sehen, das Entgeltniveau in der Arbeitnehmerüberlassung vermittels einer verpflichtenden Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Kombination mit einer zusätzlichen Flexibilitätsprämie zugunsten der Leiharbeitnehmer erheblich anzuheben. In der jüngsten Vergangenheit sind vermehrt politische Forderungen nach einem solchen Vorgehen laut geworden.910 Orientierung bietet insofern die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung in europäischen Nachbarländern, wo zum Teil der Gleichbehandlungsgrundsatz tariffest ausgestaltet und eine zusätzliche leiharbeitsspezifische Sonderprämie gesetzlich vorgesehen ist.911 In der Konsequenz würde sich bei Umsetzung eines solchen Konzepts die unter der Geltung des AÜG 909 Vgl. insofern zuletzt: Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LIN KE_Wahlprogramm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf („Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss an den Arbeitsplatz statt an die Person der Beschäftigten gebunden werden“). 910 Eine verpflichtende Entgeltgleichheit in Kombination mit einer Flexibilitätszulage i. H. v. 10 % des Entgelts fordernd: Bündnis 90/Die Grünen, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 103 f., abrufbar unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIEGRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/ fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundes tagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Die gleiche Forderung findet sich bei der ver.di: https://www.verdi.de/service/fragen-antworten/++co++c631372a-a873-11e0-43 aa-00093d114afd, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Demgegenüber einzig eine Entgeltgleichheit fordernd: SPD, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 27, abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Siehe nun zuletzt auch die vertiefte Überlegung bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 327 ff. 911 In Frankreich ist eine tarifvertragliche Abweichungsmöglichkeit vom „Equal Pay“Grundsatz nicht vorgesehen, zusätzlich ist eine so genannte „Prekaritätsprämie“ in Höhe von 10 % der Lohnsumme zu zahlen. Vgl. hierzu etwa: Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern @ Lehren für Deutschland?, 2009, Arbeitspapier 182 der Hans-Böckler-Stiftung, S. 16 ff., abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_182.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Weiterführend hierzu: Mattoug, Das französische Modell der Zeitarbeit: Ein Modell für wen?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 225 ff.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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bestehende Lage der Leiharbeitnehmer dergestalt umkehren, dass das Entgeltniveau in der Leiharbeitnehmerschaft sodann über demjenigen vergleichbarer Stammarbeitnehmer im konkreten Entleihbetrieb läge. 1. Regulierungspotenzial in Bezug auf den Interessenkonflikt der Arbeitnehmerüberlassung Augenscheinlich würde eine derartige Anhebung des Entgeltniveaus in der Branche allerdings nur die finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer beheben.912 Die weiteren Nachteile der Tätigkeit in der Arbeitnehmerüberlassung, wie das dort zu beobachtende erhöhte Stresserleben, die schlechtere Arbeitszufriedenheit, die hohen Flexibilitätsanforderungen sowie die geringe Bindung an das Unternehmen und der fehlende Zusammenhalt im Kollegenkreis (vgl. oben ab S. 100 ff.) könnten hierdurch allenfalls einen mittelbaren Ausgleich durch die Verbesserung der finanziellen Verhältnisse erfahren.913 Fraglich ist aber, ob ein verpflichtender Gleichbehandlungsgrundsatz in Kombination mit einer Flexibilitätsprämie auch dahingehend eine Steuerungswirkung entwickeln würde, als dass hierdurch der aktiven und Stammarbeitnehmer ersetzenden Nutzungsform entgegengewirkt werden würde und die Arbeitnehmerüberlassung auf die reaktive Nutzung und damit auf ihre „Kernfunktion“ orientiert würde. Mit anderen Worten stellt sich daher die Frage, ob die hier in Rede stehende Regulierungsstrategie gegenüber der Überlassungshöchstdauer und der zeitlichen Begrenzung der Tarifdispositivität in Bezug auf die Entgeltgleichheit eine veritable Lösungsalternative darstellt. In Bezug darauf, ob die alleinige verpflichtende Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes eine in Bezug auf die Forcierung der „Kernfunktion“ der Arbeitnehmerüberlassung gleich geeignete Regulierungsalternative darstellt,914 wurde dies in Zweifel gezogen (siehe hierzu S. 510 ff.). Diese Überlegung beruht auf der Einsicht, dass allein eine Anhebung des Lohnniveaus in der Arbeitnehmerüberlassung auf dasjenige der Stammarbeitnehmerschaft mögli912

Die z. T. erhobene politische Forderung, dass „Erwerbslose (nicht) in solch unwürdige Arbeitsverhältnisse“ gezwungen werden dürften, hätte sodann keine sachliche Substanz mehr. Vgl. hierzu etwa bei: Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahl programm_zur_Bundestagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Zugleich den Gedanken der Leistungsgerechtigkeit anführend: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 440 f. 913 Ebenso eine Kompensation der erhöhten Flexibilitätsanforderungen durch eine bessere Entlohnung befürwortend – hierfür aber den tarifvertraglichen Diskurs in der Verantwortung sehend: Seiwerth, ZESAR 2021, 127 (129). Ähnlich: Schüren, Warum ist die Geschichte des AÜG so schwierig?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 77 (93). Vgl. auch zuletzt die Gedanken bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 373 f. 914 So in Bezug auf die Überlassungshöchstdauer: Belling, „Vorübergehende“ Leiharbeit, 2018, S. 238 f.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

cherweise noch nicht ausreicht, um der aktiven Nutzungsstrategie hinreichend entgegenzuwirken. Die hiermit vorgenommene Verteuerung der Arbeitnehmerüberlassung würde zwar – ähnlich wie bereits die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität der Entgeltgleichheit (siehe hierzu S. 438 ff.) – einen erheblichen Anreiz schaffen, Leiharbeitnehmer restriktiv und in der Tendenz reaktiv einzusetzen. Die von den Unternehmen erhofften Vorteile einer aktiven Nutzungsstrategie, vermittels derer versucht wird, ein als besonders volatil empfundenes Marktgeschehen durch einen hohen Leiharbeitnehmeranteil zu kontrollieren, könnten die mit einer verpflichtenden Geltung des „Equal Pay“-Grundsatzes einhergehende Verteuerung dieser Strategie ggf. gleichwohl ausgleichen. Wenn der Gesetzgeber den Leiharbeitnehmereinsatz allerdings mittels einer hierüber hinausgehenden Flexibilitätsprämie noch weiter verteuert und – bildlich gesprochen – die Stellschraube der Kostenfrage weiter anzieht, ist es denkbar, dass dies im Ergebnis dazu führt, dass der beschriebenen aktiven Nutzungsstrategie die betriebswirtschaftliche Plausibilität genommen wird. Zumindest aber ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Nutzen einer derartigen Strategie dort deutlich in Frage gestellt werden würde, wo ein verpflichtender Gleichbehandlungsgrundsatz und eine zusätzliche Flexibilitätsprämie zu einer maßgeblichen Verteuerung des Leiharbeitnehmereinsatzes kulminieren würden. In der Konsequenz dürfte hiervon ein Anreiz hinsichtlich der Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung in Form ihrer „Kernfunktion“ als reaktive Personalreserve ausgehen, der über die im AÜG aktueller Fassung installierten Anreizwirkungen dieser Art hinausgehen könnte.915 Selbst wenn man dies anders sähe und annähme, dass auch eine derartige Verteuerungsstrategie die Arbeitnehmerüberlassung nicht wirksam auf ihre arbeitsmarktpolitische Kernposition beschränken könnte, so müsste doch gesehen werden, dass zumindest die Doppelung aus der entsprechenden Anreizwirkung zur reaktiven Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung und der hiermit zugleich erfolgten deutlichen finanziellen Besserstellung der Leiharbeitnehmer zusammengenommen ein Schutzniveau zugunsten der Leiharbeitnehmerschaft erreichen würde, das seinesgleichen sucht. Bezieht man den Leiharbeitnehmerschutz daher nicht nur auf die Forcierung der „Kernfunktion“ der Arbeitnehmerüberlassung, so wird man dieser Lösungsmöglichkeit ihr Regulierungspotenzial nicht absprechen können. Der Großteil der Negativfolgen, die für die Leiharbeitnehmerschaft mit einem Einsatz in der Branche einhergehen, ist schließlich ihrer generellen prekären Situation zuzuschreiben. Eine finanzielle Aufwertung ihrer Position würde daher viel bewirken. Perspektivisch würde diese Verteuerungsstrategie aber auch die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ maßgeblich vorantreiben. Dies gilt nicht nur für die hiermit erfolgte Infragestellung aktiver Nutzungsstrategien. Auch eine Steigerung der Integrationseffekte in reguläre Arbeit dürfte mit dieser Regelungsalternative einhergehen. Allein die Tatsache, dass ein Leiharbeitnehmer 915 Dieses Potenzial ebenfalls ausmachend: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 439 f., 441.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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durch einen verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatz und die entsprechende Flexibilitätsprämie im Einsatz teurer als ein Stammbeschäftigter wäre, würde im betreffenden Entleihunternehmen zwangsweise die Einzelfallentscheidung provozieren, ob ein gut eingearbeiteter Leiharbeitnehmer nach einer Überlassungsepisode zu übernehmen wäre. Freilich würde ein solcher Leiharbeitnehmer in diesem Fall einen geringeren Lohn erwarten. Wer allerdings die Sicherheit eines Stammarbeitsverhältnisses den hohen Flexibilitätsanforderungen einer Leiharbeitskarriere vorzieht, dürfte sich sodann für die Integration in reguläre Beschäftigung entscheiden. Von derartigen Positiveffekten wäre hingegen zumindest in Bezug auf die Gruppe der Langzeitarbeitslosen perspektivisch nicht auszugehen. Schließlich würde die mit einem verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatz und einer zusätzlichen Flexibilitätsprämie herbeigeführte Anhebung des Lohnniveaus den wahren Marktwert der Arbeit eines Langzeitarbeitslosen – aufgrund der in dieser Beschäftigtengruppe häufig geringeren Beschäftigungsfähigkeit – vielfach deutlich übersteigen. Im Ergebnis würde sich der Sektor der Arbeitnehmerüberlassung für Langzeitarbeitslose womöglich verschließen916 – was angesichts der Tatsache, dass sich die Arbeitnehmerüberlassung gerade für diese Beschäftigtengruppe als „Türöffner“ in den Arbeitsmarkt darstellt (vgl. S. 96 f.), nicht unproblematisch wäre.917 Wenn indes das hiesige Regulierungskonzept mit der oben erläuterten gesetzlichen Forcierung der Weiterbildung in der Branche (siehe soeben S. 581 ff.) verknüpft würde,918 könnte dieser „Türöffner“-Effekt für Langzeitarbeitslose teilweise erhalten bleiben, da diese ihre Beschäftigungsfähigkeit durch eine zeitweise Leiharbeitskarriere steigern könnten. Wahrscheinlicher wäre es aber, dass Langzeitarbeitslose in der Arbeitnehmerüberlassung aufgrund des derart erhöhten Lohnniveaus kaum Platz finden würden. Fragen muss man sich diesbezüglich aber, ob die mit dem hier vorgestellten Konzept herbeigeführte Verbesserung für viele Leiharbeitnehmer eine Verschlechterung für manche rechtspolitisch legitimieren würde. Genau so kritisch hinterfragen muss man aber, ob die hier vorgestellte Verteuerung des Leiharbeitnehmereinsatzes vor dem Hintergrund, dass sich in der Leiharbeitnehmerschaft offenkundig vermehrt Arbeitnehmer mit problematischen Erwerbsbiografien und tendenziell geringerer Arbeitsleistung sammeln, tatsächlich zu einer Verbesserung der Erwerbssituation für viele Leiharbeitnehmer führen würde. Die mit der hier in Rede stehenden Regulierungsalternative herbeigeführte Auf916 So auch die Einschätzung von Möller/Walwei/Ziegler, Wie wichtig ist Zeitarbeit für den deutschen Arbeitsmarkt?, in: Dinges/Franken/Breucker/Calasan/Speidel (Hrsg.), Zukunft Zeitarbeit, 2012, S. 33 (48). 917 Ähnlich auch die Gedanken zu den Auswirkungen einer solchen Regulierung auf den „Brückeneffekt“: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 441 f. 918 So in Frankreich. Vgl. etwa: Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern @ Lehren für Deutschland?, 2009, Arbeitspapier 182 der Hans-Böckler-Stiftung, S. 19, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/pdf/p_arbp_182.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

besserung ihrer finanziellen Lage könnte schließlich gleichsam auch dazu führen, dass viele Leiharbeitnehmer, die etwa aufgrund vorheriger Arbeitslosigkeit weniger erfahren und/oder geringer qualifiziert sind als Stammarbeitnehmer, deutlich über dem Wert ihrer tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung entlohnt werden würden. Im Ergebnis könnte dies dazu führen, dass potenzielle Entleihunternehmen unter diesen Konditionen nicht bereit wären, zum Leiharbeitnehmereinsatz zu greifen. Denkt man diese hypothetische Entwicklung weiter, könnte es dazu kommen, dass sich die Arbeitnehmerüberlassung als Tätigkeitsfeld nicht nur – wie zuvor erläutert – für Langzeitarbeitslose schließt, sondern auch für zahlreiche andere Arbeitnehmer, die in der dortigen Beschäftigung eine Alternative zu befürchteter oder erwarteter Arbeitslosigkeit sehen. Die oben beschriebene positive arbeitsmarktpolitische Wirkung (vgl. S. 125 f.) dieser Funktion der Arbeitnehmerüberlassung als erwerbsbiografischer „Lückenfüller“ wäre damit perspektivisch nicht mehr ohne Weiteres gegeben. Vielmehr wäre demgegenüber denkbar, dass sich die Arbeitnehmerüberlassung zu einer Art personalpolitischer „Feuerwehr“ entwickeln würde,919 die nur bei dringendem und schnell zu befriedigendem Arbeitskräftebedarf eingesetzt wird und in der sich gut qualifizierte Arbeitnehmer sammeln, welche die hohen direkten Personalkosten wert sind. Arbeitnehmer, die diesen Marktwert nicht aufweisen können, hätten demgegenüber folgerichtig keinen Platz mehr in der Arbeitnehmerüberlassung. Im Ergebnis würde hiermit der bekannten Zielsetzung, die Arbeitnehmerüberlassung allein auf ihre „Kernfunktion“ als reaktives Flexibilisierungsinstrument angesichts kurzfristig auftretenden Arbeitskraftbedarfs zu orientieren, mit beispielloser Konsequenz gedient. Die den reaktiven Leiharbeitnehmereinsatz typischerweise prägende kurze und gezielte Heranziehung von Leiharbeitnehmern zur Befriedigung eines vorübergehenden Personalbedarfs, der eine kurzfristige und zügige Personallösung erfordert, würde – trotz der entsprechenden Verteuerung – betriebswirtschaftlich wohl sinnvoll bleiben.920 Jede hierüber hinausgehende und ausgedehntere Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung würde jedoch aufgrund der sich in diesem Fall akkumulierenden Kosten wirtschaftlich in Frage gestellt.921 Eine aktive Nutzungsstrategie wäre dann kaum mehr möglich. Fragen müsste man sich aber, ob man bereit wäre, dieses Resultat und die umfangreiche finanzielle Verbesserung der Lage der Leiharbeitnehmer mit der Gefahr zu erkaufen, dass sich die Arbeitnehmerüberlassung potenziell für einen nicht unerheblichen Anteil derjenigen schließen würde, die dort typischerweise eine Beschäftigung finden. Diese Wertungsfrage kann hier nicht beantwortet werden. Allerdings sei noch angemerkt, dass 919 Ebenfalls von einer Schrumpfung der Branche ausgehend: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 448. 920 Vgl. insofern umfangreich zu den Vorteilen eines reaktiven Leiharbeitnehmereinsatzes ggü. anderen Flexibilisierungsmöglichkeiten: S. 59 ff. 921 Vgl. die Kostenanalyse eines fortlaufenden Leiharbeitnehmereinsatzes: S. 67 ff.; sowie Schwaab, Zeitarbeit aus betrieblicher Perspektive, in: Schwaab/Durian (Hrsg.), Zeitarbeit, 2017, S. 55 (63).

C. Weitere Regulierungsaspekte

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auch die soeben genannte Prognose, dass die Arbeitnehmerüberlassung sich im Fall der hier diskutierten Regulierungsstrategie als Tätigkeitsfeld für viele Arbeitnehmer schließen würde, nicht zwingend ist. Schließlich ist die Arbeitnehmerüberlassung nach den hier gewonnenen Erkenntnissen ein auch abseits einer reinen Kostenbetrachtung attraktives und wirksames Flexibilisierungsinstrument. Wenn die mit ihr einhergehenden Vorteile den Nachteil einer teureren und gleichzeitig weniger effektiven Arbeitsleistung922 kompensieren könnten, wäre es denkbar, dass Unternehmen auch dann zur Arbeitnehmerüberlassung greifen, wenn die geleistete Arbeit den gezahlten Personalkosten nicht entspricht.923 Erneut verdeutlicht sich daher die Richtigkeit der vielfach vom Bundesverfassungsgericht924 betonten Einsicht, dass die Gesetzgebung auf den Gebieten der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Wirtschaftsordnung von diffizilen Prognoseleistungen abhängt. Das Regulierungspotenzial der hier in Rede stehenden Verteuerungsstrategie des Leiharbeitnehmereinsatzes lässt sich daher nicht exakt bestimmen, sondern nur perspektivisch umreißen. Es ist allerdings nicht unplausibel, dass der Leiharbeitnehmersektor hierdurch insgesamt schrumpfen würde. Nicht nur wäre davon auszugehen, dass der breite Leiharbeitnehmereinsatz im Rahmen der aktiven Nutzungsstrategie nahezu unmöglich gemacht würde. Vielmehr dürfte auch die reaktive Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung zumindest teilweise abnehmen und eine gewisse Ausweichbewegung auf anderweitige Möglichkeiten des betrieblichen Flexibilisierungsinstrumentariums (vgl. S. 59 ff.) und insbesondere auf weitere Formen des Fremdpersonaleinsatzes zu erwarten sein. Möglicherweise würden auch diejenigen Arbeitnehmer mit problematischeren Erwerbsbiografien, die typischerweise häufiger in der Arbeitnehmerüberlassung tätig sind, angesichts der dortigen Verteuerung vermittels anderweitiger Möglichkeiten des Fremdpersonaleinsatzes tätig werden – was im Ergebnis wiederum verdeckte Arbeitnehmerüberlassungen, bei der die hohen Kosten der Arbeitnehmerüberlassung umgangen werden, befürchten ließe. Die Arbeitnehmerüberlassung selbst hätte jedoch auch bei Verfolgung 922 In dem Umstand, dass Stammarbeitnehmer möglicherweise eine höhere Arbeitsleistung aufweisen als Leiharbeitnehmer kann in Bezug auf die Gleichbehandlung gerade im Lichte der Erkenntnis, dass typischerweise die gleiche Tätigkeit ausgeübt wird, kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG gesehen werden. Siehe bereits: Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 207 f. Ansatzweise auch bei: BVerfGK 4, 356 (363). 923 Hinsichtlich der hier angestellten perspektivischen Überlegungen muss zudem für die Zukunft die demografische Entwicklung und der hiermit verbundene antizipierbare Mangel an qualifizierten Arbeitskräften im Blick behalten werden (siehe etwa: Bundesagentur für Arbeit, Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt, 2020, abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Statischer-Content/Statistiken/Themen-im-Fokus/Demo grafie/Generische-Publikationen/Bericht-Demografie.pdf?__blob=publicationFile&v=6, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023). Sollte sich dieser verschärfen, wäre es denkbar, dass sich die Arbeitnehmerüberlassung ohnehin auf ein knappes Marktsegment reduziert und hier auch – trotz etwa der hier vorgestellten Verteuerungsstrategie – minderqualifizierte Arbeitnehmer beschäftigt werden. 924 In Bezug auf das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft in § 12a AFG a. F.: BVerfGE 77, 84 (112). Ähnlich: BVerfGE 115, 205 (234).

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

des hiesigen Konzepts ihren festen Platz in der Arbeitsmarktordnung. Hierfür spricht auch der Seitenblick auf Regelungsregime, in denen eine solche Regulierungsstrategie unlängst gelebte Realität ist.925 2. Unionsrechtliche und grundgesetzliche Bewertung Unbeantwortet ist hiermit indes noch die Frage der mutmaßlichen unions- und verfassungsrechtlichen Zulässigkeit dieses Regelungskonzepts. Im Hinblick auf die Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie ist diesbezüglich Art. 9 Abs. 1 RL 2008/104/EG in Bezug zu nehmen, der das Recht der Mitgliedstaaten unberührt lässt, über die Inhalte der Richtlinie hinausgehende und für die Leiharbeitnehmer günstigere Regelungen festzulegen. Gleichsam würde dem Auftrag aus Art. 5 Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 lit. a) – e) RL 2008/104/EG dadurch Genüge getan, dass unter der entsprechenden Verteuerung des Leiharbeitnehmereinsatzes solche Überlassungsepisoden, die im Ergebnis zur einer Dauersituation für den Leiharbeitnehmer würden, kaum möglich wären. Selbst wenn dies im Einzelfall – trotz hoher Kosten – geschehen würde, läge es an den nationalen Gerichten, entsprechende Missbräuche im Wege der vom EuGH vertretenen Einzelfallkontrolle (vgl. hierzu ausführlich S. 185 ff.) zu verhindern. Der Elefant im Raum ist aber die Frage, ob eine derartig weitgehende Kehrtwende in der Regulierungsstrategie, durch welche die Arbeitnehmerüberlassung kompromisslos auf den Bereich der reaktiven Nutzung verwiesen werden würde, verfassungsrechtlich haltbar wäre.926 Das erhebliche Regulierungspotenzial in Bezug auf den Leiharbeitnehmerschutz könnte den entsprechenden Eingriff in die Grundrechte aus Art. 9 Abs. 3, 12 Abs. 1 GG und – in Bezug auf die Zahlungsverpflichtung der Flexibilitätsprämie – Art. 2 Abs. 1 GG perspektivisch durchaus rechtfertigen.927 Schließlich würde die reaktive Nutzungsstrategie hierdurch zwar erheblich verteuert, sie würde aber weiter möglich und betriebswirtschaftlich wohl sinnvoll bleiben. Nur 925 In Frankreich hat die Arbeitnehmerüberlassung auch unter verpflichtender Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes, einer zusätzlichen Flexibilitätsprämie und verpflichtenden Weiterbildungsinvestitionen durchaus eine feste Rolle in der Arbeitsmarktordnung. Vgl. etwa: Vanselow/Weinkopf, Zeitarbeit in europäischen Ländern @ Lehren für Deutschland?, 2009, Arbeitspapier 182 der Hans-Böckler-Stiftung, S. 16 ff., abrufbar unter: https://www.boeckler. de/pdf/p_arbp_182.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Weiterführend: Mattoug, Das französische Modell der Zeitarbeit: Ein Modell für wen?, in: Bouncken/Bornewasser/Bellmann (Hrsg.), Die neue Rolle der Zeitarbeit in Deutschland, 2012, S. 225 ff. 926 Siehe hierzu nun auch zuletzt die breite Analyse bei: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 327 ff. 927 I. E. hält auch Corzelius einen verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatz „mangels einer Verpflichtung zur Schaffung von tarifdispositivem Recht“ für verfassungsrechtlich zulässig, aber vor dem Hintergrund sodann fehlender Flexibilisierungsmöglichkeiten für in der Sache bedenklich (vgl. Corzelius, Grundlagen, Wirkungen und Grenzen des tarifdispositiven Rechts in der Arbeitnehmerüberlassung, 2018, S. 124). Auch Kolfhaus kommt zu dem Ergebnis, dass dies unions- und verfassungsrechtlich zulässig wäre: Kolfhaus, Flexibilität und Fragmentierung durch Arbeitnehmer*innenüberlassung, 2022, S. 327 ff.

C. Weitere Regulierungsaspekte

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die aktive Nutzungsstrategie würde massiv beschränkt, was vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Negativaspekte aber angemessen erscheint. Entgegenhalten könnte man der diskutierten Verteuerungsstrategie aber möglicherweise, dass der hiermit einhergehende massive Eingriff in die grundrechtlichen Positionen der Entleih- und Verleihunternehmen deswegen nicht erforderlich sei, weil der Staat die finanzielle Verbesserung der Situation der Leiharbeitnehmer dadurch mitleisten könnte, dass die verpflichtende Gleichbehandlung hinsichtlich des Entgelts und die genannte Flexibilitätsprämie anteilig durch Lohnkostenzuschüsse928 unterstützt werden würden. Diese oben bereits erwähnte – bisher aber in der Literatur noch nicht diskutierte – Handlungsalternative hätte zwar zur Folge, dass im Ergebnis eine Verbesserung der finanziellen Situation der Leiharbeitnehmer erreicht würde. Die erhebliche Steuerungswirkung hinsichtlich einer Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre reaktive „Kernfunktion“ würde hiermit aber nicht einhergehen. Solche Einsatzstrategien, die auf einer Substitution von Stammarbeitnehmern aufbauen, würden sodann nicht mit vergleichbarer Wirkung verhindert, da der Leiharbeitnehmereinsatz möglicherweise nicht in dem Maße verteuert werden würde,929 dass eine solche Strategie betriebswirtschaftlich unvertretbar würde. Von einer diesbezüglich gleichen Geeignetheit wäre daher nicht auszugehen. Entsprechende Lohnkostenzuschüsse, welche gleichzeitig die Arbeitgeber finanziell entlasten und die Verbesserung der finanziellen Situation der Leiharbeitnehmerschaft bewirken würden, wären daher nicht ohne weitere gesetzliche Restriktionen denkbar, die ihrerseits die Arbeitnehmerüberlassung auf die reaktive Nutzung verweisen. Im Ergebnis müsste demgemäß an den in diese Richtung wirkenden Regulierungsinstrumenten des AÜG aktueller Fassung festgehalten oder das Regelungsinstrumentarium um eine sachgrundorientierte Regulierung (vgl. S. 584 ff.) ergänzt werden. Eine echte Alternative mit breitem Regulierungspotenzial wäre in einer derart staatlich unterstützten Verbesserung der Lage der Leiharbeitnehmer daher nicht zu sehen. Im Ergebnis könnte auch eine in diese Richtung gehende Argumentation der hier in Rede stehenden Verteuerungsstrategie daher verfassungsrechtlich nicht entgegengehalten werden. Der Gesetzgeber könnte nach den hier gefundenen Ergebnissen also durchaus die entsprechenden politischen Forderungen umsetzen und die Arbeitnehmerüberlassung vermittels eines verpflichtenden Gleichbehandlungsgrundsatzes – gepaart mit einer Flexibilitätsprämie – konsequent umstrukturieren.930 Zuletzt müsste auch ge928 Angesichts der oftmals erwerbsbiografisch schwierigen Lage der Leiharbeitnehmer wäre insofern etwa eine Parallele zu § 88 SGB III denkbar. 929 Vorausgesetzt, die Verleihunternehmen, die von Lohnkostenzuschüssen profitieren, würden die hiermit gewonnene Kostenerleichterung an die Entleihunternehmen weiterreichen – was allerdings aus Wettbewerbsgründen zu erwarten wäre. 930 Den Gesetzgeber demgegenüber auf die „Klaviatur des Mindestlohns“ verweisend, nicht aber auf „die des Äquivalenzprinzips“: Hirdina, NZA 2011, 325 (330). Ebenfalls kritisch ggü. einer verpflichtenden Gleichbehandlung: Kämmerer, Der neue Rechtsrahmen der Arbeitnehmerüberlassung, 2017, S. 49.

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Kap. 4: Arbeitnehmerüberlassung als Gegenstand staatlicher Regulierung

sehen werden, dass diese Regulierungsalternative zumindest die Lohnuntergrenze, die Überlassungshöchstdauer und die Regulierung der Abweichungsmöglichkeiten vom Gleichbehandlungsgrundsatz obsolet machen würde. Insofern hätte dies auch eine Verschlankung der Regularien zur Folge. Das letzte Wort in dieser Angelegenheit hätte freilich das Bundesverfassungsgericht. Dieses hat dem Gesetzgeber in Bezug auf anderweitige Eingriffsentscheidungen im Rahmen der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung bisher allerdings nicht unerhebliche Freiräume gelassen und etwa in einer Gleichbehandlung von Leiharbeitnehmern unter Ermöglichung tarifvertraglicher Abweichungen keinen Verfassungsverstoß erblickt.931 Ob eine strengere Regulierung, welche die Gleichbehandlung verpflichtend stellen und mit einer zusätzlichen Sonderprämie verbinden würde, die dem Gesetzgeber vom Bundesverfassungsgericht belassenen Spielräume sprengen würde, bliebe hingegen abzuwarten. Die verfassungsrechtliche Kritik in der Literatur wäre indes vorprogrammiert.932

931 Hierzu: BVerfGK 4, 356 ff. Vgl. auch die Entscheidung zum Streikbrechereinsatz: BVerfG, Beschl. v. 19.6.2020 – 1 BvR 842/17, NZA 2020, 1186 ff. 932 Man denke allein an die (der genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zumeist vorausgehende) in der Literatur formulierte verfassungsrechtliche Kritik am Gleichbehandlungsgrundsatz a. F., bevor die Leiharbeitsrichtlinie den Mitgliedstaaten diesen Regulierungspfad vorgab: Kämmerer/Thüsing, Leiharbeit und Verfassungsrecht, 2005, S. 20 ff.; Klebeck, Gleichstellung der Leiharbeitnehmer als Verfassungsverstoß, 2004, S. 45 ff.; Platzhoff, Arbeitnehmerüberlassung und Legitimität, 2009, S. 170 ff., 197 ff.

Kapitel 5

Schlussteil Im Folgenden gilt es nun, Bilanz zu ziehen und die wesentlichen Ergebnisse dieser Untersuchung darzustellen, das AÜG als Gesamtkonzept zu bewerten und einen Blick in die Zukunft der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung zu werfen.

A. Wesentliche Ergebnisse Zusammenfassend hat die Untersuchung folgende Ergebnisse hervorgebracht: 1. Seitens der Entleihunternehmen sind dem Grunde nach zwei Einsatzstrategien der Arbeitnehmerüberlassung zu unterscheiden: Eine reaktive Nutzung, im Rahmen derer Leiharbeitnehmer zur Abdeckung eines kurzfristig auftretenden und vorübergehenden oder in seiner Dauer nicht absehbaren Personalbedarfs eingesetzt werden (sog. „Kernfunktion“) sowie eine aktive Nutzung, die darauf aufbaut, die Arbeitnehmerüberlassung in beträchtlich größerem Umfang als langfristige Personallösung einzusetzen und hierbei einen Teil der Stammbelegschaft dauerhaft mit Leiharbeitnehmern zu ersetzen. Hinter die mit diesen Einsatzstrategien jeweils verbundenen Flexibilisierungs- und Kostenmotive tritt die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung als Rekrutierungskanal zurück. (S. 59 – 74, S. 117 – 122) 2. Für die Leiharbeitnehmerschaft stellt die mit einer Leiharbeitstätigkeit verbundene Zielsetzung, über den Weg einer Leiharbeitstätigkeit – auch um ggf. eine Arbeitslosigkeit zu vermeiden – in ein Normalarbeitsverhältnis als Stammarbeitnehmer in einem vormaligen Entleihunternehmen übernommen zu werden, ein zentrales Motiv dar. Neben dieser Intention handelt es sich bei der Motivation mancher Leiharbeitnehmer, die die Tätigkeit in der Branche um ihrer selbst willen präferieren, um ein Randphänomen. Die entsprechenden Integrationseffekte sind allerdings allenfalls auf einen geringen zweistelligen Prozentsatz zu beziffern und vor allem im Rahmen der reaktiven Nutzungsstrategie anzutreffen. Für Arbeitslose kann die Arbeitnehmerüberlassung hingegen einen „Türöffner“ zum Arbeitsmarkt darstellen. Wahrscheinlicher als eine Integration in reguläre Arbeit ist hingegen auch hier eine Karriere in der Branche selbst. (S. 88 – 100) 3. Neben diese oftmals enttäuschten Hoffnungen auf Integrationseffekte treten zahlreiche weitere Nachteile zulasten der Leiharbeitnehmer. In Bezug auf die Stabilität der Beschäftigungsverhältnisse, die Kompetenzentwicklung durch Weiter-

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Kap. 5: Schlussteil

bildungen, den Zusammenhalt in der Belegschaft sowie die Bindung zum Betrieb, das Wohlbefinden sowie das Stresserleben und die hiermit verbundene Arbeitszufriedenheit und hinsichtlich ihrer finanziellen Verhältnisse sind sie gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis schlechter gestellt. (S. 100 – 114) 4. Die durch die Leiharbeitsrichtlinie vorgenommene unionsrechtliche Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung adressiert diesen rechtstatsächlichen Interessenkonflikt nur ausschnittsweise. Zwar schreibt etwa der unionsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz einen Mindeststandard vor. Die diesbezüglichen Abweichungsmöglichkeiten – hierbei auch der die Sozialpartner bindende „Gesamtschutz“ – überlassen der mitgliedstaatlichen Regulierung jedoch erhebliche Spielräume. Auch die unionsrechtlichen Adressierungen der Weiterbildungsbenachteiligung und des fehlenden Zusammenhalts in der Belegschaft bleiben hinter dem angesichts der aufgezeigten Missstände zu erwartenden Schutzniveau zurück. (S. 166 – 178, S. 195 – 203) 5. Dem durch den „Flexicurity“-Gedanken anvisierten umfangreichen Interessenausgleich zwischen Flexibilisierungs- und Sicherheitsmotiven wird die Leiharbeitsrichtlinie – nicht zuletzt auch aufgrund der Tatsache, dass sie weitergehende Verbote und Beschränkungen der Arbeitnehmerüberlassung nicht überformt – daher nicht gerecht. (S. 136 – 140, S. 158 – 166) 6. Der Bezeichnung der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ ist nur die Deskription des unionsrechtlichen Verständnisses dieser Beschäftigungsform zu entnehmen. Eine konkrete und an die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber adressierte Regelungsvorgabe in Bezug auf die zeitliche Begrenzung der Überlassungsepisoden oder gar ein arbeitsplatzbezogener Regelungsauftrag ist dieser Wendung nicht zu entnehmen. Die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber trifft vielmehr einzig eine Bemühenspflicht, ein nationales Regelungsregime zu errichten, welches dahin wirkt, Überlassungen zu verhindern, die dem unionalen Verständnis von der „vorübergehenden Natur“ der Arbeitnehmerüberlassung nicht genügen. Eine Verpflichtung, die Arbeitnehmerüberlassung auf die reaktive Nutzungsform auszurichten, folgt hieraus nicht. Daneben sind vor allem die mitgliedstaatlichen Gerichte in der Pflicht, eine Anwendung nationaler Regulierungen, die im Ergebnis dazu führen, dass Überlassungen dieser Deskription der Arbeitnehmerüberlassung als „vorübergehend“ nicht entsprechen, mittels einer Einzelfallkontrolle zu begegnen. (S. 142 – 158, S. 178 – 195) 7. Die primärrechtlichen Gewährleistungen des Unionsrechts überspannen in Gestalt der einschlägigen Grundfreiheiten aus Art. 45 ff., 49 ff. und 56 ff. AEUV im Falle grenzüberschreitender Sachverhalte und in Gestalt der einschlägigen unionalen Grundrechte aus Art. 15, 16 und 31 GrCh in dem Fall, in dem Regelungen des AÜG eine Durchführung von Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie darstellen, die nationale Gesetzgebung. Da den primärrechtlichen Gewährleistungen keine konkrete Schutzpflichtenkomponente in Bezug auf die einschlägige Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer aus Art. 15 GrCh zukommt und auch aus Art. 31 GrCh kein breit

A. Wesentliche Ergebnisse

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angelegter und gerechtigkeitsorientierter Schutzauftrag zu entnehmen ist, schützt das Primärrecht im hiesigen Kontext in erster Linie die einschlägigen Interessen der Beteiligten in abwehrrechtlicher Hinsicht. (S. 205 – 224) 8. Demgegenüber lässt sich der auf verfassungsrechtlicher Ebene im Fokus der Betrachtung stehenden Berufsfreiheit durchaus ein Dualismus aus einer Abwehrund einer Schutzfunktion entnehmen, der dem grundsätzlichen Deregulierungsgebot des grundrechtlichen Abwehrrechts die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers auf ein Mindestmaß an wirksamen gesetzlichen Schutzmaßnahmen entgegenstellt. Zur Aktivierung dieser auf Art. 12 Abs. 1 GG bezogenen Schutzpflicht genügt indes nicht allein der Hinweis auf die strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer im Kontext eines wirtschaftlich-sozialen Kräfteungleichgewichts bei der Vertragsgestaltung. Die soziologische Beobachtung einer solchen Unterlegenheit vermag einzig eine indizielle Wirkung hinsichtlich einer etwaigen Schutzpflichtenaktivierung entfalten und befreit nicht von der erforderlichen Feststellung eines in ausreichendem Maße wahrscheinlichen privaten Grundrechtsübergriffs. (S. 226 – 272) 9. Bricht man die Schutzfunktion von Art. 12 Abs. 1 GG dergestalt herunter, ergibt sich in Bezug auf den der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Interessenkonflikt, dass dieser keine Verpflichtung zur flächendeckenden Installierung gesetzlicher Schutzmaßnahmen zu entnehmen ist. Lediglich in Bezug auf Integrationseffekte beeinträchtigende vertragliche Bestimmungen und im Rahmen der Festhaltenserklärung ist dieses verfassungsrechtliche Schutzprogramm aktiviert. Zwar ist die hierbei indizielle Wirkung entfaltende strukturelle Unterlegenheit der Leiharbeitnehmer feststellbar. An hinreichend wahrscheinlichen Grundrechtsübergriffen der Verleih- oder Entleihunternehmen fehlt es aber zumeist. (S. 272 – 290) 10. Die aufgrund der dogmatischen Struktur der grundrechtlichen Schutzpflicht zuweilen feststellbare offene Flanke der verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtungen im Kontext zivilrechtlicher Beziehungsgeflechte lässt sich über eine Hinzuziehung des Sozialstaatsprinzips zwar grundsätzlich schließen. Den hiesigen Untersuchungsgegenstand betreffend erwächst jedoch auch aus einer so verstandenen sozialstaatlichen Schutzpflicht einzig in Bezug auf die potenziell fremdbestimmte individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zulasten der Leiharbeitnehmer und in Bezug auf den Streikbrechereinsatz zulasten der Stammarbeitnehmer eine konkrete gesetzgeberische Handlungsverpflichtung. Neben diesen singulären verfassungsrechtlichen Obligationen ist den entgegenstehenden Abwehrrechten einzig die weite Schutzfunktion des Sozialstaatsprinzips entgegenzusetzen, welches – sofern gesetzlich operationalisiert – Rechtfertigungspotenzial entfaltet. (S. 301 – 338) 11. Darüber hinaus stecken der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG und die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG den verfassungsrechtlichen Rahmen für die Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung ab. Letztere Gewährleistung wird im hier in Rede stehenden Kontext als Abwehrrecht

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Kap. 5: Schlussteil

und als Ausgestaltungsfunktion virulent – wobei die Ausgestaltungsfunktion in ihren Rechtfertigungsvoraussetzungen im Wesentlichen kongruent zum Abwehrrecht zu behandeln ist. (S. 290 – 301) 12. Die Regulierungsentscheidungen des AÜG lassen sich insofern einer systematisierenden Grobrasterung zuführen, als dass sie in eine öffentlich-rechtliche Regulierungsschicht und eine arbeitsrechtliche Regulierungsschicht unterschieden werden können. Zu den öffentlich-rechtlichen Regulierungsentscheidungen ist hierbei zunächst der administrative Überbau der Arbeitnehmerüberlassung zu zählen. Die diesbezüglichen Regelungen rund um die Erlaubnispflicht installieren eine zulässige Schranke zur administrativen Kontrolle der Zuverlässigkeit der Verleihunternehmen, welche unionsrechtlich nicht zu beanstanden und auch im Lichte der sozialstaatlichen Aufladung des Leiharbeitnehmerschutzes verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. (S. 348 – 366) 13. Daneben treten die sektoralen Verbote der Arbeitnehmerüberlassung, die ebenfalls der näheren Regulierung der arbeitsrechtlichen Beziehungen vorgelagert sind. Hinsichtlich der Überprüfung dieser Regulierungsentscheidungen in Bezug auf das höherrangige Recht ergibt sich aber, dass zum einen das Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Bauwirtschaft rechtstatsächlich überholt und verfassungsrechtlich nicht mehr haltbar ist und zum anderen das Verbot in der Fleischindustrie an den verfolgten gesetzgeberischen Zielen vorbei geht und aus diesem Grund ebenfalls verfassungsrechtlich zu beanstanden ist. Auch die Missstände in der Pflegebranche würden den Maximaleingriff eines sektoralen Verbotes dort perspektivisch nicht rechtfertigen. Insgesamt adressieren die Regulierungsentscheidungen der sektoralen Verbote die oben aufgezeigten Schwerpunkte des Leiharbeitnehmerschutzes nicht. (S. 366 – 406) 14. Die arbeitsrechtliche Regulierungsschicht des AÜG beinhaltet sodann mit der Möglichkeit zur Festsetzung einer Lohnuntergrenze eine erste Weichenstellung zugunsten des Leiharbeitnehmerschutzes in Bezug auf die Entgeltbedingungen in der Branche. Die hiermit installierte untere Haltelinie adressiert die finanzielle Schlechterstellung der Leiharbeitnehmer gegenüber dem Beschäftigungsdurchschnitt und ist geeignet, diesen Negativgesichtspunkt teilweise auszugleichen. Die Regulierungsentscheidung ist daher inhaltlich zu befürworten. Sie ist aber auch mit den unionsrechtlichen und grundgesetzlichen Vorgaben vereinbar. Sowohl die Betroffenheit ausländischer Verleihunternehmen durch die Lohnuntergrenze als auch die hiermit einhergehenden grundrechtlichen Eingriffe sind durch die verfolgten Schutzzwecke zu rechtfertigen. (S. 406 – 418) 15. Die nationale Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes genügt den unionsrechtlichen Anforderungen. Insbesondere steht ihr der in Bezug auf tarifvertragliche Abweichungen zu achtende „Gesamtschutz“ nicht entgegen. Ferner ist die zeitliche Begrenzung der Tarifdispositivität des Gleichbehandlungsgrundsatzes hinsichtlich der Entgeltgleichheit im Lichte der hiermit in erster Linie verfolgten Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ – mit anderen

A. Wesentliche Ergebnisse

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Worten: auf die reaktive Nutzungsform – verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. In Bezug auf die potenziell fremdbestimmte individualvertragliche Ausschaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes besteht indes aufgrund der diesbezüglich aktivierten sozialstaatlichen Schutzpflicht ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Probate Lösungsstrategien sind einerseits in einer Streichung der Bezugnahmeklauseln und andererseits in regulativen Ansätzen zu sehen, welche die tarifdispositive Ausgestaltung entsprechender Abweichungen adressieren und etwa Anforderungen an den Organisationsgrad der Leiharbeitnehmer in den betreffenden Gewerkschaften stellen. (S. 418 – 466) 16. Mit dem Verbot des Streikbrechereinsatzes wird der Gesetzgeber der Aktivierung der zugunsten der Arbeitskampffreiheit der stammarbeitnehmerseitigen Gewerkschaften wirkenden sozialstaatlichen Schutzpflicht und dem hierdurch verfassungsrechtlich erforderlichen Mindestmaß an Schutz gerecht. Die konkrete gesetzliche Ausgestaltung des Verbotes dient der Herstellung eines annähernden Kräftegleichgewichts der im Arbeitskampf konfligierenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen. Die entsprechende Ausgestaltungsdogmatik kommt zwar im Rahmen des Verbots des Streikbrechereinsatzes nicht in einem grundrechtsinternen Konflikt innerhalb der Koalitionsfreiheit zum Tragen. Der hier in Rede stehende Konflikt zwischen der Koalitionsfreiheit der stammarbeitnehmerseitigen Gewerkschaften und der Berufsfreiheit der betroffenen Entleihunternehmen kann aber in ihrem Lichte aufgelöst werden. (S. 466 – 488) 17. Die Überlassungshöchstdauer und ihre Abweichungsmöglichkeiten genügen den unionsrechtlichen Anforderungen. Zugleich stellt die Überlassungshöchstdauer aus verfassungsrechtlicher Perspektive eine Kompromisslösung in Bezug auf die Vermeidung aktiver Nutzungsstrategien der Arbeitnehmerüberlassung dar und leistet einen Beitrag dazu, dieselbe auf ihre so verstandene „Kernfunktion“ zu orientieren, ohne dabei eine Freiheitsbetätigung unmöglich zu machen und ein sozialstaatliches Schutzinteresse mit harter Hand durchzusetzen. Ferner fügen sich die Regulierungsentscheidungen zu den diesbezüglichen Abweichungsmöglichkeiten schlüssig in das hierin verfolgte gesetzgeberische Gesamtkonzept der Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ bei einer gleichzeitigen Förderung tarifvertraglicher Strukturen ein. (S. 488 – 535) 18. Die Regulierungsentscheidungen zur Unwirksamkeit des Überlassungsvertrags und zur Unwirksamkeit konkreter vertraglicher Vereinbarungen flankieren wesentliche Schutzbestimmungen in unions- und verfassungsrechtlich probater Art und Weise mit einer sanktionierenden Nichtigkeitsfolge. Darüber hinaus installieren die Regelungen zur Unwirksamkeit bzw. zur regulierten Zulassung von vertraglichen Bestimmungen, die Integrationseffekte beeinträchtigen, ein zum einen den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie entsprechendes Regelungsregime, das die benannten Integrationseffekte der Arbeitnehmerüberlassung forciert. Zum anderen genügt der Gesetzgeber hierin auch der diesbezüglich aktivierten grundrechtlichen Schutz-

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Kap. 5: Schlussteil

pflicht in Bezug auf die Berufsfreiheit der Leiharbeitnehmer und hält zugleich die Grenzen des Übermaßverbotes ein. (S. 535 – 550) 19. Mit den Regelungen zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages und dem hiermit verbundenen fingierten Übergang des Leiharbeitnehmers in ein Stammarbeitsverhältnis beim vormaligen Entleihunternehmen installiert der Gesetzgeber einerseits ebenfalls eine Schutzbestimmungen flankierende Nichtigkeitsfolge. Andererseits wird hiermit aber auch eine – in der Sache begrüßenswerte – unmittelbare staatliche Förderung von Integrationseffekten erreicht. Dem komplexen verfassungsrechtlichen Interessengeflecht hinsichtlich dieser Regulierungsentscheidungen wird die rechtliche Ausgestaltung insgesamt gerecht. Dies gilt allerdings nur, wenn die Festhaltenserklärung im Wege verfassungskonformer Auslegung um einen kenntnisabhängigen Fristbeginn und eine dazugehörige Unterrichtungspflicht ergänzt wird. (S. 550 – 580) 20. Abseits der von gesetzgeberischer Seite aus eingeschlagenen Regulierungspfade und den Vorgaben der Leiharbeitsrichtlinie bieten sich allerdings weitere Regelungsmöglichkeiten an, die perspektivisch geeignet wären, den der Arbeitnehmerüberlassung innewohnenden Interessenkonflikt zu befrieden. Dies umfasst zunächst die Einführung verpflichtender Investitionen in die Kompetenzentwicklung der Leiharbeitnehmerschaft zulasten der Verleihunternehmen. Daneben bietet die regulative Ausrichtung des Leiharbeitnehmereinsatzes auf eine sachgrund- und damit arbeitsplatzbezogene Betrachtung ein erhebliches Regulierungspotenzial in Bezug auf die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und damit die reaktive Nutzung derselben. Ein demgegenüber eingriffsintensiverer aber dennoch perspektivisch zulässiger Ansatz ist in einer erheblichen Erhöhung des Lohnniveaus in der Branche durch eine verpflichtende Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Kombination mit einer zusätzlichen leiharbeitsspezifischen Flexibilitätsprämie zu sehen. (S. 580 – 594)

B. Abschlussbewertung und Ausblick Erhebt man den Blick nunmehr über die Einzelregularien des AÜG hinaus und stellt diesem den dargelegten Interessenkonflikt zwischen den Beteiligten und die diesbezüglichen unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten gegenüber, so muss man sich abschließend fragen, ob das AÜG als Gesamtkonzept in diesem Lichte geglückt ist. Schließt man dergestalt abschließend Bilanz, muss diese Frage verneint werden. Zwar hält sich der Gesetzgeber mit den Regulierungsentscheidungen des AÜG im Großen und Ganzen im Rahmen des unions- und verfassungsrechtlich Zulässigen. In Bezug auf den der Arbeitnehmerüberlassung inhärenten Interessenkonflikt kann das AÜG in seiner Gesamtheit aber keine echte Befriedung erzielen. Mit der nach Jahren der Deregulierung verfolgten Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre

B. Abschlussbewertung und Ausblick

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„Kernfunktion“ hat der Gesetzgeber freilich den richtigen Weg eingeschlagen. Nimmt man indes das gesetzgeberische Ziel ernst, die Nutzung der Arbeitnehmerüberlassung auf eine sozial verträgliche Form zu reduzieren, so kann nur ein beherzterer regulativer Durchgriff die erwünschten Effekte erzielen. Die mit den Regularien des AÜG installierten Impulse vermögen es nicht, den Leiharbeitnehmereinsatz konsequent auf ihre einzig probate Nutzung als reaktive Flexibilisierungsmöglichkeit und so auf ihre „Kernfunktion“ zu verweisen. Nur dort allerdings kann die Arbeitnehmerüberlassung in der Arbeitsmarktordnung einen Platz finden, der zugleich dem Flexibilitätsbedürfnis der Unternehmen als auch den Interessen der Arbeitnehmerseite gerecht wird. Aus der Analyse der unions- und verfassungsrechtlichen Determinanten ist allerdings deutlich geworden, dass es nicht das höherrangige Recht ist, das dem Gesetzgeber die hierzu notwendigen Regulierungsschritte vorgibt. Weder die Leiharbeitsrichtlinie noch die nationalen Grundrechtsgewährleistungen geben die Grundlinien der Regulierung vor. Während die Leiharbeitsrichtlinie der Regulierung lediglich einzelne Mindestvorgaben aufgibt, adressieren die grundrechtlichen Schutzpflichten – selbst um den sozialstaatlichen Handlungsauftrag erweitert – nur den Übergriff des mächtigeren privaten Gegenübers. Sie schützen den Grundrechtsträger aber nicht vor einer generellen strukturellen Unterlegenheit – oder mit anderen Worten: Dem stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse.1 Eben eine solche Gemengelage ist aber der Arbeitnehmerüberlassung inhärent. Das nationale Verfassungsrecht setzt daher abseits von spezifischen Einzelvorgaben keine richtungsweisenden Maßstäbe. Damit liegt die Verantwortung für die Entwicklung interessengerechter Regelungsansätze nur bei einer Schutzbastion: Dem regulierenden Staat.2 Diese Regulierungsverantwortung kann indes nicht auf die supranationale Ebene abgewälzt werden. Wer von Seiten des EuGH Ableitungen aus der Leiharbeitsrichtlinie erwartet, die dem nationalen Gesetzgeber maßgebliche Grundentscheidungen zur arbeitsmarktpolitischen Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung vorgeben würden, und wer daher hoffnungsvoll den Blick nach Luxemburg erhebt, 1

So schon früh die Beobachtung bei Karl Marx im Hauptwerk Das Kapital: Kritik der politischen Ökonomie („Der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ,Naturgesetzen der Produktion‘ überlassen bleiben, d. h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital.“), nachzulesen in: Marx/Engels, Gesammelte Werke, 2016, S. 765. Siehe hierzu auch weiterführend jüngst die detaillierte Analyse bei: Mau, Stummer Zwang: Eine marxistische Analyse der ökonomischen Macht im Kapitalismus, 2021, S. 15 ff. 2 Frei nach: Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/1, 1988, S. 1595 (wenngleich dort ein konkreter verfassungsrechtlicher Handlungsmaßstab hergeleitet wird): „Wo private Macht individualfreiheitsgefährdend ist und nicht durch Konkurrenz und Wettbewerb konterkariert werden kann, gibt es nur eine Schutzbastion: den Staat.“ (Hervorhebung durch den Verfasser).

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Kap. 5: Schlussteil

wird enttäuscht werden. Die zurückhaltende Rechtsprechung des Gerichtshofs hat zuletzt in der Rechtssache C-232/203 eindrucksvoll offenbart, dass aus dieser Richtung keine tragenden Regulierungsimpulse zu erwarten sind.4 Der nationale Gesetzgeber ist daher auf sich gestellt. Dies sollte allerdings als Chance und keineswegs als Bürde empfunden werden. Belastbare – wenngleich nicht risikofreie – Regulierungskonzepte, die etwa vermittels einer konsequenten Sachgrundorientierung des Leiharbeitnehmereinsatzes oder einer verpflichtenden Ausgestaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in Kombination mit einer leiharbeitsspezifischen Sonderprämie die Orientierung der Arbeitnehmerüberlassung auf ihre „Kernfunktion“ und zugleich eine Verbesserung der vielfach prekären Situation der Leiharbeitnehmerschaft nach sich ziehen würden, liegen ebenso auf dem Tisch wie die politischen Forderungen nach solchen Vorgehensweisen.5 Um dahingehende Hoffnungen auf ein mutiges nationales Regulierungskonzept scheint es indes aktuell schlecht bestellt zu sein. Die regierungstragenden Fraktionen verweisen schließlich im maßgeblichen Koalitionsvertrag in Bezug auf gesetzliche Nachjustierungen des AÜG nur darauf, dass zunächst Regulierungssignale des EuGH abzuwarten sind.6 Den großen Wurf hinsichtlich einer sozial verträglichen

3

EuGH, Urt. v. 17.3.2022 – C-232/20, NZA 2022, 549 ff. Ähnliches gilt ausweislich des Urteils des EuGH in der Rs. C-311/21 (Urt. v. 15.12.2022 – C-311/21, NZA 2023, 31 ff.). Der EuGH gibt den nationalen Gesetzgebern auch in Bezug auf die dort vorgenommene Interpretation des „Gesamtschutzes“ aus Art. 5 Abs. 3 RL 2008/ 104/EG keine Handlungsanweisungen vor. 5 Eine verpflichtende Entgeltgleichheit in Kombination mit einer Flexibilitätszulage i. H. v. 10 % des Entgelts fordernd: Bündnis 90/Die Grünen, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 103 f., abrufbar unter: https://cms.gruene.de/uploads/documents/Wahlprogramm-DIEGRUENEN-Bundestagswahl-2021_barrierefrei.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023; Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/ fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundes tagswahl_2021.pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Die gleiche Forderung findet sich bei der ver.di: https://www.verdi.de/service/fragen-antworten/++co++c631372a-a873-11e0-43 aa-00093d114afd, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Demgegenüber einzig eine Entgeltgleichheit fordernd: SPD, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 27, abrufbar unter: https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Beschluesse/Programm/SPD-Zukunftsprogramm. pdf, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023. Zudem einen Arbeitsplatzbezug vorschlagend: Die Linke, Wahlprogramm Bundestagswahl 2021, S. 16, abrufbar unter: https://www.die-linke.de/ fileadmin/download/wahlen2021/Wahlprogramm/DIE_LINKE_Wahlprogramm_zur_Bundes tagswahl_2021.pdf („Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz muss an den Arbeitsplatz statt an die Person der Beschäftigten gebunden werden.“). 6 Vgl. den Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP, S. 70, abrufbar unter: https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1 990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am: 28. 3. 2023 („Beim Arbeitnehmerüberlassungsgesetz prüfen wir im Falle einer europäischen Rechtsprechung, ob und welche gesetzlichen Änderungen unter Berücksichtigung der Gesetzesevaluierung vorzunehmen sind.“). 4

B. Abschlussbewertung und Ausblick

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Strukturierung der Arbeitnehmerüberlassung kann der Gesetzgeber aber – wie vorstehend herausgearbeitet – nur autonom leisten. Das Warten nützt hier nicht.

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Stichwortverzeichnis Abgrenzung 37 ff. Abwehrrecht 216 ff., 224 f., 229 ff. Abwerbung 85 ff. aktive Nutzung 117 ff., 132 Arbeitslosigkeit 98 ff., 101 f. Arbeitsvermittlung 37 ff., 41 ff. arbeitsvertragliche Konstruktion 32 ff. Arbeitszufriedenheit 109 ff. Ausgestaltungsdogmatik 292 ff., 470 f., 477 f. Bauwirtschaft 367 ff. Berufsfreiheit 218 ff., 229 ff. Beschäftigungsschutz 115 ff. Bezugnahmeklauseln 421 ff., 446 ff. Brückeneffekt 90 ff. Dienstleistungsfreiheit 206 ff. Drei-Stufen-Theorie 237 ff. Effizienz 76 ff. Eingriff 231 ff., 292 ff. Entwicklung 40 ff. Equal Pay 166 ff. Erlaubnis 351 ff. fingiertes Stammarbeitsverhältnis 550 ff. Fleischindustrie 381 ff. Flexibilität 59 ff., 98 Flexicurity 136 ff. Fluktuation 100 ff. Freizügigkeit 208 f. Gefahrenquelle 247 ff., 278 f., 314 f., 325 Gefahrenschwelle 250 ff., 279 ff., 315 ff., 325 ff. Gesamtschutz 171 ff., 424 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz 166 ff., 331 ff., 418 ff., 510 f., 586 ff.

Gleichheitssatz 299 ff., 380 f., 401 f., 445 f., 533 ff. Grundrechtsübergriff 250 ff., 279 ff. Handelsvertreter-Fall

253 ff., 307 ff., 313

Imageverlust 79 ff., 86 ff. Integrationseffekt 90 ff., 198 ff., 288 ff. Kernfunktion 21, 124, 129 ff., 336, 348 ff., 388 ff., 501 ff., 584 ff. Klebeeffekt 90 ff. Koalitionsfreiheit 290 ff. Kompetenzentwicklung 102 ff., 197 f., 581 ff. Konfliktpotential 74 ff. Kündigung 100 ff., 114 ff., 284 ff., Leiharbeitsrichtlinie 51 ff., 136 ff. Lohnuntergrenze 407 ff. Missbrauchsverbot

178 ff.

Niederlassungsfreiheit

206 ff.

Pflegebranche 402 ff. Praktische Konkordanz

239 ff., 269 ff.

reaktive Nutzung 59 ff. Rekrutierung 73 f. Rentabilität 67 ff., 83 f. Sachgründe 512 ff., 584 ff. Sanktionsregime 202 Scheinwerkvertrag 131, 552 f. Schutzpflicht 240 ff., 272 ff., 305 ff.,447 ff., 478 ff. Selbstregulierung 87, 344 ff., 397 Sozialstaatsprinzip 301 ff. Streikbrecher 123 f., 293 ff., 324 f., 329 f., 333

Stichwortverzeichnis Tarifdispositivität

171 ff., 420 ff.

Überlassungshöchstdauer 47 ff., 488 ff. Unterlegenheit 241 ff., 305 ff. Untermaßverbot 266 ff., 286 ff., 318 ff. unternehmerische Freiheit 216 ff. Unwirksamkeitsregelungen 535 ff.

635

Verbot 158 ff., 368 ff. Verdrängung 117 ff. Vermittlungsprämie 199, 289 f., 544 ff. Vertretung 202 f. vorübergehend 142 ff. Wartezeit 184 f., 428 f. Weiterbildung 102 ff., 197, 581 ff.