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German Pages 379 Year 1994
MARTIN HERMANN
Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts
Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin
Band 40
Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts Zur Auslegung des § 9 Abs. 2 LuftVG
Von
Martin Hermann
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hermann, Martin: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts : zur Auslegung des § 9 Abs. 2 LuftVG / von Martin Hermann. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum Umweltrecht ; Bd. 40) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08073-4 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 3-428-08073-4
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit lag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Regensburg im Wintersemester 1993/94 als Dissertation vor. Rechtsprechung und Literatur sind bis Jahresende 1993 berücksichtigt. Mein besonderer Dank und mein Andenken gilt meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Hermann Soell, der am 15.11.1993 völlig überraschend und viel zu früh verstorben ist. Er hat nicht nur diese Arbeit angeregt, betreut und auf vielfältige Weise unterstützt und gefördert, sondern verhalf mir in den drei Jahren, in denen ich als wissenschaftlicher Assistent an seinem Lehrstuhl mitarbeiten durfte, zu einem tiefgehenden und umfassenden Einblick in sein breitgefächertes Wissenschafts- und Forschungsprogramm. Dank schulde ich auch Prof. Dr. Udo Steiner für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und die tatkräftige Unterstützung bei der Veröffentlichung. Danken möchte ich schließlich Klaus Borgmann für die zahllosen weiterführenden Diskussionen und Gespräche während der gesamten gemeinsamen Assistentenzeit, Helga Ohland und Christiane Zürn für das zeitaufwendige Korrekturlesen und Ulrich Haas für viele inhaltliche und computertechnische Hinweise. Regensburg, im März 1994
Martin Hermnnn
Inhaltsverzeichnis Einleitung
21
Erster Teil
Rechtstatsachen
I.
n.
A. Einführung I Lännbegriff
27
B. Lärmmessung, -bewertung und -bereclmung
30
Schallmessung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
1. Schalldruck .......................................................................................
30
2. Schalldruckpegel ....................................... .........................................
30
Akustische Bewertungsfaktoren ...................................................................
31
Frequenzbewertung .............................................................................
31
2. Kurzzeitbewertung...... ... . . . . . . .. ... .. . .. .. . .. .. . . . .......... . . . ......... . . . ..... . . . ..... . . . . .
I.
32
3.
Besondere Geräuschmerkmale ............................................ :................. ..
32
4.
Äquivalenter Dauerschallpegel ...............................................................
33
Nichtakustische Bewertungsfaktoren .............................................................
34
IV. Insbesondere: Berechnung und Bewertung von Flugzeuggeräuschen in der Umgebung von Flughäfen..............................................................................
35
1.
Nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FlugLG) ...............................
35
2.
DlN 45643 "Messung und Beurteilung von Flugzeuggeräuschen"
37
m.
c. F1ugIännwirlrungsforschung I.
Lärmwirkungsforschung
39
1. Methodik.. ........ ... . . .................................. .. ......... ............ .. ...... . . .. ..... .
39
Spezifische Probleme der Lärmwirkungsforschung .......................................
40
Ergebnisse psychosozialer Feldforschung ................... ...................................
42
2.
n.
39
1.
Methodik..........................................................................................
42
2.
Gestörtheit durch Fluglärm ....................................................................
42
Inhaltsverzeichnis
10
3. Verhältnis der Gestörtheit durch Fluglänn zu anderen Störfaktoren
45
4.
Moderatoren der Fluglännwirkung ................. ................. ........................
46
a) Demographische Merkmale ................................................................
46 47 47
d) Akustische Umwelt ..........................................................................
48
e) Flugverkehrsbezogene Variablen .........................................................
48
f) Ergebnisse und Folgerungen ...............................................................
49
Änderung von Verhaltensweisen infolge Fluglänns (sekundäre Effekte) .............
50
Ergebnisse physiologisch-medizinischer Fluglännforschung ................................
52
5.
m.
b) Allgemeine Persönlichkeitseigenschaften ................................................ c) Generelle Einstellung zu Länn ............................................................
1.
2. 3.
4.
Zum Begriff der Gesundheit ..................................................................
53
a) Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ..................
53
b) Medizinische Gesundheitsbegriffe ........................................................
53
Fluglänn als Umweltstressor ............................. .....................................
55
Ergebnisse der Wirkungsforschung ............. .............................................
57
a) Aurale Wirkungen ...........................................................................
57
b) Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System ..............................................
58
c) Auswirkungen auf den (Nacht-)Schlaf ...................................................
62
d) Weitere (psycho-)somatische Fluglännwirkungen .....................................
66
Abschließende Bewertung .....................................................................
68
D. Kritische Länngrenzen und Immissionsgrenzwerte aus Sicht der Lännwirkungsforschung
72
Die Nichtauffindbarkeit kritischer Grenzen ....................................................
72
ß. Die Bewertung bestehender Länngrenzwerte durch die Wirkungsforschung ............
76
I.
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Anforderungen an den fachplanerischen Fluglännschutz A. Schutz vor Huglännimmissionen bei der Verkebrsftugbafenplanung - grundrechtliche Schutzpfticht oder grundrecbtliche Achtungspfticht?
80
Die Abwehrdimension der Grundrechte .........................................................
81
ß. Die Schutzdimension der Grundrechte ..........................................................
81
I.
1.
Beeinträchtigungen grund rechtlicher Schutzgüter durch Dritte .........................
81
Inhaltsverzeichnis a) Ausgangspunkt ...............................................................................
81
b) Zurechnung des beeinträchtigenden Drittverhaltens an den Staat? .................
82
aa) Staatliche Genehmigung ...............................................................
82
bb) Der Ansatz von Schwabe und Murswiek ...........................................
84
Die grundrechtliche Schutzptlicht ............................................................
86
a) Herleitung der Schutzptlicht ...............................................................
87
b) Begriff und Wesen der Schutzptlicht - Abgrenzung zur Achtungsptlicht .........
90
c) Umfang, Reichweite und Grenzen der grundrechtlichen Schutzptlicht ............
93
d) Schutzptlicht und Schutzanspruch ........................................................
95
Ergebnis und weiterer Ablauf .................................................................
100
Lärmimmissionen beim Betrieb eines Verkehrstlughafens - Abwehr oder Schutz? .....
100
2.
3.
m.
11
Betrieb eines Verkehrstlughafens - staatliches oder nichtstaatliches Tätigwerden? .
100
2. Grundrechtsgeltung filr die BetreibergeseIlschaften? .....................................
103
a) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsfahigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und von öffentlichen Unternehmen ............................... ..........................................................
105
b) Abweichende Auffassungen in der Literatur ............................................
107
1.
c) Stellungnahme ................................................................................
108
3.
Die "Privatheit" der Flughafenbenutzer .....................................................
111
4.
Ergebnis. ..................... ............. ... .............. ...... ............. ....... .............
113
IV. Folgerungen filr die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung .................................
113
B. Gnmdredltlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn bei Planung und Betrieb eines Verkehrsftugbafens I.
Art. 2 Abs. 2 S. I GG ..............................................................................
1.
2.
117 117
Die Reichweite des Schutzbereichs ..........................................................
117
a) Schutz der körperlichen Unversehrtheit .............. ............ .......... .............
118
aa) Überblick.................................................................................
118
bb) Stellungnahme ........................................................ ......... .... ......
121
ce) Fluglärmwirkungen und körperliche Unversehrtheit .............................
126
b) Grundrechtsschutz bei Verursachung von Gesundheitsrisiken .......................
128
aa) Allgemeine BeglÜndung ...............................................................
128
bb) Gesundheitsrisiken durch Fluglärmbelastung ......................................
136
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von tluglärmbedingten Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ...............................................
138
12
Inhaltsverzeichnis a) Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) .............................................
138
b) Zitiergebot.....................................................................................
140
c) Verhältnismäßigkeitsprinzip ................................................................
3.
143
aa) Erforderiichkeitsgrundsatz
144
bb) Verhältnismäßigkeit i.e.S.
145
Ergebnis zu I. ..................................................... ...............................
151
II. Art. 14 GG ...........................................................................................
152
1. 2.
Voruberiegungen. .. . . . . . . .. ... ....... . . . . . ...... ... . ........ .. . . .. . .... ......... ... . . .. .........
152
Grundsätze des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes .............................
153
a) Der verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff ............................................
153
b) Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltungsbefugnis .....................................
156
c) Abgrenzung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung ......
159
3. Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz bei fluglännbedingten Nutzungsbeeinträchtigungen .....................................................................................
162
a) Die durch Planung und Betrieb eines Verkehrsflughafens betroffenen Eigentumspositionen ................................................................................
162
b) Fluglännimmissionen - eine Frage der lnhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums oder der Enteignung? ..........................................................
166
c) Grenzen "inhaltsbestimmender" Fluglännbelastung ...................................
170
Ergebnis zu II. ...................................................................................
180
ill. Das Verhältnis von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu Art. 14 GG ..................................
181
1.
Grundeigentumsbezogene Deutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG? .......................
181
2.
Stellungnahme. ....... ... . . . . . . . . . . .. ..... . ... .. . . . .. ... ... ....... . . . . . . . . .. ......... .. . . .. ... .. .
183
3.
Ergebnis zu ill. ..................................................................................
186
IV. Art. 2 Abs. 1 GG ....................................................................................
186
4.
1.
Voruberiegungen. ....... ... ..... .. . .. . . .............. ... . . .................. .. .. .. . ..... . . . . . .. .
186
2.
Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG ...................................................
187
a) Schutz (nur) der engeren persönlichen Lebenssphäre oder der allgemeinen Handlungsfreiheit? ...........................................................................
187
b) Fluglännbedingte Störungen des psychischen Wohlbefindens und allgemeines Persönlichkeitsrecht ..........................................................................
193
3.
Die Eingriffsqualität von fluglännbedingten StöIWirkungen ............................
199
4.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von fluglännbedingten Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG .....................................................
205
a) Die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit ....................................
205
Inhaltsverzeichnis b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von fluglärmbedingten Störungen
5.
13 209
aal Gesetzliche Grundlage .................................................................
209
bb) Verhältnismäßigkeit ....................................................................
209
Ergebnis zu IV. ..................................................................................
212
Dritter Teil
Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den (individuellen) Schutz vor Fluglänn I.
n.
Landesplanerische Festsetzungen über Flughafenplanungen ................................
215
1.
Flughafenplanungsziele ..................................................... ......... ..... .....
215
2.
Raumordnungsverfahren .......................................................................
216
Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung (§ 6 LuftVG) ......................................
224
Inhalt und Wesen der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung ...........................
224
a) Die Position des Bundesverwaltungsgerichts ...........................................
225
b) Abweichende Auffassungen in der Literatur ............................................
227
c) Stellungnahme ................................................................................
230
1.
d) Reformbedarf .................................................................................
234
e) Das Planungsvereinfachungsgesetz vom 17.12.1993 .......... ........ ........ .......
236
Lärmschutz und luftverkehrsrechtliche Genehmigung ...................................
237
Die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung (§§ 8 ff. LuftVG) ..............................
239
1. Rechtswirkungen der Planfeststellung .......................................................
239
2.
Planerische Gestaltungsfreiheit ...............................................................
241
3. Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit ...........................................
246
a) Planrechtfertigung ............................................................................
246
2.
m.
214
b) Planungsleitsätze .............................................................................
249
c) Das fachplanerische Abwägungsgebot ...................................................
254
aal Einstellungs- und Ermittiungsprozeß ............................................ ....
257
(1)
Die abwägungsrelevanten Belange .............................................
257
(2)
Insbesondere: Der Schutz vor Fluglärm ......................................
259
(3)
Die planerische Prognose bei Fluglärmimmissionen .......................
262
bb) Gewichtungsprozeß ....................................................................
265
ce) Ausgleichsprozeß ............................ .... .......................................
267
Inhaltsverzeichnis
14 4.
I.
Ausblick und weiterer Fortgang ..............................................................
271
B. Schutzautlagen uach § 9 Abs. 2 LuftVG
273
Kurzer Überblick zur Rechtsentwicklung der Schutzauflagenvorschriften
11. Der dogmatische Ausgangspunkt: § 9 Abs. 2 LuftVG als Ausprägung des fachplanerischen Abwägungsgebots ...................................................................
273 275
I.
Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts .....................................
275
2.
Erste Stellungnahme ............................................................................
278
ill. Der Schutzbereich des § 9 Abs. 2 LuftVG .....................................................
279
1.
Für das öffentliche Wohl notwendige Schutzauflagen (§ 9 Abs. 2 LAll. LuftVG) .
279
2.
Privatnützige Schutzauflagen (§ 9 Abs. 2 2.A1l. LuftVG) . ............. ........... ......
281
a) Fehlende normative Grundlagen zur näheren Bestimmung des Schutzbereichs ..
281
b) Die Bestimmung des Schutzbereichs durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ..........................................................................
285
aa) Schutzwürdigkeit und SchutzbedOrftigkeit (Zumutbarkeit) nach Maßgabe der Gebietssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
285
bb) Die Kriterien im einzelnen ............................................................
289
Gebietsart ...........................................................................
289
(2) Tatsächliche Vorbelastung .......................................................
290
(3)
293
(I)
Plangegebene Vorbelastung .....................................................
ce) Schutzziele ...............................................................................
294
c) Kritische Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts .......
297
aa) Die eigentumsbezogene Deutung des § 9 Abs. 2 2.A1l. LuftVG ..............
297
bb) Die Bestimmung des Anwendungsbereichs von § 9 Abs. 2 2.A1l. LuftVG nach Maßgabe "auflagenrechtlicher Zumutbarkeit" ..............................
302
Schutz vor gesundheitsbeeinträchtigenden Fluglärmbelastungen .........
302
(2) Schutz vor fluglärmbedingten Beeinträchtigungen der Eigentumsnutzung und des psychischen Wohlbefindens....................................
305
ce) Ansatzpunkte filr eine grundrechtsorientierte Bestimmung des Schutzbereichs von § 9 Abs. 2 LuftVG .....................................................
310
IV. Der Begriff der Schutzanlage .....................................................................
315
(I)
I.
Aktive Schallschutzvorkehrungen ............................................................
316
2.
Passive Schallschutzvorkehrungen ...........................................................
323
3.
Auswahl der Schallschutzvorkehrungen / Verhältnis von aktivem zu passivem Schallschutz ......................................................................................
323
Inhaltsveneichnis
15
V. Zur Rechtsnatur der Schutzautlagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG ..............................
326
VI. Rechtsschutz der Betroffenen bei fehlenden Schutzautlagen ................................
329
1.
Anfechtungs- oder Verptlichtungsklage? ...................................................
329
2.
Zur Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) ...................................................
334
Zusammenfassung der rechtlichen Ergebnisse
336
Literaturverzeichnis
352
Abkürzungsverzeichnis a.A.
anderer Auffassung
a.a.O.
am angegebenen Ort
AbfG
Gesetz über die Vermeidung und Entsorgung von Abfällen
abI.
ablehnend
Abs.
Absatz
a.E.
am Ende
a.F.
alte Fassung
allg.
allgemein
Alt.
Alternative
a.M.
anderer Meinung
amtl.
amtliche
Arun.
Arunerlrung
AöR
Archiv des öffentlichen Rechts, Zs.
Art.
Artikel
AtomG
Atomgesetz
Aufl.
Auflage
BauGB
Baugesetzbuch
BauR
Baurecht, Zs.
Bay., bay.
Bayern, bayerisch
BayVBI.
Bayerische VelWaltungsblätter
BayVerfGH
Bayerischer Verfassungsgerichtshof
BB
Betriebs-Berater, Zs.
BBahnG
Bundesbahngesetz
Bd.
Band
betr.
betreffend
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHZ
Slg. der Entscheidungen des BGH in Zivilsachen
BimSchG
Bundes-Immissionsschutzgesetz
BimSchVO
Bundes-Immissionsschutzverordnung
BMFf
Bundesminister rur Forschung und Technologie
BNatSchG
Bundesnaturschutzgesetz
BNVO
Baunutzungsverordnung
BR
Bundesrat
Abkürzungsverzeichnis BR-Drs.
Bundesratsdrucksache
BReg.
Bundesregierung
BT BT-Drs.
Bundestag
Buchholz
Sammel- und Nachschlagewerk der Rspr. des BVerwG
Bundestagsdrucksache
BVertG
Bundesverfassungsgericht
BVertGE
Sig. der Entscheidungen des BVertG
BVerwG
Bundesverwaltungsgericht
BVerwGE
Sig. der Entscheidungen des BVerwG
BW
Baden-Württemberg
BWVPr.
Baden-Württembergische Verwaltungspraxis, Zs.
ca. DB ders. DFG d.h. dies. Diss. DJT DÖV
circa
dt. DVBI. EG Einf. Einl. entspr.
Der Betrieb, Zs. derselbe Deutsche Forschungsgemeinschaft das heißt dieselbe(n) Dissertation Deutscher luristentag Die öffentliche Verwaltung, Zs. deutsch(er) Deutsches Verwaltungs blatt Europäische Gemeinschaften Einführung Einleitung entsprechend
ET
Energiewirtschaftliche Tagesfragen, Zs.
EuGH EuGRZ
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäische Grundrechte-Zeitschrift
f.
folgende (Seite), für
ff.
folgende (Seiten)
FG
Festgabe
FlugLG
Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm
Fn.
Fußnote
FS
Festschrift
gem.
gemäß
GenTG
Gentechnikgesetz
GewArch
Gewerbearchiv , Zs.
GG
Grundgesetz
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GMBI.
Gemeinsames Ministerialblatt
grdl.
grundlegend
grds.
grundSätzlich
2 Hermann
17
18 GVBI.
Abkürzungsverzeichnis Gesetz- und Verordnungsblatt
h.A.
herrschende Ansicht
HdB Hess., hess.
Handbuch Hessen, hessisch herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben
h.M. Hrsg., hrsg. i.d.R. i.E. i.e.S.
in der Regel im Einzelnen
insb.
insbesondere
i.S. i.S.(d.)
im Sinne im Sinne (des, der)
i.S.(v.) i.V.(m.)
im Sinne (von) in Verbindung (mit)
JA
Juristische Arbeitsblätter , Zs.
JöR
Jahrbuch rur öffentliches Recht
JR Jura JuS JZ KdL Komm.
im engeren Sinne
Juristische Rundschau, Zs. Juristische Ausbildung, Zs. Juristische Schulung, Zs. Juristenzeitung Kampf dem Lärm, Zs. Kommentar
krit.
kritisch
Lit. LPlG LS LuftVG
Literatur Landesplanungsgesetz Leitsatz Luftverkehrsgesetz
LuftVO
Luftverkehrsordnung Luftverkehrszulassungsordnung
LuftVZO m.a.W.
mit anderen Worten
MDR m.E.
Monatsschrift rur Deutsches Recht
m.w.N. m.z.w.N.
meines Erachtens mit weiteren Nachweisen mit zahlreichen weiteren Nachweisen
Nds., nds.
Niedersachsen, niedersächsisch
n.F.
neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer
NJW Nr. NuR
Natur und Recht, Zs.
NVwZ
Neue Zeitschrift fiir Verwaltungsrecht
NVwZ-RR
NVwZ-Rechtsprechungs-Report Verwaltungsrecht
NW
Nordrhein-Westfalen
NWVBI.
Nordrhein-WesWilische Verwaltungsblätter
Abkürzungsverzeichnis NZV
Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht
OLG
Oberlandesgericht
OVG
Oberwaltungsgericht
OVGE
Amt!. Sig. der Entscheidungen der OVGe Lüneburg und Münster
PrGS
Preußische Gesetzessammlung
Prot.
Protokolle
PrOVG
Preußisches Oberverwaltungsgericht
PrOVGE
Amt!. Sig. der Entscheidungen des PrOVG
PrVB!.
Preußische Verwaltungsblätter
RG
Reichsgericht
RGB!.
Reichsgesetzblatt
RGZ
Amt!. Sig. der Entscheidungen des RG in Zivilsachen
Rn. ROG
Randnummer Raumordnungsgesetz
Rspr.
Rechtsprechung
S. Sig. sog. Sp. st. str. StrG TA Tab. teilw.
Satz, Seite
Tz. u.a.
Textziffer unter anderen(m), und andere
u.ä.
und ähnliche(s)
umstr.
umstritten
UPR
Umwelt- und Planungsrecht, Zs.
Urt.
Urteil
Sekunde Sammlung von Entscheidungen, Gesetzen etc. sogenannte(r) Spalte ständig(e) streitig Straßengesetz (der Länder) Technische Anleitung Tabelle teilweise
UVP
Umweltverträglichkeitsprüfung
UVPG
Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung
v. VA VBIBW Verf. VerfGH Verh. VerwArch VG
19
vom, von Verwaltungsakt Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Verfassung Verfassungsgerichtshof Verhandlungen Verwaltungsarchiv, Zs. Verwaltungsgericht
20
Abkürzungsverzeichnis
VGH
Verwaltungsgerichtshof
VGHE
Entscheidungen des VGH München und des BayVerfGH
vgl.
vergleiche
VkBl.
Verkehrsblatt, Amtsblatt des Bundesministers für Verkehr
VO
Verordnung
Vorb.
Vorbemerkung
VVDStRL
Veröffentlichungen
der
Vereinigung
der
Deutschen
Staatsrechtslehrer VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
VwVfG
Verwaltungsverfahrensgesetz (des Bundes bzw. der Länder)
WaStrG
Wasserstraßengesetz
WHG
Wasserhaushaltsgesetz
WiVerw
Wirtschaftsverwaltung, Zs.
WM
Wertpapier-Mitteilungen, Zs.
z.B.
zum Beispiel
ZfL
Zeitschrift ftIr Lärmbekämpfung
ZLW
Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht
Zs.
Zeitschrift
z.T.
zum Teil
zul.
zuletzt
ZUR
Zeitschri ft für Umweltrecht
zust.
zustimmend
zutr.
zutreffend
Einleitung Der Umweltfaktor Lärm hat in der Umweltdiskussion der letzten Jahre sowohl bei den politisch Verantwortlichen I als auch in der öffentlichen Meinung2 an Bedeutung eingebüßt. Die Klage über die schwindende Beachtung der Lärmproblematik gehört inzwischen schon zum Standardrepertoire von Lärmkongressen. Auch in den Umweltverbänden spielt das Lärmproblem eher eine Nebenrolle. Eine mit dieser Entwicklung einhergehende Krise der Lärmwirkungsforschung wird konstatiert; sie liege "im Sarkophag von Tschernobyl", stehe "im sauren Regen" und habe sich "im Ozonloch verflüchtigt".3 Vielfach wird der Belastung mit Lärm ein geringeres Gewicht beigemessen, als etwa Fragen der Abfallbeseitigung und -entsorgung oder der Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung. Auf globaler Ebene stehen drohende Klimaänderungen und das Wachsen des Ozonlochs im Vordergrund. 4 Ein ganz anderes Bild ergibt sich aber, wenn man den Blick auf die durch Lärm Beeinträchtigten richtet. Von allen Umweltbelastungen wird Lärm mehrheitlich als die gravierendste und bedrückendste empfunden. 5 Er gilt gemeinhin als Umweltstressor Nummer eins. Neben dem ständig wachsenden Straßenverkehrslärm, ist es der Fluglärm, der mit seinen hohen Spitzenbelastungen und seiner besonderen Störqualität in immer weiteren Bevölkerungskreisen als härtester Eingriff hinsichtlich Gesundheit und Lebensqualität betrachtet wird. Während bei sozialwissenschaftlichen Untersuchungen im Jahre 1977 nur 17 % der Befragten den Fluglärm als die lästigste aller Lärmarten benannten, waren es 1985 bereits 32 %. 6 1987 fühlten sich in den alten Bundesländern 37 % der Bevölkerung durch Fluglärm belästigt, 1992 waren es schon 53 % - das sind ca. 32 Millionen Menschen. 7 Hauptlärmereignis des zivilen Luftverkehrs sind die Starts und Landungen der Unterschallflugzeuge. Schick, ZtL 39 (1992), 113. Wieczorek, Umwelt 1992, 294 (295). 3 So Schick, ZtL 39 (1992), 113. 4 Vgl. Wieczorek, Umwelt 1992, 294 (295). 5 Vgl. die Begründung des Antrags der SPD-Fraktion zur Novellierung des Fluglärmgesetzes, BT-Drs. 11/4038, S. 5. 6 Vgl. Umweltgutachten 1987, S. 408 Tab. 2.6.7. I
2
7 Vgl. Umweltbundesamt, Umweltdaten kurz gefaßt, Ausgabe 1993, S. 42; siehe auch den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 103 vom 6.5.1993, S. 29.
22
Einleitung
Sie verursachen in der nächsten Umgebung eines Verkehrsflughafens (3,5 km vom Startabrollpunkt bzw. 1 km von der Landeschwelle entfernt) maximale Schallpegel zwischen 85 und 105 dB(A) und in der näheren Umgebung (6,5 km vom Startabrollpunkt bzw. 3,8 km von der Landeschwelle entfernt) noch maximale Schallpegel zwischen 80 und 100 dB(A). 8 Mit einer Entspannung der Lärmsituation in der Umgebung der deutschen Verkehrsflughäfen ist in absehbarer Zeit kaum zu rechnen. Zwar müssen nach Erlaß der "Unterschallverordnung"9 seit 1987 grundsätzlich alle Strahlflugzeuge, die im Bundesgebiet verkehren, den Lärmgrenzwerten des Anhangs 16 Vol. I, Kapitel 2 zum Luftfahrtabkommen der Internationalen Zivilluftfahrtsorganisation (ICAO) genügen. \0 Außerdem bilden lärmabhängige Landegebühren verstärkt wirtschaftliche Anreize für die Luftverkehrsgesellschaften, laute Flugzeuge vorzeitig auszumustern und durch lärmarmes Fluggerät zu ersetzen oder lautes Fluggerät auf lärmarme Triebwerke umzurüsten. Für laute Flugzeuge ohne Lärmzulassung nach ICAO-Anhang 16 (sog. Non-AnnexLuftfahrzeuge) oder mit Lärmzulassung nach ICAO-Anhang 16, Kapitel 2, müssen nämlich auf deutschen Verkehrsflughäfen zwischen 50 und 100% höhere Landegebühren bezahlt werden, wie für Flugzeuge, die den strengen Grenzwerten nach ICAO-Anhang 16, Kapitel 3 genügen. 11 Dies hat dazu beigetragen, daß der Anteil der Strahlflugzeuge über 20 Tonnen Abflugmasse mit Lärmzulassung nach "KapiteI3" am Gesamtverkehr, von 25,9% im Jahre 1987 auf über 50 % im Jahre 1990 gestiegen ist. 12 Die mit diesen Maßnahmen intendierte entlastende Wirkung leiserer Flugzeugtriebwerke wurde jedoch in den letzten Jahren weitgehend durch den teilweise dramatischen Anstieg der Flugbewegungen und der Beförderungszahlen im gewerblichen Luftverkehr kompensiert. So stieg die Zahl der Starts und Landungen in den alten Bundesländern von 822000 im Jahre 1980 auf 1.363000 im Jahre 1990 und die Zahl der beförderten Personen im gleichen Zeitraum von 35,9 Millionen auf 62,6 Millionen. 13 1992 zählten die deutschen Verkehrsflughäfen nach einer Pressemitteilung der Arbeitsgemeinschaft deutscher Verkehrsflughäfen Umweltgutachten 1987, S. 416 Tz. 1510; Vogel, Fluglänn, S. 12. Verordnung zur Änderung der Luftverkehrsordnung und der Luftverkehrs-Zulassungsordnung vom 21.7.1986, BGB!. I, S. 1097. \0 Zudem dürfen nach der EG-Richtlinie 89/629/EWG seit dem 1.11.1990 zivile Unterschalltlugzeuge nur dann in einem Mitgliedsstaat der EG zugelassen werden, wenn sie die strengen Grenzwerte nach ICAO-Anhang 16 Kapitel 3 genügen und nach der EG-Richtlinie 92/14/EWG müssen EG-weit alle "Kapitel 2-Flugzeuge" innerhalb des Zeitraums von 1995 bis 2002 ausgemustert werden; vg!. dazu den Fünften Imrnissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 151. II Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1990/91, S. 514. 12 Umweltbundesamt, Jahresbericht 1991, S. 247. 8
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13
Fünfter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 136.
Einleitung
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(ADV)14 88 Millionen Fluggäste; dies entspricht einer Zunahme von 11,4% gegenüber dem Vorjahr und einer Zunahme von 5,6 % gegenüber der durch den Golfkrieg noch nicht beeinträchtigten Entwicklung 1990. Besonders steil nach oben stieg dabei der Verkehr in den neuen Bundesländern. Die Flughäfen Dresden und Leipzig/Halle etwa erzielten im Vergleich zum Vorjahr Zuwachsraten von mehr als 64% bzw. mehr als 69%. Insgesamt zählten die deutschen Verkehrsflughäfen 1992 1,7 Millionen Starts und Landungen, das waren 5,7% mehr als ein Jahr zuvor. Zwar wird für 1993 wegen der weltweiten Rezession von einer Steigerung der Fluggastzahlen nur um 3 % ausgegangen. Mittelfristig wird jedoch rasch wieder mit höheren Zuwachsraten gerechnet und für das Jahr 2010 rund 200 Millionen Passagiere prognostiziert, was mehr als eine Verdoppelung des heutigen Verkehrsaufkommens bedeuten würde. Gleichzeitig wird von einer jährlichen Zunahme der Starts und Landungen um bis zu 9% ausgegangen. 15 Der weiteren Verschärfung der Fluglärmsituation wird mit Maßnahmen an der Lärmquelle, insbesondere mit einer Weiterentwicklung lärmarmer Flugzeugtriebwerke, allein kaum zu begegnen sein. 16 Auch der konsequente Einsatz von Großraumflugzeugen und die Entlastung des Kurzstreckenflugverkehrs durch Hochgeschwindigkeitszüge der Bundesbahn17 sowie die zügige Umsetzung des Magnetschnellbahnkonzepts "Transrapid"18 werden nur partiell zu einer Verminderung des Flugverkehrs auf deutschen Verkehrsflughäfen und damit zur Verringerung der Lärmbelastung beitragen können. Vielmehr wird die Erweiterung bestehender Verkehrsflughäfen um Start- und Landebahnen, Rollbahnen und Vorfelder auch in Zukunft wohl unumgänglich sein, will man die Zuwachsraten im zivilen Luftverkehr tatsächlich bewältigen. Dies gilt in besonderem Maße für die neuen Bundesländer, wo der umfassende Anschluß an das internationale Verkehrsnetz und ein rasch steigendes Verkehrsbedürfnis nicht nur die Frage nach dem Ausbau bereits bestehender Verkehrsflughäfen (etwa Dresden oder Leipzig/Halle), sondern auch die Frage nach der Errichtung neuer Verkehrsflughäfen aufwirft. Für einen neuen 14 Vgl. dazu und zum folgenden den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 51 vom 3.3.1993, S. 31; siehe auch die Pressemitteilung 4/1992 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) zur Entwicklung im I. Halbjahr 1992. 15 Vgl. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 51 vom 3.3.1993, S. 47. 16 Beckers, ZtL 38 (1991), 109 tr.
17 Dazu schon Wolf, KdL 19 (1972), 16 (17 tr.); vgl. auch den Fünften Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 156. 18 "Transrapid"-Verbindungen zwischen Hamburg und Berlin oder Hamburg und Dresden haben bereits gute Aussichten auf Verwirklichung; die Strecke Hamburg - Berlin könnte in 60 Minuten, die Strecke Berlin - Dresden könnte in 50 Minuten beWältigt werden; vgl. BMFTJournal Nr. 6, Dezember 1991, S. I und den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 175 vom 2.8.1993, S. 17.
Einleitung
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Großflughafen Berlin-Brandenburg, als Ersatz für die schon heute hoffnungslos überlasteten innerstädtischen West-Berliner Flughäfen Tegel und Tempelhof, sind bereits vergleichende Standortuntersuchungen durchgeführt und Raumordnungsverfahren eingeleitet worden. 19 Dies illustriert, daß dem planerischen Schutz vor Fluglärm auch in näherer Zukunft eine entscheidende Bedeutung zukommen wird, wenn es um die Bewältigung der durch den zivilen Luftverkehr aufgeworfenen Lärmprobleme geht. Eben diesem Problemkreis wendet sich die vorliegende Arbeit zu. Sie befaßt sich mit dem notwendigen Schutz der Betroffenen bei der Planung von Verkehrsflughäfen20 • Ziel ist es, auf der Grundlage des Verfassungsrechts, einen Beitrag zur dogmatischen Standortbestimmung des fachplanerischen Fluglärmschutzes und insbesondere der praktisch bedeutsamenZI Schutzauflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG zu leisten. Angeregt wurde die ThemensteIlung wesentlich durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. 1. 199pz zu den notwendigen Lärmschutzmaßnahmen bei der Planung des neuen Flughafens München. An dieser Entscheidung wird exemplarisch die Linie der Rechtsprechung deutlich, den notwendigen planerischen Fluglärmschutz nach Maßgabe grundstücks- und eigentumsbezogener Kriterien, unter weitgehender Ausblendung höchstpersönlicher Rechtsgüter, wie Gesundheit und psychisches Wohlbefinden, zu bestimmen. 23 Dahinter steht die Vorstellung eines objekt- und grundeigentumsbezogenen, durch Art. 14 GG beherrschten Fachplanungsrechts. 24 Die Umsetzung des durch Art. 2 GG gewährleisteten personenbezogenen Rechtsgüterschutzes in das Fachplanungsrecht ist dagegen bisher nur unzureichend gelungen. Zwar wird inzwischen vielfach und auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Rechtmäßigkeitsmaßstab für immis-
19 Berlin soll sich bis zur Jahrtausendwende (wieder) zu einem Drehkreuz des internationalen Luftverkehrs entwickeln; Experten prognostizieren mehr als 50 Millionen Passagiere pro Jahr bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts; vgl. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung Nr. 90 vom 20.4.1993, S. 3. 20 LuftVG und LuftVZO erfassen unter dem Oberbegriff "Flugplätze" Flughäfen, Landeplätze und Segelfluggelände. Flughäfen sind Flugplätze, die im Unterschied zu Landeplätzen, wegen Art und Umfang des vorgesehenen Flugbetriebs, einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen (§ 38 Abs. I LuftVZO). Verkehrsflughäfen stehen als Flughäfen des allgemeinen Verkehrs im Gemeingebrauch der Luftfahrt und sind damit allgemein zugänglich (öffentlich); vgl. §§ 6 Abs. 3 S. 1 LuftVG, 38 Abs. 2 Nr. I LuftVZO. 21 Vgl. nur Steinberg, Nachbarrecht, S. 174 Rn. 206. 22 BVerwGE 87,332 ff. 23
Vgl. insb. BVerwGE 87, 332 (356 f.)
Zum prägenden Einfluß der Eigentumsgarantie auf das Fachplanungsrecht vgl. etwa Steiner, in: Speyerer Forschungsberichte 65, S. 48; Banlsperger, Recht des Umweltschutzes, S. 28; Kasmer, VerwArch 80 (1989), 214. 24
Einleitung
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sionsrelevante Fachplanungsentscheidungen betont. 25 In der Sache aber werden die personenbezogenen Rechtsgüter weitgehend immer noch grundeigentumsbezogen gedeutet und mehr oder weniger dem das Raumplanungs- und Bodenrecht prägenden Art. 14 GG inkorporiert. 26 Es ist ein wesentliches Anliegen der nachfolgenden Erörterungen, die selbständige Bedeutung der personenbezogenen (Grund-)Rechtsgüter für den fachplanerischen Fluglärmschutz herauszuarbeiten. Die nachstehende Untersuchung gliedert sich in drei Hauptteile: Im ersten Teil werden, nach einer Präzisierung des Lärmbegriffs, die physikalischen Grundlagen von Fluglärmmessung, -bewertung und -berechnung kurz skizziert und ein Überblick über den Erkenntnisstand der psychosozialen und physiologisch-medizinischen Lärmwirkungsforschung gegeben. Wenn die AufgabensteIlung auch eine rechtswissenschaftliche ist, so setzt eine sachgerechte Beurteilung der Fluglärmproblematik doch voraus, sich über die rechtstatsäcWichen Grundlagen des Untersuchungsgegenstandes Klarheit zu verschaffen. Ziel des zweiten Teils ist die Bestimmung der grundrechtlichen Determinanten des fachplanerischen Fluglärmschutzes. Ausgangspunkt einer dogmatischen Standortbestimmung des planerischen Schutzes vor Fluglärm muß die Frage sein, in welchem Umfang der Schutz vor Fluglärmbelastungen verfassungsrechtlich geboten ist. Dazu ist zunächst zu klären, in welcher Grundrechtsfunktion Grundrechte der Lärmbetroffenen gegenüber den durch einen Verkehrsflughafen ausgelösten Immissionen zur Geltung kommen können. Wirken die Grundrechte bereits in ihrer klassischen Abwehrfunktion oder muß insoweit auf die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für die betroffenen Schutzgüter abgestellt werden? Insofern ist die Reichweite der beiden Grundrechtsfunktionen sowie ihr Verhältnis zueinander zu bestimmen und das Ergebnis auf die Planung und den Betrieb von Verkehrsflughäfen anzuwenden. Sodann ist zu untersuchen, welche absoluten und relativen Grenzen der Immissionsbelastung durch die Grundrechte vorgegeben werden, also welcher Mindeststandard an Schutz vor Fluglärm bei Planung eines Verkehrsflughafens aus der Verfassung abgeleitet werden kann. Im Vordergrund des dritten Teils soll eine Analyse von Funktion und Bedeutung der Schutzauflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG für den planeri25
Vgl. nur BVelWGE 51, 15 (28 ff.); E 54, 211 (222); E 82, 61 (62); SchmidJ-Aßmann,
AöR 106 (1981), 205 (206).
26 Vgl. z.B. BVelWGE 59, 253 (262); OVG NW, NVwZ 1983, 356 (358); Bender, DVBI. 1984, 301 (310 mit Fn. 68); EngelhardJ, BayVBI. 1981, 389 (392); W.F.SchmidJ, Entschädigung, S. 171 f.; SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S.27, S. 33 ff.; ders., AöR 106 (1981), 205 (212 f.).
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Einleitung
sehen Fluglärmschutz im Lichte der im zweiten Teil gewonnenen grundrechtlichen Vorgaben stehen. Zur Einordnung der Regelung in das Gesamtgefüge der Flughafenplanung wird zunächst eine ausführlichere Übersicht über die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz gegeben. Es folgt eine zusammenfassende Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Standort und Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 LuftVG. Hierbei wird auch auf das Normierungsdefizit in diesem Bereich eingegangen. Die Position des Bundesverwaltungsgerichts und der herrschenden Lehre wird einer kritischen Würdigung und Bewertung unterzogen und es werden Ansatzpunkte einer grundrechtsorientierten Bestimmung des Schutzbereichs der Auflagenvorschrift aufgezeigt. Schließlich ist zu klären welche Schutzmaßnahmen auf der Grundlage des § 9 Abs.2 LuftVG in Betracht kommen, welche Rechtsnatur den Schutzauflagen zukommt und welche Rechtsschutzmöglichkeiten sich den Betroffenen bieten.
Erster Teil
Rechtstatsachen A. Einführung/Lärmbegriff Was ist Lärm? - Der Begriff taucht im deutschen Sprachgebiet erstmals im 16. Jahrhundert auf. Mit "lerman" , einer Abwandlung des Landsknechtrufs "allarme" - zu den Waffen, wurden lästige, erschreckende Schallereignisse bezeichnet. I Die Lärmforschung, als ein Zweig der Akustik, begann vor etwa 60 Jahren der Frage nachzugehen, was eigentlich der Unterschied zwischen Lärm und Schall bzw. Geräusch sei. Man glaubte zunächst, durch eine physikalische Analyse des als Lärm empfundenen Reizes, aus einer Kombination der Intensitäts- und zeitlichen Kennzeichen sowie des Frequenzspektrums der Schallereignisse und eventuell der differentiellen Empfindungen des Ohrs einen Meßwert entwickeln zu können, der mit dem Ausmaß, der Schwere der Lärmempfindung korreliert. 2 Dieser psychophysikalische Ansatz, der implizit von der Annahme ausging, ein bestimmter Reiz löse konstant die gleiche Empfindung aus, bewährte sich jedoch nur teilweise. Es stellte sich bald heraus, daß dasselbe Schallereignis von einigen Personen als starker Lärm, von anderen aber als vernachlässigbares Geräusch beschrieben wird und außerdem, daß ein bestimmtes Schallereignis von derselben Person, je nach den konkreten Umständen, bald kaum wahrgenommen, bald als störend und belastend empfunden wird. 3 Für den Fluglärm kann insoweit auf zwei historische Beispiele verwiesen werden, die dies besonders plastisch machen: Während des Zweiten Weltkriegs kam es zu erheblichen Steigerungen des Flugverkehrs und damit des Fluglärms über Großbritannien; er wurde aber von den meisten Betroffenen als nicht störend empfunden, weil er als Zeichen der militärischen Stärke der alliierten Luft-
Vgl. Schedler, Handbuch, s. 397. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 6. So DFG-Fluglärmwirkungen, S. 6, unter Berufung auf Sader, Lautheit und Lärm, Göttingen 1966. 2
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1. Teil: Rechtstatsachen
streitkräfte gesehen wurde. 4 Ähnliches gilt auch für die Berliner Luftbrücke 1948, als die Versorgungsflugzeuge in Minutenabständen mitten in Berlin starteten und landeten. Da die physikalische Kennzeichnung einer konstanten Beziehung zwischen Reizgröße und subjektiver Empfindungsgröße also offenbar nicht möglich ist, wird Lärm heute üblicherweise - unter Berücksichtigung der subjektiven Momente - verkürzend als unerwünschter oder störender Schall definiert5 oder etwas konkreter, als Schallvorgänge bzw. Geräusche, die geeignet sind, den Menschen zu stören, zu belästigen oder ihn gesundheitlich zu gefährden. 6 Neben dem Schallereignis als objektiver Ursache des Lärms, sind Moderatorvariablen7 wie Eigenschaften des betroffenen Personenkreises (z.B. Gewöhnung, Gewöhnungsfähigkeit an Lärm, Lärmempfindung, generelle Labilität oder Stabilität gegenüber Belastungen, die subjektive Einstellung gegenüber der Lärmquelle) und Eigenschaften der aktuellen Situation (z.B. die aktuelle Tätigkeit der Betroffenen, die gesamte Umgebung der Betroffenen, Ansprüche der Umgebung an die Betroffenen, andere Störeinflüsse) zu berücksichtigen, um eine Aussage über die Beeinträchtigung des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens, d.h. über die Wirkung des Schallereignisses auf den Menschen zu treffen. 8 Die Auswirkungen von Fluggeräuschen werden also wesentlich durch nichtakustische Einflußgrößen mitbestimmt; subjektive Momente sind in
Commitee on the Problem of Noise: Noise - Final Report, S. 61, zitiert nach DFGFluglärmwirkungen, S. 6. 5 BeckersIHoll7.hausen, ZfL 27 (1980), 39; Bürck, ZfL 29 (1982), I; Klosrerkölter, KdL 24 (1977),61; Kürer, in Koch (Hrsg.), S. 21; Lärmbekämpfung 1988, S. 9. Vgl. etwa Umweltgutachten 1987, S. 383 Tz. 1375; KurscheidJ, NVwZ 1989,193 (194); Ullrich, DVBI. 1985, 1159; vgl. auch die Definition in Nr. 2.11. der TA Lärm. In Anlehnung an § 3 BImSchG können unter Lärm Schallereignisse verstanden werden, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Schäden, Gefahren, Nachteile und Belästigungen fur die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizufuhren; vgl. Soell, in: Grundzüge, S. 331; Vogel, Fluglärm, S. 12. Lärm ist damit ein psychologischer kein physikalischer Begriff; er schließt bereits eine Bewertung (unerwünscht, lästig, störend) und damit die Reaktionen auf einen akustischen Reiz mit ein. Gleichwohl wird oft auf eine strikte Differenzierung zwischen Fluglärm in diesem Sinne und Flugverkehrsgeräusch verzichtet und der Begriff "Fluglärm" auch fur die Kennzeichnung nur des akustischen Sachverhalts verwendet; vgl. dazu näher Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 26. 7 Unter Moderatorvariablen versteht man nichtakustische modifizierende Einflüsse auf den Zusammenhang zwischen Schallreiz bzw. Ursache und Schallreaktion bzw. Wirkung; vgl. Finke, in: FS f. v.Lersner, S.72; Rohrmann u.a., Fluglärm, S.25, S.28 und ausfuhrIich Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 60 ff.; vgl. auch die Definition in DFG-Fluglärmwirkungen, S. 159 und S. 545. Vgl. Schröder, ZfL 28 (1981), 154 (155); Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 71; eingehend zum Lärmbegriff in der Wirkungsforschung Guski, KdL 23 (1976), 43 ff.
A. Einführung I Lännbegriff
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weitem Umfang für den Fluglärm konstitutiv. 9 Dies hat weitreichende Konsequenzen: Lärmmessung und Lärmbewertung fordern einen interdisziplinären Ansatz, der neben Erkenntnissen der Akustik auch solche der Sozialwissenschaften, der Psychologie und der Medizin mitzuberücksichtigen hat. 1O Medizinische und soziologisch-psychologische Faktoren sind insbesondere miteinzubeziehen, wenn es um die Zumutbarkeit von Lärm und um die Ziehung kritischer Grenzen der Lärmbelastung geht. II Dabei sei aber gleich auf folgendes hingewiesen: Der Begriff der Zumutbarkeit ist ein regulativer Begriff, der nicht nur dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen unterliegt, sondern auch regelmäßig eine umfassende Güterabwägung verlangt. Hierbei spielen Belange wie Ruhebedürfnis und Ungestörtheit einerseits und die Notwendigkeit einer funktionierenden Verkehrsinfrastruktur und wirtschaftlichen Entwicklung andererseits eine Rolle. 12 Die Festlegung von Zumutbarkcitsgrenzen kann daher nicht Sache der interdisziplinären Lärmwirkungsforschung sein, sie bleibt in erster Linie Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. Die Aufgabe einer interdisziplinären Lärmwirkungsforschung besteht vor allem darin, diejenigen Methoden und wissenschaftlichen Erkenntnisse bereitzustellen, welche über die Wirkung von Fluglärm auf den Menschen eruierbar sind, aber auch auf die noch offenen Fragen und Probleme hinzuweisen, um so eine wissenschaftlich fundierte Tatsachengrundlage für die normative und planerische Bewältigung des Fluglärmproblems zu schaffen. 13 Im folgenden sollen zunächst einige wesentliche Grundlagen der Fluglärmmessung, -berechnung und -bewertung dargestellt werden (unter B.), dann über Ergebnisse und Erkenntnisse der Fluglärmwirkungsforschung berichtet werden (unter C.) und schließlich nach den Konsequenzen dieser Forschungsergebnisse für das Finden und Setzen kritischer Lärmbelastungsgrenzen gefragt werden (unter D.).
Nach amerikanischen Untersuchungen soll fiir die Varianz von individuellen Urteilen über Lärmwirkungen i.d.R. zu weniger als 20% die Stärke der akustischen Reize verantwortlich sein; vgl. die Nachweise bei Kürer, in: Koch (Hrsg.), S. 21. 10 Lärmbekämpfung 1988, S. 103. II DFG-Fluglärmwirkungen, S. 7 f. 12 Soweit die Belastungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen fiihren, scheidet eine Güterabwägung im genannten Sinne aber von vomeherein aus; vgl. hierzu ausfiihrlich unten, 2. Teil, B. I. 2 ..... bb. 13 Vgl. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 9; Vogel, ZtL 27 (1980), 198 (201/204); Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 222.
B. Lärmmessung, -bewertung und -berechnung J. Schallmessung 1. SchaUdruck
Schall ist ein Schwingungsvorgang in Gasen, Flüssigkeiten oder festen Stoffen. Unter Schalldruck wird der Wechseldruck verstanden, den die hin- und herschwingenden Luftmoleküle verursachen und der dem nur langsam veränderlichen, atmosphärischen Druck überlagert ist. Diese Druckschwankungen werden vom menschlichen Ohr wahrgenommen; der Schalldruck ist daher die für Geräuschimmissionen maßgebliche Meßgröße. Dabei wird die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde in Hertz (Hz) angegeben, die Größe der Druckschwankungen in Pascal (Pa). Je höher die Frequenz der Schwingungen, um so höher klingt der wahrgenollunene Ton; je größer die Druckschwankungen, um so lauter wird der Ton bei gleichbleibender Frequenz wahrgenommen. Der Hörbereich des Menschen liegt in einem Frequenzbereich von etwa 16 Hz (tiefste Töne) bis 16000 Hz (höchste Töne) und in einem Schalldruckbereich von etwa 0,00002 Pa (Hörschwelle) bis 200 Pa (Hörschmerzgrenze).l 2. SchaUdruckpegel
Um die Bandbreite möglicher Druckschwankungen übersichtlich darstellen zu können, wird das Verhältnis des jeweiligen Schalldrucks zum Hörschwellenschalldruck logarithmisch bewertet (Schalldruckpegel). Die Schalldruckpegel werden in Dezibel (dB) angegeben. Für den menschlichen Hörbereich kommt man damit zu einer Zahlenwertspanne von 0 dB bis ca. 130 dB. Einer Verzehnfachung der Schallintensität entspricht eine Erhöhung des Schalldruckpegels um 10 dB, einer Verhundertfachung eine Erhöhung um 20 dB und einer Vertausendfachung eine Erhöhung um 30 dB. Addiert man die Schallpegel, so ergibt 50 dB + 50 dB nicht 100 dB, sondern 53 dB; damit
Vgl. Z.B. Kürer, in: Koch (Hrsg.), S. 21; Lännbekämpfung 1988, S. 2.
B. Lärmmessung, -bewertung und -berechnung
31
entspricht eine Erhöhung des Schallpegels um 3 dB einer Verdoppelung der Schallintensität. 2
n. Akustische Bewertungsfaktoren
3
Die bisherige Darstellung bezog sich auf das Messen von Geräuschen. Ein Schallmeßgerät kann nur physikalische Größen messen, wie den Schalldruckpegel, die Frequenz der Schallschwingungen und schließlich deren zeitliches Auftreten. Lärm als subjektiv mitbestimmte Größe ist physikalisch gesehen dagegen nicht meßbar. 4 Um gleichwohl Maßwerte für die Beurteilung von Lärmwirkungen zu erhalten, wird versucht, bestimmte physiologische Elemente der Geräuschwahrnehmung durch das menschliche Ohr5 zu bewerten und in physikalische Größen umzurechnen. Dabei soll idealtypisch jedes Element des Schallereignisses, das über den Schalldruck hinaus die physiologische Lärmempfindung mitbestimmt, in Schalldruck umgerechnet werden6 : 1. Frequenzbewertung
Das menschliche Ohr ist unterschiedlich empfindlich für verschiedene Schallfrequenzen und dies wiederum unterschiedlich bei verschiedenen Schallstärken. Dies wird üblicherweise (stark vereinfachend) durch eine frequenzabhängige Schalldruckbewertung nach der Frequenzbewertungskurve A7 berücksichtigt, die tieffrequente Geräusche schwächer bewertet als hochfrequente. Der so physiologisch bewertete Schalldruckpegel wird in dB(A) angegeben. Mit dem "A-Bewertungsverfahren" wird aufgrund internationaler Einigung in der Mehrzahl aller Fälle gearbeitet. 8 Das Verfahren führt aber zu 2 Vgl. z.B. Sehedler, Handbuch, S. 406; Vogel, Fluglänn, S. 12. Bei gleichartigen Geräuschen bewirkt eine Schallpegeländerung von IO dB(A) im Mittel etwa eine Verdoppelung bzw. Halbierung der subjektiv empfundenen (!) Lau/s/ärke; vgl. Ullrieh, DVBI. 1985, 1159 (1160).
Vgl. dazu zusammenfassend NeumanniSchreiber, ZfL 39 (1992), 145 ff.; Sehae/er, ZfL 39 (1992), 117 ff.; UmweItgutachten 1987, S. 383 f. Tz. 1381; zur Entwicklung der Schallbewertung; Bürek, ZfL 30 (1983), 73 ff; Manin, ZfL 38 (1991), 151 ff. 4 Insbesondere die Lästigkeit eines Geräusches entzieht sich der physikalischen Messung; vgl. Ku/seheidJ, NVwZ 1989, 193 (196); Ullrieh, DVBI. 1985, 1159. Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 77, spricht insoweit von sensorischen Prozessen im Unterschied zu UrteiIsprozessen wie Gestörtheit, Lästigkeit oder Ärger. Zu den damit verbundenen Problemen vgl. Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 78. 7 DIN 45633, BI. 1, Juli 1968; vgl. auch die Empfehlung in DIN 45645 "Einheitliche Ermittlung des Beurteilungspegels fiir Geräuschimmissionen" (feil 1). Die auf einer etwas anderen Bewertung beruhende DIN-Phon-Messung wird seit 1966 in Deutschland nicht mehr angewendet; so Ullrieh, DVBI. 1985, 1159 (1160).
32
1. Teil: Rechtstatsachen
Schwierigkeiten bei sehr kleinen und sehr großen Amplituden. 9 Gerade bei Fluglärm mit seinen oft sehr hohen Pegeln und sehr unterschiedlichen Frequenzspektren können daher Beurteilungsprobleme entstehen. 10 2. Kurzzeitbewertung
Da sich das menschliche Ohr auf Änderungen des Schalldrucks nicht beliebig schnell einstellen kann (sog. Einschwingzeit) und zudem auch bestimmte subjektiv empfundene "Nachwirkungen" bei kurzzeitigen Schallereignissen auftreten, folgen die Meßgeräte für den Immissionsschutz ebenfalls mit einer gewissen Trägheit. Man unterscheidet die Zeitbewertungen "slow", "fast" und "impulse".11 Teilweise registrieren die Meßgeräte auch die jeweils in einem bestimmten Zeitintervall (etwa 5 s) auftretenden Maximalpegel, um diese dann später in der Langzeitbewertung weiterzuverarbeiten (Takt-Maximalpegelverfahren).12 3. Besondere Geräuschmerkmale
Bestimmte Geräuschmerkmale führen zu besonderer Störwirkung. Diese Störwirkungen versucht man teilweise durch Zuschläge zum A-Schalldruckpegel mitzuberücksichtigen. Dies gilt insbesondere für tonhaItige Geräusche, für Geräusche mit hohem InformationsgehaIt und für Geräusche mit auffaIligen Pegeländerungen (z.B. Schüsse, Knalle); hier wird dann jeweils ein TonInsbesondere werden tieffrequente Geräusche bei hohen Pegeln "unterbewertet"; vgl. Umweltgutachten 1987, S. 391 f. Tz. 1421 ff.; KUlscheidJ, NVwZ 1989,193 (198); zu weiteren Problemen bei der "A-Bewertung" Bürck, ZtL 29 (1982), I (3). 10 Ein wesentlich differenzierteres Verfahren ist die Bestimmung des Lautstärkepegels aus dem Geräuschspektrum nach DIN 45631/67; sie wird sich in näherer Zukunft aber wohl kaum durchsetzen können, weil die "A-Bewertung" in zahlreichen Rechtsvorschriften eingeführt ist; vgl. dazu Beckers, in: Oeser/ Beckers (Hrsg.), S. 37. II "Slow" besitzt eine Einschwingzeit von 1 s und eine Abfallzeit von 3 s, d.h. das Meßgerät arbeitet besonders träge, kleine und schnelle Schwingungen werden in der Anzeige geglättet. Diese Zeitbewertung hat sich insbesondere bei Fluglärmüberwachungsanlagen bewährt, weil damit auch die langsam anschwellenden Flugzeuggeräusche in der Umgebung von Flughäfen gut erfaßt werden können; vgl. Umweltgutachten 1987, S. 383 Tz. 1380; Bürck, ZtL 29 (1982), I (2). "Fast" hat eine Zeitkonstante von 125 ms und kann schnell aufeinanderfolgende Schallereignisse unterscheiden. "Impulse" besitzt zwei Zeitkonstanten, bei Schallanstieg eine Einschwingzeit von 35 ms und für den Abfall 1,5 s und ist damit für die Messung von Geräuschen mit schnellansteigender Lautstärke und kurzer Dauer (1 bis 200 ms) geeignet, denn diese Zeitbewertung ist einerseits der menschlichen Kurzzeitwahrnehmung angepaßt, andererseits wird durch die lange Abldingzeit die Wirkung des Impulses auf den Menschen (Schreck) besser erfaßt. Vgl. zum ganzen auch Neumann/Schreiber, ZtL 39 (1992), 145. 12 Vgl. dazu näher Kürer, in: Koch (Hrsg.), S. 22 f.; Meurers, Zfl36 (1989), 152 ff.; Neumann/Schreiber, ZtL 39 (1992),145; Umweltgutachten 1987, S. 384 Tz. 1382.
B. Lännmessung, -bewertung und -berechnung
33
zuschlag, ein Informationszuschlag oder ein Impulszuschlag von bis zu 6 dB(A) gewährt. 13 4. Äquivalenter DauerschaUpegel
Bei zahlreichen Schallvorgängen, insbesondere bei Verkehrsgeräuschen, ist der A-bewertete Schalldruckpegel zeitlich nicht konstant, weil sich der "akustische Ereignisraum"14 aus einer Vielzahl unterschiedlich starker, unterschiedlich klingender und unterschiedlich andauernder Schallereignisse zusammensetzt. Zur Bewertung solch komplexer Schallzusammenhänge werden die unterschiedlichen Pegelwerte daher zu einem Einzahlwert zusammengefaßt. Aus den über einen bestimmten Zeitraum gemessenen oder berechneten Pegeln wird unter Verwendung eines Halbierungsparameters (q)15 der Mittelungspegel und so für die bestimmte Zeit der "Beurteilungspegel " errechnet. Der äquivalente Dauerschallpegel (Leq) gibt dann (stark vereinfacht) bei zeitlich schwankenden Schalldruckpegeln der Einzelereignisse den Pegel an, der einem gleichbleibenden Geräusch entspricht, welches in einem genau festgelegten Beurteilungszeitraum die gleiche Schallenergie liefert wie die tatsächlich auftretenden Geräusche. Das Verfahren ist in DIN 45641 "Mittelung von Schallpegeln" und in DIN 45645 "Einheitliche Ermittlung des Beurteilungspegels für Geräuschimmissionen " genormt. 16
13 14
Dazu näher Umweltgutachten 1987, S. 390 Tz. 1411 ff.; Kürer, in: Koch (Hrsg.), S. 23. Kürer, in: Koch (Hrsg.), S. 24.
15 bn bnmissionsschutz wird üblicherweise der Halbierungsparameter q = 3 verwendet; das bedeutet, daß bei einem Geräusch mit konstantem Pegel eine Halbierung der Geräuschdauer bei festgesetzter Meßdauer zu einer Abnahme des Mittelungspegels um 3 dB fuhrt. Für das Mittelungsverfahren nach dem FlugLG wird dagegen der Halbierungsparameter q = 4 verwendet. Der Zahlenwert, der hiernach ermittelt wird, liegt gegenüber den Berechnungen des energieäquivalenten Dauerschallpegels mit q = 3 in der Regel um 6-7 dB(A) niedriger; vgl. zu den Einzelheiten Umweltgutachten 1987, S. 383 f. Tz. 1381; Bürck, ZfL 30 (1983), 73 (75); Neumann/Schreiber, ZfL 39 (1992), 145. 16 Vgl. Neumann/Schreiber, ZfL 39 (1992), 145. Wie sich ein einzelnes Schallereignis von wenigen Sekunden auf den äquivalenten Dauerschallpegel über einen längeren Zeitraum auswirken kann, machen Neumann/Schreiber (a.a.O. S. 146) an folgendem Beispiel deutlich: Eine Person, die sich im Freien aufhält, werde einmal am Tag von einem Düsenjäger mit einem maximalen Schallpegel von 130 dB(A) überflogen. Die Person sei sonst den ganzen Tag über keinen anderen lauten Geräuschen ausgesetzt. Der Mittelungspegel fur den Beurteilungszeitraum (6 - 22 Uhr) beträgt dann Leq= 84,2 db(A), d.h. der einzelne Überflug wird also beim Mittelungsverfahren einem 16 Stunden einwirkenden Dauergeräusch mit einem Schallpegel von 84,2 dB(A) gleichgesetzt. 3 Hermann
34
1. Teil: Rechtstatsachen
m. Nichtakustische Bewertungsfaktoren Wie schon angedeutet, hängt die subjektive Lärmempfindung des Betroffenen in weitem Umfang von nichtakustischen Einflußgrößen ab. Die üblicherweise verwendeten Regelwerke versuchen auch solche Einflußgrößen bis zu einem gewissen Grad zu erfassen, indem Beurteilungspegel gebildet werden, die sich aus der Addition (evtl. auch Subtraktion) des akustischen Kennwerts und eines Wirkungskennwerts ergibt, der wiederum aus den in Dezibel ausgedrückten Unterschieden der Lärmwirkung bei den verschiedenen nichtakustischen Einflüssen gebildet wird. 17 Die Wirkungskennwerte finden dann entweder durch eine Veränderung des Beurteilungspegels im Ermittlungsverfahren Berücksichtigung l8 oder auch erst durch entsprechende "Korrektur" des regulativen Immissionsgrenzwertes l9 • Nichtakustische Einflußgrößen, die in technischen Regelwerken Berücksichtigung finden, sind z.B. die Tageszeit (unterschiedlich betroffene Tätigkeiten, und/oder unterschiedliche Erwartungshaltung, vgl. z.B. Nr.2.322 der TA Lärm), das betroffene (Bau-)Gebiet (unterschiedliche Ortsüblichkeit und Erwartungshaltung; vgl. z.B. Nr. 2.321 und Nr. 2.322 der TA Lärm) oder die Unterschiedlichkeit der Lärmquelle (situative Merkmale, Vorhersehbarkeit des Ereignisses, Einstellung zur Lärmquelle; vgl. z.B. DIN 18005). Sie werden dann mit Bonus- bzw. Maluswerten beim Beurteilungspegel oder erst beim Immissionsgrenzwert berücksichtigt. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, daß die Bewertung der Wirkungskenngröße nur teilweise auf Forschungsergebnissen, vielfach aber auf Erfahrungswerten beruht, auch wenn sich diese für die genannten Regelwerke in der Praxis gut bewährt haben mögen. 20 Die näherungsweise Erfassung subjektiver Einflußfaktoren kann zudem immer nur in einer generalisierenden und abstrahierenden Weise erfolgen. 21 Wie stark sich jemand durch Fluggeräusche belastet fühlt, hängt aber vielfach und in weitem Umfang von ganz konkreten, einzelfallbezogenen Faktoren ab, z.B. von der physiologischen Ausgangslage und der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seiner aktuellen lokalen Ruheerwartung oder von seiner momentanen Aktivität. Diese Einflußgrößen variieren von Person zu Person aber auch bei ein und derselben Vgl. Neumann/Schreiber, ZfL 39 (1992), 145. So z.B. beim "Schienenverkehrsbonus" im Ermittlungsverfahren nach DIN 18005; vgl. dazu auch Schreiber, ZfL 31 (1984), 149 (150). 19 So z.B. beim "Schienenverkehrsbonus" nach der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BlmschVO) vom 12.6.1990 (BGBI. I, S. 1036). 20 Vgl. KÜFer, in Koch (Hrsg.), S. 25 f. 21 Z.B.: Die Erwartungshaltung hinsichtlich der Lärmbelastung wird i.d.R. in einem Wohngebiet anders sein als in einem Industriegebiet und während des Tages anders als während der Nacht; vgl. zur Problematik solcher gebietsabhängigen Differenzierungen des Schutzniveaus unten D. 11. 17
18
B. Lännmessung, -bewertung und -berechnung
35
Person von Tag zu Tag, ja von Stunde zu Stunde. 22 • In der DFG-Fluglärmuntersuchung wird diesbezüglich festgestellt: "sogar bei extremer Betroffenheit durch Fluglärm, gibt es geringe Anteile dieser Betroffenen, die minimale Reaktionen zeigen; sogar bei minimaler Betroffenheit durch Fluglärm gibt es geringe Anteile der Betroffenen, die maximale Reaktionen zeigen" .23 Solche konkret-subjektiven Einflußfaktoren entziehen sich einer generell-abstrakten Erfassung; sie können weder bei der bewertenden Errechnung von Beurteilungspegeln noch (später) bei der Festsetzung von regulativen Immissionsgrenzwerten berücksichtigt werden. Eine im Einzelfall sich ergebende Diskrepanz zwischen der vom Betroffenen konkret empfundenen Lärmbelastung und der generalisierenden Festlegung von Immissionsgrenzen ist daher unvermeidlich, auch wenn letztere das Ergebnis einer vielfach differenzierenden Bewertung und Abwägung ist. 24 Darauf wird noch einzugehen sein. 25 IV. Insbesondere: Berechnung und Bewertung von Fluggeräuschen in der Umgebung von Flughäfen 1. Nach dem Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FlugLG)
Grundlage für die Festsetzung von Lärmschutzbereichen nach dem FlugLG ist ein nach § 3 FlugLG i. V.m. Anlage zu § 3 ermittelter äquivalenter Dauerschallpegel. Das Bewertungs- und Berechnungsverfahren läßt sich vereinfachend26 wie folgt beschreiben: Der Mittelungswert ergibt sich aus dem höchsten Schallpegel eines Geräusches für jeden Vorbei flug eines Luftfahrzeugs (Anlage zu § 3, Nr. la) und der Dauer des Geräusches für jeden Vorbeiflug (Anlage zu § 3, Nr. Ib). Der Ermittlung werden als Bezugszeitraum die sechs verkehrsreichsten Monate des Jahres zugrundegelegt. Dem Mittelungsverfahren liegt ein Halbierungsparameter (Äquivalenzparameter) von q = 4 zugrundeY Außerdem werden in die Berechnung unterschiedliche Bewertungsfaktoren für Tag- und Nachtflüge eingeführt (Bewertungsfaktoren gi). Die Berechnung des äqivalenten Dauerschallpegels führt dann zu einer
22
So Vogel, Handbuch, S. 15.
23
DFG-Fluglärmwirkungen, S. 526; vgl. auch Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 71.
Vgl. zum ganzen auch Bürck, ZtL 29 (1982), 1 (4 f.); Rohrmflnn u.a., Fluglärm, S. 113 ff. 25 Vgl. unten D. 11. 24
26 Vgl. zum Berechnungsverfahren eingehender z.B. Göttinger Fluglärmgutachten 1965, S. 12 ff.; DFG-Fluglärmwirkungen, S. 125 ff.; Müller, in: Handbuch des Umweltrechts, S. 5 ff. 2? Vgl. schon oben Fn. 15.
36
1. Teil: Rechtstatsachen
Einwertangabe, denn die Pegel für Tages- und Nachtzeit werden zu einem Wert zusammengefaßt. 28 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die nach dem FlugLG für die Festlegung der Lärmschutzbereiche zu ermittelnden äquivalenten Dauerschallpegel nicht das Ergebnis von Geräuschmessungen, sondern von Berechnungen auf der Grundlage einer umfassenden Prognose der lärmrelevanten Flugplatz- und Flugbetriebsdaten sind. 29 Dies bedarf für Flughafenneuplanungen keiner weiteren Erläuterung. Aber auch bei bestehenden Flughäfen ist eine zukünftige Lärmsituation meßtechnisch nicht zu erfassen, auch nicht durch Messung der aktuellen Geräuschimmissionsbelastung und generelle Hochrechnung. 30 Die zur Berücksichtigung des zu erwartenden Flugbetriebs erforderlichen Prognosedaten werden mit Hilfe des Datenerfassungssystems für die Ermittlung von Lärmschutzbereichen an zivilen Flughäfen (DES)3' und des Datenerfassungssystems für die Ermittlung von Lärmschutzbereichen an militärischen Flugplätzen (DES-MIL)32 ermittelt. Um eine konkrete und detaillierte Prognose zu erhalten, ist es u.a. erforderlich, daß für jeden Flugplatz genau angegeben wird, welche An- und Abflugwege, mit welchen Flugkorridoren existieren werden, und welche Flugzeuge, mit welchen Antriebsaggregaten, auf welchen An- und Abflugstrecken verkehren werden. Die Datenerfassungssysteme bestimmen die relevanten Prognosedaten; sie sagen aber nichts darüber aus, wie die prognostizierten Flugbewegungen akustisch zu bewerten sind, insbesondere hinsichtlich Geräuschintensität (Maximalpegel) und Geräuschdauer . Sie werden daher durch die Anleitung 28
Vgl. Anlage zu § 3 FlugLG Nr. 5: Nach der Formel:
L.,. = 13,3 log E/i gi tJT 10Lil13 •3 dB(A) sind mit
a) gi = 1,5 rur Tagflüge; gi = 0 rur Nachtflüge und b) gi = 1 rur Tagflüge; gi = 5 rur Nachtflüge zwei äquivalente Dauerschallpegel zu ermitteln; der höchste Pegel ist dann der äquivalente Dauerschallpegel nach § 2 des Gesetzes. 29 Vgl. § 3 FlugLG: "Der äquivalente Dauerschallpegel wird unter Berücksichtigung von Art und Umfang des vorhersehbaren Flugbetriebs auf der Grundlage des zu erwartenden Ausbaus des Flughafens (... ) ermittelt"; entscheidend ist also eine Lärmbelastung die voraussichtlich in der Zukunft eintreten wird. 30 Vgl. dazu den Fluglärmbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 8/2254, S. 13. Dieser Befund läßt sich rur die Planung von lärmemittierenden Vorhaben verallgemeinern: Um den erforderlichen Lärmschutz schon bei der Planung berücksichtigen zu können, ist es notwendig, die zu erwartende Geräuschbelastung aufgrund einer Prognose über das zu erwartende Verkehrsaufkommen zu berechnen; vgl. etwa rur die Straßenplanung § 3 der 16. BImSchVO i.V.m. Anlage zu § 3; dazu Alexander, in: Speyerer Forschungsberichte 95, S. 49 f.; vgl. auch Kuschnerus, DVBI. 1986, 429 (430); allgemein zur Prognose von Geräuschimmissionen in Zulassungsverfahren, Krane, ZfL 32 (1985),108 ff.; Ullrich, DVBI. 1985, 1159 (1161). 31 Bekanntmachung vom 27.2.1975, GMBI. S. 127. 32 Bekanntmachung vom 27.2.1975, GMBI. S. 145.
B. Lärmmessung, -bewertung und -berechnung
37
zur Berechnung (AzB)33 ergänzt. Diese enthält u.a. viele tausend akustische Daten für Flugzeuge bestimmter Gruppen, bei bestimmten Flugverhältnissen und bestimmten Entfernungen zum Immissionsort. Zusammen mit den Datenerfassungssystemen werden so die wesentlichen Kennwerte für die Berechnung des äquivalenten Dauerschallpegels nach § 3 FlugLG gewonnen. 34 2. DIN 45643 "Messung und Beurteilung von Flugzeuggeräuschen"35
Die im Oktober 1984 veröffentlichte technische Norm DIN 45643 ist grundsätzlich für alle Aufgaben der Fluglärmmessung und -bewertung anwendbar. Sie besteht aus drei Teilen: Teil 1: "Meß- und Kenngrößen" Teil 2: "Fluglärmüberwachungsanlagen im Sinne von § 19a LuftVG" Teil 3: "Ermittlung des Beurteilungspegels für Fluglärmimmissionen". In DIN 45643 Teil 1 werden Meß- und Kenngrößen für die Messung und Beurteilung von Flugzeuggeräuschen für unterschiedliche Anwendungsbereiche definiert. Diese Größen werden sowohl im Hinblick auf Anforderungen an Fluglärmüberwachungsanlagen nach § 19a LuftVG, als auch im Hinblick auf Fluglärmbeurteilungen auf der Grundlage von DIN 45645 Teil 1 festgelegt. Teil 1 bestimmt also die Meß- und Kenngrößen36 , die dann u.a. in Teil 2 und Teil 3 Verwendung finden. 37 In DIN 45643 Teil 2 werden Anforderungen an Meßeinrichtungen für die Fluglärmüberwachung in der Umgebung von Verkehrsflughäfen nach § 19a LuftVG festgelegt. Sie ist anzuwenden auf Meßeinrichtungen (Fluglärmüberwachungsanlagen), die dazu dienen, vorgeschriebene oder empfohlene Flugstrecken und Flugverfahren in der Umgebung von Verkehrsflughäfen akustisch zu überwachen und auf Meßeinrichtungen, mit denen ein äquivalenter Dauerschallpegel in Anlehnung an dIe Anlage zu § 3 des FlugLG bestimmt werden kann. 38 Mit Teil 2 wird insbe33 Bekanntmachung vom 27.2.1975, GMBI. S. 182. 34 Zur Datenerfassung und zur Anleitung zur Bereclmung ausführlicher der Fluglärmbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 8/2254, S. 13 und Anlage 13, S. 45 ff.; J.SchmidJ, Rechtsfragen, S. 176. 35 Vgl. zum folgenden näher Beckers, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 64 ff.; Bürck, ZfL 32 (1985), 172 f.; Quaas, NVwZ 1991, 16 (17); J.SchmidJ, Rechtsfragen, S. 176 f.; Bundesvereinigung gegen Fluglärm e. V., ZfL 32 (1985), 119 f. 36 Einzelereignispegel, Dauerschallpegel, Beurteilungspegel nach DIN 45645. 37 Normenausschuß Akustik und Schwingungstechnik (FANAK) , Deutsches Institut für Normung e.V., DIN 45643 Teil I, Vorbemerkung, S. I. 38 Mit dem Halbierungsparameter q = 4, statt wie sonst üblich q = 3.
38
1. Teil: Rechtstatsachen
sondere der Vergleich der tatsächlichen Lärmbelastung mit der prognostizierten Lärmbelastung nach dem FlugLG (Schutzzonen) ermöglicht. 39 In DIN 45643 Teil 3 wird die Ermittlung des Beurteilungspegels nach DIN 45645 behandelt. 4O Der sich nach Teil 3 ergebende Beurteilungspegel für den Tag und für die Nacht ist jeweils ein energieäquivalenter Miuelungspegel auf der Basis eines Halbierungsparameters q = 3, mit Zuschlägen für die Besonderheiten der Lärmsituation. 41 Er kann auch zum Vergleich mit Richt- oder Grenzwerten benutzt werden, soweit die Beurteilungszeiten und -verfahren übereinstimmen. Richt- oder Grenzwerte werden in dieser Norm aber nicht festgelegt. 42
39 Nonnenausschuß Akustik und Schwingungstechnik (FANAK), Deutsches Institut fiir Nonnung e.V., DIN 45643 Teil 2, Vorbemerkung, S. I; vgl. auch Beckers, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 65. 40 Nonnenausschuß Akustik und Schwingungstechnik (FANAK), Deutsches Institut fiir Nonnung e.V., DIN 45643 Teil 3, Vorbemerkung, S. I; vgl. auch schon oben D. 4. 41 So wird etwa das erhöhte Schutzbedürfnis in den Zeiten von 6 - 7 Uhr und von 19 - 22 Uhr bei Berechnung des Tagesbeurteilungspegels durch einen Zuschlag von 6 dB(A) berücksichtigt; auch das erhöhte Schutzbedürfnis an Sonn- und Feiertagen kann gegebenenfalls berücksichtigt werden; vgl. DIN 45643 Teil 3, S. 2. 42 Vgl. DIN 45643 Teil 3, Vorbemerkung, S. 1.
c. Fluglärmwirkungsrorschung I. Lärmwirkungsforschung 1. Methodik
Lärm ist der wohl am meisten erforschte Umweltstressor. Die einschlägigen Veröffentlichungen aus Disziplinen wie Psychoakustik, Medizin, Physiologie, Psychologie (Arbeitspsychologie, Sozialpsychologie, Umweltpsychologie), Soziologie, Planungswissenschaften usw. sind selbst für Experten kaum noch zu übersehen. l Üblicherweise werden somatische (Verminderung des Hörvermögens, Beeinflußung physiologischer Funktionen, Schlafstörungen), psychische (Beeinträchtigung der Rekreation, Minderung des psychischen Wohlbefindens, Beeinflußung des Leistungsvermögens, Behinderungen der Kommunikation) sowie soziale Reaktionen (Veränderung des Sozialverhaltens, Beschränkung der Wohnmöglichkeiten) auf (Flug-)Lärm bzw. Beeinträchtigungen durch (Flug-)Lärm unterschieden und untersucht, wobei zwischen den einzelnen Wirkungen ein vielfältiges Abhängigkeits- und Bedingungsgefüge besteht. 2 Zur Erforschung und Analyse der somatischen, psychischen und sozialen Lärmwirkungen werden unterschiedliche empirische und theoretische Methoden angewandt. Hierbei kann grundsätzlich zwischen Laborforschung3 und Feldforschung' unterschieden werden. Die primär-empirischen Verfahren werden durch sekundär-analytische Verfahren ergänzt, etwa durch die Analyse und Verknüpfung von Daten über Geräuschquellen und Lärmwirkungen. Die Lärmwirkungsforschung ist eine überwiegend interdisziplinäre Forschung, in der soziologische, psychologische und medizinische Wirkungsdaten auf akustisch gemessene und physikalisch bewertete Sachverhalte bezogen
Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 15. 2
Vgl. Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 16 Box 2-2. In Fonn von Befragungen, Tests und Experimenten mit Datengewinnung in speziell dafür geschaffenen Umgebungen. Insbesondere epidemiologische Studien, etwa durch Befragung und Beobachtung interessierender Bevölkerungsstichproben in der für die Untersuchten gewohnten Umgebung.
40
1. Teil: Rechtstatsachen
werden; teilweise werden aber auch demoskopische und epidemiologische Belästigungsstudien ohne akustische Messungen durchgeführt. 5 2. Spezifische Probleme der Lärmwirkungsforschung
Auslöser (Stimulus) der Reaktionen auf und der Beeinträchtigungen durch Fluglärm sind Art und Ausmaß des Flugverkehrs. 6 Es erscheint daher für die Lärmwirkungsforschung auf den ersten Blick naheliegend, von einer monokausalen Beziehung zwischen den Stimulusvariablen und den Reaktionsvariablen (Lärmwirkungen) sozialer, psychischer und somatischer Art auszugehen. Ein solches Modell kann aber die tatsächlich auftretenden Variationen der Reaktion auf Fluglärm nicht erklären. Das Ausmaß etwa der Verärgerung und Betroffenheit streut beträchtlich, selbst bei ein und derselben (starken oder geringen) Lärmbelastung. Sozial wissenschaftliche Studien haben ergeben, daß die untersuchten Beeinträchtigungen nur relativ schwach mit dem Ausmaß der akustischen Geräuschbelastung korrelieren. So ist die individuelle Streuung der Reaktionen Gestörtheit und Verärgerung nur zu etwa 20% durch die Stärke der Geräuschbelastung bestimmt bzw. verursacht.? Ähnliches gilt für eine Vielzahl weiterer psychologischer und physiologischer Variablen. 8 Dabei ergeben sich auch keine engeren Bindungen, wenn man statt eines Mittelungspegels andere akustische Kennwerte heranzieht. 9 Die Wirkung von Fluglärm auf den Menschen ist also offensichtlich nicht nur vom Reizgeschehen selbst, sondern auch von teilweise schwer faßbaren Größen außerhalb des Reizgeschehens abhängig. Solche ModeratorvariablenlO - es können Person-Variablen 11 und Umwelt-Variablen l2 unterschieden werden Vgl. zum ganzen ausfiihrlich Rohrmann u.a., F1uglänn, S. 54 ff. und Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 22 ff. Insbesondere die Häufigkeit und Dauer von Übertlügen, deren Lautstärke sowie deren Frequenzspektrum. So Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 51 f. nach einer Auswertung zahlreicher Studien zu unterschiedlichen Lännarten aus Großbritannien, Frankreich, der Schweiz, der Bundesrepublik und den USA. Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 53, auf der Grundlage der Ergebnisse des DFG- Forschungsberichts 1974. Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 54. 10 Vgl. zum Begriff schon oben A. Fn. 7. 11 Z.B. Gewöhnung und Gewöhnungsfahigkeit an Länn, Lännempfindlichkeit, generelle Labilität oder Stabilität gegenüber Belastungen, Gesundheitszustand, Bewertung des Luftverkehrs. 12 Z.B. Lage und Beschaffenheit der Wohnung, Bindung an das Wohngebiet, Vorzüge oder Nachteile der Umgebung, andere Lännquellen, Verhältnis zu den Nachbarn.
C. Fluglärmwirkungsforschung
41
- spielen für die Wirkungsforschung eine entscheidende Rolle. 13 Auch die konkreten akustischen Bedingungen am lmmissionsort l4 variieren das Beziehungsgefüge Reiz - Reaktion. Die Fluglärmwirkungsforschung muß diesen individuellen Lärmbedingungen einigermaßen nahekommen, will sie Aussagen über den Stimulus-Wirkungs-Zusammenhang machen. Weiter sind auch Untersuchungsbarrieren zu bedenken, die sich, bedingt durch methodische und technische Restriktionen, daraus ergeben, daß vielfach nur im nachhinein die Wirkungen oder besser die "Nachwirkungen" von Lärmbelastungen erfaßt werden können, daß nicht alle Folgen von Lärmbelastungen meßbar bzw. ertragbar sind, und daß die Person-Variablen auch die Erfaßbarkeit erschweren können l5 . Schließlich sind denkbare Rückkoppelungen zu beachten, etwa wenn Fluglärmwirkungen zu psychischen oder somatischen Veränderungen führen, die ihrerseits wieder die Verarbeitung der weiteren Lärmbelastung mitbestimmen. 16 Schon diese kursorischen Ausführungen sollen genügen, um die komplexe Problematik einer sachgerechten Erfassung von Lärmwirkungen zu skizzieren. Sie belegen einmal mehr die Erforderlichkeit eines interdisziplinären Forschungsansatzes und die Notwendigkeit, situative und personale Moderatoren sowie Rückkoppelungseffekte mit zu berücksichtigen. Sie lassen außerdem bereits erkennen, daß eine exakt zu beweisende kritische Grenze der Fluglärmbelastung als Grundlage für legislative Grenzwertentscheidungen aus den wissenschaftlichen Ergebnissen der Lärmwirkungsforschung wohl kaum ableitbar sein wird. 17
13 Vgl. dazu Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 31 ff; Interdisziplinärer Arbeitskreis für Lännwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (245 f.); vgl. auch Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 71 und Lännbekämpfung 1988, S. 102, S. 118. 14 Z.B. Dämmung und Dämpfung durch Bewuchs und Bebauung; auch das individuelle Verhalten der Bewohner wie Aufteilung der Wohnung, Öffnen der Fenster auf der lännabgewandten oder -zugewandten Seite, spielt eine Rolle. 15 Man denke etwa an Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Forscher und Proband. 16 Dazu noch näher unten C. ID. 2. 17 Vgl. dazu noch ausführlich unten D. I.
42
1. Teil: Rechtstatsachen
n. Ergebnisse psychosozialer Feldforschung
l8
1. Methodik l9
Mit der systematischen Erforschung der Wirkung von Fluglänn auf den Menschen wurde in den fünfziger Jahren in den USA begonnen. 2O Im Vordergrund stand zunächst die Erfassung spontan geäußerter oder erfragter Belästigungsdaten ("social surveys") und das Sammeln von Beschwerdeaktivitäten. Um die Aussagen der Fluglännbetroffenen repräsentativ untersuchen zu können, wurden jedoch schon bald Meinungsumfragen anband gezielter Stichproben durchgeführt. Auch entwickelte man Skalen zur standardisierten Erfassung der Gestörtheit und Verärgerung ("annoyance-scales"), mit denen statt der absoluten Anzahl der Beschwerden das Gestörtheitsmaß angegeben werden kann. 21 2. Gestörtheit durch Fluglärm
Üblicherweise werden die Wirkungen von Fluglänn auf das subjektive Empfinden der Betroffenen mit Begriffen wie "Belästigung" oder "Gestörtheit" zusammengefaßt und somatischen (Gesundheits-)Beeinträchtigungen gegenübergestellt. Dabei kann zwischen unmittelbaren und mittelbaren Belästigungswirkungen unterschieden werden. Geräusche können an sich unangenehm und lästig wirken, etwa aufgrund bestimmter physikalischer Eigenschaften wie TOnhaltigkeit, Impulshaltigkeit oder Informationshaltigkeit. Andererseits lösen die Folgen aktueller Lärmbelastung wie Kommunikationsstörungen, Störungen der Erholung usw. ihrerseits Gestörtheit, Verärgerung und Unzufriedenheit aus. Solche störenden und beeinträchtigenden Faktoren (Reaktionsvariablen) werden nach systematischen sozialwissenschaftlichen Studien von den Betroffenen insbesondere gesehen in: 22 18 Die hier dargestellten Untersuchungsergebnisse beziehen sich auf Fluglärmbelastungen durch 01erkehrs-)Flughäfen des zivilen Luftverkehrs. 19 Vgl. dazu eingehend Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 81 ff.; Rohrmann U.Q., Fluglärm, S. ll8 ff. 20 Rohrmann, KdL 24 (1975), 89 (90). 21 Einen Überblick über die fiir Befragungen heute üblicherweise verwendeten Fragenkomplexe geben Rohrmann U.Q., Fluglärm, S. 121; vgl. auch DFG-Fluglärmwirkungen, S. 160 ff., zur Entwicklung und dem Aufbau des bei der DFG-Untersuchung verwendeten Fragebogens. Wichtigster Bestandteil ist der Block von Fragen über Störwirkungen, aus denen das Gestörtheitsmaß konstruiert werden kann; vgl. auch dazu Rohrmann U.Q., Fluglärm, S. 122. 22 Vgl. dazu etwa Rohrmann, KdL 24 (1975), 89; d.ers., in: Ising (Hrsg.), S. 84; Rohrmann U.Q., Fluglärm, S. 124 f.; Schick, ZfL 40 (1993), 1 (2); Interdisziplinärer Arbeitskreis fiir Lärmwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (246). Ähnliche Einflußbereiche werden üblicherweise
C. Fluglärmwirkungsforschung
43
Störungen der Kommunikation (Unterhaltung, Radio, Fernsehen, Telefonieren usw.) Störungen der Entspannung und Erholung, insbesondere Schlafstörungen (Hindern am Einschlafen und Durchschlafen sowie Aufweckreaktionen)23 und Minderungen der Ruhe- und Entspannungsmöglichkeiten (im Innenund vor allem im Außenwohnbereich). Leistungsminderungen (Störung von geistigen Tätigkeiten wie Lesen, Schreiben und anderen Betätigungen, die Konzentration erfordern). Erschrecken und Furcht (insbesondere bei plötzlich bemerkbar werdenden Überfluggeräuschen); in einigen amerikanischen Studien wird "fear of aircraft" allerdings (auch) als primäre Reaktion angesehen24 • Störungen durch Vibrationserscheinungen wie Zittern der Hauswände und Fußböden, Klirren von Geschirr und Scheiben (insbesondere beim Start schwerer Verkehrsflugzeuge). (seltener) Schmerzempfindungen (Kopf- oder Ohrenschmerzen). Dabei werden Kommunikationsstörungen25 und Störungen der Ruhe und Entspannung am stärksten beklagt. So kommt beispielsweise die DFG-Fluglärmstudie26 zu dem Ergebnis, daß in einem Gebiet, entsprechend der Schutzzone 2 nach dem FlugLG (Leq zwischen 67 dB(A) und 75 dB(A», 77 % der Betroffenen beträchtliche Kommunikationsstörungen und 36 % der Betroffenen beträchtliche Störungen von Ruhe und Entspannung beklagen. Auch auch in psychologischen Lännwirkungsuntersuchungen benannt; Schönpjlug, in: Ising (Hrsg.), S. 65, etwa unterscheidet die Einflußbereiche: I. Kommunikation durch gesprochene Sprache, 2. Arbeitsleistung, 3. Rekreation und Regeneration im Wachen, 4. Schlaf, 5. Wohlbefinden. 23 Zu den (psycho-)somatischen Folgen von Schlafstörungen vgl. näher unten Ill. 3. c. 24 Vgl. dazu Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 86. 25 Die (sprachliche) Kommunikation ist ein entscheidendes Mittel zur Entfaltung der Persönlichkeit und zur Auseinandersetzung mit der Umwelt; die Sicherung einer ungestörten Kommunikation wird daher auch als eines der wichtigsten Schutzziele der Lännbekämpfung angesehen; vgl. Interdisziplinärer Arbeitskreis für Lännwirkungsfragen, ZtL 32 (1985), 95; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 214. Die Beeinträchtigungen beginnen, je nach Kommunikationssituation, bei einem Störpegel von etwa 40 - 50 dB(A); ab 75 dB(A) ist keine eindeutige Satzverständlichkeit mehr gegeben, d.h. jeder laute Überflug bedeutet eine Beeinträchtigung der Kommunikation; vgl. dazu Ehrenstein/MaUer-limmroth, Handbuch, S. 4; Klosterköner, KdL 24 (1977), 61 (62 f.); Rohrmann, KdL 23 (1976),6 (8); tiers., in: Ising (Hrsg.), S. 85. Nach Auffassung des Interdisziplinären Arbeitskreises für Lännwirkungsfragen beim Umweltbundesamt (a.a.O., S. 99) sollte im Wohnbereich eine gute Sprachverständlichkeit nicht nur bei mittlerer Sprechweise, sondern auch bei entspannter Unterhaltung mit ruhiger Sprechweise über Entfernungen von mehr als einem Meter gegeben sein; dies wird erreicht, wenn die Innengeräuschpegel während der Kommunikation 40 dB(A) nicht übersteigen. 26 DFG-Fluglännwirkungen, S. 522; vgl. auch Lännbekämpfung 1988, S. 126 Abb. 3.2., Abb.7.
44
1. Teil: Rechtstatsachen
außerhalb eines Gebietes, welches der Schutzzone 2 nach dem FlugLG entspricht, werden noch erhebliche Beschwerden über Kommunikationsstörungen und Störungen der Ruhe und Entspannung festgehalten. Andere Studien kommen zu vergleichbaren Ergebnissen: Je nach Untersuchungsansatz werden in einem Bereich zwischen 62 dB(A) und 68 dB(A) Dauerschallpegel, Beschwerden von etwa der Hälfte der Betroffenen konstatiert. 27 Für die Gestörtheitsreaktion ist der Zeitpunkt der Störung von wesentlichem Einfluß. Am störendsten wird der Fluglärm am Abend (zwischen 18 und 22 Uhr) und während der Nachtstunden empfunden, obwohl insoweit keine Korrelation zum Umfang des Flugbetriebs besteht. 28 Rohrmann29 sieht in der Tatsache, daß Fluglärm auch und gerade dann gegeben ist, wenn das Bedürfnis des Menschen nach Entspannung und Erholung im Vordergrund steht (Feierabend, Nachtruhe), einen ganz entscheidenden Aspekt der Fluglärmproblematik. Die Beeinträchtigungen führen zu emotionalen Reaktionen wie Unwohlsein, Unmut, Gereiztheit, Ärgerlichkeit. Dies wiederum schlägt sich in Aussagen über die Bewertung der Wohngegend, über die Einschätzung der Erträglichkeit bzw. Unerträglichkeit von Fluglärm, über die Furcht vor Flugzeugen und über Maßnahmen gegen Fluglärm nieder. 30 Die benannten Gestörtheitsreaktionen sind statistisch signifikant auf das Maß der Fluglärmbelastung bezogen; sie nehmen mit steigendem Fluglärm zu und können damit eindeutig als Fluglärmwirkungen interpretiert werden. 31 Sie konstituieren eine generell negative Haltung gegenüber Fluglärm, wie sie auf Fragen nach der Erträglichkeit von bzw. Verärgerung durch Fluglärm zum Ausdruck kommt.
29
Vgl. dazu Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 126 ff. und S. 226, Tab. l. Lännbekämpfung 1988, S. 127. Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 129.
30
Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 128.
27 28
Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 86. Nach einer Synopse, beruhend auf Daten zur Gestörtheit durch Fluglänn aus elf Untersuchungen in den USA und verschiedenen europäischen Ländern, fiihlen sich bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von 50 dB(A) über 15% der Betroffenen gestört oder verärgert; bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von 60 dB(A) sind es bereits über 30%; vgl. Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 88 Abb. 4. Neuere Ergebnisse einer Euro-Studie im Auftrag der EG (DiamondlWalker, CEC Joint Research Project: Community Reactions to Aircraft Noise) belegen, daß sich bereits bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von 63 dB(A) 50% der Anwohner stark belästigt fiihlen; vgl. die Nachweise bei Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 84 f. Der Interdisziplinäre Arbeitskreis fiir Lännwirkungsfragen beim Umweltbundesamt, ZfL 37 (1990), I (5), rechnet bei Mittelungspegeln zwischen 50 - 55 dB(A) außerhalb des Hauses zunehmend mit Beeinträchtigungen des psychischen und sozialen Wohlbefindens. 31
C. Fluglärmwirkungsforschung
45
Was die Beziehung zwischen den Stimulusvariablen (Schallintensität, Häufigkeit von Schallereignissen usw.) und den genannten Reaktionsvariablen anbelangt, können folgende Untersuchungsergebuisse festgehalten werden: Es besteht eine mittlere Korrelation zwischen Stimulus- und Reaktionsvariablen; maximal ein Drittel der Variabilität der (individuellen) Reaktionen auf Fluglänn kann durch Stimuluscharakteristika erklärt werden (bei konstanter Beschallung gibt es also eine starke Reaktionsvariabilität von großer bis geringer Beeinträchtigung). Dabei ist für die Höhe der Korrelation die Wahl eines bestimmten akustischen Maßes weitgehend ohne Bedeutung; ob die Häufigkeit der Schallereignisse oder deren Lautstärke stärker den Gestörtheitsgrad bestimmen, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Gestörtheit und Verärgerung durch Fluglänn nimmt im wesentlichen linear mit der Schallbelastung zu (lineare Stimulus-Reaktionsbeziehung), d.h. es können keine Schwellenwerte auf der Stimulusseite festgestellt werden, ab deren Überschreitung ein sprunghafter Anstieg der Reaktionen zu verzeichnen wäre. Wenn man die Beeinträchtigung eines bestimmten Prozentsatzes der Flughafenanwohner als nicht akzeptabel definieren will, so ergibt sich, daß solche Schwellen für verschiedene Gestörtheitskriterien auf ganz unterschiedliche Punkte einer akustischen Fluglännskala fallen. Im Ergebnis ist also die Korrelation von individuellen Fluglännwirkungen mit der Häufigkeit bzw. Intensität von Fluggeräuschen zu niedrig für eine monokausale Ursache-Wirkung-Interpretation (zu den moderierenden Einflüssen sogleich unter 4.). Sofern aber durchschnittliche, d.h. von personen- und situationsspezifischen Wirkungen absehende Reaktionswerte interessieren (z.B. für planerische und/oder politische Entscheidungen), ergibt sich eine relativ gute Voraussagbarkeit der Gestörtheits- und Verärgerungsreaktionen durch akustische Fluglärmmaße. 32 Dies wird bei der Diskussion legislativer Länngrenzwertentscheidungen zu berücksichtigen sein.
3. Verhältnis der Gestörtheit durch Fluglärm zu anderen Störfaktoren
Nach der DFG-Fluglännstudie haben zwar persönliche Umstände (Familie, Beruf usw.) oft einen größeren Stellenwert als die Gestörtheit durch Flug32 Vgl. dazu und zum vorstehenden DFG-Fluglärmwirkungen, S. 224 ff. und S. 241; Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 134 ff. und S. 145 f.; Rohrmann, KdL 23 (1976), 6 (9 f.); d.ers., in: Ising (Hrsg.), S. 87 f.
1. Teil: Rechtstatsachen
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lärm. 33 Auch was das Verhältnis zu anderen Lärmarten anbelangt, fühlen sich nach demographischen Umfragen mehr Bürger durch Straßenverkehrslärm als durch Fluglärm betroffen. 34 Fluglärm stellt jedoch für die Anwohner von Flughäfen bei weitem die negativste Umweltbedingung dar und gilt als unangenehmste aller Lärmarten in der sozialen Umwelt und dies sowohl bei den Flughafenanwohnern, wie auch bei von Fluglärm nicht betroffenen Stadtbewohnern. 35 So wird auf die Frage, welche Lärmbelastung in einer neuen Wohnung am wenigsten akzeptabel sei, von den meisten Befragten Fluglärm an erster Stelle genannt. 36 4. Moderatoren der Fluglärmwirkung
Wenn die akustischen Einflußgrößen nur zu etwa einem Drittel mit den dargestellten individuellen Fluglärmwirkungen korrelieren, so stellt sich die Frage, welche nichtakustischen Einflußgrößen (Personen- und Umweltvariablen) in welchem Umfang die individuelle Gestörtheitsreaktion mitbestimmen. Im folgenden sollen daher die wesentlichen Forschungsergebnisse über die sozialpsychologischen Auswirkungen solcher Variablen kurz dargestellt werden. 37 Insoweit können Variablengruppen wie demographische Merkmale, allgemeine Persönlichkeitseigenschaften, Einstellung zu Lärm generell, akustische Umwelt sowie flugverkehrbezogene Variablen unterschieden werden: a) Demographische Merkmale
Demographische Merkmale wie z.B. Geschlecht, Alter, Beruf und sozialer Status, haben kaum Einfluß auf die Gestörtheitsreaktion. 38 Eine wichtige Variable in diesem Zusammenhang ist allerdings die Wohndauer, insbesondere auch für die Frage, inwieweit mit zunehmender Belastungsdauer eine Gewöhnung an Fluglärm oder umgekehrt eine Sensibilisierung eintritt. UntersuchunVgl. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 187 f.; vgl. auch Rohnnann u.a., Fluglärm, S. 145. Straßenverkehrslärm: 1989 fühlten sich ca. 70% der Bevölkerung betroffen, davon 23 % stark. - Fluglärm: 1989 fühlten sich ca. 53 % durch Fluglärm betroffen, davon ca. 20% stark; vgl. Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt 1990/91, S. 504 f.; Fünfter Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 146. 33 34
35 Vgl. Rohnnann, in: Ising (Hrsg.), S. 92; ders., KdL 24 (1977), 89 (94 mit Tab. 6). Auch wirkt Schienenverkehrslärm bei gleichen Mittelungspegeln weniger störend als Fluglärm; vgl. dazu Schuemer/Schuemer-Kohrs, ZfL 38 (1991), 1 (6 f.). 36 Vgl. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 186 f. 37 Insbesondere in der DFG-Fluglärmstudie spielte die Untersuchung von Moderatorvariablen eine entscheidende Rolle. 38 DFG-Fluglärmwirkungen, S. 209.
C. Pluglärmwirkungsforschung
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gen der DFG-Forschungsgruppe belegen einen signifikanten Wohndauereffekt. Mit zunehmender Wohndauer konnnt es nicht etwa zu einer zunehmenden Adaption des Fluglärms, vielmehr bleiben die Reaktionen konstant oder verstärken sich sogar noch. Statt von einer Gewöhnung muß also eher von einer verstärkten Sensibilisierung gegenüber Fluglärm ausgegangen werden. 39 Beachtenswert ist auch, daß Variablen der Umweltsituation, also beispielsweise die Beschaffenheit der Wohnung oder Bedingungen der Wohngegend zumindest für Verkehrsflughäfen keine erwähnenswerten Korrelationen zur Gestörtheit durch Fluglärm aufweisen. 40
b) Allgemeine Persönlichkeitseigenschajten Zusannnenhänge zwischen allgemeinen Persönlichkeitseigenschaften - generelles Leistungsverhalten, generelle Haltungen und Wesenszüge - und Fluglärmreaktionen sind bislang relativ wenig erforscht worden, obgleich Befunde der DFG-Untersuchung darauf hinweisen, daß sie als Moderatorvariablen durchaus in Betracht konnnen. 41 So wurde festgestellt, daß Personen, die sich selbst als labil erleben und allgemein Schwierigkeiten mit der Bewältigung von Lebensaufgaben haben, auch gegenüber Fluglärm weniger robust sind und umgekehrt, Personen, die sich durch Fluglärm stärker beeinträchtigt fühlen, eher labil und stärker hypochondrisch veranlagt sind;42 Korrelationen zwischen einer generellen Abneigung gegenüber Technik und Zivilisation und der Gestörtheit durch Fluglärm bestehen; die Neigung, sich örtlich, beruflich usw. zu verändern (Mobilität) bei Personen, die sich durch Fluglärm stärker beeinträchtigt fühlen, schwächer ausgeprägt ist als bei Personen, die geringere Gestörtheitsreaktionen zeigen.
c) Generelle Einstellung zu Lärm Sowohl die generelle Empfindlichkeit gegenüber Lärm (selbsteingeschätzte Lärmempfindlichkeit im allgemeinen Leben), als auch die subjektive Über39
DFG-Fluglärmwirkungen, S. 207 f.; Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 89.
Anders allerdings bei Landeplätzen; vgl. dazu Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 150 m.w.N. Vgl. dazu und zum folgenden DFG-Fluglärrnwirkungen, S. 207 ff. Psychologen sprechen insoweit von Ursachenattributierung; Lärm wird insbesondere dann als lästig empfunden, wenn man ihm die Schuld an einern Versagen gibt bzw. geben kann; vgl. dazu Schönpjlug, in: Ising (Hrsg.), S. 75. 40
41 42
48
1. Teil: Rechtstatsachen
zeugung sich gut oder schlecht an Lärm gewöhnen zu können (selbsteingeschätzte Lärmgewöhnbarkeit), gestatten recht gut, das individuelle Ausmaß der durch Fluglärm hervorgerufenen Gestörtheit vorauszusagen. Insoweit ist bemerkenswert, daß die Variablen "generelle Lärmempfindlichkeit" und "Lärmgewöhnbarkeit" genauso hoch mit den Fluglärmgestörtheitskriterien korrelieren, wie das akustische Fluglärmmaß selbst, d.h. die Variabilität der (sozialpsychologischen) Reaktion auf Fluglärm kann ebensosehr durch diese Variablen erklärt werden, wie durch Intensität und Häufigkeit der Schallereignisse .43
d) Akustische Umwelt Untersuchungsgegenstand ist die Frage, inwieweit die Art der akustischen Umwelt, die Wahrnehmung und Bewertung von Fluggeräuschen beeinflußt. Insoweit konnte zwar keine allgemeine Korrelation zwischen dem Grundgeräuschpegel des Untersuchungsgebietes und dem Gestörtheitsmaß nachgewiesen werden. Offensichtlich hat jedoch das Ausmaß des Autolärms in dem durch Fluglärm betroffenen Gebiet, Einfluß auf die Beurteilung von Fluglärm. Allerdings fehlen diesbezüglich bisher eindeutige Ergebnisse; insbesondere ist noch nicht geklärt, ob Autolärm einen "subtraktiven " oder "additiven" Effekt auf die Fluglärmbewertung hat. 44
e) Flugverkehrsbezogene Variablen Nachgewiesen werden können korrelative Zusammenhänge zwischen der Gestörtheit durch und Verärgerung über Fluglärm und Variablen, die einen thematischen Bezug zum Flugverkehr haben, wie etwa auf die Lärmquelle bezogene Meinungen und Einstellungen: 45 So fühlen sich Personen, die die Bedeutung des Luftverkehrs eher gering einschätzen oder darin keinen persönlichen Vorteil für sich selbst sehen, tendenziell stärker durch Fluglärm beeinträchtigt. Allerdings - dies ergaben mehrere Untersuchungen - sind Personen, die beruflich bzw. wirt43 So Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 152, nach Auswertung einschlägiger Untersuchungsergebnisse; nach dem DFG-Forschungsbericht wirken Moderatoren wie "Lännempfindlichkeit" und "Länngewöhnbarkeit" modellhaft als Verstärker fiir den Stimulus; vgJ. DFG-Fluglännwirkungen, S. 241. 44 VgJ. zum ganzen Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 153 f., mit der Darstellung von Forschungsbefunden in beide Richtungen. 45 Hier könnte sich die Alltagserfahrung bestätigen, daß Geräusche weniger stören, wenn ihre Quelle als nützlich betrachtet wird.
C. Fluglärmwirkungsforschung
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schaftlich vom Luftverkehr profitieren, nicht unbedingt toleranter gegenüber Fluglärm. 46 Eine Rolle spielt auch die Bewertung der Unvermeidbarkeit der Fluglärmbelastung. Wer glaubt, mehr als unbedingt notwendig den Folgen des Flugverkehrs ausgesetzt zu sein, fühlt sich stärker gestörtY Die Gestörtheitswirkung wird durch gesundheitliche Befürchtungen verstärkt. Daß Fluglärm gesundheitsschädlich ist, ist eine Überzeugung, die nicht nur in der Umgebung von Flughäfen geäußert wird, also nicht (unbedingt) eine Folge der Betroffenheit durch Fluglärm ist. Zwischen solchen Befürchtungen und dem Maß der Fluglärmgestörtheit konnten nun beachtliche Korrelationen festgehalten werden. 48 Insoweit unterliegen die Betroffenen gewissermaßen einer doppelten Belastung, einerseits der Störwirkung, andererseits den gesundheitlichen Befürchtungen und es kann zu wechselseitigen Verstärkungseffekten kommen. 49 Ähnliches könnte auch für die Furcht vor Flugzeugen gelten, denn auch hier konnten relativ hohe Korrelationen mit den Gestörtheitsmaßen festgestellt werden. Eine Interpretation als Moderatorvariable erscheint gleichwohl problematisch, da auch Korrelationen mit dem Ausmaß der Fluglärmbelastung (Geräuschstärke, Geräuschhäufigkeit) festgestellt wurden, was eine Interpretation der Furchtreaktionen als unmittelbare Reaktion auf Fluglärm (ebenso wie unmittelbare Gestörtheits- oder Verärgerungsreaktionen) naheliegend erscheinen läßt. 50 j) Ergebnisse und Folgerungen
Im Ergebnis kann festgehalten werden: Nicht nur die Häufigkeit und Stärke der Flugverkehrsgeräusche, sondern mindestens ebenso sehr auch Persönlichkeits- und in geringerem Umfang situative Merkmale (Personen- und Umweltmoderatoren) sind dafür verantwortlich, in welchem Grad sich die Betroffenen durch Fluglärm gestört und belästigt fühlen. Wenn man Stimulus- und Moderatorvariablen zusammen betrachtet und versucht die Gestörtheitsreaktion auf Fluglärm durch eine Verknüpfung dieser Variablen vorherzusagen, so zeigt sich, daß maximal zwei Drittel der Reaktions-Variabilität determinierbar 46 Dies zeigte sich in mehreren Untersuchungen; vgl. die Nachweise bei Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 154 f. 47 Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 155. 48 Vgl. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 209. 49 Vgl. Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 156. 50
Zum Diskussionsstand Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 156 ff. m. w. N.
4 HeTmann
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1. Teil: Rechtstatsachen
ist, d.h., die Variabilität der Gestörtheits- und Verärgerungsreaktionen läßt sich etwa doppelt so gut aus akustischen und nichtakustischen Zusammenhängen erklären. 51 Dabei nimmt der relative Einfluß der Moderatoren im Verhältnis zu dem des Stimulus bei wachsendem Fluglärm zu, d.h. je stärker die Fluglärmbelastung, um so entscheidender wird die Rolle der Moderatoren. Moderatorvariablen, die einen direkten Bezug zu Lärm allgemein ("Lärmempfindlichkeit" , "Lärmgewöhnbarkeit") oder zu Fluglärm bzw. Flugverkehr (z.B. die Überzeugung, daß Fluglärm gesundheitsschädlich sei, die subjektive Bewertung des Luftverkehrs, die Informiertheit über Fluglärm) haben, tragen neben den Stimulusvariablen am meisten zur Vorhersage der Reaktionen bei. 52 5. Änderung von Verhaltensweisen infolge Fluglärms (sekundäre Effekte)
Die Gestörtheit durch Fluglärm führt insbesondere zu folgenden Veränderungen des allgemeinen Verhaltens der Betroffenen: Nach einer Schweizer Studie führt Fluglärm in stark belasteten Gebieten dazu, daß etwa die Hälfte der Betroffenen ihre Fenster nicht öffnen. 53 In solchen Gebieten gaben außerdem ungefähr ein Drittel der Befragten an, sieh wegen des Fluglärms seltener im Freien aufzuhalten; etwa ein Viertel verzichtete häufig oder immer auf die Benutzung von Balkon oder Terrasse. 54 Mit zunehmender Lärmbelastung geben zunehmend mehr Befragte an, wegen des Fluglärms Schlaf- oder Beruhigungstabletten einzunehmen. Untersuchungen aus Kanada, der Schweiz und den Niederlanden zeigen auch mehr Arztbesuche und mehr Medikamentenverschreibungen in Gebieten mit hoher, im Vergleich zu Gebieten mit niedrigeren Fluglärmpegeln. 55 Unklar ist allerdings noch, ob es sieh bei diesen Sachverhalten um Anzeichen für eine Gesundheitsschädigung durch Fluglärm handelt oder - da teilweise Selbstdiagnose - um sekundäre Auswirkungen der Gestörtheit durch Fluglärm. 56
51 Vgl. DFG-Fluglännwirkungen, S. 212 ff., insb. S.221; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 161 ff. 52 Vgl. DFG-Fluglännwirkungen, S. 221, Abb. 5.7. 53 Graf/Meier/Müller, in: Untersuchungsbericht, zit. nach Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 172; ähnlich Finke/GuskilRohrmann, KdL 24 (1977), 128 (131). 54 Vgl. die Nachweise oben Fn. 53. 55 In anderen Studien konnten allerdings keine lännabhängigen Effekte festgestellt werden; vgl. die Nachweise bei de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128). 56 Vgl. dazu näher unten III. 3. c.
C. Fluglännwirkungsforschung
51
Physikalische Maßnahmen zur Länndämmung, wie etwa der Einbau von Doppelfenstern und Schalldämmungen an Türen und Fenstern, werden nur von einem kleinen Teil der Betroffenen realisiert. 57 Auch soziale Aktivitäten (Beschwerdebriefe, Beschwerdebesuche und -telefonate, Petitionen, Protestveranstaltungen, Schutzgemeinschaften) ergreift nur ein relativ geringer Prozentsatz der Betroffenen. Nach dem D FG-Forschungsbericht 1974 konnten sich weniger als ein Zehntel der Betroffenen zu persönlichen Protesten entschließen, immerhin ein Drittel nahm an gemeinschaftlichen Aktionen teil. 58 Relativ selten kommt es schließlich zu Umzügen infolge des Fluglärms; fortgezogene Flughafenanwohner nennen nur zu etwa 10 % die Fluglärmbelastung als ausschlaggebenden Umzugsgrund. 59 Die aktuelle Wohnungsknappheit dürfte diese Tendenz in jüngerer Zeit eher noch verstärkt haben. Insgesamt führen die Fluglärmbelastungen bei den Betroffenen zu Verhaltensänderungen, die sich statt gegen die Ursache der Belastung, in erster Linie gegen sich selbst richten. Dabei sind die Betroffenen mit den Maßnahmen zur Minderung des Fluglärms (insb. dem Schallschutz) vielfach unzufrieden. Dies hängt wohl auch damit zusammen, daß einerseits für die individuelle Bewertung der Lärmbelastung offensichtlich der außerhalb der Wohnung gehörte Überflug maßgeblich zu sein scheint60 , andererseits Schallschutzmaßnahmen an Gebäuden nur wirksam sind, wenn man innerhalb der Wohnung bleibt und die Fenster geschlossen hält, so daß trotz Schallschutzmaßnahmen eine ernstzunehmende Minderung der Lebensqualität bestehen bleibt.
57 So Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 173. Nach dem Fünften Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 142, wurden bis Ende 1989 insgesamt ca. 900 Millionen DM rur Maßnahmen zum Schutz gegen Fluglärm aufgewandt. Davon haben die Betreiber von Verkehrsflughäfen rund 202 Millionen DM rur Maßnahmen im Rahmen des gesetzlichen Fluglärmrechts und rund 193 Millionen DM rur Maßnahmen ohne unmittelbare rechtliche Verpflichtung aufgebracht. Der Rest wurde vom Bundesverteidigungsministerium als dem Kostenträger rur die militärischen Flugplätze aufgewandt. 58 DFG-Fluglärmwirkungen, S. 194, Tab. 4-15; Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 93 mit dem Nachweis ähnlicher Ergebnisse aus anderen Untersuchungen. 59 Vgl. Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 175 f. 60 So Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 89.
52
1. Teil: Rechtstatsachen
ill. Ergebnisse physiologisch-medizinischer F1uglärmforschung61 "Fluglärm macht krank" - mit diesem Schlagwort könnte man die immer wieder in den Medien62 und in der Öffentlichkeit geäußerten Befürchtungen zusammenfassen, daß Fluglärm unter diesem oder jenem Aspekt gesundheitsschädlich bzw. gesundheitsgefahrdend sei. Auch die überwiegende Mehrheit der Flughafenanwohner befürchtet gesundheitliche Schädigungen, wie mehrere sozialwissenschaftliehe Untersuchungen ergeben haben. 63 Von wissenschaftlicher Seite wurden dagegen bis vor einigen Jahren eher entgegengesetzte Aussagen gemacht. So stellte Kryter in seinem 1970 erschienenen Standardwerk über die Wirkungen von Lärm auf den Menschen in Bezug auf Gesundheitsschäden lapidar fest. Schall oder Lärm hätten - mit Ausnahme von Schädigungen des Gehörorgans bei extrem hohen Lautstärken keine negativen physiologischen Effekte beim Menschen. 64 Sind noch vor wenigen Jahren Zusammenhänge zwischen Fluglärm und gesundheitlichen Gefahrdungen als für nicht erwiesen erachtet worden65 , so bestehen daran aber nach neueren Untersuchungen kaum mehr Zweifel. 66 Bevor aber über Erkenntnisstand und Ergebnisse der physiologischen und medizinischen Lärmwirkungsforschung berichtet wird (unter 2. - 4.), soll zunächst kurz geklärt werden was eigentlich im medizinischen Sinne unter Gesundheit zu verstehen ist und welcher Gesundheitsbegriff den Wirkungsuntersuchungen zugrundeliegt (unter 1.):
61 Die dargestellten Untersuchungsergebnisse beziehen sich im wesentlichen auf Fluglärmbelastungen in der Umgebung von (Verkehrs-)F1ughäfen. 62 Vgl. z.B. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 10.10.1991, S. 25, über die Ergebnisse eines internationalen Lärmsymposiums des Bundesgesundheitsamtes unter der gleichlautenden Überschrift. 63 Vgl. die Nachweise oben 11. 4. e., Fn. 48 und 49. 64 Kryter, The effects ofnoise on man, S. 489, zit. nach Rahrmann u.a., Fluglärm, S. 182. 65 Vgl. z.B. DFG-Fluglärmwirkungen, S. 422; an anderer Stelle (S. 346) wird allerdings wohl von einer gesundheitsgefahrdenden Gesamtwirkung des Fluglärms ausgegangen. 66 Vgl. etwa de lang, Bundesgesundheitsblatt 1992, 13 ff., mit einer Literaturübersicht zu extraauralen gesundheitlichen Auswirkungen des Fluglärms.
c. Fluglärmwirkungsforschung
53
1. Zum Begriff der Gesundheit
a) Der Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Die Präambel der Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom 7.4.1948 definiert Gesundheit programmatisch als einen Zustand des "vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen" Y Der Begriff der Gesundheit umfaßt nach dieser Definition neben dem körperlichen, auch das seelische und soziale Wohlbefinden. Außer den somatischen Lärmwirkungen, wären also auch die im vorigen Abschnitt dargestellten Belästigungs-, Gestörtheits- und Verärgerungsreaktionen als unmittelbare Beeinträchtigungen der Gesundheit anzusehen. Tatsächlich wird in sozialpsychologischen Untersuchungen teilweise dieser weite Gesundheitsbegriff der WHO zugrundegelegt. 68 b) Medizinische Gesundheitsbegriffe Das Gesundheitsverständnis der Medizin ist dagegen wesentlich enger und wird in Abhängigkeit und Abgrenzung zu Krankheit bzw. krankhaften Zuständen definiert. Die beiden Kategorien Gesundheit und Krankheit stehen in einem antagonistischen Verhältnis zueinander; neben "gesund" und "krank" gibt es keine dritte Kategorie. Gleichwohl ist die teilweise anzutreffende Vorstellung, es gäbe nur einen medizinischen Gesundheits- oder Krankheitsbegriff falsch; es sind vielmehr auch im Bereich der Medizin durchaus verschiedene Begriffe geläufig, die sich teilweise überschneiden und ergänzen: 69 Nach der überkommenen und verbreiteten naturwissenschaftlich-medizinischen Betrachtungsweise, ist nur derjenige nicht gesund, der einen Befund mit Krankheitswert aufweist. Dieser Befund muß mit Methoden der medizinisch-wissenschaftlichen Diagnostik festgestellt worden sein und zwar als objektivierbares Abweichen von der Norm, das zunächst im Sinne einer anatomischen oder biochemischen Veränderung definiert wurde. Obwohl es bei manchen, zum Bereich der Psychiatrie zählenden "Krankheitsbildern" (z.B. Schizophrenie), an einem solchen "organischen Substrat" fehlt, werden heute aber überwiegend auch geistig-seelische Norm67
S.5.
Zitiert nach Jung, Recht auf Gesundheit, S. 66; vgl. auch bei Rosenberg, Möglichkeiten,
68 Vgl. etwa Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 108; Rohrmann u.a., Fluglärm, S.124. 69 Die Darstellung der verschiedenen medizinischen Gesundheitsbegriffe folgt im wesentlichen Seewald, Gesundheit, S. 14 ff.
54
1. Teil: Rechtstatsachen
abweichungen ohne organische Ursachen zu den Krankheiten im naturwissenschaftlich-medizinischen Sinn gezählt. Die Unterscheidung zwischen "Körperkrankheiten" , bei denen Normabweichungen durch physikalischchemische Momente erklärbar sind und "Geist-" bzw. "Seelenkrankheiten" , bei denen ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar ist, ist somit nur deskriptiver Art. 70 Neben dem naturwissenschaftlichen Krankheitsbegriff ist in der Medizin auch der sog. klinische Krankheitsbegriff gebräuchlich. Damit werden typische, abgrenzbare Formen der Hilfsbedürftigkeit erfaßt, wobei das Typische, Wiederholende sich auf Ursachen, Symptome und Verlauf bezieht. Im Ergebnis hängt es damit von der Beurteilung der beobachteten und vom Patienten vorgetragenen Störungen durch den Arzt ab, ob jemand gesund oder krank ist. 71 Der personalistische Krankheitsbegriff bestimmt Krankheit bzw. Gesundheit aus der Sicht des Betroffenen, der Störungen oder Beeinträchtigungen an sich selbst registriert und sich deshalb krank fühlt. Überspitzt formuliert ist also nach diesem Verständnis auch der ernsthaft "eingebildete Kranke" krank; es kommt auf das Befinden und nicht auf den Befund an. Die Notwendigkeit dieses Krankheitsverständnisses wird damit begründet, daß es dieses subjektive Erleiden sei, was den Patienten normalerweise zum Arzt führe. Die Sozialmedizin beschäftigt sich vorwiegend mit der Aufdeckung und Beschreibung von Erkrankungsursachen, die in der Umwelt (im weitesten Sinn) von Krankheiten gesucht werden. Sie erfaßt die Umwelt als Krankheitsfaktor und erarbeitet Vorschläge, wie umweltbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen vorgebeugt werden kann. Als Lehre des "Zusammenhangs von Medizin und Gesellschaft" ergänzt sie die Ermittlung von Krankheitsursachen. Dabei wird bereits derjenige als krank angesehen, der sich Gefahren aussetzt, die erfahrungsgemäß zu einer Krankheit führen. Im Ergebnis ist damit das Vorliegen einer Krankheit im sozialmedizinischen Sinne gleichbedeutend mit einer Gefahr für die Gesundheit im Sinne einer der drei "klassischen" Krankheitsbegriffe (Gesundheitsgefährdung). Der physiologischen und medizinischen Lärmwirkungsforschung liegt im Wesentlichen das herkömmliche, somatisch-kausale Krankheitsverständnis (körperliche oder geistige Abweichungen vom normalen Funktionieren der
70
Vgl. dazu eingehend Seewald, Gesundheit, S. 18 f.
71
Vgl. auch Kastlw, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 77.
C. Fluglärmwirkungsforschung
55
Organe oder vom normalen Verhalten) der Medizin zugrunde. 72 Die Mehrzahl der Krankheitsursachen oder Gesundheitsrisiken werden im somatischen Bereich definiert; neben endogenen Risikofaktoren (physiologische Faktoren, wie z.B. Blutdruck oder Cholesterin) wird allerdings der Umsetzung von akustisch bedingten, psychischen Belastungen (exogene Risikofaktoren, wie Gestörtheit und Verärgerung) in somatische Veränderungen zunehmend mehr Beachtung geschenkt (Psycho-Somatik).73 Soweit im folgenden von Gesundheitsschäden oder Gesundheitsgefahren gesprochen wird, ist damit Gesundheit in diesem "klassischen" Verständnis gemeint. 2. Fluglärm als Umweltstressor
Lärm ist ein psychosozialer Stressor, auf den der menschliche Körper mit unspezifischen Streßreaktionen antwortet. 74 Streßreaktionen sind physiologische Anpassungsr~ionen des Organismus auf äußere und innere Reize. 75 Der Umweltstressor Lärm hat ein zweifaches Wirkungsgefüge: Einerseits löst er unmittelbare physiologische Reaktionen aus (physiologische Stressorwirkung), andererseits wirkt er über die zentralnervöse Informationsverarbeitung psychologisch und erzeugt erst nach der Verarbeitung der Reizinformation im Gehirn mittelbare physiologische Belastungswirkungen (psychologische Stressorwirkung).76 Hinsichtlich der unmittelbaren bzw. mittelbaren somatischen Reaktionen können nervöse (Aktivierung eines Teils des vegetativen Nervensystems, des Sympathikus) und hormonelle (Aktivierung des hormonalen Systems im Hypothalamusvorderlappen der Hirnanhangsdrüse) Aktivierungen unterschieden werden. 77 Die Art der Reaktion hängt von der subjektiven Verarbeitung der Belastungssituation ab. Eine Sympathikusreaktion tritt in emotionalen Zusammenhängen auf, wie sie bei Tieren in einer Verteidigungssituation mit Angriff und Flucht gegeben sind, eine hormonale Reaktion tritt in Niederlagensituationen auf. Diese stammesgeschichtlich vorgegebenen Mechanismen tragen beim Menschen natürlich andere emotionale Züge als beim Tier. 78 72
73
Vgl. dazu auch Jansen, in: Koch (Hrsg.), S. 11.
Vgl. etwa Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (198). Demgegenüber sind die sozialmedizinischen und umwelthygienischen Ansätze von vorneherein multifaktorell ausgerichtet; vgl. etwa Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 211 f. 74 Babisch/Ising, 158 (165).
Bundesgesundheitsblatt 1987,
197; KastkalBuchta,
KdL 24 (1977),
75 Diesem Streßbegriff liegt die Definition von Seyle zugrunde; vgl. dazu Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987,197; Ehrenstein/Müller-Iimmroth, Handbuch, S. 16. 76
Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 70 f.
77 v.Eiff, 78 v.Eiff,
Bundesgesundheitsblatt 1992, 122. Bundesgesundheitsblatt 1992, 122.
56
1. Teil: Rechtstatsachen
Die Aktivierung des Sympathikus führt zu einem Anstieg der muskulären Spannungen in den Extremitäten, zu einer Erhöhung des Energieumsatzes, zu einem Anstieg des Blutdrucks, der Herzfrequenz und der Blutausfuhrmenge des Herzens, zu einer Erhöhung des Gefäßwiderstands und zu einer Aktivierung der Hormone des Nebennierenmarks Adrenalin und Noadrenalin (Katecholamine).79 Die Aktivierung des hormonalen Systems führt insbesondere zu einem Anstieg des Nebennierenrindenhormons Kortisol. 80 Der Mensch reagiert auf Umweltstressoren im allgemeinen mit der Verteidigungsreaktion (Aktivierung des Sympathikus). Niederlagereaktionen (Aktivierung der Hormone der Nebennierenrinde) finden dagegen meist bei reaktiven Depressionen statt. 81 Abgesehen von Hörschäden bei extremer Lärmbelastung, sind die Streßreaktionen auf Fluglärm beim wachen Menschen das Ergebnis der subjektiven Verarbeitung des Reizes. 82 Diese hängt zwar auch von Qualität und Quantität des Reizes (Schallintensität, Schalldauer) ab, wird aber, insbesondere bei langfristiger Belastung, in starkem Maße durch Adaptionsprozesse (Gewöhnung, Anpassung), individuelle Streßbewältigungsstrategien und andere kognitive Prozesse (z.B. Orientierungs- und Defensivreaktionen) beeinflußt. Inwieweit Lärm durch den Organismus adaptiert und bewältigt wird, hängt wiederum von zahlreichen intrasubjektiven und intersubjektiven Faktoren ab. 83 Der Einfluß von Personen- und Umweltmoderatoren auf die Intensität der Gestörtheitsreaktion und damit mittelbar auch auf die dadurch ausgelösten körperlichen Streßreaktionen, wurde ja bereits beschrieben. 84 Fluglärm wirkt als Stressor vor allem über die negativen Emotionen, die er auslöst. Diese negativen Emotionen sind nur teilweise auf die physikalischen Eigenschaften des Geräusches zurückzuführen; sie sind in weitem Umfang auch durch die zahlreichen Behinderungen und Störungen bedingt, die die Geräuschbelastung mit sich bringt. 85 79 Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 16; Kloslerköller, KdL 20 (1973), 113 (115 f.); v.Eiff, Bundesgesundheitsblatt 1992, 122; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 186; Stellungnahme des Interdisziplinären Arbeitskreises für Lännwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (247). 80 v.Eiff, Bundesgesundheitsblatt 1992, 122; Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 17. 81 v.Eiff, Bundesgesundheitsblatt 1992, 122; Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 17; Niederlagereaktionen wurden etwa bei Tieffiuglännbelastungen festgestellt; vgl. dazu Curio/Michalik, Bundesgesundheitsblatt 1992, 142 ff. 82 v.Eiff, Bundesgesundheitsblatt 1992, 122. 83 Vgl. Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 186 f.; Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 76; Stellungnahme des Interdisziplinären Arbeitskreises für Lännwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (247). 84 Vgl. oben U. 4.
85 Vgl. etwa Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 18; Der Zusammenhang zwischen Gestörtheitsreaktionen und körperlichen Reaktionen gilt als unstreitig und wird in vielen Arbei-
C. Pluglärmwirlrungsforschung
57
Die beschriebenen physiologischen Streßreaktionen (Aktivierung des vegetativen Nervensystems, Aktivierung des hormonellen Systems) können bei häufiger Auslösung über einen längeren Zeitraum zu einer organischen Sensibilisierung mit anhaltenden körperlichen Veränderungen führen und langfristig gesundheitliche Folgen haben (z.B. Hypertonie, Herzinfarkt).86 Akute körperliche Reaktionen können je nach Affektlage schon bei sehr niedrigen Momentanpegeln eintreten. Sie setzen unabhängig von der Affektlage jedenfalls bei Momentanpegeln oberhalb von 60 dB(A) ein. Bei Pegeln oberhalb von 75 dB(A) sind deutliche Verschiebungen des physiologischen Gleichgewichts zu erwarten. 87 Endokrine und kardiovaskuläre Reaktionen auf Umweltlärm werdeu daher als endogene Risikofaktoren für Gesundheitsschäden (soziopsychosomatische Erkrankungen) angesehen. 88 Dabei wird der (mittelbare) Zusammenhang zwischen negativen Emotionen durch Lärm und Gesundheitsgefährdungen besonders betont. 89 In der medizinischen Fluglärmwirkungsforschung gilt der Untersuchung und dem Nachweis solcher physiologischer Streßphänomene als Indikator der gesundheitsgefährdenden Gesamtwirkung von Fluglärm deshalb besondere Aufmerksamkeit, wie auch die nachfolgende Zusammenstellung der bisherigen Forschungsergebnisse belegen wird. 3. Ergebnisse der Wirkungsforschung a) Aurale Wirkungen
In Untersuchungen zu den Lärmwirkungen des zivilen Luftverkehrs konnten bei äquivalenten Dauerschallpegeln bis etwa 75 dB(A) Hörschäden weder bei Erwachsenen noch bei Kindern festgestellt werden. 90 Bei Auswertung mehrerer Forschungsberichte ergibt sich allerdings eine Tendenz zur Hörschärfen-
ten betont; vgl. z.B. Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 f. oder de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (129). 86 So die Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes in einem Befragungsverfahren des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Verkehrslärmschutzgesetzes am 12.10.1978, zit. nach Ising/ Markert/ Günther/ Guskil Schutz, ZfL 27 (1980), 1. 87 So der Interdisziplinäre Arbeitskreis rur Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt, ZfL 37 (1990), 1 (6). 88 Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (198) 89 Vgl. etwa die Stellungnahme von v.Eijf in einem Befragungsverfahren des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Verkehrslärmschutzgesetzes am 12.10.1978, zit. nach Ising/ Markert/ Günther/ Guskil Schutz, ZfL 27 (1980), I. 90 Vgl. de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992,126 (127).
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1. Teil: Rechtstatsachen
minderung bei tagtäglich erfahrener Belastung mit Fluggeräuschen. 91 Unklar ist jedoch, inwieweit sich diese Effekte allein auf die Höhe der Fluggeräuschbelastung zurückführen lassen. Als Hörschadensschwelle wird allgemein eine Dauerbelastung von etwa 85 dB(A) oder eine Impulslärmbelastung von etwa 120 - 130 dB(A) angesehen. 92
b) Wirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem Als akute Reaktionen lösen kurzzeitige Lärmbelastungen infolge der primären zentralnervösen Erregungen verschiedene physiologische Reaktionen aus, insbesondere Herz- und Gefäßreaktionen, wie z.B. die Kontraktion der Muskulatur peripherer Blutgefäße, geringfügige Änderungen der Herzfrequenz, Änderungen der Atmung und Hautwiderstandsänderungen. 93 Einige der genannten Reaktionsgrößen weisen auch noch nach längerer Lärmexposition eine Änderung auf, während andere rasch zum Ausgangswert zurückkehren. 94 Bei längerer Schalleinwirkung (im Bereich von Minuten) treten vielfach sekundär-physiologische Reaktionen im hormonellen Bereich auU'; Dabei bleiben die reflexartigen Reaktionen des Blutkreislaufes (Gefäßverengung) auch bei längerer Schalleinwirkung bestehen. 96 Außerdem konnte nachgewiesen werden, daß sowohl die periphere Vasokonstriktion (Gefäßverengung) als auch die Erhöhung der elektrischen Muskelaktivität, als Reaktion auf Fluglärm unabhängig vom Grad der tagtäglichen Fluglärmbelastung der Flughafenanwohner auch tagtäglich auftreten. 97 Schon diese Befunde sprechen gegen die teilweise geäußerte Vermutung, der Mensch könne sich physiologisch 91 Dies berichten Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 189; vgl. dazu auch Vogel, Fluglänn, S. 16 f.
92 Hörschäden durch Impulslänn wurden etwa nach Schalleinwirkungen durch militärische Tiefflüge mit hohen Schallpegeln bis 125 dB(A) und hohen Schallpegelanstiegen nachgewiesen, wie sie bei Tiefflügen zwischen 75 mund 150 m Höhe auftreten; so IsinglRebentisch, Bundesgesundheitsblatt 1992, 145 (148 f.); vgl. dazu auch Spreng, Bundesgesundheitsblatt 1992, 140 f.; Gehringl Mtryerl Schmidtl Grützmacherl Isingl Ishil Merker, Bundesgesundheitsblatt 1992, 149 f. und dies., ZtL 39 (1992),52 (53 f.); zu den extraauralen Akutwirkungen von militärischem Tieffluglänn vgl. CuriolMichalik, Bundesgesundheitsblatt 1992, 142 ff. 93 Solche Reaktionen treten natürlich auch beim Einsetzen längerer Schallbelastungen auf. 94 Vgl. Lännbekämpfung 1988, S. 112. 95 Insbesondere kommt es zu einer erhöhten Ausscheidung von Katecholaminen (Adrenalin und Noradrenalin) und zu Elektrolytausscheidungen. Dieser Effekt wird durch Magnesiummangel verstärkt, der wiederum Folge einer chronischen Lännbelastung ist; vgl. zum ganzen eingehend Isingl Güntherl Handrockl Michalakl Vormanni Wüster, ZtL 28 (1981), 176 ff.; vgJ. auch IsinglGünther, ZtL 30 (1983), 11 (14 f.). 96 Vgl. zum ganzen die Stellungnahme des Interdisziplinären Arbeitskreises für Lännwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (247). 97 Vgl. dazu ausführlich Jansen, ZtL 33 (1986), 2 (4 f.) und Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 193.
C. Fluglärmwirkungsforschung
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an alle Umweltgeräusche, also auch an Fluglärm gewöhnen. Das Gegenteil ist nach neueren Untersuchungen wohl eher richtig; Verschiebungen des physiologischen Gleichgewichts treten auch dann auf, wenn Menschen (Flug-)Lärmbelastungen schon jahrelang ausgesetzt sind, eine vollständige körperliche Gewöhnung findet also nicht statt. 98 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang zudem, daß auch bei Tierarten, deren Anpassungsfähigkeit an hohe Lärmpegel bisher durch Freilandbeobachtungen gesichert schien, in neuerer Zeit - unter experimentellen Bedingungen - physiologisch nachweisbare Lärmschäden festgestellt werden konnten. 99 Sowohl die DFG-Fluglärmstudie 1974, als auch Fluglärmstudien in der Umgebung des Amsterdamer Flughafens 1977, untersuchten Zusammenhänge zwischen Fluglärmbelastung und ärztlichen Behandlungen wegen kardiovaskulärer Erkrankungen. Während die DFG-Fluglärmstudie keine lärmabhängigen Unterschiede bei Hypertonieanamnesen und Hypertoniebehandlungsraten feststellen konnte, war in den umfänglichen Amsterdamer Studien in den fluglärmbelasteten Gebieten der Anteil von Personen, die unter ärztlicher Hypertoniebehandlung standen, signifikant erhöht. 100 Außerdem war die Zahl der ärztlichen Kontakte wegen kardiovaskulärer Erkrankungen in diesen Gebieten deutlich höher als in den Kontrollgebieten. So wurden bei 15 - 61-jährigen aus einem Gebiet mit einer Fluglärmbelastung von 71 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel, doppelt so viele Arztbesuche wegen Herz-Kreislaufkrankheiten registriert, als bei einer soziologisch vergleichbaren Gruppe aus einem Gebiet mit einer Fluglärmbelastung von 46 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel. Schließlich war in den fluglärmbelasteten Gebieten der Anteil von Personen mit klinisch-pathologischer Herzform deutlich höher. Keine Lärmeffekte konnten dagegen bei pathologischen EKG-Befunden festgestellt werden. 101 In einer weiteren Amsterdamer Untersuchung zeigte sich ein massiver Anstieg des Verkaufs blutdrucksenkender Mittel in Gebieten mit Lärmzuwachs (Eröffnung einer neuen Startbahn) gegenüber Vergleichsgebieten mit gleichbleibender Belastung. 102
98 Vgl. dazu die Stellungnahme des Interdisziplinären Arbeitskreises für Lärmwirkungsfragen, Umwelt 1990, 244 (248); Zweifel auch schon bei Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 193. Allerdings soll die teilweise Habituation an Lärm nach allgemeiner Auffassung auch einen Großteil der Bevölkerung vor gesundheitlichen Folgen bewahren; vgl. Lukassowitz., Bundesgesundheitsblatt 1991, 541. 99 Vgl. dazu näher Umweltgutachten 1987, S. 402 Tz. 1470/1471. 100 Vgl. die Nachweise bei Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (200). 101 Vgl. die Nachweise bei Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (200) und bei [sing/ Markert/ Günther/ Guski! Schutz., ZfL 27 (1980), 1 (2). 102 Vgl. die Nachweise bei Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 78 und bei Ehrenstein/Müller-limmroth, Handbuch, S. 19.
1. Teil: Rechtstatsachen
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Während in der DFG-Fluglärmstudie beim systolischen und diastolischen Blutdruck in fluglärmbelasteten Gebieten nur tendenzielle Erhöhungen ohne statistische Signifikanz festgestellt werden konnten lO3 , war die Beziehung zwischen Bluthochdruck und Fluglärm in den Amsterdamer Studien, die sich auf Herz-Kreislauferkrankungen konzentrierten, signifikant. 104 So wurden bei einer Personengruppe, die einer Lärmbelastung von 67 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel ausgesetzt war, 50 % mehr kardiovaskuläre Befunde festgestellt, wie bei einer Personengruppe, die nur einer Lärmbelastung von 55 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel ausgesetzt war. 105 In hoch belasteten Gebieten mit 70 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel fanden sich 16% Hypertoniker, in weniger belasteten Gebieten mit 60 db(A) äquivalenter Dauerschalipegel dagegen nur 8 % Hypertoniker. 106 Es konnte sogar eine DosisWirkungs-Abhängigkeit festgestellt werden. 107 Auch bei zwei amerikanischen Studien war der systolische und diastolische Blutdruck bei Schulkindern, die in einem fluglärmbelasteten Gebiet lebten, deutlich höher, als bei Schulkindern in einem Kontrollgebiet. 108 Ähnliche Befunde, insbesondere eine signifikant höhere Hypertonierate und ein positiver Zusammenhang zwischen der Hypertonierate und der Wohndauer in den lärmbelasteten Gebieten, konnten auch bei mehreren Straßenverkehrslärmuntersuchungen festgehalten werden. 109 Daß Lärmstreß einen signifikanten Anstieg, sowohl des systolischen, wie auch des diastolischen Blutdrucks bewirken kann, wobei der Anstieg des Blutdrucks mit einer peripheren Vasokonstriktion (Gefäßverengung) verbunden sein kann, ergaben schließlich Laborversuche von Altura u.a. an Ratten. 11O Dabei soll grundsätzlich eine qualitative Übertragung der tierexperi-
DFG-Fluglännwirkungen, S. 421; vgl. dazu auch Schulte, in: Ising (Hrsg.), S. 57. Knipschild, Int. Arch. Occup. Environ. Hlth. 40 (1977), 185 ff.; ders., Int. Arch. Occup. Environ. Hlth. 40 (1977), 191 ff.; vgl. zu den Amsterdamer Untersuchungen insb. Babischflsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (200); Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 19; Ising/ Marken/ Günther/ Guskil Schutz, ZfL 27 (1980), 1 (2); Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 78. Zweifel an der Schlüssigkeit der Ergebnisse äußert de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (127). 105 So Ising/Marken/Günther/GuskilSchulz, ZfL 27 (1980), 1 (2), nach Auswertung der Amsterdamer Fluglännstudien. \06 So Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 78 und Lännbekämpfung 1988, S. 113, nach Auswertung der Amsterdamer Fluglännstudien. \07 Dies berichtet de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (127). Bei den Untersuchungen wurden Parameter wie Alter, Geschlecht, Rauchgewohnheiten, Übergewicht und Wohndichte mitberücksichtigt. \08 Vgl. dazu Babisch/Ising, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (200) und kritisch de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (127), der die Ergebnisse fiir wissenschaftlich nicht abgesichert hält und von einer Studie von Allena u.a. aus dem Jahre 1988 berichtet, die eine Relation zwischen Lännpegel und Blutdruck nicht feststellen konnte. 109 Davon berichten Babisch/Ising, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (200); vgl. weitere Nachweise in Lännbekämpfung 1988, S. 113 f. 103
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C. Fluglärmwirkungsforschung
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mentellen Ergebnisse auf den Menschen möglich sein. 111 Nach U ntersuchungen von Jansen l12 ruft Fluglänn signifikante vasokonstriktorische Effekte in den Körperperipherien hervor . Vasokonstriktion wird als ein primärer Bedingungsfaktor für Herzerkrankungen angesehen. Konnte die DFG-Fluglännstudie noch keine Lärmeffekte bei objektiven Herzsymptomen (Häufigkeitsunterschiede für Infarkterkrankungen) feststellen ll 3, so weisen die Amsterdamer Fluglännstudien ein erhöhtes Myokardinfarktrisiko für Untersuchungspersonen aus Gebieten mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von über 62 dB(A) aus. 114 Die wenigen bisher vorliegenden Untersuchungen zu Zusammenhängen zwischen Fluglänn und Herz-Kreislauferkrankungen, werden von der Wissenschaft noch mit Zurückhaltung bewertet. Allgemein wird aber konstatiert, daß sich chronische Fluglännbelastungen in der Umgebung von Verkehrsflughäfen nachteilig auf das Blutdruckverhalten auswirken, die Entstehung von Bluthochdruck begünstigen ll5 und somit als Risikofaktoren für das Entstehen einer essentiellen Hypertonie anzusehen sind. 116 In diesem Zusammenhang wird verschiedentlich darauf verwiesen, daß schon eine geringe Erhöhung des Blutdrucks durch (Flug-)Lärm das Risiko für Herz- und Kreislaufkrankheiten deutlich erhöhen kann. 117 Außerdem wird darauf hingewiesen, daß die durch Lärm ausgelösten vasokonstriktorischen Effekte zu Herzerkrankungen führen können und insoweit einen Risikofaktor für Gesundheitsbeeinträchtigungen Altura/Gebrewoldnsing/Günther, Bundesgesundheitsblatt 1992, 135 (138). So Altura/Gebrewoldnsing/Günther, Bundesgesundheitsblatt 1992, 135 (136). 112 lansen, ZtL 34 (1987), 152 (154); ders., in: Koch (Hrsg.), S. 13; vgl. auch bei Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 193. 113 Vgl. dazu Babisch/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (199); vgl. auch Czemik, in: Ising (Hrsg.), S. 39. 114 Dies berichten Babisch/Elwood/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 130 (131). 115 Vgl. etwa lsing/ Marken/ Günther/ Guskil Schulz, ZtL 27 (1980), I (2); Babisch/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (205); Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 194; Umweltgutachten 1987, S. 397 Tz. 1446, S. 415 Tz. 1507. 116 DFG-Fluglännwirlrungen, S. 422; Lännbekämpfung 1988, S. 115 unter Hervorhebung der volksgesundheitlichen Bedeutung von Bluthochdruckerkrankungen; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 194; Vogel, Fluglänn, S. 19; zurückhaltender de lang, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126. Diese Bewertung wird auf politischer Ebene durchaus nachvollzogen und geteilt, vgl. etwa die Stellungnahme des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesumweltministerium Wieczorek aniäßlich des Internationalen Symposiums "Länn und Krankheit" am 26.1.1991 in Berlin, abgedruckt in: Umwelt 1991, 501 (502) und die Rede desselben anläßlich des 17. Kongresses der "Internationalen Vereinigung gegen Länn" (AleB) zum Thema "Ziele der Lännbekämpfung im künftigen Europa" am 23.6.1992 in Prag, abgedruckt in: Umwelt 1992, 294 (295). 117 Vgl. z.B. die Stellungnahme von v.Eiff in einem Befragungsverfahren des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Verkehrslännschutzgesetzes am 12.10.1978, zit. nach lsing/ Marken/ Günther/ Guskil Schulz, ZtL 27 (1980), 1; siehe auch lsing/Günther, ZtL 30 (1983), 11 (15). 110 111
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1. Teil: Rechtstatsachen
darstellen. 118 Insgesamt mag zwar der Nachweis, daß Fluglärm zu manifesten Erkrankungen führt, bisher noch nicht gelungen sein l19 ; es liegt aber doch einiges an Material vor, was für Risiken als Folge von Fluglärmbelastungen im Sinne von Herz- und Kreislauferkrankungen spricht. 120 Deutlicher sind teilweise schon die Stellungnahmen zu Abhängigkeiten zwischen Herz-Kreislauferkrankungen und Straßenverkehrslärm. Verkehrslärm unterschiedlicher Pegel wird als potentielles Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen gewertet. 121 Ausgehend von einer Straßenverkehrslärmbelastung von 50 dB(A) bis 60 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegel, soll ein Anstieg von 10 dB(A) zu einer deutlichen Erhöhung des Risikos für kardiovaskuläre Erkrankungen führen. 122 Nach der Auswertung neuerer epidemiologischer Untersuchungen zu Verkehrslärmbelastungen, soll die Schwelle für gesundheitliche Verkehrslärmeffekte tagsüber bei etwa 66 dB(A) bis 70 dB(A) äquivalenter Dauerschallpegelliegen, eine Lärmbelastung, der in der Bundesrepublik etwa 10% der Haushalte ausgesetzt sind. Basierend auf diesen Untersuchungen wird geschätzt, daß etwa 1 % - 3 % aller Herzinfarkte in der Bundesrepublik auf den Straßenverkehrslärm zurückzuführen sind. 123 c) Auswirkungen auf den (Nacht-)Schlaf
Störungen des Schlafes werden gemeinhin als besonders schwerwiegende Auswirkungen der Fluglärmbelastung angesehen. l24 Lärmbedingte Schlafstörungen sind in der Erschwerung und Verzögerung des Einschlafens bzw. des Wiedereinschlafens, der Änderung des Schlafverhaltens ohne Aufwachen (insbesondere Änderungen der Schlaftiefe) und in Aufwachreaktionen zu se-
Jansen, ZfL 34 (1987),152 (154); tIers., in: Koch (Hrsg.), S. 13. Obwohl Lärmschädigungen eindeutig vorhanden sind, so LukassowilZ, Bundesgesundheitsblatt 1991, 541; zu den vielfältigen Schwierigkeiten eines solchen Nachweises vgl. unten 118
119
m.4.
So Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 82. Vgl. z.B. die Stellungnahme des Bundesgesundheitsamtes in einem Befragungsverfahren des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Verkehrslärmschutzgesetzes am 12.10.1978, zit. nach Ising/ Marken/ Günrher/ Guski/ Schulz, ZfL 27 (1980), I. 122 Vgl. Ising/ Marken/ Günrher/ Guski/ Schulz, ZfL 27 (1980), I (8) und auch den Fünften Immissionsschutzbericht der Bundesregierung, BT-Drs. 12/4006, S. 146; verschiedentlich wird Straßenlärm mit etwa 5 dB(A) lauterem Fluglärm als wirkungsgleich angesehen. 123 Vgl. zum ganzen BabischlElwoodflsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 130 (132); zu ähnlichen Ergebnissen kommt jetzt eine Studie des Bundesgesundheitsamtes; vgl. den Bericht in der Süddeutschen Zeitung vom 9.6.1993, S. 21. 124 Vgl. etwa Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 195; Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 14; Interdisziplinärer Arbeitskreis für Lärmwirkungsfragen, ZfL 29 (1982), 13. 120 121
C. Fluglärmwirkungsforschung
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hen. 125 Lärmbedingte Einschlafstörungen können besonders belastend und quälend sein. Änderungen der Schlaftiefe - der Mensch verbringt etwa 55 % einer Nacht in geringen Schlaftiefen, 25% in größeren Schlaftiefen und 20% im REMl26-Schlaf - werden von vegetativen Reaktionen, wie phasischen Schwankungen der Herzfrequenz und Veränderungen im Hirnstrombild begleitet. 127 Weckreaktionen auf Lärmbelastung hängen außer vom Informationsgehalt des Geräusches wesentlich auch von der Schlaftiefe ab. 128 In den geringen Schlaftiefen führen schon sehr niedere Schallintensitäten zu Aufwachreaktionen, während in den größeren Schlaftiefen höhere Schallintensitäten erforderlich sind. Im Stadium REM, dem Schlafstadium mit den schnellen Augenbewegungen, ist die Weckwirkung besonders variabel. Die Aufmerksamkeit kann in diesem Schlafstadium so sehr auf das Traumgeschehen gerichtet sein, daß auch sehr starke akustische Reize "überhört" werden und keine Weckreaktionen ausgelöst werden. Andererseits ließ sich in Koordinierungsexperimenten im Stadium REM auch eine sehr niedrige Weckschwelle nachweisen. 129 Auch insgesamt differiert die Weckschwelle auf akustische Reize intra- wie interindividuell stark. 130 Laboratoriums- und Felduntersuchungen zeigen, daß (flug-)lärmbedingte Schlafunterbrechungen mit der Zeit seltener werden, also bis zu einem gewissen Grad gewöhnungsfähig sind. 131 Gleichwohl kommt es auch nach längerer Zeit noch zu Veränderungen der Schlaftiefe (ohne Aufwachreaktion) mit den oben beschriebenen vegetativen Reaktionen, die nicht gewöhnungsfähig sind. 132 Eine amerikanische Studie unter "lebensnahen" Bedingungen hat ergeben, daß Flughafenanwohner sowohl absolut als auch relativ (bezogen auf die Gesamtschlafdauer) signifikant weniger Zeit in tiefen Schlafstadien verbringen und häufiger aufwachen als ein entsprechender Kontrollper-
125 Vgl. Umweltgutachten 1987, S. 395 Tz. 1437; Interdisziplinärer Arbeitskreis für Lärmwirkungsfragen, ZfL 29 (1982), 13. 126 Rapid eye movement. 127 Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 15 f.; Interdisziplinärer Arbeitskreis für Lärmwirkungsfragen, ZfL 29 (1982), 13 (15). 128 Griejahn/Jansen, in: Ising (Hrsg.), S. 17, S. 25; Umweltgutachten 1987, S. 395 Tz. 1437, 1439; zu weiteren endogenen und exogenen Einflußfaktoren vgl. Griejahn, KdL 23 (1976), 115 ff. und dies., ZfL 30 (1983), 38 (39 ff.) jeweils m.w.N. 129 Vgl. zum ganzen Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 15; Griejahn/Jansen, in: Ising (Hrsg.), S. 17 ff.; Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 195. 130 Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 14; Lärmbekämpfung 1988, S. 106. 131 Vgl. die Nachweise bei Griejahn/Jansen, in: Ising (Hrsg.), S. 26 und im Umweltgutachten 1987, S. 395 Tz. 1439. 132 Vgl. Griejahn, ZfL 30 (1983), 38 (40); Kloslerköller, KdL 24 (1977), 61 (64); Lärmbekämpfung 1988, S. 106.
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1. Teil: Rechtstatsachen
sonenkreis. 133 Nächtliche Fluggeräusche vermindern die Schlaftiefe in einem Ausmaß, welches während der Nacht nicht wieder ausgeglichen wird. 134 Unterschiedliche Angaben liegen zur Frage vor, ab welchen Schallpegeln es zu Schlafstadienänderungen und Aufwachreaktionen kommt. Nach Laboratoriumsuntetsuchungen aus den siebziger Jahren soll es bei Einzelschallereignissen mit Spitzenschallpegeln unter 60 dB(A), weder zu einem Schlafstadienwechsel, noch zu Schlafunterbrechungen kommen. 135 Felduntersuchungen ergaben dagegen bei Fluggeräuschen mit Spitzenpegeln von 60 dB(A) in etwa 10% der Fälle Schlafstadienänderungen oder Schlafunterbrechungen. 136 lansen 137 sieht die theoretische Aufweckgrenze bei Maximalpegeln von 60 dB(A), hält aber Änderungen des Schlafablaufs nur bei Maximalpegeln unter 40 dB(A) für unbedenklich. Nach einer Literaturauswertung von de lang aus dem Jahre 1992 138 beginnen Aufwachreaktionen - abhängig von der Zahl der Überflüge - schon bei einem Spitzenpegel von 40 dB(A) und Unterbrechungen der Schlafstruktur sind bereits bei etwa 35 dB(A) feststellbar. Auch Griefahn l39 weist darauf hin, daß die Aufweckreaktionen und die vegetativen Reaktionen nicht nur von der Schallintensität der Einzelereignisse abhängen, sondern auch von der Häufigkeit solcher Ereignisse; es ist also nach Schallpegel und Häufigkeit zu differenzieren. Für die menschliche Gesundheit ist ein ungestörter Schlaf nach allgemeiner Auffassung von besonderer Bedeutung. 14O Er stabilisiert die biorhythmische Funktionsordnung des Organismus und gleicht die unvermeidlichen Störungen der Biorhythmik aus, die durch die wechselnden Leistungsanforderungen im Wachzustand entstehen. Aktivierungen der Hirnrinde und vegetativer Funktionen durch Unterbrechungen der Schlafstruktur (Schlafstadienwechsel) und erst recht durch Aufwachreaktionen beeinträchtigen den rhythmischen Davon berichten Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 197. Vgl. Griejahn, KdL 23 (1976), 115 (117); Griejahn/Jansen, in: Ising (Hrsg.), S. 26; Ehrenslein/ Müller-limmrolh, Handbuch, S. 16; Rohrmann u.a., FIuglänn, S. 205. 135 Dies berichten Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 15; vgl. auch Griejahn/Jansen, in: Ising (Hrsg.), S. 23 Abb. 9; Klosterkötter, KdL 24 (1977), 61 (64); Interdisziplinärer Arbeitskreis filr Lännwirkungsfragen, ZfL 29 (1982), 13 (15). 136 Vgl. die Nachweise bei Ehrenslein/Müller-limmrolh, Handbuch, S. 15. 137 Jansen, in: Koch (Hrsg.), S. 18 f.); ähnlich Umweltgutachten 1987, S. 395 Tz. 1441, wonach die Schwelle filr erste Schlafqualitätsänderungen bei Pegelspitzen um 45 dB(A) liegt. 138 de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (127); vgl. auch Lännbekämpfung 1988, S. 111; dort wird filr Straßenverkehrslänn von ähnlichen Schwellenwerten ausgegangen; allgemein zu den Auswirkungen des Straßenverkehrslänns in der Nacht Wehrli/ Nemecek/ Turrian/ Hofmann/ Wanner, Kdl 25 (1978), 138 ff. 139 Griejahn, ZfL 37 (1990), 7 (11); vgl. auch schon dies., ZfL 30 (1983), 38 (39 f.) und unten ill. 4., insb. Fn. 165. 133
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Vgl. nur Interdisziplinärer Arbeitskreis filr Lännwirkungsfragen, ZfL 29 (1982), 13.
C. Fluglärmwirkungsforschung
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Funktionsablauf des Schlafes und verhindern die Erholung des Organismus. 141 Es wird daher heute allgemein konstatiert, daß fluglärmbedingte, chronische Schlafqualitätsstörungen (Aufwachreaktionen, häufige Unterbrechungen der Schlafstruktur) gesundheitsschädigend sein können. 142 Ein wissenschaftlich fundierter Beweis für die gesundheitsschädigende Wirkung von Störungen des Nachtschlafs ist aufgrund der vielfältigen Einflußfaktoren allerdings schwer zu erbringen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde aber jetzt durch eine neue Studie der Technischen Universität Berlinl43 getan, die die Wirkung von Nachtfluglärm auf die Katecholaminabscheidung (Adrenalin und Noradrenalin) im Morgenurin untersuchte. Die Katecholaminausscheidungsmengen sind ein geeigneter Parameter für die Untersuchung von Gesundheitsschäden durch Fluglärm, denn sie ermöglichen eine Qualifizierung der lärmbedingten körperlichen Streßreaktionen. Eine Katecholaminausscheidungserhöhung bedeutet die Zunahme eines sekundären Risikofaktors für Herz- und Kreislauferkrankungen. l44 Die Untersuchung ergab, daß die Adrenalinausscheidung im Gruppenmittel in den belärmten Nächten doppelt so hoch war wie in den nicht belärmten und außerdem Unterschiede hinsichtlich der Ausscheidungsmengen von Adrenalin und Noradrenalin bei unterschiedlichen Überflugpegeln. 145 Damit konnte gezeigt werden, daß nächtlicher Fluglärm als ein von emotionalen Einflüssen unabhängiger Stressor wirkt, der biochemische Streßreaktionen auslöst. Die erhöhte Katecholaminausschüttung hat vielfaltige Auswirkungen auf das Herz-Kreislaufsystem. Sie kann zu Herzhyperthrophie und zu Herzzellnekrosen führen und bewirkt einen Anstieg der freien Fettsäuren, was wiederum ein bekannter Risikofaktor für die Entstehung einer vorzeitigen allgemeinen Angiosklerose (Gefaßerkrankung) ist. 146
141 EhrensteinIMüller-limmroth, Handbuch, S. 16; de long, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128); vgl. auch Griejahnllansen, in: Ising (Hrsg.), S. 28.
142 So schon Klosterkötter, KdL 15 (1968), 141 (148); vgl. auch de lang, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128/129); Griejahn, Zfl30 (1983),38 (42 f.); dies., ZfL 37 (1990),7 (8); Griejahnllansen, in: Ising (Hrsg.), S. 28; lansen, ZfL 33 (1986), 2 (6); ders., in: Koch (Hrsg.), S. 19; Lukassowitz, Bundesgesundheitsblatt 1991, 541/542; Maschkel BreinIl Grimml Ising, Bundesgesundheitsblatt 1992, 119; Wehrlil Nemecekl Turrianl Hofmannl Wanner, Kdl25 (1978), 138 (144); Lännbekämpfung 1988, S. 109; zulÜckhaltender noch EhrensteinIMüller-limmroth, Handbuch, S. 16. 143 MaschkelBreinllGrimmlIsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 119 ff.
MaschkelBreinllGrimmflsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 119. Vgl. MaschkelBreinllGrimmlIsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 119 (1201121 mit Tab. 2). Die untersuchten Personen verbrachten funf Nächte ohne Lännbelastung (Leq = 32 dB[A]) und funf Nächte mit Lännbelastung (Leq = 36 - 56 dB[A)). Dabei wurde die Häufigkeit der Nachtflüge (16, 32 und 64 Überflüge bei konstanten Überflugpegeln Lmax = 75 dB[A]) und die Überflugpegel (Lmax = 55 dB[A], 65 dB[A], 75 dB[A] bei 64 Flugereignissen) variiert. 146 Vgl. MaschkelBreinllGrimmlIsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 119 (121). 144
145
5 Hermann
66
1. Teil: Rechtstatsachen
d) Weitere (psycho-)somatische Fluglärmwirkungen Auf folgende "Rand- und Grenzbereiche" (psycho-)somatischer Fluglärmwirkungsforschung sei noch hingewiesen: Eine Fragebogenuntersuchung in der Umgebung von neun sowjetischen Flughäfen im Jahre 1969 ergab in fluglärmbelasteten Gebieten erhöhte Raten von Magenerkrankungen, wie Gastritis (EDZÜndung des Magens) und Ulcera (Magengeschwür). Diese Ergebnisse konnten aber in späteren Untersuchungen nicht bestätigt werden. 147 Japanische Untersuchungen beschäftigten sich mit Auswirkungen des Fluglärms auf die menschliche Fetalentwicklung. Dabei wurden Hinweise auf eine größere Wahrscheinlichkeit von Frühgeburten und niedrigerem Geburtsgewicht in Gebieten mit hoher Fluglärmbelastung gefunden. 148 In einer amerikanischen Untersuchung ergaben sich außerdem vermehrt Geburtsanomalien in Gegenden mit hohen Schallpegeln in der Umgebung des Flughafens von Los Angeles. 149 Alle Untersuchungen unterliegen jedoch methodischen Bedenken, da mögliche andere Einflußfaktoren (wie z.B. Flugzeugabgase) nicht kontrolliert wurden.l~ Über Zusammenhänge zwischen Flugzeuggeräuschen und psychischen Erkrankungen gibt es bislang nur wenige empirische Untersuchungen. Mehrere frühe Studien ergaben in stark fluglärmbelasteten Gebieten höhere Raten von klinisch behandelten Personen mit psychischen Erkrankungen als in Kontrollgebieten. ISI Dies konnte in späteren, methodisch strengeren Untersuchungen allenfalls tendenziell oder gar nicht bestätigt werden. 152 Ein eindeutiger Beweis für die Annahme, daß Fluglärm die psychische Gesundheit direkt gefährde, konnte daher bisher noch nicht erbracht werden. Nach den bisher vorliegenden Daten scheint aber festzustehen, daß 147 Vgl. die Nachweise bei Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 190; zum Einfluß von Lännbelastungen auf Dünndann- und Dickdannfunktionen vgl. Erckenbrecht/ Lesch/ Ziemer! Schwane/ Jansen! Wienbeck, ZtL 35 (1988), 74 ff. und Erckenbrecht/ Borgos/ Schäpe-Stiller! Schwane! Wienbeck! Jansen, ZtL 35 (1988), 42 ff. 148 Vgl. die Nachweise bei Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 81 f. und bei Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 190 f.; zu ähnlichen, statistisch jedoch nicht signifikanten Ergebnissen kommen auch Untersuchungen von Jansen; davon berichtet das Umweltgutachten 1987, S. 398 Tz. 1454. 149 Vgl. die Nachweise bei de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128). I~ de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128); Lukassowitz, Bundesgesundheitsblatt 1991, 541; Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 82. ISI Vgl. die Nachweise bei Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 200 ff. und de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128). IS2 Babischflsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (199); de Jong, Bundesgesundheitsblatt 1992,126 (128).
C. Fluglärmwirlrungsforschung
67
psychiatrisch problematisierte Flughafenanwohner stärker unter Fluglärm leiden als die übrigen Betroffenen. 153 Insoweit bestätigt sich hier die allgemeine These, daß Menschen mit geringerer Kapazität zur Bewältigung von Lebensproblemen stärkere Wirkungen bei Lärmstreßbelastungen zeigen. 1.54 In mehreren Untersuchungen wurde die Abgabe und der Verbrauch von Medikamenten in fluglärmbelasteten Gebieten kontrolliert. Die Ergebnisse sind nicht ganz eindeutig. Während Untersuchungen aus Kanada, der Schweiz und den Niederlanden deutlich mehr Medikamentenverschreibungen bzw. -einnahmen in Gegenden mit hohen, verglichen mit Gegenden mit niedrigen Fluglärmpegeln verzeichnen!55, konnten in anderen Studien keine signifikanten lärmabhängigen Effekte festgestellt werden. 156 Auch Straßenverkehrslärmuntersuchungen führten insoweit zu widersprüchlichen Ergebnissen. 157 Für einen Zusammenhang zwischen erhöhtem Medikamentenverbrauch und Umweltlärm liegen also zumindest noch keine eindeutigen Beweise vor. 158 Verhaltensbeobachtungen an Kindern aus fluglärmbelasteten Gebieten sind bisher sehr selten in systematischer Form angestellt worden. Die vorliegenden Ergebnisse weisen aber auf das Risiko ernster Verhaltensstörungen bei Säuglingen und Kleinkindern hin. 159 Nach sozialwissenschaftlichen Untersuchungen klagt eine größere Anzahl von Flughafenanwohnern über Schmerzempfindungen (Kopfschmerzen, Ohrenschmerzen).I60 Die genauen Ursachen sind bisher noch nicht geklärt. Sie könnten in neuronalen Prozessen und Begleiterscheinungen psychischer Reizabwehrversuche zu finden sein, aber auch darin, daß Fluglärmbetroffene eher geneigt sind, Körperempfindungen auf Flugzeuggeräusche zurückzuführen. Nach Rohrmann u.a. sollten diese Angaben bis zur ge!53 So Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 80 f. und Ehrenstein/Müller-limmroth, Handbuch, S. 21. 1.54 Vgl. zur "sozialpsychologischen Seite" dieses Phänomens schon die Ausfiihrungen oben U. 4. b.
155 Die Ergebnisse betreffen insbesondere Schlaf- und Beruhigungsmittel und mit Einschränkungen auch MagenlDarm- und HerzIKreislaufmittel. 156 Vgl. die Nachweise bei Babisch/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (199); de long, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128). 157 Babischllsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (199). 158 de long, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (128); Babisch/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197 (199). Zur Frage, inwieweit ein erhöhter Medikamentenkonsum Indikator fiir die gesundheitsbeeinträchtigende Wirkung von Fluglärm sein kann, vgl. auch schon die Ausfiihrungen oben U. 5. 159
Vgl. dazu näher Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 203 f., S. 208 f.
160 Vgl. dazu bereits oben 11. 2.
1. Teil: Rechtstatsachen
68
naueren Erforschung von Ursachen und Folgen als Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens bewertet werden. Ob den Empfindungen eine "organische" Ursache zugrunde liege, sei letztlich nicht entscheidend. 161 4. Abschließende Bewertung
Die dargestellten Untersuchungen und Studien der physiologischen und medizinischen Lärmwirkungsforschung belegen. daß sich Fluglärm in vielfaltiger Weise auf das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit des Menschen auswirken kann. Gleichwohl sind die bisherigen Erkenntnisse eher dürftig und werden in der wissenschaftlichen Literatur mit viel Zurückhaltung bewertet. Eindeutige Nachweise dafür, daß die Belastung mit Fluglärm zu somatisch manifesten Erkrankungen führt, konnten bisher praktisch nicht erbracht werden. Häufig werden Zusammenhänge zwischen Fluglärmbelastung und Gesundheitsbeeinträchtigungen aufgrund statistischer Häufungen in epidemiologischen Untersuchungen nur vermutet. 162 In einigen Bereichen der Wirkungsforschung liegen allerdings bereits fundlertere Erkenntnisse vor: Negative Auswirkungen des Umweltstressors Fluglärm auf das Herz-Kreislaufsystem werden inzwischen allgemein konsentiert, kaum mehr bestritten wird, daß Fluglärm sich nachteilig auf das Blutdruckverhalten auswirkt und die Entstehung von Bluthochdruckerkrankungen wesentlich begünstigt. 163 Soweit Nachtfluglärm zu Aufwachreaktionen führt, die Betroffenen am Einschlafen hindert oder häufig die Schlafstruktur stört, gefährdet er die Gesundheit. l64 Auch insoweit können bisher allerdings kaum eindeutige und zuverlässige Dosis-Wirkungs-Beziehungen nachgewiesen werden. 165 Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 213, S. 215 f. Dies gilt etwa für das Risiko, daß die Belastung mit Fluglärm die Entstehung psychischer Krankheiten begünstigt, sich negativ auf die Fetalentwicklung des Menschen auswirkt oder vermehrt zu Frühgeburten führt; vgl. dazu die Ausführungen oben 3. d. 163 Vgl. die Ausführungen oben 3. b. Nach Untersuchungen von Griejahn und Jansen sind beim durchschnittlich gesunden Menschen gesundheitlich schädigende Wirkungen durch breitbandige akustische Reize (wie Fluglärm) dann nicht mehr auszuschließen, wenn ein kritischer Spitzenpegel von 99 dB(A) in mehr als 1 % des Beurteilungszeitraums überschritten wird; bei kranken Menschen soll dieser Wert allerdings wegen der erhöhten Lärmempfindlichkeit um mindestens 11 dB(A) niedriger anzusetzen sein; vgl. Griejahn, ZfL 29 (1982), 131, (132, 134); Jansen, ZfL 33 (1986), 1 (7). 164 Vgl. die Ausführungen oben 3. c. 161
162
165 Einigermaßen gesicherte Dosis-Wirkungs-Abhängigkeiten sind aber inzwischen außer für fluglärmbedingte Gestörtheitsreaktionen, vgl. dazu oben 11. 2. mit Fn. 31, auch für die Auslösung von AuIWachreaktionen und Schlafstrukturänderungen durch Fluglärm festgestellt worden; vgl. dazu insb. Griejahn ZfL 37 (1990), 7 (11 mit Abb. 5 und 13): Nach der in dieser Studie errechneten "Grenzkurve" kommt es z.o. bei 2 Schallereignissen pro Nacht ab einer Schallinten-
C. Fluglännwirkungsforschung
69
Das Nachweisdefizit der medizinischen (Flug-)Lärmwirkungsforschung hat vielfältige Ursachen, die hier nur angedeutet werden können. 166 Schon die Komplexität und Unspezifität der physiologischen Wirkungsverarbeitung machen es schwer, Ursachen-Wirkungsfaktoren befriedigend abzusichern. Streßreaktionen im Sinne von physiologischen Aktivierungsprozessen verlaufen eben unspezifisch und können durch viele Ursachen gleichzeitig bedingt sein. 167 Fluglärm stellt damit in der Regel nur einen von mehreren Belastungsfaktoren im Rahmen der multifaktorellen Genese von Erkrankungen dar. l68 Zudem sind Störvariablen, wie Lärmempfindlichkeit oder andere anamnesische Daten zu berücksichtigen und zu kontrollieren. 169 Besonders schwierig zu erfassen für eine Gefährdungs- und Risikoabschätzung sind Mehrfachbelastungen durch verschiedene Lärmquellen, aber auch durch andere Umweltfaktoren (z.B. Schadstoffimmissionen). Wirken mehrere Umweltstressoren auf den menschlichen Organismus ein, so kann es zu Kombinations- oder Wechselwirkungen kommen. 170 Daher ist es nicht weiter erstaunlich, daß zu diesem Aspekt der Fluglärmwirkungsforschung bisher kaum systematisierte Forschungsergebnisse vorliegen. 171 Kurz andauernde Lärmexpositionen, wie für die Fluglärmbelastung in der Umgebung von Verkehrsflughäfen typisch, stellen isoliert gesehen eine relativ schwache Zusatzbelastung dar. Erst durch ständige Wiederholung über einen längeren Zeitraum kann es zu anhaltenden physiologischen Effekten komsität von 53 dB(A) zu vegetativen Reaktionen und ab einer Schallintensität von 59 dB(A) zu Aufweckreaktionen; bei 7 Schallereignissen pro Nacht treten die entsprechenden Reaktionen aber schon ab 48 dB(A) bzw. ab 54,5 dB(A) auf. Sowohl Aufwachreaktionen wie auch vegetative Reaktionen sind also neben der Schallintensität auch von der Häufigkeit ihres Auftretens abhängig. Nach Griejahn ist die in Abhängigkeit von Schallintensität und Schallhäufigkeit fiir vegetative Reaktionen errechnete "Grenzkurve" aus präventiv-medizinischen Grunden einzuhalten; die entsprechende "Grenzkurve" fiir Aufweckreaktionen bilde das höchstzulässige Risiko, das zu Vermeidung von gesundheitlichen Schäden nicht überschritten werden dürfe. 166 Vgl. dazu zusammenfassend aus Sicht der medizinischen Forschungsgruppe der DFGFluglärmstudie, DFG-Fluglärmwirkungen, S. 459 ff.; allgemein zu den Problemen der Wirkungsforschung schon oben I. 2. 167 Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 86; vgl. auch GundermannlJsing, in: Ising (Hrsg.), S. ll und Schönpjlug, in: Ising (Hrsg.), S. 64 f. 168 lansen, in: Koch (Hrsg.), S. 13. 169
de long, Bundesgesundheitsblatt 1992, 126 (129).
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, gleichzeitig durch Fluglärm und etwa Autolärm, Eisenbahnlärm oder Fabriklärm belastet zu werden, angesichts der Verhältnisse an den deutschen und europäischen Großflughäfen relativ hoch; eine systematische Untersuchung wird hier noch zusätzlich durch die Vielzahl der bisher verwendeten Lärmmaße erschwert; vgl. Kaslka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), S. 82; zu den kombinierten Belastungen durch Lärm und andere Umweltfaktorenvgl. auch Umweltgutachten 1987, S. 401 f., Tz. 1461 ff. 171 Vgl. Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 218. 170
70
1. Teil: Rechtstatsachen
men. 172 Gesundheitliche Veränderungen sind daher allenfalls als Langzeitfolgen chronischer Fluglärmbelastung zu erwarten. Insoweit können experimentelle Laboruntersuchungen zwar zum Verständnis von Wirkungsmechanismen beitragen und individuelle Reaktionsschwellen für akut einwirkende Expositionen aufzeigen, sie erlauben aber kaum Aussagen über die Langzeiteffekte chronischer Lärmexposition - insbesondere über die Einflüsse von Adaption und Habituation - und die mögliche Genese von Krankheiten. 173 Laboruntersuchungen simulieren zudem nur eine (nicht-reale) Belastungssituation, was Konsequenzen für die subjektive Akzeptanz der Schallexposition hat. Gerade die emotionale Bewertung der Geräuschbelastung spielt aber für die Reaktion auf Fluglärm eine wichtige Rolle. 174 Epidemiologische Umweltstudien können zwar Auskünfte über Zusammenhänge von Krankheitserscheinungen und Umweltfaktoren geben, sie sagen jedoch nicht unmittelbar etwas über die Art des Zusammenhangs aus oder darüber, ob die Verknüpfungen von Erscheinungen und Faktoren kausaler Art sind, selbst wenn hohe Korrelationen einen sehr engen Zusammenhang signalisieren. m Schließlich wurden bisher nur in wenigen Studien Personengruppen berücksichtigt, die somatisch oder psychisch vorbelastet sind. 176 Gerade dieser Personenkreis ist aber durch Fluglärm gesundheitlich besonders gefahrdet. Kranke Menschen sind aufgrund der Tatsache, daß die meisten Erkrankungen regelmäßig mit psychischen Veränderungen im Sinne von neurotischen Tendenzen einhergehen, generell vegetativ weniger belastbar. 177 Auch wenn aufgrund mannigfaltiger methodischer Schwierigkeiten gesundheitsschädliche Effekte der Fluglärmbelastung derzeit in nur sehr beschränktem Maße nachweisbar sind, sollte das Risiko somatischer Fluglärmfolgen
Ising/Marken/Günlher/GuskilSchulz, ZfL 27 (1980), 1 (7). BabischlElwoodflsing, Bundesgesundheitsblatt 1992, 130 (131). 174 Vgl. dazu schon oben IU. 2. m Umweltgutachten 1987, S. 399 Tz. 1456. 176 Vgl. aber etwa die Ansätze von Schulle, in: Ising (Hrsg.), S. 56 ff.; von Griejahn, ZfL 29 (1982),131 (133 ff.) und von Jansen, ZfL 34 (1987),152 ff. 177 Griejahn, ZfL 29 (1982),131; Jansen, ZfL 34,152 (156); vgl. auch schon Kloslerköller, KdL 15 (1968), 142 (148). Nach einer Studie von Jansen liegt die physiologische Belastungsgrenze (Beginn einer gesundheitlichen Gefahrdung) des gesunden Durchschnittsmenschen bei einem Maximalpegel von 99 dB(A), die von Patienten mit Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems aber schon bei 78 dB(A) und die von Schwerkranken schon bei 67 dB(A); Jansen, ZfL 34 (1987), 152 (155); vgl. auch Griejahn, ZfL 29 (1982), 131. Es wird befiirchtet, daß Personen mit hohem Blutdruck, die Fluglärm häufig und mit hohen Schallpegeln ausgesetzt sind, Gefaßruptionen mit bleibenden Schäden erleiden; davon berichten Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 217; vgl. auch Lärmbekämpfung 1988, S. 115. 172 173
C. Fluglännwirkungsforschung
71
keinesfalls unterschätzt werden. 178 Denn zum einen kann die individuelle. auch körperlich-gesundheitliche Reaktion eines Betroffenen sehr stark vom "Durchschnittsmenschen" abweichen. Und zum anderen können angesichts der Verbreitung und des chronischen Auftretens des Phänomens - bei epidemiologischer Betrachtungsweise - schon sehr geringe Änderungen physiologischer Größen eine beachtliche Erhöhung des Gesundheitsrisikos bedeuten, soweit die betrachteten Faktoren, wie vielfach, Risikofaktoren für die Entstehung von Krankheiten sind. 179
178 Davor wird schon in der DFG-Fluglännstudie gewarnt; vgl. DFG-Fluglännwirkungen, S. 518. 179 Babisch/lsing, Bundesgesundheitsblatt 1987, 197; Babisch/Elwood/Ising, Bundesgesundheitsblatt 1992, 130 (132).
D. Kritische Lärmgrenzen und Immissionsgrenzwerte aus Sicht der Lärmwirkungsforschung I. Die Nichtauffindbarkeit kritischer Grenzen Empirische Forschungsergebnisse treffen in der Regel eine Aussage über den Ist-Zustand eines bestimmten Sachverhalts, nicht jedoch über einen anzustrebenden Soll-Zustand. Dies gilt weithin auch für die Untersuchungsergebnisse der Fluglärmwirkungsforschung. 1 Gleichwohl wird verschiedentlich die Ansicht geäußert, kritische Grenzen der Flugiärmbelastung bzw. Lärmgrenzwerte könnten und sollten von der Wissenschaft definiert werden, die ja schließlich am besten wisse, wie Lärm auf den Menschen wirke. Aufgabe von Politik und Gesetzgebung sei es, diese wissenschaftlich definierten Grenzen hinzunehmen und sie lediglich formaliter mit den Bindungswirkungen des Rechts auszustatten. 2 Es stellt sich daher die Frage, ob und inwieweit aus den Untersuchungsergebnissen der interdisziplinären Lärmwirkungsforschung die kritische (unzumutbare) Fluglärmbelastung bestimmt werden kann, die dann rechtlich in Immissionsgrenzen umzusetzen wäre. Die Angabe eines akustisch definierten Grenzwerts durch die Lärmwirkungsforschung wäre eventuell dann möglich, wenn die psychischen und/oder physiologischen Reaktionen auf und Wirkungen des Fluglärm(s) ab einer bestimmten Belastungsintensität bzw. Häufigkeit der Belastung dramatisch zunehmen würden. Ein solcher "Knick" in der Reiz-Reaktions-Beziehung böte sich, als Beginn einer stärkeren Zunahme der Belastung, für Grenzwerte an. 3 Tatsächlich nehmen aber die Wirkungen von Fluglärm, bei starker intraindividueller und interindividueller Streuung, stetig mit gesteigertem Ausmaß häufiger und lauter Überflüge zu, ein qualitativer Sprung, ähnlich der Belastungsgrenze einer technischen Konstruktion oder dem Einsetzen einer toxischen Reaktion bei einer bestimmten Medikamentendosierung, ist nicht aufVgl. Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 220; Vogel, ZfL 27 (1980),198 (201). Vgl. bei Vogel, ZfL 27 (1980),198. So Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 79 f.; Bürck, ZfL 29 (1982), 1 (4); kritisch dazu Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 146, S.221 und Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 117 f., nach deren Auffassung selbst ein derartiger qualitativer Sprung noch nichts über die Schranke der Akzeptierbarkeit der Lärmbelastung aussagen würde, die weit darüber oder weit darunter liegen könnte. 2
D. Kritische Lärmgrenzen und Immissionsgrenzwerte
73
findbar. 4 Keine der untersuchten psychischen und physiologischen Reaktionsvariablen kann als "Alles oder nichts" -Reaktion ab einem bestimmten Reizniveau beschrieben werden. 5 Da also ein qualitativer Sprung nicht gefunden werden kann, stellt sich die Frage, ab welchem Prozentsatz beeinträchtigter Flughafenanwohner denn der Belastungsgrad erreicht ist, der nicht mehr akzeptiert werden soll. Eine solche Angabe kann aber weder aus sozialwissenschaftlichen noch aus medizinischen Daten hergeleitet werden. Man kann eine Situation beispielsweise dann für unzumutbar halten, wenn 30% (oder 50% oder 80%) der Betroffenen erheblich gestört sind6 oder eine mittlere Gestörtheit 50% (oder andere Werte) auf einer Stärkeskala erreicht; ohne Angabe weiterer Kriterien sind all diese Grenzfestsetzungen eher willkürlich.? Hinzu kommt, daß verschiedene Wirkungskriterien (Schlafstörungen, Störungen der Kommunikation usw.) unterschiedlich "sensibel" sind, d.h. sie führen bei akustisch gleicher Geräuschbelastung zu differierenden Zahlen beeinträchtigter Personen. 8 Aussagen der Wirkungsforschung zu kritischen Belastungen werden zusätzlich erschwert durch die große Variabilität der Reaktionen auf ein und dieselbe Fluglärmsituation. 9 Sollen also etwa besonders lärmsensible Menschen nach Schätzungen immerhin 10% - 30% der Gesamtbevölkerung lO - ungeschützt bleiben oder sollen die kritischen Grenzen der Lärmbelastung an deren erhöhter Sensibilität ausgerichtet werden und wie kann das geschehen? Der für die Lärmwirkung bestimmende Einfluß von Persönlichkeits- und Situationsfaktoren (Moderatorvariablen) wurde ja bereits mehrfach beschrieben. 1I Auch die besonderen Schwierigkeiten der medizinischen Wirkungsforschung, angesichts von schwer untersuchbaren Langzeit- und Kombinationseffekten und angesichts der Vielgestaltigkeit des physikalischen, physiologischen und psychologischen Wirkungsgefüges wurden bereits dargestellt. 12 Sowohl für soziopsychologische als auch (erst recht) für medizinisch-physio4 DFG-Fluglännwirkungen, S. 514 f.; Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 79 f; KloSlerkötter, KdL 24 (1977), 61 (66); Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 221; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 117 m.w.N.; vgl. auch schon die Ausfilhrungen oben C. D. 2 und C. D. 4. f.
DFG-Fluglännwirkungen, S. 515. Oder 1 %(?), selbst das können noch Hunderte oder Tausende von Betroffenen sein; vgl. dazu DFG-Fluglännwirkungen, S. 8 und Rohrmann u.a., Fluglänn. S. 221. 6
?
So Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 80.
Vgl. Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 118, S. 122; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 146, S. 220. 10 11 12
Bürck, ZfL 29 (1982), 1 (5); DFG-Fluglännwirkungen, S. 241. Vogel, ZfL 27 (1980), 198. Vgl. oben C. 11. 1 und C. D. 4. sowie Bürck, ZfL 29 (1980), 1(5). Vgl. oben C. ID. 4.
74
1. Teil: Rechtstatsachen
logische Lärmwirkungen gilt, daß die Korrelation mit der Häufigkeit und/ oder der Intensität der Flugverkehrsgeräusche zu niedrig ist, um eine eindeutige, monokausale Ursache-Wirkungs-Interpretation zu ermöglichen. 13 In der Diskussion um das Finden kritischer Belastungen sind auch die Unterschiede zwischen relativen und absoluten Zahlen von Betroffenen zu beachten. In schwächer belärmten Gebieten nimmt zwar, im Vergleich zu stärker belärmten Gebieten, die Zahl der Betroffenen prozentual ab; so finden sich beispielsweise in einem Gebiet mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 70 dB(A) 30-60% Gestörte, in einem Gebiet mit einem äquivalenten Dauerschallpegel von 50 dB(A) nur noch 20% GestörteY Weil die stark belärmten Gebiete aber in der Regel wesentlich dünner besiedelt sind als die weniger stark belärmten, sind in den schwächer belärmten Gebieten nicht notwendigerweise weniger Personen betroffen, im Gegenteil, die absolute Zahl der Gestörten wird in den Zonen geringerer Fluglärmbelastung deutlich höher sein. 15 In dichter besiedelten Gebieten kann daher eine Steigerung des Flugverkehrs eine überproportionale Zunahme der Betroffenenzahlen bedeuten. Aus alledem folgt, daß sich eine "kritische", eindeutig zwischen Betroffenen und Nichtbetroffenen trennende, unterschiedliche Fluglärmwirkungen umfassende Grenze strikt wissenschaftlich nicht finden läßt. 16 Die interdisziplinäre Fluglärmwirkungsforschung kann allenfalls näherungsweise angeben, bei welchem Belastungsgrad es zu welchen organisch-funktionalen, psychophysiologischen und sozialpsychologischen Reaktionen kommt, bei welchem Prozentsatz von Betroffenen ein bestimmter Fluglärmgrad solche Reaktionen auslösen wird und wie diese Reaktionen zu bewerten sind. Welche dieser Reaktionen hinzunehmen sind und welcher Prozentsatz an Reaktionen jeweils hinzunehmen ist, welche Art von Fluglärmwirkungen und welcher Grad an Fluglärmwirkungen also zumutbar erscheint, kann aus dem Datenmaterial je13 DFG-Fluglännwirkungen, S. 535; BeckersnIoll1lrausen, ZfL 27 (1980), 39 (48); Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 221; vgl. dazu auch bereits oben C. D. 2. und C. ill. 4. 14 Vgl. Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 225.
15 Rohrmann verdeutlicht dies durch ein fiktives, aber durchaus die Lännsituation in der Umgebung von Verkehrstlughäfen realistisch widerspiegelndes Datenbeispiel: Geht man davon aus, daß eine Population von 100000 Anwohnern sich auf drei Lärmzonen (50-60 dB[A]/6070 dB[A]/70-80 dB[A]) im Verhältnis 65%/30%/5% verteilt, und daß der Prozentsatz der Gestörten 25%/50%/75% beträgt, so entfallen von dem gestörten und verärgerten Bevölkerungsanteil nur 11 % auf die lauteste Fluglännzone, aber 43% bzw. 46% auf die schwächer belännten Zonen; erst bei sehr geringer Fluglännbelastung kehrt sich dieser Trend wieder um; vgl. Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 226; Rohrmann, KdL 24 (1977), 89 (94 mit Tab. 5); tiers., Psychologische Forschung, S. 143. 16 DFG-Fluglännwirkungen, S. 9, S. 514 f.; Bürck, ZfL 29 (1982), 1 (5); Finke, in: FS f. v.Lersner, S. 80; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 105, S. 116 f., S. 135.
D. Kritische Länngrenzen und Immissionsgrenzwerte
75
doch nicht abgeleitet werden. Anders gewendet; die Wirkungsforschung kann zwar darlegen, welche Konsequenzen alternative Lärmgrenzen für das Ausmaß der Beeinträchtigung haben, sie kann aber daraus keine "Unzumutbarkeitsgrenze" herleiten. 17 Was letztendlich an Lärmbelastung zumutbar ist bzw. sein soll, kann daher nicht aus den Ergebnissen der Wirkungsforschung gleichsam herausgelesen werden. 18 Es wurde bereits zu Beginn dieser Erörterungen darauf hingewiesen, daß "zumutbar" bzw. "unzumutbar" regulative Begriffe sind, die nicht nur dem Wandel der gesellschaftlichen Anschauung unterliegen, sondern regelmäßig auch eine umfassende Güterabwägung erfordern. 19 Eine solche Güterabwägung, bei der neben dem Wohlbefinden der betroffenen Bevölkerung, das öffentliche Interesse an einer funktionsfähigen Flugverkehrsanbindung und -versorgung, wirtschaftliche Gesichtspunkte. aber auch Fragen der Raumordnung und Landesplanung, des Wohnungsbaus und nicht zuletzt der Haushalts- und Finanzpolitik eine Rolle spielen können, ist aber in erster Linie Aufgabe des demokratisch legitimierten Gesetzgebers. 20 Fehlt es an gesetzlichen Grenzwertvorgaben (wie etwa im Flughafenplanungsrecht), so obliegt vielfach der Exekutive die abwägende Grenzziehung im konkreten Fall. Inwieweit das Verfassungsrecht, insbesondere die Grundrechte der Betroffenen, diese Güterabwägung und Grenziehung determiniert. soll im zweiten Teil dieser Arbeit ausführlich untersucht werden. Auch wenn die Entscheidung über die Zumutbarkeit von Fluglärmbelastungen also letztlich nicht durch die Wirkungsforschung getroffen wird. so kommt ihr doch im Rahmen der Entscheidungsfindung eine wesentliche Rolle zu: Sie liefert das erforderliche Datenmaterial über die Wirkung des Fluglärms auf den Menschen und schafft damit die Tatsachengrundlage, auf die Legislative, Exekutive und auch Jurisdiktion angewiesen sind, um (abwägend) über die Zumutbarkeit von Fluglärmbelastungen zu entscheiden. Sie zeigt die Konsequenzen alternativer Grenzziehungen für das Ausmaß der Beeinträchtigung auf und kann so wesentlich dazu beitragen, Vorhersagen über künftige 17 Lännbekämpfung 1988, S. 102. Derartige Probleme ergeben sich im Prinzip auch in anderen Bereichen des Umweltschutzes - man denke beispielsweise an die Gewässerreinhaltung. Teilweise sind dort aber die Ziele klarer definiert (etwa Erhaltung des biologischen Gleichgewichts eines Gewässers), teilweise liegen wissenschaftlich exaktere Erkenntnisse datiiber vor, bei Überschreitung welcher Grenze (z.B. bestimmtes Konzentrationsniveau von Giftstoffen), das angestrebte Ziel nicht mehr erreicht wird ("Umkippen" eines Gewässers). 18 Gleichwohl werden in der Wirkungsforschung teilweise Versuche unternommen, solche Grenzwerte zu definieren; vgl. etwa Jud, KdL 23 (1976), 87 (88); Kloslerköller, KdL 23 (1976), I ff. 19 Vgl. DFG-Fluglännwirkungen, S. 9; Lännbekämpfung 1988, S. 102; Bürck, ZfL 29 (1982), I (5); Jansen, ZfL 33 (1986), 2 (5); Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 98; Vogel, ZfL 27 (1980), 198 (201); siehe auch schon oben A. 20 KUlscheidl, NVwZ 1989, 193 (196); Vogel, ZfL 27 (1980), 198 (202); dies wird auch von der Wirkungsforschung selbst so gesehen, vgl. nur DFG-Fluglännwirkungen, S. 9.
76
1. Teil: Rechtstatsachen
Folgen zu treffender Entscheidungen zu machen. Sie gibt schließlich Hinweise auf noch offene Fragen der Lärmwirkung und die damit verbundenen Risiken, die bei der Abwägungsentscheidung gleichfalls zu berücksichtigen sind. 21 ß. Die Bewertung bestehender Lärmgrenzwerte durch die Wirkungsforschung
Normative Lärmimmissionsgrenzwerte, wie beispielsweise die Grenzwerte nach dem FlugLG, aber auch die Grenzwerte nach der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchVO)22 beziehen sich in der Regel auf eine bestimmte Lärmquelle und sind zumeist nach dem Nutzungstyp der betroffenen Gebietez.B. reines Wohngebiet, Mischgebiet, Gewerbegebiet - gestaffelt. Als akustische Größe wird üblicherweise ein "Ein-Wert-Kriterium" benutzt, normalerweise eine Variante des Mittelungspegels als gewichtetes Gesamtmaß für die durchschnittliche Stärke des am Immissionsort einwirkenden Geräusches. 23 Mit dieser Art der Grenzziehung sind eine Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten verbunden, die in grundsätzlicher Form teilweise schon behandelt wurden. 24 Folgende Ergänzungen und Konkretisierungen aus Sicht der Lärmwirkungsforschung seien noch angeführt: Schon wiederholt wurde darauf hingewiesen, daß das Ausmaß der Lärmbelastung nur zu etwa einem Drittel durch den Grad der Geräuschbelastung definiert ist. 25 Vom akustischen Maß der Geräuschbelastung ausgehende Lärmgrenzwerte können daher in jedem Fall nur grobe Näherungen der bei einem bestimmten Lärmgrad zu erwartenden Belastungsreaktionen sein. Schon darin liegt ein prinzipielles Dilemma aller akustisch definierten Lärmgrenzwerte. 26 Teilweise wird daher gefordert, wegen der "Streuung" der Reaktionen, Grenzwerte nicht am sog. Durchschnittsmenschen zu orientieren, sondern strengere Anforderungen zu stellen. 27
21 DFG-Fluglännwirlrungen, S. 9; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 222; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 135 f.; Vogel, ZfL 27 (1980), 198 (201); vgl. zum ganzen auch schon die Ausfi1hrungen oben A. 22 Zur Verkehrslännschutzverordnung näher unten, 3. Teil, 8. ID. 2. a. 23 Vgl. dazu schon oben 8. D. 4. 24 Vgl. insb. oben 8. ID. 25 Dazu oben C. D. 2. 26 Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 251; Rohrmann, in: Ising (Hrsg.), S. 99; tiers., Psychologische Forschung, S. 139. 27 So Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 235; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 142; Jansen, ZfL 34 (1987), 155 f ..
D. Kritische Lärmgrenzen und Immissionsgrenzwerte
77
Auch auf den Unterschied zwischen relativen und absoluten Zahlen beeinträchtigter Betroffener wurde bereits eingegangen. 28 Absolut gesehen, ist die Anzahl betroffener Anwohner in den dichter besiedelten, mittel und schwach belärmten Gebieten wesentlich höher als in den dünn besiedelten, stark belärmten Gebieten. Daraus ergeben sich aber auch Konsequenzen für die Effizienz von Immissionsgrenzwerten. Einerseits steigen die Kosten für Lärmschutzmaßnahmen überproportiooal, je strenger ein Grenzwert ist, andererseits wird bei einer Abschwächung von Grenzwerten weit mehr Betroffenen der Lärmschutz entzogen, als sich aus der Reduktion der relativen Geräuschbelastung ergibt. 29 Die üblicherweise verwendeten Mittelungspegel sind zwar relativ gut geeignet, Aussagen über die meisten psychosozialen Wirkungen von Fluglärm zu machen bzw. die globale Gestörtheit durch Fluglärm abzuschätzen. Sie berücksichtigen aber nach praktisch allgemeiner Auffassung nicht hinreichend mögliche Gesundheitsgefährdungen durch Fluglärm. 30 Um physiologische Fluglärmwirkungen und Schlafstörungen, aber auch Kommunikationsstörungen sachgerecht erfassen zu können, muß daher auch von den maximalen Spitzenpegeln, als den höchsten Intensitäten beim Starten und Landen der Flugzeuge und von der Häufigkeit solcher Ereignisse ausgegangen werden. 31 Gefordert werden "mehrgleisige" akustische Grenzwertkriterien; ein auf die Gesamtbelastung zielender Grenzwert für den Mittelungspegel soll durch einen Grenzwert für die Maximalpegel ergänzt werden, um so exponierte Personen vor kritischen Dauer- und vor kritischen Spitzenbelastungen zu schützen. 32 Je nach Problemstellung wäre 28
Vgl. oben I.
Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 142 ff. Rohrmann verdeutlicht dies an folgendem Beispiel: Studien am Flughafen München- Riem 1974 und 1977 ergaben, daß etwa 60% der Anwohner innerhalb der Schutzzonen nach dem FlugLG gestört und verärgert waren und nur etwa 30% außerhalb der Schutzzonen (aber noch in Flughafennähe). Dies waren aber absolut, entsprechend der Bevölkerungsverteilung, drei mal so viel Personen außerhalb der Schutzzonen wie innerhalb. 30 Vgl. etwa DFG-Fluglännwirkungen, S. 345 f.; Bürck, ZtL 30 (1983), 73 (75); Jansen, ZtL 33 (1986), 2; Rohrmann u.a., Fluglänn, S. 233; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 146; Umweltgutachten 1987, S. 391 Tz. 1418 ff.; OeserlBeckers (Hrsg.), S. 246 f.; vgl. aus der juristischen Literatur Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 17; Quaas, NVwZ 1991, 16 (18); Soell, in: Grundzüge, S. 333; ders., in: LandmannIRohmer, FlugLG, § 3 Rn. 6, Rn. 16. 31 Vgl. etwa DFG-Fluglännwirkungen, S. 345 f.; Interdisziplinärer Arbeitskreis fiir Lännwirkungsfragen, ZtL 29 (1982), 13 (14); Griefahn, ZtL 29 (1982), 131 (133); dies., ZtL 37 (1990), 7 (8); Jansen, ZtL 34 (1987), 152 (156); Soell, in: LandmannIRohmer, FlugLG, § 3 Rn. 6, Rn. 16; dies wird auch in der Rechtsprechung zunehmend anerkannt, vgl. z.B. OLG Hamm, ZtL 37 (1990), 115 (116) mit Anm. Pfeiffer, filr Schlafstörungen infolge Freizeitlänns. 32 Vgl. z.B. UmweItgutachten 1987, S.392 Tz. 1418 ff., S.394 Tz. 1434, S.395 Tz. 1443; KutscheidJ, NVwZ 1989, 193 (198). Dies wird auch bei flughafenplanungsrechtlichen Grenzziehungen zur:.~hmend berücksichtigt; so wurde etwa im PIanfeststellungsbeschluß fiir den 29
78
1. Teil: Rechtstatsachen
das Lännschutzkriterium auch noch räwnlich (Schulen, Krankenhäuser) und/oder zeitlich (Nachtzeit, Sonn- und Feiertage) zu spezifizieren. 33 Immissionsgrenzwerte sind üblicherweise auf eine bestimmte Lännquelle bezogen. Dabei werden Fremdgeräusche nicht berücksichtigt und Kombinationswirkungen wird nicht Rechnung getragen. 34 Hinsichtlich der Lännwirkungen ist aber die Gesamtlärmbelastung entscheidend, auch wenn sich diese aus verschiedenen Lännquellen ergibt. 35 Problematisch ist auch die Staffelung der zulässigen Immissionsbelastung nach der Art des betroffenen Gebietes. 36 Aus Sicht der Lännwirkungsforschung ist nicht verständlich, warum etwa Betroffene in einem Gewerbegebiet grundsätzlich ein Mehr an Lännbelastung und damit an potentiellen physiologischen und psychologischen Lännwirkungen hinzunehmen haben sollen als Betroffene in einem Wohngebiet. Die Fluglärmwirkungen differieren ja nicht nach der Gebietsart des betroffenen Areals. 37
neuen Münchner Großflughafen ein Tagschutz- und ein Nachtschutzgebiet festgelegt, in denen durch bauliche Schallschutzmaßnahmen sicherrustellen ist, daß im Rauminneren bei geschlossenen Fenstern keine höheren fluglärmbedingten Schallpegel als 55 dB(A) auftreten; vgl. BayVGH, DVBI. 1990,114. 33 Dazu UmweItgutachten 1987, S. 395 Tz. 1443; Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 146 f.; vgl. entsprechende "Ansätze" etwa in § 2 der Verkehrslärmschutzverordnung, wo allerdings für einen Mittelungspegel - jeweils unterschiedliche Tages- und Nachtgrenzwerte festgelegt sind und für Schulen, Krankenhäuser, Kurheime und Altenheime ein niedrigerer Grenzwert definiert wird; auch den Grenzwerten nach dem FlugLG liegt eine stärkere Gewichtung des Nachtfluglärms zugrunde, ohne daß jedoch für die Tages- und für die Nachtbelastung unterschiedliche Grenzwerte ausgewiesen werden; vgl. Anlage zu § 3 FlugLG, Nr. Ib.; dazu Soell, in: LandmannIRohrner, FlugLG, § 3 Rn. 7. 34 Vgl. etwa Kutscheidl, NVwZ 1989, 193 (198); auch die Rechtsprechung des BVerwG zum Flughafenplanungsrecht beantwortet die Frage, ob die in Durchführung der Planung entstehende Lärmbelastung zumutbar ist, erst nach "Abzug" anderer "Geräuschvorbelastungen"; vgl. z.B. BVerwGE 56, 110 (132); dazu ausführlich unten, 3. Teil, B. ßI. 2. b. bb. 35 Vgl. dazu Kastka, in: Oeser/Beckers (Hrsg.), s. 86; siehe auch Griejahn, ZfL 37 (1990), 7 (12), mit Bezug auf Schlafstörungen. 36 So zieht etwa die Verkehrslärmschutzverordnung für reine und allgemeine Wohngebiete, für Kerngebiete und Mischgebiete und für Gewerbegebiete unterschiedliche Immissionsgrenzen. Auch für das Flughafenplanungsrecht geht das BVerwG in s1. Rspr. von einer unterschiedlichen Schutzbedürftigkeit, je nach betroffenem Gebietstyp aus; vgl. zuletzt BVerwGE 87, 332 (356 f.); dazu ausführlich unten, 3. Teil, B. III. 2. b. bb. (1). 37 Vgl. Kötter/Kühner, ZfL 33 (1986), 160 (164) Kutscheidl, NVwZ 1989, 193 (199). Es mag zwar je nach Gebietsart eine unterschiedliche Erwartungshaltung der Betroffenen geben, was die Belastung mit Lärm anbelangt; nach sozialwissenschaftlichen Untersuchungen kann sich daraus auch eine unterschiedliche Verarbeitung und Bewältigung der Lärmbelastung ergeben vorhersehbarer Lärm stört im allgemeinen weniger und wird besser bewältigt als nicht vorhersehbarer (vgl. oben C. 11. 2.) - daraus auch eine unterschiedliche Schutzbedürftigkeit ableiten zu wollen, erscheint aber jedenfalls im Hinblick auf physiologische Lärmwirkungen als höchst zweifelhaft.
D. Kritische Länngrenzen und Immissionsgrenzwerte
79
Insgesamt werden daher akustisch definierte und nur auf einem Kennwert beruhende Grenzwertregelungen als weithin unzulängliche Mittel betrachtet, das individuelle - intra- wie interindividuell stark variierende - Lännschutzbedürfnis hinreichend zu reflektieren. 38 Andererseits müssen Lännschutzregelungen, sollen sie administrativ handhabbar und durchsetzbar sein, eindeutig, für möglichst alle Anwendungssituationen einheitlich und längerfristig gültig sein; der zugrundegelegte akustische Kennwert sollte angesichts des finanziellen und administrativen Aufwands möglichst einfach zu bestimmen sein. Insofern besteht ein nahezu unauflösbarer Widerspruch zwischen der Forderung nach einer inhaltlich effizienten und wirklichkeitsgerechten Erfassung der Lännbelastung, die der konkreten, weithin subjektiv bestimmten Beeinträchtigungswirkung gerecht wird und der Notwendigkeit der Erfassung unterschiedlicher Fluglärmbelastung nach objektiven, rational nachprüfbaren, handhabbaren und reproduzierbaren Kriterien. 39 Zu Recht sieht daher Vogef40 in Länngrenzwertentscheidungen eine Herausforderung für Politik und Wissenschaft. Auch wenn den Forderungen der Lännwirkungsforschung in mancher Hinsicht durchaus vermehrt Rechnung getragen werden kann (und muß) - etwa durch "mehrgleisige" akustische Kriterien - werden gesetzliche Grenzwertentscheidungen letztlich nicht auf weitgehende, objektivierende und generalisierende Abstrahierungen verzichten können, um überhaupt einen vollziehbaren und sachorientierten Fluglärmschutz leisten zu können.
39
Vgl. Rohrmann, Psychologische Forschung, S. 150. Vgl. dazu auch Vogel, Fluglärm, S. 15.
40
Vogel, ZtL 27 (1980), 198.
38
Zweiter Teil
Verfassungsrechtliche Anforderungen an den fachplanerischen Fluglännschutz Lärmbelastungen, die vom Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgehen, können nach heutigem wissenschaftlichen Erkenntnisstand 1 zu Gesundheitsbeeinträchtigungen und zu nachhaltigen Störungen des physischen und psychischen Wohlbefindens der Betroffenen führen. Damit stehen die durch Art. 2 GG geschützten, personenbezogenen Rechtsgüter (Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, allgemeine Handlungsfreiheit) in Frage. Soweit Fluglärmbelastungen (mittelbar) zu Einschränkungen der Nutzungsmöglichkeiten des Grundeigentums führen, ist außerdem Art. 14 GG angesprochen. Fluglärm hat also in mehrfacher Hinsicht grundrechtliche Relevanz. Ausgangspunkt einer dogmatischen Standortbestimmung des fachplanerischen Fluglärmschutzes und insbesondere der Schutzregelung des § 9 Abs. 2 LuftVG muß daher die Frage sein, ob und in welchem Umfang der Schutz vor Fluglärmbelastungen grundrechtlich geboten ist. Es geht um die Bestimmung der verfassungsrechtlichen Determinanten des fachplanerischen Fluglärmschutzes.
A. Schutz vor Fluglärmimmissionen bei der Verkehrsflugharenplanung - grundrechtliche Schutzpflicht oder grundrechtliche Achtungspflicht? Bevor auf die grundrechtlichen Implikationen eines fachplanerischen Fluglärmschutzes näher eingegangen wird (unter B.), ist zunächst grundsätzlich zu klären, in welcher (Grundrechts-)Funktion Grundrechte der Lärmbetroffenen gegenüber den von einem Verkehrsflughafen ausgehenden immissionen zur Wirkung kommen, insbesondere ob gegenüber den durch den Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgelösten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter die einschlägigen Grundrechte bereits in ihrer Abwehrfunk:tion Geltung beanspruchen, oder ob insoweit auf die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für die betroffenen Schutzgüter rekurriert werden muß. Hierfür muß die Reichweite der beiden Grundrechtsfunktionen sowie ihr Ver-
Vgl. oben, 1. Teil, insb. C. U. und IU.
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliche Achtungspflicht?
81
hältnis zueinander bestimmt werden (unter I. und 11.). Das gefundene Ergebnis ist dann auf den Betrieb eines Verkehrsflughafens anzuwenden (unter III.)
I. Die Abwehrdimension der Grundrechte Nach klassischer liberaler Grundrechtskonzeption begründen die Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Einzelnen gegen die Beeinträchtigung seiner Freiheits- und Eigentumssphäre durch die öffentliche Gewalt. 2 Die Grundrechte sind hiernach staatsgerichtete Unterlassungsansprüche des Einzelnen (negatorische Funktion der Grundrechte). Diesen subjektiven Rechten entsprechen notwendigerweise kongruente Achtungspflichten des Staates3 , denn die staatliche Gewalt ist durch Art. 1 Abs. 3 GG in umfassender Weise an die Grundrechte gebunden. So darf der Gesetzgeber nur durch ordnungsgemäß zustandegekommene Gesetze im Rahmen der ausdrücklichen oder stillschweigenden (verfassungsimmanente Schranken) Gesetzesvorbehalte der Verfassung handeln, der gesetzgeberische Eingriff muß zur Erreichung der intendierten gesetzgeberischen Ziele geeignet und notwendig sein, er darf nicht unverhältnismäßig bzw. unzumutbar sein und er darf das Wesen der Grundrechte nicht antasten. 4 Verwaltung und Rechtsprechung dürfen nur aufgrund eines verfassungsmäßigen Gesetzes in Grundrechte eingreifen. Soweit das Eingriffsgesetz Ermessens- und Beurteilungsspielräume einräumt. sind diese entsprechend den grundrechtlichen Vorgaben wahrzunehmen.
ß. Die Schutzdimension der Grundrechte 1. Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Dritte
a) Ausgangspunkt
Grundrechtliche Schutzgüter können aber nicht nur durch den Staat, sondern auch durch Dritte gefährdet bzw. verletzt werden. Während gegenüber staatlichen Eingriffen die Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte wirken, versagt die negatorische Funktion der Grundrechte bei
2 Vgl. nur Bleckmann, Staatsrecht II, S. 199; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 68; Klein, NJW 1989, 1633; Murswiek, Verantwortung, S. 88. Vgl. zur Achtungsptlicht des Staates Diellein, Schutzptlichten, S. 34; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 107; Hermes, Grundrecht, S. 191; Murswiek, Verantwortung, S. 88. 4 Bleckmann, Staatsrecht II, S. 210; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 23 ff.
6 Hennann
82
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Verletzungen und Gefahrdungen von dritter Seite. 5 Denn die Grundrechte sind notwendigerweise staatsgerichtet; sie gelten nur im Verhältnis Staat - Bürger. 6 Dies ist der Ansatzpunkt einer Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten. Danach erschöpfen sich die Grundrechte nicht in einer bloßen Freiheit vom Staat; sie enthalten darüber hinaus gleichzeitig die Verpflichtung des Gemeinwesens, die in den Grundrechten enthaltene Freiheitsordnung vor Angriffen von dritter Seite zu schützen. Bei der grundrechtlichen Schutzpflicht geht es um das rechtlich gebotene Verhalten des Staates angesichts von Verletzungen und Gefahrdungen grundrechtlich geschützter Güter durch Dritte, insbesondere durch Private. Dem Staat kommt neben der Achtungspflicht auch eine Schutzpflicht im Grundrechtsbereich zu. 7 b) Zurechnung des beeinträchtigenden Drittverhaltens an den StOßt?
Dieser Ansatz wäre allerdings grundsätzlich in Frage zu stellen, wenn es gelänge, auch Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Dritte dem Staat in einer Weise zuzurechnen, daß die Belastungen als hoheitliche Eingriffe anzusehen wären und bereits die Abwehrdimension der Grundrechte aktivieren würden. Der Versuch einer Begründung grundrechtlicher Schutzpflichten wäre dann weithin gegenstandslos. aa) Staatliche Genehmigung In der Tat gibt es Stimmen in der Literatur, die davon ausgehen, daß bereits die staatliche Genehmigung einer privaten Tätigkeit zu einer Zurechnung an den Staat im obigen Sinne führen müßte. 8 Anklänge in diese Richtung finden sich auch in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur baurechtlichen Nachbarklage, wenn eine Berührung grundrechtlicher Positionen (Art. 14 GG) eines Nachbarn dann angenommen wird, "wenn sie [die Genehmigung] bzw. ihre Ausnutzung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändern und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich tref-
Vgl. nur Klein, NIW 1989, 1633. Vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 90; die Lehre von der urunitte1baren Drittwirlrung der Grundrechte ist abzulehnen; dazu Bleckmann, Staatsrecht n, S. 175 ff.; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 102 f. 7
Vgl. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 107; Klein, NIW 1989, 1633. Wobei allerdings wenig Begrundungsaufwand getrieben wird; vgl. z.B. Lawrence, Grundrechtsschutz, S. 35; Schwabe, NVwZ 1983, 523 (524); Suhr, VVDStRL 38 (1980), 351 f.
A. Grundrechtliche Schutzpflicht oder grundrechtliche Achtungspflicht?
83
fen"9. In der "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird eine eigene Mitverantwortung des Staates für etwaige Beeinträchtigungen, die von einem Kernkraftwerk ausgehen, konstatiert, wenn der Staat Genehmigungsvoraussetzungen schaffe und Genehmigungen erteile. 1O Für eine solche Zuweisung könnte schließlich ins Feld geführt werden, daß Drittklagen in diesem Bereich zumindest formal gegen die Erteilung der Genehmigung gerichtet werden und prozessual nicht als Leistungsklagen sondern als Anfechtungsklagen behandelt werden. II Richtig ist sicher, daß die staatliche Genehmigung in rechtlicher Hinsicht "conditio sine qua non" für das beeinträchtigende Verhalten ist. 12 Das ändert aber nichts daran, daß die Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter der Betroffenen, nicht von der Genehmigungserteilung, sondern von dem zugelassenen (privaten) Vorhaben ausgehen. Die privaten Aktivitäten beruhen nicht auf der staatlichen Genehmigung, sondern vielmehr auf der vorstaatlichen natürlichen Freiheit des Individuums und sind dem Bereich grundrechtlicher Freiheitsausübung zuzuordnen. 13 Das gesetzliche Genehmigungserfordernis hemmt diese grundrechtliche Freiheit nur vorübergehend, um sie nach staatlicher Kontrolle durch die Erteilung der Genehmigung wieder freizugeben. 14 Wenn der Staat auf diese Weise den Gebrauch grundrechtlicher Freiheit wegen der damit verbundenen Gefahren für Dritte kontrolliert und beschränkt, so werden damit die durch Gesetz bzw. Einzelmaßnahme (noch) zugelassenen Belastungen und Beeinträchtigungen nicht zu Eingriffen des BVerwGE 32, 73 (179); vgl. auch BVerwGE 64, 274 (279), EinfUgung vom Verfasser. Hermes, Grundrecht, S. 85 f., attestiert dem BVerwG insofern eine Unsicherheit zwischen staatlichem Eingriff (Genehmigung) und privat verursachter Beeinträchtigung (Ausnutzung der Genehmigung); kritisch zur Rechtsprechung des BVerwG auch Schwerdtjeger, NVwZ 1982, 5 (7 ff.); Parodi, BauR 1985,415 (423). 10 BVerfGE 53, 30 (58). Offen bleibt aber, welche grund rechtliche Bedeutung diese Mitverantwortung haben soll, also ob die Verantwortlichkeit auch zu einem Grundrechtseingriff seitens des Staates fuhren soll; darauf weist Rauschning, DVBI. 1980, 831 (832) zurecht hin. II Vgl. z.B. Schwabe, NVwZ 1983, 523 (524). Materiell hat die Genehmigungsabwehrklage aber leistungsrechtlichen Charakter, dem Kläger geht es um die Verhinderung der privatverursachten Beeinträchtigung; vgl. Breuer, in: Festgabe f. BVerwG, S. 89, S. 109; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 84, S. 86; Schwerdtjeger, NVwZ 1982, 5 (7). Eine rein formale Argumentation vermag daher kaum zu überzeugen. 12 Nicht aber in tatsächlicher Hinsicht, denn zu drittverursachten Beeinträchtigungen kann es einerseits auch ohne die (rechtlich erforderliche) Genehmigung kommen; andererseits bleibt es dem Genehmigungsadressaten überlassen, ob er von einer erteilten Genehmigung auch wirklich Gebrauch macht.
13 Zur Problematik einer - real nicht vorhandenen - Trennung zwischen staatlicher und staatlich vorgefundener privater Tätigkeit in diesem Zusammenhang, vgl. Hermes, Grundrecht, S. 86 f. 14 Der Einzelne hat ja im Regelfall einen grundrechtlieh verankerten Anspruch auf Genehmigungserteilung; vgl. dazu Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 85.
84
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Staates. 15 Denn der Staat kommt insoweit lediglich seiner "Schutzaufgabe nach, eine Verantwortungsübernahme kann ihm nicht unterstellt werden. 16 Weder die Genehmigungserteilung, noch die Festlegung der gesetzlichen Genehmigungsvoraussetzungen führen daher zu einer Zurechnung des beinträchtigenden Verhaltens an den StaatY 11
bb) Der Ansatz von Schwabe und Murswiek
Schwabe l8 und weiterführend Murswiek l9 versuchen eine umfassende Zurechnung privater Beeinträchtigungen an den Staat mit der Konstruktion einer umfassenden staatlichen Duldungspflicht an den Drittbetroffenen zu erreichen. Wenn der Staat Eingriffe Dritter in grundrechtliche Schutzgüter nicht untersage, dann erlaube er sie. Mit der staatlichen Erlaubnis sei aber das staatliche Gebot an den Drittbetroffenen verbunden, die von privaten Tätigkeiten ausgehenden Beeinträchtigungen zu dulden. Soweit eine solche Duldungspflicht - wie zumeist - nicht ausdrücklich normiert sei, ergäbe sie sich schon aus der dem Einzelnen obliegenden allgemeinen Friedenspflicht (Selbsthilfeverbot).2O Der Staat beteilige sich "durch rechtliche Regelung, gerichtlichen Ausspruch und vollstreckenden Zugriff" an jeder privaten Verletzungshandlung und müsse sich diese daher zurechnen lassen. 21 Wenn der Staat also beispielsweise eine Regelung über das Maß der rechtlich erlaubten Immissionsbelastung treffe, so greife er damit nicht nur in die Freiheit des Immissionsverursachers ein, sondern schränke zugleich die Grundrechte des Immissionsbetroffenen ein, denn dieser würde durch die gesetzliche Regelung verpflichtet, Belastungen unterhalb des festgesetzten Grenzwertes zu dulden. 22 So zutreffend Rauschning, VVDStRL 38 (1980),167 (184). Auch nicht i.S. einer "Garantieübemahrne". Eine solche kann auch bei besonders gefährlichen Betätigungen nicht schon in der Genehmigungserteilung gesehen werden, sie müßte vielmehr gesetzlich ausdrücklich angeordnet sein; vgl. zu diesem Gesichtspunkt Hermes, Grundrecht, S. 88. 17 Vgl. z.B. Berger, Nachbarklagen, S. 138; Diellein, Schutzpflichten, S. 90 ff.; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 84 ff., S. 88 ff.; Hermes, Grundrecht, S. 86 f.; lAnger, NVwZ 1987, 195 (196); Parodi, BauR 1985,415 (422 f.); Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (182/184); ders., DVBI. 1980, 362 (363); SchwmlIjeger, NVwZ 1982, 5 (7). 18 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; vgl. auch ders., Drittwirkung, S. 65 f.; ders., DVBI. 1973, 103 (109 f.). 19 Murswiek, Verantwortung, S. 61 ff., S. 88 ff., S. 102 ff.; ders., Pflicht des Staates, S.226; ders., WiVerw 1986, 179 (180 ff.); ders., NVwZ 1986, 611 ff.; ders., NVwZ 1987, 481; vgl. auch den ähnlichen Ansatz bei Bock, Umweltschutz, S. 146 f. 20 Vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 92 21 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213. 15 16
22 So Murswiek, Verantwortung, S. 301; ders., NVwZ 1986, 611; insoweit sei das BImSchG auch ein "Immissions-Ermöglichungsgesetz"; dazu Murswiek a.a.O, S. 307 ff.
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliehe Achtungspflicht?
85
Die von Privaten legal verursachten Immissionsbelastungen könnten dem Staat daher kraft staatlichen HandeIns, kraft staatlicher Rechtsetzung zugerechnet werden. 23 Die Konstruktion eines Grundrechtsschutzes gegenüber privaten Beeinträchtigungen über eine Schutzpflicht des Staates würde damit weitgehend überflüssig, da die Grundrechte auch in diesem Bereich bereits als Abwehrrechte wirken könnten. 24 Gegen den Ansatz von Schwabe und Murswiek sind schon mehrfach grundsätzliche Bedenken dargelegt worden. 25 Nur zwei Kritikpunkte seien deshalb kurz herausgehoben: Zum einen verkennt die Anknüpfung der Zurechnung an das allgemeine Gewaltverbot die Funktion dieses Instruments. Es soll die innere Ordnung des Staatswesens aufrecht erhalten werden; insoweit ist der Staat geradezu verpflichtet, zum Schutz der Grundrechtsgüter der Betroffenen im gebotenen Umfang private Selbsthilfe zu verhindern. 26 Aus dieser staatlichen Verpflichtung gleichzeitig die staatliche Zurechnung ableiten zu wollen, erscheint zumindest zweifelhaft. 27 Zum anderen führt eine umfassende und undifferenzierte Zurechnung privater Beeinträchtigungen zu einer weitgehenden Auflösung des Eingriffbegriffs. 28 Der "negatorische Ansatz" läßt sich zudem nicht konsequent durchhalten, wie schon am obigen Beispiel Murswieks deutlich wird: Das Begehren des Immissionsbetroffenen kann nur auf eine Verringerung der Immissionsbelastung gerichtet sein. 29 Dieses Ziel kann aber nur durch aktives staatliches Handeln, nämlich durch die Verschärfung der gesetzlichen Immissionsgrenzwerte erreicht werden. Ein Abwehrrecht gegen die staatlich auferlegte Duldungspflicht bietet hierfür keine Handhabe. In Wirklichkeit geht es um die Frage, ob eine Rechtsverletzung wegen der Nichterfüllung eines staatsgerichteten Leistungsrechts in Gestalt eines Schutzrechts vorliegt. 30 Insoweit räumt Schwabe selbst ein, daß sich ein effektiver Schutz des Betroffenen vor Angriffen Dritter mit den negatorischen Wirkungen der Grundrechte allein nicht er-
23 Murswiek, NVwZ 1986, 611 (612); ders., Verantwortung, S. 65 ff.; vgl. auch Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; ders., DVBI. 1973, 103 (109 f.). 24 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 213 ff.; ders., Drittwirkung, S. 140, S. 145 25 Vgl. z.B. Alexy, Theorie, S. 417 ff.; Dietlein, Schutzptlichten, S. 38 ff.; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 92 ff.; Enders, AöR 115 (1990), 610 (625 f.); Hermes, Grundrecht, S. 93 ff.; Robbers, Sicherheit, S. 128 ff. 26 Vgl. dazu Isensee, in: FS f. Sendler, S. 48 ff.; Dietlein, Schutzptlichten, S. 22. 27 Alexy, Theorie, S. 419; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 94. 28 29
30
Vgl. dazu ausführlich Hermes, Grundrecht, S. 95. Das sieht auch Murswiek selbst so, vgl. Murswiek, Verantwortung, S. 300. Alexy, Theorie, S. 418.
86
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den FluglälIDschutz
reichen läßt. 31 Murswiek hält zwar am grundrechtlichen Abwehranspruch fest, leitet aus ihm aber Rechtsfolgen ab, die mit "Unterlassung" nichts mehr zu tun haben. So wird eine Pflicht des Gesetzgebers konstatiert, grundrechtliche Schutzgüter gegenüber Eingriffen Dritter rechtlich abzuschirmen (primäre Schutzpflicht) und weiterhin die Verpflichtung des Staates, diesen Schutz auch effektiv durchzusetzen (sekundäre Schutzpflichten). 32 Es kann also festgehalten werden: Bei Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Dritte "ermöglicht die Deutung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat keine Lösung" .33 2. Die grundrechtliche Schutzpflicht
Die Akzentuierung dieses grundrechtlichen Aspekts wurde durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eingeleitet. Als "Auftakt"34 der Rechtsprechung zur staatlichen Schutzpflicht wird vielfach die Entscheidung des Gerichts zur Änderung des § 218 StGB35 angesehen, wo zum ersten Mal explizit die Schutzverpflichtung des Staates für ein grundrechtliches Schutzgut ausgesprochen wurde. Vorboten können aber schon in früheren Entscheidungen gefunden werden, so etwa in der "Soraya" - Entscheidung36 , wo zwar nicht formal, aber doch der Sache nach mit Inhalten der Figur "Schutzpflicht" gearbeitet wurde. Auch in der Literatur gab es bereits vor dem Urteil zur Fristenlösung vorsichtige Versuche, eine Pflicht des Staates zum Schutz der durch die Grundrechte gewährleisteten Rechtsgüter und Freiheitsbereiche zu begründen. 37 Auf das Urteil zur Fristenlösung folgten mehrere (Leit-)Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, die sich ausführlich mit der Schutzpflicht des Staates auseinandersetzten. 38 Inzwischen kann 31 Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 219 32 Murswiek, Verantwortung, S.107f., S. 111 ff.; tiers., WiVerw 1986, 179 (181 ff.! 184 ff.). 33 Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 95 34 Isensee, Grundrecht, S. 27 spricht von einem "Paukenschlag " , Hermes, Grundrecht, S. 43, vom "Ausgangspunkt". 35 BVerfGE 39, I ff.; auch das BVerfG selbst sieht in dieser Entscheidung den Beginn seiner eigenen Rechtsprechung zur grundrechtlichen Schutzpflicht; vgl. BVerfGE 56, 54 (73). 36 BVerfGE 34, 269 ff.; vgl. zu dieser Entscheidung Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 109 f. 37 Vgl. etwa Dürig, in: MIHID, GG-Komm., Art. 1 Rn. 45, Rn. 80 f. oder Kloepjer, Entstehungssicherung, S. 19 f. 38 Vgl. z.B. "Schleyer"-Entscheidung, BVerfGE 46, 160 ff.; "Kalkar"-Entscheidung, BVerfGE 49, 89 ff.; "Mülheim-Kärlich"-Entscheidung, BVerfGE 53, 30 ff.; "Düsseldorf-Lohausen"-Entscheidung, BVerfGE 56, 54 ff.; "C-Waffen"-Entscheidung, BVerfGE 77, 170 ff. und zuletzt BVerfG, EuGRZ 1993, 229 (242 ff.).
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die Figur der staatlichen Schutzptlicht als in ständiger Rechtsprechung beider Senate anerkannt gelten. 39 Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat im Schrifttum im Grundsatz breiteste Zustimmung gefunden. 4O Im einzelnen strittig und auch durch die Rechtsprechung des Gerichts nicht zweifelsfrei geklärt ist jedoch die dogmatische Herleitung der grundrechtlichen Schutzptlicht, Umfang, Inhalt und Reichweite der Schutzverptlichtung und inwieweit der Schutzptlicht des Staates ein Schutzanspruch des Einzelnen entspricht. Da diese Problemkreise auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine Rolle spielen - insbesondere für die Frage, aus welcher Grundrechtsfunktion sich die Verptlichtung zum Lärmschutz bei der Planung von Verkehrstlughäfen ergibt und wie weit diese Verptlichtung reicht - soll auf sie hier in der gebotenen Kürze eingegangen werden. a) Herleitung der Schutzpflicht
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht folgert aus dem objektivrechtlichen Gehalt der Grundrechte, aus dem Wesen der Grundrechte als "objektive Wertentscheidungen" die Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die in ihnen benannten Rechtsgüter zu stellen, ohne diesen Ansatz allerdings näher zu begründen. 41 In den ersten Entscheidungen zur staatlichen Schutzptlicht wird zusätzlich auch auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG hingewiesen. So ergibt sich die Schutzptlicht des Staates nach dem Fristenlösungsurteil "darüber hinaus" auch aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG42 und in der "Schleyer"-Entscheidung findet sich die Aussage, "Art. 2 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG
39 Vgl. auch BVerfGE49, 24ff.; BVerfG, NIW 1983, 2931 ff.; BVerfG, NIW 1987, 2287 ff.; BVerfGE 79, 174 ff. 40 Vgl. z.B. Alexy, Theorie, S. 410 ff.; Bleckmann, Staatsrecht U, S. 235 ff.; Dietlein, Schutzpflichten, S. 62 ff.; Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 119 ff.; Gallwas, Grundrechte, S. 62 ff.; Hesse, Grundrechte, S. 27 ff.; Hofmann, Rechtsfragen, S. 87, S. 309 ff.; Isensee, Grundrecht, S. 27 ff.; Klein, NIW 1989, 1633; PierothlSchlink, Grundrechte, S. 27 f.; Robbers, Sicherheit, S. 121 ff.; Seewald, Gesundheit, S. 22 ff., S. 59 ff.; Soell, NuR 1985, 205 (207); weitere Nachweise etwa bei Hermes, Grundrecht, S. 62 Fn. 125-127; Stimmen, die die Rechtsprechung des BVerfG zur staatlichen Schutzpflicht grundsätzlich in Frage stellen, sind vereinzelt geblieben, vgl. etwa Goerlich, NIW 1981,2616; ders., DÖV 1982, 831 (633); zum Ansatz von Schwabe und Murswiek siehe schon oben 1. 41 Vgl. insb. BVerfGE 39, 1 (41 f.); BVerfGE 49, 89 (141 f.); BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 56,54 (73); BVerfGE 77, 170 (214); vgl. zum objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte nach der Rechtsprechung des BVerfG auch ausführlich !arass, AöR 110 (1985), 363 ff. 42 BVerfGE 39, 1 (42).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
verpflichte den Staat jedes menschliche Leben zu schützen "43. In späteren Entscheidungen tritt dann aber Art. 1 Abs. 1 GG in den Hintergrund44 und fehlt schließlich ganz, während die Betonung auf den objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte gelegt wird45 • Im Schrifttum wird mit engem Bezug zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die grundrechtliche Schutzpflicht vielfach ebenfalls aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte hergeleitet; teilweise wird auch ergänzend auf Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zurückgegriffen. 46 Nach Hojmo.nrz47 kann den Grundrechten "im sozialen, um der Würde des Menschen willen auf umfassenden Grundrechtsschutz festgelegten Rechtsstaat des Grundgesetzes nicht nur die Funktion zukommen, individuelle Freiräume auszugrenzen". Diese Formulierung weist auf Ansätze einer Begründung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S.2 GG, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip hin. 48 Dahinter steht die Vorstellung einer zunehmenden Bedrohung durch die technisch-industrielle Gesellschaft mit ihren besonderen Gefahrdungspotentialen. Es bedürfe daher einer Erweiterung der Grundrechtsfunktion in Richtung auf eine Schutzpflicht des Staates. 49 Daneben finden sich vor allem stärker staatstheoretisch, ideengeschichtlieh orientierte Begründungsansätze. Nach Alexy50 kann der durch den Übergang vom vorstaatlichen zum staatlichen Zustand bedingte, weitgehende Verzicht auf Selbstschutzrechte nur dann rational gerechtfertigt werden, wenn der Einzelne für diesen Verzicht ein Recht auf staatlichen Schutz erhält. Ähnlich Steigers I , der in der staatlichen Schutzpflicht (aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) eine Konkretisierung und Positivierung der immer schon bestehenden und den modemen Staat legitimierenden Funktion sieht, seine Bürger vor inneren und 43
BVerfGE 46, 160 (164).
44
BVerfGE 49, 89 (141 f.).
Vgl. z.B. BVerfGE 53, 30 (57). In seiner jüngsten Entscheidung zur grundrechtlichen Schutzpflicht, der zweiten Entscheidung zu § 218 StGB, sieht das BVerfG allerdings wieder ausdrücklich den Grund der Schutzpflicht in Art. I Abs. I GG, während ihr Gegenstand und von ihm her - ihr Maß durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt werde; vgl. BVerfG, EuGRZ 1993, 228 (242). 46 Vgl. Benda, UPR 1982, 241 (243); Hesse, Grundzüge, S. 139 f. Rn. 350 und S. 118 ff. Rn. 290 ff.; Marburger, WiVerw 1981, 241 (245); Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (183); Sleinberg, NIW 1984, 457 (458). 47 Hofmann, Rechtsfragen, S. 309. 45
48 Ähnlich auch v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., VVDStRL 30 (1972), 43 (94 f.). 49 Hesse, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 95, S. 103. 50 Alexy, Theorie, S. 415.
51
Sleiger, in: Grundzüge des Umweltrechts, S. 33.
Art.2
Rn. 46;
Häberle,
A. Grundrechtliehe Schutzptlicht oder grundrechtliche Achtungsptlicht?
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äußeren Gefahren zu bewahren. In einer ideengescbichtlichen Untersuchung weist Isense&2 nach, daß sich der neuzeitliche Staat durch die Gewährung von Sicherheit für seine Bürger rechtfertigt. So verstanden, ist die grundrechtliche Schutzpflicht im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine "Wiederaktualisierung"53, eine "Ausfaltung des ursprünglichen Sinngehalts"54 der Grundrechte; Grundrechte konkretisieren die selbstverständliche Sicherheitsaufgabe des Staates, indem sie bestimmen, welche Rechtsgüter der Staat gegen Angriffe Dritter zu schützen hat.
Dirnberge,-55 greift ideengescbichtliche und teleologische Argumentationslioien auf und begründet mit Hilfe der klassischen Auslegungsregeln, daß die Pflicht des Staates, seine Bürger vor Eingriffen Dritter in grundrechtlich geschützte Freiheitsbereiche zu schützen, eine allgemeine Grundrechtsfunktion darstellt56 . Neben einer ideengeschichtlichen Betrachtung der Grundrechte 52 Isensee, Grundrecht, S. 17, S. 21. Der ideengeschichtliche "Bogen" Isensees spannt sich von den staatsphilosophischen Ansätzen Hobbes, der die Aufgabe des Staates und die Legitimation seiner Existenz in der Herstellung einer Gesamtordnung der Sicherheit sieht, über die Formulierung einer Staatspflicht Sicherheit im aufgeklärten Preußen, bis hin zur Nonnierung von Grundrechten auf Schutz in den amerikanischen und französischen Verfassungen Ende des 18. Jahrhunderts; vgl. zum ideengeschichtlichen Begründungsansatz auch Diellein, Schutzpflichten, S. 22; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 124 ff.; Hermes, Grundrecht, S. 148 ff.; Robbers, Sicherheit, S. 27 ff.; SIern, Staatsrecht Bd.lIl/l, S. 932 ff.; Wille, Staatshaftung, S. 45 ff. und die umfangreichen Nachweise bei Bock, Umweltschutz, S. 152 f., die bis in die Antike zurückgehend belegen, daß nach einhelliger Auffassung der Staatslehre, die Sicherung des inneren Friedens und damit der Schutz des Bürgers schon immer notwendige Bedingung für die Rechtfertigung des Staates war. 53
54 55 56
So Böckeriförde, in: Freiheit in der sozialen Demokratie, S. 77, S. 80. So Robbers, Sicherheit, S. 121. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 119 ff.
Das Bundesverfassungsgericht hat allerdings die staatliche Schutzpflichtung bisher im wesentlichen nur für das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betont; vgl. z.B. BVerfGE 39, I (41 f.); BVerfGE 46, 160 (164 f.); BVerfGE 49, 89 (142); BVerfGE 56, 54 (73); BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 77, 370 (402 f.); BVerfGE 79, 174 (201 f.). Daraus kann aber wohl nicht der Schluß gezogen werden, daß nach Auffassung des Gerichts staatliche Schutzpflichten nur für dieses Grundrecht bestehen sollen. Dagegen spricht schon, daß im Einzelfall auch für andere Grundrechte eine Schutzverpflichtung angenommen oder dies zumindest angedeutet wurde, vgl. etwa für die Freiheit der Person, BVerfGE 49, 24 (53), für die Wissenschaftsfreiheit, BVerfGE 55, 37 (68), für die Eigentumsgarantie, BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1983, 2931 (2932), für die Berufsfreiheit, BVerfGE 81, 242 (255); zur Schutzpflicht des Staates für die Familie aus Art. 6 Abs. I i.V.m. Abs. 2 GG vgl. BVerfGE 6, 55 (72); BVerfGE 76, I (49); zuletzt BVerfGE 80, 81 (92 f.), dort als ständige Rechtsprechung bezeichnet. Dagegen spricht aber auch der generalisierende Begründungsansatz des Gerichts. So wird im "Kalkar-Beschluß", BVerfGE 49, 89 (141 f.), allgemein festgestellt, daß Grundrechte objektive Wertentscheidungen der Verfassung darstellten, aus denen sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben könnten. Auch das BVerfG faßt also das "Schutzpflichtgebot" wohl als allgemeinen Grundsatz auf, der nur bei Art. 2 Abs. 2 S. I GG wegen des Gewichts der hier geschützten Rechtsgüter besonders ernst zu nehmen ist, aber auch im übrigen Grundrechtsbereich nicht ausgeschlossen ist; so auch SIern, Staatsrecht Bd. IIIIl, S. 944, zur Rechtsprechung des Gerichts. In der Literatur besteht insoweit weitgehende Einigkeit, daß die grundrechtliche
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
determiniert vor allem die Garantie der Menschenwürde als tragendes Konstitutionsprinzip der Verfassung die Interpretation der Einzelgrundrechte, deren Bedeutungsgehalt sich danach keinesfalls auf die bloße Abwesenheit von staatlicher Gewalt beschränken kann, sondern den Schutz der materiellen Freiheit mitumfassen muß. Das Grundgesetz hat eine Grundentscheidung für den Schutz materieller Freiheit getroffen, die allein durch die Abwehrfunktion der Grundrechte nicht gewährleistet werden kann.
b) Begrijfund Wesen der Schutzpflicht - Abgrenzung zur Achtungspflicht Nach wie vor bestehen Unklarheiten über Begriff und Wesen der grundrechtlichen Schutzpflicht. Wenn das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zur Fristenlösung formuliert: "Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur - selbstverständlich - unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, d.h. vor allem es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren"s7, so impliziert dies insbesondere zwei Fragestellungen. Zum ersten: Ist die Schutzpflicht des Staates umfassend in dem Sinne, daß sie nicht nur gegenüber nichtstaatlichen Eingriffen und Belastungen bestehtS8 , sondern auch bei unmittelbar staatlichen Belastungen? Umfaßt also der Begriff der staatlichen Schutzpflicht auch die Achtungspflicht der staatlichen Organe als Kehrseite des grundrechtlichen Abwehranspruchs? Zum zweiten: Verlangt die staatliche Schutzpflicht nur eine abwehrend verhindernde Tätigkeit des Staates oder ist sie auch Grundlage für darüber hinausgehende Förderungs- und Leistungspflichten des Staates? Die aufgeworfenen Fragen werden in der Literatur unterschiedlich beantwortet. Während die wohl herrschende LehreS9 die Schutzpflicht des Staates Schutzpflicht zum Bestandteil der allgemeinen Grundrechtsdogmatik gehört; vgl. die Nachweise bei Stern, Staatsrecht Bd. IßIl, S.944; vgl. auch Jarass, AöR 110 (1985), 363 (380); einschränkend Soell, NuR 1985, 205 (207): jedenfalls rur Grundrechte, die personale Grundbeziehungen sichern wollen. Grundrechte ohne Schutzpflicht sind die Ausnahme; dazu Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 157 ff. S7 BVerfGE 39, 1 (42); im Mittelpunkt der Rechtsprechung des BVerfG steht dann aber der Schutz vor Eingriffen Dritter; vgl. etwa BVerfGE 49, 89 (142); BVerfGE 53, 50 (57); gleichwohl ist die staatliche Schutzpflicht nach Ansicht des BVerfG wohl nicht auf den Schutz vor privaten Eingriffen beschränkt; vgl. aus jüngerer Zeit insb. BVerfGE 79, 174 (201 f.); Prüfungsgegenstand war dort der Bebauungsplan einer Gemeinde. S8 Zur Problematik grundrechtlicher Schutzpflichten bei sog. Selbstgefahrdungen vgl. z.B. BVerfGE 59, 275; BVerfG, NJW 1987, 180; Dehner/Jahn, JuS 1988, 30; Dietlein, Schutzpflichten, S. 223 ff.; lisken, NJW 1985, 3053; v.Münch, in: FS f. Ipsen, S. 113 ff. S9 Vgl. z.B. Alexy, Theorie, S. 410; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 276; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 118; Hermes, Grundrecht, S. 98, S. 190; Hesse, Grundzüge, S. 140
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auf die Verpflichtung des Staates beschränkt sieht, Grundrechtsgüter und Freiheitsbereiche vor Beeinträchtigungen von dritter Seite zu schützen, will etwa Robbers(fJ unter den Begriff Schutzpflicht auch den Schutz vor Naturkatastrophen u.ä. subsumieren. 61 Weitergehend erkennen Pieroth/SchlinK'2 Schutzpflichten sowohl gegenüber drohenden Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter von seiten Dritter als auch von seiten des Staates selbst an; in beiden Richtungen soll sich der Staat schützend vor die Grundrechte stellen. Hinsichtlich der Art des Tätigwerdens des Staates werden teilweise der Schutzpflicht sämtliche aktiven Maßnahmen des Staates zugeordnet, die es dem Einzelnen ermöglichen bzw. ihn darin unterstützen, seine grundrechtliche Freiheit auch praktisch zu betätigen, also neben abwehrend verhindernden Maßnahmen beispielsweise auch finanzielle Leistungen des Staates oder die Bereitstellung und Vorhaltung staatlicher Leistungen. 63 SteigerM beispielsweise spricht von "negativen" und "positiven Schutzpflichten" und versteht unter letzteren "die Pflicht (des Staates), positiv leistend, fördernd, Maßnahmen zum Schutz des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit zu treffen". Um dem Begriff der Schutzpflicht klare Konturen zu erhalten, muß m.E. aber deutlich zwischen staatlicher Schutzpflicht, staatlicher Achtungspflicht und den Leistungs- und Teilhabefunktionen der Grundrechte differenziert werden; die Begriffe bezeichnen jeweils eigenständige Grundrechtsfunktionen: Gegenüber staatlicherseits verursachten Beeinträchtigungen bzw. Gefahrdungen der Grundrechtsgüter und der grundrechtlichen Freiheitsbereiche, wirken die Grundrechte in ihrer klassischen Abwehrfunktion. Dem liegt konstruktiv ein zweiseitiges Rechtsverhältnis, grundrechtsgefahrdender Staat Rn. 350; Isensee, Grundrecht, S. 34 ff.; Klein, NJW 1989, 1633; Stern, Staatsrecht Bd. IIIIl, S.946. (fJ Robbers, Sicherheit, S. 124. 61 Ähnlich Dietlein, Schutzpflichten, S. 102 ff. 62 Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 28 Rn. 103. 63 Etwa Badura, in: FS f. Steinberger, S. 490; Hoppe/Beckrnann, Umweltrecht, S. 66 Rn. 58; einschränkend Benda, UPR 1982, 241 (243 f.); vgl. auch Grimm, NVwZ 1985, 865 (867 f.); nach Stern, Staatsrecht Bd. III!1, S. 949, können aus den Schutzpflichten sekundäre (finanzielle oder tatsächliche) Förderpflichten erwachsen.
64 Steiger in: Berberich u.a. (Hrsg.), S. 272 ff. Auch das BVerfG sieht in seiner neuesten Entscheidung zur grundrechtlichen Schutzpflichtung die Schutzpflicht des Staates gegenüber dem ungeborenen Leben nicht allein darauf beschränkt, daß er Angriffe abwendet, die von anderen Menschen drohen; der Staat müsse vielmehr auch den Gefahren entgegentreten, die fiir dieses Leben in den gegenwärtigen und absehbaren Lebensverhältnissen der Frau und der Familie begründet lägen; vgl. BVerfG, EuGRZ 1993, 228 (245).
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grundrechtsberechtigtes Individuum, zugrunde. Dem Abwehranspruch des Individuums entspricht eine Achtungspflicht des Staates. In diesem Zusammenhang von einer Schutzpflicht des Staates zu sprechen, ist irreführend; es geht hier nicht um eine (positive) Schutzverpflichtung des Staates vor sich selbst, sondern um Achtungspflichten der staatlichen Organe, die sich bereits aus der negatorischen, staatsabwehrenden Funktion der Grundrechte ergeben. Gehen die Beeinträchtigungen und Gefährdungen der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter nicht vom Staat, sondern von einem (privaten) Dritten aus, so wird aus dem zweiseitigen Rechtsverhältnis eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Grundrechtsgeschützten, dem Beeinträchtiger des grundrechtlichen Schutzgutes und dem Grundrechtsschützer Staat. 65 Diese Dreieckskonstellation führt zu einem Rollenwechsel des Staates; er wird vom (potentiellen) Beeinträchtiger der Grundrechte zum Grundrechtsschützer oder. wie Isensee"6 es ausdrückt, "vom Widersacher zum Garanten". Die Achtungspflicht des Staates wird zur staatlichen Schutzpflicht. Der Staat hat im Ergebnis die Grundrechte nicht nur negativ zu achten, sondern sie auch positiv zu schützen. Dabei handelt es sich um zwei Aspekte derselben Sache, nämlich der U nversehrtheit der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter. Unter dem Achtungsaspekt hat der Staat Übergriffe in den grundrechtlich geschützten Freiheitsbereich zu unterlassen, unter dem Schutzaspekt hat der Staat solche Übergriffe von seiten Dritter zu unterbinden. 67 So verstanden, steht also der Terminus "staatliche Schutzpflicht" für die abwehrend-verhindernde Tätigkeit des Staates gegenüber Beeinträchtigungen von Grundrechtsgütern durch Dritte. Hiervon sind Leistungs- und Teilhabefunktionen der Grundrechte strikt zu trennen. Denn dort geht es nicht um Sicherheit, nicht um den Schutz des Grundrechtsgutes vor Beeinträchtigungen und Gefährdungen, sondern um die Verschaffung der tatsächlichen Voraussetzungen zur Ausübung von Freiheitsrechten, also um "Grundrechtsvoraussetzungsschutz ". 68 65 Vgl. Stern, Staatsrecht Bd. IßIl, S. 945 f. Nicht eindeutig ist aber die Tenninologie Sterns, der von einem Rechtsdreieck Grundrechtsgeschützter - Grundrechtsbeeinträchtiger Grundrechtsschützer ausgeht. Dies suggeriert, daß der Dritte Grundrechte beeinträchtigt; Grundrechtsverpflichteter ist aber nur der Staat, nicht der Dritte; der Dritte beeinträchtigt genaugenommen die durch die Grundrechte geschützten Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit usw.; vgl. dazu Murswiek, Verantwortung, S. 90; zum Dreiecksverhältnis als Ergebnis der Schutzpflichtdogmatik auch Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (556). 66 Vgl. Isensee, Grundrecht, S. 32. 67 Nach Isensee, Grundrecht, S. 21, S. 33, bilden die Schutzaspekte in ihrer Gesamtheit das Grundrecht auf Sicherheit; Sicherheit und Freiheit bezeichnen die Unversehrtheit der Rechtsgüter, erstere im Verhältnis zu Privaten, letztere im Verhältnis zur öffentlichen Gewalt. 68 Vgl. Hermes, Grundrecht, S. 200 f.; Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 118.
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c) Umfang, Reichweite und Grenzen der grundrechtlichen Schutzpflicht
Die grundrechtliche Schutzpflicht ist wegen Art. 1 Abs. 3 GG an alle drei Staatsfunktionen adressiert, also an die Legislative, aber auch an die Exekutive und die Judikative69 , die je nach ihrer AufgabensteIlung zur Durchsetzung berufen sind. Da die staatliche Schutzgewährung aber regelmäßig zu einer Grundrechtseinschränkung auf Seiten des "Störers" führt, folgt schon aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, daß in erster Linie der Gesetzgeber Adressat der grundrechtlichen Schutzverpflichtung sein muß. 70
Ihm kommt die Aufgabe zu, die individuellen Freiheitsbereiche von "Störer" und "Betroffenem" unter Beachtung von Optirnierungsgrundsätzen abzugrenzen. Es ist ein verhältnismäßiger Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechtspositionen herbeizuführen. 71 Bei der gesetzgeberischen Abwägung können neben den Grundrechtspositionen von "Störer" und "Betroffenem", auch Gemeinschaftsgüter eine wesentliche Rolle spielen. 72 Wenn also Betätigung grundrechtlicher Freiheit andere grundrechtlich geschützte Güter beeinträchtigt und zur Lösung dieser "Grundrechtskollision " keine oder nicht ausreichende rechtliche Regelungen zur Verfügung stehen, hat der Gesetzgeber solche Regelungen zu schaffen bzw. nachzubessem. 73 Aber schon die (bloße) Gefährdung grundrechtlicher Schutzgüter kann die Schutzverpflichtung auslösen. Der Gesetzgeber kann verpflichtet sein, rechtliche Regelungen so auszugestalten, "daß auch die Gefahr einer Grundrechtsverletzung eingedämmt bleibt"74. Ob, wann und mit welchem Inhalt eine Regelungsverpflichtung des Gesetzgebers besteht, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, sowie von den schon vorhandenen Regelungen 69 A.A. wohl ScherdJerg, Jura 1988, 455 (456); Sreinberg, NJW 1984, 457 (459); PodJech, in: GG-AK, Art. 2 Abs. 2 Rn. 38. 70 Vgl. Hermes, Grundrecht, S. 209; Schmidr-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (207); Sreiger in: Salzwedel (Hrsg.), S. 44; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (559); auch die Abstraktheit und Konkretisierungsbedürftigkeit der grundrechtlichen Schutzverpflichtung fordern eine "Gesetzesmediatisierung", vgl. dazu Isensee, Grundrecht, S. 44; Srern, Staatsrecht Bd. IßIl, S. 951. 71 Vgl. insb. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 166.
72 Darauf weist insb. Alexy, Theorie, S. 424 f. hin. Vgl. auch den "Mülheim-Kärlich"-Beschluß des BVerfG CE 53, 30 [57]), wo von der Aufgabe des Staates die Rede ist, "unter Berücksichtigung der Allgemeinwohlbelange einen Ausgleich zwischen den Grundrechtspositionen gefährdeter Bürger einerseits und der Betreiber andererseits herbeizufuhren ". Solche mehrdimensionalen grundrechtlichen Beziehungen bestehen aber umgekehrt letztlich auch in typischen Abwehrkonstellationen, wo sich die Gemeinschaftsgüter in deren Interesse eine Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit gerechtfertigt wird, häufig auf private Interessen und Rechtsgüter zurückfuhren lassen, vgl. Alexy, Theorie, a.a.O. und Hermes, Grundrecht, S. 202 ff. 73 Vgl. nur Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 166. 74 BVerfGE 49, 89 (140 ff.); BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 56, 54 (78).
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ab"75. So kann beispielsweise schon die entfernte Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts angesichts Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie ausreichend sein, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen. 76 Andererseits soll die Schutzpflicht vom Gesetzgeber auch bei extremen potentiellen Schäden nicht eine Regelung fordern, die mit absoluter Sicherheit eine Schädigung ausschließt. Denn das hieße "die Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens zu verkennen und würde weithin jede staatliche Zulassung von Technik verbannen; für die Gestaltung der Sozialordnung muß es sich insoweit bei Abschätzungen anband praktischer Vernunft bewenden "77. Der Schutzpflicht soll also genügt sein, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik "praktisch" ausgeschlossen ist, daß Schadensereignisse eintreten können. "Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle praktischer Vernunft haben ihre Ursache in den Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens; sie sind unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von den Bürgern zu tragen" .78 Hinsichtlich der Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflicht, der Art und Weise ihrer Verwirklichung, steht dem Gesetzgeber grundsätzlich ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum ZU. 79 Denn während jeder staatliche Eingriff in ein Grundrecht, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist, eine Grundrechtsverletzung darstellt, die staatliche Achtungspflicht also ein Unterlassen dieses Eingriffs fordert, schuldet der Staat bei der Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter von dritter Seite zwar die Abwehr der Beeinträchtigung, ihm stehen aber in der Regel mehrere Schutzmöglichkeiten zu. 80 Die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesetzgebers sind allerdings nicht unbegrenzt. Insoweit ist noch einmal darauf zu verweisen, daß die gesetzliche Regelung einerseits dem in seinen grundrechtlich geschützten Gütern Betroffenen ausreichenden Schutz gewähren muß, andererseits aber durch die gesetzliche Regelung der Freiheitsbereich des beeinträchtigenden Dritten nicht unver-
75 BVerfGE 49, 89 (142); BVerfGE 56, 54 (78). 76 BVerfGE 49, 89 (142). BVerfGE 49, 89 (143); vgl. auch Soell, NuR 1985,205 (208). BVerfGE 49, 89 (143); teilweise wird in diesem Zusammenhang von "unvermeidlichem Restrisiko" gesprochen, so z.B. lsensee, Grundrecht, S. 41 f. oder Stern, Staatsrecht Bd. 11I/1, S. 953 m.w.N.; vgl. zur grundrechtlichen Relevanz der Begriffe "Gefahr" und "Risiko" ausführlicher unten B. I. 1. b. aa. 79 BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 79, 174 (202); lsensee, Grundrecht, S. 37, S. 40; vgl. jetzt auch BVerfG, EuGRZ 1993,228 (245). 80 So Klein, NJW 1989, 1633 (1637) und Alexy, Theorie, S. 420 f.; vgl. schon BVerfGE 39, 1 (44). 77
78 So
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hältnismäßig eingeschränkt werden darf. 81 Die zu treffende Kollisionslösung, die konkrete Festlegung der Trennlinie zwischen den sich überschneidenden Freiheitsbereichen, wird daher maßgeblich durch die Qualität des betroffenen Rechtsguts, die Intensität des Betroffen- bzw. Gefährdetseins, aber auch von den Rechtseinbußen, die eine gesetzliche Regelung für den Dritten mit sich bringen kann, bestimmt. 82 Die gesetzlichen Vorkehrungen müssen jedenfalls geeignet sein, dem beeinträchtigten Rechtsgut ausreichend wirksamen Schutz zu gewähren. 83 Dabei kann sich im Einzelfall eine Reduzierung des gesetzgeberischen Gestaltungsermessens auf Null ergeben, wenn nur ein Mittel zur Schutzgewährleistung geeignet ist. 84 Nicht nur der Gesetzgeber, auch Behörden und Gerichte sind an die Schutzverpflichtung gebunden (Art. 1 Abs. 3 GG). Denn die aufgrund der staatlichen Schutzverpflichtung erlassenen Gesetze müssen auch vollzogen, der Vollzug muß kontrolliert werden. Verwaltung und Rechtsprechung obliegt insoweit die Konkretisierung der vom Gesetzgeber getroffenen Kollisionslösung im Einzelfall. Im Exekutivbereich kann die Schutzpflicht insbesondere die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe sowie die Ausübung des Ermessens determinieren; den Verwaltungsgerichten obliegt die Kontrolle des Vollzugs der gesetzlichen Kollisionslösungen. 85
d) Schutzpflicht und Schutzanspruch Entspricht der grundrechtlichen Schutzpflicht auch ein mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbarer Anspruch des Betroffenen auf Schutz, oder anders gewendet, entspricht der objektiven Pflicht des Staates zum Schutz der Grund81 D.h., wenn der Staat in Erfilllung der Schutzpflicht gegen den beeinträchtigenden Dritten vorgeht, muß der gesetzliche Eingriff den Grundrechten des Dritten standhalten; so lsensee, Grundrecht, S. 44. 82 Vgl. grundlegend BVertGE 39, I (42) und zuletzt BVertG, EuGRZ 1993, 228 (243/245). 83 Nach BVertG, EuGRZ 1993, 228 (243) ist ein - unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter - angemessener Schutz notwendig; entscheidend ist, daß er als solcher wirksam ist. Die Vorkehrungen müssen zudem auf sorgfaltigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen (verläßliche Prognose der Schutzwirkung). Diese Anforderungen werden unter Berufung auf lsensee (in: Handbuch des Staatsrechts, § 1II Rn. 165 f.) als UnlermaßverboI bezeichnet. Die Richter Mahrenholz und Sommer weisen insoweit in einem Sondervotum zu dieser Entscheidung zutreffend darauf hin, daß der Abwägungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers durch das Untermaßverbot gegenüber dem zu schützenden Rechtsgut und durch das Übermaßverbot gegenüber entgegenstehenden RechtsgOtem, letztlich also durch das Verhälmismäßigkeilsprinzip bestimmt wird (vgl. EuGRZ, a.a.O., S. 268). 84 Vgl. BVerfGE 77,170 (215); Soell, NuR 1985, 205 (207). 85 Vgl. auch Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 168; SIern, Staatsrecht Bd.IWI, S. 951 f.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
rechtsgüter des Einzelnen auch ein subjektives Recht des Einzelnen auf Schutz? Das Bundesverfassungsgericht hat sich der Frage eines grundrechtlichen Schutzanspruchs nur langsam genähert. Ausgehend von der Vorstellung objektiv-rechtlicher, aus der Grundrechtsordnung herzuleitender Schutzpflichten, in ausdrücklicher Abgrenzung zu subjektiven Abwehrrechten gegen staatliche Eingriffe, stand das Gericht einer "Subjektivierung" der Schutzpflicht lange Zeit eher skeptisch gegenüber. 86 In der grundlegenden Entscheidung zur Fristenlösung wird die Frage ausdrücklich offengelassen. g] In späteren Schutzpflichtentscheidungen wird dann zwar teilweise die Zulässigkeit einer (entsprechenden) Verfassungsbeschwerde bejaht88 bzw. zumindest unterstellt89 ; daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, das Gericht habe damit auch die Existenz eines Schutzanspruchs anerkannt. Denn es nimmt in ständiger Rechtsprechung für sich in Anspruch, im Rahmen einer zulässigen Verfassungsbeschwerde unabhängig von subjektiven Rügebefugnissen auch Verstöße gegen bloß objektives Verfasssungsrecht zu prüfen und seine Entscheidung auch darauf zu stützen. 90 In der "Fluglärm"-Entscheidung wird ein Schutzanspruch des Einzelnen zumindest grundsätzlich für möglich gehalten. Eine Verfassungsbeschwerde könne aber jedenfalls nur dann erfolgreich sein, wenn der Gesetzgeber seine Schutzpflicht evident verletzt habe. Denn die Entscheidung über die Art und Weise der Schutzpflichterfüllung obliege nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung und dem demokratischen Prinzip dem vom Volk unmittelbar legitimierten Gesetzgeber. 91 Eindeutig dann allerdings die Stellungnahme des Gerichts im "C-Waffen"-Beschluß; werden grundrechtliche Schutzpflichten verletzt, "so liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann". Allerdings komme dem Gesetzgeber und auch der öffentlichen Gewalt92 bei 86 Einen ausfiihrlichen Überblick zur Rechtsprechung des BVerfG geben Alexy, Theorie, S. 411 ff. und Robbers, Sicherheit, S. 131 ff. g] BVerfGE 39, 1 (41 f.); ähnlich BVerfGE 40, 141 (177 f.), wo sinngemäß ausgefiihrt wird, daß die staatlichen Schutzpflichten noch nichts über die Existenz eines Schutzanspruchs aussagen würden. 88 BVerfGE 46, 160 (163 f.); vgl. auch BVerfGE 53, 30 (48/57 f.). 89 BVerfGE 56, 54 (70 ff.). 90 So Robbers, Sicherheit, S. 133; vgl. etwa BVerfGE 17, 252 (258); BVerfGE 31, 313 (333); BVerfGE 42, 312 (325 f.); BVerfGE 53, 366 (390). 91 BVerfGE 56, 54 (80 f.).
92 Dagegen Dimberger, DVBI. 1992, 879 (881 ff., insb. 882) mit guten Gründen. Zwar ist auch die Exekutive Addessat der grundrechtlichen Schutzpflicht (vgl. oben c.). Die grundrechtliche Schutzpflicht erweitert jedoch nicht das der Verwaltung eingeräumte Ermessen, son-
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Erfüllung der Schutzpflicht ein weiter Gestaltungsspielrawn zu, der Anspruch sei daher grundsätzlich nur darauf gerichtet, daß die öffentliche Gewalt Vorkehrungen zwn Schutze des Grundrechts trifft, die nicht gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich sind. Unter bestimmten besonderen Umständen könne sich diese Gestaltungsfreiheit aber in einer Weise verengen, daß allein durch eine bestimmte Maßnahme der Schutzpflicht Genüge getan wird. 93 Die Stellungnahmen in der Literatur zu einem grundrechtlichen Schutzanspruch bieten ein uneinheitliches Bild. Sie reichen von strikter Ablehnung bis hin zu uneingeschränkter Bejahung. 94 Gegen einen Schutzanspruch wird vor allem ins Feld geführt, der Schutzverpflichtung fehle es an Konkretheit, ihre Erfüllung stehe im Ermessen des Gesetzgebers; mangels aus der Verfassung ableitbarer Maßstäbe und Direktiven könne es daher einen justiziablen Anspruch gegen den Gesetzgeber nicht geben. 95 Außerdem würde ein Schutzanspruch die Kompetenz zwischen Gesetzgeber und Verfassungsgerichtsbarkeit in funktionell-rechtlich bedenklicher Weise verschieben. 96 Die angeführten Argwnente stehen aber bei einer genaueren Betrachtung einem grundrechtlichen Recht auf Schutzgewährung nicht entgegen: Die Lehre von der mangelnden lustiziabilität eines grundrechtlichen Schutzanspruchs stützt sich vor allem darauf, daß die aus den Grundrechten abzuleidem beschränkt vielmehr den der VeIWaltung vom Gesetzgeber als Ausfluß seiner Gestaltungsfreiheit eingeräumten Ermessensbereich. 93 BVerfGE 77, 170 (214 f.); bestätigend BVerfGE 79, 174 (202); vgl. auch BVerfGE 76, 1 (49 f.); Unzutreffend ist insoweit die Kritik Dirnbergers, Recht auf Naturgenuß, S. 170, das BVerfG gehe im "C-Waffen"-Beschluß von einem subjektiven Charakter der Schutzpflicht erst bei ihrer evidenten Verletzung aus. Das "Evidenzerfordernis" bezieht sich nämlich bei genauer Betrachtungsweise nicht auf die Existenz eines Schutzanspruchs (vgl. BVerfGE 77,170 [214]: Jeder Schutzpflichtverletzung entspricht grundsätzlich ein Anspruch auf Schutz), sondern auf die PlÜfungs- und Entscheidungsbefugnis des Gerichts. Nur wenn der Gesetzgeber eine erforderliche Regelung ganz unterläßt oder die getroffene Regelung offensichtlich ungeeignet ist, kann das BVerfG wegen des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers einen Verstoß gegen die grundrechtliche Schutzpflicht aussprechen; auch Dirnberger bejaht ja an anderer Stelle insoweit eine vom BVerfG zu beachtende Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, vgl. Dirnberger a.a.O., S. 174; vgl. auch Klein, NJW 1989. 1633 (1637). 94 Siehe i.E. die Nachweise bei Robbers, Sicherheit, S. 122 und Diellein, Schutzpflichten, S. 145 ff. 95 Vgl. dazu Klein, in: FS f. Weber, S. 643, S. 652; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (183); Rupp, JZ 1971, 401 (402); Sailer, DVBI. 1976, 521 (529); Scholz, JuS 1976, 232 (236), wobei aber zumindest in Ausnahmekonstellationen übelWiegend doch ein Klagerecht eingeräumt wird. 96 Siehe dazu Sleinberg, NJW 1984,457 (461); Badura, in: FS f. Eichenberger, S. 491 f.; Hesse, in: FS f. Huber, S. 261, S. 270; vgl. aber auch d.ers., Grundzüge, S. 140, wo ein Anspruch des Betroffenen darauf bejaht wird, daß der Staat in Erfiillung seiner Schutzpflicht tätig wird und lediglich ein Individualanspruch auf bestimmte Schutzmaßnahmen fiir den Regelfall verneint wird. 7 Hermann
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
tende Schutzpflicht zwar auf das Verhindern von Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter durch Dritte gerichtet ist, den Grundrechten aber keine Aussage über die Art und Weise der Erreichung des Schutzziels entnommen werden kann; deshalb sei die Erfüllung der Schutzpflicht auch nicht einklagbar. Daran ist richtig, daß dem Gesetzgeber in der Regel 97 mehrere Wege zur Erfüllung der Schutzpflicht offenstehen, deren Eignung er jeweils prognostizieren muß. Außerdem muß der Gesetzgeber zwischen dem zu erreichenden Schutzziel und gegenläufigen Verfassungsprinzipien und Grundrechtspositionen abwägen. Dies ist aber kein Spezifikum der grundrechtlichen Schutzpflicht bzw. eines grundrechtlichen Schutzanspruchs, vielmehr stellen sich ähnliche Konkretisierungsprobleme auch bei grundrechtlichen Abwehrklagen. Denn auch dort ist dem Gesetzgeber hinsichtlich der Geeignetheit und Erforderlichkeit des gesetzlichen Eingriffs bzw. der gesetzlichen Eingriffsgrundlage eine Einschätzungsprärogative einzuräumen98 , auch dort sind gesetzgeberische Abwägungsentscheidungen im Rahmen der Angemessenheitsprüfung zu kontrollieren. 99 Dieser Befund wird in Schutzpflichtkonstellationen häufig dazu führen, daß sich das Bundesverfassungsgericht darauf beschränken muß, die Verfassungswidrigkeit der gegenwärtigen Normsituation lediglich festzustellen, während die konkrete Schutzmaßnahme dem Gesetzgeber überlassen bleiben muß. wo Warum aber auf eine solche Feststellung kein Anspruch des Einzelnen bestehen kann bzw. soll, wird nicht ersichtlich. Im übrigen stellt sich das Problem, ob das Bundesverfassungsgericht eine positive Pflicht des Gesetzgebers feststellen kann, unabhängig von einem etwaigen Schutzanspruch, also auch dann, wenn man die grundrechtliche Schutzpflicht lediglich objektiv-rechtlich versteht. Denn das Grundgesetz kennt neben der Verfassungsbeschwerde auch objektive Verfahren zur Prüfung von Legislativakten. Da ein gesetzgeberisches Unterlassen bzw. eine unterlassene Nachbesserung des Gesetzgebers unabhängig von einem subjektiven Schutzanspruch auch im Wege der abstrakten bzw. konkreten Normenkontrolle zur Überprüfung des Gerichts gebracht werden kann, hängt die Ausnahme: Reduzierung des Gestaltungsermessens auf Null. Zu der vom BVerfG zu beliicksichtigenden Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers hinsichtlich Geeignetheit und Erforderlichkeit des gesetzlichen Eingriffs bzw. der gesetzlichen Eingriffselmächtigung in Abwehrkonstellationen vgl. BVerfGE 50, 290 (332 ff.); bezeichnenderweise verweist der "C-Waffen"-Beschluß, BVerfGE 77, 170 (215), genau auf diese Entscheidung, um den begrenzten Pliifungsumfang des Gerichts in Schutzkonstellationen darzutun. 99 Vgl. dazu Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 174 ff.; tiers., DVBI. 1992, 879 (881 f.); Hermes, Grundrecht, S. 214. 100 Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 175; Hermes, Grundrecht, S. 214; Hesse, Grundzüge, S. 140 Rn. 350; lsensee, Grundrecht, S. 51. 97
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funktionelle Zuordnung von Gesetzgebung und Verfassungsgerichtsbarkeit gar nicht von einem subjektiven Schutzanspruch ab; bereits die Bejahung einer objektiven Schutzpflicht des Gesetzgebers und die nähere Bestimmung ihres Inhalts und Umfangs entscheidet über die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. 101 Während also die gegen einen subjektiven Anspruch auf Schutz vorgetragenen Bedenken nicht zu überzeugen vermögen, sprechen andererseits gewichtige Argumente für ein sich aus der grundrechtlichen Schutzpflicht ergebendes Recht auf Schutz: Ausgangspunkt für die Begründung einer grundrechtlichen Schutzpflicht ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der "objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte", ihr Charakter als "objektiv-rechtliche Wertentscheidungen ".102 Daß die Grundrechte in ihrer Gesamtheit eine objektive Wertordnung darstellen, "die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht", ist kaum bestreitbar. 103 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß Grundrechte in erster Linie individuelle Rechte darstellen; auch das Bundesverfassungsgericht ist ja der Ansicht, daß der objektiv-rechtliche Gehalt der Grundrechte ihre individuelle Komponente nur verstärke, ergänze und stütze, er seine Wurzeln aber in dieser primären Bedeutung habe. 104 Darauf abstellend, darf auch die grundrechtliche Schutzpflicht nicht vom Grundrecht isoliert gesehen werden. 105 Auch die grundrechtliche Schutzpflicht besteht im Interesse des Einzelnen, denn hinter ihr steht das grundrechtliche Schutzgut, das in erster Linie dem einzelnen Grundrechtsträger zugeordnet ist. 106 Nur die möglichst weitgehende Subjektivierung der grundrechtlichen Funktionen wird aber dem "ursprünglichen und bleibenden Sinn der Grundrechte" als individuelle Rechte gerecht. 107 Der ob-
101 So mit Recht Hermes, Grundrecht, S. 212; siehe dazu auch Alexy, Der Staat 29 (1990), 49 (62 f.). 102 Vgl. nur BVerfGE 7, 198 (205); BVerfGE 39, 1 (41 ff.). 103 Vgl. nur Böckenjörde, Der Staat 29 (1990), 1 (4 ff.). 104 Vgl. z.B. BVerfGE 50, 290 (337); dazu auch Böckenjörde, Der Staat 29 (1990), 1 (18 f.).
Soell, NuR 1985, 205 (207); ders., Umweltforschung, S. 26. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 178. 107 Vgl. BVerfGE 50, 290 (337); siehe auch Alexy, Theorie, S. 414, ders., Der Staat 29 (1990), der die Subjektivierung der Schutzpflichten auch mit dem Prinzipiencharakter der Grundrechte begründet; ähnlich Robbers, Sicherheit, S. 135 ff. und Klein, NJW 1989, 1633 (1637); vgl. dazu auch Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 178 f.; Hermes, Grundrecht, S.210. 105 106
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jektiv-rechtlichen Schutzpflicht muß daher ein subjektiv-öffentliches Recht auf Schutz entsprechen. 108 3. Ergebnis und weiterer Ablauf
Als Ergebnis der Erörterungen des vorstehenden Abschnitts kann festgehalten werden: Gegenüber Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter, die von staatlicher Seite ausgehen, wirken die Grundrechte bereits in ihrer Abwehrfunktion; der Abwehrdimension der Grundrechte entspricht eine Achtungsverpflichtung des Staates. Gehen die Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter dagegen von dritter (nichtstaatlicher) Seite aus, so ist die Schutzfunktion der Grundrechte angesprochen. Der staatlichen Schutzpflicht steht ein Schutzanspruch der Betroffenen gegenüber. Auf den Gegenstand der vorliegenden Arbeit bezogen, impliziert dies die nächste Fragestellung. Handelt es sich beim Betrieb eines Verkehrsflughafens um ein staatliches bzw. dem Staat zuzurechnendes Tätigwerden, sind also die von diesem Betrieb ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen staatlich verursacht? Oder handelt es sich um ein nichtstaatliches Tätigwerden, sind die Beeinträchtigungen also von einem Dritten verursacht? Je nachdem ist die achtungsrechtliche oder die schutzrechtliche Dimension der Grundrechte angesprochen.
m. Lärmimmissionen beim Betrieb eines Verkehrsflughafens Abwehr oder Schutz?
1. Betrieb eines Verkehrsflughafens - staatliches oder nichtstaatliches Tätigwerden?
Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Abwehr- und Schutzfunktion der Grundrechte setzt eine klare Trennung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Aktivitäten voraus. Richtet man den Blick nun auf den Betrieb von Verkehrsflughäfen, so scheint die Beantwortung der aufgeworfenen Frage auf der Hand zu liegen. Denn die Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik Deutschland werden von Betreibergesellschaften in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH, also in Gesellschaftsformen des privaten 108 So außer den in Fn. 107 genannten z.B. auch Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 284 f.; Murswiek, Verantwortung, S. 216 ff.; ders. WiVerw 1986, 179 (199 f.); Soell, Umweltforschung, S.26; ders., WiVerw 1986, 205 (214); einschränkend Dietlein, Schutzpflichten, S. 173 f.
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliehe Achtungspflicht?
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Rechts betrieben. 109 Von der Rechtsform der Betreibergesellschaften ausgehend, müßte es sich daher beim Betrieb eines Verkehrsflughafens um ein privates Tätigwerden handeln, die bei diesem Betrieb auftretenden Lärmimmissionen wären privat- bzw. drittverursacht. Aber - die Betreibergesellschaften der Verkehrs flughäfen befinden sich derzeit ausnahmslos zu 100% in öffentlicher Hand. 110 Schon aus diesem Grund stellt sich außerdem die Frage, ob mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens nicht öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge (ZurverfügungsteIlen von Verkehrswegen bzw. Verkehrsanlagen) wahrgenommen werden. Handelt es sich also bei dem Betrieb eines Verkehrsflughafens angesichts umfassender staatlicher Beteiligung an den BetreibergeseIlschaften und angesichts der Funktion und der AufgabensteIlung eines Verkehrsflughafens nicht lediglich "formal" um einen privaten, tatsächlich aber um einen staatlichen "Eigen"-Betrieb?111 Die Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik sind zwar in privatrechtlicher Form organisiert, die Gesellschaftsanteile der Betreibergesellschaften werden jedoch ausschließlich von der öffentlichen Hand gehalten. Träger sind überwiegend mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts. 112 Bei den Flughafenbetreibem handelt es sich daher in Wirklichkeit nicht um private 109 Vgl. Commerzbank, Beteiligungsverhältnisse, S. 318 f.; Schwenk, Handbuch, S. 104 f.; Luckow, DVBI. 1981, 1133 (1141). 110 Vgl. Commerzbank, Beteiligungsverhältnisse, S. 318 f.; Pressemitteilung 4/1992 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) vom 20.8.1992, Anlage 2: z.B. Flughafen Frankfurt AG: Land Hessen 45,24%, Stadt Frankfurt 28,89%, Bundesrepublik Deutschland 25,87%; Flughafen München GmbH: Freistaat Bayern 51 %, Stadt München 23%, Bundesrepublik Deutschland 26%; Flughafen Düsseldorf GmbH: Stadt Düsseldorf 50%, Land Nordrhein-Westfalen 50%; dazu auch Ehlers, Verwaltung, S.431; Luckow, DVBI. 1981, 1133 (1141); PÜllner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S.205; Schwenk, Handbuch, S. 104 f.; Wahl, DVBI. 1982, 51 (59). III Auch in dem hier erörterten Zusammenhang zeigt sich, daß eine klare Differenzierung zwischen staatlichem und privaten Handeln oftmals auf Schwierigkeiten stößt, weil die öffentliche Gewalt in vielfältiger Weise, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität, Einfluß auf privates Handeln nimmt. Es ist dann jeweils zu klären, ob der staatliche Einfluß bzw. die staatliche Mitwirkung zu einer Zurechnung des Handeins an den Staat führt. Eine allgemeine Erörterung dieser Grundfrage würde aber den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen; vgl. zu den diskutierten Fallgruppen und Zuordnungsmodellen z.B. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 83 ff. und insb. S. 205 ff.; Hermes, Grundrecht, S. 80 ff.; Murswiek, Verantwortung, S. 58 ff.; grundlegend Ehlers, Verwaltung, S. 6 ff., S. 74 ff. 112 Insbesondere Bund, Länder, Gemeinden, Landkreise. Beim Verkehrsflughafen Saarbrücken ist nur das Land Saarland und beim Verkehrsflughafen Bremen ist nur die Stadt Bremen Gesellschafter. Vereinzelt sind auch juristische Gesellschaften des Privatrechts Mitgesellschafter, die sich aber wiederum zu 100% auf juristische Personen des öffentlichen Rechts zurückführen lassen. Z.B. die Flughafen Münster/Osnabrück GmbH: an ihr ist die Stadtwerke Münster GmbH zu 36,87% und die Stadtwerke Osnabrück GmbH zu 17,78% beteiligt. Die Stadtwerke Münster GmbH und die Stadtwerke Osnabrück GmbH werden aber zu 100% von der Stadt Münster bzw. von der Stadt Osnabrück getragen; vgl. Commerzbank, Beteiligungsverhältnisse, S. 319 und S. 864 f. sowie die Pressemitteilung 4/1992 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen (ADV) vom 20.8.1992, Anlage 2.
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Wirtschaftsunternehmen, sondern um "öffentliche Wirtschaftseinheiten" , die nur fonnal privatrechtlich organisiert sind. 113 Dieses Ergebnis wird durch einen Blick auf die von einem Verkehrsflughafen wahrgenommenen Funktionen und Aufgaben bestätigt. Der Luftverkehr ist ebenso wie der Straßen-, Wasser- oder Schienenverkehr als Bestandteil der Gesamtverkehrs anzusehen; er setzt (wie dieser) bestimmte Einrichtungen der Verkehrsinfrastruktur voraus, vor allem die Bereitstellung von Start- und Landebahnen. 114 Verkehrsflughäfen, also Flughäfen, die i.S.d. § 6 Abs.3 LuftVG, § 38 Abs. 2 Nr. 1 LuftVZO dem allgemeinen Verkehr dienen, erfüllen damit als Verkehrswege wie öffentliche Straßen öffentliche Zwecke. 115 Dabei kommt den Verkehrsflughäfen wegen des Flugplatzzwangs (§ 25 LuftVG) und ihrer Genehmigungsbedürftigkeit (§§ 6, 8 LuftVG, § 43 LuftVZO) im Verhältnis zu den Luftverkehrsteilnehmern, insbesondere zu den Luftfahrtunternehmen, eine öffentlich-rechtlich gesicherte MonopolsteIlung ZU. 116 Dieser öffentlichen Zweckbestimmung und MonopolsteIlung trägt die LuftVZO in mehrfacher Hinsicht Rechnung. So ordnet § 45 Abs. 1 S. 1 LuftVZO eine Erhaltungs- und Betriebspflicht an; von der Betriebspflicht kann der Betreiber nur in besonderen Ausnahmefällen befreit werden (§ 45 Abs. 1 S. 3 LuftVZO). Außerdem unterliegen die Betreiber grundsätzlich einem Kontrahierungszwang, d.h. sie sind verpflichtet mit jedem Betriebswilli-
113 So Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 219, fiir Energieversorgungsunternehmen, die sich ganz oder doch überwiegend in öffentlicher Hand befinden. Soweit privatrechtliche Organisationen ausschließlich von der öffentlichen Hand gehalten werden, spricht Ehlers, Verwaltung, S. 9, von "publizistischen Privatrechtsvereinigungen oder -subjekten" und differenziert dann zwischen "Eigengesellschaften" und "Gemeinschaftsgesellschaften" ,je nachdem, ob die Kapitalgesellschaft von einer oder mehreren juristischen Personen des öffentlichen Rechts getragen wird. In der Literatur ist ansonsten meist von "öffentlichen Unternehmen" die Rede, wobei überwiegend zwischen "Eigengesellschaften " (Träger der Gesellschaft ist nur eine juristische Person des öffentlichen Rechts) und "gemischt öffentlichen Unternehmen" (Träger sind mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts) differenziert wird; vgl. z.B. Evers, Energieversorgung, S. 80 f.; Nesselmüller, Einwirkungsmöglichkeiten, S. 24 f.; Zimmermann, JuS 1991, 294 (297); wieder anders SchmidJ-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, S. 2, der unter "öffentlichen Unternehmen" sowohl juristische Personen des Privatrechts als auch des öffentlichen Rechts versteht und fiir die Begriffsbestimmung nur darauf abstellt, daß deren Eigenkapital ausschließlich bei der öffentlichen Hand liegt. Im folgenden sollen unter öffentlichen Unternehmen solche privatrechtlichen Organisationen verstanden werden, deren Gesellschaftsanteile sich ausschließlich in der Hand einer oder mehrerer juristischen Personen des öffentlichen Rechts befinden; ebenso z.B. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 100. 114 Vgl. schon Diehl, in: WegerdtlDiehl, S. 79; dazu auch Horn, VBIBW 1992, 1 (7); Schwenk, Handbuch, S. 254; vgl. auch BVerwG, NVwZ 1990, 262 (363). 115 Vgl. z.B. BVerwGE 56, 110 (119); Schwenk, Handbuch, S. 255; Ehlers, Verwaltung, S. 18, spricht insofern von "Versorgungsbetrieben".
116 BGH, WM 1969, 1296 = BB 1969, 1239 mit zustimmender Anm. Hiller = VkBI. 1970, 730; BGH, WM 1978, 1097 (1098); BathJra, Rechtsfragen, S. 48; Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 153; Schwenk, Handbuch, S. 297.
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gen einen Flugbafenbenutzungsvertrag abzuschließen. 117 Schließlich sind die Benutzungsordnung und die Regelung der Entgelte für das Starten und Landen von Luftfahrzeugen sowie für die Benutzung von Fluggasteinrichtungen, zwingend vorgeschrieben (§ 43 Abs. 1 LuftVZO), der Flughafenbetrieb unterliegt zudem der Staatsaufsicht (§ 47 Abs. 1 LuftVZO). Das Tätigwerden der Verkehrsflughäfen wird daher jedenfalls im Bereich der für die Luftfahrt notwendigen Einrichtungen, ungeachtet ihrer privatrechtlichen Rechtsform, der Sache nach als ein Teil der öffentlichen Verwaltung angesehen. 118 Verkehrsflughäfen sind öffentliche Untemehmen l19 , welche eine schlicht-verwaltende Tätigkeit in privatrechtlichen Formen erbringen. 12O Die Flugbafenbetreiber erfüllen, auch wenn sie in der Rechtsform einer juristischen Person des Privatrechts auftreten, ihrer Funktion und AufgabensteIlung nach Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge. 121 2. Grundrechtsgeltung für die BetreibergeseUschaften?
Mit der Feststellung, daß es sich bei den Betreibem von Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik um publizistische Privatrechtsvereinigungen bzw. öffentliche Unternehmen handelt, die ihrer Funktion und AufgabensteIlung nach Leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge erbringen, ist zwar indiziert aber noch nicht endgültig geklärt, in welcher Grundrechtsfunktion (Schutz oder 117 Dieser Kontrahierungszwang wird teilweise aus der Betriebspflicht hergeleitet; so z.B. Schleicher/Reymann/Abraham, § 6 LuftVG Anrn. 29; Schwenk, Handbuch, S. 297. Es wird aber auch vertreten, der Kontrahierungszwang ergebe sich aus den Regeln über das Verwaltungsprivatrecht, insb. aus der Bindung des Unternehmens an Art. 3 Abs. 1 GG (so z.B. Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 42; Giemulla/Schmid, LuftVOen, § 43 LuftVZO Rn. 2; zur Grundrechtsbindung der Verkehrsflughafenbetreiber auch unten Fn. 128) oder aus den insoweit aus § 826 BGB bzw. § 26 GWB entwickelten Grundsätzen (vgl. z.B. Hofmann, LuftVG, § 6 Rn. 37; Giemulla/Schmid, LuftVOen, § 43 LuftVZO Rn. 2, halten die Grundsätze der §§ 826 BGB, 26 GWB nur in Ausnahmefällen bei Sonderflughäfen fiir einschlägig). 118 Hofmann, LuftVG, § 6 Rn. 27, Rn. 37; Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 42; dies., LuftVOen, § 43 LuftVZO Rn. 1. 119 I.S. der Begriffsfestlegung Fn. 113; von in Gemeingebrauch stehenden Flughäfen als öffentlichen Unternehmen ist schon bei Schenk, Der Flughafen, S. 33 ff. und v. Unruh, Flughafenrecht, S. 70 ff. die Rede; Püttner, Wirtschaftsverwaltungsrecht, S. 205, spricht von "öffentlichen Einrichtungen"; ähnlich auch schon Schleicher, LuftVG, Kommentar, S. 57. 120 BGH, WM 1969, 1296; BGH, DVBI. 1974, 558; Hiller, BB 1969, 1240. Den Flughafenbetreibern sind keine hoheitlichen Befugnisse übertragen, sie sind daher keinesfalls beliehene Unternehmer, auch wenn sie wie diese öffentliche Aufgaben erfüllen; vgl. BGH, WM 1978, 1097 (1098), Beuermann, Flughafengebühren, S. 424 ff.; unzutreffend insofern Ossenbühl, DVBI. 1974, 541 ff.; Schleicher/Reymann/Abraham, § 6 LuftVG Anm. 29; Ruhwedel, BB 1965, 1093; zum Begriff des beliehenen Unternehmers vgl. etwa Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, S. 516 ff. Rn. 56 ff. 121 So BGH, WM 1978, 1097 (1099); zustimmend Schwenk, Handbuch, S.255; Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 151; Giemulla/Schmid, LuftVOen, § 43 LuftVZO Rn. 1; Borst, Flughäfen, S. 401.
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Abwehr) Grundrechte der Betroffenen gegenüber Fluglärmbelastungen, die vom Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgehen, wirken. Konstruktiver Drehund Angelpunkt der hier vertretenen Schutzpflichtdogmatik, ist die Dreiecksbeziehung zwischen dem Grundrechtsbetroffenen, dem Beeinträchtiger der grundrechtlich geschützten Rechtsgüter und dem Grundrechtsschützer Staat. 122 Notwendige aber auch hinreichende Bedingung für eine solche Dreiecksbeziehung ist - zumindest soweit der Beeinträchtiger eine inländische l23 juristische oder natürliche Person ist - daß der Beeinträchtiger des grundrechtlichen Schutzgutes selbst Grundrechte betätigt, er also selbst Träger von Grundrechten ist und sein beeinträchtigendes Verhalten Ausfluß grundrechtlicher Freiheit ist. Denn nur dann ist eine Entscheidung des Grundrechtsschützers Staat eine grundrechtliche Kollisionslösung, nur dann wird ein (im Regelfall gesetzlicher) Ausgleich zwischen der Grundrechtsposition des Betroffenen und der des Beeinträchtigers getroffen. 12A Es ist daher noch zu klären, ob die Verkehrsflughafenbetreiber hinsichtlich ihrer grundrechtsbeeinträchtigenden Betätigung grundrechtsfähig in Bezug auf die für sie in Betracht kommenden Grundrechte aus Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG sind. Für eine fehlende Grundrechtsfähigkeit der Betreiber ist zwar die oben konstatierte "Staatlichkeit" des Flughafenbetriebs ein gewichtiges Indiz. Letztlich entscheidend kann dies jedoch noch nicht sein, wie schon eine erste Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die in der Literatur vertretene Auffassung zur Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, wie Universitäten, Rundfunkanstalten und Kirchen zeigt. Jedenfalls bei Universitäten und Rundfunkanstalten handelt es sich unstreitig um staatliche Funktionsträger. 125 Gleichwohl sind sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts l26 und der nahezu einhelligen Auffassung in der Literatur 127 Träger der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 bzw. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und damit, was die Zuordnung zu Abwehr oder Schutz anbelangt, in die oben skizzierte Dreieckskonstellation eingebunden. 128 Vgl. näher oben, U. 2. b. Vgl. zur Schutzpflicht bei Beeinträchtigungen durch ausländische Staaten BVerfGE 66, 39 (60 ff.), "Pershing U"; BVerfGE 77, 170 (212 ff.) "e-Waffen". 12A Vgl. oben A. U. 2. c. 122 123
125
stalten.
BVerfGE 15, 256 (262) für Universitäten; BVerfGE 31, 314 (LS 1) für Rundfunkan-
BVerfGE 15, 256 (262 ff.); E 31,314 (322); E 59,231 (254) Hendrichs, in: v.Münch, GG-Komm, Art. 19 Rn. 38b, konstatiert "allgemeine Anerkennung". 128 Für die Frage Abwehr oder Schutz kommt auch einer möglichen Grundrechtsgebundenheit der Flughafenbetreiber nur indizielle Bedeutung zu (eine solche ist wohl zumindest nach der Lehre vom Verwaltungsprivatrecht, angesichts der AufgabensteIlung der Verkehrsflughäfen zu bejahen; vgl. dazu z.B. BGH, WM 1969, 1296 [1297 f.]; BGH, WM 1978, 1097 [1099]; Giemul/a/Schmid, LuftVOen, § 43 LuftVZO Rn. 2; Schwenk, Handbuch, S. 297 f.; allgemein zur Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand bei privatrechtlichem Handeln bzw. privatrechtlicher 126
127
A. Grundrechtliche Schutzpflicht oder grundrechtliehe Achtungspflicht?
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a) Die Rechtsprechung des BundesveTjassungsgerichts zur Grundrechtsjähigkeit von juristischen Personen des öffentlichen Rechts und von öffentlichen Unternehmen Nach Art. 19 Abs. 3 GG sind inländische juristische Personen grundrechtsberechtigt, wenn die Grundrechte "ihrem Wesen nach" auf sie anwendbar sind. Eine solche wesensmäßige Anwendbarkeit ist nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur dann gegeben, wenn juristische Personen ein personales Substrat erkennen lassen und damit die Grundrechtsberechtigung vom Durchgriff auf die hinter der juristischen Person stehenden Menschen her gerechtfertigt ist. Denn Grundrechte sind "in erster Linie individuelle Rechte, die den Schutz konkreter, besonders gefährdeter Bereiche menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben". "Demgemäß dienen sie vorrangig dem Schutz der Freiheitssphäre des einzelnen Menschen als natürliche Person gegen Eingriffe der staatlichen Gewalt. 129 11
Von diesem Grundgedanken ausgehend, bejaht das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die Grundrechtsberechtigung juristischer Personen des Privatrechts l30 , verneint aber die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts für den Regelfall. 131 Denn hinter diesen stünden nicht natürliche Personen, sondern stünde der Staat. Vom betroffenen Bürger her gesehen, seien die verschiedenen staatlichen Funktionsträger daher nur besondere Erscheinungsformen und Untergliederungen einer einheitlichen Staatsgewalt. 132 Eingriffe und Übergriffe im Verhältnis verschiedener staatlicher Organisation, Ehlers, VeIWaltung, S. 212 ff.). Zwar wird eine staatliche Organisation im Regelfall nicht gleichzeitig Grundrechtsverpflichteter und Grundrechtsberechtigter sein. Von Grundrechtsgebundenheit kann aber nicht gleichsam automatisch auf fehlende Grundrechtsberechtigung geschlossen werden (vgJ. Bleckmann, Staatsrecht ll, S. 112; Dürig, in: MIDIH, GGKomm., Art. 19 Abs. 3 Rn. 35). Dies zeigt auch das Beispiel Universitäten und Rundfunkanstalten. Diese sind einerseits grundrechtsgebunden, andererseits aber Träger der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 GG bzw. Art. 5 Abs. I S. 1 GG (so die Rechtsprechung des BVerfG, vgJ. die Nachweise unten Fn. 134). Die Frage der Grundrechtsgebundenheit der Flughafenbetreiber soll daher hier nicht vertieft werden. 129 Ständige Rechtsprechung des BVerfG; vgJ. zuletzt BVerfGE 75, 192 (196); BVerfG, NIW 1990, 1783. Dieser Interpretationsansatz ist auch von der Rechtsprechung des BGH und des BVeIWG übernommen worden; vgJ. z.B BGHZ 63, 196 (198 ff.); BGHZ 71, 293 (294 f.); BVeIWGE 64,202 (205). 130 VgJ. z.B. BVerfGE 21,362 (368); E 39,302 (312); E 75,192 (196). 131 VgJ. z.B. BVerfGE 21, 362 (369); E 26, 228 (244); E 31, 314 (322); E 35, 263 (271); E 39, 302 (312 f.); E 59, 231 (254); E 61, 82 (101); E 75,192 (196); BVerfG, NIW 1990, 1783; Dabei soll es nach neuerer Rechtsprechung des Gerichts nicht darauf ankommen, ob die juristische Person öffentliche Aufgaben erfiillt oder nicht; vgJ. BVerfGE 61, 82 (104): "Verläßt die juristische Person des öffentlichen Rechts den Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben, so besteht noch weniger Grund sie als 'Sachwalterin' des privaten Einzelnen anzusehen". 132 BVerfGE 21, 362 (370).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Funktionsträger seien aber nur "Kompetenzkonflikte im weiteren Sinne" 133. Ausnahmsweise jedoch anerkennt das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtsberechtigung auch von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nämlich dann, "wenn sie die Grundrechte in einem Bereich verteidigen, in dem sie vom Staat unabhängig" oder jedenfalls distanziert sind, sie also "unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen sind" und den Bürgern zur Verwirklichung ihrer individuellen Grundrechte dienen. l34 Insofern wurde die Grundrechtsfahigkeit der Kirchen in bezug auf Art. 4 GG\35, der Rundfunkanstalten in Bezug auf Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG136 und der Universitäten in Bezug auf Art. 5 Abs. 3 GG137 bejaht. Diese Grundsätze gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch für öffentliche Unternehmen, also für juristische Personen des Privatrechts, die sich zu 100 % in öffentlicher Hand befinden, jedenfalls soweit der Gegenstand des Unternehmens Aufgaben öffentlicher Daseinsvorsorge umfaßt. 138 Auch diese sollen sich regelmäßig nicht auf Grundrechte berufen können, denn anderenfalls wäre die Frage der Grundrechtsfahigkeit der öffentlichen Hand in nicht geringem Umfang von den jeweiligen Organisationsformen abhängig. 139 Es könne aber nicht darauf ankommen, ob etwa eine Aufgabe der Daseinsvorsorge von ihrem Träger selbst oder von einer diesem gegenüber verselbständigten, privatrechtlich organisierten Verwaltungseinheit wahrgenommen werde. 140
133 BVerfGE 21,362 (370). BVerfGE 21, 362 (373); E 31, 314 (322); E 39, 302 (313); E 61, 82 (102); E 75, 192 (196 f.); E 78,101 (102). \35 BVerfGE 18, 385 (387); BVerfGE 19, 1 (5). 136 BVerfGE 31,314 (322); BVerfGE 59,231 (254). 137 BVerfGE 15, 256 (262 ff.). 134
138 BVerfGE 45, 63 (79 f.); BVerfG, NJW 1980, 109; vgl. auch BVerfGE 68, 193 (213 ff.).
In BVerfGE 61, 82 (108) wird das Kriterium der öffentlichen Aufgabenstellung zumindest für
juristische Personen des öffentlichen Rechts aufgegeben, vgl. auch BVerfGE 75, 192 (197). Auf den Gegenstand des Unternehmens soll es dagegen (auch) ankommen, soweit juristische Personen zwar von der öffentlichen Hand beherrscht werden, aber auch eine geringfügige private Beteiligung vorhanden ist, vgl. BVerfG, NJW 1990, 1783. 139 BVerfGE 45, 63 (80). 140 BVerfGE 45, 63 (80).
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliehe Achtungspflicht?
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b) Abweichende Auffassungen in der Literatur Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 141 zur Grundrechtsfähigkeit von juristischer Personen des öffentlichen Rechts und von publizistischen Privatrechtsvereinigungen ist in der Literatur teilweise auf dezidierte Ablehnung gestoßen. 142 Schon der Wortlaut des Art. 19 Abs. 3 GG unterscheide nicht zwischen juristischen Personen des öffentlichen und des privaten Rechts. 143 Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spreche für eine Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts, da bei der Begründung des Wortlauts von Art. 19 Abs. 3 GG im Redaktionsausschuß des Parlamentarischen Rates ausdrücklich auch auf juristische Personen des öffentlichen Rechts verwiesen worden sei. 144 Hauptkritikpunkt ist aber der Grundgedanke der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Entscheidend sei - so wird vielfach argumentiert - nicht das personale Substrat der juristischen Person, sondern eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" , eine Lage also, die der Lage einer natürlichen Person, welche sich gegenüber dem freiheitsgefährdenden Staat auf die Grundrechte berufe, vergleichbar sei. 145 Das rein individualistische Grundrechtsverständnis des Bundesverfassungsgerichts führe im Ergebnis zu einer Reduzierung des Art. 19 Abs. 3 GG auf eine "Regelung der Grundrechtstreuhand juristischer Personen" .146 Der Zweck der Grundrechte, so argumentiert etwa v.Mutius I47 , bestehe vielmehr darin, subjektiv zugeordnete Rechtssphären zu gewährleisten und sie vor staatlichen Ein- und Übergriffen zu schützen, mit dem Ziel, die Staatsgewalt in ihren 141 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgen z.B. Achterberg, in: FS f. Klein, S. 7; Bleckmann, Staatsrecht n, S. 114; Ehlers, Verwaltung, S. 80; Koppensteiner, NJW 1990, 3105, (310813113); SchmidJ-Aßmann, BB 1990, Beil. 34, S. 8. 142 Vgl. etwa Bettermann, in: FS f. Hirsch, S. 1; ders. NJW 1969, 1321; Dreier, in: FS f. Scupin, S. 81; Hendrichs, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 19 Rn. 36; v.Mutius, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 3 Rn. 33 ff.; ders., Jura 1983, 30 (40 f.); Pieroth, NWVBI. 1992,85 (86 f.); wohl auch Zimmermann, JuS 1991, 294 (298 ff.). 143 v.Mutius, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 3 Rn. 33; vgl. auch Bleckmann, Staatsrecht n, S. 111. 144 So v.Mutius, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 3 Rn. 33; Pieroth, NWVBL. 1992, 85 (87), unter Bezugnahme auf eine schwache Anhaltspunkte bietende Anmerkung des Allgemeinen Redaktionsausschusses, JöR (n.F.) 1 (1951), S. 183 ; anders, mit überzeugender Argumentation Dürig, in: MID/H, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3 Rn. 35; Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 111; Ulsamer, in: FS f. Geiger, S. 212 f. 145 Vgl. schon Fuß, DVBI. 1958, 739 (740): "(gleichartige) Situation des Gewaltunterworfenseins"; außerdem Bettermann, NJW 1969, 1321 (1326); v.Mutius in: GG-BK, Art. 19 Abs. 3 Rn. 114; ders., Jura 1983, 30 (40); Hendrichs, in: v.Münch, GG-Komm, Art. 19 Rn. 36, Rn. 39; Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 44 f. Rn. 183; Pieroth, NWVBI. 1992, 85 (86). 146 So v.Mutius, in: GG-BK, Art. 19 Abs.3 Rn. 30ff., Rn. l00ff.; ders., Jura 1983, 30 (40). 147 v.Murius, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 3 Rn. 36 f., Rn. 106; ders., JuS 1977, 319 (321); ders., Jura 1983, 30 (40 f.).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Außemechtsbeziehungen, also gegenüber rechtlich selbständigen Rechtssubjekten zu disziplinieren. Derartige Außenrechtsbeziehungen seien auch zwischen dem Staat und seinen rechtlich verselbständigten Untergliederungen denkbar; soweit dies der Fall sei, bestünde aber eine grundrechtstypische Gefahrdungslage; das "Wesen" der Grundrechte stünde daher einer Erstreckung des Grundrechtsschutzes auf juristische Personen des öffentlichen Rechts bzw. auf öffentliche Unternehmen nicht entgegen. Statt oder neben dem Kriterium der "grundrechtstypischen Gefahrdungslage" werden auch mehr formal-funktionale Anknüpfungspunkte betont. So wird teilweise auf die Rechtsform des Tätigwerdens abgestellt, mit der Konsequenz, daß die Grundrechtsfähigkeit auch juristischer Personen des öffentlichen Rechts in Bereichen privatrechtlichen Handeins anerkannt wird. 148 Nach Pieroth 149 vermitteln die Außenrechtssätze des Aktien- und GmbH-Rechts den entsprechenden Gesellschaften die Grundrechtsberechtigung. Dies gelte auch für öffentliche Unternehmen. Entscheidender Anknüpfungspunkt für die Grundrechtsberechtigung nach dieser Auffassung ist also die Rechtsform der juristischen Person. c) Stellungnahme
Die skizzierte Kritik an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vermag nicht zu überzeugen, dem Gericht ist vielmehr in seinen wesentlichen Grundannahmen zu folgen: Die Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen bestimmt sich nach Art. 19 Abs. 3 GG. Danach kommt es darauf an, ob Grundrechte "ihrem Wesen nach" auf juristische Personen anwendbar sind. Wann Grundrechte ihrem Wesen nach auf juristische Personen anwendbar sind, kann sich nur aus Funktion und Struktur der Grundrechte ergeben. ISO Hierbei kommt der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG als dem tragenden Konstitutionsprinzip der Verfassung 151 entscheidende Bedeutung zu. Die Menschenwürdegarantie beeinflußt als Fundamentalnorm des Grundgesetzes in hervorragender Weise die Auslegung der Grundrechte. Letztlich sind alle Spezialgrundrechte Ausfluß der Idee der Menschenwürde, die Menschen148 Vgl. z.B. Brenner, BB 1962, 727 (728); Forslho./f, Staat, S. 14; Hendriehs, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 19 Rn. 39; Starek, JuS 1977,732 (733); ablehnend Belhge, AöR 104 (1979), 265 (269 ff.) Rupp-v.Brüneek, in: FS f. Amdt, S. 367; weitere Nachweise bei Ehlers, Verwaltung, S. 81 Fn. 39. 149 Pierolh, NWVBI. 1992, 85 (88).
Vgl. Ulsamer, in: FS f. Geiger, S. 213; Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 224. BVerfGE 6, 32 (36); E 12, 45 (53); E 30, 1 (39); BendLI, in: Handbuch des Verfassungsrechts, S. 107 f.; Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. I Rn. 4, Rn. 14; Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, S. 844 Rn. 56; SIern, Staatsrecht Band UI/l, S. 28. ISO 151
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliche Achtungspflicht?
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würdegarantie bildet Ausgangspunkt und Kern des Grundrechtssystems. 152 Personalität und Würde sind axiomatisch für die Grundrechtsgewährleistungen. Grundrechte sind daher zuallererst Gewährleistungen individueller Freiheit, oder wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt, "individuelle Rechte, die den Schutz ( ... ) menschlicher Freiheit zum Gegenstand haben" .153 Daraus folgt aber, daß Grundrechte "ihrem Wesen nach" nur dann auf juristische Personen anwendbar sind, wenn die hinter diesen juristischen Personen stehenden Individuen ansonsten nicht hinreichend geschützt werden; der Grundrechtsschutz juristischer Personen ist gleichsam derivativ. 154 Ausschlaggebendes Kriterium für die wesensmäßige Anwendung der Grundrechte auf juristische Personen ist die Möglichkeit des "Durchgriffs" auf die dahinterstehenden Individuen; eine Grundrechtsträgerschaft juristischer Personen setzt voraus, daß die Bildung und Betätigung derselben Ausdruck der freien Entfaltung privater natürlicher Personen ist. 155 Deshalb kann juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur ausnahmsweise, nämlich dann, wenn sich Individualschutz über staatliche Organisationsformen vollzieht, Grundrechtsträgerschaft zukommen. 156 Nur dann kann das handelnde Subjekt der öffentlichen Hand als Sachwalter der hinter ihm stehenden natürlichen Personen angesehen werden. 157 Im Regelfall aber verbieten Funktion und Struktur der Grundrechte, verbietet ihr "Wesen" die Anwendung auf juristische Personen des öffentlichen Rechts. Denn sonst würden Grundrechte von staatsbegrenzenden Freiheitsrechten zu staatsberechtigenden Kompetenzrechten umgedeutet. 158 Dies wird verkannt, wenn für die Frage der Grundrechtsfähigkeit juristischer Personen des öffentlichen Rechts auf eine "grundrechtstypische Gefährdungslage" abgestellt wird oder ihnen für ihr Handeln in privatrechtlichen Rechtsformen Grundrechtsberechtigung zuerkannt wird. Auch wenn der Staat
152 Stern, FS f. Scupin, S. 627, 638; tiers., Staatsrecht Band ID/l, S. 36; Ulsamer, in: FS f. Geiger, s. 213; ähnlich BleckmannlHelm, DVBI. 1992, 9; Häberle, in: Handbuch des Staatsrechts, S. 844 Rn. 57 f.
153
BVerfDE 50,290 (337); BVerfDE 61,82 (100).
Nach Dürig, in: MIDIH, GG-Komrn., Art. 19 Abs. 3 Rn. 1, ist auch Art. 19 Abs. 3 GG "um des Menschen willen da; auch bei ihm ist die personale Würde und Freiheit der Legitimations- und lnterpretationsmaßstab". 154
155
Vgl. BVerfDE 21,362 (369); E 61,82 (101); E 75,192 (196).
156
Vgl. BVerfGE 21,362 (368 f.); BVerfDE 31,314 (322).
Ehlers, Verwaltung, S. 83; vgl. auch BVerfDE 61,82 (103 ff.); BVerfDE 75,192 (196). 158 So Ehlers, Verwaltung, S. 83; nach Dürig, in: M/D/H, GG-Komrn, Art. 19 Abs. 3 Rn. 36, wäre es ein "rechtes etatistisches Schelmenstück" wollte man Rechte des Individuums gegen die öffentliche Gewalt gerade dieser öffentlichen Gewalt zuerkennen. 157
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
fiskalisch tätig handelt, wird er nicht zum Bürger. 159 Sein Tätigwerden bleibt gemeinwohlverpflichtet, es ist ihm kein grundrechtlich geschützter Bereich individueller Entfaltungsmöglichkeit eröffnet. Insofern kommt es auch nicht darauf an, ob sich die staatliche Betätigung in den Rechtsformen einer juristischen Person des öffentlichen oder des privaten Rechts vollzieht. 160 Ein Zusammenschluß nicht grundrechtsfähiger juristischer Personen des öffentlichen Rechts kann keine grundrechtsfähige juristische Person des Privatrechts begründen. 161 Abgesehen davon hätte es der Staat ansonsten in der Hand, durch bloßen Wechsel der Organisationsform Grundrechtsgeltung zu erzielen. 162 Die gefundenen Kriterien sind nun auf den Betrieb von Verkehrsflughäfen anzuwenden. Grundrechtsfähigkeit käme den Flughafenbetreibern nur dann zu, wenn die Bildung und Betätigung dieser Zusammenschlüsse von juristischen Personen des öffentlichen Rechts Ausdruck der hinter ihnen stehenden Privatpersonen wäre. Hinter dem öffentlichen Unternehmen "Verkehrsflughafen" stehen aber nicht natürliche Personen, hinter ihm steht der Staat. Verkehrsflughäfen sind nicht wie Rundfunkanstalten oder Universitäten dergestalt einem grundrechtlieh geschützten Lebensbereich zugeordnet, daß deshalb ausnahmsweise ihre Grundrechtsfähigkeit zu bejahen wäre. 163 Dafür ergeben sich auch keinerlei Anhaltspunkte aus den in Betracht kommenden Grundrechten aus Art. 12, 14, 2 Abs. 1 GG.I64 Die Betreiber von Verkehrsflughäfen sind daher nicht grundrechtsfähig. 165 Der Betrieb eines Verkehrsflughafens durch Vgl. Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3 Rn. 46. Ebenso Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 100, S. 114; Belhge, Grundrechtsberechtigung, S. 101; tiers., AöR 104 (1979), 263 (272 f.); Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 19 Abs. 3 Rn. 36 f.; Ehlers, DVBI. 1983,422 (424); tiers., Vetwaltung, S. 84; Murswiek, Verantwortung, S. 234; vgl. auch BGH, DVBI. 1984, 1118. 161 BVerfGE 68, 193 (214); Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beilage 34 S. 8. 159 160
162 Vgl. Bethge, Grundrechtsberechtigung, S. 102; Papier, in: M/D/H, GG-Komm., Art. 14 Rn. 199; Schmidt-Aßmann, BB 1990, Beilage 34 S. 9; die gegen diese Argumentation vorgebrachten Einwände Pieroths (NWVBI. 1992, 85 [88]) vermögen nicht zu überzeugen. 163 Vgl. insoweit zutreffend Ulsamer, in: FS f. Geiger, S. 21: "Juristische Personen des öffentlichen Rechts sind nicht von Haus aus grundrechtsfahig. Sie können Grundrechte nur dort beanspruchen, wo die Verfassung es ihnen gestattet". Gleiches muß auch für juristische Personen des Privatrechts gelten, die sich zu 100% in öffentlicher Hand befinden; zur "Gleichsetzung" von juristischen Peronen des öffentlichen Rechts und publizistischen Privatrechtsvereinigungen vgl. auch Ehlers, Vetwaltung, S. 84. 164 Rundfunkanstalten und Universitäten sind als sich selbstvetwaltende Anstalten bzw. Körperschaften des öffentlichen Rechts gerade deshalb geschaffen worden, um eine Vetwirklichung der Grundrechte aus Art. 5 GG zu ermöglichen; sie sollen dem Bürger (auch) zur Grundrechtsvetwirklichung dienen; vgl. BVerfGE 31, 314 (322); BVerfGE 68, 193 (207). Eine vergleichbare Situation besteht für Verkehrsflughafenunternehmen in Bezug auf die Grundrechte aus Art. 12, 14, 2 Abs. I GG offensichtlich nicht. 165 Soweit ersichtlich, wurde diese Frage explizit für Verkehrsflughäfen bisher noch nicht eingehender erörtert; vgl. aber Badura, BayVBI. 1976, 515 (516); tiers., Rechtsfragen, S. 48;
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die öffentliche Hand ist auch im Gewand einer juristischen Person des Privatrechts nicht Ausfluß grundrechtlicher Entfaltung und Freiheit. Es fehlt damit aber auch an der für die Schutzpflicht typischen Dreieckskonstellation Grundrechtsschützer - Grundrechtsbetroffener - grundrechtsberechtigter Beeinträchtiger, es bleibt vielmehr bei einem bipolaren Staat-Bürger-Verhältnis. Beeinträchtigungen, die vom Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgehen, sind daher nicht an der grundrechtlichen Schutzpflicht, sondern an der staatlichen Achtungspflicht zu messen. 3. Die "Privatheit" der Flughafenbenutzer
Nun könnte gegen das damit indizierte Ergebnis - gegenüber Lärmbelastungen, die beim Betrieb eines Verkehrsflughafens auftreten, wirken die Grundrechte bereits in ihrer Abwehrfunktion - noch eingewandt werden, daß diese Lärmimmissionen ja eigentlich nicht durch die Flughafenaniage, sondern durch das Starten und Landen der Verkehrsflugzeuge ausgelöst werden, und deshalb Lärmverursacher letztendlich die privaten Teilnehmer am Luftverkehr sind. 166 Bau und Betrieb von Verkehrsflughäfen sind aber notwendige Bedingung für den privaten Luftverkehr. Erst durch den Betrieb von Verkehrsflughäfen werden die grundlegenden tatsächlichen Voraussetzungen für den Flugbetrieb geschaffen. Der Staat tritt hier als Zweckveranlasser auf1 67 , denn er schafft mit dem Verkehrsflughafen eine Einrichtung, bei deren bestimmungsgemäßen Benutzung Belastungen in vorhersehbarer Weise ausgehen. Er (bzw. der Flughafenbetreiber als öffentlicher Unternehmer) ist zwar streng genommen nicht der unmittelbare Letztverursacher der Lärmbelastung, eine Zurechnung der Lärmimmissionen muß aber wegen der umfassenden Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen und Veranlassung des Flugbetriebs erfolgen. 168 Es bleibt also dabei; gegenüber den im Zusammenhang mit dem Flugbetrieb in der Umgebung eines Verkehrsflughafens auftretenden Lärmimmissionen Wahl, DVBI. 1982,51 (59) und auch BVeIWG, DVBI. 1971,415 (417), wo die Grundrechtsfahigkeit der Verkehrsflughafenbetreiber zumindest bezweifelt wird. 166 Insb. die Luftverkehrsgesellschaften. 167 Zur "Zurechnungsfigur" des Zweckveranlassers vgl. Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (182) m.w.N.; zum polizeirechtlichen Begriff des Zweckveranlassers; Murswiek, Verantwortung, S. 60; vgl. auch BGHZ 64, 220 (222); BGH, DVBI. 1977, 523 (524). 168 Für das Straßenrecht setzt sich diese Erkenntnis zunehmend durch; vgl. Dietlein, Schutzpflichten, S. 99; Hermes, Grundrecht, S. 84; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 109; Murswiek, Verantwortung, S. 60; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (182); SchmidJ-Aßmann, Grundlagen, S. 3 ff., S. 25 ff.; Seewald, Gesundheit, S. 104 ff.; Steiger, in: Salzwedel (Hrsg.), S. 32; Steiner, in: Speyerer Forschungsberichte 65, S. 49. Für das Flughafenrecht kann nichts anderes gelten.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
wirken die Grundrechte der Betroffenen bereits in ihrer Abwehrdimension. 169 Die staatliche Schutzpflicht ist nicht angesprochen. 170
169 Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn an den Verkehrsflughafenunternehmen in der Bundesrepublik auch private Träger beteiligt wären. Die Grundrechtsfahigkeit solcher gemischtwirtschaftlicher Unternehmen ist heftig umstritten und wird insb. im Hinblick auf Energieversorgungsunternehmen diskutiert. Das BVertG hat jüngst in einer Kammerentscheidung ausgehend von seiner Grundsatzrechtsprechung zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen - eine Grundrechtsfahigkeit solcher Unternehmen dann verneint, wenn die juristische Person gesetzlich zugewiesene und gesetzlich geregelte, öffentliche Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrnimmt und die öffentliche Hand entscheidenden Einfluß auf die Geschäftsfiihrung hat (BVertG, NJW 1990, 1783 = JZ 1990, 335 mit. abI. Anm. Kahne = JuS 1990, 335 mit abI. Anm. Sachs). Dagegen geht die wohl h.M. in der Literatur auch in diesen Fällen von der Grundrechtsfahigkeit gemischtwirtschaftlicher Unternehmen aus (vgl. aus jüngster Zeit z.B. Hanung, DÖV 1992, 393 [396 ff.); Koppensteiner, NIW 1990, 3105 [3114); Pieroth, NWVBI. 1992, 85 [87 f.); Zimmermann, JuS 1991, 294 [298 f.); einschränkend SchmidJAßmann, BB 1990, Beilage 34, S. 10 f.; a.A., mehr auf der Linie des BVerfG liegend z.B. Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 226 f.; Bethge, Grundrechtskollisionen, S. 66 Fn. 142; Bult, Staatsaufgaben, S. 98 Fn. 49). Angesichts der Tatsache, daß die deutschen Verkehrsflughäfen derzeit ausnahmslos von der öffentlichen Hand gehalten werden, soll die Frage der Grundrechtsfahigkeit gemischtwirtschaftlicher Unternehmen hier aber nicht weiter diskutiert werden. 170 Die "Fluglärm"-Entscheidung des BVerfG (E 56, 54 ff.) bezieht sich allerdings mehrfach auf die "aus Art. 2 Abs. 2 GG folgende Schutzpflicht" und die hierzu vorangegangenen Entscheidungen des Gerichts. Für den Schluß, daß das Gericht damit von einer Grundrechtsfahigkeit der Verkehrsflughafenunternehmer und damit von einer fiir die Schutzpflicht konstitutiven Dreieckskonstellation ausgeht, gibt die Entscheidung aber zu wenig her. Insofern sind zum einen die besonderen Umstände zu bedenken, unter denen die Entscheidung ergangen ist. Das BVertG hat nämlich die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde wegen der "erheblichen allgemeinen Bedeutung der Lärmbekämpfung" nur unterstellt und dies auch nur fiir die (allgemeine) Rüge, der Gesetzgeber habe es unterlassen, die gesetzlichen Schutzvorkehrungen, trotz ständig zunehmender Fluglärmbeeinträchtigungen nachzubessern (vgl. BVertG, a.a.O, S. 68, S. 72). Die nachfolgenden Erörterungen zu einer sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Schutzpflicht des Staates beziehen sich dann allgemein auf Maßnahmen der Fluglärmbekämpfung, also auch auf die Bekämpfung privat verursachten Fluglärms (z.B. Verbot von Überschallflügen in der Zivilluftfahrt, Grenzwertfestsetzungen fiir Triebwerke) und nicht spezifisch auf die Bekämpfung der Fluglärmbelastungen, die vom Betrieb eines (von der öffentlichen Hand gehaltenen) Verkehrsflughafens ausgehen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 84 ff.). Zum anderen ist zu beachten, daß das BVerfG den Begriff Schutzpflicht durchaus in unterschiedlichem Sinn gebraucht. So wurde in der Leitentscheidung zur grundrechtlichen Schutzpflicht der Terminus Schutzpflicht offensichtlich als Oberbegriff fiir alle Grundrechtsfunktionen verwendet, die sich auf das Grundrechtsgut beziehen, also neben der Schutzpflicht im hier vertretenen Sinne, auch die grundrechtliche Achtungspflicht miteinbeziehend (vgl. BVertGE 39, 1 [42); dazu auch Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 225). Anhaltspunkte hierfiir finden sich auch in der "F1uglärm"-Entscheidung, wenn auf S. 73 von der Pflicht gesprochen wird, die in Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechtsgüter "insbesondere" (aber nicht nur?) vor rechtswidrigen Eingriffen anderer zu bewahren und auf S. 77 die staatliche Mitverantwortung fiir die Grundrechtsbeeinträchtigungen betont wird.
A. Grundrechtliehe Schutzpflicht oder grundrechtliche Achtungspflicht?
113
4. Ergebnis
Die Pflicht zum Schutz vor grundrechtsbeeinträchtigendem Fluglärm bei der Planung eines Verkehrsflughafens ist ein Gebot der staatlichen Achtungspflicht und nicht der staatlichen Schutzpflicht. Zwar werden Verkehrsflughäfen in der Bundesrepublik in Gesellschaftsformen des privaten Rechts betrieben. Betreibergesellschaften sind aber bis dato ausschließlich eine oder mehrere juristische Personen des öffentlichen Rechts. Außerdem wird mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge erbracht. Da der Verkehrsflughafenbetrieb durch die öffentliche Hand zudem nicht Ausfluß grundrechtlicher Entfaltung und Freiheit ist, kann auch unter diesem Blickwinkel nicht (ausnahmsweise) die Grundrechtsfahigkeit der Betreiber und damit das Vorliegen einer Schutzpflichtkonstellation bejaht werden. Zu keinen anderen Ergebnis führt schließlich die Tatsache, daß die Lärmverursacher letztlich die privaten Teilnehmer am Luftverkehr sind, denn der Staat muß sich diese Lärmimmissionen wegen der umfassenden Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen und Veranlassung des Flugbetriebs (Zweckveranlasser) zurechnen lassen. IV. Folgerungen für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung Ist, wie dargelegt, der Betrieb eines Verkehrsflughafens keine Betätigung privatautonomer, grundrechtlicher Freiheit, handelt hier vielmehr der Staat selbst, wenn auch "im Gewand" einer juristischen Person des Privatrechts, so sind alle Maßnahmen und Auswirkungen die von diesem staatlichen "Eigenbetrieb" ausgehen, unmittelbar an den Grundrechten in ihrer Abwehrdimension zu messen. 171 Dies hat Konsequenzen sowohl für die Beurteilung der staatlichen Zulassung des Flughafenbetriebs durch die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung, als auch für grundrechtsfunktionale Einordnung der luftverkehrsrechtlichen Zulassungsvorschriften: Bei der staatlichen Zulassung, d.h. bei der Genehmigung und Planfeststellung eines Verkehrsflughafens, handelt es sich grundrechtsdogmatisch gesehen um ein "In-sich-Geschäft" innerhalb des Staatsbereichs. 172 Genehmigungsbzw. Planfeststellungsbehörde, Flughafenbetreiber und die durch das Vorhaben betroffenen Bürger sind nur in formaler Hinsicht drei verselbständigte "Parteien"; materiell-rechtlich besteht aber kein Dreiecksverhältnis, sondern eine bipolare Beziehung zwischen Planfeststellungsbehörde und staatlichem 171 Dies ergibt sich schon aus Art. 1 Abs. 3 GG; zur Grundrechtsbindung der Verkehrsflughafenbetreiber vgl. schon oben Fn. 128. 172 So die treffende Formulierung von Hermes, Grundrecht, S. 92.
8 Hermann
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Flughafenbetreiber auf der einen Seite und den Planbetroffenen auf der anderen Seite. Was folgt aus diesem Befund für die verfassungsrechtliche Verortung der luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften, insbesondere des § 9 Abs. 2 LuftVG? Die luftverkehrsrechtlichen Genehmigungs- und Planfeststellungsvorschriften (§§ 6, 8 - 10 LuftVG) gehen von der grundsätzlichen Genehmigungsfähigkeit des Betriebs eines Verkehrsflughafens aus. Das Luftverkehrsgesetz zieht der Zulassung aber auch Grenzen; sie wird von bestimmten Voraussetzungen und (Schutz-)Standards abhängig gemacht. Diese ergeben sich insbesondere aus dem planerischen Gebot gerechter Abwägung aller durch das zuzulassende Vorhaben berührter öffentlicher und privater Belange (vgl. § 8 Abs. 1 LuftVG) und dem strikten Gebot der Anordnung von Schutzvorkehrungen, die zur Abwehr von Gefahren und Nachteilen für die Allgemeinheit oder Dritte notwendig sind (§ 9 Abs. 2 LuftVG).173 Im Hinblick auf die Fluglärmbelastung Drittbetroffener, legt der Gesetzgeber des Luftverkehrsgesetz auf diese Weise mehr oder weniger konkrete "Belastungsgrenzen" fest. Grundrechtsdogmatisch gesehen, kommen solchen "gesetzlichen Immissionsgrenzziehungen" aber unterschiedliche Funktionen zu, je nachdem, ob die Belastungen von privater Seite (Schutzpflichtkonstellation) oder von staatlicher Seite (Achtungspflichtkonstellation) ausgehen: Unterliegen die grundrechtlichen Schutzgüter der Lärmbetroffenen privatverursachten Lärmimmissionen, ist also der Flughafenbetreiber als "privater Dritter" Grundrechtsträger, so trifft der Gesetzgeber mit der Festlegung von Belastungsgrenzen eine notwendige Kollisionslösung zwischen den jeweils grundrechtsgeschützten Freiheitsbereichen von "Störer" (Flughafenbetreiber) und (Fluglärm-)"Betroffenem". Hierbei geht es um das (grund-)rechtlich gebotene Verhalten des Staates angesichts der Verletzung oder Gefährdung grundrechtIich geschützter Güter durch Dritte, also um die Erfüllung der grundrechtIichen Schutzpflicht durch den Gesetzgeber. 174 Werden dagegen, wie beim Betrieb eines Verkehrs173 Vgl. dazu im einzelnen ausführlich unten, 3. Teil, A. Iß. 3. c. und B. 11. 174 Vgl. dazu schon oben 11. 2. c. Dem muß grundsätzlich auch ein Schutzanspruch der
Lärmbetroffenen bei fehlender oder unzureichender Konfliktlösung durch den Gesetzgeber entsprechen; vgl. BVerfGE 77,170 (214 f.); vgl. auch dazu schon oben 11.2. d. Durch die gesetzliche Kollisionslösung werden jeweils die grundrechtlichen Schutzgüter von "Betroffenem" und "Störer" beeinträchtigt, da der "Störer" gewisse Emissionsbegrenzungen hinnehmen muß und der "Betroffene" gewisse Immissionsbelastungen dulden muß. Gegenüber solchen "Eingriffen" bietet die Abwehrdimension der Grundrechte aber nur begrenzt Schutz, denn mit dem grundrechtlichen Abwehranspruch kann nur in negativer Hinsicht etwas erreicht werden, nämlich die Unterlassung der gesetzlichen Regelung. Wenn der "Betroffene" also etwa die gesetzlich definierten "Belastungsgrenzen" für den Schutz seiner Grundrechtsgüter nicht für ausreichend hält, könnte er nur die Aufhebung der gesetzlichen Regelung erreichen, mit der für ihn fatalen Folge, daß dann der Belastung durch den "Störer" überhaupt keine (gesetzlichen) Grenzen mehr gezogen wären. Deshalb die Forderung nach einem grundrechtlichen Schutzanspruch, gerichtet auf
A. Grundrechtliche Schutzpflicht oder grundrechtliehe Achtungspflicht?
115
flughafens, die grundrechtsbeeinträchtigenden Lärmbelastungen vom Staat selbst verursacht, so trifft der Gesetzgeber mit der Festsetzung von Belastungsgrenzen keine Kollisionslösung zwischen jeweils grundrechtlich geschützten Freiheitsbereichen. Vielmehr wird eine gesetzliche Grundlage für die Beeinträchtigung geschützter Grundrechtsgüter geschaffen (Vorbehalt des Gesetzes)175, gleichzeitig aber auch die aus den Grundrechten folgenden Schranken solcher staatlicher Eingriffe auf gesetzlicher Grundlage aktualisiert und konkretisiert; die gesetzliche Zulassung der Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter muß insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen176 • Diese Anforderungen folgen aus der grundrechtlichen Achtungspflicht des Staates, als Ausfluß der klassischen Abwehrdimension der Grundrechte. 177 Auf der Grundlage der vorstehenden Überlegungen, kann nun ein erster Schritt in Richtung auf eine verfassungsrechtliche Standortbestimmung der Auflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG, im Hinblick auf die Zulassung und den Betrieb von lärmemitierenden Verkehrsflughäfen getan werden: Die gesetzlichen Regelungen des Luftverkehrsgesetzes und insbesondere § 9 Abs. 2 LuftVG treffen auch eine Regelung über das Maß der zulässigen Immissionsbelastung der vom Betrieb eines Verkehrsflughafens Betroffenen. Denn die Fachplanungsvorschriften ermächtigen die Planfeststellungsbehörde einerseits zur Planung und Zulassung auch grundrechtsbeeinträchtigender Vorhaben. Andererseits zieht § 9 Abs.2 LuftVG der Vorhabenszulassung aber insofern Grenzen, als durch den Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgelöste Belastungen, die sich als "Gefahren und Nachteile"178 darstellen, zwingend durch Schutzvorkehrungen zu vermeiden sind. Aus der grundrechtlichen Achtungspflicht des Staates folgt, daß diese Grenzziehung jedenfalls so eine neue "Grenzziehung" durch den Gesetzgeber; vgl. dazu auch Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 167. Dies gilt entgegen Dimberger aber nur filr den "Betroffenen" nicht filr den "Störer" , denn mit einem Abwehranspruch, zielend auf den Wegfall der gesetzlichen Emissionsbegrenzung, kann der sein Ziel ja optimal erreichen. 175 Vgl. dazu näher unten B. I. 2. a.
176 Insoweit sind zwar nicht, wie in Schutzptlichtkonstellationen, kollidierende Grundrechtssphären zu harmonisieren, wohl aber müssen Gemeinwohlbelange und grundrechtliche Beeinträchtigung zu einem angemessenen und proportionalen Ausgleich gebracht werden. 177 In derartigen Konstellationen reicht die Abwehrdimension der Grundrechte auch aus, um den Schutz der Grundrechtsgüter zu gewährleisten, denn wenn der "Betroffene" die gesetzliche Belastungsgrenze angreift, etwa mit der Begründung, sie beeinträchtige seine grundrechtlichen Schutzgüter unverhältnismäßig, entfallt bei Erfolg die gesetzliche Grundlage filr den grundrechtsbeeinträchtigenden Betrieb und dann muß die Beeinträchtigung mangels gesetzlicher Grundlage entweder ganz unterbleiben oder es muß filr die staatliche Verursachung solcher Beeinträchtigungen eine neue gesetzliche Grundlage geschaffen werden, die die Belastungsgrenze auf eine Art und Weise festlegt, welche dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügt. 178 Vgl. zur Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe ausfilhrlich unten, 3. Teil, B. III. 2.
116
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
gestaltet sein muß, daß unverhältnismäßige Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter ausgeschlossen werden. 179 Ob und wie § 9 Abs. 2 LuftVG, die aus der staatlichen Achtungspflicht sich ergebenden Anforderungen im gebotenen Umfang konkretisiert, wird zu untersuchen sein (unten 3. Teil). Hierfür müssen aber zunächst die Grenzen näher bestimmt werden, die sich aus den Grundrechten für die Belastung mit Fluglärm ergeben (vgl. dazu sogleich unter B.).
179 Um Mißverständnissen vorzubeugen: Wenn § 9 Abs. 2 LuftVG physisch-reale Vorkehrungen gegen Lärmbeeinträchtigungen vorschreibt, geht es auch bei staatlich betriebenen Verkehrs flughäfen um Schutz vor Fluglärm. Dies folgt jedoch nicht aus der staatlichen Schutzpflicht, sondern schon aus der staatlichen Achtungspflicht, der Abwehrdimension der Grundrechte.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm bei Planung und Betrieb eines Verkehrsflugharens Nachdem im vorigen Abschnitt (unter A.) geklärt werden konnte, daß gegenüber den beim Betrieb eines Verkehrsflughafens auftretenden Fluglärmimmissionen die Grundrechte der Betroffenen bereits in ihrer Abwehrdimension wirken und dieser negatorischen Funktion Achtungspflichten des Staates entsprechen, soll nun untersucht werden, welche (absoluten und relativen) Grenzen der Immissionsbelastung durch die Grundrechte gezogen werden, also welcher Mindeststandard an Schutz vor Fluglärm bei Planung und Betrieb eines Verkehrsflughafens aus der Verfassung abzuleiten ist.
I. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG 1. Die Reichweite des Schutzbereichs
Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG benennt als Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit. Im Zusammenhang mit Fluglärmimmissionen in der Umgebung von Verkehrsflughäfen ist allein die Gewährleistung der körperlichen Unversehrtheit von Interesse, so daß sich die nachfolgenden Erörterungen allein auf dieses Schutzgut konzentrieren. Schutzgut und Bedeutungsgehalte des Rechts auf körperliche Unversehrtheit sind gerade im Hinblick auf umweltvermittelte indirekte Beeinträchtigungen wie die Belastung mit Fluglärm nicht einfach zu präzisieren. Dies zeigt schon die Entstehungsgeschichte des Grundrechts. Konzipiert wurde Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG - vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft - in erster Linie als klassisches Abwehrrecht gegen gezielte, singuläre und klar faßbare, unmittelbare staatliche Eingriffstatbestände in die körperliche Integrität. Dagegen sind die hier interessierenden Fluglärmimmissionen als umweltvermittelte Beeinträchtigungsvorgänge durch eine zeitlich und räumlich ganz anders strukturierte, indirekte und nicht finale Wirkungsweise gekennzeichnet. I Hinzu kommt, daß das Verfassungsrecht bei der grundrechtlichen Bewertung umweltvermittelter BeeinträchtiVgl. dazu und allgemein zur Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 GG fur das Immissionsschutzrecht Schmidl-Aßmann, AöR 106 (1981),205 (206 f.), unter Bezugnahme auf Dürig, in M/DIH GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 8 ff.
118
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
gungen in weitem Maße auf vorrechtliche, insbesondere medizinische Erkenntnisse und Bewertungen angewiesen ist. Daß sich solche Kriterien in genereller und eindeutiger Weise gerade für den Bereich der Lärmwirkungen nur schwer finden lassen, wurde im ersten Teil dieser Arbeit bereits eingehend dargelegt. 2
a) Schutz der körperlichen Unversehrtheit aa) Überblick Körperliche Unversehrtheit i.S.d. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG meint zunächst einmal den naturgegebenen - lediglich durch Anlage und natürliche Entwicklung bedingten - Zustand des menschlichen Körpers. 3 Gewährleistet wird die Integrität des menschlichen Körpers, ein Zustand physischer Unverletztheit. Dieser (primäre) Schutz der körperlichen Integrität umfaßt nicht nur den Schutz der Gesundheit in einem biologisch-physiologischen Sinne. Denn zum einen sichert Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als Freiheitsgrundrecht auch das Selbstbestimmungsrecht des Kranken über seine leibliche Integrität, so daß auch bei einem (erzwungenen) Heileingriff die körperliche Unversehrtheit betroffen ist, obwohl dieser Eingriff objektiv gerade der Erhaltung der Gesundheit oder der Verbesserung des Gesundheitszustandes dient. 4 Und zum anderen wird durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nach überkommener Auffassung auch das Interesse an der äußeren körperlichen Erscheinung, also etwa die Freiheit vor Verunstaltungen (z.B durch Kahlscheren des Kopfes oder zwangsweise Veränderung der Haar- und Barttracht) geschützt, Beeinträchtigungen, die nach keiner Betrachtungsweise für den (objektiven) Gesundheitszustand des Betroffenen von Bedeutung sind. 5 Nach allgemeiner Auffassung bietet Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG aber nicht nur Schutz vor Beeinträchtigungen, die eine Verletzung der körperlichen Integrität darstellen. Ein solch enges Verständnis wäre nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit einer Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG im Lichte der durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde unvereinbar. Das 2
Vgl. oben, 1. Teil, C. ID. 4., D. I. Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 29. 4 Vgl. BVerfGE 52, 131 (174/176); Dürig, in: M/D/H, GG-Komm., Art. 2 Abs.2 Rn. 36 f.; v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 2 Rn. 54; Hermes, Grundrecht, S. 224. Vgl. dazu BVerfGE 47, 239 (248); BVerwGE 46, 1 (7); Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 29; nach v.Mangoldl/Klein/Starck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 79, gehört die Haar-und Barttracht allerdings zu dem durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsbereich.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
119
Gericht verweist in seiner "Fluglärm"-Entscheidung6 diesbezüglich auf das Menschenbild des Grundgesetzes, dem ein "Verständnis des Menschen als einer Einheit von Leib, Seele und Geist" zugrundeliegt, sowie auf die vielfältigen Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen. Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gebiete ein weiteres Verständnis, sollte doch nach den Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch und gerade Schutz vor psychischen Folterungen, seelischen Quälereien und entsprechenden Verhörmethoden bieten. Daher müßten zumindest auch solche nichtkörperlichen Einwirkungen von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt sein, die ihrer Wirkung nach körperlichen Eingriffen gleichzusetzen sind. Das wären aber jedenfalls solche, die das Befinden einer Person in einer Weise veränderten, die der Zufügung von Schmerzen entspricht. 7 Auch in der Literatur wird überwiegend konstatiert, daß sich der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht auf die Freiheit vor Beeinträchtigungen der körperlichen Substanz bzw. auf die Negation (körperlicher) pathologischer Zustände reduzieren läßt, sondern auch Vorgänge im psychischen Bereich erfaßt. 8 Bislang nicht zweifelsfrei geklärt ist aber, wie weit dieser Schutz der psychischen Integrität reicht. Unstreitig erfaßt sein soll die Freiheit von Schmerzen - wobei Schmerzen ja nicht notwendigerweise auf einer Verletzung der physischen Integrität beruhen müssen - und die Freiheit vor seelischen Qualen. 9 Ansonsten wird, vielfach ohne nähere Konkretisierung, auf die vom Bundesverfassungsgericht in seiner "Fluglärm"-Entscheidung aufgestellten Formel verwiesen, wonach nichtkörperliche Eingriffe jedenfalls BVerfGE 56, 54 ff. Vgl. zum ganzen BVerfGE 56, 54 (74 f.); vgl. auch BVerfGE 17, 110 (118 f.) "Hirnelektrische Untersuchung" und BVerfGE 52, 214 (220 f.) "Psychische Erkrankung"; diese Entscheidungen zieht das Gericht in seinem "Fluglärm"-Beschluß heran, um zu belegen, daß schon bisher Art. 2 Abs. 2 GG nicht beschränkt auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-physiologischer Hinsicht ausgelegt worden ist. 8 Vgl. z.B. Schmidl-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209); Hermes, Grundrecht, S. 224 f.; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 142; v.Mangoldl/Klein/Starck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 130. Seewald, Gesundheit, S. 44, rechtfertigt die Einbeziehung auch mit systematischen Erwägungen: Die Tatbestände der Mißhandlung (festgehaltener Personen) in Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG bezögen sich ausdrücklich auf körperliche und seelische Verletzungen; es sei daher naheliegend, diesen - hinsichtlich des Schutzguts weitergehenden Regelungsbereich - auch in den im übrigen umfassenden Schutzbereich des allgemeinen Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit einzubeziehen; a.A. wohl Scholz, OB 1979, Beil. 10, S. 16, der nur die körperliche Integrität als Schutzgut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begreift und Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts, § 128 Rn. 18 (S. 13 f.), nach dessen Auffassung selbst psychische Folterungen und seelische Qualen außerhalb des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 GG stehen, sofern die Körpersphäre nicht tangiert wird. Vgl. etwa Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 29; v.Münch, in: v.Münch, GG-Komrn., Art. 2 Rn. 55; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (179); Schmidl-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209). 7
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
dann körperlichen gleichzusetzen sind, wenn sie ihnen in der Wirkung entsprechen. 1O Erfaßt sein sollen solche "seelischen Belastungen, die in biologischen Vorgängen unmittelbar Ursache oder Wirkung finden" II bzw. körperlichen Einwirkungen "in der Wirkung gleichzusetzen sind" 12. Beispielhaft wird oft auf Schlafstörungen infolge Lärmbelastungen hingewiesen. 13 Teilweise wird auch allgemeiner der Schutz der psychischen Gesundheit als von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt angesehen. 14
In negativer Hinsicht wird der Schutzbereich zumeist in Abgrenzung zum Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bestimmt, der Gesundheit als Zustand des völligen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens definiert. 15 Diese Definition wird überwiegend als unbrauchbar für das Verfassungsrecht angesehen l6 , da sich durch die weitestgehende Berücksichtigung subjektiver Empfindungen ("völliges geistiges und seelisches Wohlbefinden") der Begriff der körperlichen Unversehrtheit in Beliebigkeit auflösen würde, das Grundrecht seinen definierbaren Anwendungsbereich verlöre und damit im Ergebnis faktisch jeder Lebensvorgang potentiell in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eingreifen könnte. 17 Auch die Entstehungsgeschichte des Grundrechts spreche gegen die Zugrundelegung der WHO-Definition, denn diese habe bei Abfassung des Grundgesetzes be-
Vgl. die Nachweise oben Fn. 7. So SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 25. 12 So Bock, Umweltschutz, S. 130. 13 Vgl. z.B. SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981),205 (209); Hermes, Grundrecht, S. 225 f.; vgl. auch v.MangoldJIKleinIStarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 2 Rn. 130; dagegen sieht das BVerfG in durch Fluglärm verursachten Schlafstörungen offensichtlich schon eine Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit in biologisch-physiologischer Hinsicht, vgl. BVerfGE 56, 54 (76); im übrigen qualifIZierte schon das Preußische Oberverwaltungsgericht Störungen der Nachtruhe - auch wenn keine pathologischen Reaktionen feststellbar sind - als "Gesundheitsgefahr" , PrOVG, PrVBI. 47 (1925), S. 224. 14 So z.B. Hermes, Grundrecht, S. 224. 10 11
15 Vgl. zur Gesundheitsdefinition in der Präambel der Satzung der WHO schon oben, 1. Teil, C. ill. 1. a. 16 So SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (307); ablehnend z.B. auch Laufs, in: FS f. Weitnauer, S. 365; LeibholzlRincklHesselberger, GG-Komm., Art. 2 Rn. 512; Lorenz, Handbuch des Staatsrechts, § 128 Rn. 18 (S. 13); v.MangoldJIKleinIStarck, GG-Komm., Art. 2 Abs.2 Rn. 130; v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art.2 Rn. 53; Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (179); Scholz, OB 1979, Beil. 10 S.16; Steiger, in: Salzwedei (Hrsg.), S. 31; ders., Mensch und Umwelt, S. 34; Sleinberg, Nachbarrecht, S. 26; vereinzelte Stimmen in der Literatur möchten aber diese Sichtweise ganz oder zumindest teilweise der Interpretation des Art. 2 Abs. 2 S. I GG zugrundelegen, vgl. z.B. Kriete, in: Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 141 f.; Kloepfer, Grundrecht, S. 28; ders., DVBI. 1988, 305 (310); einschränkend Soell, NuR 1985, 205 (208). 17 Vgl. Baltes, BB 1978, 130 (131); Henneke, Landwirtschaft, S. 88; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 143.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Pluglänn
121
reits vorgelegen und sei dennoch nicht berücksichtigt worden. 18 Schließlich sei der Gesundheitsbegriff der WHO funktional vor allem als Grundlage für Leistungen des Staates an den Einzelnen konzipiert worden; seine Übertragung in das Grundgesetz wäre daher mit der primären, abwehrrechtlichen Grundrechtsfunktion kaum vereinbar. 19 Einschränkend wird deshalb zumeist ein gewisses Maß an Objektivierbarkeit gefordert; nur undeutlich artikulierte Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens und erst recht solche des sozialen Wohlbefindens, lägen von vorneherein außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.20 bb) Stellungnahme Dieser näherungsweisen Bestimmung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG durch Literatur und Rechtsprechung kann jedenfalls im Ergebnis weitgehend gefolgt werden. Dies gilt zum einen für die begrenzte Öffnung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch für Beeinträchtigungen im Bereich der geistig-seelischen Integrität. Damit wird nicht nur der Entstehungsgeschichte des Grundrechts Rechnung getragen, sondern auch neueren Erkenntnissen der medizinischen Forschung auf dem Gebiet der Psychosomatik, wo zunehmend auf Zusammenhänge und Abhängigkeiten zwischen psychischen und somatischen Zustandsveränderungen hingewiesen wird. 21 Dies gilt in besonderem Maße für umweltvermittelte Beeinträchtigungsvorgänge, bei denen - wie gerade das Beispiel Lärmwirkungen zeigt - vielfach der Weg von anhaltenden psychischen Belastungen über entsprechende Streßreaktionen zu chronischen physischen Veränderungen führt. 22 Eine Festlegung des grundrechtlichen Schutzzwecks allein auf die Abwehr organisch manifester, pathologischer Zustände kann daher insbesondere im Hinblick auf Umweltbelastungen nicht (mehr) verfassungskonform sein. 23
18 Bock, Umweltschutz, S. 128; Steiger, Mensch und Umwelt, S. 34; darauf weist im übrigen auch das BVerfG in seiner "Fluglärm"-Entscheidung hin, läßt dann aber ausdrücklich offen, ob der weite Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. I GG (mit-)bestimmt, da es in dem vom Gericht zu entscheidenden Fall darauf nicht ankäme; vgl. BVerfGE 56, 54 (76). 19 So Bock, Umweltschutz, S. 129; Steiger, Mensch und Umwelt, S. 34; vgl. auch Dirnberger, Recht auf Naturgenuß, S. 207; Laufs, in: FS f. Weitnauer, S. 363, S. 365. 20 SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (210); weitergehend will Hofmann, Rechtsfragen, S. 308 f., wohl auch die "Freiheit von Furcht" vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG umfaßt sehen. 21 Dazu allgemein Mitscherlich, in: Der Kranke in der modernen Gesellschaft, S. 140 ff. 22 Vgl. zu dieser "Wirkungskette" schon oben, 1. Teil., C. m. 2. 23 So zutreffend SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (209).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Zutreffend ist zum anderen aber auch, daß die rein programmatische Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation nicht geeignet ist, den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu umschreiben. Bloße Beeinträchtigungen des psychischen und eventuell sogar nur des sozialen Wohlbefindens können zwar für den Betroffenen erheblich störend und belästigend sein - man denke etwa an die im Zusammenhang mit Fluglärm auftretenden Kommunikationsstörungen - sie sind jedoch auch bei angezeigtem weiterem Verständnis des Begriffs der körperlichen Unversehrtheit kein Thema des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Abgesehen davon, daß sie insgesamt weitgehend subjektiv bestimmt sind, während die Bestimmung des Schutzbereichs zumindest auf objektivierbare Kriterien angewiesen ist, stellen sie ihrer Wirkung nach eben keine solchen nichtkörperlichen Einwirkungen dar, die es rechtfertigen würden, sie (ausnahmsweise) körperlichen Beeinträchtigungen gleichzusetzen. Eine solche Vergleichbarkeit muß aber gefordert werden, soll das Grundrecht aus Art. 2 Abs.2 S. 1 GG einen konturierten, definierten und abgegrenzten Anwendungsbereich behalten. Das heißt freilich nicht, daß Störungen des psychischen Wohlbefindens ohne grundrechtliche Bedeutung wären. Belästigungen im obigen Sinne kann Relevanz im Zusammenhang mit Art. 14 GG zukommen, soweit sie die Nutzung des Eigentümerrechts beschränken, im übrigen kann Art. 2 Abs. 1 GG tangiert sein. Darauf wird gerade im Zusammenhang mit Fluglärmbelastungen noch näher einzugehen sein. 24 Wenn damit auch der Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in groben Linien vorgezeichnet ist, so bleibt es doch im Einzelfall schwierig, die Grenzen zwischen außerhalb des Schutzbereichs liegenden bloßen Belästigungen und Belastungen, die unter den (erweiterten) Begriff der körperlichen Unversehrtheit zu subsumieren sind, zu ziehen. Häufig wird geltend gemacht, das Verfassungsrecht bleibe diesbezüglich auf medizinische Erkenntnisse über die Abgrenzung von Gesundheit und Krankheit angewiesen. 25 Dieser Hinweis erfolgt sicher zurecht; welche "Ersatzmaßstäbe" könnte das Recht insofern auch bieten? Um so erstaunlicher ist es, daß bisher weder für das Verfassungsrecht, noch etwa für das einfachgesetzliche UmweItrecht, eine eingehendere Diskussion des Gesundheitsbegriffs unter (ausdrücklicher) Bezugnahme auf naturwissenschaftlich-medizinische Vorstellungen stattgefunden hat. 26 Dabei erscheint insbesondere das Verhältnis des Begriffs "Gesundheit" zum Begriff "körperliche Unversehrtheit" in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, was seine Bedeutung für den Schutzbereich anbelangt, klärungsbedürftig. Gleichwohl geVgl. unten 11. und IV. Siehe z.B. Hermes, Grundrecht, S. 225; SchmidJ-AßTTIfJTln, AöR 106 (1981), 205 (209 f.). 26 So der zutreffende Hinweis von Seewald, NuR 1988,161 (164), der sich selbst aber eingehend mit diesen Fragenkomplex auseinandersetzt; vgl. dazu insbesondere ders., Gesundheit, S. 54 ff. 24
25
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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braucht das Bundesverfassungsgericht die Begriffe "körperliche Unversehrtheit" und "Gesundheit" weitgehend synonym und verzichtet auf eine nähere Bestimmung des Terminus "Gesundheit" Y Eine solche Begriffsgleichsetzung findet sich gelegentlich auch in der Literatur28 ; häufig wird allerdings das Verhältnis so beschrieben, daß für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG der Tatbestand der körperlichen Unversehrtheit weiter sei, als der der Gesundheit. 29 Daran ist richtig, daß es Beeinträchtigungsvorgänge gibt, die sehr wohl unmittelbar die körperliche Integrität verletzen, nicht aber den Gesundheitszustand des Betroffenen nachteilig verändern, man denke nur an das bereits angesprochene, in der Literatur häufig zitierte Beispiel der Heileingriffe. 30 Auch die Entnahme eines Bluttropfens aus dem Ohrläppchen zu Diagnosezwecken stellt unzweifelhaft eine, wenn auch nicht sehr intensive, physische Einwirkung auf die körperliche Integrität dar, kann aber schlechterdings nicht als Gesundheitsbeschädigung angesehen werden. Andererseits gibt es aber auch Beeinträchtigungsvorgänge, die zwar nicht als unmittelbare körperliche "Versehrung" klassifiziert werden können, gleichwohl aber zu nachweisbaren Beeinträchtigungen des Gesundheitszustandes führen. 31 Deshalb ist der Begriff der "körperlichen Unversehrtheit" in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG gleichsam als Oberbegriff zu verstehen, der neben unmittelbaren körperlich-mechanischen Einwirkungen ("Versehrungen des Körpers"), die nicht notwendig zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes führen müssen, auch Gesundheitsbeeinträchtigungen umfaßt, die wiederum nicht notwendigerweise auf einer Verletzung der körperlichen Integrität beruhen müssen. Seewafd32 weist in diesem Kontext auf die unterschiedliche zeitliche Struktur bei der Feststellung einer Beeinträchtigung hin: Die Frage, ob eine Maßnahme den Körper versehrt, erfordert eine Betrachtung des Körpers lediglich während der Einwirkung, also eine "punktuelle" Sichtweise; unerheblich ist dabei, ob die Verletzungsmaßnahme später überhaupt noch erkennbar ist oder irgendwelche Folgen hat. Dagegen verlangt die Feststellung einer Beeinträchtigung der Gesundheit einen grundsätzlich auf längere Zeiträume bezogenen, sachverständi27 VgJ. Z.B. BVerfGE 51, 325 (343 ff.); BVerfGE 56, 54 (74). Auch das BVerwG läßt offen, was unter Gesundheit im Lichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu verstehen ist und wie das Verhältnis zur körperlichen Unversehrtheit zu bestimmen ist, vgJ. dazu die grundlegende Entscheidung BVerwGE 54, 211 (222 f.); vgJ. auch Seewald, NuR 1988, 161 (165). 28 VgJ. etwa bei Hermes, Grundrecht, S. 223 ff. 29 So rur die Gesundheit im biologisch-physiologischen Sinne v.Münch, in: v.Münch, GGKomm., Art. 2 Rn. 54; siehe auch Bal1es BB 1978, 130 (132); Hofmann, Rechtsfragen, S. 307; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 142; Steiger, Mensch und Umwelt, S. 33. 30 VgJ. v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 2 Rn. 54; Seewald, Gesundheit, S. 58 mit Fn. 36, spricht insoweit von einem Grundrecht gleichsam auf Unterlassung des "Kurierzwangs" . 31 Dazu Seewald, Gesundheit, S. 55. 32 Seewald, Gesundheit, S. 55.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
gen Vergleich des Gesundheitszustands vor der Einwirkung mit dem Gesundheitszustand nach der Einwirkung. In diesem Zusammenhang sei gleich noch auf einen weiteren Gesichtspunkt hingewiesen, der die Einbeziehung der Gesundheit in die Erörterung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und damit die Klärung des Gesundheitsbegriffs notwendig erscheinen läßt. Es ist ja nicht nur der Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu klären, sondern es sind auch Maßstäbe zu finden, an denen man die Schwere und Nachhaltigkeit einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit messen kann. 33 Wenn auch, wie gezeigt, eine (unmittelbare) Verletzung der körperlichen Integrität nicht zwangsläufig eine Gesundheitsbeeinträchtigung nach sich zieht, so werden doch häufig Beeinträchtigungen unter beiden Gesichtspunkten vorliegen; die Verletzung der körperlichen Integrität hat dann gesundheitliche Folgen, erschöpft sich also nicht in einer bloßen "Körperversehrung" . Damit kommt dem Vorliegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung aber auch die Rolle eines Indikators zu, was Schwere und Nachhaltigkeit eines Eingriffs in die körperliche Integrität und damit auch, was Schwere und Nachhaltigkeit eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit anbelangt. 34 Welcher Gesundheitsbegriff ist nun Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zugrundezulegen? Daß es nicht die Gesundheitsdefinition der Weltgesundheitsorganisation sein kann, wurde bereits dargelegt. 35 Mangels anderer geeigneter Maßstäbe ist vielmehr auf die herkömmlichen Abgrenzungen zwischen Gesundheit und Krankheit in der Medizin, also auf eine Kombination aus medizinisch-naturwissenschaftlichem und klinischem Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriff zu rekurrieren. 36 Danach ist zusammenfassend dann von einer Beeinträchtigung der Gesundheit bzw. von einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes auszugehen, wenn ein Befund gegeben ist, der ein objektivierbares Abweichen vom "Normalzustand" bzw. zeitlich gesehen, vom Zustand vor der Einwirkung, im Sinne einer anatomischen oder biochemischen Veränderung zeigt, oder wenn ein Befund gegeben ist, der eine geistig-seelische "Normabweichung" bzw. Zustandsveränderung aufweist, ohne daß organische, körperlich begründbare Ursachen vorliegen müsssen. In Zweifelsfällen kann insoweit danach gefragt werden, ob vom Ärztestandpunkt aus Behandlungsbedürftigkeit gegeben ist. 37 Erfaßt werden damit sowohl physische als auch psychische Gesundheitsstörungen. Ein solches "Gesundheitsverständnis" 33 34
35 36
37
Vgl. dazu ausführlicher unten 2. c. bb. Vgl. dazu auch Seewald, Gesundheit, S. 56. Vgl. oben aa. Vgl. zu den Begriffen bereits oben, 1. Teil, C. Vgl. dazu Seewald, Gesundheit, S. 132 ff.
m.
1. b.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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liegt zumindest implizit auch den meisten Äußerungen in der Literatur zugrunde, teilweise wird sogar ausdrücklich auf die medizinischen Gesundheitsbegriffe verwiesen. 38 Auf der Grundlage des so definierten Begriffs der Gesundheit können dann auch die meisten der eingangs angedeuteten Grenzfälle zwischen bloßer Belästigung und (gesundheitlicher) Beeinträchtigung anband eines objektivierbaren Maßstabs gelöst werden. Zwar soll nicht verhehlt werden, daß auch die Medizin nicht immer eindeutige Abgrenzungskriterien zur Verfügung stellen kann. 39 Gleichwohl läßt sich ein menschlicher Zustand anband medizinischnaturwissenschaftlicher und klinischer Kriterien im allergrößten Teil der Fälle klar und nachvollziehbar als "gesund" oder "krank" bezeichnen. 4O Zusammenfassend kann also festgehalten werden: Schon aus der Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist abzuleiten, daß der Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit, neben der Freiheit von körperlich-mechanischen Einwirkungen, auch die Freiheit von gezielten Beeinträchtigungen der psychischen Integrität wie psychische Folterungen und seelischen Quälereien umfaßt. Außerdem fallen alle auf der Grundlage des medizinisch-naturwissenschaftlichen und des klinischen Gesundheits- bzw. Krankheitsbegriffs objektivierbaren Störungen des physischen und des psychischen Gesundheitszustands in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, wobei es nicht darauf ankommt, daß diese Störungen organische Ursachen haben oder sich körperlich auswirken. Außerhalb des Schutzbereiches bleiben solche Störungen des psychischen Wohlbefindens, die als bloße Belästigungen keine gesundheitlich relevanten Effekte haben und Störungen des sozialen Wohlbefindens. 41
38 Siehe etwa bei Balles, BB 1978, 130 (132); Hermes, Grundrecht, S. 226; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 143; SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (210). 39 Dies konstatiert Hermes, Grundrecht, S. 209. 40 So sind etwa hochgradige Erregungs- oder Angsfzustände, die nach der eine Wertung voraussetzenden Definition des BVerfG wohl der Zufiigung von Schmerzen entsprechen würden und damit dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zuzuordnen wären, jedenfalls nach dem klinischen Gesundheitsbegriff vom Ärztestandpunkt als behandlungsbedürftig und damit als Gesundheitsstörung zu qualifizieren. 41 hn Ergebpis ähnlich Hermes, G~ndrecht, S. 209 f. und SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981),205 (210); vgl. zum ganzen auch Seewald, Gesundheit, S. 132 ff., insb. S. 138.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
cc) Fluglärmwirkungen und körperliche Unversehrtheit Wendet man das gefundene Ergebnis nun auf die beim Betrieb eines Verkehrs flughafens verursachten Lännwirkungen an, so ergibt sich folgendes Bild: Gesundheitliche Relevanz kann Fluglärmimmissionen von vorneherein nur dann zukommen, wenn die Belastungen über einen längeren Zeitraum auf den Menschen einwirken. Nur vorübergehende oder einmalige Expositionen haben keine gesundheitlichen Auswirkungen, entscheidend ist die Langzeitbelastung. 42 Die Feststellung einer Grundrechtsbetroffenheit setzt daher eine enge zeitliche und räumliche Beziehung der Grundrechtsträger zur Lännquelle voraus, wie sie etwa durch Wohnen oder Arbeiten im Belastungsgebiet, also in der näheren Umgebung des Verkehrsflughafens vermittelt wird.43 Als Folge der relativ engen Bestimmung des Anwendungsbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, verbleiben außerhalb des Schutzbereichs die infolge Fluglärms auftretende Kommunikationsstörungen, Störungen der Ruhe und Entspannung (Rekreation), soweit der Nachtschlaf nicht betroffen ist, Leistungsstörungen sowie Störungen der Konzentrationsfabigkeit. Gleiches gilt für subjektiv immer wieder beklagte Angst-, Furcht- und auch Schmerzempfindungen44 , soweit sich solche Befindlichkeitsstörungen nicht zu einer (psychischen) Gesundheitsstörung verdichten. All diese Beeinträchtigungen bewegen sich noch im Bereich des psychischen und sozialen Wohlbefindens und aktivieren noch nicht den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.45 Dem Bereich der Gesundheitsstörungen und damit dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 GG zuzuordnen sind dagegen unzweifelhaft die durch Fluglärm verursachten chronischen Störungen des Nachtschlafs, die sich insbesondere in Aufwachreaktionen und Veränderungen der Schlafstruktur (Schlaftiefe) äußern. 46 Ansonsten können jedoch Beeinträchtigungen der körperlichen U n42 Vgl. dazu schon oben,
1. Teil, C. m. 2. und 4. Dies gilt nicht nur für Gesundheitsbeeinträchtigungen, sondern für alle im Zusammenhang mit Fluglärm auftretenden Störungen und Belästigungen, die grund rechtlich relevant sein sollen; vgl. zum ganzen auch Hügel, Dritte als Betroffene, S. 149; Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), S. 119; zu den Konsequenzen im Hinblick auf die KIagebefugnis der Betroffenen gegen ein emittierendes Vorhaben vgl. etwa BVerwG, DVBI. 1983,183; OVG NW, NVwZ 1984, 385 (386), sowie ausführlich unten, 3. Teil, B. IV. 2. 44 Vgl. oben, 1. Teil, C. 11. 2.; die Bewertung von Schrnerzempfindungen ist allerdings in der Wirkungsforschung noch weitgehend ungeklärt; vgl. Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 213, S. 215 f. sowie die Ausführungen oben, 1. Teil, C. m. 3. d. 45 Zu ihrer Grundrechtsrelevanz vgl. aber unten D. und IV. 43
46 So auch die ganz h.M.; vgl. die Nachweise in Fn. 12; zu den Wirkungen des Fluglärms auf den Nachtschlafvgl. schon ausführlich oben, 1. Teil, C. m. 3. c.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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versehrtheit und insbesondere Störungen der Gesundheit durch Verkehrsflughafenlärm - wie der Überblick über die Ergebnisse der physiologischen und medizinischen Lärmwirkungsforschung gezeigt hat - bisher kaum zweifelsfrei nachgewiesen werden. 47 So sind Schädigungen des Hörorgans erst ab einer Dauerbelastung von etwa 85 dB(A) oder einer Impulsbelastung von etwa 120 - l30 dB(A) zu erwarten: Schallpegel, die auch in der unmittelbaren Umgebung eines Verkehrsflughafens heutzutage kaum mehr erreicht werden. Noch schwieriger ist die Beurteilung im extraauralen Bereich. Die durch die Schallereignisse ausgelösten, kurzzeitig auftretenden physiologischen Reaktionen auf der Basis der lärmbedingten, primären zentralnervösen Erregungen, können als "normale" physiologische Anpassungsreaktion (Streßreaktion) für sich noch nicht als Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit angesehen werden. 48 Es ist zwar erwiesen, daß eine häufige Auslösung solcher Reaktionen über einen längeren Zeitraum zu einer organischen Sensibilisierung mit auch anhaltenden physiologischen Veränderungen führen kann, ein eindeutiger Nachweis eines Zusammenhangs zwischen Fluglärmbelastungen und chronischen Veränderungen von Kreislaufparametem, wie z.B. Gefäßverengungen und Blutdruckerhöhungen, kann bei vorsichtiger Bewertung des momentanen Forschungsstands wohl noch nicht als erbracht angesehen werden, wenn daran auch kaum mehr Zweifel bestehen. 49 Veränderungen des Blutdruckverhaltens und des Hormonhaushalts sind wiederum als primäre Risikofaktoren für eine ganze Reihe von Herz-Kreislauferkrankungen (z.B. Hypertonie, Herzinfarkt) anzusehen. Daher liegen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge zwischen Lärmbelastung und Herz-Kreislauferkrankungen - nicht zuletzt nach den Ergebnissen neuerer epidemiologischer Untersuchungen - zwar nahe und werden dringend vermutet, letztlich ist aber ein exakter naturwissenschaftlichmedizinischer Nachweis für solche Zusammenhänge noch nicht gelungen.!iO Mag es somit auch an wissenschaftlichen Beweisen dafür, daß Fluglärm zu manifesten Erkrankungen führt, bisher weithin noch fehlen, so wird doch nahezu einhellig konstatiert, daß die chronische Belastung mit Fluglärm, je nach Intensität und Häufigkeit, die Gesundheit in erheblichem Maße gefährdet. 5\ Angesichts der "Beweisnot" der Lärmwirkungsforschung, kommt daher der Frage, ob und inwieweit auch bereits die Gefährdung der Gesundheit oder die Verursachung von Gesundheitsrisiken eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darstellt, für den Grundrechtsschutz in diesem Zusammenhang entscheidende Bedeutung zu. 47 Vgl. oben,!. Teil, C. III. 3. c.; zu den Ursachen dieses Nachweisdefizits oben,!. Teil, C. III. 4. 48 Vgl. dazu näher oben,!. Teil, C. III. 2. 49 Dazu oben,!. Teil, C. UI. 3. b. und 4. !iO Vgl. oben 1. Teil, C. III. 3. b. 5\ Vgl. oben 1. Teil, C. III. 4.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
b) Grundrechtsschutz bei Verursachung von Gesundheitsrisiken aa) Allgemeine Begründung Erstmals in der "Kalkar" -Entscheidung52 und von da an in ständiger Rechtsprechung53, vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, daß auch "Grundrechtsgefährdungen " verfassungswidrig sein können. "Grundrechtsgefährdungen" lägen zwar im allgemeinen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen, sie könnten jedoch unter besonderen Voraussetzungen Grundrechtsverletzungen gleichzusetzen sein und werden dann als "Grundrechtsverletzungen im weiteren Sinn" 54 oder als "verletzungsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung"55 bezeichnet. Diese Terminologie ist nicht gerade genau; gemeint ist, daß nicht erst die Beeinträchtigung, sondern auch schon die Gefährdung des grundrechtlichen Schutzguts unter bestimmten Voraussetzungen gegen das Grundrecht verstoßen kann. 56 Zur Begründung beruft sich das Gericht verschiedentlich auf die staatliche Schutzpflicht für die grundrechtlichen Schutzgüter . Grundrechte seien neben subjektiven Abwehrrechten auch objektiv-rechtliche Wertentscheidungen; die daraus resultierende staatliche Schutzpflicht könne auch die Pflicht zur Risikoabwehr umfassen und es gebieten, die Gefahr von Grundrechtsverletzungen einzudämmen. 57 Daraus ist in der Literatur teilweise abgeleitet worden, das Bundesverfassungsgericht stütze sich auf die staatliche Schutzpflicht auch dort, wo es nicht um "Grundrechtsgefährdungen" von seiten Dritter, sondern um solche von seiten des Staates, der staatlichen Organe gehe; "Grundrechtsverletzung" und "Grundrechtsgefährdung" hätten also in der Sicht des Bundesverfassungsgerichts unterschiedliche dogmatische Standorte. 58 Soweit
52 BVerfGE 49, 89 (140 f.); allerdings hat das Bundesverfassungsgericht schon in früheren Entscheidungen bei Prüfung der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Beschwer zwischen Grundrechtsgefahrdung und Grundrechtsverletzung unterschieden, vgl. z.B. BVerfGE 24,289 (294 f.) m.w.N .. 53 Vgl. BVerfGE 51,324 (346 f.); E 52,214 (220 f.); E 53,30 (51/58 f.); E 56,54 (77 f.); E 66, 39 (57 ff.); E 77, 170 (220 ff.); die Entscheidungen betreffen allesamt Art. 2 Abs.2 S. 1 GG. 54 So BVerfGE 51,324 (347). 55 So BVerfGE 66, 39 (58). 56
So auch Murswiek, Verantwortung, S. 128.
57 Vgl. etwa BVerfGE 49, 89 (141 f.); E 53, 30 (57); E 56, 54 (78). 58 Vgl. Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe, S. 283 ff.; Murswiek, Verantwortung,
S. 128; vgl. auch SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981),205 (215 f.), nach dessen Auffassung die Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. I GG "als Grundlage eines öffentliche und private Inunissionen gleichennaßen steuernden Schutzrechts" zu sehen ist.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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das Gericht die Figur der Grundrechtsverletzung anspreche, behandle es das betreffende Grundrecht als subjektives Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, während es die Figur der Grundrechtsgefährdung im Bereich der grundrechtlichen Schutzpflicht ansiedle. 59
Eine solche Differenzierung kann aber der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht entnommen werden; dies zeigen die Entscheidungen des Gerichts, bei denen es um staatliche Gefährdungen grundrechtlicher Schutzgüter geht. So wird schon in der Entscheidung zur Verhandlungsfähigkeit eines kranken Angeklagten60 lapidar und ohne Hinweis auf die grundrechtliche Schutzpflicht ausgeführt, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG "es den staatlichen Organen verbiete, den Beschuldigten in eine naheliegende, konkrete Lebensgefahr zu bringen" und in der "C-Waffen"-Entscheidung61 wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG "in seiner Funktion als grundrechtsschützendes Abwehrrecht" auch gegenüber Grundrechtsgefährdungen geltend gemacht werden könne. Einen gewissen Anhaltspunkt könnte obige These allenfalls in der umstrittenen Entscheidung des Gerichts zum Vollstreckungsschutz finden62 , wo zum einen von einer "Grundrechtsgefährdung" durch den Staat ausgegangen wird und zum anderen in der Aufgabe der staatlichen Organe, die Gefahr von Grundrechtsgefährdungen nach Möglichkeit einzudämmen, eine "verfassungsrechtliche Schutzpflicht" gesehen wird. Der Sache nach geht das Gericht aber von der Achtungspflicht des Staates aus, die die Kehrseite des grundrechtlichen Abwehranspruchs bildet. 63 Es wäre auch kaum nachvollziehbar, warum es einen Unterschied machen sollte, ob staatliches Handeln zu einer Beeinträchtigung der grundrechtlichen Schutzgüter führt, oder ob eine solche Beeinträchtigung nur droht. In beiden Fällen liegt das für die Schutzpflicht konstitutive Dreiecksverhältnis im Sinne der dieser Arbeit zugrundeliegenden SchutzpflichtdogmatikM eben nicht vor. Daß der Staat auch "Grundrechtsgefährdungen " unter noch näher zu klärenden Voraussetzungen zu unterlassen hat, kann sich daher nur aus der staatlichen Achtungspflicht, nicht aber aus der staatlichen Schutzpflicht ergeben. Auch gegenüber Fluglärmimmissionen, die (nur) zu einer "Grundrechtsgefährdung"
59
S.66.
So Luckow, Nukleare Brennstoffkreisläufe, S. 284 f.; ähnlich, Jarass, in: FS f. Lukes,
BVertGE 51,324 (347). BVertGE 77, 170 (220), Hervorhebungen vom Verfasser; vgl. auch bei Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 284. 62 BVerfGE 52, 214 (220 ff.). 63 Ähnlich in der "Nachrüstungs"-Entscheidung, BVerfGE 66, 39 (58 ff.); so auch die Bewertung von Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 283. 64 Vgl. oben A. U. 2. b. 60 61
9 Hennann
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
führen, wirken die Grundrechte der Betroffenen also bereits in ihrer Abwehrdimension. Wann liegt nun eine Grundrechtsgefährdung LS. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vor, bei jeder Risikoverursachung für das grundrechtliche Schutzgut, oder muß das Risiko eine gewisse, noch näher zu bestimmende Qualität aufweisen? Die einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verwenden die Begriffe "Grundrechtsgefährdung " , "Gefährdung von Grundrechten" und "Gefahr" weitgehend synonym.65 Mit "Grundrechtsgefährdung" ist also offensichtlich die Verursachung von Gefahren für das grundrechtlich geschützte Rechtsgut gemeint. Der Begriff der Gefahr ist aber ein allgemein anerkannter Rechtsbegriff, der im Polizei- und Ordnungsrecht entwickelt66 und für den Bereich des technischen Sicherheitsrechts verfeinert wurde. 67 Danach wird mit Gefahr eine Lage bezeichnet, in der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder Verhalten mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden an einem geschützten Rechtsgut führen wird. Wie groß diese Wahrscheinlichkeit sein muß, hängt vom Umfang des potentiellen Schadens ab. Je größer das potentielle Schadensausmaß ist, desto geringere Anforderungen sind an die erforderliche Eintrittswahrscheinlichkeit zu stellen. Ob eine Gefahr vorliegt und wie groß diese ist, ergibt sich also aus dem Produkt von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit. Bei außerordentlich großen drohenden Schäden kann daher schon eine entfernte Möglichkeit der Schädigung ausreichen, um eine Gefahr im Rechtssinne zu bejahen. 68 Dies zugrundelegend, muß konsequenterweise zwischen Gefahr und Risiko differenziert werden. Risiko ist im Unterschied zu Gefahr herkömmlich kein Rechtsbegriff. 69 Mit Risiko bezeichnet man eine Lage, bei der bei ungehindertem Ablauf des Geschehens ein Zustand oder Verhalten möglicherweise eine negative Folge haben wird, oder negativ formuliert, ein Risiko besteht 65 Vgl. z.B. BVerfGE 49,89 (142 f.); E 51,324 (346); E 56,54 (78); E 66,39 (58 f.). 66 Ausgehend von der Rechtsprechung des Preußischen Obervenvaltungsgerichts, vgl. z.B.
PrOVGE 77, 333 (338); E 78, 272 (278); E 87, 301 (310); E 98, 81 (86); zum polizeirechtlichen Gefahrenbegriff siehe etwa Drews/Macke/Vogel/Manens, S. 226; Lukes, in: Gefahren und Gefahrenbeurteilungen im Recht, S. 21 ff. 67 Vgl. dazu Marburger, WiVenv 1981, 241 (244); Benda, ET 1981, 868; Ladeur, UPR 1993, 121. 68 Vgl. zum ganzen etwa Breuer, DVBI. 1978, 829 (833); Lukes, in: Gefahren und Gefahrenberurteilungen im Recht, S. 23 ff., S. 31 f.; Ossenbühl, DÖV 1976, 463 (466); Marburger, in: Bitburger Gespräche 1981, S. 41; Murswiek, Verantwortung, S. 83 f.; Wine, Staatshaftung, S. 16 f. 69 Vgl. aber jetzt z.B. § 7 GenTG, wo gentechnische Arbeiten, je nach Größe des von ihnen verursachten Risikos fur die menschliche Gesundheit und die Umwelt, in vier Sicherheitsstufen eingeteilt werden.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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nur dort nicht, wo ein Zustand statisch ist und jede nachteilige Änderung ausgeschlossen ist. 10 Damit wird der entscheidende Unterschied zwischen Risiko und Gefahr deutlich. Während jede Möglichkeit eines Schadenseintritts und sei sie auch noch so entfernt und ungewiß, ein Risiko darstellt, ist eine Gefahr nach der allgemein anerkannten "Je-desto-Formel" erst dann gegeben, wenn die Schädigungswahrscheinlichkeit hinreichend groß ist. 11 Dagegen wird vor allem in der atomrechtlichen Literatur die grundsätzliche Trennung zwischen Gefahr und Risiko im Sinne einer "bloßen Risikorhetorik" teilweise für überflüssig gehalten. 12 Richtig ist zwar, daß bei außerordentlich großen potentiellen Schäden auch bei sehr niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit nach der Produktformel eine Gefahr besteht; im Extremfall kann damit sogar jede Risikoverursachung ausreichen, um angesichts der exorbitanten Schadensdrohung eine Gefahr zu bejahen. 13 In solchen Extremfalien würde sich dann tatsächlich eine Unterscheidung zwischen Gefahr und Risiko erübrigen und es spricht auch einiges dafür, daß gerade im Atomrecht, aber möglicherweise teilweise auch im Gentechnikrecht, von solchen Fallkonstellationen auszugehen ist. Soweit es also etwa Herrnes14 darum geht aufzuzeigen, daß es sich bei bestimmten Fallkonstellationen im Atomrecht, die mit den Begriffen "Risiko", "Risikorest" oder "Restrisiko" klassifiziert werden, schon bei konsequenter Anwendung der Produktformel, angesichts der immensen potentiellen Schäden um Gefahren handelt, kann ihm durchaus beigepflichtet werden; insoweit wird wirklich "Risikorhetorik" betrieben. An der grundsätzlichen Notwendigkeit nach dem herkömmlichen Gefahrenbegriff, den ja auch Herrnes anerkennt1 5 , zwischen Gefahr und Risiko zu differenzieren, ändert dies aber nichts. Dies wird sofort einsichtig, wenn der potentielle Schaden relativ gering ist, denn dann führt die Produktformel eben nicht für jedes Risiko zur Gefahr, sondern nur für solche Risiken, deren Verwirklichung relativ wahrscheinlich ist. Damit soll allerdings nicht geleugnet werden, daß die Bestimmung dieser "Gefahrenschwelle" eines der schwierigsten Probleme des techniMurswiek, Verantwortung, S. 81. M.a.W.: Jede Gefahr i.S.d. des Gefahrenbegriffs ist zugleich ein Risiko, aber nicht jedes Risiko ist zugleich eine Gefahr; vgl. dazu ausfiihrlich Reich, Gefahr-Risiko-Restrisiko, S. 75 ff.; Ladeur, UPR 1993, 121. I. E. herrscht aber reichliche Begriffsverwirrung ; es ist von Gefahrenabwehr, Gefahrenvorsorge, Risikovorsorge, Schadensvorsorge, Restrisiko, Risikorest, Risiken mit erkannter und ohne erkannte Gefahrenqualität und Risikovorsorge unterhalb der Schädlichkeitsschwelle die Rede; dazu beispielsweise Benda, ET 1981, 868 f.; Reich, Gefahr-Risiko-Restrisiko, S. 86; Wagner, NIW 1980, 665 (668). Dem entspricht eine hohe Zahl unterschiedlicher Deutungsversuche des Verhältnisses von "Gefahr" zu "Risiko", denen im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht weiter nachgegangen werden kann. 12 Vgl. etwa Baumann, JZ 1982, 749 (754); Hofmann, Rechtsfragen, S. 351; Mayer-Tasch, ZRP 1979, 59 (60 f.). 13 So auch Steiger, in: Salzwedel (Hrsg.), S. 38. 14 Hermes, Grundrecht, S. 237. 10
11
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Hermes, Grundrecht, S. 237.
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schen Sicherheitsrechts überhaupt darstellt und eine Auseinandersetzung damit an dieser Stelle nur ansatzweise stattfinden kann. Der gerade skizzierte, allgemein anerkannte Gefahrenbegriff liegt offensichtlich auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde, wenn in der "Kalkar"- und in der "Fluglärm"-Entscheidung von der "Gefahr" (von Grundrechtsverletzungen) die Rede isC6 und in der "C-Waffen"-Entscheidung auf die übliche Produktformel zur Bestimmung einer (rechtlich relevanten) Gefahr verwiesen wird77 • Eine Grundrechtsgefährdung i.S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist also - auch vom Wortsinn her naheliegend - jedenfalls dann gegeben, wenn das grundrechtlich geschützte Rechtsgut Gefahren ausgesetzt wird. Soweit staatliche Organe Grundrechte gefährden, also Gefahren für das grundrechtlich geschützte Rechtsgut verursachen, sieht das Bundesverfassungsgericht darin auch einen Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts. Dies läßt sich insbesondere mit der bisher letzten Entscheidung des Gerichts zur Grundrechtsgefährdung, dem "C-Waffen" -Beschluß belegen. 78 Dort findet sich die Aussage, daß eine Grundrechtsgefährdung, "die die Schwelle verfassungsrechtlich unerheblicher Grundrechtsbeeinträchtigung überschreitet, als (... ) unzulässiger Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. I GG, mithin als Verletzung des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit anzusehen ist".79 Unterschieden werden also solche Grundrechtsgefährdungen, die die "Schwelle verfassungsrechtlich unerheblicher Grundrechtsbeeinträchtigung " nicht überschreiten und solche, die diese "Schwelle" überschreiten. Damit wird aber zumindest implizit klar, daß jede Gefährdung des grundrechtlichen Schutzguts einen Grundrechtseingriff bzw. eine eingriffsgleiche Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt. Denn auch solche Gefahren, die keinen unzulässigen Eingriff in das Grundrecht darstellen, sind in der Diktion des Gerichts "Grundrechtsbeeinträchtigungen" . An anderer Stelle heißt es dann, daß die gesetzlichen Regelungen (der §§ 22, 60 BlmSchG) "das zulässige Maß gesetzlicher Eingriffe in das durch Art. 2 Abs. 2 S. I GG gewährleistete Grundrecht" noch nicht überschreiten80 , von einem Eingriff - wenn auch nicht von einem unzulässigen Eingriff, einer Verletzung des Grundrechts - geht das Gericht auch in diesem Zusammenhang offensichtlich aus. Außerdem wird dahingestellt, "ob das Restrisiko, das bei Einhaltung der von § 22 Abs. I S. I BImSchG geforderten Maßnahmen zur Gefahrenabwehr von Anlagen zur 76
BVerfGE 49, 89 (142); BVerfGE 56, 54 (78).
77 BVerfGE 77, 170 (224); vgl. auch BVerfGE 49,89 (142). 78 BVerfGE 77, 170 ff. 79 BVerfGE 77, 170 (220), Hervorhebungen und Auslassungen vom Verfasser. 80
BVerfGE 77, 170 (226), Hervorhebung vom Verfasser.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
133
Landesverteidigung ausgeht, die Schwelle zum Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Rechtsgüter überschreitet"81; wenn schon für das "Restrisiko" ein Eingriff für möglich gehalten wird, dann muß - a maiore ad minus - jedenfalls in der Verursachung von Gefahren ein Eingriff gesehen werden. Schließlich, schon in der Entscheidung zum Vollstreckungsschutz ist von einer Gefährdung von Grundrechten durch staatliche Eingriffe die Rede82 und in der Entscheidung zur Nachrüstung wird "eine den Schutzbereich des Rechts auf Leben betreffende Beeinträchtigung" dann angenommen, wenn staatliches Verhalten in ursächlicher und zurechenbarer Weise eine Gefahr verursacht. 83 Festgehalten werden kann also. daß das Bundesverfassungsgericht die staatliche Verursachung von Gefahren für das grundrechtliche Schutzgut ohne weiteres einem Grundrechtseingriff gleichsetzt und dies hinsichtlich der Verursachung von Risiken, die unterhalb der "Gefahrenschwelle" bleiben offenläßt, aber wohl für denkbar hält. 84 Wie kann aber nun überhaupt begründet werden, daß schon die Verursachung von Gefahren bzw. Risiken einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff (i. w. S.) in das Grundrecht bzw. eine "eingriffsgleiche Beeinträchtigung" des Grundrechts darstellt? Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion geben dem Einzelnen einen Anspruch auf Unterlassung staatlicher Beeinträchtigungen der grundrechtlich geschützten Güter. Sie verpflichten den Staat die Grundrechte zu achten, also Eingriffe in den Schutzbereich der Grundrechte zu unterlassen, soweit nicht ein Gesetzesvorbehalt (ausdrücklich oder immanent) die Einschränkung zuläßt und ein Gesetz den Eingriff rechtfertigt. Dies ist selbstverständlich, soweit es um Eingriffe im klassischen Sinne geht, d.h. um gezielte und willentliche Nachteilszufügungen durch Rechtsakt. 85 Nun ist aber die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzguts vielfach gar nicht gezielt und gewollt. sondern (ungewollte) Folge eines auf ganz andere Zwecke gerichteten staatlichen Handeins. Der Staat der Daseinsvorsorge und der Sozialintervention schafft so vielfältige Gefährdungslagen und bewirkt so viel Unvorhergesehenes, daß ein großes Bedürfnis nach Schutz auch vor nicht gezielten, faktischen Beeinträchtigungen entstanden ist. 86 Dies gilt gerade für den Bereich des Immissionsschutzes, mit seinen weithin indirekten, umwelt81 BVerfGE 77, 170 (225), Hervorhebungen vom Verfasser. BVerfGE 52, 214 (220). Vgl. BVerfGE 66, 39 (60); an anderer Stelle (a.a.O. S. 59) ist dann von der "Eingriffsqualität" von Grundrechtsgefahrdungen die Rede. 84 Dagegen will EckhojJ, Der Grundrechtseingriff, S. 284, aus der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG ableiten, daß nur "qualifizierte" Grundrechtsgefahrdungen Eingriffsqualität besitzen. 85 Vgl. zu den Kriterien des "k1assischen" Eingriffsbegriffs z.B. Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 336 f. 86 Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 9 f.; vgl. auch BVerfGE 46, 120 (137 f.). 82
83
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
vermittelten und multikausalen Beeinträchtigungsvorgängen. 87 Der Schutz der grundrechtlichen Schutzgüter kann daher nur dann effektiv sein, wenn er sich auch gegen nicht finale Beeinträchtigungen richtet. Nach modernem Eingriffsverständnis ist daher unter Eingriff (i.w.S.) jedes staatliche Handeln zu verstehen, das dem Einzelnen ein Verhalten, welches in den Schutzbereich der Grundrechte fällt, unmöglich macht oder wesentlich erschwert. 88 Die Grundrechte schützen nicht nur vor gewollten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter, sondern grundsätzlich auch vor nicht-gezielten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter , soweit diese Wirkung von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgeht. 89 Wenn Grundrechte auch vor nicht-finalen Beeinträchtigungen schützen, so hat dies aber Konsequenzen für die Formulierung des Schutzbereichs der Grundrechte. Denn während finale Eingriffe unproblematisch verboten werden können, ist dies bei ungezielten Beeinträchtigungen kaum möglich; ein Anspruch auf Unterlassung auch ungewollter Beeinträchtigungen ist ja als solcher nicht vollziehbar. 90 Um nicht-finale Grundrechtsbeeinträchtigungen zu 87 Vgl. SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (207). Auch Fluglännimmissionen, ausgelöst durch den (staatlichen) Betrieb eines Verkehrsflughafen, sind als "Realakte der öffentlichen Gewalt" zu qualifIZieren, da Immissionen an sich ein rechtsneutraler Realvorgang sind; vgl. BVerwGE 77, 292 (297 f.); BayVGH, BayVBI. 1990, 82 (83) "Flughafen München"; Ossenbühl, NJW 1983, 1 (3). 88 So Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 65 Rn. 274; ähnlich BleckmannlEckhojf, DVBI. 1988, 373; zur Ausfaltung des klassischen Eingriffbegriffs vgl. die eingehende Darstellung bei Eckhojf, Der Grundrechtseingriff, S. 236 ff. m.w.N. 89 Vgl. nur BVertGE 13, 181 (185 f.); E 46, 120 (137 f.); E 61,260 (308); E 66, 39 (60); BVerwGE 75, 109 (115); E 87,37 (42). Dies muß - jedenfalls was den Schutz der menschlichen Gesundheit anbelangt - auch für sog. Bagalelleingrijfe gelten. Wenn das BVertG einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit tatsächlich verneinen sollte, wenn dieser nur geringfügig und damit zumutbar ist (so zumindest interpretiert v.Münch, in: v.Münch GG-Komm, Art. 2 Abs. 2 Rn. 57, das Gericht unter Berufung auf BVertGE 17, 109 [115]; dagegen wird in BVertGE 56, 54 [75] hervorgehoben, daß das Gericht die Frage dort ausdrücklich offengelassen hat) und das BVerwG feststellt, "daß es schlechterdings nicht Sinn des Grundgesetzes sein kann den Menschen auch vor solchen Eingriffen zu schützen, die unwesentlich sind" (BVerwGE 46, 1 [7]; vgl. auch BVerwGE 54,211 [223]; aus der Literatur vgl. etwa EmJers, AöR 115 (1990), 610 (625) und Eckhojf, Grundrechtseingriff, S. 252 ff., nach dessen Konzeption die Beeinträchtigung eine, je nach Freiheitsrecht unterschiedliche Mindestintensität aufweisen muß), so ist daran richtig, daß geringfügige Eingriffe in der Regel hinzunehmen sind, wenn sie einem Ziel des Gemeinwohls dienen. Das ist aber keine Frage des Grundrechlslalbeslandes sondern eine der Grundrechlsschranken. Was dem Gemeinwohl dient, muß der Gesetzgeber entscheiden und deshalb sind auch Beeinträchtigungen von geringer Intensität nur auf gesetzlicher Grundlage möglich und rechtfertigungsfähig. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt die Freiheit vor Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit umfassend und nicht etwa nur im Rahmen des sozial wünschenswerten und üblichen. Daran ist um so mehr festzuhalten, als gerade im Bereich des Gesundheitsschutzes es kleine, kaum merkliche Bagatellbeeinträchtigungen sind, die sich zu schwerwiegenden, chronische Krankheiten auslösenden Belastungen summieren können (vgl. zum ganzen auch ausführlich Murswiek, Verantwortung, S. 193 ff.). 90 Jedenfalls soweit der "Erfolgseintritt" nicht voraussehbar ist. Gebote und Verbote können sich ja nur an mögliches menschliches Verhalten richten.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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vermeiden, muß daher die staatliche Achtungspflicht schon im Vorfeld auf die Vermeidung von Risiken für das grundrechtlich geschützte Rechtsgut gerichtet sein oder - in der Terminologie des Bundesverfassungsgerichts - der Anspruch geht auf Unterlassung von "Grundrechtsgefährdungen" , der Staat ist verpflichtet auch "Grundrechtsgefährdungen" zu vermeiden. Im Ergebnis; der Schutzbereich des Grundrechts umfaßt auch die Freiheit von Risiken. 91 Dabei geht es nicht eigentlich um "vorbeugenden Grundrechtsschutz" , denn daß die Grundrechte Schutz bieten sollen vor Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter und nicht erst Kompensation für bereits erfolgte Beeinträchtigungen, gilt allgemein. Die Freiheit von Risiken gilt nach der Konzeption Murswieks nicht nur für Gefahren i.S.d. allgemeinen Gefahrenbegriffs, sondern auch für jedes denkbare Risiko unterhalb der "Gefahrenschwelle" . Auch eine solche Risikoverursachung bedeutet nach seinem Begründungsansatz einen Eingriff (i.w.S.) und bedarf einer gesetzlichen Grundlage. Aber stellt wirklich jedes auch nur theoretisch denkbare Risiko einen Grundrechtseingriff (i.w.S.) dar? Für das Atomrecht wurde mit den Grundsätzen der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge in § 7 Abs. 2 AtomG ein Maßstab aufgestellt, der eine Genehmigung nur dann zuläßt, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheint, daß es zu einer Risikoverwirklichung kommt. 92 Das Bundesverfassungsgericht sieht in Ungewißheiten jenseits dieser Schwelle "praktischer Vernunft"93 die Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens erreicht und hält sie für "unentrinnbar". 94 Man wird diese Überlegungen dahingehend verallgemeinern können, daß solche Risiken, deren Verwirklichung nach jeweiligem wissenschaftlichem Erkenntnisstand so gut wie ausgeschlossen ist, bei denen allenfalls theoretisch eine ja niemals völlig zu verneinende Ungewißheit besteht, den Schutzbereich des Grundrechts nicht betreffen. 95 Die "Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens" muß auch die Grenze dessen sein, was grundrechtlich von Bedeutung ist. Allenfalls theoretisch noch denkbare Geschehensabläufe unterhalb der so bestinunten "Risikoschwelle" sind grundrechtlich irrelevant. 91 So der Begründungsansatz von Murswiek, Verantwortung, S. 129 tT., dem hier in wesentlichen Grundannahmen gefolgt wird. Murswiek sieht diese Konzeption auch der Rechtsprechung des BVertG zur "Grundrechtsgefahrdung" zugrundegelegt; vgl. a.a.O, S. 130. 92 Vgl. Bender, NJW 1979, 1425 tT. 93 Verstanden als Erkenntnisstand von Wissenschaft und Technik; vgl. dazu Breuer, DVBI. 1978, 829 (835) und Benda, ET 1981, 868 (870); kritisch Heilsch, Genehmigung, S. 34 f.; Mayer-Tasch, ZRP 1979, 59 (60 f.). 94 BVertGE 49, 89 (143); vgl. dazu auch Kloepjer, Umweltrecht, § 2 Rn. 17; Hoppel Beckmann, Umweltrecht, § 4 Rn. 50. 95 Vgl. dazu auch Hermes, Grundrecht, S. 234, der ähnliche Erwägungen unter dem Gesichtspunkt der Kausalität anstellt.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Mit dieser Einschränkung wird man aber dem Ansatz Murswieks jedenfalls für Art. 2 Abs. 2 S. 1. GG folgen können. Wenn auch den Grundrechten möglicherweise keine (abstrakte) Rangordnung entnommen werden kann96 , so stellen doch Leben und körperliche Unversehrtheit innerhalb der grundgesetzlichen Wertordnung Höchstwerte dar97 • Damit ließe es sich kaum vereinbaren, wenn die Belastung mit Lebens- und Gesundheitsrisiken auch unterhalb der "Gefahrenschwelle" durch staatliche Organe ohne weiteres, insbesondere ohne gesetzliche Grundlage hingenommen werden müßte. Die Verursachung von Risiken ist - jedenfalls was die Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Leben und körperliche Unversehrtheit anbelangt - niemals eine außerhalb des Schutzbereichs bleibende, grundrechtlich irrelevante Bagatelle, mag sich die Verursachung von Risiken unterhalb der Gefahrenschwelle auch vielfach ohne größeren Begründungsaufwand verfassungsrechtlich rechtfertigen lassen. Es mag zwar richtig sein, daß es kein Grundrecht auf risiko freies Leben gibt. 98 Aber der durch Art. 2 Abs. 2 GG vermittelte Schutz steht auch nicht unter dem "Vorbehalt sozialadäquater zivilisatorischer Risiken" oder einer wie auch immer zu bestimmenden "Situationsgebundenheit"99; er steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes. Ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff (i. w. S.) in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG liegt daher nicht erst dann vor, wenn das grundrechtliche Schutzgut tatsächlich beeinträchtigt wird, sondern schon dann, wenn das Schutzgut einem Beeinträchtigungsrisiko ausgesetzt wird. bb) Gesundheitsrisiken durch Fluglärmbelastung Soweit die Belastung mit Fluglärm in der Umgebung von Verkehrsflughäfen zu Gesundheitsrisiken bei der dort wohnenden und arbeitenden Bevölkerung führt, ist also der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen. Dies gilt für Gesundheitsrisiken, die nach der "Je-desto-Formel" des allgemeinen Gefahrbegriffs die "Gefahrenschwelle" erreichen oder überschreiten; dies gilt nach dem oben ausgeführten aber auch für Risiken, die diese 96 Vgl. dazu näher unten 2. c. bb. 97
Marburger, WiVerw 1981,241 (244).
98 So Bemm, ET 1981, 868 (869); Marburger, WiVerw 1981,241 (244). 99 So aber Degenhan, Kernenergierecht, S. 148 ff.; tiers., ET 1981, 203 (204 ff.); kritisch
zum Ansatz von Degen/um, Eckhoif, Der Grundrechtseingriff, S. 250 ff.; Heilseh, Genehmigung, S. 36 f.; Hofmann, BayVBI. 1983, 33 (35 f.); Baumann, JZ 1982, 749 (751 ff.); Murswiek, Verantwortung, S. 146 ff. Letztendlich wird hier versucht gewisse allgemeine Schranken der Grundrechte nicht "von außen" an die Grundrechte heranzutragen, sondern schon zur Einschränkung des Schutzbereichs heranzuziehen. Damit werden aber die allgemeinen, bei Eingriffen in Grundrechte vorausgesetzten rechtsstaatlichen Schutzinstrumente und Sicherungen wie Gesetzesvorbehalt, Zitiergebot und Verhältnisrnäßigkeitsgrundsatz unterlaufen; vgl. etwa bei Bleckmann, Staatsrecht U, S. 328 f.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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Schwelle zwar nicht erreichen, aber jedenfalls die skizzierte "Risikoschwelle" überschreiten. Ab welcher Fluglännbelastung nun von einem Gesundheitsrisiko gesprochen werden kann, ist in erster Linie eine außerrechtliche Frage, die insbesondere die Lännwirkungsforschung zu beantworten hat. Auch für die Bestimmung der "Gefahrenschwelle" LS.d. allgemeinen Gefahrbegriffs ist das Recht auf außerrechtliche Erkenntnisse angewiesen, soweit es um die Wahrscheinlichkeit von potentiellen Gesundheitsstörungen, die Schwere der drohenden Gesundheitsschäden und die Verbreitung solcher potentieller Schadensereignisse geht. Auf die vielfaItigen Schwierigkeiten, angesichts der starken inter- und intraindividuellen Streuung von Fluglännreaktionen und der Komplexivität und der Unspezifität der Wirkungsfaktoren, allgemeine Aussagen über fluglärmbedingte Gesundheitsrisiken zu machen, wurde ja bereits mehrfach hingewiesen. lOO Gleichwohl kann bei gebotener vorsichtiger Bewertung der Ergebnisse der Fluglännwirkungsforschung davon ausgegangen werden, daß schon bei relativ niedrigen Schallbelastungen über einen längeren Zeitraum das Risiko von gesundheitlich relevanten Folgeprozessen nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. So führen etwa Einzelschallereignisse im Bereich von 45 - 50 dB(A) im Wachzustand zu ersten physiologischen EEG-Reaktionen und zu ersten, noch unspezifischen Beeinflussungen des Schlafablaufs, die - bei häufigem Auftreten - als gesundheitlich nicht völlig irrelevant bewertet werden. lOl Bei mittlerer Schallintensität und Ereignishäufigkeit besteht bei einer Lärmexposition über einen längeren Zeitraum schon eine relativ hohe Wahrscheinlichkeit, daß es zumindest zu cardiovaskulären Gesundheitsstörungen und -schäden kommt. 102 Andererseits sind angesichts des doch erheblichen drohenden Schadensumfangs und Schadensausmaßes (es drohen ja Schädigungen der Gesundheit von einigem Gewicht) die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht zu hoch anzusetzen, um nach der Produktformel eine Gefahr zu bejahen. Jedenfalls bei Belastung mit Schallpegeln mittlerer Intensität und Häufigkeit wird daher die "Gefahrenschwelle" erreicht bzw. überschritten; solche Immissionen sind bereits als (Gesundheits-)Gefahr anzusehen.
lOO Vgl. oben, 1. Teil, C. III. 3. b. und c. sowie 4., C. IV. I. Es wird daher ein "objektivierender Maßstab" anzulegen sein, der vom "durchschnittlichen Gesundheitsrisiko" auszugehen hat, allerdings - soweit möglich - unter BeIiicksichtigung von "Risikogruppen" wie z.B. alten Menschen oder Schwangeren; vgl. dazu auch Murswiek, Verantwortung, S. 297 f.
Pn.28.
Vgl. I. Teil, C. III. 3. c. sowie Jansen, in: Koch (Hrsg.), S. 18 f. Nach den Ergebnissen der Wirkungsforschung besteht jedenfalls bei Lärmbelastungen, die einem äquivalenten Dauerschallpegel von 60 - 65 dB(A) entsprechen, ein deutlich erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen; vgl. oben, I. Teil, C. III. 3. b. lOl
102
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
2. Verfassungsrechtnche Rechtfertigung von fluglärmbedingten Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. I GG
Wenn die durch den Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgelösten Lärmimmissionen zu einem Gesundheitsschaden führen oder zumindest ein gesundheitliches Risiko darstellen, ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen. Das Grundrecht wirkt dann zunächst einmal als Sperre; solche Beeinträchtigungen sind grundsätzlich unzulässig, wenn sie nicht auf gesetzlicher Grundlage erfolgen (Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) und ihre Zulassung sich nicht am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips rechtfertigen läßt. Im folgenden wird daher untersucht, ob sich die Verursachung von Lärmimmissionen in der Umgebung von Verkehrsflughäfen auf eine gesetzliche Grundlage zurückführen läßt (unter a.), ob das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zur Anwendung kommt (unter b.) und ob und inwieweit sie nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips rechtfertigungsfähig ist (unter c.). a) Gesetzesvorbehalt (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) Eingriffe in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sind nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG nur auf der Grundlage eines Gesetzes möglich. Nach historischem Verständnis besteht die Funktion des Vorbehalts des Gesetzes darin, die Exekutive, dort wo sie zur Durchsetzung freiheitsbeschränkender staatlicher Zwecke das Mittel des Gebots oder Verbots einsetzt, an entsprechende Vorentscheidungen des Gesetzgebers zu binden. 103 Aus diesem Blickwinkel gesehen könnte es zweifelhaft erscheinen, ob der Vorbehalt des Gesetzes auch für nicht-finale Eingriffe gilt. Gleichwohl geht das Bundesverfassungsgericht - ohne nähere Begründung - davon aus, daß auch "Grundrechtsgefährdungen " einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. 104 Das leuchtet ein, wenn man auch in nicht-finalen, faktischen Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter und schon in der (ungewollten) Verursachung von Risiken für die grundrechtlichen Schutzgüter einen Eingriff (i.w.S.) in den Schutzbereich des Grundrechts sieht. Die demokratische Legitimation des Eingriffsaktes soll dessen freiheitsverkürzende Wirkung ausgleichen. Für den Betroffenen und den Umfang seines Freiheitsstatus ist es gleichgültig, ob es zu dieser Freiheitsverkürzung durch finalen Rechtsakt oder durch ungezielten Realakt kommt. 105
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Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 96 f.; Seimer, JuS 1968,489 (493). Vgl. nur BVerfGE 77, 170 (225). So Papier, NJW 1974, 1797 (1798).
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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Fraglich ist aber, ob es überhaupt möglich ist, den Vorbehalt des Gesetzes auf nicht-finale Eingriffe zu erstrecken. Dagegen könnte eingewandt werden, daß sich faktische Beeinträchtigungen generell der Normierbarkeit entzögen, weil die Verwaltungstätigkeit gelähmt würde, wenn jede Maßnahme, die vom Gesetzgeber nicht vorhergesehene, belastende Nebenwirkungen haben kann, verfassungswidrig wäre, und daß deshalb der Vorbehalt des Gesetzes auf faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht anwendbar sei. 106 Eine solche Schlußfolgerung erscheint aber zumindest in dieser Allgemeinheit nicht haltbar. Zunächst einmal gilt nicht für alle ungewollten Nebenfolgen staatlichen Handeins, daß sie nicht voraussehbar sind. Führt ein auf andere Zwecke gerichtetes staatliches Handeln aber zu einer vorhersehbaren Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter - also etwa die Belastung mit Fluglärm einer gewissen Intensität regelmäßig zu Gesundheitsstörungen - so bleibt diese Beeinträchtigung der gesetzlichen Normierung ohne weiteres zugänglich. Die Herbeiführung von untypischen und nicht voraussehbaren Folgen ist allerdings nicht normierbar. Insofern erscheint die Forderung nach einer gesetzlichen Grundlage für jede einzelne faktische Grundrechtseinwirkung tatsächlich als problematisch. 107 Deshalb muß aber auf den Gesetzesvorbehalt nicht gänzlich verzichtet werden, er kann nur für nicht-finale Eingriffe nicht die gleiche Struktur haben wie für finale Eingriffe. Ein Grundrechtseingriff liegt in diesem Bereich ja auch nicht (erst) im Eintritt nicht vorhersehbarer Folgen staatlichen Handeins, sondern bereits in der Erzeugung von Risiken für das grundrechtliche Schutzgut. Die Funktion des Gesetzesvorbehalts kann insoweit nur sein, die Größe des Risikos zu bestimmen, welches der Einzelne im Interesse der von der Verwaltung zu verfolgenden Zwecke tragen muß; dies ist aber durchaus gesetzlich normierbar. 108 Freilich kann nicht verlangt werden, daß sich die gesetzliche Ermächtigung auf die Erzeugung ganz bestimmter Risiken für bestimmte Schutzgüter bezieht und auch nicht, daß die Verwaltung dazu ausdrücklich gesetzlich ermächtigt wird. Insoweit ist es vielmehr ausreichend, wenn sich die Ermächtigung implizit aus einem Gesetz ergibt, welches die im Rahmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben zu beachtenden Sorgfaltspflichten festlegt. 109 Für den Bereich Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 94. So Papier, NJW 1974, 1797 (1798); Murswiek, Verantwortung, S. 135; dann müßte die VelWaltung wirklich "vor dem Untypischen kapitulieren". 108 Murswiek, Verantwortung, S. 135. Erst wenn Risiken staatlichen Handeins nicht erkennbar sind, wäre die Grenze erreicht, wo ein Schutzbereich staatlicher Regelung nicht mehr zugänglich ist; vgl. BVerfGE 49, 89 (126); bei solcher Ungewißheit der Folgen staatlichen Handelns liegt nach der hier vertretenen Konzeption aber auch kein Eingriff in den Schutz bereich mehr vor; vgl. oben 1. b. aa. 109 BVerfGE 49, 89 (129). 106 107
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
öffentlich-rechtlicher Immissionen kann der Konflikt zwischen gesetzlich Regelbarem und den Erfordernissen des Gesetzesvorbehalts dadurch gelöst werden, daß zwar nicht die einzelne faktische Grundrechtsbeeinträchtigung, wohl aber die Errichtung und der Betrieb der Einwirkungsquelle der gesetzlichen Grundlage bedarf. Wenn der Betrieb dann unter Beachtung der gesetzlich auferlegten Sorgfaltspflichten als ungewollte Nebenfolge grundrechtliche Schutzgüter beeinträchtigt oder Risiken für grundrechtliche Schutzgüter verursacht, nehmen diese Folgewirkungen an der Legitimationswirkung der gesetzlich geregelten Zulassung des Betriebs teil. l1O Die Verursachung von Gesundheitsrisiken oder gar von Gesundheitsstörungen durch den Betrieb eines Verkehrsflughafens, könnte also grundsätzlich in den luftverkehrsrechtlichen Genehmigungs- und Planfeststellungsvorschriften mit ihren spezifischen Schutz- und Sorgfaltsanforderungen (§§ 6, 8, 9 Abs. 2 LuftVG)l1l eine dem Vorbehaltsprinzip genügende gesetzliche Grundlage finden. 112
b) 7i.tiergebot Wenn die luftverkehrsrechtlichen Genehmigungs- und Zulassungsvorschriften die Verursachung von Gesundheitsrisiken oder gar von Gesundheitsbeschädigungen in Kauf nehmen sollten, wäre dann in formeller Hinsicht nicht auch die Beachtung des Zitiergebots gem. Art. 19 Abs. 1 S.2 GG zu verlangen, müßten also die betreffenden Vorschriften Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als eingeschränktes Grundrecht nennen?113 Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG soll dem Gesetzgeber gegenüber eine Warn_ 114 und Besinnungsfunktion l15 erfüllen. Die Vorschrift soll verhindern, daß der Gesetzgeber in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre des Einzelnen eingreift. ohne die Vor- und Nachteile einer solchen Beeinträchtigung gegenein-
110 Ähnlich Papier, NJW 1974, 1797 (1799); Manens, in: FS f. Schack, S. 91; vgl. auch SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 6. 111 Vgl. dazu im einzelnen unten, 3. Teil, A. m. 3., B. m. 2. 112 Vgl. dazu auch [bier, Schranken, S. 146 ff. Damit ist selbstverständlich noch nicht geklärt, welche verfassungsrechtlichen Anforderungen in materieller Hinsicht an eine gesetzliche Beschränkung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf der Grundlage der Vorschriften des Flughafenplanungsrechts zu stellen sind; vgl. dazu sogleich unter c. 113 Daß solche Beeinträchtigungen auch materiell verfassungsrechtlich rechtfertigungsfähig sein müßten, ist klar; vgl. dazu, insb. zur Frage der Verhältnismäßigkeit sogleich unter c. 114 So der Abgeordnete Dehler, Parlamentarischer Rat, 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19.1.1949, Prot. S. 592. 115 So der Abgeordnete v.MangoldJ, Parlamentarischer Rat, 44. Sitzung des Hauptausschusses am 19.1.1949, Prot. S. 591.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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ander gründlich abgewogen zu haben}16 Da diese Warnfunktion sich nur an den nachkonstitutionellen Gesetzgeber richten kann, entfallt die Zitierpflicht jedenfalls für vorkonstitutionelle Gesetze und für solche nachkonstitutionellen Gesetze, die die in ersteren enthaltenen Grundrechtseinschränkungen im wesentlichen bestätigen. 117 Als Formvorschrift bedarf Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG aber auch im übrigen enger Auslegung, wenn die Norm "nicht zu leerer Förmlichkeit erstarren und den die verfassungsmäßige Ordnung konkretisierenden Gesetzgeber in seiner Arbeit unnötig behindern S011".118 SO dient die Vorschrift nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur zur Sicherung solcher Grundrechte. "die aufgrund eines speziellen. vom Grundgesetz vorgesehenen Gesetzesvorbehalts über die im Grundrecht selbst angelegten Grenzen hinaus eingeschränkt werden können". 119 Von derartigen Grundrechtseinschränkungen werden solche grundrechtlich relevanten Regelungen unterschieden. "die der Gesetzgeber in Ausführung der ihm obliegenden grundrechtlichen Regelungsaufträge. Inhaltsbestimmungen oder Schrankenziehungen vornimmt" .120 Aber auch bei Grundrechten. die wie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. mit Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG einen ausdrücklichen Einschränkungsvorbehalt enthalten, kann das Zitiergebot nur für solche Gesetze gelten. bei denen der Gesetzgeber die klare Vor116
Kilian, Zitiergebot, S. 2; Menger, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rn. 141.
117 Vgl. z.B. BVerfGE 5, 13 (16); E 15, 288 (293); E 28,36 (46). Schon aus diesem Grund
erscheint es zweifelhaft, ob die Normen des LuftVG, sollten sie tatsächlich Beschränkungen der grundrechtlichen Schutzgüter aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beim Betrieb eines Verkehrsflughafens in Kauf nehmen, den Bindungen des Zitiergebots unterliegen. Das LuftVG stammt aus dem Jahre 1922, ist also vorkonstitutionelles Recht. Bereits in seiner ersten Fassung machte das Gesetz die Genehmigung des Flughafenbetriebs u.a. von der Eignung des Flughafens bzw. des in Aussicht genommenen Geländes abhängig (vgl. § 7 des LuftVG vom 1.8.1922). Nach der Amtlichen Begründung war insofern u.a. sicherzustellen, daß die Interessen der durch den Betrieb des Flughafens berührten Nachbarschaft entsprechende Berücksichtigung finden (vgl. Verhandlungen des Reichtags, Bd. 368, 1920, Anlage zu den Stenographischen Berichten Nr. 2504; zur Entstehungsgeschichte des LuftVG vgl. Lau, Rechtsschutz, S. 3 ff.). Diesen "Schutzstandard " haben die nachkonstitutionellen Anderungen des LuftVG sicher nicht unterschritten, wenn man bedenkt, daß das Gesetz in seiner heutigen Fassung in § 6 LuftVG die Genehmigung u.a. davon abhängig macht, daß der Schutz vor Fluglärm angemessen berücksichtigt wird, in § 8 LuftVG die Planfeststellung und damit auch die umfassende Abwägung aller betroffenen Interessen normiert und in § 9 Ab. 2 LuftVG die Unterhaltung von Anlagen, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke vor Gefahren und Nachteilen erforderlich sind, zwingend vorschreibt. 118 BVerfGE 28, 36 (46).
119 BVerfGE 24, 367 (396); BVerfGE 28, 36 (46); BVerfGE 64, 72 (79). Dazu gehören etwa die Einschränkungsvorbehalte der Art. 2 Abs. 2 S. 3, 6 Abs. 3, 8 Abs. 2, 10 Abs. 2, 11 Abs. 2, 13 Abs. 3 S. 3 GG; vgl. dazu i.E. Menger, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rn. 183 ff.
120 BVerfGE 64, 72 (80); solche Vorbehalte sind etwa in Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 10, 83 [99]), in Art. 14 GG (vgl. BVerfGE 21, 92 [93], E 24, 367 [396 f.]), in Art. 5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 28, 282 [289], E 33, 52 [77 f.]) und in Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 64, 72 [80 f.]) enthalten.
142
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
stellung und den Willen hat in Grundrechte einzugreifen. 121 Denn sinnvollerweise kann sich das Gebot nur auf solche Beeinträchtigungen beziehen, die für den Gesetzgeber schon bei Beratung des Gesetzes erkennbar sind, und einwandfrei erkennbar sind nur gezielte Beeinträchtigungen; "hier genügt ein Vergleich der geplanten Nonn mit den vom Grundgesetz normierten Schutzzonen" .122 Dagegen müßte der Gesetzgeber bei faktischen und mittelbaren Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter, die nur Nebenfolge eines auf andere Zwecke gerichteten staatlichen HandeIns sind, "die tatsächlichen Gegebenheiten im Regelungsbereich und dessen Umgebung intensiv durchleuchten und erforschen" und auch dann bleibt ein Bereich unvorhersehbarer Nebenfolgen. 123 Dies rechtfertigt es, gesetzliche Regelungen dann aus dem Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zu nehmen, wenn das Gesetz lediglich die Grundlage dafür schafft, daß eine staatliche Maßnahme als Nebenfolge (faktisch) grundrechtsbeeinträchtigende Wirkung haben kann. l24 Wollte man dagegen zumindest für die faktischen Beeinträchtigungsvorgänge, die für den Gesetzgeber (jedenfalls nach intensiver Prüfung) vorhersehbar sind, die Geltung des Zitiergebots verlangen, so käme man zu einer höchst unpraktikablen und problematischen Relativierung und Subjektivierung verfassungsrechtlicher Rechtsfolgen. Weil ein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG regelmäßig zur Nichtigkeit des Gesetzes führt125, wäre nämlich jeweils zu prüfen, ob der Gesetzgeber die Grundrechtsnennung unterlassen hat, obwohl ihm die beeinträchtigende Wirkung der Regelung aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles erkennbar war. 126 Für die eingangs problema-
121
Menger, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rn. 143; Schüssler, NJW 1965, 282.
122
So Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 120.
123
Vgl. Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 120.
Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 120; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 19 Rn. 5; Kilian, Zitiergebot, S. 40; Manssen, NVwZ 1992,465 (470); Menger, in: GGBK, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rn. 144; Roth, Verwaltungshandeln mit Drittbetroffenheit und Gesetzesvorbehalt, S. 100 ff.; Selk, JuS 1992, 816 (818); vgl. auch Herrnes, Grundrecht, S. 260, zur entsprechenden Frage in Schutzpflichtkonstellationen; a.A., SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 27 und zumindest fiir Gesundheitsgefahren Murswiek, Verantortung, S. 136 f. Das BVerfG hat sich mit dieser Frage noch nicht explizit auseinandergesetzt; immerhin wird aber in BVerfGE 28, 36 (46) konstatiert, "die Vorschrift des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG gilt nur fiir Gesetze, die darauf abzielen ein Grundrecht über die in ihm selbst angelegten Grenzen hinaus einzuschränken" und in BVerfGE 64, 72 (80) wird die Funktion des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG betont, "sicher[zu]stellen, daß nur wirklich gewollte Eingriffe erfolgen" (Einfiigung und Hervorhebungen vom Verfasser). 124
125
Vgl. nur Menger, in: GG-BK, Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rn. 145 ff.; Kilian, Zitiergebot,
126
Daraufweist Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen,
S. 4 ff.
s.
120, zutreffend hin.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
143
tisierten Fallkonstellationen findet das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG daher keine Anwendung. 127 c) Verhältnismiißigkeitsprinzip
Inwieweit kann nun der Einzelne auf der Grundlage des luftverkehrsrechtIichen Planungsrechts verpflichtet werden, Einschränkungen seines Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit hinzunehmen oder anders gewendet, welche verfassungsrechtIiche Mindestposition an Schutz vor gesundheitsbeeinträchtigendem Fluglärm kann aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abgeleitet werden, die auch auf gesetzlicher Grundlage nicht unterschritten werden darf, also "gesetzesfest " ist? Eingriffe in grundrechtliche Schutzgüter sind nur nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich. 128 Dies bedeutet für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG grundsätzlich, daß die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Schutzgutes geeignet sein muß, das Ziel oder Vorhaben, welches die Inkaufnahme von Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit rechtfertigen soll, zu verwirklichen; die Beeinträchtigung muß notwendig bzw. erforderlich sein, es muß also an Alternativen fehlen, die die Verwirklichung des verfolgten Zwecks ennöglichen aber die körperliche Unversehrtheit gar nicht oder weniger stark beeinträchtigen; schließlich muß ein angemessenes, proportionales Verhältnis zwischen der Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit einerseits und dem angestrebten Ziel oder Vorhaben bestehen, der Eingriff muß also verhältnismäßig i.e.S. bzw. zumutbar sein. 129 Mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens werden Aufgaben der staatlichen Daseinsvorsorge auf dem Gebiet des Verkehrswesens erbracht. Der Luftverkehr ist Bestandteil des Gesamtverkehrs; er setzt bestimmte Einrichtungen und Maßnahmen der Verkehrsinfrastruktur voraus, insbesondere die Bereitstellung von Start- und Landebahnen. Das Verkehrsflugzeug ist zu einem unentbehrlichen Verkehrsmittel geworden; auf eine hinreichende Versorgung mit Luftverkehrswegen und Luftverkehrsanlagen kann in Anbetracht der heutigen Le-
127 Das BVerfG hat allerdings in einem Fall, zumindest soweit es um die Inkaufnahme von (faktischen) Gesundheitsschäden geht, eine Geltung des Zitiergebots ohne weitere Begründung bejaht; vgl. BVerfGE 49,89 (141). 128 Dies gilt auch für die Verursachung von Gefahren und Risiken für das grundrechtliche Schutzgut; so ausdrücklich rur "Gesundheitsgefährdungen" BVerfGE 51, 346 (347); E 52, 214 (220 f.); E 77, 170 (226 f.). 129 Vgl. z.B. bei Hermes, Grundrecht, S. 253 f.
144
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
bensverhältnisse schlechterdings nicht verzichtet werden.!30 Mit der Errichtung, dem Betrieb und der Unterhaltung von Verkehrsflughäfen verfolgt der Staat also in ähnlicher Weise wie mit der Bereitstellung anderer Verkehrswege (z.B. öffentliche Straßen) bedeutsame und gewichtige öffentliche Zwecke!3!, die sich verfassungsrechtlich auf das Sozialstaatsprinzip zurückführen lassen.!32 Fraglich ist also, ob diese öffentlichen Interessen am Betrieb eines Verkehrsflughafens (Grundrechte der Betreiber stehen ja nicht in Frage) nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips eine Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG rechtfertigen können? aa) Erforderlichkeitsgrundsatz Nach dem Grundsatz der Erforderlichkeit ist eine Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter nur dann zulässig, wenn sich der Zweck staatlichen HandeIns, um dessen Erreichung willen die Beeinträchtigungen in Kauf genommen werden, nicht gleichermaßen auch ohne die beeinträchtigenden Nebenfolgen oder zumindest mit weniger beeinträchtigenden Nebenfolgen verwirklichen läßt. Daraus folgt zunächst einmal, daß der Betrieb eines Verkehrsflughafens nur solche gesundheitsbeeinträchtigenden Lärmimmissionen verursachen darf, die zur Erreichung des mit dem Betrieb verfolgten Zweckes unumgänglich notwendig sind. Der Umfang des lärmemittierenden Flughafenbetriebs hat sich also an den tatsächlichen Verkehrsbedürfnissen zu orientieren; nur die durch den auf die tatsächlichen Verkehrsbedürfnisse beschränkten Betrieb ausgelöste (gesundheitlich bedeutsame) Lärmbelastung ist auch erforderlich. Dies gilt für den Betrieb insgesamt, dies gilt aber auch für den Betrieb während bestimmter, besonders gesundheitsrelevanter und damit schutzbedürftiger Zeiträume (z.B. während der Nachtzeit). Innerhalb des so gezogenen Rahmens müssen weiterhin alle gesundheitsbeeinträchtigenden !30 Sehr fraglich ist dies allerdings fur den Kunstrecken- bzw. lnIandsflugverkehr. Denn fur diesen Teilbereich bietet sich mit dem konsequenten Einsatz von Hochgeschwindigkeitszügen und der zügigen Weiterentwicklung des Magnetschnellbahnkonzepts (vgl. dazu schon in der Einleitung) eine alternative und angesichts der mit dem Flugverkehr verbundenen massiven Umweltbelastungen vorzugswürdige Verkehrskonzeption an. 13! Vgl. auch die Definition des Begriffs Verkehrsflughafen in § 38 Abs. 2 Nr. I LuftVZO ("Flughäfen des allgemeinen Verkehrs"). Neben diesen grundsätzlichen öffentlichen Interessen an Luftverkehrsanlagen, kann sich im Einzelfall das öffentliche Interesse an der Erweiterung eines bestehenden Verkehrsflughafens oder an der Neuanlage eines Flughafens als Ersatz fur einen vorhandenen aber auch daraus ergeben, daß der bestehende Flughafenbetrieb den zu steilenden Sicherheitsanforderungen nicht (mehr) genügt oder zu untragbaren Lärmbelastungen fuhrt; vgl. dazu BVerwGE 56, 110 (120); E 75,214 (232 ff.). !32 Vgl. [bier, Schranken, S. 143.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
145
Belastungen unterbleiben, die durch weitere zumutbare\33 Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes vermieden werden können (wie z.B. durch Schallschutzfenster und Schallschutzwände). Aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz folgt schließlich auch, daß dem aktiven Schall schutz ein Vorrang vor dem passiven Schallschutz zukommt. 134 Diese Anforderungen gelten für Fluglärmimmissionen, die gesundheitsschädigende oder gesundheitsgefahrdende Wirkung haben l35 ; sie gelten aber konsequenterweise auch für solche Belastungen, die unterhalb der "Gefahrenschwelle" ein Gesundheitsrisiko bedeuten; auch hinsichtlich solcher Beeinträchtigungen folgt aus dem Erforderlichkeitsprinzip eine Risikominimierungspflicht. bb) Verhältnismäßigkeit i.e.S. Im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit i.e.S. ist zu klären, ob fluglärmbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen, die zur Verwirklichung der mit dem Betrieb des Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Interessen als geeignet und erforderlich erscheinen, nicht außer Verhältnis zu den öffentlichen Betriebsinteressen stehen. Es geht um die Frage der Disproportionalität entgegenstehener Positionen. Ob ein solches Mißverhältnis besteht, ist auf der Grundlage einer umfassenden Güterabwägung zu ermitteln.
Bei dieser Güterabwägung kommt dem Rang und dem Gewicht des grundrechtlich geschützten Rechtsguts entscheidende Bedeutung zu. Wenn das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich in der Entscheidung zur FristenJösung formuliert, "die Schutzverpflichtung des Staates muß um so ernster genommen werden, je höher der Wert des in Frage stehenden Rechtsguts innerhalb der Wertordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist"136, so gilt dieser Grundsatz selbstverständlich auch für die Beeinträchtigung grundrechtlicher Schutzgüter durch den Staat selbst. Diese Vorstellung von einer "Wertrangordnung der Grundrechte"137 ist in der Literatur allerdings teilweise auf dezidierte Ab-
133 Gesundheitsrelevante Beeinträchtigungen sind also nur dann "erforderlich", wenn sie nicht durch technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Maßnahmen des Schallschutzes vennieden werden können. 134 Vgl. BVerfGE 56,54 (83 f.); Soell, in: Schutz vorVerkehrslärm, S. 51, S. 81; ders., in: LandmannIRohmer, FlugLG, Komm., Vorbemerkung Rn. 17. 135 So das BVerfG, vgl. BVerfGE 56, 54 (80), ausdrücklich für Gesundheitsschäden und -gefahren infolge Fluglärmbelastung; vgl. allgemein für Gesundheitsgefahren auch Seewald, Gesundheit, S. 128. 136 BVerfGE 39, I (42). 137 BVerfGE 7,198 (215). 10 Hermann
146
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
lehnung gestoßen. l38 So betont Hermes 139 , das Grundgesetz gäbe für abstrakte Rangunterschiede nichts her, weil Grundrechte untereinander grundsätzlich den gleichen Rang hätten. Eine Deutung des Grundrechtskatalogs im Sinne einer, die verhältnismäßige Zuordnung überspielenden und letztlich überflüssig machenden, abstrakten und absolut zu verstehenden Rangordnung grundrechtlich geschützter Rechtsgüter wäre sicherlich abzulehnen. 140 Das ändert jedoch nichts daran, daß der Wertigkeit des grundrechtlichen Schutzgutes im Rahmen der Angemessenheitsprüfung eines grundrechtlichen Eingriffs eine entscheidende Bedeutung zukommt. Für die Verhältnismäßigkeitsprüfungrekurrieren dann auch Hermes 141 und Murswiek 142 wieder auf die Bedeutung und das Gewicht des grundrechtlich geschützten Rechtsguts. Die Wertigkeit und der Rang des geschützten Rechtsguts läßt sich aus seiner Beziehung und Nähe zur Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) als dem Mittelpunkt des Wertesystems der Verfassung gewinnen und bestimmen. Alle grundrechtlichen Freiheitsgewährleistungen leiten sich letztlich aus der Idee der Menschenwürde ab. 143 Der "Menschenwürdegehalt" der einzelnen grundrechtlichen Gewährleistungen ist jedoch unterschiedlich stark ausgeprägt. Je mehr die gewährleisteten Freiheiten auf die Würde des Menschen bezogen sind, für sie essentiell sind und zu den "elementaren Bedürfnissen" des Einzelnen zählen, um so stärker beeinflußt Art. 1 Abs. 1 GG die Gewichtung des Grundrechts innerhalb des Wenesystems des Grundgesetzes l44 ; "je mehr der gesetzliche Eingriff elementare Äußerungen der menschlichen Handlungsfreiheit berührt, um so sorgfaltiger müssen die zur Rechtfenigung vorgebrachten Gründe gegen den Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden"145. In hervorragender Weise ist das menschliche Leben auf die Menschenwürde bezogen, denn "es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller Grundrechte" und stellt deshalb "innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwen dar" .146 Aber auch die körperliche Unversehnheit des Menschen weist eine sehr enge Beziehung zur Menschenwürde auf, auch 138 Z.B Hermes, Grundrecht, S. 251 ff.; Schlink, Abwägung, S. 127 ff.; einschränkend Murswiek, Verantwortung, S. 167 ff. 139 Hermes, Grundrecht, S. 253. 140 Vgl. BVerfGE 35, 202 (225); gegen eine "harte" Rangordnung auch Alexy, Theorie, S. 138 ff., insb. S. 142. 141 Hermes, Grundrecht, S. 256. 142 Murswiek, Verantwortung, S. 142. 143 Grimm, NVwZ 1985, 865 (867). 144
BVerfGE 27, 81 (91); BVerfGE 39, 1 (43).
145 BVerfGE 20, 150 (159); zum Menschenwürdegehalt der Grundrechte auch Dimberger,
Recht auf Naturgenuß, S. 146 ff., S. 284 ff. 146 BVerfGE 39, 1 (42); vgl. auch BVerfGE 46, 160 (164).
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
147
beim Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit ist der personale Gehalt stark ausgeprägt. 147 Die Besonderheit des Grundrechts auf Leben und des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit besteht gegenüber anderen Grundrechten darin, daß bei ihnen als Zustandsnormen, die Ausübung und Inhaberschaft sachlich, zeitlich und personell zusammenfallt. 148 Das weist sie als personale Garantien "par excellence" aus. 149 Diese Überlegungen gelten in besonderer Weise für die menschliche Gesundheit. Schon bei Bestimmung des Schutzbereichs des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG wurde darauf hingewiesen, daß nicht jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zugleich auch eine Beeinträchtigung der Gesundheit bedeutet, und daß in diesem Zusammenhang dem Vorliegen einer Gesundheitsbeeinträchtigung auch die Rolle eines Indikators für die Nachhaltigkeit und damit für die Schwere eines Eingriffs in die körperliche Unversehrtheit zukommt. Eingriffe in die (körperliche) Integrität wiegen schwerer, wenn sie sich nicht in einem "punktuellen" Beeinträchtigungsvorgang erschöpfen, sondern (gesundheitliche) Folgewirkungen über einen mehr oder weniger langen Zeitraum haben. 15O Wenn die menschliche Gesundheit auch nicht in gleich absoluter Weise wie das menschliche Leben Grundlage der Menschenwürde und Voraussetzung für die grundrechtliche Freiheitsbetätigung ist, so kommt ihr als Funktion des Lebens doch elementare Bedeutung für die Gewährleistung menschlicher Existenz ZU. 151 Neben der Bedeutung und dem Rang des grundrechtlich geschützten Rechtsguts ist ferner grundsätzlich auch die Intensität der Beeinträchtigung zu berücksichtigen. Insoweit kann festgestellt werden, daß die in Frage stehenden Beeinträchtigungen der Gesundheit von einigem Gewicht sind (man denke nur an Herz-Kreislauferkrankungen). Außerdem sind die zu befürchtenden Beschädigungen, jedenfalls soweit der Betroffene weiterhin der Fluglärmex-
147 Lorenz, in: Handbuch des Staatsrechts, § 128 Rn. 39, sieht eine "innere Verbindung zu Lebensrecht und Menschenwürde"; Marburger, WiVerw 1981,241 (246), erkennt auch in der körperlichen Unversehrtheit einen "Höchstwert" i.S. der Rechtsprechung des BVerfG. 148 MüllerlPierothlFohmann, Leistungsrechte, S. 110 f. 149 So Hermes, Grundrecht, S. 198; v.MangoldtIKleinIStarck, GG-Komm, Art. 2 Abs. 2 Rn. 135, sprechen von "elementaren Grundrechten". 150 Vgl. oben I. a. bb.; Seewald, Gesundheit, S. 55 f., S. 123, S. 127.
151 Zum besonders hohen Rang des Schutzguts Gesundheit Baltes, BB 1978, 130 (132); Seewald, Gesundheit, S. 118 ff.; ders., NuR 1988, 161 (165); OVG NW, NJW 1981, 701; vgl. auch das plastische Beispiel von Murswiek, Verantwortung, S. 169: "Wen Siechtum ans Bett fesselt, für den sind Z.B. die Grundrechte auf Freiheit der Versammmlung unter freiem Himmel, Freiheit der Person, Gleichheit des Zugangs zum öffentlichen Dienst oder Freizügigkeit in der Bundesrepublik trotz unverminderter Geltung völlig oder doch überwiegend obsolet".
148
2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
position ausgesetzt bleibt, kaum reparabel. 152 Letztlich kann aber die Intensität der Beeinträchtigung nur im Einzelfall ermittelt werden. Differenziert man nun nach der Intensität der Belastung - es bietet sich eine Unterscheidung zwischen Fluglärmbelastungen, die nachweisbar zu einem Gesundheitsschaden führen, solchen, bei denen lediglich eine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadens also die Gefahr einer Gesundheitsbeschädigung besteht und solchen, die "bloße" Gesundheitsrisiken unterhalb der "Gefahrenschwelle" bedeuten - und stellt man auf dieser Basis eine Beziehung zu den mit der gesetzlichen Zulassung und dem Betrieb eines Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Interessen her, so zeigt sich, daß die Belastung mit gesundheitsrelevantem Fluglärm weithin durch öffentliche Verkehrsinteressen nicht zu rechtfertigen ist: Schon angesichts des Rangs und der besonderen Bedeutung des grundrechtlichen Schutzguts Gesundheit, kann eine Belastung mit Fluglärm, die nachweisbar zu Gesundheitsschiiden führt, nicht mit den öffentlichen Interessen am Betrieb eines Verkehrsflughafens gerechtfertigt werden. 153 Eine solche Belastung wäre disproportional und für die Betroffenen nicht zumutbar. Mit dem Betrieb werden zwar gewichtige, auch sozial staatlich motivierte, öffentliche Interessen verfolgt. Diese reichen aber keinesfalls aus, um eine Pflicht des Einzelnen zur Hinnahme von Gesundheitsschäden im Interesse des Allgemeinwohls zu begründen. Für Leben und Gesundheit, das muß auch in diesem Zusammenhang noch einmal betont werden, besteht eben anders als für das Eigentum, keine wie auch immer zu interpretierende "Sozialpflichtigkeit"l54 Damit soll nicht gesagt werden, daß dem Gesundheitsschutz in jedem Fall ein Vorrang gegenüber entgegenstehenden Interessen einzuräumen ist. Eine Proportionalität der Kollisionsgüter, eine Verhältnismäßigkeit Le.S. wäre aber allenfalls dann denkbar, wenn mit dem staatlichen Eingriff der anders nicht erreichbare Schutz von Leib und Leben anderer bezweckt würde oder wenn das Gemeinschaftsgut, zu dessen Gunsten der Eingriff erfolgt in ähnlicher Weise fundamental wäre, also nur in "Notstandslagen" .155 Etwa bei organischen Schädigungen im Bereich des Herz-Kreislauf-Systems. Vgl. Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), S. 118; allgemein rur den Immissionsschutz Baltes, BB 1978, 130 (132). 154 So ausdlÜcklich auch Steiger, in: SaIzwedel (Hrsg.), S. 43; dazu auch Hofmann, BayVBI. 1983, 33 (36); a.A. aber SchmülJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 27 f., S. 33, der rur Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, ähnlich wie rur Art. 14 GG, von einer "situationsabhängigen Schutzwürdigkeit" ausgeht; vgl. dazu noch näher unten U. I. 155 Insofern kommt bestimmten grundrechtlichen Schutzgütern wie Leben und Gesundheit tatsächlich - im Sinne einer "weichen" Rangordnung - zumindest eine "prima facie-Präferenz" zu; so Alexy, Theorie, S. 142, S. 143 ff.; zustimmend Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. ISO; vgl. auch Seewald, Gesundheit, S. 127: "Gesundheitsbeeinträchtigungen sind nur ausnahmsweise zulässig, nämlich unter der Voraussetzung, daß damit zugleich Gefahren rur die 152 153
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
149
Grundsätzlich die gleichen Erwägungen müssen auch für die fluglärmbedingte Verursachung von Gesundheitsgejahren gelten. Allerdings - nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind bei der im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu treffenden Güterabwägung, bei "Grundrechtsgefahrdungen", neben den öffentlichen Interessen, die die Verursachung der Gefahren rechtfertigen sollen und neben dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts, auch Art, Ausmaß und Nähe der Gefahren sowie Schwere und Folgen möglicher Schäden zu berücksichtigenl56 , in mehreren Entscheidungen kommt dem Grundrechtsschutz (erst) wegen der "erheblichen Gefahrdung der Gesundheit" Vorrang gegenüber den mit dem Eingriff verfolgten öffentlichen Interessen zu 157 , und gerade in der "Fluglärm "-Entscheidung läßt das Gericht anklingen, daß auch die Verursachung von Gesundheitsgefahren nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch die mit dem Flugbetrieb verfolgten öffentlichen Interessen gerechtfertigt sein kaon158 • Sind also fluglärmbedingte Gesundheitsgefährdungen nur dann nicht zu rechtfertigen, wenn nicht bloß eine Gefahr i.S. der "Je-desto-Formel" vorliegt, sondern eine erhebliche Gefahr, also eine Gefahr, die die "Gefahrenschwelle" nach der Produktformel deutlich bzw. wesentlich überschreitet? So könnte die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zumindest interpretiert werden. Zu beachten ist aber, daß bereits die Feststellung einer Gefahr i.S. des allgemeinen Gefahrenbegriffs eine abwägende Entscheidung, eine wertende Zuordnung beinhaltet, wenn zwischen Schadensumfang bzw. -ausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit zur Bejahung "hinreichender (Schadens-) Wahrscheinlichkeit" eine Beziehung hergestellt wird. Denn nur wenn das "Produkt" aus Gesundheit anderer Personen abgewendet werden; auch diese Beeinträchtigungen sind nur soweit zulässig, wie sie als "nicht erheblich" qualifiziert werden können". Im Ergebnis sieht Seewald das Grundrecht auf Gesundheit in nahezu gleicher Weise wie das Grundrecht auf Leben verfassungsrechtlich gegen Einschränkungen geschützt; vgl. a.a.O, S. 129; ders., NuR 1988, 161 (166). Unklar bleibt allerdings, ob Seewald dieses Ergebnis auf der Grundlage einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gewinnt oder ob er - insofern dann problematisch - in praktisch jeder Gesundheitsbeeinträchtigung zugleich einen Eingriff in den Wesensgehalt des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit sieht, dies klingt in seiner Argumentation mehrfach an, vgl. a.a.O, S. 120, S. 131. 156 So BVertGE 49, 89 (142), allerdings fur die Frage, wann eine Grundrechtsgefahrdung die grundrechtliche Schutzpflicht konkret auslöst. 157 Vgl. etwa BVertGE 51, 346 (347), wo zwischen der Verpflichtung des Staates, eine funktionstüchtige Rechtspflege zu geWährleisten und der "ernsthaften Gefahrdung" der körperlichen Unversehrtheit des Angeklagten abgewogen wird oder BVertGE 52, 214 (220 f.), wo Belange staatlicher Vollstreckungsmaßnahmen einer "erheblichen Gefahrdung" von Leben und Gesundheit gegenübergestellt werden. Dabei ging es jeweils - dies sei in diesem Zusammenhang betont - nicht um die Frage, ob überhaupt eine (eingriffsgleiche) Beeinträchtigung des Schutzbereichs vorliegt, sondern vielmehr darum, ob die Beeinträchtigung auch den Erfordernissen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügt. 158 BVertGE 56, 54 (80).
150
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
beiden Faktoren eine gewisse, wertend zu bestimmende Größe erreicht, liegt überhaupt eine Gefahr vor. Ist aber eine "hinreichende Schädigungswahrscheinlichkeit" für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter gegeben, so folgt daraus grundsätzlich die Pflicht des Staates, Risikoverursachungen dieser Qualität zu unterlassen. Ausnahmen hiervon sind an einem Zweck des Gemeinwohls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes besonders zu rechtfertigen. Dabei kann zugegebenermaßen für die Frage der Verhältnismäßigkeit i.e.S., neben der Bedeutung des grundrechtlichen Schutzgutes und der verfolgten öffentlichen Interessen, auch eine Rolle spielen, daß - bei entsprechender Fallgestaltung - die Gefahr für das geschützte Rechtsgut die "Gefahrenschwelle" erheblich überschreitet, etwa wenn sowohl der drohende Schaden als auch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts besonders hoch ist. Je nach Bedeutung und Gewicht des bedrohten Rechtsguts und je nach Bedeutung und Gewicht der mit der Inkaufnahme der Bedrohung verfolgten öffentlichen Interessen, kann die Bejahung einer solcherart "qualifizierten" Gefahr auch Voraussetzung sein, um eine Disproportionalität der kollidierenden Rechtsgüter und Interessen feststellen zu können. Für die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zu treffende Güterabwägung kann es jedoch auf die Feststellung einer "erheblichen" Gefahr nicht ankommen. Denn angesichts der überragenden Bedeutung des grundrechtlichen Schutzguts Gesundheit, vermögen die öffentlichen Verkehrsinteressen schon die "hinreichende Wahrscheinlichkeit" eines Gesundheitsschadens nicht zu rechtfertigen, ohne daß an die Feststellung der Gefahr für das grundrechtliche Schutzgut noch weitere, qualifizierende Anforderungen zu stellen wären. 159 Jede weitergehende Relativierung des Schutzes vor Gesundheitsgefahren würde den Rang und das Gewicht des grundrechtlichen Schutzguts Gesundheit verkennen. Der verfassungsrechtlich unbedingt gebotene Schutz vor fluglärmbedingten Gesundheitsschäden kann nur erreicht und gewährleistet werden, wenn schon Risikolagen, bei denen der Eintritt einer Gesundheitsbeschädigung hinreichend wahrscheinlich ist, wenn also schon gesundheitliche Gefahrenlagen vermieden werden. 160 Auch die Inkaufnahme von Gesundheits-
159 So im Ergebnis auch Murswiek, Verantwortung, S. 142; ähnlich Seewald, NuR 1988, 161 (166), der allerdings weitergehend eine Gesundheitsgefährdung offenbar auch für solche Fallkonstellationen annimmt, bei denen nach der hier vertretenen Konzeption nur ein Gesundheitsrisiko unterhalb der "Gefahrenschwelle" vorliegt; vgl. auch Baltes, BB 1978, 130 (132 f.). 160 Dies muß besonders im Hinblick darauf gelten, daß bei faktischen Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Fluglärm, der Eintritt des Schadenserfolgs häufig nicht mit hinreichender Sicherheit vorhergesehen werden kann und gerade angesichts der indirekten und zeitlich gestreckten Wirkungsweise des Fluglärms eine wissenschaftlich eindeutige Feststellung eines fluglärmbedingten Gesundheitsschadens nur in seltenen Fällen möglich ist; vgl. dazu schon ausführlich oben, 1. Teil, C. 111. 3. bund 4.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
gefahren aus Gründen der öffentlichen Verkehrsbedürfnisse wäre damit proportional und unzumutbar. 161
151 di~
Allenfalls die Belastung mit fluglärmbedingten Gesundheitsrisiken im Bereich zwischen "Gefahrenschwelle" und "Risikoschwelle" kann daher im Ergebnis durch die öffentlichen Betriebs- und Verkehrsinteressen gerechtfertigt sein. Eine gesetzliche auferlegte Risikotragungspflicht ist aber - darauf wurde bereits hingewiesen - nur dann verfassungsgemäß, wenn die Inkaufnahme eines Gesundheitsrisikos angesichts der tatsächlichen Verkehrsbedürfnisse auch erforderlich ist. Soweit fluglärmbedigte Gesundheitsrisiken also im Rahmen des technisch Möglichen und wirtschaftlich Zumutbaren vermieden werden können, besteht eine entsprechende Risikominimierungspflicht. 3. Ergebnis zu I.
Zusammenfassend kann der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abzuleitende Mindeststandard grundrechtlichen Schutzes vor fluglärmbedingten Gesundheitsschäden und -risiken für die Planung eines Verkehrsflughafens wie folgt umschrieben werden: Der Betrieb eines Verkehrsflughafens darf nicht zu fluglärmbedingten Gesundheitsschäden oder Gesundheitsgefahren führen. Soweit solche Beeinträchtigungen vermeidbar sind ohne einen den öffentlichen Verkehrsbedürfnissen entsprechenden Flughafenbetrieb in Frage zu stellen. insbesondere durch Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes, folgt dies schon aus dem Erforderlichkeitsgrundsatz. Aber auch soweit solche Beeinträchtigungen nicht vermeidbar sind, etwa weil der nötige Lärmschutz technisch nicht machbar ist oder nur unter unverhältnismäßigem wirtschaftlichen Aufwand möglich wäre, können die öffentlichen Verkehrsbedürfnisse angesichts der Bedeutung des grundrechtlichen Schutzguts Gesundheit - die Zulassung eines entsprechenden Flughafenbetriebs, gemessen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit i.e.S., nicht rechtfertigen. Entsprechende Beeinträchtigungen wären disproportional und unangemessen. Dagegen kann die Verursachung von lärmbedingten Gesundheitsrisiken unterhalb der "Gefahrenschwelle" grundsätzlich durch die mit dem Betrieb des Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Interessen gerechtfertigt werden. Eine solche Risikotragungsverpflichtung ist aber nur verfassungsgemäß, wenn die aus dem Erforderlichkeitsprinzip folgende Risikominimierungspflicht beachtet wird. Soweit fluglärmbedingte Gesundheitsrisiken in zumutbarer Weise vermieden werden können, sind insbesondere entsprechende Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes zu treffen. Für den Gesetzgeber folgt aus Art. 2 161
Zum gleichen Ergebnis rur Straßenverkehrslärm kommt Ramsauer, in: Koch (Hrsg.),
S. 118.
152
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Abs.2 S. 1 GG im Hinblick auf gesundheitsrelevante Fluglännimmissionen in der Umgebung von Verkehrsflughäfen also eine absolute Schadens- und Gefahrenabwehrpflicht sowie eine Risikominimierungspflicht. 162 Es wird zu prüfen sein, ob die Vorschriften des Flughafenplanungsrecht, insbesondere die Schutzregelung des § 9 Abs. 2 LuftVG und ihre Anwendung durch Verwaltung und Gerichte diese Anforderungen hinreichend beachten.
n. Art. 14 GG 1. Vorüberlegungen Im Vordergrund der Diskussion um die verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Schutz vor Fluglärm bei Planung und Betrieb eines Verkehrs flughafens stand bisher die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG. Der Schutz des zivilrechtlichen Grundeigentums wird als "klassische Domäne des Eigentumsschutzes"163 und "bedeutendster Anwendungsbereich der Eigentumsgarantie"l64 gesehen. Die durch Fluglärm hervorgerufenen Störwirkungen betreffen die Nutzbarkeit des Grundeigentums, insbesondere die Nutzung zu Wohnzwecken und der dieser Nutzung zugeordneten Grundstücksflächen, wie Balkone, Terrassen und Gärten (Annexnutzungen), aber auch die Nutzung zu Arbeitszwecken, also etwa die Nutzung der Betriebsgrundstücke eines Gewerbebetriebs, die Nutzung von Bürogrundstücken USW. 165 Dabei kann sowohl die Eigennutzung durch den Grundeigentümer als auch die dingliche oder obligatorische "Weitergabe" von Nutzungsmöglichkeiten an Dritte, z.B. durch Vermietung oder Verpachtung, betroffen sein. Schließlich kann die Nutzbarkeit des Grundeigentums als Belastungs- oder Veräußerungsobjekt beeinträchtigt sein, beispielsweise wenn die Lärmbelastung des Grundstücks zu Wertminderungen führt. Zu beachten ist allerdings, daß die Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit gleichsam nur mittelbarer Art sind. 166 Denn sie resultieren aus den vielfaltigen Störungen des physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens, die Fluglärm unmittelbar bei den im belärmten Gebiet woh-
162 Vgl. dazu allgemein auch Marburger, WiVerw 1981,241; Kimminich, in: PS f. Lukes, S. 83 ff. 163 Breuer, Bodennutzung, S. 16. 164
Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 14.
165 Vgl. Schmidl-Aßmann, VerfassungsrechtIiche Grundlagen, S. 36 f.; Banlsperger, Recht
des Umweltschutzes, S. 28. 166 Auch das BVerwG spricht im Zusammenhang mit Immissionsbelastungen von "mittelbaren" Beeinträchtigungen des Eigentums, dies allerdings in Abgrenzung zur unmittelbaren Inanspruchnahme von Grundflächen zur Verwirklichung des Vorhabens; vgl. z.B BVerwG, DVBI. 1978, 614 (616); BVerwGE 61, 295 (303); dazu auch Hügel, Dritte als Betroffene, S. 103; Korbmacher, DÖV 1982, 517 (520); W.F. Schmidl, Entschädigung, S. 109.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
153
nenden und arbeitenden Menschen auslöst. Neben den unter dem Blickwinkel des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bereits untersuchten Beeinträchtigungen und Gefährdungen der Gesundheit, sind insbesondere fluglärmbedingte Kommunikationsstörungen, Leistungsstörungen und Störungen der Ruhe und Entspannung zu nennen. 161 Erst diese "personalen" Beeinträchtigungen führen zu den genannten Minderungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums für Wohn- und Arbeitszwecke. Im folgenden soll geklärt werden, welche grundsätzlichen Anforderungen sich aus der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie hinsichtlich des Schutzes vor derartigen fluglännbedingten Nutzungsbeschränkungen ableiten lassen. 168 2. Grundsätze des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes
a) Der verjassungsrechtliche Eigentumsbegriff Die Grundidee der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums ist der Schutz des privaten Eigentums vor ungerechtfertigten Eingriffen der Staatsgewalt (Bestandsgarantie).169 Art. 14 GG begründet in erster Linie einen verfassungsrechtlichen Anspruch des Inhabers eines vermögenswerten Rechts gegen den Staat auf Unterlassung von "Eingriffen" in Rechtspositionen, die sich aus diesem Recht ergeben. l1O Als Grundrecht steht Art. 14 GG "im inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit"; der Eigentumsgewährleistung "kommt im Gesamtgefüge der Grundrechte die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sicherzustellen und ihm damit eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Lebens zu ermöglichen".111 Es geht um die "konkrete Rechtsstellung der Inhaber, der von der Verfassung als Eigentum verstandenen einzelnen Berechtigung" . 112 Art. 14 GG schützt das Eigentum so, wie es sich aus der Gesamtheit der verfassungsmäßigen Gesetze des bürgerlichen und des öffentlichen Rechts er161 Vgl. zu diesen Störwirkungen näher unten IV. 168 Vgl. zu den Einzelheiten, insbesondere im Hinblick auf § 9 Abs. 2 LuftVG dann unten,
3. Teil. 169 Böhmer, NJW 1988,2561 (2562). 110 Leisner, in: Handbuch VVDStRL 51 (1992),211 (214).
des
Staatsrechts,
§ 149
Rn. 3;
ähnlich
Ehlers,
111 Ständige Rechtsprechung des BVerfG; vgl. z.B. BVerfGE 24, 367 (389); E 50, 290 (339); E 53, 257 (290); E 68, 193 (222); E 83, 201 (208). 112 Weber, in: Neumann/Nipperdey/Scheuer, S. 361; Böhmer, NJW 1988, 2561 (2563); vgl. auch Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 31.
154
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
gibt, denn sie bestimmen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG Inhalt und Schranken des Eigentums. Welche Befugnisse einem Eigentümer zu einem bestimmten Zeitpunkt konkret zustehen, ergibt sich aus der Zusammenschau aller in diesem Zeitpunkt geltenden, die Eigentümerrechtsstellung regelnden, gesetzlichen Vorschriften. 173 Der Begriff des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums ist daher keinesfalls mit dem Eigentumsbegriff des bürgerlichen Rechts gleichzusetzen. Während das bürgerliche Recht "Eigentum" auf das Grund- und Fahrniseigentum beschränkt und in diesem Rahmen durch Einräumung der Befugnis mit der Sache nach Belieben zu verfahren definiert (§ 903 BGB), entgegenstehende gesetzliche Regelungen also als von außen kommende und nachträgliche Beschränkungen erscheinen, wird Eigentum i.S. des Art. 14 GG durch das gesamte einfache Recht ausgestaltet. Die bürgerlich-rechtlichen und öffentlich-rechtlichen "Beschränkungen des Eigentümerbeliebens" sind nicht von außen kommend und nachträglich, sondern von vorneherein Bestandteile der Eigentumsbestimmung. 174 Daraus könnte der Schluß gezogen werden, dem einfachen Gesetzgeber komme durch Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG eine umfassende Definitionsmacht hinsichtlich dessen zu, was Eigentum LS. des Art. 14 GG ist. Daß dies nicht richtig sein kann, ergibt sich aber schon aus Art. 1 Abs. 3 GG, der den inhaltsbestimmenden Gesetzgeber ja auch an Art. 14 GG bindet; wie sollte Art. 14 GG das Eigentum gegen den Gesetzgeber schützen, wenn es erst durch den Gesetzgeber bestimmt wird? Aus Art. 14 GG müssen sich daher absolute Vorgaben und Maßstäbe für die einfachrechtliche Eigentumsordnung ergeben. 175 Es ist das Verhältnis zwischen verfassungsrechtlicher Eigentumsgewährleistung und inhaltsbestimmendem Gesetzgeber zu klären. Das Bundesverfassungsgericht betont denn auch, daß der Begriff des von der Verfassung gewährleisteten Eigentums aus der Verfassung selbst zu gewinnen ist. 176 Ausgangspunkt ist die Zielsetzung der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie; dem Grundrechtsträger soll ein Freiheitsraum im vermögenswerten Bereich gesichert und damit eine eigenverantwortliche LebensgeVgl. BVerfGE 58, 300 (336). Bei Bestimmung der verfassungsrechtlichen Rechtsstellung des Eigentümers wirken bürgerliches und öffentliches Recht gleichrangig zusammen; die Vorstellung vom Vorrang des bürgerlichen Rechts bei Bestimmung des Eigentumsinhalts ist überholt; auch öffentlich-rechtliche Regelungen über die Eigentumsnutzung sind Inhalt der jeweiligen EigentümersteIlung und keine "von außen n dem umfassend gewährten zivilrechtIichen Eigentumsrecht auferlegten Schranken; vgl. dazu näher BVerfGE 35, 263 (276); E 58, 300 (335); Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 231 Rn. 997; Soell, DVBI. 1983, 241 (244). m Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 230 Rn. 989; vgl. auch Engel, AöR 118 (1993), 169 (193 ff.). 176 Vgl. nur BVerfGE 58, 300 (335). 173 174
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
155
staltung ermöglicht werden. In Rechtliche Gehalte gewinnt das Bundesverfassungsgericht dann vor allem aus der allgemein anerkannten Funktion des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG auch als Rechtsinstitutsgarantie. 178 Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums als Rechtseinrichtung dient der Grundrechtssicherung und steht mit ihr in einem engen inneren Zusammenhang. Denn das Grundrecht des Einzelnen setzt das Rechtsinstitut "Eigentum" voraus; es wäre nicht wirksam gewährleistet, "wenn der Gesetzgeber an die Stelle des Privateigentums etwas setzen könnte was den Namen 'Eigentum' nicht verdient" .179 Als "Institutsgarantie" sichert Art. 14 GG daher einen Grundbestand an Normen, die als Eigentum im Sinne der Grundrechtsbestimmung bezeichnet werden können. 11ll Zu den elementaren Strukturmerkmalen des verfassungsrechtlichen Eigentums gehört die Privatnützigkeit, d.h. die Zuordnung zu einem Rechtssträger, in dessen Hand es als Grundlage privater Initiative und im eigenverantwortlichen privaten Interesse "von Nutzen sein" soll, die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand und die Gewährleistung der Substanz des Eigentums. 181 Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis sind also konstitutiv für den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff; eine vermögenswerte Position fallt dann in den Schutzbereich des Art. 14 GG, wenn sie privatnützig zugeordnet ist und grundsätzlicher Verfügungsfahigkeit unterliegt. Weitere Merkmale können hinzukommen, etwa bei öffentlich-rechtlichen Vermögenspositionen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dann Eigentumsqualität besitzen, wenn sie neben privatnütziger Zuordnung auf nicht unerheblicher Eigenleistung (Arbeit oder Kapital) beruhen. 182 BVerfGE 50,290 (339); E 53, 257 (290). Vgl. BVerfGE 24, 367 (389); E 26, 215 (222); E 58, 300 (339); aus der Literatur z.B. Breuer, Bodennutzung, S. 12; Kimminich, in GG-BK, Art. 14 Rn. 119, Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, § 149 Rn. 12; Papier, in: MIDIH, GG-Kornrn., Art. 14 Rn. 11; Soell, DVBI. 1983,241 (242); tiers., NuR 1984,185 (186). 179 BVerfGE 24, 367 (389). In
178
IIll BVerfGE 50,290 (339). Da es nach der Rechtsprechung des Gerichts bei Art. 14 GG genaugenornrnen nicht um die "Garantie des Privateigentums" sondern um die "Garantie des Eigentums Privater" geht, vgl. BVerfGE 61,82 (109), handelt es sich allerdings nicht um eine lnstitutsgarantie im herkömmlichen Verständnis. Vgl. auch Soell, DVBI. 1983, 241 (242): "Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Rechtsinstitutes will vielmehr die Nutzungs- und Verfiigungsmöglichkeiten all jener Rechtspositionen schützen, die die Verfassung dem einzelnen als Eigentum zuordnet, gleichgültig ob sie auf privatem oder öffentlichen Recht oder oder auf beiden Ordnungsgrundlagen beruhen". Grundsätzlich kritisch zur lnstitutsgarantie z. B Brytle, in v.Münch, GG-Kornrn. Art. 14 Rn. 32; nach seiner Auffassung wird der üblicherweise unter die lnstitutsgarantie subsumierte Kernbestand ohnehin durch die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG geschützt. 181 Vgl. z.B. BVerfGE 50, 290 (339); E 78, 58 (71); E 83, 201 (208 f.); Soell, NuR 1984, 185 (186); vgl. auch Leisner, in: Handbuch des Staatsrechts, § 149 Rn. 77 ff. und Engel, AöR 118 (1993),169 (199 ff.). 182 BVerfGE 14, 288 (293 ff.); E 53, 257 (291 f.); E 69, 272 (300 ff.); aus der Literatur z.B Hesse, Grundzüge, S. 175 Rn. 445; Kimminich, in: GG-BK, Art. 14 Rn. 71; Papier, in:
156
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
Kann der genuin verfassungsrechtliche Eigentumsbegriff im wesentlichen mit den Merkmalen Privatnützigkeit, grundsätzliche Verfügbarkeit und Substanzerhaltung umschrieben werden, so ist das Eigentum als Zuordnung eines Rechtsguts an einen Rechtsträger doch notwendigerweise auf rechtliche (gesetzliche) Ausgestaltung angewiesen. 183 Der Gesetzgeber muß nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Eigentumsordnung erst schaffen, denn ohne Rechtsordnung ist kein Eigentum als Inbegriff aller vermögenswerten Rechte denkbar. l84 Insoweit kommt auch ein Rückgriff auf vorrechtliche, natürliche und soziale Gegebenheiten nicht in Betracht; ein solcher wäre zwar bei Grund- und Sacheigentum noch denkbar, entfallt aber jedenfalls bei privaten Forderungsrechten und subjektiv-öffentlichen Rechten, denn zumindest für diesen Bereich setzt die verfassungsrechtliche Gewährleistung voraus, daß der Gesetzgeber entsprechende rechtliche Zuordnungen vorgenommen hat. 18~ Ob die vom Gesetzgeber geschaffene vermögenswerte Rechtsposition Eigentumsschutz genießt, entscheidet dann aber Art. 14 GG anband der oben angeführten Kriterien.
b) Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltungsbejugnis Dem Gesetzgeber obliegt nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG die Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums. Wenn auch "Eigentum" ohne gesetzgeberisches Tätigwerden gar nicht denkbar ist und folglich dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Eigentumsrechten auch Gestaltungsfreiheit zukommen muß, so kann diese doch nicht beliebig sein, soll das grundgesetzliche System des Grundrechtsschutzes die Grundrechte auch gegen den Gesetzgeber sichern (Art. 1 Abs. 3, 19 Abs. 2 GG).186 M/D/H, GG-Komm., Art. 14 Rn. 125 ff.; rur sozialversicherungsrechtliche Positionen wird außerdem darauf abgestellt, ob sie der Existenzsicherung dienen, vgl. BVerfGE 53, 257 (290); E 69, 272 (300 ff.); E 72, 9 (18 ff.); E 74, 203 (213); E 75, 78 (96 ff.); E 80, 297 (308 ff.). Die "Eigentumsfahigkeit" öffentlich-rechtlicher Positionen wird insbesondere damit gerechtfertigt, daß die Grundlage individueller Existenzsicherung und Lebensgestaltung heute überwiegend nicht mehr das private Eigentum im überkommenen Sinn des bürgerlichen Rechts ist, sondern die eigene Arbeit und die Teilhabe an den Leistungen staatlicher Daseinsvorsorge, so z.B. Hesse, Grundzüge, S. 174 Rn. 443; das BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 78, 58 (71); E 83, 201 (208), stellt auf die "Vergleichbarkeit" der öffentlichen-rechtlichen Position mit der eines Sacheigentümers ab; dazu auch Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 25. 183 Vgl. BVerfGE 58, 300 (330). 184 Vgl. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (214); Kimminich, in: GG-BK, Art. 14 Rn. 97; Maurer, in: FS f. Dürig, S. 310; WendJ, Eigentum und Gesetzgebung, S. 12 ff., S. 64 ff. Wer welche Objekte, in welchen Formen, unter welchen Bedingungen und in welchen Grenzen ·zu eigen" haben kann, wird in allen Gesellschaften immer und ausschließlich von der Rechtsordnung festgelegt, so Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 50.
18~ Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, S. 229 Rn. 987.
186 Vgl. dazu bereits oben 2. a.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
157
Inhalt und Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltungsbefugnis werden durch die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung (Institutsgarantie) und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) bestimmt. Der Gesetzgeber hat eine Eigentumsordnung zu schaffen, die sowohl den privaten Interessen des Einzelnen als auch denen der Allgemeinheit gerecht wird. l87 Es gilt "ein Sozialmodell zu verwirklichen, dessen normative Elemente sich einerseits aus der grundgesetzlichen Anerkennung des Privateigentums durch Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG und andererseits aus dem Sozialgebot des Art. 14 Abs. 2 GG ergeben" .188 Der Gesetzgeber hat danach zum einen die Pflicht, durch Zubilligung und Sicherung von Herrschafts-, Nutzungs- und Verfügungsrechten einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu gewähren, er muß Eigentumsrechte schaffen und er darf der Rechtsordnung keine Sachbereiche entziehen, die zum elementaren Bestand grundrechtlich geschützter Betätigung im vermögensrechtlichen Bereich gehören. l89 Wesentliches Leitprinzip für die Ausgestaltung privater Eigentumsrechte ist die Privatnützigkeit. Diejenigen Rechte, die nach dem Grundgehalt der Eigentumsgarantie dem Einzelnen als private Vermögensrechte zuzuordnen sind, müssen so ausgestaltet sein, daß sie angemessen genutzt und verwertet werden können. l90 Außerdem sind die grundsätzliche Verfügungsfähigkeit und die Substanz des Eigentums zu erhalten. 191 Zum anderen ergibt sich aus dem in Art. 14 Abs. 2 GG enthaltenen Postulat einer am Gemeinwohl orientierten Nutzung des Privateigentums l92 eine "verbindliche Richtschnur"193 für den inhaltsbestimmenden Gesetzgeber; im Rahmen der Inhaltsbestimmung ist die Sozialpflichtigkeit des Eigentums zu realisieren und zu konkretisieren. l94 Das Wohl der Allgemeinheit ist Orientierungspunkt aber auch Grenze für die Regelung des Eigentumsinhalts. 195
187 BVertGE 21, 73 (83); E 25, 112 (117); E 37, 132 (140 f.); E 50, 290 (340); E 52, 1 (29); E 58, 300 (335); E 68, 361 (369). 188 BVerfGE 37,132 (140); E 38,348 (370); E 52, I (29); E 70,191 (200). 189 BVertGE 24,367 (389); BVertGE 31,229 (239/241). 190 BVertGE 31, 229 (241). 191 Die tragenden Strukturelemente der verfassungsrechtlichen Eigentumsgewährleistung sind also nicht nur fiir den verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriff konstitutiv, sie ziehen dem inhaltsbestimmenden Gesetzgeber auch Grenzen. 192 BVertGE 38, 348 (370); E 52, I (32). 193 BVerfGE 37, 132 (140). 194 BVertGE 56, 249 (260); Böhmer, NJW 1988, 2561 (2572); HUgel, Dritte als Betroffene, S. 84; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 14 Rn. 37; Papier, in: M/D/H, GG-Komm., Art. 14 Rn. 250. 195 BVertGE 21,73 (82 f./86); E 25,112 (117); Böhmer, NJW 1988, 2561 (2573).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Das Grundgesetz hat sich damit für ein "sozialgebundenes Privateigentum"196 entschieden. Der Gesetzgeber muß dem dialektischen Verhältnis zwischen persönlicher Freiheit und dem Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen und die schutzwürdigen Interessen zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. l97 Je mehr es dabei um die Funktion des Eigentums als Element der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen geht, je mehr das Eigentumsrecht also zur freien Persönlichkeitsentfaltung und zur eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens dient und je mehr es auf eigener Leistung beruht, um so ausgeprägter muß der Eigentumsschutz sein. Je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht, um so weiter ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung. 198 Soweit der Nichteigentümer auf das Eigentumsobjekt zu seiner Freiheitssicherung und zu seiner verantwortlichen Lebensgestaltung angewiesen ist, umfaßt das grundgesetzliche Gebot einer gemeinwohlorientierten Nutzung auch die Pflicht zur Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer!99 Dem entspricht die Bindung des Gesetzgebers an den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dem Eigentümer auferlegte "Beschränkungen" müssen vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein; sie dürfen nicht weiter gehen als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. 200 Die Einschränkung der Eigentümerbefugnisse "muß zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und notwendig sein, sie darf nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein". 201 In jedem Fall muß der Kern der Privatnützigkeit und der Verfügungsfähigkeit erhalten bleiben, es darf nicht zu einer "totalen Sozialbindung" und Substanzentleerung des Eigentums kommen202 • Zu beachten ist außerdem der Gleichheitssatz, insbesondere das Prinzip der Lastengleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) und der Grundsatz des Vertrauensschutzes. 203
196 197 198 199
BVertGE 52, 1 (29). BVertGE 79, 174 (198). Vgl. BVertGE 50, 290 (340 f.); E 70, 191 (201). BVertGE 68,361 (368); E 70,191 (201); E 71,230 (247).
200 So schon BVertGE 21, 73 (86); E 25, 112 (118); vgl. aus jüngerer Zeit BVertGE 52, 1 (29); E 70, 191 (200); E 72, 66 (78); E 79, 174 (198). 201 BVertGE 72, 66 (79); E 74,203 (214 f.). 202 Dazu Leisner, BB 1992, 73 (75) m.w.N. 203 BVertGE 70, 191 (200). Über die vorstehenden Bindungen des inhalts- und schrankenbestimmenden Gesetzgebers besteht heute weitestgehende Einigkeit; vgl. zusammenfassend Osterloh, DVBI. 1991, 906 (909).
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Pluglärm
159
c) Abgrenzung zwischen lnhalts- und Schrankenbestimmung
und Enteignung
Nach dem Vorhergesagten kann ein Gesetz im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG verfassungswidrig sein, vor allem dann, wenn die Interessen der Eigentümer und die der Allgemeinheit nicht zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden. Die früher herrschende Meinung ging trotz aller Unterschiede im Detail davon aus, daß die auf Art. 14 Abs. 1 S. 2 i.V.m. 14 Abs. 2 GG gestützte (entschädigungslose) Beschränkung der Eigentümerrechte jenseits einer bestimmten Opfer-, Zumutbarkeits- bzw. Schweregrenze zur entschädigungspflichtigen Enteignung wird. 204 Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, daß gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung jeweils eigenständige Rechtsinstitute sind. Überschreitet eine gesetzliche Inhalts- und Schrankenbestimmung die durch das Grundgesetz gezogenen Grenzen, trifft sie also beispielsweise eine unverhältnismäßige Regelung der Eigentümerrechte, so bleibt sie eine, wenn auch verfassungswidrige inhaltsbestimmende Norm und schlägt nicht in eine entschädigungspflichtige Enteignung i.S. des Art. 14 Abs. 3 GG um. 205 Auch der Vollzug einer Inhalts- und Schrankenbestimmung bleibt in jedem Fall bloßer Gesetzesvollzug und wird nicht zur entschädigungspflichtigen Enteignung, auch dann nicht, wenn das inhaltsbestimmende Gesetz oder seine Anwendung verfassungswidrig iSt. 206 Für die erforderliche Abgrenzung zwischen Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung stellt das Bundesverfassungsgericht vor allem auf formale Kriterien ab. Inhaltsbestimmung ist die "generelle und abstrakte Festlegung von Rechten und Pflichten hinsichtlich solcher Rechtsgüter, die als Eigentum im Sinne der Verfassung zu verstehen sind". 207 Wesensmerkmal "der Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinn ist der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen; sie zielt auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG" .208 Hinsichtlich der Enteignung werden Gesetze unterschieden, die unmittelbar einem bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis konkrete Ei204 Vgl. den umfassenden Überblick bei Kimminich, in: GG-BK. Art. 14 Rn. 125 ff. und bei SchmidJ-Bleiblreu/Klein, GG-Komm., Art. 14 Rn. 8 ff. 205 Ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. nur BVerfGE 52, I (27 f.); E 58, 300 (331); E 70, 191 (198); E 79, 174 (192); a.A z.B. Olivet, DÖV 1985, 697 (699); W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 131.
206 207
Vgl. BVerfGE 58, 300 (320); dazu auch Lege, NIW 1990, 864 (865). BVerfGE 72, 66 (76).
208 BVerfGE 79, 174 (191); der in flÜheren Entscheidungen vetwendete Zusatz "zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben", vgl. noch BVerfGE 70, 191 (200); BVerfGE 72, 66 (76), findet sich in den neuesten Entscheidungen des Gerichts nicht mehr.
160
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
gentumsrechte entziehen (Legalenteignung) und solche, die die Exekutive zum konkreten Eigentumsentzug ermächtigen (Administrativenteignung).209 Damit betont das Bundesverfassungsgericht (wieder) wesentliche Merkmale des "klassischen Enteignungsbegriffs" .210 Nach diesem war Enteignung die Entziehung und Übertragung des Eigentums an Grundstücken durch einen gesetzlich begründeten Verwaltungsakt für ein bestimmtes, dem öffentlichen Wohl dienendes Unternehmen, ein "Güterbeschaffungsvorgang ", der gesetzlich präzis geregelt war und von einer Entschädigung abhängig gemacht wurde. 211 Das Vorliegen einer Enteignung - und hierin liegt der entscheidende Unterschied zum "klassischen" Enteignungsbegriff - soll nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch gerade nicht davon abhängen, daß es sich um einen Güterbeschaffungsvorgang handelt; entscheidend sei der Entzug des Eigentums und der dadurch bewirkte Rechts- und Vermögensverlust, nicht aber die Übertragung des entzogenen Objektes. 212 Gerade der Verzicht auf das Merkmal "Güterbeschaffungsvorgang" zur Bestimmung des verfassungsrechtlichen Begriffs der Enteignung führt aber zu Abgrenzungs- und Begründungsschwierigkeiten, insbesondere wenn es um das Verhältnis von gesetzgeberischer Gestaltung und wohlerworbenen Rechten geht. Während insoweit das Bundesverfassungsgericht noch in der "Naßauskiesungs"-Entscheidung" betont hat, daß eine abstrakt-generelle Bestimmung des Eigentumsinhalts für die Zukunft zugleich Enteignung sein kann, wenn sie subjektive Rechte entzieht oder ändert, die der Einzelne aufgrund des alten Rechts erworben hat213 , sieht die jüngste Rechtsprechung des Gerichts auch in der gesetzgeberischen Umgestaltung von auf der Grundlage des alten Rechts erworbenen Rechtspositionen, grundsätzlich eine Inhaltsbestimmung i.S. von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG und dies nicht nur, wenn die bisher mit dem Recht verbundenen Befugnisse lediglich eingeschränkt werden, sondern auch, wenn der Gesetzgeber im Rahmen der generellen Neuregelung eines Rechtsgebiets bestehende Rechte abschafft, für die es im neuen Recht
209 BVerfGE 58, 300 (330 f.); zum Ausnahmecharakter der Legalenteignung schon BVerfGE 24,367 (401 f.) und zusammenfassend Maurer, in: FS f. Dürig, S. 306 f. m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 210 Eine weitgehende Rückkehr zum "klassischen" Enteignungsbegriff hat Dürig schon 1954 gefordert (vgl. Dürig, JZ 1954, 4 ff.); zu Dürigs Position ausführlich Maurer, in: FS f. Dürig, S. 293 ff.; S. 300 ff. 211 Vgl. Maurer, in: FS f. Dürig, S. 295 f.; Ossenbühl, JuS 1993, 200 (201), mit zahlreichen Nachweisen aus der zeitgenössischen Literatur. 212 So ausdrücklich BVerfGE 83,201 (211); vgl. auch schon BVerfGE 24, 367 (394). 213 BVerfGE 58, 300 (331).
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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keine Entsprechung gibt. 214 Eine völlige Beseitigung bisher bestehender und durch die Eigentumsgarantie geschützter Rechtspositionen, müsse sich allerdings im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit besonders rechtfertigen lassen. Die Gründe des öffentlichen Wohls müßten so schwerwiegend sein, daß ihnen Vorrang zukomme vor dem Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand des Rechts, das durch die Bestandsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gesichert sei. Insbesondere könne die Umgestaltung oder Beseitigung des Rechts durch Übergangs- oder Entschädigungsregelungen abzumildern sein. 215 Diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verdient im Ergebnis sicher Zustimmung, sie läßt sich aber schwerlich allein aus den Kriterien gewinnen, die das Gericht zur Abgrenzung von Inhalts- und Schrankenbestimmung und Enteignung formuliert hat. Im Gegenteil: einerseits wird betont, daß auch dann, wenn es in den "AltrechtsfaIlen" zu teilweisem oder völligem Entzug von Eigentumsrechten kommt, eine Inhaltsbestimmung des Eigentums und keine Enteignung vorliegt, andererseits wird aber gerade im Entzug der Eigentumsposition und in dem damit verbundenen Rechtsverlust das entscheidende Merkmal der Enteignung gesehen. 216 In diesem Zusammenhang kann tatsächlich von einer "Achillesferse des verfassungsgerichtlichen Formalisierungsversuchs"217 gesprochen werden. Das Gericht selbst scheint sich einer gewissen Unsicherheit seines Ansatzes bewußt zu sein, wenn es ausführt "Art. 14 Abs. 3 GG sei dann nicht unmittelbar anwendbar, wenn der Gesetzgeber im Zuge der generellen Neugestaltung eines Rechtsgebiets bestehende Rechte abschafft "218, das "in Art. 14 Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Gewicht des Eigentumsschutzes " bei der vorzunehmenden Abwägung (im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) aber beachtet sehen will, "da sich der Eingriff wie eine Voll- oder Teilenteignung auswirkt"219. Hier zeigt sich, daß der Tatbestand der Enteignung sich letztlich nicht allein durch systematisch oder teleologisch begründete, generell abstrakte Defini214 Vgl. BVerfGE 78, 58 (75) und insbesondere BVerfGE 83, 201 (212); in diese Richtung auch schon BVerfGE 70,191 (201 f.); zustimmend BVetwG, BayVBI. 1993,693 (694); kritisch zur Entwicklung der Rechtsprechung Ossenbühl, JuS 1993, 200 (203). 215 BVerfGE 83, 201 (212 f.); BVetwG, BayVBI. 1993, 693 (694); zur sog. ausgleichspjlichrigen InhaltsbesrimTTumg als Instrument der Anpassung einer Beeinträchtigung der Eigenlümerrechte an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder an das Prinzip der Lastengleichheit vgl. grundlegend BVerfGE 58, 137 (145/147/149 f.) und näher unten 3. C. 216 Vgl. BVerfGE 83, 201 (211). 217 So SchmidJ-Aßmann, JuS 1986, 833 (836). 218 BVerfGE 83, 201 (211), Hervorhebungen vom Verfasser. 219 BVerfGE 83, 201 (212 f.). I1 Hermann
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
tionsmerkmale von der Sozialbindung sinnvoll unterscheiden läßt, sondern sich die durch das Entschädigungsjunktim des Art. 14 Abs. 3 GG geforderte Begrenzung des Enteignungstatbestands auf klar bestimmbare und vorhersehbare Vorgänge nur durch eine Orientierung am historischen Bild der klassischen Enteignung erreichen läßt. 220 Für dieses Bild ist kennzeichnend, daß der Staat bestimmte vermögenswerte Güter dem Eigentümer notfalls als ultima ratio zwangsweise entziehen darf, um sie zur Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe künftig selbst oder durch einen Dritten zu nutzen. Zum Rechtsentzug kommt die Übertragung des entzogenen Rechts. Anerkennt man diese Funktion der Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang221 und "reichert" man den formalen Enteigungsbegriff des Bundesverfassungsgerichts entsprechend an, so klären sich auch die Unsicherheiten im Verhältnis von gesetzgeberischer Gestaltung und "alten Rechten". Auch wenn es im Rahmen der gesetzgeberischen Umgestaltung zu einem Teil- oder Vollentzug von bisher durch die Eigentumsgarantie geschützten Rechtspositionen kommt, so liegt darin schon deshalb keine Enteignung, weil es sich hierbei nicht um einen Güterbeschaffungsvorgang handelt. Auf dieser Grundlage kann bei gesetzlichen Ermächtigungen an die Exekutive wohl auch zweifelsfrei und ohne auf die schwierige Differenzierung zwischen Teilentziehung von "Rechtspositionen" i.S. des Art. 14 Abs. 3 GG und Eigentumsbeschränkungen LS. von Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG angewiesen zu sein, zwischen Vollzug eines inhaltbestimmenden Gesetzes und Enteignung unterschieden werden. 222 3. Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz bei fluglärmbedingten Nutzungsbeeinträchtigungen
a) Die durch Planung und Betrieb eines Verkehrsjlughajens betroffenen Eigentumspositionen Bereits einleitend wurde dargestellt, auf welche Weise der von einem Verkehrsflughafen ausgehende Fluglärm die Nutzbarkeit der belasteten Nachbar220
So zutreffend Osterloh, DVBI. 1991, 906 (911).
Wie hier Battis, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 440; Osterloh, DVBI. 1991, 906 (911 f.); Rittstieg, in: GG-AK, Art.14/l5 Rn. 187 ff.; ders., NJW 1982, 721 (724); Schwerdifeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, S. 30; Schulze-Osterloh, Eigentumsopferentschädigung, S. 267 f.; vgl. auch Schoch, Jura 1983, 113 (121) und Soell, Rechtliche Instrumente, S. 979; ders., Schutzgebiete, S. 118; unentschieden Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 58, der allerdings einräumt, daß eine abschließende Abgrenzung von Inhaltsbestimmung und Enteignung nach den formellen Kriterien des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich ist; ähnlich Schmidt-Aßmann, JuS 1986, 833 (836). 222 Vgl. zu diesem Problemkreis ausfilhrlich Osterloh, DVBI. 1991, 906 (912); Pietzcker, JuS 1991, 369 (371). 221
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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grundstücke beeinträchtigt. Betroffen ist in erster Linie das zivilrechtliche Grundeigentum in seinen vielfältigen Nutzungsbefugnissen. 223 Das zivilrechtliehe Grundeigentum genießt als subjektives vermögenswertes Recht, welches die Rechtsordnung dem Berechtigten zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung eingeräumt hat, unzweifelhaft den Schutz der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie. 224 Geschützt ist insbesondere die Privatnützigkeit des Eigentumsobjektes. Dem zivilrechtlichen Grundeigentum sind solche dinglichen Rechte an Grundstücken gleichzustellen, die ihm in ihren Auswirkungen nahekommen, etwa weil sie eine Verfügungsbefugnis über das Grundstück beinhalten. 225 Genannt werden können beispielsweise das Wohnungseigentum226 , der Nießbrauch227 und das Erbbaurecht228 • Daß das Erbbaurecht in den Schutzbereich des Art. 14 GG fällt, hat das Bundesverfassungsgericht jüngst in seiner Entscheidung zum Verkehrslärmschutz bestätigt; es handele sich um ein vermögenswertes Recht, das dem Berechtigten ebenso wie das Eigentum an einer Sache zur privaten Nutzung und zur eigenen Verfügung durch die objektive Rechtsordnung zugeordnet sei. 229 Dagegen können sich nur obligatorisch am Grundeigentum Berechtigte, wie z.B. Käufer, Mieter oder Pächter, in dem hier interessierenden Zusammenhang regelmäßig nicht auf Art. 14 GG berufen. 230 Zwar umfaßt der Schutzbereich des Art. 14 GG über das zivilrechtliche Eigentum an Sachen hinausgehend generell alle vermögenswerten Rechtspositionen, soweit sie die grundlegenden Strukturmerkmale des verfassungsrechtlichen Eigentumsbegriffs erfüllen231 , unter Umständen also auch obligatorische Rechtspositionen
Vgl. dazu schon oben 1. Vgl. nur Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 14 m.z.w.N. 225 Vgl. BVerwG, DÖV 1983, 344 = DVBI. 1983, 244 (245); BVerwG, DÖV 1983, 678 (679); BVerwGE 82,61 (75); OVG Berlin, NVwZ 1989,267. 226 VG Freiburg, NIW 1988, 2689; Ziekow, NVwZ 1989,231 (232). 227 BVerwG, DÖV 1983,244 = DVBI. 1983,244 (245); BVerwGE 82,61 (75). 228 BVerwG, DÖV 1983,244 = DVBI. 1983,244 (245); BVerwGE 82,61 (75). 229 BVerfGE 79, 174 (191); vgl. auch BVerfGE 70, 191 (199); E 78, 58 (71); dazu Broß, Verw Arch 80 (1989), 395 (398 f.). 230 Vgl. grundlegend BVerwG, DÖV 1983, 244 (245); BVerwG, DÖV 1983, 678 (679); BVerwGE 82, 61 (75); speziell fiir den Verkehrslärmschutz, Hügel, Dritte als Betroffene, S. 87; Kasrner, VerwArch 80 (1989), 74 (83); weitere Nachweise bei Ziekow, NVwZ 1989, 231 (232). Ausnahme nach der Rechtsprechung des BVecwG: Der Käufer eines Grundstücks hat bereits eine dem Grundstückseigentum angenäherte Rechtsposition erlangt, weil Besitz, Nutzung und Lasten auf ihn übergegangen sind und zu seinen Gunsten eine Auflassungsvormerkung ins Grundbuch eingetragen wurde, vgl. BVerwG, DÖV 1983, 244 (245); BVerwG, NJW 1988, 1228; kritisch hierzu Ziekow, NVwZ 1989, 231 (232). 231 Vgl. dazu schon oben 2. a. 223 224
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
am Grundstück wie Miete oder Pacht. 232 Bei (Immissions-)Belastungen durch bodenrelevante Vorhaben auf der Grundlage des Bauplanungs- und auch des Fachplanungsrechts werden mit dem Schutz des zivilrechtlichen Grundeigentums aber zugleich auch die aus ihm fließenden Nutzungsbefugnisse, wie z.B. die Möglichkeit der Vermietung oder Verpachtung geschützt233 , so daß sich Mieter oder Pächter grundsätzlich nicht auf die vom Grundeigentum nur "abgeleiteten" Nutzungsrechte berufen können. 234 Es gilt das Prinzip der Repräsentation, nach welchem in der Regel nur der Grundeigentümer planungsrechtliche Nachteile von dem Grundstück abwehren kann. 235 Eine Ausnahme soll allerdings dann anzunehmen sein, wenn die betroffene obligatorische Rechtsposition durch die belastende Maßnahme "gleichsam ausgehöhlt und entzogen wird" .236 Soweit die von einem Verkehrsflughafen ausgehenden Lärmbelastungen einen Gewerbebetrieb - insbesondere die Nutzung der Betriebsgrundstücke beeinträchtigen237 , stellt sich die Frage, ob nicht die deliktsrechtliche Figur des "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs", neben dem zivilrecht232 Vgl. dazu etwa Papier, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 14 Rn. 190 f. m.w.N. Das BVerfG hat jüngst in einer Entscheidung zum Kündigungsschutz, das aus dem Mietvertrag über Wohnraum folgende Recht zum Besitz als vom Schutzbereich des Art. 14 GG umfaßt angesehen und das verfassungsrechtlich geschützte Bestandsinteresse des Mieters dem Eigentumsrecht des Vermieters gleichgestellt; vgl. BVerfG, NIW 1993,2035 f.; vgl. auch BVerfGE 18, 121 (131), wo diese Frage noch ausdrücklich offengelassen wurde. Die Wohnung sei fiir jedermann Mittelpunkt seiner privaten Existenz, auf deren Gebrauch der einzelne zur Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse sowie zur Freiheitssicherung und zur Entfaltung seiner Persönlichkeit angewiesen sei. Weil ein Großteil der Bevölkerung gezwungen sei, Wohnraum zu mieten, erfiille das Besitzrecht des Mieters unter diesen Umständen Funktionen, wie sie typischerweise dem Sacheigentum zukämen (BVerfG, a.a.O. S. 2035). Dem ist wohl, zumindest was diesen existentiellen Gesichtspunkt des Rechtes zum Besitz anbelangt, zuzustimmen. 233 Vgl. zur Schutzfähigkeit der (mittelbaren) Nutzung durch Vermietung BVerfGE 24, 367 (389). 234 Vgl. Johlen, DÖV 1989, 204; Kasmer, VerwArch 80 (1989), 74 (83); a.A. jetzt offenbar Jäde, UPR 1993, 330 (331); dazu, daß der Mieter keine originäre, sondern nur eine abgeleitete Beziehung zu dem vom (Grund-)Eigentümer geschaffenen Wohnraum hat, vgl. auch BVerfG, NJW 1993, 2035 (2036). 235 Das BVerwG stellt darauf ab, daß sowohl das Bauplanungsrecht als auch das Fachplanungsrecht eine Regelung der Grundstücksnutzung treffe und damit grundstücks- und nicht personenbezogen sei, BVerwG, DÖV 1983, 344; BVerwGE 82, 61 (75); vgl. auch BVerwG, DÖV 1983, 678 (679); a.A. wohl Schwerdljeger, NVwZ 1982, 5 (9); Papier, in: MIDIH, GGKomm., Art. 14 Rn. 93; zusammenfassend 7iekow, NVwZ 1989, 231 (232 ff.), m.w.N. aus Literatur und Rechtsprechung zum Bauplanungsrecht. Dies kann aber nur im Hinblick auf den Eigentumsschutz der obligatorischen Rechtspositionen gelten; keinesfalls wird auch der Schutz der personenbezogenen Rechtsgüter (Art. 2 GG) der am Grundeigentum nur obligatorisch Berechtigten durch den aus Art. 14 GG folgenden Schutz am Grundeigentum gleichsam "vermittelt", er steht vielmehr selbständig neben ihm; vgl. dazu noch eingehend unten m. 236 BVerwG, DÖV 1983, 678 (680), OVG Berlin, NVwZ 1989, 267; vgl. dazu auch 7iekow, NVwZ 1989, 261 (263). 237 Vgl. dazu oben 1.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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lichen Grundeigentum eine weiterreichende Eigentumsposition im Sinne des Art. 14 GG darstellen kann. 238 In der Tat geht sowohl die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesgerichtshofs, als auch die überwiegende Auffassung in der Literatur davon aus, daß das "Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" grundsätzlich in den Eigentumsbegriff des Art. 14 GG einzubeziehen ist. 239 Die Übertragung dieser "Rechtsfigur" in das Verfassungsrecht ist jedoch nicht unproblematisch. Daß die aufgrund der Systematik des BGB aufgetretenen Lücken im deliktischen Unternehmensschutz die Konstruktion eines "sonstigen Rechts" i.S. des § 823 BGB erforderten24O , macht dieses "Recht" noch nicht zum verfassungsrechtlich geschützten Eigentum i.S. des Art. 14 GG, zumal auch in der Zivilrechtsdogmatik zunehmend anerkannt wird, daß es sich beim "Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" nicht eigentlich um ein Recht sondern um eine unternehmensschützende Generalklausei handelt. 241 Maßstab müssen vielmehr die tragenden Strukturelemente des verfassungsrechtIich gewährleisteten Eigentums sein. 242 Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit mehrfach Zweifel geäußert, ob der Gewerbebetrieb als solcher die konstitutiven Merkmale des verfassungsgerichtlichen Eigentumsbegriffs aufweist, denn "eigentumsrechtlich gesehen ist das Unternehmen die tatsächliche - nicht aber die rechtliche - Zusammenfassung der zu einem Vermögen gehörenden Sachen und Rechte"; diese sind aber schon für sich vor verfassungswidrigen Eingriffen geschützt. Selbst wenn man dies aber unterstelle, so stellt das Gericht klar, könne der verfassungsrechtliche Schutz des Gewerbebetriebs nicht weitergehen als der Schutz den seine wirtschaftliche Grundlage genießt. 243 Der Schutz der Eigentumsgarantie erstreckt sich also auch dann nur auf den konkreten Bestand an Rechten und Gütern. Rechtlich nicht abgesicherte Umsatz238 Der "eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb" ist von der zivilrechtlichen Rechtsprechung als "sonstiges Recht" i.S. des § 823 BGB anerkannt. Der Begriff umfaßt zumindest für das Zivilrecht alles, was in seiner Gesamtheit den wirtschaftlichen Wert eines Gewerbebetriebs ausmacht, also Bestand, Erscheinungsform, Tätigkeitskreis, Kundenstamm usw. und soll insbesondere die Fortsetzung der bisherigen Betriebstätigkeit aufgrund der schon getroffenen Betriebsveranstaltungen sichern. Diese Grundsätze gelten nicht nur für Gewerbebetriebe im eigentlichen Sinne, sondern auch für Angehörige freier Berufe; vgl. dazu nur lhornas, in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 823 Rn. 19 f., mit zahlreichen Nachweisen aus der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur. 239 Vgl. z.B. BGHZ 92, 34 (37); BGH, JZ 1991, 36 (47); BVerwGE 6, 247 (266); E 30, 235 (239); E 36, 248 (251); E 62, 224 (226); E 66, 307 (309); BVerwG, NJW 1982, 93 ff.; Engel, AöR 118 (1993), 169 (200 ff.l235 f.); Papier, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 14 Rn. 90 ff.; Kimminich, in: GG-BK, Art. 14 Rn. 75 !f., jeweils m.w.N.; ablehnend Rillslieg, in: GG-AK, Art. 14/15 Rn. 99 f.; Send/er, UPR 1983, 33 (36).
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Vgl. zur Entstehungsgeschichte RGZ 58, 24; BGHZ 2, 387. Vgl. z.B. Menens, in: Münchner Kommentar, § 823 Rn. 102, Rn. 484 ff. m.z.w.N. Vgl. dazu schon oben 2. a.
243 Vgl. zum ganzen BVerfGE 51, 193 (221 f.); E 58, 300 (353); E 68, 193 (223); ebenso BVerwGE 77,84 (118); E 81,208 (227 f.).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
und Gewinnchancen und tatsächliche Gegebenheiten mögen zwar für das Unternehmen von erheblicher Bedeutung sein; sie werden im Grundgesetz eigentumsrechtlich jedoch nicht dem geschützten Bereich des einzelnen Unternehmens zugeordnet. 244 Im Ergebnis können sich daher aus dem "Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" keine weiterreichenden, verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen ergeben, als diejenigen, auf denen der Betrieb aufbaut. 245
b) Fluglärmimmissionen - eine Frage der lnhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums oder der Enteignung? Fluglärmbedingte Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des zivilrechtlichen Grundeigentums (bzw. solcher dinglicher Rechte, die dem Berechtigten in eigentumsähnlicher Weise zugeordnet sind) als Folge eines durch hoheitliche Planung zugelassenen Verkehrsflughafenbetriebs durch die öffentliche Hand, stellen - da Immissionen an sich ein rechtsneutraler Realvorgang sind - keinen (hoheitlichen) Rechtsakt dar, sondern sind als "Realakte der öffentliche Gewalt" zu qualifizieren. 246 Daß Grundrechte grundsätzlich auch Schutz vor faktischen Beeinträchtigungen der grundrechtlichen Schutzgüter bieten, wurde bereits in anderem Zusammenhang begründet. 247 Das aus den grundgesetzlichen Freiheitsrechten folgende Recht auf Unterlassung von Beeinträchtigungen des grundrechtlichen Schutzguts, erstreckt sich nicht nur auf die auf Grundrechtseinschränkungen abzielenden Eingriffe, sondern auf alle durch hoheitliches Handeln verursachten oder drohenden Störungen; dies gilt auch für die verfassungsrechtliche Eigentumsgewährleistung. Art. 14 GG schützt daher nicht nur vor gezielten hoheitlichen Eingriffen, sondern auch vor fakti-
244 BVertGE 51, 193 (222); E 68, 193 (223); in BVerwGE 74, 129 (148) als ständige Rechtsprechung bezeichnet; einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung des BVertG gibt Engel, AöR 118 (1993), 169 (171 ff.). 245 Daß (einfach-)rechtlich nicht abgesicherte Ausstrahlungen des Betriebs, tatsächliche Gegebenheiten, Hoffnungen und Chancen verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht geschützt sind, ist nahezu einhellige Auffassung; gleichwohl wird verschiedentlich behauptet, die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens sei auch verfassungsrechtlich mehr als die Summe der ohnehin gewährleisteten Einzelrechte; vgl. z.B. Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 19; Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (215); Kastner, VerwArch 80 (1989), 74 (76); siehe auch Engel, AöR 118 (1993), 169 (175 ff.); dagegen zurecht Send/er, UPR 1983, 33 (36): Der Schutz des Gewebebetriebs geht nicht weiter als das Substrat auf dem er aufbaut. 246 Vgl. BVerwGE 77,295 (298); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 89; Ossenbühl, NJW 1983, 1 (3); a.A. Hofmann, Verkehrslärmschutz, S. 44, der den öffentlich-rechtlichen Planungsakt filr ausschlaggebend hält, so daß (V erkehrs-)Lärmimmissionen nicht als "Realakte" qualifiziert werden könnten. 247 Vgl. oben I. 1. b. aa.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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sehen Beeinträchtigungen, jedenfalls soweit diese Wirkungen von einem ursächlichen und zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgehen. 248 Wenn auch die durch den Betrieb des Verkehrsflughafens ausgelösten Störwirkungen für sich betrachtet nur eine reale Nachteilszufügung bewirken, so sind sie doch gleichsam als Annex der konkreten luftverkehrsrechtlichen Planung zuzuordnen, denn der hoheitliche Planungsakt, die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung schafft erst die rechtliche Voraussetzung für den lärmemittierenden Flughafenbetrieb, der dann auf dieser Grundlage von den Immissionsbetroffenen zu dulden ist. 249 Planung und Zulassung des Betriebs finden ihren rechtlichen Rahmen wiederum in den luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften. Diese schaffen zum einen die erforderliche gesetzliche Grundlage für die Planung und Zulassung des Vorhabens, binden zum anderen aber gleichzeitig die Planung und ziehen ihr Grenzen, insbesondere indem sie die Zulassung des Betriebs von der umfassenden Abwägung aller durch das Vorhaben berührter Belange (§ 8 Abs. 1 LuftVG) - auch und in hervorgehobener Weise denen der Grundeigentümer - und der Auferlegung notwendiger Schutzanordnungen gegen Gefahren und Nachteile (§ 9 Abs. 2 LuftVG) auch für das betroffene Grundeigentum - abhängig machen. 250 Soweit die luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften Planfestsetzungen zulassen bzw. begrenzen, die (immissionsbedingte) Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit -des Grundeigentums zur Folge haben, treffen sie eine Inhaltsund Schrankenbestimmung des Eigentums LS. des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. die allerdings der sachverhaltsbezogenen Konkretisierung durch die Fachplanung bedarf. 251 Dagegen hatte die fiiihere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und in der Folgezeit auch die des Bundesgerichtshofs - auf der Grundlage materieller Enteignungsvorstellungen - in den Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses dann eine (mittelbare) Enteignung LS.d. Art. 14 248 Papier, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 14 Rn. 29; Bryde, in: v.Mönch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 40; vgl. auch Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (221 ff.) sowie allgemein BVerfGE 13, 181 (185 f.); E 46, 120 (137 f.); E 61, 260 (308); E 66, 39 (60). 249 Vgl. für die Straßenverkehrsplanung Hanung, Entschädigung, S. 153 f.; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 89.
Vgl. dazu noch eingehend unten 3. Teil. Vgl. BVerfGE 79, 174 (191) "Verkehrslärmschutz": "Hier geht es dagegen darum, weIches Ausmaß von Verkehrslännimmissionen der Inhaber eines unter den Schutz der Eigentumsgarantie fallenden Rechts an einem Grundstück hinnehmen muß. Das ist eine Frage der inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinn des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, so daß nach dieser Verfassungsnorm zu beurteilen ist, ob die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften und deren Anwendung mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar ist"; explizit zu Fluglärm BVerwG, NVWZ-RR 1991, 129 (132 f.): "Gesetzliche Regelungen wie beispielsweise § 8 Abs. 1 LuftVG (... ) sind zugleich Regelungen i.S.d. Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG"; vgl. auch BVerfGE 72, 66 (76) "Flughafen Salzburg"; BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116). 250
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
Abs. 3 GG gesehen, wenn die durch den Planungsakt zugelassene Lärmbelastung "die vorgegebene Grundsruckssituation nachhaltig verändert" und dadurch den Eigentümer "schwer und unerträglich" trifft. 232 Solchen Vorstellungen einer Schwere-, Zumutbarkeits- oder Opfergrenze, jenseits derer die Sozialbindung in eine Enteignung umschlägt ist aber, wie bereits dargestellt wurde253 , durch die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Boden entzogen worden. Die Enteignung ist keine Steigerung der Inhaltsbestimmung, sondern ein aliud. 254 Während die Inhalts- und Schrankenbestimmung in abstrakter und genereller Weise die Rechte und Pflichten hinsichtlich der als Eigentum i.S. der Verfassung zu verstehenden Rechtsgüter festlegt, zielt die Enteignung auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter subjektiver Rechtspositionen. 255 Nach der hier vertretenen Enteignungskonzeption muß zur Entziehung noch die Übertragung der Eigentumsposition zur Erfüllung einer dem Gemeinwohl dienenden Aufgabe kommen (Enteignung als Güterbeschaffungsvorgang) .256 Wendet man diese Abgrenzungskriterien nun auf Nutzungsbeeinträchtigungen infolge Fluglärmbelastungen an, so ergibt sich folgendes: Enteignung i.S. des Art. 14 Abs. 3 GG setzt einen gezielten hoheitlichen Rechtsakt voraus. Eigentumsbeschränkungen, die sich lediglich durch Realakte der öffentlichen Gewalt ergeben, wie Lärmimmisssionen als (vorhersehbare) Nebenfolge der auf andere Zwecke gerichteten Planungsentscheidung, fallen schon deshalb grundsätzlich nicht unter Art. 14 Abs. 3 GG.237 Zudem wird den Betroffenen ihr (Grund-)Eigentum auch nicht entzogen, sondern in seiner Substanz belassen, da die Eigentumsposition rechtlich unverändert bleibt und lediglich Nutzungs- und Gebrauchsmöglichkeiten faktisch beschränkt werden. 258 Allerdings 252 Dies war seit BVerwGE 5. 143 (145) ständige Rechtsprechung des BVerwG; aus der Rechtsprechung des BGH vgl. etwa BGHZ 97, 114 (116); BGHZ 97, 361 (362); BGH. NVwZ 1989, 285; W. Weber. Eigentum, S. 350. S. 371 f.• hat filr diese Fälle den Begriff der "Aufopferungsentschädigung" geprägt; vgl. zur historischen Entwicklung und Adaption der Schweretheorie durch die Literatur, Böhmer. Der Staat 24 (1985), 257 ff. 253 Vgl. oben 2. c. mit den Nachweisen in Fn. 205 - 208. Zur verbleibenden Bedeutung der materiellen Abgrenzungstheorien im Rahmen der Prilfung der Verhältnismäßigkeit der inhaltsund Schrankenziehung, vgl. aber sogleich unter c. 254 Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (225); Rinslieg, NJW 1982, 721 (723); SchwerdJjeger, JuS 1983, 104 (108). 255 Vgl. nur BVerfGE 79.174 (191). 256 Vgl. dazu bereits oben 2. c. 257 BVerwGE 77, 295 (298); BVerwG, DVBI. 1987, 906; BVerwG, NVwZ-RR 1991, 129 (133); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116); a.A. W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 127 f. 258 Vgl. Korbmacher, DÖV 1982, 517 (521); Maurer, in: FS f. Dürig, S. 304; Numberger, BayVBI. 1984, 456 (457); weil diese abgespalteten Befugnisse keine rechtlich selbständigen oder verselbständigungsfahigen Bestandteile der umfassenderen EigentümersteIlung (Grundeigentum) darstellen, liegt schon aus diesem Grund auch keine Teilentziehung i.S. der
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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ist im Einzelfall eine so weit gehende Belastung mit Lärm denkbar, daß eine sinnvolle Nutzung des Grundeigentums praktisch unmöglich wird, so daß die Substanz der Eigentumsposition den Betroffenen zwar formal verbleibt, aber gleichsam "ausgehöhlt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner "Verkehrslärmentscheidung" insoweit offengelassen, ob eine Anwendung des Art. 14 Abs. 3 GG dann in Betracht kommt, wenn die Nutzung eines Eigentumsrechts schlechthin unmöglich gemacht wird und das Recht damit völlig entwertet wird. 2s9 Dagegen scheidet nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch in einem solchen Fall die Annahme einer Enteignung grundsätzlich aus. 26O Jedenfalls erfüllt die Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundeigentums durch Fluglärm niemals das Merkmal "Güterbeschaffungsvorgang" . 11
Festzuhalten ist also, daß fluglärmbedingte Nutzungsbeeinträchtigungen unabhängig von ihrer Intensität nicht die konstitutiven Merkmale des verfassungsrechtlichen Begriffs der Enteignung erfüllen, sondern der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums zuzuordnen sind. 261 Die luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften sind keine Enteignungsgesetze, sie bestimmen Inhalt und Schranken des Grundeigentums. Die Festsetzungen des Planfeststellungsbeschlusses bewirken keine Administrativenteignung, sie konkretisieren die Inhalts- und Schrankenbestimmung des Gesetzgebers. Dies gilt für Nutzungsbeeinträchtigungen, die den Eigentümer im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "schwer und unerträglich" treffen, ebenso wie für Beeinträchtigungen, die unterhalb dieser Schwelle verbleiben.
Enteignungsrechtsprechung des BVerfG vor; so zutreffend Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (237); kritisch dazu Leisner, BB 1992, 73 (75 ff.). 2S9 BVerfGE 79, 174 (214); in BVerfGE 83, 201 (212) wird allerdings selbst die im Rahmen einer gesetzlichen Neuregelung erfolgende völlige Beseitigung einer bisher bestehenden und durch die Eigentumsgarantie geschützten Rechtsposition als Inhalts- und Schrankenbestimmung betrachtet; vgl. dazu und zur Problematik eines Enteignungsbegriffs, der im Entzug der Rechtsposition allein das entscheidende Merkmal der Enteignung sieht, bereits ausfiihrIich oben 2. c. 260 Vgl. BVerwG, NVwZ-RR 1991, 129 (132); der Eigentümer soll Jedoch dann "nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen auf Antrag einen Anspruch auf Ubemahme des Grundstücks gegen Entschädigung haben"; gemeint ist wohl eine "Entschädigung" zur Anpassung der Inhaltsbestimmung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (sog. ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung), vgl. dazu ausfiihrlicher unten c. sowie allgemein auch Ehlers, WDStRL 51 (1992), 211 (237). 261 A.A. Bentier, DVBI. 1984, 301 (315); W.F. Schmidl, Entschädigung, S. 130; Schwabe, JZ 1983, 273 (274 f.).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
c) Grenzen Hinhaltsbestimmender HFluglärmbelastung
Wie bereits in allgemeiner Weise dargelegt, werden Inhalt und Grenzen der gesetzlichen Ausgestaltungsbefugnis (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) durch die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und die Sozialpflichtigkeit des Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) bestimmt. 262 Der Gesetzgeber muß bei Regelungen i.S. des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG - dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner "Verkehrslärm"-Entscheidung263 und in seinem Beschluß zum Flughafen Salzburg264 auch für den Lärmschutz noch einmal hervorgehoben - beiden Elementen des im Grundgesetz angelegten Verhältnisses von verfassungsrechtlich garantierter Rechtsstellung und dem Gebot einer sozialgerechten Rechtsordnung in gleicher Weise Rechnung tragen; er muß die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten zu einem gerechten Ausgleich und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. 265 Dabei ist die Befugnis des Gesetzgebers zur Inhalts- und Schrankenbestimmung grundsätzlich um so weiter, je mehr das Eigentum in einem sozialen Bezug steht; je mehr das Eigentumsrecht zur eigenverantwortlichen Lebensgestaltung und zur freien Persönlichkeitsentfaltung dient, um so ausgeprägter ist der Eigentumsschutz. 266 Dem entspricht - auch dies wurde bereits ausgeführt - die Bindung des Gesetzgebers an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 267 Das Wohl der Allgemeinheit rechtfertigt nur solche Beschränkungen des Eigentums, die zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sind, sie dürfen außerdem nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein. 268 Die Substanz des Eigentums ist in jedem Fall zu erhalten, das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. 269 Bei der Zulassung von lärmemittierenden Verkehrsflughafenplanungen geht es unter dem Blickwinkel des Art. 14 GG um den gerechten Ausgleich konfligierender, raumbedeutsamer Nutzungsinteressen. Dem öffentlichen Interesse am Betrieb eines Verkehrs flughafens zur Erfüllung gewichtiger Aufgaben der Daseinsvorsorg&70 stehen die Interessen der Grundeigentümer und der in ähnlicher Weise Berechtigten an der Nutzung des Grundeigentums zu Wohn- und Arbeitszwecken gegenüber. Diesen Interessenkonflikt müssen die luftver262 263 264 265 266 267 268 269 270
Vgl. oben 2. b. BVerfGE 79, 174 (187 ff.). BVerfGE 72, 66 (75 ff.). BVerfGE 72,66 (77 f.); BVerfGE 79, 174 (198). BVerfGE 50,290 (340 f.); BVerfGE 70,191 (201). BVerfGE 72, 66 (78); BVerfGE 79, 174 (198). BVerfGE 72, 66 (79). BVerfGE 52, 1 (29 f.); BVerfGE 72,66 (78); BVerfGE 79, 174 (198). Vgl. dazu bereits oben I. 2. c.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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kehrsrechtlichen Planungsvorschriften und - im Einzelfall konkretisierend die luftverkehrsrechtliche Fachplanung in verhältnismäßiger Weise bewältigen. Dabei ergeben sich folgende Anforderungen: Aus dem Grundsatz der Erforderlichkeit folgt, daß ohne Rücksicht auf die Schwere der Beeinträchtigung nur solche Belastungen zugelassen werden dürfen, "die vom Sachbereich her geboten sind" und die "nicht weiter gehen als der Schutzbereich reicht, dem die Regelung dient".271 Die gesetzgeberische Konfliktbewältigung muß sicherstellen, daß eigentumsrelevante Positionen nicht beeinträchtigt werden, ohne daß dies erforderlich wäre. 272 Welche Anforderungen sich aus dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs für die Vermeidung grundrechtsbeeinträchtigender Fluglärmbelastungen im einzelnen ergeben, wurde bereits im Zusammenhang mit der Untersuchung fluglärmbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen erläutert. 273 Auf die dortigen Ausführungen kann daher an dieser Stelle weitgehend verwiesen werden. Noch einmal hervorgehoben werden soll allerdings, daß auch lärmbedingte Störungen der Eigentumsnutzung, die nicht ganz geringfügig sind und die durch technisch möglichen und wirtschaftlich vertretbaren Aufwand, insbesondere durch Schallschutzmaßnahmen vermieden werden können, ohne den Verkehrsflughafenbetrieb in dem im öffentlichen Interesse gebotenen Umfang in Frage zu stellen, zwingend zu vermeiden sind. 274 Die sich aus dem Erforderlichkeitsprinzip ergebende Vermeidungspflicht, richtet sich sowohl an den Gesetzgeber, als auch an die planende Verwaltung hinsichtlich der zu treffenden planerischen Festsetzungen im Einzelfall. Aus dem Grundsatz der Verhältnismiißigkeit i.e.Sm folgt, daß die Gestaltung der Eigentumsposition der betroffenen Grundeigentümer und der mit ihr verfolgte Gemeinwohlzweck in einem angemessenen Verhältnis zueinander 271 BVertGE 72,66 (78 f.); E 79, 174 (198). Die verschiedentlich geäußerte Annalune, daß der inhaltsbestimmende Gesetzgeber hinsichtlich der Erforderlichkeit einer gesetzlichen Regelung eine weitgehend freie Hand hat (so etwa Bryde, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 64, unter Berufung auf BVertGE 8, 71 [80) und BVerfGE 21, 73 [83]), findet damit jedenfalls in der neueren Rechtsprechung des BVertG keine Stütze. Eine weniger stringente Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Ralunen von Art. 14 GG läßt sich auch kaum begründen, geht es doch auch hier, wie bei anderen Grundrechtseinschränkungen, um eine Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen des Einzelnen mit den Interessen der Allgemeinheit; vgl. dazu auch Rengeling, AöR lOS (1980), 423 (435 f.); Rinstieg, in: GG-AK, Art. 14/15 Rn. 72; Soell, DVBI. 1983, 241 (245). 272 So au~1rücklich BVertGE 72, 66 (79); vgl. auch SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 10. 273 Vgl. oben I. 2. c. aa. 274
Vgl. dazu auch SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 9.
Auch Grundsatz der Angemessenheit oder der Zumutbarkeit; vgl. dazu schon allgemein oben I. 2. b. ce. 275
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
stehen müssen, ohne daß schutzwürdige Interessen (der Beteiligten) einseitig bevorzugt oder benachteiligt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die besondere soziale Gebundenheit des Grundeigentums immer wieder hervorgehoben. Der "unvermehrbare und unentbehrliche Boden darf nicht dem Spiel der freien Kräfte und dem Belieben des Einzelnen überlassen werden", die Interessen der Allgemeinheit sind in weit stärkerem Maße zur Geltung zu bringen als bei anderen Vermögensgütem. 276 Im Hinblick auf Flug- und Verkehrslärmimmissionen betont das Gericht, daß das Eigentum an einem Grundstück seinem Inhaber nicht ohne weiteres garantiert, von der Nachbarschaft störender Anlagen verschont zu bleiben. Es ist "grundsätzlich der Gefahr ausgesetzt, daß eine solche Anlage errichtet wird, und daß dann entsprechende eigentumsbegrenzende Regelungen des Nachbarrechts zur Geltung kommen".277 Wo ist aber nun die Grenze zwischen verfassungsrechtlich unbedenklicher Sozialbindung des Eigentums und unverhältnismäßiger weil unzumutbarer Inhalts- und Schrankenbestimmung zu ziehen? Wie schon ausgeführt, beantwortete das Bundesverwaltungsgericht die Frage, wann eine planungsbedingte Immissionsbelastung Ausdruck einer zulässigen Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums ist und wann eine solche als Enteignung zu deuten ist, früher anband der Schwere und Tragweite der Beeinträchtigung. Das Grundeigentum sei dann verletzt, wenn die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch der Eigentümer "schwer und unerträglich" betroffen wird. 278 Als "schwer und unerträglich" wurde eine solche Beeinträchtigung gewertet, die die Grenze der Zumutbarkeit überschreite und deshalb nicht mehr durch die Sozialbindung des Eigentums gedeckt würde. 279 Zur Abgrenzung zwischen Sozialbindung und Enteignung wurde also auf die Zumutbarkeit der Beeinträchtigung im Einzelfall abgestellt, wobei es für die Frage der Zumutbarkeit entscheidend auf die (konkrete) Grundstücksituation ankam. Dahinter steht die Vorstellung von der "Situationsgebundenheit" des Grundeigentums, ein Gesichtspunkt, 276 Vgl. schon BVerfGE 21,73 (82 f.). 277
BVerfGE 72,66 (77 f.); BVerfGE 79,174 (198 f.).
278 Vgl. BVeIWGE 5, 143 (145); E 7, 297 (299); E 11, 68 (75); E 15, 1 (2); E 19,
94 (98 f.); E 32, 173 (179); weitere Nachweise bei Breuer, Bodennutzung, S. 58 f.; der BGH hat sich dieser Position weitgehend angenähert, wenn tur Verkehrslärrnimmissionen eine "Verletzung des Art. 14 GG" dann angenommen wird, wenn durch die Straße die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert wird und dadurch der Nachbar schwer und unerträglich getroffen wird; vgl. BGHZ 97, 114 (116); BGHZ 97, 361 (362 f.); BGH, NVwZ 1989, 285; zur Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von der "Sonderopfer-Theorie" zu einer "verschleierten Schweretheorie", vgl. Papier, in: M/D/H, GG-Komm., Art. 14 Rn. 304 f. und Lege, NJW 1990, 864 ff. 279 Vgl. die Nachweise Fn. 278.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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der in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und insbesondere des Bundesgerichtshofs, namentlich zum Naturschutzrecht und zum Denkmalschutzrecht, nach wie vor eine große Rolle spielt. 280 Danach wird jedes Grundstück durch seine besondere Lage und Beschaffenheit sowie seine Einbettung in Natur und Landschaft geprägt. 281 Auf diese "Situation" muß der Eigentümer bei Ausübung seiner Befugnisse wegen der Sozialbindung des Eigentums Rücksicht nehmen. Sein Eigentum habe wegen der besonderen Situationsgebundenheit von vomeherein einen reduzierten Inhalt und unterliege insoweit einer immanenten Beschränkung und besonderen "Ptlichtigkeit". 282 Der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ging es darum - dies muß hier noch einmal betont werden - materielle Kriterien für die Abgrenzung zwischen einer (zulässigen) Inhalts- und Schrankenbestimmung und einer Enteignung festzulegen. Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht in grundsätzlicher Weise geklärt, daß eine verfassungswidrige, weil unverhältnismäßige oder gleiChheitssatzwidrige Inhaltsbestimmung des Eigentums, nicht zugleich einen "enteignenden" Eingriff darstellt und wegen des unterschiedlichen Regelungsgehalts von Inhaltsbestimmung und Enteignung auch nicht in einen solchen umgedeutet werden kann. 283 Wenn also die materiellen Abgrenzungstheorien nach weitgehender Anerkennung eines formalfinalen Enteignungsbegriffs284 auch nicht (mehr) zur Enteignungsbestimmung herangezogen werden können, so bieten sie doch gewichtige Anhaltspunkte für die Frage der Angemessenheit bzw. Zumutbarkeit und damit der Verhältnismäßigkeit einer Inhalts- und Schrankenbestimmung im Bereich des Immisssionsrechts. Denn inhaltlich behandeln sie die Frage der Grenzen der Sozialbindung, die Bestimmung der (noch) zulässigen Inhaltsbestimmung auf der
280 Vgl. BGHZ 23, 30 (33); 30, 338 (343); 60, 126 (130 f.); 72, 211 (216 f.); 77, 351 (354); 80,111 (115 ff.); 87, 66 (71); 90, 17 (25); BGH, DVBI. 1993, 430 (431); BVelWGE 15,1 (2); E26, 111 (119f.); E32, 173 (178); E49, 365 (368); E67, 84ff.; E67, 93 ff.; BVeIWG, NVwZ 1988,623; siehe auch BayVerfGH, NuR 1992,227 (228); aus der Literatur z.B. Gassner, NVwZ 1982, 165 (169 f.); Henneke, Landwirtschaft, S. 144 ff.; Leisner, Umweltschutz durch Eigentümer, S. 80 ff.; NüßgenslBoujong, Eigentum, Rn. 207 ff.; Schink, Naturschutz- und Landschaftspflegerecht, Rn. 656; Soell, Rechtliche Instrumente, S. 979; ders., DVBI. 1983, 241 (245); ders., NuR 1984, 185 (187); vgl. jetzt auch BVerfG, NVwZ 1991, 358. 281 Vgl. die Nachweise Fn. 280.
Vgl. z.B. BGHZ 23,30 (33); BGHZ 87,66 (71). Vgl. für Verkehrslärmimmissionen BVerfGE 79, 174 (191 f.); kritisch dazu Kleinlein, DVBI. 1991, 365 (367). 284 Diesen hat auch das BVelWG inzwischen anerkannt und übernommen; unklar insoweit noch die Rechtsprechung des BuH, vgl. aber jetzt BGH, DVBI. 1993, 430 (432); zur Entwicklung der Rechtsprechung auch ausführlich Lege, NJW 1990, 864 ff. 282 283
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
Grundlage materieller Kriterien und können insoweit weiterhin Anwendung finden. 285 Folgt man also hier unter den veränderten Vorzeichen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, so sind die Grenzen der verfassungsrechtlich zumutbaren Eigentumsbeinträchtigung aus dem konkreten situativen Kontext des Einzelfalls zu gewinnen. Diese Einzelfallbeurteilung wird (und kann nur) durch die Planfeststellungsbehörde im Wege konkreter fachplanerischer Festsetzungen und nicht durch die Planungsvorschriften des jeweiligen Fachplanungsgesetzes getroffen werden. Jene beschränken sich insoweit zumeist auf die Normierung von Generalklauseln, unbestimmten Rechtsbegriffen, Optimierungsgeboten usw. und legen so nur den allgemeinen Rahmen fest, innerhalb dessen die Eigentümerbelange im konkreten Fall wertend zu berücksichtigen sind. 286 Dies gilt auch für die luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften, die mit der Bindung der Planungsbehörde an das Gebot gerechter und umfassender Abwägung (vgl. § 8 Abs. 1 LuftVG) und der Normierung des Erfordernisses der Vermeidung von Gefahren und Nachteilen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft durch Schutzauflagen (§ 9 Abs. 2 LuftVG), nur generalisierend Anforderungen an die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung formulieren, die Konkretisierung, Ausgestaltung und Ausfüllung dieser Maßstäbe aber weithin der Planfeststellung durch die Exekutive überlassen. m Nun könnte hiergegen eingewandt werden, daß es doch Aufgabe des Gesetzgebers sei, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen und es mithin auch dem Gesetzgeber obliegen müsse, den geforderten verhältnismäßigen Interessenausgleich zu schaffen. 288 Damit wäre der Gesetzgeber aber angesichts der Vielschichtigkeit und Differenziertheit der betroffenen Positionen regelmäßig überfordert. 289 Ebensowenig wie sich wegen der unterschiedlichen Pflichtenbindungen nach Art des Eigentumsobjekts (z.B. Aktieneigentum, 285 Vgl. dazu OSlerloh, DVBI. 1991,906 (910), die zutreffend darauf hinweist, daß es der fruheren Rechtsprechung des BVerwG "zwar nicht nach Terminologie und methodischem Selbstverständnis, wohl aber objektiv nach Inhalt und Begrundungsstruktur" um die Prufung und Entscheidung der Frage ging, inwieweit eine (entschädigungslose) Eigentumsbestimmung mit Gleicheitssatz und Übermaßverbot vereinbar ist und die an anderer Stelle die Einbeziehung der herkömmlichen Topoi der enteignungsrechtlichen Rechtsprechung des BVerwG und des BGH zur "Zumutbarkeitsschwelle" in die allgemeinen Grundsätze der verfassungsgerichtlichen Judikatur, insbesondere zur verfassungsgerichtlich kontrollierbaren Reichweite der Bindungen des Gesetzgebers an Gleichheitssatz und Übermaßverbot i.V.m Art. 14 Abs. I und Abs. 2 GG, fordert; vgl. auch NüßgenslBoujong, Eigentum, Rn. 344 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 14 Rn. 32; Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), S. 120. 286 Ehlers, VVDStRL 51 (1992),211 (227 f.). 287 288
Vgl. dazu auch näher unten, 3. Teil, B. m. 2. a. Vgl. Böhmer, NJW 1988, 2561 (2573 f.).
289 Dies anerkennt auch das BVerfG, wenn es bei vielschichtigen Sachverhalten die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe unter dem Blickwinkel des Bestimmtheitsgebots für verfassungsrechtlich unbedenlc1ich erachtet; vgl. nur BVerfGE 49, 89 (133).
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Grundeigentum, Produktiveigentum) eine allgemeine "Sozialbindungsschwelle" angeben läßt29O , kann für lärmbedingte Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums eine allgemeine verfassungsrechtliche "Zumutbarkeitsschwelle" angegeben werden. 291 Notgedrungen erfordert die Grenzziehung je nach "Eigentumssituation" eine konkrete Einzelfallentscheidung. 292 Die Bestimmung dessen, was nach Abwägung der betroffenen Interessen dem Eigentümer angemessenerweise "zugemutet" werden kann, ist demgemäß nach Maßgabe des Einzelfalls situationsorientiert und damit bewertend zu treffen. Entscheidend sind stets Art, Ausmaß und Gewicht der Beeinträchtigung. Ausmaß und Gewicht sind aber keine abstrakten Größen, sondern kennzeichnen Relationen zwischen konkretem Schutzbereich und Beeinträchtigungsvorgang. 293 Da der Ausgleich zwischen privaten Eigentümerbelangen und öffentlichen Belangen durch den Gesetzgeber also nur "in gewisser Weise vorstrukturiert" werden kann294 , bedarf die gesetzliche Inhaltsbestimmung der Ausgestaltung und Konkretisierung durch die Exekutive im Einzelfall. In dem Umfang in dem das Gesetz auf den Einzelfall verweist, tritt dann aber auch an die Stelle der generell-abstrakten eine konkret-individuelle Verhältnismäßigkeitsprüfung. 295 Ein maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Reichweite der Sozialbindung und damit für einen angemessenen Interessenausgleich ist dabei die Grundstückssituation. Die Rechtsprechung sieht die "Situationsgebundenheit" zumeist als immanente Beschränkung der Eigentümerrechte an. Dies ist teilweise zurecht kritisiert worden. Aus der "Natur der Sache" kann keine Ptlichtigkeit des Eigentümers im Rechtssinne abgeleitet werden296 und auch aus dem Gemeinwohlgebot des Art. 14 Abs. 2 GG - die Situationsgebundenheit des Eigentums wird ja im allgemeinen als Unterfall der Sozialbindung des Eigentums angesehen297 - lassen sich nur sehr begrenzt verfassungsunmittelVgl. BVerfGE 50,290 (340 f.). Eine andere Frage ist jedoch, ob die gesetzlichen Lärmschutzmaßstäbe nicht einer "Verfeinerun~" durch ein System (normativer) Grenzwertfestsetzungen zugänglich sind und ob ein solches nicht im Interesse von Rechtssicherheit und Gleichbehandlung auch geboten wäre; vgl. dazu tUr § 9 Abs. 2 LuftVG unten, 3. Teil, B. m. 2. a. 292 Vgl. Hügel, Dritte als Betroffene, S. 92, S. 125; Kasmer, VerwArch 80 (1989), 74 (77); vgl. aber auch die Anmerkung in Fn. 291. 293 Vgl. SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 12; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 82 f. 294 BVerwG, NVwZ-RR 1991, 129 (133) "Flughafen Stuttgart". 295 Ehlers, VVDStRL 51 (1992),211 (228). 296 Gassner, NVwZ 1982, 165 (166 ff.); Henneke, Landwirtschaft, S. 145 ff.; Papier, in: MIDIH, GG"Komm., Art. 14 Rn. 326; Schink, Naturschutz" und Landschaftspflegerecht, Rn. 656. 297 Vgl. nur Gassner, NVwZ 1982, 165 (168); Kimminich, in: GG-BK, Art. 14 Rn. 114; Paetow, VBlBW 1985, 3 (4). 290 291
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
bare Pflichten des Eigentümers ableiten. 298 Gleichwohl wird mit der Differenzierung nach der jeweiligen Grundstückssituation zur Bestimmung der Reichweite der Sozialbindung, nicht etwa (unzulässigerweise) vom "Sein" auf das "Sollen" geschlossen. 299 Denn hierbei geht es darum, die gesetzliche Inhaltsund Schrankenbestimmung und ihre Konkretisierung durch die Planungsbehörde am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips i.e.S. zu messen und somit um die Abwägung von Eigentümer- und Gemeinwohlinteressen. Für die Frage der verfassungsrechtIichen Zumutbarkeit spielt aber neben Art und Schwere der Nutzungsbeeinträchtigung, auch die konkrete soziale Pflichtigkeit des Eigentums und damit die konkrete Grundstückssituation eine wesentliche Rolle. Die soziale Pflichtigkeit des Grundeigentums wird angesichts seiner Raumbezogenheit in besonderer Weise durch die Grundstückssituation mitgeprägt. 300 Alle Arten der Nutzung oder Benutzung des Grundstücks werden durch die jeweilige "Lage" des Grundstücks, seine "Situation" und damit durch die "Situationsgebundenheit" mitbeeinflußt. 301 Aus der Sachbezogenheit des Grundeigentums folgt die unterschiedliche Schutzwürdigkeit bestimmter Grundstücksnutzungen je nach konkreter Grundstückssituation und daraus resultiert auch ein unterschiedliches Gewicht der abwägungsrelevanten Allgemeininteressen. Die Pflichtenbindung des Eigentümers differiert eben nicht nur nach Art des Eigentumsobjekts sondern auch nach den konkreten sozialen bzw. ökologischen (situativen) Bezügen des (Grund-) Eigentums. 302 Die Situationsgebundenheit des Grundeigentums kennzeichnet den Sozialbezug des Grundeigentums; je weiter der Sozialbezug reicht, je weniger schutzwürdig das Eigentum nach seiner spezifischen "Situation" ist, um so eher erscheinen lärmbedingte Beeinträchtigungen der Nutzungsbefugnisse des Grundeigentums verfassungsrechtIich angemessen und zumutbar. 303 Bestimmender Faktor für die konkrete Grundstückssituation ist zunächst einmal der Gebietscharakter der näheren Umgebung des betroffenen Grundstücks, wie er sich aus der Gebietsartbeschreibung der Baunutzungsverordnung (BNVO) oder aus sonstigen Vorschriften des Bauplanungsrechts erGassner, NVwZ 1982, 165 (167); Breuer, Bodennutzung, S. 42 m.w.N. Vgl. dazu insbesondere Soell, DVBI. 1983, 241 (245); tiers., NuR 1984, 185 (187); tiers., Rechtliche Instrumente, S. 979; tiers., Schutzgebiete, S. 147. 300 In diesem Sinne auch BVerfG, NVwZ 1991, 358, wonach im Rahmen des Interessenausgleichs auch •die Vorbelastung der Grundstücke durch die Situation in die sie hineingestellt sind n zu beachten ist. 301 Vgl. SchmidJ-Aßmil1III, DVBI. 1987, 216 (217); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 125; siehe auch BVerwGE 49,365 (368); BVerwGE 71, 150 (156). 302 So Soell, DVBI. 1983,241 (245); tiers., Schutzgebiete, S. 147. 303 Vgl. dazu allgemein BVerfGE 50, 290 (340 f.) und BVerfGE 70, 191 (201), wo jeweils betont wird, daß die Eigentumsposition grundsätzlich um so weniger schutzwürdig ist, je mehr das Eigentumsobjekt in einem sozialen Bezug und in einer sozialen Funktion steht. 298
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gibt. 304 Ein unterschiedlicher Gebietscharakter hat eine je nach Gebietsart abgestufte Zumutbarkeit von Lärmbelastungen zur Folge. Dies soll kurz an zwei Beispielen erläutert werden: Für die besonders lärmanfaIlige Nutzung zu Wohnzwecken, können in einem reinen oder allgemeinen Wohngebiet (§§ 3, 4 BNVO) im allgemeinen höhere Anforderungen gestellt werden, als etwa in einem Industrie- oder Gewerbegebiet (§§ 8, 9 BNVO), weil dort die Wohnnutzung eher die Ausnahme bildet und diese Gebiete gerade dazu bestimmt sind, emissionsträchtige Anlagen aufzunehmen. 305 Ähnliches gilt auch im Verhältnis Außenbereich (§ 35 BauGB) zu Innenbereich (§ 34 BauGB). Der Außenbereich dient nicht nur als Erholungslandschaft sondern auch zur Aufnahme von Vorhaben, die wegen ihrer besonderen Anforderungen an die Umgebung oder wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung nur dort ausgeführt werden können. 306 Die Gleichsetzung von Außenbereich mit "freier Natur" ist also jedenfalls unzutreffend, vielmehr muß die "Regenerationsfunktion" des Außenbereichs mit seiner "Maßnahmefunktion" verbunden werden. 307 Zu den im Außenbereich privilegierten und damit seinen Charakter prägenden Vorhaben gehören auch stark lärmemittierende Betriebe. Grundsätzlich ist daher die Situation von Außenbereichsgrundstücken dadurch gekennzeichnet, daß ihnen ein erhöhtes Risiko anhaftet, mit Immissionen konfrontiert zu werden. 308 Ausnahmen sind aber denkbar bei solchen Lagen, die nach der bisherigen Nutzung für die Erholung besonders vorgeprägt sind und in denen diese Nutzungen gleichsam "gebündelt" auftreten, wie etwa bei einem Sanatorium im Außenbereich. Die Gebietsart bildet also ein wichtiges Kriterium zur Bestimmung der Grundstückssituation und damit zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit von lärmbedingten Nutzungsbeeinträchtigungen. 309 Neben die304 Zur Differenzierung nach der Gebietsart und den dafür maßgeblichen Kriterien vgl. auch ausführlich W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 191 ff. und SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 33 ff. Auf die Gebietsart stellt auch das BVerwG ab (vgl. zuletzt BVerwG Urt. v. 29.1.1991 - 4 C 51.89, S. 71, S. 73 ff. "Flughafen München", insoweit in BVerwGE 87,332 [356 f.) nur teilweise abgedruckt), allerdings zur Bestimmung der nach Auffassung des Gerichts unterhalb der Schwelle der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit anzusiedelnden Grenze des "aujlagenrechrlich Zumurbaren", die den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 LuftVG und anderer fachplanerischer Auflagenvorschriften näher bestimmen soll; vgl. dazu eingehend unten, 3. Teil, B. III. 2. b. 305 Gewerbegebiete (§ 8 BNVO) sind allerdings durch die Nutzung zu Arbeitszwecken geprägt; insofern steht zwar nicht der Schutz von Wohnnutzungen, wohl aber der Schutz auch lärmanfälliger Arbeitsnutzungen im Vordergrund dieser Gebietskategorie. § 8 BNVO trägt dem insofern Rechnung, als er in Gewerbegebieten nur nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe zuläßt; vgl. dazu auch SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 34 f. 306 Vgl. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB. 307 308 309
So SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 34. Vgl. BVerwGE 87,332 (378 f.); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 132. Vgl. auch BVerfG, NVwZ 1991, 358.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
sem gleichsam typisierenden Kriterium, kann die Grundstückssituation im Einzelfall aber auch durch Immissionsvorbelastungen geprägt sein. Sowohl "tatsächliche Vorbelastungen" - durch andere Lärmquellen aber auch durch einen schon bestehenden Flughafen, als auch "plangegebene Vorbelastungen" - der Betroffene muß aufgrund einer zwar noch nicht verwirklichten aber bereits verfestigten Planung mit erhöhten Lärmbelastungen rechnen, können sich grundsätzlich als die Grundstückssituation mitprägende Faktoren schutzmindernd auswirken und sind somit bei der Frage der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit einer nutzungsbeeinträchtigenden Lärmbelastung mit zu berücksichtigen. 310 Die differenzierende Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls (unter dem Gesichtspunkt der konkreten situationsbedingten Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der Grundstücksnutzung) ist schließlich auch sachgerecht und verstößt nicht gegen das Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG). Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Überprüfung einer Straßenplanung durch Bebauungsplan mit verallgemeinerungsfähiger Argumentation klargestellt. 311 Das bauplanungsrechtliche Abwägungsgebot, so wird dort ausgeführt, erlaube einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich. Daß damit keine starre, für alle Eigentümer gleiche Grenze der hinzunehmenden Beeinträchtigung aufgestellt werde, verstoße nicht gegen die Verfassung. Der flexible Maßstab des planerischen Abwägungsgebots ermögliche es vielmehr, die sich aus den konkreten Verhältnissen ergebenden öffentlichen Interessen und die privaten Belange der betroffenen Eigentümer in einen gerechten Ausgleich zu bringen. In der Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse liege keine sachwidrige Differenzierung, so daß ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz ausscheide. 312 Nur ergänzend sei noch darauf hingewiesen, daß eine überproportionale Inanspruchnahme des Grundeigentümers grundsätzlich auch durch Gewährung eines Ausgleichs in Geld an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bzw. an 310 A.A. Hügel, Dritte als Betroffene, S. 127 ff., der tatsächliche Vorbelastungen nur als Problem der Kausalität und plangegebene Vorbelastungen nur als Problem der Priorität und des Mitverschuldens begreift und diesen Topoi fiir die Frage der verfassungsrechtlichen Zumutbarkeit keine Bedeutung zumißt. Das BVerwG bestimmt in ständiger Rechtsprechung anband der Kriterien Gebietsart, plangegebene und tatsächliche Vorbelastung die "auflagenrechtliche Zumutbarkeitsschwelle" und damit den Anwendungsbereich des § 9 Abs. 2 LuftVG; vgl. zuletzt BVerwG, Urt. v. 29.1.1991 - 4 C 51.89, S. 71 ff., S. 92 ff. "Flughafen München", insoweit in BVerwGE 87, 332 (356 ff.l364 f.) nur auszugsweise abgedruckt. Zur Position von Hügel und zur Unterscheidung zwischen "verjassungsrechtlicher" und "auflagenrechtlicher" Zumutbarkeit vgl. ausfiihrlich unten, 3. Teil, B. IU. 2. b. und c. 311 BVerfGE 79, 174(198 f.); vgl. dazu auch Broß, VerwArch 80 (1989), 395 (402). 312 Vgl. dazu auch Schmidl-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 31 ff., insb. S. 33 ff.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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das Gebot der Lastengleichheit angepaßt werden kann (sog. ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung). 313 Hierbei handelt es sich nicht um eine Enteignungsentschädigung i.S.d. Art. 14 Abs. 3 GG oder um einen Ausgleich wegen enteignungsgleichem oder enteignendem Eingriff3 14 ; der Ausgleich ist vielmehr Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG zuzuordnen und läßt eine ansonsten übermäßige, unverhältnismäßige Immissionsbelastung noch als zumutbare Sozialbindung des Eigentums erscheinen. Zu beachten ist aber, daß auch eine solche "Entschädigung" wie die Enteignungsentschädigung einer gesetzlichen Grundlage bedarf, wenngleich die Anforderungen an die gesetzliche Entschädigungsklausel weniger stringent sein dürften wie bei der Enteignung. Fehlt sie oder ist sie unzulänglich, so kann nicht "hilfsweise" durch die Planungsbehörde entschädigt werden, sondern dann ist die gesetzliche Regelung unverhältnismäßig und verfassungswidrig. 315 Außerdem kommt ein solcher finanzieller Ausgleich nur dann als ultima ratio in Betracht, wenn nicht auf andere Weise, etwa durch die Anordnung von Schutzauflagen die Beeinträchtigung der Eigentümerbelange auf ein verhältnismäßiges Maß reduziert werden kann. Denn sonst könnte die im Vordergrund des verfassungsrechtlichen Eigentumsschutzes stehende Bestandsgarantie durch einen Wertausgleich unterlaufen und unverhältnismäßige Eigentumsbeschränkungen dem Eigentümer gleichsam "abgekauft" werden. 316 In diesem Zusammenhang ist auch die den fachplanerischen Fluglärmschutz ergänzende Regelung des § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG zu sehen, die dann einen finanziellen Ausgleich gewährt, wenn die
313 Vgl. zur Rechtsfigur der ausgleichspflichtigen Inhalts bestimmung grundlegend in der Sache, nicht in der Terminologie BVerfGE 58, 137 (150 ff.) "Pflichtexemplar"; vgl. auch BVerfGE 79, 174 (192); BVeIWGE 77, 295 (298); BVeIWGE 84, 361 (367 f.); speziell zu Fluglärm BVeIWG, NVwZ-RR 1991, 129 (133) "Flughafen Stuttgart"; BVeIWGE 87, 332 (380/383) "Flughafen München"; BGHZ 102, 350 (39 f.); BGHZ 110, 12 (16); aus der Literatur Brytie, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 14 Rn. 65; GÖIZ, DVBI. 1984, 395 (396 f.); Kühling, DVBI. 1989,221 (230); Maurer, in: FS f. Dürig, S. 313; tiers., Allgemeines VeIWaltungsrecht, § 26, Rn. 67 f.; NüßgenslBoujong, Eigentum, Rn. 339 f.; Schulze-Oslerloh, NJW 1981,2537 (2543 ff.); unklar Numberger, BayVBI. 1984, 456 (457 f.); a.A. Papier, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 14 Rn. 283 ff.; Kleinlein, DVBI. 1991, 365 (368 ff.); kritisch auch Pielzker, JuS 1991, 369 (370 ff.) 314 Vgl. zum enteignungsgleichen EingriffBGHZ 90,17 (29 ff.), zum enteignenden Eingriff BGHZ 91,20 (26 ff.); für Belastungen durch Verkehrslärm hat das BVerfG die Figur des enteignenden Eingriffs mit überzeugender Argumentation abgelehnt, vgl. BVerfGE 79, 174 (192); zustimmend OSlerloh, DVBI. 1991, 906 (913). 315 Vgl. Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (233); Maurer, in: FS f. Dürig, S. 312; tiers., Allgemeines VeIWaltungsrecht, § 26 Rn. 68; aus diesem Grund hat das BVerfG in der "Pflichtexemplar"-Entscheidung auch keine Entschädigung zugesprochen, sondern die Verfassungswidrigkeit der Regelung festgestellt, vgl. BVerfGE 58, 137 (152); a.A. offenbar BVeIWGE 84, 361 (367 f.), "zumindest für eine Übergangszeit"; a.A. auch Hügel, Dritte als Betroffene, S. 156 f. 316 Vgl. Böhmer, NJW 1988, 2561 (2563); Ehlers, VVDStRL 51 (1992), 211 (213/233); Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 14 Rn. 38; Maurer, in: FS f. Dürig, S. 313.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Vermeidung nachteiliger Wirkung durch Schutzauflagen (nach § 9 Abs.2 LuftVG) untunlich oder nicht mit dem Vorhaben vereinbar ist. 317 4. Ergebnis zu 11.
Zusammenfassend können somit folgende verfassungsrechtliche Anforderungen an einen fachplanerischen Schutz des Eigentums vor Fluglärm formuliert werden: Bei der Zulassung eines lärmemittierenden Verkehrsflughafens geht es um den verhältnismäßigen Ausgleich konfligierender raumbedeutsamer Nutzungsinteressen. Den öffentlichen Interessen am Betrieb des Verkehrsflughafens stehen die Nutzungsinteressen der Grundeigentümer gegenüber. Angesichts der Vielschichtigkeit und Differenziertheit der betroffenen Positionen, kann der inhaltsbestimmende Gesetzgeber die Lösung dieses Interessenkonflikts nur in groben Zügen vorzeichnen. Die konkrete Bestimmung dessen, was nach Abwägung der betroffenen Interessen dem Eigentümer angemessenerweise zugemutet werden kann, was also verhältnismäßig i.e.S. ist, kann nur nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls durch die luftverkehrsrechtliche Planungsbehörde erfolgen. Dabei sind Ausmaß und Gewicht der Eigentumsbeeinträchtigung zu bestimmen. Diese stellen keine abstrakten Größen dar, sondern kennzeichnen Relationen zwischen konkretem Schutzbereich und Beeinträchtigungsvorgang. Neben Intensität und Häufigkeit der Lärmbeeinträchtigung ist daher auch der konkreten Grundstückssituation (Gebietsart, Vorbelastungen) Rechnung zu tragen. Die jeweilige situative Einbindung des Grundeigentums beschreibt seinen konkreten Sozialbezug mit. Wenn damit auch die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren einer wertenden Einzelfallbetrachtung unter Berücksichtigung typischer, situativer Merkmale obliegt318 , so dürfte sie doch jedenfalls dann erreicht sein, wenn eine sinnvolle Nutzung des Grundeigentums gänzlich ausgeschlossen wird, etwa wenn die Lärmbelastung eine solche Intensität erreicht, daß gesundheitsbeeinträchtigende Wirkungen nicht mehr auszuschließen sind und somit die Nutzung zu Wohn- aber auch zu Arbeitszwecken grundsätzlich in Frage gestellt ist. 319 Unabhängig von Beeinträchtigungsintensität und konkreter Grundstückssituation besteht die Bindung an den Grundsatz der Erforderlichkeit. Danach sind Beeinträchtigungen des Grundeigentums insbesondere dann unverhältnismäßig weil nicht erforderlich, wenn sie in zumutbarer Weise, etwa 317 Vgl. dazu BVelWG, NVwZ-RR 1991, 129 (133) "Flughafen Stuttgart"; BVelWGE 87, 332 (377 ff.) "Flughafen München". 318 Vgl. Boujong, UPR 1987, 207 (209); Steinberg, Nachbarrecht, S. 188 Rn. 229 m.w.N.; vgl. auch BVelWGE 61,295 (300), wonach es auf die Feststellung einer "tiefgreifenden und die Benutzbarkeit beeinflußende Veränderung des Grundeigentums" im konkreten Fall ankommt. 319 Vgl. dazu auch BVelWG, NVwZ-RR 1991, 129 (133) "Flughafen Stuttgart"; Ramsauer, AöR 111 (1986), 501 (507); tiers., in: Koch (Hrsg.), S. 120
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Pluglänn
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durch Schallschutzmaßnahmen vermieden werden können, ohne den Betrieb des Verkehrsflughafens in dem im öffentlichen Interesse gebotenen Umfang in Frage zu stellen. 320 ID. Das Verhältnis von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zu Art. 14 GG 1. Grundeigentumsbezogene Deutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG?
Für den fachplanerischen Lärmschutz kann das Verhältnis zwischen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 14 GG bis heute noch nicht als abschließend geklärt betrachtet werden. In Abkehr zur älteren Rechtsauffassung wird zwar inzwischen fast einhellig die selbständige Bedeutung des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG als individuellem Rechtmäßigkeitsmaßstab für die immissionsrelevante Fachplanungsentscheidung betont. Neben das objektbezogene Regelungsmodell des Art. 14 GG sei das personenbezogene Modell des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG getreten. 321 In der Sache werden aber die von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten Rechtsgüter in einer konkreten Raumsituation vielfach noch immer grundeigentumsbezogen gedeutet und mehr oder weniger weitgehend dem das Raumplanungs- und Bodenrecht sonst beherrschenden Art. 14 GG inkorporiert. Dies wird symptomatisch deutlich an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Das Gericht betont einerseits, es verbiete "sich von selbst die Annahme, daß zwar das Eigentum verfassungsrechtlich gegen bestimmte Vorgänge 'in seiner Umgebung' geschützt sei, dagegen das als Rechtsgut höherwertige und in gewisser Weise auch stärker umgebungsabhängige Recht auf körperliche Unversehrtheit (Gesundheit) einen vergleichbaren Schutz nicht genieße"; der Schutz der höchstpersönlichen Rechtsgüter i.S. des Art. 2 Abs. 2 GG sei dem Schutz des Eigentums i.S. des Art. 14 GG daher ohne weiteres gleichgestellt. 322 Zum anderen soll aber (für planungsrechtliche Schutzauflagenvorschriften) der Schutz des Grundeigentums den Schutz der anderen Rechtsgüter mitumfassen, weil mit der Gewährleistung einer durch Lärm nicht erheblich beeinträchtigten Grundstücksnutzung auch die Beeinträchtigung der personenbezogenen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG ausgeschlossen sei. 323 In der Literatur wird dieser Auffassung teilweise ge320 321
(206).
Soweit die Beeinträchtigung nicht ganz geringfügig ist. Schmidt-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 28; ders., AöR 106 (1981), 205
Vgl. BVerwGE 51,15 (28 fT.); BVerwGE 54, 211 (222); BVerwGE 82,61 (62). BVerwGE 59, 253 (262); siehe aber auch jetzt BVerwG, Beschluß vom 26.9.1990, Buchholz 406.19 Nr. 99, S. 57, wo "klarstellend" darauf hingewiesen wird, daß gegenüber einer straßenrechtlichen Planfeststellung der Wohnsitz einen geeigneten Anknüpfungspunkt für die Klagebefugnis zur Abwehr gesundheitsschädlicher Umwelteinwirkungen darstellen kann; mögli322 323
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
folgt und ein Vorrang des Art. 14 GG gegenüber Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG begründet. Bei der Fachplanung gehe es um die Verankerung eines konkreten Vorhabens in seiner räumlichen Umgebung, um die Gestaltung einer sachlichraumbestimmten Situation. Das so objekt- und grundeigentumsbezogene Fachplanungsrecht würde deshalb weitgehend vom spezielleren Art. 14 GG beherrscht. Im Hinblick auf Lärmimmissionen lasse sich Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hier nur "situationsgebunden" auf konkrete Raumsituationen anwenden. Der Schutz des Grundeigentums umfasse daher den Schutz der personenbezogenen Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2 GG mit und bringe diese in die sachlich-raumbestimmte Situation ein. Das Kriterium der "Gesundheitsschädlichkeif' aus Art. 2 Abs. 2 GG soll dann nur für die Qualifikation der Belastung des Grundeigentums, etwa als "schwer und unerträglich", eine (wesentliche) Rolle spielen. 324 Andere lehnen die These von der Vorrangstellung des Art. 14 GG und dem Einschluß des Schutzes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zwar ab. Zur "Handhabung des Art. 2 Abs. 2 GG" im Immissionsschutzrecht325 müsse man aber den Topos der Situationsgebundenheit nicht nur auf das durch Art. 14 GG geschützte Grundeigentum sondern - unter Anlehnung an die für Art. 14 GG geltenden Grundsätze - auch auf die durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützten personenbezogenen Rechtsgüter anwenden. Unter Berücksichtigung der Umstände der konkreten Raumsituation soll dann geklärt werden, wann Lärmbelastungen den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG tangieren und wann sie als "sozialadäquat" und "zumutbar" außerhalb des Schutzbereichs verbleiben. 326 Der in diesem Zusammenhang verwendete Terminus "Zumutbarkeit" meint also nicht die Verhältnismäßigkeit einer Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.327 Zur Begründung wird vorgetragen, dem personenbezogenen Immissionsverhältnis, wie es für das Recht auf körperliche Unversehrtheit relevant sei, fehle die Statik des sachbezogenen Immissionsverhältnisses, welches für Art. 14 GG eine Rolle spiele und dort durch die Fixiertheit der belegenen Sache bestimmt werde. Umweltrelevante Beeinträchtigungen der menschlichen Gesundheit seien durch ein hohes Maß an zeitlicher, räumlicher und modaler Veränderlichkeit und Unstetigkeit gekenncherweise kündigt sich hier eine Wende in der Rechtsprechung des Gerichts an; vgl. zum ganzen auch ausführlich unten, 3. Teil, B. III. 2. c. aa. sowie B. VI. 2. 324 So W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 171 f.; ähnlich Bender, DVBI. 1984, 301 (310 mit Fn. 68); EngelhardJ, BayVBI. 1981,389 (392). 325 SchmidJ-Aßmmm, AöR 106 (1981), 205 (206). 326 So insbesondere SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S.27, S. 33 ff.; ders., AöR 106 (1981), 205 (212 ff.); ihm weitgehend folgend Hügel, Dritte als Betroffene, S. 153; vgl. auch Peine, DÖV 1988, 937 (944); OVG NW, NVwZ 1983, 356 (358). 327 Vgl. SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 27; Hügel, Dritte als Betroffene, S. 153.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor fluglärm
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zeichnet. Nur bei gewisser Dauer und Wiederkehr könnten Lärmbeeinträchtigungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen; notwendig sei deshalb ein besonderes Verhältnis der Betroffenen zur Immissionsquelle im Sinne einer engen räumlichen und zeitlichen Beziehung. Diese besondere Verbindung ergebe sich in aller Regel aus dem Wohnen oder Arbeiten im lärmbetroffenen Gebiet. Das bedeute aber, daß die Kontakte der Immissionsbetroffenen durch gewisse Arten der Nutzung der Anliegergrundstücke repräsentiert würden, die Grenze zwischen "noch zumutbaren Beeinträchtigungen" und Grundrechtseingriffen hänge auch von der räumlichen Situation, von ihren Vorbelastungen oder von ihren besonderen Vorzügen ab. 328 Mit Art. 14 GG bestehe folglich eine enge strukturelle Verwandtschaft329 ; Art. 2 Abs.2 S. 1 GG könne nur über die Verankerung in Grundstücksnutzungen und damit in Art. 14 GG die notwendige Beständigkeit erfahren330 • 2. SteUungnahme
Die dargestellten Ansätze einer grundstücksbezogenen Deutung des Art. 2 Abs.2 S. 1 GG im fachplanerischen Immissionsschutz, durch Anknüpfung der Schutzgehalte des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit an Art. 14 GG oder unter Anlehnung an Strukturelemente der verfassungsrechtlichen Garantie des Grundeigentums, vermögen nicht zu überzeugen: Nicht haltbar ist das Postulat vom Vorrang des Art. 14 GG gegenüber Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG. Der durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschützten menschlichen Gesundheit kommt als Funktion des Lebens eine elementare Bedeutung für die Gewährleistung menschlicher Existenz und eine hervorragende Stellung innerhalb der grundrechtlichen Werteordnung zu. 33I Mit dem hohen Wert des geschützten Rechtsguts ist es schlechthin unvereinbar, den grundrechtlichen Schutz gleichsam durch Art. 14 GG vermittelt anzusehen. Diese Argumentation berücksichtigt auch nicht hinreichend, daß Lärmimmissionen hoher Intensität sich vorrangig auf die menschliche Gesundheit auswirken, während das Grundeigentum nur mittelbar betroffen wird. Schließlich wird Fluglärm in erster Linie von den betroffenen Menschen wahrgenommen und wirkt sich bei ihnen aus, wohingegen die Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums (zu Wohn- und Arbeitszwecken) erst sekundäre 328 Vgl. SchmidJ-Aßmann, Verfassungsrechtliche Grundlagen, S. 27; tiers., AÖR 106 (1981),205 (212 ff.); Hagel, Dritte als Betroffene, S. 149 f. 329 So SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (214).
So Hagel, Dritte als Betroffene, S. 150. Vgl. dazu schon eingehend oben I. 2. c. bb. mit zahlreichen Nachweisen, insbesondere aus der Rechtsprechung des BVertG. 330 331
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
Folge dieses primären Beeinträchtigungsvorgangs sind. 332 Sie führt zudem in ihrer praktischen Anwendung zu Schwierigkeiten, weil sie dem verfassungsgeforderten Gesundheitsschutz der am zivilrechtlichen Grundeigentum nur obligatorisch Berechtigten und der Personen, die im Einwirkungsbereich (nur) ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstätte haben, nicht gerecht werden kann. Der Schutz dieses Personenkreises wäre nämlich nur mittelbar über den Schutz des Grundeigentums gewährleistet333 , mit der Konsequenz, daß die Betroffenen bei gesundheitsrelevanten Lärmimmissionen durch ein dem Fachplanungsrecht unterliegendes Vorhaben ihre Abwehrrechte nicht selbständig geltend machen könnten, sondern auf die Repräsentation durch den Grundeigentümer angewiesen wären. 334 Dieses Ergebnis stünde aber in krassem Widerspruch zur Abwehrfunktion des Art. 2 Abs. 2 S. I GG und wird so - soweit ersichtlich auch nicht vertreten. 335 Aber auch einer Bestimmung des Anwendungsbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. I GG nach Maßgabe struktureller Kriterien des Art. 14 GG, kann nicht gefolgt werden. Richtig ist zwar, daß der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. I GG durch Lärmimmissionen nur dann tangiert sein kann, wenn die Betroffenen eine engere zeitliche und räumliche Beziehung zur Lärmquelle aufweisen, wie sie insbesondere durch das Wohnen und Arbeiten im Einwirkungsbereich des Vorhabens vermittelt wird. 336 Dies ergibt sich aber schon aus der Tatsache, daß (Flug-)Lärm gesundheitliche Relevanz nur dann haben kann, wenn die Immissionen über einen längeren Zeitraum auf den Menschen einwirken337 , so daß es insoweit eines Rückgriffs auf Kategorien des Art. 14 GG gar nicht bedarf. Damit wird aber die notwendige zeitliche und räumliche Stabilisierung des personenbezogenen Immissionsverhältnisses auch schon erreicht. Warum es darüber hinaus für die Frage der Schutzbereichsbetroffenheit noch auf die Bestimmung einer situationsabhängigen "Zumutbarkeit" der Immissionsbelastungen unter Anlehnung an entsprechende Gehalte des verfas332 333
Dies räumt auch Schmidl ein, vgl. W.F. Schmidl, Entschädigung, S. 162. Vgl. dazu schon oben n. 3. a.
334 Diese Folge sehen auch Sleinberg, Nachbarrecht, S. 192 Rn. 238 und Hügel, Dritte als Betroffene, S. 151 f. 335 Vgl. dazu aus der Rechtsprechung zum Planfeststellungsrecht z.B. OVG NW, NVwZ 1984, 385 (386); VGH BW, NVwZ 1984, 525 f.; ausdrücklich offen allerdings noch BVerwG, DÖV 1983, 678 f. Für den Anwendungsbereich des BImSchG vertritt jedoch auch das BVerwG, daß der Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen (vgl. § 3 Abs. 1 BImSchG) fiir jeden Betroffenen gilt, ohne daß es einer Vennittlung durch das Grundeigentum bedarf; vgl. BVerwG, DVBI. 1983, 183 f. 336 Vgl. dazu schon oben I. 1. b. cc. und die Nachweise dort sowie OVG NW, 1984, 385 (386); VGH BW, NVwZ 1984, 525 f.; fiir den Anwendungsbereich des BImSchG, BVerwG, DVBI. 1983, 183 f.; OVG Lüneburg, GewArch 1978,341 (342 f.); vgl. auch Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), S. 119. 337 Vgl. auch insoweit schon oben I. 1. b. bb.
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sungsrechtlichen Grundeigentumsschutzes ankommen soll, wird nicht deutlich und letztlich auch nicht begründet. Ob Fluglärmbelastungen einer gewissen Intensität und Häufigkeit zu Gesundheitsbeeinträchtigungen führen können, hängt nicht davon ab, daß sie - nach Gebietsart und Vorbelastungen differierend - als "unzumutbar" erscheinen, sondern allein von einer sachverständigen medizinischen Beurteilung der Gesamtlärmsituation der Betroffenen. Lärmbelastungen kommt nicht deshalb keine gesundheitsbeeinträchtigende oder gesundheitsgefahrdende Wirkung zu, weil sie aufgrund wertender Situationsbetrachtung als "sozialadäquat" qualifiziert werden. Eine solche situationsabhängige Bewertung soll offensichtlich vielmehr eine schutzbereichsimmanente Begrenzung des Art. 2 Abs. 2 S.l GG für den Bereich des raumbedeutsamen Immissionsschutzes begründen helfen. Solche Begrenzungen des Anwendungsbereichs von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sind aber - wie schon an anderer Stelle ausgeführt wurde - schon aus grundrechtssystematischen Gründen strikt abzulehnen. Denn welche Beeinträchtigungen "sozialadäquat " und damit durch überwiegende Interessen des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können, ist keine Frage des Grundrechtstatbestandes, sondern eine der Grundrechtsschranken über die der Gesetzgeber zu entscheiden hat. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG steht unter dem Vorbehalt des Gesetzes und nicht unter dem Vorbehalt einer von der Raumsituation abhängigen "Sozialadäquanz".338 Aber selbst auf der Ebene der Grundrechtsschranken, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, scheidet eine Rechtfertigung fluglärmbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen nach Maßgabe situativer Kriterien aus. Bereits in anderem Zusammenhang konnte diesbezüglich geklärt werden, daß die öffentlichen Interessen am Betrieb eines Verkehrsflughafens die Verursachung von Gesundheitsschäden und Gesundheitsgefahren angesichts der überragenden Bedeutung des Schutzguts Gesundheit niemals zu rechtfertigen vermögen. 339 Gesichtspunkte einer situativen Vorbelastung können dieses Ergebnis nicht in Frage stellen. Es kann nur noch einmal hervorgehoben werden: Leben und Gesundheit unterliegen eben nicht wie das Eigentum, einer wie auch immer zu interpretierenden Sozialpflichtigkeit bzw. Situationsgebundenheit. 340 338 Vgl. zum ganzen schon allgemeiner oben I. 1. b. aa. mit Fn. 89 und Fn. 99 und die Nachweise dort; speziell fiir den fachplanerischen Lännschutz vgl. Steiner, in: Speyerer Forschungsberichte 65, S. 47 f.; Ramsauer, in: Koch (Hrsg.), S. 118 f. mit Fn. 41; fiir eindeutige und schwere Gesundheitsgefahren will auch SchmidJ-Aßmann nicht auf das Situationskriterium abstellen; vgl. SchmidJ-Aßmann, AöR 106 (1981), 205 (214). 339 Siehe oben I. 2. c. bb.; dies gilt jedenfalls dann, wenn man - wie hier vertreten - den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. I GG relativ eng interpretiert, vgl. dazu bereits oben I. 1. a. bb. und cc. 340 Vgl. schon oben I. 2. c. bb. und die dortigen Literaturnachweise; etwas anderes kann allerdings fiir fluglännbedingte Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens gelten (z.B. Kommunikationsstörungen), die nicht gesundheitlich relevant sind und daher nicht von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sondern allenfalls von Art. 2 Abs. 1 GG erfaßt werden; dazu ausfiihrlieh unten IV.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
3. Ergebnis zu III. Der aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG abzuleitende Schutz vor gesundheitsbeeinträchtigenden Fluglärmimmissionen wird nicht von Art. 14 GG umfaßt und "vennittelt". Die These vom Vorrang des Art. 14 GG im raumbedeutsamen Immissionsschutzrecht läßt sich mit der Bedeutung und dem Rang des Schutzguts Gesundheit nicht vereinbaren und führt überdies zu untragbaren Ergebnissen in der Rechtsanwendung. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG steht auch nicht unter dem Vorbehalt "sozialadäquater" Beeinträchtigungen, in Anlehnung an die Nutzungskategorien, die die Situationsgebundenheit des Grundeigentums bestimmen. Eine entsprechende Begrenzung des Schutzbereichs verbietet sich schon aus grundrechtssystematischen Gründen. Im übrigen unterliegt die menschliche Gesundheit - verfassungsrechtiich gesehen - keiner wie auch immer definierten Sozialpflichtigkeit bzw. Situationsgebundenheit. IV. Art. 2 Abs. 1 GG 1. Vorüberlegungen
Auch Fluglärmimmissionen, die keine gesundheitlichen Risiken zeitigen, die also im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG irrelevant sind, können das (psychische) Wohlbefinden der Betroffenen in erheblicher Weise beeinträchtigen. An erster Stelle sind die durch Fluglärm verursachten Störungen der Kommunikation zu nennen, die sowohl das gesprochene Wort, als auch die Nutzung von Kommunikationsmitteln wie etwa Telefon, Radio und Fernsehen betreffen. Solche Störwirkungen setzen - je nach Kommunikationssituation schon bei Störpegeln zwischen 40 - 50 dB(A) ein, d.h. jeder laute Überflug, jeder Start und jede Landung eines Verkehrsflugzeugs kann die Kommunikationssituation nachhaltig beeinträchtigen. 341 Störungen und Belästigungen ergeben sich aber auch im Hinblick auf geistige Aktivitäten; die psycho-soziale Lärmwirkungsforschung verweist hier insbesondere auf lärmbedingte Konzentrationsstörungen und Minderungen der Leistungsfahigkeit. 342 Nicht von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erfaßt werden schließlich die vielfältigen Störungen der Ruhe, Entspannung und Rekreation, jedenfalls soweit ihnen eine gesundheitsrelevante Wirkung nicht zukommt. 343 Gleiches gilt grundsätzlich auch für fluglärmbedingte Schreck-, Furcht- und Angstreaktionen; allerdings sind hier 341 Zu fluglärmbedingten Kommunikationsstörungen aus Sicht der Wirkungsforschung bereits ausfiihrlich oben, I. Teil, C. ß. 2. mit Fn. 80. 342 Auch dazu schon näher oben, I. Teil, C. ß. 2. 343 Dagegen sind chronische Störungen des Nachtschlafs Art. 2 Abs. 2 S. I GG zuzuordnen; vgl. oben I. I. a. aa.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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die Grenzen zur Gesundheitsrelevanz fließend. 344 Insgesamt verbleibt damit ein nennenswerter Bereich fluglärmbedingter Störwirkungen, der als Konsequenz des relativ eng zu fassenden Schutzbereichs, von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht erfaßt wird. Auch von Art. 14 GG werden diese Störwirkungen nur insoweit (mittelbar) erfaßt, als die zivilrechtlichen Grundeigentümer bzw. der in ähnlicher Weise am Grundeigentum berechtigte Personenkreis, hinsichtlich der aus den genannten Störwirkungen resultierenden Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums, den Schutz der verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantie genießen. Nicht durch Art. 14 GG geschützt werden jedoch Mieter, Pächter oder in ähnlicher Weise am Grundstück nur obligatorisch Berechtigte sowie Personen, die im lärmbetroffenen Gebiet (nur) ihre Ausbildungs- oder Arbeitsstätte haben.34~ Zu prüfen bleibt daher, ob (und inwieweit) vor solchen Beeinträchtigungen des psychischen und sozialen Wohlbefindens nicht die Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) Schutz bietet. Zur Klärung dieser Frage ist zunächst der Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG346 näher zu bestimmen (unter 2.). Sodann ist zu klären, inwieweit die Verursachung solcher Beeinträchtigungen sich verfassungsrechtlich rechtfertigen läßt (unter 3.) 2. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. I GG
a) Schutz (nur) der engeren persönlichen Lebenssphäre oder der allgemeinen Handlungsfreiheit? Seit dem "Elfes-Urteil" des Bundesverfassungsgerichts347 wird Art. 2 Abs. 1 GG überwiegend als umfassende Gewährleistung der menschlichen Handlungsfreiheit interpretiert. 348 Danach erfaßt Art. 2 Abs. 1 GG als Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit jegliches menschliche Verhalten und ist 344
Vgl. schon oben I. 1. a. cc.
34~ Vgl. dazu schon oben D. 3. a.
346 Eine Auffassung, die in Art. 2 Abs. 1 GG wegen seiner "inhaltlichen Unbestimmtheit, Dehnbarkeit und Vagheit" gar kein "selbständiges Grundrecht", sondern nur einen "objektivrechtlichen Freiheitssatz" und eine "Auslegungsregel" sah, vgl. etwa Haas, DÖV 1954,70 ff.; v.MangoldJ/Klein, Art. 2 Anm. m 5.; Wehrhahn, AöR 82 (1957), 250 (272); Wenenbruch, DVBI. 1958, 481 ff., ist zurecht vereinzelt geblieben; dagegen steht schon der Wortlaut der Verfassungsbesümmung ("Jeder hat ein Recht auf... "). 347 BVerfGE 6, 32 (36); vgl. aus neuerer Zeit BVerfGE 63, 88 (108 f.); E 65, 196 (210); E 70, 1 (25); E 74, 129 (151); E 78, 232 (244); E 80, 137 (152 f.). 348 Vgl. z.B. Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 6 ff.; Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 13 ff., Rn. 25; v.MangoldJ/Klein/Srarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 6, Rn. 10; aus jüngster Zeit Degenharr, JuS 1990, 161 ff.; Jarass, NJW 1989, 857; PierOlh, AöR 115 (1990), 33 ff. (44); vgl. auch Scholz, AöR 100 (1975), 80 (86 ff.).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
nicht wie die anderen Freiheitsrechte des Grundgesetzes auf einen bestimmten Lebensbereich bezogen. Art. 2 Abs. 1 GG wird als freiheitliche Generalklausei verstanden, die alle Lücken füllt, die von den speziellen Freiheitsrechten gelassen werden, als Auffanggrundrecht gegenüber den speziellen Grundrechtsgewährleistungen, das hinter diese zurücktritt soweit deren Schutzbereiche reichen (Subsidiarität). Dem Grundrecht kommt somit die Funktion eines Schluß steins innerhalb des Grundrechtssystems im Sinne eines umfassenden Schutzes bürgerlicher Freiheit zu. Dieses denkbar weite Verständnis des Art. 2 Abs. 1 GG war jedoch von Beginn der Geltung des Grundgesetzes an nicht unbestritten und es hat nicht an Versuchen gefehlt, den Schutzbereich des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wie den der speziellen Freiheitsrechte, auf einen begrenzten Lebensbereich zu verengen. So entwickelte schon das "Elfes-Urteil" seinen Standpunkt in Auseinandersetzung mit der sog. Persönlichkeitskerntheorie, wonach das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nur jenen "Kernbereich " der Persönlichkeit schützt, der den Menschen als "geistig seelische Persönlichkeit" ausmacht. 349 Auch Hess&~ erkennt in Art. 2 Abs. 1 GG nur die "Gewährleistung der engeren persönlichen, freilich nicht auf rein geistige und sittliche Entfaltung beschränkten Lebenssphäre" . Die Annahme eines geschlossenen Grundrechtssystems im Sinne eines lückenlosen Wert- und Anspruchssystems, wie es sich aus der Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht ergäbe, laufe dagegen der historisch nachweisbaren Funktion der Grundrechte als "punktueller Gewährleistungen der Freiheit besonders wichtiger oder gefährdeter Lebensbereiche" zuwider. Neuen Auftrieb hat die Vorstellung von einem beschränkten Anwendungsbereich des Art. 2 Abs. 1 GG durch ein Sondervotum des Bundesverfassungsrichters Grimm zum Beschluß des Ersten Senats vom 6.6.1989 erhalten. 3s1 Nach seiner Auffassung ist Art. 2 Abs. 1 GG nicht generalklauselartige Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern muß als ein konturiertes Einzelfreiheitsgrundrecht interpretiert werden. Denn - sowohl bei den benannten Freiheitsgrundrechten als auch bei Art. 2 Abs. 1 GG gehe es um die Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit. Dann müßten die grundrechtlich zu schützenden Freiheiten hierfür aber auch bedeutsam sein. Vom Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG umfaßt seien daher nur solche Tätigkeiten, Verhaltensweisen und Zustände, "die eine gesteigerte, dem Schutzbereich der übrigen Grundrechte vergleichbare Relevanz für die Persönlichkeitsentwicklung besitzen". Ansonsten käme es zu einer "im 349 Zur "Persönlichkeitskerntheorie" insbesondere deren Hauptvertreter Pelers, in: FS f. Laun, S. 669; tiers., Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, S. 15 ff., S. 47 ff. 3~ Hesse, Grundzüge, S. 167 f. Rn. 428. 351 BVerfGE 80, 137 (164 ff.) "Reiten im Walde".
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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Grundgesetz nicht vorgesehenen Banalisierung der Grundrechte" und zu einer "damit verbundenen Ausuferung der Verfassungsbeschwerde" . Genieße prinzipiell jedes Verhalten Grundrechtsschutz, so verwandele sich die allgemeine Freiheitsgarantie in das Recht, vom Staat nicht rechtswidrig an der Betätigung eigenen Willens gehindert zu werden. Art. 2 Abs. 1 GG garantiere dann in Wahrheit die allgemeine Eingriffsfreiheit mit der bedenklichen verfassungsprozessualen Konsequenz, daß sich die Verfassungsbeschwerde tendenziell zur allgemeinen Normenkontrolle hin entwickle. Denn auch ohne daß ein spezifisches Grundrecht einschlägig ist, könnte bei Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit die zugrundeliegende Norm in vollem Umfang also unter Einschluß etwa von Staatszielbestimmungen, Kompetenz- und Verfahrensnormen - an der Verfassung gemessen werden. 352 Mag auch das Sondervotum des Richters am Bundesverfassungsgericht
Grimm als Indiz dafür gewertet werden, daß die Diskussion über den Schutz-
bereich des Art. 2 Abs. 1 GG noch nicht als abgeschlossen gelten kann353 , so sprechen doch gewichtige Gründe gegen die vorgeschlagene Einengung des Schutzbereichs und für eine Deutung des Art. 2 Abs. 1 GG im Sinne einer umfassenden Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit: So ist schon zweifelhaft, ob die Grundrechte historisch gesehen tatsächlich, wie Hesse meint354 , als "punktuelle Gewährleistungen" entstanden sind und ob dieses Argument zur Auslegung des Grundgesetzes herangezogen werden kann. Denn sowohl die "Virginia Bill ofRights" (1776)355 als auch die französische "Erklärung der Menschen und Bürgerrechte" (1789)356, die bei Entstehung des Grundgesetzes durchaus von Bedeutung waren, enthalten allgemeine Freiheitsgewährleistungen. 357
352 Abweichende Meinung des Bundesverfassungsrichters Grimm, BVerfGE 80, 137 (164 ff., insb. 165 und 168). 353 So auch Degenhan, JuS 1990, 161 (162). 354 Vgl. den Nachweis oben Fn. 349. 355 Im I. Abschnitt: " ... inherent rights ... ; namely the enjoyment of Iife and Iiberty"; zit. nach v.MangoldJ/Klein/Srarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 6. 356 In Art. 4: "La Iiberte consiste a pouvoir faire tout ce, qui ne nuit pas a autrui; ainsi I' exercise des droits natureIs de chaque homme n' a de bornes que celles, qui assurent aux autres membres de la sociere la jouissance de ces memes droits. Ces bornes ne peuvent etre detenninees que par la loi"; zit. nach v.MangoldJ/Klein/Srarck, GG-Komm. Art. 2 Abs. I Rn. 6. 357 Vgl. Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 15 (S. 1191); v.MangoldJ/Klein/Srarck, GG-Yomm. Art. 2 Abs. 1 Rn. 6; Schenke, JuS 1987, L 65 (L 67); allerdings gewährleisteten die deutschen Verfassungen des 19. Jahrhunderts tatsächlich Individualschutz zunehmend durch thematisch spezialisierte Freiheitsrechte, so Erichsen 3.3.0. Rn. 15.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Grimm3~8 gewinnt die tatbestandliche Reduzierung des Grundrechtsschutzes bei Art. 2 Abs. 1 GG vor allem aus einer systematischen Gesamtschau mit den benannten Freiheitsrechten, aus einem wertenden Vergleich mit den dort näher thematisierten Bereichen persönlicher Entfaltungsfreiheit. Insoweit mag den spezifischen Freiheitsgrundrechten zwar typischerweise eine erhöhte Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommen, doch ist hiervon der Grundrechtsschutz nicht abhängig. Denn im Tatbestand der benannten Freiheitsgrundrechte erfolgt keine Ausgrenzung "weniger wertvoller", für die Persönlichkeitsentfaltung unerheblicher Betätigungsformen; vielmehr können es auch dort durchaus "banale" Aspekte menschlicher Freiheit sein, die dem Schutz der Grundrechte unterliegen. 3~9 Degenhart3(fJ folgert hieraus, daß ebensowenig wie für die benannten Grundrechte, für den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nach dem "Persönlichkeitswert" der in Frage stehenden Tätigkeiten differenziert werden dürfe, eben dies bedeute grundrechtliche Autonomie. Davon abgesehen würde eine Einschränkung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG, etwa auf die Gewährleistung einer engeren persönlichen Lebenssphäre, aber auch zu erheblichen Abgrenzungsproblemen führen, die in der Praxis kaum befriedigend zu lösen wären. 361 Insbesondere ließe sich eine Unterscheidung zwischen Freiheitsbereichen, die für die Entfaltung der Persönlichkeit von hinreichendem Gewicht sind und solchen, die eine solche Bedeutung nicht erreichen und damit eine Definition des Schutzbereichs, nur schwer konturieren. Wie gerade ausgeführt, lassen sich dafür Anhaltspunkte aus den benannten Grundrechten nur sehr eingeschränkt ableiten. 362
Zutreffend ist zwar, daß die Deutung des Art. 2 Abs. 1 GG als thematisch nicht begrenztes Auffanggrundrecht zu einer Erweiterung des Anwendungsbereichs der Verfassungsbeschwerde führt. Jede belastende Norm kann - unmittelbar oder mittelbar über einen auf sie gestützten Vollzugsakt - durch eine Verfassungsbeschwerde mit der Begründung angegriffen werden, sie sei kein Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der Schrankentrias des
358
Abweichende Meinung Grimm, BVerfGE 80, 137 (165, 169).
Hierfilr gibt Degenhan (JuS 1990, 161 [163]) folgendes anschauliches Beispiel: "Sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert unterrichten zu können (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG) ist sicherlich essentiell (... ) auch für die freie Entfaltung der Persönlichkeit"; gleichwohl wird auch durch die Lektüre eines unter diesem Wertungsgesichtspunkt "völlig belanglosen Klatsch- und Skandalblatts das Grundrecht der Informationsfreiheit verwirklicht, wie andererseits eben dieses Skandalblatt seinerseits grundrechtlich geschützte Presse ist" (Auslassung vom Verfasser). 360 Degenhan, JuS 1990, 161 (163). 359
361
Vgl. BVerfGE 80, 137 (154); v.MangoldJ/Klein/Starck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1
362
So aber Grimm, Abweichende Meinung, BVerfGE 80, 137 (169).
Rn. 8.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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Art. 2 Abs. 1 GG.363 Der daran geübten Kritik ist aber hinsichtlich der Bestimmung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG schon entgegenzuhalten, daß der tatbestandliehe Geltungsbereich eines Grundrechts nicht nach verfassungsprozessualen Gesichtspunkten und Überlegungen eingegrenzt werden kann; vielmehr ist umgekehrt die Reichweite der Verfassungsbeschwerde vom Grundrechtstatbestand her zu bestimmen. 364 Außerdem ist mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde zu bedenken, daß auch "objektivem" Verfassungsrecht in weitem Umfang freiheitsschützende Bedeutung zukommt. So dienen die Erfordernisse des Rechtsstaatsgebots wie Übermaßverbot, Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in besonderer Weise dem Freiheitsschutz des Bürgers, erlangen aber erst über den Grundrechtstatbestand einer allgemeinen Freiheitsgarantie die Qualität subjektiver, prozessual durchsetzbarer Rechtspositionen. 365 Aber auch Kompetenz- und Verfahrensordnung des Grundgesetzes bezweckt im Verfassungsstaat zumindest mittelbar den Schutz der Freiheit des Bürgers. 366 Wenn also der freiheitsschützenden Bedeutung auch des "objektiven" Verfassungsrechts im Rahmen der Verfassungsbeschwerde Rechnung getragen wird, so steht dies nicht in Widerspruch zur Funktion der Verfassungsbeschwerde. 367 Für eine weite Interpretation des Schutzbereichs streitet die Entstehungsgeschichte des Art. 2 Abs. 1 GG. Aus ihr läßt sich der Wille des Verfassungsgebers entnehmen, mit der Garantie der freien Entfaltung der Persönlichkeit jedermann das Recht einzuräumen, "zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt". 368 Eine so lautende Formulierung ist nur aus sprachli363 So Degen/um, JuS 1990, 161 (163); das BVerfG spricht insoweit von einem "Grundrecht des Bürgers, nur aufgrund solcher Vorschriften mit einem Nachteil belastet zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind"; vgl. BVerfGE 9, 83 (88); E 29, 402 (408); E 33,44 (48); E 65,297 (303 f.). 364 So die Argumentation von Degenhart, JuS 1990, 161 (163). 365 Degenlulrt, JuS 1990, 161 (163); vgl. filr das Übermaßverbot schon BVerfGE 6,32 (43); filr das Gebot der Bestimmtheit und Rechtsklarheit z.B. BVerfGE 74, 129 (151). 366 Vgl. filr das Zuständigkeitserfordemis BVerfGE 11, 105 (110); E 29, 106 (108 f.); E 75, 108 (146); filr das Verfahrenserfordernis BVerfGE 53, 1 (15); E 75, 108 (149); aus der Literatur z.B. v.MangoldJIKleinIStarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 18, Scholz, AöR 100 (1975), 80 (1071109); einschränkend auch Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 45 (S. 1204). 367 Vgl. v.MangoldJIKleinIStarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 18; Degenhart, JuS 1990, 161 (163); daß bei Verfassungsbeschwerden, die die Verletzung einer speziellen Grundrechtsgewährleistung rügen, auch das "objektive" Verfassungsrecht Prüfungsgegenstand ist, wird im übrigen auch von den Kritikern der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 2 Abs. 1 GG weitgehend anerkannt, vgl. dazu näher v.MangoldJl KleinlStarek, a.a.O. 368 So der ursprüngliche Formulierungsvorschlag des Allgemeinen Redaktionsausschusses, vgl. in JöR n.F. Bd. 1 (1951), S. 56; eine fast wortgleiche Formulierung findet sich in Art. 101 der Bayerischen Verfassung von 1946.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
chen - sie wurde als zu vulgär empfunden - nicht aus inhaltlichen Gründen nicht in die abschließende Fassung des Grundgesetzes übernommen worden. 369 Aber nicht nur die Entstehungsgeschichte, auch systematische Erwägungen sprechen gegen eine Einengung des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG. In seinen Beschluß zum "Reiten im Walde"370 weist das Bundesverfassungsgericht darauf hin, daß der "umfassende Schutz menschlicher Handlungsfreiheit" neben den benannten Freiheitsrechten "eine wertvolle Funktion der Freiheitssicherung erfüllt", denn "trotz weitreichender Beschränkungsmöglichkeit gewährleistet das Grundrecht ( ... ) einen Schutz von substantiellem Gewicht". Deshalb würde jede wertende Einschränkung des Schutzbereichs "zu einem Verlust des Freiheitsraums für den Bürger führen", der nicht schon deshalb geboten sein könne, "weil andere Grundrechte einen engeren und qualitativ abgehobenen Schutzbereich haben". Dies heißt nichts anderes, als daß bei einer definitorischen Beschränkung des Regelungsbereichs das nicht durch Spezialgrundrechte erfaßte menschliche Verhalten in weitem Umfang schutzlos bliebe. 371 Dagegen mag man einwenden, daß ja auch die allgemeine Handlungsfreiheit nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung bestehe und damit ebenfalls weitreichenden Beschränkungen unterliege. 372 Solche Beschränkungen erfordern aber eine gesetzliche Grundlage und müssen am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips durch das Allgemeinwohl legitimiert und begründet werden. Bei einer definitorischen Beschränkung schon des Schutzbereichs entfallt dagegen dieses freiheitssichernde Rechtfertigungserfordemis, obgleich ja auch hier der Sache nach Gemeinwohlinteressen oder Rechte anderer gegenüber einem grundSätzlichen Freiheitsanspruch des Einzelnen geltend gemacht werden. 373 Dieser drohende Freiheitsverlust spricht letztendlich entscheidend gegen jeden Versuch, den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG zu verengen und für den umfassenden Begriff der allgemeinen Handlungsfreiheit, wie er durch das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Lehre geprägt wurde.
369 Siehe dazu die Äußerung des Abgeordneten v.MangoldJ, JöR n.F. Bd. 1 (1951), S. 61; vgl. auch BVerfGE 6, 32 (39 f.); E 80, 137 (154); Jarass, NJW 1989, 857 mit Fn. 3; Schoh., AöR 100 (1975), 80 (87); dagegen die formalistische Argumentation von Grimm, Abweichende Meinung, BVerfGE 80, 137 (165): durch die Entstehungsgeschichte sei eine Deutung des Art. 2 Abs. 1 GG i.S. der h.M. gerade nicht indiziert, weil die ursprilnglich vorgeschlagene Fassung eben doch nicht Verfassungsrecht geworden sei. 370 BVerfGE 80, 137 (154).
371 So Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 16 (S. 1192). 372 Vgl. Grimm, Abweichende Meinung, BVerfGE 80, 137 (169). 373 Vgl. v.MangoldJIKleinISlarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 8: "Die offen zu legiti-
mierenden Freiheitsschranken [werden] durch die Freiheitsdefinition aus dem Blickfeld verdrängt".
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Davon ausgehend kann als erstes Zwischenergebnis festgehalten werden: Dem umfassenden Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG lassen sich die in Frage stehenden fluglärmbedingten Belastungen des psychischen Wohlbefindens prinzipiell zuordnen. Zu beachten ist allerdings die Auffangfunktion der Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit; die besonderen Freiheitsrechte schließen für den von ihnen erfaßten Regelungsbereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG aus. Das Grundrecht ist daher nur hinsichtlich solcher Störwirkungen einschlägig, denen keine gesundheitliche Relevanz zukommt374 und dies auch nur insoweit, als sie einen Personenkreis betreffen, der nicht schon aus der Garantie des (Grund-)Eigentums (Art. 14 GG) Schutz vor beeinträchtigendem Fluglärm herleiten kann375 • b) Fluglärmbedingte Störungen des psychischen Wohlbefindens und allgemeines Persönlichkeitsrecht
In der Literatur finden sich verschiedentlich Ansätze, das von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht376 auch im Zusammenhang mit Umweltbelastungen zu aktivieren. Der Persönlichkeitsschutz erstrecke sich auch auf den geistig-seelischen Bereich, denn auch dieser sei Teil der menschlichen Persönlichkeit. 377 In eben diesen Bereich könnten Umweltbelastungen hineinwirken, etwa wenn durch Eingriffe in Natur und Landschaft, Erholungs- und Regenerationsmöglichkeiten des Menschen beschnitten würden378 oder wenn Immissionen, die sich nicht auf den menschlichen Körper auswirkten, doch das menschliche Wohlbefinden empfindlich beeinflußten379 • Gegenüber solchen Beeinträchtigungen käme dann das, auch den seelischen Bereich erfassende, allgemeine Persönlichkeitsrecht zur Anwendung. 380 374 Vgl. zur Abgrenzung zwischen Art. 2 Abs. I GG und Art. 2 Abs. 2 S. I GG bereits am Anfang dieses Abschnitts. 375 Vgl. dazu bereits ausführlich oben 11. 3. a. 376 Vgl. z.B. BVerfGE 24, 72 (76 tT.); E 27, 284 (286 tT.); E 34, 238 (246 f.); E 54, 148 (153 f.). 377 Steiger, Mensch und Umwelt, S. 35. 378 Vgl. Maus, JA 1979, 287 (289); VG München, BayVBI. 1975, 421 (423); zum Naturerleben als emotional-ganzheitlichem Bedürfnis des Menschen und elementarem Bestandteil menschlichen Daseins, Dimberger, Recht auf Naturgenuß, S. 293 f. 379 Vgl. Bock, Umweltschutz, S. 138.
380 So explizit Bock, Umweltschutz, S. 138 und für ein Recht auf Naturgenuß als Unterfall des allgemeinen Persönlichkeitsrechts HoppelBeckmann, UmweItrecht, S. 64 Rn. 54; in diesem Sinne wohl auch Hofmann, Rechtsfragen, S. 308 f.; Maus, JA 1979, 287 (289); Sening, BayVBI. 1978, 205 (206) und Steiger, Mensch und Umwelt, S. 35; ders., in: Salzwedel (Hrsg.), S. 46 f., wenn auch diese Autoren sich nicht ausdrücklich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht i.S. der Rechtsprechung des BVerfG beziehen. 13 Hermann
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Es stellt sich daher die Frage, ob nicht auch fluglärmbedingte Störungen des psychischen Wohlbefindens, denen keine Gesundheitsrelevanz zukommt, dem allgemeinen Persönlicbkeitsrecht zuzuordnen sind, wie es vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 GG unter gleichzeitiger Berufung auf Art. 1 Abs. 1 GG für einzelne Lebensbereiche konkretisiert wurde. Dabei geht es nicht darum - darauf sei hier klarstellend hingewiesen - die oben bereits bejahte Einschlägigkeit des Art. 2 Abs. 1 GG als allgemeinem Freiheitsrecht und als Generalklausei aller Freiheitsverbürgungen wieder zu relativieren, sondern darum, zu klären, ob der Freiheitsschutz in den hier interessierenden Fallgestaltungen nicht durch - auf dieser allgemeinen Grundlage näher ausgestaltete einzelne Freiheitsbereiche, nämlich denen des allgemeinen Persönlichkeitsrecht - gewährleistet wird. Das könnte insofern von Bedeutung sein, als vielfach unter Berufung auf Unterschiede sowohl auf der Schutzbereichs- als auch auf der Schrankenebene dafür plädiert wird, das allgemeine Persönlichkeitsrecht von der umfassend durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit weitgehend zu lösen und als quasi eigenständiges Grundrecht einzustufen. 381 Jedenfalls hat der Teilbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, der vom Bundesverfassungsgericht als allgemeines Persönlichkeitsrecht konkretisiert wurde, in seinen weiteren Ausgestaltungen bezüglich Schutzbereich und Schranken einen Differenzierungsgrad und eine materielle Dichte erreicht, die benannten Freiheitsrechten durchaus vergleichbar ist. 382 Um die gerade aufgeworfene Frage beantworten zu können, ist zunächst der Anwendungsbereich des allgemeinen Persönlicbkeitsrechts näher zu bestimmen. Trotz der weiten Fassung des Art. 2 Abs. 1 GG und seines offenen und dynamischen Charakters, hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts früh damit begonnen, aus dem umfassenden Schutzbereich einzelne unbenannte Freiheitsbereiche herauszugreifen und ähnlich den benannten Freiheitsrechten nach Regelungsbereich und Schutzintensität näher zu konkretisieren. Dies gilt beispielsweise für die Ausreisefreiheit383 , die Sammlungsfreiheit384 , die "negative" Vereinigungfreiheit bezüglich öffentlich-rechtlicher Zwangsverbände385 und die Vertragsfreiheit386 • Dabei wird - nach dem oben Ausgeführten selbstverständlich - Art. 2 Abs. 1 GG als umfassende Garantie 381 Vgl. Z.B. Jarass, NIW 1989, 857 (858); Vogelsang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, S. 127 f. 382 Vgl. Schmitt Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129 Rn. 29 f.; Erichsen, In: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 52 ff.; Degenhan, JuS 1990, 161 (162). 383 BVertGE 6, 32 (41 f.); E 72,200 (245). 384 BVertGE 20, 150 (154). 385 BVertGE 10, 89 (102); E 10, 354 (363); E 12, 319 (323 f.); E 15, 235 (239); E 38, 281 (297 f.). 386 BVerfGE 8, 274 (328); E 12, 341 (347); E 21, 87 (90 f.); E 65, 196 (210 f.); E 70, 115 (123); E 73, 261 (270); E 74, 129 (151 f.).
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der allgemeinen Handlungsfreiheit zu einem Grundrecht nicht erst durch diese Konkretisierung einzelner Freiheitsbereiche; die Ausformung unbenannter Freiheitsbereiche vermag jedoch "im Zuge der dogmatischen Verfeinerung und der damit verbundenen größeren Rechtsklarheit den Bedeutungsgehalt der allgemeinen Freiheitsgarantie für einzelne Lebensbereiche und gegenüber bestimmten staatlichen Handlungsformen zu verdeutlichen und so die Aussagekraft des Grundrechts und seine 'Schlagkraft' zu erhöhen" .387 In diesem Zusammenhang ist auch das aus Art. 2 Abs. 1 i. V .m. 1 Abs. 1 GG entwickelte allgemeine Persönlichkeitsrecht mit wiederum vielfältig ausgeformten Schutzgütern zu sehen. 388 Denn primäre Grundlage ist Art. 2 Abs. 1 GG, während die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG als objektiv-rechtliche Leitlinie die Schutzkraft des Grundrechts nur beeinflußt und verstärkt. 389 Aufgabe des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist es, so das Bundesverfassungsgericht, "die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleisten, die sich durch die traditionellen, konkreten Freiheitsgarantien nicht abschließend erfassen lassen". Diese Notwendigkeit besteht "namentlich auch im Blick auf moderne Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit". 390 Was nun den Gewährleistungsinhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts anbelangt, so lassen sich in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insbesondere folgende, sich teilweise überschneidende Fallgruppen und Einzelverbürgungen ausmachen391 , wobei das Gericht allerdings verschiedentlich betont hat, daß die Schutzwirkung des Rechts im Einzelnen nicht abschließend festzulegen sei, so daß es auch gegenüber neuartigen, durch tech387 So Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 24 (S. 1195); vgl. auch v.Mangoldl/ Klein/ Slarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. I Rn. 12. 388 Vgl. z.B. BVerfGE 24, 72 (76 ff.); E 27, 284 (286 ff.); E 34, 238 (246 f.); E 54, 148 (153 f.); weitere Rechtsprechungsnachweise unten Fn. 392 bis Fn. 403. 389 Vgl. z.B. BVerfGE 27, 344 (350 f.), E 34, 238 (245); E 35, 202 (221); aus der Literatur: Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 54 (S. 1208); Jarass, NIW 1989, 857; v.Mangoldl/Klein/Slarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. I Rn. 39. Schmitl Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129 Rn. 23, Rn. 27, weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß nicht nur die Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern Art. 2 Abs. I GG insgesamt seine Substanz aus Art. I Abs. I GG erhält, und daß der Menschenwürdebezug beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht nur besonders ausgeprägt ist; vgl. dazu auch schon BVerfGE 5, 85 (204): "Um seiner Würde willen muß ihm [dem Menschen] eine möglichst weitgehende Entfaltung seiner Persönlichkeit gesichert werden" (Einfiigung vom Verfasser). 390 BVerfGE 54, 148 (153 f.).
391 Die Übersicht folgt weitgehend der Zusammenstellung von Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 55; zu diesen und weiteren Fallgruppen vgl. auch die Darstellungen von Jarass, NIW 1989, 857 (858 f.); v.Mangoldl/Klein/Slarck, GG-Komm., Art.2 Abs. I Rn. 66 ff.; Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 95 f. Rn. 431 f.
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
nische oder gesellschaftliche Entwicklungen vermittelte Gefährdungen zu wirken vermag392 : Schutz der innersten Individualsphäre, der Intimssphäre als unantastbarer Bereich privater Daseinsgestaltung, wozu beispielsweise das Recht, die "eigene Einstellung zum Geschlechtlichen" selbst zu bestimmen, gehört393 ; Schutz der Integrität der Privatsphäre, also die grundsätzliche Freiheit von Einwirkungen auf, oder Kenntnisnahme, Verwertung und Veröffentlichung von höchstpersönlichen Angelegenheiten. Hierzu gehört etwa das Recht am eigenen Bild, das Recht an privaten schriftlichen Aufzeichnungen und das Recht am nichtöffentlich gesprochenen Wort394 ; Schutz der freien Verfügung über die Darstellung der eigenen Person in der Öffentlichkeit, also z.B. das Recht am eigenen Wort und am eigenen Bild im Hinblick auf dessen Verbreitung in der Öffentlichkeit395 , das Recht, daß dem Grundrechtsträger nicht Äußerungen in den Mund gelegt werden, die er nicht oder nicht so getan hat396 , das Recht auf Gegendarstellung397 , das Recht auf Führen des Namens398 und von akademischen Graden399 ; Schutz der persönlichen Ehre400 ; Schutz der "informationellen Selbstbestimmung" und Recht auf Datenschutz; d.h. der Schutz des Grundrechtsträgers gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe persönlicher Daten401 ; Recht des Strafgefangenen auf Resozialisierung402; Recht des Minderjährigen auf schuldenfreien Eintritt in die Volljährigkeit, also der Schutz vor fremdbestimmter finanzieller Belastung403.
392 BVertGE 54, 148 (153); E 65, 1 (41); E 72, 155 (170); vgl. auch bei Brandner, JZ 1983, 689 (690 f.). 393 BVertGE 47,46 (63). 394 BVertGE 34, 238 (246); E 35, 202 (220); E 80, 367 (373 ff.). 395 BVertGE 34, 238 (246), E 35, 202 (224); E 54, 148 (154); E 54, 208 (217). 396 BVertGE 34, 269 (292 f.); E 54, 148 (154); E 54, 208 (217). 397
BVertGE 63, 131 (142 f.).
400
BVertGE 54, 148 (154); E 54,208 (217). BVertGE 65, 1 (41 ff.); vgl. auch bereits BVertGE 27, 1 (6).
398 BVertGE 59,216 (226); E 78, 38 (49). 399 BVertG, NVwZ 1988, 365. 401 402
403
BVertGE 45,187 (239); E 64,261 (276 f.l280 ff.); vgl. auch BVertGE 72,105 (115 f.). BVertGE 72,155 (170 ff.).
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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Versucht man anband dieser kurz skizzierten Fallgruppen prägende Gehalte des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszumachen, so zeigen sich zwei Leitlinien. Zum einen geht es um die Abschirmung der Intim- und Privatsphäre vor Dritten bzw. vor der öffentlichen Hand, also im weitesten Sinne um das Recht des Grundrechtsträgers "in Ruhe gelassen zu werden"404. Zum anderen geht es um die Sicherung von zentralen Voraussetzungen für das Tätigwerden des Grundrechtsträgers in Beziehungen mit (nicht vertrauten) Dritten sowie der Öffentlichkeit, aber nicht was die einzelnen Betätigungen, sondern was die wesentlichen Voraussetzungen dieser Betätigungen anbelangt. 405 Geschützt wird also, um nochmals das Bundesverfassungsgericht zu zitieren, "die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen" .406 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht zielt damit wesentlich auf die Wahrung einer engeren Persönlichkeitssphäre des Einzelnen ab. Es unterscheidet sich dadurch "als Recht auf Respektierung des geschützten Bereichs" von dem "aktiven" (handlungsbezogenen) Element des Rechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. 407 Insofern kann von einer "Zweischichtigkeit"408, einer "zweidimensionalen Struktur"409 des Art. 2 Abs. 1 GG gesprochen werden; zu dem "aktiven", "dynamischen" Element persönlicher Handlungsfreiheit tritt als "passives", "statisches" Element die Anerkennung der Integrität der Persönlichkeitssphäre. 410 Geschützt wird die Daseinsgestaltung in allen denkbaren Erscheinungsformen ("jeder kann grundsätzlich tun und lassen was er will ") und die bestehende Privatsphäre, also die Gesamtpersönlichkeit in ihrem "Tun" und in ihrem "Sein". Das "Tun" betrifft die allgemeine Handlungsfreiheit im eigentlichen Sinne, das "Sein" das allgemeine Persönlichkeitsrecht. 411 404 So prägnant BVerfGE 27, 1 (6). 405 Besonders deutlich insofern die Entscheidung des BVerfG zur Freiheit vor fremdbe-
stimmter finanzieller Belastung, vgl. BVertGE 72, 155 (170); dort weist das Gericht darauf hin, daß an sich die Gestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen nach seinem Willen, nicht durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht, sondern durch die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt sei; soweit es jedoch "um umfassende Einschränkungen der Privatautonomie geht, wie sie aus der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger folgt, ist nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit, sondern auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht berührt". 406 BVerfGE 54, 148 (153); Jarass, NJW 1989, 857 (859), identifiziert die Abschirmung der Privat- und Intimsphäre mit dem Begriff "individuelle Identität, die Erhaltung ihrer Grundbedingungen mit dem Begriff" soziale Identität". 407 BVertGE 54, 148 (153); vgl. auch schon BVerfGE 6, 32 (36, 41). 408 So Schmin G/aeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129 Rn. 18 f.; ebenso Degenhan, JuS 1990, 161. 409 So Bock, Umweltschutz, S. 135. 410 Dazu, daß auch die benannten Freiheitsrechte zum einen eine persönliche und sachliche Schutzsphäre des Grundrechtsträgers gegen ein Eindringen von außen abschirmen und zum anderen das aktive Handeln (nach außen) schützen, Degenhan, JuS 1990, 161. 411 Vgl. insbesondere Schmin G/aeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129, Rn. 19, Rn. 27. Dieser grundsätzlichen Unterscheidung steht nicht entgegen, daß - worauf Alexy, Theo-
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
Was folgt daraus für die hier interessierenden fluglärmbedingten Störungen des psychischen Wohlbefindens? Auf den ersten Blick scheint es nahezuliegen, auch Fluglärmbelastungen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht zuzuordnen, umfaßt dieses nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts doch auch das Recht "in Ruhe gelassen zu werden"412. Dagegen ist eingewandt worden, in den vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fällen sei es primär um die Abwehr von Beeinträchtigungen im "geistig-kommunikativen" Bereich gegangen und nicht um Schutz vor Beeinträchtigungen durch Stoffe, Lärm oder ähnliches. 413 Dies ist sicher zutreffend, trifft aber m.E. den hier entscheidenden Gesichtspunkt nur unzureichend. Betrachtet man nämlich die hier diskutierten Belastungen durch Fluglärm näher, so zeigt sich, daß die Beeinträchtigungswirkung in erster Linie handlungs- bzw. verhaltensbezogen ist. Fluglärm behindert die Kommunikation, stört bei der geistigen Arbeit und beeinträchtigt die Entspannung und Rekreation der Betroffenen. Die Beeinträchtigung des psychischen und seelischen Wohlbefindens ist erst Folge dieser Störung von Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten. 414 Hält man sich in diesem Zusammenhang noch einmal die Zweidimensionalität des durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzes der freien Entfaltung der Persönlichkeit vor Augen, so geht es hier also nicht in erster Linie um die Abschirmung der geistig-seelischen Integrität der Betroffenen, um die Respektierung eines geschützten Persönlichkeitsbereichs, sondern um das aktive Element der Persönlichkeitsverwirklichung und -entfaltung, die Sicherung von Handlungsfähigkeit im eigentlichen Sinne. Die untersuchten Belästigungen durch Fluglärm beeinträchtigen das dynamische "Tun" und nicht das statische "Sein". Betroffen ist die allgemeine Handlungsfreiheit und nicht die Integrität der Persönlichkeitssphäre. 415 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist daher,
rie, S. 311 f., zutreffend hinweist - Eingriffe in Zustände und Rechtspositionen stets mittelbar auch die Handlungsfahigkeit beeinträchtigen. 412 Vgl. BVertUE 27, I (6), E 44, 197 (203); auf diese Rechtsprechung bezieht sich etwa Scholz, DB 1979, Beil. 10, S. 17, fiir die Frage eines aus Art. 2 Abs. I GG folgenden Schutzes vor Belästigungen der Nichtraucher durch Raucher. 413 So Benda, UPR 1982, 241 (242); Rauschning, VVDStRL 38 (1980), 167 (180); dies anerkennt auch Bock, Umweltschutz, S. 139 Fn. 224. 414 Das weisen die Ergebnisse der psychosozialen Wirkungsforschung eindeutig nach; erst die Störungen insbesondere der Kommunikation und der Entspannung fiibren zu emotionalen Reaktionen wie Unwohlsein, Unmut, Gereiztheit oder Furcht; vgl. dazu näher oben, I. Teil, C. n. 2. 415 Ähnliches gilt wohl auch fiir ein "Recht auf Naturgenuß". Bezeichnenderweise leitet Dirnberger (Recht auf Naturgenuß, S. 270 ff., insb. S. 276, S. 291 ff.) ein solches auch nicht, wie etwa von HoppelBeckmann (Umweltschutz, S. 64 Rn. 54) gefordert, aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab, sondern entwickelt es aus der allgemeinen Handlungsfreiheit; vgl. dazu auch Soell, Regelungen des Naturschutzrechts in Bezug auf Freizeit und Erholung, S. 373; tiers., Verfassungsrechtliche und rechtspolitische Überlegungen zum Eigenrecht der Natur, S. 22, nach dessen Auffassung dem Genuß der Naturschönheiten und der Erholung in der freien
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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was die fluglärmbedingten Beeinträchtigungen von Kommunikation, Leistungsfähigkeit und Rekreation anbelangt, nicht einschlägig. 3. Die Eingriffsqualität von fluglärmbedingten Störwirkungen
Wenn auch fluglärmbedingte Kommunikationsstörungen, Störungen der Leistungsfähigkeit und Störungen von Ruhe und Entspannung grundsätzlich der durch Art. 2 Abs. 1 GG umfassend garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit zuzuordnen sind, so ist damit noch nicht endgültig geklärt, ob die staatliche Verursachung solcher Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens auch einen Eingriff (i.w.S.) bzw. eine "eingriffsgleiche Beeinträchtigung"416 des Schutzbereichs der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellt, mit der Folge, daß solche Beeinträchtigungen verfassungsrechtlich zu rechtfertigen wären. Denn die durch den Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgelösten Störungen zeichnen sich als umweltvermittelte Beeinträchtigungsvorgänge, als Nebenfolgen eines auf andere Zwecke gerichteten staatlichen Handeins (Betrieb des Verkehrsflughafens als Maßnahme der staatlichen Daseinsvorsorge) durch zwei Besonderheiten aus, die vom traditionellen Bild staatlicher Einwirkungen auf die Individualsphäre abweichen. Zum einen wird der Freiheitsbereich der Betroffenen nicht mittels Rechtsakt, sondern mittels Realakt beeinträchtigt; zum anderen handelt es sich nicht um eine gezielte, sondern um eine ungezielte Beeinträchtigung, mag diese auch vorhersehbar sein und in Kauf genommen werden. Nun wurde bereits im Zusammenhang mit der Untersuchung von fluglärmbedingten Gesundheitsgefährdungen festgestellt, daß in Abkehr vom klassischen Begriff des Eingriffs, Grundrechte nicht nur vor gezieIten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Rechtsakt, sondern prinzipiell auch vor nicht gezieIten Beinträchtigungen durch Realakt Schutz bieten. 417 Dahinter steht die Einsicht, daß wesentlich die Wirkung, nicht aber die Form staatlichen Handeins dafür maßgeblich ist, ob ein solches an den Grundrechten zu messen ist oder nicht. 418 Diese Erweiterung der überkommenen EinLandschaft nicht nur im Hinblick auf die allgemeine Handlungs- und Entfaltungsfreiheit sondern - wegen der unverzichtbaren Erholungsfunktion der Natur - auch im Hinblick auf die körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) grundrechtIiche Relevanz zukommt. 416 Wenn man unter "Eingriff" nur die gezielte und willentliche Nachteilszufügung verstehen will. 417 Vgl. die Nachweise oben I. 1. b. aa.
418 Vgl. schon BVerfGE 13, 290 (299): "Dabei kommt es auf die Tatsache der Benachteiligung, nicht darauf an, mit welchen Mitteln der Eingriff erfolgt"; vgl. auch BVerfGE 46, 120 (137 f.); E 61, 298 (308); weitere Nachweise der Rechtsprechung des BVerfG bei Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 25 ff.; aus der Literatur z.B. EckhojJ, Der Grundrechtseingriff,
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
griffsvorstellung ist aber gerade im Hinblick auf die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit auf Bedenken gestoßen. Denn, so wird argumentiert, entsprechend dem weiten Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, läge in jeder Belastung durch eine staatliche Maßnahme ein Eingriff und dies bei "Auflösung des klassischen Eingriffsbegriffs" eben auch dann, wenn die staatliche Maßnahme, das staatliche Handeln nur "faktisch" oder "mittelbar" belaste. Dies führe aber für Art. 2 Abs. 1 GG zu einem Verzicht auf jede Konturierung des Eingriffsbegriffs und damit des Schutzbereichs der Vorschrift, denn etwa auch ein Regierungswechsel oder das Mitansehen staatlichen Unrechts könne den Einzelnen "belasten"419.
PierothISchU,*2JJ halten es daher zur Vermeidung von Abgrenzungsschwierigkeiten für erwägenswert, die "Auflösung" des klassischen Eingriffsbegriffs nur für die speziellen Freiheitsrechte und die von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus Art. 2 Abs. 1 GG abgeleiteten "EinzelverbÜfbgungen", wie etwa das allgemeine Persönlichkeitsrecht gelten zu lassen, für die Garantie der allgemeinen Handlungsfreiheit aber am traditionellen Eingriffsbegriff festzuhalten. Ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit soll danach nur dann anzunehmen sein, wenn es sich um eine rechtliche, gegenüber dem einzelnen Betroffenen ergehende staatliche Maßnahme handle; faktische Beeinträchtigungen sollen dagegen nicht dem Schutz des Grundnichts unterfallen. Andere versuchen den Eingriffsbegriff jedenfalls für Art. 2 Abs. 1 GG nach Maßgabe der Intensität faktischer Betroffenheit zu begrenzen. So soll etwa nach Jarras421 ein Eingriff in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG nur dann vorliegen, wenn die Beeinträchtigung "von einem gewissen Gewicht" bzw. "von erheblichem Gewicht" ist. Auch Erichsen422 hält mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 GG eine "mittelbare staatliche Einwirkung nur bei einer erhöhten Beeinträchtigungsintensität für grundrechtsrelevant" . Nach EckhojJs423 Konzeption eines "schutzbereichsabhängigen Eingriffsbegriffs" , setzt die Bejahung eines Eingriffs eine wertende Betrachtung voraus, bei der neben der S. 253; GrabilZ, Freiheit, S. 32; Ramsauer, VelWArch 72 (1981), 89 (104); Schenberg, Grundrechtsschutz, S. 281 f.; Schwabe, Grundrechtsdogmatik, S. 191, S. 193. 419 So das Beispiel von Pielzcker, in: PS f. Bachof, S. 131, S. 146, das von Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 98 Rn. 437, aufgegriffen wird. 42JJ Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 98 Rn. 438; ähnlich Pierzcker, in: FS f. Bachof, S. 146.
421 Vgl. Jarass, NJW 1989, 857 (860); ders., in: Jarass/Pieroth, GG-Kornrn., Art. 2 Abs. 1 Rn. 11; ders., in: PS f. Lukes, S. 66; noch restriktiver ders., NJW 1983, 2844 (2847); auf die Beeinträchtigungsintensität stellen z.B. auch ab Kloep[er, Umweltschutz, S. 20; Ramsauer, VelWArch 72 (1981), 89 (104 f.). 422 Erichsen, Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 80 (S. 12(8). 423 Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 243 f., S. 253 ff.
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Intensität der Beeinträchtigung auch das betroffene grundrechtliche Schutzgut zu berücksichtigen sei. Je sensibler das in Frage stehende Schutzgut, um so geringer seien die Anforderungen die an die Intensität der Beeinträchtigung zu stellen sind. Wenn "nur" die allgemeine Handlungsfreiheit betroffen sei, dann müßte die Beeinträchtigungsintensität entsprechend höher sein als bei benannten Freiheitsgrundrechten. Dabei soll die erforderliche Beeinträchtigungsintensität zudem je nach Beeinträchtigungsmodalität differieren; so seien bei faktischen Beeinträchtigungen höhere Anforderungen zu stellen als etwa bei imperativen Beeinträchtigungen. Auch dieser Ansatz fordert also bei faktischer Betroffenheit der allgemeinen Handlungsfreiheit eine hinreichende Beeinträchtigungsintensität. Schließlich hat auch das Bundesverwaltungsgericht anklingen lasssen, daß bei faktischen Beeinträchtigungen von einem Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit nur dann auszugehen sei, wenn die Beeinträchtigung von einigem Gewicht ist. 424 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in mehreren Entscheidungen zu benannten Freiheitsrechte grundsätzlich anerkannt, daß auch "faktische" Beeinträchtigungen des jeweiligen Schutzguts einen Grundrechtseingriff darstellen können, sich aber noch nicht ausdrücklich mit der Frage befaßt, ob dies auch für Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit gilt. 425 Ein Hinweis in diese Richtung findet sich allerdings in einer relativ frühen Entscheidung des Gerichts aus dem Jahre 1952, wo, bezogen auf Art. 2 Abs. 1 GG, von einem Grundrecht die Rede ist, "durch die Staatsgewalt nicht mit einem Nachteil belastet zu werden". 426 Nachteilige Wirkungen staatlichen Betätigung können sich aber sowohl aus imperativen Maßnahmen wie aus faktischem Handeln ergeben. Es würde sicher den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen, wenn an dieser Stelle versucht würde, eine eingehende Erörterung der Eingriffsproblematik bei faktischen Beeinträchtigungen durch staatliches Handeln zu leisten, zumal im Grundsatz deren Grundrechtsrelevanz allgemein anerkannt ist'27 und - wie noch auszuführen ist - es zumindest für die hier interessierenden Fallgruppen im Ergebnis auf die unterschiedlichen Positionen im einzelnen nicht entscheidend ankommt.
424 Vgl. BVerwGE 65, 167 (174); vgl. auch BVerwGE 30, 191 (198); weitere Nachweise aus der Rechtsprechung des BVerwG bei Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 220 ff. 425 Eine Übersicht über die einschlägigen Entscheidungen des BVerfG geben Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen, S. 25 ff. und EckhojJ, Der Grundrechtseingriff, S. 175 ff., insb. S. 219 f. 426 BVerfGE 9, 83 (88). 427 Vgl. nur Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 222 ff. m.w.N.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Abzulehnen ist aber jedenfalls die Auffassung von Pieroth/Schlink, nach der die durch Art. 2 Abs. 1 GG garantierte allgemeine Handlungsfreiheit, im Gegensatz zu den benannten Freiheitsrechten, überhaupt keinen Schutz gegenüber faktischen Beeinträchtigungen bietet. 428 Faktische bzw. mittelbare Beeinträchtigungen können ihrer Wirkung nach den Freiheitsbereich des Einzelnen ebenso intensiv und nachhaltig betreffen wie imperative Einwirkungen. Gerade aus dieser Erkenntnis wurde ja die Schlußfolgerung gezogen, es könne für einen effektiven Schutz der Grundrechtsgüter nicht darauf ankommen, daß (nur) ein bestimmter Modus der Beeinträchtigung unterbleibt, entscheidend sei vielmehr die Wahrung der Unversehrtheit des grundrechtlichen Schutzguts und eben deshalb wurden die begrenzenden Kriterien des klassischen Eingriffsbegriffs weitgehend aufgegeben. 429 Daß es maßgeblich auf die Wirkung der Beeinträchtigung und nicht auf ihre Modalität ankommt, gilt aber für alle Grundrechte, also nicht nur für die speziellen Freiheitsrechte, sondern in gleicher Weise auch für die allgemeine Handlungsfreiheit. Eine Beschränkung des Art. 2 Abs. 1 GG auf imperative Beeinträchtigungen, auf Eingriffe im klassischen Sinn würde zu einer Reduzierung des Grundrechtsschutzes führen, der mit dem erreichten Standard modernen Grundrechtsverständnisses kaum zu vereinbaren wäre. Problematisch können aber auch Versuche sein, die Eingriffsqualität faktischer Beeinträchtigungen von einer himeichenden Beeinträchtigungsintensität abhängig zu machen. Insbesondere dann, wenn man wie EckhojJ, das Vorliegen eines Eingriffs von einer wertenden Entscheidung abhängig macht, bei der neben der Beeinträchtigungsintensität auch die Bedeutung des grundrechtlichen Schutzguts zu berücksichtigen ist, besteht die Gefahr, daß Abwägungselemente von der "Schrankenebene" auf die "Schutzbereichsebene" vorverlagert werden. 430 Auf die grundSätzlichen Bedenken, die gegenüber solchen 428 Ausdrücklich ablehnend auch Schmalz, Grundrechte, S. 139 Rn. 419: Für eine solche Auslegung böten weder der Wortlaut noch der Schutzzweck des Art. 2 Abs. I GG eine Rechtfertigung. 429 Nach Auffassung des BVerwG, vgl. BVerwGE 87,37 (42), würde die Beschränkung des Grundrechtsschutzes auf die Abwehr von Eingriffen im überkommenen Sinne, "den in den Grundrechtsbestimmungen zum Ausdruck kommenden Entscheidungen der Verfassung ftlr eine das gesamte staatliche Handeln prägende und bindende objektive Wertordnung" nicht gerecht werden. Diese Überlegung muß konsequenterweise auch ftlr die allgemeine Handlungsfreiheit gelten. 430 Daß Eckhoffs Ansatz die Grenzen zwischen "Schutzbereichsebene" und "Schrankenebene" verwischt, wird deutlich, wenn ausgeftlhrt wird, jede staatliche Beeinträchtigung der grundrechtlichen Freiheitssphäre sei "rechtfertigungsbedürftige Ausnahme" und "rechtfertigungsbedürftig in diesem Zusammenhang sei entweder die Beeinträchtigung selbst, oder die Annahme, daß die jeweils zur Beurteilung stehende Beeinträchtigung nicht rechtfertigungsbedürftig ist, weil sie keinen Eingriff darstellt"; ob überhaupt ein Eingriff vorliegt, wird aber wiederum auf der Grundlage einer abwägenden Entscheidung ennittelt und "gerechtfertigt"; vgl. Eckhoff, Der Grundrechtseingriff, S. 244, S. 253 ff.
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Schutzbereichsbegrenzungen auf der Grundlage einer abwägenden Entscheidung bestehen, wurde schon im Zusammenhang mit der Erörterung der Reichweite des Schutzbereichs von Art. 2 Abs. 1 GG hingewiesen. 431 Schwierig dürfte es zudem sein, Kriterien für eine Graduierung der Eingriffsintensität anzugeben. 432 Andererseits ist einzuräumen, daß gerade für den umfassenden Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG dem Eingriffsbegriff gewisse Konturen erhalten bleiben müssen. Insoweit ist der Aussage des Bundesverwaltungsgerichts, daß Grundrechte "nicht schon vor jeder nachteiligen Betroffenheit des Einzelnen schützen" (können)433, durchaus zutreffend. Zu fordern ist sicher, daß die (faktische) Beeinträchtigungswirkung anband objektiver Kriterien erfaßt werden kann; bloße subjektive Empfindlichkeiten werden in der Regel nicht ausreichen, um eine "eingriffsgleiche" Beeinträchtigung anzunehmen. 434 Grundrechtsschutz setzt also eine objektive oder zumindest objektivierbare Beeinträchtigung voraus; eine nur subjektiv empfundene "Belastung" reicht nicht. Ähnliches wird für alltägliche Lästigkeiten und bloße Bagatellen zu gelten haben, wobei allerdings Vorsicht geboten ist; auch geringfügige Beeinträchtigungen sollten nicht vorschnell dem Bereich grundrechtlich irrelevanter Bagatellen zugeordnet werden. 435 Was die "Mittelbarkeit" von faktischen Beeinträchtigungen anbelangt, wird schließlich - angesichts der Uferlosigkeit von Folgen und Nebenwirkungen staatlichen Handeins - ein Eingriff i.w.S. nicht schon aus dem Bestehen eines durch Äquivalenz- und Adäquanztheorie definierten Ursachenzusammenhangs ableitbar sein. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Dichte der Erfolgsbeziehungen zwischen Ausgangsakt und Beeinträchtigung. Tendenziell wird die Grundrechtserheblichkeit mit der Länge der Kausalkette abnehmen. Eine hinreichende Erfolgsbeziehung kann aber unabhängig von der Dichte auch schon deshalb zu bejahen sein, weil Folge- und Nebenwirkungen staatlichen Handeins bei Vornahme vorhersehbar und berücksichtigungsfabig waren. 436 Hiervon ausgehend mag zwar auch ein Regierungswechsel oder das Mitansehen staatlichen Unrechts von den "Betroffenen" (subjektiv) als belastend empfunden werden und dieses Empfinden auf eine staatliche Maßnahme rückführbar sein, eine "eingriffsgleiche" , faktische Beeinträchtigung der allgemei431
Vgl. oben 2. a. und v.MangoldJ/Klein/Slarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 8.
Schulte, DVBI. 1988, 512 (517), sieht in der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ein "konturloses, richterliche Kasuistik gradezu provozierendes Eingriffskriterium ". 432
433 434 435 436
BVerwGE 71,183 (192), Hervorhebung vom Verfasser. Vgl. etwa bei Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 66 Rn. 286. Vgl. dazu Kloepfer, Umweltschutz, S. 20. Vgl. dazu Erichsen, Handbuch des Staatsrechts, § 152, Rn. 84.
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
nen Handlungsfreiheit kann darin aber schlechterdings nicht gesehen werden. 437 Daraus folgt für fluglärmbedingte Störungen des psychischen Wohlbefindens: Wenn die Belastung mit Fluglärm in der Umgebung eines Verkehrsflughafens zu Störungen der Kommunikation, der Ruhe und Entspannung oder zu Minderungen der Leistungsfähigkeit führt, so ist darin eine faktische Beinträchtigung der Handlungsfreiheit der Betroffenen zu sehen, der Eingriffsqualität zukommt. Denn ob und inwieweit Fluglärm zu solchen Beeinträchtigungen führt, kann - jedenfalls weitgehend - anband objektiver oder objektivierbarer Kriterien mit Hilfe der Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung erfaßt und nachgewiesen werden. 438 Die hier interessierenden Fluglärmwirkungen sind also nicht im Vorfeld grundrechtsirrelevanter subjektiver Empfindlichkeit anzusiedeln, sondern stellen eine objektivierbare Beeinträchtigung der Handlungs- und Entfaltungsmöglichkeiten der Betroffenen dar. 439 Sie können, sofern die Störwirkungen im Einzelfall nicht minimal sind, auch nicht als bloße Bagatelle angesehen werden und sind zudem als Nebenfolgen des Flughafenbetriebs bei der Planung auf der Grundlage einer Lärmprognose durchaus vorhersehbar. 44O Voraussetzung ist allerdings, daß die Betroffenen solchen Störwirkungen nicht nur vorübergehend oder gelegentlich ausgesetzt sind. Nur wer im belärmten Gebiet wohnt und/oder Arbeitsstätte bzw. Ausbildungsstätte hat, weist die sowohl in zeitlicher wie in räumlicher Hinsicht erforderliche Nähebeziehung zur Lärmquelle auf. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man wohl auch, wenn man weitergehend eine hinreichende Beeinträchtigungsintensität oder eine Beeinträchtigung von einigem Gewicht verlangt, bedenkt man nur, daß die menschliche Kommunikation ein entscheidendes Mittel zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und zur Auseinandersetzung mit der Umwelt ist und Ruhe, Entspannung und Rekreation als elementare Bedürfnisse des Menschen anzusehen sind. 44 \ 437 Eine Differenzierung zwischen "Eingriffen" und "Nicht-Eingriffen" ist also entgegen der Auffassung von PierorhlSchlink auch fiir den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG durchaus möglich. 438 Jedenfalls dann, wenn wie im Zusammenhang mit Planungsentscheidungen, in erster Linie durchschnittliche, d.h. von personen- und situationsspezifischen Wirkungen absehende Reaktionswerte, interessieren. 439 Etwas anderes gilt allenfalls fiir solche Reaktionen auf Fluglärm, die sich in der Äußerung von subjektiver Lärmempfindlichkeit erschöpfen, ohne daß Störwirkungen im obigen Sinn nachzuweisen sind. 440 Vgl. bereits oben, I. Teil, C. D. 2. 44\ In diesem Sinne sieht etwa Ericluen im Schutz vor Lärm ein Interesse, welches fiir den "individuellen Zuschnitt schöpferischer Gestaltung von wesentlicher Bedeutung ist", was es rechtfertige, bei lärmbedingten Störungen eine hinreichende Betroffenheit des Schutzbereichs
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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Fluglärmbedingte Störungen der Kommunikation, der Leistungsfähigkeit und der Ruhe und Entspannung, die vom Betrieb eines Verkehrsflughafens ausgehen, stellen also einen Eingriff (Lw.S.) in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG dar und bedürfen damit der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.442 4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von fluglärmbedingten Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG
a) Die Schranken der allgemeinen Handlungsfreiheit Art. 2 Abs. 1 GG steht nicht wie die meisten anderen Grundrechte unter einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, sondern unterliegt der Schrankentrias der "Rechte anderer", der "verfassungsmäßigen Ordnung" und dem "Sittengesetz" . Dabei hat die Schranke der "verfassungsmäßigen Ordnung" insbesondere durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine überragende Bedeutung erlangt, von der die übrigen Elemente der Schrankentrias weitestgehend überlagert werden. 443 Das Bundesverfassungsgericht'44 und mit ihm die überwiegende Auffassung in der Literatur445 verstehen nämlich unter "verfassungsmäßiger Ordnung" die verfassungsgemiiße Rechtsordnung, also die Gesamtheit der formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Normen. In diese Ordnung sind sowohl formellgesetzliche als auch untergesetzliche Normen einbezogen, wobei letztere allerdings auf eine formellgesetzliche Grundlage zurückzuführen sein müssen; dies folgt aus dem allgemeinen rechtstaatlichen Gesetzesvorbehalt ebenso, wie aus dem Erfordernis der Regelung grundrechtswesentlicher Fragen durch den Gesetzgeber des Art. 2 Abs. 1 GG anzunehmen; vgl. Erichsen, Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 81 (S. 1218). 442 Vgl. auch Scheuing, VVDStRL 40 (1982),153 (176). 443 Die "Rechte anderer" und das "Sittengesetz" werden vom BVerfG neben der "verfassungsmäßigen Ordnung" als Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG praktisch gar nicht herangezogen; vgl. dazu Bleckmann, Staatsrecht n, S. 499; Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 31; v.MangoldJ/Klein/Slarck, GG-Komm., Art.2 Abs.l Rn. 21; Scholz, AöR 100 (1975),265 (283 f.); zur noch verbleibenden Bedeutung dieser Schranken vgl. etwa Pierolh/Schlink, Grundrechte, S. 99 f. Rn. 442 ff.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 2 Rn. 15 f. 444 Ständige Rechtsprechung des BVerfG seit BVerfGE 6, 32 (38).
445 Z.B. Bleckmann, Staatsrecht n, S. 498 f.; Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 35; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 14; Klein, in: Schmidt-BleibtreulKlein, GGKomm., Art. 2 Rn. 6, Rn. 9; v.MangoldJ/Klein/Srarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 16 ff.; Menen, JuS 1976, 345 (346); v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 2 Rn. 30; Schmirt Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129 Rn. 24; Scholz, AöR 100 (1975), 265 (285/289).
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2. Teil: Verfassungs rechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
selbst. 446 Diese Schrankenziehung ist Konsequenz der Deutung des Art. 2 Abs. 1 GG als umfassende Garantie der Handlungsfreiheit und Auffanggrundrecht; dem weiten Schutzbereich korrespondieren entsprechend weitreichende Schranken. 447 Engeren Auslegungsansätzen, die die "verfassungsmäßige Ordnung" nur durch die "Gesamtheit der Verfassungsnormen" oder durch "elementare Verfassungsgrundsätze und -entscheidungen" definiert sehen448 oder zumindest unter den Begriff nur solche Normen subsumieren wollen, welche die Erfüllung bestimmter Verfassungsaufträge oder die Wahrung verfassungsgeforderter Gemeinwohlinteressen zum Gegenstand haben449 , liegt dagegen vielfach (nicht immer) auch ein engeres Verständnis des Grundrechtstatbestandes zugrunde. Mit einer Interpretation des Art. 2 Abs. 1 GG als umfassender Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit lassen sie sich jedoch schon aus grundrechtssystematischen Gründen nicht vereinbaren, da dann im Ergebnis die meisten benannten Freiheitsrechte in weit größerem Umfang beschränkt werden könnten als die allgemeine Handlungsfreiheit. Dies würde aber der Funktion des Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht zuwiderlaufen. 450 Zudem würde der Gesetzgeber in vielen Fällen daran gehindert, im Interesse des Gemeinwohls gebotene Begrenzungen der allgemeinen Handlungsfreiheit zu realisieren. 451 Der Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung ist daher im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehalts zu verstehen. 452 Gegen die Gleichsetzung der "verfassungsmäßigen Ordnung" mit der der Verfassung gemäßen Rechtsordnung ist eingewandt worden, sie führe zu einer Verdünnung des Grundrechtsschutzes; was im Grundrechtstatbestand an Freiheitsgewinn erreicht werde, würde über die Ausdehnung der GrundrechtsVgl. Z.B. Degenhan, JuS 1990, 161 (164) m.w.N. Menen, JuS 1976, 345 (346); Scholz, AöR 100 (1975), 80 (88): 448 Vgl. z.B. Doehring, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, S. 287; v.MangoldJ/Klein, GG-Komm., Art. 2 Anm. IV 2a. 449 Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1, Rn. 18 f.; Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, S. 299 f. 450 Degenhan, JuS 1990, 161 (164); Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 32; v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 2 Rn. 30. 451 Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 32; Degenlum, JuS 1990, 161 (164). 452 Teilweise ist von einem "Gesetzes- und sogar Rechtsvorbehalt" die Rede; auch verfassungsmäßiges Gewohnheitsrecht soll das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG einschränken können; vgl. z.B. v.Münch, in: v.Münch, GG-Komm., Art. 2 Rn. 31; Menen, JuS 1976, 345 (346); einschränkend Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG-Komm., Art. 2 Rn. 17; a.A. Erichsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 35 (S. 1200): "Ein solcher Rechtsvorbehalt läßt sich indes nicht mit der auf die Gewährleistung einer Mitwirkung des Parlaments zielenden Auffassung vereinbaren, daß das grundrechtsrelevante Netzwerk der staatlichen Rechtsordnung durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes entstanden sein muß". 446
447
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Pluglänn
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schranken sogleich wieder genommen. Letztlich komme es zu einem "Grundrechtsleerlauf" , denn wenn die allgemeine Handlungsfreiheit unter den Vorbehalt des einfachen Gesetzgebers gestellt werde, soweit nur die Gesetze im übrigen mit der Verfassung in Einklang ständen, sei Art. 2 Abs. 1 GG als eigenständiger materieller Prüfungsmaßstab ausgeschlossen. 453 Aber die These vom "Leerlauf" des Art. 2 Abs. 1 GG als nur formaler Garantie vermag nicht zu überzeugen, denn auch die weitreichende Schranke der "verfassungsmäßigen Ordnung" ist ihrerseits durch materielle "Schranken-Schranken" begrenzt, die sich aus der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG und insbesondere aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. 454 Daß auch für Art. 2 Abs. 1 GG die WesensgehaItsgarantie gilt, hat das Bundesverfassungsgericht schon im "Elfes"-Urteil betont455 ; die Bindung an das Übermaßverbot wurde erstmals ausdrücklich im "Mitfahrer" -Beschluß456 und dann noch deutlicher im Urteil zum Sammlungsgesetz457 herausgestellt. Für die Prüfung des Übermaß verbots hat das Gericht folgende allgemeine Abwägungsrichtlinie aufgestellt: "Je mehr der gesetzliche Eingriff Äußerungsformen der menschlichen Handlungsfahigkeit berührt, um so sorgfaltiger müssen die zu seiner Rechtfertigung vorgebrachten Gründe gegen den grundsätzlichen Freiheitsanspruch des Bürgers abgewogen werden". 458 An Eingriffe in die Freiheiten des Art. 2 Abs. 1 GG sind also um so strengere Anforderungen zu stellen, je mehr hiervon wesentliche Aspekte der Persönlichkeitsentfaltung betroffen sind. Dabei hat das Bundesverfassungsgericht für den Schutz der engeren Persönlichkeitssphäre (Allgemeines Persönlichkeitsrecht) differen453 VgI. Dürig, in: MIDIH, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 18 und Rn. 28; Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (83); Hamann, BB 1957, 229 (231); Nipperdey, in: BettermannlNipperdey, S. 788 ff., insb. S. 798 f.; Peters, Das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, S. 49 f.; Rupp, NJW 1965, 993 (994); Sehätzler, NJW 1957, 818 f. 454 Bleckmann, Staatsrecht 11, S. 499; Degenhan, JuS 1990, 161 (163); Eriehsen, in: Handbuch des Staatsrechts, § 152 Rn. 36; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rn. 18; v.MangoldJ/Klein/Starek, GG-Komm., Art. 2 Abs. 1 Rn. 19; Menen, JuS 1976,345 (346); W.SehmidJ, AöR 106 (1981), 497 (500 f.); Sehmill Glaeser, in: Handbuch des Staatsrechts, § 129 Rn. 24. 455 BVerfGE 6, 32 (41). 456 BVertGE 17, 306 (313 f.); bereits im "Elfes"-Beschluß, BVerfGE 6,32 (41), wurde aber auf das Rechtstaatsprinzip verwiesen, aus dem das BVerfG auch überwiegend das Verhältnismäßigkeitsprinzip herleitet; vgl. z.B. BVerfGE 22, 180 (220); E 23, 127 (133 f.); E 25, 44 (54); E 35, 382 (400); dagegen wird in der Literatur das Verhältnismäßigkeitsprinzip teilweise bereits aus den Grundrechten selbst und Art. 1 Abs. 3 GG gewonnen, vgl. z.B. v.MangoldJ/Klein/Starek, GG-Komm., Art. 1 Abs. 1 Rn. 182, Art. 2 Abs. 1 Rn. 19 mit Fn. 77; Menen, JuS 1976, 345 (346 mit Fn. 26); auch das BVerfG selbst hat sich schon in diese Richtung geäußert, vgl. BVerfGE 19, 342 (348): "Die Grundrechte und der aus ihnen folgende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (... )", Auslassung vom Verfasser. 457 BVerfGE 20, 150 (ISS); aus jüngerer Zeit z.B. BVertGE 55, 159 (165 ff.); E 70, 1 (27 f.); E 75, 108 (155); E 80, 137 (153, 159 ff.). 458 BVertGE 17, 306 (314).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglännschutz
zierte Wertungsskalen entwickelt. Während selbst überwiegende Interessen der Allgemeinheit einen Eingriff in einen - angesichts der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG und der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG - absolut geschützten Kembereich privater Lebensgestaltung nicht zu rechtfertigen vermögen, in diesem Bereich also eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht statthaft ist, sind innerhalb der "schlichten" Privatsphäre staatliche Maßnahmen in überwiegendem Allgemeininteresse unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich. 4s9 Aber nicht nur für das allgemeine Persönlichkeitsrecht, auch für die allgemeine Handlungsfreiheit im eigentlichen Sinne gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und zwar in allen seinen drei Teilelementen; der gesetzlich vorgesehene Eingiff muß also geeignet, erforderlich und verhältnismäßig i.e.S. sein. 460 Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in früheren Entscheidungen bei Fällen mit "Sozialbezug" nicht immer ausdrücklich auch die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Eingriffs geprüft und sich mit der Bejahung oder Vemeinung überwiegender Gemeinwohlinteressen begnügt. 461 Daraus ist geschlossen worden, das Gericht wende in solchen Fällen das Verhältnismäßigkeitsprinzip weniger "strikt" und jedenfalls nicht in allen Teilelementen an. 462 Diese Schlußfolgerung trifft aber zumindest auf die neuere Rechtsprechung des Gerichts nicht mehr zu. In mehreren Entscheidungen jüngeren Datums hat das Bundesverfassungsgericht nämlich die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Maßstab, nach dem die allgemeine Handlungsfreiheit eingeschränkt werden darf, betont und auch für Beeinträchtigungen, die nicht die engere persönliche Lebenssphäre betrafen, eine umfassende und vollständige Prüfung des Eingriffs nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorgenommen. 463
4S9 Besonders deutlich BVerfGE 34, 238 (245); vgl. auch BVerfGE 27, 344 (350 f.); E 32, 373 (378 f.); E 33. 367 (376); E 34, 269 (282 f.); E 35, 202 (220); E 44, 353 (372); E 47, 46 (73); E 49, 286 (298); E 54, 148 (152 ff.); E 54, 208 (217 f.); E 63, 131 (142); dazu und zur Frage, inwieweit das BVerfG in seiner jüngsten Rechtsprechung (insb. BVerfGE 65, I [43 f.]; E 80, 367 [374 ff.]) noch an dieser "Sphärentheorie" festhält, Geis, JZ 1991, 112 (113 ff.). 460 Ausdrücklich v.MangoldJ/Klein/Slarck, GG-Komm., Art. 2 Abs. I Rn. 19; Schenke, JuS 1987, L65 (L66). 461 Vgl. z.B BVerfGE 8, (328 f.) "Preisgesetz"; E 10, (103 f.) "Erft-Verbund"; E 13, (235 f.) "Ladenschluß"; E 23 (30 f.) "Unfallversicherungsanleger"; E 29, (243) "Jahresarbeitsverdienstgrenze"; E 29 (410 f.) "Konjunktur-Zuschlag"; weitere Nachweise bei Grabilz, AöR 98 (1973), 568 (590 ff.) und Scholz, AöR 100 (1975), 265 (280 ff.). 462 GrabilZ, AöR 98 (1973), 590 f.; Scholz, AöR 100 (1975),265 (282). 463 Vgl. BVerfGE 70, I (26) "Höchstpreise bei Heil- und Hilfsmitteln"; E 75, 108 (155) "Künstlersozialabgabe" und besonders deutlich BVerfGE 80, 137 (153/159 ff.) "Reiten im Waide".
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
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Es kann also festgehalten werden: Auch Eingriffe in die allgemeine Handlungsfreiheit bedürfen der gesetzlichen Grundlage und müssen sich nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips rechtfertigen lassen. b) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung vonfluglärmbedingten Störungen Die Schranke der "verfassungsmäßigen Ordnung" bestimmt damit auch die verfassungsrechtliche Rechtfertigung fluglännbedingter Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit in zweifacher Weise: Die Verursachung bzw. Zulassung solcher Störwirkungen muß - erstens - auf eine gesetzliche Grundlage zurückzuführen sein (unter aa.) und sie muß - zweitens - den Anforderungen des Übermaßverbots genügen (unter bb.). aa) Gesetzliche Grundlage Bereits im Zusammenhang mit der Bestimmung der verfassungsrechtlichen Relevanz von fluglärmbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen wurde dargelegt, daß auch faktische Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. 464 Dabei wurde geklärt, daß für den Bereich öffentlich-rechtlicher Immissionen den Erfordernissen des Gesetzesvorbehalts dann genügt ist, wenn die Errichtung und der Betrieb der Emissionsquelle (hier des Verkehrs flughafens) auf der Grundlage einer gesetzlich geregelten Zulassung mit spezifischen Schutz- und Sorgfaltsanforderungen erfolgt. Diese allgemeinen Überlegungen gelten auch für immissionsbedingte Beeinträchtigungen der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 1 GG. Die durch den Flughafenbetrieb zu besorgenden Störungen der Kommunikation, der Ruhe und Rekreation und der Leistungsfähigkeit finden eine himeichende gesetzliche Grundlage in den luftverkehrsrechtlichen Genehmigungs und Zulassungsvorschriften (§§ 6, 8, 9 Abs. 2 LuftVG), soweit die sich daraus ergebenden Schutzstandards eingehalten werden. bb) Verhältnismäßigkeit Auch auf der Grundlage der luftverkehrsrechtlichen Planungsvorschriften muß der Fluglärmbetroffene aber nur solche Störungen hinnehmen, die dem 464 Vgl. dazu und zum folgenden oben I. 2. a.; dies gilt hier um so mehr, als die in Frage stehenden Störungen regelmäßig bei Planung des Verkehrstlughafens auf der Grundlage einer Lärmprognose unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung yorhersehbar sein werden. 14 Hermann
210
2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Pluglärmschutz
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Fluglärmbedingte Störungen der Kommunikation und der Ruhe und Entspannung, sowie Minderungen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, sind also nur insoweit verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, als sie zur Erreichung der mit dem Betrieb des Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Verkehrsinteressen465 geeignet, und insbesondere erforderlich und angemessen sind. 466 Auf die Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz der Eiforderlichkeit für die Verursachung grundrechtsbeeinträchtigender Fluglärmbelastungen ergeben, wurde schon im Zusammenhang mit der Erörterung gesundheitsbeeinträchtigender Lärmimmissionen eingegangen. 467 Die dortigen Ausführungen gelten für fluglärmbedingte Beeinträchtigungen des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG sinngemäß, so daß auf sie weitgehend verwiesen werden kann. Auch im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG gilt, daß Störwirkungen, die nicht ganz geringfügig sind und durch Maßnahmen des Schall schutzes vermieden werden können, auch vermieden werden müssen, soweit dadurch nicht die Verwirklichung der mit dem Flughafenbetrieb verfolgten öffentlichen Zwecke beeinträchtigt oder gar vereitelt wird. Diese aus dem Erforderlichkeitsprinzip folgende Vermeidungspflicht findet allerdings dort ihre Grenze, wo die Schutzmaßnahmen nur unter unvertretbarem technischen und/oder wirtschaftlichen Aufwand zu realisieren wären. So werden beispielsweise Maßnahmen zum Schutz der Außenwohnbereiche (Gärten, Terrassen, Balkone) wegen der "flächendeckenden" Wirkung von Fluglärm oft nur mit unverhältnismäßigen Aufwendungen oder gar nicht zu verwirklichen sein und daher durch das Erforderlichkeitsprinzip regelmäßig nicht gefordert. Fluglärmbedingte Störungen müssen nicht nur zur Verwirklichung der mit dem Betrieb des Verkehrsflughafens verfolgten öffentlichen Interessen notwendig sein; die fluglärmbedingten Beeinträchtigungen der allgemeinen Handlungsfreiheit und die öffentlichen Verkehrsinteressen müssen zudem in einem recht gewichteten und wohlabgewogenen Verhältnis zueinander stehen (Verhältnismiißigkeit i.e.S). Dabei sind an Beeinträchtigungen der Freiheiten des Art. 2 Abs. 1 GG um so strengere Maßstäbe zu stellen, je mehr hiervon wesentliche Aspekte der Persönlichkeitsentfaltung betroffen sind. 468 Insoweit ist zu berücksichtigen, daß die menschliche Kommunikation ein entscheidendes Mittel zur freien Entfaltung der Persönlichkeit und zur Auseinandersetzung mit der Umwelt ist und die Möglichkeit Ruhe zu finden, sich zu entspannen und sich zu regenerieren zu den elementaren Bedürfnissen des Men-
467
Grundrechte der Betreiber stehen nicht in Frage, dazu bereits oben A. Zu diesen Anforderungen bereits grundsätzlich oben I. 2. C. Vgl. oben I. 2. c. aa.
468
Grundlegend BVertGE 17, 306 (314).
465 466
m. 2.
c.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglärm
211
schen zählt. 469 Sozialwissenschaftliche Studien belegen denn auch, daß Kommunikationsstörungen und Störungen der Ruhe und Entspannung vielfach als die intensivsten Beeinträchtigungen durch Fluglärm empfunden werden. 470 Die Sicherung einer weitgehend ungestörten Kommunikation wird daher häufig als eines der wichtigsten Ziele der Lärmbekämpfung benannt471 und in der Tatsache, daß Fluglärm auch und gerade dann auftritt, wenn das Bedürfnis nach Entspannung und Erholung im Vordergrund steht (z.B. in den Abendstunden aber auch am Wochenende) ein ganz entscheidender Aspekt der Fluglärmproblematik gesehen472 • Andererseits werden mit dem Betrieb eines Verkehrsflughafens im Interesse des Gemeinwohls besonders gewichtige Aufgaben staatlicher Daseinsvorsorge erfüllt. 473 Die öffentlichen Interessen am Betrieb eines Verkehrsflughafens sind daher grundsätzlich geeignet, auch gewichtigere Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens der Fluglärmbetroffenen zu rechtfertigen. Daraus kann allerdings nicht geschlossen werden, daß die öffentlichen Verkehrsinteressen in jedem Fall schwerer wiegen als die Schutzbedürfnisse der Fluglärmbetroffenen. Wo die Grenze der verfassungsrechtlichen Unzumutbarkeit verläuft, läßt sich jedoch nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls entscheiden. Dabei ist neben der Intensität und Häufigkeit der Beeinträchtigungen auch die konkrete räumliche Situation zu berücksichtigen, in der die Betroffenen den Immissionsbelastungen ausgesetzt sind. Denn die subjektiv empfundene Belastung durch Störungen der Kommunikation, der Leistungsfähigkeit und der Rekreation hängt auch von der Einstellung der Betroffenen zur jeweiligen Lärmquelle ab. Insoweit wird die subjektiv empfundene Belastungswirkung um so geringer sein, je mehr die Lärmstörung an den betroffenen Einwirkungsort als sinnvoll und "ortsüblich" betrachtet wird. 474 So hat beispielsweise der in einem "lauten" Industriegebiet Betroffene eine ganz andere "Lärmerwartung" als der in einem "ruhigen" Wohngebiet Betroffene und wird daher in der Regel ein höheres Maß an Lärmbelastung als "üblich" und "zumutbar" akzeptieren. 475 Dieser Befund rechtfertigt es, im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG bei der abwägenden 469 470
Vgl. dazu auch Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 54. Vgl. oben, 1. Teil, C. ß. 2.
471 So beispielsweise die Stellungnahme des Interdisziplinären Arbeitskreises fiir Lärmwirkungsfragen beim Umweltbundesamt, ZfL 32 (I985), 95. 472 Vgl. Lärmbekämpfung 1988, S. 127; Rohrmann u.a., Fluglärm, S. 129. 473 Vgl. dazu bereits oben I. 2. C. 474 Dies ergibt sich eindeutig aus den Untersuchungen der psychosozialen Lärmwirkungsforschung; vgl. zum Einfluß solcher Moderatorvariablen oben, 1. Teil, A., B. III., C. 11. 2. c. und e. 475 Vgl. auch BVerwGE 84, 31 (41).
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2. Teil: Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Fluglärmschutz
Bestimmung dessen, was an umweltvermittelten Lärmbeeinträchtigungen verfassungsrechtlich zumutbar ist - ähnlich wie bei Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums auf die Situationsgebundenheit abgestellt wird der "Umgebungssituation" bewertend Rechnung zu tragen. Diese kann wie die Situationsgebundenheit bei Art. 14 GG durch Kriterien wie Gebietsart und Vorbelastungen näher bestimmt werden. 476 Auf die dazu gemachten Ausführungen soll daher hier verwiesen werden. 4n Nur durch die Einbeziehung situativer Kriterien kann im übrigen auch sichergestellt werden, daß es nicht zu Wertungswidersprüchen hinsichtlich des durch Art. 14 GG und des durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutzes vor Fluglärm kommt. 478 Nicht mehr durch (überwiegende) öffentliche Interessen zu rechtfertigen sein werden aber jedenfalls solche Fluglärmbelastungen, die aufgrund ihrer Intensität die Möglichkeit der Kommunikation während des Schallereignisses nicht nur behindern, sondern weitgehend ausschließen und die aufgrund der Häufigkeit ihres Auftretens die Möglichkeit zur Entspannung und Erholung oder zu konzentriertem Arbeiten weitgehend vereiteln, also Fälle, in denen die Fluglärmbelastung die Entfaltung des Lebens im Wohn- und Arbeitsbereich in elementarer Weise beeinträchtigt. 479 5. Ergebnis zu IV. Zusammenfassend können aus Art. 2 Abs. 1 GG - soweit sein Anwendungsbereich reicht - folgende Anforderungen an den (fachplanerischen) Schutz vor Fluglärm abgeleitet werden. Der Betrieb eines Verkehrsflughafens darf nicht zu lärmbedingten objektivierbaren Beeinträchtigungen des psychi476 Vgl. auch Hügel, Dritte als Betroffene, S. 153 ff., der ähnliche Überlegungen allerdings zur Frage anstellt, wann Lärmbelastungen zu einer Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 2 S. I GG fuhren und wann solche Beeinträchtigungen als "sozialadäquat" von den Betroffenen ohne weiteres hinzunehmen sind. Für die Frage, ob Lärmbelastungen zu Gesundheitsbeeinträchtigungen bzw. -gefahrdungen fuhren, kann es jedoch nicht auf die "Situation" am Einwirkungsort, sondern nur auf eine sachverständige medizinische Beurteilung ankommen. 1m übrigen ist jeder Versuch, bestimmte Gesundheitsbeeinträchtigungen als sozial üblich und damit ohne weiteres akzeptabel aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auszuklammern, strikt abzulehnen; Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt die menschliche Gesundheit umfassend und nicht unter dem Vorbehalt einer "situationsabhängigen" Sozialadäquanz; vgl. dazu bereits oben I. 1. b. aa.; so aber offensichtlich Hügel, a.a.O, S. 158. 477 Vgl. oben D. 3. c.; zur Berücksichtigung im Rahmen der Lärmmessung und -bewertung, vgl. oben, 1. Teil, B. III. 478 Wäre die "Umgebungssituation" im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu berücksichtigen, so könnte am gleichen Einwirkungsort ein Mieter über Art. 2 Abs. 1 GG möglicherweise einen weitergehenden Schutz vor Fluglärm beanspruchen als ein Grundeigentümer über Art. 14 GG; dies würde der Funktion des Art. 2 Abs. I GG als Auffanggrundrecht zuwiderlaufen. 479 Verwiesen sei auf Ergebnisse der Lärmwirkungsforschung, wonach etwa bei EinzeIschallpegeln ab 75 dB(A) keine eindeutige Satzverständlichkeit mehr gegeben ist; vgl. oben, 1. Teil, C. D. 2.
B. Grundrechtlicher Mindeststandard des Schutzes vor Fluglänn
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sehen Wohlbefindens, wie Kommunikationsstörungen, Störungen der Ruhe, Entspannung und Erholung sowie Minderungen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit führen, soweit solche Beeinträchtigungen nicht ganz geringfügig sind und soweit sich solche Beeinträchtigungen, insbesondere durch Maßnahmen des aktiven und passiven Schallschutzes, venneiden lassen, ohne einen den tatsächlichen Verkehrsbedürfnissen entsprechenden Flugbetrieb in Frage zu stellen. Dies folgt aus dem Verfassungsgrundsatz der Erforderlichkeit von Grundrechtsbeeinträchtigungen. Sind solche Beeinträchtigungen nicht venneidbar, etwa weil der notwendige Lärmschutz technisch nicht realisierbar ist oder wirtschaftlich nicht vertretbar erscheint, werden die gewichtigen öffentlichen Interessen am Betrieb des Verkehrsflughafens - auch bei hinreichender Würdigung der Bedeutung der hier betroffenen und durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Immissionsbelasteten - Beeinträchtigungen vielfach rechtfertigen können. Dabei ist aber immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, wobei neben Intensität und Häufigkeit der Beeinträchtigung auch die konkrete "Umgebungssituation" zu berücksichtigen ist. Die Grenze verfassungsrechtlicher Zumutbarkeit wird aber dort erreicht, wo die Lännbelastung wegen ihrer Intensität und Häufigkeit so massiv ist, daß sie die Entfaltung des Lebens im Wohn- und Arbeitsbereich in elementarer Weise beeinträchtigt. Aus Art. 2 Abs. 1 GG läßt sich also hinsichtlich fluglännbedingter Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens ein Gebot der Beeinträchtigungsminimierung und ein Verbot von unzumutbaren, weil unangemessenen Beeinträchtigungen ableiten.
Dritter Teil
Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen Zusammenfassend kann als Ergebnis der bisherigen Ausführungen folgender verfassungsrechtliche Mindeststandard eines durch die grundrechtliche Achtungspflicht geforderten Fluglännschutzes bei der Planung von Verkehrsflughäfen formuliert werden: Als absoluter Standard folgt aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, daß der Betrieb eines Verkehrsflughafens niemals zu Gesundheitsschäden oder zu Gesundheitsgefahren führen darf; -
Als relativer Standard folgt aus Art. 14 GG und (subsidiär) aus Art. 2 Abs. 1 GG, daß der Betrieb eines Verkehrsflughafens nicht zu unverhältnismäßigen, weil im Einzelfall unzumutbaren oder nicht erforderlichen Beeinträchtigungen der Nutzbarkeit des Grundeigentums bzw. des psychischen Wohlbefindens führen darf. Gleiches gilt für Gesundheitsrisiken unterhalb der "Gefahrenschwelle" des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.
Im Vordergrund der nachstehenden Erörterungen soll nun die Analyse von Funktion und Bedeutung der Schutzauflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG für den planerischen Fluglännschutz im Lichte der im zweiten Teil dieser Arbeit gewonnenen verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen (unter B.). Zur Einordnung der Regelung in das Gesamtgefüge der Planung eines Verkehrsflughafens wird aber zunächst ein ausführlicherer Überblick über die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz gegeben (unter A.).
A. Die einzelnen Planungs phasen und ihre Relevanz für den(individuellen) Schutz vor Fluglärm. Schutz vor Fluglänn spielt bei der Planung eines Verkehrsflughafens in verschiedenen Planungsphasen eine Rolle:
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 215
I. Landesplanerische Festsetzungen über Flughafenplanungen Aufgabe der Landesplanung ist sowohl die übergeordnete, überörtliche und zusammenfassende Planung für die räumliche Ordnung und Entwickung des Landes, als auch die Abstimmung raumbedeutsamer Planungen und Maßnahmen mit den Erfordernissen der Raumordnung.\ Diesen Aufgabenbereichen lassen sich idealtypisch einerseits die Pläne und Programme der Landesplanung und andererseits das Raumordnungsverfahren zuordnen. Zur Erstellung der Gesamtplanungen dienen die hochstufigen Programme und Pläne für die Ebene des Landes und die Regionalpläne für die Ebene der Region; zur Abstimmung von Vorhaben mit überörtlicher Raumbezogenheit werden Raumordnungsverfahren durchgeführt. 2 1. Flughafenplanungsziele3
Nach § 5 Abs. 2 S. 1 ROG müssen die von den Ländern aufzustellenden Programme und Pläne die Ziele enthalten, die zur Verwirklichung der Raumordnungsgrundsätze nach § 2 ROG erforderlich sind. Inhaltlich sind dabei nur diejenigen landesplanerischen Festsetzungen Ziele der Raumordnung und Landesplanung, die räumlich-konkret auf abgegrenzte Planungsräume bezogen sind, ihre Adressaten (Behörden des Bundes und der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände, öffentliche Planungsträger und Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts) unmittelbar binden (§§ 5 Abs.4 i.V.m. 4 Abs.5 ROG) und somit Ordnungs- und Entwicklungsfunktion besitzen. 4 Entsprechend dem Charakter eines Verkehrsflughafens als einer raumgestaltenden Verkehrsanlage, die eine frühzeitige Koordinierung der an und in dem fraglichen Raum vorhandenen Interessen erfordert. treffen die Programme und Pläne der Landesplanung solche Festsetzungen über die Anlage neuer, oder die Änderung und Erweiterung bestehender Flughäfen. 5 Flughafenplanungsziele können grundsätzlich sowohl in den Programmen und Plänen der hochstufigen Landesplanung, einschließlich der räumlichen und sachVgl. z.B. die Gegenüberstellung in § I Abs. I Nr. I und 2 BayLPIG und in § I Nr. I und 2 LPIG BW. 2 Vgl. Erbgulh/Schoeneberg, Raumordnung, S. 164. Vgl. zum nachfolgenden auch die eingehenden Darstellungen bei Giernulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 2 ff. und bei Lau, Rechtsschutz, S. 18 ff. 4 Vgl. z.B. BielenberglErbgulh/Söjker, M 310 Rn. 3, K § 5 Rn. 69a; Erbgulh/ Schoeneberg, Raumordnung, S. 102 Fn. 78. 5 Vgl. Badura, Rechtsfragen, S. 31; Giernulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 2; Hochgünel, Recht des Umweltschutzes, S. 86 ff.; Kühling, Fachplanungsrecht, S. 35 Rn. 76 f.
216
3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
lichen Teilprogramme und Teilpläne enthalten sein (vgl. § 5 Abs. 1 S. 1 - 4 ROG), als auch in den Regionalplänen (vgl. § 5 Abs. 3 S. 1 ROG).6 Landesplanerische Flughafenplanungsziele können dem Fluglärmschutz im Hinblick auf den Flughafenstandort, durch eine entsprechende Steuerung der Siedlungsentwicklung in erheblichem Umfang Rechnung tragen7 , bis hin zu einer landesplanerischen "Veränderungssperre" , beispielsweise durch die Offenhaltung von als Standort in Aussicht genommenen Flächen oder durch eine Bindung der Bauleitplanung, die dann in den fraglichen Räumen keine oder nur entsprechend "verdünnte" Wohngebiete ausweisen darf. 8 Da es hierbei um die Bewältigung genereller Interessenkonflikte geht, werden individuelle Lärmschutzbelange in diesem "Makrobereich " der Flughafenplanung noch nicht ermittelt und bewertet, sondern nur in Form von aggregierten Daten und als quantitative Größen berücksichtigt. 9 2. Raumordnungsverfahren
Das Raumordnungsverfahren ist neben der Aufstellung von Flughafenplanungszielen ein weiteres landesplanerisches Instrument der Flughafenplanung. Es dient zur Verwirklichung der Abstimmungsfunktion der Raumplanung (vgl. § 4 Abs. 5 ROG). Zum einen soll die Übereinstimmung der Fach- und Einzelplanungen von überörtlicher Bedeutung mit den Zielen der Raumordnung und Landesplanung bestätigt oder herbeigeführt werden (Prüfungs- oder Feststellungsaufgabe), zum anderen sollen die Fach- und Einzelplanungen von Vgl. die Zusammenstellung über Flughafenplanungsziele bei Giemulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 5 ff. und bei Lau, Rechtsschutz, S. 18 ff. 7 Nach §§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 LV.m. 3 Abs. 2 ROG hat die Landesplanung vorhandene und geplante Verkehrsflughäfen, nach §§ 2 Abs. 1 S. 1 Nr.6 LV.m. 3 Abs.2 ROG die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu berücksichtigen. Vgl. Giemulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-l9b Rn. 2. Giemulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 28; Lau, Rechtsschutz, S. 62 ff.; Wahl, DÖV 1975, 373 (379). Deshalb kommt nach überwiegender Auffassung auch Rechtsschutz von Privatpersonen gegenüber Flughafenplanungszielen grundsätzlich nicht in Betracht; vgl. nur BielenberglErbgulh/Söjker, K § 5 Rn. 70/89a; Giemulla/Schmid, a.a.O., Rn. 26, 28, 32; a.A Blümei für "konkrete Standortfestlegungen eines Vorhabens in Raumordnungsplänen, insbesondere in fachlichen Plänen und Regionalplänen"; vgl. zuletzt Blümei, VerwArch 84 (1993), 123 (135/137); auch Schmidl-Aßmann (DÖV 1981, 237 [246]) hält Fälle für denkbar, in denen Privatpersonen unmittelbarer Rechtsschutz gegen einen Regionalplan zukommt. Gemeinden dagegen sind unmittelbar in ihrer Planungshoheit betroffen und können Rechtsschutz beanspruchen, da sie als Adressaten der Flughafenplanungsziele Anpassungs- und Beachtenspflichten nach § 5 Abs. 4 ROG, § 1 Abs. 4 BauGB unterliegen; vgl. dazu allgemein Blümei, VerwArch 84 (1993), 123 (125 ff.), mit einern ausführlichen Überblick über die Entwicklung der Rechtsprechung und BielenberglErbgulh/Söjker, K § 5, Rn. 89a; speziell zum gemeindlichen Rechtsschutz gegenüber Flughafenplanungszielen, BayVGH, BayVBI. 1975, 168; BayVGH, BayVBI. 1982, 725 (726); Giemulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 25, Rn. 30 f.; Höhnberg, BayVBI. 1982,722 (725 f.); Lau, Rechtsschutz, S. 52 ff., S. 60 f.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 217
überörtlicher Bedeutung untereinander abgestimmt werden (Abstimmungsaufgabe).l0 Inhaltlich zielt das Raumordnungsverfahren auf die Prüfung der Raumverträglichkeit eines Vorhabens. Trotz Projektbezugs bleibt es aber bei der Überfachlichkeit der Abstimmung; die Generalitätsstufe der Raumordnung wird prinzipiell nicht verlassen. II Das Raumordnungsverfahren steht zwischen Planung und endgültiger Detaillierung in der rechtlichen Abschlußentscheidung über das Vorhaben, jedenfalls ist es letzterer vorgelagert. 12 Nachdem bislang nur die (Landes-)Planungsgesetze der Länder die Durchführung eines förmlichen Raumordnungsverfahrens für raumbedeutsame Maßnahmen vorsahen13 , ist das Institut durch die Novelle zum Raumordnungsgesetz vom 11. 7 .1989 14 (auch) bundesrechtlich verankert worden. Als Rahmenregelung (Art. 75 Abs. 4 GG)15 verpflichtet nunmehr § 6a ROG die Länder, die erforderlichen Rechtsgrundlagen für ein Raumordnungsverfahren zu schaffen l6 , in dem raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen untereinander und mit den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung abgestimmt werden (§ 6a Abs. 1 S. 1 ROG); es handelt sich hierbei um die Festschreibung des seit jeher kennzeichnenden Koordinierungsauftrags. 17 Darüber hinaus wird aber als unselbständiger Teil des Raumordnungsverfahrens "entsprechend dem Planungsstand" eine Umweltverträglichkeitsprüfung i.S.d § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG vorgeschrieben (§ 6a Abs. 1 S. 2 ROGI8), Das Raumordnungsverfahren wird damit um die inhaltlichen Maßstäbe einer (raumord10 Vgl. § 6a Abs. I S. 3 ROG; Art. 23 Abs. I Nr. I und 2 BayLPIG; dazu Erbguth/ Schoeneberg, Raumordnung, S. 166 Rn. 115. II Wahl, in: FS f. Sendler, S. 205.
12 Erbgulh, NVwZ 1992, 209 (218); tIers., UPR 1992, 287 (292); SchmidJ-Aßmann, VBIBW 1986, 1 (2); Wahl, in: FS f. Sendler, S. 205. Das Raumordnungsverfahren muß allerdings nicht notwendigerweise vor dem Fachplanungsverfahren stattfinden; es kann auch nach Einleitung des Fachplanungsverfahrens durch Beteiligung der Raumordnungsbehörde durchgeführt werden; vg!. Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 97. 13 Vg!. z.B. Art. 23 BayLPIG; § 11 HessLPIG; § 31a LPIG BW; nach den einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen steht die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens im Ermessen der zuständigen Behörden. 14 BGB!. I, S. 141. 15 Vg!. dazu Sleinberg, DÖV 1992, 321 (322 ff.).
16 Zum Stand der Umsetzung, insb. in den neuen Bundesländern vg!. Erbguth, UPR 1992, 287 (293 ff.).
17 Erbguth, UPR 1992, 287 (288); Wagner, DVBI. 1991, 1230 (1231); Wahl, in: FS f. Sendler, S. 201, S. 209.
18 Die Vorschrift entspricht fast wortgleich dem § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG. Da die UmweItverträglichkeitspriifung obligatorischer Bestandteil des Raumordnungsverfahrens ist, geht die Rt:~elung über die Kann-Bestimmung des § 16 Abs. 1 UVPG hinaus; siehe dazu Steinberg, DOV 1992, 321 (324).
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
nerischen) Umweltverträglichkeitsprüfung angereichert19 und als "Trägerverfahren für eine erste überörtliche Umweltverträglichkeitsprüfung" ausgestaltet. 20 Auf der Grundlage des § 6a Abs.2 S. 1 ROG hat die Bundesregierung durch Rechtsverordnung die öffentlichen und privaten Vorhaben bestimmt, für die "in der Regel" ein Raumordnungsverfahren durchzuführen ist. 21 Diese Verpflichtung gilt nach § 1 Nr. 12 der Raumordnungsverordnung (Ro V) auch für die Anlage und wesentliche Änderung von Flugplätzen, die einer Planfeststellung nach § 8 LuftVG bedürfen. Für die Anlegung oder wesentliche Änderung von Verkehrsflughäfen ist somit die Durchführung eines Raumordnungsverfahrens obligatorisch geworden. 22 Die wesentliche Bedeutung des Raumordnungsverfahrens für die Flughafenplanung liegt darin, noch vor Eintritt in das luftverkehrsrechtliche Fachplanungsverfahren die Geeignetheit des Standorts vorzuklären. Die Standortfrage wiederum ist für das Ausmaß der potentiellen Fluglärmbelastung und damit für den Fluglärmschutz von entscheidender Bedeutung23 : Die Prüfung des Standorts eines konkreten (Flughafen-)Vorhabens in einem großräumigen und Alternativen umfassenden Sinne muß möglichst früh auf einer hochstufigen Entscheidungsebene stattfinden, da im Rahmen der Fachplanung, insbesondere des Planfeststellungsverfahrens, für eine solche "echte" Alternativenprüfung kaum mehr Raum bleibt. 24 Das Planfeststellungsverfahren ist auf die Überprüfung des konkreten, für die Anlage beantragten Standorts ausgerichtet, es ist projektbezogen und gleichsam punktuell orientiert. Das steht der Prüfung von Standortalternativen tendenziell entgegen, diese er19
Wahl, in: FS f. Sendler, S. 200.
Vgl. Bender/Pjaff, DVBI. 1992, 181 (185); Dohle, NVwZ 1989, 697 (699); Hoppe! Beckmann, DÖV 1990, 769 (771); Kral1.enberg, NVwZ 1989, 1129 (1131); SiebelI, NVwZ 1992, 645 (646); Wagner, DVBI. 1991,1230 (1232 f.). 21 Raumordnungsverordnung vom 13.12.1990, BGBI. I, S. 2766. Die Liste der Vorhaben lehnt sich eng an den entsprechenden Katalog der Anlage zu § 3 UVPG an. 22 Damit ist die Rechtsprechung des BVerwG (vgl. nur BVerwGE 75, 214 [223/235)), wonach sich weder aus § 4 Abs. 5 ROG noch aus § 6 Abs. 2 LuftVG ergibt, daß die Prüfung der Gesichtspunkte der Raumordnung und Landesplanung in einem Raumordnungsverfahren vorgenommen werden müßte, obsolet geworden. 23 Vgl. Badura, Rechtsfragen, S. 31; Hojmann/Grabhe", LuftVG, § 6 Rn. 97. 24 Vgl. z.B. Bender/Pjaff, DVBI. 1992, 181 (186); Erbgulh, NVwZ 1992, 209 (213); Schlarmann, DVBI. 1992, 871 (878); Sleinberg, NuR 1992, 164 (168). Daß die Prüfung von Altemativstandorten auch im Planfeststellungsverfahren grundsätzlich rechtlich geboten ist und eine Nichteinbeziehung zumindest dann das Abwägungsgebot verletzt, wenn sich der PIanfeststellungsbehörde ein anderer als der beantragte Standort hätte aufdrängen müssen (so die ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. nur BVerwGE 69,256 [273]; E 71, 166 E 85,44; speziell zum Standort eines Verkehrsflughafens BVerwGE 75, 214 [237)), wird allerdings ebenfalls allgemein anerkannt; vgl. nur Erbgulh, a.a.O, S. 210, mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus Rechtsprechung und Literatur. 20
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 219
fordert prinzipiell Planungsverfahren mit Flächenbezug. 25 Zudem ist zu bedenken, daß das Planfeststellungsverfahren am Ende eines langwierigen Planungsprozesses steht, in dessen Verlauf Standortfragen zumindest faktisch vielfach schon "vorentschieden" werden. 26 Dagegen eignet sich gerade das Raumordnungsverfahren für eine solche Prüfung, da hier angesichts der geringen planerischen Verfestigung noch Planungsalternativen geprüft und bei Realisierung des Projekts berücksichtigt werden können. 27 Durch die Einbeziehung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bereits in das Raumordnungsverfahren (§ 6a Abs. 1 S. 2 ROG, § 16 UVPG) hat der Gesetzgeber diesen Gesichtspunkten Rechnung getragen und gleichzeitig die Konzeption einer gestuften Umweltverträglichkeitsprüfung verwirklicht. Denn entsprechend des in § I NT. 1 UVPG verankerten Grundsatzes der Frühzeitigkeit ist eine stufenspezifische Umweltverträglichkeitsprüfung bereits in frühen Stadien der Vorhabensplanung angezeigt. 28 Hierbei sind - entsprechend dem Vorhabensstand - die raumbedeutsamen Auswirkungen des Vorhabens auf die in § 2 Abs. 1 S. 2 UVPG aufgeführten Schutzgüter zu ermitteln, zu beschreiben und zu bewerten. Dazu gehört aber auch die Prüfung von Vorhabens-, insbesondere Standortalternativen. Daß die Umweltverträglichkeitsprüfung eine solche Prüfung grundsätzlich mitumfaßt, ergibt sich zwar nicht ausdrücklich aus dem UVP-Gesetz, wird aber weitgehend konsentiert29 , denn die Umweltverträglichkeit eines Vorhabens kann nur dann als ausreichend geprüft gelten, wenn andere Möglichkeiten zu dessen Zweckerreichung, einschließlich deren Umweltverträglichkeit untersucht worden ist; die Prüfung von Standortalternativen wird daher häufig sogar als "Herzstück" der Umweltverträglichkeitsprüfung bezeichnet. 30 Für das Raumordnungsverfahren läßt sich die Verpflichtung zur Prüfung von StandortalterVgl. Bender/Pjaff, DVBI. 1992, 181 (186); Erbgulh, NVwZ 1992, 209 (213). Altemativprüfungen im Hinblick auf den Standort geraten dann häufig nur noch zur Spiegelfechterei, so bildhaft Bender/Pjaff, DVBI. 1992, 181 (187). Kühling, Fachplanungsrecht, S. 153 Rn. 347, weist zutreffend darauf hin, daß ein raumbedeutsames Vorhaben mit seiner fortschreitenden Ausarbeitung und Konkretisierung immer unempfindlicher gegen grundsätzliche Einwände wird und die Bereitschaft der Planer zu nicht nur marginalen Änderungen verringert; vgl. dazu auch Schlarmann, DVBI. 1992, 871 (878). 27 Erbgulh/Schoeneberg, Raumordnung, S. 176 Rn. 213; Erbgulh, NVwZ 1992, 209 (218); Kralzenberg, NVwZ 1989, 1129 (1l31); Kühling, Fachplanungsrecht, S.42 Rn. 95; Schlarmann, DVBI. 1992,871 (878); Sleinberg, NuR 1992,164 (168); ders., DÖV 1992, 321; Wahl, in: FS f. Sendler, S. 220. 28 Zum Grundsatz der Frühzeitigkeit z.B. SoelllDirnberger, NVwZ 1990, 705 (706); Stellungnahme des Rates von Sachverständigen rur Umweltfragen, DVBI. 1988, 21 f. 29 Vgl. Hoppe/Püchel, DVBI. 1988, I (12); Jarass, Auslegung, S. 34; SoelllDirnberger, NVwZ 1990, 705 (711); Sleinberg, NuR 1992,164 (169). 30 Vgl. Jarass, UVP bei Industrievorhaben, S. 43, m.w.N; SoelllDirnberger, NVwZ 1990, 705 (710); dezidiert auch Sleinberg, NuR 1992, 164 (169). 25
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3. Teil: Schutz vor Pluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
nativen zudem eben aus der Zielsetzung des UVP-Gesetzes ableiten, möglichst frühzeitig eine möglichst umfassende Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens zu erreichen. Dieses gesetzgeberische Ziel kann nur dann erreicht werden, wenn die Frage des Standorts, der im Hinblick auf die Art und das Ausmaß der Umweltbelastung, insbesondere auch der Lärmbelastung eine entscheidende Bedeutung zukommt, auch mit Blick auf mögliche Standortalternativen schon im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung im Raumordnungsverfahren umfassend untersucht wird. 31 Im Ergebnis sind daher im Raumordnungsverfahren auch vergleichende Standortuntersuchungen durchzuführen. Es kann zwar mit Hilfe des Raumordnungsverfahrens kein geeigneter Standort für ein bestimmtes Vorhaben "gesucht" werden, weil die Abstimmungsfunktion des Raumordnungsverfahrens auf die Prüfung eines bestimmten Vorhabens bezogen ist. 32 Aber unter der Voraussetzung, daß Projektunterlagen für mehrere Alternativstandorte vorliegen, kann zwischen verschiedenen Standorten abgewogen werden. Die vergleichende Standortuntersuchung läuft dann auf die Feststellung hinaus, welcher Standort wegen seiner Raum- und Umweltverträglichkeit gegenüber anderen vorzugswürdig ist. 33 Insoweit wird frühzeitig die Frage des Flughafenstandorts konkretisiert und werden Standortalternativen abgeschnitten. 34 Durch die gesetzgeberische Entscheidung, mit der Umsetzung der EGRichtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung35 zugleich das Raumordnungsgesetz zu novellieren, ist das Raumordnungsverfahren wesentlich umgestaltet worden. 36 Während es herkömmlich in erster Linie als informelles, behördenintemes Abstimmungsverfahren verstanden und praktiziert wurde, dessen Einleitung zudem im Ermessen der Landesplanungsbehörde stand, hat es durch die bundesrechtliche Regelung in § 6a ROG und § 16 UVPG einen er31 Ähnlich wie hier, Steinberg, NuR 1992, 164 (168 f.); vgl. auch Hoppe/Püchet, DVBI. 1988, I (12 mit Pn. 90 und 91); Krarzenberg, NVwZ 1989, 1129 (1131); Schlarmann, DVBI. 1992, 871 (878); SoelllDimberger, NVwZ 1990, 705 (711); Wagner, DVBI. 1991, 1230 (1231); kritisch Beckmann, NVwZ 1991, 427 (429 f.); Jarass, NuR 1991, 201 (206 mit Fn. 67); Dohle, NVwZ 1989, 697 (699 f.). 32 Vgl. BayVerfGH, BayVBI. 1971, 225 (226), zum Raumordnungsverfahren fiir den Flughafen München; Erbguth, NVwZ 1992, 209 (218); HoppelBeckmann, DÖV 1990, 769 (771). 33 Erbguth/Schoeneberg, Raumordnung, S. 177 Rn. 123, sprechen von "Standortpräferenz". 34 Vgl. Giemutla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b, Rn. 46; Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 63, Rn. 97; Lau, Rechtschutz, S. 73 ff., insb. S. 75; vgl. auch Steinberg, NuR 1992, 164 (170), nach dessen Auffassung schon im Raumordnungsverfahren die grundsätzliche Entscheidung über den Vorhabensstandort fällt, die dann im Zulassungsverfahren lediglich noch "optimiert" wird. 35 Richtlinie des Rates vom 27.6.1985 über die Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (85/337/EWG), Amtsblatt der EG v. 5.7.1985, Nr. L 175/40. 36 Steinberg, NuR 1992,164 (165), sieht sogar eine "grundlegende Neugestaltung".
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 221
heb lichen Fonnalisierungsschub erhalten. 37 Durch die ausdrückliche Einbeziehung der Umweltverträglichkeitsprüfung wurde der Prüfungs- und Beurteilungsspielraum wesentlich erweitert38 , durch die Raumordnungsverordnung (auf der Grundlage des § 6a Abs. 2 S. 1 ROG) wurde der Anwendungsbereich insgesamt ausgeweitet und das Raumordnungsverfahren als obligatorisches, erststufiges "Nonnalverfahren" für die in § 1 RoV aufgeführten öffentlichen und privaten Vorhaben ausgestaltet39 , durch die obligatorische Einbeziehung der Öffentlichkeit (§ 6a Abs. 4 S. 3, Abs. 6 S. 3 ROG, § 2 Abs. 3 UVPG) verlor es den Charakter eines ausschließlich inneradministrativen Verfahrens40. Nach § 6a Abs. 6 S. 1 ROG, § 16 Abs. 2 UVPG ist die im Raumordnungsverfahren vorgenommen Bewertung der Umweltauswirkungen eines Vorhabens bei der nachfolgenden Zulassungsentscheidung "zu berücksichtigen", d.h. es bleibt bei der vollen Abwägung aller Umstände im Planfeststellungsverfahren; das im Raumordnungsverfahren gewonnene Material geht aber als Baustein in dieses ein41 • Das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung ist insofern nur ein vorläufiges; es steht unter dem Vorbehalt von Detailprüfungen sowie neuer und anderer Bewertungen im abschließenden Zulassungsverfahren. 42 Dabei kann (§ 6a Abs. 6 S. 2 ROG) bzw. soll (§ 16 Abs. 3 S. 1 UVPG) von den für die Prüfung der Umweltverträglichkeit vorgeschriebenen Anforderungen aber insoweit abgesehen werden, als diese Verfahrensschritte bereits im Raumordnungsverfahren berücksichtigt wurden. Die Anhörung der Öffentlichkeit und die Bewertung der Umweltauswirkungen kann (§ 6a Abs. 6 S. 3 ROG) bzw. soll (§ 16 Abs. 3 S. 2 UVPG i.V.m § 9 Abs. 3 S. 1 UVPG) auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränkt werden, sofern die Öffentlichkeit in "qualifizierter" Weise einbezogen wurde. 43 Ziel dieser Abschichtungsregelungen ist es, Verfahrenseffizienz und effektive Abschichtung zu erreichen sowie Doppelprüfungen zu vermeiden. 44 SteinSo Steinberg, NuR 1992,164 (171). Wahl, in: FS f. Sendler, S. 209 f. m.w.N.; vgl. auch Schmidl-Aßmann, in: FS f. Doehring, S. 901 f. 39 Kratzenberg, NVwZ 1989, 1129 (1131); Wahl, in: FS f. Sendler, S. 210. 37
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40 Vgl. Kratzenberg, NVwZ 1989, 1129 (1132); Steinberg, NuR 1992, 164 (171); siehe auch Weber/Hel/mann, NJW 1990, 1625 (1630). 41 So anschaulich Wahl, in: FS f. Send1er, S. 219; vgl. speziell fiir das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren Hojmann/Grabhe", LuftVG, § 6 Rn. 100. 42 Vgl. Erbguth, UPR 1992, 287 (292); Steinberg, NuR 1992,164 (171 f.); Wahl, in: FS f. Send1er, S. 215. 43 Zu den Einzelheiten Erbguth, UPR 1992, 287 (290); Erbguth/Schoeneberg, Raumordnung, S. 195 f. Rn. 139; Erbgurh/Schink, UVPG, § 16 Rn. 5 f. 44 Vgl. die Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drs. 11/3919, S. 44; dazu Erbguth, UPR 1992, 287 (289); Steinberg, NuR 1992, 164 (170); dm., DÖV 1992, 321 (329).
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3. Teil: Schutz vor Pluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen
berg45 erkennt in der gesetzlichen Neukonzeption deshalb wesentliche Elemente einer schrittweisen "Abschichtung" bestimmter Themenkomplexe, wie sie der Eigenart gestufter Zulassungsverfahren entspricht; insoweit lasse sich auch die überkommene Unterscheidung von Raumordnungsverfahren und Zulassungsverfahren anband der Linie fachübergreifend/überörtlich auf jener, fachspezifisch/örtlich auf dieser Seite, nicht länger aufrechterhalten. 46
Das Modell eines gestuften Zulassungsverfahrens hat der Gesetzgeber mit der Neugestaltung des Raumordnungsverfahrens aber nicht konsequent verwirklicht. Denn das "Ergebnis des Raumordnungsverfahrens" hat nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung gegenüber dem Träger des Vorhabens und gegenüber dem einzelnen keine unmittelbaren Rechtswirkungen (§ 6a Abs. 7 S. 2 ROG). Damit soll das Raumordnungsverfahren trotz gesteigertem Sachgehalt und Abschichtungsregelungen in der überkommenen Rolle eines primär inneradministrativen, Rechte noch nicht betreffenden, vorgeschaltenen Verfahrens gehalten werden. Bisher konnte das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens weder von Privatpersonen noch von Gemeinden verwaltungsgerichtlich angegriffen werden, eben darin manifestierte sich der inneradministrative Charakter. 47 Die Neugestaltung will den Sachgehalt des Verfahrens steigern, an dieser Rechtslage aber ersichtlich nichts ändern. 48 Sollen aber dem Raumordnungsverfahren Sachgehalte zukommen, die für die Betroffenen auch rechtlich relevant sein können - man denke etwa an die Klärung der Standortfrage und ihre Konsequenzen für die Rechte der potentiell Lärmbetroffenen oder für die Planungshoheit der Gemeinden - dann muß entweder das Ergebnis des Raumordnungsverfahrens selbständig angreifbar sein, oder es muß zumindest im abschließenden Planfeststellungsverfahren dieser Stoff uneingeschränkt zur Überprüfung stehen. Will der Gesetzgeber die selbständige Anfechtbarkeit vermeiden, dann kann er nicht zugleich die Abschichtung von Themenkomplexen in der raumordnerischen Umweltverträglichkeitsprüfung vorsehen. 49 Eine Abschichtung von Sachgehalten, die die Betroffenen in ihren Rechten betreffen oder verletzen können, erfordert viel45 Steinberg, NuR 1992, 164 (172); vgl. auch ders., DÖV 1992, 321 (329); nach Wahl, in: FS f. Sendler, S. 218, geht es bei vertikal gestuften Verfahren dagegen um eine Abfolge zunehmender Konkretisierung. 46 A.A. ErbgUlh, UPR 1992, 287 (293); Erbguth/Schoeneberg, Raumordnung, S. 196 f. Rn. 139; Erbguth/Schink, UVPG, § 16 Rn. 11: Der überörtliche und übergeordnete Abstimmungsauftrag des Raumordnungsverfahrens und damit auch der raumordnerischen UVP ist zu wahren; dagegen wiederum Steinberg, NuR 1992, 164 (165 f.) mit beachtlicher Argumentation.
47 Vgl. Wahl, in: PS f. Sendler, S. 222; speziell zum Raumordnungsverfahren für Verkehrsflughäfen, Giemulla/Schmid, LuftVG, Vorb. §§ 6-19b Rn. 52 f.; lAu, Rechtsschutz, S. 92 tT. 48 Vgl. dazu die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 1113916, S. 15. 49 Vgl. dazu insbesondere Wahl, in: FS f. Sendler, S. 222; ders., NVwZ 1990, 923 (925 mit Pn. 29); schon allgemein ders., DÖV 1975, 373 (376).
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 223
mehr "phasenspezi fischen " Rechtsschutz; dies folgt schon aus der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG ..50 Die Konzeption einer Rechtsschutzkonzentration in der letztstufigen Zulassungsentscheidung läßt sich dagegen schwerlich mit dem - grundsätzlich durchaus billigenswerten Ziel vereinbaren, im Interesse einer Verfahrensbeschleunigung und zur Vermeidung von Doppelprufungen, Abschichtungen des Prufungsstoffes zu erreichen. 51 Überwiegend wird daher jedenfalls für die Gemeinden verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz gegenüber dem Ergebnis des ("neuen") Raumordnungsverfahrens gefordert. 52 Soll das Raumordnungsverfahren die gesetzgeberischen Zielvorstellungen erreichen können, wird sich aber wohl auch der Ausschluß des Rechtsschutzes für Privatpersonen auf die Dauer nicht halten lassen. 53 Auch wenn dem Gesetzgeber also insoweit keine widerspruchsfreie und konsequente Regelung gelungen ist, so bleibt doch festzuhalten, daß das .50
Vgl. zur vergleichbaren Problematik bei der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung nach
§ 6 LuftVG unten 11. I. b. und c.
51 Die Abschichtungsregelung in § 6a Abs. 6 S. 2 und 3 ROG wirft zudem verfahrensrechtliche Probleme auf, im Hinblick auf die durch ein Vorhaben in ihren Rechten Betroffenen. Ihnen räumen die Fachgesetze (vgl. § 10 Abs. 2 - 4 LuftVG a.F., § 10 Abs. 2 LuftVG in der Neufassung durch Art. 4 des Planungsvereinfachungsgesetzes vom 17.12.1993 [BGBI. I, S. 21301 für das luftverkehrsrechtliche Planfeststellungsverfahren) Anhörungsrechte im Zulassungsverfahren ein. Sie verlieren diese Rechte auch nicht, wenn sie sich im Raumordnungsverfahren nicht beteiligt haben. Deshalb werden die Beteiligten im Raumordnungsverfahren und im Zulassungsverfahren häufig nicht identisch sein. Wenn nun § 6a Abs. 6 S. 3 ROG bzw. § 16 Abs. 3 S. 2 UVPG die Anhörung der Öffentlichkeit auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen beschränken wollen, dann werden die am Raumordnungsverfahren nicht Beteiligten auch im Zulassungsverfahren zu den Umweltauswirkungen nicht mehr gehört, die schon Gegenstand des ersten Verfahrens waren. Eine solche Verfahrensabschichtung würde daher eine Obliegenheit zur Mitwirkung (Mitwirkungslast) bereits im Raumordnungsverfahren voraussetzen, die aber gesetzlich nicht normiert ist; vgl. dazu ausführlich Wahl, in: FS f. Sendler, S. 220 ff.; teilweise a.A. Sleinberg, NuR 1992, 164 (172), der eine de facto-Mitwirkungslast offenbar für unproblematisch hält. 52 Vgl. z.B. Erbgulh, UPR 1992, 287 (293); Sleinberg, NuR 1992, 164 (174); Wahl, in: FS f. Sendler, S. 222. 53 Vgl. die noch vorsichtigen Stellungnahmen in der Literatur: Bentier/Pjaff, DVBI. 1992, 181 (186); Sleinberg, NuR 1992, 164 (174); Wahl, in: FS f. Sendler, S.222; tiers., NVwZ 1990, 923 (925); WeberlHellmann, NJW 1990, 1625 (1632); dazu auch Blümei, VerwArch 1993, 123 (137 f.); a.A. Erbgulh, UPR 1992, 287 (293). Der Ausschluß des Rechtsschutzes für Privatpersonen läßt sich jedenfalls nicht damit rechtfertigen, daß die Feststellung des Ergebnisses der raumordnerischen UVP nur auf einem vorläufigen positiven Gesamturteil beruht und unter dem Vorbehalt neuer Erkenntnisse im nachfolgenden Zulassungsverfahren steht, denn auch sonst ist anerkannt, daß dem vorläufigen positiven Gesamturteil in einem gestuften Genehmigungsverfahren ein Regelungsgehalt und eine - wenn auch eingeschränkte - Bindungswirkung zukommt; so zutreffend Sleinberg, NuR 1992, 164 (174), unter Berufung auf BVerwGE 72,300 (308).
224
3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
Raumordnungsverfahren für den Schutz vor Fluglärm bei der Anlegung oder wesentlichen Änderung eines Verkehrsflughafens, insbesondere durch die Einführung einer obligatorischen, raumordnerischen Umweltverträglichkeitsprüfung, erheblich an Bedeutung gewonnen hat.
n. Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung (§ 6 LuftVG) 1. Inhalt und Wesen der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung
Nach § 6 Abs. 1 LuftVG dürfen Flugplätze nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. Wesen und Inhalt der Genehmigung unterscheiden sich, je nach dem, ob der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung ein Planfeststellungsverfahren54 nachfolgt oder nicht: Nur dem Genehmigungserfordernis ohne nachfolgendes Planfeststellungsverfahren unterliegen alle Flugplätze, ausgenommen Flughäfen und Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich nach § 17 LuftVG (vgl. § 8 Abs. 1 LuftVG). In diesem Fall ist die Genehmigung die einzige, letzte und endgültige Rechtsgrundlage für die Anlage und den Betrieb des Flugplatzes; sie ist einerseits Unternehmergenehmigung, andererseits aber auch endgültige Planungsentscheidung. 55 Folgt, wie bei der Verkehrsflughafenplanung, auf die luftverkehrsrechtliche Genehmigung ein Planfeststellungsverfahren (§ 8 Abs. 1 LuftVG)56, so gliedert sich die fachplanerische Flugplatzplanung in zwei Planungsphasen, deren Verhältnis zueinander zwischen der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und Teilen der Literatur nach wie vor heftig umstritten ist. 57 Einigkeit besteht allerdings, daß in diesem Fall die Genehmigung allein dem Be54 Nach der Novellierung des LuftVG durch das Planungsvereinfachungsgesetz v. 17.12.1993 (BGBI. I, S. 2123), kann jetzt an Stelle eines Planfeststellungsbeschlusses auch eine (bloße) Plangenehmigung erteilt werden, wenn Rechte anderer nicht beeinträchtigt werden bzw. die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihrer Rechte einverstanden erklärt haben und mit den Trägern der durch das Vorhaben berührten öffentlichen Belange das Benehmen hergestellt worden ist (vgl. § 8 Abs. 2 LuftVG n.F.). Da diese Voraussetzungen bei der Planung eines Verkehrsflughafens wohl nie vorliegen werden, soll die Plangenehmigung nach neuem Recht im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter behandelt werden. 55 Zu dieser "Doppelnatur" der Genehmigung vgl. z.B. BVerwG, DVBI. 1971,415 (416); BVerwGE 56, 110 (135); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 69. 56 Für planfeststellungsbedürftige Flughafenvorhaben ist allerdings nach Inkrafttreten des Planungsvereinfachungsgesetzes v. 17.12.1993 jetzt ein vorhergehendes Genehmigungsverfahren nicht mehr obligatorisch (vgl. § 8 Abs. 6 LuftVG n.F.); dazu näher unten I. e. 57 Giemul/a/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 70 ff., geben einen umfassenden Überblick über den Meinungsstreit.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 225
treiber noch nicht die Befugnis gibt, den Flughafen anlegen und betreiben zu dürfen. 58 Die Genehmigung entscheidet auch nicht schon dem Grunde nach über das Vorhaben. 59 Außerdem gehen von ihr nicht die Wirkungen des § 11 LuftVG (Ausschluß von zivilrechtlichen Änderungs- und Beseitigungsansprüchen) aus. 60
a) Die Position des Bundesverwaltungsgerichts Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts61 sieht in der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung in erster Linie eine Unternehmergenehmigung62; in planungsrechtlicher Hinsicht käme ihr nur eine mittelbare, die eigentliche Planungsentscheidung im Planfeststellungsverfahren nur vorbereitende Funktion ZU. 63 Sie beruhe unter anderem auf den nach § 6 Abs. 2 LuftVG zu treffenden, die Fortsetzung des Verfahrens in seiner zweiten Stufe (Planfeststellungsverfahren) erst ermöglichenden Feststellungen. 64 Damit be58 BVerwG, NIW 1969,340; BVerwG, NIW 1974, 1961 (1962); BVerwG, NVwZ 1982, 113; Giemulla, ZLW 1985, 44 (46); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 71; Harbeck, ZLW 1983,209 (211); Lau, Rechtsschutz, S. 129. 59 BVerwG, NJW 1969, 340; Wahl, DÖV 1975, 375 (376). 60 Vgl. BVerwG, NJW 1969,340; Hojmann/Grabhe", LuftVG, § 6 Rn. 108; Lau, Rechtsschutz, S. 131 ff. m.w.N. 61 Grundlegend BVerwG, NIW 1969, 340 f. = ZLW 1969, 129 ff.; vgl. ansonsten etwa BVerwG, DÖV 1973, 342 f.; BVerwG, NJW 1974, 1961 ff.; BVerwGE 56, 110 (135); BVerwG, ZLW 1979, 245 (254 ff.); BVerwG, NVwZ 1982, 113; BVerwG, ZLW 1983, 276 (277); BVerwGE 75,214 (221); BVerwG, NVwZ 1988, 731 f.; BVerwG, NVwZRR 1991, 8 (9); BVerwGE 87,332 (348 f.). 62 Vgl. z.B. BVerwG, ZLW 1969, 129 (132); BVerwG, NIW 1974, 1961 (1962); BVerwGE 56, 110 (135); BVerwG, NVwZ 1982, 113; BVerwG, NVwZ 1988, 731 (732); dazu auch Grabhe", ZLW 1977, 247 (249); zumindest insoweit wird die Bedeutung der Genehmigung als eigenständiger Verwaltungsakt auch bei nachfolgender Planfeststellung betont, vgl. BVerwG, NIW 1974, 1961 (1962); ausfiihrlich zum VA-Charakter der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung, [bler, Schranken, S. 88 ff. Die Charakterisierung der luftverkehrsrechtlichen Genehmigung als - Elemente der Personal- und Realerlaubnis verbindende - "Unternehmergenehmigung" ist aber zumindest fiir Verkehrsflughäfen, die ja durch eine oder mehrere nicht grundrechtsfähige juristische Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden (siehe dazu schon ausfiihrIich oben, 2. Teil, A. m. 2. c. und 3.), sehr fraglich. Denn materieller und legitimierender Hintergrund des Modells der Unternehmergenehmigung ist der Anspruch des Grundrechtsträgers auf Ausübung grundrechtlich begründeter Freiheit; vgl. dazu auch Wahl, DVBI. 1982, 51 (59). 63 Vgl. BVerwGE 56,110 (135); BVerwG, ZLW 1979, 245 (254); in BVerwG NIW 1969, 340 ist von einer "gleichsam überschlägigen Prüfung" die Rede; betont wird allerdings auch, daß die Genehmigung "Ausdruck einer Planung" und insoweit "Planungsentscheidung" sei, vgl. BVerwG, NJW 1969, 340 (341); BVerwG, NJW 1974, 1961 (1962), wenn auch "nicht unmittelbare Planungsentscheidung" , vgl. BVerwG, ZLW 1979, 245 (255). 64 BVerwG, ZLW 1979, 245 (254). Nach § 6 Abs. 2 S. I LuftVG ist vor Erteilung der Genehmigung besonders zu prüfen, ob das geplante Vorhaben den Erfordernissen der Raumordnung und Landesplanung entspricht und ob die Erfordernisse des Naturschutzes, der Land-
15 Hermann
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
stimme die Genehmigung den Gegenstand des U ntemehmens und schaffe erst die Voraussetzungen für die PlanfeststellungY Das Gericht spricht in diesem Zusammenhang von einem "mehrstufigen Verwaltungsverfahren"; die luftverkehrsrechtliche Zulassung eines planfeststellungsbedürftigen Flughafens beruhe auf zwei sachlich und verfahrensmäßig miteinander verzahnten, für ihren jeweiligen Regelungsbereich jedoch selbständigen Verwaltungsentscheidungen. 66 Das Verhältnis zwischen Genehmigung und Planfeststellungsverfahren könne jedoch nicht mit dem Verhältnis verbindliche "Grobplanung" zu "Feinplanung" umschrieben werden, denn die Genehmigung treffe eben nicht die planerische Grundentscheidung, auf der dann die Einzelentscheidungen der Planfeststellung aufbauen würden. 67 Die raumrelevante Planungsentscheidung bleibe vielmehr gänzlich dem Planfeststellungsbeschluß vorbehalten. 68 Insbesondere treffe die Genehmigung keine endgültige, für das Planfeststellungsverfahren bindende Entscheidung über Standort, Dimensionierung und Konfiguration der Flughafenanlage. 69 Auch die Genehmigung des Flughafenbetriebs erhalte erst durch den Planfeststellungsbeschluß ihren endgültigen Inhalt, der zugleich ihre Ausübung erst ermögliche. 70 Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung wird daher vom Bundesverwaltungsgericht als "leere Hülse"71 bezeichnet, die erst aufgrund der Planfeststellung mit Inhalt gefüllt werde. Unter Rechtsschutzgesichtspunkten könne folglich mangels verbindlicher Entscheidung, eine Rechtsverletzung Dritter erst mit dem Erlaß des Planfeststel-
schaftsplanung, des Städtebaus sowie der Schutz vor Fluglärm angemessen berücksichtigt sind. Nach § 6 Abs. 2 S. 2 LuftVG ist die Genehmigung zu versagen, wenn das in Aussicht genommene Gelände ungeeignet ist, oder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. 65 BVerwG, NJW 1974, 1961 (1963); BVerwG, ZLW 1979, 245 (254 f.); BVerwGE 87, 332 (348); die Genehmigung wird insofern als Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für das nach §§ 8, 10 LuftVG erforderliche Planfeststellungsverfahren gesehen; so BVerwGE 75, 214 (221); BVerwG, NVwZ 1988, 731. 66 BVerwG, NJW 1974, 1261 (1262); BVerwGE 56, 110 (135); BVerwG, ZLW 1979, 245 (254); BVerwG, NVwZ 1982,113. 67 BVerwG, ZLW 1979, 245 (255). 68 BVerwG, ZLW 1979, 245 (255).
69 Vgl. BVerwG, NJW 1969, 340; BVerwGE 75,214 (221); BVerwG, NVwZ-RR 1991, 8 (9). Hinsichtlich der Standortfrage etwa, könnten zwar durch die Genehmigungsentscheidung ungeeignete Standorte von vorneherein vom Zugang zum Planfeststellungsverfahren ausgeschlossen werden, der genehmigte Standort würde aber weder in positiver Weise verbindlich festgelegt, noch auch nur für die Entscheidung im Planfeststellungsverfahren privilegiert; so BVerwG, ZLW 1979, 245 (255).
70 BVerwG, ZLW 1969, 129 (137) und dezidiert BVerwGE 87, 332 (349); siehe dazu auch Harbeck, ZLW 1983, 209 (221) und Grabherr, ZLW 1977, 247 (249). 71 Vgl. etwa BVerwG NJW 1974,1961 (1962).
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 227
lungsbeschlusses eintreten und nur diesem gegenüber geltend gemacht werden. 72
b) Abweichende Auffassungen in der Literatur In der Literatur werden dagegen teilweise weitergehende, das Planfeststellungsverfahren bindende Regelungsgehalte und "Rechtsschutzgehalte" der Genehmigung anerkannt. 73 Gegen eine nur unverbindliche "Vorprüfung" streite schon die auch vom Bundesverwaltungsgericht anerkannte Verwaltungsaktqualität der Genehmigungsentscheidung. 74 Solche Vorprüfungen zu raum- und umweltrelevanten Aspekten eines Großprojekts würden zudem bereits im Rahmen der Regionalplanung oder im Raumordnungsverfahren durchgeführt. so daß das Genehmigungsverfahren insoweit praktisch funk-
72 BVerwG, NJW 1969, 340; BVerwG, NJW 1974, 1961 (1962); BVerwG, ZLW 1979, 245 (255); BVerwGE 87, 332 (349). Allerdings gesteht das Gericht den Gemeinden wegen des starken (faktischen) Gewichts der Genehmigung filr die Planfeststellung und "mit Rücksicht auf das ihnen durch Art. 28 Abs. 2 S. I GG eingeräumte Selbstverwaltungsrecht und ihre daraus fließende Planungshoheit" ein einklagbares Beteiligungsrecht am Genehmigungsverfahren zu; vgl. BVerwG, DÖV 1969,428; BVerwG, DÖV 1973, 342 (343); BVerwG, BayVBI. 1973, 274 (275); BVerwG, ZLW 1979, 262 (268 f.); BVerwGE 56, 110 (136 f.); BVerwG, NVwZ 1988, 731 (732). Eine inhaltliche Prüfung der im mehrstufigen Verwaltungsverfahren ergangenen luftverkehrsrechtlichen Genehmigung planfeststellungsbedürftiger Flughäfen, könnten dagegen auch Gemeinden nur im Wege der Anfechtung des Planfeststellungsbeschlusses erreichen, in dem die Genehmigung ihren verbindlichen Niederschlag finde, vgl. BVerwG, ZLW 1979, 245 (255 f.); BVerwG, ZLW 1979, 257 (262); BVerwGE 56, 110 (132); BVerwG, NVwZ-RR, 8 (9); a.A. OVG NW, OVGE 33, 175 (179); vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung ausfiIhrlieh Scherg, Beteiligungsrechte, S. 87 ff. Kritisch zu der in dieser Hinsicht hervorgehobenen Stellung der Gemeinden im Vergleich zu anderen Betroffenen, Kühling, Fachplanungsrecht, S. 213 Rn. 501. Nach Blümel, Grundrechtsschutz durch Verfahren, S. 75, S. 78 ff. und ihm folgend Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 203, ergibt sich die Notwendigkeit der Einräumung zumindest einer formellen Beteiligung auch der privaten Betroffenen, aus der Bedeutung der Genehmigung filr die in Art. 2 Abs. 2 und Art. 14 GG enthaltenen Grundrechtsgewährleistungen. 73 Vgl. z.B Bäumler, DÖV 1981, 43 (45 ff.); Blümel, DVBI. 1973, 442; tiers., DVBI. 1975, 695 (704 f.); tiers., Grundrechtsschutz durch Verfahren, S. 85 ff.; Degenhan, AöR 103 (1978), 163 (168 ff.); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 75 ff.; [bler, Schranken, S. 86 ff, insb. S. 92 ff.; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 201 ff. Lau, Rechtsschutz, S. 135 ff.; Scheuing, VVDStRL 40 (1982), 153 (175 f.); Schmidl-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (337 f.); Steinberg, Nachbarrecht, S. 163 f. Rn. 25; Vahle, VRS 1984, 257 (265); Wahl, DÖV 1975,373 (375 ff.); tiers., DVBI. 1982,51 (59 f.); kritisch auch Kühling, Fachplanungsrecht, S.226 Rn. 535; a.A., der Linie des Bundesverwaltungsgerichts zuneigend, Bathtra, Rechtsfragen, S. 31 ff., S. 37 ff.; Fromm, BauR 1973,265 ff.; Geiger NuR 1982, 127; Grabherr ZLW 1977,247 (250 f.); Harbeck ZLW 1983,209 (211 ff.); Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 102 ff.; Luckow, DVBI. 1981, 1133 (1136); Ronellenfitsch, DVBI. 1984, 501 (508); tiers., in: Blümel (Hrsg.), S. 133 ff., insb. S. 138 f.; tiers., VerwArch 80 (1989), 93 (114 ff.); vgl. auch Manens, NVwZ 1989, 112 (115 f.). 74 Vgl. BVerwG, NJW 1974,1961 (1962).
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tionslos sei. 75 Auch spreche die im Genehmigungsverfahren aufgewandte Prüfungsintensität gegen eine nur überschlägige Prüfung bzw. bloße Verfahrensfreigabe. 76 Schließlich habe die Genehmigung aufgrund ihres intensiven Prüfungsverfahrens und aufgrund des Gewichts der Investitionen, die der Betreiber auf ihrer Grundlage vornimmt77 , massive faktische Auswirkungen und Vorwirkungen, die sich im Abschneiden von Alternativen für die weitere Planung (Kodifikationslagen)18 und einer Verfestigung der Planung79 äußerten und die bis hin zur faktischen Vorwegnahme der abschließenden Planungsentscheidung reichen könnten80 ; auch dies spreche gegen die Unverbindlichkeit der Entscheidung nach § 6 LuftVGSl. Ausgehend vom Inhalt der Genehmigungsurkunde und von den in § 6 Abs. 2 LuftVG normierten Genehmigungserfordernissen82 , soll deshalb eine endgültige und verbindliche Entscheidung, jedenfalls über den Standort der Anlage83 und über den (nicht planfeststellungsbedürftigen) Betrieb des Flughafens84 bereits durch die luftverkehrsrechtliche Genehmigung getroffen werden. Die luftverkehrsrechtliche Genehmigung sei als Teil eines mehrstufigen Verwaltungsverfahrens zu begreifen. 75
Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (337).
Vgl. Bäumler, DÖV 1981, 43 (44 f.); Lau, Rechtsschutz, S. 167 f.; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (337 f.). Nach § 40 LuftVZO sind u.a. umfängliche parzellenscharfe Planungsunterlagen sowie Gutachten von technischen und medizinischen Sachverständigen über das Ausmaß und die Auswirkungen des zu erwartenden Fluglärms vorzulegen. Die Genehmigungsurkunde enthält dann u.a. detaillierte Aussagen über die Lage des Flugplatzes, die geographische Länge und Höhe des Flughafenbezugspunktes, über Richtung und Länge der Start- und Landebahnen und über die Arten der benutzungsberechtigten Luftfahrzeuge (§ 42 Abs. 2 LuftVZO). 76
77 Vgl. Blümei, DVBI. 1975, 695 (701); Lau, Rechtschutz, S. 168; Bäumler, DÖV 1981, 43 (45). 78
Vgl. Wahl, DÖV 1975, 373 (377); Lau, Rechtschutz, S. 168.
79
Vgl. Bäum/er, DÖV 1981,43 (45 f.); Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981,334 (338).
Vgl. Bäumler, DÖV 1981, 43 (46); Lau, Rechtsschutz, S. 14 f.; AöR 103 (1978),163 (169 f./176); a.A. Harbeck, ZLW 1983, 209 (211 ff.). 81 Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (338). 80
82
83
Degenhan,
So der Ansatz von Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 78; Lau, Rechtsschutz, S. 139 f.
Mit der geographisch exakten Fixierung des Flughafenbezugspunktes nach Prüfung der Geeignetheit des Geländes; vgl. z.B. Badura, BayVBI. 1976, 516 (518); Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S.204; Lau, Rechtsschutz, S. 139 ff.; Schmidt-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (337 f.); Wahl, DÖV 1975, 374 (376); ebenso auch OVG NW, OVGE 33, 175 (179). Nach Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 78; Lau, a.a.O, S. 142 ff., wird darüber hinaus mit der Verortung des Systems der Landebahnen, bezogen auf den ebenfalls exakt bestimmten Startbahnbezugspunkt, auch eine verbindliche Entscheidung über die Dimensionierung getroffen; ähnlich Sleinberg, Nachbarrecht, S. 163 Rn. 25; Wahl, DÖV 1975, 373 (380). 84 Bäum/er, DÖV 1981, 43 (45 f.); Blümei, DVBI. 1975, 695 (702 mit Fn. 169); ders., VerwArch 83 (1992), 146 (155 ff.) Wahl, DÖV 1975, 373 (380); wohl auch Scherg, Beteiligungsrechte, S. 20 ff. und Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 132, S. 202. Nach Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 87, wird zwar die grundsätzliche Betriebsregelung durch die Genehmigung getroffen; sie sei aber durch die Planfeststellung noch geringfügig modifizierbar; ebenso Steinberg, Nachbarrecht, S. 163 Rn. 25.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 229
Damit müßten aber auch die für mehrstufige Planungsverfahren allgemein geltenden Grundsätze der stufenweisen Konkretisierung und der daraus folgenden Bindung an das vorausgehende Konkretisierungsergebnis anerkannt werden, was eine wiederholte Prüfung desselben Gegenstands ausschließe. 85 Dem trage die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts86 nur unzureichend Rechnung, wenn sie aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung und der Prozeßökonomie eine Beteiligungs- und Rechtsschutzkonzentration auf der letzten Stufe des luftrechtlichen Zulassungsverfahrens, dem Planfeststellungsverfahren annehme. 87 Soweit Sachgehalten der Genehmigung Rechtsgehalte entsprächen, also abschließend und für das weitere Verfahren bindend über Rechtsgüter, Interessen und Belange Dritter entschieden werde, müßte vielmehr (phasenspezifischer) Rechtsschutz gewährleistet werden. 88 Hiervon ausgehend wird dann aber ein entsprechendes Klagerecht gegen die Genehmigung teilweise nur für Gemeinden89 anerkannt. Durch die Standortentscheidung etwa, seien zwar die Interessen der betroffenen Gemeinden (Planungshoheit) sowie die "aggregierten" Privatinteressen (insb. Lärmbelastung), nicht jedoch die individuellen Interessen einzelner Privatpersonen betroffen. 90
85 Vgl. hierzu eingehend Wahl, DÖV 1975, 373 (375 f.); tiers., DVBI. 1982, 51 (59 f.); Blümei, DVBI. 1975, 695 (705); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 77 ff.; 86 Insb. BVeIWG, NJW 1969, 340 (341); BVeIWG, DÖV 1973, 342 (343); BVeIWG, BayVBI. 1973, 274 (275). 87 Vgl. Blümei, DVBI. 1975, 695 (704 f.); Wahl, DÖV 1975, 373 (375 ff.); Scherg, Beteiligungsrechte, S. 237 ff. 88 SchmidJ-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (338); Blümei, DVBI. 1975, 695 (704 f.); Wahl, DÖV 1975, 373 (375 ff.); kritisch hierzu Scherg, Beteiligungsrechte, S. 45, S. 233 ff. 89 Zu den gemeindlichen Beteiligungsrechten im luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahren und den Folgerungen für den Rechtsschutz vgl. eingehend Scherg, Beteiligungsrechte, S. 108 ff., 150,265 ff. und Lau, Rechtsschutz, S. ISO ff. 90 So z.B. Badura, BayVBI. 1976, 516 (520 mit Fn. 65); nach Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 79 und Lau, Rechtsschutz, S. 146, gewinnt die in der Genehmigung enthaltene Standortentscheidung erst durch ihr "Aufgehen" im PIanfeststellungsbeschluß und der damit verbundenen bestandskräftigen Abwägung und Entscheidung über erhobene Einwände "individuellrechtliche Züge"; a.A. aber Bäumler, DÖV 1981, 43 (45 ff.); Blümei, DVBI. 1975, 695 (705); ders., Grundrechtsschutz durch Verfahren, S. 85; vgl. auch ders., VelWArch 84 (1993), 123 (135); Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 204; Sleinberg, Nachbarrecht, S. 264 Rn. 25; Weidemann, NVwZ 1989, 1033 (1034), die ein umfassendes Anfechtungsrecht auch privater Dritter begründet sehen; differenzierend Wahl, DÖV 1975, 373 (380), der konkrete Belange privater Dritter zwar bei Dimensionierung und Umfang der Flughafenanlage und bei Regelungen des Flughafenbetriebs berührt sieht, nicht aber durch die (vorgelagerte) Standortfrage; dagegen wiederum Blümei, DVBI. 1975, 695 (705).
230
3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
c) Stellungnahme
Der Kritik von Teilen der Literatur an der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist sicherlich zuzugeben, daß das luftrechtliche Genehmigungsverfahren nach § 6 LuftVG für eine nur planungsvorbereitende und überschlägige Prüfung des Vorhabens viel zu aufwendig ausgestaltet ist. Für solche überschlägigen Prüfungen stehen mit der Regionalplanung und dem Raumordnungsverfahren zudem landesplanerische Instrumente zur Verfügung. Ob die luftrechtliche Genehmigung de lege tata tatsächlich - mit rechtlicher Verbindlichkeit für die Planfeststellung - abschließend anlagenbezogene Problemkomplexe abschichtet, wie etwa die Frage des Flughafenstandorts, erscheint allerdings, angesichts der in § 9 Abs. 1 S. 2 LuftVG normierten Funktion der Planfeststellung als allseitiger, umfassender und einheitlicher rechtlicher Gestaltung eines geplanten Vorhabens, doch zweifelhaft. 91 Ähnliches gilt für die Auffassung, die Genehmigung nach § 6 LuftVG regle den Flughafenbetrieb ausschließlich und endgültig. 92 Anlagen und Betrieb eines Flughafens sind wechselseitig derart eng aufeinander bezogen, daß sie weitgehend eine sachliche Funktionseinheit bilden. 93 Die Flughafenanlage richtet sich einerseits wesentlich nach dem Umfang des beabsichtigten Betriebs, der Flughafenbetrieb wird andererseits durch Lage, Dimensionierung und Konfiguration der Anlage mitbestimmt. 94 Hiermit läßt sich die Vorstellung, die Genehmigung regle den Betrieb (vorab) endgültig und abschließend, während anlagebezogene Entscheidungen noch dem Planfeststellungsverfahren vorbehalten seien, kaum vereinbaren. Die sachliche Verzahnung von Flughafenanlage und -betrieb kommt rechtlich in § 6 Abs. 4 S. I LuftVG zum Ausdruck, wonach die Genehmigung, also auch Betriebsregelungen in der Genehmigung, an das Ergebnis des Planfeststellungsverfahrens anzupassen sind. Zugleich wird damit aber auch wiederum der Vorrang der Planfeststellung als Schwerpunkt des Zulassungsverfahrens und als abschließende und endgültige Entscheidung hervorgehoben. Selbst wenn man aber, wie das Bundesverwaltungsgericht, eine planungsrechtliche Verbindlichkeit der luftrechtlichen Genehmigung für das nachfolgende Planfeststellungsverfahren verneinen sollte, ist damit die Rechtsschutzfrage noch nicht geklärt. Das Gericht selbst hat mehrfach auf das Gewicht hingewiesen, welches der Genehmigung als planerischer Vorentscheidung je91
Vgl. auch Harbeck, ZLW 1983, 209 (213).
92
Bäumler, OÖV 1981, 43 (46 f.).
So zutreffend Harbeck, ZLW 1983, 209 (220); vgl. dazu und zum folgenden auch Giemulla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 10. 93
94
Vgl. dazu auch Badura, Rechtsfragen, S. 40 mit Fn. 41.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Pluglännschutz 231
denfalls faktisch zukommt. Die Genehmigung bewirke eine tatsächliche Bindung der späteren Planfeststellung, die sich in der Sache wie eine mehr oder
weniger weitgehende Vorwegnahme von Entscheidungen auswirke. die rechtlich erst dem Planfeststellungsverfahren vorbehalten seien. 95 Diese tatsächliche Bindung kann nach Auffassung des Bundesveifassungsgerichts96 auch rechtlich bedeutsam sein. Für den in Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten, rechtzeitigen Rechtsschutz komme es weniger auf die formelle Qualifikation der Genehmigung, etwa als vorbereitende Planungsentscheidung, als vielmehr auf ihren Sach- und Regelungsgehalt an. Bei Ermittlung des Regelungsgehalts seien auch die faktischen Zwangsläufigkeiten und die sehr wahrscheinlichen Auswirkungen der Entscheidung für den Bürger in Betracht zu ziehen. Die Verweisung eines bereits derart in seinen Rechten betroffenen Bürgers auf die nachfolgende Planfeststellung würde zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes führen. 97 Im Ergebnis bejaht das Bundesverfassungsgericht damit die rechtliche Bedeutsamkeit faktischer Vorwirkungen für einen effektiven und rechtzeitigen Rechtsschutz. 98 Mit diesen Aussagen des Gerichts zu den Erfordernissen eines rechtzeitigen Rechtsschutzes läßt sich weder das Konzept einer Rechtsschutzkonzentration auf die abschließende Planfeststellung, wie es vom Bundesverwaltungsgericht praktiziert wird, noch die in der Literatur teilweise vertretene Ablehnung eines Klagerechts von Privatbetroffenen gegen die Genehmigung, bei gleichzeitiger Bejahung von bindenden Reglungsgehalten derselben, vereinbaren. 99 Die bereits "parzellenscharfe" Festlegung des Standortes, einschließlich seiner Dimensionierung 100 ermöglicht ebenso wie die auf der Basis zweier Lärmgutachten (§ 40 Abs. 1 Nr. 10 LuftVZO) und der von der Deutschen Flugsicherungs-GmbH eingebrachten Situierung der Flug-
95 Vgl. BVerwG, ZLW 1979, 245 (255); BVerwGE 56,110 (136 f.); BVerwG, ZLW 1983, 276 (277). 96 Vgl. den Beschluß eines Vorprüfungsausschusses des 2. Senats vom 1. 8.1980 bezüglich des Klagerechts eines Bürgers gegen die Genehmigung nach § 6 LuftVG, BVerfG, DVBI. 1981, 374 f. 97 BVerfG, DVBI. 1981,374 (375); offensichtlich unter dem Eindruck dieser Entscheidung hat das BVerwG im nachfolgenden Beschluß v. 8.3.1983 (ZLW 1983, 276 [277]) eingeräumt, daß auch vor der rechtsverbindlichen Planfeststellung nach § 8 LuftVG, Dritte durch faktische Vorentscheidungen im Einzelfall ausnahmsweise schon dermaßen betroffen sein könnten, "daß ihnen aus Gründen effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten ist, den Erlaß der anzufechtenden Planfeststellung abzuwarten". 98 Vgl. hierzu auch Scheuing, VVDStRL 40 (1982), 153 (176); Schmidl-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (335 f.); Soell, in: Grundzüge, S. 344. 99 Vgl. auch Soell, in: Grundzüge, S. 344; a.A. Ronellenjilsch, in Blümel (Hrsg.), S. 138 f. Ibler, Schranken, S. 92 ff., insb. S. 99 ff., bejaht zwar faktische Beeinträchtigungen; diese seien aber nicht durch die Genehmigung i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO verursacht, so daß eine Anfechtungsklage ausscheide; in Betracht käme jedoch eine Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO. 100 Vgl. Schmidl-Aßmann, DVBI. 1981,334 (338).
232
3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
wege lOl - ermittelte Lärmbelastung der Umgebung, schon auf der Genehmigungsebene eine himeichende Individualisierbarkeit betroffener Flughafennachbarn hinsichtlich der zu beachtenden Grundrechtspositionen aus Art. 2 und Art. 14 GG. 102 Von nur "aggregierten" Privatinteressen kann also keine Rede sein. 103 Auch das Bundesverwaltungsgericht selbst scheint sich jetzt dem Modell eines phasenspezifischen Rechtsschutzes bei Entscheidungen in vorgelagerten Verfahren anzunähern. Dies belegt eine Entscheidung des Siebten Senats vom 20.12.1988 zur (vorgelagerten) Abfallentsorgungsplanung. I04 Nach dieser Entscheidung kann - in Abkehr zur bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung - ein benachbarter Grundstückseigentümer bereits durch einen rechtssatzmäßig für verbindlich erklärten Abfallbeseitigungsplan Getzt Abfallentsorgungsplan) nach § 6 AbfG einen Nachteil i.S. des § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO erleiden, wenn der Plan den Standort der Abfallbeseitigungsanlage konkret festlegt und zu erwarten ist, daß von der Anlage schädliche Umwelteinwirkungen auf die benachbarten Grundstücke ausgehen werden. Voraussetzung sei allerdings, daß die Festlegungen des Plans sachlich und räumlich bereits so konkret sind, daß sich bereits auf dieser Planstufe ein negatives Betroffensein in rechtlich geschützten Interessen für den Fall der Verwirklichung des Vorhabens absehen läßt. 105 Die sonst im Fachplanungsrecht mit dem Stichwort "Konzentration des Rechtsschutzes auf der letzten Stufe" angeführten Gründe läßt das Gericht hier gerade nicht gelten. Der Antragsteller brauche sich nicht auf die Möglichkeit der Anfechtung der späteren Zulassungsentscheidung verweisen lassen. 106 Im Gegenteil, das hier wegen des Normcharakters des Abfallbeseitigungsplans einschlägige Normenkontrollverfahren, wolle aus Gründen der Rechtsklarheit und der Verfahrensökonomie eine frühzeitige und allgemein verbindliche Feststellung der Nichtigkeit ermöglichen und auf diese Weise auch den Rechtsschutz des Bürgers verbessern und beschleunigen. \07 Überträgt man diese verallgemeinerungsfähigen Überle-
Vgl. zur Festlegung der An- und Abflugwege und -verfahren unten 2. Vgl. Sleinberg, Nachbarrecht, S. 264 Rn. 25, der ergänzend darauf hinweist, daß konkreter diesbezüglich auch kein PIanfeststellungsbeschluß sein könnte. 103 So aber Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 79; wenig einleuchtend ist unter diesem Blickwinkel auch der Ansatz von Wahl, OÖV 1975, 373 (380), wonach die Oimensionierung der Anlage und die Betriebsregelung individuelle Betroffenheit auslösen, die Standortentscheidung als solche aber erst mit dem Planfeststellungsbeschluß anfechtbar sein soll. 104 BVerwGE 81, 128 ff.; vgl. auch BVerwGE 81, 139 ff. 105 BVerwGE 81, 128 (130). 106 BVerwGE 81, 128 (138). 107 BVerwGE 81, 128 (137). 101
102
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 233
gungen lO8 auf das luftrechtliche Genehmigungsverfahren, so darf bezweifelt werden, daß sich die Position des zuständigen Vierten Sennts noch lange halten wird. 109 Zusätzlichen Auftrieb kann die Diskussion um Regelungs- und Rechtsschutzgehalt des § 6 LuftVG durch das 1990 in Kraft getretene UVP-Gesetz und die damit einhergegangene ausdrückliche Normierung einer Umweltverträglichkeitsprüfung auch für das luftrechtliche Genehmigungsverfahren erhalten. 110 Nach § 6 Abs. 1 S. 2 LuftVG, § 15 Abs. 1 S. 1 UVPG ist im Genehmigungsverfahren für Flugplätze, die einer Planfeststellung bedürfen, die Umweltverträglichkeit nach dem jeweiligen Planungsstand des Vorhabens zu prüfen. Dabei werden insbesondere auch die voraussichtlichen Lärmbelastungen zu berücksichtigen sein, was wiederum Auswirkungen auf die Regelung des Standortes, der Dimensionierung und des Betriebs in der Genehmigung hat. III Sowohl die obligatorische Einbeziehung der Öffentlichkeit (§§ 15 Abs. 3 S. 1 LV.m Abs. 2 LV.m 9 Abs. 3 UVPG) , als auch die mit dem UVP-Gesetz intendierte Abschichtungsfunktion der Umweltverträglichkeitsprüfung l12 - im Planfeststellungsverfahren kann die Prüfung der Umweltverträglichkeit auf zusätzliche oder andere erhebliche Umweltauswirkungen des Vorhabens beschränkt werden (§ 15 Abs. 4 UVPG) - streiten aber für Rechtsschutz auch privater Drittbetroffener gegen die Genehmigungsentscheidung. 113 Dies gilt um so mehr, als angesichts der aufwendigen Ausgestaltung des Genehmigungsverfahrens, auch die Prüfung der Umweltverträglichkeit "nach dem jeweiligen Vorhabensstand"1l4 entsprechend detailliert ausfallen muß. 115 Einschränkend ist allerdings anzumerken, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung im Genehmigungsverfahren eher die Ausnahme bleiben wird, denn soweit das obligatorische Raumordnungsverfahren (§ 1 Nr. 12 Raumordnungsverordnung) bereits die Umweltverträglichkeit geprüft hat und dabei die Anforderungen nach § 15 Abs. 3 S. 1 LV.m. Abs. 2 UVPG gewahrt hat, entfällt
108 Insofern ist auch interessant, daß sich das Gericht ausdrücklich auf einen Aufsatz von Wahl aus dem Jahre 1975 (DÖV 1975, 373 ff.) bezieht, in dem dieser die "Konzentrationsrechtsprechung" des Vierten Senats kritisiert; vgl. BVeIWGE 81, 128 (136). 109 Vgl. zu dieser Entscheidung und ihren Konsequenzen für andere vorgelagerte Verfahren auch Wahl, NVwZ 1990, 923 (924); Blümei, VeIW Arch 84 (1993), 123 (135 ff.); [bier, DVBI. 1989, 639 (646 f.); Weidemann, NVwZ 1989, 1033 (1035). 110 So auch Wahl, NVwZ 1990, 923 (925). III Vgl. auch ErbguthlSchink, UVPG, § 15 Rn. 17. 112 Vgl. dazu bereits oben I. 2.
113 114
Vgl. Wahl, NVwZ 1990, 923 (925); zur Rechtschutzproblematik auch schon oben I. 2. § 15 Abs. 1 S. 1, letzter HS UVPG.
115 Als Leitlinie gilt, daß die Umweltverträglichkeitsprüfung um so intensiver sein muß, je konkreter der Planungsstand des Vorhabens ist; dazu ErbguthlSchink, UVPG, § 15 Rn. 17.
234
3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen
die Prüfung im Genehmigungsverfahren (§§ 6 Abs. 1 S. 3 LuftVG LV.m 15 Abs. 1 S. 2 UVPG).116
d) Rejormbedarj Auch bei kritischer Würdigung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und den nicht immer überzeugenden Ansätzen in der Literatur ist aber zu bedenken, daß die bestehenden "Gemengelagen" zwischen luftverkehrsrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung in erster Linie das Ergebnis einer gesetzgeberischen Fehlleistung sind, die nur historisch erklärbar ist. ll ? Ursprünglich wurde über den Bau und Betrieb von allen Flugplätzen letztverbindlich durch Genehmigung entschieden. Als durch die Novelle zum LuftVG vom 5.12.1958 118 der Genehmigung für Flughäfen ein Planfeststellungsverfahren nachgeordnet wurde, war man sich offensichtlich über die Strukturen einer solchen Verfahrensstufung nicht bewußt. Insbesondere wurden die Rückwirkungen des Planfeststellungsbeschlusses auf die ursprünglich isolierte Genehmigung nicht bedacht. 119 Eine echte Verfahrensstufung zwischen luftverkehrsrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung im Sinne einer abschichtenden Problemlösung dadurch, daß die vorgeschaltete Genehmigung einen für das nachfolgende Planfeststellungsverfahren rechtlich bindenden Rahmen vorgibt und damit bestimmte, von der Planung insgesamt aufgeworfene Fragen bereits auf der ersten Stufe behandelt und mit Bindungswirkung für die zweite Stufe löst, kann jedenfalls nach dem Vorhergesagten den §§ 6 und 8 ff. LuftVG nicht entnommen werden. 120 Allerdings zeitigt die luftverkehrsrechtliche Genehmigung eine faktische Bindungswirkung, die sich für das Planfeststellungsverfahren als tatsächliche Vorentscheidung und Verfestigung ähnlich auswirken kann wie eine gesetzlich angeordnete Bindungswir-
116
Vgl. Erbgulh/Schink, UVPG, § 15 Rn. 5.
11? Hierzu z.B. Ronellenjilsch, DVBl. 1984, 501 (509); Lau, Rechtsschutz, S. 126 f.;
Schmidl-Aßmann, DVBl. 1981, 334 (336 f.); Sleinberg, DÖV 1982, 619 (623); ders., Nachbarrecht, S. 262 f. Rn. 25; Wahl, DVBl. 1982, 51 (59); vorsichtige Kritik auch in BVeIWG, NVwZ 1988, 731: "Das Verhältnis zwischen dem Genehmigungsverfahren nach § 6 LuftVG einerseits und dem Planfeststellungsverfahren nach §§ 8, 10 LuftVG andererseits, mag nicht immer die wünschenswerte Klarheit besitzen. Das gilt insbesondere für die sich überlagernden Entscheidungsgehalte von Genehmigung und nachfolgender Planfeststellung ". 118 BGBl. I, S. 899. 119 Vgl. hierzu den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung des LuftVG, BTDrs. IWlOO, S. 13 und den Schriftlichen Bericht des Ausschusses für Verkehr, Post- und Fernmeldewesen, BT-Drs. IW478, S. 2. 120 Batblra, Rechtsfragen, S. 38, ders., BayVBl. 1976, 515 (518), erkennt eine "unechte" Stufung des Entscheidungsvorgangs; ähnlich Schmidl-Aßmann, DVBl. 1981, 334 (336); Ronellenjilsch, DVBl. 1984, 501 (508); siehe auch Sleinberg, Nachbarrecht, S. 321 Rn. 58.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 235
kung und die deshalb auch unter Rechtsschutzgesichtspunkten - wie ausgeführt - beachtlich sein muß. Die Reformbedürftigkeit des luftverkehrsrechtlichen Planungsverfahren wird denn auch vielfach konstatiert. 121 Ronellenfttsch l22 hat vorgeschlagen, ein Standortplanfeststellungsverfahren einzuführen, dem dann eine alle Details regelnde Betriebsgenehmigung nachfolgen könnte. Denkbar ist es aber auch, de lege jerenda überhaupt auf die Genehmigung zu verzichten und stattdessen dem ja inzwischen obligatorischen und um eine Umweltverträglichkeitsprüfung erster Stufe "angereicherten" Raumordnungsverfahren nur ein Planfeststellungsverfahren nachfolgen zu lassen, das dann Errichtung und Betrieb umfassen müßte. Bei konsequenter Nutzung des Raumordnungsverfahrens könnte dann dort die Raumverträglichkeit festgestellt, unter dem Vorbehalt von Detailprüfungen und der Prüfung zusätzlicher und anderer erheblicher Umweltauswirkungen ein vorläufiges positives Gesamturteil über die Umweltverträglichkeit getroffen werden und so insbesondere die Standortfrage grundsätzlich geklärt werden. 123 Die abschließende Detailprüfung und insbesondere die Regelung des Betriebs obläge dann dem Planfeststellungsverfahren. l24 Damit würde ein "echtes"125 zwei stufiges Planungsverfahren verwirklicht werden. Für ein solches Verfahren sprechen Rechtsklarheit, Verfahrensübersichtlichkeit, Verfahrensökonomie und Flexibilität der Detailprüfung auf der· zweiten Stufe. Unabdingbare Voraussetzung ist allerdings die Kongruenz von Sachgehalt und Rechtsgehalt auf jeder Verfahrensstufe. Dem Sachgehalt jeder Stufe muß die phasenspezifische Ausgestaltung der Beteiligungsrechte und phasenspezifischer Rechtsschutz entsprechen. 126
121 Z.B. Badura, Rechtsfragen, S. 31, S. 41; Kühling, Fachplanungsrecht, S. 226 Rn. 535; Ronellenfitsch, in: Blümel (Hrsg.), S. 139 ff.; vgl. auch SchmidJ-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (338 f.); kritisch zu Reformbestrebungen z.B. Harbeck, ZLW 1983, 209 (222 ff.). 122 Ronellenfitsch, in Blümel (Hrsg.), S. 142 ff.; tiers., DVBI. 1984, 501 (509). 123 Daß sich das "neue" Raumordnungsverfahren grundsätzlich für eine solche ProbIernabschichtung eignet, wurde bereits ausführlich dargelegt. Zu bedenken bleibt allerdings, daß der Gesetzgeber bei der ROG-Novelle das Abschichtungsmodell verbindliche Grobplanung - Feinplanung nicht konsequent verwirklicht hat, insbesondere was die notwendigen Beteiligungsrechte der Betroffenen und den phasenspezifischen Rechtsschutz anbelangt; vgl. dazu bereits oben I. 2. 124 Für den Verzicht auf ein Genelunigungsverfahren und ein Betriebs- und Anlagenplanfeststellungsverfahren auch Blümei, in: Blümel (Hrsg.), Aussprache, S. 183; tiers., VerwAreh 83 (1992), 146 (158); siehe auch Badura, Rechtsfragen, S. 41 f. 125 Zu den Kriterien Wahl, DÖV 1975, 373 (376 f.); tiers., in: FS f. Sendler, S. 221 f.; Blümei, DVBI. 1975, 695 (705); Ronellenfitsch, DVBI. 1984, 501 (507 f.); Steinberg, Nachbarrecht, S. 295 ff. Rn. 1 ff. 126 Vgl. nur Wahl, DÖV 1975,373 (376 f.); SchmidJ-Aßmann, DVBI. 1981, 334 (339); zu den Bedenken, die in dieser Hinsicht an das novellierte Raumordnungsverfahren zu stellen sind, vgl. bereits die Ausführungen oben I. 2.
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
e) Das Planungsvereinjachungsgesetz vom 17.12.1993127 Solchen Reformüberlegungen ist jetzt durch das am 18.12.1993 in Kraft getretene Gesetz zur Vereinfachung der Planungsverfahren für Verkehrswege (Planungsvereinfachungsgesetz) mit einer Novellierung auch des LuftVG (vgl. Art. 4 des Planungsvereinfachungsgesetzes) zumindest teilweise Rechnung getragen worden. Für das Verhältnis von luftverkehrsrechtlicher Genehmigung und Planfeststellung sind insbesondere zwei Regelungen bedeutsam. Zum einen wird durch § 8 Abs.4 LuftVG nunmehr klargestellt, daß auch betriebliche Regelungen Gegenstand der Planfeststellung sein können. 128 Zum anderen ist nach § 8 Abs. 6 LuftVG die Genehmigung nach § 6 LuftVG nicht mehr Voraussetzung für ein Planfeststellungsverfahren (oder ein Plangenehmigungsverfahren).129 Damit hängt zwar die Planfeststellung nicht mehr wie bisher obligatorisch von einer vorherigen Genehmigung nach § 6 LuftVG ab. 13O Es kann daraus allerdings nicht geschlossen werden, daß bei planfeststellungsbedürftigen Flughafenvorhaben nunmehr auch obligatorisch auf eine vorhergehende Genehmigung zu verzichten ist. Dagegen spricht schon der Wortlaut des neuen § 8 Abs. 6 LuftVG (" ... ist nicht Voraussetzung). Dagegen steht aber auch die durch das Planungsvereinfachungsgesetz unberührt gebliebene Regelung des § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG, welche "im Genehmigungsverfahren für Flugplätze, die einer Planfeststellung bedürfen" eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorschreibt. Dies läßt nur den Schluß zu, daß auch unter Geltung des § 8 Abs. 6 LuftVG der Planfeststellung ein Genehmigungsverfahren vorgeschaltet werden kann, aber aus Gründen der Planungsvereinfachung und -beschleunigung nicht vorgeschaltet werden muß, wobei den Planungsbehörden diesbezüglich offenbar ein Wahlrecht zustehen SOll.131 127 BGBI. I, S. 2123. 128 Dies konnte schon bisher aus
§ 6 Abs. 4 S. 1 LuftVG abgeleitet werden, wonach die Genehmigung, also auch Betriebsregelungen in der Genehmigung, an das Ergebnis des Pianfeststellungsbeschlusses anzupassen sind; vgl. dazu schon oben c. 129 Vorbildfunktion filr diese Regelung hatte offensichtlich das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz v. 16.12.1991 (BGBI. I, S. 2174), das zeitlich befristet bis zum 31.12.1995 auch filr die Planung von Verkehrsflughäfen in den neuen Bundesländern gilt. Dort wird in § 10 Abs. 1 bestimmt, daß filr die Anlage und den Betrieb neuer Verkehrsflughäfen eine der PIanfeststellung vorgelagerte Genelunigung nach § 6 LuftVG nicht erforderlich ist und daß der Pianfeststellungsbeschluß (auch) den Betrieb des Verkehrsflughafens regelt; vgl. dazu die Gesetzesbegründung, BR-Drs. 303/91, S. 25; Ronellenfitsch, DVBI. 1991,920 (931). 130 Bisher war auch nach der Rechtsprechung des BVerwG die Genelunigung jedenfalls Rechtmäßigkeitsvoraussetzung filr die Planfeststellung.Das BVerwG ließ es aber genügen, daß sich das Planfeststellungsverfahren überhaupt auf ein Vorhaben bezog, filr das der Antragsteller eine luftverkehrsrechtliche Genelunigung erhalten hatte; es stellte insoweit auf ihre Wirksamkeit, nicht aber auf ihre materielle Rechtmäßigkeit ab; vgl. BVerwGE 75, 214 (221); BVerwG, NVwZ-RR 1991, 8 f. 131 Dies ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zum Planungsvereinfachungsgesetz, vgl. BT-Drs. 12/4328, S. 22.
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Das Planungsvereinfachungsgesetz hat also die luftverkehrsrechtliche Genehmigung für planfeststellungsbedürftige Flughäfen keinesfalls abgeschafft; die Genehmigung ist nur nicht mehr Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für die Planfeststellung. Für den Fall, daß aus Vereinfachungs- und Beschleunigungsgründen von einem Genehmigungsverfahren abgesehen wird 132 , erübrigt sich der vorstehend diskutierte Streit über die Regelungsgehalte der Genehmigung für die Planfeststellung. Anderenfalls bleibt es jedoch bei den aufgeworfenen Frageund Problemstellungen. Immerhin - die Argumente der Vertreter eines bindenden Regelungsgehalts der Genehmigung für die Planfeststellung haben nicht zuletzt auch durch die Vorschrift des § 8 Abs. 4 LuftVG, mit der gesetzlich geklärt wurde, daß Gegenstand der Planfeststellung auch betriebliche Regelungen sein können - weiter an Boden verloren. Konsequenter wäre es aber gewesen, auf das Genehmigungserfordernis bei nachfolgender Planfeststellung gänzlich zu verzichten. 133 2. Lärmschutz und luftverkehrsrechtliche Genehmigung
Dem Lännschutz wird im Rahmen des luftverkehrsrechtlichen Genehmigungsverfahrens ausdrücklich durch die "Lännschutzklausel" des § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG Rechnung getragen. Danach ist vor Erteilung der Genehmigung besonders zu prüfen, ob die geplante Maßnahme den Schutz vor Fluglärm angemessen berücksichtigt. Die Klausel betont die besondere Beachtlichkeit des Fluglärmschutzes im Rahmen des Genehmigungsverfahrens. 134 Die Länneinwirkungen auf die Umgebung sind aber auch schon im Rahmen der Erfordernisse "Eignung des Geländes" und "Öffentliche Sicherheit und Ordnung" (§ 6 Abs. 2 S. 2 LuftVG) zu berücksichtigen. 135 Die Erfordernisse des Fluglärmschutzes spielen zunächst einmal bei der Entscheidung über Standort, Dimensionierung und Konfiguration der Flughafenanlage eine wichtige Rolle. Für den Standort ist neben der (sonstigen) Eignung des Geländes der Schutz vor
132 In welchem Umfang von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht werden wird, bleibt abzuwarten. 133 Vgl. dazu die Ausfiihrungen oben d. 134 Nach Schwenk, Handbuch, S. 263, handelt es sich um das in seiner Tragweite schwerwiegenste PlÜfungserfordernis, den im Ergebnis die entscheidende Rolle im Genehmigungsverfahren zukommt. 135 Vgl. dazu Badura, Rechtsfragen, S. 40; Schwenk, Handbuch, S. 259. Im übrigen handelt es sich beim "Schutz vor Fluglärm" um eine fortdauernde Grundpflicht des Betreibers (vgl. §§ 29, 29b LuftVG). Die Genehmigungsbehörde hat deshalb nach § 19a LuftVG den Unternehmer zu verpflichten, eine Fluglärmüberwachungsanlage einzurichten und zu betreiben.
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3. Teil: Schutz vor Pluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
Fluglänn eines der wichtigsten Kriterien. 136 Konfiguration und Dimensionierung sind wesentlich von betrieblichen Annahmen und damit auch von Maßgaben des Lärmschutzes abhängig. 137 Daneben kann dem Schutz vor Fluglänn durch anlagen- und betriebsbezogene Maßnahmen des aktiven und passiven Lärmschutzes 138 , vor allem durch Auflagen und Auflagenvorbehalte (§ 6 Abs. 1 S. 2 LuftVG) Rechnung getragen werden. \39 In Betracht kommen insbesondere Beschränkungen des Flughafenbetriebs, wie etwa Nachtflugverbote, Start- und Landebeschränkungen an Sonn- und Feiertagen, Beschränkungen für bestimmte Betriebsarten (z.B. Schulungs flüge) oder auch allgemeine "Lärmkontingentierungen" 14O . Zu beachten ist hierbei allerdings, daß nur solche Maßnahmen angeordnet werden können, für die nicht bereits durch Rechtssatz eine Regelung getroffen wurde. Dies gilt etwa für die Ausrüstung und Zulassung der Luftfahrzeuge (vgl. §§ 2 Abs. 1 Nr. 4 LuftVG i.V.m. 3 Abs. 1 Nr. 2b, Abs. 2, 10 Abs. 4 LuftVZO, § llc LuftVO).141 Außerdem hat die Genehmigungsbehörde keine Regelungskompetenz für die Nutzung des Luftraums, so daß also beispielsweise die Benutzung bestimmter lännschonender An- und Abflugwege und -verfahren grundsätzlich nicht durch die luftverkehrsrechtliche Genehmigung angeordnet werden kann. 142
136
Giemulla/Schmid, § 6 Rn. 15.
137 Vgl. Badura, Rechtsfragen, S. 40 mit Fn. 41; Hochgürtel, Recht des Umweltschutzes,
S. 93; siehe auch BVeIWGE 75,214 (2381248) 138 Aktive Maßnahmen des Lärmschutzes setzen an der Lärmquelle an, sind also emissionsbezogen; passive Maßnahmen des Lärmschutzes setzen beim Lärmbetroffenen an, sind also immissionsbezogen. 139 Vgl. zu einzelnen Lärmschutzmaßnahmen auch ausführlich unten B. IV. 140 So ist beispielsweise in der Genehmigungsurkunde für den Flughafen München (Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, Genehmigungsurkunde für den Flughafen München vom 9.5.1974, Nr. 8421b-VW6/8c-24608, S. 7, S. 186 f.), eine durch einen äquivalenten Dauerschallpegel von 62 dB(A) definierte Lärmschutzzone festgelegt worden. Außerdem setzt die Genehmigung mit Blick auf die gesundheitlichen Belange der betroffenen Bevölkerung eine (betriebsregelnde) Lärmgrenzlinie fest. Danach darf der Flughafen nur in einem Umfang betreiben werden, daß auf der festgesetzten Lärmgrenzlinie ein äquivalenter Dauerschallpegel von 62 dB(A) an keinem Ort und an keinem Tag überschritten wird; weitere Beispiele bei Sreinbergmidinger, UPR 1993, 281; vgl. zu den "Lärmkontingentierungen" auch ausführlich unten B. IV. 1. 141 Vgl. dazu BVeIWGE 87, 332 (352); BayVGH, Urt. v. 27.7.1989 - Nr.20 B 81 D. I., S. 75 f., insoweit in DVBI. 1990, 114 nicht abgedruckt; Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 49 und näher unten B. IV. I. 142 Hierfür ist die Deutsche Flugsicherungs-GmbH zuständig, vgl. § 27c Abs. 2 Nr. I LuftVG i.V.m. § 31b LuftVG i.V.m. § I der VO zur Beauftragung eines Flugsicherungsunternehmens vom 11.11.1992 (BGBI. I, S. 1928); vgl. auch - allerdings zur Rechtslage vor Inkrafttreten des 10. Gesetzes zur Änderung des LuftVG vom 23.7.1992 (BGBI. I, S.1370) BVeIWGE 87, 332 (351); BayVGH, Urt. v. 27.7.89 -Nr.20 B 81 D. 1., S. 76, insoweit in DVBI. 1990, 114 nicht abgedruckt; zur Frage, ob die luftverkehrsrechtliche Genehmigung insoweit doch gewisse "Rahmenvorgaben" machen kann, BayVGH, ZLW 1984, 65 (78); BayVGH, Urt. v. 27.7.1989, S. 76; Badura, Rechtsfragen, S. 40 mit Fn. 43.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 239
Zur Prüfung der Erfordernisse der Lännschutzklausel sind vom Antragsteller nach § 40 Abs. 1 Nr. 10 LuftVZO das Gutachten eines technischen Sachverständigen über das Ausmaß des Fluglänns, der in der Umgebung des Flughafens zu erwarten ist 143 und eines medizinischen Sachverständigen über die Auswirkungen dieses Länns auf die Bevölkerung vorzulegen. l44 Außerdem wird nach § 32b LuftVG zur Beratung der Genehmigungsbehörde eine Lärmschutzkommission gebildet, die am Genehmigungsverfahren zu beteiligen ist. Ausreichender Schutz vor Fluglänn ist also grundlegende Voraussetzung für die Erteilung der Genehmigung. Lännauswirkungen werden in einem aufwendigen Verfahren ermittelt und bewertet. Folgt man allerdings der (umstrittenen) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Inhalt und Wesen der Genehmigung als nur planungsvorbereitender, die Planfeststellung nicht rechtlich bindender und nicht vom Betroffenen anfechtbarer Entscheidung, so wird dadurch auch der "lännschützende Gehalt" der Genehmigungsentscheidung, insbesondere unter Rechtsschutzgesichtspunkten, doch erheblich relativiert. Dies erscheint mit Blick auf die faktischen Verfestigungen, die sich aus dem Genehmigungsverfahren ergeben, bedenklich. 145 ill. Die luftverkehrsrechtIiche Planfeststellung (§§ 80'. LuftVG) 1. Rechtswirkungen der PlanfeststeUung
Das Rechtsinstitut "Planfeststellung" zielt als komplexes, konzentriertes und einheitliches Verwaltungs- und Planungsverfahren auf die verbindliche Entscheidung über die Zulässigkeit der Errichtung oder Änderung eines konkreten, raum- und objektbezogenen Vorhabens der Fachplanung mit unmittelbarer Außenwirkung. 146 Mit dem Planfeststellungsverfahren soll durch eine Stelle, in einem Verfahren, in einer einheitlichen und umfassenden, die berührten öffentlichen und privaten Belange untereinander und gegeneinander abwägenden Gesamtentscheidung über die öffentlich-rechtliche Zulassung eines Vorhabens, einschließlich der notwendigen Folgernaßnahmen befunden 143 Die insoweit erforderliche Lärmprognose wird üblicherweise in Anlehnung an das Verfahren nach § 3 FlugLG erstellt; dazu Hochgünel, Recht des Umweltschutzes, S. 92; Hofmann/Grabhe", LuftVG, § 6 Rn. 52; vgl. auch schon oben, I. Teil, B. IV. I. 144 Gemäß § 40 Abs. 2 LuftVZO ist es der Genehmigungsbehörde freigestellt, darüberhinaus noch weitere Unterlagen anzufordern. 145 Sofern ein solches überhaupt durchgefiihrt wird. Nach der Novellierung des LuftVG durch das Planungsvereinfachungsgesetz v. 17.12.1993 ist ein vorherhehendes Genehmigungsverfahren bei nachfolgendIIr Planfeststellung ja nicht mehr obligatorisch; vgl. unten 1. e. 146 Ronellenfitsch, VerwArch 80 (1989),92 (100).
240
3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
werden, so daß andere öffentlich-rechtliche behördliche Entscheidungen grundsätzlich nicht mehr erforderlich sind. 141 Nach § 8 Abs. 1 LuftVG ist für die Neuanlage oder Änderung eines Flughafens oder eines Landeplatzes mit beschränktem Bauschutzbereich (§ 17 LuftVG)148 ein Planfeststellungsverfahren l49 durchzuführen. Die Rechtswirkungen der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung ergeben sich insbesondere aus § 9 Abs. 1 und 3 LuftVG und ergänzend aus § 75 Abs. 1 und 2 VwVfGI50: Durch die Planfeststellung wird die Zulässigkeit des Flughafenbetriebs einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an anderen Anlagen im Hinblick auf alle durch das Vorhaben beIiihrten öffentlichen Belange festgestellt (§ 75 Abs. 1 S. 1 VwVfG). Der Planfeststellungsbeschluß ersetzt alle nach anderen Rechtsvorschriften erforderlichen Genehmigungen, Verleihungen, Erlaubnisse und Zustimmungen (§ 9 Abs. 1 S. 1 LuftVG)YI Von dieser 141 Bank, in: Stelkens/Bonk/Leonardt, VwVtG, § 72 Rn. 9; zu dieser kennzeichnenden Rationalität auch Steiner, Straßen- und Wegerecht, S. 624 Rn. 56. 148 LuftVG und LuftVZO fassen unter dem Oberbegriff "Flugplätze" Flughäfen, Landeplätze und Segelfluggelände zusammen (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 LuftVG). § 38 Abs. I LuftVZO definiert Flughäfen als Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorhergesehenen Flugbetriebs einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG bedürfen, dies im Unterschied zu Landeplätzen, die eine solche Sicherung nicht benötigen (§ 49 LuftVZO). Damit wird zum Ausdruck gebracht, daß Flugzeuge einer bestimmten Größe grundsätzlich nur auf Flugplätzen verkehren sollen, die definitionsgemäß "flughafentypische" Einrichtungen unterhalten. § 38 Abs. 2 LuftVZO differenziert zwischen Verkehrsflughäfen (Nr. 1) und Sonderflughäfen (Nr. 2). Verkehrsflughäfen stehen als Flughäfen des allgemeinen Verkehrs (vgl. auch § 6 Abs. 3 S. 1 LuftVG) im Gemeingebrauch der Luftfahrt und sind damit allgemein zugänglich (öffentlich), während bei Sonderflughäfen der Benutzerkreis entsprechend der jeweiligen Zweckbestimmung eingeschränkt ist (z.B. militärische Flughäfen). Vgl. zum ganzen Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 6 Rn. 9 ff.; Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 5 ff. 149 Aufgrund der Novellierung des LuftVG durch Art. 4 des Planungsvereinfachungsgesetzes v. 17.12.1993 (BGBI. I, S. 2123), kann jetzt nach § 8 Abs. 2 LuftVG n.F. an Stelle des Planfeststellungsbeschlusses auch eine (bloße) Plangenehmigung erteilt werden, wenn Rechte anderer nicht berührt werden bzw. die Betroffenen sich mit der Inanspruchnahme ihres Eigentums oder eines anderen Rechts schriftlich einverstanden erklärt haben und wenn mit den Trägem öffentlicher Belange, deren Aufgabenbereich durch das Vorhaben berührt wird, das Benehmen hergestellt worden ist. Die Plangenehrnigung hat dann zwar die Rechtswirkung der Planfeststellung nach § 9 Abs. 1 LuftVG, auf ihre Erteilung finden die Vorschriften über das PIanfeststellungsverfahren jedoch keine Anwendung. Da die obigen Voraussetzungen fiir eine Plangenehrnigung bei der Planung von Großprojekten wie Verkehrsflughäfen wohl nie vorliegen werden, wird aber auf eine weitere Darstellung verzichtet; zur Plangenehmigung nach dem Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz v. 16.12.1991 (BGBI. I, S. 2174) vgl. z.B. Klinski/ Gaßner, NVwZ 1992, 235 (236 f.); Ronellenjitsch, DVBI. 1991, 921 (930 f.). 150 Dazu eingehend Giemulla/Schmid, LuftVG, § 8 Rn. 8 ff.; Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 8 Rn. 10 ff., Rn. 21 und § 9 Rn. 1 ff. sowie allgemein Bank, in: Stelkens/BonklLeonardt, VwVtG, § 72 Rn. 9 f., § 75 Rn. 3 ff.; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 35 ff. 151 Nach wohl herrschender aber nicht unumstrittener Auffassung, bewirkt die PIanfeststellung zwar eine Zuständigkeits- und Verfahrenskonzentration; die materiellen Vorschriften der ersetzten Genehmigungen bleiben aber unberührt. Das unverzichtbare materielle Sekundärrecht ist demnach strikt anzuwenden, sonstiges materielles Recht, das nur Berück-
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 241
Ersetzungs- bzw. Konzentrationswirkung ausgenommen sind nach § 9 Abs. 1 S. 3 LuftVG lediglich die Entscheidung über die Einrichtung einer Flugsicherung l52 sowie erforderliche Baugenehmigungen i53 • Außerdem werden, mit Ausnahme der in § 9 Abs. 1 S. 3 LuftVG genannten Fälle, alle öffentlichrechtlichen Beziehungen zwischen dem Untemebmer und den durch den Plan Betroffenen rechtsgestaltend geregelt (§ 9 Abs. 1 S. 2 LuftVG). Schließlich werden durch die Planfeststellung nach Unanfechtbarkeit des Beschlusses alle Unterlassungs-, Änderungs- und Beseitigungsansprüche ausgeschlossen, gleichgültig ob sie aus dem Privatrecht oder aus dem öffentlichen Recht hergeleitet werden (§§ 9 Abs. 3, 11 LuftVG, § 75 Abs. 2 S. 1 VwVfG).I54 Treten nach Unfechtbarkeit des Planfeststellungsbeschlusses nicht vorhersehbare nachteilige Wirkungen des Vorhabens auf (z.B. Lärmbelastungen), so kann der Betroffene allerdings nachträgliche Schutzvorkehrungen oder gegebenfalls Entschädigung in Geld verlangen (§ 75 Abs. 2 S. 2 - 5 VwVfG).155 2. Planerische Gestaltungsfreiheit
Zentrales Element der materiellen Planfeststellung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das mit der Fachplanungsersichtigung oder Optimierung erfordert, ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen (sog.
formelle Konzenlrationswirkung); vgl. dazu zuletzt BVerwG, DVBl. 1992, 1435 (1436 f.) mit zahlreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Kühling, Fachplanungsrecht, S. 148 ff. Rn. 335 ff.; Wahl, NVwZ 1990, 426 (430), jeweils m.w.N.; speziell für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 8 Rn. 21; GieTTUllla/Schmid, LuftVG, § 8 Rn. 10; a.A. z.B. Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 67 ff., mit Belegen zum
Theorienstreit. 152 Vgl. § 27d Abs. 1 und 4 LuftVG; zur Rechtslage vor Inkrafttreten des 10. Änderungsgesetzes zum LuftVG (vom 23.7.1992, BGBl. I, S. 1370) vgl. BVerwG, ZLW 1989, 167 (168 ff.). 153 Allerdings bleiben nach § 38 S. 1 BauGB die Vorschriften des LuftVG von den Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB unberührt; § 38 BauGB enthält die gesetzliche Anordnung eines, das Bauplanungsrecht verdrängenden Vorrangs zugunsten des angeführten Fachplanungsrechts. Daraus folgt nach jüngster Rechtsprechung des BVerwG, daß es trotz § 9 Abs. 1 S. 3 LuftVG der luftverkehrsrechtIichen Planfeststellung überlassen bleibt, sämtliche bauplanungsrechtlichen und auch bauordnungsrechtlichen Festlegungen zu treffen, die im Rahmen der Abwägung erforderlich sind, um der fachplanerischen Zielsetzung zu entsprechen; vgl. BVerwG, UPR 1991, 27 (28); BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 (127). Insofern kommt die Erteilung einer Baugenehmigung nur ergänzend in Betracht, nämlich soweit mit der Planfeststellung über bestimmte etwa bauordnungsrechtliche - Gesichtspunkte des Vorhabens nicht entschieden worden ist; so BVerwG, UPR 1991,127 (129); dazu Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 9 Rn. 11; zum Verhältnis Baurecht - luftverkehrsrechtliche Planfeststellung vgl. auch Dölker, BayVBl. 1975, 377 (378 ff.); GieTTUllla, ZLW 1985, 44 (52 ff.) sowie allgemein Paelow, UPR 1990, 321 ff. (insb. 323 ff.).
154 Zum Verhältnis von § 9 Abs. 3 LuftVG zu § 11 LuftVG vgl. Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 9 Rn. 100 ff.; GieTTUllla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 11. 155 Dazu Bonk, in: Stelkens/BonklLeonardt, VwVfG, § 75 Rn. 24 ff.; GieTTUllla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 12a; Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 9 Rn. 104. 16 Hermann
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
mächtigung verbundene Planungsermessen, welches auch durch den Begriff der planerischen Gestaltungsfreiheit umschrieben wird. 156 Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Fixierung ergäbe sich dieses aus der Übertragung der Planungsbefugnis auf die Planfeststellungsbehörde. Die §§ 8, 10 Abs. 1 LuftVG hätten nicht nur verwaltungsverfahrensrechtliche Bedeutung, sondern enthielten - vornehmlich - auch die materielle Ermächtigung der Planfeststellungsbehörde zur luftverkehrsrechtlichen Planung selbst. 157 Diese Befugnis zur Planung schließe notwendigerweise Gestaltungsfreiheit ein, weil Planung ohne Gestaltungsfreiheit ein Widerspruch in sich wäre. 158 Planerische Gestaltungsfreiheit wird als notwendiges Korrelat der Planung angesehen. 159 Ihrem Gegenstand nach erstrecke sie sich in umfassender Weise auf schlechthin alle planerischen Gesichtspunkte, die zur möglichst optimalen Verwirklichung der gesetzlich vorgegebenen Planungsaufgabe, aber auch zur Bewältigung der vom Planungsvorhaben in seiner räumlichen Umgebung erst aufgeworfenen Probleme von Bedeutung sind. l60 Das schließe die Ermächtigung ein, in Rechte und Interessen Einzelner einzugreifen. 161 Dieser Rechtsprechung liegt ein materieller (Fach-)Planungsbegriff zugrunde, den Kühling 162 näher ausformuliert hat: Bei bestimmten Entscheidungen, die an ihrer gesetzlichen Grundlage und an bestimmten Sachanforderungen erkennbar seien, bestehe eine weitgehend übereinstimmende materielle Bindung. Ihre Rechtsgrundlage sei durch ein offenes Entscheidungsprogramm (Zweckprogramm) gekennzeichnet, was einen weiten Handlungsspielraum eröffne. In sachlicher Hinsicht seien die (zu treffenden) Entscheidungen durch Zielkonflikte gekennzeichnet, die zu einer kompromißhaften Lösung drängten. Diese Voraussetzungen lägen typischerweise bei den Vorhaben der öffentlichen Infrastruktur vor, die unter dem Begriff "Fachplanung" zusammen156 Grundlegend, rur das Bauplanungsrecht BVeIWGE 34, 301 (304); durch BVeIWGE 48, 56 (59) auf die femstraßenrechtliche Planfeststellung, durch BVeIWGE 55, 220 (226) auf die wasserrechtliche Planfeststellung, durch BVeIWGE 56, 110 (116) auf die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung übertragen; siehe zur Entwicklung der Rechtsprechung auch Börger, Planungsentscheidungen, S. 153; [bier, Schranken, S. 41 f.; der Begriff "planerische Gestaltungsfreiheit" wurde durch Hoppe (BauR 1970, 15 [16]) geprägt. 157 BVeIWGE 56, 110 (116); E 75,214 (232); E 87,332 (341). 158 Vgl. die Nachweise Fn. 156 und 157; kritisch dazu Börger, Planungsentscheidungen, S. 150, S. 153 ff., im Hinblick auf die Vereinbarkeit einer solchen Ermächtigung mit dem verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt. 159 BVeIWGE 34, 301 (304); rur die luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung BVeIWGE 56, 110(116). 160 So z.B. BVeIWGE 52, 237 (245); BVeIWGE 56, 110 (116); zuletzt BVeIWGE 87, 332 (341); vgl. dazu auch Geiger, NuR 1982, 127 (129). 161 BVeIWGE 75,214 (232); Hojmann/Grabherr, LuftVG, § 10 Rn. 25. 162 Kühling, Fachplanungsrecht, S. 3 Rn. 4, S. 9 Rn. 17; zustimmend Wahl, NVwZ 1990, 426 (427).
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 243
gefaßt werden könnten. Maßgebliche Rechtsbindungen für solche Entscheidungen ergäben sich aus dem Abwägungsgebot mit bestimmten Anforderungen an die Entscheidungsfindung (Abwägungsvorgang) und an das Ergebnis. In solchen Konstellationen entstehe das Bedürfnis nach spezifischer (planerischer) Abwägung dadurch, daß auf der Ebene der öffentlichen Belange ein Konflikt zu lösen sei. 163 Die Annahme planerischer Gestaltungsfreiheit im Rahmen der Fachplanung wird vielfach dogmatisch mit der These zu untermauern versucht, daß Vorschriften, die Planungsermessen eröffneten, sich bereits in ihrer Normstruktur von anderen, Verwaltungsermessen regelnden Normen unterschieden. 164 Während die "herkömmlichen" Ermessensvorschriften durch den punktuellen Vollzug der Norm, d.h. durch die bloße Subsumtion von Rechtsbegriffen unter Ermessen einräumende Rechtsnormen bestimmt seien (Auswahlentscheidung), also einem "Wenn-Dann-Schema" folgten und konditionalen Charakter hätten, gehe es bei Planungsentscheidungen nicht um einen solchen Nachvollzug prinzipiell determinierter Generalentscheidungen, sondern um eine eigenschöpferische Zielverwirklichung, wenn auch auf der Grundlage von vorgegebenen Ziel- und Mitteldirektiven. 165 Planungsnormen seien daher im Unterschied zu sonstigen Ermessensnormen, nach einem "Ziel-MittelSchema" aufgebaute Zweck- bzw. Finalprogramme. 166 Dem entspreche auch eine grundsätzlich andere Entscheidungssituation. Bei "herkömmlichen" Verwaltungsentscheidungen stünden sich regelmäßig einzelne Interessen wechselbezüglich gegenüber, bei Planungsentscheidungen sei dagegen ein rechtsgestaltender Ausgleich zahlreicher, in ihrem Verhältnis zueinander komplexer und vielfältig verschränkter, öffentlicher und privater Interessen zu treffen. Es gehe um ein mehrdimensionales Abwägen im Geflecht öffentlicher Belange. 167 Die Interdependenz der Planungselemente zeige sich darin, daß die Bevorzu-
Dazu Wahl, NVwZ 1990, 426 (427); Kühling, Fachplanungsrecht, S. II Rn. 23. Vgl. als exponierte Vertreter dieser Auffassung z.B. Bathira, in: FS f. BayVerfGH, S. 170 ff.; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, S. 106 ff.; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 120 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 165 Vgl. insb. Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 120 ff.; Hoppe, in: Handbuch des Staatsrecht, § 71 Rn. 19 und die Darstellung bei Hügel, Dritte als Betroffene, S. 45, jeweils m.w.N. 166 Hoppe, in: Festgabe f. BVerwG, S. 300 f.; tiers., in: Handbuch des Staatsrechts, § 71 Rn. 19; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 121; vgl. auch die Darstellung bei Börger, Planungsentscheidungen, S. 147 f. und bei [bler, Schranken, S. 36 ff., jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 167 Nach Ronellenfitsch, Planungsrecht, S. 7, ist das Verwaltungsermessen durch die Bewältigung von Interessengegensätzen, das Planungsermessen durch die Gestaltung von Interessengeflechten gekennzeichnet. Der Begriff "Interessengeflechte" wurde von Weyreuther geprägt, vgl. Weyreuther, DÖV 1977,419 (420). 163 164
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
gung eines Belangs zwangsläufig, in einer Art Kettenreaktion, zahlreiche andere Belange berühre und teilweise zurückstelle. 168 Die Prämisse von der unterschiedlichen Nonnstruktur wird aber zunehmend in Frage gestellt. Nach einer umfangreichen rechtstheoretischen Untersuchung von Rubel169 lassen sich Planungsennessensnonnen ebenso wie Verwaltungsennessensnonnen auch "konditional" darstellen. Die tatsächlich bestehenden Unterschiede seien nicht grundlegender, sondern nur gradueller Art. Die Nonnstruktur sei daher nicht geeignet, die Herausbildung einer eigenständigen, qualitativ vom Verwaltungsennessen zu unterscheidenden Kategorie zu tragen. Erbguth l70 hat jüngst die Frage aufgeworfen, ob für die Programmierung der Verwaltung nicht immer gesetzliche Zwecke maßgeblich sind, so daß die strenge Unterscheidung zwischen finalem und konditionalem Handeln nicht aufrechterhalten werden könne. Im übrigen führe allein die Notwendigkeit einer mehrdimensionalen Abwägung öffentlicher Belange keineswegs zwingend zur Annahme planerischer Gestaltungsfreiheit, gebe es doch genügend Beispiele für Entscheidungen aufgrund eines Ausgleichs zwischen vielfältigen (öffentlichen) Belangen, die keine solchen planerischer Art seien. 171 Die These vom Plancharakter der Planfeststellung im Sinne einer qualitativen Andersartigkeit im Vergleich zu sonstigen Ennessensentscheidungen, kann tatsächlich mit guten Gründen in Frage gestellt werden. 172 Dies nicht zuletzt deshalb, weil auch die Planfeststellung zahlreichen rechtlichen Bindungen unterliegt, die sich nicht im Gebot umfassender und gerechter Abwägung erschöpfen. 173 Hinzukommt, daß das Planfeststellungsverfahren in wesentlichen Beziehungen kaum dem Bild planerischen HandeIns entspricht. Wenn Planung wesentlich durch eigenschöpferische Zielverwirklichung im Rahmen gesetzlich vorgegebener Ziel- und Mitteldirektiven gekennzeichnet sein soll174, so impliziert dies zukunftsgerichtete, entwicklungsbetonte und eigenständige Gestaltung. Das Planfeststellungsverfahren ist aber weithin weder 168
Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 123; dazu auch BVerwGE 34, 301 (309).
Rubel, Planungsennessen, S. 60 ff.; ihm weitgehend folgend Beckmann, DÖV 1987, 944 (947 ff.); ähnlich [bier, Schranken, S. 38; kritisch auch Koch, DVBI. 1983, 1125. 169
170
Erbgurh, DVBI. 1992, 398 (401).
Erbgurh, DVBI. 1992, 398 (401), nennt als Beispiele das Beamtenrecht und das Ausländerrecht. 172 Auf die aber im Rahmen der AufgabensteIlung der vorliegenden Arbeit nicht näher eingegangen werden kann. 173 Vgl. dazu näher unten 3. a. und b. Man denke auch an die nur fonnelle Konzentrationswirkung der Planfeststellung, die die materiellen Bindungen der ersetzten Zulassungen, Genehmigungen usw. für das Planfeststellungsverfahren unberührt läßt; dazu auch Erbgurh, DVBI. 1992, 398 (400). 174 Vgl. nur Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 121 f. 171
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Pluglärmschutz 245
zukunftsgerichtet, noch entwicklungsbetont und konzeptionell. 175 Denn abgesehen davon, daß die Planfeststellung vielfach großräumige Planungen nur umsetzt und "verfeinert"176, spricht gegen einen originären planerischen Vorgang, daß die vom Vorhabensträger eingebrachte Planung weitgehend nur überprüft und "abwägend nachvollzogen" wird. 177 Für die Entwicklung eigener Planungsalternativen oder etwa der detailgerechten Planung technischer Schutzvorkehrungen bleibt kaum Raum; die Planfeststellungsbehörde ist insoweit auf den Vorhabensträger angewiesen. 178 Kaum bezweifelt werden kann aber, daß der im Rahmen der Planfeststellung geforderten mehrdimensionalen Abwägung der von dem Vorhaben betroffenen Belange l79 ein weiter Handlungsspielraum der Planfeststellungsbehörde entsprechen muß: Im Vordergrund der Planfeststellung steht die Verortung eines komplexen Vorhabens in seine räumliche Umgebung. Da das Vorhaben seine Umwelt regelmäßig erheblich verändern wird, müssen die zahlreichen und vielgestaltigen dadurch betroffenen Belange in einem umfassenden und komplexen Abwägungsvorgang zum Ausgleich gebracht werden. l80 Dies kann nur gelingen, wenn jeder Belang grundsätzlich einem Abwägungsvorbehalt untersteht; die Planfeststellungsbehörde muß einen Belang anderen Belangen vorziehen oder nachordnen dürfen. 181 Eben dies bedeutet aber ein "quantitatives Mehr"lgz an Ermessensspielraum im Vergleich zu rein ordnungsrechtlichem Verwaltungshandeln und dieser graduelle Unterschied
175 Darauf weist vor allem Erbguth, DVBI. 1992, 398 (403) hin. 176 Z.B. Ziele der Raumordnung und Landesplanung; bei der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung sind zudem die zumindest faktischen Bindungswirkungen einer vorhergehenden Genehmigung nach § 6 LuftVG zu bedenken; dazu schon ausfiihrIich oben I. 2. c. 177 Vgl. BVerwGE 72, 365 (367); Erbgulh, DVBI. 1992, 398 (403); Kühling, Fachplanungsrecht, S. 7 Rn. 13, S. 79 Rn. 180; ders., DVBI. 1989,221; dazu auch Steiner, Straßenund Wegerecht, S. 624 Rn. 57 mit Fn. 81. 178 Kühling, Fachplanungsrecht, S. 13 f. Handelt es sich bei dem Vorhabensträger um eine Behörde (Straßenplanung) oder um ein zwar privatrechtlich organsiertes, aber von der öffentlichen Hand gehaltenes Unternehmen (Verkehrsflughafenplanung), werden AntragssteIler und Behörde allerdings eng zusammenwirken; zu den rechtlichen Grenzen einer solchen Kooperation vgl. BVerwGE 75,214 (230 ff.), im Zusammenhang mit der Flughafenplanung München. 179 Zur fachplanerischen Abwägung ausfiihrIich unten 3. c. 180 Vgl. nur Wahl, DVBI. 1982,51 (53 f.). 181 Das BVerwG sieht in dieser eigenverantwortlichen Entscheidung über die Vorzugswürdigkeit von Belangen und im Setzen von Prioritäten das Essentiale der planerischen Gestaltungsfreiheit, vgl. BVerwGE 34, 301 (309); dazu auch Wahl, DVBI. 1982, 51 (54 f.). Zu den insoweit bestehenden rechtlichen Anforderungen und Bindungen, die an Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis zu stellen sind, vgl. näher unten 3. c. CC. 1112 So Hügel, Dritte als Betroffene, S. 54.
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
zum sonstigen Verwaltungsermessen 183 kann mit dem Begriff der (planerischen) Gestaltungsfreiheit wnschrieben werden. 184 3. Schranken der planerischen Gestaltungsfreiheit
Der eben skizzierte (planerische) Gestaltungsspielrawn ist nicht unbegrenzt und schrankenlos. Es entspricht vielmehr dem Wesen rechtsstaatlicher Planung, daß jede Planung rechtlichen Bindungen unterworfen ist.18~ Solche Bindungen ergeben sich teilweise wunittelbar aus besonderen Regelungen des zur Planung ermächtigenden Gesetzes (hier des LuftVG), teilweise aus allgemeinen rechtsstaatIichen Grundsätzen. 186 Von diesem Ansatzpunkt ausgehend, hat das Bundesverwaltungsgericht einen Schrankenkanon entwickelt, der Begrenzungen der planerischen Gestaltung in formeller und materieller Hinsicht enthält. 187 Danach ergeben sich formelle Schranken aus der Bindung der Planfeststellungsbehörde an das in § 10 LuftVG normierte Verwaltungsverfahren. Materielle Schranken folgen aus dem Erfordernis einer der luftverkehrsrechtlichen Zielsetzung entsprechenden Planrechtfertigung (unter a.), aus den gesetzlichen Planungsleitsätzen (unter b.) und vor allem aus den Anforderungen des sich auf Abwägungsvorgang und Abwägungsergebnis erstreckenden Abwägungsgebots (unter c.).
a) Planrechtjertigung Eine erste, relativ grobe Schranke der planerischen Gestaltungsfreiheit folgt aus dem Erfordernis der "Planrechtfertigung". Dieses ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus der Erwägung, daß eine hoheitliche Planung ihre Rechtfertigung nicht etwa schon in sich selbst trägt, sondern in Hinblick auf die von ihr ausgehenden Einwirkungen auf Rechte Dritter, für die jeweils konkrete Maßnahme rechtfertigungsbedürftig ist. Für das Vorhaben muß nach Maßgabe der mit dem Fachplanungsgesetz allgemein 183 Dazu eingehend [bier, Schranken, S. 218 tT.; vgl. auch Weyreulher, DÖV 1977, 419 (420 tT.). 184 ÄImlich Hügel, Dritte als BetrotTene, S. 54 f. 18~ Ständige Rechtsprechung des BVeIWG, vgl. fiir die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung BVeIWGE 56, 110 (116); E 75,214 (232); E 87,332 (341). 186 BVeIWGE 56, 110 (116 f.); E 75,214 (232); E 87, 332 (341). 187 Zunächst für die femstraßenrechtliche Planfeststellung, vgl. BVeIWGE 48, 56 (59); das Schema wurde dann auf andere fachplanungsrechtliche Planfeststellungsverfahren übertragen, durch BVeIWGE 56, 110 (116 f.) auf die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung; dazu auch BVeIWGE 69, 256 (270); aus der Literatur Z.B. Sleinberg, Nachbarrecht, S. 134 Rn. 115 tT.; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 127.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 247
verfolgten Ziele ein Bedürfnis bestehen, d.h. es muß auf die mit dem Gesetz generell verfolgten öffentlichen Interessen ausgerichtet sein und es muß - bezogen auf das konkrete Planungsvorhaben - erforderlich sein. Erforderlich ist es nicht erst bei UnausweicWichkeit, sondern bereits dann. wenn es "vernünftigerweise geboten" erscheint. Diese Kriterien hat das Gericht zunächst für die Bauleitplanung aufgestelItI 88 , dann aber auch auf die straßemechtliche Planfeststellung l89 und auf die Planfeststellung für Verkehrsflughäfen l90 übertragen. Die Rechtfertigungsfabigkeit eines Vorhabens der Fachplanung hängt damit von zwei Faktoren ab. Zum ersten müssen die konkret verfolgten planerischen Ziele mit den Zielsetzungen des Fachplanungsgesetzes vereinbar sein. 191 Sie dürfen also z.B. nicht nur der Arbeitsbeschaffung, der Aufwertung bestimmter Liegenschaften oder einem Prestigebedürfnis dienen. l92 Zum zweiten muß die konkrete Planung erforderlich im Sinne von "vernünftigerweise geboten" sein. Der Begriff der Erforderlichkeit deutet auf das Grundrechtseingriffe rechtfertigende und begrenzende Prinzip der Verhältnismäßigkeit hin. Gleichwohl findet auf der Ebene der "Plamechtfertigung" keine substantielle Erforderlichkeitsprüfung statt. 193 Es wird weder die Erforderlichkeit im Sinne einer verfassungsrechtlich vorauszusetzenden Unumgänglichkeit, noch wie bei der Abwägung, in der Gegenüberstellung von Planungsalternativen und jeweils widerstreitenden Belangen kontrolliert l94 , vielmehr ist die Überprüfung darauf Vgl. BVelWGE 34, 301 (305); dazu auch Pfaff, Planungsrechtsprechung, S. 151 ff. Vgl. BVelWGE 48, 56 (60). 190 BVelWGE 56, 110 (118 ff.); E 75, 214 (232 ff.); vgl. auch VGH BW, VBlBw 1990, 56 (60). Anders als die straßenrechtliche Planfeststellung, kann sich die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung auch auf Vorhaben erstrecken, die allein im privaten Interesse des Flughafenbetreibers liegen. Rechtfertigungsbedürftig im obigen Sinne sind aber nur im öffentlichen Interesse betriebene Planungen. Allein privatnützige Planungen vermögen nach Auffassung des BVelWG grundsätzlich weder Eingriffe in Rechte Dritter rechtfertigen, noch entgegenstehende öffentliche Belange übelWinden; kritisch dazu Kühling, Fachplanungsrecht, S. 72 Rn. 165. Verkehrsflughäfen als Flughäfen, die i.S. des § 6 Abs. 3 LuftVG dem allgemeinen Verkehr dienen (vgl. auch § 38 Abs. 2 S. 1 LuftVZO), erfilllen aber wie Straßen öffentliche Zwecke und können daher entgegenstehende Belange grundsätzlich übelWinden; ihre Planung ist deshalb jedenfalls rechtfertigungsfähig aber auch rechtfertigungsbedürftig; vgl. BVelWGE 56, 110 (119); BayVGH, BayVBI. 1981,401 (405); dazu auch Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 127 mit Fn. 263. 191 Dazu eingehend /bIer, Schranken, S. 176 ff. 188 189
192 So Sleinberg, Nachbarrecht, S. 140 Rn. 129; vgl. auch Niehues, wiVelW 1985, 250 (257 f.); daran wird allerdings kaum jemals ein Planvorhaben scheitern; so zutreffend Kühling, Fachplanungsrecht, S. 73 Rn. 166. 193 Der Maßstab des "vernünftigeIWeise Gebotenen" könnte auch wohl schwerlich das letzte Wort zur Erforderlichkeit eines Vorhabens der Fachplanung sein; darauf weist Kühling, DVBI. 1989, 221 (223) hin. 194 Die konkrete Erforderiichkeit, also die Frage, ob einzelne Rechtspositionen tatsächlich überwunden werden können, wird erst im Rahmen der Abwägungskontrolle geprüft; vgl. Wahl, NVwZ 1990,426 (434); Erbgulh/Schink, UVPG, § 12 Rn. 63. Unklar insoweit BVelWGE 72,
248
3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
beschränkt zu untersuchen, ob das konkrete Vorhaben überhaupt geeignet und "vemünftigerweise geboten" ist, nach Maßgabe der Zielsetzungen des Fachplanungsgesetzes die Planungsziele zu verwirklichen. 195 Die für das Vorhaben streitenden öffentlichen Belange müssen nur generell geeignet sein, etwa entgegenstehende (Grund-)Rechtspositionen zu überwinden,l96 Die gerichtliche Kontrolle der Planrechtfertigung kann daher als erstes Plausibilitätsurteil für die allgemeine Zielkonfonnität l97 , als Vorabprüfung offensichtlicher MängeP98 charakterisiert werden,l99 Wenn sich allerdings das Unterbleiben der Planung als ebenso sinnvoll oder zweckmäßig erweist, ist die Planung nicht gerechtfertigt. 200 Was nun speziell die Verkehrsflughafenplanung anbelangt, so kann nach der Rechtsprechung die Erweiterung eines Verkehrsflughafens durch ein gesteigertes Verkehrsbedürfnis oder unter dem Gesichtspunkt notwendiger Sicherheitsanforderungen gerechtfertigt werden. 201 Die angesprochenen Sicherheits282 (284 ff.), wo die Erforderlichkeit eines Autobahnprojektes ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Planrechtfertigung betrachtet wird; kritisch zu dieser Rechtsprechung Kühling, DVBI. 1989,221 (223); Steinberg, Nachbarrecht, S. 141 f. Rn. 134 f.; ders., NVwZ 1986, 812 (813). "Klarstellend" dann aber BVerwGE 75, 214 (238), im Zusammenhang mit der Frage, ob die zutreffende Dimensionierung einer Flughafenanlage im Rahmen der Planrechtfertigung zu klären ist, wie die Vorinstanz (BayVGH) angenommen hatte: "Um eine PlÜfung der Pianrechtfertigung handelt es sich bei der Frage der zutreffenden Dimensionierung aber nicht. Denn dabei geht es nicht darum, ob das Vorhaben überhaupt erforderlich ist, sondern darum ob, es etwa infolge eines Abwägungsfehlers überdimensioniert ist" (Hervorhebungen vom Verfasser); vgl. auch BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 (119). 195 Niehues, WiVerw 1985, 250 (262 f.). 196 Kühling, DVBI. 1989, 221 (223 f.); Steinberg, Nachbarrecht, S. 140 Rn. 129; ders., NVwZ 1986, 812. Der Begriff "Planrechtfertigung" kennzeichnet insoweit (auch) die Errnächtigungsgrundlagenfunktion der Fachplanungsnorrnen fiir Eingriffe in Rechte Dritter durch die Planung; dazu eingehend Tbler, Schranken, S. 141 ff.; ders., NuR 1989, 247 (249); vgl. dazu auch Fn. 199. 197 BVerwGE 71, 166 (168); Kühling, Fachplanungsrecht, S. 177 Rn. 405; ders., DVBI. 1989, 221 (223); Steinberg, Nachbarrecht, S. 141 Rn. 133; Wahl, NVwZ 1990, 426 (434). 198 Niehues, WiVerw 1985, 250 (253); VGH BW, VBIBW 1982, 202 (205). 199 Nach Kühling, Fachplanungsrecht, S. 73 f. Rn. 164, ders., DVBI. 1989,221 (223), dient daher die Stufe der Planrechtfertigung im Ergebnis in erster Linie nur der Vergewisserung, daß es fiir Vorhaben, die enteignungsrechtliche Vorwirkung entfalten können (vgl. z.B. § 28 LuftVG fiir die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung) eine gesetzliche Grundlage i.S.d. Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG gibt; zustimmend Wahl, NVwZ 1990, 426 (434); in diese Richtung auch schon Ibler, Schranken, S. 141 ff.; eingehend zum Zusammenhang enteignungsrechtliche Vorwirkung und Planfeststellung Niehues, WiVerw 1985, 250 (254 ff.). 1m übrigen wird das Mißverhältnis zwischen theoretischem Aufwand und praktischem Nutzen beklagt. 200 So BVerwG, NVwZ 1989, 149; Wahl, NVwZ 1990,426 (434 mit Fn. 109); Kühling, DVBI. 1989, 221 (224). 201 Vgl. BVerwGE 56, 110 (119 f.), zur Erweiterung des Flughafens Frankfurt ("Startbahn West"); BVerwG, NVwZ-RR 1991, 129 (130), zur Erweiterung des Flughafens Stuttgart; OVG NW, ZLW 1991,61 (70 ff.), zur Erweiterung des Flughafens Düsseldorf; dazu auch Ba-
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 249
anforderungen können sich sowohl auf die Abwehr von Gefahren für die Sicherheit des Luftverkehrs selbst, als auch von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch die Luftfahrt beziehen (vgl. § 29 Abs. 1 S. 1 LuftVG). Die Planung eines neuen Verkehrsflughafens als Ersatz für einen vorhandenen kann gerechtfertigt sein, weil der vorhandene Flughafen nicht in der Lage ist, das künftig zu erwartende Verkehrsaufkommen zu bewältigen und/oder zu untragbaren Immissions-, insbesondere Lärmbelastungen führt und/oder eine Gefährdung der Bevölkerung in der dicht besiedelten Umgebung des alten Flughafens darstellt. 202 Daß auch Gründe des Lärmschutzes die Ersetzung eines vorhandenen Flughafens rechtfertigen können, wird unter Hinweis auf § 6 Abs.2 S. 1 LuftVG ("Schutz vor Fluglärm"), auf § 50 BImSchG sowie auf das Fluglärmgesetz (FlugLG) begründet. Bei Lärmbelastungen handele es sich um schädliche Umwelteinwirkungen, die der Gesetzgeber sowohl gesondert durch § 6 Abs.2 S. 1 LuftVG, als auch allgemein durch § 50 BImschG zu berücksichtigen gebiete. Aus dem FlugLG könne die gesetzgeberische Bewertung entnommen werden, daß wegen der Fluglärmbelastung die Umgebung von Flughäfen möglichst von Wohnsiedlungen freizuhalten sei. Die Planung könne daher auch mit den Zielen des FlugLG gerechtfertigt werden. 203 Damit werden Belange des (Flug-)Lärmschutzes schon auf der Ebene der Planrechtfertigung beachtlich. 204
b) Planungs[eitsätze
Eine weitere Bindung der planerischen Gestaltungsfreiheit ergibt sich aus den im Fachplanungsgesetz und in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Planungsleitsätzen. Der Begriff der "Planungsleitsätze" hat in den letzten Jahren in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren. 205 Die frühere Rechtsprechung und mit ihr die herrschende Literaturmeinung unterschied zwischen vorhabensbezogenen "internen" Leitsätzen, die auf die - möglichst optimale - Erfüllung der Aufgaben gerade des spezifischen Fachplanungsbereichs ausgerichtet seien und "externen" Leitsätzen, die (nur) gewichtige abwägungserhebliche Belange
dura, Rechtsfragen, S. 30; Dürr, VBIBW 1992, 321 (322); Hofmann/Grabherr, LuftVG, § 10 Rn.27. 202 Vgl. BVerwGE 75,214 (232 f.). Vgl. BVerwGE 75, 214 (232 ff./238), zur Neuanlage des Flughafens München. Vgl. dazu, insbesondere im Hinblick auf die Umweltverträglichkeitsprilfung, auch ErbgUlh/Schink, UVPG, § 12 Rn. 62. 205 Zur Entwicklung des Begriffs in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und die von der Literatur daraus gezogenen Folgerungen ausfiihrlich [bier, Schranken, S. 181 ff. 203
204
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen
enthielten. 206 Zwischenzeitlich wurde nicht nur diese Differenzierung zwischen internen und externen Leitsätzen aufgegeben201 ; seit der insofern grundlegenden Entscheidung vom 23.3.1985208 versteht das Gericht auch unter Planungsleitsätzen nur noch solche Vorschriften, die für die Planung strikte Beachtung verlangen und somit durch planerische Abwägung nicht überwunden werden können. Solche Leitsätze könnten sowohl in den Fachplanungsgesetzen enthalten sein, als sich auch aus sonstigen Vorschriften ergeben209 ; verwiesen wird insoweit auch auf die nur formelle Konzentrationswirkung der Planfeststellung, die zwingende materielle Regelungen des Sekundärrechts unberührt lass&lO. Von diesen zwingenden Planungsleitsätzen hebt das Gericht solche Regelungen ab, die ihrem Inhalt nach (nur) Zielvorgaben für die Planung enthielten und erkennen ließen, daß diese Zielsetzungen bei Konflikten mit anderen Zielen zumindest teilweise zurücktreten könnten. Typisch hierfür seien etwa Regelungen mit einem Optimierungsgebot, welches (nur) eine möglichst weitgehende Beachtung bestimmter Belange fordere. 211 Die Bedeutung solcher Berücksichtigungs- und Optimierungsgebote läge darin, daß sie Zielvorgaben enthielten, denen bei der Abwägung ein besonderes Gewicht zukäme und die so die planerische Gestaltungsfreiheit einengten. So müßten beispielsweise im Rahmen der Abwägungsentscheidung bei Prüfung der Frage, ob Belange in einer Weise fehlgewichtet seien, die mit ihrem objektiven Gewicht nicht zu vereinbaren sei, diese gesetzlichen Vorgaben besonders beachtet werden. 212 Mit den Begriffen Berücksichtigungs- bzw. Optimierungsgebot213 bezeichnet die Rechtsprechung nunmehr also solche Regelungen, die vormals als planeri206 Vgl. BVerwGE 48, 56 (61 ff.); E 61, 295 (298); aus der Literatur Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 116 f., S. 137 ff.; Steinberg, NVwZ 1986, 812 (814). 207 Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 102 Rn. 233; Sreinberg, NVwZ 1986, 812 (814); [bier, Schranken, S. 185. 208 BVerwGE 71, 163 ff. 209 BVerwGE 71, 163 (164). 210 BVerwG, a.a.O.
211 BVerwGE 71, 163 (165); BVerwG, NVwZ 1991, 69 (70); in diesem Sinne auch [bier, Schranken, S. 183; tiers., DVBI. 1988,469. 212 BVerwGE 71,163 (165); BVerwG, NVwZ-RR 1991,118 (120). 213 In der Literatur wird zwischen beiden Begriffen häufig nicht differenziert, vgl. z.B. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 90 f. Rn. 208 ff., S. 102 Rn. 232; Steinberg, Nachbarrecht, S. 145 ff. Rn. 145 ff. Anders Hoppe, DVBI. 1992, 853, der zutreffend zwischen Vorschriften, die nur eine (besondere) Berücksichtigung im Wege der Abwägung erfordern (Berücksichtigungsgebote) und solchen, die für die Abwägung eine wirkliche Optimierung bestimmter Belange im Vergleich zu anderen Belangen erfordern (Optimierungsgebote) unterscheidet. "Bloße" Berücksichtigungsgebote beeinflußten in erster Linie den Gewichtungsprozeß der Abwägung, während Optimierungsgebote ihre steuernde Funktion vornehmlich in der Phase des Ausgleichs von Belangen entfalten würden und dort auf das Optimum und Maximum zustreben würden, Hoppe, a.a.O, S. 856, S. 859 f.; vgl. auch Funke, DVBI. 1987,511 (516).
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 251
sche Leitsätze verstanden wurden. 214 Diese wohl nur kIassifikatorisch zu verstehende Reduzierung des Terminus "Planungsleitsätze" ist in der Literatur verschiedentlich auf Kritik gestoßen. Bei den planungsrechtlichen Leitsätzen i.S. der neueren Rechtsprechung handle es sich um eine spezifische Ausprägung des Grundsatzes vom Vorrang des Gesetzes und damit um eine, eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringende und somit überflüssige Planungskategorie, die allenfalls Verwirrung stifte. 215 Abgesehen davon ließen sich strikte Planungsleitsätze praktisch nicht benennen. 216 Fehl gehe schließlich auch der Hinweis auf die strikte Bindungwirkung des bei der Planfeststellung wegen der nur formellen Konzentrationswirkung anzuwendenden materiellen Sekundärrechts. Diese zwingenden materiellen Anlagenormen des Sekundärrechts wären als planerische Leitsätze gründlich mißverstanden. 217 In der Folge wird dann teilweise an der überkommenen Terminologie festgehalten und für obengenannte Berücksichtigungs- und Optimierungsgebote weiterhin die Bezeichnung "Planungsleitsatz" verwandt. 218 Die Auseinandersetzung um die "richtige" Terminologie soll hier aber nicht aufgegriffen werden. Diskussionswürdiger im Hinblick auf die AufgabensteIlung der vorliegenden Arbeit erscheint die Frage, ob und inwieweit der Schutz vor Fluglärm als Planungsleitsatz im herkömmlichen Verständnis (bzw. als Berücksichtigungs- und Optimierungsgebot nach neuerem Verständnis der Rechtsprechung) anzusehen ist und gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Als planerische Zielvorgabe2 19 könnte der Fluglärmschutz nämlich schon insoweit22O den Abwägungsvorgang bei der luftverkehrsrechtlichen Planfeststellung in erheblichem Maße steuern und die Argumentationslast zugunsten des hervorgehobenen Belangs bei der Abwägungsentscheidung verschieben. 221 Denn wenn ein Vorhaben Belange beeinträchtigen können soll, Kühling, Fachplanungsrecht, S. 102 Rn. 233; Sleinberg, NVwZ 1986, 812 (815). So [bier, Schranken, S. 191 f.; auf ihn bezieht sich Hoppe, DVBl. 1992, 853 (854); ähnlich Kühling, Fachplanungsrecht, S. 102 Rn. 233. Kuschnerus, DÖV 1987, 409 (411), will auf das Merkmal "Einhaltung der Planungsleitsätze" als eigenständige Planungskategorie gänzlich verzichten. 216 Hoppe, DVBl. 1992, 853 f.; Dürr, VBIBW 1992, 321 (322); ders., UPR 1993, 161 (162), bezeichnet § 1 Abs. 3 BFStrG als einzig allgemein anerkannten strikten Planungsleitsatz des Fachplanungsrechts; zu weiteren strikten Leitsätzen allerdings [bier, Schranken, S. 186 f. 217 Sleinberg, Nachbarrecht, S. 147 Rn. 149; ders., NVwZ 1986, 812 (815). 218 So durchgehend z.B. Sleinberg, Nachbarrecht, S. 142 ff. Rn. 137 ff.; Peine, DÖV 1988, 937 (942). 219 BVerwGE 71,163 (165); BVerwG, NVwZ 1991, 69 (70). 214
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220 Zu den Bindungs- und Begrenzungswirkungen, die sich aus der Schutzauflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG im Hinblick auf die Berücksichtigung des Fluglärms bei der fachplanerischen Abwägung ergeben, vgl. näher unten B. U. 221 Vgl. dazu allgemein Kühling, Fachplanungsrecht, S. 101 Rn. 232.
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
die nach dem Willen des Gesetzgebers bei der Planung besonders zu schützen, zu pflegen oder zu fördern sind, dann bedarf es zur Rechtfertigung gewichtigerer sachlicher RechtfertigungsgrüDde; der Punkt an dem die Abwägung nicht mehr ausgeglichen erscheint, wird eher erreicht. Z22 In früheren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht dem Immissionsschutz und damit auch dem Lärmschutz die Eigenschaft als Planungsleitsatz (im herkömmlichen Sinne) abgesprochen. 223 Er stelle zwar einen gewichtigen abwägungserheblichen Belang dar, bestimme aber nicht als planerischer Leitsatz das eigentliche Ziel der fernstraßemechtlichen (bzw. der luftverkehrsrechtlichen) Planung mit. Diese sei gerade auf die Erfüllung der spezifischen Aufgaben ihres Fachplanungsbereichs ausgerichtet; ihr Ziel sei nicht die Optimierung des Immissionsschutzes. Diese Auffassung ist aber nicht mehr haltbar, denn die Aufgabe der Verkehrswege- bzw. Flughafenplanung ist mit Blick auf den Lärmschutz auch und gerade in der umweltgerechten Realisierung des Vorhabens zu sehen. 224 Eine solche Zielbindung der Flughafenplanung hat auch in mehreren gesetzlichen Vorschriften ihren Niederschlag gefunden: Nach dem Trennungsgebot des § 50 BlmSchG sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen, die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, daß schädliche Umwelteinwirkungen auf Wohngebiete sowie auf sonstige schutzbedürftige Gebiete soweit wie möglich vermieden werden. Der Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen wird in § 3 Abs. 1 BImSchG legal definiert. Danach sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß und Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Nachbarschaft herbeizuführen. Als Immissionen bezeichnet das Gesetz u.a. auch Geräusche (§ 3 Abs. 2 BImSchG). Bei raumbedeutsamen Planungen wie z.B Flughafenplanungen sind also auch Lärmbeeinträchtigungen, die sich als Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen auswirken können, soweit wie möglich durch entsprechende Plangestaltung zu vermeiden. § 50 BImSchG wird von der ganz herrschenden Meinung als Optimierungsgebot im obigen Sinne verstanden. 225 Dieser Auffassung hat sich auch das BundesverWahl, NVwZ 1990, 426 (437); Kühling, Fachplanungsrecht, S. 101 Rn. 232. BVeIWGE 48,56 (62 f.); E 61, 285 (298 ff.); offengelassen in BVeIWGE 71, 150 (154); zustimmend W.F. SchmidJ, Entschädigung, S.65, Schroeter, DVBI. 1979, 14 (15), tur die straßenrechtliche Planfeststellung; BadJlra, Rechtsfragen, S. 30, tur die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung. 224 Vgl. Peine, DÖV 1988, 937 (942); Steinberg, Nachbarrecht, S. 145 Rn. 144; ders., NVwZ 1986, 812 (814); kritisch auch Kügel, Planfeststellungsrecht, S. 140 f. 225 Vgl. etwa Dürr, VBIBW 1992,321 (323); Erbguth/Schink, UVPG, § 12 Rn. 62; Funke, DVBI. 1987, 511 (516); Haakh/Maier, BWVPr. 1987, 25 (29); Ibler, Schranken, S. 32 f. mit Z22
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A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Pluglännschutz 253
waltungsgericht in seiner Entscheidung vom 23.3.1985 ausdrücklich angeschlossen. 226 Nun könnte gegen eine Anwendung des § 50 BImSchG auf die luftverkehrs rechtliche Planfeststellung noch eingewandt werden, daß diese nach § 2 Abs. 2 BImSchG grundsätzlich vom Anwendungsbereich des BImSchG ausgeschlossen sei und deshalb das LuftVG, insbesondere die §§ 8 ff. LuftVG vorrangig seien. 227 Die Bedeutung des § 2 Abs. 2 l.HS BImSchG liegt aber lediglich darin, klarzustellen, daß aus dem BImSchG keine unmittelbaren Anforderungen an die Errichtung oder den Betrieb von Flugplätzen hergeleitet werden können, weil hierfür Sonderregelungen des Immissionsschutzes im LuftVG und im FlugLG bestehen. 228 Der Anwendungsbereich des § 50 BImSchG wird daher nach überwiegender Auffassung durch § 2 BImSchG nicht eingeschränkt. 229 Nach § 6 Abs. 2 S. 1 LujtVG ist vor Erteilung der luftrechtlichen Genehmigung u.a. besonders zu prüfen, ob der Schutz vor Fluglärm angemessen berücksichtigt ist. Die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 2 und 3 LuftVG und damit auch die "Lärmschutzklausel" haben aufgrund des inneren Zusammenhangs zwischen Genehmigung und Planfeststellung aber auch für die Planfeststellung materielle Bedeutung. 230 Das Bundesverwaltungsgericht selbst hat in seiner Entscheidung zur Erweiterung des Flughafens Frankfurt betont, daß die Vorschriften des § 6 Abs. 2 LuftVG als Planungsleitsätze die planerische Gestaltungsfreiheit binden. 231 Auch § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG kann damit zumindest ein Berücksichtigungsgebot entnommen werden. Zweck des Gesetzes zum Schutz gegen Fluglärm (FlugLG) ist es, die Allgemeinheit vor Gefahren, Nachteilen und erheblichen Belästigungen durch Fluglärm zu schützen (§ 1 FlugLG). Aus dem Gesetz ergibt sich die gesetzgeFn. 42; Peine, DÖV 1988, 937 (942); SchmidJ-Aßmann, in: Salzwedel (Hrsg.), S. 136; SIeinberg, NVwZ 1986, 812 (814); kritisch Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 138 und Korbmacher, DÖV 1976, 1 (4). 226 BVerwGE 71, 163 (165). 227
So tatsächlich EngelhardJ, BlmSchG, § 50 Rn. 7.
Vgl. die Amtliche BeglÜndung zu § 2 des Regierungsentwurfs, BT-Drs 7/179, S. 29. Vgl. z.B. Ule, in: Ule/Laubinger, BlmSchG, § 50 II; KUlscheidJ, in: LandmannIRohmer, BlmSchG, § 50 Rn. 32; Feldhaus, BlmSchG, § 50 Anm. 3, weist darauf hin, daß § 2 BlmSchG den Geltungsbereich positiv wie negativ nur hinsichtlich der Anlagen und Produkte umschreibt (bis auf § 2 Abs. 1 S. 4 BlmSchG, der erst in der Schlußphase der Beratungen eingefiigt wurde) und die Planungsvorschrift des § 50 BImSchG bereits im Regierungsentwurf ohne ausdlÜckliche Erwähnung des § 2 BlmSchG vorausgesetzt war und zwar ersichtlich ohne Einschränkung. 230 Badura, Rechtsfragen, S. 29; vgl. auch Hojmann/Grabhe", LuftVG, § 10 Rn. 31; Giemulla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 32. 231 BVerwGE 56, 110 (122); zustimmend Badura, Rechtsfragen, S. 29, der dann aber inkonsequent wenig später die Eigenschaft des Lärmschutzes als planerischer Leitsatz verneint (a.a.O, S. 30). 228
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
berische Bewertung, daß wegen zu erwartender Fluglännbelastungen, die Umgebung von Flugplätzen möglichst von Wohnbebauung freizuhalten ist. 232 Damit wird auch eine dem widersprechende Flughafenfachplanung mißbilligt. Betrachtet man die dargestellten gesetzlichen Regelungen, so kann kaum zweifelhaft sein, daß der Fluglännschutz nach dem Willen des Gesetzgebers die (Verkehrs)-Flughafenplanung als planerische Zielvorgabe im Sinne eines Berücksichtigungs- bzw. Optimierungsgebots mitsteuert und für die Abwägungsentscheidung von besonderer Bedeutung ist. Eine (indirekte) Bestätigung findet diese Auffassung auch in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zur Neuanlage des Flughafens München. 233 Dort wird die Verlegung des Flughafens aus Gründen des Fluglännschutzes als planerisch für gerechtfertigt angesehen und insoweit auf die durch den Gesetzgeber in § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG und § 50 BImSchG gebotene Berücksichtigung sowie auf die Schutzziele des FlugLG verwiesen. 234 Wenn aber Erfordernisse des Lärmschutzes, wie sie in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommen, als mit der gesetzlichen Planungsermächtigung kongruente Planungsziele, welche die Flughafenplanung zu tragen vermögen, angesehen werden, so kann wohl kaum verneint werden, daß der Schutz vor Fluglärm als "planerischer Leitsatz" die Flughafenplanung mitbestimmt. c) Das jachplanerische Abwägungsgebot
Unter Abwägung versteht man eine allgemeine Denk- und Verhaltensweise; nach ihr wägt, wer eine Entscheidung zu treffen hat, Gründe und Gegengründe, Vorteile und Nachteile gegeneinander ab. 235 Dem Abwägungsgebot, d.h. dem Gebot, die von einer Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen, kommt in seiner die planerische Gestaltungsfreiheit bindenden Funktion, sowohl für die Planung als auch für die Gerichtskontrolle die entscheidende Bedeutung ZU. 236 Es folgt unabhängig von einer gesetzlichen Positivierung237 aus dem Wesen 232 Vgl. §§ 1, 5, 6 FlugLG; siehe auch die Begründung des 1966 in den Bundestag eingebrachten Gesetzesentwurfs, BT-Drs. V/355, S. 4 und Soell, in: LandmannIRohmer, FlugLG, Vorbemerkung Rn. 19. 233 BVerwGE 75,214 (232 f.). 234 Vgl. dazu auch schon oben a. 235 Vgl. Hubmann, in: PS f. Schnorr v.Carolsfeld, S. 175; Pfa1f, Planungsrechtsprechung, S. 129 mit Fn. 20. 236 Steinberg, Nachbarrecht, S. 148 Rn. 151; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 141. 237 Für den Bereich der Fachplanung findet sich eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung etwa in § 17 Abs. 1 S. 2 BFernStrG und in § 37 Abs. 1 S. 1 FlurBerG, außerhalb des Fachplanungsrechts z.B. in § 1 Abs. 6 BauGB und in § 2 Abs. 3 ROG. Die Novellierung des LuftVG
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 255
rechtsstaatlicher Planung und gilt dementsprechend allgemein für alle Bereiche der Raum- und Fachplanung. 238 Es verlangt nach den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ständig wiederkehrenden formelhaften Umschreibungen, daß erstens eine Abwägung überhaupt stattfindet, daß zweitens in die Abwägung an Belangen eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muß, und daß drittens, weder die (objektive) Bedeutung der betroffenen öffentlichen und privaten Belange verkannt, noch der Ausgleich zwischen ihnen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. 239 Innerhalb des so gezogenen Rahmens soll das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt sein, wenn sich die Planungs behörde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendigerweise für die Zurückstellung eines anderen entscheidet. Die darin liegende Gewichtung der von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange sei vielmehr ein wesentliches Element planerischer Gestaltungsfreiheit. Die gerichtliche Kontrolle beschränke sich im Rahmen des Abwägungsgebots daher auf die Frage, ob die Planungsbehörde die abwägungserheblichen Belange rechtlich und tatsächlich zutreffend bestimmt hat und ob sie auf dieser Grundlage die Grenzen der ihr obliegenden Gewichtung eingehalten hat. 240 Die genannten Anforderungen beziehen sich nach ständiger Rechtsprechung sowohl auf den Abwägungsvorgang als auch auf das im Plan zum Ausdruck kommende Abwägungsergebnis, also ebenso auf das Abwägen bei der Planaufstellung an sich, wie auch auf das inhaltliche Ausgewogensein des Plans. Eine Ausnahme gelte lediglich für die Notwendigkeit einer Abwägung überhaupt; diese könne allein im Hinblick auf den Abwägungsvorgang praktisch werden. 241 Eine Planung, die ihnen entspreche, genüge damit auch in einer für durch das Planungsvereinfachungsgesetz v. 17.12.1993 (BGBI. I, S. 2123) hat jetzt auch zu einer ausdrucklichen Verankerung des Abwägungsgebots in § 8 Abs. 1 LuftVG n.F. geführt. 238 Allgemeine Meinung; vgl. z.B. BVerwGE 34, 301 (304); E 48, 56 (63); E 56, 110 (122); E 61, 295 (301); E 87, 332 (341); Bathlra, in: FS f. BayVerfGH, S. 174 ff.; SIeinberg, Nachbarrecht, S. 148 Rn. 150; !bIer, Schranken, S. 212; Bonk, in: Stelkens/BonklLeonardt, VwVfG, § 74 Rn. 23, jeweils m.w.N. 239 Diese Judikatur hat ähnlich wie die Rechtsprechung zur Planrechtfertigung und zu den Planungsleitsätzen, ihren Ausgangspunkt im Baurecht genommen, vgl. BVerwGE 34, 301 (309) und wurde dann auf das Fachplanungsrecht übertragen; vgl. z.B. BVerwGE 48, 56 (63) für die Planfeststellung nach dem BFStrG, BVerwGE 56, 110 (122) und BVerwGE 87, 332 (341) für die Planfeststellung nach dem LuftVG. 240 Vgl. BVerwGE 48, 56 (63) unter Berufung auf BVerwGE 34, 301 (308 f.) und BVerwGE 45, 309 (314). 241 Grundlegend BVerwGE 45, 309 (315); vgl. auch BVerwGE 48, 56 (64); E 56, 110 (123); E 87, 332 (341). Diese Differenzierung zwischen Vorgangs- und Ergebniskontrolle ist in der Literatur auf Kritik gestoßen: nach Koch, DVBI. 1983, 1125 (1127 f./1132), ist die Abwägungskontrolle allein auf den Abwägungsvorgang auszurichten; nach Heinze, NVwZ 1986, 87 (89 f.), beziehen sich die aus den Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden Abwä-
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
planerische Entscheidungen spezifischen Weise dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem gerade durch die Beachtung des Abwägungsgebots Rechnung getragen würde und dessen Einhaltung daneben keiner eigenen Prüfung bedürfe. 2A2 Die vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätze der Abwägungskontrolle sind durch die Literatur weiter systematisiert und folgenden vier Fehlergruppen zugeordnet worden: 2A3 "Abwägungsausfall": Eine Abwägung findet überhaupt nicht statt. "Abwägungsdefizit": Einzelne Belange werden nicht erkannt oder bleiben unberücksichtigt. "Fehlgewichtung": Die Bedeutung eines Belangs wird in einer Weise über- oder unterschätzt, die zu seiner objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht. "Disproportionalität": Eine Fehlgewichtung tritt bei der vergleichenden Bewertung unterschiedlicher Belange zutage. Diese Fehlergruppen lassen sich wiederum typisierenderweise verschiedenen Abwägungsphasen (-stufen, -schritten) zuordnen: dem Prozeß der Ermittlung und Einstellung der abwägungserheblichen Belange in die Abwägung gungsanforderungen allein auf das Abwägungsergebnis. Erbguth, DVBI. 1986, 1230 (1233), hält zwar an der Ausrichtung der Abwägungskontrolle auf Vorgang und Ergebnis fest, verneint aber die Identität der Priifungsmaßstäbe. Der Vorgang stelle die "dynamische" Komponente der Abwägung dar; ihm seien deshalb die auf seinen prozeßhaften Charakter zugeschnittenen FehIerarten, nämlich die bei der Einstellung der Belange in die Abwägung vorkommenden Fehler, sowie die bei der Gewichtung der Belange auftretende Fehlgewichtung zuzuordnen. Das Ergebnis als "statische" Komponente sei darauf zu prüfen, ob der Ausgleich der Belange der objektiven Gewichtigkeit hinreichend Rechnung trage; ähnlich Kühling, Fachplanungsrecht, S. 79 Rn. 179 und Funke, DVBI. 1987, 511 (513). Dem BVerwG folgt aber [bier, Schranken, S. 268 ff., ders., DVBI. 1988,469 (472 ff.), mit überzeugender Argumentation: Vorgangs- und Ergebniskontrolle bezögen sich auf unterschiedliche Kontrollgegenstände. Die Ergebniskontrolle bezwecke die Prüfung des Plans anband der im Plan selbst ausgewiesenen Festsetzungen und der schon daraus erkennbaren Abwägungsfehler, während sich die Vorgangskontrolle auf die notwendige weitere Prüfung der Abwägung anband zusätzlicher Kontrollgegenstände (Begründung, Planakten) erstrecke, die durch die Ergebniskontrolle noch nicht erkennbar werden. Fehlerhafte Erwägungen fiihren allerdings nur dann zur Rechtswidrigkeit der Abwägung, wenn sie sich auf das Abwägungsergebnis ausgewirkt haben können; vgl. dazu BVerwGE 75, 214 (245/251); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116). 2A2 BVerwGE 56, 110 (123); E 61, 295 (301). Vgl. auch BVertGE 79, 174 (198) im Zusammenhang mit eigentums beeinträchtigenden Verkehrslärmimmissionen durch eine mittels Bebauungsplan erfolgende Straßenplanung: "Das (... ) Abwägungsgebot erlaubt einen besonders flexiblen und dem Einzelfall gerecht werdenden Interessenausgleich unter maßgeblicher Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" (Auslassung vom Verfasser). 2A3 Die Aufstellung folgt Kühling, Fachplanungsrecht, S. 78 Rn. 176, der sich wiederum auf Hoppe beruft.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärrnschutz 257
das "Abwägungsdefizit" , dem Prozeß der Gewichtung der in die Abwägung eingestellten Belange die "Fehlgewichtung" und dem Prozeß des Ausgleichs der konfligierenden und konkurrierenden Belange die "Disproportionalität" .244 Im folgenden soll in erster Linie aufgezeigt werden, welche Bedeutung dem Schutz vor Fluglärm im und für den Abwägungsprozeß zukommt und wie sich die im 2. Teil der vorliegenden Erörterung erarbeiteten grundrechtlichen Schutzanforderungen auf die Abwägungsentscheidung auswirken. Dabei wird zweckmäßigerweise zwischen dem Einstellungs- bzw. Ermittlungsprozeß (unter aa.), dem Gewichtungsprozeß (unter bb.) und dem Ausgleichsprozeß (unter cc.) differenziert.
aa) Einstellungs- und Ermittlungsprozeß (1) Die abwägungsrelevanten Belange Die erste Phase planerischer Abwägung betrifft die Ermittlung der als entscheidungserheblich erkennbaren (abwägungsrelevanten) Belange und die "Zusammenstellung" des Abwägungsmaterials. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, daß die abwägungserheblichen Belange mittels Auslegung und Subsumtion zu bestimmen sind und dieser Vorgang folglich grundsätzlich245 der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, während die eigentliche Abwägung erst auf der nächsten Stufe des Abwägungsprozesses - dem Gewichten und Bevorzugen bestimmter Belange - stattfindet. 246 Es liegt nicht in der Gestaltungsfreiheit der Behörde zu entscheiden, ob ein Belang betroffen ist, sondern die lückenlose Zusammenstellung des Abwägungsmaterials bildet erst die Grundlage dafür, sich "abwägend" über betroffene Belange hinwegzusetzen. 247 244 Wobei sich diese "Abwägungsschritte" weitgehend nur theoretisch unterscheiden lassen, in ihrem praktischen Verlauf aber vielfach zusammenfallen; dies gilt insbesondere für den Gewichtungs- und Ausgleichsprozeß. Zur Umweltverträglichkeitsprufung im Rahmen der planerischen Abwägung vgl. Gassner, UPR 1993, 241 ff. 245 Vgl. zum Problem notwendiger planerischer Prognosen unten (3). 246 Ausdrucklich BVerwGE 45, 309 (315): "Allem Abwägen vorausgesetzt ist die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials. Dieses umfaßt erstens die abstrakt-begriffliche (tatbestandliche) Abgrenzung der Gesichtspunkte, di.e abwägungserheblich sind und zweitens die Entscheidung daruber, welche konkret vorliegenden Umstände unter diese Begriffe subsumiert werden können. Bei diesen Vorgängen handelt es sich (... ) um Rechtsanwendung und um nichts anderes als das" (Auslassung vom Verfasser). 247 Vgl. z.B. Hügel, Dritte als Betroffene, S. 64. Diese Auffassung ist aber in der Literatur nicht unumstritten; vgl. insb. Hoppe, DVBI. 1977, 136 (140 ff.); tiers., in: Festgabe BVerwG, S. 303 ff. m.w.N.; siehe auch Kügel, PlanfeststellungsbescWuß. Nach Pfaff, Planungsrechtsprechung, S. 144 f., sind lnformationsgewinnung durch Feststellung der abwägungserheblichen 17 Hermann
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
Entsprechend dem Zweck des Abwägungsgebots, einen möglichst umfassenden Ausgleich zwischen den für das Vorhaben streitenden öffentlichen Interessen und dem Kreis der hierdurch betroffenen öffentlichen und privaten Belange herbeizuführen, darf der Kreis der abwägungserheblichen Belange nicht zu eng gezogen werden. 248 Er umfaßt nicht nur solche Belange, in die zur möglichst optimalen Verwirklichung der Planungsaufgabe unmittelbar eingegriffen werden soll, sondern auch solche, auf die sich das Vorhaben nur mittelbar auswirkt. 249 In Betracht kommen jedenfalls nicht nur (subjektive) Rechte, vielmehr alle mehr als geringfügigen schutzwürdigen Interessen, die nach den Umständen des Einzelfalls von der Planung berührt werden. 2j() Hierfür kommt es wesentlich auf den Inhalt und die Reichweite der Planungsentscheidung an. 251 Nicht zum notwendigen Abwägungsrnaterial gehören etwa solche Interessen die "mit einem Makel behaftet sind und aus diesem Grunde keinen Schutz verdienen"252 oder die nicht schutzwürdig sind, weil der Betroffene auf ihren ungeschmälerten Fortbestand nicht vertrauen durfte. 253 Welche Belange bei der Abwägung im einzelnen zu berücksichtigen sind, wird aber ganz wesentlich auch durch das Verfahren der Planfeststellung und dort durch das Einwendungs- und Anhörungsverfahren bestimmt. Dieses dient ja nicht zuletzt auch der Informationsbeschaffung für die Behörde. 254 Sind private Belange der Betroffenen nicht geltend gemacht worden, so gehören sie zum notwendigen Abwägungsmaterial nur dann, wenn sich der planenden Behörde "die Tatsache ihrer Betroffenheit aufdrängen mußte", denn was im Zeitpunkt der Ent-
Belange und Infonnationsverarbeitung durch Abwägung untrennbar verschränkt; bereits bei der Informationsgewinnung werde das Abwägungsmaterial durch eine wertende Auslese zusammengestellt, die keine Subsumtion darstelle; dagegen wiederum [bIer, Schranken, S. 224 ff. 248 Vgl. BVerwGE 52, 237 (245); BVerwGE 59, 87 (100/102); BVerwG, DÖV 1984, 426 (427). 249
BVerwGE 52,237 (245); E 58, 154 (156); KUgel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 146.
2j() Vgl. z.B. BVerwGE 59, 87 (101), rur das Bauplanungsrecht; BVerwG, NVwZ 1988,
363, BVerwG, NVwZ 1988, 534 (535), rur das Fachplanungsrecht; Bonk, in: Stelkens/BonklLeonardt, VwVfG, § 74 Rn. 24; [bIer, Schranken, S.231; Wahl, NVwZ 1990, 426 (427). 251 BVerwG, NVwZ 1988, 363; Kühling, Fachplanungsrecht, S. 82 Rn. 187.
252 Z.B. ein materiell rechtswidriger Schwarzbau; vgl. VG" BW, NVwZ 1986, 62 (64), vgl. auch BVerwGE 59, 87 (103).
253 Z.B. eine bestimmte Markt- oder Verkehrslage, vgl. BVerwGE 59, 87 (103). 254 Gerade bei Fluglärmbelastungen wird der Kreis der mehr oder weniger Betroffenen oft-
mals so groß und unübersichtlich sein, daß er von der Planfeststellungsbehörde (allein) kaum sicher und zuverlässig zu ermitteln ist; vgl. BVerwG, Buchholz 442.40, § 10 LuftVG Nr. 5, S. 6.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 259
scheidung nicht erkennbar geworden ist, kann und braucht auch nicht berücksichtigt zu werden. 255 (2) Insbesondere: Der Schutz vor Fluglänn Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bedeutung von Fluglännbelastungen bzw. des Schutzes vor Fluglänn als abwägungsrelevantem Belang in seiner letzten Entscheidung zur Neuanlage des Flughafens München noch einmal deutlich herausgestellt: 256 Abwägungserheblich ist danach jede Fluglärmbelastung, die nicht lediglich als geringfügig einzustufen ist. Hierunter fiele einmal die schwere und unerträgliche Lärmbetroffenheit im Sinne der früheren Rechtsprechung des Gerichts zur sog. Enteignungsschwelle, weiterhin die unzumutbare Lärmbelastung wie sie für Schutzauflagen an den Vorhabensträger nach § 9 Abs. 2 LuftVG Voraussetzung seim und schließlich auch der unterhalb dieser "Zumutbarkeitsschwelle" liegende aber nicht unerhebliche Fluglänn. 258 Diese, im Grundsatz unbestrittene Abwägungsrelevanz von Fluglännbelastungen259 , läßt sich in mehrfacher Hinsicht unter Rückgriff auf Verfassungsnormen und einfachgesetzliche Wertungen begründen260 : Die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Fluglärmbeeinträchtigungen als privatem Belang ergibt sich insbesondere aus den Grundrechten. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde eingehend begründet, daß die chronische Belastung mit Fluglärm, je nach Intensität und Häufigkeit der Einwirkung, den Schutzbereich der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 14 GG und 255 Vgl. BVelWGE 59, 87 (104); BVeIWG, BayVBI. 1986, 153; BVeIWG, DVBI. 1989, 510 (511); ebenso filr eine Nachforschungspflicht bei öffentlichen Belangen Hess.VGH, NVwZ 1986, 680 (682); [bier, Schranken, S. 238. Darin liegt der Sache nach eine materielle Präklusionswirkung, vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 84 Rn. 191. 256 BVelWGE 87, 332 (341 f.); vgl. auch BVeIWG, NVwZ-RR 1991, 118 (125); BVeIWG, NVwZ-RR 1991,129 (131); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (115). 257 Vgl. dazu ausfilhrlich unten B. ID. 258 Hügel, Dritte als Betroffene, S. 68, hält filr die Erheblichkeit von Verkehrslänn eine planvorhabensbedingte Erhöhung des Schallpegels um 3 dB(A) filr einen Richtwert, da erst ab diesem Wert Geräuscherhöhungen filr das menschliche Ohr wahrnehmbar sind; dazu Ullrich, DVBI. 1985, 1159 (1162); Ficken, Planfeststellung, S.232; speziell filr Fluglärmimmissionen J.Schmidl, Rechtsfragen, S. 173; dem kann wohl jedenfalls filr bereits "Iännvorbelastete" Gebiete gefolgt werden. 259 Vgl. nur Quaas, NVwZ 1991,16 (18). 260 Auch das BVelWG ermittelt die Gegenstände der in die Abwägung einzustellenden Belange vielfach durch Bezugnahme auf Verfassungsbestimmungen oder durch systematische Auslegung einfacher Gesetze; vgl. dazu [bier, Schranken, S. 230 f.
260
3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
(subsidiär) Art. 2 Abs. 1 GG beeinträchtigt. Dies soll an dieser Stelle nicht nochmals aufgerollt werden. Das unter den Schutz des Art. 14 GG fallende Grundeigentum gehört nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "selbstverständlich" zu den abwägungserheblichen Belangen. 261 Gleiches gilt für den durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vermittelten Schutz vor fluglärmbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen262 und nichts anderes kann für den (subsidiär) aus Art. 2 Abs. 1 GG folgenden Schutz vor fluglärmbedingten Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens gelten263 • Damit sind sowohl die Nutzungsinteressen der Grundeigentümer und der in dinglicher Weise am Grundeigentum ähnlich Berechtigten264 als auch die physischen und psychischen Integritätsinteressen der potentiell Fluglärmbetroffenen in die Abwägung einzustellen. Anderer Ansicht ist allerdings Bartlspergef265 • Nach seiner Auffassung ist die Frage einer umweltspezifischen Grundrechtsverletzung durch das Planvorhaben, im eindimensionalen Gegeneinander von Individualinteresse und öffentlichem Interesse am Vorhaben zu beurteilen, während die planerische Abwägung hiervon als rein objektiv-rechtlicher Vorgang zu trennen ist. Das Vorhaben sei individualrechtlich unbedenklich, wenn es im Ergebnis zu keiner unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Einschränkung von Grundrechten führe. In die planerische Abwägung selbst bräuchten daher die privaten Interessen nicht als abwägungserhebliche Belange einbezogen werden. Dieser Sichtweise ist zuzugeben, daß auch die planerische Abwägung keine grundrechts geschützten privaten Belange überwinden kann, wenn entsprechende Grundrechtsbeeinträchtigungen nicht durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gerechtfertigt sind. Die Grundrechte ziehen der fachplanerischen Abwägung eine strikte Grenze, sie ist insofern (auch) grundrechtsgebunden. 266 Warum die Grundrechtspositionen deshalb nicht in den Prozeß planerischer Abwägung miteinbezogen werden sollen, der ja mit der Bindung an das Abwägungsgebot in spezifischer Weise auch dem Grundsatz der Verhältnis-
261 Vgl. BVerwGE 47, 144 (154), zum Bauplanungsrecht; BVerwGE 61, 295 (302), für die femstraßenrechtliche Planfeststellung; Kastner, VerwArch 80 (1989), 74 (79); Korbmacher, DÖV 1982, 517 ff. (525 ff.); Weyreuther, DÖV 1977,419. 262 Vgl. dazu allgemein BVerwGE 54, 211 (222 f.); BVerwG, DVBI. 1983, 898 (899); BVerwG, DÖV 1984,426 (427); BVerwGE 82,61 (62).
263 264 265
266
Vgl. oben, 2. Teil, B. IV. 4. Vgl. dazu oben, 2. Teil, B. II. 3. a.
Banlsperger, Recht des Umweltschutzes, S. 32 f. Vgl. dazu noch näher unten cc., am Ende des dortigen Abschnitts.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 261
mäßigkeit gerecht werden muß 267 , wird aber nicht recht deutlich und würde außerdem zu einer zumindest unzweckmäßigen Spaltung des planerischen Zulassungsprozesses führen. Aber selbst wenn man darüber hinwegsieht; gegen den Ansatz von Bartlsperger sprechen auch rechtliche Gesichtpunkte: Zum einen setzt er grundrechtliche Betroffenheit und das Berührtsein in privaten Belangen gleich, wenn er die Prüfung von privaten Interessen auf die Prüfung der verfassungswidrigen Einschränkung von Grundrechtspositionen beschränkt. Für die fachplanerische Entscheidung über das Vorhaben ist aber die Betroffenheit in einem Individualinteresse nicht erst dann relevant, wenn sie sich als Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt. Nach praktisch allgemeiner Auffassung reicht der Begriff des (privaten) Belangs weiter als der der grundrechtlieh geschützten Rechtsposition und umfaßt alle schutzwürdigen und nicht nur geringfügigen Interessen. 268 Zum anderen hängt die Verhältnismäßigkeit einer planerischen Grundrechtsbeeinträchtigung, neben der Intensität der Beeinträchtigung aber auch nicht notwendigerweise nur von den öffentlichen Interessen ab, die für das Vorhaben streiten. Vielmehr werden auch gegen das Vorhaben streitende öffentliche Interessen (z.B. Belange des Naturund Landschaftschutzes) die Frage der Angemessenheit einer Grundrechtsbeeinträchtigung insofern mitsteuern können, als sie die zur Rechtfertigung der Beeinträchtigung ins Feld geführten öffentlichen Interessen zu schwächen vermögen und so die Gewichte im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall verschieben können. Auch diese Überlegung spricht für eine Einbeziehung der von der Planung betroffenen Grundrechtspositionen in die mehrdimensionale fachplanerische Abwägung. Daß dem Fluglärmschutz Abwägungsrelevanz zukommt, folgt auch aus Wertungen des einfachen Gesetzes. Im vorigen Abschnitt269 wurde herausgearbeitet, daß aus § 50 BImSehG, § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG und dem FlugLG hinsichtlich des planerischen Schutzes vor Fluglärm ein Berücksichtigungsund Optimierungsgebot für die Abwägung abzuleiten ist. Das heißt aber selbstverständlich. daß der Fluglärmschutz - insoweit als öffentlicher Belang270 - in die Abwägung einzustellen ist.
BVertGE 79,174 (198); Hoppe, in: Handbuch des Staatsrechts, § 71 Rn. 96 f. Vgl. z.B. BVelWGE 59, 87 (101), wo diesbezüglich ausgefiihrt wird, "daß die Abwägungserheblichkeit (... ) den Umkreis des verfassungsrechtIich Geschützten überschreitet (... )", Auslassungen vom Verfasser, oder BVeIWG, DÖV 1984, 426 (427), wonach die als Abwägungsmaterial beachtlichen privaten Interessen sich nicht auf das beschränken, was etwa nach Art. 14 GG oder Art. 2 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geschützt ist; aus der Literatur z.B. Johlen, DÖV 1989, 204 (205); Kastner, VelWArch 80 (1989), 74 (80); [bier, Schranken, S. 233 f.; W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 67; Steinberg, Nachbarrecht, S. 160 f. Rn. 172. 269 Vgl. oben b. 267 268
270
Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 90 Rn. 208.
262
3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrstlughäfen
Schließlich ergibt sich die Beachtlichkeit des Fluglärms als öffentlichem Belang auch aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs.2 S. 1 GG), was hier nur kurz angedeutet werden soll. Fluglärmbeeinträchtigungen können insbesondere zu Einschränkungen der kommunalen Planungshoheit führen211 , etwa weil das Gebiet einer Gemeinde nach der beabsichtigten Planung in einem Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG oder einem Lärmschutzbereich nach dem FlugLG liegt212 und damit bestimmten "Planungsbeschränkungen" unterworfen wäre oder weil das beabsichtigte Planvorhaben auch außerhalb eines solchen Gebiets noch erheblichen Lärmbelastungen ausgesetzt wäre und sich daher bestimmte Planaussagen in der gemeindlichen Bauleitplanung (z.B. die Ausweisung eines Wohngebiets) unter Abwägungsgesichtspunkten verbieten würden. 213 Darüber hinaus kann die Gemeinde auch als Trägerin öffentlicher Einrichtungen durch Lärmbelastungen betroffen sein. Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß die Belastung mit bzw. der Schutz vor Fluglärm in mehrfacher Hinsicht als abwägungserheblicher Belang ausgewiesen ist. Gerade das Beispiel Fluglärmschutz macht im übrigen deutlich, daß eine genaue Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Belangen häufig nicht möglich ist. 274 Dem Belang "Fluglärm" kommt je nach dem verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Anknüpfungspunkt privater oder öffentlicher Charakter zu. Diese Ambivalenz macht den Lärmschutz zugleich zum öffentlichen und privaten Belang. 21S Die fehlende Möglichkeit einer Differenzierung ist aber prinzipiell unproblematisch, da zwischen öffentlichen und privaten Belangen keine grundsätzliche Rangfolge festzustellen ist. 276 (3) Die planerische Prognose bei Fluglärmimmissionen Die Planung von Verkehrsflughäfen beruht wie auch die anderer Großvorhaben, deren öffentlich-rechtliche Zulassung planerische Beurteilung und Abwägung, also zukunftsbezogene Entscheidungen voraussetzt, in einer Reihe Vgl. zu den Beeinträchtigungen auch BVerwGE 81,95 (108 f.) Dazu näher BorsI, Flughafen, S. 410 ff. 273 § 1 Abs. 5 BauGB verlangt bei der Bauleitplanung u.a. die Berücksichtigung von allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse; unzweifelhaft sind insofern auch Fluglärmbelastungen beachtlich. 274 Ibler, Schranken, S. 229. 275 BayVGH, BayVBI. 1990, 148 (150); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 65; W.F. SchmidJ, Entschädigung, S. 67; vgl. auch Sleiner, Rechtliche Aspekte, S. 61. 276 Vgl. zuletzt rur die Flughafenplanung BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 (122). 271
272
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 263
von Planungselementen auf prognostischen Einschätzungen. Dies gilt für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer geplanten Neuanlage oder Erweiterung eines Flughafens (Planrechtfertigung), insbesondere was die voraussichtliche Entwicklung des Luftverkehrsaufkommens und die damit verbundene, zu erwartende Steigerung der Verkehrsbedürfnisse anbelangt; dies gilt aber auch für die Zusammenstellung des Abwägungsmaterials, wo sich die Planungsbehörde über die von dem Vorhaben voraussichtlich betroffenen (künftigen) öffentlichen und privaten Belange klar werden muß. 2n Die Prognose trifft eine Aussage, die - aufbauend auf ausdrücklichen Bedingungen und möglichst rational - den zukünftigen Eintritt eines Zustands oder eines Ereignisses anzugeben versucht. 278 Sie ist wegen ihrer Zukunftsgerichtetheit stets mit einem Unsicherheitsfaktor belastet. Das kennzeichnende Moment der (fach-)planerischen Prognose liegt in der Kombination dieses Zeitelements mit der Komplexität des geplanten Vorhabens. 279 Weil die Prognose als WahrscheinlichkeitsurteiF80 mit einer immanenten Unsicherheit behaftet ist, kann die Planungsbehörde für die Richtigkeit des Prognostizierten auch nicht uneingeschränkt einstehen müssen. Soweit die abwägungserhebliehen Belange daher auf prognostischer Grundlage ermittelt werden, beschränkt sich die (gerichtliche) Rechtmäßigkeitskontrolle auf die Prüfung, ob die Planungsbehörde von zutreffenden Tatsachen ausgegangen ist und die Prognose unter Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel und unter Berücksichtigung aller für sie erheblichen Umstände einwandfrei erstellt hat. 281 Dabei richten sich die Anforderungen an Umfang und Aufwand der Prognose "nach Lage der Dinge", also nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. 282 Ob sich das Prognoseergebnis - bei Einhaltung der Anforderungen an das Prognoseverfahren - später auch bewahrheitet. ist dagegen grundsätzlich ohne Einfluß auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung über das Vgl. Ladeur, NuR 1985, 81 (85). Vgl. Teninger, DVBI. 1982,421 (423). 279 Ladeur, NuR 1985, 81 (82). 280 Teninger, DVBI. 1982,421 (423); Ossenbühl, in: FS f. Menger, S. 732 f. 281 Die Prognose ist also in einer der jeweiligen Materie angemessenen und methologisch einwandfreien, d.h. dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechenden Weise zu erarbeiten; vgl. fiir die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung BVerwGE 56, 110 (I21 f.); BVerwG, NVwZ-RR 1991, 129 (131); BVerwGE 87, 332 (355); Geiger, NuR 1982, 127 (132); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 37; Quaas, NVwZ 1991, 116 (1l8); allgemein Nierhaus, DVBI. 1977, 19 (24); Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 128; Hoppe, Festgabe f. BVerwG, S. 311; Teuinger, DVBI. 1982,424 (427). Wenn die zur Planrechtfertigung herangefiihrten Gesichtspunkte auf einer Prognose beruhen (z.B. steigendes Verkehrsbedürfnis), ist ferner zu fragen, ob die mit der Prognose verbundene Ungewißheit künftiger Entwicklungen in einem angemessenen Verhältnis zu den Eingriffen stehen, die mit ihnen gerechtfertigt werden sollen; so BVerwGE 75, 214 (234). 282 Kühling, Fachplanungsrecht, S. 87 Rn. 199. 277 278
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
Vorhaben; maßgeblich ist der Zeitpunkt des Erlasses der Planungsentscheidung. 283 Eine neue Sachentscheidung kann allerdings ausnahmsweise dann erforderlich werden, wenn aufgrund unvorhersehbarer Ereignisse die tatsächliche Entwicklung von einer (ordnungsgemäßen) Prognose "in extremer Weise" abweicht und damit die Planung in die Nähe der Funktionslosigkeit gerät. 284 Jedenfalls dort, wo wichtige Gemeinschaftsgüter und grundrechtliche Positionen auf dem Spiel stehen, darf sich die Verwaltung nicht unbegrenzt auf formale Positionen zurückziehen. 285 Grundlage der Ermittlung des Abwägungsbelangs "Fluglärm" ist die Prognose der zu erwartenden Fluglärmbelastung in der Umgebung des geplanten Flughafens. Hierfür müssen zunächst alle lärmrelevanten Anlagen- und Betriebsdaten konkret und detailliert prognostiziert werden und auf dieser Prognosebasis die voraussichtliche Lärmbelastung errechnet werden. Es muß u.a. ermittelt werden, welche An- und Abflugstrecken mit welchen Flugrouten existieren werden und welche Flugzeugtypen mit welchen Antriebsaggregaten zu welcher Zeit (Tag/Nacht) und mit welchen Flugverfahren voraussichtlich verkehren werden. 286 Basierend auf einer solchen Geräuschprognose sind dann die voraussichtlichen Stör- und Belastungswirkungen in psychologischer, physiologischer und medizinischer Hinsicht abzuschätzen. m Sowohl die Geräuschprognose als auch die Belastungsprognose erfordern in erheblichem Umfang lärmpysikalische, technische, medizinische, psychologische und sozialwissenschaftliche Beurteilungen, so daß die (gutachtliche) Beteiligung von
283 BVelWGE 56, 110 (121); BVeIWG, NVwZ-RR 1991, 129 (131); siehe auch BVelWGE 75, 214 (234). Teilweise wird daraus eine grundsätzlich eingeschränkte gerichtliche Kontrolle administrativer Prognoseentscheidungen und sogar ein Beurteilungsspielraum bzw. eine Einschätzungsprärogative der Planungsbehörde abgeleitet, ohne allerdings weitergehende Folgerungen fiir die gerichtliche Kontrolle zu ziehen; so z.B. Ossenbühl, 50. DIT, B 188 ff.; tiers., in: FS f. Menger, S. 740 ff.; Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Rn.285d. Die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle ergeben sich bei Prognoseentscheidungen aber nicht aus einem insoweit bestehenden administrativen Beurteilungs- oder Einschätzungspielraum, sondern schlicht aus der Ungewißheit der Zukunft; vgl. Badura, Rechtsfragen, S. 35; ähnlich Hügel, Dritte als Betroffene, S. 70 f.; im Ergebnis auch Tettinger, DVBI. 1982,421 (425). 284 Vgl. BVelWGE 56, 283 (288 f.), fiir das Bauplanungsrecht; BVelWGE 56, 110 (122), fiir das Flughafenplanungsrecht; vgl. auch Badura, Rechtsfragen, S. 35; Geiger, NuR 1982, 127 (132); Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 129. 285 So Kühling, Fachplanungsrecht, S. 88 Rn. 203. 286 Zu weiteren Einzelheiten der erforderlichen Geräusch- bzw. Lärmprognosen und zu den üblicheIWeise velWendeten Datenerfassungs-, Berechnungs- und Bewertungsverfahren vgl. bereits eingehend oben, 1. Teil, B. IV. 1. 287 Zu den Schwierigkeiten solcher Belastungsprognosen und zu den "Grenzen" der Erkenntnismöglichkeiten der Lärmwirkungsforschung vgl. bereits ausfiihrIich oben, 1. Teil, D. IV. 1.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglännschutz 265
Sachverständigen schon bei der Ermittlung, aber dann auch bei der Gewichtung des Abwägungsmaterials, unumgänglich ist. 288 bb) Gewichtungsprozeß Dem Prozeß der Ermittlung und Einstellung der als abwägungserheblich erkannten Belange folgt der Prozeß der Bewertung, welcher zur Bestimmung des Gewichts der in die Abwägung eingestellten Belange dient. Dabei ist eine Trennung zwischen dem Vorgang des Gewichtens. und der eigentlichen "Abwägung" , d.h. dem Bevorzugen und Zurückstellen von einzelnen Belange allerdings nur theoretisch289 ; in ihrer Handhabung durch die Planungsbehörde fallen beide Vorgänge weitgehend zusammen und auch das "Fehlgewichten" einzelner Belange zeigt sich in der Regel erst bei Betrachtung des Abwägungsergebnisses. 290 Für den Prozeß der Bewertung und Gewichtung gibt es keine starren Regeln oder Bewertungsschemata. 291 Der Vorgang wird als wesentliches Element der planerischen Gestaltungsfreiheit angesehen, der Planungsbehörde ein entsprechender Gestaltungsspielraum eingeräumt. 292 Die gerichtliche Überprüfung beschränkt sich auf eine Art Evidenzkontrolle; nur wenn die Planungsbehörde die (objektive) Bedeutung der betroffenen Belange eindeutig verkannt hat oder sie in einer Weise fehlgewichtet hat, die zu ihrer objektiven Gewichtigkeit schlechthin außer Verhältnis steht, stellen die Gerichte ein Überschreiten der planerischen Gestaltungsfreiheit fest. 293 Diese verringerte Kontrolldichte beim Gewichten der Belange, entbindet die Ge288 Deshalb schreibt § 40 Abs. I Nr. 10 LuftVZO bereits für das Genehrnigungsverfahren die Vorlage eines technischen Gutachtens über das voraussichtliche Ausmaß des Fluglärms und eines medizinischen Gutachtens über die (voraussichtlichen) Auswirkungen dieses Lärms auf die Bevölkerung vor. 289 Insofern allerdings denknotwendig; dem Vorziehen und Zurückstellen einzelner Belange ist zwangsläufig eine Bestimmung des Stellenwerts bzw. des Gewichts der in die Abwägung einzustellenden Belange vorgeschaltet; dazu Papier, DVBI. 1975, 461 (464), unter Berufung auf Hoppe, BauR 1970, 15 (16 f.). 290 Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 90 Rn. 207. Weyreulher, BauR 1977, 293 (300), sieht zwischen dem Gewichten und dem Abwägen im eigentlichen Sinne nur einen begrifflichen Unterschied; planerisches Gewichten und planerische Abwägung ließen sich zumindest im Hinblick auf rechtliche Bindung und gerichtliche Kontrolle nicht mit Ertrag voneinander trennen; kritisch dazu z.B. Erbgulh, DVBI. 1986, 1230 (1234 f.). Eine Unterscheidung macht m.E. aber jedenfalls insofern Sinn, als auch bei zutreffender Gewichtung der Belange ein disproportionaler Ausgleich der Belange denkbar bleibt. M.a.W., eine "Fehlgewichtung" wird immer auch zu einern fehlerhaften Ausgleich zwischen den Belangen führen, ein fehlerhafter Ausgleich beruht aber nicht notwendig auf einer "Fehlgewichtung" einzelner Belange. 291 Vgl. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 90 Rn. 207. 292 BVerwGE 59, 253 (258). 293 Vgl. BVerwGE 56, 110 (126), für die luftverkehrsrechtliche BVerwGE 71, 166 (170 f.), für die fernstraßenrechtliche Planfeststellung.
Planfeststellung,
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
richte jedoch nicht davon, das "objektive Gewicht" bzw. die "Bedeutung" der einzelnen Belange selbst zu ermitteln, ohne dabei an die behördliche Beurteilung gebunden zu sein. 294 Denn ansonsten wäre weder die Prüfung, ob "die Bedeutung eines Belangs verkannt" wurde, noch die Prüfung, ob "der Ausgleich zwischen den Belangen in einer Weise vorgenommen wurde, die zu ihrer objektiven Gewichtigkeit außer Verhältnis steht" möglich29S, insoweit besteht also kein "Gewichtungsspielraum" der Behörde. 296 Zusammengefaßt: Die objektive Gewichtigkeit ermittelt das kontrollierende Gericht selbst. Diese ist Kontrollmaßstab für die Beurteilung der Gewichtung durch die Behörde. Ist die Behörde vom objektiven Gewicht eines Belangs abgewichen, führt dies aber erst dann zu einem Rechtsmangel der Planungsentscheidung, wenn damit die Bedeutung des Belangs eindeutig "verkannt" wurde. Zwischen diesen beiden "Polen" bewegt sich der "Gewichtungsspielraum" der Planungsbehörde, in dem die diesbezüglich bestehende planerische Gestaltungsfreiheit zum Ausdruck kommt. Wenn auch für die Bestimmung des (objektiven) Gewichts eines Belangs keine "allgemeingültigen Maßstäbe" existieren297 , so lassen sich doch Anhaltspunkte für die Gewichtung aus Verfassungsnormen und Wertentscheidungen des einfachen Gesetzgebers gewinnen. Die Abwägungsrelevanz von "Fluglärm" wurde im vorigen Abschnitt u.a. damit begründet, daß die nachhaltige Belastung mit Lärmimmissionen zum einen Grundrechtspositionen beeinträchtigt, zum anderen der Schutz vor Fluglärm vom einfachen Gesetzgeber als Optimierungs- und Berücksichtigungsgebot ausformuliert wurde. 298 Aus diesen Maßstäben ergeben sich auch Anknüpfungspunkte zur Bestimmung des objektiven Gewichts, das dem Fluglärmschutz als privatem und öffentlichem Belang zukommt: Grundrechtlich geschützten privaten Belange kommt für die Abwägung ein besonders hohes Gewicht zu. So sieht das Bundesverwaltungsgericht etwa in dem durch Art. 14 GG geschützten (Grund-)Eigentum "selbstverständlich und in hervorgehobener Weise" einen abwägungserheblichen Belang. 299 Soweit die 294 295 296
Vgl. z.B. BVerwGE 75, 214 (254). So zutreffend !bIer, Schranken, S. 250. BVertGE 75,214 (254).
297 So BVerwG, Buchholz 407.4, § 17 FStrG Nr. 53, S. 46; jedenfalls ist öffentlichen Belangen nicht von vomeherein ein Vorrang gegenüber privaten Belangen einzuräumen, vgl. BVerwGE 47, 144 (147), für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung BVerwG, NVwZRR 1991, 118 (122); vielmehr ist vom (abstrakt) gleichen Rang der betroffenen privaten und öffentlichen Belange auszugehen, so Wahl, DVBI. 1990, 426 (437); vgl. auch Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 150. 298 Vgl. oben aa. (2). 299
Vgl. BVerwGE 47, 144 (154); E 61, 295 (302).
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Pluglärmschutz 267
avisierte Planung also zu fluglärmbedingten Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter führt, hat dies je nach dem Grad der Beeinträchtigung in erheblichem Maße Einfluß auf die Gewichtung dieser Belange in der Abwägung.300 Aus § 50 BImSchG, § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG und dem FlugLG ergibt sich wie dargelegt - ein gesetzliches Berücksichtigungs- und Optimierungsgebot hinsichtlich des Schutzes vor Fluglärm, das als planerische Zielvorgabe für die fachplanerische Abwägung von Bedeutung iSt. 301 Durch diese Vorschriften hat der Schutz vor Fluglärm eine normativ gesteuerte Gewichtung erfahren. 302 Mit Berücksichtigungsgeboten werden bestimmte abwägungserhebliche Belange hervorgehoben, die im Rahmen der Abwägung besonders berücksichtigungsbedürftig sind303 , mit Optimierungsgeboten wird eine möglichst weitgehende Optimierung bestimmter Belange gefordert, mit der Folge, daß zu optimierenden Belangen in der Abwägung ein besonderes Gewicht eingeräumt wird. 304 Den durch Fluglärm betroffenen privaten Belangen kommt also wegen ihrer Grundrechtsrelevanz, dem Fluglärmschutz als öffentlichem Belang wegen seiner Verankerung in Berücksichtigungs- und Optimierungsgeboten von vomeherein ein hohes Gewicht bei der fachplanerischen Abwägung zu. Dadurch ist der eingangs umschriebene "Gewichtungsspielraum" der Planungsbehörde, was den Schutz vor Fluglärm anbelangt, doch erheblich eingeschränkt. cc) Ausgleichsproieß Schlußpunkt des Abwägungsprozesses ist die sog. Abwägung im engeren Sinne, die auf einen umfassenden Ausgleich zwischen harmonisierenden und gegenläufigen Belangen zielt. 305 Dieser (mehrdimensionale) Ausgleichsprozeß ist dadurch gekennzeichnet, daß die zahlreichen, in ihrem Verhältnis zueinander komplexen Interessen viel faltig miteinander verschränkt sind, so daß dem einen Interesse nichts zugestanden werden kann, ohne in einer Art Ketten300 Vgl. dazu auch allgemein Ibler, Schranken, S. 252; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 150 f. 301 Vgl. oben 3. b. 302 Der Gesetzgeber hat insoweit eine - wenn auch begrenzte - Möglichkeit wahrgenommen, lenkend auf den Abwägungsprozeß und die Gewichtung der Belange einzuwirken; vgl. dazu Funke, DVBI. 1987,511 (514/515 f.); Wahl, NVwZ 1990, 426 (427). 303 Vgl. BVerwGE 75,214 (221/2541257); Steinberg, NVwZ 1986, 812 (814). 304 Vgl. dazu schon oben b.; vgl. auch BVerwGE 71, 163 (165) sowie ausfiihrlich Hoppe, DVBI. 1992, 853 (854). 305 Vgl. nur Hoppe, DVBI. 1992,853 (857).
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
reaktion zahlreiche andere Interessen zu berühren und zurückzustellen. 306 Ein Ausgleich zwischen kollidierenden Belangen setzt somit notwendig die Bevorzugung des einen und damit die Zurückstellung eines anderen Belangs voraus. 307 Insbesondere darin verwirklicht sich die planerische Gestaltungsfreiheit der Planungsbehörde. 308 Allerdings ist die Ermächtigung zur planerischen Gestaltung auch nur rechtsgebunden gewährt und darf nicht als auf die Beachtung nur allgemeiner planerischer Vernünftigkeit gerichtet verstanden werden. 309 Die Ausgleichsentscheidung zwischen konfligierenden und konkurrierenden Belangen muß vielmehr ein sachgerechtes Verhältnis zwischen den objektiven Gewichten dieser gegenläufigen Belange herstellen, der Ausgleich darf nicht "außer Verhältnis" zur objektiven Gewichtigkeit der einzelnen auszugleichenden Belange erfolgen31O , er muß - mit anderen Worten - proportional sein. 311 Die maßgebende, den planerischen Ausgleichsprozeß begrenzende Abwägungsdirektive, ergibt sich damit aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 312 Dieser erfordert allerdings kein eindeutiges Übergewicht der für das Vorhaben sprechenden Belange3l3 ; auch bei einem (objektiven) Gleichgewicht der Belange hat die Planungsbehörde die Wahl, welchen der Belange sie bei Gestaltung des Interessenausgleichs den Vorzug gibt314 und selbst objektiv geringwertigere Belange sollen objektiv höherwertigen Belangen vorgezogen werden können, solange ein solcher Ausgleich zum objektiven Gewicht der höherwertigen Belange nicht "außer Verhältnis" steht315 •
306 Vgl. BVeIWG, NJW 1969, 1868 (1869); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 78; Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 123. 307 BVeIWGE 34, 301 (309); E 56, 110 (126). 308 BVeIWGE 34, 301 (309); für die Flughafenplanung BVeIWGE 56, 110 (126); E 75, 214 (254); Kügel, Planfeststellungsbeschluß, S. 152; dazu auch schon oben 2. 309 BVeIWGE 75,214 (254), unter Bezugnahme auf Art. 19 Abs. 4 GG. 310 Ständige Rechtsprechung des BVeIWG; für das Flughafenplanungsrecht z.B. BVeIWGE 56, 110 (122/126); E 75, 214 (253); BVeIWG, NVwZ-RR 1991, 118 (122); BVeIWGE 87,332 (341). 311 Hoppe, DVBI. 1992, 853 (857). 312 Vgl. BVeIWGE 56, 110 (123); E 61, 295 (301); E 64, 270 (273); siehe auch BVertGE 79, 174 (198); aus der Literatur z.B. SendJer, WiVeIW 1985, 211 (221); !bIer, Schranken, S. 251; ders., NuR 1989,247 (251); Hügel, Dritte als Betroffene, S. 46; Korbmacher, DÖV 1978, 589 (594). 313 Vgl. BVeIWGE 75,214 (253). 314 Vgl. BVeIWGE 71, 166 (171). 315 So [bier, Schranken, S. 251; Hoppe, DVBI. 1992, 853 (857); dies ist allerdings umstritten, a.A. z.B. Papier, DVBI. 1975,461 (464 f.); Steinberg, Nachbarrecht, S. 150 Rn. 155.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 269
Innerhalb dieses Rahmens sind alle Belange "relativ" in dem Sinne, daß sie unter einem Abwägungsvorbehalt stehen. 316 Dies gilt im Prinzip auch für durch Optimierungs- und Berücksichtigungsgebote wie etwa § 50 BImSchG und § 6 Abs.2 S. 1 LuftVG besonders geschützte Belange. Sie bestimmen zwar als planerische Zielvorgaben die Richtung des planerischen Ausgleichs mit, können aber letztlich, sofern dies zu ihrem objektiven Gewicht nicht außer Verhältnis steht, hinter andere Belange zumindest teilweise zurückgestellt werden, wenn entsprechend gewichtige sachliche Rechtfertigungsgründe bestehen. 317 Schließlich sind auch grundrechtlich geschützte Belange einem abwägenden Ausgleich nicht von vorneherein entzogen. Ihre besondere Gewichtigkeit für die Abwägung bedeutet nicht etwa, daß sie vor planerischen Eingriffen überhaupt geschützt sind. Bereits an anderer Stelle wurde herausgearbeitet, daß ein durch öffentliche Interessen gerechtfertigtes Planvorhaben (gemeinnützige Planfeststellung) auch (Grund-)Rechtspositionen beschränken kann. 318 Für grundrechtlich geschützte private Belange gilt daher im Grundsatz nichts anderes, als für andere abwägungserhebliche Belange, nämlich daß sie zugunsten einer, durch hinreichende Planrechtfertigung gedeckten und mit den planerischen Zielvorgaben übereinstimmenden Planung im Einzelfall zurückgestellt werden können. 319 Da Grundrechtspositionen nur unter strikter Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eingeschränkt werden können, kommt aber hier dem Leitprinzip eines verhältnismäßigen Ausgleichs der Belange eine herausragende Bedeutung zu. Die planerische Abwägung darf nicht zu unverhältnismäßigen Einschränkungen von Grundrechtspositionen führen. Dabei gilt für Fluglärmbeeinträchtigungen: Der im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit gewonnene und am Anfang dieses Abschnitts noch einmal herausgestellte verfassungsrechtliche Mindeststandard eines durch die grundrechtliche Achtungspflicht geforderten Individualschutzes vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen, ist (selbstverständlich) auch im Rahmen des abwägenden Ausgleichs von Belangen unbedingt zu wahren. Insoweit ergeben sich aus den Grundrechten spezifische Grenzen fachplanerischer Abwägung, die an dieser Stelle noch einmal kurz verdeutlicht werden sollen. Der Ausgleich der planungserheblichen Belange darf nicht eine (prognostizierte) Lärmbelastung zum Ergebnis haben, die unangemessen, d.h. unver316
Vgl. dazu Hügel, S. 54, S. 78 f. m.w.N.
Bei Optimierungsgeboten jedenfalls dann, wenn sie auf gegenläufige, ebenfalls zu optimierende Belange treffen, vgl. dazu Hoppe, DVBI. 1992,853 (860). 318 Vgl. oben a. 317
319
Vgl. z.B. BVerwGE 61,295 (302), rur das durch Art. 14 GG geschützte Eigentum.
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
hältnismäßig i.e.S. grundrechtliche Schutzgüter beeinträchtigt. Grundsätzlich ausgeschlossen sind damit planerische Festsetzungen, die zu einer gesundheitsbeeinträchtigenden oder gesundheitsgefabrdenden Belastung mit Fluglärm führen, denn - wie bereits ausführlich dargelegt - die für das Vorhaben streitenden öffentlichen Belange vermögen angesichts der Bedeutung des grundrechtlichen Schutzguts Gesundheit, die Zulassung eines entsprechenden Vorhabens niemals zu rechtfertigen. 320 Ausgeschlossen sind außerdem planerische Festsetzungen die zu Nutzungsbeeinträchtigungen des Grundeigentums führen, die den Eigentümer i.S. der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts "schwer und unerträglich" treffen, und die damit dem Eigentümer angemessenerweise nicht zugemutet werden können (unverhältnismäßige, weil unangemessene Inhaltsbestimmung des Eigentums). 321 Diese Abwägungsgrenze ist im Rahmen der fachplanerischen Abwägung unter Berücksichtigung von Art und Ausmaß der Beeinträchtigung, der konkreten Grundstückssituation und den für das Vorhaben streitenden Interessen im Einzelfall zu bestimmen. 322 Der gleiche Maßstab gilt für Festsetzungen, die zu lärmbedingten, objektivierbaren Beeinträchtigungen des psychischen Wohlbefindens, wie Kommunikationsstörungen, Störungen der Ruhe und Entspannung und Minderungen der Konzentrations- und Leistungsfähigkeit, führen. 323 Außerdem muß der fachplanerische Ausgleich auch unterhalb der gerade skizzierten Grenze verfassungsrechtlicher Unzumutbarkeit dem Grundsatz des geringstmöglichen Eingriffs genügen. Dabei sind im Hinblick auf grundrechtsbeeinträchtigende Fluglärmbelastungen zwei Fallgestaltungen auseinanderzuhalten: Die Planung führt zu grundrechtsbeeinträchtigenden Lärmbelastungen, die zwar vermeidbar sind, aber nur durch eine entsprechend geänderte Planungskonzeption bzw. nur durch Zurückstellen von für das Vorhaben streitenden öffentlichen Belangen. Diese Konstellation ist in vollem Umfang dem abwägenden Ausgleich zugänglich. Für die abwägende Entscheidung sind zum einen die öffentlichen Interessen zu berücksichtigen, die für die ursprüngliche Plankonzeption sprechen, zum anderen ist der besonderen Bedeutung des Schutzes vor Fluglärm Rechnung zu tragen, die sie sich aus seiner grundrechtlichen Verankerung ergibt und die in den Optimierungs- und Berück-
320 Insoweit besteht also eine absolute Abwägungsgrenze; vgl. dazu eingehend oben 2. Teil, B. I. 2. c. bb. und zusammenfassend B. I. 3. 321 Vgl. BVerwGE 47, 147 (153 f.); E 61, 295 (302); dazu auch schon ausfiihrlich oben, 2. Teil, B. D. 3. c. und zusammenfassend B. D. 4. 322 Vgl. auch dazu bereits oben, 2. Teil, B. D. 3. c. 323 Dazu schon eingehend oben, 2. Teil, B. IV. 4. b. bb. und zusammenfassend B. IV. 5.
A. Die einzelnen Planungsphasen und ihre Relevanz für den Fluglärmschutz 271
sichtigungsgeboten des § 50 BImSchG, des § 6 Abs. 2 S. 1 LuftVG und des FlugLG Ausdruck gefunden hat. Die Planung führt zu grundrechtsbeeinträchtigenden Lännbelastungen, die durch entsprechende Maßnahmen des aktiven und/oder des passiven Lännschutzes zu venneiden sind, ohne daß die Planungskonzeption geändert werden muß, bzw. ohne daß für das Vorhaben ins Feld geführte öffentliche Interessen zurückgestellt werden müssen. Hier ist für einen, gegebenenfalls die grundrechtlich geschützten Belange zurückstellenden, abwägenden Ausgleich kein Raum, vielmehr folgt aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Erforderlichkeit, daß solche Beeinträchtigungen durch entsprechende Schutzmaßnahmen zwingend vermieden werden müssen, denn die konkrete Planung kann dadurch mit milderen Mitteln verwirklicht werden. 324 Zusammengefaßt: Der abwägenden "Überwindung" grundrechtlich geschützter Belange werden durch die Grundrechte strikte Grenzen gezogen; die Einhaltung des grundrechtlichen Mindeststandards an individuellem Fluglännschutz ist verfassungsrechtlich zwingend geboten und steht nicht unter einem Abwägungsvorbehalt. 4. Ausblick und weiterer Fortgang
Auf der Ebene des einfachen Gesetzes setzt die Regelung des § 9 Abs. 2 (2.Alt.) LuftVG der "Überwindung" entgegenstehender privater Belange durch die fachplanerische Abwägung strikte Grenzen, denn nach dieser Vorschrift sind im Planfeststellungsbeschluß "dem Unternehmer die Errichtung und die Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl oder für die Sicherung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile erforderlich sind". Auswirkungen des Vorhabens, die sich als Gefahren und Nachteile darstellen würden, erfordern also zwingend die Anordnung von Schutzanlagen. Da auch erhebliche Lännbelastungen durch eine entsprechende Planungskonzeption des Flughafens (Standort, Dimensionierung, Konfiguration) letztlich nicht vermieden werden können und angesichts des erheblichen Gewichts der öffentlichen Interessen, die bei der Planfeststellung zur "Überwindung" entgegenstehender privater und öffentlicher "Lännbelange" in die Abwägung eingebracht werden325 , kommt den Schutzauflagen 324 Vgl. schon grundsätzlich oben, 2. Teil, B. I. 2. c. bb., B. 11. 3. c., B. IV. 4. b. bb. Siehe auch BVerwGE, NVwZ-RR 1991, 129 (133): "Die öffentliche Gewalt hat dafiir zu sorgen, daß (... ) vermeidbare ( ... ) Beeinträchtigungen durch Lärmimmissionen unterbleiben" (Hervorhebung vom Verfasser); dazu auch/bier, NuR 1989,247 (251). 325 So fiir die straßenrechtliche Planfeststellung, BVerwGE 48, 56 (68); dazu auch EngelhardJ, BayVBI. 1981, 389 (390).
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen
nach § 9 Abs. 2 LuftVG eine entscheidende Funktion für den Lärmschutz bei Flughafenplanungen zu; ihre praktische Bedeutung als Konfliktlösungsinstrument kann kaum überschätzt werden. 326 Im folgenden sollen daher die Funktionen, rechtlichen Gehalte und Voraussetzungen einer Anordnung von Schutzvorkehrungen wegen Fluglänns näher untersucht werden. Dabei wird entsprechend der AufgabensteIlung der vorliegenden Arbeit - von besonderem Interesse sein, ob und inwieweit der im 2. Teil entwickelte und vorstehend für die fachplanerische Abwägung noch einmal konkretisierte grundrechtliche Mindeststandard eines fachplanerischen Schutzes vor Fluglänn, von § 9 Abs. 2 LuftVG in seiner Anwendung durch Verwaltung und Gerichte auf einfachgesetzlicher Ebene umgesetzt wird.
326
61.
Vgl. Korbmacher, OÖV 1978, 589 (596); Sreinberg, S. 174 Rn. 206; Sieg, ZUR 1993,
B. Schutzauflagen 1 nach § 9 Abs. 2 LuftVG I. Kurzer Überblick zur Rechtsentwicklung der Schutzauflagenvorschriften Eine fachplanerische Schutz- bzw. Ausgleichsregelung war im Kern bereits im Preußischen Eisenbahngesetz (PrEisenBG) von 1838 enthalten. 2 § 14 PrEisenBG lautete: "Außer der Geldentschädigung ist die Gesellschaft auch zur Errichtung und Unterhaltung aller Anlagen verpflichtet, welche die Regierung an Wegen, Überfahrten, Triften, Einfriedungen, Bewässerungs- und Vorflutanlagen etc. nötig fmdet, damit die benachbarten Grundbesitzer gegen Gefahren und Nachteile in Benutzung ihrer Grundstücke gesichert werden".
Das preußische Gesetz über die Enteignung von Grundeigentum (PrEntG) vom 11.6.18743 griff dieses Prinzip unter Erweiterung auf die öffenlichen Interessen in § 14 PrEntG auf. Diese Vorschriften waren die Vorbild4 für eine Vielzahl ähnlicher Regelungen in den Fachplanungsgesetzen5 , insbesondere auch für die praktisch bedeutsamste, inzwischen aufgehobene Regelung des § 17 Abs. 4 BFStrG a. F6. Das Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes 1 Die Tenninologie ist uneinheitlich; § 9 Abs. 2 LuftVG selbst spricht von "Anlagen", das BVerwG verwendet zumeist den Begriff "Schutzauflagen" (vgl. zuletzt BVerwGE 87, 332 [342] und passim), während in der Literatur auch die Begriffe "Schutzanlagen" (z.B. EngelhardJ, BayVBI. 1981, 89), "Schutzvorkehrungen" (z.B. Kühling, Fachplanungsrecht, S. 114 Rn. 360 und passim) und "Schutzanordnungen" (z.B. Sleinberg, Nachbarrecht, S. 175 Rn. 207 ff.) gebräuchlich sind, ohne daß damit inhaltlich verschiedenes gemeint ist. 2 PrGS, S. 505; dazu eingehend Blümei, Bauplanfeststellung, S. 87 ff. 3 PrGS, S. 221; dazu Blümei, Bauplanfeststellung, S. 35 ff., insb. S. 39; ders., VerwAreh 83 (1992), 146 (152).; Ficken, Planfeststellung, S. 377; ähnlich § 18 des Preußischen Kleinbahnengesetzes, zitiert bei Blümei, a.a.O, S. 107 f. 4 Dazu Blümei, VerwAreh 83 (1992), 146 (152); Ficken, Planfeststellung, S. 377; Kasmer, VerwAreh 80 (1989), 74 (81); Kühling, Fachplanungsrecht, S. 110 Rn. 251; Marschall! Schroeler/Kasmer, BFStrG, § 17 Rn. 10.1. 5 Vgl. die Beispiele bei Blümei, VerwArch 83 (1992), 146 (152). 6 Gerade § 17 Abs. 4 BFStrG war in der ursprunglichen Fassung des BFStrG vom 6.8.1953 (BGBI. I, S. 903) § 14 PrEntG weitgehend nachgebildet; dazu Ficken, Planfeststellung, S. 377; vgl. auch Kasmer, VerwArch 80 (1989), 74 (81); Broß, VerwArch 77 (1986),193 (196 f.).
18 Hermann
274
3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrs flughäfen
vom 5.12.19587 , das zur Bekanntmachung einer Neufassung des LuftVG am 10.1. 1959 führte8 , normierte die Verpflichtung zur Anordnung von Schutzauflagen mit der Einführung des Planfeststellungsverfahrens für Flughäfen und Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich (§§ 8-10 LuftVG) dann auch für die Planung von Flughäfen. Nach § 9 Abs. 2 LuftVG sind im Planfeststellungsbeschluß "dem Unternehmer die Errichtung und Unterhaltung der Anlagen aufzuerlegen, die für das öffentliche Wohl oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile erforderlich sind" . Wo derartige Regelungen nicht oder nicht mehr ausdrücklich normiert sind, wie zum Beispiel für die bundesbahnrechtliche (vgl. § 36 BBahnG) oder die fernstraßenrechtliche Planfeststellung (vgl. § 17 BFStrG n.F.), ergibt sich die entsprechende Verpflichtung aus der subsidiär anzuwendenden Vorschrift des § 74 Abs. 2 S.2 VwVfG bzw. der gleichlautenden Vorschriften der Landesverwaltungsverfahrensgesetze. Danach sind "dem Träger des Vorhabens Vorkehrungen oder die Errichtung und Unterhaltung von Anlagen aufzuerlegen, die zum Wohl der Allgemeinheit oder zur Vermeidung nachteiliger Wirkungen auf Rechte anderer erforderlich sind". Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt die Verpflichtung zur Anordnung von Schutzauflagen, unabhängig von einer ausdrücklichen gesetzlichen Normierung, auch schon aus dem rechtsstaatlichen Gebot gerechter Abwägung, da das Schutzauflagengebot (nur) eine spezielle Ausprägung des (allgemeinen) Abwägungsgebots sei. 9 Ergänzt werden die Schutzauflagenvorschriften durch die gleichfalls subsidiär anzuwendende lO Regelung des § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG, wonach dem Betroffenen Anspruch auf "angemessene Entschädigung in Geld" zusteht, soweit Schutzvorkehrungen zwar erforderlich wären, aber "untunlich und mit
7
8
BGB!. I, S. 899. BGB!. I, S. 9.
9 Vg!. BVelWGE 59, 253 (259 f.), für die bundesbahnrechtliche Planfeststellung nach § 36 BBahnG; BVeIWG, NIW 1982, 1473, für landesstraßenrechtliche Planfeststellung nach § 39 NdsStrG. Deshalb hat das BVelWG wohl auch - trotz des teilweise unterschiedlichen Wortlauts die einzelnen planfeststellungsrechtlichen Ausgleichsvorschriften hinsichtlich Anspruchsvoraussetzungen und rechtlicher Folgen immer einheitlich ausgelegt und beispielsweise seine Rechtsprechung zu § 17 Abs. 4 BFStrG a.F. auf die Auslegung des § 9 Abs. 2 LuftVG (vg!. BVelWGE 56, 110 [123]) sowie - nach Wegfall der meisten einschlägigen Sonderregelungen in den Fachplanungsgesetzen des Bundes und der Länder - auch auf die (bis dato nur subsidiär geltende) allgemeine Ausgleichsvorschrift des § 74 Abs. 2 S. 2 VwVtu übertragen (in BVelWGE 87, 332 [342] etwa wird auf § 9 Abs. 2 LuftVG in Verbindung mit Art. 74 Abs. 2 S. 2 BayVwVtu abgestellt, ohne bezüglich der Anforderungen zu differenzieren). 10 Teilweise ist bzw. war eine solche Verpflichtung auch in den einzelnen Fachplanungsgesetzen selbst verankert; vg!. z.B. § 8 Abs. 4 Abtu, § 17 Abs. 4 BFStrG a.F., § 19 Abs. 3 WaStrG a.F., § 31 Abs. 2 WHG a.F.
B. Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG
275
dem Vorhaben nicht vereinbar sind".11 Angesichts der vielfaItigen spezifischen Probleme, die die Anwendung dieser "Entschädigungsvorschrift" mit sich bringt, würde eine eingehende Auseinandersetzung mit ihr jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen, zumal sie nicht eigentlich dem Schutz vor Fluglärm dient, sondern lediglich einen finanziellen Ausgleich als Surrogat für durch Schutzauflagen nicht vermeidbare Fluglärmbelastungen vorsieht. 12 Die nachfolgende Erörterung konzentriert sich daher auf die Problematik des "physisch-realen Ausgleichs" durch aktive und passive Schallschutzvorkehrungen nach § 9 Abs. 2 S. 2 LuftVG, § 74 Abs. 2 S. 2 VwVfG und behandelt Fragen des "Geldausgleichs" nur insoweit, als sie in unmittelbarem Zusammenhang mit den hier interessierenden Fragestellungen stehen. 11. Der dogmatische Ausgangspunkt: § 9 Abs. 2 LuftVG als Ausprägung des fachplanerischen Abwägungsgebots 1. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
Das Bundesverwaltungsgericht bestimmt die Funktion des § 9 Abs. 2 LuftVG (bzw. der entsprechenden Vorschriften in den anderen Fachplanungs11 "Untunlich" sind Schutzvorkehrungen, wenn der AufWand außer Verhältnis zum angestrebten Schutzzweck steht oder wenn sie nach dem Stand der Technik undurchführbar oder ungeeignet sind; "mit dem Vorhaben unvereinbar" sind Schutzvorkehrungen, wenn sie dem mit ihm verfolgten Zweck zuwiderlaufen; vgl. dazu die Begründung des Regierungsentwurfs eines Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG), BT-Drs. 7/910, S. 89; Bonk, in: Stelkens/ Bonk/Leonardt, VwVfG, § 74 Rn. 34; Giemulla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 10a; Kügel, PIanfeststellungsbeschluß, S. 178 f.; Steinberg, Nachbarrecht, S. 195 ff. Rn. 247 ff.; siehe auch ausführlich W.F.SchmidJ, Entschädigung, S. 93 ff. zur inhaltlich entsprechenden Vorschrift des § 17 Abs. 4 S. 2 BFStrG a.F. 12 Lediglich darauf hingewiesen sei, daß die neuere Rechtsprechung des BVerwG in der Ausgleichsregelung des § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG einen Entschädigungsanspruch des Grundeigentümers erkennt, die sie nicht Art. 14 Abs. 3 GG, sondern Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG zuordnet und dies nicht nur für Eigentumsbeeinträchtigungen unterhalb der "Enteignungsschwelle" , sondern auch für "schwere und unerträgliche" Beeinträchtigungen oberhalb dieser Schwelle. Bei der Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums habe der Gesetzgeber dem Überrnaßverbot Rechnung zu tragen. Dies könne auch durch einen Geldausgleich geschehen; vgl. insb. BVerwGE 77, 295 (298), mit Verweisung auf die "Pflichtexemplar"-Entscheidung des BVerfG (E 58,137 [148 ff.]); BVerwG, NVwZ 1989, 255 (256); BVerwG, NVwZ-RR 1991,129 (133); BVerwGE 87, 332 (380/383). Dagegen sieht der BGH den Anwendungsbereich von Ausgleichsansprüchen wie § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG (einfachgesetzlicher, aus BilIigkeitsgründen gewährleisteter Entschädigungsanspruch) nur unterhalb der "Enteignungsschwelle ", während darüber ein Anspruch aus "enteignendem Eingriff" gegeben sein soll, der vor den Zivilgerichten geltend zu machen sei; grundlegend BGHZ 64, 220 (222/229 f.); BGH, DVBI. 1986, 766 f.; jüngst bestätigt durch BGH, NJW 1993, 1760 f. Zu diesem Problemkreis vgl. auch Berkemann, DVBI. 1986, 768 (769 f.); Dürr, UPR 1993, 161 (168 f.); Heinze, BayVBI. 1981, 649 ff.; Kastner, VerwArch 80 (1989), 74 (89 f.); Kühling, DVBI. 1989, 221 (230); W.F.SchmidJ, Entschädigung, S. 105 ff., insb. S. 146 ff.; Wahl, NVwZ 1990, 426 (440 f.) und oben, 2. Teil, m. 3. c. (am Ende).
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3. Teil: Schutz vor Pluglänn bei der Planung von Verkehrs flughäfen
gesetzen und im Verwaltungsverfahrensgesetz) in erster Linie vom fachplanerischen Abwägungsgebot her. Die Position des Gerichts läßt sich etwa wie folgt zusammenfassen: Eine Planungsentscheidung ist unausgewogen, wenn sie Problem- und Konfliktlagen, die sie herbeiführt und die ihr zuzurechnen sind, nicht löst. Die Planfeststellungsbehörde muß die durch das Planvorhaben ausgelösten Spannungen und Konflikte erkennen und sie, so die Terminologie des Gerichts, "bewältigen". 13 Dieser Aspekt des Abwägungsgebots wird als Grundsatz der Problem- bzw. Konfliktbewältigung bezeichnet l 4, ohne daß damit im Ergebnis weitergehende Anforderungen an die Abwägung oder das Abwägungsergebnis gestellt werden. 15 Um nun im Hinblick auf das der Planfeststellung gesteckte Ziel, unter Berücksichtigung der mit ihr aufgeworfenen Probleme, eine inhaltlich abgewogene Planung zu erreichen, muß die Planfeststellungsbehörde unter den Voraussetzungen von Schutzvorschriften wie § 9 Abs. 2 LuftVG die notwendigen Schutzauflagen anordnen. Der durch planerische Festsetzungen hervorgerufene Interessenkonflikt darf nicht im Wege einer die entgegenstehenden Belange ohne weitere Folgerungen zurückstellenden Abwägung zu Lasten der Planbetroffenen "gelöst" und damit in Wahrheit zu deren Lasten unbewältigt bleiben. 16 Fehlen notwendige Schutzvorkehrungen, so bleibt ein mit der Planung ausgelöster Planungskonflikt offen, was die Rechtswidrigkeit der Planung zur Folge hat. 17 Schutzauflagen sind aber nur "notwendig" LS. des § 9 Abs. 2 LuftVG, wenn die Planfeststellungsbehörde sich abwägungsfehlerfrei nicht in der Lage sieht, die Problembewältigung (schon) durch entsprechende planerische Gestaltung zu leisten; d.h. eine Problembewältigung durch Schutzauflagen soll nur dann statt13 Dazu grundlegend für das Bauplanungsrecht BVerwGE 47, 144 (154 f.), für das Fachplanungsrecht (stf"dßenrechtliche Planfeststellung) BVerwGE 48, 56 (68), für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung BVerwGE 56, 110 (116). 14 Vom "Grundsatz der Problembewältigung" ist erstmals ausdrücklich in BVerwGE 57, 297 (300) die Rede, dort als ein für jede hoheitliche Planung geltender Grundsatz bezeichnet. 15 SendJer, WiVerw 1985, 211 (221), weist anband einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung des BVerwG nach, daß der Grundsatz im Grunde lediglich die richtige Anwendung des Abwägungsgebots gebietet, deshalb über das Abwägungsgebot hinaus keinen Zugewinn erzielt und daher letztlich neben diesem keinen eigenständigen Gehalt hat. Gleichwohl wurde in der Literatur die "Entwicklung" des Grundsatzes überwiegend begrüßt und im Konfliktbewältigungsgebot immerhin insofern eine Präzisierung des Abwägungsgebots und des Verhältnismäßigkeitsprinzips gesehen, als es der Planfeststellungsbehörde untersage, die durch die Planung aufgeworfenen Konflikte in andere Verwaltungsverfahren zu verlagern. Sie sei vielmehr, insbesondere wegen der (fonnellen) Konzentrationswirkung der Planfeststellung, verpflichtet, die aufgeworfenen Konflikte mit dem ihr zur Verfügung stehenden Instrumentarium selbst abschließend zu regeln, vgl. z.B. Hoppe, in: Ernst/Hoppe, Rn. 300 ff.; [bier, Schranken, S. 261 ff. 16 Vgl. dazu BVerwGE 56, 110 (123), wo diese Grundsätze von der straßenrechtlichen Planfeststellung (BVerwGE 48, 56 [68 f.]) auf die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung übertragen wurden und zuletzt BVerwGE 87, 332 (342). 17 BVerwGE 48, 56 (70); E 56, 110 (132); dazu Bender, DVBI. 1984, 301 (310); Birk, VBIBW 1988, 410 (414); Mößle, BayVBI. 1982, 193 (196).
B. Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG
277
finden, wenn eine solche nicht schon im Rahmen der Gestaltungsmöglichkeiten nach § 8 LuftVG (etwa durch eine entsprechende Anordnung der Landebahnen oder entsprechende Konfiguration der Anlage oder durch unmittelbare betriebliche Regelungen) gelingt. 18 Bei den Instanzgerichten 19 und in der Literatur20 hat diese Interpretation der Schutzauflagenvorschriften weitestgehende Zustimmung erfahren.
§ 9 Abs. 2 LuftVG kommt damit eine doppelte Funktion zu. Einerseits sind Schutzauflagen ein (subsidiäres) Instrument zur Bewältigung von Interessengegensätzen und zum Schutz der von der Planung nachteilig Betroffenen, mit dem Ziel einer umfassenden und gerechten Abwägung. Denn Schutzauflagen ermöglichen die Zulassung von Vorhaben, die sich ohne Auflagen als abwägungsfehlerhaft erweisen würde. Der Fachplanung wird mit ihnen ein vielfältiges, flexibles und subtiles Instrumentarium und ein zentrales Handlungsmittel zur Bewältigung des planerischen Interessenausgleichs in die Hand gegeben. 21 Andererseits zieht die Schutzauflagenvorschrift des § 9 Abs. 2 LuftVG der fachplanerischen Abwägung und "Überwindung von Belangen" aber auch strikte Grenzen. Wirken sich Belastungen als "Gefahren und Nachteile" für das Wohl der Allgemeinheit bzw. für die betroffene Nachbarschaft aus, liegen also die Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 LuftVG vor, entfällt nämlich die Befugnis der Planfeststellungsbehörde einen Planfeststellungsbeschluß ohne Schutzauflagen zu erlassen. 22 Ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit obliegt dann nur noch die Art und Weise, das "wie"2J, nicht mehr aber das "ob".24 Das allgemeine Gebot gerechter Abwägung im Rahmen der planerischen Ge-
18 Zu dieser "Subsidiarität" von Schutzauflagen, BVerwGE 87, 332 (342 f.). 19 Vgl. aus jüngerer Zeit z.B. BayVGH, DVBI. 1990, 114 (115 f.); VGH BW,
VBIBW 1990, 56 (62). 20 Vgl. speziell zu § 9 Abs. 2 LuftVG z. B. Geiger, NuR 1982, 127 (132); GiemullalSchmid, LuftVG, § 9 Rn. 2; Quaas, NVwZ 1991,16 (18). 21 Vgl. BVerwGE 48, 56 (69); E 59, 253 (260); Bender, NVwZ 1984, 301 (310); Ibler, Schranken, S.265; Kasmer, VerwArch 1989, 74 (80); Korbmacher, DÖV 1978, 589 (596); Sieg, ZUR 1993, 61. 22 Vgl. BVerwGE 48, 56 (68) für die fernstraßenrechtliche Planfeststellung; BVerwGE 56, 110 (123), BVerwG, NVwZ-RR 1991, 118 (125), BVerwGE 87, 332 (342), BayVGH, DVBI. 1990, 114 (115) für die luftverkehrsrechtliche Planfeststellung; dazu Kasmer, VerwArch 80 (1989), 74 (80); Sieg, ZUR 1993, 61. 23 Zur Auswahl zwischen mehreren, in Betracht kommenden Schutzmaßnahmen und zu den Grenzen dieses fachplanerischen Auswahlermessens, vgl. unten IV. 3. 24 Vgl. BVerwGE 69, 256 (276 f.); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116); Bender, DVBI. 1984,301 (310); HojmannIGrabhe", LuftVG, § 9 Rn. 47 f.; Ibler, Schranken, S. 264 f.
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3. Teil: Schutz vor Fluglänn bei der Planung von Verkehrsflughäfen
staltungsfreiheit wird zum zwingenden Gebot des Nachteilsausgleichs25 durch Schutzauflagen26 • Der Planungsbehörde ist weder hinsichtlich der Anordnung von Schutzauflagen ein planerisches Ermessen, noch hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 2 LuftVG (unbestimmte Rechtsbegriffe) ein Beurteilungsspielraum eingeräumt27 ; Anordnung und Voraussetzungen unterliegen vielmehr uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle28. Der Verpflichtung zur Anordnung von (privatnützigen) Schutzauflagen korrespondiert bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Rechtsanspruch der Betroffenen. 29 2. Erste SteUungnahme
Der dogmatische Ansatzpunkt30 des Bundesverwaltungsgerichts - § 9 Abs. 2 LuftVG als Ausprägung des Konfliktbewältigungs- und damit des fachplanerischen Abwägungsgebots - beschreibt zwar zutreffend den Standort und die Funktion von Schutzauflagen im Rahmen der fachplanerischen Abwägung. Bei grundrechtsorientierter Betrachtungsweise wird damit aber der Bedeutungsgehalt der Schutzauflagenvorschrift für den fachplanerischen Lärmschutz nur unzureichend umschrieben. Dies soll hier nur kurz skizziert werden und bedarf im weiteren Verlauf noch näherer Begründung: Im vorigen Abschnitt31 wurden die grundrechtlichen Grenzen fachplanerischer Abwägung auf der Grundlage des im zweiten Teil dieser Arbeit ermittelten verfassungsrechtlichen Mindeststandards eines durch die grundrechtliche Achtungspflicht ge25 Mößle, BayVBI. 1982, 193 (198), konsentiert zwar die Instrumenten- und Grenzfunktion fachplanerischer Schutzauflagenvorschriften, erkennt in ihnen aber ein zusätzliches und selbständiges Mittel planerischer Gestaltung, dem neben dem Abwägungsgebot eine eigenständige Bedeutung zukommt. Fehle es an einer gebotenen Schutzauflage, so sei nicht das Abwägungsgebot, sondern das "Auflagengebot" verletzt. Dagegen sieht die ganz herrschende Meinung im gesetzlichen Gebot zur Anordnung von Schutzauflagen (nur) eine spezifische Ausprägung des allgemeinen Abwägungsgebots, vgl. schon die Nachweise oben in Fn. 9 und z.B. Kastner, VerwArch 80 (1989), 74 (80); Kodal/Krämer, Straßenrecht, S. 928, Rn. 30.14; Quaas, NVwZ 1991, 16 (18). 26 Bzw. (subsidiär) durch Geldentschädigung, wenn Schutzauflagen untunlich oder mit dem Vorhaben unvereinbar sind, vgl. § 74 Abs. 2 S. 3 VwVfG. 27 Vgl. nur BVerwGE 87, 332 (361). Daher könnte § 9 Abs. 2 LuftVG auch als (strikter) Planungsleitsatz interpretiert werden, in diese Richtung Sieg, ZUR 1993, 61 (62); vgl. auch Quaas, NVwZ 1991, 16 (18); [bler, Schranken, S. 193. 28 BVerwGE 69, 256 (276 f.); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116); Sleinberg, Nachbarrecht, S. 175 Rn. 208. 29 Vgl. nur BVerwG, NVwZ-RR 1991,118 (125); Hojrru:mnIGrabherr, LuftVG, § 9 Rn. 47; zum drittschützenden Charakter der Schutzauflagenvorschriften auch Bender, DVBI. 1984, 301 (311); Czybulka, DÖV 1991, 410 (411); Mößle, BayVBI. 1982,231 (233). 30 So Kühling, Fachplanungsrecht, S. III Rn. 253. 31 Vgl. oben A. IIl. 3. c. cc.
B. Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG
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botenen Immissionsschutzes herausgestellt. Zieht nun § 9 Abs. 2 LuftVG auf einfachgesetzlicher Ebene der fachplanerischen Abwägung strikte Grenzen, indem er zwingend die Vermeidung von "Gefahren und Nachteilen" für die Lärmbetroffenen fordert, so muß diese Grenzziehung dem verfassungsrechtlich gebotenen Lärmschutz zumindest entsprechen. Der durch § 9 Abs. 2 LuftVG gewährleistete Lärmschutzstandard wird daher am grundrechtlichen Schutzstandard zu messen, die Vorschrift im Lichte der grundrechtlichen Anforderungen an einen fachplanerischen Rechtsgüterschutz zu interpretieren und auszulegen sein. Im Mittelpunkt der nachfolgenden Erörterungen (vgl. sogleich unter III.) soll daher zunächst die Darstellung der Bestimmung des Schutzbereichs von § 9 Abs. 2 LuftVG durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stehen. Diese Rechtsprechung ist im weiteren Verlauf einer kritischen Würdigung zu unterziehen, um schließlich Ansatzpunkte einer grundrechtsorientierten Auslegung des Schutzbereichs aufzuzeigen. ID. Der Schutzbereich des § 9 Abs. 2 LuftVG Nach § 9 Abs. 2 LuftVG besteht eine Verpflichtung der Planfeststellungsbehörde zur Anordnung von Schutzanlagen, wenn dies für das öffentliche Wohl (1. Alt.), oder zur Sicherung der Benutzung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile (2. Alt.) erforderlich ist. 1. Für das öffentliche Wohl notwendige Schutzauflagen (§ 9 Abs. 2 I.Alt. LuftVG)
Schutzvorkehrungen für das öffentliche Wohl müssen getroffen werden, wenn einzelne öffentliche Belange zugunsten des Vorhabens ansonsten in einer nicht mehr vertretbaren Weise beeinträchtigt würden. 32 Dabei sind die dem öffentlichen Wohl dienenden Schutzauflagen nicht auf solche Gesichtspunkte beschränkt, die im engen Zusammenhang mit den Bedürfnissen des Luftverkehrs stehen. 33 Öffentliches Wohl meint nicht nur der Planung gleichgerichtete Belange des Luftverkehrs, sondern auch alle von der Planung nachteilig betroffenen, anderweitigen öffentlichen Interessen. 34
Kühling, Fachplanungsrecht, S. 126 Rn. 288. So aber fiir § 17 Abs.4 FStrG a.F. und die Bedürfnisse des Straßenverkehrs noch BVerwGE 26, 302 (304); BVerwGE 28, 139 (145); vgl. dazu auch Kühling, Fachplanungsrecht, S. 125 Rn. 286 f. 34 Vgl. grundlegend BVerwGE 41, 178 (188 f.); Giemulla/Schmid, LuftVG, § 9 Rn. 4; Hofmann/ Grabhe", LuftVG, § 9 Rn. 34; Steinberg, S. 177 Rn. 210. 32 33
280
3. Teil: Schutz vor Pluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
Es kann sich hierbei um gebündelte Belange Privater handeln, hinter denen keine Rechte stehen35 , aber auch um solche öffentlichen Belange, die im Planungsverfahren von einem Träger öffentlicher Interessen geltend gemacht werden, also beispielsweise Belange der öffentlichen Trinkwasserversorgung oder der kommunalen Planungshoheit. 36 Unter Lärmschutzgesichtspunkten sind insbesondere Beschränkungen der durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten kommunalen Planungshoheit beachtlich37 , sei es weil das Gebiet einer Gemeinde in einem Bauschutzbereich nach § 12 LuftVG oder in einem Lärmschutzbereich nach § 4 FlugLG liegt und entsprechenden "Planungsbeschränkungen" unterliegt, sei es, weil das Gebiet einer Gemeinde auch außerhalb eines solchen Bereichs noch erheblichen Lärmbelastungen ausgesetzt ist und sich daher bestimmte Planaussagen in der Bauleitplanung (etwa die Ausweisung eines Wohngebiets) unter Abwägungsgesichtspunkten verbieten. 38 Für das Gemeindegebiet muß allerdings grundsätzlich bereits eine hinreichend konkretisierte gemeindliche Planung vorliegen, die durch das Vorhaben nachhaltig gestört wird, d.h. unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zeitigt. 39 Eine Beeinträchtigung der Planungshoheit soll aber auch dann vorliegen, wenn - ohne daß es auf eine hinreichend konkretisierte gemeindliche Planung ankommt - wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer durchsetzbaren Planung der Gemeinde gänzlich entzogen werden. 4O Im Extremfall kann die Belastung des Gemeindegebiets durch Fluglärm so weit gehen, daß der Gemeinde jede Planungsmöglichkeit genommen wird, z.B. wenn wegen der erheblichen Lärmbeeinträchtigungen in keinem Teil des Gemeindegebiets mehr alle in der Baunutzungsverordnung vorgesehenen Baugebiete mehr geschaffen werden können, oder der für die Wohnbebauung noch zur Verfügung stehende Teil des Gemeindegebiets so geringfügig oder so weit vom vorhandenen Bebauungszusammenhang entfernt ist, daß er für eine Entwicklung der Gemeinde ernsthaft nicht mehr in Betracht gezogen werden kann. Lärmmindernde Schutzauflagen können insoweit zu einer Verkleinerung der Schutzbereiche nach dem LuftVG und dem FlugLG führen und sich auf die bauleitplanerische Abwägung (§ 1 Abs. 5 Nr. 1 BauGB) auswirken. 35 Sleinberg, Nachbarrecht, S. 177 Rn. 210; ausfiihrlich zur Verschränlrung von öffentlichen und privaten Interessen im Abwägungsprozeß, Pfaff, Planungsrechtsprechung, S. 48 ff. 36 Zahlreiche weitere Beispiele bei Hojmann/Grabhe", LuftVG, § 9 Rn. 34 ff. und bei Kühling, Fachplanungsrecht, S. 126 ff. Rn. 288 ff. 37 Soweit die Gemeinden als Grundstückseigentümer durch Fluglänn betroffen werden, ist dagegen § 9 Abs. 2 2.Alt. LuftVG einschlägig. 38 Vgl. dazu auch schon oben A. m. 3. c. aa. (2). 39 Vgl. grundlegend BVerwGE 51,6 (14 f.); BVerwG, NVwZ 1984, 718. 40 Vgl. BVerwGE 74,124 (132); E 79,319 (325); OVG NW, ZLW 1991, 61 (81).
B. Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG
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2. Privatnützige Schutzauflagen (§ 9 Abs. 22.Alt. LuftVG)
Den privatnützigen Schutzauflagen zur "Sicherung der benachbarten Grundstücke gegen Gefahren und Nachteile" nach § 9 Abs. 2 2.Alt. LuftVG, kommt entscheidende Bedeutung für den individualrechtlichen Schutz vor Fluglärm im Rahmen der Flughafenfachplanung ZU. 41 Gleichwohl fehlt es weitgehend an nonnativen Regelungen zur näheren Bestimmung des erforderlichen Lärmschutzes (unter a.). Das Bundesverwaltungsgericht sah sich daher gezwungen, richterrechtliche Maßstäbe zur näheren Bestimmung des Schutzbereichs von § 9 Abs. 2 2.Alt. LuftVG zu entwickeln (unter b.). Diese Rechtsprechung ist einer kritischen Würdigung zu unterziehen (unter c.)
a) Fehlende normative Grundlagen zur näheren Bestimmung des Schutzbereichs Im Gegensatz zur Straßenplanung, wo mit der auf Grund des § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG erlassenen Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchVO)42 eine nonnative Grundlage mit entsprechenden Grenzwerten zur Beurteilung der Frage, ab welcher Lärmbelastung Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind, geschaffen wurde43 , fehlt für den Fluglärmschutz bei der Planung von Verkehrsflughäfen bisher ein solcher rechtlicher Maßstab. Er kann insbesondere nicht im Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm (FlugLG) gefunden werden. Nach §§ 2 und 4 FlugLG werden Lärmschutzbereiche für besonders fluglärmbetroffene Gebiete durch Rechtsverordnung festgesetzt. Der Lännschutzbereich gliedert sich in eine innere (Schutzzone 1) und in eine äußere Schutzzone (Schutzzone 2). Die Schutzzone 1 umfaßt das Gebiet, in dem der nach § 3 FlugLG und der Anlage zu § 3 FlugLG zu errechnende äquivalente Dauerschallpegel 75 dB(A) übersteigt. die Schutzzone 2 das Gebiet, in dem der äquivalente Dauerschallpegel 67 dB(A) übersteigt. 44 Die 41 Vgl. dazu schon oben A. ill. 4. 42 Vom 12.6.1990, BGBI. I, S. 1036. 43 Die am 21.6.1990 in Kraft getretene Verordnung verlangt zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen die Sicherstellung von bestimmten, nach Gebietsart und konkreter Schutzbedürftigkeit abgestuften, Lärmimrnissionsgrenzwerten bei Bau und Erweiterung von Straßen und Schienenwegen (§§ I, 2 der VO); vgl. zur Entstehungsgeschichte Hölder, in: Koch (Hrsg.), S. 171 ff.; zum Regelungsbereich und zur Anwendung der 16. BImSchVO, BVerwG, DVBI. 1992, 1103; A/exantIer in: Speyerer Forschungsberichte 95, S. 5 ff.; tiers., NVwZ 1991,318 ff.; Ficken, ZtL 38 (1991), 175 ff.; HendJmeier, NuR 1992, 463 ff.; Zeit/er, NVwZ 1992, 830 (832 f.). 44 Der äquivalente Dauerschallpegel (auch Mittelungspegel genannt) gibt bei zeitlich schwankenden Schalldruckpegeln den Pegel an, der einem gleichbleibenden Geräusch entspricht, weIches in einem festgelegten Bezugszeitraum die gleiche Schallenergie liefert, wie die
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3. Teil: Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen
Festlegung der Lärmschutzbereiche erfolgt in erster Linie aus siedlungsplanungsrechtlichen (vgl. die Baubeschränkungen der §§ 5, 6 FlugLG) und entschädigungsrechtlichen Gründen (vgl. §§ 7 - 10 FlugLG). Für die Frage, welche Lärmbelastung der von einer Flughafenplanung konkret Betroffene hinnehmen muß, können die Grenzwerte des § 2 FlugLG jedoch nicht herangezogen werden, da es auch außerhalb des Lärmschutzbereichs noch zu erheblichen Lärmbelastungen kommt. 4s Das FlugLG ist in seiner gültigen Fassung weithin ein politischer Kompromiß, der neben dem Fluglärmschutz auch die weitreichenden finanziellen Folgen berücksichtigt, die sich aus der Einbeziehung von Grundstücken und Einrichtungen in den Lärmschutzbereich ergeben. 46 Es ist damit weniger ein Gesetz zum Schutz gegen Fluglärm, als vielmehr ein Siedlungsplanungs- und Entschädigungsgesetz47 und daher gar nicht dazu bestimmt, Aussagen über das individuelle Maß an Fluglärm zu machen, welches die Betroffenen als Folge der Flughafenplanung hinnehmen müssen oder gar entsprechende Grenzwerte festzusetzen. 48 Hinzu kommt, daß der als Berechnungsparameter für die Festsetzung des Lärmschutzbereichs zu ermittelnde äquivalente Dauerschallpegel zwar prinzipiell geeignet ist, als Grundlage für Aussagen über die soziale Lästigkeit von Fluglärm zu dienen49 ; er berücksichtigt aber nach heutigen Erkenntnissen nicht ausreichend mögliche Gesundheitsgefahrdungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Fluglärm. so Zur Beurteilung solcher Gefahrdungen muß vielmehr (auch) von den Einzelschallpegeln (bzw. Maximalpegeln) als den höchsten Intensitäten beim Starten und Landen der (lautesten) Flugzeuge und der Häufigkeit solcher Ereignisse ausgegangen werden. SI
tatsächlich auftretenden Geräusche; vgl. dazu und zum Meß- und Beurteilungsverfahren nach § 3 FlugLG i. V.m Anlage zu § 3 schon ausfiihrIich oben, I. Teil, B. IV. I. 4S Vgl. Fluglärmbericht der Bundesregierung 1978, BT-Drs. 8/2254, S. 16; DFG-Fluglärmwirkungen, S. 531; Vogel, KdL 22 (1975), 91 (96). 46 Vgl. zur Entstehungsgeschichte des FlugLG ausfiihrlich Soell, in: Schutz gegen Verkehrslärm, S. 52 ff.; ders., in: LandmannIRohmer, FlugLG, Vorbemerkung Rn. 19 ff. 47 BeckerslHollzhausen, ZtL 27 (1980), 39 (49) sprechen sogar von einem "Gesetz zum Schutz der Flughäfen und ihres weiteren Ausbaus". 48 Praktisch allgemeine Meinung, vgl. BVerwG ZLW 1979, 48 (62), insoweit in BVerwGE 56,110 nicht abgedruckt; BVerwG NVwZ-RR 1991, 119 (124 f.); BayVGH, DVBI. 1990, 114 (116); BGHZ 69, 105 (114 ff.); BGHZ 69, 118 (126); BGHZ 79, 45; BGH, NJW 1993, 1700 (1702); Bender/Sparwasser, Umweltrecht, Rn. 172; Giemulla/Schmid, LuftVG, § 6 Rn. 17; Quaas, NVwZ 1991, 16 (17); Soell, in: LandmannIRohmer, FlugLG, § 2 Rn. 9. Vgl. dazu schon eingehend oben, 1. Teil, D. n. mit den Nachweisen Fn. 264. so Vgl. auch dazu oben, I. Teil, D. U. mit den Nachweisen Fn. 264. SI Auch dazu schon oben, 1. Teil, D. n. mit den Nachweisen in Fn. 265-267.
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B. Schutzauflagen nach § 9 Abs. 2 LuftVG
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Quaas52 sieht in den nach Teil 3 der DIN 45643 wMessung und Beurteilung von Flugzeuggeräuschen zu ermittelnden Fluglärmbeurteilungspegeln einen W
sachgerechten Beurteilungsmaßstab. 53 Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß die DlN 45643, Teil 3 nur ein physikalisch bewertetes Lärmmaß angibt (Beurteilungspegel). Richt- oder Grenzwerte werden nicht festgesetzt54 , die (rechtliche) Bewertung der beschriebenen Lärmbelastung ist also (noch) an anderer Stelle zu leisten. Außerdem geht auch die DlN 45643 von einem äquivalenten Dauerschallpegel aus55 , der - wie ausgeführt - die gesundheitsbeeinträchtigenden Wirkungen von Fluglärm nur unzureichend erfaßt. Im übrigen könnte der DlN 45643 als technischer Normierung einer privaten Organisation auch keinerlei rechtliche Bindungswirkung, sondern allenfalls ein gewisser Indiziencharakter zukommen. 56 Schließlich scheidet auch eine entsprechende Anwendung der Grenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchVO), wegen des für Fluglärm ungeeigneten Meß- und Bewertungsverfahrens und wegen der mangelnden Vergleichbarkeit von Straßenverkehrslärm- und Fluglärmwirkungen aus. 57 Das beschriebene "Normierungsdefizit" wird immer wieder58 , nicht zuletzt auch durch die Rechtsprechung selbst59 beklagt. VerfassungsrechtIiche Bedenken können daraus aber, auch im Hinblick auf das rechtsstaatIiche Bestimmt-
Quaas, NVwZ 1991,16 (17). Vgl. zur DIN 45643 schon ausführlich oben, 1. Teil, B. IV. 2. 54 Vgl. Normenausschuß Akustik und Sicherungsteclmik (FANAl