Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte in Deutschland und Korea: Deutsch-Koreanisches Symposium [1 ed.] 9783428521531, 9783428121533

Der Band gibt die Referate wieder, die anläßlich eines Deutsch-Koreanischen Symposiums zum Thema "Rechtsschutz gege

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Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte in Deutschland und Korea: Deutsch-Koreanisches Symposium [1 ed.]
 9783428521531, 9783428121533

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Schriften zum Internationalen Recht Band 160

Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte in Deutschland und Korea Deutsch-Koreanisches Symposium

Herausgegeben von

Wolf-Rüdiger Schenke und Jong Hyun Seok

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

WOLF-RÜDIGER SCHENKE / JONG HYUN SEOK (Hrsg.)

Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte in Deutschland und Korea

Schriften zum Internationalen Recht Band 160

Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte in Deutschland und Korea Deutsch-Koreanisches Symposium

Herausgegeben von

Wolf-Rüdiger Schenke und Jong Hyun Seok

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten # 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-12153-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort

Der vorliegende Band gibt die Referate wieder, die anläßlich eines DeutschKoreanischen Symposiums zum Thema „Rechtsschutz gegen staatliche Hoheitsakte, insbesondere gegen Verwaltungshandlungen“ im Juli 2005 in Mannheim durch deutsche und koreanische Hochschullehrer gehalten wurden. Die Vortragsform wurde dabei jeweils beibehalten. Die Tagung, die von der Abteilung Rechtswissenschaft der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim sowie der Vereinigung der Koreanischen Verwaltungsrechtslehrer, der alle koreanischen Referenten angehören, veranstaltet wurde, diente einem für beide Seiten fruchtbaren Gedankenaustausch. Ihren Hintergrund bildete die in Korea anstehende Novellierung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Die Behandlung zentraler Themen der Verwaltungsgerichtsbarkeit zeigte dabei, daß trotz mancher Unterschiede schon jetzt sehr viele Gemeinsamkeiten bei der Ausgestaltung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in beiden Ländern festzustellen sind. Die Vorträge, aber auch die sich an sie jeweils anschließenden Diskussionsbeiträge bewiesen sowohl den deutschen wie auch den koreanischen Teilnehmern einmal mehr, wie sinnvoll eine solche Rechtsvergleichung ist und welcher Gewinn hieraus jeweils für das eigene nationale Recht gezogen werden kann. Das Symposium, das in ein Rahmenprogramm eingebettet war, das u. a. Besuche des Bundesverfassungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg, ein Treffen mit der Leitung der Stadtverwaltung Mannheim sowie den Besuch wichtiger rechtshistorischer Stätten in der Pfalz umfaßte, trug über die Förderung des wissenschaftlichen Gedankenaustausches hinaus auch wesentlich zur Intensivierung der persönlichen Beziehungen zwischen den deutschen und den koreanischen Professoren – die allesamt im Rahmen ihrer akademischen Ausbildung schon früher in Deutschland gewesen waren – bei. Das Symposium fügte sich damit in eine Reihe von Begegnungen zwischen deutschen und koreanischen Verwaltungsrechtslehrern ein, die bereits seit vielen Jahren stattfinden und die schon in diesem Jahr eine Fortsetzung in Korea finden werden. Ohne die großzügige finanzielle Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Korean Research Foundation, aber auch privater Förderer wie der BASF AG, des C. H. Beck-Verlags sowie des C. F. Müller-Verlags und der Stadt Mannheim hätten das Symposium und die hiermit in Verbindung

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Vorwort

stehenden Veranstaltungen nicht stattfinden können. Diesen Förderern sei ebenso wie unserem Kollegen, Herrn Professor Dr. Baumeister, sowie den wissenschaftlichen Assistenten am Lehrstuhl Schenke, den Herren Assessoren Hößlein und Schuff, sowie den wissenschaftlichen Mitarbeitern, den Herren Assessoren Dr. Budroweit, Großmann, Dr. Reinhardt und Dr. Wuttke sowie Herrn Rechtsreferendar Lacedonia und Herrn stud. iur. Winstel, die sich allesamt um die Organisation der Tagung verdient gemacht haben, auch an dieser Stelle nochmals herzlich gedankt. Besonderer Dank gebührt auch den Sekretärinnen am Lehrstuhl Schenke, Frau Kohl und Frau Spagerer, für ihren unermüdlichen organisatorischen Einsatz. Mannheim/Seoul, im Januar 2006

Jong Hyun Seok Wolf-Rüdiger Schenke

Inhaltsverzeichnis Jong Hyun Seok Einführung in die Entwicklungstendenzen der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit .....................................................................................

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Wolf-Rüdiger Schenke Die verfassungsrechtliche Garantie des Rechtsschutzes gegenüber staatlichen Hoheitsakten in Deutschland ................................................................................... 31 Hong Suck Cho Die verfassungsgerichtliche Kontrolle staatlicher Hoheitsakte in Korea ................ 53 Thomas Würtenberger Die verwaltungsgerichtlichen Klagearten in Deutschland ...................................... 67 Hae Ryoung Kim Die verwaltungsgerichtlichen Klagearten in Korea ................................................ 81 Hee Gon Kim Vorläufiger Rechtsschutz im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht .................... 97 Josef Ruthig Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle in Deutschland .............. 117 Jee Tai Ryu Die Klagebefugnis in Korea .................................................................................... 147 Choon Hwan Kim Kollektivklagen in Korea ........................................................................................ 163 Hans-Werner Laubinger Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten in Deutschland ........... 177 Dong Soo Song Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten in Korea ..................... 205

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Inhaltsverzeichnis

Hyun Ho Kang Justizfreie Hoheitsakte, insbesondere Regierungsakte, in Korea ........................... 221 Kurt Graulich Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten in Deutschland.................................... 231 Autorenverzeichnis ...................................................................................................... 257

Einführung in die Entwicklungstendenzen der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit Von Jong Hyun Seok

I. Einleitung In der koreanischen Verwaltungsprozeßrechtsdogmatik bezeichnet man Rechtsschutzverfahren gegen Handlungen der Verwaltung als Haengjeongsang Jaengsong (im folgenden Jaengsong abgekürzt). Das Wort Haengjeong bedeutet die Verwaltung, Sang bedeutet von oder auf, und der Begriff Jaengsong umfaßt den Widerspruch und die verwaltungsgerichtliche Klage. Die Jaengsong im weiteren Sinne bedeutet das von einem Staatsorgan durchzuführende Verfahren, das über Gestaltung oder Bestehen eines verwaltungsrechtlichen Rechtsverhältnisses Klarheit zu schaffen hat, umfaßt also sowohl das Widerspruchsverfahren als auch das verwaltungsgerichtliche Klageverfahren. In diesem Sinne wird der Begriff heute verwendet. Die Jaengsong im engeren Sinne meinte dagegen die durch Ausschüsse der Verwaltung ohne richterliche Unabhängigkeit ausgeübte Verwaltungsrechtspflege, wie sie früher in Deutschland und Frankreich üblich war. Die Jaengsong in diesem Sinne gab es in der geschichtlichen Entwicklung der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht. Heute versteht man den Begriff Jaengsong im weiteren Sinne. Allerdings obliegt seit der ersten koreanischen Verfassung von 1948 (im folgenden KV abgekürzt)1 die rechtsprechende Gewalt auch im Bereich des Verwaltungsrechts ständig den ordentlichen Gerichten. Dies besagt aber nicht, daß im koreanischen Rechtssystem ein verwaltungsprozeßrechtliches Verfahren nicht vorhanden wäre. Das geltende Recht, nämlich die koreanische Verwaltungsgerichtsordnung ___________ 1 Vom Text der Koreanischen Verfassung vom 17.07.1948 gibt es keine offizielle englische Übersetzung. Englische Übersetzungen sind abgedruckt in: Office of Public Information/Republic of Korea, The Constitution of the Republic Korea, 1959, S. 31; Amos J. Peaslee (ed.), Constitution of Nations, Vol. 2, Concord. N.H. 1950, S. 335-348; Bong Kun Kal, Der Einfluß des Grundgesetzes auf koreanisches Verfassungsrecht, in: Klaus Stern (Hrsg.), 40 Jahre Grundgesetz, München 1990, S. 299 ff.

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(im folgenden KVwGO abgekürzt),2 regelt das verwaltungsprozessuale Verfahren. Dabei geht es im wesentlichen um die Anfechtung von Handlungen der Verwaltung.3 Die koreanische Verfassung und das geltende Recht kennen, wie erwähnt, grundsätzlich keine eigenen Verwaltungsgerichte; vielmehr liegt in der Regel die Gerichtsbarkeit in der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte. Art. 107 Abs. 2 KV schreibt vor, daß in letzter Instanz der Oberste Gerichtshof über die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit von Verordnungen, Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungsakten entscheidet, wenn es in einem Prozeß auf deren Gültigkeit ankommt. Die KV schreibt die Errichtung einer eigenen Verwaltungsgerichtsbarkeit in Korea also nicht vor, während ein Verwaltungsvorverfahren nach Art. 107 Abs. 3 KV ausdrücklich verlangt wird. Das koreanische Rechtssystem erkennt allerdings durchaus die Unterschiede zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht an. Daraus ergibt sich, daß öffentlich-rechtliche Streitigkeiten im Vergleich zu zivilrechtlichen Streitigkeiten eine andere Regelung erfahren mußten, und deshalb wurde, wie oben erwähnt, die KVwGO von 1951 verabschiedet, die prozeßrechtliche Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten vorschreibt. Damit kann man davon ausgehen, daß das koreanische Verwaltungsprozeßrecht letztlich doch mit dem deutschen Verwaltungsprozeßrecht vergleichbar ist, abgesehen natürlich davon, daß es – von einer seit dem Jahr 1998 geltenden Ausnahme einmal abgesehen – keine besonderen Verwaltungsgerichte gibt. Besagte Ausnahme wurde durch das Änderungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vom 27. Juli 1994 (Gesetz Nr. 4765) geschaffen, das für die Stadt Seoul ein eigenes Verwaltungsgericht als Eingangsgericht einführte (§§ 28-2, 40-2 Gerichtsverfassungsgesetz), wobei diese Bestimmungen erst am 1. März 1998 in Kraft getreten sind.4

___________ 2

Koreanische Verwaltungsgerichtsordnung i.d.F. v. 15.12.1984 (Gesetz Nr. 3574). Geändert durch Gesetze v. 05.08.1988 (Gesetz Nr. 4017), v. 27.07.1994 (Gesetz Nr. 4770), v. 26.01.2002 (Gesetz Nr. 6626), v. 26.01.2002 (Gesetz Nr. 6627). Zuvor galt die KVwGO i.d.F. v. 24.08.1951 (Gesetz Nr. 213), geändert durch Gesetz v. 15.07.1955 (Gesetz Nr. 363) und v. 02.05.1963 (Gesetz Nr. 1339). 3 Zu Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea vgl. Jong Hyun Seok, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 127, 1995, S. 57 ff. 4 § 1 des Gesetzes über die Errichtung und die Zuständigkeiten der jeweiligen Gerichte i.d.F. vom 27.07.1994 (Gesetz Nr. 4766).

Entwicklungstendenzen der koreanischen Verwaltungsgerichtsbarkeit

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II. Die Koreanische Verwaltungsgerichtsordnung 1. KVwGO von 1951 Die erste KVwGO5 von 1951 wurde aufgrund Art. 81 Abs. 1 KV von 1948 verabschiedet. Dieses Gesetz bestand aus 14 Paragraphen und 2 Schlußvorschriften; nämlich § 1 (Ziel), § 2 (Obligatorisches Vorverfahren), § 3 (Beklagter), § 4 (Örtliche Zuständigkeit), § 5 (Klagefrist), § 6 (Änderung des Beklagten), § 7 (Objektive Klagehäufung), § 8 (Vertreter mehrerer Kläger), § 9 (Untersuchung von Amts wegen), § 10 (Aufschiebende Wirkung), § 11 (Verfahren ohne mündliche Verhandlung), § 12 (Klageabweisung), § 13 (Wirkung der Urteile), § 14 (Anwendung von anderen Gesetzen). Dieses Gesetz galt als rechtliche Grundlage für das verwaltungsprozessuale Verfahren über 30 Jahre lang. Es wurde in dieser Zeit nicht ein einziges Mal geändert, obwohl sich die Verwaltungspraxis und das Rechtsempfinden der Bürger in dieser Zeit erheblich veränderten und obwohl kritisiert wurde, daß die KVwGO als Grundlage für den verwaltungsprozessualen Rechtsschutz zahlreiche Mängel aufwies. Endlich wurde die erste KVwGO im Jahr 1984 völlig geändert. Im Jahre 1998 erfolgte eine erneute, weniger weitreichende Änderung. Außerdem ist hier zu bemerken, daß der Oberste Gerichtshof am 28. Oktober 2004 einen Änderungsentwurf zur KVwGO vorgelegt hat. Dieser befindet sich aber noch in der Beratung, wodurch ich auf ihn nicht näher einzugehen brauche. An dieser Stelle möchte ich nun einen Überblick über die geänderten Bestimmungen der beiden Fassungen geben.

2. KVwGO von 1984 a) Die Bestimmungen Die KVwGO von 1984 besteht aus 46 Paragraphen und 6 Schlußvorschriften. Sie behandelt: § 1 (Ziele des Gesetzes), § 2 (Definition von Verwaltungsakt6 und Untätigkeit), § 3 (Arten der verwaltungsprozessualen Klage), § 4 (Anfechtungsklage), § 5 (Fristberechnung bei Wohnsitz im Ausland), § 6 (Bekanntmachung der Verfassungswidrigkeit von Verordnungen und Verwaltungsvorschriften), § 7 (Verweisung bei Unzuständigkeit des Gerichts), § 8 (Anwendungsbereich der KVwGO), § 9 (Örtliche Zuständigkeit), § 10 (Verbindung zu___________ 5

KVwGO v. 24.08.1951 (Gesetz Nr. 213), geändert durch Gesetz v. 15.07.1955 (Gesetz Nr. 363) und v. 02.05.1963 (Gesetz Nr. 1339). 6 Zum Begriff des Verwaltungsaktes – der in Korea erheblich weiter gefaßt wird als in Deutschland – s.u.

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sammenhängender Klagen und Klagehäufung), § 11 (Vorfragen), § 12 (Klagebefugnis), § 13 (Beklagter), § 14 (Änderung des Beklagten), § 15 (Streitgenossenschaft), § 16 (Beiladung Dritter), § 17 (Beiladung von Verwaltungsbehörden), § 18 (Verhältnis zum Widerspruchsverfahren), § 19 (Gegenstand der Anfechtungsklage), § 20 (Klagefrist), § 21 (Klageänderung), § 22 (Klageänderung infolge Änderung des Verwaltungsakts), § 23 (Aussetzung der Vollziehung), § 24 (Aufhebung der aufschiebenden Wirkung), § 25 (Anordnung der Vorlage von Akten des Widerspruchsverfahrens), § 26 (Untersuchung von Amts wegen), § 27 (Aufhebung von Ermessensverwaltungsakten), § 28 (Unaufhebbarkeit eines Verwaltungsakts wegen entgegenstehender Interessen der Allgemeinheit), § 29 (Rechtskrafterstreckung auf Dritte), § 30 (Rechtskrafterstreckung auf andere Verwaltungsbehörden), § 31 (Antrag eines Dritten auf Wiederaufnahme des Verfahrens), § 32 (Prozeßkosten), § 33 (Rechtskrafterstreckung des Urteils über die Kosten auf andere staatliche Stellen), § 34 (Mittelbarer Zwang zur Durchsetzung eines Anfechtungsurteils gegenüber einem ablehnenden Verwaltungsakt), § 35 (Klagebefugnis bei der Nichtigkeitsfeststellungsklage), § 36 (Klagebefugnis bei der Untätigkeitsfeststellungsklage), § 37 (Klageänderung), § 38 (Entsprechende Anwendung von Vorschriften über die Anfechtungsklage), § 39 (Beklagter bei Parteistreitigkeiten7), § 40 (Örtliche Zuständigkeit bei Parteistreitigkeiten), § 41 (Klagefrist bei Parteistreitigkeiten), § 42 (Klageänderung bei Parteistreitigkeiten), § 43 (Ausschluß von Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz), § 44 (Entsprechende Anwendung von Vorschriften über die Anfechtungsklage), § 45 (Popularklage und Organstreit), § 46 (Entsprechende Anwendung von Vorschriften über die Anfechtungsklage), Schlußvorschriften. An dieser Stelle ist hervorzuheben, daß die KVwGO von 1984 den Begriff des Verwaltungsakts (Chobun) gesetzlich definiert hat.8 Nach dieser Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVwGO ist ein Verwaltungsakt die Ausübung öffentlicher Gewalt oder die Ablehnung der Ausübung öffentlichen Gewalt, ferner alle sonstigen Verwaltungshandlungen, mit denen die Behörde einen konkreten Fall regelt, sowie der Widerspruchsbescheid im Widerspruchsverfahren (Haengjeongshimpan). Unter den sonstigen Verwaltungshandlungen versteht man die Allgemeinverfügung im Sinne des deutschen Verwaltungsrechts, den verbindlichen Verwaltungsplan (z.B. Bebauungsplan), Maßnahmegesetze sowie bestimmte hoheitliche Realakte.9 ___________ 7 Klage auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. 8 Auch das koreanische Widerspruchsverfahrensgesetz (Haengjeongshimpanbop) i.d.F. v. 15.12.1984 (Gesetz Nr. 3755) definiert den Begriff des Verwaltungsaktes (Chobun) im § 2 Abs. 1 Nr. 1, ebenso das daran anschließende koreanische Verwaltungsverfahrensgesetz vom 31.12.1996 (Gesetz Nr. 5241) in § 2 Abs. 1 Nr. 2. 9 Vgl. Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 206 f.

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Vor der Legaldefinition des Verwaltungsakts hatte man unter einem Verwaltungsakt dagegen nur einen einseitigen hoheitlichen öffentlichen Rechtsakt der Verwaltungsbehörde, der einen konkreten Einzelfall regelt, verstanden. Es ist anerkannt, daß die begrifflichen Merkmale dieser engeren Definition des Verwaltungsakts aus den Definitionen von Otto Mayer, Ernst Forsthoff und Hans J. Wolff zusammengesetzt worden waren.

b) Neu eingeführte Bestimmungen der KVwGO von 1984 aa) Die Arten der verwaltungsprozessualen Klage In der deutschen Literatur ist es üblich, bei den Arten der verwaltungsgerichtlichen Klage zwischen der Gestaltungsklage, der Leistungsklage und der Feststellungsklage zu unterscheiden. Dagegen geht die koreanische Literatur davon aus, daß es als Arten der verwaltungsprozessualen Klage die Aufhebungsklage (Hanggososong), die Parteienstreitigkeit (Dangsajasosong) und die Popularklage (Minjungsosong) sowie die Organstreitigkeit (Gikwansosong) gibt, weil die koreanische Verwaltungsgerichtsordnung diese Arten ausdrücklich geregelt hat (§ 3 KVwGO von 1984). Die Aufhebungsklage zerfällt wiederum in drei Klagearten, nämlich Anfechtungsklage (Chisososong), Nichtigkeitsfeststellungsklage (Muhyodeunghwaginsosong) und Untätigkeitsfeststellungsklage (Bujagiuibophwaginsosong) (vgl. § 4 KVwGO). Im folgenden beschäftigt sich diese Arbeit nur mit der Aufhebungsklage eingehender.

bb) Begriff der Aufhebungsklage Unter der Aufhebungsklage versteht man die Klage, die sich gegen einen rechtswidrigen Verwaltungsakt oder gegen die Untätigkeit der Behörde oder gegen einen rechtswidrigen Widerspruchsbescheid richtet. Es geht also um die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsakts oder um die Feststellung, daß das Unterlassen eines Verwaltungsakts rechtswidrig war. Der Anfechtende möchte seine subjektiv-öffentlichen Rechte und seine Interessen gegen den rechtswidrigen Verwaltungsakt, den Widerspruchsbescheid oder die Untätigkeit der Behörde verteidigen.10 Die Anfechtungsklage (Chisososong) ist die Klage, mit der die vollständige oder teilweise Aufhebung oder auch die Änderung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und des entsprechenden Widerspruchsbescheids erreicht werden soll. ___________ 10

Vgl. Jong Hyun Seok (Fn. 9), S. 819 ff.

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Die Anfechtungsklage gegen den Widerspruchsbescheid ist nur dann zulässig, wenn dem Widerspruchsbescheid selbst ein Fehler anhaftet (§ 19 KVwGO). Um einen nichtigen Verwaltungsakt zu beseitigen, kann man sich ebenfalls der Klageform der Anfechtungsklage bedienen, obwohl eigentlich die Nichtigkeitsfeststellungsklage die richtige Klageart wäre.11 Die Anfechtungsklage hat den Sinn, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu gewährleisten und den Rechtsschutz der Privatpersonen sicherzustellen.12 Hinsichtlich der Rechtsnatur der Anfechtungsklage war umstritten, ob es sich um eine Gestaltungsklage oder um eine Feststellungsklage oder um eine atypische Klage handelte. Die herrschende Meinung13 versteht sie nunmehr als Gestaltungsklage.14 § 29 Abs. 1 KVwGO schreibt vor, daß die den Verwaltungsakt aufhebende Entscheidung auch Dritte bindet. Aus dieser Bestimmung ergibt sich, daß die Anfechtungsklage als Gestaltungsklage zu verstehen ist. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß dem Kläger kein materielles Aufhebungsrecht hinsichtlich des Verwaltungsakts zusteht. Deshalb ist die Anfechtungsklage mit der zivilprozeßrechtlichen Gestaltungsklage nicht ohne weiteres vergleichbar. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist die Klage, in der geklärt werden soll, ob der angefochtene Verwaltungsakt bzw. der Widerspruchsbescheid nichtig ist, oder aber auch, ob der Verwaltungsakt oder der Widerspruchsbescheid überhaupt existiert. Da der nichtige Verwaltungsakt äußerlich als Verwaltungsakt in Erscheinung tritt, benötigt man häufig die Feststellung, daß trotz dieses Rechtsscheins der Verwaltungsakt nichtig ist und keine Wirkung erzeugt. Die Untätigkeitsfeststellungsklage ist die Klage, mit der festgestellt werden soll, daß das Unterlassen eines Verwaltungsakts rechtswidrig war. Nach der gesetzlichen Definition der Untätigkeit in § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVwGO ist ein Unterlassen dann zu bejahen, wenn die Behörde auf einen Antrag zum Erlaß eines Verwaltungsakts trotz bestehender Pflicht, einen Verwaltungsakt zu erlassen, nicht innerhalb einer bestimmten Zeit tätig wird. Voraussetzung ist also, daß der Antragsteller gemäß dem Gesetz einen Antrag auf Erlaß eines Verwaltungsakts gestellt hat und daß die Behörde verpflichtet ist, den Verwaltungsakt zu erlassen. Die Untätigkeitsfeststellungsklage ist eigentlich als Verpflichtungsklage ___________ 11

Vgl. Doh Chang Kim, Verwaltungsrecht I, 1988, S. 537 f. Vgl. Won U Suh, Klagebefugnisse bei der Aufhebungsklage, in: GSYG (Juli 1987), S. 85 ff.; ders., Auswirkungen des Aufhebungsurteils, in: YGGS (April 1985), S. 159 ff. 13 Vgl. Jong Hyun Seok (Fn. 9), S. 820 f.; Nam Jin Kim/Yen Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 647 f.; Chol Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 555 f. 14 Es gibt auch eine Meinung, die die Aufhebungsklage als Feststellungsklage sieht. Hierzu Jeong Hoon Park, Die Rechtsnatur der Aufhebungsklage und der Begriff „Chobun“, in: GSG (September 2001), S. 6 ff. 12

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einzuordnen, wenn man das materiell-rechtliche Ergebnis vergleicht. Das Unterlassen der Behörde besteht darin, daß sie den beantragten Verwaltungsakt trotz bestehender Verpflichtung nicht erläßt. Mit der gerichtlichen Beanstandung dieser Untätigkeit wird die Behörde verpflichtet, den Antrag zu bescheiden, gleich ob nur ein Feststellungs- oder ein Verpflichtungsurteil ergeht. Das Gericht kann auf Antrag des Betroffenen die Behörde verpflichten, die Entscheidung innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu treffen. Außerdem kann das Gericht bestimmen, daß wegen der Verzögerung eine bestimmte Entschädigung zu leisten ist und unverzüglich gewährt werden muß (§ 34 Abs. 1 KVwGO). Da die Verwaltungsjuristen in Korea die Normierung einer Verpflichtungsklage immer gefordert haben, mußte die geänderte Verwaltungsgerichtsordnung von 1984, die dem nicht folgte, gleich nach ihrer Verabschiedung unter Kritik15 geraten. Man diskutiert nun darüber, ob die Möglichkeit besteht, die Verpflichtungsklage in Form einer atypischen Anfechtungsklage einzuführen, ohne daß das Gesetz sie vorsieht; dies wird von den führenden Verwaltungsrechtlern bejaht.16

cc) Klagebefugnis Klagebefugnis heißt in koreanischer Sprache „Soui iik“ oder „Soik“. Für die Klagebefugnis nach der deutschen VwGO wird nur gefordert, daß der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein; darüber hinaus wird nur das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis verlangt. Nach der koreanischen VwGO, die den Ausdruck Rechtsverletzung nicht gebraucht und nicht zur Voraussetzung der Klagebefugnis macht, gilt eine andere Anforderung. Nach § 12 Abs. 1 KVwGO kann derjenige, der ein gesetzliches Interesse (Bopyulsangiik) an der Aufhebung eines Verwaltungsakts (Chobun) hat, die Anfechtungsklage (Chisososong) erheben. In Korea ist also das gesetzliche Interesse an einer Klage ausschlaggebend. Die KVwGO verlangt also insbesondere nicht die Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechts (Kwonri). Solange die KVwGO die Verletzung eines subjektiven Rechts nicht verlangt, muß in der verwaltungsrechtlichen Dogmatik unterschieden werden zwischen dem subjektiven Recht, dem schutzwürdigen Interesse (Bohoiik) und dem Rechtsreflex. Da die Frage der Klagebefugnis davon abhängig ist, wie man das gesetzliche Interesse zu verstehen hat, sind die Einzelheiten in den Lehrmeinungen umstrit___________ 15 Vgl. Nam Jin Kim, Probleme beim Änderungsentwurf der Verwaltungsgerichtsordnung, in: GSK (April 1985), S. 91 f.; Jang Seop Maeng, Eine Untersuchung zur Untätigkeitsklage, Diss., Dankook-Universität, Seoul 1983. 16 Vgl. Doh Chang Kim, Verwaltungsrecht I, S. 681 f.; Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 641 f.; Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 23. Aufl. 2005, S. 816 f.; Chol Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 549 f.

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ten. Kim17 vertritt die Meinung, daß man das gesetzliche Interesse mit dem subjektiv-öffentlichen Recht gleichsetzen sollte. Hingegen vertritt Seok18 die Meinung, daß das gesetzliche Interesse sowohl das subjektiv-öffentliche Recht als auch schutzwürdige Interessen (Bohoiik) umfaßt, wobei allerdings Kim das schutzwürdige Interesse mit in das subjektive Recht eingeordnet hat.19 Die Rechtsprechung20 unterscheidet das schutzwürdige Interesse vom bloßen Rechtsreflex, hat aber zu dem Begriff des schutzwürdigen Interesses im einzelnen noch nicht Stellung genommen. Bei der Feststellung des schutzwürdigen Interesses knüpft sie an den Charakter des jeweils entscheidungserheblichen Rechtssatzes an. Der Rechtssatz darf nicht ausschließlich zum Schutz der öffentlichen Interessen bestimmt sein, sondern muß zugleich dem Schutz von Individualinteressen dienen. Wenn die von einem solchen Rechtssatz geschützten Individualinteressen verletzt sind, ist dieses Individualinteress ein schutzwürdiges Interesse, das der Betroffene durch Klage geltend machen kann. Aber diese neue Rechtsfigur des schutzwürdigen Interesses ist begrifflich weder als subjektiv-öffentliches Recht noch als Rechtsreflex einzuordnen.21 Trotzdem hat der Koreanische Oberste Gerichtshof dem Betroffenen die Klagebefugnis bei einer Anfechtungsklage zuerkannt, wenn er ein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung hatte.

dd) Rechtsschutzbedürfnis Das Rechtsschutzbedürfnis für das gerichtliche Verfahren bestimmt § 12 S. 2 KVwGO. Normalerweise ist es ohne weiteres gegeben, aber auch wenn der Verwaltungsakt infolge Ablaufs einer Frist, infolge seiner Vollziehung oder aus ___________ 17

Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim (Fn. 13), S. 654 ff. Jong Hyun Seok (Fn. 9), S. 827 ff.; ders., Eine Untersuchung zu Tendenzen der Rechtsprechung über das schutzwürdige Interesse, in: Law Review, hrsg. von der School of Law/Dankook Universität, XV (1989), S. 33 ff. 19 Hierzu vgl. Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 604, 1990, S. 90 ff. 20 KOGH, Urt. v. 30.12.1969, Az. 69 Nu 106; KOGH, Urt. v. 14.06.1988, Az. 87 Nu 873. 21 Abgesehen davon, daß das gesetzliche Interesse mit dem schutzwürdigen Interesse gleichzusetzen ist, wurden in der koreanischen Literatur aufgrund der Schutznormtheorie spezielle Ansprüche, nämlich der Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens, der Anspruch auf behördliches Einschreiten oder auch der Anspruch auf Erlaß eines Verwaltungsakts erörtert, wobei es in den 80er Jahren gelang, diese Ansprüche im Allgemeinen Verwaltungsrecht zu verankern, während sie gesetzlich nicht geregelt und von der Rechtsprechung noch nicht anerkannt worden waren. Hierzu vgl. Jong Hyun Seok, Die Entwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Korea, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 127, 1995, S. 82 ff. 18

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anderen Gründen bereits erledigt ist, kann bei entsprechendem Interesse die Anfechtungsklage gleichwohl erhoben werden; ferner, wenn ein gesetzliches Interesse an der Wiederherstellung des früheren, rechtswidrig veränderten Zustandes geltend gemacht werden kann. Allerdings ist das Rechtsschutzbedürfnis zu verneinen, wenn der Kläger sein Klageziel auf andere Weise sachgerechter (einfacher, schneller oder billiger) erreichen könnte.22

ee) Rechtskrafterstreckung auf Dritte und auf andere Verwaltungsbehörden Die KVwGO von 1984 führte eine neue Bestimmung über die Rechtskraft des aufhebenden Urteils ein. Danach erstreckt sich die Rechtskraft des aufhebenden Urteils nicht nur auf die beklagte Behörde, sondern auch auf andere Behörden (§ 30 Abs. 1 KVwGO) und auf Dritte (§ 29 KVwGO). Dementsprechend führte die KVwGO die Beiladung der Dritten und der anderen Behörden bei der Aufhebungsklage, Parteienstreitigkeit, Popularklage und Organstreitigkeit ein. Das Gericht kann einen Dritten auf Antrag eines Hauptbeteiligten oder des Dritten oder von Amts wegen durch Beschluß beiladen, wenn subjektive Rechte oder Interessen des Dritten durch eine erfolgreiche Klage beeinträchtigt würden (§ 16 Abs. 1 KVwGO). Allerdings hat das Gericht vor dem Beiladungsbeschluß die Hauptbeteiligten und den Dritten zu hören (§ 16 Abs. 2 KVwGO). Die Beiladung dient dem verfahrensrechtlichen Drittschutz. Denn der angefochtene Verwaltungsakt betrifft in diesen Fällen auch die subjektiven Rechte und Interessen Dritter, z.B. bei einem Verwaltungsakt mit Doppelwirkung. Die rechtliche Stellung eines beigeladenen Dritten ist ähnlich wie die eines streitgenossenschaftlichen Klägers bei der notwendigen Streitgenossenschaft nach § 67 KZPO. Aber der Dritte kann prozessual selbständig gegen die Hauptbeteiligten handeln. Wenn das Gericht die Beiladung einer anderen (nicht beklagten) Behörde für notwendig hält, dann kann es auf Antrag eines Hauptbeteiligten oder der entsprechenden Behörde oder von Amts wegen durch Beschluß die entsprechende Behörde zur Klage beiladen (§ 17 Abs. 1 KVwGO). Wenn das Gericht über die Beiladung einer Behörde entscheiden will, soll es vorher die Hauptbeteiligten und die entsprechende Behörde hören (§ 17 Abs. 2 KVwGO). Die rechtliche Stellung der zur Klage beigeladenen Behörde ist die eines Nebenintervenienten nach § 76 KZPO. Die beigeladene Behörde kann alle Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen und alle Prozeßhandlungen ___________ 22 Vgl. Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim (Fn. 13), S. 663 f. m.w.N.; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im öffentlichen Recht, 11. Aufl., 2005, Rdnr. 1, S. 231 f.

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vornehmen, z.B. auch Berufung einlegen. Wenn allerdings eine Prozeßhandlung der beigeladenen Behörde der Prozeßhandlung eines Hauptbeteiligten widerspricht, dann ist sie unwirksam (§ 76 KZPO).

ff) Mittelbarer Zwang zur Durchsetzung eines Anfechtungsurteils gegenüber einem ablehnenden Verwaltungsakt Die KVwGO von 1951 hatte eine Verpflichtungsklage im Sinne der deutschen VwGO nicht vorgesehen. Die Versagungsgegenklage und die Untätigkeitsklage waren also nicht gegeben. Die koreanischen Verwaltungsjuristen kritisierten dies und forderten die Einführung einer Verpflichtungsklage nach dem deutschen Vorbild. Diese wissenschaftliche Forderung hat die KVwGO von 1984 in der Weise aufgenommen, daß eine Untätigkeitsfeststellungsklage als eine Art der Aufhebungsklage vorgesehen wurde, um den Erlaß eines unterlassenen Verwaltungsaktes zu ermöglichen, wenn die Rechtswidrigkeit des Unterlassens der Behörde vom Gericht festgestellt worden war. Eigentlich wäre es sinnvoll gewesen, sowohl eine Klage auf Erlaß eines bestimmten Verwaltungsakts (Vornahmeklage) als auch eine Klage auf Verurteilung der Behörde zur Verbescheidung eines Antrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts (Bescheidungsklage) einzuführen. Die KVwGO verzichtete jedoch darauf, eine solche Verpflichtungsklage einzuführen, und entschied sich stattdessen für die Untätigkeitsfeststellungsklage, die die Funktion einer Verpflichtungsklage erfüllt. Es wird also die Rechtswidrigkeit des Unterlassens, nämlich des Nicht-Erlasses eines bestimmten Verwaltungsakts und der NichtVerbescheidung eines Antrags auf Erlaß eines Verwaltungsakts, vom Gericht festgestellt. Dieses feststellende Urteil wird für die beklagte Behörde und für andere Behörden, auf die sich gem. § 30 Abs. 1 KVwGO die Rechtskraft des Urteils erstreckt, rechtskräftig. Nach Eintritt der Rechtskraft ist die beklagte Behörde verpflichtet, den Antrag zu bescheiden, d.h. ihn entweder abzulehnen oder den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen.

gg) Antrag eines Dritten auf Wiederaufnahme des Verfahrens Wie oben erwähnt, schreibt die KVwGO vor, daß ein Urteil nicht nur für die Hauptbeteiligten, sondern für alle (d.h. auch für an der Klage nicht beteiligte) Dritte rechtskräftig wird (§ 29 Abs. 1 KVwGO). Die KVwGO kennt deswegen die Möglichkeit einer Beiladung von anderen betroffenen Behörde und von Dritten. Aber der Dritte kann sich erst dann verteidigen, wenn er am Verfahren beteiligt ist und sich dabei rechtzeitig und hinreichend verteidigen kann. Wenn der Dritte ohne eigene Schuld am Verfahren nicht beteiligt worden ist, kann er

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sich überhaupt nicht verteidigen. Um die subjektiven Rechte und Interessen der am Verfahren nicht beteiligten Dritten zu schützen, gewährt ihnen die KVwGO von 1984 einen Anspruch auf Wiederaufnahme gegen ein Endurteil (§ 31 KVwGO). Der Antragsteller des Wiederaufnahmeantrags ist der Dritte, Antragsgegner sind der Kläger und der Beklagte des vorangegangenen Verfahrens (§ 38 KVwGO). Der Wiederaufnahmeantrag ist begründet, wenn der Dritte ohne eigene Schuld nicht beteiligt worden ist und wenn der Dritte deswegen seine Angriffsund Verteidigungsmittel in das Verfahren nicht einbringen konnte. Der Dritte kann den Antrag innerhalb von 30 Tagen nach Kenntnisnahme vom Endurteil, höchstens jedoch innerhalb eines Jahres nach Verkündung des Endurteils stellen. Diese Frist ist nicht veränderlich.

3. Die Änderung der KVwGO von 1994 a) Abschaffung des obligatorischen Widerspruchsverfahrens Die KVwGOen von 1951 und von 1984 schrieben ein Widerspruchsverfahren (Haengjeongshimpan) als Zulässigkeitsvoraussetzung einer Anfechtungsklage zwingend vor (§ 2 KVwGO von 1951, § 18 Abs. 1 KVwGO von 1984). Eine Anfechtungsklage gegen eine Verwaltungsakt durfte also erst nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erhoben werden. Das Widerspruchsverfahren ist ein verwaltungsinternes Vorverfahren, in dem der angegriffene Verwaltungsakt auf seine Recht- und Zweckmäßigkeit hin überprüft wird. Widerspruchsverfahren im engeren Sinn ist nur das im koreanischen Widerspruchsverfahrensgesetz (im folgenden KWsVfG abgekürzt)23 geregelte Vorverfahren.24 Das Änderungsgesetz zur KVwGO von 1994 hat das obligatorische Widerspruchsverfahren abgeschafft. Daher darf heute grundsätzlich die Anfechtungsklage erhoben werden, ohne daß vorher ein Widerspruchsverfahren stattgefunden hat. Lediglich in einigen Spezialvorschriften, so z.B. in der Abgabenordnung für das Steuerrecht, ist ein Widerspruchsverfahren auch heute noch zwingend vorgeschrieben. Im übrigen ist die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens im allgemeinen nach wie vor zulässig, wenn der Betroffene dies wünscht. ___________ 23

Haengjeongshimpanbop (Widerspruchsverfahrensgesetz) i.d.F. v. 15.12.1984 (Gesetz Nr. 3755), zuletzt geändert durch Gesetz v. 28.12.1998 (Gesetz Nr. 5600). 24 Hierzu ausführlich vgl. Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, S. 110 ff.

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b) Instanzenzug im verwaltungsprozessualen Verfahren Das koreanische Gerichtsverfassungsgesetz (im folgenden KGVG abgekürzt) unterscheidet zwischen dem Obersten Gerichtshof, den Obergerichten und den Bezirksgerichten. Außerdem gibt es ein Patentgericht im Rang eines Obergerichts sowie, beschränkt auf den Bezirk des Obergerichts Seoul, ein besonderes Familiengericht und ein besonderes Verwaltungsgericht als Eingangsgerichte (§ 3 Abs. 1 KGVG). Die KVwGO kennt nur ausschließliche Zuständigkeiten. Eine Prorogation, d.h. eine Zuständigkeitsvereinbarung der Beteiligten, ist nicht möglich. Nach dem früheren § 9 KVwGO von 1984 hatten die Obergerichte die sachliche Zuständigkeit für die Aufhebungsklage; örtlich zuständig war das Obergericht, in dessen Bezirk der Beklagte seinen Sitz bzw. Wohnsitz hatte. Gegen die Urteile der Obergerichte konnte Revision zum Obersten Gerichtshof eingelegt werden. Im verwaltungsprozessualen Verfahren war also das Obergericht das erstinstanzliche, der Oberste Gerichtshof das zweitinstanzliche Gericht. Allerdings mußte vor Klageerhebung ein Widerspruchsverfahren durchgeführt werden. Die heute geltende KVwGO von 1994 hat diesen zweistufigen Gerichtsaufbau im verwaltungsprozessualen Verfahren aufgegeben. Heute ist im Bezirk des Obergerichts Seoul das Verwaltungsgericht Seoul, in den Bezirken der übrigen Obergerichte bei jedem Bezirksgericht jeweils eine besondere Kammer als erstinstanzliches Gericht zuständig für die Aufhebungsklage (§ 7 Abs. 3 KGVG). Örtlich zuständig ist grundsätzlich das Gericht, in dessen Gerichtsbezirk der Beklagte seinen Sitz bzw. Wohnsitz hat. Für Aufhebungsklagen gegen die Enteignung von Grundstücken u.ä. oder gegen ortsgebundene Verwaltungsakte ist außerdem zusätzlich das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das Grundstück, der Ort usw. liegt (§ 9 KVwGO). Für die Berufung gegen erstinstanzliche Urteile sind die Obergerichte zuständig, für die Revision gegen Urteile der Obergerichte der Oberste Gerichtshof. Das verwaltungsprozessuale Verfahren in Korea kennt also drei Instanzen. Davon sind allerdings nur die erste und die zweite Instanz Tatsacheninstanzen. Für das Revisionsverfahren gilt das Sondergesetz über das Verfahren der Revisionsinstanz vom 27. Juli 1994 (Gesetz Nr. 4769, im folgenden SGüVfRI). Danach sind grundsätzlich die Vorschriften über das verwaltungsprozessuale Verfahren anzuwenden (§ 2 SGüVfRI). Die Revision ist zulassungsbedürftig. Das Revisionsgericht darf nur Rechtsfragen prüfen; neue Tatsachen dürfen nicht vorgebracht werden. Der Oberste Gerichtshof darf den Antrag auf Zulassung der Revision ohne mündliche Verhandlung durch Urteil verwerfen, wenn die Revision offensichtlich unbegründet ist (§ 4 Abs. 1 SGüVfRI). Begründet sein kann die Revision z.B., wenn das zweitinstanzliche Urteil ein Gesetz in verfassungswidriger Weise auslegt oder eine Verordnung, eine Verwaltungsvorschrift

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oder einen Verwaltungsakt zu Unrecht als rechtswidrig beurteilt hat, wenn das zweitinstanzliche Urteil ein Gesetz, eine Verordnung, eine Verwaltungsvorschrift oder einen Verwaltungsakt entgegen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ausgelegt hat, wenn es noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Auslegung eines Gesetzes, einer Verordnung, einer Verwaltungsvorschrift oder eines Verwaltungsaktes gibt oder die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes änderungsbedürftig ist, wenn das zweitinstanzliche Urteil sonst in schwerwiegender Weise gegen Gesetze oder Verordnungen verstößt oder wenn die Gründe nach § 424 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 5 KZPO vorliegen. Wenn der Oberste Gerichtshof die Revision durch Urteil verwirft, braucht er dieses Urteil nicht zu begründen (§ 5 Abs. 1 SGüVfRI). Die Änderung der KVwGO von 1994 ist deswegen auf Kritik25 gestoßen, weil sich durch die Verlagerung der erstinstanzlichen Zuständigkeit von den Obergerichten auf die Bezirksgerichte die Qualität der Eingangsinstanz verschlechtert hat.

c) Verlängerung der Klagefrist Die Klagefrist ist eine Ausschlußfrist. Wenn die Klage nicht innerhalb dieser Frist erhoben wird, ist eine verwaltungsprozessuale Klage nicht mehr zulässig. Die Anfechtungsklage muß nach § 20 Abs. 1 S. 1 KVwGO von 1994 grundsätzlich innerhalb einer Frist von 90 Tagen erhoben werden, nachdem vom Erlaß des Verwaltungsakts Kenntnis erlangt wurde. Die KVwGO von 1984 hatte noch eine Frist von nur 60 Tagen vorgeschrieben. Wenn ein Widerspruchsverfahren gesetzlich vorgeschrieben ist,26 ein Widerspruch freiwillig erhoben wurde oder die Behörde irrtümlich mitgeteilt hat, daß ein Widerspruch erhoben werden kann, beginnt die Klagefrist erst nach Zustellung des Widerspruchsbescheides zu laufen (§ 20 Abs. 1 S. 2 KVwGO). Unabhängig von der Kenntniserlangung kann eine Anfechtungsklage grundsätzlich dann nicht mehr erhoben werden, wenn seit dem Erlaß des Verwal___________ 25

Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 849 ff. Ausnahme: Ein Widerspruchsverfahren ist auch dann, wenn es an sich gesetzlich vorgeschrieben ist, nicht erforderlich, wenn ein gleichartiger Widerspruch schon von der Widerspruchsbehörde abgewiesen woren ist, wenn schon ein anderer Adressat von mehreren Adressaten rechtmäßig einen Widerspruch erhoben hat, wenn schon ein Verwaltungsakt, der ein anderer Teil von mehreren zusammenhängenden Verwaltungsakten oder eines gestuften Verwaltungsverfahrens ist, bereits von der Widerspruchsbehörde beschieden worden ist, wenn sich die Klage gegen einen Verwaltungsakt richtet, der während eines bereits laufenden gerichtlichen Verfahrens von der Behörde geändert worden ist, oder wenn die Behörde irrtümlich mitgeteilt hat, daß ein Widerspruchsverfahren nicht erforderlich ist (§ 18 Abs. 3 KVwGO). 26

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tungsakts ein Jahr verstrichen ist. Dies gilt nur dann nicht, wenn hinreichende Gründe für die Versäumung der Klagefrist vorliegen; in diesem Falle darf die Klage auch unabhängig von der Klagefrist noch erhoben werden (§ 20 Abs. 2 KVwGO). Bei der Nichtigkeitsfeststellungsklage gibt es keine Klagefrist (§ 38 Abs. 1 KVwGO). Wenn man allerdings eine Anfechtungsklage mit dem Ziel erhebt, die Nichtigkeit eines Verwaltungsakts feststellen zu lassen, dann muß die Klagefrist der Anfechtungsklage eingehalten werden. Bezüglich der Untätigkeitsfeststellungsklage verweist § 38 Abs. 2 KVwGO auf die Vorschriften zur Anfechtungsklage.

III. Die Grenzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit 1. Grenzen aus der Natur der rechtsprechenden Gewalt Nach § 1 KVwGO ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlichrechtlichen Streitigkeiten gegeben. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten sind alle Streitigkeiten über die Verletzung von subjektiven Rechten oder schutzwürdigen Interessen durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt (Chobun), über die sonstige Ausübung oder Nichtsausübung öffentlicher Gewalt sowie Streitigkeiten über öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse oder Rechtsanwendung. § 2 Abs. 2 KGVG schreibt vor, daß die Gerichte – sofern nicht besondere Bestimmungen der koreanischen Verfassung entgegenstehen – alle rechtlichen Streitigkeiten zu prüfen haben.

a) Rechtliche Streitigkeit aa) Rechtsreflex Da sich die Gerichte nur mit rechtlichen Streitigkeiten befassen, kann gegen eine Beeinträchtigung bloßer Rechtsreflexe nicht im verwaltungsprozessualen Verfahren vorgegangen werden. Die koreanische Verwaltungsrechtsdogmatik unterscheidet zwischen dem Begriff des subjektiven Rechts und dem Begriff des Rechtsreflexes. Dabei versteht man unter dem subjektiven Recht die einem Rechtssubjekt durch eine Rechtsnorm zuerkannte Rechtsmacht, zur Verfolgung eigener Interessen von einem anderen ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen zu fordern. Dagegen versteht man unter einem Rechtsreflex die Vorteile, die einem Bürger mittelbar aus Rechtsvorschriften entstehen, die lediglich dem Schutz von Interessen der Allgemeinheit dienen. Wenn z.B. eine Verordnung den Betrieb einer Gaststätte in der Nähe einer Schule verbietet, so dient diese

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Maßnahme grundsätzlich nur dem Jugendschutz, d.h. Interessen der Allgemeinheit; daß damit zugleich auch Nachbarn z.B. vor dem von Gaststätten ausgehenden Lärm geschützt sind, ist demgegenüber ein bloßer Rechtsreflex. Die Dogmatik von der Rechtsfigur des Rechtsreflexes erhielt eine Wende, als der Oberste Gerichtshof dem Nachbarn eines Kohlekraftwerks eine Klagebefugnis für die Anfechtung einer Baugenehmigung einräumte. Das Gericht war der Auffassung, daß der Nachbar geltend machen kann, durch diese Baugenehmigung in seinen Rechten auf Gesundheit und Eigentum verletzt zu sein, weil ihm durch den Betrieb des Werkes entstehende Nachteile, nämlich Lärm, Erschütterungen sowie eine Reduzierung des Wohnhauswertes, drohten. Vor diesem Urteil hatte es dagegen die Meinung vertreten, daß die entsprechenden Vorschriften des koreanischen Baugesetzes vom 20. Januar 1962 (Gesetz Nr. 984)27 und des koreanischen Städteplanungsgesetzes (Gesetz Nr. 983)28 vom Januar 1962 lediglich Interessen der Allgemeinheit dienten, so daß die Vorteile, die z.B. durch eine verweigerte Baugenehmigung dem Nachbarn entstünden, bloße Rechtsreflexe seien. Danach wurde die Rechtsfigur des schutzwürdigen Interesses in der koreanischen Literatur anerkannt. Die Rechtsprechung knüpft bei der Feststellung des schutzwürdigen Interesses an den Charakter eines Rechtssatzes an. Der betreffende Rechtssatz darf nicht ausschließlich der Verwirklichung der öffentlichen Interessen dienen, sondern muß zugleich den Schutz von Individualinteressen bezwecken. Wenn die durch einen solchen Rechtssatz geschützten Individualinteressen verletzt sind, sind diese Individualinteressen als schutzwürdige Interessen zu qualifizieren, und der Betroffene kann sie im Wege der Klage geltend machen. Nach der Anerkennung dieser Rechtsfigur tauchte die Frage auf, wie das schutzwürdige Interesse rechtlich zu qualifizieren ist. Dies ist in der Lehre noch umstritten, worauf hier nicht näher eingegangen wird. § 12 Abs. 1 KVwGO schreibt für die Klagebefugnis vor, daß nur derjenige eine Anfechtungsklage erheben darf, der ein rechtliches Interesse an der Aufhebung eines Verwaltungsakts hat. In der Literatur ist anerkannt, daß das gesetzliche Interesse das subjektivöffentliche Recht und das schutzwürdige Interesse umfaßt. Daher wird vertre-

___________ 27 Dieses Gesetz erfuhr zahlreiche Änderungen. Nun gilt es in der neuen Fassung v. 31.05.1991 (Gesetz Nr. 4381), zuletzt geändert durch Gesetz v. 29.05.2003 (Gesetz Nr. 6916). 28 Neue Fassung v. 19.01.1971 (Gesetz Nr. 2291) mit zahlreichen Änderungen. Dieses Gesetz wurde durch das Gesetz über die Bodenplanung und -nutzung v. 04.02.2002 (Gesetz Nr. 6655) ersetzt.

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ten, daß das schutzwürdige Interesse als subjektiv-öffentliches Recht im weiteren Sinne zu qualifizieren ist.29

bb) Realakte Bei Streitigkeiten um Realakte handelt es sich nicht um rechtliche Streitigkeiten. Deswegen können Realakte im Verwaltungsprozeß nicht angegriffen werden. Denn Realakte, z.B. die bloße Mitteilung einer Behörde, sind keine Ausübung öffentlicher Gewalt, da sie keine verbindliche Regelung enthalten. Derjenige, der nur faktisch von einem Verwaltungsakt betroffen ist, kann keine Klage erheben.

cc) Gültigkeit von Rechtsvorschriften Es ist unzulässig, die Gültigkeit von Rechtsvorschriften im verwaltungsprozessualen Verfahren anzugreifen. Das geltende Recht kennt nämlich keine abstrakte Normenkontrolle (obwohl es sicherlich wünschenswert wäre, diese gesetzlich einzuführen). Eine Normenkontrolle müßte aber ausdrücklich kraft Gesetzes eingeführt werden, weil insoweit nicht über konkrete subjektivöffentliche Rechte oder Pflichte zwischen den Parteien gestritten wird, mithin keine rechtliche Streitigkeit vorliegt.

dd) Objektive Klagen Bei den objektiven Klagen, wie z.B. Popularklage, Organstreit oder Verbandsklage, handelt sich nicht um rechtliche Streitigkeiten. Daher kann man diese nur dann erheben, wenn das Gesetz sie ausdrücklich vorsieht.

b) Streitigkeit um Gesetzesanwendung aa) Außerrechtliche Fragen Streitigkeiten über politische oder wirtschaftliche, technische, wissenschaftliche oder künstlerische Fragen sind keine rechtlichen Streitigkeiten. Daher kann man sie gerichtlich nicht kontrollieren lassen. ___________ 29

Vor allem Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 102 f. Seok unterscheidet den Begriff des subjektiv-öffentlichen Rechts im engeren Sinne, im weiteren Sinne und im weitesten Sinne.

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bb) Ermessensverwaltungsakte Der Begriff des Ermessens ist in Korea ebenso zu verstehen wie in Deutschland. Man kennt auch in Korea die Lehre vom Entschließungsermessen und vom Auswahlermessen. Das Ermessen bezieht sich also erstens darauf, ob die Verwaltung überhaupt tätig werden will und zweitens darauf, welche von mehreren zulässigen Maßnahmen sie ergreifen möchte. Wenn die Entscheidung der Behörde nach ordnungsgemäßer Ausübung ihres Ermessens unzweckmäßig ist, d.h. eine andere Entscheidung sinnvoller oder besser wäre, so berührt dies die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nicht. Daher kann eine Ermessensentscheidung im Verwaltungsprozeß nicht auf ihre Zweckmäßigkeit hin kontrolliert werden. Dagegen kann die Widerspruchsbehörde im Rahmen eines eventuellen Widerspruchsverfahrens auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts überprüfen. Wenn die Behörde dagegen ihr Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt oder die gesetzlichen Grenzen des Ermessens nicht eingehalten hat, dann handelt sie ermessensfehlerhaft30 und damit rechtswidrig. Die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung kann wiederum im Verwaltungsprozeß sehr wohl kontrolliert werden.

cc) Regierungsakte Regierungsakte sind staatsleitende Akte oberster Staatsorgane. Wenn eine staatliche Handlung als Regierungsakt zu qualifizieren ist, dann handelt es sich nicht um eine rechtliche Streitigkeit. In der Literatur wird dies anerkannt, ebenso in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes31 und des Verfassungsgerichts.32 Der Oberste Gerichtshof33 kontrolliert allerdings auch Regierungsakte, soweit sie eine verfahrensrechtliche Tatsache beinhalten. Auch das koreanische Verfassungsgericht kontrolliert Regierungsakte, soweit sie Grundrechtsverletzungen beinhalten.34 Da mein Kollege Chun Hwan Kim über die Regierungsakte in Korea noch näher vortragen wird, möchte ich insoweit auf sein Referat verweisen. ___________ 30 Die Ermessensfehler in der koreanischen Literatur sind dieselben wie in der deutschen Literatur, nämlich Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch, Ermessensfehlgebrauch. Auch die Ermessensreduzierung auf Null oder Ermessensschrumpfung kennt das koreanische Verwaltungsrecht. Hierzu vgl. Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 259 ff. 31 KOGH, Urt. v. 18.07.1964, Az. 64 Cho 4. 32 KVerfG, Urt. v. 29.02.1996, Az. 93 Heonma 186. 33 KOGH, Urt. v. 26.03.2004, Az. 2003 Do 7878. 34 KVerfG, Urt. v. 29.02.1996, Az. 93 Heonma 186.

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Beispiele für Regierungsakte35 sind z.B. die Befugnisse des Staatspräsidenten, wichtige politische Angelegenheiten in der Außenpolitik, bezüglich der nationalen Verteidigung, der Wiedervereinigung sowie der Staatssicherheit zur Volksabstimmung vorzulegen (§ 72 KV), die Handlungen des Staatspräsidenten im Verteidigungsfall (§ 74 KV), die Notmaßnahmen des Staatspräsidenten bezüglich finanzieller und wirtschaftlicher Entscheidungen im Falle von inneren Unruhen, äußeren Bedrohungen, von Naturkatastrophen oder schweren finanziellen oder wirtschaftlichen Krisen (§ 76 KV), die Ernennung der Mitglieder des Staatsrates durch den Staatspräsidenten (§ 87 KV), das Veto-Recht des Staatspräsidenten gegen Gesetze (§ 53 KV), die Überprüfung des Abgeordnetenstatus durch die Nationalversammlung und die Durchführung von Disziplinarverfahren gegen Abgeordnete (§ 64 KV).

dd) Handlungen im besonderen Verwaltungsrechtsverhältnis Das sog. besondere Gewaltverhältnis war in Korea als eigenständiges Rechtsinstitut bereits seit der Entstehung des Verwaltungsrechts nach 1945 anerkannt. Daher vertraten frühere Lehrmeinungen die Auffassung, daß Handlungen im Bereich des besonderen Gewaltverhältnisses nicht der gerichtlichen Kontrolle unterlägen. Aber seit der „Strafgefangenen-Entscheidung“ des deutschen Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1972 (BVerfGE 33, 1) wurde es in Korea herrschende Meinung, daß das besondere Gewaltverhältnis nicht mehr als allgemeines Rechtsinstitut des koreanischen Verwaltungsrechts anerkannt werden sollte. Das bedeutet, daß z.B. das Schulverhältnis oder das Anstaltsbenutzungsverhältnis nunmehr als allgemeine Rechtsverhältnisse betrachtet werden. Diese Rechtsverhältnisse unterliegen allen Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips; sie sind nicht mehr als rechtsfreier Raum zu betrachten. In diesem Sinne spricht man vom besonderen Verwaltungsrechtsverhältnis. Dieses sog. besondere Verwaltungsrechtsverhältnis ist jedoch ein allgemeines Verwaltungsrechtsverhältnis mit den entsprechenden Rechten und Pflichten; ein ganz normales Rechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger. Daher wird die Meinung vertreten, daß das besondere Gewaltverhältnis in der überlieferten Form als verfassungsrechtlich verankertes Institut überholt sei.36

___________ 35

Vgl. Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 16; Choon Hwan Kim, Verwaltungsrecht I, 2001, S. 12 f. 36 Vgl. Jong Hyun Seok, Das besondere Gewaltverhältnis als verwaltungsrechtliche Kategorie, in: GSYG (Nov. 1982), S. 49 ff.; ders., Verwaltungsrecht I, 2005, S. 127 ff.

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2. Grenzen aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung a) Verpflichtungsklage Die KVwGOen von 1951, 1984 und 1994 erkannten bzw. erkennen jedenfalls die allgemeine Leistungsklage im Sinne des deutschen Verwaltungsprozeßrechts nicht an. Daher war umstritten, ob das Gericht befugt war, die Behörde zum Erlaß eines Verwaltungsakts zu verpflichten, ob also zumindest eine Verpflichtungsklage (Versagungsgegenklage und Untätigkeitsklage) als besondere Leistungsklage unter der geltenden Verwaltungsgerichtsordnung zulässig war. Die verneinende Literaturmeinung vertritt die Meinung, daß die primäre Zuständigkeit, über eine Verwaltungshandlung zu entscheiden, bei der Behörde liegt. Das Gericht sei weder Verwaltungsbehörde noch Verwaltungsaufsichtsbehörde. Daher würde das Gericht die primäre Zuständigkeit der Behörde verletzen, wenn es die Behörde sowohl zum Erlaß eines bestimmten Verwaltungsakts als auch zur Bescheidung des Antragstellers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilen könnte. Dies wiederum wäre mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung37 nach Art. 40, Art. 66 Abs. 4 und Art. 101 Abs. 1 KV nicht vereinbar. Die Rechtsprechung38 vertritt ebenfalls diese Auffassung und verneint die Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage. Die bejahende Literaturmeinung geht dagegen davon aus, daß die Anfechtungsklage nach § 4 Nr. 1 KVwGO als die Aufhebung oder Änderung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts zu begreifen sei. Änderung bedeute dabei eine positive Änderung. Deswegen könne das Gericht auch gestaltend urteilen, um den bisherigen Verwaltungsakt durch einen neuen Verwaltungsakt zu ersetzen. Aber die Änderung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts sollte man als Teilaufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts verstehen. Daher ist ein gestaltendes Urteil des Gerichts nach richtiger Auffassung als nicht zulässig anzusehen.

b) Vorbeugende Unterlassungsklage Außerdem stellt sich die Frage, ob eine Unterlassungsklage, insbesondere eine vorbeugende Unterlassungsklage, nach der geltenden Verwaltungsgerichtsordnung als zulässig betrachtet werden kann. Die Rechtsprechung39 hält die Un___________ 37

Nach der koreanischen Verfassung liegt die gesetzgebende Gewalt bei der Nationalversammlung (Art. 40 KV), die vollziehende Gewalt liegt bei der Regierung (Art. 66 Abs. 4 KV), die rechtsprechende Gewalt liegt bei den Gerichten (Art. 101 Abs. 1 KV). 38 KOGH, Urt. v. 29.10.1996, Az. 95 Nu 10341. 39 KOGH, Urt. v. 24.03.1987, Az. 86 Nu 182.

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terlassungsklage für unzulässig. Wenn man nämlich die Unterlassungsklage als atypische Anfechtungsklage richterrechtlich bejahen würde, so bestünde die Gefahr, daß dies die Bestimmungen über die Untätigkeitsfeststellungsklage nach § 4 Nr. 2 KVwGO überflüssig machen würde; die Gerichte sind aber nicht befugt, geltende Bestimmungen zu unterlaufen. Damit ist festzustellen, daß eine Unterlassungsklage nach geltendem Recht nicht statthaft ist, aber durch Gesetz eingeführt werden sollte.40 Eine Gegenmeinung vertritt allerdings die Auffassung, daß die Unterlassungsklage ein Unterfall der Parteienstreitigkeit nach § 3 Nr. 2 KVwGO sei.41

IV. Schlußbemerkung Wie oben erwähnt, wurde die erste KVwGO von 1951 durch die geänderten Fassungen von 1984 und von 1994 dadurch verbessert, daß die Arten der verwaltungsprozessualen Klage gesetzlich festgelegt wurden, die Klagebefugnis erweitert, die Beiladung Dritter und anderer Verwaltungsbehörden eingeführt, die Klagefrist verlängert wurde usw. Trotzdem gibt es noch viele Probleme. Denn die geltende KVwGO kennt immer noch nicht die Verpflichtungsklage, wenngleich sie ein ähnliches Rechtsinstitut in der Form der Untätigkeitsfeststellungsklage eingeführt hat. Da die KVwGO die aufschiebende Wirkung (Suspensiveffekt) einer Anfechtungsklage grundsätzlich nicht vorschreibt (§ 23 Abs. 1 KVwGO), gewährt sie keinen ausreichenden vorläufigen Rechtschutz. § 23 Abs. 1 KVwGO gelingt es nicht, zwischen den Individualinteressen des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung einen tragfähigen Ausgleich zu finden. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage ist nämlich nur die Ausnahme. In der Regel besteht sie nicht; vorläufigen Rechtschutz erlangt der Betroffene hier nur durch Anträge nach § 23 Abs. 2 KVwGO. Die Voraussetzungen, unter denen das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen darf, sind sehr eng gefaßt. Wenn die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Gefahr schwerer Nachteile für öffentliche Interessen schaffen würde, dann ist sie unzulässig (§ 23 Abs. 3 KVwGO). Wie oben angedeutet, befinden sich Vorschläge zur weiteren Verbesserung der KVwGO in der Diskussion. Der KOGH hatte bereits im Jahre 2004 einen Entwurf für eine Änderung der KVwGO vorgelegt. Dieser Entwurf berücksichtigt an vielen Punkten die kritischen Stellungnahmen der koreanischen Verwaltungsrechtslehrer. So sieht er z.B. die Einführung einer Verpflichtungsklage und einer vorbeugenden Unterlassungsklage vor, enthält Regelungen über die Aus___________ 40

Vgl. Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 813 f. Ha Jung Chung, Die Möglichkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage, in: GSYG (Nov. 1999), S. 150 ff. 41

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setzung eines Zivilprozesses zur Klärung verwaltungsgerichtlicher Vorfragen, über die Mitteilung der Klageerhebung an andere Verwaltungsbehörden und an Dritte, über die Klageänderung nach Änderung des Verwaltungsakts, über den vorläufigen Rechtsschutz im Wege der einstweiligen Verfügung, über die Vorlage von Behördenakten usw. Der Entwurf hat ferner den in der Wissenschaft gebräuchlichen Begriff des Verwaltungsakts definiert und aufgenommen (§ 2 Nr. 1 KVwGO-Entwurf). Bisher wurden zwei verschiedene Begriffe des Verwaltungsakts verwendet: Im Gesetz der Begriff „Chobun“, in der Wissenschaft der Begriff „Haengjeonghaengui“. Der Entwurf hat nun den Begriff „Haengjeonghaengui“ aufgegriffen, so daß wissenschaftlicher und gesetzlicher Begriff künftig übereinstimmen würden. Nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 1 KVwGO-Entwurf ist ein Verwaltungsakt jede rechtliche oder tatsächliche Handlung, mit der eine Behörde öffentliche Gewalt ausübt und etwas regelt, alle übrigen, entsprechenden Verwaltungshandlungen sowie der Widerspruchsbescheid im Verwaltungsvorverfahren. Diese Definition verzichtet auf das Definitionsmerkmal „Regelung eines konkreten Einzelfalles“. Damit wäre nicht mehr zwischen einer Rechtsnorm und einem Verwaltungsakt zu unterscheiden. Daher wurde diese Definition heftig kritisiert, da sie einen Umbruch der bisherigen Verwaltungsrechtsdogmatik bedeuten würde; es wurde empfohlen, sie nicht anzunehmen. Deswegen bleiben die Bemühungen um eine Änderung der KVwGO in der Schwebe. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Die verfassungsrechtliche Garantie des Rechtsschutzes gegenüber staatlichen Hoheitsakten in Deutschland Von Wolf-Rüdiger Schenke

I. Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG als verfassungsrechtliches Novum Der Anspruch auf Justizgewährung,1 d. h. der Anspruch auf die gerichtliche Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zwischen verschiedenen Rechtspersonen gehört nach heutigem Verständnis zu den zentralen Inhalten des Rechtsstaatsprinzips. Das staatliche Gewaltmonopol sowie das damit zusammenhängende grundsätzliche Verbot der Selbsthilfe bei der Durchsetzung subjektiver Rechte des Bürgers erfordern die Schaffung von Gerichten, die der Durchsetzung solcher Rechte dienen. Von einem derartigen Anspruch auf Justizgewährung geht damit auch das GG aus, das in Art. 20 GG eine verfassungsrechtliche Verankerung des Rechtsstaatsprinzips beinhaltet. Eine spezielle Ausprägung des Justizgewährungsanspruchs, die diesem in ihrem Anwendungsbereich vorgeht, enthält die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG.2 Sie stellt eine der verfassungsrechtlichen Vorschriften dar, die der durch das Grundgesetz konstituierten Verfassungsordnung ihr wesentliches Gepräge geben. Der Text der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG lautet: „Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 GG bleibt unberührt.“ Die Bewertung dieser Vorschrift fällt freilich sehr unterschiedlich aus. Während die einen den Art. 19 Abs. 4 GG als „Krönung des Rechtsstaats“ oder als ___________ 1

s. dazu z. B. Ibler, in: Friauf/Höfling, Grundgesetz, Bd. I, Art. 19 Abs. 4, Rn. 360 ff.; Maurer, in: Badura/ Dreier (Hrsg.), 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Bd. II, 2001, S. 467 (479 ff.); BVerfGE 54, 277 (291); 97, 169 (185); 107, 395 (406 ff.); s. auch allgemein zur Problematik Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz im Privatrecht, 1970, insbes. S. 56 ff. 2 Eingehender zum folgenden Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973; Schenke, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4 sowie Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz (Zweitbearb.), Art. 19 Abs. 4.

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„Schlußstein im Gewölbe des Rechtsstaats“ feiern, warnen andere vor den Gefahren einer „Entfesselung der dritten Gewalt“ oder vor einer „Hypertrophie der Justizstaatlichkeit“.3 Welchen Standpunkt auch immer man hier bezieht, eines steht jedenfalls fest: Art. 19 Abs. 4 GG hat zweifelsohne wichtige neue verfassungsrechtliche Weichenstellungen vorgenommen, die keine Parallele in der früheren deutschen Verfassungsentwicklung aufweisen. Eine vergleichbare Rechtsschutzgarantie enthielten frühere Verfassungen nicht. Über den Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle hoheitlicher Akte entschieden hier die Verwaltungsgerichtsgesetze.4 Sie bauten ganz überwiegend auf dem sogenannten Enumerationsprinzip auf. Dabei ließen sie von vornherein nur einen Schutz gegenüber Verwaltungsakten, d. h. hoheitlichen rechtsverbindlichen Einzelfallregelungen der Verwaltungsbehörden zu, wobei selbst dieser noch dahingehend eingeschränkt wurde, daß keineswegs gegen alle Verwaltungsakte eine Rechtsschutzmöglichkeit eingeräumt war. Der Rechtsschutz beschränkte sich vielmehr im wesentlichen auf Polizeiverfügungen. Die insoweit zum Tragen kommenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren dienten zudem nach lange h. M. primär nicht dem Schutz subjektiver Rechte des Bürgers. Sie wurden vielmehr vorrangig als Instrument einer objektiven Verwaltungskontrolle bewertet. Dem entsprach es, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit vielfach als eine „Fortsetzung der Verwaltung mit anderen Mitteln“ (R. v. Gneist) angesehen wurde. Demgegenüber garantiert Art. 19 Abs. 4 GG nach heute allgemeiner Meinung nicht nur einen umfassenden Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte. Er ist auch eindeutig als eine Garantie des Individualrechtsschutzes ausgestaltet. Eine Besonderheit besteht ferner darin, daß er dort, wo sich die einfachgesetzlichen Prozeßordnungen, gemessen an dem durch Art. 19 Abs. 4 GG geforderten verfassungsrechtlichen Standard, als nicht ausreichend erweisen, zu einer unmittelbaren Ergänzung und Erweiterung der Prozeßordnung führt.5 Es bedarf damit keines Handelns des Gesetzgebers zur Schließung einfachgesetzlicher Rechtsschutzlücken. Besteht in den gerade angesprochenen Punkten heute bei den Interpreten der Rechtsschutzgarantie auch weitgehende Einigkeit, so gibt es doch nach wie vor eine Reihe von Fragen, die sehr strittig sind. Sie betreffen sowohl den Kreis der durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Personen (II. 1.) wie insbesondere aber auch die Frage, was unter der der Rechtsschutzgarantie unterfallenden „öffentli___________ 3

Vgl. hierzu Nachweise bei Schenke (Fn. 2), Rn. 24. Zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit s. Schenke (Fn. 2), Rn. 1 ff.; ferner eingehend die Beiträge von Rüfner, v. Unruh, Grawert, Stolleis und Ule, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, S. 3 ff. 5 Vgl. Schenke (Fn. 2), Rn. 62 f.; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 5. Aufl. 2005, Art. 19 Abs. 4, Rn. 477; vgl. auch Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. 1, 2. Aufl. 2004, Art. 19 IV, Rn. 110. 4

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chen Gewalt“ i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG zu verstehen ist (II. 2.), wann ein Recht i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG gegeben ist (II. 3.) und schließlich, wie der durch Art. 19 Abs. 4 GG geforderte Rechtsschutz auszusehen hat (II. 4.).

II. Die Bedeutung der Rechtsschutzgarantie 1. Die durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützten Personen Art. 19 Abs. 4 GG garantiert den Rechtsschutz für „jedermann“. Darunter sind unbestreitbar alle natürlichen Personen zu verstehen, ferner privatrechtliche Vereinigungen, sofern ihnen Rechte gegenüber einem Träger öffentlicher Gewalt zustehen können. Kontrovers beantwortet wird die Frage, ob auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sich auf das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG berufen können. Da die Grundrechte ihrem Wesen gemäß vor Trägern staatlicher Gewalt schützen wollen, nicht aber diese selbst, spricht viel für den Standpunkt des BVerfG,6 demzufolge juristische Personen des öffentlichen Rechts sich nicht auf die Rechtsschutzgarantie berufen können. Damit wird dem engen Zusammenhang zwischen den materiellen Grundrechten und der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie Rechnung getragen, wie er sich schon in der systematischen Stellung des Art. 19 Abs. 4 GG am Ende des Grundrechtskatalogs widerspiegelt Wenn sich juristische Personen des öffentlichen Rechts nach ganz h. M.7 nicht auf die materiellen Grundrechte berufen können, so muß konsequenterweise dasselbe für das formelle Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG gelten.

2. Die der Rechtsschutzgarantie unterfallende „öffentliche Gewalt“ a) Öffentliche Gewalt i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG ist grundsätzlich nur die deutsche Staatsgewalt Zu den umstrittensten Fragen der Verfassungsrechtslehre zählt, was unter Ausübung „öffentlicher Gewalt“ i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG zu verstehen ist. Weitgehende Einigkeit bestand allerdings zunächst insoweit, als unter Art. 19 Abs. 4 GG nur die Akte deutscher Staatsgewalt zu subsumieren sind.8 Nicht als „öffentliche Gewalt“ i. S. dieser Vorschrift stellten sich danach die Hoheitsakte ausländischer oder zwischenstaatlicher Einrichtungen dar, selbst wenn diese im ___________ 6 Vgl. BVerfGE 39, 312 (316); ausführlich Schenke (Fn. 2), Rn. 31 ff; s. ferner Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 41 ff; Huber (Fn. 5), Rn. 384. 7 s. dazu statt vieler Huber (Fn. 5), Rn. 251 ff. 8 So etwa Schenke (Fn. 2), Rn. 168.

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deutschen Staatsgebiet unmittelbare Rechtswirkungen entfalteten. Diese Ansicht ist allerdings für Gemeinschaftsakte in der Maastricht-Entscheidung9 modifiziert worden, wobei sich diese Modifikation offenbar nicht nur auf Akte der EU, sondern auch auf Hoheitsakte anderer zwischenstaatlicher Einrichtungen wie des Europäischen Patentamts10 beziehen soll. Auch solche Akte berührten die Grundrechte des Grundgesetzes und seien damit von den grundrechtlichen Gewährleistungen des Rechtsschutzes nicht völlig ausgenommen. Als Konsequenz aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß dem Bundesverfassungsgericht die Kompetenz zufällt, letztverbindlich darüber zu entscheiden, ob Gemeinschaftsakte die ihnen durch Art. 23 GG gesetzten Grenzen überschritten haben, insbesondere also nicht mit Art. 23 Abs. 1 S. 3 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG im Einklang stehen, weil sie keinen ausreichenden gerichtlichen Rechtsschutz sichern.11 Ob dieser Ausweitung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie zu folgen ist, kann aber hier letztlich dahingestellt bleiben, da diese bisher keinerlei praktische Bedeutung erlangt hat. Jedenfalls ist bisher in keinem Fall vom Bundesverfassungsgericht angenommen worden, daß der Rechtsschutz gegen Gemeinschaftsakte nicht grundgesetzlichen Erfordernissen genüge. Damit ändert sich aber nichts daran, daß den Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Rechtssschutzgarantie nach wie vor der Rechtsschutz gegen Akte deutscher Staatsgewalt bildet, zumal auch Gemeinschaftsakte vielfach einer Umsetzung durch die deutsche Staatsgewalt bedürfen.

b) Rechtsschutz gegen ein Handeln wie Unterlassen der „öffentlichen Gewalt“ Fest steht auch, daß unter die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie sowohl die Vornahme wie auch die Unterlassung „öffentlicher Gewalt“ – was immer hierunter zu verstehen ist – fällt. Art. 19 Abs. 4 GG erschöpft sich damit nicht in der Sicherung des richterlichen Schutzes vor Eingriffen des Staates, sondern erstreckt sich – anders als frühere verfahrensrechtliche Garantien – auch auf das Unterlassen entsprechender Akte. Insoweit erweist er sich als ein konsequentes verfahrensrechtliches Zu-Ende-Denken des Sozialstaatsprinzips und trägt – auch insoweit in deutlicher Abkehr von liberaler rechtsstaatlicher Tradition – der zunehmenden Abhängigkeit des Bürgers vom Staat Rechnung.

___________ 9

BVerfGE 89, 155 (174). s. dazu den Kammerbeschluß BVerfG, NJW 2001, 2705 f. und zustimmend Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 48. 11 Zu den sich hier stellenden Problemen näher Dörr, Der europäisierte Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, und dazu Schenke, DV 2004, 574 ff. 10

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c) Verwaltungsmaßnahmen als „öffentliche Gewalt“ Als Ausübung öffentlicher Gewalt sind unbestreitbar alle hoheitlichen Verwaltungshandlungen zu verstehen. Darunter fallen nicht nur Verwaltungsakte, sondern auch Realakte; der früher unternommene, noch in den Kategorien der überkommenen Verwaltungsgerichtsbarkeit denkende Versuch zur Extension des Verwaltungsaktsbegriffs mittels Umetikettierung von Realakten in Verwaltungsakte12 ist damit zur Realisierung des gerichtlichen Rechtsschutzes nicht mehr nötig. Ohne Bedeutung ist es auch, ob Verwaltungsmaßnahmen im allgemeinen Staat-Bürger-Verhältnis vorgenommen werden oder ob sie dem in Konsequenz der Impermeabilitätstheorie früher als rechtsfreiem Raum bewerteten besonderen Gewaltverhältnis zuzuordnen sind. Einschränkungen der gerichtlichen Überprüfung von Akten im besonderen Gewaltverhältnis (wie z. B. im Beamtenverhältnis) ergeben sich nur insoweit, als hier aus sachgesetzlichen, organisationssoziologischen Gründen der Gesetzgeber den materiellen Rechtsstatus des in einem solchen Gewaltverhältnis Befindlichen abzuschwächen vermag und dies zwangsläufig auch prozeßrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen muß. Mit einer Einschränkung der Rechtsschutzgarantie hinsichtlich Akten im besonderen Gewaltverhältnis hat dies freilich – entgegen einer vielfach geäußerten Rechtsansicht – nichts zu tun.13 Vielmehr ergibt sich diese Restriktion der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis aus dem simplen Gebot der Rechtslogik, demzufolge über den Umfang des gerichtlichen Individualrechtsschutzes das materielle (subjektive) Recht entscheidet. Auf einem ähnlichen Denkfehler, wie er uns bei den Verfechtern einer Einschränkung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie in bezug auf Akte im besonderen Gewaltverhältnis begegnet, beruht es im übrigen auch, wenn gelegentlich bezüglich behördlicher Verfahrenshandlungen (sei es im Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren oder einem gerichtlichen Verfahren) eine Ausklammerung aus der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie behauptet wird.14 Tatsächlich ergibt sich aber auch hier eine derartige Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolle nicht aus einer durch nichts belegbaren Reduktion des Art. 19 Abs. 4 GG. Die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis findet vielmehr ihre zwanglose Erklärung darin, daß im Interesse eines zügigen ___________ 12

So noch Dürig, in: Maunz/Dürig, GG (Erstbearb.), Art. 19 Abs. 4, Rn. 21 u. 24. Vgl. hierzu näher Schenke, in: Merten (Hrsg.), Das besondere Gewaltverhältnis, 1985, S. 83 ff.; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 95 ff.; Peine, Grundrechtsbeschränkungen in Sonderstatusverhältnissen, § 65; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 77 ff. 14 So z. B. OLG Karlsruhe, NJW 1976, 1417 ff. m. w. Nachw.; krit. hierzu Schenke, Rechtsschutz bei strafprozessualen Eingriffen von Staatsanwaltschaft und Polizei, NJW 1976, 1816 ff.; sowie ausführlich Schenke (Fn. 2), Rn. 213 ff. 13

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Verfahrensablaufs behördlichen Verfahrens- und Prozeßhandlungen durch den Gesetzgeber häufig die subjektivrechtliche Relevanz abgesprochen wird, sich damit aber die Frage nach einem Rechtsschutz i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG gar nicht stellen kann. Greifen solche Verfahrenshandlungen jedoch – wie z. B. eine durch Staatsanwaltschaft oder Polizei angeordnete Blutuntersuchung oder erkennungsdienstliche Maßnahme – in die Rechtsstellung des Bürgers ein, so kommt die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Rechtsschutzes voll zum Tragen. In Konsequenz der materiellen Grundrechtsbindung verwaltungsprivatrechtlichen Handelns muß dieses auch dem formellen Hauptgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG unterfallen. Wenn der Staat typische Verwaltungsaufgaben statt mit öffentlichrechtlichen Mitteln mit privatrechtlichen Mitteln wahrnimmt, wie dies für das Verwaltungsprivatrecht kennzeichnend ist, darf er sich nicht durch Formenaustausch grundrechtlichen Bindungen entziehen. Keinen Rechtsschutz gewährt Art. 19 Abs. 4 GG allerdings gegenüber solchen Maßnahmen, die rein fiskalischer Natur sind, bei denen der Staat sich also nicht nur des privatrechtlichen Handlungsinstrumentariums bedient, sondern auch von den verfolgten Zielen her sich genauso wie eine Privatperson geriert. Dazu rechnen die sogenannten Hilfsgeschäfte der Verwaltung, welche der staatlichen Bedarfsdeckung dienen (z. B. Erwerb von Büromaterial) wie auch die erwerbswirtschaftliche Tätigkeit. Insoweit ergibt sich jedoch, ähnlich wie bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten, die Notwendigkeit eines gerichtlichen Rechtsschutzes aus dem im allgemeinen Rechtsstaatsprinzip angesiedelten Anspruch auf Justizgewähr.15

d) Rechtsprechung als „öffentliche Gewalt“ Grundsätzlich nicht unter die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG fallen Rechtsprechungsakte.16 Zwar werden sie vom Begriff der „öffentlichen Gewalt“ mitumfaßt; die Einbeziehung derartiger Rechtsprechungsakte in den Anwendungsbereich der Rechtsschutzgarantie würde aber konsequent zu Ende gedacht zu einem „Rechtsschutz ad infinitum“, einem unendlichen Rechtsschutz führen. Damit würde das Institut der Rechtskraft, das dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dient, beseitigt. Die methodologisch auf eine teleologischen Reduktion des Art. 19 Abs. 4 GG hinauslaufende Ausklammerung richterlicher Akte aus der Rechtsschutzgarantie kommt freilich dann nicht zum Zuge, wenn richterliche Handlungen nicht in einer dem Art. 97 GG genügenden ___________ 15

Vgl. hierzu etwa BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (341), Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 16 ff.; Huber (Fn. 5), Rn. 352 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 35 ff. 16 Eingehend hierzu nunmehr Schenke, Verfassungsrechtliche Garantie eines Rechtsschutzes gegen Rechtsprechungsakte?, JZ 2005, 116 ff. m. w. Nachw.

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Weise durch sachlich und prinzipiell auch persönlich unabhängige neutrale Richter in einem Verfahren vorgenommen werden, das dem rechtsstaatlich gebotenen Standard für gerichtliche Verfahren (insbesondere was die Beteiligungsrechte Betroffener anbetrifft) genügt.17 Außerdem ergibt sich aus den nur an Gerichte adressierten Verfahrensgrundrechten, so insbesondere aus dem Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), die Notwendigkeit einer nochmaligen gerichtlichen Überprüfung einer gerichtlichen Entscheidung bei Rüge einer entsprechenden Verfahrensrechtsverletzung. Diese Überprüfung braucht aber, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Plenarentscheidung18 zu Recht ausgeführt hat, nicht notwendigerweise durch ein höheres Gericht zu erfolgen, es genügt die Überprüfung durch dasselbe Gericht. Sie ist seit dem 01.01.2005 im sogenannten AnhörungsrügenG gesetzlich vorgeschrieben.19

e) Gesetzgebung als „öffentliche Gewalt“ Eine der umstrittensten staatsrechtlichen Fragen markiert jene, ob auch die Gesetzgebung als „öffentliche Gewalt“ i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG anzusehen ist. Die ganz h. M. in der Literatur befürwortet dies. Das BVerfG20 lehnt es jedoch zumindest für formelle vom Parlament erlassene Gesetze ab. Diese Judikatur bedarf scharfer Kritik. Der Begriff der „öffentlichen Gewalt“ umfaßt nach dem gängigen Sprachgebrauch auch die Gesetzgebung. Davon geht das GG bezeichnenderweise an anderer Stelle unbestrittenermaßen aus (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Damit spricht schon die Vermutung eines konsequenten Sprachgebrauchs des Verfassungsgesetzgebers für die Einbeziehung der Gesetzgebung in den Anwendungsbereich der Rechtsschutzgarantie. Da die Grundrechte gem. Art. 1 Abs. 3 GG auch vor der Gesetzgebung schützende materielle subjektive Rechte darstellen, erfordert dies ebenfalls einen korrespondierenden gerichtlichen Rechtsschutz. Das indiziert auch die systematische Stellung des Art. 19 Abs. 4 GG am Ende des Grundrechtskatalogs. Mit ihr wollte der Verfassungsgesetzgeber – wie sich aus der Entstehungsgeschichte belegen läßt – zum Ausdruck bringen, daß eine der wichtigsten Funktionen der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gerade in dem Schutz der Grundrechte besteht. Dieser ___________ 17 Schenke (Fn. 2), Rn. 278 ff.; Krebs, in: v. Münch/Kunig, GG, Bd. 1, 5. Aufl. 2000, Art. 19, Rn. 57; Huber (Fn. 5), Rn. 436. 18 BVerfG, NJW 2003, 1924 ff.; s. dazu näher Schenke, Verfassungsrechtliche Garantie eines Rechtsschutzes gegen Rechtsprechungsakte?, JZ 2005, 116 ff. 19 s. zur Reichweite dieses Gesetzes näher Schenke, Außerordentliche Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozeßrecht nach Erlaß des Anhörungsrügengesetzes, NVwZ 2005, 729 ff. 20 BVerfGE 24, 33 (49); krit. hierzu Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 28 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 93 ff.; Huber (Fn. 5), Rn. 429 ff.; Ibler (Fn. 1), Rn. 199 ff.; Krebs (Fn. 17), Rn. 56; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 50.

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Zielsetzung kann aber nur dann genügt werden, wenn Art. 19 Abs. 4 GG auch die Gesetze umfaßt. Ohne eine solche Annahme ließe sich die subjektive Rechtsnatur der vor der Gesetzgebung schützenden subjektiven Rechte nicht in einer rechtsstaatlich befriedigenden Weise erklären. Die Erstreckung des Art. 19 Abs. 4 GG auf Gesetze wird zusätzlich insofern nahegelegt, als im modernen Rechtsstaat der Gegensatz von Verwaltungsakt und generell-abstrakter Norm zunehmen relativiert wird, ja in Auflösung begriffen ist. Die Ausklammerung des Rechtsschutzes gegen Gesetze aus der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie eröffnete damit dem Staat die Möglichkeit, durch eine Flucht in die Normgebung die Rechtsschutzgarantie auszuhöhlen. Die demgegenüber angeführten Argumente des BVerfG vermögen nicht zu überzeugen. Sie beruhen zu einem wesentlichen Teil auf einer Überstrapazierung des Gesichtspunkts der historischen Auslegung. Aus dem Umstand, daß der Gedanke eines Rechtsschutzes gegen Gesetze dem deutschen Verfassungsrecht vor Schaffung des Grundgesetzes fremd war, wird gefolgert, daß Art. 19 Abs. 4 GG an diesem Rechtszustand nichts ändern wollte. Dabei scheut sich das BVerfG in diesem Zusammenhang nicht, sogar bis auf den Rechtszustand in der konstitutionellen Monarchie zurückzugehen. Diese Argumentation des BVerfG erscheint nicht nur deshalb problematisch, weil das BVerfG sonst der historischen Interpretation einen nur relativ geringen Stellenwert einräumt. Sie verkennt vor allem, daß Art. 19 Abs. 4 GG einen völligen Bruch mit der deutschen Verfassungstradition darstellt. Deshalb erweckt bereits von hierher eine Anknüpfung an den früheren Rechtsstand grundsätzliche Bedenken. Sie verstärken sich noch, wenn man sich vor Augen hält, daß sich das verfassungsrechtliche Umfeld, in welches die Problematik eines Rechtsschutzes gegen Gesetze eingebettet ist, in grundlegender Weise verändert hat. Diese Problematik konnte sich nämlich früher aus zwei Gründen denkgesetzlich nicht stellen. Das hing einmal damit zusammen, daß hier in Konsequenz der Vorstellung vom Parlament als „Hüter der Verfassung“ bis in die Zeit der Weimarer Republik hinein eine rangmäßige Differenzierung zwischen Verfassungsgesetz und einfachem Gesetzesrecht nicht gemacht wurde. Selbst nachdem man diese rangmäßige Differenzierung in einer berühmten Entscheidung des RG21 aus dem Jahre 1925 anerkannt hatte, mußte für die Problematik eines Rechtsschutzes gegen Gesetze das Problembewußtsein deshalb noch fehlen, weil die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung nach ganz h. M. nur vor der Verwaltung, nicht aber vor der Gesetzgebung schützten. Die Einbeziehung der Gesetzgebung in die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG bedeutet im übrigen nicht, daß damit der Rechtsschutz nur – wie das BVerfG bezüglich formeller Gesetze annimmt – in einem prinzipalen Normenkontrollverfahren zu bestehen vermag, d. h. in einem Verfahren, in dem die ___________ 21

Vgl. RGZ 111, 320 ff.

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Gültigkeit der Norm als solche Verfahrensgegenstand ist. Über die Form des Rechtsschutzes enthält Art. 19 Abs. 4 GG keine ausdrückliche Aussage. Gefordert wird hier vielmehr nur, daß der Rechtsschutz wirksam ist. Diesem Postulat genügen aber in der Regel auch inzidente Normenkontrollen. So kann z. B. bei einer gesetzlich begründeten Pflicht, die nach Ansicht des Normadressaten unwirksam ist, zur Realisierung des verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsschutzes durch die Gerichte (unter Beachtung des Art. 100 GG) festgestellt werden, daß für den Normadressaten keine entsprechende Verpflichtung gegenüber dem sich korrespondierender subjektiver Rechte berühmenden Staat besteht. Nur in den seltenen Fällen,22 in welchen die belastenden Auswirkungen einer Norm nicht aus dem durch sie konstituierten sozialen Zusammenhang isoliert werden können (bedeutsam insbesondere bei janusköpfigen Normen und vielfach im Bereich des Planungsrechts), kommt ein wirksamer Rechtsschutz nur durch eine prinzipale Normenkontrolle in Betracht. Gleiches muß aus rechtsstrukturellen Gründen dort angenommen werden, wo rechtswidrige Normen ausnahmsweise gültig sind. Der hier gebotene prinzipale Rechtsschutz ist – sofern solche Verfahren nicht im einfachen Gesetzesrecht (s. § 47 VwGO) vorgesehen sind – meist durch die vor dem Bundesverfassungsgericht erhebbare Verfassungsbeschwerde zu realisieren. Bedenken gegen die Einbeziehung der Gesetzgebung in die Rechtsschutzgarantie, wie sie sich darauf gründen, daß diese ähnlich wie bei anderen Akten der „öffentlichen Gewalt“ logischerweise nicht nur gegenüber der Vornahme dieser Akte, sondern auch gegenüber deren Unterlassen (hier also dem Unterlassen von Rechtsnormen) zum Tragen kommen muß, damit aber ein gefährlicher Schritt in Richtung auf einen Richterstaat getan werden könnte, erweisen sich als letztlich nicht durchschlagend. Ansprüche auf ein gesetzliches Handeln sind nur in den seltensten Fällen gegeben. Zu Recht haben das BVerfG und die h. M. eine allgemeine Umdeutung der Freiheitsgrundrechte in Leistungsgrundrechte verworfen, sondern diesen – wenn überhaupt – im wesentlichen nur Leistungspflichten entnommen.23 In dem Maße, in welchem Grundrechte echte Leistungsrechte beinhalteten, ergäbe sich deren gerichtlicher Rechtsschutz – unabhängig von Art. 19 Abs. 4 GG – im übrigen ohnehin bereits aus der Garantie des Rechtsschutzes durch die Verfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).

___________ 22

Vgl. hierzu Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 146 ff. Eingehender zu dieser Problematik Martens/Häberle, Grundrechte im Leistungsstaat, VVDStRL Bd. 30, S. 7 ff. 23

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f) Justizfreie Hoheitsakte Auf die Frage, ob Begnadigungsakte und Regierungsakte, d. h. staatsleitende Akte oberster Staatsorgane außerhalb der Gesetzgebung als „öffentliche Gewalt“ i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG anzusehen sind, wird Herr Kollege Laubinger noch näher eingehen. Deshalb begnüge ich mich hier mit dem kurzen Hinweis, daß auch ablehnende Gnadenentscheidungen entgegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und im Einklang mit der von Herrn Laubinger vertretenen Ansicht der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie unterfallen. Allerdings bestehen bei der Ausübung des Begnadigungsrechts durch die hierfür zuständigen Behörden nur sehr weitmaschige materiellrechtliche Bindungen, so daß der Rechtsschutz gegen ablehnende Gnadenentscheidungen nur selten Erfolg haben wird. Ebenso wie Herr Laubinger meine ich zudem, daß auch gegenüber Regierungsakten (so z. B. einer Richtlinienentscheidung des Bundeskanzlers oder einem Parlamentsbeschluß) nach Art. 19 Abs. 4 GG Rechtsschutz geboten sein kann. Jedoch werden solche Regierungsakte nur selten in Rechte des Bürgers eingreifen, und wenn sie es tun, wird der Rechtsschutz hiergegen regelmäßig nicht durch die Verwaltungsgerichte, sondern durch die Verfassungsgerichte zu gewähren sein. Es handelt sich nämlich bei solchen Streitigkeiten nach richtiger, wenn auch umstrittener Ansicht um Streitigkeiten verfassungsrechtlicher Art. Als justizfreie Hoheitsakte werden vielfach auch Wahlakte, wie z. B. die Ablehnung der Eintragung in das Wählerverzeichnis, qualifiziert. Dies führt freilich zur seltsamen Konsequenz, daß ausgerechnet die demokratischen Wahlrechte ohne einen gerichtlichen Rechtsschutz bleiben. Die Verweisung des Bürgers auf eine ihm bei Wahlrechtsverletzungen eingeräumte Möglichkeit, ein Wahlprüfungsverfahren gem. § 48 BVerfGG vor dem Bundesverfassungsgericht zu initiieren, hilft hier schon deshalb nicht weiter, weil zur Einleitung eines solchen Verfahrens dem Verletzten nach § 48 BVerfGG mindestens hundert Wahlberechtigte beitreten müssen. Zudem ist Gegenstand des Wahlprüfungsverfahrens nur die Gültigkeit der Wahl, nicht aber eine Wahlrechtsverletzung eines Bürgers. Selbst wenn etwa die Verletzung des aktiven Wahlrechts eines Bürgers vorliegt, hat dies in der Regel keinen Einfluß auf den Ausgang und damit auch auf die Gültigkeit der Wahl. Deshalb ist die Bejahung eines Rechtsschutzes gegen Wahlrechtsverletzungen unabdingbar.24 So ergeben sich Einschränkungen des gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 S. 3 GG nur in eng begrenzten Fällen bei heimlichen Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis sowie nach Art. 44 Abs. 4 GG in bezug auf die Ver___________ 24 Dazu näher Schenke, Der gerichtliche Rechtsschutz im Wahlrecht, NJW 1981, 2440 ff.; vgl. ferner Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 57; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 34.

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letzung von Rechten Betroffener durch den Abschlußbericht eines Untersuchungsausschusses des Bundestags.

3. Die Rechtsverletzung als Voraussetzung eines Rechtsschutzes Voraussetzung für die Gewährleistung des Rechtsschutzes gem. Art. 19 Abs. 4 GG ist, daß die Möglichkeit einer Rechtsverletzung durch die „öffentliche Gewalt“ besteht. Dabei sind unter subjektiven Rechten alle Rechte zu verstehen, welche vor der „öffentlichen Gewalt“ schützen. Von der Existenz solcher Rechte ist dann auszugehen, wenn eine Rechtsnorm zumindest auch Interessen einer Person schützt.25 Art. 19 Abs. 4 GG setzt die Existenz subjektiver Rechte voraus, konstituiert diese also nicht selbst. Derartige subjektive Rechte werden allerdings nicht nur durch das einfache Gesetzesrecht, sondern auch durch die Grundrechte geschaffen. Unterverfassungsrecht und Verfassungsrecht stehen dabei, was die Begründung subjektiver Rechte angeht, in einem eigenartigen Verhältnis der Wechselwirkung.26 Einerseits formt und konkretisiert der einfache Gesetzgeber die verfassungsrechtlich begründeten subjektiven Rechte, woraus sich nicht selten eine Substanzminderung der Grundrechte ergibt, die den Rückgriff auf diese (partiell) ausschließt und im Extremfall nur noch in dem durch den Gesetzgeber unantastbaren Kernbereich zuläßt. Andererseits strahlt aber das in den Grundrechten seinen sinnfälligsten Ausdruck findende Menschenbild des Grundgesetzes auf die Interpretation einfachgesetzlicher Rechtsvorschriften aus und führt damit zu einer zunehmenden Subjektivierung des Bürger-Staat-Verhältnisses. Viele Vorschriften, die früher als ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienend angesehen wurden und daher keine subjektiven Rechte begründen (z. B. im Bereich des Polizeirechts oder des Sozialrechts), werden heute im Schwerefeld der Grundrechte als subjektivrechtlich relevant qualifiziert. Damit hat sich die Bedeutung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Ausdehnung des materiellen Rechtsstatus des Bürgers noch weiter verstärkt. Zu beachten ist dabei, daß das verletzte Recht i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG nicht mit dem aus einer Rechtsverletzung erwachsenden Recht (etwa einem Reaktionsanspruch) identisch ist. Deshalb besteht (Rechtsschutzbedürfnis vorausgesetzt) die Notwendigkeit eines Rechtsschutzes selbst dann, wenn – wie etwa im Fall des § 46 VwVfG – eine subjektive Rechtsverletzung keinen Reaktionsanspruch nach sich zieht.27 Sofern solche sekundären, ___________ 25

Näher hierzu Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 116 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 60 ff. 26 Dazu im Zusammenhang mit dem Nachbarschutz Schenke, Baurechtlicher Nachbarschutz, NuR 1983, 81 ff. 27 Vgl. hierzu Schenke, Der verfahrensfehlerhafte Verwaltungsakt gemäß § 46 VwVfG, DÖV 1986, 305 ff.; zum hier analog § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO zu gewährenden

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dem Schutz des verletzten primären Rechts dienenden Rechte jedoch vorhanden sind, kommt ihnen freilich für die Art des Rechtsschutzes Bedeutung zu.28 Da Art. 19 Abs. 4 GG die Möglichkeit einer Verletzung in eigenen Rechten verlangt, bietet er keine verfassungsrechtliche Basis für die verschiedentlich geforderte Einführung einer Verbandsklage,29 mit welcher der Verband nicht die Verletzung eigener Rechte, sondern die Verletzung der Rechte von Verbandsmitgliedern geltend macht (sogenannte altruistische Verbandsklage). Inwieweit im Einzelfall die Verletzung von Rechten der Verbandsmitglieder mit solchen der Rechte des Verbandes einhergeht, kann aus rechtssystematischen Gründen nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG, sondern nur außerhalb desselben anhand des materiellen Rechts beantwortet werden. Die in Art. 9 GG geschützte Vereinigungsfreiheit dürfte dabei freilich keine ausreichende Basis30 für eine solche allgemeine Parallelisierung subjektiver Rechte von Verbandsmitgliedern und des mit der Wahrnehmung von deren Interessen betrauten Verbandes liefern. Fehlt es mangels subjektiver Rechte des Verbands an einer Möglichkeit zur Aktivierung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie, so kann diese andererseits aber auch nicht, wie verschiedentlich behauptet, als Verbot der Einführung einer Verbandsklage interpretiert werden. Deren Etablierung steht vielmehr zur Disposition des einfachen Gesetzgebers. Verfassungsrechtliche Grenzen bestehen nur insofern, als die gesetzliche Ausgestaltung der Verbandsklage nicht in einer Weise vorgenommen werden darf, die (etwa durch gesetzliche Erstreckung der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen auf Nichtverfahrensbeteiligte) zu einer Einschränkung des Individualrechtsschutzes führt.

4. Die Form des gerichtlichen Rechtsschutzes a) Die zum Rechtsschutz berufenen Gerichte Als Gerichte, die zur Gewährleistung des Rechtsschutzes in Betracht kommen, sind sämtliche Gerichte anzusehen, hinsichtlich derer die in Art. 97 GG geforderte persönliche und sachliche Unabhängigkeit besteht.31 Dafür kommen alle in Art. 95 GG genannten Gerichtszweige in Betracht. Besondere Bedeutung ___________ Rechtsschutz s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 327; Hufen, DVBl. 1988, 69 (75); Laubinger, in: Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Aufl. 1998, § 58, Rn. 25. 28 Schenke (Fn. 2), Rn. 160 u. 298 ff. 29 Schenke (Fn. 2), Rn. 152 ff.; Krebs (Fn. 17), Rn. 58; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 269 ff. 30 Anders aber Faber, Die Verbandsklage im Verwaltungsprozeß, 1972, S. 49 ff. 31 Dazu Schenke (Fn. 2), Rn. 39 ff.; Huber (Fn. 5), Rn. 440 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 173 ff.

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besitzt jedoch der Rechtsschutz durch die Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichte. Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG, nach dem, soweit eine andere gerichtliche Zuständigkeit nicht gegeben ist, der ordentliche Rechtsweg zum Tragen kommt, besitzt heute kaum noch unmittelbare Relevanz. Literatur und Rechtsprechung gehen nämlich davon aus, daß bestehende Rechtsschutzlücken primär durch Ausweitung des sachnächsten Rechtsweges zu schließen sind. Als Rechtfertigung hierfür dient ein dem Art. 95 GG entlehnter allgemeiner Rechtsgedanke, demzufolge sachlich zusammenhängende Rechtsstreitigkeiten möglichst von ein und dem gleichen Gerichtszweig entschieden werden sollen. Die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG liegt folglich heute in erster Linie nur noch in der hier mittelbar getroffenen Aussage, daß ein verfassungsrechtlich gebotener Rechtsschutz niemals allein deshalb verweigert werden kann, weil es an der Einräumung einer gesetzlichen Rechtsschutzmöglichkeit in den Prozeßgesetzen fehlt. Als ein Rechtsweg i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG kommt prinzipiell auch der Rechtsweg zu den Verfassungsgerichten in Betracht.32 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß sich Einschränkungen der Rechtsschutztauglichkeit der Verfassungsbeschwerde, soweit es um den Rechtsschutz vor Verwaltungshandlungen geht, daraus ergeben, daß der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab hier (selbst wenn eine mittelbare Grundrechtsverletzung vorliegt) verengt ist.33 Das erfährt seine Rechtfertigung daraus, daß das BVerfG zum Schutz der Grundrechte berufen ist und überdies nicht in die Rolle eines Superrevisionsgerichts, das Fragen des Unterverfassungsrechts klärt, hineingedrängt werden soll. Diese Verengung des Prüfungsmaßstabs besitzt jedoch keine rechtliche Bedeutung bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze. Eine Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze stellt damit in der Tat sehr wohl einen Rechtsweg i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG dar.

b) Rechtsschutz und Verfahrensart Über die Verfahrensart und den Gegenstand des Verfahrens, mit welchem Rechtsschutz gewährt wird, enthält Art. 19 Abs. 4 GG keine Aussage. Erforderlich ist nur, daß der gegen die Rechtsverletzung gewährte Rechtsschutz wirksam ist. Der Rechtsschutzgegenstand wird im übrigen wesentlich durch das materielle Recht vorgezeichnet. Soweit die Verletzung von Ansprüchen des Bürgers geltend gemacht wird, bieten sich hier in erster Linie Leistungsklagen an. Denkbar sind aber auch Gestaltungsklagen wie z. B. die auf gerichtliche Aufhe___________ 32 Vgl. Schenke (Fn. 2), Rn. 42 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 92; Huber (Fn. 5), Rn. 443; dagegen, in der Verfassungsgerichtsbarkeit einen Rechtsweg i. S. des Art. 19 Abs. 4 GG zu sehen, allerdings BVerfGE 1, 344. 33 Zu diesen Einschränkungen der Überprüfungsbefugnis des BVerfG s. näher Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1987, S. 27 ff.

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bung eines Verwaltungsakts gerichtete Anfechtungsklage, mit welcher ein Anspruch auf behördliche Rücknahme eines Verwaltungsakts durchgesetzt wird. Für den Rechtsschutz bei der Verletzung absoluter Rechte (wie etwa der Freiheitsgrundrechte) ist es ferner von Bedeutung, ob das materielle Recht die Rechtsverletzung, wie dies meist geschieht, mit Reaktionsansprüchen koppelt. Trifft dies zu, so dient die gerichtliche Durchsetzung solcher Reaktionsansprüche (etwa mittels der Anfechtungsklage bei einer Freiheitsgrundrechtsverletzung durch einen Verwaltungsakt) zugleich dem Schutz des verletzten absoluten Rechts. Für die Form des Rechtsschutzes ist es ferner von Relevanz, ob der rechtsverletzende Akt zunächst rechtswirksam oder aber nichtig ist, wie dies etwa bei Normen meist der Fall ist (weshalb hier anders als bei rechtswidrigen Verwaltungsakten meist auch eine inzidente Überprüfung des rechtsverletzenden Aktes den Rechtsschutz zu bewerkstelligen vermag). Soweit eine Verletzung absoluter Rechte ausnahmsweise keine sekundären Hilfsrechte provoziert (wie dies etwa nach § 46 VwVfG zutreffen soll), kommt nur ein auf Feststellung der Rechtsverletzung gerichtetes Verfahren in Betracht.

c) Verfahrensmaximen für den gerichtlichen Rechtsschutz Aus der Natur des gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich grundsätzlich, daß der Rechtsinhaber selbst über den Umfang des gerichtlichen Rechtsschutzes zu entscheiden hat und damit die Dispositionsmaxime vorgegeben ist. Ferner dürfte aus Art. 19 Abs. 4 GG i. V. mit Art. 20 Abs. 3 GG die verfassungsrechtliche Garantie des Untersuchungsgrundsatzes ableitbar sein.34 Andere verfahrensrechtliche Maximen, wie jene der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit sowie der Unmittelbarkeit des Verfahrens, stellen hingegen (so sehr sie auch rechtspolitisch zu begrüßen sein mögen) keine Verfassungserfordernisse dar. Ein bedeutsames, außerhalb des Art. 19 Abs. 4 GG verankertes Verfahrensprinzip beinhaltet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

d) Die Zulässigkeit von Prozeßvoraussetzungen Mit dem durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierten wirksamen Rechtsschutz grundsätzlich vereinbar ist die Statuierung der überkommenen Prozeßvoraussetzungen.35 Das muß jedenfalls solange gelten, als hierdurch keine unzumutba___________ 34 Zur verfassungsrechtlichen Verankerung von Verfahrensmaximen für den gerichtlichen Rechtsschutz s. Schenke (Fn. 2), Rn. 80 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 106 ff.; Huber (Fn. 5), Rn. 453 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 264 ff. 35 Dazu Schenke (Fn. 2), Rn. 99 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 97 ff.; SchmidtAßmann (Fn. 2), Rn. 233 ff.

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ren Rechtsschutzbeeinträchtigungen hervorgerufen werden. Demgemäß muß etwa derjenige, der sich auf Art. 19 Abs. 4 GG stützt, hinnehmen, daß ihm nach allgemeinen prozessualen Grundsätzen nur dann Rechtsschutz zuteil wird, wenn für sein Rechtsschutzbegehren ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Ferner erklärt sich von hierher die Zulässigkeit von Regelungen, denen zufolge vor Beschreitung des Rechtswegs zu den Gerichten ein Vorverfahren bei der Verwaltung zu absolvieren ist und bestimmte Klagefristen eingehalten werden müssen.

e) Die gerichtliche Kontrolldichte Zur gerichtlichen Kontrolldichte, d. h. zur Frage, in welchem Umfang dem Art. 19 Abs. 4 GG unterfallende Akte „öffentlicher Gewalt“ durch die Verwaltungsgerichte zu überprüfen sind, wird sich Herr Laubinger noch näher äußern. Deshalb kann ich mich hier mit einem kurzen Hinweis begnügen: Der durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz muß wirksam sein. Daraus leitet sich die Notwendigkeit einer grundsätzlich uneingeschränkten tatsächlichen und rechtlichen Überprüfung angefochtener Akte der „öffentlichen Gewalt“ auf das Vorliegen einer Rechtsverletzung ab. In Konsequenz dieser Ansicht sollen nach h. M. auch dort, wo das Recht mit sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffen, wie etwa dem des „öffentlichen Wohls“, dem des „öffentlichen Interesses“ oder dem der „Geeignetheit“ arbeitet, die Gerichte grundsätzlich in vollem Umfang die Interpretation und Subsumtion der Verwaltungsbehörden unter diese unbestimmten Rechtsbegriffe zu überprüfen befugt, ja verpflichtet sein. Demzufolge ist nach der h. M. bei den auf eine Wertung angelegten unbestimmten Rechtsbegriffen ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum im Regelfall ausgeschlossen.36 Nur bei bestimmten Fallgruppen wird – wie Herr Laubinger zeigen wird – davon ausgegangen, daß hier der Gesetzgeber der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum einräumt. Bezüglich Ermessensentscheidungen entspricht es hingegen der ganz h. M., daß diese durch die Verwaltungsgerichte nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern zu überprüfen sind. Der Ermessensspielraum der Verwaltungsbehörden kann daher durch die Verwaltungsgerichte nicht angetastet werden. Die von einer Mindermeinung in der Literatur37 unter Stützung auf Art. 19 Abs. 4 GG zum Teil geforderte uneingeschränkte gerichtliche Justiziabilität von Ermessensentscheidungen hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. Sie übersieht, daß alle ___________ 36 Ausführlich dazu Schenke (Fn. 2), Rn. 304 ff.; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 180 ff.; Papier, in: Verwaltung und Rechtsstaat, Festschrift für C. H. Ule, 1987, S. 235 ff.; Sendler, ebenda, S. 337 ff.; Krebs (Fn. 17), Rn. 65; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 116 ff. 37 Vgl. z. B. H. H. Rupp, Ermessensspielraum und Rechtsstaatlichkeit, NJW 1969, 1273 ff.

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Verwaltungsentscheidungen, die sich innerhalb des Ermessensspielraumes der Verwaltung bewegen, rechtmäßig sind. Die Elimination eines gerichtlich nur beschränkt kontrollierbaren Verwaltungsermessens würde zudem in den Kernbereich des in Art. 20 Abs. 2 GG verankerten Gewaltenteilungsprinzips eingreifen.

f) Prozeßrechtliche Folgerungen aus dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes Da der in Art. 19 Abs. 4 GG garantierte Rechtsschutz ein wirksamer Rechtsschutz sein soll, haben Rechtsprechung und Literatur der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG das Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes eingenommen.38 Aus diesem Grundsatz sind eine Reihe bedeutsamer Folgerungen abgeleitet worden. So ergibt sich aus dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes, daß der Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit zu gewähren ist.39 Soweit eine Behörde Geheimhaltungsinteressen hinsichtlich nur ihr verfügbarer entscheidungsrelevanter Informationen geltend macht und deshalb einem gerichtlichen Verlangen zur Vorlage von Urkunden oder Akten nicht nachkommt (§ 99 VwGO), muß im Hinblick auf das Effektivitätsgebot die Möglichkeit bestehen, daß das Gericht in einem in-camera-Verfahren auf Antrag eines Prozeßbeteiligten, aber ohne dessen Verfahrensbeteiligung darüber entscheidet, ob tatsächlich ein das Aufklärungsinteresse überwiegendes Geheimhaltungsinteresse besteht.40 Aus der Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit, daß dem Rechtsschutzberechtigten, falls die öffentliche Hand einer zu ihren Ungunsten ausgehenden gerichtlichen Entscheidung keine Folge leistet, die Möglichkeit eingeräumt werden muß, die Entscheidung im Wege der Vollstreckung durchzusetzen.41 Aus dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes ergibt sich ferner die Notwendigkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes, da sonst der Rechtsschutz in der Hauptsache angesichts der Länge gerichtlicher Verfahren häufig zu spät kommen würde. In Konsequenz dieser Erkenntnis hat das BVerfG einfachgesetzliche Prozeßordnungen, die im Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes Lükken aufweisen, durch unmittelbaren Rückgriff auf Art. 19 Abs. 4 GG ergänzt. Der durch Art. 19 Abs. 4 GG garantierte vorläufige Rechtsschutz kann auch ___________ 38

Vgl. Schenke (Fn. 2), Rn. 383 ff. m. w. Nachw.; Schmidt-Aßmann (Fn. 2), Rn. 273 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 80 f., 94 ff., 106 ff. 39 So z. B. Schenke (Fn. 2), Rn. 422 f.; Schwachheim, in: Umbach/Clemens, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 178; BVerfGE 35, 382 (405); BVerfGE 35, 382 (405); 55, 349 (369). 40 BVerfGE 101, 106 (124 ff.). 41 Schenke (Fn. 2), Rn. 166.

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mittels eines mit der Einlegung von Rechtsbehelfen gekoppelten Suspensiveffekts gewährt werden. Zu weit gehen dürfte es dabei allerdings, wenn das BVerfG42 in seiner früheren Rechtsprechung zur Annahme tendierte, das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität verlange grundsätzlich, daß die Einlegung von Rechtsbehelfen, insbesondere die Erhebung einer Klage gegen einen Verwaltungsakt, mit einer aufschiebenden Wirkung gekoppelt sei. In seiner neueren Judikatur ist das BVerfG von dieser Forderung, die auf eine Überdehnung des Prinzips der Rechtsschutzeffektivität hinausläuft, abgerückt. Richtigerweise muß es genügen, wenn für den Betroffenen die Möglichkeit besteht, in einem gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutzverfahren auf eine Aussetzung des angefochtenen Verwaltungsakts hinzuwirken. Bei der gerichtlichen Entscheidung über die Aussetzung eines Verwaltungsakts, die in den §§ 80 ff. VwGO einfachgesetzlich geregelt ist, hat eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des durch einen Verwaltungsakt Belasteten einerseits und dem öffentlichen Interesse sowie den Interessen Dritter an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits stattzufinden. Im Rahmen der Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens bedeutsam, sofern sich diese bereits übersehen lassen. Der vorläufige Rechtsschutz in den Fällen, in denen der Bürger eine Begünstigung durch die Verwaltung begehrt oder in denen es um den Schutz gegen hoheitliches Handeln geht, das nicht als Verwaltungsakt zu qualifizieren ist, wird über eine einstweilige Anordnung sichergestellt. Der auch insoweit verfassungsrechtlich geforderte vorläufige Rechtsschutz43 wird über eine in § 123 VwGO geregelte einstweilige Anordnung gewährleistet. Auch hier bedarf es bei der Entscheidung über den Erlaß einer einstweiligen Anordnung einer Interessenabwägung, in deren Rahmen gleichfalls den voraussichtlichen Erfolgsaussichten eines Hauptsacheverfahrens Bedeutung zukommt. Drohen ohne Erlaß einer einstweiligen Anordnung für den Antragsteller schwere und irreparable Nachteile und ist mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Erfolg des Hauptsacheverfahrens auszugehen, so kann durch eine gerichtliche einstweilige Anordnung ausnahmsweise sogar die Hauptsache vorweggenommen werden. Relevanz erlangt das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität auch in Verbindung mit der Befürwortung eines vorbeugenden Rechtsschutzes,44 insbesondere gegen Verwaltungshandlungen. Ein solcher vorbeugender Rechtsschutz ist auch ___________ 42

BVerfGE 35, 382 (402); vorsichtiger BVerfGE 51, 268 (285). Grundlegend zum vorläufigen Rechtsschutz Schoch, Vorläufiger Rechtsschutz und Risikoverteilung im Verwaltungsrecht, 1988; s. zum vorläufigen Rechtsschutz nach der VwGO ferner Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, 1998, S. 221 ff. und Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 927 ff. 44 Ausführlicher zum vorbeugenden Rechtsschutz Schenke, Vorbeugende Unterlassungsklage und Feststellungsklage im Verwaltungsprozeß, AöR Bd. 95 (1970), 223 ff. und Schenke (Fn. 2), Rn. 390 ff.; Ule, Vorbeugender Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, VerwArch. Bd. 65 (1974), 291 ff. 43

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gegenüber Verwaltungsakten entgegen einer auch heute noch vertretenen Ansicht nicht generell ausgeschlossen.45 Obwohl die einfachgesetzlichen Prozeßordnungen, wie insbesondere die VwGO, auf dem Grundsatz der Repressivität des Rechtsschutzes aufbauen und demgemäß einen Rechtsschutz gegen Verwaltungsakte prinzipiell erst dann zulassen, wenn die Verwaltung Verwaltungsakte erlassen hat, bedarf diese Entscheidung im Hinblick auf das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität wichtiger Modifikationen. Soweit der in der VwGO vorgesehene, erst nach Erlaß des Verwaltungsaktes einsetzende Rechtsschutz nicht effektiv ist, ergibt sich aus dem Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes die Notwendigkeit eines vorbeugenden Rechtsschutzes. Dieser ist über eine vorbeugende Unterlassungsklage oder (soweit das einfache Gesetzesrecht diese zuläßt und § 43 Abs. 2 S. 1 VwGO ihr nicht entgegensteht) durch eine vorbeugende Feststellungsklage sicherzustellen. Mit ihnen soll die Verwaltung am Erlaß eines Verwaltungsakts oder an der Vornahme sonstiger Realakte gehindert werden. Da die Zulassung einer vorbeugenden Unterlassungs- bzw. Feststellungsklage, wenn sie sich gegen den drohenden Erlaß eines Verwaltungsakts richtet, zu einer Umgehung der in der VwGO statuierten spezifischen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Erhebung einer Anfechtungsklage (insbesondere der des Vorverfahrens) führt, kommen solche vorbeugenden Klagen freilich nur dann in Betracht, wenn durch die in der VwGO expressis verbis angesprochenen Rechtsschutzinstrumente kein wirksamer Rechtsschutz sichergestellt werden kann. Das trifft insbesondere dann zu, wenn nach Erlaß eines Verwaltungsakts die Schaffung vollendeter Tatsachen droht, ferner, wenn es sich um einen mit Strafe bewehrten Verwaltungsakt handelt. Ein Rechtsschutz unter dem Damoklesschwert der Strafe ist, wie schon Walter Jellinek bemerkte, in der Tat kein wirksamer Rechtsschutz. Zudem wird eine vorbeugende Unterlassungsklage dann als zulässig angesehen, wenn ein repressiver Rechtsschutz mittels der Anfechtungsklage aus rechtlichen Gründen ausnahmsweise nicht zur Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts führt. Das erlangt praktische Bedeutsamkeit z. B. in bezug auf die sogenannte beamtenrechtliche Konkurrentenklage.46 Eine weitere Fallgruppe, bei welcher ein vorbeugender Rechtsschutz gegenüber drohenden Verwaltungsakten befürwortet wird, ist schließlich dort gegeben, wo die Verwaltung über einen längeren Zeitraum den Erlaß eines von ihr angekündigten Verwaltungsaktes hinausschiebt. Hier kann es dem Betroffenen nicht auf Dauer zugemutet werden, hinsichtlich des Erlasses des Verwaltungsakts und der insoweit bestehenden Rechtslage im unklaren gelassen zu werden.

___________ 45

s. dazu näher Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2005, Rn. 356 ff. Vgl. hierzu Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl. 2005, § 42, Rn. 49 ff. 46

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g) Ausstrahlungen der Rechtsschutzgarantie auf das materielle Recht Bedeutsamkeit hat das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität schließlich auch noch insofern erlangt, als aus ihm die Verpflichtung des Staates abgeleitet wird, grundsätzlich nicht durch sein Verhalten, insbesondere durch die Vornahme von nicht mehr reparablen Verwaltungsmaßnahmen, vollendete Tatsachen zu schaffen.47 Dabei erfährt das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität in diesem Punkt eine zusätzliche Ergänzung durch ein dem Rechtsstaatsprinzip entnommenes Fairneßgebot.48 Demzufolge ist es durch die Rechtssprechung49 z. B. als unzulässig bewertet worden, daß die Verwaltung durch ein am Wochenende kurzfristig verfügtes, für sofort vollziehbar erklärtes Abrißgebot hinsichtlich eines Hauses dem Bürger die Möglichkeit eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes nahm. Das Prinzip der Rechtsschutzeffektivität bietet schließlich den Ansatz für die Bejahung von Auskunftsverpflichtungen des Staates gegenüber dem Bürger, wenn ohne solche Auskünfte ein wirksamer Rechtsschutz nicht möglich erscheint, z. B. bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen, über die der Bürger grundsätzlich – soweit dies möglich ist – nachträglich zu informieren ist.50 Bedeutung erlangt dies insbesondere i. V. mit der in der neueren Rechtsprechung des BVerfG stärker akzentuierten Forderung nach einem wirksamen Datenschutz mittels eines dem Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 GG entnommenen Grundrechts der informationellen Selbstbestimmung.51 Nur wenn der Bürger Kenntnis erlangt, in welcher Weise der Staat über die von ihm gespeicherten Daten des Bürgers verfügt hat, besteht für diesen eine Möglichkeit, sich gerichtlich gegen einen evtl. Datenmißbrauch zu wehren. Weitere Forderungen dürften einem in Art. 19 Abs. 4 GG zentrierten Prinzip der Rechtsschutzeffektivität freilich nicht entnehmbar sein. Andernfalls verlöre er seine Konturenschärfe und erwiese sich als eine verfassungsrechtliche Hülse, durch deren Ausfüllung die verschiedenartigsten Forderungen als Gebot der Effektivität des Rechtsschutzes ausgegeben werden könnten. So erweist es sich als eine Überdehnung des Effektivitätsgrundsatzes, wenn aus ihm ein allgemeines Verrechtlichungsgebot abgeleitet wird.52 Deshalb überzeugt es nicht, wenn in der Literatur53 aus Art. 19 Abs. 4 GG und dem in ihm angelegten Prinzip der Effektivität des Rechtsschutzes etwa die Forderung eines umfassenden, auch die ___________ 47 Dazu Schenke (Fn. 2), Rn. 408 ff.; Schulze-Fielitz (Fn. 5), Rn. 87; Huber (Fn. 5), Rn. 483. 48 Vgl. hierzu auch allgemein Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, 1984. 49 Vgl. z. B. BVerwGE 16, 289 ff. 50 BVerfG, NJW 2004, 999 (1015). 51 Vgl. BVerfGE 65, 1 (70); Schenke NJW 1987, 2777 (2784). 52 Dazu tendierend aber Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 14 ff. 53 So aber Achterberg, Probleme der Funktionslehre, 1970, S. 207.

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Leistungsverwaltung einschließenden Gesetzesvorbehalts abgeleitet wird. Der Ansatzpunkt für eine solche Verrechtlichung kann m. E. nur im Demokratieund Rechtsstaatsprinzip gefunden werden. Auch diese verfassungsrechtlichen Strukturprinzipien werden freilich durch die Forderung nach einem solchen umfassenden Gesetzesvorbehalt überfordert. Abzulehnen ist auch – wie oben schon angeklungen – der Versuch, aus Art. 19 Abs. 4 GG subjektive Rechte abzuleiten.54 Systematisch verfehlt ist es ferner, wenn man Art. 19 Abs. 4 GG auch für das Verwaltungsverfahren fruchtbar zu machen versucht,55 indem hier dem Bürger ein seine Rechtsstellung stärkender status aktivus processualis56 in bezug auf das Verwaltungsverfahren zugebilligt wird. Den Ansatzpunkt für eine entsprechende Verstärkung des Rechtsschutzes im Verwaltungsverfahren vermag nicht Art. 19 Abs. 4 GG, sondern ihn vermögen nur die materiellen Grundrechte zu liefern.57

III. Schluß Die vorstehenden Ausführungen dürften gezeigt haben, daß in der Tat die Bedeutung des Art. 19 Abs. 4 GG nicht hoch genug veranschlagt werden kann. Er hat die richterliche Gewalt in einer Weise aufgewertet, wie sie in anderen modernen Staaten kaum Parallelen aufweist, und insoweit dem grundgesetzlichen Verfassungsgefüge zweifelsohne richterstaatliche Elemente beigefügt. Damit ist der Judikative eine besondere, durch das Recht nur begrenzt abnehmbare Verantwortung auferlegt worden. Das gilt um so mehr, als im sozialen Rechtsstaat hinter dem durch den Richter nach Art. 19 Abs. 4 GG mitzuentscheidenden Konflikt „the man versus the state“ sich der Sache nach das Problem der Abgrenzung der Rechts- und Einflußsphären der Bürger eines pluralistisch strukturierten Gemeinwesens stellt. Die Richter haben insgesamt gesehen von der ihnen zugewiesenen Macht in einer behutsamen Weise Gebrauch gemacht und sich dabei dem Gedanken eines „judicial self-restraint“ durchaus zugänglich gezeigt. Deshalb hat sich die in einem richterstaatliche Elemente aufweisenden Staat zwangsläufig stellende Frage „quis custodiet ipsos custodes“58 noch nicht in ihrer vollen Schärfe gestellt. Soweit Klagen über eine Ausuferung ___________ 54 So jedoch Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, 1973, S. 57. 55 A.A. Lorenz (Fn. 54), S. 178 ff. 56 Zum status activus processualis s. insbesondere Häberle, Verfassung als öffentlicher Prozeß, 1978, S. 677 ff. sowie ders., VVDStRL Bd. 30, 121 ff. sowie BVerfGE 53, 30 ff. = JZ 1980, 307 (A. Weber). 57 Vgl. hierzu auch Wahl/Pietzcker, VVDStRL Bd. 41, 151 ff. und Schenke, VBlBW 1982, 318 ff. 58 Vgl. hierzu Carl Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 1931, S. 7.

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richterlicher Macht geführt werden, scheint mir die richterliche Gewalt bei näherer Hinsicht vielfach der falsche Adressat. Der Machtzuwachs der Judikative ist zu einem wesentlichen Teil durch den einfachen Gesetzgeber verursacht worden, der durch die Verwendung weitgefaßter, formelkompromißartiger unbestimmter Rechtsbegriffe vor einer eigenen Entscheidung politischer Konflikte zurückscheute und diese in die Entscheidungskompetenz der neutralen Judikative stellte, damit freilich aber letztlich deren Parteinahme fordert und ihre Neutralität zu gefährden droht. Eine solche Fehlentwicklung, hinter der sich unterschwellig der auch im pluralistischen Staat noch nicht ausgeträumte alte deutsche Traum von einem jenseits der Parteien anzusiedelnden, bei einem staatlichen Organ aufgehobenen objektiven Gemeinwohl verbirgt, findet in Art. 19 Abs. 4 GG keine Legitimation. Als Begründung eines Richterkönigtums wird diese Vorschrift mißverstanden und muß letztlich den mit ihr verfolgten Gedanken eines umfassenden Rechtsschutzes des Bürgers selbst in Frage stellen.

Die verfassungsgerichtliche Kontrolle staatlicher Hoheitsakte in Korea Von Hong Suck Cho

I. Einleitung Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Garantie des Rechtsschutzes gegenüber staatlichen Hoheitsakten in Korea steht in engem Zusammenhang mit den Kompetenzen des Koreanischen Verfassungsgerichts (KVerfG). Im Ausnahmefall ist zwar für den Rechtsschutz gegenüber Verordnungen und Verwaltungsvorschriften auch der Koreanische Oberste Gerichtshof (KOGH) zuständig; das Thema, über das ich jetzt spreche, muß aber auf die koreanische Verfassungsgerichtsbarkeit konzentriert werden, weil Grundrechte in der Regel durch die Verfassungsgerichtsbarkeit geschützt werden. Wenn über den Inhalt der Verfassungsgerichtsbarkeit gesprochen wird, müßten grundsätzlich das Verfahrensrecht und das materielle Recht gleichzeitig behandelt werden. Ich möchte mich hier aber aus Zeitgründen auf die verfahrensrechtlichen Gesichtspunkte und auf die Verfahren vor dem KVerfG beschränken. Ausnahmsweise werde ich auch auf die Verfassungsbeschwerde gegenüber Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zu sprechen kommen, die in die Kompetenz des Koreanischen Obersten Gerichtshofes fällt.

II. Geschichte und Aufgaben des Koreanischen Verfassungsgerichts Die Geschichte der koreanischen Verfassungsgerichtsbarkeit begann mit der koreanischen Verfassung (KV) von 1948. In der Praxis war sie aber lange Zeit praktisch bedeutungslos.1 Erst durch eine Verfassungsänderung im Jahre 1987 wurde die Idee einer effektiven Verfassungsgerichtsbarkeit im koreanischen Verfassungsrecht vollständig realisiert. Nach dieser Verfassungsänderung hat das neue KVerfG sehr viel mehr Kompetenzen als sein Vorgänger, das alte KVerfG. Verglichen mit dem amerikanischen Supreme Court ist hervorzuheben, daß die koreanische Verfassungsgerichtsbarkeit nicht, wie in Amerika, bei ___________ 1

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den ordentlichen Gerichten liegt, sondern bei einem besonderen Verfassungsgericht wie in Deutschland. Dem KVerfG werden allerdings durch das koreanischen Verfassungsgerichtsgesetz (KVerfGG) weniger Zuständigkeiten eingeräumt als dem BVerfG in Deutschland. Außerdem ist zu beachten, daß das KVerfG nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisungen in der KV und im KVerfGG für einzelne Verfahrensarten zuständig ist (sog. Enumerationsprinzip). Auch praktisch hat das KVerfG keine umfassende Befugnis zur Kontrolle aller drei staatlichen Gewalten. Insbesondere prüft das KVerfG Akte der Gesetzgebung am Maßstab der Verfassung. Parallel zu der Bezeichnung „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ könnte man insofern bezüglich dieser Funktion von „Gesetzgebungsgerichtsbarkeit“ sprechen. Jedoch hat das KVerfG keine Befugnis zur abstrakten Normenkontrolle, sondern nur eine Befugnis zur konkreten Normenkontrolle. Auch ist im KVerfGG keine sog. Urteilsverfassungsbeschwerde (i.w.S.) vorgesehen; nach § 68 Abs. 1 KVerfGG hat das KVerfG keine Kompetenz zu prüfen, ob ein Gericht in seinem Verfahren oder durch die Auslegung und Anwendung anzuwendenden einfachen Rechts die Grundrechte verletzt bzw. zu Unrecht außer acht gelassen hat. In der Regel kann das KVerfG deswegen nicht auf Antrag eines Bürgers prüfen, ob die Exekutive (Verwaltung und Regierung) bei ihrem Handeln gegenüber dem Bürger Grundrechte verletzt bzw. zu Unrecht außer acht gelassen hat. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde müssen darüber nämlich zunächst die Gerichte entscheiden; nach § 68 Abs. 1 KVerfGG muß bei einem Handeln der öffentlichen Gewalt, gegen das ein Rechtsweg offensteht, dieser Rechtsweg beschritten werden. Eine Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil ist nicht möglich. Sofern gegen hoheitliches Handeln kein Rechtsweg offensteht (z.B. bei Realakten), ist dagegen eine Verfassungsbeschwerde zulässig. Ferner ist dem KVerfG die Kompetenz eingeräumt, Streit zwischen Verfassungsorganen einschließlich der Lokalregierungen zu entscheiden. Das KVerfG entscheidet im sog. Organstreit über Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen um ihre Rechte aus der Verfassung und aus den einfachen Gesetzen. Damit ist die heute unbestrittene Bindung der Verfassungsorgane an die Verfassung auch einer direkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich. Streitparteien können insoweit z.B. das Parlament, die Regierung, ein einzelner Abgeordneter, nicht aber eine politische Partei sein. Das KVerfG entscheidet, ob die beanstandete Maßnahme verfassungsmäßig war. Auch die kommunalen Streitigkeiten vor dem KVerfG zwischen der Zentralregierung und einer Kommunalregierung, zwischen verschiedenen Kommunalregierungen und auch innerhalb einer Kommunalregierung lassen sich hierher rechnen. Problematisch ist dabei allerdings die Abgrenzung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit, die ebenfalls für kommunale Streitigkeiten zuständig ist. Eine Besonderheit des Organstreits vor dem

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KVerfG ist, daß hier neben der KV auch einfaches Recht Prüfungsmaßstab sein kann (§ 61 Abs. 1 KVerfGG). Schließlich hat das KVerfG weitere Aufgaben von Gewicht, die sich den genannten Tätigkeitsfeldern nicht ohne weiteres zuordnen lassen. Es sind spezielle Verfahren zum Schutz der Verfassung (z.B. Anklage des Präsidenten, Parteiverbotsverfahren) (Art. 111 Abs. 1 KV). Nicht zu den Aufgaben des KVerfG gehört dagegen das Wahlprüfungsverfahren, für das der Oberste Gerichtshof zuständig ist.2

III. Die Organisation des Koreanischen Verfassungsgerichtes Die Grundzüge der Organisation des KVerfG sind in der koreanischen Verfassung geregelt: Die Tatsache, daß ihm ein eigener Abschnitt der KV gewidmet ist, zeigt, daß das KVerfG nicht Teil der allgemeinen Gerichtsbarkeit ist; Vorschriften zur Zuständigkeit und zu den Verfahrensarten enthält Art. 111 Abs. 1 KV; die Zusammensetzung des Gerichts regelt Art. 111 Abs. 2 KV. Die Regelung durch die KV ist aber rudimentär und bedarf der Ergänzung durch den Gesetzgeber, wozu Art. 113 KV ermächtigt. Der Gesetzgeber hat von dieser Ermächtigung durch den Erlaß des Koreanischen Verfassungsgerichtsgesetzes (KVerfGG) vom 01.09.1988 Gebrauch gemacht. Das Koreanische Verfassungsgericht besteht aus einem Senat mit neun Richtern. Die Richter des Verfassungsgerichts müssen mindestens 40 Jahre alt sein und die Befähigung zum Richteramt haben (Art. 111 Abs. 2 KV). Die Richter werden auf sechs Jahre ernannt; die Altersgrenze ist das 65. Lebensjahr (beim Verfassungsgerichtspräsidenten das 70. Lebensjahr) (§ 7 Abs. 2 KVerfGG). Eine Wiederwahl ist zulässig – was im Hinblick auf den Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit fragwürdig ist.3 Zur Zeit gibt es Bestrebungen, die Richterbank des Verfassungsgerichts mit Laienbeisitzern zu ergänzen (insbes. mit Professoren, die nicht die Befähigung zum Richteramt haben).4 Jeweils drei Richter werden durch die Mehrheit des Parlamentes gewählt, durch den Staatspräsidenten ernannt bzw. durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ernannt (Art. 111 Abs. 3 KV). Das Erfordernis einer nur einfachen Mehrheit zwingt die Parlamentsmehrheit nicht, ein Einverständnis mit der Opposition zu erzielen. Nach der koreanischen Praxis sind die Richtersitze aber ___________ 2 Art. 41 Abs. 3, Art. 67 Abs. 5, Art. 118 Abs. 2 KV; §§ 222-223 Koreanisches Wahlgesetz (KWahlG). 3 Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 51. 4 Sang Gyum Kim, Die Problematik des Koreanischen Verfassungsgerichtsgesetzes und Vorschläge zu seiner Verbesserung, Juristische Zeitschrift (Kongbubhak Yungu), Bd. 6-1 (2005), S. 139.

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dennoch im Verhältnis 2:1 auf die beiden großen Parteien aufgeteilt. Bei der Wahl der Verfassungsrichter fehlt es an demokratischer Legitimation. Der Staatspräsident kann nämlich nicht nur „seine“ drei Verfassungsrichter ernennen, sondern – sofern er der Mehrheitspartei angehört – auch auf die Wahl im Parlament sowie dadurch, daß er den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs ernennt, auch auf dessen Entscheidung Einfluß nehmen. In der Realität kann der Präsident also bezüglich der Wahl der Verfassungsrichter eine dominierende Rolle spielen.5 Dieser Zustand ist unbefriedigend. Angesichts der Offenheit und Interpretationsfähigkeit des Verfassungsrechts und angesichts des politischen Gewichts von Entscheidungen des Verfassungsgerichts wäre eine besondere demokratische Bindung der Richter des Verfassungsgerichts durch eine Wahl seitens politischer Gremien nötig. Meines Erachtens wäre insoweit eine Parität zwischen Regierungspartei und Opposition wie bei der Richterwahl in Deutschland erforderlich. Jedoch können solche Vorschläge zur Veränderung der Wahlmethode in Korea nur schwer verwirklicht werden, weil dies einer Verfassungsänderung (Art. 111 Abs. 3 KV) bedürfte. Als zweitbeste Lösung wäre es deswegen empfehlenswert, daß auch über die Verfassungsrichter, die vom Staatspräsidenten und vom Präsidenten des Obersten Gerichtshofes ernannt werden, eine öffentliche Diskussion im Parlament geführt wird.6 Alle Richter des Verfassungsgerichts sind hauptamtlich tätig (Verbot eines konkurrierenden Berufes nach § 14 KVerfGG und § 64 BeamtenG). Deshalb ist eine Tätigkeit als Hochschullehrer nicht mit einer Tätigkeit als Verfassungsrichters vereinbar. Der Senat bildet drei Kammern mit jeweils drei Richtern. Die Kammern werden ausschließlich im Verfahren der Verfassungsbeschwerde tätig und sind insoweit für eine Vorprüfung zuständig (§ 72 Abs. 1 KVerfGG). Sie können eine Verfassungsbeschwerde einstimmig zurückweisen (§ 72 Abs. 3 KVerfGG). Das Verfassungsgericht ist beschlußfähig, wenn von den neun Richtern mindestens sieben anwesend sind. Im allgemeinen entscheidet das Verfassungsgericht bei wichtigen Klagearten mit mehr als sechs mitwirkenden Richtern. Meines Erachtens zwingt das Erfordernis einer solchen absoluten Mehrheit das Koreanische Verfassungsgericht zu Zurückhaltung bei der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit.7

___________ 5 Nak In Sung, Ein rechtsvergleichender Beitrag zur Zusammensetzung und Organisation der Verfassungsgerichte in verschiedenen Ländern, in: Festschrift für Sung Du Yang, 1994, S. 1033. 6 Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 43. 7 Bok Hyun Nam, Die maßgebliche Stimmenzahl bei verfassungsgerichtlichen Entscheidungen, in: Festschrift für Sung Du Yang, 1994, S. 989.

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IV. Normenkontrolle im allgemeinen In Deutschland gibt es vier Möglichkeiten der Normenkontrolle beim BVerfG (einschließlich der Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz): die abstrakte Normenkontrolle, die konkrete Normenkontrolle, die Urteilsverfassungsbeschwerde und die Rechtssatzverfassungsbeschwerde. Nach der koreanischen Verfassung gibt es keine abstrakte Normenkontrolle. Sehr wohl kennt die koreanische Verfassung dagegen eine konkrete Normenkontrolle, bei der ein Gericht von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten eine Norm dem KVerfG zur Prüfung vorlegt, von deren Gültigkeit die Entscheidung des konkreten Falles abhängt. Dieses Vorlageverfahren hat den Zweck, den parlamentarischen Gesetzgeber davor zu schützen, daß jedes Gericht seine Rechtssätze verwerfen darf. Wenn ein Richter eine Norm für verfassungswidrig hält (eine richterliche Überzeugung ist nicht erforderlich; es genügen vernünftiges Zweifel),8 hat er nur die Kompetenz, die entsprechende Norm nach eigener Prüfung an das KVerfG vorzulegen (Prüfungskompetenz), nicht aber, die entsprechende Norm selbst zu verwerfen (keine Verwerfungskompetenz). Im Falle einer Vorlage ist der Richter verpflichtet, das Verfahren auszusetzen (§ 42 Abs. 1 KVerfGG). Nach der verbindlichen Entscheidung des KVerfG über die Gültigkeit der Norm setzt der Richter in der Regel das Ausgangsverfahren fort und entscheidet. Nur das KVerfG kann ein Gesetz für verfassungswidrig erklären und verwerfen. Das KVerfG prüft dann die Norm in dem Umfang nach, in dem sie für den Vorlagefall entscheidungserheblich ist. Obwohl die Entscheidung des KVerfG durch den konkret vorgelegten Fall veranlaßt und in der Reichweite der Prüfung begrenzt ist, sind ihre Rechtsfolgen völlig losgelöst vom Vorlagefall. Auch in der koreanischen Verfassung gibt es die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen Rechtsnormen. Nach § 47 Abs. 2 KVerfGG ist ein Gesetz, das gegen die (höherrangige) Verfassung verstößt, von dem Zeitpunkt der Entscheidung an (ex nunc) nichtig. Nur für das Verfahren, aus dem heraus vorgelegt wurde,9 für parallele Verfahren10 und für zukünftig anzustrengende Verfahren11 sowie bei Strafgesetzen ist ein verfassungswidriges Gesetz von Anfang an (ex tunc) nichtig. Bezüglich rechtskräftig abgeschlossener Verfahren wird die

___________ 8

KVerfG, Urt. v. 23.12.1993, Az. 93 Hunga 2. KVerfG, Urt. v. 13.05.1993, Az. 92 Hunga 10; KVerfG, Urt. v. 20.12.2001, Az. 2001 Hunba 7; KOGH, Urt. v. 11.06.1991, Az. 90 Da 5450; KOGH, Urt. v. 28.06.1991, Az. 90 Nu 9346. 10 KOGH, Urt. v. 24.12.1991, Az. 93 Da 42740. 11 KOGH, Urt. v. 15.01.1993, Az. 92 Du 12377; KOGH, Urt. v. 25.10.1994, Az. 93 Da 42740. 9

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verfassungswidrige Norm dagegen nicht rückwirkend nichtig.12 Im Konflikt zwischen der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit wird also im Regelfall zugunsten der Rechtssicherheit und nur im Ausnahmefall zugunsten der materiellen Gerechtigkeit entschieden. Der Prüfungsgegenstand einer Normenkontrolle sind förmliche Gesetze (außer der Verfassung13), Rechtsverordnungen14 und Satzungen15. Der Gedanke einer verfassungswidrigen Verfassungsnorm wird nicht diskutiert. Entscheidungserheblich ist die Norm nur dann, wenn das Gericht im Ausgangsverfahren bei Ungültigkeit der Norm anders entscheiden möchte als bei deren Gültigkeit. Dabei kommt es für die Entscheidungserheblichkeit im Grundsatz auf den Tenor der Entscheidung an, nicht auf die Gründe. Nur mit dem Hinweis auf die verschiedene Fassung der Entscheidungsgründe kann eine Vorlage an das KVerfG nicht begründet werden. In Ausnahmefällen läßt das Gericht eine Richtervorlage auch dann zu, wenn die Begründung von der Gültigkeit oder Ungültigkeit einer Norm abhängt und der Begründung maßgebliche Bedeutung für den Inhalt und die Wirkung der Entscheidung zukommt.16 In Korea gibt es eine andere Art der Normenkontrolle als in Deutschland. Hierbei handelt es sich um eine Normenkontrolle im Typus der Verfassungsbeschwerde. Falls ein Antrag des Betroffenen auf Vorlage an das KVerfG für nicht vorlagefähig gehalten wird, dann besteht für den Antragssteller gem. § 68 Abs. 2 S. 1 KVerfGG selbst die Möglichkeit, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. Hierbei handelt es sich der Sache nach um eine Art von Normenkontrolle. Deshalb wird das Merkmal der Entscheidungserheblichkeit hier ebenso verwendet wie im Falle einer konkreten Normenkontrolle. Im Falle der Verfassungsbeschwerde kann der Richter die Norm vorläufig anwenden. Insoweit besteht – im Gegensatz zur schon genannten konkreten Normenkontrolle – kein Suspensiveffekt. Deshalb kommt es darauf an, nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts die ggf. bereits getroffene Entscheidung im Wege eines Wiederaufnahmeverfahrens abzuändern (§ 75 Abs. 7 KVerfGG).

___________ 12

KOGH, Urt. v. 27.04.1993, Az. 92 Nu 9777; KOGH, Urt. v. 28. 10. 1994, Az. 92 Nu 9436. 13 KVerfG, Urt. v. 28.12.1995, Az. 95 Hunba 3; KVerfG, Urt. v. 13.06.1996, Az. 94 Hunba 20; KVerfG, Urt. v. 22.02.2001, Az. 2000 Hunba 38. 14 KVerfG, Urt. v. 04.10.1996, Az. 96 Hunga 6. 15 KVerfG, Urt. v. 15.10.1998, Az. 96 Hunba 77. 16 KVerfG, Urt. v. 24.12.1993, Az. 92 Hunga 8; KVerfG, Urt. v. 23.12.1993, Az. 93 Hunga 2.

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V. Die Verfassungsbeschwerde im allgemeinen In Korea kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt (jeder staatliche Akt einschließlich des Unterlassens eines Aktes) in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein (Art. 111 Abs. 1 KV, § 68 Abs. 1 KVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist kein zusätzlicher Rechtsbehelf für das Verfahren vor den ordentlichen Gerichten oder den Verwaltungsgerichten, sondern ein außerordentlicher, mithin letzter und subsidiärer Rechtsbehelf. Das Verhältnis der Verfassungsbeschwerde zum sonstigen Rechtsschutz wird nach dem KVerfGG durch zwei Grundregeln bestimmt. Die erste ist der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 68 Abs. 1 KVerfGG). Nach diesem Grundsatz kann der Bürger die Verfassungsbeschwerde erst dann einlegen, wenn er den bei den anderen Gerichten offenstehenden Rechtsweg bis zur letzten Instanz voll ausgeschöpft hat. Zu beachten ist aber, daß nach § 68 Abs. 1 KVerfGG eine Urteilsverfassungsbeschwerde verboten ist.17 Deshalb bleibt die Verfassungsbeschwerde gegenüber Verwaltungsakten in der Regel insoweit verschlossen, als die Fachgerichte wirkungsvollen Rechtsschutz bereit halten.18 Eine Ausnahme vom Grundsatz der Rechtswegerschöpfung, wie sie in § 90 Abs. 2 S. 2 BVerfGG geregelt ist, gibt es in Korea nicht. Die zweite Grundregel besteht darin, daß bei der Verfassungsbeschwerde nur die Verletzung von Grundrechten gerügt werden kann. Das Verfassungsgericht kann mithin nicht prüfen, ob das einfache Recht richtig angewandt worden ist, sondern nur, ob Grundrechte verletzt worden sind. Bei der Verfassungsbeschwerde wie bei der konkreten Normenkontrolle kann das Verfassungsgericht ein Gesetz allgemeingültig für nichtig erklären. In bezug auf die Antragsberechtigung gilt, daß Gemeinden keine Verfassungsbeschwerde erheben können, weil ihnen keine Grundrechte zustehen. Gemeinden haben keine Grundrechte, sondern nur Kompetenzen. So bezweckt zum Beispiel der Art. 23 Abs. 1 KV nur den Schutz des Privateigentums und nicht auch den Schutz des Eigentums von Gemeinden. Hinsichtlich des Beschwerdegegenstandes muß der Beschwerdeführer eine Grundrechtsverletzung durch die öffentliche Gewalt behaupten (§ 68 Abs. 1 KVerfGG). Hierunter fällt nur die koreanische Staatsgewalt. Die Verfassungsbeschwerden richten sich in der Regel gegen Gesetze, weil bei Verwaltungsakten aufgrund des Subsidiaritätsprinzips und des Verbotes der Urteilsverfas___________ 17

KVerfG, Urt. v. 25.04.1996, Az. 92 Hunba 30; KVerfG, Urt. v. 30.06.1994, Az. 93 Hunma 161; KVerfG, Urt. v. 16.09.1999, Az. 98 Hunma 75. 18 Ausnahmsweise bestehen Rechtsbehelfmöglichkeiten bei der Verletzung von Grundrechten durch Satzungen von Gemeinden und hoheitlichen Realakten.

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sungsbeschwerde nach § 68 Abs. 1 KVerfGG eine Verfassungsbeschwerde, wie bereits zuvor ausgeführt, nicht statthaft ist.19 Hinsichtlich der Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze gilt aber, daß das Verfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsverordnungen, Verwaltungsvorschriften und Verwaltungsakte nur insoweit zuläßt, als diese nicht „at issue in a trial“ sind, nicht aber, wenn die Rechtsverordnung, die Verwaltungsvorschrift oder der Verwaltungsakt „at issue in a trial“ ist.20 Diesbezüglich kommt vielmehr dem Koreanischen Obersten Gerichtshof (KOGH) die Kompetenz zu, die Verfassungsmäßigkeit der Rechtsverordnung usw. zu überprüfen. Trotzdem besteht die Möglichkeit, daß sich die Entscheidungen des KVerfG und des KOGH hinsichtlich der Gültigkeit einer Rechtsverordnung usw. widersprechen. In diesem Fall wird der verfassungsgerichtlichen Entscheidung wegen der Bindungskraft gegenüber den einfachen Gerichten die Priorität eingeräumt. Diese Thematik ist aber stark umstritten.21 Denn der KOGH vertritt die Auffassung, daß er ein Kompetenzmonopol hinsichtlich der Frage habe, ob Rechtsverordnungen usw. – unabhängig davon, ob sie „at issue in a trial“ sind oder nicht – verfassungsgemäß sind oder nicht.22 Im Gegensatz dazu behauptet das KVerfG, daß es die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde gegen Rechtsverordnungen usw., die nicht „at issue in a trial“ sind, treffen kann.23 Zulässige Beschwerdegegenstände sind neben Gesetzen insbesondere auch hoheitliche Realakte und die Einstellung eines gerichtlichen Verfahrens durch den Staatsanwalt, weil insoweit kein Rechtsweg zu den Fachgerichten eröffnet ist. Das KVerfG kann seine Entscheidungen allerdings nicht vollstrecken. Der Beschwerdeführer kann mit einer Verfassungsbeschwerde nur geltend machen, daß er durch die öffentliche Gewalt gerade in einem Grundrecht verletzt worden ist. In Korea existiert allerdings – anders als in Deutschland – kein umfassender Grundrechtsschutz gegen hoheitliches Handeln; auch Verstöße eines Gesetzes gegen Verfassungsgrundsätze, die keine Grundrechte sind, können in Korea nicht mittels einer Verfassungsbeschwerde gerügt werden, obwohl das KVerfG Funktion und Bedeutung der Verfassungsbeschwerde nicht nur darin sieht, individuellen Grundrechtsschutz zu gewährleisten, sondern auch darin, ___________ 19

Als Ausnahme obliegt es dem Verfassungsgericht, die Entscheidung eines einfachen Gerichts zu kontrollieren, wenn dieses Gericht ein durch das Verfassungsgericht für verfassungswidrig erklärtes Gesetz angewandt hat (KVerfG, Urt. v. 24.12.1997, Az. 96 Hunma 172; KVerfG, Urt. v.. 21.10.1999, Az. 96 Hunma 61; KVerfG, Urt. v. 22.02.2001, Az. 99 Hunma 461). 20 Tae Ho Jung, Die Verfassungsänderung zur parlamentarischen Demokratie und der Ausgleich von Kompetenzen zwischen Verfassungsgericht und Fachgerichten, Juristische Zeitschrift (Goschi Yungu), 1998, S. 84 ff. 21 KVerfG, Urt. v. 24.12.1997, Az. 96 Hunma 172; Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 21. 22 KOGH, Urt. v. 26.04.1994, Az. 93 Bu 32. 23 Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 227.

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das objektive Verfassungsrecht zu wahren (Doppelfunktion der Verfassungsbeschwerde).24 Denn in der KV gibt es keinen Artikel, der mit Art. 2 Abs. 1 GG (allgemeine Handlungsfreiheit) vergleichbar ist. § 69 KVerfGG enthält Beschwerdefristen, die einzuhalten sind. Nach § 69 Abs. 1 KVerfGG ist eine Verfassungsbeschwerde innerhalb von neunzig Tagen, nachdem das angegriffene hoheitliche Handeln dem Beschwerdeführer bekannt geworden ist, nach § 69 Abs. 2 KVerfGG spätestens jedoch innerhalb eines Jahres, nachdem sich das angegriffene hoheitliche Handeln ereignet hat, zu erheben. Diese Frist gilt nicht in dem Fall, daß das Gericht den Antrag eines Beteiligten abgelehnt hat, eine entscheidungserhebliche Norm einer Normenkontrolle zu unterwerfen. In diesem Falle darf der betreffende Beteiligte innerhalb von dreißig Tagen seit Bekanntmachung der ablehnenden Entscheidung Verfassungsbeschwerde erheben (§ 69 Abs. 2 KVerfGG).

VI. Anklageverfahren gegen den Präsidenten und andere Anklageverfahren Gem. Art. 111 Abs. 1, 65 Abs. 1 KV und § 48 KVerfGG ist es möglich, gegen den Präsidenten ein besonderes Anklageverfahren vor dem KVerfG einzuleiten. Dieses Verfahren dient der Ahndung einer Verletzung der koreanischen Verfassung oder eines anderen Gesetzes durch den Präsidenten in Ausübung seines Amtes.25 Die Einleitung eines Anklageverfahrens muß im Parlament mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten beschlossen werden (Art. 65 Abs. 2 KV). Die Besonderheit des Anklageverfahrens ist, daß nach dem Antrag des Parlaments der Präsident bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts kraft Gesetzes an der weiteren Ausübung seines Amtes gehindert ist (Art. 65 Abs. 3 KV, § 50 KVerfGG und § 134 Abs. 2 ParlamentsG). Das Verfassungsgericht entscheidet mit einer Mehrheit von mindestens sechs Richtern, ob sich der Präsident der ihm vorgeworfenen Rechtsverletzung schuldig gemacht hat und seines Amtes für verlustig erklärt wird. Nach Art. 111 Abs. 1 und Art. 65 Abs. 1 KV gibt es auch Anklagen gegen andere Personen, z.B. gegen Richter. Diese Verfahren dienen der Ahndung einer Verletzung der KV oder eines anderen Gesetzes in Ausübung eines öffentlichen Amtes. Auch in diesen Fällen muß der Antrag vom Parlament beschlossen werden; es genügt allerdings eine einfache Mehrheit der Abgeordneten. Das Gericht kann auch hier mit mindestens sechs Stimmen eine Rechtsverletzung feststellen und die angeklagte Person ihres Amtes für verlustig erklären. ___________ 24 KVerfG, Urt. v. 28.01.1992, Az. 91 Hunma 111; KVerfG, Urt. v. 27.05.1999, Az. 97 Hunma 137. 25 KVerfG, Urt. v. 14.05.2004, Az. 2004 Hunna 1.

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VII. Rechtsfolgen der Entscheidung 1. Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung Die Rechtsfolgen einer Entscheidung, durch die ein Gesetz oder ein sonstiges staatliches Handeln für verfassungswidrig erklärt wird, sind in den §§ 47 Abs. 1, 75 Abs. 6 und 67 Abs. 1 KVerfGG geregelt. Nach diesen Vorschriften hat die Entscheidung des Verfassungsgerichts Bindungswirkung für alle staatlichen Organen einschließlich der einfachen Gerichte, soweit das Verfassungsgericht das staatliche Handeln für verfassungswidrig hält.26 Eine heftige Kontroverse zwischen dem KVerfG und dem KOGH gibt es jedoch hinsichtlich der Frage, ob auch die Auslegung eines einfachen Gesetzes durch das Verfassungsgericht die einfachen Gerichte bindet. Der KOGH vertritt die Auffassung, daß Entscheidungen des KVerfG insoweit keine Bindungswirkung hätten,27 weil sie keine Verfassungswidrigkeitserklärung seien und nur mit der Interpretation und Anwendung des einfachen Gesetzes zu tun hätten.28 Die einfachen Gesetze zu interpretieren und anzuwenden falle ausschließlich in die Kompetenz der einfachen Gerichte. Im Gegensatz dazu ist das Verfassungsgericht der Meinung, daß die verfassungskonforme Auslegung einfachen Rechts mit der Verfassungswidrigkeitserklärung vergleichbar sei, deswegen in seine Kompetenz falle und die einfachen Gerichte binde.

2. Rechtsfolgen der Erklärung fehlender Verfassungskonformität Fraglich ist, ob und inwieweit ein für nicht verfassungskonform erklärtes Gesetz bis zu der erforderlichen Neuregelung temporär anwendbar bleibt. In Korea gibt es in der Praxis zwei verschiedene Rechtsfolgen, wenn ein Gesetz für nicht verfassungskonform erklärt worden ist. Die eine Möglichkeit ist, daß das Gesetz nicht mehr anwendbar ist (Anwendungssperre), bis der Gesetzgeber die nicht verfassungskonforme Regelung durch eine mit der Verfassung vereinbare Regelung ersetzt hat.29 Die andere Möglichkeit ist, daß das Gesetz anwendbar bleibt.30 Das KVerfG darf selbst entscheiden, welche Rechtsfolge es wählt.

___________ 26 KVerfG, Urt. v. 25.06.1990, Az. 90 Hunga 11; KVerfG, Urt. v. 24.12.1997, Az. 96 Hunma 172; KVerfG, Urt. v. 28.04.1994, Az. 92 Hunga 3. 27 KOGH, Urt. v. 11.06.1991, Az. 90 Da 5450. 28 KOGH, Urt. v. 27.04.2001, Az. 95 Jedu 14. 29 KOGH, Urt. v. 11.06.1991, Az. 90 Du 5450. 30 KOGH, Urt. v. 28.03.1997, Az. 96 Nu 11068.

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VIII. Exkurs 1. Die einstweilige Anordnung Gemäß §§ 57, 65 KVerfGG kann das Verfassungsgericht bei einem Parteiverbotsverfahren oder einem Organstreit eine einstweilige Anordnung erlassen. Das bedeutet aber nicht, daß die einstweilige Anordnung auf einzelne Verfahrensarten beschränkt ist.31 Vielmehr gibt es auch bei der konkreten Normenkontrolle und den Anklageverfahren Möglichkeiten, die der einstweiligen Anordnung entsprechen. Bei der konkreten Normenkontrolle wird das Verfahren, aus dem heraus die fragliche Norm vorgelegt worden ist, bis zur Entscheidung im Normenkontrollverfahren ausgesetzt (§ 42 KVerfGG). Auch bei den Anklageverfahren gibt es eine ähnliche Regelung, die vorsieht, daß der Amtsinhaber nach dem Antrag des Parlaments kraft Gesetzes vorläufig bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts an der weiteren Amtsausübung gehindert ist (§ 50 KVerfGG). In den Verfahren der Verfassungsbeschwerde nach § 68 Abs. 1 KVerfGG32 sowie nach § 68 Abs. 2 KVerfGG33 gestattet die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts ebenfalls einstweilige Anordnungen. Die Kammer kann allerdings grundsätzlich keine einstweiligen Anordnungen erlassen. In einer einstweiligen Anordnung kann das Gericht einen Zustand vorläufig regeln. Die einstweilige Anordnung gilt nur bis zur Entscheidung in der Hauptsache.34 Gegen eine einstweilige Anordnung ist ein Widerspruch zulässig.35 Der Widerspruch hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann aber auf den Widerspruch hin die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen. Die Entscheidung über die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen.

2. Die Vollstreckung von Entscheidungen In Korea gibt es keine Regelungen über die Vollstreckung von Entscheidungen des Verfassungsgerichts.36 Insbesondere kann das KVerfG in seiner Entscheidung weder bestimmen, wer sie vollstrecken soll, noch in welcher Art und Weise sie vollstreckt werden soll. Im Falle einer Kontroverse zwischen dem KVerfG und dem KOGH gibt es deswegen keine Möglichkeit, den Konflikt ___________ 31

Sang Gyum Kim (Fn. 4), S. 144. KVerfG, Urt. v. 08.12.2000, Az. 2000 Hunsa 471; KVerfG, Urt. v. 25.04.2002, Az. 2002 Hunsa 129; Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 203. 33 KVerfG, Urt. v. 20.12.1993, Az. 93 Hunsa 81. 34 Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 215. 35 Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 215. 36 Sang Gyum Kim (Fn. 4), S. 143. 32

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normativ aufzulösen, obwohl der verfassungsgerichtlichen Entscheidung eigentlich Bindungskraft eingeräumt ist. Nach § 47 Abs. 1 KVerfGG bindet die Entscheidung des Verfassungsgerichts alle staatlichen Organe. Meines Erachtens erstreckt sich die Bindungswirkung nicht nur auf den Entscheidungstenor, sondern auch auf die tragenden Gründe der Entscheidung.37 Die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtes vertritt dagegen die Auffassung, daß die tragenden Gründe der Entscheidung keine Bindungswirkung entfalten.38

3. Sonstige Verfahrensarten In Korea gibt es kein Verfahren, bei dem das Verfassungsgericht auf Antrag des Parlaments oder der Regierung über die Verwirkung von Grundrechten entscheidet. In Deutschland kann dagegen das BVerfG mit Zweidrittelmehrheit feststellen, welche Grundrechte auf welche Zeit verwirkt sind (§§ 15 Abs. 4, 39 Abs. 1 BVerfGG). Das Wahlprüfungsverfahren fällt in Korea nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts, sondern in die Zuständigkeit des Obersten Gerichtshofs. Ein Parteiverbotsverfahren ist in Art. 111 KV geregelt. Danach kann das Verfassungsgericht eine verfassungsfeindliche Partei mit einer Mehrheit von mindestens sechs Richtern für verfassungswidrig erklären (Art. 113 KV). Diese Entscheidung hat konstitutive Wirkung; Rechtsfolge der Feststellung ist nicht nur die Auflösung der Partei, sondern auch das Verbot von Ersatzorganisationen (§ 59 KVerfGG, § 42 KParteienG). Das koreanische Recht enthält allerdings keine Regelung darüber, ob ein Abgeordneter, der einer für verfassungswidrig erklärten Partei angehört, mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit sein Mandat verliert oder nicht. Das Verfassungsgericht hat diese Frage noch nicht beantwortet.

IX. Schlußbemerkung 1. Die Verfassungsgerichtsbarkeit unterscheidet sich sowohl bezüglich der Zuständigkeit als auch bezüglich der Verfahrensarten von der allgemeinen Gerichtsbarkeit.

___________ 37 38

Jong Sub Jung (Fn. 1), S. 178. KVerfG, Urt. v. 28.04.1994, Az. 92 Hunga 3.

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2. Der Staatspräsident hat bei der Wahl der Verfassungsrichter eine dominierende Stellung, weil er z.T. unmittelbar, z.T. mittelbar – nämlich über die seiner Partei angehörigen Parlamentsabgeordneten sowie über den Vorsitzenden des Obersten Gerichtshofes – auf die Wahl aller Richter des Verfassungsgerichts Einfluß nehmen kann. 3. Eine Wiederwahl der Verfassungsrichter ist zulässig – was im Hinblick auf ihre Unabhängigkeit problematisch ist. 4. Im allgemeinen entscheidet das Verfassungsgericht mit einer Mehrheit von mindestens sechs Richtern. 5. Das KVerfG hat keine Befugnis zur abstrakten Normenkontrolle; lediglich eine konkrete Normenkontrolle ist statthaft. 6. In der Regel ist ein verfassungswidriges Gesetz mit Wirkung ex nunc (ab dem Zeitpunkt der Entscheidung) nichtig. 7. In Korea gibt es eine besondere Art der Verfassungsbeschwerde, wenn ein Gericht den Antrag eines Beteiligten ablehnt, die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens zu beantragen. 8. Das Verfassungsgericht ist der Auffassung, daß es die Kompetenz hat, eine abstrakte Normenkontrolle gegen eine Rechtsverordnung oder Satzung durchzuführen. Der Oberste Gerichtshof ist dagegen der Auffassung, daß er bezüglich Rechtsverordnungen und Satzungen ein Entscheidungsmonopol besitzt. 9. Wegen des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde und des Verbotes der Urteilsverfassungsbeschwerde ist das Handeln der Verwaltung einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle weitgehend (Ausnahme: z.B. Realakte) entzogen. 10. In Korea gibt es keine Regelungen über die Vollstreckung von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen. Ich bedanke mich sehr bei Ihnen für Ihre geduldige Aufmerksamkeit.

Die verwaltungsgerichtlichen Klagearten in Deutschland Von Thomas Würtenberger

Auf den ersten Blick gehören die verwaltungsgerichtlichen Klagearten in Deutschland zu den unabänderlichen Grundsätzen des Prozeßrechts. Wie im Zivilprozeß1 unterscheidet man zwischen Gestaltungs-, Leistungs- und Feststellungsklagen. Diese Bestimmung und Abgrenzung der verwaltungsprozessualen Klagearten, wie sie heute Gemeingut ist, erfolgte erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier sollte Otto Bachofs 1951 erschienene Habilitationsschrift über „Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung“ für das neu zu konzipierende Rechtsschutzsystem richtungsweisend werden. Das System der verwaltungsgerichtlichen Klagearten erschließt sich in seinen Grundstrukturen aus der seit 1960 geltenden Verwaltungsgerichtsordnung.2 Hauptanwendungsfall der Gestaltungsklage ist die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 1. Alt. VwGO), die sich auf Kassation eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes richtet.3 Hauptanwendungsfall der Leistungsklage ist die Verpflichtungsklage, gerichtet auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes (§ 42 Abs. 1 2. Alt. VwGO); neben die Verpflichtungsklage tritt die in der Praxis seltenere und in der VwGO nur bruchstückhaft geregelte allgemeine Leistungsklage, gerichtet auf ein schlicht hoheitliches Handeln. Hauptanwendungsfall der Feststellungsklage ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses (§ 43 Abs. 1 VwGO); Feststellungsklagen sind darüber hinaus u.a. das Normenkontrollverfahren (§ 47 VwGO) sowie nach vielfach vertretener Auffassung auch die Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO).4 ___________ 1

Zum Einfluß zivilprozessualen Denkens auf die Entwicklung der verwaltungsprozessualen Klagearten: Menger, System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, 1954, S. 63 ff., 179 ff. 2 Zur Zäsur zu den früheren Verwaltungsgerichtsgesetzen: Schäfer, Die Klagearten nach der VwGO, DVBl. 1960, 837. 3 Zur Statthaftigkeit weiterer Gestaltungsklagen vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl. 2005, § 9; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 6. Aufl. 2005, § 13 Rn. 15 f. 4 Für eine Einordnung der Fortsetzungsfeststellungsklage als „amputierte“ Anfechtungsklage aber Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 861.

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Thomas Würtenberger

I. Zum numerus clausus der Klagearten Nach überwiegender Ansicht besteht ein numerus clausus dieser in der VwGO geregelten Klagearten.5 Alle denkbaren Rechtsschutzbegehren des Bürgers lassen sich diesen spezifisch verwaltungsprozessualen Klagearten zuordnen, einer Erfindung von verwaltungsprozessualen Klagen eigener Art bedarf es nicht. Der numerus clausus der drei klassischen Klagearten im deutschen Verwaltungsprozeßrecht ist allerdings nicht zwingend. So hat man früher die Frage aufgeworfen, ob nicht eine Gestaltungs- sowie eine Feststellungsklage oder gar nur eine einzige Klageart, nämlich die Feststellungsklage, einen ausreichenden gerichtlichen Rechtschutz gewähren.6 Würde man einen derartigen Weg wählen, so müßte sich an ein Feststellungsurteil eine besondere Form des Vollstrekkungsverfahrens anschließen, mit dem das durchgesetzt werden kann, was im Feststellungsurteil als Inhalt des Rechtsverhältnisses entschieden worden ist. Derartigen Versuchen einer Einebnung der Klagearten hat man allerdings nicht nur im Zivilprozeß-, sondern auch im Verwaltungsprozeßrecht seit jeher widerstanden. Die Klagearten orientieren sich an bestimmten Urteilswirkungen, die man aus Gründen der Gewaltenteilung oder des Rechtsschutzes für angemessen erachtet.7 Die Urteilswirkung einer verwaltungsprozessualen Gestaltungsklage ist die Gestaltung eines Rechtsverhältnisses durch Vernichtung eines Hoheitsaktes, die Urteilswirkung einer Leistungsklage ist die Durchsetzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf Leistung, Handlung oder Unterlassung, und die Urteilswirkung einer Feststellungsklage ist die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses. Dabei ist die Feststellungsklage gegenüber den beiden vorgenannten Klagearten nach § 43 Abs. 2 VwGO subsidiär,8 weil sie nach prozeßrechtlicher, aber nicht zwingender Doktrin lediglich zu einem nicht vollstreckbaren Urteil führt.9 ___________ 5 Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, § 14 Rn. 9; Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, 1998, Rn. 264; anders Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 13 Rn. 3, § 21 Rn. 16; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 173; Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen im Öffentlichen Recht, 11. Aufl. 2005, § 8 Rn. 1: aus § 40 VwGO soll sich ergeben, daß auch atypische bzw. nicht ausdrücklich geregelte Klagearten statthaft sind, wobei allerdings nicht ausgeführt wird, wo sich solche Klagearten finden lassen. 6 Schlosser, Gestaltungsklagen und Gestaltungsurteile, 1966, S. 107; Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, 1973, S. 64 ff. 7 Zur Verbindung von Klageart und Urteilungswirkungen: Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 16. Aufl. 2004, § 91. 8 von Mutius, Zur Subsidiarität der Feststellungsklage, VerwArch 63 (1972), 229; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 8 ff. 9 Zu den weiteren Gründen, die für die Subsidiarität der verwaltungsprozessualen Feststellungsklage streiten: Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 412 ff.

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Kommen wir auf den numerus clausus der Klagearten zurück. Dieser numerus clausus läßt sich nur durchhalten, weil an sich neue Rechtsschutzbegehren, die die Erfindung neuer Klagearten nahelegen könnten, nach bisweilen heftigem Ringen in Literatur und Rechtsprechung den überkommenen Klagearten zugeschlagen werden. Dies sei anhand der verwaltungsprozessualen Normenerlaßklage näher geschildert. Heute ist es allgemein anerkannt, daß eine verwaltungsprozessuale Normenerlaßklage als Leistungsklage oder als Feststellungsklage, gerichtet auf Erlaß oder die Ergänzung von Rechtsverordnungen oder Satzungen, statthaft ist.10 Dies war nicht immer so. Zwar gab es von Otto Bachhof bereits Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts Begründungen dafür, daß eine Normenerlaßklage durchaus erforderlich sei.11 Zudem war erkannt worden, daß bestimmte Rechtsschutzdefizite nur mit einer Normenerlaßklage ausgeglichen werden konnten. In der Folgezeit gab es wissenschaftliche Publikationen, die eine Bresche in die nach wie vor ablehnende verwaltungsgerichtliche Judikatur schlagen wollten. Verwiesen sei auf zwei Promotionen und Aufsätze,12 die die Normenerlaßklage zu begründen suchten. Die Rechtsprechung zögerte einige Zeit,13 die damaligen Lehrbücher zum Verwaltungsprozeßrecht, etwa von Ule14 und Schmitt Glaeser,15 nahmen diese neue prozessuale Klageart über lange Zeit hinweg kaum wahr. Es war die Ansicht vorherrschend, daß die Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht in die Souveränität der Verwaltung zur Normsetzung16 ein-

___________ 10

Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 704 f. Bachof, Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 1966, 224, 232, der wohl als erster dezidiert für die Statthaftigkeit einer Normenerlaßklage eintritt. Dabei gab er die in seiner Habilitationsschrift über „Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung“, 1951, S. 17 f. geäußerte Ansicht auf, daß Art. 19 Abs. 4 GG keinen Anspruch auf Erlaß einer Rechtsnorm begründen könne, weil dies „einen bedenklichen Einbruch der Justiz in den Aufgabenbereich der Gesetzgebung (im materiellen Sinn) bedeuten“ würde. 12 Barby, Verwaltungsgerichtliche Klagen auf Rechtsetzung?, 1973; Westbomke, Der Anspruch auf Erlaß von Rechtsverordnungen und Satzungen, 1976; Würtenberger, Die Normerlaßklage als funktionsgerechte Fortbildung verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes, AöR 105 (1980), 370 ff. 13 Vgl. VGH München BayVBl. 1980, 209; 1981, 499, 503; BVerwGE 80, 355, 363. 14 Ule, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl. 1987, S. 168: „Eine Normerlaßklage kennt das geltende Recht nicht.“ 15 Schmitt Glaeser, Verwaltungsprozeßrecht, 10. Aufl. 1990, Rn. 474. 16 Merten, DVBl. 1970, 702; Zuleeg, DVBl. 1970, 157, 161: das politische Ermessen des Satzungs- oder Verordnungsgebers unterliege keiner gerichtlichen Kontrolle. 11

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greifen dürfe.17 Heute ist unbestritten, daß sie als Feststellungsklage, möglicherweise auch als Leistungsklage statthaft ist.18 Nimmt man noch die organschaftlichen Streitverfahren19 hinzu, die seit Beginn der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts nach und nach anerkannt wurden, so zeigt sich ein deutlicher Paradigmenwechsel in der Bestimmung der Voraussetzungen verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes und somit auch der Klagearten: Bis weit in die 70er Jahre war es in Literatur und Rechtsprechung herrschende Meinung, daß verwaltungsprozessualer Rechtsschutz und damit auch die Klagearten das Außenrechtsverhältnis zwischen Staat und Bürger oder auch zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts untereinander betreffen würden. Für die allgemeine Feststellungsklage, aber auch für die allgemeine Leistungsklage erachtete man ein Außenrechtsverhältnis als maßgeblich, das keine Innenrechtsverhältnisse umfassen20 würde. So hatte es denn zunächst in den 70er Jahren nahegelegen, für Streitigkeiten im organschaftlichen Innenbereich juristischer Personen21 oder auch um den Normerlaß Klagearten eigener Art zu entwickeln und deren Sachurteilsvoraussetzungen sachadäquat zu bestimmen.22 Diesen dogmatisch möglichen Weg hat man bekanntlich nicht gewählt, sondern das System der Klagearten den neu auftretenden und das alte System sprengende Rechtsschutzanliegen angepaßt. Dies führt uns wieder zurück zur These vom numerus clausus der durch die VwGO geregelten Klagearten: Bei dieser These zeigt eine historische Betrachtung, daß neben dem überkommenen numerus clausus der Klagearten durchaus neue Rechtsschutzbegehren mit möglicherweise neuen Klagearten sich aufdrängen können, diese aber dann mehr oder weniger gewaltsam in den traditionellen Bestand integriert werden. Der numerus clausus der Klagearten läßt sich eben nur durchhalten, wenn die Klagearten als bewegliches System23 betrachtet wer-

___________ 17

Zur Fortentwicklung gerichtlicher Kontrollaufgaben in Richtung auf einen qualifizierten Interessenschutz: Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, 2. Aufl. 2004, S. 234 ff. 18 Anders aber Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, 1979, S. 333 ff.: Streitigkeit auf Erlaß untergesetzlicher Rechtsnormen keine verwaltungsrechtliche, sondern eine verfassungsrechtliche Streitigkeit 19 Dazu umfassend Roth, Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten, 2001. 20 Nachweise zur älteren Literatur bei Würtenberger, AöR 105 (1980), 370, 385. 21 OVG Münster NJW 1972, 1683; Stern, Verwaltungsprozessuale Probleme in der öffentlich-rechtlichen Arbeit, 7. Aufl. 1995, Rn. 168 f.; anders aber 8. Aufl. 2000, Rn. 265. 22 Würtenberger, AöR 105 (1980), 370, 389 ff. 23 Vgl. Wilburg, Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, 1950; Westerhoff, Die Elemente des beweglichen Systems, 1991.

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den, das sich, neue Topoi aufgreifend, fortentwickeln,24 expandieren und sich auch verschieben kann.

II. Funktionen der Ausdifferenzierung verwaltungsprozessualer Klagearten Dies führt zu der Frage: Welcher Funktion dient die klassische Ausdifferenzierung verwaltungsprozessualer Klagearten?

1. Rechtsschutzfunktion Von Art. 19 Abs. 4 GG her betrachtet, dient die Ausdifferenzierung der verwaltungsprozessualen Klagearten der Durchsetzung subjektiver Rechte und damit der Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die jeweiligen verwaltungsprozessualen Klagearten wollen einen umfassenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz des Bürgers gegenüber allen erdenkbaren Handlungen oder Unterlassungen staatlicher Organe gewährleisten. Eine Enumeration bestimmter Klagearten, etwa eine Beschränkung der verwaltungsgerichtlichen Klagearten auf eine Anfechtungsklage, wie sie in Deutschland lange Zeit üblich war25 und in ausländischen Rechtsordnungen bisweilen immer noch erfolgt, würde zwar nicht gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen. Denn für weiter greifende Rechtsschutzbegehren wäre nach Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG der ordentliche Rechtsweg eröffnet.26 Mit § 40 Abs. 1 VwGO hat jedoch der Gesetzgeber seinen Willen zum Ausdruck gebracht, daß alle öffentlichrechtlichen Streitigkeiten, soweit keine abdrängenden Rechtswegzuweisungen bestehen, von den Verwaltungsgerichten zu entscheiden sind. Der umfassende Kanon verwaltungsprozessualer Klagearten sichert damit im Regelfall die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte, in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art zur Entscheidung befugt zu sein.

___________ 24

Zur Verbindung von Topik und beweglichem System: Schenke, Grundfragen der steuerlichen Rechtsgewinnung im Lichte der juristischen Methodenlehre, Typoskript, S. 81 f. 25 Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, 1951, 2. Aufl. 1968, S. 3. 26 Anders Bachof, Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer Amtshandlung, S. 16 f.: Die verwaltungsprozessuale Verpflichtungsklage ist von Art. 19 Abs. 4 GG geboten.

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2. Fester Kanon von Klagearten als Voraussetzung für verwaltungsprozessuale Rechtsschutzsicherheit Der feste Kanon von Klagearten ermöglicht eine verwaltungsprozessuale Rechtsschutzsicherheit. Klagearten reduzieren und kanalisieren verwaltungsprozessuale Komplexität. Hierzu ein Gedankenspiel: Wäre es vorstellbar, ein verwaltungsprozessuales Rechtsschutzsystem ohne Klagearten zu konstruieren? Die Antwort wäre sicherlich ein klares Nein. Man wüßte eben nicht, welche besonderen Sachurteilsvoraussetzungen zu beachten sind, wenn in einer bestimmten Weise gegen staatliches Handeln vorgegangen wird. Klagearten gewähren insofern Rechtsschutzsicherheit, als man mit der Bestimmung der Klageart weiß, ob und welche besonderen, von der jeweiligen Klageart abhängigen Sachurteilsvoraussetzungen zu erfüllen sind. Das praktizierte System verwaltungsprozessualer Klagearten reduziert aber auch in anderer Hinsicht Komplexität: Die Klagearten sind vorgegeben, ohne daß man überhaupt noch über jene Gründe diskutiert oder nachdenkt, die für diese Klagearten streiten. Selbst in den großen zivilprozessualen Werken finden sich kaum Hinweise darauf, ob es Alternativen zu dem System der Klagearten gibt. In der Juristenausbildung werden denn auch die Klagearten gelernt, ohne daß in der Lehrbuchliteratur eine Vertiefung von Sinn und Zweck der Klagearten erfolgt. Damit reduziert das System der verwaltungsprozessualen Klagearten auch insofern Komplexität, als die Frage nach dem Sinn der Formalisierung des verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes nicht gestellt wird.

3. Durchsetzung des Verwaltungsrechts als ratio der Klagearten Nicht zuletzt dienen die Klagearten der Verwirklichung prozessualer Rationalität. In Abhängigkeit und mit Blick auf das jeweilige materiellrechtliche Verwaltungsrechtsverhältnis bestimmen die Klagearten, unter welchen Voraussetzungen über dieses Verwaltungsrechtsverhältnis von den Verwaltungsgerichten Recht gesprochen werden kann. So gesehen läßt sich formulieren: Die unterschiedlichen Klagearten sind weniger um des Prozeßrechts willen geregelt worden, sondern orientieren sich in ihrer Unterschiedlichkeit an jeweils unterschiedlichen Verwaltungsrechtsverhältnissen, in denen um subjektive Rechte gestritten werden kann.

a) Begrenzte prozessuale Eigenrationalität Die Klagearten führen in der Regel kein prozessuales Eigenleben, besitzen keine Eigenrationalität, sondern lassen sich als das prozessuale Mittel zur

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Durchsetzung von subjektiven Rechten begreifen. Ihre prozessuale Rationalität ist damit weitgehend durch das von ihnen durchzusetzende materielle Verwaltungsrecht bedingt. Von dieser Regel gibt es allerdings gewisse Ausnahmen. Durch die Klagearten wird das Verhältnis zwischen Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozeß und damit die Funktionenteilung bei der Verwirklichung des Verwaltungsrechts abgeschichtet. Dies gilt insbesondere für jene Klagearten, die wie die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage im allgemeinen, aber auch wie die beamtenrechtlichen Klagearten im besonderen, mit Vorverfahren und Fristen die Rechtskontrolle innerhalb der Verwaltung von der Rechtskontrolle durch das Gerichts abschichten – und dies nicht nur im Hinblick auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit, sondern auch auf der Zeitachse. Weitere Ausnahmen gelten für die Bescheidungs-27 und für die isolierte Anfechtungsklage.28 Ihre Statthaftigkeit ist dadurch geboten, daß im Verwaltungsprozeßrecht nicht über Streitstoff entschieden werden kann, der der Gestaltung durch die Verwaltung unterliegt. Derartige Überlegungen betreffen zudem die Diskussion des maßgeblichen Zeitpunktes, der die Sach- und Rechtslage fixiert, die dem Urteil zugrunde zu legen ist. Diesen maßgeblichen Zeitpunkt bei der Anfechtungsklage grundsätzlich anders zu wählen als bei der Verpflichtungsklage und damit die Rechtsschutzzone der Anfechtungsklage zeitlich zu begrenzen, hat ihren guten Grund in der funktionalen Trennung von Verwaltungs- und Gerichtsverfahren. Das Verwaltungsverfahren soll sich eben nicht in das Gerichtsverfahren hineinziehen, wenn etwa bei Dauerverwaltungsakten über die Rechtmäßigkeit erst nach Jahren entschieden wird und dabei im Gerichtsverfahren an begleitender Rechtmäßigkeitskontrolle aufgearbeitet werden muß, was an sich Aufgabe der Verwaltung gewesen wäre.29

b) Irrationalität beim Zuschnitt von Klagearten Es gibt allerdings gewisse Irrationalitäten beim Zuschnitt von Klagearten, die in der Tradition verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes begründet liegen. ___________ 27 Ihre Statthaftigkeit ist aus prozessualen Erwägungen heraus geboten. Denn wird statt eines Bescheidungsurteils ein Verpflichtungsurteil angestrebt, wird der Kläger teilweise unterliegen, was möglicherweise nachteilige Kostenfolgen haben könnte (vgl. § 155 Abs. 1 VwGO; BVerwGE 80, 270, 272; Schenke, JZ 1996, 1103, 1104). Dies verkennen Schmitt Glaeser/Horn, die zwar von „Bescheidungsurteil“ sprechen (Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 303), aber eine entsprechende Bescheidungsklage ablehnen. 28 Zur Vergleichbarkeit von Bescheidungs- und isolierter Anfechtungsklage: Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 329. 29 Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 610 mit Hinweis auf den Gewaltenteilungsgrundsatz.

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Blicken wir auf die Verpflichtungsklage als das prozessuale Mittel zur Durchsetzung eines auf den Erlaß eines Verwaltungsaktes gerichteten Klagebegehrens. Nach der Konzeption der VwGO verurteilt das Verwaltungsgericht die Verwaltungsbehörde bei erfolgreichem Verpflichtungsantrag zum Erlaß des beantragten Verwaltungsaktes. Falls die Verwaltungsbehörde dem gerichtlichen Urteil nicht folgt, was in jüngerer Zeit zunehmend der Fall war, muß der Bürger sein Verpflichtungsurteil gegenüber der Verwaltungsbehörde vollstrecken. Dies ist zeitaufwendig und mit mancherlei Rechtsproblemen verbunden. Würde es hier nicht der Effektivität und der Rationalität der Klagearten als prozessualem Durchsetzungsrecht entsprechen, daß das verwaltungsgerichtliche Urteil den zu erlassenden Verwaltungsakt selbst erläßt und in Rechtskraft erwachsen läßt? Dies würde Vollstreckungsverfahren vermeiden helfen und so der Effektivität der prozessualen Rechtsdurchsetzung dienen. Bei Klagen auf polizeiliches oder baurechtliches Einschreiten wäre bei einer solchen Konstruktion zudem gewährleistet und nicht mehr umstritten,30 daß Drittbetroffene notwendig in das Verpflichtungsverfahren beizuladen sind. Der dogmatische31 Einwand gegen eine solche prozessuale Konstruktion stammt aus älteren Lehren des Gewaltenteilungsprinzips,32 wie sie insbesondere in Frankreich sehr lange vertreten wurden.33 Die Verwaltungsgerichtsbarkeit darf sich durch ihre Entscheidungen nicht in die Arbeit der Verwaltung einmischen. Verwaltungsakte sollen eben lediglich von der Verwaltung, aber nicht durch verwaltungsgerichtliches Urteil erlassen werden können. Daß diese ältere These heute nicht mehr überzeugt, liegt auf der Hand. Denn wenn diese These richtig wäre, wäre auch die verwaltungsgerichtliche Kassation von Verwaltungsakten aufgrund einer Anfechtungsklage nicht unproblematisch; konstruieren könnte man nämlich auch ein Rechtsschutzsystem, nach dem das Verwaltungsgericht entscheidet, daß rechtswidrige Verwaltungsakte von der Behörde aufzuheben seien. ___________ 30 Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 227; differenzierend Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 471. 31 Der pragmatische Einwand verweist darauf, dass das Verwaltungsgericht vielfach überfordert sei, den erstrebten Verwaltungsakt zu formulieren. 32 Einen anderen Einwand nennt Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 370: Der Anspruch des Bürgers auf Erlaß eines Verwaltungsakts richte sich gegen die Verwaltung, aber nicht gegen das Gericht. Demgegenüber läßt sich aber bedenken, ob sich ein derartiger Anspruch nicht auch dann gegen das Gericht richten kann, wenn die Verwaltung ihre gesetzlichen Verpflichtungen nicht erfüllt. Die Verzahnung zwischen materiellem und Prozeßrecht kann eben unterschiedlich ausgeformt werden. Dies zeigt nicht zuletzt das Beispiel der Anfechtungsklage, die als Gestaltungsklage der Durchsetzung eines Aufhebungsanspruchs dient, der materiell gegen die Verwaltung gerichtet ist. 33 Berst, Der Grundsatz der Gewaltentrennung im französischen Verwaltungsprozeßrecht, 1996.

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III. Die materiellrechtliche und prozessuale Bedingtheit der Klagearten Kommen wir auf die Determinanten der Klagearten zurück. Die Klagearten sind in zweierlei Weise materiellrechtlich bedingt: Sie knüpfen zum einen an die verwaltungsrechtliche Handlungsformenlehre an (1.); zum anderen sind sie durch die verwaltungsrechtliche Fehlerfolgenlehre bedingt (2.). Darüber hinaus können Erweiterungen oder Verkürzungen von Klagearten auch der gerichtlichen Funktionenteilung dienen (3.).

1. Die Bedingtheit der Klagearten durch die Lehre von den verwaltungsrechtlichen Handlungsformen Die Klagearten knüpfen grundsätzlich an die verwaltungsrechtlichen Handlungsformen an. So sind die Anfechtungs- und Verpflichtungsklage Verwaltungsaktsklagen, während die allgemeine Leistungsklage eine Realaktsklage ist. Dies hat zur Folge, daß ein Streit um die verwaltungsrechtlichen Handlungsformen, ob etwa durch Verwaltungsakt oder durch Realakt zu handeln ist, zugleich immer auch ein Streit um die statthafte Klageart ist. Die Argumentationslinien sind hier freilich nur in eine Richtung gehend: Die verwaltungsrechtlichen Handlungsformen werden verwaltungsrechtsimmanent gegeneinander abgegrenzt, eine Abgrenzung der Handlungsformen mit Blick auf die Sachnähe von Klagearten findet nicht statt. Dies war allerdings nicht immer so. Früher bestand ein gewisser Zwang, den Verwaltungsakt als Handlungsform auszudehnen, um mit einer Verwaltungsaktsklage verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu eröffnen.34 Die Rechtsschutzzone der Klagearten allein nach den verwaltungsrechtlichen Handlungsformen zu bestimmen, erscheint bisweilen nicht unproblematisch. So kann es auf den ersten Blick schwer einleuchten, daß die lange Zeit umstrittene Verwaltungsaktsverhütungsklage als allgemeine Leistungsklage35 zu erheben ist und lediglich den Sachurteilsvoraussetzungen dieser Klageart unterliegt. Würde es hier nicht näher liegen, an eine Verpflichtungsklage, gerichtet auf die Verpflichtung, den künftigen Erlaß eines Verwaltungsaktes zu unterlassen, zu denken? Oder ein anderes Beispiel: Eine Anfechtungsklage ist auch dann unstatthaft, wenn zwar alle Kriterien für einen Verwaltungsakt vorliegen, die hoheitliche Maßnahme aber dem Betroffenen nicht bekanntgegeben worden ist. Derartige ___________ 34 Vgl. Frotscher, Rechtsschutz nur gegen Verwaltungsakte?, DÖV 1971, 259; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 13 Rn. 4 mit Kritik an BVerwGE 100, 262. 35 Vgl. Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 482.

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Situationen treffen wir etwa bei geheimen informationellen Eingriffen an. Würde es bei derartigen regelungsersetzenden Realakten nicht näher liegen, jedenfalls das Widerspruchsverfahren als Sachurteilsvoraussetzung einer Anfechtungsklage zu prüfen?36 Es gibt mit anderen Worten Zwischenbereiche, in denen lediglich nach materiellrechtlichen Überlegungen, nicht aber nach prozeßrechtlichen Gesichtspunkten bestimmte Klagearten als statthaft erachtet werden.

2. Die Bedingtheit der Klagearten durch die Fehlerfolgenlehre Die Fehlerfolgenlehre hat Einfluß auf die Abgrenzung zwischen allgemeiner Leistungsklage und Feststellungsklage. Hier stellt sich u.a. die Frage, wie Beschlüsse eines Gemeinderates, die gegen höherrangiges Recht verstoßen, angegriffen werden können. Diskutiert wird, ob man mit einer allgemeinen Leistungsklage die Aufhebung derartiger Beschlüsse anstreben kann oder ob gar eine allgemeine Gestaltungsklage in Analogie zur Anfechtungsklage gegen derartige Beschlüsse statthaft ist.37 Beides ist abzulehnen, wenn man von den Fehlerfolgen ausgeht.38 Ein Beschluß eines Gemeinderates, der gegen höherrangiges Recht verstößt, ist nichtig. Ein nichtiger Rechtsakt kann aber nicht mit einer Gestaltungsklage39 nochmals vernichtet oder mit einer allgemeinen Leistungsklage nochmals aufgehoben werden. Für eine allgemeine Gestaltungsklage würde allenfalls sprechen, daß durch diese Klage der vom nichtigen Rechtsakt ausgehende Rechtsschein der Gültigkeit beseitigt werden könnte. Anders können freilich jene Fälle entschieden werden, in denen aufgrund gesetzlicher Regelung davon abgewichen wird, daß rechtswidrige Beschlüsse eines Verwaltungsorgans nicht ipso iure nichtig sind, sondern lediglich auf Antrag oder auf eine Klage hin aufgehoben werden können. Sind sie nicht ipso iure nichtig, sondern kommt ihnen eine vorläufige Geltung zu, die durch einen actus contrarius aufgehoben werden muß, so lassen sich in der Tat die allgemeine ___________ 36 Dies müßte jedenfalls für jene Autoren gelten, die als Sachurteilsvoraussetzung einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ein Widerspruchsverfahren fordern. 37 Schwarplys, Die allgemeine Gestaltungsklage als Rechtsschutzform gegen verwaltungsinterne Regelungen, 1996, S. 70 ff.; Graf, Verwaltungsgerichtliche Kassation kommunalrechtlicher Akte, BayVBl. 1982, 332 ff. 38 Hierzu Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 267 mit Fn. 2. – Anders läßt sich allerdings argumentieren, wenn man von der äußerst umstrittenen Lehre von den Doppelwirkungen im Recht ausgehen würde (hierzu Kipp, in: FS für Martitz, 1911, S. 211 ff.; Engisch, Einführung in das juristische Denken, hrsg. von Würtenberger/Otto, 10. Aufl. 2005, S. 39 ff.). 39 Generell kritisch zu derartigen Gestaltungsklagen: Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 371 f.; anders Pietzner/Ronellenfitsch, Das Assessorexamen, § 9 Rn. 5 ff.

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Leistungsklage oder eine allgemeine Gestaltungsklage in Analogie zur Anfechtungsklage vertreten. Wie bei Verwaltungsakten bedarf es dann einer besonderen Klageform, mit der der Anspruch auf Aufhebung des rechtswidrigen, aber gültigen Beschlusses durchgesetzt wird.

3. Die prozessuale Bedingtheit der Klagearten Die Erweiterung oder die Verkürzung der Rechtsschutzzone von Klagearten kann letztlich auch Gründe in der Abschichtung prozessualen Rechtsschutzes haben. Dies gilt insbesondere für die allgemeine Feststellungsklage. Eine allgemeine Feststellungsklage zu erheben, muß nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts statthaft sein, wenn der Kläger sich gegen Normen wendet, die keines behördlichen Vollzugsaktes bedürfen. Gegen solche Normen kann an sich unmittelbar Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben werden, wenn sie Grundrechte beeinträchtigen sollten. Gleichwohl fordert das Bundesverfassungsgericht in souveräner Fortentwicklung verwaltungsprozessualen Rechtsschutzes, daß der Kläger zunächst in einer verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklage z.B. die Statthaftigkeit eines bestimmten Verhaltens, das durch die Norm deutlich verboten ist, klären läßt.40 Eine solche Feststellungsklage führt zu einer gerichtlichen Inzidentprüfung, ob die betreffende Norm mit Grundrechten in Einklang steht. Sollte vom Verwaltungsgericht die Verfassungswidrigkeit der Norm angenommen werden, wäre die Frage nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen. Andernfalls muß der Kläger den verwaltungsprozessualen Rechtsschutzweg durchlaufen, um gegen die letztinstanzliche Entscheidung Verfassungsbeschwerde einzulegen. Eine solche Feststellungsklage wurde lange Zeit als unzulässig angesehen, da sie auf eine verkappte Normenkontrolle zielt und für Normenkontrollverfahren eben besondere Regelungen gelten.41 Das Bundesverfassungsgericht erwartet freilich von einem solchen an sich inadäquaten verwaltungsprozessualen Rechtsschutz gegen Normen, daß im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Sach- und Rechtsfragen, vor allem auch die Verfassungsfragen, umfänglich geprüft werden, um auf diese Weise bei der eigenen Entscheidungsfindung entlastet zu werden. Die Erweiterung der Feststellungsklage dient hier der sachgerechten gerichtlichen Funktionenteilung. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird ___________ 40 Zippelius/Würtenberger, Deutsches Staatsrecht, 31. Aufl. 2005, § 49 IV 1 d; BVerfG NVwZ 1999, 867; BVerfG-K NVwZ 2004, 977, 979. 41 Hierzu Ende, Fernstraßenplanung durch Gesetz, 1997, S. 154 ff. mit Nachw.; zur Rechtsschutzzone der Feststellungsklage gegen Rechtsnormen vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 1073 ff.

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für die Aufbereitung von Streitstoff in die Pflicht genommen, damit eine Entlastung der Verfassungsgerichtsbarkeit, aber auch eine Optimierung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung erreicht wird. Ähnliches läßt sich auf europäischer Ebene42 verfolgen. Der Europäische Gerichtshof verlangt bei der Nichtigkeitsklage nach Art. 230 Abs. 4 EGV ebenfalls eine solche funktionenteilende Kooperation mit der nationalen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Er begrenzt insbesondere auch in seiner jüngeren Rechtsprechung die Statthaftigkeit derartiger Nichtigkeitsklagen und verweist zugleich darauf, daß entstehende Rechtsschutzdefizite durch die nationalen Gerichte auszugleichen seien. Dies aber erfordert in dem deutschen Rechtsschutzsystem, daß in derartigen Fällen jedenfalls die Feststellungsklage zur Verfügung gestellt werden muß, damit das nationale Gericht ggf. in einem Vorlageverfahren nach Aufbereitung des Sach- und Streitstandes den Europäischen Gerichtshof anrufen kann bzw. als letztinstanzliches Gericht anrufen muss.43 Überspitzt formuliert: Die Ausdehnung der verwaltungsprozessualen Feststellungsklage folgt nicht deren prozessualer Eigenrationalität, sondern dient der Optimierung der Aufarbeitung des Streitstoffs und damit der Funktionenteilung zwischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichtsbarkeit.

IV. Die Akteure bei der Bestimmung und Fortentwicklung der Klagearten Wie bei aller Rechtsentwicklung gibt es auch bei der Bestimmung und Fortentwicklung der verwaltungsgerichtlichen Klagearten drei Akteure, nämlich die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die rechtswissenschaftliche Literatur. Um mit der Gesetzgebung zu beginnen: Die VwGO aus dem Jahre 1960 hat zwar die Anfechtungsklage, Verpflichtungsklage und Feststellungsklage ausführlich geregelt; für die allgemeine Leistungsklage finden sich jedoch nur bruchstückhafte Hinweise, aus denen auf die Zulässigkeit dieser Klageart geschlossen wird. Von einer umfassenden Regelung der Klagearten läßt sich also keinesfalls sprechen. Blickt man auf die rechtswissenschaftliche Literatur, so kommt ihr das Verdienst zu, die Entwicklung der verwaltungsprozessualen Klagearten vorangetrieben zu haben. Dies gilt zunächst für die grundlegende Habilitationsschrift von Otto Bachof über „Die verwaltungsgerichtliche Klage auf Vornahme einer ___________ 42

Dazu jüngst Baumeister, Effektiver Individualrechtsschutz im Europarecht, EuR 2005, 1 ff. 43 Nettesheim, Effektive Rechtsschutzgewährleistung im arbeitsteiligen System europäischen Rechtsschutzes, JZ 2002, 928, 933.

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Amtshandlung“ (1951, 2. Aufl. 1968) sowie des weiteren für die Habilitationsschrift von Christoph Trzaskalik über „Die Rechtsschutzzone der Feststellungsklage im Zivil- und Verwaltungsprozeß“ (1978). Insbesondere die Habilitationsschrift von Otto Bachof sollte die weitere Entwicklung der Klagearten maßgeblich mitbestimmen. Davon abgesehen hat die rechtswissenschaftliche Literatur immer wieder mit Nachdruck die Fortentwicklung der verwaltungsprozessualen Klagearten angemahnt. Dies gilt insbesondere für die schon angesprochenen Normenerlaßklagen und organschaftlichen Streitverfahren. Die rechtswissenschaftliche Literatur hat hier nicht nur Impulse gegeben, sondern mit Nachdruck gefordert, daß der verwaltungsprozessuale Rechtsschutz sich neuen Ausdifferenzierungen der Klagearten zu öffnen habe. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung als dritter Akteur hat sich in den letzten Jahrzehnten einen großzügigen Umgang mit den Normen der VwGO angewöhnt. Dies betrifft etwa die Austauschbarkeit von allgemeiner Leistungsklage und Feststellungsklage,44 obwohl § 43 Abs. 2 VwGO klar und deutlich von der Subsidarität der Feststellungsklage gegenüber der allgemeinen Leistungsklage spricht. Wenn sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit über diese klare Subsidiaritätsregel mit dem bloß pragmatischen Argument hinwegsetzt, die Verwaltung würde im Rechtstaat Feststellungsurteile respektieren, so daß zur Durchsetzung des Klagebegehrens nicht unbedingt eine allgemeine Leistungsklage zu erheben sei, so kann dies schon seit längerem nicht mehr überzeugen.45 Es nehmen die Fälle zu, in denen auch gegen die öffentliche Hand Urteile mit Vollstreckungsmaßnahmen durchgesetzt werden müssen. Ein ebenso großzügiger Umgang mit den Normen der VwGO findet bei der Abgrenzung von Fortsetzungsfeststellungsklage und allgemeiner Feststellungsklage statt. Wenn das Bundesverwaltungsgericht nunmehr dazu neigt, bei Erledigung eines Verwaltungsaktes vor Klageerhebung eine allgemeine Feststellungsklage für statthaft zu erachten,46 so wird die Rechtsschutzzone der Fortsetzungsfeststellungsklage verkannt. Gewiß findet hier § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO nicht direkt, sondern lediglich analog Anwendung. Und gewiß setzt diese Analogie auch voraus, daß eine Regelungslücke besteht. Diese Regelungslücke aber durch einen unbesehenen Rückgriff auf die allgemeine Feststellungsklage zu schließen, überzeugt nicht, da es doch prozessual nicht entscheidend sein kann, ob sich ein Verwaltungsakt vor oder nach Klageerhebung erledigt.47 Abgesehen von weiterer Kritik, etwa daran, ob ein Verwaltungsakt überhaupt Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann, wäre eindringlich zu fordern, daß sich auch ___________ 44

BVerwG NJW 1997, 2534, 2535. Zur Kritik Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 420; Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, § 18 Rn. 10 ff. 46 BVerwG NVwZ 2000, 63, 64; Wehr, DVBl. 2001, 785, 787 ff. 47 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 325. 45

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die Verwaltungsgerichtsbarkeit an jene prozessuale Normen hält, nach denen sie ihre Urteile fällt. Dies gilt des weiteren für die Forderung, die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO auch auf die allgemeine Feststellungsklage anzuwenden,48 und für andere Bereiche mehr. Die Entwicklung der verwaltungsprozessualen Klagearten läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß der Gesetzgeber nur Teilregelungen getroffen hat, die Klagearten sich aber sodann in einem offenen prozessualen System fortentwickelt haben. Der Gesetzgeber war nicht versucht, und ist es auch heute nicht, die Leistungen von Rechtsprechung und Dogmatik in eine umfassende Novellierung des Verwaltungsprozeßrechts einzubringen. Hier mag das alte deutsche Vorverständnis eine Rolle spielen, daß Rechtsprechung und Dogmatik mit ihren Leistungen zukunftsoffener und sachgerechter als der Gesetzgeber rechtsgestaltend wirken können.49

___________ 48 BVerwG NVwZ 1991, 470 f.; BVerwGE 100, 262, 271; ablehnend Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rn. 425; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 410; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18 Rn. 26 ff. 49 Fleiner, Über die Umbildung zivilrechtlicher Institute durch das öffentliche Recht, 1906, S. 23 f.: Fortschritt in der Rechtsfortbildung ist nicht vom Gesetzgeber, sondern vom „Spruch des Richters und der stillen Arbeit der Wissenschaft“ zu erwarten.

Die verwaltungsgerichtlichen Klagearten in Korea Von Hae Ryoung Kim

I. Einleitung Nach § 1 der alten koreanischen Verwaltungsgerichtsordnung (KVwGO), die im Jahr 1951 erlassen wurde, wurde zwischen der Aufhebungsklage und der Parteistreitigkeit, die Streitigkeiten über das Bestehen bzw. den Inhalt eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses betraf, unterschieden.1 Daraus hat man die Folgerung gezogen, daß früher (bis zum Jahr 1984) in Korea im Rahmen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nur eine Gestaltungsklage gegenüber Verwaltungsakten und eine Art von Feststellungsklage in der Form der Parteistreitigkeit, die öffentlichrechtliche Rechtsverhältnisse zum Gegenstand hatte, statthaft gewesen seien. Typische Beispiele für solche öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnisse bilden öffentlich-rechtliche Vertragsverhältnisse und das Beamtenverhältnis.2 Obwohl diese Parteistreitigkeit, die Streitigkeiten über öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse zum Gegenstand hat, den Charakter einer Feststellungsklage aufweist, wurde sie als eine Gestaltungsklage gegenüber bestimmten Verwaltungsakten angesehen, deren Erlass ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis begründet. Das Urteil über das Nichtbestehen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses hat eine ähnliche Rechtswirkung wie die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Diese Parteistreitigkeit wurde auch zur Feststellung der Bestehens oder Nichtbestehens eines durch einen Verwaltungsakt begründeten Rechtsverhältnisses nutzbar gemacht.3 Es kann damit auch bei rechtswidrigen Verwaltungsakten, die (ausnahmsweise) nichtig sind, dazu benutzt werden, das Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festzustellen, auf dessen Begründung der Verwaltungsakt gerichtet ist. Das gegenwärtige System der Verwaltungsgerichtsbarkeit Koreas wurde im großen und ganzen durch die Novellierung der KVwGO im Jahr 1984 ausge___________ 1

Vgl. Sang Kyu Lee, Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 248 ff. Vgl. Youn Heun Park, Verwaltungsrechtslehre I, 2000, S. 959 ff. 3 Vgl. Jong Hyun Seok, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 819. 2

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baut. Diese Gesetzesnovellierung bezweckte, ein ausreichendes verwaltungsprozessuales Rechtsschutzsystem zu schaffen, das der Zielsetzung des Art. 27 der koreanischen Verfassung (KV) gerecht wird.4 Art. 27 KV regelt, daß jedermann durch Gerichte geschützt wird, soweit er in seinen eigenen Rechten verletzt wird. Diese Vorschrift macht deutlich, daß Korea ein Rechtsstaat ist.

II. Verwaltungsprozessuale Klagearten in Korea § 3 KVwGO schreibt folgende vier Arten von Klagen bzw. Streitigkeiten vor: 1. die Aufhebungsklage, 2. die Parteistreitigkeit, 3. die Organstreitigkeiten, 4. die Popularklage. Da die Organstreitigkeiten nur Streitigkeiten zwischen bzw. innerhalb von Staatsorganen zum Gegenstand haben, gewähren sie keinen Rechtsschutz für den einzelnen Bürger.5 Die Wahlstreitigkeit ist die einzige Popularklage in Korea. Mit ihr wird die Ungültigkeit einer Wahl geltend gemacht. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß nur die ersten beiden oben genannten Klagearten Rechtsschutzverfahren darstellen, die den einzelnen vor einer Verletzung durch die öffentliche Gewalt schützen. Deshalb werden in meinem Vortrag die Organstreitigkeiten und die Popularklage nicht näher behandelt.

1. Über die Aufhebungsklage Die Aufhebungsklage umfaßt nach § 4 KVwGO drei verschiedene Klagearten, die alle nur gegenüber Verwaltungsakten erhoben werden können: – die Klage auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes bzw. Widerspruchsbescheides (sog. Anfechtungsklage), – die Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes, ___________ 4

Während die alte KVwGO aus dem Jahr 1951 nach dem Vorbild des damaligen japanischen Rechts aufgestellt worden war und nur 14 Paragraphen umfaßte, hat die geltende KVwGO insgesamt 52 Paragraphen. 5 Chol Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 549 f.

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– die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit der Verwaltung (anders bezeichnet: die Klage zur Feststellung des Bestehens einer Verpflichtung der Behörde). Die Klage auf Aufhebung des Verwaltungsakts (sog. Anfechtungsklage) zielt auf die vollständige oder teilweise Aufhebung oder Änderung des rechtswidrigen Verwaltungsakts und des entsprechenden Widerspruchsbescheides. Eine isolierte Klage gegen den Widerspruchsbescheid kann nur darauf gestützt werden, daß dieser einen selbständigen Fehler aufweist. Anderenfalls muß die Anfechtungsklage gegen den ursprünglichen Verwaltungsakt gerichtet werden.6 Statt der Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts kann aus Gründen der Rechtssicherheit auch die Anfechtungsklage erhoben werden. Mit der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit der Verwaltung soll die Verwaltung zu einer Leistung, das heißt einem Handeln oder Dulden, verpflichtet werden. Aus diesem Grund richtet sich das Begehren des Klägers auf die Erfüllung der Verpflichtung der Verwaltung. Anstelle einer solchen Feststellungsklage sollte nach Ansicht vieler Autoren in die KVwGO eine Verpflichtungsklage eingeführt werden. Die drei Arten von Aufhebungsklagen haben den Sinn, den Rechtsschutz der einzelnen Bürger und die Rechtmäßigkeit der Verwaltung sicherzustellen. Das gilt aber nur in bezug auf Verwaltungsakte.7 Trotz des Unterschiedes zwischen allen drei Klagebegehren werden sie im Rahmen der Aufhebungsklage (auf koreanisch Hanggo-Sosong) in § 4 KVwGO gleichbehandelt. Man kann hier die Frage stellen, aus welchem Grund § 4 KVwGO die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit von Verwaltungsakten und die Klage wegen Untätigkeit der Verwaltung der Aufhebungsklage zuordnet. Diese Frage könnte aus folgenden Gesichtspunkten gestellt werden: Bei einer Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakt ist zu beachten, daß ein Verwaltungsakt mit offensichtlichem und schwerem Fehler ohne weiteres unwirksam bzw. nichtig ist. Deshalb werden durch ihn keine Rechtsverhältnisse begründet, die durch Gestaltungsurteil zu beseitigen sind. Ähnliches gilt für die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untätigkeit der Verwaltung. Die Untätigkeit der Verwaltung kann kein Rechtsverhältnis mit sich bringen. Deswegen hat der Gesetzgeber die beiden Rechtsschutzbegehren als Klagen, die auf Feststellung gerichtet sind, zugelassen.

___________ 6

§ 19 KVwGO. Nam Jin Kim, Probleme bezüglich des Novellierungsentwurfs der KVwGO, in: Gosikye-Zeitschrift, April 1985, S. 91. 7

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Ein weiterer Grund hierfür ergibt sich ferner daraus, daß alle drei Klagen Rechtsschutzmittel darstellen, mit denen sich der Kläger gegen eine Behörde gerichtlich wehren kann, die hoheitliche Macht innehat.8 Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVwGO ist eine Untätigkeit der Verwaltung zu bejahen, wenn die Verwaltungsbehörde trotz eines Antrags des Klägers ihrer Verpflichtung nicht in angemessener Zeit nachkommt. Obwohl die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit der Verwaltung ihrer Funktion nach mit der Verpflichtungsklage in Deutschland vergleichbar ist, besteht doch gegenüber der letzteren ein großer Unterschied. Bei der Klage nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 KVwGO ordnet das Gericht nicht die Erfüllung der Pflicht der Verwaltung an, sondern beschränkt sich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Obwohl nur eine Feststellungsentscheidung ergeht, kann das Gericht auf Antrag des Klägers bestimmen, daß die Behörde wegen der Verzögerung bzw. Verweigerung des Verwaltungsakts dem Kläger eine bestimmte Entschädigung zu leisten hat.9

2. Die Ermöglichung einer Fortsetzungsfeststellungsklage durch die KVwGO Wie oben erwähnt, wird in der KVwGO eine Fortsetzungsfeststellungsklage nicht ausdrücklich geregelt. Wenn z.B. ein Verwaltungsakt bereits abgelehnt worden ist, dessen Erlaß der Kläger innerhalb einer bestimmten Zeit begehrte, ist es in Korea nicht möglich, in diesem Fall eine Anfechtungsklage zu erheben. Eine Anfechtungsklage ist nur dann zulässig, wenn hierfür ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt vor oder während des verwaltungsprozessualen Verfahrens erledigt, wird dem Kläger mit der Aufhebung des Verwaltungsakts nicht mehr geholfen. Das heißt, daß ihm die Aufhebung nichts nützt. Der Verwaltungsakt hat sich erledigt, wenn die Vollzugsfolgen des Verwaltungsakts nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Es gibt aber in der KVwGO eine Regelung, die inhaltlich drei Fortsetzungsfeststellungsklagen möglich macht. Bei dieser Vorschrift handelt sich um die Klagebefugnis für die Anfechtungsklage. § 12 S. 1 KVwGO schreibt vor, daß die Anfechtungsklage nur dann möglich ist, „wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hat.“ Nach der herrschenden Meinung und der ___________ 8 9

Hango bedeutet Beschwerde gegen die hoheitliche Gewalt. § 34 Abs. 1 KVwGO.

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Rechtsprechung muß dieses Interesse ein rechtlich geschütztes sein (sog. Schutznormtheorie). Aber § 12 S. 2 KVwGO besagt weiter, daß „die wegen Zeitablaufs nicht mehr geltenden Verwaltungsakt oder die bereits erledigten Verwaltungsakte auch angefochten werden können, soweit daran ein berechtigtes Interesse besteht.“ Inhaltlich zielt auch die Anfechtungsklage auf die Feststellung, daß der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig war. Unter diesen Umständen ist § 12 S. 2 KVwGO mit § 113 Abs. 1 S. 4 der deutschen VwGO inhaltlich vergleichbar.10 Nach der Rechtsprechung des koreanischen Obersten Gerichtshofes ist ein berechtigtes Interesse zu bejahen bei einem Rehabilitationsinteresse, bei einem Interesse an der Vorbereitung einer Amtshaftungsklage sowie bei Wiederholungsgefahr. Umstritten ist hierbei, ob diese Interessen rechtlich geschützte Interessen sind oder ob bereits tatsächliche Interessen genügen. Manche Autoren äußern sich nicht zu dieser Frage. Meines Erachtens bedarf es dabei keines rechtlich geschützten Interesses. Es genügt, daß der Kläger ein Interesse hat, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts festzustellen, Dieses Interesse kann auch anerkannt werden, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt während des verwaltungsprozessualen Verfahrens erledigt hat. Die Klagemöglichkeit ergibt sich hier bereits aus der Zulässigkeit einer Anfechtungsklage.11 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob § 12 S. 2 KVwGO auch auf eine Klage, die gerichtet ist auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Untätigkeit der Verwaltung, analog anwendbar ist. Inhaltlich ist diese Klage mit der Verpflichtungsklage eng verwandt. Meines Erachtens kann sie in dem Fall angewendet werden, in dem dem Kläger wegen Zeitablaufs nicht mehr mit dem Erlaß eines Verwaltungsakts geholfen werden kann. Zu beachten ist, daß eine Fortsetzungsfeststellungsklage nur dann zulässig ist, wenn die in der Sache zunächst erhobene Anfechtungsklage zulässig war oder zulässigerweise noch hätte erhoben werden können.

___________ 10 Erledigt sich der Verwaltungsakt vor Klageerhebung, so ist nach ganz h.M. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog anzuwenden. 11 Dagegen sieht § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO vor, daß der Kläger in diesem Fall von der Anfechtungsklage zur Fortsetzungsklage übergehen kann. Das Klageziel ändert sich dann von einem Gestaltungsbegehren in ein bloßes Feststellungsbegehren.

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3. Anwendungsmöglichkeit der Anfechtungsklage gegenüber einem Verwaltungshandeln, das keinen Verwaltungsakt beinhaltet Weil nach der KVwGO die verwaltungsrechtliche Anfechtungsklage nur in bezug auf Verwaltungsakte anerkannt wird, wurde schon früher der Versuch unternommen, den Begriff des Verwaltungsakts zu erweitern, um auf diese Weise den verwaltungsgerichtlichen Schutz auszudehnen. Es ist in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung, den Begriff des Verwaltungsakts nach der KVwGO zu erwähnen. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVwGO, der mit der Novellierung von 1984 erneut eingeführt wurde, definiert als Verwaltungsakt (Chobun) „die Ausübung oder Nichtausübung der öffentlichen Gewalt durch eine Verwaltungsbehörde in Anwendung von Rechtsnormen auf bestimmte konkret-einzelne Fälle und ein vergleichbares Verwaltungshandeln sowie Widerspruchsbescheide im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens.“ Diesen Begriff des Verwaltungsakts nennt man in Korea in der Regel Verwaltungsakt im Sinne des Verwaltungsprozeßrechts. Bei der Interpretation dieses Begriffes stellt sich die Frage, welche Verwaltungstätigkeiten dem „vergleichbaren Verwaltungshandeln“ zugehören. In den Lehrbüchern werden als Beispiele Beschlüsse im Rahmen der Planaufstellung, die Allgemeinverfügung sowie bestimmte hoheitliche Realakte, Verwaltungszusagen sowie vorläufige Verwaltungsakte u.s.w. genannt.12 Außer diesen typischen Beispielen wurden einige bestimmte Rechtsverordnungen bzw. Satzungen nach der Rechtsprechung des Koreanischen Obersten Gerichthofs (KOGH) als Verwaltungsakt in diesem Sinne anerkannt.13 Unter diesen Umständen ergibt sich in Korea ein weiter Anwendungsbereich für die Anfechtungsklage, die aber nur gegen noch wirksame Verwaltungsakte zulässig ist.

4. Über die Parteistreitigkeit zur Klärung von Streitigkeiten über öffentlich-rechtliche Rechtsverhältnisse Nach § 4 KVwGO kann man vor den Verwaltungsgerichten eine Parteistreitigkeit einleiten, um Streitigkeiten über ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zu klären, an dem ein Verwaltungsträger als Partei beteiligt ist. Ein typisches Beispiel hierfür stellt die Streitigkeit über die Gültigkeit eines Verwaltungsver___________ 12

Vgl. Kyun Sung Park, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 282. Für die Rechtsverordnung: KOGH, Urt. v. 19.08.1954, Az. 4286 Haengsang 37; für die Satzung: KOGH, Urt. v. 20.11.1996, Az. 95 Nu 8003. 13

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trages oder das Bestehen eines Staatshaftungsverhältnisses usw. dar. Diese Klage ist auch möglich, wenn man aus dem Beamtenverhältnis klagt, um die Zahlung aus einem Gehaltsanspruch zu sichern.14 Der Parteistreitigkeit unterfällt auch eine Streitigkeit in Verbindung mit der Gültigkeit eines Verwaltungsakts. Bei ihr klagt der Kläger nicht auf die Aufhebung des ihn beschwerenden Verwaltungsaktes, sondern auf Feststellung von dessen Nichtigkeit bzw. des Nichtbestehens eines durch den Verwaltungsakt angestrebten Rechtsverhältnisses.

5. Über den numerus clausus der Klagearten Die wichtigsten Klagearten gegenüber der Verwaltung sind die oben genannten drei Arten der Aufhebungsklage, die nur gegenüber Verwaltungsakten erhoben werden können. Es ist umstritten, ob nach der KVwGO auch die Möglichkeit besteht, in Form einer atypischen Aufhebungsklage Rechtsschutz zu gewähren, wie z.B. durch eine Klage auf Unterlassung eines Verwaltungsakts, obwohl die KVwGO eine solche nicht ausdrücklich vorsieht. Z.T. wird die Statthaftigkeit einer solchen Klage befürwortet. Nach dieser Meinung kann man alle Klagebegehren geltend machen, soweit diese nicht durch die KVwGO ausgeschlossen werden.15 Der KOGH lehnt diese Auffassung jedoch mit der Begründung strikt ab, daß nur die in KVwGO genannten Klagearten den Bürgern Rechtssicherheit geben würden.16 Das heißt, daß das Gericht den numerus clausus der Klagearten der KVwGO beibehalten will. Daraus folgt, daß in Korea in der Tat außer der Aufhebungsklage gegen Verwaltungsakte und der Parteistreitigkeit keine Klagemöglichkeiten bestehen. Eine Klage gegenüber anderem Verwaltungshandeln ist damit ausgeschlossen. Unter diesen Umständen sind in Korea folgende Klagearten im formellen Sinn ausgeschlossen: die allgemeine Leistungsklage, die Fortsetzungsfeststellungsklage, die vorbeugende Unterlassungsklage, die Verpflichtungsklage, die verwaltungsgerichtliche abstrakte Normkontrolle u.s.w. In Verbindung mit der ebenfalls ausgeschlossenen Verpflichtungsklage stellt sich die Frage, warum bei der Novellierung der KVwGO im Jahr 1984 statt der ___________ 14

Vgl. Do Chang Kim, Verwaltungsrecht I, 2000, S. 840. Vgl. Do Chang Kim, Verwaltungsrecht I, S. 681 f.; Chol Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 549 f.; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005, S. 816 f. 16 KOGH, Urt. v. 19.08.1986, Az. 86 Nu 223; Urt. v. 10.03.1995, Az. 94 Nu 14018. 15

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Verpflichtungsklage im echten Sinne nur eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit der Behörde eingeführt worden ist. Der Hauptgrund dafür liegt darin, daß man annahm, die Einführung der Verpflichtungsklage stehe mit dem Gewaltenteilungsprinzip nicht im Einklang, da bei der Verpflichtungsklage das Gericht gegenüber der Verwaltung ein Tun oder Dulden anordnet.

6. Über die Organstreitigkeiten und die Popularklage § 4 KVwGO regelt nicht nur die Aufhebungsklage und die Parteistreitigkeit, sondern auch die Organstreitigkeit und die Popularklage. Diese Vorschrift ist hinsichtlich der Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Korea dient nicht nur dem Rechtsschutz des Bürgers, sondern auch der Klärung von Streitigkeiten in Innenrechtsverhältnissen und der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Verwaltung. Die Popularklage in Korea ist nur statthaft, wenn sie in einzelnen Gesetzen geregelt wird. Sie findet sich momentan nur in Wahlgesetzen.

III. Das Fehlen von Klagearten zur Sicherung eines angemessenen Rechtsschutzes 1. Allgemeine Leistungsklage ist nicht statthaft Wegen des numerus clausus der Klagearten ergibt sich die Frage, ob und wie man in Korea die Fälle auffängt, in denen behördliches Handeln nicht in Form von Verwaltungsakten, sondern schlicht hoheitlich erfolgt. Hier wird die Möglichkeit eines Rechtsschutzes im allgemeinen verneint.17 Damit besteht eine große Rechtsschutzlücke für den Bürger. Es gibt keine Klagemöglichkeit gegen Einzelakte in der Form des schlichten Verwaltungshandelns. Auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen der Verwaltung kann man nicht Klage erheben, wenn dieses keinen Verwaltungsaktscharakter aufweist. Für Fälle wie z.B. Ansprüche auf Beseitigung der Folgen von rechtswidrigem Verwaltungshandeln, Ansprüche auf Umsetzung eines Beamten oder Ansprüche aus öffentlich-rechtlichen Verträgen ist es zweifelhaft, welche Klagen hier in Korea gestattet sind. ___________ 17

KOGH, Urt. v. 24.03.1987, Az. 86 Nu 182.

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In diesen Fällen wäre die allgemeine Leistungsklage angemessen. Aber eine solche Klage wird in Korea von der h.M. nicht anerkannt, weil sie nicht ausdrücklich in der KVwGO geregelt ist, wenngleich einige Autoren die Auffassung vertreten, daß im Hinblick auf den Justizgewähranspruch des Art. 27 KV diese Klageart anerkannt werden könne.18 Obwohl also in Korea eine allgemeine Leistungsklage von der h.M. nicht ausdrücklich anerkannt wird, läßt sich aber teilweise auf andere Weise der gebotene Rechtsschutz verwirklichen. Die Rechte aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag kann man in Korea mit der Parteistreitigkeit gerichtlich geltend machen. Bezüglich des Anspruches auf Beseitigung der Folgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns kann man die Anfechtungsklage erheben. Aber man muß in diesem Fall darauf warten, daß der Anspruch auf Beseitigung der Folgen rechtswidriger Verwaltungshandeln von der Behörde verneint wird. Gegenüber dieser Verneinung kann man Anfechtungsklage erheben. Wenn die Behörde nichts unternimmt, dann kann hier eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der behördlichen Untätigkeit erhoben werden. Dagegen ist es nicht leicht, gegenüber der Umsetzung eines Beamten Klage zu erheben, weil bei der Umsetzung eines Beamten dessen Rechte und Pflichten prima facie nicht beeinträchtigt werden können. Aber die Beeinträchtigung des Rechts eines Beamten durch eine Umsetzung ist dann zu bejahen, wenn sie einer Sonderverordnung der Verwaltung widerspricht. In diesem Fall kann man in Korea gegenüber der Umsetzung eine Anfechtungsklage erheben. Da in Korea keine allgemeine Leistungsklage anerkannt wird, bestehen auch Schwierigkeiten, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz in Verbindung mit einer durch die Verwaltung nicht erfüllten behördlichen Zusicherung zu erlangen. Gegenwärtig ist es nämlich in Korea sehr umstritten, welche Rechtsnatur eine Zusicherung der Verwaltung hat. Manche Autoren vertreten die Auffassung, daß sie im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVwGO eine mit dem Verwaltungsakt vergleichbare tatsächliche Wirkung aufweise und daß sie deshalb als Verwaltungsakt zu beurteilen sei. Dagegen ist die Rechtsprechung des KOGH dieser Ansicht nicht gefolgt. Unter diesen Unständen besteht in Korea keine Möglichkeit, in Verbindung mit Zusicherungen Klage zu erheben. ___________ 18

In Deutschland ist die allgemeine Leistungsklage allgemein anerkannt. Obwohl sie nicht ausdrücklich in der VwGO geregelt ist, ist sie als eine im Hinblick auf die Rechtschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG erforderliche Auffangklage für die Fälle zu beurteilen, in denen nicht in Form von Verwaltungsakten, sondern schlicht hoheitlich gehandelt wird.

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2. Keine vorbeugende Unterlassungsklage Da in Korea nur gegen einen bereits erlassenen Verwaltungsakt die Anfechtungsklage erhoben werden kann, ist eine vorbeugende Unterlassungsklage ausgeschlossen. Das heißt, daß die KVwGO nicht die Gewährung vorbeugenden, sondern nur die Gewährung nachträglichen Rechtsschutzes kennt. Das steht im Gegensatz dazu, daß in Deutschland die vorbeugende Unterlassungsklage in Rechtsprechung19 und Literatur als eine besondere Form der allgemeinen Leistungsklage anerkannt wird.20 Diese besondere Klage zielt auf das Unterlassen schlichten Verwaltungshandelns bzw. auf das Unterlassen eines Verwaltungsakts. Weil in solchen Fallkonstellationen ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, ist es erforderlich, die vorbeugende Unterlassungsklage auch in Korea einzuführen. Einige Autoren in Korea sind der Meinung, daß die Einführung einer vorbeugenden Unterlassungsklage große Schwierigkeiten für die Verwaltung mit sich bringen würde und das Tor zu einer untragbaren Popularklage eröffnete. Aber eine vorbeugende Unterlassungsklage könnte nur in den Fällen in Betracht kommen, in denen ein besonderes Rechtsschutzinteresse für sie besteht.21 Sie könnte deshalb nur in solchen Fällen anerkannt werden, in denen deswegen ein besonderes Rechtsschutzinteresse besteht, weil durch Widerspruchsverfahren, Anfechtungsklage und Verpflichtungsklage kein ausreichender Rechtsschutz gewährt werden kann.

3. Kein verwaltungsgerichtliches abstraktes Normenkontrollverfahren Nach der koreanischen Verfassung sind die Überprüfung der Vereinbarkeit von Rechtsnormen mit höherrangigem Recht sowie die allgemeinverbindliche Entscheidung über die Gültigkeit des überprüften Rechtssatzes die Sache des Koreanischen Verfassungsgerichts (KVerfG) oder des Koreanischen Obersten Gerichtshofes (KOGH). Das heißt, daß die Zuständigkeit zur Normenkontrolle auf zwei Gerichte verteilt ist. Nach Art. 107 Abs. 1 KV ist auf Antrag eines Gerichts das KVerfG für die Überprüfung von Gesetzen auf deren Vereinbarkeit mit der Verfassung zuständig. Der KOGH ist nach Art 107 Abs. 2 KV für die Überprüfung von unterge___________ 19

BVerwG, Urt. v. 23.05.1989, Az. 7 C 2/87 = BVerwGE 82, 76. Redeker/v. Oertzen, VwGO, § 42, Rdnr. 162 ff. 21 Parallelproblem bei der vorbeugenden Feststellungsklage; s. BVerwG, Urt. v. 08.09.1972, Az. IV C 17.71 = BVerwGE 40, 323. 20

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setzlichen Normen auf deren Vereinbarkeit mit höherrangigen Rechtsnormen zuständig. Daraus ergeben sich schwierige Meinungsstreitigkeiten bezüglich der Frage, ob das KVerfG überhaupt eine Zuständigkeit für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von untergesetzlicher Rechtsnorm besitzt. Nach der h.M und der Rechtsprechung kann das Verfassungsgericht eine untergesetzliche Rechtsnorm dann überprüfen, wenn eine Verfassungsbeschwerde nach § 68 Abs. 2 des koreanischen Verfassungsgerichtsgesetzes (KVerfGG) erhoben wird. Das konkrete Normenkontrollverfahren wird in Korea auf jeden Fall in Verbindung mit anderen verwaltungsgerichtlichen Klagen anerkannt.

4. Möglichkeit einer Normerlaßklage? Im Hinblick auf den numerus clausus der Klagearten nach § 4 KVwGO ergibt sich noch die Frage, ob man in Korea auf den Normerlaß gerichtlich klagen kann. Nach Rechtsprechung und h.M. in der Literatur ist eine verwaltungsgerichtliche Normerlaßklage in Korea nicht statthaft. Nach Art. 107 Abs. 2 KV ist die Überprüfung der Gültigkeit von untergesetzlichen Rechtsnormen nur durch den KOGH eröffnet. Diese Regelung wird nur auf bereits erlassene Rechtsnormen angewendet, deshalb findet diese Vorschrift auf eine Klage zum Normerlaß keine Anwendung. Die Frage nach der Statthaftigkeit einer auf den Normerlaß gerichteten Klage ist seit Anfang der 90er Jahre in Korea aktuell. Mit dieser umstrittenen Frage hatte sich ein Urteil des KVerfG zu befassen, dem der folgende Sachverhalt zugrunde lag: Das Gesetz über Rechtsberatung hatte den KOGH zum Erlaß einer Sonderverordnung für die Prüfung von Rechtsberatern ermächtigt. Der KOGH hatte lange Zeit den Erlaß dieser Sonderverordnung verzögert. Da in Korea keine verwaltungsprozeßrechtliche Normerlaßklage möglich ist, hatte ein Bürger nach § 68 Abs. 2 KVerfGG eine Verfassungsbeschwerde mit der Begründung erhoben, die Verzögerung des Erlasses der Sonderverordnung habe sein ihm von der Verfassung garantiertes Grundrecht auf Freiheit der Berufswahl verletzt.22 Das KVerfG hielt die Verfassungsbeschwerde für begründet und stellte fest, daß der KOGH die Sonderverordnung in angemessener Zeit zu erlassen habe. Heutzutage spielt die Verfassungsbeschwerde in Korea zur Sicherung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes eine große Rolle. Eine Verfassungsbe___________ 22

KVerfG, Urt. v. 17.03.1989, Az. 88 Huenma 1.

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schwerde kann nach § 68 Abs. 2 KVerfGG erhoben werden, wenn das Grundrecht des Bürgers durch einen hoheitlichen Akt der Verwaltungsbehörde verletzt wird und für ihn keine Rechtsschutzmöglichkeit beim Verwaltungsgericht eröffnet ist.23 So kann beispielsweise die Versetzung eines Beamten den Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde bilden. Da die Versetzung eines Beamten nach koreanischer Auffassung keinen Verwaltungsakt darstellt und daher nicht mit einer Anfechtungsklage angefochten werden kann, besteht die Möglichkeit eines verfassungsrechtlichen Rechtsschutzes, soweit die Versetzung mit dem Gleichheitsprinzip nicht im Einklang steht.

IV. Jüngste Vorhaben zur Novellierung der KVwGO Im Jahr 2003 wurde eine Forschungskommission bei dem Koreanischen Obersten Gerichtshof (KOGH) gebildet, um die KVwGO zu erneuern. Diese Kommission hat im Oktober des Jahres 2004 einen Entwurf zur Novellierung der KVwGO aufgestellt.24 Ein Schwerpunkt bei diesem Entwurf liegt darin, das System der Klagearten zu erweitern. Die zwei wichtigsten Aspekte bilden dabei die Einführung der Verpflichtungsklage und des verwaltungsgerichtlichen abstrakten Normenkontrollverfahrens.25 Zu beachten ist, daß man in diesem Entwurf versucht hat, das Normenkontrollverfahren im Rahmen der Anfechtungsklage durchzuführen. Nach der Ansicht der Autoren dieses Entwurfs kam dieser Versuch aus folgenden zwei Gründen in Betracht:26 Erstens sei die untergesetzliche Rechtsnorm eine Art von Verwaltungshandeln, das im Rahmen der Gesetze stattzufinden habe. Zweitens habe die Anfechtungsklage nicht nur den Charakter einer Gestaltungsklage, sondern auch den Charakter einer Feststellungsklage, bei der über die Rechtmäßigkeit eines Hoheitsakts zu urteilen sei.27 Das Novellierungsvorhaben ist von Bedeutung, da es auf die Novellierung der verschiedenen Klagearten zielt. Es wurde jedoch hart kritisiert und aus folgenden Gründen verworfen:28 ___________ 23

Vgl. Nak In Seong, Verfassungslehre, 2001, S. 1053 ff. KOGH, Entwurf zur Novellierung der KVwGO, Oktober 2004. 25 Vgl. Jeong Hun Park, Gegenstände der Anfechtungsklage und ihre Arten, Vortragsbericht beim Symposium zur Novellierung der KVwGO, KOGH, Oktober 2004, S. 27 ff. 26 Vgl. Jeong Hun Park (Fn. 25), S. 28. 27 Vgl. Song Hwa Choi, Die Überlegungen zur Novellierung der KVwGO, Untersuchung der Verwaltungsrechtsprechung, Heft 8, 2003, S. 432 ff. 28 Hae Ryoung Kim, Kritische Bemerkungen zum Entwurf zur Novellierung der KVwGO, Gosikye-Zeitschrift, Juli 2004, S. 110 ff. 24

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Der Entwurf zur Novellierung der KVwGO versucht durch Erweiterung des Verwaltungsaktsbegriffs eine Ausweitung des Gegenstands der Anfechtungsklage: § 4 des Entwurfs schreibt vor, daß alles Verwaltungshandeln, das sich auf den Bürger auswirkt, als Verwaltungsakt zu begreifen ist, so daß nicht nur der klassische Verwaltungsakt im engeren Sinne, sondern auch die Rechtsverordnung und die öffentlich-rechtlichen Realakte in den erweiterten Begriff des Verwaltungsakts eingeschlossen werden. Dieser Gesetzesentwurf hat das System der verwaltungsprozessualen Klagearten im Grund genommen erhalten, nämlich die Klage auf Aufhebung eines Verwaltungsakts und die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts. Ein für den Rechtsschutz des Bürgers vorteilhafter Aspekt liegt nur darin, daß der Entwurf statt der Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit der Verwaltung eine Verpflichtungsklage als eine Leistungsklage in die KVwGO einzuführen versucht. Zu erwähnen ist ferner, daß dieser Entwurf zur Novellierung der KVwGO auch die vorbeugende Unterlassungsklage einführen will.29 Was den Versuch zur Einführung der Verpflichtungsklage und der vorbeugenden Unterlassungsklage angeht, besteht im Moment kein beachtlicher Widerstand. Widerstand gegenüber dem Gesetzesnovellierungsverfahren kommt aber aus der Verwaltung. Sehr umstritten ist jedoch der Versuch zur Einbeziehung der untergesetzlichen Rechtsnormen in den Begriff des Verwaltungsakts. Für die Befürwortung dieser Einbeziehung werden folgende Argumente angeführt: Erstens ist die Rechtsverordnung eine Form des Verwaltungshandelns und weist sowohl den Charakter eines Rechtsetzungs- wie auch den eines Rechtsanwendungsakts auf. Zweitens hat die Anfechtungsklage nicht nur den Charakter einer Gestaltungsklage, sondern auch den einer Feststellungsklage. In rechtsvergleichender Hinsicht behaupten die Befürworter des Entwurfs, daß die Anfechtungsklage gegen eine Rechtsverordnung mit dem französischen recours pour excès de pouvoir (Amtsüberschreitungsklage: Wulgon sosong) verglichen werden könne.30 Aber diese Argumentation stößt auf starke Kritik. Diese Kritik läßt sich wie folgt zusammenfassen:31 Einmal könnte der Versuch, die Rechtsverordnung in den Begriff des Verwaltungsakts einzubeziehen, das Verwaltungsrechtssystem gefährden. Die Rechtsverordnung hat als Rechtsetzungsakt eine allgemeine ___________ 29

§ 4 Nr. 4 des Entwurfs zur Novellierung der KVwGO im Jahr 2004. Jeong Hun Park (Fn. 25), S. 19 ff. 31 Hae Ryoung Kim (Fn. 28), S. 111 f.; Ha Jung Chung, Probleme des Entwurfs zur Novellierung der KVwGO, Korean Law Journal vom 04.11.2004; Jung Kyun Kim, Überlegungen zum Entwurf zur Novellierung der KVwGO, Korean Law Journal vom 18.11.2004. 30

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Bindungswirkung. Demgegenüber beinhaltet der Verwaltungsakt eine Regelung für einzelne konkrete Fälle. Die gegenwärtige Verwaltungsrechtsdogmatik in Korea differenziert nach dem Vorbild des deutschen Rechts zwischen verschiedenen Handlungsformen der Verwaltung. Deshalb wird der Begriff des Verwaltungsakts in einem engeren Sinne verstanden. Obwohl die Ausdehnung des Verwaltungsaktsbegriffs auf das Verwaltungsprozeßrecht begrenzt werden soll, ist dies nicht rational, weil dadurch die Verwaltungsrechtstheorie in einer verwirrenden Weise umstrukturiert werden soll. Die begriffliche Differenzierung zwischen verschiedenem Verwaltungshandeln ist nicht nur im Bereich der materiellen Verwaltungsrechts, sondern auch im Bereich des Verwaltungsprozeßrechts von Bedeutung. Aus diesem Grund sollte bei der Einordnung der Klagearten deren Zusammenhang mit der verwaltungsrechtlichen Handlungsformenlehre Rechnung getragen werden.32 Da die jeweilige Verwaltungshandlungsform ihre eigene Wirkung hat und sie an die jeweiligen Rechtsfehler anknüpft,33 erscheint es unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzes vernünftig, wenn die Klagearten an die Handlungsformen der Verwaltung anknüpfen. Die Einordnung der Klagearten allein nach der verwaltungsrechtlichen Handlungsformenlehre vermag zwar nicht immer zu befriedigen. Aber sie entspricht dem Verwaltungsrechtssystem. Nicht zuletzt zu erwähnen ist, daß die Klagearten wesentlich von den Fehlerfolgen des jeweiligen Verwaltungshandelns abhängen.34 Die Fehlerfolgenlehre steht deshalb mit der Unterscheidung zwischen Gestaltungsklage, Feststellungsklage und allgemeiner Leistungsklage in einem engen Bezug. Da eine Rechtsverordnung allgemeinverbindlich ist und damit noch kein konkretes Rechtsverhältnis begründet, ist zur Sicherung des Rechtsschutzes gegen eine gesetzwidrige Rechtsverordnung kein Gestaltungsurteil, sondern nur ein Feststellungsurteil nötig. Aus der Fehlerfolgenlehre ergibt sich, daß eine gegen höherrangiges Recht verstoßende Rechtsverordnung unwirksam bzw. nichtig ist und daher keine Gestaltungsklage erforderlich ist. Wenn die Rechtsverordnung in den Begriff des Verwaltungsakts einbezogen wird, ergibt sich die Frage, ob man dann gegen die Verwaltungsbehörde eine Verpflichtungsklage erheben kann, um sie damit anzuhalten, eine untergesetzliche Rechtsnorm zu erlassen. In der Regel gibt es keine Verpflichtung der Behörde, eine untergesetzliche Rechtsnorm zu erlassen, und damit selbstverständlich auch kein entsprechendes Recht des einzelnen. Aus diesem Grund ist diese Verpflichtungsklage zu verneinen. ___________ 32

Vgl. F. Kopp/W.-R. Schenke, VwGO, 12. Aufl. 2000, § 42, Rdnr. 13. Vgl. W.-R. Schenke, Rechtsschutz bei Divergenz von Form und Inhalt staatlichen Verwaltungshandelns, VerwArch 1981, S. 181. 34 Vgl. T. Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 267. 33

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Zusammenfassend kann man sagen, daß die Klagearten der Rechtsnatur des Verwaltungshandelns angepaßt und dadurch der Rechtsschutz des Klägers erhöht werden sollte. Der Versuch zur Eingrenzung der Klagearten in bezug auf verschiedene Verwaltungshandlungen ist dagegen zu vergleichen mit dem Versuch, verschiedene Speisen gleichzeitig in einem Topf zu kochen. Dieses von dem Entwurf zur Novellierung der KVwGO angestrebte System wird in Korea als „Unter-einem-Dach-Wohnen von drei Familien“ bezeichnet, was vor einigen Jahren der Titel eines Schauspiels im Fernsehen war. Wenn dieses Novellierungsvorhaben bezüglich der KVwGO wie geplant durchgesetzt wird, vergrößert sich die Tendenz zum Justizstaat. Danach könnte der Richter das konkrete Begehren des Klägers im Hinblick auf die Notwendigkeit der Gewährung von Rechtsschutz nach seiner eigenen Ansicht beurteilen. Im Hinblick darauf sollte die Urteilswirkung einer Gestaltungsklage auf die Aufhebung eines Verwaltungsakts beschränkt werden. Dagegen ist Gegenstand eines Normenkontrollverfahrens die Feststellung der Nichtigkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm. Nach dem Gewaltenteilungsprinzip sollte diese Feststellungsklage nicht zu einem vollstreckbaren Urteil führen. Die Klagearten sollten so geordnet werden, daß jedes denkbare Rechtsschutzbegehren des Bürgers in einer seiner Besonderheit entsprechenden Weise behandelt wird. Diese Ansicht entspricht dem Gedanken, daß der Kläger selbst entscheiden soll, was das Ziel seiner Klage ist. Zwischen den Klagearten und den Urteilswirkungen muß eine Verbindung hergestellt werden. Bei der Einordnung der Klagearten sollten das Gewaltenteilungsprinzip und die Ziele des Rechtsschutzbegehrens des Bürgers maßgeblich sein.

V. Schluß Von Art. 27 KV her betrachtet, reichen die in § 4 KVwGO geregelten Klagearten für die Durchsetzung subjektiver Rechte und damit für die Gewährung effektiven Rechtsschutzes nicht aus. Mit der Beschränkung des Rechtsschutzes auf Verwaltungsakte ist der in der Verfassung garantierte Rechtsschutz nicht ausreichend gesichert. Das Ziel einer Klage beurteilt sich nach dem Antrag, den der Kläger mit seinem Begehren vor dem Gericht gestellt hat. Das Gericht hat die tatsächlichen Rechtsschutzziele zu ermitteln. Nach der verwaltungsprozessualen Rechtstheorie darf es nicht über das gestellte Klagebegehren hinausgehen. Deswegen sollte eine Novellierung der KVwGO so ausgestaltet sein, daß die Klagearten nach dem jeweiligen Rechtsschutzbegehren der einzelnen einzuordnen sind und den verschiedenen Handlungsformen der Verwaltung angepaßt werden.

Vorläufiger Rechtsschutz im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht Von Hee Gon Kim

I. Einführung Ein jüngst ergangenes Urteil des VG Seoul hat fachliche und politische Aufmerksamkeit hervorgerufen, da es sich auf die neuerdings viel diskutierte, aber noch keineswegs voll bewältigte Problematik des so genannten „Sche-ManGum-Projekts“ bezieht, welches als Großvorhaben für die künstliche Landgewinnung am Meer von der koreanischen Regierung bereits seit 1971 bzw. 1987 geplant und seit 1991 vollzogen wird, aber insbesondere wegen der drohenden Umweltzerstörungen von Naturschutzverbänden seit 1998 in Frage gestellt wird. In seinem Urteil hatte sich das VG Seoul nicht allein mit der Frage zu befassen, ob die vom Minister für Landwirtschaft erteilte Genehmigung für die Landgewinnung am Meer nichtig ist, sondern darüber hinaus auch mit der Notwendigkeit einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 23 Abs. 2 der koreanischen Verwaltungsgerichtsordnung (KVwGO), denn die Kläger, ein Nachbar und ein Naturschutzverband, hatten nicht nur die Genehmigung des Ministers für Landwirtschaft für die Landgewinnung angefochten, sondern zugleich auch die Einstellung der Arbeiten zur Landgewinnung beantragt. Im Beschluß des VG Seoul vom 15.07.2003 wurde dem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben und damit der Vollzug der vom Minister für Landwirtschaft erteilten Genehmigung für die Landgewinnung am Meer bis zum rechtskräftigen Abschluß eines Prozesses vorläufig unterbunden. Am 04.02.2005 hat das VG Seoul schließlich die Genehmigung des Ministers für Landwirtschaft für die künstliche Landgewinnung am Meer sowohl aus ökonomischen Gründen als auch wegen der drohenden Umweltbelastungen aufgehoben.1 Eine besondere Bedeutung hat das Urteil des VG Seoul insbesondere insoweit erlangt, als es durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Einstel___________ 1 § 32 Nr. 3 des Gesetzes über die Landgewinnung sieht vor, daß der Minister für Landwirtschaft usw. die Genehmigung für die Landgewinnung vor der Vollendung der Arbeiten zurücknehmen oder verändern kann, wenn unerwartete besondere Umstände vorliegen und zugleich dies im Interesse der Allgemeinheit besonders erforderlich ist.

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lung der Arbeiten zur Landgewinnung am Meer solange angeordnet hat, bis eine endgültige Entscheidung erfolgt ist. Art. 27 Abs. 1 der koreanischen Verfassung (KV) garantiert, daß sich jedermann, der behauptet, durch Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, im Klageweg an ein Gericht wenden kann. Darüber hinaus gewährleistet Art. 27 Abs. 1 KV auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Diese verfassungsrechtliche Garantie würde dann leerlaufen, wenn die in der Hauptsache zu ergehende gerichtliche Entscheidung der ihr zugedachten Rechtsschutzfunktion deshalb beraubt werden würde, weil sie wegen des für die Durchführung des ordentlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens benötigten Zeitaufwands nicht rechtzeitig ergehen könnte.2 Um dem vorzubeugen, ermöglicht die KVwGO die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch Aussetzung gemäß § 23 Abs. 2 KVwGO. Die aufschiebende Wirkung nach § 23 Abs. 2 KVwGO dient für die Dauer eines Verfahrens dem Schutz des Bürgers gegen den Vollzug einer Entscheidung oder deren Folgen bis zum rechtskräftigen Abschluß eines Prozesses. Näher befassen werden sich die folgenden Ausführungen mit den Fragen, die sich hinsichtlich des vorläufigen Rechtsschutzes im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht stellen. Dabei wird unter II. auf die Entwicklung des vorläufigen Rechtsschutzes im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht, unter III. auf die Regelungen der §§ 23, 24 KVwGO eingegangen; unter IV. folgt eine Zusammenfassung.

II. Die Entwicklung des vorläufigen Rechtsschutzes im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht Am 24.08.1951 wurde die KVwGO auf der Grundlage des Art. 81 Abs. 1 der koreanischen Verfassung (KV) von 1948 kodifiziert. Die KVwGO von 1951, welche 14 Paragraphen und zusätzliche Regelungen enthielt, normierte den vorläufigen Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung, welche nur ausnahmsweise gelten sollte, wenn ein nicht mehr gutzumachender Schaden durch die Vollziehung des Verwaltungsakts drohte.3 Im Anschluß daran hat der koreanische Gesetzgeber mehrere Änderungsgesetze erlassen.4 Obwohl die Verwal___________ 2 Vgl. Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 644; Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 727; Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 695. 3 Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 631-633. 4 Die KVwGO wurde am 05.07.1955 (Gesetz Nr. 363) und am 02.05.1963 (Gesetz Nr. 1339) teilweise geändert. Danach wurde sie am 15.12.1984 (Gesetz Nr. 03754) in großem Umfang erneuert und verbessert. Sie enthielt nun fünf Kapitel, 46 Paragraphen und sechs zusätzliche Regelungen. Am 05.08.1985 (Gesetz Nr. 04017), am 27.07.1994

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tungsgerichtsordnung Koreas seit 1951 vielfach geändert wurde, geht sie auch heute nach wie vor davon aus, daß die Anfechtungsklage grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung hat, das Gericht diese aber ausnahmsweise anordnen kann, wenn ein nicht mehr gutzumachender Schaden durch den Vollzug des Verwaltungsakts droht.

III. Der vorläufige Rechtsschutz im koreanischen Verwaltungsprozeßrecht 1. Die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes a) Begriff und Funktion Vorläufiger Rechtsschutz stellt für die Dauer eines Verfahrens den Schutz des Bürgers gegen den Vollzug einer Entscheidung oder deren Folgen sicher oder trägt zur Sicherung eines bestimmten Rechts oder tatsächlichen Zustands bis zum rechtskräftigen Abschluß eines Prozesses bei.5 Der vorläufige Rechtsschutz bezweckt vorrangig, den Zeitraum bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, die nicht selten erst nach Jahren ergeht, zu überbrücken. Um das Klageverfahren in der Sache entscheidbar zu halten, soll durch den vorläufigen Rechtsschutz möglichst verhindert werden, daß vollendete Tatsachen geschaffen bzw. irreparable Zustände herbeigeführt werden.6 Dem vorläufigen Rechtsschutz kommt daneben auch eine objektive Funktion zu, nämlich die Funktion, die Rechtsbindung der Verwaltung insgesamt zu kontrollieren. Auch jene Rechtsbindung bedarf der wirksamen „Außenkontrolle“ durch unabhängige Richter, um den Vollzug rechtswidrigen behördlichen Handelns zu verhindern, bevor der entsprechende Prozeß abgeschlossen ist.7 Beide rechtsstaatlichen Grundfunktionen stehen in keinem prinzipiellen Gegensatz; sie ergänzen sich vielmehr gegenseitig und fördern die Effektivität des Rechtsschutzes, d.h. die Rechtzeitigkeit des Rechtsschutzes.8 Erlangt der Betroffene den Rechtsschutz nicht rechtzeitig – z.B. da die einseitig wirksame Regelung bereits irreparabel vollzogen ist oder die beantragte Erlaubnis keinen ___________ (Gesetz Nr. 04770) und am 26.01.2002 (Gesetz Nr. 06627) wurde die KVwGO noch einmal teilweise geändert. 5 Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 358; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 864. 6 Vgl. Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 644; Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 727; Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 695. 7 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2003, S. 514. 8 Vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 2003, S. 514.

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Sinn mehr macht –, läuft die Rechtsschutzgarantie des Art. 27 Abs. 1 KV leer, und zwar auch dann, wenn im nachhinein festgestellt wird, die Entscheidung sei rechtswidrig gewesen.

b) Die verfassungsrechtliche Grundlage des vorläufigen Rechtsschutzes Der vorläufige Rechtsschutz hat verfassungsrechtlichen Stellenwert. So stützt sich dieser Schutz meines Erachtens unter anderem auf die Menschenwürdegarantie, das Rechtsstaatsprinzip und die Gewährung des Grundrechtsschutzes. Als verfassungsrechtliche Grundlage für den vorläufigen Rechtsschutz ist insbesondere der Art. 27 Abs. 1 KV heranzuziehen, und zwar insoweit, als er einen Anspruch auf Zugang zu den Gerichten gewährt. Art. 27 Abs. 1 KV gewährleistet – ebenso wie Art. 19 Abs. 4 GG9 – nicht allein das Recht auf formalen Zugang zu den Gerichten, sondern auch den Anspruch des einzelnen auf Erlangung effektiven Rechtsschutzes. Art. 27 Abs. 1 KV vermittelt demnach einen grundrechtlichen Anspruch auf umfassenden und effektiven Rechtsschutz des Bürgers bei subjektiven Rechtsverletzungen der öffentlichen Gewalt. Der dort verankerte vorläufige Rechtsschutz dient dazu, die Sachlage für die Entscheidung in der Hauptsache offen zu halten und dem Bürger Schutz vor der ihm kraft Hoheitsgewalt überlegenen Verwaltung zu gewähren. Der vorläufige Rechtsschutz ist kein Geschenk des Gesetzgebers, das er nach Belieben gewähren, einschränken oder entziehen kann, sondern ist Ausprägung des verfassungsrechtlichen Gebots effektiver Rechtsschutzgewährung aus Art. 27 Abs. 1 KV. Der Bürger hat nach Art. 27 Abs. 1 KV einen Anspruch darauf, daß der Rechtsschutz effektiv ist. Es erscheint deshalb sehr zweifelhaft, ob der Ansicht des Koreanischen Obersten Gerichtshofs (KOGH) vom 26.12.196410 gefolgt werden kann, die davon ausgeht, daß Art. 27 Abs. 1 KV jedermann den gericht___________ 9 Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet auch die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes. Das Effektivitätsgebot umfasst auch die Möglichkeit, wirksamen vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen: Der Wirksamkeit des vorläufigen Rechtsschutzes dient insbesondere die in § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO vorgesehene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. § 80 VwGO ist eine einfachrechtliche Ausprägung der grundrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift müssen die Gerichte daher Art. 19 Abs. 4 GG berücksichtigen. Jedenfalls widerspräche es diesem Grundrecht, dem Interesse der öffentlichen Gewalt am Vollzug ihrer Entscheidungen stets oder auch nur regelmäßig Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Vollzugsaufschub bis zur definitiven Klärung der Rechtmäßigkeit einzuräumen. Vielmehr muß in jedem Fall eine Abwägung zwischen den beteiligten Interessen stattfinden. Vgl. BVerfG, NVwZ-RR, 1991, 365; Tettinger/Wahrendorf, Verwaltungsprozeßrecht, S. 201-202. 10 KOGH, Urt. v. 26.12.1964, Az. 64 Du 6; zustimmend Jae Uh Joo, Der vorläufige Rechtsschutz im Verwaltungsprozess, Juristische Zeitschrift (Sa Bob Non Chong), Bd. 8 (1977), S. 598.

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lichen Rechtsschutz gegen rechtswidrige Eingriffe der öffentlichen Gewalt in seine Rechte vermittelt, nicht hingegen aber die Effektivität des Rechtsschutzes gewährleistet, er also keine verfassungsrechtliche Grundlage für den vorläufigen Rechtsschutz bildet.11 Zusammenfassend kann damit festgestellt werden, daß Art. 27 KV dahingehend auszulegen ist, daß er nicht nur Rechtsschutz gegen Rechtsverletzungen durch die öffentliche Gewalt garantiert, sondern darüber hinaus auch einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz gegen jeden Akt der Exekutive gebietet, der in Rechte des Bürgers eingreift. Allerdings obliegt es dem einfachen Gesetzgeber, wie er das Regelungssystem des vorläufigen Rechtsschutzes ausgestaltet.

c) Charakter und Art des vorläufigen Rechtsschutzes aa) Charakter des vorläufigen Rechtsschutzes Der vorläufigen Rechtsschutz hat den Charakter der Vorläufigkeit, der Dringlichkeit und der Abhängigkeit vom Hauptsacheverfahren.12

(1) Vorläufigkeit Der vorläufige Rechtsschutz sichert Rechtspositionen des Bürgers „vorläufig“, d.h. solange, bis eine endgültige Entscheidung erfolgt ist. Damit dient er der vorläufigen Sicherung, nicht aber der endgültigen Regelung und Befriedigung eines Anspruchs (s. § 23 Abs. 2 S. 2 KVwGO).13

(2) Dringlichkeit Eine aufschiebende Wirkung kommt nur dann in Betracht, wenn dies zur Verhinderung eines nicht mehr gutzumachenden Schadens durch die Vollziehung des Verwaltungsakts „dringend“ erforderlich ist (s. § 23 Abs. 2 S. 1 ___________ 11

Kritisch gegenüber der Entscheidung des KOGH auch Young Hoon Ko, Das System des vorläufigen Rechtsschutzes im deutschen Verwaltungsprozeßrecht, Journal of Legislation Research, Bd. 7 (1994), S. 170, Fn. 5. 12 Vgl. Sang Kyu Rhi, Der vorläufige Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, Juristische Zeitschrift (Ko Schi Ge), Bd. 322 (1983), S. 142-143; Hyun Tae Kim, Der vorläufige Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, The Research Bulletin Ch’ang-won National University, Bd. 8, No. 2 (1986), S. 195-197. 13 Vgl. Hyun Tae Kim (Fn. 12), S. 195-196.

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KVwGO).14 Die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung kann auch ohne mündliche Verhandlung ergehen. Damit das Gericht die aufschiebende Wirkung anordnen kann, reicht es bereits aus, daß der Antragsteller Gründe glaubhaft macht, die es als dringlich erscheinen lassen, schon vor einem rechtskräftigen Abschluß des Klageverfahrens Rechtsschutz zu gewähren (vgl. § 23 Abs. 4 KVwGO).15

(3) Abhängigkeit des vorläufigen Rechtsschutzes vom Hauptsacheverfahren Der Antrag auf aufschiebende Wirkung ist nur zulässig, wenn das Hauptsacheverfahren bereits bei Gericht anhängig ist (§ 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO).16 Insoweit hängt der vorläufige Rechtsschutz vom Hauptsacheverfahren ab.17

bb) Arten des vorläufigen Rechtsschutzes Vorläufiger Rechtsschutz ist auf zwei verschiedene Arten denkbar: Der vorläufige Rechtsschutz gegen belastende Verwaltungsakte wird durch die aufschiebende Wirkung erreicht. Diese kommt also dann zur Anwendung, wenn im Hauptsacheverfahren eine Anfechtungsklage zu erheben ist. In allen übrigen Fällen, also bei allen Klagearten außer der Anfechtungsklage, kommt die einstweilige Anordnung zur Anwendung, wie sie sich in Deutschland in § 123 VwGO findet. Die KVwGO normiert allerdings lediglich in § 23 Abs. 2 den vorläufigen Rechtsschutz (gegen belastende Verwaltungsakte) durch die aufschiebende Wirkung. Die KVwGO enthält dagegen keine Vorschriften über die einstweilige Anordnung.18

2. Der vorläufige Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung gem. § 23 KVwGO Nach § 23 Abs. 1 KVwGO hat die Anfechtungsklage grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, im Gegensatz zu §§ 80, 80a VwGO.19 Die aufschie___________ 14

Vgl. Sang Kyu Rhi (Fn. 12), S. 143; ders., Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 419. KOGH, Urt. v. 18.05.1965, Az. 65 Da 174. 16 KOGH, Beschl. v. 11.11.1975, Az. 75 Nu 97. 17 Vgl. Sang Kyu Rhi (Fn. 12), S. 143; ders., Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 419. 18 Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 693. 19 Nach § 80 I 1 VwGO haben Anfechtungswiderspruch und Anfechtungsklage prinzipiell aufschiebende Wirkung. § 80 I 2 VwGO sieht vor, daß dies auch bei rechts15

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bende Wirkung gilt nur ausnahmsweise, wenn dies zur Verhinderung eines irreparablen Schadens durch den Vollzug des Verwaltungsakts dringend erforderlich ist (vgl. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO).

a) Die Regel: Keine aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage (§ 23 Abs. 1 KVwGO) aa) Bedeutung Die Anfechtungsklage hat prinzipiell keine aufschiebende Wirkung. Die Erhebung der Anfechtungsklage hat keinen Einfluß auf die Wirksamkeit und den Vollzug eines Verwaltungsakts oder auf die Fortsetzung des Verfahrens (§ 23 Abs. 1 KVwGO). § 23 Abs. 1 KVwGO, welcher den Grundsatz vom Fehlen einer aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsklage enthält, dient der Effektivität der Verwaltungstätigkeit und soll übermäßige Klagen verhindern.20

bb) Grundlage Mit § 23 KVwGO hat der Gesetzgeber ein Regelungssystem des vorläufigen Rechtsschutzes geschaffen. Danach besitzt die Anfechtungsklage prinzipiell keine aufschiebende Wirkung. Es bleibt grundsätzlich dem einfachen Gesetzgeber vorbehalten, ob er vom Fehlen einer aufschiebenden Wirkung oder von der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage ausgeht, wie sie sich z.B. in § 80 Abs. 1 der deutschen VwGO findet. Die herrschende Meinung geht heute im Einklang mit der Rechtsprechung des Koreanischen Obersten Gerichtshofs (KOGH) zu Recht von der sog. „Rechtspolitiktheorie“ aus.21 Danach soll der Gesetzgeber bezüglich seiner Entscheidung, eine aufschiebenden Wirkung einzuführen oder davon abzusehen, die freie Wahl haben; es handele sich insoweit um eine rechtspolitische Entscheidung des Gesetzgebers. Abzulehnen ist jeden___________ gestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a VwGO) gilt. 20 Vgl. Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 727; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 645; Gu Chul Kang, Die Problematik des vorläufigen Rechtsschutzes bei einer Anfechtungsklage, Kookmin Law Review, Bd. 12 (2000), S. 161. 21 Nam Jin Kim / Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 696; Doh Chang Kim, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1992, S. 793; Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 694; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 645; Hyang Ki Kim, Verwaltungsrecht, 2003, S. 521; Yun Heun Pak, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 962; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 863-864; Sang Hyun Yoo, Verwaltungsrecht I, 2002, S. 701; Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 417; Byung Tae Chun, Verwaltungsrecht II, 1997, S. 280; Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 727; Sung Soo Kim, Verwaltungsrecht I, 2000, S. 819.

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falls eine in der Literatur vertretene Gegenauffassung,22 nach der ein rechtspolitischer Spielraum des Gesetzgebers nicht bestehe, weil sich das Fehlen der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage bereits daraus ergebe, daß ein Verwaltungsakt bis zu seiner gerichtlichen Aufhebung wirksam und damit vollstreckbar sei (sog. Selbstvollstreckbarkeitstheorie).23

b) Ausnahmen vom Fehlen einer aufschiebenden Wirkung gem. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO aa) Bedeutung Um die durch Art. 27 Abs. 1 KV verfassungsrechtlich gebotene Effektivität des Rechtsschutzes zu gewährleisten, bedarf es zwingend der Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes. Es ist erforderlich, den Vollzug eines Verwaltungsakts einstweilig einzustellen, wenn irreparable Folgen durch seine sofortige Vollziehung eintreten können. Dem dient die Vorschrift des § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO. Sie sieht vor, daß das Gericht der Hauptsache auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen kann, wenn dies zur Verhinderung eines irreparablen Schadens durch die Vollziehung des Verwaltungsakts dringend erforderlich ist. Durch die aufschiebende Wirkung gem. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO soll vor Eintritt der Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsakts die Schaffung vollendeter Tatsachen verhindert werden. Die sofortige Vollziehung eines noch anfechtbaren Verwaltungsakts könnte nachträglichen gerichtlichen Rechtsschutz uneffektiv machen, da die durch den Vollzug geschaffenen vollendeten Tatsachen nur noch schwer oder überhaupt nicht mehr beseitigt werden könnten.

bb) Rechtsnatur der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung Hier bedarf die Frage nach der Rechtsnatur der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung einer Klärung. Umstritten ist dabei, ob sie sich als Rechtsprechungsakt oder Verwaltungsakt darstellt.24 Sie wird heute von der ___________ 22

s. z.B. Sche Chang Yun, Verwaltungsrecht I, 1983, S. 462. Vgl. Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 645. 24 In Deutschland ist umstritten, welche Konsequenz die aufschiebende Wirkung hat. Hier werden im wesentlichen drei Theorien vertreten, nämlich die strenge Wirksamkeitstheorie, die eingeschränkte Wirksamkeitstheorie und die sog. Vollziehbarkeitstheorie. In der Rechtsprechung herrscht die Vollziehbarkeitstheorie vor. Vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 2004, S. 32 ff. (Rdnr. 949-950). 23

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h.M.25 zu Recht als Rechtsprechungsakt angesehen, weil das Verfahren der Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 23 Abs. 2 KVwGO einen Unterfall des gerichtlichen Rechtsschutzverfahrens darstellt. Dieses soll nämlich nicht allein das Hauptsacheverfahren, sondern auch das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes umfassen. cc) Die Voraussetzungen für die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung Für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung müssen sowohl positive wie auch negative Voraussetzungen gegeben sein.

(1) Die positiven Voraussetzungen (a) Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gem. § 23 Abs. 2 KVwGO setzt die Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens voraus.26 Eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist also nur dann zulässig, wenn das Hauptsacheverfahren bereits bei Gericht anhängig ist (vgl. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO). Die aufschiebende Wirkung endet mit der Unanfechtbarkeit oder wenn die Anfechtungsklage im ersten Rechtszug abgewiesen worden ist. Umstritten ist, welche Anforderungen an die Anfechtungsklage zu stellen sind, damit das Gericht die aufschiebende Wirkung gem. § 23 Abs. 2 KVwGO anordnen kann. Dabei stellt sich nämlich die Frage, ob die aufschiebende Wirkung die Zulässigkeit des Rechtsbehelfes in der Hauptsache voraussetzt oder ob sie ohne Rücksicht auf dessen Zulässigkeit eintritt. Zu Recht geht der KOGH davon aus, daß lediglich zulässigen Rechtsbehelfen aufschiebende Wirkung zukommt.27 Hiernach entfalten Rechtsbehelfe erst dann aufschiebende Wirkung, wenn ihre Zulässigkeit feststeht. Dagegen setzt die aufschiebende Wirkung nicht voraus, daß die Anfechtungsklage auch begründet ist.28 ___________ 25

s. z.B. Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 696; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 645; Yun Heun Pak, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 965; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 869; Sang Hyun Yoo, Verwaltungsrecht I, 2002, S. 703; Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 426; Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 727. 26 KOGH, Urt. v. 14.06.1988, Az. 88 Du 6; KOGH, Beschl. v. 30.04.1980, Az. 79 Du 10. 27 Jeong Sun Hong, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 815; Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 697; KOGH, Beschl. v. 14.03.2003, Az. 2002 Mu 56. 28 KOGH, Urt. v. 11.10.1994, Az. 94 Du 35.

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(b) Das Vorliegen eines Verwaltungsakts als Gegenstand der Aussetzung gem. § 23 Abs. 2 KVwGO Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 23 Abs. 2 KVwGO ist nur dann statthaft, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt, dessen Wirksamkeit oder Vollzug durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gehemmt werden kann. Das setzt voraus, daß der Verwaltungsakt nicht gegenstandslos geworden ist, er also noch nicht erledigt oder vollzogen ist. (aa) Die aufschiebende Wirkung bei abgelehnten Verwaltungsakten Der vorläufige Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung kommt nach § 23 Abs. 2 KVwGO zur Anwendung, wenn die Klage in der Hauptsache eine Anfechtungsklage ist.29 Die Anfechtungsklage ist gem. § 4 Nr. 1 KVwGO auf die gerichtliche Aufhebung eines Verwaltungsakts gerichtet. Was unter einem Verwaltungsakt i.S. des § 4 Nr. 1 KVwGO zu verstehen ist, wird in § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVwGO geregelt. In ihr wird ein Verwaltungsakt als „die Ausübung der öffentlichen Gewalt oder ihre Ablehnung und andere hoheitliche Maßnahmen, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls trifft, sowie der Widerspruchsbescheid“ definiert. Mit der Anfechtungsklage kann damit gem. § 4 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVwGO sowohl die Aufhebung eines belastenden Verwaltungsakts als auch die Aufhebung eines „abgelehnten“ Verwaltungsakts begehrt werden.30 Der vorläufige Rechtsschutz gegen ablehnende Verwaltungsakte wird gemäß § 23 Abs. 2 KVwGO im Ausnahmefall durch die aufschiebende Wirkung erreicht. Aber hier würde diese aufschiebende Wirkung nur die Ablehnung suspendieren.31 Der Kläger wäre damit keinen Schritt weiter, obwohl bis zum Ende

___________ 29 Nach § 38 I VwGO kommt die aufschiebende Wirkung aber auch dann zur Anwendung, wenn die Klage in der Hauptsache eine Nichtigkeitsfeststellungsklage ist. 30 In Deutschland wird mit der Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO ein Anspruch auf Vornahme eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts verfolgt. Hingegen kennt die KVwGO keine Verpflichtungsklage als Klageart. Wurde beispielsweise ein Bauantrag des Klägers abgelehnt, müsste er nach erfolglosem Widerspruch die Ablehnung seines Antrages mit einer Anfechtungsklage angreifen (s. §§ 2, 4 KVwGO). Wird der Anfechtungsklage gegen einen abgelehnten Verwaltungsakt stattgegeben, dann ist mit Rechtskraft des Urteils nach § 30 Abs. 2 KVwGO der abgelehnte Verwaltungsakt unmittelbar aufgehoben und die beklagte Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsakts verpflichtet (z.B. zur Erteilung der Baugenehmigung), weil dem Kläger mit der Aufhebung eines sein Begehren ablehnenden Verwaltungsakts nicht gedient ist. 31 So auch Jeong Sun Hong, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 815-816; Kyun Sung Pak, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 857.

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des Rechtsstreits schwerwiegende Folgen drohten.32 Daher muß hier eine zusätzliche, für den Kläger positive Entscheidung des Gerichts, die einstweilige Anordnung, eine Änderung oder jedenfalls eine zusätzliche Sicherung eines Rechtszustandes bringen.33 Allerdings ist der vorläufige Rechtsschutz gegen ablehnende Verwaltungsakte ggf. im Wege einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu bewerkstelligen. Das trifft z.B. bei der Ablehnung eines Antrages auf Erneuerung einer gewerberechtlichen Genehmigung zu.34 (bb) Die aufschiebende Wirkung bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung Unter Verwaltungsakten mit Drittwirkung sind solche Verwaltungsakte zu verstehen, die eine Person begünstigen und zugleich eine andere Person belasten (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung, die in die Rechtsstellung des Nachbarn eingreift). Bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung läßt sich zwischen den Fällen, in denen der Verwaltungsakt an den Begünstigten gerichtet ist (z.B. Baugenehmigung, die in die Rechtsstellung des Nachbarn eingreift) und den Fällen, bei denen der Verwaltungsakt an den Belasteten gerichtet ist (z.B. Polizeiverfügung, die dem Schutz Dritter dient), unterscheiden. Auch bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung ist der vorläufige Rechtsschutz durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu realisieren, weil kein Grund für eine inhaltliche Differenzierung des Rechtsschutzes zwischen einem einseitig belastenden Verwaltungsakt und einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung besteht. So ist z.B. der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn gegen die Baugenehmigung durch einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu bewerkstelligen.35

(c) Zur Verhinderung eines drohenden irreparablen Schadens § 23 Abs. 2 KVwGO sieht vor, daß die aufschiebende Wirkung nur zur Verhinderung eines irreparablen Schadens, der durch den Vollzug des Verwaltungs___________ 32

Auch der KOGH geht davon aus, daß die aufschiebende Wirkung bei abgelehnten Verwaltungsakten nicht eintritt. KOGH, Beschl. v. 21.06.1995, Az. 95 Du 26; KOGH, Beschl. v. 02.05.1991, Az. 91 Du 15; KOGH, Beschl. v. 29.06.1962, Az. 62 Nu 9. 33 Vgl. Gu Chul Kang, Die Problematik vorläufigen Rechtsschutzes bei einer Anfechtungsklage, Kookmin Law Review Bd. 12 (2000), S. 169-171. 34 Jeong Sun Hong, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 816; Kyun Sung Pak, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 858. 35 Vgl. Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 733; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 701-702; Chul Young Kim/Kwang Ryool Choe, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 2004, S. 671; Nam Jin Kim, Der vorläufige Rechtsschutz bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung, Juristische Zeitschrift (Wolgan Gosi) 12/1989, S. 147-149, 153-156; ders., Grundfragen des Verwaltungsrechts, 1992, S. 616 ff.

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akts droht, angeordnet werden kann. Unter sog. „irreparablen“ Schäden sind solche Schäden zu verstehen, die nach den herrschenden sozialen Anschauungen nicht mehr gutzumachen oder durch Schadensersatz nicht auszugleichen sind. Auch der KOGH sieht einen irreparablen Schaden als einen nicht ersetzbaren Schaden an. Nicht ersetzbar ist ein Schaden nicht nur dann, wenn es unmöglich ist, den Schaden zu ersetzen, der aus dem Vollzug des Verwaltungsakts entsteht, sondern auch dann, wenn Schadenersatz allein dem Betroffenen nicht genügt.36

(d) Dringlichkeit Die Voraussetzung „dringend“ verlangt eine besondere zeitliche Nähe des Eintrittes eines nicht mehr gutzumachenden Schadens und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintrittes.37 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist damit nur dann zulässig, wenn gerichtlicher Schutz dringend erforderlich erscheint, um das Schaffen vollendeter Tatsachen zu verhindern. Die aufschiebende Wirkung kommt also nur in eilbedürftigen Fällen in Betracht, in denen es dem Antragsteller nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.

(2) Die negative Voraussetzung Eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist nicht zulässig, wenn durch sie Interessen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigt würden (s. § 23 Abs. 3 KVwGO). Das Gericht hat anhand einer Interessenabwägung über die Aussetzung der Vollziehung des Verwaltungsakts zu entscheiden. In die Interessenabwägung sind die Interessen des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung und das öffentliche Interesse an der Vollziehung einzubeziehen.38 Das Gericht muß unter Berücksichtigung des Gewichts und der Bedeutung der betroffenen Allgemeinwohlbelange,39 die im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln sind, die aufschiebende Wirkung anordnen.40 Bezüglich der Feststellung, daß durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung Allgemeinwohlbelange er___________ 36 KOGH, Beschl. v. 20.12.1999, Az. 99 Mu 42; KOGH, Beschl. v. 23.08.1998, Az. 99 Mu 15; KOGH, Beschl. v. 23.11.1995, Az. 95 Du 53; KOGH, Beschl. v. 07.06.1995, Az. 95 Du 22; KOGH, Beschl. v. 11.10.1994, Az. 94 Du 35; KOGH, Beschl. v. 24.09.1994, Az. 94 Du 42; KOGH, Beschl. v. 07.08.1992, Az. 92 Du 30; KOGH, Urt. v. 29.04.1992, Az. 92 Du 7; KOGH, Beschl. v. 23.06.1987, Az. 86 Du 18. 37 Vgl. KOGH, Beschl. v. 28.01.1971, Az. 70 Du 7; KOGH, Beschl. v. 20.01.1962, Az. 4294 Hengsang 7. 38 Vgl. Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 867. 39 KOGH, Beschl. v. 20.12.1999, Az. 99 Mu 42. 40 Vgl. Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 431.

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heblich beeinträchtigt werden, trifft den Antragsgegner, also die beklagte Behörde, die Darlegungslast und die Beweislast.41 Aus der Hilfsfunktion, welche dem vorläufigen Rechtsschutz im Verhältnis zum Hauptsacheverfahren zukommt, ergibt sich, daß die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache erhebliche Bedeutung für die gerichtliche Interessenbewertung besitzen.42 Klärungsbedürftig ist hier, ob das Gericht bei der Anordnung der aufschiebenden Wirkung die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen hat. Bei der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist einerseits auf den Gedanken des effektiven Rechtsschutzes abzustellen, andererseits sind aber auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens summarisch zu berücksichtigen.43 Soweit die summarische gerichtliche Überprüfung ergibt, daß der Antragsteller in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen.44 Die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist dagegen dann ausgeschlossen, wenn die Klage in der Hauptsache offensichtlich unbegründet ist.45

dd) Verfahren der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung Das Gericht der Hauptsache entscheidet auf Antrag eines Betroffenen oder von Amts wegen über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Der Antragsteller hat Gründe glaubhaft zu machen, welche es als dringlich erscheinen lassen, schon vor einem rechtskräftigen Abschluß des Klageverfahrens Rechtsschutz zu gewähren (vgl. § 23 Abs. 4 KVwGO). Die gerichtliche Entscheidung ___________ 41 KOGH, Beschl. v. 20.12.1999, Az. 99 Mu 42; KOGH, Urt. v. 11.10.1994, Az. 94 Du 23. 42 Kwang Ryool Choe, Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage im Verwaltungsprozeß, Studies on Public Administration Cases, Bd. 1 (1992), S. 195. 43 A.A. Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 697; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 866-867; Yun Heun Pak, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 969. 44 So auch Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 649; Jeong Sun Hong, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 817-818; Byung Tae Chun, Verwaltungsrecht II, 1997, S. 284; Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 730-731; Kyun Sung Pak, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 862; Hyun Tae Kim, Der vorläufige Rechtsschutz im Verwaltungsprozeß, The Research Bulletin Ch’ang-won National University, Bd. 8, No. 2 (1986), S. 200; Joon Hyung Hong, Verwaltungsprozeßrecht, 1996, S. 400; Gu Chul Kang, Die Problematik vorläufigen Rechtsschutzes bei einer Anfechtungsklage, Kookmin Law Review, Bd. 12 (2000), S. 162-163; Kwang Ryool Choe, Die aufschiebende Wirkung von Anfechtungsklagen im Verwaltungsprozeß, Studies on Public administration Cases, Bd. 1 (1992), S. 195. 45 KOGH, Urt. v. 28.04.1997, Az. 96 Du 75; KOGH, Urt. v. 26.11.1999, Az. 99 Bu 3; KOGH, Urt. v. 10.03.1998, Az. 97 Du 63; KOGH, Urt. v. 11.10.1994, Az. 94 Du 23.

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über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kann auch ohne eine mündliche Verhandlung ergehen. Das Gericht kann aber die Beteiligten anhören. Bei der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung wird nicht die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts, sondern die Frage überprüft, ob die Voraussetzungen dafür vorliegen, daß das Gericht die aufschiebende Wirkung nach § 23 Abs. 2 KVwGO anordnen kann.46

ee) Inhalt und Wirkung der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung (1) Inhalt Durch die gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung wird die Wirksamkeit und der Vollzug eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise bis zum rechtskräftigen Abschluß des Prozesses in der Hauptsache aufgeschoben. Die aufschiebende Wirkung darf aber als vorläufige Regelung das im Hauptprozeß Erreichbare grundsätzlich nicht vorwegnehmen (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache). Anderenfalls hätte der Betroffene schon durch die aufschiebende Wirkung erreicht, was er erst durch die Entscheidung in der Hauptsache erlangen möchte. Dementsprechend sieht § 23 Abs. 2 S. 2 KVwGO vor, daß das Gericht die aufschiebende Wirkung dann nicht anordnen darf, wenn durch diese das Klageziel erreichbar wäre.

(2) Rechtsfolgen der aufschiebenden Wirkung Die Wirkung des Suspensiveffekts besteht bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung.47 Umstritten ist hierbei, welche Rechtsfolge der Eintritt der aufschiebenden Wirkung hat. Meines Erachtens wird durch die gerichtliche Entscheidung über die aufschiebende Wirkung die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bis zur bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über ihn aufgeschoben; der Verwaltungsakt wird also erst zum Zeitpunkt dieser Entscheidung wirksam. Die gerichtliche Entscheidung über die aufschiebende Wirkung bindet, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist, die Beteiligten und auch andere Behörden (vgl. § 30 Abs. 1 i.V.m. § 23 Abs. 6 KVwGO). Die Rechts___________ 46 Vgl. KOGH, Urt. v. 28.04.1997, Az. 96 Du 75; KOGH, Urt. v. 07.08.1992, Az. 92 Du 30. 47 KOGH, Urt. v. 27.05.1954, Az. 4286 Hengsang 25.

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kraftbindung der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung erstreckt sich auch auf Dritte (vgl. § 29 Abs. 2 KVwGO). Hier stellt sich die Frage, ob die aufschiebende Wirkung rückwirkend mit dem Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts eintritt.48 Meines Erachtens tritt die aufschiebende Wirkung grundsätzlich erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Anordnung ex nunc ein. Soweit der Suspensiveffekt die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts hemmt (z.B. bei der Entlassung eines Beamten), tritt die aufschiebende Wirkung aber ausnahmsweise rückwirkend (ex tunc) ein.49

ff) Aufhebung der gerichtlichen Entscheidung über die aufschiebende Wirkung Das Gericht kann die Entscheidung über die aufschiebenden Wirkung auf Antrag eines Beteiligten oder von Amts wegen durch Beschluss aufheben, wenn die aufschiebende Wirkung die Interessen der Allgemeinheit erheblich beeinträchtigt oder kein Anordnungsgrund mehr vorliegt (s. § 24 Abs. 1 KVwGO). Stellt ein Beteiligter einen Antrag auf Aufhebung der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung, so muß er die Gründe glaubhaft machen.

gg) Beschwerde Gegen eine Entscheidung des Gerichts über die aufschiebende Wirkung oder ihre Aufhebung steht den Beteiligten die Beschwerde zu (s. §§ 23 Abs. 5 S. 1, 24 Abs. 2 KVwGO). Allerdings hat die Beschwerde dabei keine aufschiebende Wirkung (s. §§ 23 Abs. 5 S. 2, 24 Abs. 2 KVwGO).

3. Der vorläufige Rechtsschutz durch eine einstweilige Anordnung a) Einstweilige Verfügung in analoger Anwendung des § 300 KZVollstrG? Der vorläufige Rechtsschutz besteht aus zwei Arten, nämlich dem System der aufschiebenden Wirkung und der einstweiligen Anordnung im Zivilprozeßrecht. ___________ 48

Vgl. hierzu ausführlich Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 433. So auch Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 871; Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 702-703; Yeon Tae Kim, Der vorläufige Rechtsschutz im Verwaltungsprozeßrecht – Unter besonderer Berücksichtigung des Inhalts und Folgen der aufschiebenden Wirkung, Public Law, Bd. 33 (2004), S. 626, 631. 49

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Die KVwGO enthält keine Vorschriften über die einstweilige Anordnung, wie sie sich z.B. in § 123 der deutschen VwGO findet. § 8 Abs. 2 KVwGO sieht nur vor, daß das koreanische Gerichtsverfassungsgesetz (KGVG) und die koreanische Zivilprozeßordnung (KZPO) sowie das koreanische Zivilvollstreckungsgesetz (KZVollstrG) entsprechend gelten, soweit die Verwaltungsgerichtsordnung keine Vorschriften über das Verfahren enthält. § 300 Abs. 1 KZVollstrG regelt – entsprechend § 935 ZPO in Deutschland – die einstweilige Verfügung zur Sicherung eines Individualanspruchs, die sog. Sicherungsverfügung. Danach sind einstweilige Verfügungen in bezug auf den Streitgegenstand zulässig, wenn zu besorgen ist, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Rechts einer Partei vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. § 300 Abs. 2 KZVollstrG betrifft – entsprechend § 940 ZPO in Deutschland – die einstweilige Verfügung zur Regelung eines Rechtsverhältnisses, die sog. Regelungsanordnung. Danach sind einstweilige Verfügungen auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gefahr oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Kontrovers diskutiert wird in der Literatur, aber auch in der Rechtsprechung, ob § 300 KZVollstrG, der die einstweilige Verfügung im Zivilprozeß regelt, auf den verwaltungsprozessual zu gewährenden vorläufigen Rechtsschutz analog anzuwenden ist. Nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung läßt sich § 300 KZVollstrG schon deshalb nicht entsprechend anwenden, weil die §§ 23 ff. KVwGO, die die aufschiebende Wirkung regeln, als leges speciales den § 300 KZVollstrG verdrängen.50 Dem hat sich auch der KOGH angeschlossen.51 Demgegenüber bejahen Teile der Literatur eine analoge Anwendung des § 300 KZVollstrG, weil Art. 27 Abs. 1 KV nicht nur das Recht auf formalen Zugang zu den Gerichten gewährleiste, sondern darüber hinaus auch die Effektivität des Rechtsschutzes garantiere. Hierfür spreche auch, daß § 8 Abs. 2 KVwGO „ausdrücklich“ regele, daß das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung sowie das Zivilvollstreckungsgesetz entsprechend gälten, so___________ 50

So Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 737; Won Woo Seu, Verwaltungsrecht I, 1983, S. 842; Yun Heun Pak, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 973; Kyun Sung Pak, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 866; Sang Hyun Yoo, Verwaltungsrecht I, 2002, S. 706; Gu Chul Kang, Die Problematik vorläufigen Rechtsschutzes bei einer Anfechtungsklage, Kookmin Law Review, Bd. 12 (2000), S. 170; Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 701. 51 KOGH, Beschl. v. 23.11.1965, Az. 65 Du 11; KOGH, Beschl. v. 29.05.1967, Az. 67 Ma 311; KOGH, Beschl. v. 30.12.1975, Az. 74 Ma 446; KOGH, Beschl. v. 22.12.1980, Az. 80 Du 5; KOGH, Beschl. v. 06.07.1992, Az. 92 Ma 54.

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weit die Verwaltungsgerichtsordnung keine eigenen Vorschriften über das Verfahren enthalte.52 Meines Erachtens scheidet eine analoge Anwendung des § 300 KZVollstrG zur einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen von Verwaltungsprozeß und Zivilprozeß zwar grundsätzlich aus. Soweit aber vorläufiger Rechtsschutz im Wege einer Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht effektiv zu erreichen ist, besteht eine Rechtsschutzlücke, die mittels einer Analogie zu § 300 KZVollstrG zu schließen ist. Vorläufiger Rechtsschutz ist also ausnahmsweise dann in Form der einstweiligen Verfügung gemäß § 300 KZVollstrG zu gewähren, wenn die Vorschriften der §§ 23 ff. KVwGO nicht ausreichen.53 Allerdings halte ich es rechtspolitisch für erforderlich, eine eigene Vorschrift über die einstweilige Verfügung in der VwGO zu schaffen.

b) Zur möglichen Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung über die einstweilige Anordnung in Anlehnung an § 123 VwGO Bei der Ausgestaltung der neu zu schaffenden Regelung könnte die deutsche VwGO, die die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes – einerseits durch Aussetzung gem. § 80 VwGO (Eintritt oder Herstellung bzw. Wiederherstellung des Suspensiveffekts), andererseits durch einstweilige Anordnung gem. § 123 VwGO – ermöglicht, interessante Hinweise für die Entwicklung des koreanischen Verwaltungsprozeßrechts geben. Zu beachten ist dabei, daß das System des vorläufigen Rechtsschutzes der deutschen VwGO auf einer exakten Ausrichtung an der Klageart beruht. So sichert die einstweilige Anordnung den vorläufigen Rechtsschutz bei allen Klagearten außer der Anfechtungsklage (§ 123 Abs. 5 VwGO). Sie erstreckt sich damit u.a. auf die Verpflichtungsklage, die allgemeine Leistungsklage und die allgemeine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage. Die KVwGO kennt aber keine Verpflichtungsklage als Klageart. Auch die Rechtsprechung hat die in der KVwGO nicht ausdrücklich geregelte Verpflichtungsklage als nicht zulässig angesehen.54 Soweit die KVwGO keine Verpflichtungsklage als Klageart kennt, bei der die einstweilige Anordnung den vorläufi-

___________ 52 Sang Kyu Rhi, Verwaltungsprozeßrecht, 1985, S. 437; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 645. 53 So auch Nam Jin Kim/Yeon Tae Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 705; Jeong Sun Hong, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 822; Jee Tai Ryu, Verwaltungsrecht, 2003, S. 511; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 2005, S. 875. 54 KOGH, Urt. v. 23.05.1989, Az. 88 Nu 8135.

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gen Rechtsschutz sichert, ist es kaum sinnvoll, durch eine positivgesetzliche Normierung die einstweilige Anordnung neu zu schaffen.55

IV. Zusammenfassung 1. Die Bedeutung des vorläufigen Rechtsschutzes Vorläufiger Rechtsschutz stellt für die Dauer eines Verfahrens den Schutz des Bürgers gegen den Vollzug eines bereits erlassenen Verwaltungsakts oder deren Folgen sicher oder dient der Sicherung eines bestimmten Rechts oder eines tatsächlichen Zustands solange, bis eine bestands- oder rechtskräftige Entscheidung erfolgt ist.

2. Die verfassungsrechtliche Grundlage des vorläufigen Rechtsschutzes Art. 27 Abs. 1 KV ist so zu verstehen, daß er nicht nur ein Recht auf formalen Zugang zu den Gerichten, sondern darüber hinaus auch einen Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz gewährt. Um die durch Art. 27 Abs. 1 KV verfassungsrechtlich gebotene Effektivität des Rechtsschutzes zu gewährleisten, bedarf es zwingend der Möglichkeit eines vorläufigen Rechtsschutzes.

3. Der vorläufige Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung gem. § 23 KVwGO 1. Die KVwGO normiert in § 23 Abs. 2 nur den vorläufigen Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung. Sie enthält keine Vorschriften über die einstweilige Anordnung. 2. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 KVwGO hat die Anfechtungsklage grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, im Gegensatz zu § 80 Abs. 1 der deutschen VwGO. Die aufschiebende Wirkung gilt nur ausnahmsweise, wenn dies zur Verhinderung eines irreparablen Schadens durch die Vollziehung des Verwaltungsakts dringend erforderlich ist (s. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO). 3. Die grundsätzlich aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zwingend geboten. Es obliegt vielmehr dem einfachen Gesetzgeber, ob er vom Fehlen der aufschiebenden Wirkung oder von der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung einer Anfech___________ 55 Ha Joong Cung, Verwaltungsrecht I, 2004, S. 737; Chul Yong Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 654.

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tungsklage ausgeht, wie sie sich z.B. in § 80 Abs. 1 der deutschen VwGO findet. 4. Die aufschiebende Wirkung darf als vorläufige Regelung das im Hauptprozeß Erreichbare grundsätzlich nicht vorwegnehmen (sog. Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache, § 23 Abs. 2 S. 2 KVwGO). 5. Vorläufiger gerichtlicher Rechtsschutz gem. § 23 Abs. 2 KVwGO setzt die Rechtshängigkeit des Hauptsacheverfahrens voraus (vgl. § 23 Abs. 2 S. 1 KVwGO). Während der Eintritt der aufschiebenden Wirkung voraussetzt, daß die Anfechtungsklage zulässig ist, kann sie dagegen nicht von der Begründetheit des Rechtsbehelfs abhängen. 6. Das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach § 23 Abs. 2 KVwGO ist nur dann zulässig, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt, dessen Wirksamkeit oder Vollzug durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung gehemmt werden kann. Das setzt voraus, daß der Verwaltungsakt nicht gegenstandslos geworden ist, er also noch nicht erledigt oder vollzogen ist. 7. Auch bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung ist vorläufiger Rechtsschutz durch die aufschiebende Wirkung zu realisieren, weil kein Grund für eine inhaltliche Differenzierung des Rechtsschutzes zwischen einem einseitig belastenden Verwaltungsakt und einem Verwaltungsakt mit Drittwirkung besteht. 8. Der vorläufige Rechtsschutz gegen ablehnende Verwaltungsakte ist aber durch die aufschiebende Wirkung gem. § 23 Abs. 2 KVwGO nicht zu erreichen. Hier würde diese aufschiebende Wirkung nur die Ablehnung suspendieren. Der Kläger wäre aber keinen Schritt weiter, obwohl bis zum Ende des Rechtsstreits schwerwiegende Folgen drohten. Daher muß hier eine zusätzliche, für den Kläger positive Entscheidung des Gerichts, die einstweilige Anordnung, eine Änderung oder jedenfalls eine zusätzliche Sicherung eines Rechtszustandes bringen. 9. Unter sog. „irreparablen“ Schäden sind solche Schäden zu verstehen, die nach den herrschenden sozialen Anschauungen nicht mehr gutzumachen oder durch den Schadensersatz nicht auszugleichen sind. 10. Bei der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist einerseits auf den Gedanken des effektiven Rechtsschutzes abzustellen, sind andererseits aber auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens summarisch zu berücksichtigen. Soweit die gerichtliche Überprüfung ergibt, daß der Antragsteller in der Hauptsache offensichtlich Erfolg haben wird, ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist hingegen dann ausgeschlossen, wenn die Klage in der Hauptsache offensichtlich unbegründet ist.

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11. Für eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung müssen sowohl positive wie auch negative Voraussetzungen gegeben sein. Sie ist nämlich an das Vorliegen strenger Voraussetzungen gebunden. Deren Vorliegen erscheint in vielen Fällen zweifelhaft. An den hohen Anforderungen, die an eine gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung gestellt werden, droht die Erreichung der Ziele des vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls z.T. zu scheitern.

4. Der vorläufige Rechtsschutz durch die einstweilige Anordnung 1. Eine analoge Anwendung des § 300 KZVollstrG, der die einstweilige Verfügung im Zivilverfahren regelt, scheidet grundsätzlich im Hinblick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen von Verwaltungs- und Zivilprozeß aus. Vorläufiger Rechtsschutz ist allerdings dann ausnahmsweise in der Rechtsform der einstweiligen Verfügung gem. § 300 KZVollstrG zu gewähren, wenn die Vorschriften der §§ 23 ff. KVwGO nicht ausreichend sind. 2. Im Zusammenhang mit dem vorläufigen Rechtsschutz durch die einstweilige Anordnung besteht Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Insoweit wäre es dann auch rechtspolitisch geboten, neben der einstweiligen Anordnung auch die Verpflichtungsklage einzuführen.

Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle in Deutschland Von Josef Ruthig

I. Einleitung Das Grundproblem, das sich jeder Rechtsordnung stellt und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem Dauerbrenner der juristischen Diskussion wurde, ist dasjenige nach dem Zweck des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen Verwaltungshandeln. Zwei grundsätzliche und in ihrem Ansatz diametral entgegengesetzte Antworten, die im Titel bereits anklingen, sind möglich und haben mittelbaren Einfluss auf die Rechtsstellung des Bürgers. Zum einen kann die gerichtliche Überprüfung von Verwaltungshandeln als objektive Rechtmäßigkeitskontrolle ausgestaltet sein. Primäres Motiv für die Kontrolle ist bei diesem Modell die Gewährleistung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Dies ist im wesentlichen Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips, das in allen modernen Verfassungsrechtsordnungen enthalten ist. Der Einzelne wird reflexartig (mit)geschützt. Als prominentes Beispiel für diesen Ansatz wird das französische Verwaltungsrecht angeführt. Zwar kennt auch dieses das Institut der Klagebefugnis: Ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung des zentralen Rechtsbehelfes, des „recours pour excès de pouvoir“, ist ein klägerischer „intérêt donnant qualité d’agir“, das in etwa mit dem „Kontrollinteresse“ nach § 47 Abs. 2 VwGO aF verglichen werden kann.1 Angesichts der im Vergleich zum deutschen Verwaltungsprozess deutlich geringeren Anforderungen an den Nachweis dieses Interesses ergeben sich aber nur wenige Beschränkungen der Zulässigkeit solcher Klagen. Ein ähnliches Konzept entwickelte sich in den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den USA, wo man beispielsweise jedem, der ein Recht auf ungetrübten Naturgenuss geltend machte, die Klagebefugnis gegen alle auch nur mittelbar umweltrelevanten behördlichen Maßnahmen zuerkannte. Jurastudenten klagten mit Erfolg gegen eine Maßnahme der Interstate Commerce Commission, die im Ergebnis zu mehr Müll in der Umge___________ 1 s. im deutschen Schrifttum unter rechtsvergleichenden Aspekten Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 196 ff.

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bung von Washington geführt hätte, wo die Studenten ihre Freizeit verbrachten.2 Ein ähnlich weites Konzept wird häufig auch dem EuGH unterstellt.3 Es lag aber auch in Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts v. Gneists Konzept des Verwaltungsprozesses zugrunde.4 Nach dem Gegenmodell ist der Rechtsschutz des Bürgers das entscheidende Motiv. Wenn – aber auch nur wenn – dieser durch staatliches Verwaltungshandeln in seinen subjektiven Rechten betroffen ist, hat er einen Anspruch auf gerichtliche Kontrolle. Der Schutz subjektiver Rechte, vor allem der Grundrechte, ist der eigentliche Beweggrund für die Verwaltungskontrolle. Als Beispiel hierfür gilt das deutsche Recht.5

1. Der Grundsatz: subjektiver Rechtsschutz Der deutlichste Hinweis auf dessen subjektivrechtlichen Charakter findet sich in der prozessrechtlichen Bestimmung des § 42 Abs. 2 VwGO, der ausdrücklich normiert, dass die Klage nur zulässig ist, „... wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.“ Diese Norm ist in direkter oder analoger Anwendung für fast alle Verfahrensarten der Verwaltungsgerichtsbarkeit anwendbar6 und verfolgt eine doppelte Zielsetzung.7 Das Erfordernis einer Klagebefug___________ 2 s. United States v. Students Challenging Regulatory Agency Procedures (SCRAP), 412 U.S. 669, 686-88 (1973); vgl. auch Scenic Hudson Preservation Conference v. Federal Power Commission, 354 F.2d 608, 615-17 (2d Cir. 1965). Ausführlich im deutschen Schrifttum Ehlers, VerwArch 84 (1993), 139. 3 s. dazu im deutschen Schrifttum näher Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 200; Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S. 114 f.; Woehrling, NVwZ 1999, 502. 4 Vgl. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 79 ff. Zu den Gemeinsamkeiten des Ansatzes v. Gneists mit dem französischen Recht s. Rupp, FS Badura (2004), S. 995 (1003). 5 Die Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht und die Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes geht maßgeblich zurück auf G. Jellinek und O. Bühler, s. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905; Bühler, Die subjektiven Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung (1914); ders., Zur Theorie des subjektiven öffentlichen Rechts, FS Fleiner (1927), S. 26; ders., Altes und Neues über den Begriff und die Bedeutung der subjektiven öffentlichen Rechte, GS W. Jellinek (1955), S. 269; s. ausführlich zu den historischen Grundlagen Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, 1997, S. 56 ff. 6 s. schon den Beitrag von Würtenberger, S. 67 ff. An dieser Stelle spielt auch der Streit um die analoge Anwendung auf die Feststellungsklage keine Rolle. Die zutreffende Kritik (s. vor allem Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 410, 414) an der Analogie basiert im wesentlichen darauf, dass der von § 42 Abs. 2 VwGO verfolgte Zweck dort auf anderem Weg erreicht wird, es also an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke fehlt. Ausgeklammert bleiben im Folgenden die objektiven Beanstan-

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nis dient nicht nur dem Ausschluss von Popularklagen, sondern auch der sogenannten Interessentenklagen. Nicht schon jedes Interesse wirtschaftlicher, ideeller oder sonstiger Art genügt, um dem Bürger die Erhebung einer Klage zu ermöglichen; es muss die Möglichkeit einer Rechtsverletzung bestehen. Der Kläger muss seine Rechte auch selbst geltend machen. Die aus dem Zivilprozess vertraute Prozessstandschaft, also die Möglichkeit, im Prozess die Rechte anderer geltend zu machen, kennt die VwGO nicht.8 Damit ist eine Systementscheidung gefallen, die auch für die nähere Ausgestaltung der gerichtlichen Prüfung relevant wird.9 Ihre konsequente Fortsetzung findet die Klagebefugnis in der Beschränkung der materiellen Prüfungskompetenz des Gerichts, das beispielsweise einen Verwaltungsakt nur aufhebt, wenn er rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Unterliegt es also keinem Zweifel, dass die VwGO grundsätzlich dem Modell des subjektiven Rechtsschutzes folgt, sind spätestens seit Inkrafttreten der VwGO Forderungen nach Alternativen entweder primär rechtshistorisch oder rechtspolitisch begründet. Erst im gemeinschaftsrechtlichen Kontext wurde daraus wieder eine Rechtsfrage. Der rechtsvergleichende „Blick über die Grenze“ schien die alten Forderungen nach einer Reform des Verwaltungsprozessrechts zu stützen. Man diagnostizierte vor allem in den neunziger Jahren sehr häufig einen „Entwicklungsrückstand“ des deutschen Verwaltungsprozessrechts10 und stimmte ein in die im Zusammenhang mit dem Entwurf einer VwPO schon ein Jahrzehnt zuvor bekräftigte Forderung nach einer Abschaffung dieser, so Rupp, „überlieferten Eigenheit des Verwaltungsprozesses, an die sich Gerichte und Kommentarliteratur zwar gewöhnt haben, die sich auch noch gelegentlich eines gewissen Argumentationsinteresses erfreut, auf die man aber besser verzichten sollte und könnte“.11

___________ dungsverfahren, die das deutsche Verfassungs- und Verwaltungsprozessrecht insbes. im Zusammenhang mit Normenkontrollen anerkennt und die auch das Gemeinschaftsrecht bei der Nichtigkeitsklage der Kommission bzw. von Mitgliedsstaaten vorsieht. 7 s. auch Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozess (1979). 8 Insoweit schließt § 42 Abs. 2 VwGO einen Rückgriff auf die allgemeinen Grundsätze aus, s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 490. 9 Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 214. 10 Besonders deutlich Woehrling, VBlBW 1998, 134 (136); ders., NVwZ 1998, 462 (464). Insbesondere im Zusammenhang mit der Klagebefugnis wird dieser angebliche Rückstand herausgestellt, vgl. den Überblick bei Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 17 ff.; Schoch, NVwZ 1999, 457. 11 So schon Rupp, DVBl. 1982, 144 (145).

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2. Ausnahmen Die Darstellung des geltenden deutschen Verwaltungsprozessrechts wäre jedoch unvollständig ohne einen Hinweis auf die Ausnahmen. Eine Verletzung in subjektiven Rechten muss der Kläger nämlich nach § 42 Abs. 2 VwGO nur geltend machen, „soweit gesetzlich nichts anders bestimmt ist“. Solche ausdrücklich normierten Ausnahmen gibt es in der deutschen Rechtsordnung freilich eine ganze Menge, etwa – um einen der jüngsten Fälle zu nennen – im Behindertengleichstellungsgesetz, das im Zusammenhang mit den Anforderungen an einen barrierefreien Zugang zu Gaststätten nach § 4 Abs. 1 Nr. 2a GastG ein Verbandsklagerecht eingeführt hat.12 Andere Fälle, etwa ein Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine, wie es ein Antrag der früheren Landesregierung SchleswigHolsteins vorsah,13 konnten sich nicht durchsetzen. Die wohl bekanntesten Fälle finden sich im Umweltrecht. Dort hat – als vorläufiger Abschluss einer jahrzehntelangen Entwicklung – § 61 BNatSchG auf Bundesebene die sog. altruistische Verbandsklage eingeführt.14 Danach können anerkannte Naturschutzverbände die Verletzung bestimmter materiellrechtlicher Vorschriften geltend machen, ohne dartun zu müssen, durch die angegriffene Maßnahme in eigenen Rechten verletzt zu sein.15 Ein weiteres Beispiel wird mit der Umsetzung der neuen EU-Haftungsrichtlinie folgen. Die Richtlinie 2004/35/EG über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden räumt im Zusammenhang mit Umweltkatastrophen (z. B. Tankerunglücken) nicht nur Privaten, die eine Rechtsverletzung geltend machen, das Recht ein, die zuständige Behörde auf Einschreiten zu verklagen, sondern fingiert in Art. 12 Abs. 1 und Art. 13 ein solches Interesse für bestimmte Organisationen.16 Die genannten Beispiele illustrieren die Motive, die der Gesetzgeber mit solchen objektiven Beanstandungsverfahren verfolgt. Es geht um das, was man im US-amerikanischen Recht seit etwa 1940 mit „public interest litigation“ bezeichnet, also die Durchführung eines Rechtsstreits im „öffentlichen Interesse“, ___________ 12 s. auch Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 311; Pöltl, GewArch 2003, 231. Zu verfassungsrechtlichen Bedenken des Bundesrates s. BRDrucks. 928/01, S. 8. 13 Vgl. den Gesetzesantrag Schleswig-Holsteins v. 19.02.2004, BR-Drucks. 157/04. 14 s. zu § 61 idF des BNatSchNeuregG vom 25.03.2002 unter anderem Gellermann, NVwZ 2002, 1022 (1032); zum weiteren Umsetzungsbedarf Ekardt/Pöhlmann, NVwZ 2005, 532. Zur Deutung des § 61 BNatSchG als „andere Bestimmung“ im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 527 m. w. Nachw. 15 Beachtung verdient der Umstand, dass der Bundesgesetzgeber insofern von seiner konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG keinen abschließenden Gebrauch gemacht hat und Raum lässt für weitergehende Klagerechte im Landesrecht, § 61 Abs. 5 BNatSchG. 16 s. zur EU-Umwelthaftungsrichtlinie etwa Knopp, UPR 2005, 361; zur erweiterten Klagebefugnis dort auf S. 363.

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nicht um subjektiven Rechtsschutz des Klageberechtigten, sondern um seine Indienstnahme als „privater Staatsanwalt“.17 Dies betrifft nicht nur Belange des Umweltschutzes, sondern – wie das gaststättenrechtliche Beispiel zeigte – auch die Rechte von Minderheiten bzw. sozial benachteiligten Gruppen. Verbandsklagerechte sollen diesen öffentlichen Interessen, für die sich aus ganz unterschiedlichen Gründen sonst vielleicht kein Kläger finden würde, zur Durchsetzung verhelfen und so auch die häufig beklagten Vollzugsdefizite abbauen. Je allgemeiner diese Interessen definiert sind, desto stärker nivellieren sich die Grenzen zwischen einer solchen Interessenten- und einer reinen Popularklage. Verfassungsrechtlich unzulässig ist eine solche Erweiterung der Klagemöglichkeit selbstverständlich nicht, sofern sie auf gesetzlicher Grundlage erfolgt.18 Dennoch ist die Einführung einer Verbandsklage, wie die folgenden Überlegungen zeigen sollen, keine rein rechtspolitische Entscheidung. Sie hat die verfassungsrechtliche Grundentscheidung für den subjektiven Rechtsschutz – und nur für diesen Fall stellt sich die Problematik einer altruistischen Verbandsklage überhaupt – zu beachten, muss also immer die Ausnahme bleiben. Außerdem sieht sich der Gesetzgeber einer Darlegungslast ausgesetzt: Aus dem Blickwinkel des um eine Schutzoptimierung bemühten Gesetzgebers bedarf es ihrer nämlich nur, wenn und soweit das Modell des subjektiven Rechtsschutzes überhaupt Lücken aufweist. Eine angemessene Antwort auf diese Frage erfordert eine vertiefte Befassung mit dem Grundmodell subjektiven Rechtsschutzes im deutschen Recht. Dabei wird sich das Verhältnis von subjektivem Rechtsschutz und objektiver Kontrolle als weitaus komplexer erweisen, als es zunächst den Anschein hatte.

___________ 17 Diese Formulierung und das dahinterstehende Modell entwickelte sich in den USA schon in den vierziger Jahren, vgl. nur Associated Indus. v. Ickes, 134 F.2d 694, 704 (2d Cir. 1943), vacated on suggestion of mootness, 320 U.S. 707 (1943) zum standing einer Verbrauchergruppe unter dem Bituminous Coal Act of 1937: „Congress can constitutionally enact a statute conferring on any non-official person, or on a designated group of non-official persons, authority to bring a suit to prevent action by an officer in violation of his statutory powers. ... Such persons, so authorized, are, so to speak, private Attorney Generals“. 18 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 9, 271 m. w. N.; Wahl/Schütz, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 42 Abs. 2, Rn. 38.

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II. Das Grundmodell des subjektiven Rechtsschutzes 1. Seine einfachgesetzliche Ausprägung in der in der VwGO: Die Schutznormtheorie Die Klagebefugnis knüpft an die mögliche19 Verletzung eines subjektiven Rechtes20 an. Von einem subjektiven Recht in diesem Sinne ist nach der heute herrschenden Auffassung dann auszugehen, wenn die Norm ein Interesse eines Rechtssubjektes schützen soll und diesem zur Durchsetzung eine Rechts- oder Willensmacht eingeräumt ist.21 Ob eine Norm eine Schutznorm in diesem Sinne darstellt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Diese hat vom Wortlaut auszugehen, systematische, aber vor allem auch teleologische Aspekte einzubeziehen. Den geringsten Stellenwert nimmt – wie auch sonst und entgegen der älteren Schutznormtheorie – der Wille des historischen Gesetzgebers ein. Damit erweist sich die Schutznormtheorie, so Schmidt-Aßmann, als „Sammelbezeichnung für einen Kanon von Methoden und Regeln, nach denen der subjektivrechtliche Gehalt eines Rechtssatzes erschlossen werden soll“.22 Die Auslegung der einschlägigen Vorschriften ist eine Frage des materiellen Rechts. Das Pro-

___________ 19 Die Anforderungen an die Substantiiertheit des klägerischen Vorbringens werden von der h. M. als „Möglichkeitstheorie“ bezeichnet: Die behauptete Rechtsverletzung muss möglich erscheinen, was nur dann nicht der Fall ist, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise die vom Kläger behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können, s. stellvertretend BVerwGE 95, 334; Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 66. Praktisch entscheidet gerade dieser Aspekt die klägerische Darlegungslast. Die verwaltungsprozessuale Diskussion wiederholte sich im Vergaberecht, s. dazu näher unten bei Fn. 90. 20 An dieser Stelle offen bleiben muss die Frage, inwieweit auch Organrechte als subjektive Rechte in Betracht kommen oder jedenfalls wie solche behandelt werden, s. ausf. Roth, Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten (2001). Dies wird nicht nur in den sogenannten Kommunalverfassungsstreitigkeiten relevant (s. dazu Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 228 f.; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21), sondern auch im Zusammenhang mit der mittelbaren Staatsverwaltung, s. dazu näher den Beitrag von Graulich, S. 231 ff. (247 ff.); dort verlangt das BVerwG die ausdrückliche gesetzliche Einräumung einer Rechtsposition, s. BVerwGE 120, 255; überzeugend ist es jedoch angesichts des verfassungsrechtlichen Zusammenhangs von Zwangsmitgliedschaft und Partizipationsbefugnissen, die Organrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG herzuleiten, s. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 110. 21 s. ausführlich Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 83; Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 495 ff. 22 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 128. Dennoch darf ihre Bezeichnung als „Theorie“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Konsequenzen im Einzelnen keinesfalls so klar sind, wie es zunächst den Anschein hat. Dies gilt – jedenfalls im Zusammenhang mit den faktischen Grundrechtseingriffen – selbst für die scheinbar selbstverständliche Adressatentheorie, s. dazu ausf. Gurlit, Die Verwaltung 1995, 449.

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zessrecht wird an eine materiellrechtliche Norm, die als drittschützend qualifiziert wird, immer die Klagebefugnis knüpfen. Immer wieder beschäftigt die Klagebefugnis die Gerichte. Können beispielsweise Fischer gegen die Verklappung von Dünnsäure in der Nordsee23 oder gegen die Errichtung von Off-Shore-Windparks24 klagen? Hat ein Bürger einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch auf Einschreiten von Aufsichtsbehörden, die beispielsweise die Kommunen,25 die Rundfunkanstalten26 und bestimmte Wirtschaftssubjekte wie Banken oder Versicherungen27 und Telekommunikationsunternehmen beaufsichtigen? Je häufiger diese Frage mit „Nein“ beantwortet wird, desto plausibler wird die Behauptung der Rückständigkeit des deutschen Rechts und der Vorzüge des vermeintlich modernen, weil bürgerfreundlicheren objektiven Modells. Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass diese Behauptung nicht nur voreilig, sondern schlichtweg falsch ist und weder der Ausgangspunkt noch die daraus gezogenen Konsequenzen überzeugen können. Die Überlegungen sollen aber den Blick vor allem darauf richten, dass dieses Thema in seiner grundsätzlichen Bedeutung kaum überschätzt werden kann, indem es auf die Grundfrage des Verwaltungsrechts überhaupt zurückverweist: Die Ausgestaltung des gerichtlichen Rechtsschutzes entscheidet nicht nur über die Rolle des Bürgers, sondern – als prozessuale Antwort auf die verfassungsrechtliche Frage der Gewaltenteilung28 – auch über das grundsätzliche Verhältnis von Exekutive und Judikative und letztlich das Verhältnis von Recht und Politik29 bzw. Staat und Gesellschaft. ___________ 23

BVerwGE 66, 307. Die Dünnsäureverklappung führte auch zu einer Klage von Robben in der Nordsee, s. VG Hamburg NVwZ 1988, 1058 m. Bespr. Murswiek, JuS 1989, 240 ff. 24 VG Hamburg NuR 2004, 548 = NordÖR 2004, 248. 25 Zum grundsätzlich nicht drittschützenden Charakter der Vorschriften über die Kommunalaufsicht in den Gemeindeordnungen der Länder s. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 502d. 26 VGH Mannheim NVwZ-RR 1999, 580; dazu Dörr, JuS 2000, 491. 27 Einen Anspruch verneinend VG Frankfurt, VersR 2004, 1397 zur Versicherungsaufsicht. Krit. dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 427 f. 28 Besonders deutlich formuliert für das US-amerikanische Prozessrecht von Scalia, The Doctrine of Standing as an Essential Element of the Separation of Powers, Suffolk U. L. Rev. 17 (1983), 881. Auch Art. 19 Abs. 4 GG führt zu einer „Gerichtszentriertheit“ der Gewaltenteilung, s. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 221. 29 Auch in den USA musste man erkennen, dass es im Verwaltungsrecht eine klare Trennung von Recht und Politik nicht geben kann: „We now recognize that this sharply drawn dichotomy is at the least a trichotomy – that there exists a middle ground of discretion-under-law that characterizes the operating environment of the administrative

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2. Der verfassungsrechtliche Hintergrund des subjektiven Rechtsschutzmodells Ihr verfassungsrechtliches Fundament findet die Verwaltungskontrolle im Gewaltenteilungsprinzip.30 Freilich lassen sich diesem keine verbindlichen Vorgaben zur konkreten Ausgestaltung dieser Kontrolle und dem Verhältnis von Verwaltung und Gerichtsbarkeit entnehmen. Die Grundlage des deutschen Rechtsschutzkonzeptes ist also nicht nur die im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gesetzesbindung der Verwaltung, sondern letztlich die Grundkonzeption des öffentlichen Rechts. Diese wiederum ist keine deutsche Besonderheit, sondern nahm 1803 in Marbury v. Madison,31 einer Entscheidung des amerikanischen Supreme Court, ihren Ausgangspunkt. Mit dieser Entscheidung von Chief Justice John Marshall begann die Rolle des Supreme Court als „the ultimate interpreter of the Constitution“,32 die fast 150 Jahre später bei der Einrichtung des BVerfG Pate stand33 und in Deutschland um die institutionelle Trennung von ___________ state“, s. Strauss, UCLA L. Rev. 39 (1992), 1251 (1256) in seiner Stellungnahme zu Citizens to Preserve Overton Park, Inc. v. Volpe, 401 U.S. 402 (1971), die gleichzeitig dieses Spannungsverhältnis näher illustriert: „Few today would claim that decisions of the Secretary of Transportation concerning whether to authorize the expenditure of federal funds for the construction of a segment of interstate highway constitute ‚political‘ questions beyond the reach of the judiciary, even though substantial elements of discretion and no elements of strictly individual right inhere in those decisions. Yet the separation of the worlds of political and legal controls persists in several respects: for example, in the acceptance of delegation of authority to agencies, and the posture of deference that acceptance entails; and in the model of rationalized, expert, technocratic and above all apolitical bureaucratic judgment on which courts nonetheless appear to draw when applying themselves to such decisions.“ (Zitat unter Auslassung der Fußnotenverweise). 30 Stellvertretend Schmidt-Aßmann, Verwaltungskontrolle, in: Hoffmann-Riem/ Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungskontrolle (2001), S. 9 (25). 31 Marbury v. Madison, 5 US (1 Cranch) 137, 2 L. Ed. 60 (1803); dazu im deutschsprachigen Schrifttum Brugger, S. 7 ff.; ders., JuS 2003, 320; Egerer, ZVglRWiss 88 (1989), 416; Hoffmann-Riem, JZ 2003, 269; aus der US-amerikanischen Literatur Barron/Dienes, Constitutional Law, S. 6 ff.; Chemerinsky, Federal Jurisdiction, 2. Aufl. 1994, S. 11 ff.; Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 1 ff. Zur außeramerikanischen Rezeption dieser Grundsätze vgl. Cappelletti/Adams, Judicial Review of Legislation: European Antecedents and Adaptions, Harv. L. Rev. 79 (1966), 1207. 32 So Chief Justice Warren in Powell v. McGormack, 395 US 486, 549 (1969) unter Zitierung von Marbury v. Madison. S. aber zu den anderen Deutungsmöglichkeiten der Entscheidung Chemerinsky, Federal Jurisdiction, 2. Aufl. 1994, S. 18 f. Ähnlich auch Adenauer in den Beratungen des Parlamentarischen Rates zum Supreme Court, „welcher über den Willen des Gesetzgebers hinaus zum Hüter der Verfassung, zum Wahrer des Naturrechts und zum verkörperten Gewissen der Volksgesamtheit geworden ist“. Zit. nach Wilms, Ausländische Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes, S. 168. 33 Roman Herzog, zit. nach Klug, Wis. L. Rev. 2000, 597 (602 f.): „In the absence of the influence of the renowned Chief Justice John Marshall, there would probably have been no judicial review of the constitutionality of laws in Germany“; Wilms, Ausländi-

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Fach- und Verfassungsgerichtsbarkeit ergänzt wurde. Marbury v. Madison markiert aber nicht nur den Beginn der (materiellen) Verfassungsgerichtsbarkeit, sondern wurde auch zu einem „Eckstein des modernen Verwaltungsrechts“34 und des Rechtsschutzes in Verwaltungssachen. In dieser Entscheidung wurde die Verfassungsbindung aller staatlichen Gewalt herausgearbeitet und damit die uns heute so selbstverständliche Normenhierarchie des öffentlichen Rechts begründet, aber gleichzeitig das Erfordernis einer gerichtlichen Kontrolle dieser Verfassungsbindung als integrales Bestandteil der Normenhierarchie festgeschrieben.35 Verfassungsbindung bedeutet zu einem nicht geringen Teil Grundrechtsbindung. Indem der Supreme Court Rechtsschutz auch in Fällen gewährte, in denen es an der ausdrücklichen Einräumung einer Klagemöglichkeit durch Gesetz fehlte,36 legte er mit einer solchen grundrechtskonformen Auslegung des einfachen Rechts das Fundament für die heutige Konzeption des Rechtsschutzes auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts – und zu den Begrenzungen desselben,37 nicht nur in den USA. In Deutschland sind die Grundrechtsbindung aller öffentlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3 GG) und das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) die Grundbausteine dieser Konzeption. Art. 19 Abs. 4 GG verlangt nicht nur, dass überhaupt der Rechtsweg eröffnet ist, dass Rechtsschutz unabhängig von der staatlichen Handlungsform gewährt wird, sondern insbesondere, dass der in seinen Grundrechten betroffene Bürger gegenüber einer solchen Maßnahme auch tatsächlich klagebefugt ist. Art. 19 Abs. 4 GG prägt so maßgeblich die Auslegung der Klagebefugnis des § 42 Abs. 2 VwGO. Effektiver Rechtsschutz bedeutet aber weit mehr: „Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes; der Bürger hat einen substantiellen Anspruch auf eine tatsäch___________ sche Einwirkungen auf die Entstehung des Grundgesetzes, S. 166 ff., 301. Dazu, dass diese Entscheidung auch schon im 19. Jahrhundert die deutsche Rechtswissenschaft beeinflusste, Starck, JZ 1997, 1021 (1022). 34 Monaghan, Marbury and the Administrative State, Colum. L. Rev. 83 (1983), 1: „cornerstone of modern administrative law“. s. auch Amar, U. Chi. L. Rev. 56 (1989), 443 (447 f.) mit einigen Beispielen. 35 Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich in Frankreich auf der Grundlage der Entscheidung des Conseil constitutionel vom 09.04.1996, Rec. 1996, 43; s. dazu Fromont, FG BVerwG (2003), 93 (95). 36 Marbury v. Madison, 5 US (1 Cranch) 137 (163). s. dazu Amar, U. Chi. L. Rev. 56 (1989), 443 (447 f.); ders., Of Sovereignty and Federalism, Yale L J 96 (1987), 1425 (1484-94). 37 Amar, U. Chi. L. Rev. 56 (1989), 443 (449 f.). Hierzu gehört insbesondere die political questions doctrine, s. Marbury v. Madison, 5 US (1 Cranch), 137 (165 f.); Chemerinsky, Federal Jurisdiction, 1. Aufl. 1994, S. 14, 142 ff.

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lich wirksame gerichtliche Kontrolle“.38 Diese verfassungsrechtliche Gewährleistung lässt es nicht zu, den Rechtsschutz auf die Aufhebung von Verwaltungsakten zu beschränken, und fordert eine Generalklausel wie die des § 40 VwGO, der Rechtsschutz in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gewährt. Effektiver Rechtsschutz verlangt auch entsprechend weitreichende Entscheidungskompetenzen des Gerichtes, einschließlich der Befugnis, die Behörde zu einem bestimmten Tun zu verpflichten. Effektiver Rechtsschutz verlangt schließlich vorläufigen Rechtsschutz, damit die Verwaltung nicht vollendete Tatsachen schafft, bevor eine gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist. Diese Parameter müssen mitbedacht werden, wenn man das subjektive und das objektive Modell miteinander vergleicht. Im System objektiver Verwaltungskontrolle ist keine der genannten Fragen selbstverständlich.39 Unter dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts und der EMRK, die ja beide ebenfalls das Gebot effektiven Rechtsschutzes enthalten,40 und einer entsprechenden verfassungsrechtlichen Norm in Spanien wurden sie vielmehr in den bisher dem objektiven Modell folgenden Ländern eingeführt. Bezieht man also die Zeit seit Mitte der neunziger Jahre in einen Rechtsvergleich ein, ergibt sich ein ganz anderes Bild als es die meisten Darstellungen suggerieren. Sämtliche europäischen Rechtsordnungen haben sich nicht zuletzt dank tatkräftiger Mithilfe des Gemeinschaftsrechts dem Modell des deutschen Verwaltungsprozesses angenähert. Je intensiver freilich behördliche Maßnahmen im Verwaltungsprozess geprüft werden, desto größere Bedeutung kommt der „Zugangskontrolle“ zu. Diese ist nicht nur deswegen erforderlich, weil ansonsten eine Überlastung der Gerichte drohte. Sie ist es vor allem auch, weil in dem zugrundeliegenden Modell der Gewaltenteilung eben gerade nur der Schutz subjektiver Rechte derartig weitreichende Maßnahmen der Judikative gegenüber der Exekutive legitimiert. In den USA hat der Supreme Court deswegen die verfassungsrechtliche Grundlage des standing betont41 und durch die Verankerung im Prinzip der Gewalten___________ 38

BVerfGE 35, 263 (273). s. zum Folgenden den Überblick von Fromont, FG BVerwG (2003), S. 93. 40 Allerdings lässt sich die EMRK wegen ihres völkerrechtlichen Charakters jedenfalls in Deutschland nicht als höherrangiges Recht begreifen, s. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2004, § 3, Rn. 1 ff. Lediglich in Österreich kommt der EMRK Verfassungsrang zu, in den meisten Mitgliedstaaten steht sie aber im Rang jedenfalls über dem einfachen Gesetzesrecht, s. Grabenwarter, § 3, Rn. 3 m. w. Nachw. 41 Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555, 560 (1992): „the core component of standing is an essential and unchanging part of the case-or-controversy requirement of Article III“. An anderer Stelle bezeichnet das Gericht die aufgestellten Anforderungen an die Klagebefugnis als „constitutional minimum“. Den Gesichtspunkt der Gewaltenteilung als Hintergrund der Beschränkung der Gewaltenteilung umschreibt insbes. Allen 39

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teilung (separation of powers) sowohl den Gerichten wie dem Kongress Grenzen bei der gesetzlichen Einräumung der Klagebefugnis gezogen.42

3. Verfassungsrechtliche Grenzen für den Gesetzgeber a) Beschränkungen der Klagebefugnis Aus diesem verfassungsrechtlichen Rahmen ergeben sich auch in Deutschland die dem Gesetzgeber gesetzten Grenzen. Versteht man die Verfassung als Rahmenordnung, obliegt es dem Gesetzgeber, die Vorgaben der Verfassung zu konkretisieren. Er kann im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis durchaus auch die prinzipiell aus der Verfassung ableitbaren Klagebefugnisse beschränken. Dies erklärt den Vorrang der Entscheidungen des einfachen Rechts, der neben den einfachgesetzlichen Schutznormen einen Rückgriff auf die Grundrechte ausschließt. Allerdings bedarf dies einer ausdrücklichen Entscheidung. Im Übrigen bedeutet die grundrechtskonforme Auslegung grundsätzlich eine rechtsschutzfreundliche Auslegung,43 vor allem bei Maßnahmen im bipolaren Verhältnis Bürger und Staat (dazu ausführlicher unten IV.).

___________ v. Wright, 468 U.S. 737, 752 (1984): „is built on a single idea – the idea of separation of powers“; s. ausf. Chemerinsky, Federal Jurisdiction, 1. Aufl. 1994, S. 55 f. 42 Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555, 580 (1992) (Kennedy, J., concurring): „Congress has the power to define injuries and articulate chains of causation that will give rise to a case or controversy where none existed before ... In exercising this power, however, Congress must at the very least identify the injury it seeks to vindicate and relate the injury to the class of persons entitled to bring suit.“ Deutlicher noch in Raines v. Byrd, 521 U.S. 811, 820 (1997): „It is settled that Congress cannot erase Article III's standing requirements by statutorily granting the right to sue to a plaintiff who would not otherwise have standing“. Dadurch wurde die verfassungsrechtliche Zulässigkeit solcher Popularklagen zweifelhaft, neuere Entscheidungen relativierten entsprechende Befürchtungen. So zeigt gerade der Fall Akins, dass der Supreme Court – gegen den vehementen Protest von Justice Scalia, auf den die neuere Konzeption der Klagebefugnis ja wesentlich zurück geht – durchaus das Recht des Gesetzgebers anerkennt, durch materielle „jedermann“-Rechte Rechtspositionen einzuräumen, deren Klagbarkeit dann nicht an Art. III scheitert, aber andererseits zumindest in die Nähe einer bloßen Interessentenklage rückt, s. FEC v. Akins, 524 U.S. 11 (1998). Diese Entscheidung betraf eine jedem Bürger eingeräumte Möglichkeit der Klage unter dem Federal Election Campaign Act („FECA“). 43 Damit verschiebt sich die Argumentationslast: Sofern der Gesetzgeber den Drittschutz nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, lässt er sich im Wege einer verfassungskonformen Auslegung ermitteln. Der Wille des historischen Gesetzgebers spielt eine allenfalls untergeordnete Rolle, s. auch Gurlit, Die Verwaltung 1995, 449 (468).

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b) Erweiterungen der Klagemöglichkeiten Weniger Beachtung fand bislang die Frage, inwieweit das Verfassungsrecht auch der Ausweitung der Klagerechte durch die Abkoppelung vom Erfordernis der Schutznorm Grenzen setzt. Soweit sich das Verwaltungsrecht um einen Ausgleich privater Interessen bemüht, wie es beispielsweise im Bau- und Immissionsschutzrecht der Fall ist, bedeutet die Einräumung einer Klagebefugnis für Dritte immer auch eine Beeinträchtigung der Stellung des Begünstigten. Jede Erweiterung der gerichtlichen Aufgaben über die Gewährung von subjektivem Rechtsschutz hinaus hat zwangsläufig Konsequenzen für den Individualrechtsschutz,44 die bei der verfassungsrechtlichen Bewertung mitbedacht werden müssen. Im deutschen Recht ist zwar die Verbandsklage prinzipiell zulässig,45 eine umfassende Einführung in dem mit den citizen suits in den USA der 80er Jahren vorgemachten Umfang dagegen wäre wegen der damit verbundenen strukturellen Verschiebungen zugunsten der Judikative verfassungsrechtlich wohl ausgeschlossen.46

III. Klagebefugnis und Gemeinschaftsrecht: Systembruch oder Auslegungsfrage? Bis zum Beginn der neunziger Jahre verlief die deutsche Diskussion in relativ ruhigem Fahrwasser. Man beschäftigte sich vor allem mit Einzelfragen der Auslegung potentieller Schutznormen, und nur einzelne Stimmen fragten nach der Daseinsberechtigung des subjektiven Rechts47 oder hielten die Klagebefugnis generell für entbehrlich.48 Dies änderte sich schlagartig, als zu Beginn der neunziger Jahre die Europäisierung immer stärker auch das Prozessrecht erfasste. Ausgehend von der These, dass das Gemeinschaftsrecht einklagbare Rechtspositionen nicht allein um den Rechtsschutz der Gemeinschaftsbürger willen verleiht, sondern diese damit auch in Dienst für die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts nimmt,49 schien sich ein Gegensatz zwischen beiden Model___________ 44

s. hierzu bereits Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 155. s. hierzu bereits Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 154 m. w. Nachw. 46 Auch hierzu Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4, Rn. 155. 47 So der Titel des Beitrages von Zuleeg, Hat das subjektive öffentliche Recht noch eine Daseinsberechtigung?, DVBl. 1976, 509; ähnlich Winter, NVwZ 1999, 467 (472 f.). 48 s. den schon zitierten Beitrag von Rupp, DVBl. 1982, 142; vgl. auch Achterberg, DVBl. 1981, 278. 49 Die Gemeinschaftsbürger würden insofern zu Mittlern einer dezentralen Kontrolle des Gemeinschaftsrechts, so besonders deutlich von Danwitz, DÖV 1996, 481 (482) m. w. N.; ausführlich zu diesem status procuratoris die Untersuchung von Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts (1997), S. 218 ff. 45

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len zu ergeben: Anders als die deutsche Schutznormtheorie verlange das Gemeinschaftsrecht die Einklagbarkeit gemeinschaftsrechtlich eingeräumter Begünstigungen bereits dann, wenn der Bürger durch ihre Verletzung lediglich wie andere auch betroffen ist.50 Dies schien trotz aller verfahrensmäßigen Autonomie der Mitgliedstaaten das Ende der gängigen, aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht freilich zu engen Interpretation der Schutznormtheorie und möglicherweise sogar des gesamten Rechtsschutzkonzeptes zu bedeuten. Vor allem im umweltrechtlichen Schrifttum hielt sich das Bedauern in Grenzen. Tertium non datur. Die Alternative zum bisherigen Modell der Klagebefugnis wäre, so wiederum Rupp, „die Rückkehr zum v. Gneist’schen System eines lediglich prozessual durch individuelle Interessen eröffneten Zugangs zur Kontrolle der objektiven Legalität – ähnlich dem noch heute geltenden Prinzip des französischen Recours pour excès de pouvoir –, die Aufhebung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO und eine Änderung des § 42 Abs. 2 VwGO im Sinne des französischen Musters“.51

1. Konvergenzen Die Wogen haben sich freilich wieder geglättet. In den letzten Jahren wird auf der Basis einer näheren Analyse dieser Rechtsprechung „Entwarnung“ gegeben.52 Auch der EuGH fordere weder Interessenten- noch gar Popularklagen, sondern lege auch bei seiner Rechtsprechung den Ansatz der Schutznormlehre zugrunde. Damit bestünden zwischen der Rechtsschutzkonzeption des deutschen Rechts und des EuGH keine grundlegenden Unterschiede. Diese Einschätzung verdient Zustimmung. Die Unklarheiten ergaben sich nicht zuletzt daraus, dass sich der EuGH in den zitierten Entscheidungen aus dem Jahr 1991 nicht mit dem Rechtsschutz, sondern mit der Umsetzung von Richtlinien allgemein zu beschäftigen hatte und in Deutschland das Hauptproblem darin lag, dass diese Richtlinien durch Verwaltungsvorschriften umgesetzt wurden, was den Anforderungen des EuGH an die effektive Durchsetzung des ___________ 50

Calliess, NVwZ 1996, 339 ff. (340 f.); Winter, NVwZ 1999, 467 (470). s. Rupp, FS Badura (2004), S. 995 (1003). Um einen vermittelnden Ansatz – Entfallen der Klagebefugnis bei gleichzeitiger stärkerer Betonung des Erfordernisses der Rechtsverletzung im Rahmen des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO – bemüht sich Ehlers, VerwArch 84 (1993), 139 (172 ff.). An der Zuordnung zu den subjektiven Rechtsschutzverfahren würde sich dadurch freilich nichts ändern. 52 Ehlers, DVBl. 2004, 1441 (1445); Schoch, FG BVerwG (2003), 507 (518). s. aber schon Everling, NVwZ 1993, 215; Frenz, DVBl. 1995, 412; Ruthig, BayVBl. 1997, 289; Triantafyllou, DÖV 1997, 196. A.A. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 14, Rn. 108a; Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft (1996), S. 314. 51

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Gemeinschaftsrechts nicht genügte. Die fehlende subjektivrechtliche Relevanz betraf damit in den Ausgangsentscheidungen nur ein Teilargument. Wenn man die Entscheidung genauer liest, verlangt deswegen der EuGH keinesfalls eine Subjektivierung sämtlicher Aspekte der Umweltschutzrichtlinien, sondern interpretiert den drittschützenden Charakter der Richtlinie wie folgt:53 „Wie sich aus dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 75/440/EWG ergibt, bezweckt diese Richtlinie ... den Schutz der Volksgesundheit; zu diesem Zweck sollen das zur Trinkwasserversorgung bestimmte Oberflächenwasser und dessen Aufbereitung überwacht werden. Dies bedeutet somit, dass immer dann, wenn die mangelnde Befolgung der durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Maßnahmen die Gesundheit von Menschen gefährden könnte, die Betroffenen die Möglichkeit haben müssen, sich auf zwingende Vorschriften zu berufen, um ihre Rechte geltend machen zu können“. Die von der Klagebefugnis der Begünstigten zu unterscheidende Notwendigkeit der Umsetzung in rechtsverbindlichen Normen hängt aber gerade nicht nur mit dem Rechtsschutz zusammen, sondern soll auch sicherstellen, dass „die Betreiber der Oberflächenwasserentnahmestellen genau wissen, welchen Verpflichtungen sie unterliegen“. Der EuGH fordert also gerade keine Popularklage. Da auch das gemeinschaftsrechtliche Prozessrecht die Nichtigkeitsklage Privater von der Geltendmachung eines subjektiven Rechts abhängig macht, taugt also ganz im Gegenteil „die deutsche Schutznormlehre als Strukturmodell für die Gewinnung individueller Rechte kraft EG-Rechts“.54 Dennoch werden weiterhin Divergenzen gesehen. Trotz dieser grundsätzlichen Annäherung der beiden Rechtsschutzsysteme sei der EuGH bei der Anerkennung von subjektiven Rechten und damit auch der Einräumung der Klagebefugnis tendenziell großzügiger als das deutsche Recht.55 Dies gelte vor allem im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten, so dass Schoch gar von einer „scherenartigen Entwicklung zwischen der Einräumung klagbarer individueller Gemeinschaftsrechte vor nationalen Gerichten und der vielfachen Negierung unmittelbarer bzw. individueller Betroffenheit gemäß Art. 230 Abs. 4 EGV“ spricht.56 Diese These ist im folgenden anhand einiger ausgewählter Beispiele zu überprüfen. Schon jetzt kann aber gesagt werden, dass diesen Fragen jedenfalls auf der Basis der Schutznormlehre Rechnung getragen werden kann. Damit handelt es sich also gerade nicht um anderweitige gesetzliche Bestimmungen im Sinne des § 42 ___________ 53 Besonders deutlich EuGH, Urt. v. 17.10.1991 – Rs C-58/89 (Kommission/Bundesrepublik Deutschland), NJW 1992, 459, Rn. 14, aus der die folgenden wörtlichen Zitate stammen (Hervorhebungen vom Verfasser). 54 Schoch, FG BVerwG (2003), 507 (518); s. auch schon Ruthig, BayVBl. 1997, 289. 55 Ehlers, DVBl. 2004, 1441 (1445 f.). 56 Schoch, FG BVerwG (2003), 507 (519). Dies wird insbesondere relevant im Zusammenhang mit der restriktiven Haltung zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage Privater nach Gemeinschaftsrecht, s. dazu ausf. Baumeister, EuR 2005, 1.

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Abs. 2 VwGO57, sondern um eine „materiellrechtliche“ Lösung auf der Basis der Schutznormtheorie.58

2. Fallgruppen Bei näherer Hinsicht lassen sich drei Fallgruppen abschichten:59 1. Sofern das Gemeinschaftsrecht den Gesetzgeber zur ausdrücklichen Einräumung subjektiver Rechte zwingt, wie es beispielsweise im Zusammenhang mit Umweltauskünften in § 3 Abs. 1 UIG der Fall ist, spielt es für deren Qualität als subjektives Recht keine Rolle, dass sie im traditionellen System eher einen Fremdkörper darstellen.60 2. Auch unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht kann als subjektives Recht die Klagebefugnis begründen, wie es beispielsweise hinsichtlich des Verbotes des Art. 88 Abs. 3 S. 3 EGV angenommen wird, Beihilfen vor Abschluss des Notifikationsverfahrens auszuzahlen, was zur Zulässigkeit einer Klage eines Konkurrenten führt.61 3. Lediglich in solchen Fällen, in denen es an einer Norm fehlt, die man in diesem Sinne als drittschützend ansehen kann, scheint die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben Schwierigkeiten zu bereiten. Allerdings überlässt das Gemeinschaftsrecht auch insoweit zunächst dem nationalen (Prozess)recht das Feld und beschränkt sich auf eine Ergebniskontrolle.62 Erst wenn das nationale Recht zu einem Ergebnis gelangen sollte, das den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben nicht entspricht, stellt sich die Frage einer Systemveränderung, notfalls über die von § 42 Abs. 2 VwGO vorgesehene Ausnahmevorschrift. Im Folgenden sind exemplarisch einige der als problematisch erachteten Fallgruppen zu untersuchen. ___________ 57

Dazu ausführlich Ruthig, BayVBl. 1997, 289 ff. Ebenso Ehlers, DVBl. 2004, 1441 (1446); Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 531a ff.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 152 ff. A.A. Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2, Rn. 128; tendenziell wohl auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 225. s. zum Meinungsstand den Überblick bei Gellermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 36, Rn. 23 m. w. Nachw. 58 Konsequenterweise bezeichnet auch Gellermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union (2003), § 36, Rn. 23 den hier vertretenen Ansatz als „materiell-rechtliche” Lösung. 59 Dazu ausf. Ruthig, BayVBl. 1997, 289 (293 ff.). 60 Classen, NJW 1995, 2459; Ruthig, BayVBl. 1997, 289. 61 VG Magdeburg EuZW 1998, 669; ausführlicher Soltész, EuZW 2001, 202 m. w. Nachw. 62 Vgl. näher Ruthig, BayVBl. 1997, 289.

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IV. Problemfälle der Klagebefugnis 1. Der dogmatische Ausgangspunkt: Kopernikanische Wende durch verfassungskonforme Auslegung Anzusetzen haben die Überlegungen im nationalen Recht. Für das deutsche Recht erweist sich der skizzierte verfassungsrechtliche Hintergrund nicht nur als systembildend, sondern auch als systemprägend, indem er maßgeblich die Auslegung der einfachgesetzlichen Vorschriften determiniert. Innerhalb des Schutzbereiches von Art. 19 Abs. 4 GG kommt daher den Grundrechten als Auslegungsmaßstab im Rahmen der Schutznormtheorie eine zentrale und häufig die entscheidende Stellung zu;63 gerade das Prozessrecht erweist sich zunehmend als „konkretisiertes Verfassungsrecht“.64 Das Inkrafttreten des GG bedeutete also für das deutsche Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht eine „Kopernikanische Wende“.65 Die Grundrechte bieten nicht nur die Erklärung für die sog. Adressatentheorie, die es dem Adressaten einer Maßnahme gestattet, diese vollumfänglich anzugreifen.66 Dies folgt aus dem Verständnis der allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG, die nur durch formell und materiell rechtmäßige Hoheitsakte beschränkt werden kann. Die Grundrechte prägten vielmehr auch die Auslegung und Anwendung des Verwaltungsrechts, vor allem in Verpflichtungssituationen. Im Wege einer grundrechtskonformen Interpretation mutierten also eine ganze Reihe von vor Inkrafttreten des GG als objektivrechtlich qualifizierten Vorschriften zu subjektiven, die Klagebefugnis begründenden Rechten. Während früher beispielsweise davon ausgegangen wurde, dass die Gefahrenabwehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse diente und nicht dem Schutz subjektiver Rechte des Einzelnen, geht man heute zutreffend davon aus, dass subjektive Rechte betroffen sind, wenn Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung die Rechtgüter einzelner Bürger beeinträchtigen.67 Man mag dies ___________ 63 s. auch Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 214 zur „neueren, auch grundrechtlich ausgerichteten Schutznormlehre“. Dabei darf selbstverständlich nicht verkannt werden, dass der Gesetzgeber in gewissen Grenzen befugt ist, die Rechtsschutzzone abweichend von diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen. 64 So die berühmte Formulierung von Werner, DVBl. 1959, 527. 65 Ossenbühl, DVBl. 1993, 753 (756). 66 Versteht man die Adressatentheorie als Ausprägung der Grundrechtsdogmatik, folgt schon daraus, dass sie nur bei Verwaltungsakten (also den „klassischen“ Grundrechtseingriffen) Geltung beanspruchen kann, da bei faktischen Grundrechtseingriffen nur teilweise ein solcher „Adressatenbezug“ gegeben ist; s. zur insoweit berechtigten Kritik an der Adressatentheorie schon Gurlit, Die Verwaltung 1995, 449 (465 ff.). 67 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 104; Ruthig/Fickenscher, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, Rn. 90. Die Rechtsprechung hat zu Recht Klagen für

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heute als selbstverständlich ansehen, aber noch 1978 – zum fünfundzwanzigjährigen Bestehen des BVerwG – betonte dessen damaliger Präsident die Bedeutung des Verfassungsrechts für die weitere Entwicklung des Polizei- und Ordnungsrechts.68 Im Hintergrund steht die zunehmende Entfaltung der grundrechtlichen Schutzpflichtdogmatik. Entsprechende Verschiebungen ergaben sich im Recht des öffentlichen Dienstes. Gerade das Beamtenrecht macht in besonderer Weise deutlich, dass sich dabei die Klagebefugnis innerhalb des nach den Erfordernissen des effektiven Rechtsschutzes sozusagen „umgebauten“ Rechtsschutzsystems zur entscheidenden Weichenstellung für die Beantwortung der Frage der Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage entwickelte. Während man unter Rekurs auf die von Ule begründete Unterscheidung von Grund- und Amts-/Betriebsverhältnis69 zunächst die These vertrat, das Amtsverhältnis betreffende Streitigkeiten seien der Verwaltungsgerichtsbarkeit entzogen, weil es in solchen Fällen an einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit fehle,70 verschob sich das Problem zunächst auf die Statthaftigkeit der Klage. Die Verneinung der Verwaltungsaktsqualität machte nämlich in einem an den Verwaltungsakt angeseilten Rechtsschutzsystem die Klage unzulässig, was dazu führte, dass beispielsweise eine gegen eine Versetzung gerichtete Klage deswegen ausgeschlossen war, weil man ihre Verwaltungsaktsqualität verneinte. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der Rechtsschutz unabhängig von der Handlungsform besteht und damit zu fragen ist, ob die entsprechende Maßnahme in subjektive Rechte eingreift. Über die Zulässigkeit einer Klage in beamtenrechtlichen Streitigkeiten wird also im Rahmen der Klagebefugnis entschieden. Da es kein grundrechtsfreies „besonderes Gewaltverhältnis“ gibt, konnte auch die Zuordnung einer Maßnahme zum Betriebsverhältnis nicht mehr entscheidend sein. Die Differenzierung von Ule kann allenfalls noch ein grobes Raster abgeben, welches bei der Abgrenzung subjektivrechtlich relevanter Maßnahmen von rein innerdienstlichen Akten hilft. Die nähere Abgrenzung dieser verschiedenen Sphären wird ___________ zulässig gehalten, mit denen die Polizei verpflichtet werden sollte, vor einer 5 km langen Ölspur zu warnen bzw. Minen in einem Garten zu beseitigen (BGH VRS 7, 87 ff.). 68 Franßen, FG BVerwG (1978), S. 201. 69 Ule, VVDStRL 15 (1957), 152. 70 s. aber dazu und zu den anderen Varianten, die Zulässigkeit einer Klage gegen Maßnahmen im besonderen Gewaltverhältnis auszuschließen, Schenke, Fälle zum Beamtenrecht, 1990, Fall 19. Diese Argumentation lässt sich ideengeschichtlich unschwer auf die vor allem von Jellinek und Laband entwickelte Impermeabilitätstheorie zurückführen, nach der innerhalb der juristischen Person Staat – d. h. zwischen dem Staat und seinen Organen – rechtliche Beziehungen nicht denkbar sein sollen. Die rechtstheoretische Unhaltbarkeit dieser These, die dazu diente, dem Monarchen die Regelung besonderer Gewaltverhältnisses als Hausgut vorzubehalten, ist offensichtlich. Diese Lösung überzeugt daher nicht, s. auch Kunig, in: Schmidt-Aßmann, Besonderes Verwaltungsrecht, Kap. 6, Rn. 181.

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jedoch durch disponible gesetzliche Regelungen bestimmt und vor allem durch verfassungsrechtliche Direktiven gesteuert. Wenn man damit anerkennt, dass auch Maßnahmen im sog. Betriebsverhältnis in subjektive Rechte eingreifen können, bedeutet dies in erster Linie einen Transfer der Erweiterung des grundrechtlichen Eingriffsbegriffes mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten in das Prozessrecht. Wo hier die Grenze genau verläuft, kann man kaum abstrakt bestimmen,71 da die Anerkennung des faktischen Grundrechtseingriffes die Abgrenzung von Eingriff und Nichteingriff verkompliziert und die bundesverfassungsrechtliche Judikatur diese Frage noch nicht überzeugend und vor allem nicht abschließend beantwortet hat. Auch die im Folgenden zu untersuchenden Grenzfälle zeichnen sich ausnahmslos dadurch aus, dass es sich um Drittbetroffene handelt, was nach der gängigen Grundrechtsdogmatik den Eingriff automatisch in den Bereich der sog. faktischen Grundrechtseingriffe verweist. Da die Klagebefugnis an die Verletzung einer Schutznorm anknüpft, transferiert sie konsequenterweise Auslegungsprobleme des besonderen Verwaltungsrechts in das Prozessrecht (dazu 2.). Entsprechende Probleme stellen sich allerdings auch im Zusammenhang mit den allgemeinen Kategorien des Verwaltungsrechts, also im Zusammenhang mit Verfahrensfehlern sowie Ermessens- und Beurteilungsspielräumen (dazu 3.). Diejenigen Konstellationen, die gemeinschaftsrechtlich in die Kritik geraten sind, sind genau diejenigen, die sich auch grundrechtsdogmatisch als komplex darstellen. Der hier hergestellte Zusammenhang mit der Grundrechtsdogmatik bestätigt außerdem den Ausgangspunkt der Schutznormtheorie. Die Drittschutzproblematik ist eine solche des materiellen Rechts, kein prozessuales Problem. Dies gilt auch in Sachverhalten mit Gemeinschaftsrechtsbezug.72

2. Auslegungsprobleme im besonderen Verwaltungsrecht a) Die Abgrenzung von „Dritten und Vierten“ am Beispiel des Telekommunikationsrechts Probleme bereitet der Drittschutz beispielsweise im Telekommunikationsrecht.73 Die im Zusammenhang mit der Zugangs- bzw. Entgeltregulierung ver___________ 71

Vgl. im Einzelnen Kopp/Schenke, VwGO, Anh § 42, Rn. 70. s. hierzu schon oben bei Fn. 58. 73 Das TKG enthält ganz unterschiedliche Formen der Regulierung, von der klassischen Monopolregulierung (Verbraucherentgelte) über eine marktorganisierende Wettbewerbsregulierung in Form der Zugangsregulierung bis hin zur gemeinwohlorientierten (marktfremden) Regulierung der Universaldienste, s. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 395; 407 ff. Daher kann man keinesfalls sämtliche Drittschutzkonstellationen einheitlich behandeln. 72

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tretenen Grundthesen sind paradigmatisch. Einerseits wird die These vertreten, dass „jeder Nutzer oder Anbieter von Netzen oder Diensten“ einen Anspruch auf Rechtschutz gegen Entscheidungen hat, von denen er betroffen ist.74 Andere interpretieren die Formulierung dahingehend, dass nur die Adressaten der Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden klagebefugt sein sollen.75 Dies folgt bei belastenden Maßnahmen schon aus der Adressatentheorie,76 ist aber insoweit zu eng, als es den völligen Ausschluss des Drittschutzes bedeuten würde. Die erstgenannte Ansicht geht jedoch zu weit. In der Sache wird man daher zu differenzieren haben.77 Eine Klage von Konkurrenten eines marktmächtigen Unternehmens gegen eine seiner Ansicht nach rechtswidrige Regulierungsentscheidung muss aus gemeinschaftsrechtlichen Gründen zulässig sein,78 da die Schaffung von Wettbewerb nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG wesentliches Regelungsziel ist.79 Die beim TKG 1996 im Vordergrund stehende Frage des Rechtsschutzes von Verbrauchern80 stellt sich angesichts der Rücknahme der entsprechenden Regulierung nur noch ausnahmsweise.81 Eine Klage von Kunden gegen die Festlegung von Entgelten für die Leistungen von Anbietern muss dagegen ausscheiden, da es jedenfalls an einer unmittelbaren Betroffenheit der Verbraucher fehlt, die sowohl das Gemeinschaftsrecht wie auch § 42 Abs. 2 VwGO fordern.82 Dieser – keinesfalls rein telekommunikationsrechtliche – Streit um die Reichweite der Klagebefugnis hängt nicht zuletzt mit dem gemeinschaftsrechtlichen Verständnis von der Funktion der Beteiligung zusammen. Dieses kommt deutlich in Erwägungsgrund 15 der Rahmenrichtlinie zum Ausdruck, in der mit ___________ 74

Krings, K&R Beil. 1/2004, 6, 10; Schütz/Attendorn, MMR-Beil. 4/2002, 26. Scherer, K&R 2002, 279; Husch/Kemmler/Ohlenburg, MMR 2003, 139. 76 Gurlit, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, § 13, Rn. 46 ff. Der Adressat kann die Aufhebung einer Regulierungsentscheidung jedenfalls dann verlangen, wenn sie materiell rechtswidrig ist; dies ist sie auch, wenn Marktdefinition bzw. -analyse fehlerhaft waren. Bei Verfahrensfehlern ist die Möglichkeit der Heilung nach §§ 45 f. VwVfG zu beachten. 77 Gurlit, in: Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, § 13, Rn. 50; Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 424 f. 78 Ebenso Ladeur/Möllers, DVBl. 2005, 525, 530. Unbestreitbar ist dies dann der Fall, wenn die Behörde durch privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt entscheidet, s. Mayen, CR 2005, 21 (22); zum TKG 1996 auch BVerwGE 117, 93, 97 f. 79 Ruthig, in: Arndt/Scherer/Fetzer, TKG, § 2, Rn. 7. 80 Zur Frage des Drittschutzes von Endkunden nach früherem Recht Trute, in: FG BVerwG (2003), S. 857 (871 ff). 81 Dazu näher Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 425 in Fn. 230. 82 Zur Klagebefugnis s. näher Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 502a ff. 75

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Blick auf das Konsultationsverfahren83 betont wird, es sei „wichtig, dass die nationalen Regulierungsbehörden alle interessierten Parteien zu vorgeschlagenen Beschlüssen konsultieren und ihre Stellungnahmen berücksichtigen, ehe sie einen endgültigen Beschluss fassen“. Über dieses Beteiligungsverfahren sollen nicht nur die jeweiligen subjektiven Rechtspositionen eingebracht werden. Alle Beteiligten wirken sozusagen in dem Bemühen zusammen, zu den bestmöglichen Ergebnissen der Regulierung zu gelangen. Im deutschen Recht kennen wir solche Verfahrensfunktionen bisher im Wesentlichen aus dem Planungsrecht. Seine Fortsetzung findet der gemeinschaftsrechtliche Ansatz in Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie, die verlangt, „dass es auf nationaler Ebene wirksame Verfahren gibt, nach denen jeder Nutzer oder Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze, der von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffen ist, ... Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung einlegen kann“. Beim direkten Vergleich beider Bestimmungen bestätigt sich erneut die These, dass die Beteiligung im Verwaltungsverfahren nicht deckungsgleich mit der Klagebefugnis ist, das Gemeinschaftsrecht also mit anderen Worten auch nicht verlangt, dass alle Verfahrensbeteiligten auch die abschließende Entscheidung sollen angreifen können.

b) Konkurrentenklagen im öffentlichen Wirtschaftsrecht Eine Vielzahl entsprechender Problemfälle findet sich im sonstigen öffentlichen Wirtschaftsrecht.84 Besonders intensiv wurde die Frage eines Rechtsschutzes gegen wirtschaftliche Betätigung des Staates diskutiert. Über die klassische Schrankentrias85 hinaus verlangen die neueren Gemeindeordnungen, dass „der öffentliche Zweck nicht ebenso gut und wirtschaftlich durch einen Privaten ___________ 83 Nach Art. 6 RahmenRL sind die Regulierungsbehörden dazu verpflichtet, interessierten Parteien innerhalb einer angemessenen Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zum Entwurf von Maßnahmen zu geben, die beträchtliche Auswirkungen auf den betreffenden (nationalen) Markt haben. Daraufhin erfolgt dann möglicherweise eine Überarbeitung des Entwurfs. 84 Zur Zuordnung (auch) des sog. Regulierungsrechts zum öffentlichen Wirtschaftsrecht s. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 19 f. 85 Im Anschluss an § 67 DGO (Deutsche Gemeindeordnung v. 30.01.1935, RGBl. I S. 49.) sehen alle Gemeindeordnungen drei zentrale Zulässigkeitsvoraussetzungen vor: die Verfolgung eines öffentlichen Zwecks, die Erledigung einer Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft und zum dritten ein angemessenes Verhältnis von Art und Umfang der Tätigkeit zur Leistungsfähigkeit der Gemeinde. Allerdings sind die jeweiligen Vorschriften derart unterschiedlich ausgestaltet, dass man wohl nicht mehr von allgemeinen, länderübergreifenden Zulässigkeitsvoraussetzungen ausgehen kann. s. bereits Schoch, DÖV 1983, 377 (379 f.).

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Dritten erfüllt wird oder erfüllt werden kann“.86 Diese Subsidiaritätsklauseln werden bisher so verstanden, dass sie ausschließlich die Gemeinden schützen sollen, und zwar vor den finanziellen Risiken und einer organisatorischen Überforderung durch wirtschaftliche Betätigung.87 Die entgegengesetzte Auffassung vertreten der VerfGH Rheinland-Pfalz88 und das OVG Münster89. Auch hinter diesem Streit steht die Frage, inwieweit mit dem öffentlichen Interesse am Schutz von Gemeinde und letztlich Steuerzahler auch das private Interesse von Konkurrenten mitgeschützt wird. Um nichts anderes geht es, wenn in einer jüngst ergangenen Entscheidung das OVG Koblenz im Zusammenhang mit der staatlichen Auftragsvergabe unterhalb der Schwellenwerte die verwaltungsgerichtliche Klage eines unterlegenen Bieters zugelassen und damit auch das nationale Vergaberecht entgegen der traditionellen Auffassung als drittschützend qualifiziert hat.90 Zunehmend wird auch die Frage eines Anspruches auf Einschreiten von Behörden in den sektorenspezifisch regulierten Wirtschaftszweigen diskutiert. Beispiele sind etwa die Kapitalmarkt- und Versicherungsaufsicht, die Aufsicht über TK-Unternehmen, aber auch die Energiewirtschaft.91 Auch hier stellt sich die Frage nach dem Zweck dieser Kompetenzen. Selbstverständlich ist der Gesetzgeber in Grenzfällen in der Lage, ausdrücklich über die Reichweite des Drittschutzes zu entscheiden. Nicht ausreichend ist es allerdings, wenn eine ___________ 86

Die Beschäftigung mit diesen Vorschriften hat in den letzten Jahren explosionsartig zugenommen. Aus der umfangreichen Literatur s. nur Schmidt-Aßmann, FS Ulmer (2003), S. 1015 ff.; Schoch, VBlBW 2000, 41. 87 Schmidt-Aßmann, Kommunalrecht, in: ders. (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Rn. 120; Seewald, Kommunalrecht, in: Steiner (Hrsg.), Besonders Verwaltungsrecht, Rn. 296. Auch das OLG Karlsruhe hat noch Ende 2000 den § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW als nur gemeindeschützend ausgelegt, s. OLG Karlsruhe NVwZ 2001, 712 (714); zustimmend Stehlin, NVwZ 2001, 645 f. 88 VerfGH RP DVBl. 2000, 992 (995 f). Der VerfGH stützt sich im wesentlichen auf Wortlaut und Entstehungsgeschichte von § 85 Abs. 1 Nr. 3 GemO RP in der seit 1998 geltenden Fassung, aus der sich ergebe, dass diese Norm auch dem Schutz des „privaten Dritten“ vor kommunaler Konkurrenz diene. Außerdem verweist er auf Art. 51 nF LVerf, der die soziale Marktwirtschaft als Grundlage der Wirtschaftsordnung festschreibt; krit. zu letzterem Ruffert, NVwZ 2000, 763 (764). 89 OVG Münster NVwZ 2003, 1520; s. auch die Besprechung von Antweiler, NVwZ 2003,1466; Grooterhorst/Törnig, DÖV 2004, 685. 90 OVG Koblenz NZBau 2005, 411. Dazu hinsichtlich des Rechtswegs krit. Ruthig, NZBau 2005, 457; Pietzcker, NJW 2005, 2881. Auch im Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte hat sich im Zusammenhang mit der Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 1 GWB eine vergleichbare Entwicklung wie bei der Klagebefugnis vollzogen. s. insbesondere BVerfG NZBau 2004, 564 m. Aufs. Bultmann/Hölzl, NZBau 2004, 651. Insgesamt lässt sich unabhängig von der Rechtswegfrage von einer „materiellen“ Publifizierung des Vergaberechtes sprechen, s. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 27; ders., NZBau 2005, 497 (502). 91 Dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), § 6, Rn. 387.

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Vorschrift nach ihrem Wortlaut nur öffentliche Belange, das öffentliche Wohl oder die „öffentliche“ Sicherheit und Ordnung zum Gegenstand hat. Dies schließt eine gleichzeitige Schutzwirkung zugunsten des Bürgers keineswegs aus,92 jedenfalls sofern die öffentlichen Interessen gleichlaufende private Interessen bündeln. Dies hat Auswirkungen auf die Klagebefugnis beispielsweise auch in der Versicherungs- und Bankenaufsicht.93 Erkennt man entgegen der wohl h. M. einen zumindest partiellen Drittschutz an, darf dies in seiner Bedeutung auch nicht überschätzt werden. Selbstverständlich ist im Sinne der Schutznormtheorie danach zu fragen, ob auch die konkrete Norm die Interessen des Betroffenen zu schützen bestimmt ist. Dies ist bei vielen Vorschriften des Aufsichtsrechts nicht der Fall. Die Finanzmarktaufsicht etwa dient gerade nicht der Kontrolle der Vergabe und Abwicklung einzelner Kredite, so dass insoweit ein Anspruch auf Einschreiten selbst dann ausgeschlossen wäre, wenn man den grundsätzlichen Drittschutz der Aufsichtsvorschriften bejahte.94 Die Besonderheit besteht darin, dass der Gesetzgeber teilweise ausdrücklich angeordnet hat, diese Aufsicht erfolge (nur) im öffentlichen Interesse.95 Die verfassungs- und vor allem die gemeinschaftsrechtlichen Bedenken hiergegen wurden insbesondere auch durch die EuGH-Entscheidung nicht ausgeräumt.96 ___________ 92

BVerwGE 77, 73; Ruthig, BayVBl. 1994, 398. Ebenso Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 160. 93 Vgl. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 427; s. auch zur Klagebefugnis Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 502e. Ausführlich dazu im haftungsrechtlichen Kontext Schenke/Ruthig, NJW 1994, 2324; Schenke, FS Lorenz (1994), S. 473. 94 s. dazu BVerwG Buchholz 451.61 KWG Nr. 17. 95 Die damit verbundenen Auslegungsschwierigkeiten traten besonders deutlich bei § 4 Abs. 2 WpÜG zutage, wo sogar die amtliche Begründung eine Einschränkung machte: „Unberührt bleibt die Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten in Bezug auf die von Aufsichtsmaßnahmen unmittelbar betroffenen Personen und Unternehmen. Soweit ihnen gegenüber Amtspflichten verletzt werden, gelten die allgemeinen Grundsätze“, s. zum Reg-E. die BT-Drucks. 14/7034, S. 16; zur Diskussion s. Oechsler, in: Ehricke/Ekkenga/Oechsler, WpÜG, § 4, Rn. 8 ff.; Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 427. 96 EuGH NJW 2004, 3479. Diese liegt darin begründet, dass die umzusetzende Richtlinie 94/19/EG die Einrichtung eines Einlagensicherungssystems verlangt, das – ausdrücklich auch für den Fall fehlerhafter Aufsichtsmaßnahmen (vgl. Erwägungsgrund 24) – einen der Höhe nach auf 20.000 € begrenzten Entschädigungsanspruch einräumt (s. dazu Art. 7 Abs. 1 und 6 RL 94/19/EG), der durch die Richtlinie näher ausgestaltet wird. Insbesondere aus diesem Umstand hat der EuGH abgeleitet, dass die jeweiligen Einzelrichtlinien, die die „Rechte der Einleger“ als Schutzgut nennen, ihrerseits keinen Drittschutz entfalten. Da in Deutschland ein solches Einlagensicherungssystem nicht bestand, war A ein entsprechender Staatshaftungsanspruch in Höhe von 20.000 EUR zuzugestehen. Dieser wurde bereits erstinstanzlich zugesprochen (vgl. aus einem Parallelverfahren LG Bonn EuZW 1999, 732) und war damit nicht Gegenstand der angeführten Verfahren. Ein weitergehender Anspruch wurde vom Gemeinschaftsrecht nicht gefordert. Die Frage, ob überhaupt ein Amtshaftungsanspruch gegeben sein kann, war somit

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c) Gefahrenabwehr und Gefahrenvorsorge am Beispiel des Umweltrechts Das am häufigsten zitierte Beispiel für potentielle Systembrüche liefert das Umweltrecht, genauer gesagt die Anlagengenehmigung nach dem BImSchG. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG verpflichtet den Betreiber, Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können. Soweit sie die Nachbarn betrifft, dient die Vorschrift dem Schutz eines individualisierbaren, d.h. von der Allgemeinheit unterscheidbaren Personenkreises;97 sie ist daher drittschützend. Anders verhält es sich mit § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Danach sind Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen getroffen wird. Nach bislang h. M. hat § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG keinen drittschützenden Charakter.98 Als Begründung wird angeführt, dass das Vorsorgegebot Ziele verfolge, die nur im Allgemeininteresse liegen.99 Vorsorge unterhalb der Schädlichkeitsschwelle sei nur gegen hypothetische Gefahren gerichtet und schaffe keine individualrechtlichen Positionen.100 Zudem sei – anders als in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG – die Nachbarschaft nicht ausdrücklich genannt. Da das Vorsorgegebot nicht auf den Einwirkungsbereich der Anlage beschränkt ist, wäre damit der potentielle Klägerkreis uferlos. Eine Ablehnung der Klagebefugnis aus § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG könnte aber gemeinschaftsrechtswidrig sein, da die Vorschrift der Umsetzung der IVURichtlinie dient.101 Zwar hat sich der Wortlaut des § 5 BImSchG durch ihre ___________ nicht entscheidungserheblich. Damit lässt sich die EuGH-Entscheidung keinesfalls für die generelle Gemeinschaftsrechtskonformität des Ausschlusses von Haftungsansprüchen in § 4 Abs. 4 FinDAG in Anspruch nehmen, s. Ruthig, in: Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht (2005), Rn. 429; a.A. BGH NJW 2005, 742. 97 Das ist ganz unstreitig, s. nur OVG Lüneburg NVwZ 1985, 357 ff.; Sparwasser/Engel/Vosskuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 10, Rn. 151; Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 5, Rn. 120. 98 BVerwGE 65, 313 (320); Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 5, Rn. 121 m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 105; a.A. Koch, Umweltrecht, § 4, Rn. 184 f. und – vor der Entscheidung des BVerwG – die obergerichtliche Rechtsprechung, z. B. OVG Münster DVBl. 1976, 790; OVG Lüneburg GewArch 1981, 341; OVG Berlin DVBl. 1979, 159. 99 BVerwG VBlBW 2004, 177 (178); BVerwGE 65, 313 (320); OVG Lüneburg NVwZ 1985, 357 (359); VGH München NVwZ 1998, 1191 (1194). 100 BVerwGE 65, 313 (320). 101 Die Richtlinie 96/61/EG über die integrierte Vermeidung und Verminderung von Umweltverschmutzungen ist das, freilich am BImSchG orientierte, Kernstück des gemeinschaftsrechtlichen Anlagengenehmigungsrechts. Es löst den sektoralen bzw. medialen Umweltschutz durch einen integrativen Umweltschutz ab.

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Umsetzung nicht verändert, da sich die IVU-Richtlinie in weiten Teilen am Vorbild des BImSchG orientiert.102 Es wird darauf hingewiesen, dass dem EuGH bereits der Hinweis auf den Schutz der menschlichen Gesundheit genüge, um auch vorsorgeorientierte Grenzwertbestimmungen als individualschützend anzuerkennen.103 Zum Teil wird daher die Auffassung vertreten, § 42 Abs. 2 1. Halbs. VwGO sei europarechtskonform auszulegen.104 Die europarechtliche Vorgabe wäre dann eine anderweitige gesetzliche Bestimmung i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO mit der Folge, dass jedermann mit einer objektiven Beanstandungsklage die Verletzung von Gemeinschaftsrecht rügen kann. Die Gegenauffassung bemüht sich – wie bereits dargelegt105 – um eine Integration in die Schutznormlehre. Ausgangspunkt ist sowohl für das Gemeinschaftsrecht wie für das nationale Recht das Schutzgut der menschlichen Gesundheit. Wenn ein Eingriff in die Gesundheit vorliegt, kann sich der Betroffene auch auf objektivrechtliche Bestimmungen berufen. Dies entspricht der zitierten EuGH-Rechtsprechung und folgt im deutschen Verfassungsrecht aus dem Grundgedanken der ElfesRechtsprechung. Danach bezieht sich der Schutz der Freiheitsgrundrechte auf alle objektiv rechtswidrigen Eingriffe in ihren Schutzbereich.106 Die entscheidende Frage ist allerdings, wie man Eingriffe in den Schutzbereich von einem bloßen „tatsächlichen Betroffensein“ unterhalb der Eingriffsschwelle abgrenzt. Grenzwerte können diese Abgrenzung auch im Bereich der Vorsorge übernehmen. Konsequenterweise kann, wie auch das BVerwG mittlerweile anerkennt, „der Betroffene mit Rechtsmitteln gegen die Genehmigung geltend machen, dass im Rahmen des Vorsorgegebots erlassene Emissionsgrenzwerte zur Minimierung seines Gesundheitsrisikos eingehalten werden“.107 Selbstverständlich bleiben dann auch die weiteren Einschränkungen anwendbar, insbesondere die Beschränkung der Klagemöglichkeiten auf die freilich für die Vorsorge noch näher zu bestimmende Nachbarschaft.108 Soweit Vorsorgebestimmungen aller-

___________ 102

BT-Drucks. 14/4599, S. 82. Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 154; Calliess, NVwZ 1996, 339 (341) unter Hinweis auf die Entscheidungen EuGH Slg. I 1991, 825 (865 ff.) = NVwZ 1991, 973 sowie EuGH Slg. 1991, 4983 (5019 ff.); von Danwitz, DÖV 1990, 481 (483); Winter, NVwZ 1999, 467 (468). 104 Wahl, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Vorb. § 42 Abs. 2, Rn. 128; Wahl/Schütz, ebd., § 42 Abs. 2, Rn. 216; Remmert, Die Verwaltung 29 (1996), 465 (477 ff.); i.E. auch Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 5, Rn. 122. 105 s. dazu oben unter III.1. 106 BVerfGE 6, 32 (41); s. hierzu näher Ruthig, BayVBl. 1997, 189 (295). 107 BVerwG NVwZ 2004, 610 (611). 108 Auch dazu BVerwG NVwZ 2004, 610. 103

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dings nicht dem Gesundheitsschutz dienen, stößt der Drittschutz an seine – auch gemeinschaftsrechtlich nicht zu beanstandende – Grenze.109

3. Klagebefugnis und allgemeine Verfahrensgrundsätze a) Verfahrensfehler Weitere Rechtsschutzdivergenzen scheinen sich, wie schon die angeführten Beispiele deutlich werden ließen, im Zusammenhang mit dem Verfahrensrecht aufzutun. Nach dem klassischen Verständnis der Schutznormtheorie kann der betroffene Bürger zwar materiell Verfahrensfehler geltend machen, wenn ihn die angegriffene oder begehrte Entscheidung selbst in seiner geschützten Rechtsstellung berührt.110 Allerdings hat der Bürger nur Anspruch auf Schutz seiner materiellen Rechtsposition. Er kann seine Klagebefugnis folglich nicht allein aus einem Verfahrensverstoß herleiten, so dass die deutsche Rechtsprechung zunächst angenommen hat, entsprechende Verfahrenspflichten könnten keinen Drittschutz entfalten.111 Auch dieser Grundsatz gerät gemeinschaftsrechtlich unter Druck, da dieses ein anderes Verständnis von der Bedeutung des Verfahrens zugrunde legt und bei komplexen Entscheidungen dem Verfahrensrecht eigenständige Bedeutung zumisst. Solche gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben führen jedoch nicht zu Systembrüchen;112 sie zwingen nicht einmal zu einer generellen Neubewertung des Verfahrens. Es genügt, den nationalen Umsetzungsvorschriften im Wege richtlinienkonformer Auslegung einen entsprechenden drittschützenden Charakter zuzuerkennen, wie es jüngst das OVG Koblenz im Zusammenhang mit einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung, der eine Umweltverträglichkeitsprüfung voranzugehen hatte, angenommen hat.113 Andererseits knüpft, wie am Beispiel des Telekommunikationsrechts deutlich wurde, auch das Gemeinschaftsrecht nicht an jede Beteiligung die Klagebefugnis. ___________ 109

Ohne solche Grenzwerte ist es aber durchaus diskussionswürdig, inwieweit aus Art. 2 und 3 der IVU-Richtlinie auch unterhalb dieser Schwelle die Klagemöglichkeit abgeleitet werden kann. Dies erscheint auch gemeinschaftsrechtlich keinesfalls selbstverständlich, bedürfte aber der näheren Untersuchung. 110 Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 95 m. w. Nachw.; Ehlers, Die Verwaltung 2004, 255 (264). 111 Vgl. dazu den Überblick bei Schoch, NVwZ 1999, 457 m. w. Nachw. 112 s. auch OVG Koblenz NVwZ 2005, 1208; dies hängt damit zusammen, dass auch nach deutschem Recht der Gesetzgeber zu einer entsprechenden Regelung in der Lage ist, s. Kopp/Schenke, VwGO, § 95 m. w. Nachw. 113 OVG Koblenz NVwZ 2005, 1208 unter ausdrücklichem Hinweis auf EuGH NVwZ 2004, 593; s. auch Kerkmann, DVBl. 2004, 1287; Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489; Stüer, NVwZ 2005, 508.

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b) Klagebefugnis und Ermessens- bzw. Beurteilungsspielräume Bei Ermessensentscheidungen bereitet die Frage der Klagebefugnis regelmäßig keine Probleme. Selbst wenn der Kläger nur ein formell subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung geltend machen kann,114 ist eine Klage jedenfalls zulässig. Letztentscheidungsbefugnisse der Verwaltung können eine gerichtliche Kontrolle damit nicht ausschließen, sondern lediglich begrenzen.115

c) Planerische Entscheidungen Auch für eine weitere Fallgruppe wurde von der Rechtsprechung eine Lösung bereits vorgezeichnet. Bei solchen Entscheidungen, die planerische Elemente enthalten, kommt es nicht darauf an, dass die einzelnen, in die Abwägung einzustellenden Gesichtspunkte drittschützende Wirkung entfalten. Wie das BVerwG zum baurechtlichen Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB entschieden hat,116 ist das Abwägungsgebot selbst die Schutznorm; es kommt also für die Klagemöglichkeit nicht darauf an, dass der gerügte Belang selbst den Rang eines subjektiven Rechts hat.117 Diese Grundsätze gelten nicht nur für Verwaltungsakte im Bereich des Umweltrechts, sondern beispielsweise auch im Telekommunikationsrecht, wo der größere Spielraum, der der Regulierungsbehörde auf der Basis der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien eingeräumt worden ist, zu einer Annäherung an Grundsätze des Planungsrechts geführt hat.118 Gerade dieses Beispiel zeigt, dass im praktischen Ergebnis häufig zwischen einer korrekten Anwendung der Schutznormtheorie und einer bloßen Interessentenklage kaum ein nennenswerter Unterschied besteht.119 Die Gemeinschaftsrechtskonformität ist also gerade im sich entwickelnden Recht der Wirtschaftsregulierung schon dann sichergestellt, wenn man die im nationalen Bau- und Umweltrecht entwickelten Grundsätze auf das Wirtschaftsrecht überträgt.

___________ 114

Ausf. Kopp/Schenke, VwGO, § 42, Rn. 91 ff. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, S. 219. Ausführlich der Beitrag von Laubinger, S. 177 ff. 116 BVerwG NJW 1999, 592. 117 s. auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rn. 894; Kopp/Schenke, VwGO, § 47, Rn. 72 m. w. Nachw. 118 Dazu näher Ruthig, in: Arndt/Scherer/Fetzer, TKG, § 2, Rn. 5 m. w. Nachw. 119 Dies zeigt sich gerade im Verhältnis von § 47 Abs. 2 VwGO aF zur neuen, an die Klagebefugnis angelehnten Fassung der Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren. Hier führte angesichts der dargestellten Rechtsprechung die engere Fassung des Gesetzes nicht zu einer Beschränkung der Antragsbefugnis, s. dazu näher Kopp/Schenke, VwGO, § 47, Rn. 44. 115

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V. Die Ausnahme: Verbandsklage als Beispiel für die Internationalisierung und Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts Die bisherigen Überlegungen standen auf dem Boden der Schutznormtheorie und ihrer grundrechtskonformen Anwendung. Lediglich die altruistische Verbandsklage nach § 61 BNatSchG stellt sich als eine anderweitige Vorschrift im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO dar. Anerkannten Naturschutzvereinen eröffnet sich hierdurch die Möglichkeit, Befreiungen von Schutzvorschriften zu Gunsten bestimmter unter Naturschutz stehender Gebiete sowie bestimmte Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen, ohne die Verletzung in eigenen Rechten geltend machen zu müssen. Diese Berechtigung unterliegt allerdings Einschränkungen. Die Befugnis steht nur anerkannten Naturschutzverbänden zu. Rechtsbehelfe sind ferner nur dann zulässig, wenn der Verein die Verletzung von Vorschriften rügt, die zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind (§ 61 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG), und dartun kann, dass die angegriffene Maßnahme seinen satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt (§ 61 Abs. 2 Nr. 2 BNatSchG), sofern er sich mit entsprechenden Einwänden bereits im Verwaltungsverfahren beteiligt hat.120 Die Entscheidung für eine solche Verbandsklage steht dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich frei. Bindungen ergeben sich allerdings durch das Gemeinschaftsrecht und in diesem Fall sogar aus dem Völkerrecht. Die Verbandsklage im Naturschutzrecht beruht wie auch der Anspruch auf Umweltinformation auf der Aarhus-Konvention.121 Zu ihrer Umsetzung wird die Aarhus-Konvention weitere Aktivitäten der Gesetzgeber mit sich bringen. Schon bevor die EU der Konvention beigetreten ist und sie am 17.02.2005 ratifiziert hat, hat die Gemeinschaft zu ihrer Umsetzung drei Richtlinien vorgesehen, darunter insbesondere die nur im Entwurf vorliegende Klagerechtsrichtlinie.122 Auch diese bestä___________ 120

Der Verein muss im Verwaltungsverfahren von den ihm auf Grundlage des § 58 Abs. 1 BNatSchG oder im Rahmen des § 60 Abs. 2 BNatSchG eröffneten Mitwirkungsmöglichkeiten Gebrauch gemacht haben (§ 61 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG) und ist überdies mit den von ihm im Verwaltungsverfahren nicht vorgebrachten Einwendungen im gerichtlichen Verfahren präkludiert (§ 61 Abs. 3 BNatSchG). 121 Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, so der eigentliche Name der Aarhus-Konvention, wurde unter den Auspizien der Wirtschaftskommission für Europa der Vereinten Nationen (UN-ECE) verhandelt und am 25. Juni 1998 im Rahmen der vierten PanEuropäischen Konferenz „Umwelt für Europa“ in Aarhus/Dänemark angenommen. Die Aarhus-Konvention trat am 30. Oktober 2001 in Kraft und wurde mittlerweile von 40 europäischen Staaten unterzeichnet, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland. 122 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. EG Nr. L 41/26 v. 14.02.2003; Richtlinie

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tigt, dass auch das Gemeinschaftsrecht keine umweltrechtlichen Popularklagen fordert, sondern für die „Mitglieder der Öffentlichkeit“ in Art. 4 Abs. 1 ausdrücklich den Mitgliedstaaten die Option eröffnet, an dem Erfordernis der Klagebefugnis festzuhalten, soweit das mitgliedstaatliche Prozessrecht ein solches Erfordernis vorsieht. Sie verlangt allerdings in Art. 4 Abs. 2, dass die Mitgliedstaaten diese Erfordernisse gesetzlich klarer konkretisieren. Spätestens hiermit steht fest, dass es keinen gemeinschaftsrechtlichen Grund gibt, das System des Individualrechtsschutzes zur Disposition zu stellen.123 Neben diese Individualklage tritt die Verbandsklage, wobei die Richtlinie einige weiterreichende Anforderungen an das Verfahren der Anerkennung solcher Verbände (einschließlich der international tätigen) aufstellt, die an dieser Stelle nicht zu vertiefen sind. Gerade an dieser Konvention zeigt sich auch, wie sehr – wenn auch im konkreten Fall erfolglos – sich Interessenvertreter um die Durchsetzung ihrer Vorstellungen bemühen. Die Umweltverbände hatten nämlich eine ganz andere Position vertreten, wie sich aus den Materialien ergibt: „Die Haltung der nichtstaatlichen Organisationen stand im krassen Gegensatz zu der Haltung der konsultierten Mitgliedstaaten. So wünschten sich die nichtstaatlichen Organisationen einen stärker zukunftsorientierten Vorschlag, da die Richtlinie ihrer Ansicht nach den Anwendungsbereich des Übereinkommens von Aarhus, vor allem was die Klagebefugnis betreffe, einschränke. Sie erwarteten eine sehr viel weiter gefasste Bestimmung und forderten eine allgemeine, uneingeschränkte Klagebefugnis, die so genannte Popularklage. Die Kommission teilt diesen Standpunkt nicht, da die Popularklage im Übereinkommen von Aarhus nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist und daher den Mitgliedstaaten überlassen bleiben muss.“124 Rechtlich konnten sich also Forderungen nach einer Abkehr vom traditionellen Modell nicht durchsetzen, ganz im Gegenteil: Die Diskussion um die Aar___________ 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, ABl EG Nr. 156/17 v. 25.06.2003. Außerdem Vorschlag für eine Richtlinie des Eurpäischen Parlaments und des Rates über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten v. 24.10.2003, KOM (2003) 624 endg. Außerdem s. zur Anwendung auf die Europäische Gemeinschaft den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlamentes und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Aarhus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft, KOM (2003) 622 endg. 123 Ebenso Schmidt-Preuß, NVwZ 2005, 489 (495). 124 KOM (2003) 624 endgültig, S. 10. Selbst das völkerrechtliche Abkommen versteht sich ganz fortschrittlich. Die Internetseite der United Nations Economic Comission for Europe über die Aarhus-Konvention steht unter dem Titel: Opening the doors to democracy. Es geht politisch um weit mehr als nur das Umweltrecht.

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hus-Konvention hat auch für das Gemeinschaftsrecht die ablehnende Haltung gegenüber einer Erweiterung der Klagebefugnis über die Anerkennung von Verbandsklagen hinaus deutlich werden lassen und damit mittelbar auch vielen Interpretationen den Boden entzogen, die dem Gemeinschaftsrecht weitergehende Bestrebungen unterstellt hatten. Gebannt ist die Gefahr einer Popularklage dennoch nicht. Die Frage hat sich freilich verschoben in vermeintliche Details der Anerkennung von Verbänden. Je stärker diese ausgeweitet werden und auch eine Ad-hoc-Anerkennung für ein konkretes Verfahren zugelassen wird, desto stärker nähert man sich dem bedenklich weiten ursprünglichen Ansatz des US-amerikanischen Prozessrechts an. Die Jura-Studenten, die in der eingangs zitierten Entscheidung ihren Naturgenuss geltend machten, würden sich sicherlich nicht davon abschrecken lassen, dass sie sich zunächst als Umweltverband anerkennen lassen müssen. Vieles wird hier von der näheren Ausgestaltung des Anerkennungsverfahrens abhängen. Dies könnte erklären, dass über den Vorschlag der Kommission über eine Richtlinie „über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten“, in der diese Fragen geregelt werden, noch nicht abschließend beraten worden ist. Erst bei solchen vermeintlichen Details entscheidet sich die Frage nach einem subjektiven oder objektiven Rechtsschutz im Umweltrecht.125

VI. Zusammenfassung Fassen wir die Ergebnisse zusammen. 1. In wohl allen Rechtsordnungen, die diesen Namen verdienen, sind das Verhältnis von Recht und Politik und seine prozessuale Fortsetzung im Verhältnis von Gerichtsbarkeit und Verwaltung und damit einhergehend auch von Gericht und Bürger ein Dauerthema.126 Die konkreten Antworten spiegeln immer auch allgemeingesellschaftliche Stimmungen wider127 und verweisen ___________ 125 Als problematisch würde sich vor allem eine zu extensive, auf das konkrete Verfahren beschränkte „ad-hoc-Anerkennung“ erweisen, die keine eigentliche Verbandsklage mehr wäre, sondern einer Popularklage sehr nahe käme. 126 s. für das deutsche Recht etwa Wahl, VBlBW 1988, 386; Weyreuther, UPR 1986, 121: „zeitloses Problem“. In den USA widmet sich ausgehend von der Entscheidung Overton Park vor allem der Beitrag von Strauss, UCLA L. Rev. 39 (1992), 1251 diesen Fragen. Die auch in den USA immer wieder neue Antwort auf diese Frage spiegelt sich schließlich in der gesamten Entwicklung des US-amerikanischen Verwaltungsrechts wider, dazu vor allem Rabin, Stan. L. R. 38 (1986), 1189 ff. Ein erstarkendes Vertrauen in die Politik kommt schließlich in den Beschränkungen der Klagebefugnis und der richterlichen Kontrolle zum Ausdruck, wie sie sich aus der neueren Rechtsprechung des Supreme Court ergeben, auch hierzu Strauss, UCLA L. Rev. 39 (1992), 1251 (1320 f.). 127 Zu einseitig allerdings Shapiro, Yale L. J. 92 (1983), 1487 (1490 f.): a standard for judicial review expresses only a „mood“.

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auf das Verhältnis von Recht und Politik. Die vorstehenden Überlegungen sollten in zweierlei Hinsicht auf eine Verkürzung der Darstellung des Verhältnisses von subjektivem Rechtsschutz und objektiver Rechtskontrolle hinweisen. Rechtsschutzintensiver ist das deutsche Modell subjektiven Rechtsschutzes; das objektive Rechtsschutzsystem würde als Grundmodell den verfassungs- und gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen an einen effektiven Rechtsschutz nicht genügen. Dennoch halten sich bei richtig verstandener Schutznormtheorie und Anerkennung einer Verbandsklage die praktischen Unterschiede in Grenzen. 2. Angesichts dessen führt auch das Gemeinschaftsrecht nicht dazu, wie es immerhin auch noch im Jahr 2003 der Präsident des BVerwG Hien formulierte, „dass die betonte Ausrichtung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit am Schutz subjektiver Rechte auf dem Prüfstand stehen wird“.128 Auf dem Prüfstand steht aber nicht die Schutznormtheorie, sondern nur die sie häufig verkürzende Rechtsprechung. 3. Erweiterungen der Klagebefugnis jenseits der Klagebefugnis bedürfen einer ausdrücklichen Entscheidung des Gesetzgebers, die den subjektiven Grundansatz jedenfalls nicht in Frage stellen darf. Dem Interesse eines wirksamen Einsatzes gerichtlicher Ressourcen kann deswegen nur durch Beschränkungen innerhalb dieses verfassungsrechtlichen Rahmens Rechnung getragen werden. Es dürfte deswegen auch kein Zufall sein, dass die Zulässigkeitsvoraussetzungen nach US-amerikanischem, europäischem und deutschem „Verwaltungsprozessrecht“ zunehmend konvergieren und sich die jeweiligen Rechtsordnungen – einschließlich der französischen – von sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten aufeinander zu bewegt haben. Es ist auch kein Zufall, dass insbesondere der Supreme Court das Erfordernis einer Klagebefugnis aus dem verfassungsrechtlichen Hintergrund ableitet. 4. Auch die Umsetzung von Verbandsklagerechten bereitet dem deutschen Prozessrecht keine Strukturprobleme. Es handelt sich bei ihrer Einführung um politische Entscheidungen, die grundsätzlich verfassungsrechtlich weder vorgeschrieben noch verboten sind. Erst wenn sie gehäuft auftreten, könnten sie verfassungsrechtlich bedenkliche Verschiebungen im System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes provozieren. Derzeit ist eine solche Verschiebung allerdings nicht in Sicht, sofern die weitere Umsetzung der Aarhus-Konvention an ihrem subjektivrechtlichen Ausgangspunkt festhält.

___________ 128

Vgl. Hien, DVBl. 2003, 685 (686).

Die Klagebefugnis in Korea Von Jee Tai Ryu

The court would listen to anyone whose interests were affected, but not to a mere busybody interfering in things which did not concern him. Lord Denning M.R.1

I. Einleitung Dem Staat kommt heute nicht nur die klassische Aufgabe der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren zu. Seine Aufgabe besteht vielmehr auch darin, die sich bereits im Vorfeld von Gefahren ergebenden Gefährdungslagen zu bewältigen wie auch soziale Leistungen an den Bürger zu erbringen.2 Im Hinblick auf diese Veränderung der staatlichen Funktionen kann das Recht nicht problemlos an tradierte Institute und Rechtsfiguren anknüpfen. Gefordert ist deshalb eine Fortentwicklung des Rechts, die den veränderten Verhältnissen in einer modernen hochkomplexen Gesellschaft Rechnung trägt. Dieser Fortentwicklung und Anpassung bedarf es in den verschiedensten Rechtsgebieten. Im Verwaltungsprozeßrecht ist hier insbesondere ein Neuüberdenken des Instituts der Klagebefugnis geboten, um auf diese Weise einen effektiven und zeitgerechten Schutz der Interessen des Bürgers sicherzustellen.3 Der vorliegende Beitrag wird sich unter Heranziehung rechtsvergleichender Aspekte der insoweit bestehenden Herausforderung stellen. Dabei werde ich mich in diesem Zusammenhang aus Zeitgründen auf die Behandlung der Fragen beschränken, welche die Klagebefugnis in Verbindung mit der Anfechtungsklage aufwirft.

___________ 1

P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 719. J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2002, S. 524. 3 Vgl. statt vieler M. Dolderer, Verwaltungsprozeß im Wandel, in: C.-E. Eberle (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Brohm, 2002, S. 245 ff. 2

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II. Klagebefugnis 1. Begriff der Klagebefugnis Unter der Klagebefugnis versteht man die prozessuale Berechtigung des Klägers, das beanstandete hoheitliche Verhalten einer gerichtlichen Überprüfung zuzuführen.4 Sie ist eine Sachurteilungsvoraussetzung der Klage. Die Klagebefugnis ist ein eigenständiges Rechtsinstitut des Verwaltungsprozesses und nur funktional, nicht aber sachlich mit der zivilprozessualen Prozeßführungsbefugnis vergleichbar.5 Die Prozeßführungsbefugnis im Zivilprozeß ist von der Sachlegitimation scharf zu unterscheiden. Die Sachlegitimation gehört zur Begründetheit der Klage; die Prozeßführungsbefugnis ist Voraussetzung ihrer Zulässigkeit.6 Dieser Zusammenhang gilt auch für das Verhältnis zwischen Klagebefugnis und Begründetheit einer Klage im Verwaltungsprozeß. Die Prozeßführungsbefugnis steht in der Regel dem Inhaber des streitigen Rechts zu. Wer behauptet, daß ihm ein Recht zustehe, ist auch zur Prozeßführung über dieses Recht befugt.7 Nach diesem Gedanken muß der Kläger im Verwaltungsprozeß ein eigenes subjektives Recht gegen den Staat geltend machen.

2. Rechtsnatur der Klagebefugnis a) Zusammenhang zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und Klagebefugnis Die Klagebefugnis ist Sachurteilungsvoraussetzung der Klage. Sie steht also funktional in engem Zusammenhang mit dem Streitgegenstand und dem Urteilsinhalt. Während die Klagebefugnis der Anfechtungsklage die Möglichkeit einer Verletzung der subjektiven Rechte des Klägers voraussetzt, prüft das Gericht diese Behauptung des Klägers als Streitgegenstand und das Vorliegen einer subjektiven Rechtsverletzung in der Regel abschließend im Rahmen der Begründetheit (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO). Die Klagebefugnis begrenzt den Streitge___________ 4

D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 295. D. Lorenz, Verwaltungsprozeßrecht, 2000, S. 295. 6 L. Rosenberg/K. H. Schwab/P. Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., 2004, § 46 Rn. 3. 7 L. Rosenberg/K. H. Schwab/P. Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., 2004, § 46 Rn. 5. 5

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genstand (§ 88 VwGO) und korrespondiert mit dem materiellrechtlichen Anspruchsgrund des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.8

b) Rechtslage in Korea Dieser enge systematische Zusammenhang der Klagebefugnis ist leider in der Verwaltungsgerichtsbarkeit von Korea bisher nicht verwirklicht. Korea hat erst seit 1998 eine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dieses System ist in asiatischen Ländern sehr selten zu finden. Japan und China haben bisher keine eigenständige Verwaltungsgerichtsbarkeit. Mit dem System seiner Verfassungsgerichtsbarkeit hat Korea ein ähnliches System des öffentlichen Rechtsschutzes wie in Deutschland aufgebaut. Gegenüber der schnellen Entwicklung der koreanischen Verfassungsgerichtsbarkeit hat sich die koreanische Verwaltungsgerichtsbarkeit aber nur sehr langsam entwickelt. Wir müssen unter anderem noch mehr Klagearten einführen und den Bereich des Klagegegenstandes erweitern. Vor dem Jahr 1998 sind Verwaltungsprozesse in Korea wegen des Einflusses des US-amerikanischen Rechtsschutzsystems vor den ordentlichen Gerichten geführt worden. Aus diesem historischen Grund sind Einflüsse des Zivilprozesses noch in vielerlei Hinsicht im Verwaltungsprozeß erhalten geblieben. Diese Einflüsse sollten noch gemindert werden. Obwohl die Klagebefugnis bei der Anfechtungsklage – wie in Deutschland – nur im Falle der Möglichkeit einer Verletzung subjektiver Rechte zu bejahen ist, sehen die koreanischen Verwaltungsgerichte nur die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Verwaltungshandlung als den Streitgegenstand der Anfechtungsklage an. Sie halten eine Klage deshalb schon dann für begründet, wenn die Maßnahme (nur) rechtswidrig ist. Die Verletzung eines subjektiven Rechts spielt auf der Ebene von Streitgegenstand und Urteilsinhalt keine Rolle mehr. Man kann also sagen, daß Korea – mit Ausnahme der Klagebefugnis – die Anfechtungsklage – wie Frankreich – als objektive Klage behandelt. Ich halte diese Rechtsprechung der koreanischen Verwaltungsgerichte in Bezug auf den Streitgegenstand und den Urteilsinhalt der Anfechtungsklage für systemfremd. Die innere Schlüssigkeit des Prozeßrechtssystems im Zusammenhang mit der Klagebefugnis bedarf noch vieler Untersuchungen.

___________ 8

M. Ruffert, Dogmatik und Praxis des subjektiv-öffentlichen Rechts unter dem Einfluß des Gemeinschaftsrechts, DVBl 1998, 69 f.; W. Skouris, Verletztenklagen und Interessentenklagen im Verwaltungsprozeß, 1979, S. 154.

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3. Funktionen der Klagebefugnis Die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat verschiedene Funktionen. Zu differenzieren ist hier vor allem zwischen der objektivrechtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns und dem subjektiven Rechtsschutz. Rechtsvergleichend gesehen, wird meist einer dieser beiden Funktionen ein deutlich größeres Gewicht beigemessen. Die Schwerpunkte zwischen den beiden Funktionen werden in den jeweiligen Rechtsordnungen mithin ganz unterschiedlich gesetzt. Dies ist bedingt durch die historische Entwicklung des Verwaltungsprozesses. Im französischen Modell dominiert die objektivrechtliche Kontrolle, im deutschen Modell der Schutz subjektiver Rechte. In Deutschland ergibt sich der Schutz subjektiver Rechte als Primärzweck des Verwaltungsprozesses schon aus Art. 19 Abs. 4 GG.9 Weil die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG ausschließlich den Schutz subjektiver Rechte des einzelnen beinhaltet, enthält sie eine Systementscheidung für den Individualrechtsschutz. Die gerichtliche Kontrolle staatlichen Handelns auf Einhaltung des objektiven Rechts ist lediglich eine Nebenfolge des auf die individuelle Rechtsposition bezogenen Rechtsschutzes. Dagegen muß man auf die historische Entwicklung zurückgreifen, wenn man die Funktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Frankreich, die primär der objektivrechtlichen Kontrolle dienen soll, verstehen will: Die Niederlage der Parlamente beim Kampf um die Macht mit dem königlichen Beamtentum im 18. Jahrhundert führte zur Entmachtung des Justizapparates in Frankreich. Die Verwaltung hatte sich als Garant der Wahrnehmung des allgemeinen Interesses dargestellt, während das gerichtliche Verfahren als unmodern und unnütz hingestellt wurde.10 Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit nahm deswegen ihren Ursprung in einem Dienstaufsichtsbeschwerdeverfahren. Ihre Hauptaufgabe besteht aus diesem geschichtlichen Grund darin, eine objektive Kontrolle über die Verwaltung auszuüben, um die Einhaltung der Gesetze und Verordnungen zu gewährleisten. Der Schutz des allgemeinen Interesses ist für das französische Modell das Hauptziel.11

___________ 9

Vor allem W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, 9. Aufl., 2004, S. 3. J.-M. Woehring, Die deutsche und die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, NVwZ 1998, 462 (463). 11 J.-M. Woehring , NVwZ 1998, 462 (463). 10

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a) Subjektiver Rechtsschutz aa) Rechtslage in Deutschland Im Deutschland regelt § 42 Abs. 2 VwGO die Klagebefugnis. Danach sind, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, Anfechtungsklage wie auch Verpflichtungsklage nur dann zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt bzw. seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. Sinn und Zweck des § 42 Abs. 2 VwGO ist es, Popularklagen zu verhindern. Mit einer Popularklage wird lediglich die Nichtbeachtung der objektiven Rechtsordnung und damit in der Regel eine Verletzung von Interessen der Allgemeinheit, nicht aber eine Verletzung eigener subjektiver Rechte geltend gemacht.12 In Deutschland sieht man als die Funktion der Klagebefugnis bei der Anfechtungsklage hingegen primär die Sicherung des subjektiven Rechtsschutzes an. Sie wird auf als eine über hundertjährige deutsche Rechtstradition zurückgeführt.13 Im diesen deutschen Modell spielt die sog. Schutznormtheorie eine wichtige Rolle. Eine Schutznorm soll dann vorliegen, wenn die Vorschrift Individualinteressen dient. Dabei ist es ausreichend, daß sie zumindest neben der Allgemeinheit auch Einzelne begünstigen oder schützen will.14 Weil die Schutznormtheorie heftiger Kritik ausgesetzt ist, werden zahlreiche Varianten dieser Theorie als Alternativen vertreten. Man könnte überspitzt formulieren, daß es derzeit so viele Schutznormtheorien wie Vertreter dieser Theorien gibt.15 Gewiß ist auch der Versuch einer Strukturierung und Systematisierung unternommen worden, um die Schutznormlehre für die weitere Entwicklung offen zu machen.16 Aus der Unverzichtbarkeit der Feststellung des Schutzzwecks im Sinne der Schutznormtheorie kann aber m. E. nicht einfach gefolgert werden, daß die neue Schutznormtheorie in komplexen Gesellschaften zu angemessenen Lösungen führen kann. Im Rahmen der Klagebefugnis ist der Suche nach einem rechtlichen Rahmen für flexible Formen effektiven Rechtsschutzes angemessen Rechnung zu tragen.

___________ 12

W.-R. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, S. 153. K. Gierth, Klagebefugnis und Popularklage, DÖV 1980, 893. 14 E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art. 19 Abs. 4, 2003, Rn. 127 f. 15 M. Eisele, Subjektive öffentliche Rechte auf Normerlaß, 1999, S. 49. 16 Z.B. E. Schmidt-Aßmann, in: T. Maunz/G. Dürig, GG, Art.19 Abs. 4, 2003, Rn. 131 ff. 13

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bb) Rechtslage in Korea Die Garantie eines gerichtlichen Schutzes subjektiver Rechte ist – anders als im Deutschland – der koreanischen Verfassung nicht zu entnehmen. Jedoch verlangt § 12 Abs. 1 der koreanischen Verwaltungsgerichtsordnung (KVwGO) eine subjektive Rechtsposition. Diese Norm fordert ein „gesetzlich geschütztes Interesse an der Aufhebung einer verwaltungsbehördlichen Verfügung“ als Voraussetzung der Klagebefugnis für die Anfechtungsklage. Daher ist der Schutz subjektiver Rechtspositionen zwar nicht verfassungsrechtlich determiniert, wird aber vom einfachen Gesetz vorausgesetzt. Folglich soll hier die individualschützende Ausrichtung des einfachen Rechts in einem Gerichtsurteil untersucht werden. Hier spielt die deutsche Schutznormtheorie auch in Urteilen der koreanischen Verwaltungsgerichte eine wichtige Rolle, weil die Abstellung auf das gesetzlich geschützte Interesse der Schutznormtheorie entspricht. Zur Ermittlung des individualgerichteten Gehalts des einfachen Rechts werden daher die in Frage kommenden Normen ausgelegt und auf ihren Schutzzweck hin untersucht. Wenn man aber die allgemeine Tendenz in der Rechtsprechung koreanischer Obergerichte beobachtet, kann man feststellen, daß koreanische Verwaltungsgerichte den Schutzzweck einfachen Rechts restriktiver als in Deutschland interpretierten. Ich frage mich aber, ob wir diesem deutschen Modell weiter folgen sollten. Wir haben keine bindende verfassungsrechtliche Bestimmung wie Art. 19 Abs. 4 GG. Die koreanische Verfassung ist in dieser Frage neutral. Insofern existiert keine verfassungsrechtliche Vorgabe. Es sollte daher überdacht werden, wie durch eine flexiblere Handhabung der Klagebefugnis die unterschiedlichen, einem starken Wandel unterliegenden Klägerinteressen aufgefangen werden können.

b) Objektive Rechtskontrolle Das Modell einer objektiven Rechtskontrolle kann man vor allem im französischen Recht finden. Der Begriff des intérét pour agir, also ein Interesse an der Aufhebung der als unrechtmäßig gerügten Maßnahmen, erfüllt die Funktion der Klagebefugnis im französischen Recht. Maurice Hauriou bezeichnete dabei die Rolle des Klägers als surveillant de l’administration, also als Wächter über die Verwaltung.17

___________ 17 J. Schwarze, Grundlinien und neuere Entwicklungen des Verwaltungsrechtsschutzes in Frankreich und Deutschland, NVwZ 1996, 22 (23).

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Im französischen Konzept ist der Begriff des Recours pour exces de pouvoir das Kernstück des Verwaltungsrechtsschutzes. Er läßt sich definieren als die Klage, mit der jedermann, sofern er daran ein irgendwie geartetes Interesse hat, die Aufhebung einer vollziehbaren Entscheidung durch den Verwaltungsrichter wegen deren Rechtswidrigkeit begehren kann. Der Kläger braucht nur ein persönliches Interesse an der Aufhebung der gerügten Maßnahme nachzuweisen. Die Verletzung eines subjektiven Rechts ist im Gegensatz zum deutschen Recht nicht erforderlich. So sind auch Vereinigungen und Verbände klagebefugt, wenn die Interessen aller oder doch eines Teils der Mitglieder betroffen sind.18 Der Conseil d’Etat hat eine immer großzügigere Auslegung des Begriffs verletztes Interesse entwickelt, so daß die französische Anfechtungsklage der Popularklage sehr nahe gekommen ist. Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit ist daher als ein Instrument umfassender Verwaltungskontrolle einzuschätzen.19 Im heutigen englischen Modell bildet – anders als noch im früheren Common Law – ebenfalls die objektive Rechtskontrolle den Schwerpunkt des Verwaltungsprozesses.20 Dem öffentlichen Recht geht es vor allem um die Kontrolle der öffentlichen Gewalt. Dabei ist es nicht wichtig, ob bestimmte subjektive Rechte in Frage stehen. Einem Bürger soll unabhängig von der Verletzung eigener Rechte erlaubt sein, eine gerichtliche Überprüfung hoheitlicher Maßnahmen zu initiieren, um einen möglichen Mißbrauch staatlicher Gewalt zu kontrollieren.21 Die US-amerikanische Verfassung enthält keine Bestimmung über den Schwerpunkt und die Bedeutung des Verwaltungsprozesses.22 Da die gerichtliche Kontrolle nicht als Prinzip, sondern als Regel einzustufen ist und das Recht zur Klageerhebung ein fundamentales Recht (Basic Right) darstellt,23 wird die Klagebefugnis (Standing) vom Obersten Gericht (Supreme Court) extensiv interpretiert. Vom Kläger wird lediglich gefordert, eine konkrete Verletzung persönlicher Interessen (injury in fact) zu zeigen.24 Dabei ist es nicht wichtig, ob ___________ 18

H. D. Jarass, Besonderheiten des französischen Verwaltungsrechts im Vergleich, DÖV 1981, 813 (821). 19 J.-M. Woehring, Die französische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Vergleich mit der deutschen, NVwZ 1985, 21 ff. 20 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 746. 21 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 750. 22 Artikel III Section 1: The judicial power of the United States, shall be vested in one Supreme Court, and in such inferior courts as the Congress may from time to time ordain and establish. 23 L. L. Jaffe, The Right to Judicial Review I, 71 Harvard Law Review, 401, 432 (1958). 24 K. C. Davis, Standing: Taxpayers and Others, 35 U. Chicago Law Review, 601 (1967-1968).

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diese Verletzung aktuell oder drohend ist.25 Demgegenüber ist die Erhebung von Klagen zur Geltendmachung öffentlicher Interessen nur bestimmten Organisationen (the Sierra Club, Defenders of Wildlife, Common Cause, Environmental Defense Fund etc.) erlaubt.26 Die Berechtigung für die Klagebefugnis, wie sie im amerikanischen Recht gefordert wird, injury in fact, ist überzeugender als eine Lösung, welche das Vorliegen einer Klagebefugnis von der gesetzgeberischen Intention abhängig macht. Denn es ist schwierig und nicht vorteilhaft für den Rechtsschutz, vom Kläger zu fordern, die gesetzgeberische Intention selbst zu untersuchen. Das Risiko einer fehlerhaften Beurteilung der gesetzgeberischen Intention und damit die Erhebung einer mangels Klagebefugnis erfolglosen Klage ist nicht zu verkennen. Aber was unter dem Begriff der injury in fact zu verstehen ist, ist selbst ein normatives Werturteil, denn rein aus der empirischen Anschauung heraus kann diese Frage nicht beantwortet werden.27 Als Strukturprinzip läßt sich der Schutz von Allgemeininteressen auch im europäischen Gemeinschaftsrecht finden und steht als solches in fundamentalem Gegensatz zur deutschen Schutznormlehre.28 Es ist als aus dem französischen Rechtskreis entlehnte Struktur zu beschreiben.29

III. Zukünftige Perspektive der Klagebefugnis 1. Kritische Würdigung einer Überbewertung der subjektiven Rechtsverletzung a) Prozeßrechtliches Argument Am deutschen Modell der Klagebefugnis ist bisher vielfach Kritik geäußert worden. Ein erster Einwand richtet sich gegen die systematische Einordnung der Klagebefugnis in der Prozeßrechtslehre. Während früher der subjektive Interessenbezug als kontrollbegrenzende Klagevoraussetzung noch notwendig war, um das Tor zur Nachprüfung der Verwaltung an Hand des objektiven Gesetzmäßigkeitsprinzips zu öffnen, so hat sich diese Funktion der Klagebefugnis in dem Augenblick erledigt, in dem die prozessuale Vorfrage zur materiellen ___________ 25 J. H. Reese/R. H. Seamon, Administrative Law: principles and practice, 2. ed., 2003, p. 574. 26 J. H. Reese, Administrative Law: principles and practice, 1995, p. 570. 27 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 750. 28 T. v. Danwitz, Zur Grundlegung einer Theorie der subjektiv-öffentlichen Gemeinschaftsrechte, DÖV 1996, 481 (484 ff.). 29 M. Ruffert, DVBl 1998, 69 (71).

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Hauptsache des Prozesses wurde und sich das subjektive Recht des Klägers von der Voraussetzung zum Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle wandelte.30 Des weiteren wird angeführt, daß eine großzügigere Gestaltung der Zulassungsbedingungen den großen Vorteil hätte, daß sie die Nachprüfung der Zulässigkeitselemente vereinfache.31 Ein weiteres Argument kommt hinzu: Das Spektrum der Anforderungen, die an die Intensität der Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte gestellt werden, ist sehr unterschiedlich. Z. T. wird die schlüssige Darlegung der behaupteten Rechtsverletzung gefordert, z. T. deren Substantiiertheit und Plausibilität, mitunter aber auch nur die Möglichkeit der geltend gemachten Rechtsverletzung, u. U. sogar nur die bloße Behauptung, ein eigenes Recht geltend zu machen. Mit diesen verschiedenen Theorien kann sich kein Gericht eingehend beschäftigen, wenn es über eine Anfechtungsklage zu befinden hat.32 Nach dem deutschen Modell kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht aufgehoben werden, sofern er den Kläger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt. Man kann deshalb kritisch einwenden, daß dieses Modell zum Schutz der Individualrechte das Wohl der Allgemeinheit aufopfert. Die Frage, ob diese starke Betonung des Individualrechtsschutzes nicht auf Kosten der Gesetzmäßigkeit und der Legitimität der Verwaltung gehen muß, läßt sich aus der Funktion des Verwaltungsrechts beantworten. Die Funktion des Verwaltungsrechts liegt nämlich nicht nur im Schutz individueller (subjektiver) Rechte, sondern auch in der objektiv-rechtlichen Kontrolle des Verwaltungshandelns.

b) Einwände gegen die Schutznormtheorie Weil die verwaltungsgerichtliche Klage als subjektive Klage wie im Zivilprozeß der Geltendmachung subjektiver Rechte dient, ist es notwendig, nach Normen zu suchen, die subjektive öffentliche Rechte begründen. Aber diese gebräuchliche Schutznormtheorie war und ist noch immer heftigen Angriffen aussetzt. Die Suche nach dem konkreten Gesetzeszweck oder dem gesetzgeberischen Willen verläuft mangels aussagefähiger Ansatzpunkte häufig spekulativ und führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit.33 Beim Erlaß einer Norm denkt der Gesetzgeber in der Regel nicht daran, wer aufgrund dieses Gesetzes Klage er___________ 30 H. H. Rupp, Kritische Bemerkungen zur Klagebefugnis im Verwaltungsprozeß, DVBl 1982, 144 (145). 31 J.-M. Woehring , NVwZ 1998, 462 (465). 32 K. Gierth, DÖV 1980, 893 (894). 33 H. H. Rupp, DVBl 1982, 144 (147).

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heben könnte. Es ist daher nicht einfach, gesetzliche Zwecke zu definieren und zu verfolgen. Auch ist die Unschärfe des Begriffs des Interesses nicht zu verkennen.34 Also hat Schutznormtheorie die Schwäche, zu definieren, wer ein gesetzlich geschütztes Interesse hat. Wie eine genaue Unterscheidungslinie gezogen werden kann, ist sehr umstritten.35 Wer von der Entscheidung einer Behörde nur mittelbar betroffen ist, kann die Anfechtungsklage gemäß der Schutznormlehre nicht erheben, weil er nicht geltend machen kann, durch sie in seinem gesetzlich geschützten Interesse verletzt zu sein. Aber der Grund, warum der mittelbar Betroffene von der Klagebefugnis der Anfechtungsklage ausgeklammert bleiben soll, sollte hinsichtlich der Rolle des Bürgers im demokratischen Rechtsstaat neu überdacht werden. Wenn von der Entscheidung einer Behörde der Bürger zwar nur mittelbar betroffen ist, gleichwohl aber das Interesse, die öffentliche Gewalt zu kontrollieren unmittelbar betroffen ist, wäre es wünschenswert, denen die Klagebefugnis zu geben, die besser dieses Interesse im Prozeß verfolgen können. Im diesen Fall sollte dem Kläger die Funktion als Wächter über die Verwaltung zugewiesen werden. Damit soll keiner Popularklage das Wort gesprochen werden, die selbstverständlich als unzulässig anzusehen ist, denn der Kläger, der ein ausreichendes Interesse besitzt, gegen die Entscheidung einer Behörde geschützt zu werden, ist gerade kein Popularkläger.

c) Klagebefugnis und angloamerikanische Popularklage (Citizen Action) Auf der Basis des deutschen Modells ist eine Popularklage nach dem Modell der Citizen Action nicht möglich. Eine sog. Citizen Action, die in den USA und Großbritannien üblich ist, ist gegen das Verwaltungshandeln gerichtet, das zwar auf keinen bestimmten Bürger gerichtet ist, aber auf eine unbestimmte Vielzahl von Bürgern einwirkt. Diese sog. Citizen Action ist von dem Gedanken getragen, daß es die Hauptaufgabe des öffentlichen Rechts sei, die öffentliche Gewalt innerhalb ihrer Grenzen zu bewahren. Sie trägt dem Umstand Rechnung, daß der Bürger in der Regel berechtigt sein soll, öffentliche Interessen zu schützen, ohne eine individuelle Rechtsverletzung beweisen zu müssen.36

___________ 34

H. Bauer, Altes und Neues zur Schutznormtheorie, AöR 113 (1988), 582 (593 f.). Dagegen behauptet Ruffert eine modifizierte Interpretation des § 42 Abs. 2 VwGO (M. Ruffert, DVBl 1998, 69 (74)). Aber ob diese neue Formulierung irgendetwas Neues bringt, ist m. E. fraglich. 36 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 743, 749. 35

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Weil öffentlichrechtliche Streitfragen einen breiten Einwirkungsbereich haben, kann die traditionelle „schmale Methode“ über die Klagebefugnis dieses Problem nicht in sachgerechter Weise lösen. Sie kehrte es lediglich unter den Teppich.37 Der Einzelne eignet sich vielfach in besonderer Weise, öffentliche Interessen zu schützen. Das tradierte Modell der Klagebefugnis könnte neue Rechtsgüter, die schützenswert sind, nicht in ausreichendem Umfang schützen. Und dies, obwohl ein breites Spektrum hoch bedeutsamer sozialer, ökonomischer und ökologischer Rechtsgüter deren Schutz als erstrebenswert und erforderlich erscheinen läßt.38 Nichtökonomische oder ökologische Rechtsgüter sind ebenso wie ökonomische Individualrechtsgüter wichtige Bestandteile für unser Leben in der Gesellschaft.39 Traditionelle gesetzliche Rechte in bezug auf solche Rechtsgüter existieren jedoch nicht in allen Fällen. Wir haben also ein Rechtssystem zu entwickeln, das neue Rechte oder eine neue Vorstellung von Eigentum enthält, um den Schutz solcher neuer Rechtsgüter zu erreichen. Eine Ausrichtung der Klagebefugnis an der Schutznormlehre ist nicht geeignet, um diese Probleme zu bewältigen. Ein solcher dogmatischer Ansatz bleibt zu sehr in das Korsett der subjektiven Rechte gepreßt.40 Dazu braucht man eine neue Denkformel: Die Klagebefugnis sollte abhängig von dem Grad konkreter Interessen differenziert betrachtet werden.

d) Klagebefugnis und bürgerlicher Ungehorsam Ich finde, das Institut der Klagebefugnis weist Bezüge zum Begriff des sog. bürgerlichen Ungehorsams auf. Akte des bürgerlichen Ungehorsams sind das letzte Mittel, um oppositionellen Argumenten stärkeres Gehör und politischen Einfluß zu verschaffen. Diese Akte gewaltfreier symbolischer Rechtsnormverletzung verstehen sich als Ausdruck des Protestes gegen bindende Entscheidungen, die nach Auffassung der Akteure trotz ihres legalen Zustandekommens im Lichte geltender Rechtsnormen illegitim sind.41 Der zivile Ungehorsam klagt ___________ 37 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 748: „they brush it under the carpet.“ 38 M. Ruffert, DVBl 1998, 69 (70). 39 J. H. Reese/R. H. Seamon, Administrative Law: principles and practice, 2. ed., 2003, p. 584-585. 40 J.-M. Woehring, NVwZ 1998, 462 (463). 41 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2002, S.462.

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implizit immer auch die Rückkoppelung der verfaßten politischen Willensbildung an die Kommunikationsprozesse der Öffentlichkeit ein.42 Sofern sich der demokratische Rechtsstaat nicht als fertiges Gebilde darstellt, sollte die rechtsstaatlich verfaßte Rechtsordnung nach außen geöffnet sein. Obwohl der bürgerliche Ungehorsam seine ihm eigene Funktion hat, welche durch das Medium der öffentlichen Meinung die geltende Rechtsordnung zu revidieren und verbessern vermag, wäre es vernünftiger, den Eintritt des bürgerlichen Ungehorsams am besten zu vermeiden, um die normativen Kräfte des Rechtsstaates zu bewahren. Der Bürger artikuliert in Form des bürgerlichen Ungehorsams sein Interesse, sich an der Verwirklichung des Rechts gegenüber der öffentlichen Gewalt aktiv zu beteiligen. Die Rechtsordnung sollte sich diese Interessen der Bürger zu eigen machen und sie aufnehmen. Diese Funktion könnte innerhalb des Verwaltungsprozeßrechts das Institut der Klagebefugnis übernehmen. Auf die sich daraus ergebende Konzeption der Klagebefugnis wird im Folgenden einzugehen sein.

2. Verbesserungsvorschläge der Klagebefugnis a) Anwendung des Regel-Prinzip-Modells Wie bereits zu Anfang meines Vortrags erwähnt, muß das Recht gewisse reale Vorgegebenheiten berücksichtigen und so auf sie reagieren. Hierzu bedarf es einer Fortentwicklung und Anpassung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die mit den tradierten Denkformen nicht zu bewerkstelligen ist. Das subjektiv öffentliche Recht ist Ausdruck einer Konzeption, die den Bürger als Rechtssubjekt, als Rechtsträger gegenüber dem Staat betrachtet. Das Interesse an der Aufhebung der gerügten Maßnahme stellt demgegenüber mehr den objektiven Charakter des Prozesses in den Vordergrund. Aber subjektive und objektive Funktionen sind nicht als unvereinbar zu betrachten. Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle sind von dem funktionalen Gesichtspunkt her gesehen als gleichwertig tragende Prinzipien der Verwaltungsgerichtsbarkeit anzusehen. Zur Systematisierung der Integrationsmöglichkeiten beider Funktionen von Verwaltungsgerichtsbarkeit soll die rechtstheoretische Unterscheidung zwischen Prinzipien und Regeln vorgestellt werden. Prinzipien stellen Rechtsnormen dar, die als Optimierungsgebote fordern, daß subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle im Verwaltungs___________ 42

J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2002, S.463.

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prozeß in Abhängigkeit von den rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten in möglichst hohem Maß realisiert werden. Prinzipien gelten nicht absolut, sondern je nach ihrem Gewicht im Einzelfall, sie sind kompromißfähig.43 Gegenläufige Rechtsprinzipien begrenzen den Wirkungsbereich des einzelnen Rechtsprinzips. Das jeweils einschlägige Prinzip genießt gewiß Vorrang, aber dadurch verlieren die zurücktretenden Prinzipien nicht ihre Geltung. Je nach entscheidungsbedürftigem Fall geht ein Prinzip anderen Prinzipien vor. Zwischen Prinzipien stellt sich von Fall zu Fall eine andere transitive Ordnung her, ohne daß dadurch die Geltung der Prinzipien berührt wird.44

b) Klagebefugnis de lege ferenda Vor dem Hintergrund dieser rechtstheoretischen Unterscheidung lassen sich beide Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit als Ganzes in Form von Rechtsprinzipien in die Rechtsordnung integrieren. Wie beide Prinzipien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu erfüllen sind, ist schwer zu beantworten. Der Versuch, die Klagebefugnis differenziert zu gestalten, könnte ein Lösungsvorschlag dafür sein. Diesen Versuch kann man im angelsächsischen Modell finden. Es gibt eine Tendenz in den USA, Großbritannien und Kanada, das Institut der Klagebefugnis differenziert zu betrachten. Zum Beispiel schlägt Jaffe vor, bezüglich der Klagebefugnis zwischen zwei Arten von Klagebefugnis zu differenzieren. Die Personen mit einem bestimmten Interesse haben eine eigenständige Klagebefugnis (as of right). Aber die Klagebefugnis kann dem Bürger auch nach dem jeweiligen Ermessen durch ein Gericht gegeben werden.45 Die Frage, ob eine Klageerhebung zur Geltendmachung rein öffentlicher Interessen generell geregelt werden sollte, ist nicht einheitlich zu beantworten. Es wäre daher sicherlich zweckmäßiger, im Einzelfall mittels eines gesetzlich eingeräumten Ermessens des Gerichts eine Klagebefugnis zu gewähren.46 Eine ähnliche Unterscheidung findet sich auch bei dem Engländer Lord Woolf, welcher ebenfalls eine eigenständige und eine durch eine gerichtliche

___________ 43 R. Alexy, Zum Begriff des Rechtsprinzips, in: W. Krawietz u. a. (Hrsg.), Rechtstheorie Beiheft I: Argumentation und Hermeneutik in der Jurisprudenz, 1979, S. 59 ff. 44 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 2002, S. 255 45 L. L. Jaffe, Standing to Secure Judicial Review: Public Actions, 74 Harvard Law Review, 1265, 1296 (1960-1961). 46 P. P. Craig, Administrative Law, 5. ed., 2003, p. 751.

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Ermessensentscheidung gewährte Klagebefugnis unterscheidet. Ein derartiges System ist im kanadischen Recht rezipiert.47 Das öffentliche Recht beschäftigt sich mit dem Mißbrauch von Kompetenzen der Verwaltung. Jeder Bürger kann ein ausreichendes Interesse haben, diesen Mißbrauch vor Gericht zu bringen. Anders liegt es bei solchen Verwaltungshandlungen, die sich auf viele, jedoch im Einzelnen nicht ausdrücklich bestimmte Bürger auswirken. Oftmals wäre hier mangels Klagebefugnis Einzelner ein Fehlen der gerichtlichen Kontrolle und ein daraus resultierendes Defizit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns die Folge. Daher erscheint es sinnvoll und notwendig, in solchen Fällen aufgrund einer gerichtlichen Ermessensentscheidung bestimmten Gruppen von Personen eine Klagebefugnis einzuräumen.

c) Die Rechtslage in Korea Die geltende Regelung des § 12 Abs. 1 KVwGO sieht in Gestalt des „gesetzlich geschützten Interesses“ eine Klagebefugnis im Falle der Anfechtungsklage vor. In dieser Regelung kommt die subjektivrechtliche Rechtsschutzfunktion der Anfechtungsklage in Korea zum Ausdruck. Jedoch fehlt eine verfassungsrechtliche Bestimmung, die die verwaltungsgerichtliche Kontrolle auf den Schutz personaler subjektiver Rechte verpflichtet. Ein Versuch, durch eine Rechtsfortbildung des subjektiven öffentlichen Rechts Aufgaben objektiver Rechtskontrolle wahrzunehmen,48 dürfte m. E. in Korea nicht nur unnötig, sondern aus den genannten Gründen auch unpraktisch und nicht empfehlenswert sein. Reformanregungen für eine Verwirklichung der Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit kann man sich von dem Vorschlag der Novellierungskommission der Verwaltungsgerichtsordnung, die seit 2002 tätig ist, erhoffen. Hier ist vorgesehen, beide Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit in die gesetzliche Bestimmungen über die Klagebefugnis im Rahmen der Anfechtungsklage aufnehmen. Die Formulierung des „gesetzlich geschützten Interesses“ soll durch die des „gesetzlich berechtigten Interesses“ ersetzt werden. Gleichwohl wird bezweifelt, ob aus dieser neuen Formulierung eine Erweiterung der Klagebefugnis in Korea erwartet werden kann. Denn es ist noch unklar, was unter dem Begriff „gesetzlich berechtigtes Interesse“ zu verstehen ist. Meines Erachtens ist ___________ 47 H. Woolf, „Judicial Review: A Possible Programme for Reform“, 1992 Vol. of Public Law, p. 221, 232- 233. 48 Zum Beispiel W. Krebs, Subjektiver Rechtsschutz und objektive Rechtskontrolle, in: H.-U. Erichsen u. a. (Hrsg.), System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Menger, 1985, 191 (210).

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dieser Vorschlag noch zu überarbeiten, um den vielfältigen Interessen der Kläger gerecht zu werden.

IV. Schlußbemerkung Die bisherige Verwaltungsgerichtsbarkeit hat die ihr historisch zugedachte Funktion gut erfüllt. Aber alles ist im Fluß. Wir wissen mehr als unsere Vorfahren wußten. Die wirkliche Welt um das Verwaltungsrecht verändert sich stark. Die klassische Figur des Verwaltungsaktes, der nur einen bestimmten Bürger belastet, verliert an Bedeutung. Der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, der im Anfang nur auf den Bereich der Eingriffsverwaltung zugeschnitten war, ist in der Stringenz nicht mehr richtig. Die vielfältigen Interessen zu optimieren, wird das neue Gebot im Verwaltungsrecht werden.49 Die Entfaltung und Entwicklung des Verwaltungsrechts sind vor allem die Folge der Betrauung des ordentlichen Gerichts (England und USA) oder der Verwaltungsgerichtsbarkeit (Conseil d’Etat in Frankreich) mit der Entscheidung über die Rechtsbehelfe gegen die Verwaltung. Im Verwaltungsprozeß kontrolliert das Gericht die rechtsstaatliche Verwaltung und bildet das Verwaltungsrecht fort.50 Die Gerichte bemühen sich damit darum, das Recht den Veränderungen der Wirklichkeit rasch anzupassen. Man sollte also immer die Frage aufwerfen, ob die heutige Verwaltungsgerichtsbarkeit der neuen komplexen Realität noch gerecht wird. Subjektiver Rechtsschutz als wichtiger Bestandteil des Rechtsstaats und objektive Legalitätskontrolle als historisch anerkannte Hauptfunktion der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind in der Verwaltungsgerichtsbarkeit gleichwertig zu verwirklichen. Aber es ist auch nicht zu verkennen, daß das Rechtsinstitut der Klagebefugnis kein allmächtiges Mittel zur Konfliktlösung ist. Sicherlich wird es weiterhin eine große Zahl von Konflikten geben, die am besten in den tradierten engeren Bahnen des überkommenen Verständnisses der Klagebefugnis gelöst werden können. Die Vielfalt von Betroffenen beziehungsweise die Pluralität berührter Interessen und Rechtsgüter werden im Interesse der Handhabbarkeit des Konflikts nicht immer voll in das gerichtliche Verfahren aufgenommen und auch nicht aufgenommen werden können. Aber wo es zur Konfliktbewältigung günstiger ist, komplexer und damit auch offener an möglichen Konfliktlösungen zu arbeiten, sollte die bisherige Methode nicht überbewertet werden, vielmehr soll___________ 49 A. Leisner-Egensperger, Vielfalt – ein Begriff des Öffentlichen Rechts, 2004, S. 105. 50 M. Dolderer, Verwaltungsprozeß im Wandel, in: C.-E. Eberle (Hrsg.), Der Wandel des Staates vor den Herausforderungen der Gegenwart, Festschrift für Brohm, 2002, S. 248.

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ten neue Wege eröffnet werden, um einer veränderten Wirklichkeit Rechnung zu tragen. Dazu zählt vor allem die Mediation.51 Diese neuen Wege zielen jedoch nicht auf eine Ersetzung tradierter Konfliktbewältigung, sondern auf eine Anreicherung und eine Entlastung der gerichtlichen Kontrolle.

___________ 51

Dazu S. Vetter, Mediation und Vorverfahren, 2004, S. 132 ff.

Kollektivklagen in Korea (Klagen zur Durchsetzung von Rechten einer Vielzahl von Personen) Von Choon Hwan Kim

I. Einleitung In einem Wirtschaftssystem, das durch Massenproduktion und -konsum gekennzeichnet ist, besteht ein besonderes Bedürfnis für die Einführung neuer Klageformen wie Umwelt- und Verbraucherklagen. Bei Einführung dieser neuen Klagen müssen für diese allerdings andere Regeln gelten als für herkömmliche Klagen. Dies folgt daraus, daß es bei solchen neu eingeführten Klagen um den Schutz einer großen Zahl von Personen geht, die für sich gesehen oft nur geringfügig beeinträchtigt werden. Die tradierten Klagen in der koreanischen Zivilprozeß- sowie Verwaltungsgerichtsordnung (KZPO bzw. KVwGO), die grundsätzlich auf die Streitbeilegung zwischen einzelnen Personen abzielen, sind wenig geeignet, den Schaden einer ganzen Gruppe von Personen geltend zu machen.1 Deshalb sollen Kollektivklagen, etwa die US-amerikanische Sammelklage oder Gruppenklage (Class Action) sowie die deutsche Verbandsklage, zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes vieler Geschädigter eingeführt werden. In Korea versucht das Parlament derzeit, ein dafür erforderliches Gesetz zu verabschieden.

II. Überblick über die kollektive Rechtsverfolgung in Korea Abgesehen von der schon jetzt möglichen Wertpapiersammel- oder -gruppenklage ist noch keine Kollektivklage in Korea eingeführt worden. ___________ 1 Das Rechtsinsitut der sog. Sunjeong-Partei ist wenig geeignet für eine Streitbeilegung zwischen vielen Geschädigten, deren Forderungen für sich gesehen jeweils zu geringfügig sind, weil jeder Geschädigte die Sunjeong-Partei einzeln ermächtigen muß, ihren jeweiligen Anspruch geltend zu machen, und weil jeder Geschädigte Kläger ist und deswegen die Prozeßkosten zahlen muß. s. dazu näher im folgenden; vgl. ferner Gi Mun Hong, Zivilprozeßrecht, 2005, S. 610.

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Als eine prozeßrechtliche Regelung zur Streitbeilegung zwischen vielen Parteien ist zwar eine Streitgenossenschaft im geltenden koreanischen Recht anerkannt (§§ 65-70 KZPO sowie § 75 KVwGO).2 Aufgrund ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung ist die Streitgenossenschaft jedoch nicht zur Durchführung von Massenverfahren mit mehreren tausend Klägern geeignet. In der geltenden KZPO (§§ 53, 54) steht für solche Massenverfahren nur das Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei zur Verfügung, dem im deutschen Recht am ehesten das Institut der – dem deutschen Verwaltungsprozeß fremden – gewillkürten Prozeßstandschaft entspricht. In der Praxis genügt es allerdings nicht für eine effektive kollektive Rechtsverfolgung.3 Deshalb erscheint mir folgende Lösung, die nach der Zahl der Betroffenen differenziert, richtig zu sein: Bei vergleichsweise wenigen Betroffenen genügt das geltende Rechtsinstitut der Sunjeong-Partei, bei sehr vielen Betroffenen müssen dagegen Kollektivklagen wie etwa Sammelklagen (Gruppenklagen) oder Verbandsklagen eingeführt werden.

1. Das Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei und dessen Probleme a) Das Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei aa) Begriff Das Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei stellt ein Rechtsinstitut dar, bei dem nur eine Partei (die sog. Sunjeong-Partei) den Prozeß führt, die aber von vielen anderen gleichermaßen betroffenen Personen dazu ermächtigt worden ist.4 Die betroffenen Personen müssen jedoch alle streitgenössische Interessen haben (§ 53 KZPO). Dabei wirkt das Urteil immer für und gegen die Ermächtigungsgeber (d.h. die Rechtsträger, die die Ermächtigung erteilt haben) (§ 218 ___________ 2 Eine Streitgenossenschaft liegt vor, wenn in einem Prozeß mehrere Personen in derselben Parteirolle nebeneinander auftreten, sei es als Kläger, sei es als Beklagte. Vgl. Gi Mun Hong, Zivilprozeßrecht, 2005, S. 582. Nach der KVwGO liegt eine Streitgenossenschaft vor, wenn mehrere Personen auf der Kläger- oder Beklagtenseite im Zusammenhang mit der Anfechtung eines Verwaltungsakts auftreten (§ 15 KVwGO). Hierbei gelten die Regelungen der KZPO über die Streitgenossenschaft entsprechend. Vgl. Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, S. 862. 3 Eine Sunjeong-Partei muß von jedem Geschädigten separat zur Übernahme der Prozeßführung ermächtigt werden, während bei der US-amerikanischen Sammelklage die Ermächtigung schon kraft Gesetzes von Anfang an vorliegt. Vgl. Gi Mun Hong, Zivilprozeßrecht, 2005, S. 611. 4 Wenn die Gruppe der betroffenen Personen als Gesellschaft bürgerlichen Rechts angesehen werden kann, stellt sich das Problem natürlich nicht, weil sie dann schon in ihrer Eigenschaft als Gesellschaft bürgerlichen Rechts parteifähig ist.

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Abs. 3 KZPO).5 Durch Vereinfachung des Zustellungsverfahrens und der mündlichen Verhandlung dient das Rechtsinstitut der Sunjeong-Partei der Prozeßökonomie.

bb) Voraussetzungen Das Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei hat drei Voraussetzungen: Erstens müssen mehrere Personen betroffen sein.6 Zweitens müssen alle Personen streitgenössische Interessen haben.7 Drittens muß die den Prozeß führende Partei einer der Betroffenen sein.8

cc) Verfahren Jeder Betroffene kann der Sunjeong-Partei die Prozeßführungsbefugnis übertragen. Eine Ermächtigung kann nur durch den Betroffenen, nicht hingegen (auch nicht mehrheitlich) durch andere Personen erteilt werden. Jeder Betroffene kann damit selbst als Kläger im eigenen Namen einen Prozeß über sein eigenes Recht führen oder eine andere Sunjeong-Partei dazu ermächtigen, in deren Namen einen Prozeß über sein Recht zu führen, wenn ihm eine von anderen Betroffenen bereits ermächtigte Sunjeong-Partei nicht genehm ist. Im geltenden Recht gibt es zwar keine Regelung zur Form der Ermächtigung. Aber die Ermächtigung ist von der Sunjeong-Partei durch schriftliches Dokument nachzuweisen (§ 58 Abs. 1 S. 2 KZPO). Das Dokument ist der Klageschrift beizufügen (§ 58 Abs. 2 KZPO).

___________ 5 In Korea läuft beispielsweise ein entsprechendes Gerichtsverfahren, das von koreanischen Ex-Soldaten wegen Spätfolgen des Chemiewaffeneinsatzes im Vietnamkrieg geführt wird. 6 Mindestens zwei Personen, in der Praxis allerdings meistens deutlich mehr. 7 Nach den Entscheidungen des Koreanischen Obersten Gerichtshofs (KOGH) liegt bei Nichtbestehen eines streitgenössischen Interesses keine Sunjeong-Partei vor. Das streitgenössische Interesse liege vor, wenn in einem Prozeß mehrere Personen in derselben Parteirolle nebeneinander als Streitgenossen auftreten dürften und Angriffs- und Verteidigungsmittel gemeinschaftlich vorgebracht würden. Ein bloßes Bestehen gleichartiger Rechte oder Pflichte aus gleichartigem Rechtsgrund reiche nicht aus. Vgl. KOGH, Entsch. v. 24.08.1999, Az. 99 Da 15474; Entsch. v. 25.07.1997, Az. 97 Da 362. 8 Damit soll verhindert werden, daß durch die Ermächtigung eines Dritten das Prinzip des Anwaltszwangs (§ 87 KZPO) umgangen wird. Die den Prozeß führende Person darf aber natürlich einen Anwalt mit der Prozeßführung beauftragen.

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dd) Wirkungen (1) Rechtsstellung der sog. Sunjeong-Partei Die sog. Sunjeong-Partei ist kein Vertreter, sondern selbst Partei, die in eigenem Namen klagt und die ihre eigenen Rechte sowie in eigenem Namen die Rechte der Ermächtigungsgeber geltend macht. Deshalb unterliegt sie – anders als Prozeßbevollmächtigte (§ 90 Abs. 2 KZPO) – keinen Beschränkungen und darf alle Prozeßhandlungen vornehmen und entgegennehmen.

(2) Rechtsstellung des Ermächtigungsgebers Wenn nach Rechtshängigkeit eine Ermächtigung erteilt wird, verliert der Ermächtigungsgeber seine Prozeßführungsbefugnis (§ 53 Abs. 2 KZPO).

(3) Erlöschen der Ermächtigung Die Ermächtigung endet mit dem Tod der Sunjeong-Partei oder mit dem einseitigen Widerruf der Ermächtigung durch den Ermächtigungsgeber, der jederzeit möglich ist (§ 53 Abs. 1 KZPO).

b) Probleme des Rechtsinstituts der sog. Sunjeong-Partei Bezüglich des kollektiven Rechtsschutzes sehr vieler Geschädigter durch das geltende Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei stellen sich folgende Probleme: Erstens ergeben sich bei seiner Anwendung im Hinblick darauf Schwierigkeiten, daß die Sunjeong-Partei von jedem Rechtsinhaber zur Prozeßführung ermächtigt werden muß, auch dann, wenn Tausende von Personen rechtlich betroffen sind. Zweitens sind unbeteiligte Betroffene an die in dem Verfahren getroffenen Entscheidungen nicht gebunden. Drittens kann ein Dritter (wie etwa ein Umweltverband) keine sog. Sunjeong-Partei sein, da er nicht rechtlich betroffen ist. Damit fehlt es an der Möglichkeit effektiver Prozeßführung, wenn Betroffene anwaltliche Hilfe benötigen und finanzielle Schwierigkeiten haben. Viertens ist jeder Betroffene nur zur Zahlung seiner Prozeßkosten verpflichtet, so daß es bei Tausenden von Betroffenen in der Praxis kaum möglich ist, für jeden Betroffenen die Prozeßkosten einzeln festzusetzen und einzutreiben.

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2. Drittklagen als kollektive Streitigkeiten Streitigkeiten mit einer Vielzahl von Betroffenen können z. T. durch ein Vorverfahren und eine verwaltungsprozessuale Klage durchaus frühzeitig beigelegt werden. Deshalb sind verwaltungsprozessuale Drittklagen, die kollektive Streitigkeiten zum Gegenstand haben, eine passendere Lösung als zivilprozeßrechtliche Klagen. Drittklagen wie etwa Umweltklagen sowie Verbraucherklagen liegen vor, wenn Rechte Dritter verletzt werden, die zugleich dem Schutz von Interessen der Allgemeinheit dienen.9

a) Umweltklage Nach einer Meinung10 in Korea werden die deutsche Verbandsklage, die französische Amtsüberschreitungsklage, die japanische Einwohnerpopularklage, die Untätigkeitsfeststellungsklage und die Verpflichtungsklage als Arten der Umweltklage angesehen. Die Umweltklage ist eine Klage auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes, in der über die Rechtmäßigkeit eines Handelns oder Unterlassens einer Behörde auf dem Gebiet des Umweltrechts gestritten wird. Insoweit stellt sich die Frage, ob auf ein bestimmtes Gebiet bezogene Interessen der Allgemeinheit (kollektive Interessen), wie z. B. das Interesse an angenehmen Lebensumständen in einem bestimmten Gebiet, die Klagebefugnis der Bewohner dieses Gebietes begründen können.11 In Korea wird die Klagebefugnis der Nachbarn bei einer Nachbarklage, die zugleich den Charakter einer Umweltklage hat, zwar in einigen Entscheidungen anerkannt,12 jedoch nur selten. ___________ 9

Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2002, S. 828. Jung Hwan Cho, Die US-amerikanische Sammelklage (class action), Archiv des Rechts Bd. 15 (1989), Dankook-Universität, S. 208 ff. 11 Choon Hwan Kim, Haftung und Rechtsschutz im Verwaltungsrecht, ChosunUniversität, 2000, S. 342. Die Frage, ob Bewohnern die Klagebefugnis bei einer Umweltklage zusteht, wird in Korea oft bejaht. In der Rechtsprechung des KOGH wurde die Klagebefugnis der Gebietsbewohner bei einer Umweltklage anerkannt, die die Anfechtung einer für ein Bauunternehmen erlassenen Baugenehmigung zum Gegenstand hatte, weil das mit der Klage geltend gemachte Umweltinteresse der Gebietsbewohner nicht nur ein abstraktes, durchschnittliches und allgemeines Interesse, sondern auch ein unmittelbares und konkretes Interesse darstellte (KOGH, Entsch. v. 24.04.1998, Az. 97 Nu 3286). 12 KOGH, Entsch. v. 22.09.1999, Az. 97 Nu 19571: Bei einer Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung für ein Pumpspeicherkraftwerk wurde die Klagebefugnis der Gebietsbewohner für das Gebiet der Umweltverträglichkeitsprüfung anerkannt. KOGH, Entsch. v. 26.09.1995, Az. 94 Nu 14544: Bei einer Anfechtungsklage gegen eine rechtswidrige Genehmigung zur Einrichtung öffentlicher Einäscherungsanlagen wurde die Klagebefugnis der Anlieger (299 Personen) anerkannt. 10

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b) Verbraucherklage In Korea ist zunächst der Schlichtungsausschuß für Verbraucherbeschwerden zuständig für die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Verbrauchern und Unternehmen (oder Anbietern), wenn ein Verbraucher durch ein Produkt oder eine Dienstleistung geschädigt worden ist. In der Regel kann der Verbraucher erst nach einer gescheiterten Schlichtung Klage vor einem Zivilgericht erheben. Nicht zulässig ist eine Klage gegen eine Verwaltungsmaßnahme, die Interessen der Allgemeinheit, insbesondere auch kollektive Interessen der Verbraucher, verletzt.13

III. Notwendigkeit der Einführung einer Kollektivklage Das geltende Rechtsinstitut der sog. Sunjeong-Partei bietet keine effektive Möglichkeit dafür, kollektive Streitigkeiten durch einen Repräsentanten vieler Geschädigter oder durch einen Verband, zu dem viele Geschädigte gehören, beizulegen. Deshalb sollten meines Erachtens in Korea die US-amerikanische Sammelklage (Gruppenklage) oder die deutsche Verbandsklage eingeführt werden. Bei der US-amerikanischen Sammelklage (Gruppenklage) repräsentiert die Partei eine Vielzahl von Geschädigten, während bei der deutschen Verbandsklage ein zur Klageerhebung ermächtigter Verband, der nicht unmittelbar geschädigt worden ist, als Partei einen Prozeß führt. Trotz einiger Probleme bei der Sammelklage oder der Verbandsklage stellen meines Erachtens solche Klagen effektive Lösungen für die Praxis dar. Für die Einführung einer Kollektivklage sprechen folgende Gründe: Erstens kann bei der Kollektivklage einer Gruppe vermieden werden, daß Streuschäden, d. h. Schäden bei vielen Geschädigten in jeweils vergleichsweise geringer Höhe, nicht gerichtlich geltend gemacht werden, weil jeder einzelne Geschädigten den Aufwand und das Risiko scheut, die mit einer Prozeßführung verbunden wären. In den USA dient insoweit das Rechtsinstitut der Sammelklage dem Schutz der Geschädigten. In Deutschland ist das Rechtsinstitut der Verbandsklage eher als Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Allgemeinheit anerkannt worden. Zweitens ist die Einführung der Kollektivklage aus Gründen der Prozeßökonomie und der Verfahrensbeschleunigung erforderlich. In einer hoch entwickelten Industriegesellschaft ist es nämlich vielfach im Massengeschäftsverkehr sehr unzweckmäßig, eine Vielzahl gleichartiger Ansprüche durch eine Vielzahl einzelner Klagen geltend zu machen. ___________ 13

Yun Heun Park, Neuestes Verwaltungsrecht, Bd. I, 2004, S. 903.

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Wenn nämlich insoweit eine Vielzahl einzelner Klagen erhoben werden müßte, verschwendete jeder Inhaber eines gleichartigen Anspruchs (bzw. sein Prozeßbevollmächtigter) Zeit und Geld für die Tatsachenerforschung und Prozeßführung. Auch die Gerichte müßten eine Vielzahl einzelner Klagen verhandeln. Deswegen ist die Einführung der US-amerikanischen Sammelklage oder der deutschen Verbandsklage sowohl aus Gründen der Prozeßökonomie (Ersparnis von Zeit- und Kostenaufwand) als auch zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten. Für eine Sammelklage gegen viele Beklagte gelten ähnliche Gründe. Drittens hat die Kollektivklage, neben dem Ziel nachträglicher Kompensation, auch eine präventive Funktion: Sie soll rechtswidriges Verhalten des Schädigers oder des Unternehmens durch Abschöpfung unrechtmäßiger Gewinne vermeiden. Das Ziel der Umweltklage ist, daß die zuständige Umweltbehörde Maßnahmen gegen umweltschädliches Verhalten von Privatpersonen einleitet. Wegen der oben genannten Funktionen dient die Kollektivklage zwar dem Schutz privater und öffentlicher Interessen. Der Schutz öffentlicher Interessen überwiegt jedoch; Kollektivklagen dienen in erster Linien der objektiven Rechtskontrolle. Viertens können Geschädigte mit Hilfe der Berichterstattung über die Kollektivklage ihr Anliegen in der Öffentlichkeit bekannt machen. Gerade die Problematik sehr schwerwiegender und weitreichender Schäden sowie die Frage der Verantwortung eines schädigenden Unternehmens oder der Verwaltung läßt sich mit Hilfe einer Kollektivklage effektiv in die öffentliche Diskussion einbringen. Fünftens kann eine Kollektivklage genutzt werden, um gegen Gesetze vorzugehen, die Minderheiten oder wirtschaftlich Schwächere benachteiligen. In den USA ist dies längst geschehen, insbesondere im Falle der Überwindung von Rassendiskriminierung. Beispielhaft kann hier der Fall Brown v. Board of Education erwähnt werden, bei dem eine Regelung, die eine Rassendiskriminierung enthielt, für nichtig erklärt wurde.14

IV. Einführung der Wertpapiersammel- oder -gruppenklage zum Anlegerschutz Das koreanische Parlament hat am 20. Januar 2004 das Gesetz über die Wertpapiersammelklage (WSG) beschlossen. Es ist am 01. Januar 2005 in Kraft getreten.15 Es gibt eine Reihe von Unterschieden zwischen den überkommenen ___________ 14 15

Hyug Ho Kwon, Untersuchung zur Kollektivklage, http://dgucc.dongguk.ac.kr. Vgl. Si Yue Len, Neues Zivilprozeßrecht, 2005, S. 631.

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Klageverfahren etwa nach der KZPO und dem Klageverfahren nach dem WSG, das nach dem US-amerikanischem Vorbild der Sammelklage ausgestaltet worden ist. Dadurch entstehen zwar Anpassungsprobleme, aber das WSG hat den Vorteil, daß der Rechtsschutz für Kleinanleger gegenüber der früheren Rechtslage deutlich verbessert wird.

1. Pro- und Contra-Argumente16 a) Argumente für die Einführung der Wertpapiersammelklage aa) Verbesserter Rechtsschutz für Kleinaktionäre Ziel des WSG ist es, die Interessen von Kleinaktionären vor für sie nachteiligen Maßnahmen von Großaktionären und Insidern zu schützen. Es soll die Wahrung der Interessen von Kleinaktionären gewährleisten, die trotz ihrer Überzeugung, daß eine Vielzahl von unerlaubten Handlungen vorliegt, z. B. Insider Trading, „Verschönerung“ der Bilanz durch Transaktionen (WindowDressing), falsche Darstellungen gegenüber dem Kapitalmarkt wie etwa eine unrichtige Ad-hoc-Meldung über Gewinnerwartungen oder unrichtige Börsenprospekte, eine Klage nicht erheben können oder wollen, weil sie erhebliche Prozeßkosten zu tragen hätten.

bb) Mehr Transparenz der Betriebsführung Neben dem Schutz der Rechte von Kleinaktionären erwartet die Regierung, daß sich die Aktienkurse um ca. 30 % dadurch erhöhen werden, daß einer fehlerhaften Betriebsführung durch eine Kollektivklage entgegengewirkt werden kann. Es wird auch erwartet, daß sich bei Sicherung der Transparenz der Betriebsführung ausländische Investoren in größerem Umfang in Korea betätigen werden. Daraus ergebe sich eine Erhöhung des Aktienkurses und der durch die Aktionäre zu erzielenden Gewinne.

___________ 16 Gyu Hyun Park, Das Rechtsinstitut der Kollektivklage, http://univ.hankooki.com/ university/2002/200110/un20011016190551u0070.htm.

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b) Argumente gegen eine Einführung aa) Die Zeit sei noch nicht reif für die Einführung In Korea spricht sich eine Reihe von Großunternehmen gegen die Einführung der Kollektivklage aus, weil die Zeit dafür noch nicht reif sei. Wenn sie eingeführt werde, sei zu erwarten, daß sehr viele Klagen erhoben würden. Daraus ergäben sich Schwierigkeiten für Unternehmen, weil sie viel Mühe und Zeit für ihre Verteidigung benötigten.

bb) Hindernis für Umstrukturierung und Verkleinerung Die Kollektivklage verhindere die Umstrukturierung und Verkleinerung von Unternehmen, weil ein Unternehmen in einer Umstrukturierungs- und Verkleinerungsphase nicht gegen erhobene Sammelklagen kämpfen könne.

cc) Vorliegen von Alternativen zur Kollektivklage Nach Angabe der Federation of the Korean Industries sei es vernünftiger, statt der Einführung der Sammelklage das Rechtsinstitut der sog. SunjeongPartei durch die Einführung eines Outside Directors und eines Aufsichtsrats (Auditor Commission) zu ergänzen.

2. Darstellung des Gesetzes über die Wertpapier-Sammelklage (WSG) a) Zweck Zweck des WSG ist es, auf dem Kapitalmarkt Schäden für Kleinanleger aus einer Vielzahl von unerlaubten Handlungen (z. B. Insidergeschäfte, „Verschönerung“ der Bilanz durch gezielte Transaktionen [Window-Dressing], Aktienpreismanipulation und falsche Darstellungen) von vornherein zu vermeiden bzw. bereits eingetretene Schäden zu ersetzen. Vor der Schaffung des WSG ergaben sich praktische Schwierigkeiten bei der Realisierung eines effektiven Rechtsschutzes für Kleinanleger. Der Kleinanleger hatte nach der früheren Gesetzeslage nur ungenügende prozessuale Möglichkeiten und war mit weitreichenden Darlegungs- und Beweisproblemen belastet. Daraus folgt, daß die Einführung dieses Gesetzes sinnvoll ist.

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b) Darstellung wichtiger Inhalte aa) Begriff Die sog. Wertpapiersammelklage stellt eine für viele Anleger erhobene Schadenersatzklage dar, bei der ein oder mehrere Repräsentanten die gesamten im Wertpapierverkehr entstandenen Schäden geltend machen dürfen (§ 2 Abs. 1 WSG). Das bedeutet eine Änderung der Parteimaxime.

bb) Anwendungsbereich Der Anwendungsbereich beschränkt sich auf Schadenersatzansprüche aufgrund falscher Angaben in Wertpapierverkaufsprospekten, im Jahresabschluß (annual report), im Halbjahresabschluß (semi-annual report) und im Quartalsabschluß (quarter report) sowie aufgrund eines Mißbrauchs von Insiderinformationen (abuse of inside information), aufgrund von Kurs- und Marktpreismanipulation sowie aufgrund von ordnungswidrigen Handlungen des Aufsichtsrats (§ 3 Abs. 1 WSG). Die Wertpapiersammelklage kann nur bei Erwerb und Übernahme von Wertpapieren, die von einer Zielgesellschaft mit Börsenzulassung (stock-listed corporation) im Sinne des Wertpapiererwerbs- und -übernahmegesetzes ausgegeben wurden, erhoben werden (§ 3 Abs. 2 WSG).

cc) Bestellung eines Prozeßvertreters Bei einer Wertpapiersammelklage müssen sich Kläger und Beklagter anwaltlich vertreten lassen (§ 5 Abs. 1 WSG). Personen, die als Repräsentant oder Prozeßvertreter bei Wertpapiersammelklagen innerhalb der letzten drei Jahre häufiger als dreimal tätig waren, dürfen nicht als Repräsentant oder Prozeßvertreter des Klägers tätig sein (§ 11 Abs. 3 WSG).

dd) Bestellung eines Repräsentanten sowie Beendigung der Prozeßführungsbefugnis Nach Einreichung der Klageschrift hat das Gericht die Gruppenmitglieder zur Bestellung eines Repräsentanten aufzufordern (§ 10 Abs. 4 WSG). Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag die Prozeßführung des Repräsentanten verbieten, wenn dies wegen der Gefahr von Rechtsnachteilen, die sich

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aus Handlungen des Repräsentanten ergeben, oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten erscheint (§ 22 WSG).

ee) Voraussetzungen der Zulässigkeit der Wertpapiersammelklage Das Gericht kann die Sammelklage nur dann zulassen, wenn die Zahl der Gruppenmitglieder mehr als 50 beträgt und sie mehr als 1/10.000 der gesamten, von der beklagten Gesellschaft ausgegebenen Wertpapiere besitzen. Dabei müssen alle Gruppenmitglieder tatsächlich und rechtlich in derselben Weise betroffen sein, und die Sammelklage muß für den Schutz der Interessen der Mitglieder als geeignet und effektiv erscheinen (§ 12 WSG).

ff) Bekanntmachung einer Vorabentscheidung über die Zulässigkeit einer Klage In Verbindung mit dem Rechtsschutz für die geschädigten Gruppenmitglieder soll das Gericht im Wege einer Vorabentscheidung die Zulässigkeit der Sammelklage bekanntgeben, ebenso eine Änderung der Zahl der Mitglieder, eine Klagerücknahme, einen Prozeßvergleich, den Klage- und Rechtsmittelverzicht und das Urteil, so daß alle Gruppenmitglieder davon Kenntnis erlangen können. Danach soll die amtliche Bekanntmachung in einer in ganz Korea erscheinenden Tageszeitung veröffentlicht werden (§ 18 WSG).

gg) Subjektive Rechtskraftwirkung des Urteils Die Rechtskraft des Urteils wirkt auch gegenüber Mitgliedern, die den Ausschluß aus der Gruppe nicht beantragt haben (§ 37 WSG). Diese Erweiterung der subjektiven Grenzen der Rechtskraft charakterisiert die Wertpapiersammelklage.

hh) Gerichtliche Zulassung bei Beendigung eines Klageverfahrens durch Parteihandlung sowie bei Rechtsmittelverzicht Ohne gerichtliche Zulassung sind Klagerücknahme, Prozeßvergleich, Klageverzicht, Rechtsmittelrücknahme und -verzicht unwirksam (§ 38 WSG). Als aktive richterliche Prozeßleitung ist diese Regelung ganz anders als die der geltenden KZPO.

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ii) Bestellung eines Vermögensverwalters für die Verteilung eines Anteils Das Gericht soll von Amts wegen oder auf Antrag des Repräsentanten einen Vermögensverwalter bestellen, der unter gerichtlicher Aufsicht die Verteilung eines Anteils wahrnimmt (§ 41 WSG).

jj) Anzeigepflicht eines Mitglieds über seine Rechte Innerhalb einer Anzeigefrist soll ein Mitglied dem Vermögensverwalter sein Recht anzeigen. Bei einem Versäumnis infolge eines Umstandes, den das Mitglied nicht zu vertreten hat, muß die Anzeige innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses erfolgen, wodurch dann die Fristversäumung geheilt wird (§ 49 WSG).

kk) Strafe (z. B. bei Untreue mit Bestechung) Wenn der Kläger, Repräsentant, Prozeßvertreter des Klägers oder Vermögensverwalter einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, daß er eine Diensthandlung vorgenommen hat oder künftig vornehmen wird und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat oder verletzen würde, wird er, je nach Schwere der Tat, mindestens mit Freiheitsstrafe bis zu sieben Jahren oder mit Geldstrafe bis zu 100 Mio. Won, höchstens mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder mit einer Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft (§ 60 WSG).

ll) Inkrafttreten Das WSG tritt am 01. Januar 2005 in Kraft. Bei einer Gesellschaft, deren Kapital am Ende des vorigen Geschäftsjahres weniger als 1.000 Mrd. Won beträgt, tritt das Gesetz, ausgenommen hinsichtlich des Schadenersatzanspruches infolge Preismanipulation, am 01. Januar 2007 in Kraft.

3. Stellungnahme Das Gesetz über die Wertpapiersammelklage (WSG) erweist sich als das effektivste Mittel zum Schutz von Kleinanlegern und der Integrität der Unternehmensführung sowie hiermit zusammenhängend zur Wahrung öffentlicher Interessen. Ansonsten würden Unternehmenskrisen wegen Mißmanagements und Unternehmenszusammenbrüche das Vertrauen der Anleger in die Integrität der

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Unternehmensführung und damit zugleich das Vertrauen in den Kapitalmarkt tief erschüttern. Die Sammelklage dient der Prozeßökonomie und der gesamten Wirtschaft, weil die Rechtskraft der Entscheidung auch für alle Betroffenen, die den Anschluß aus der Gruppe nicht beantragt haben, wirkt und aus den oben genannten Gründen die Transparenz der Betriebsführung steigert. Daraus ergeben sich allerdings auch Nachteile.17 Ein repräsentatives Beispiel dafür ist die mißbräuchliche Einreichung einer Wertpapiersammelklage, durch die in der Regel ein unwiederbringlicher Schaden für das beklagte Unternehmen droht.18 Dabei wird freilich der Fall ausgenommen, in dem ein Vermögensschaden durch unerlaubte Handlungen eines Unternehmens entsteht. Wie diese mißbräuchliche Klageerhebung19 vermieden werden kann, ist damit eine wichtige Aufgabe des Gesetzes. Deshalb kann eine aktive Prozeßleitung des Gerichts sinnvoll sein, um das Problem zu reduzieren oder zu beseitigen. Nicht zu übersehen ist auch, daß der von dem Unternehmen zu ersetzende Schaden aufgrund eines dadurch verursachten Kursverlusts des Wertpapiers schließlich zur Belastung des Anlegers führen kann. Um einer mißbräuchlichen Unternehmensführung entgegenzuwirken, sollte jedoch ein derartiges Opfer gebracht werden.20

V. Schlußbemerkung Aufgrund der Entwicklung der Industriegesellschaft, der immer komplexer werdenden Technologien und der zunehmenden Konzentration der Wirtschaft auf immer größere Unternehmen nimmt die Zahl der Fälle zu, in denen viele Personen durch das Verhalten von Unternehmen geschädigt werden können. Für den Rechtsschutz einer Vielzahl von Geschädigten sind die Rechtsinstitute der sog. Streitgenossenschaft und der sog. Sunjeong-Partei in der geltenden KZPO eingeführt worden. Wenn bei einer Vielzahl von Betroffenen der individuelle Schaden eines Betroffenen jeweils nur geringfügig ist,21 genügen aber beide Rechtsinstitute zur ___________ 17 Aufgrund dieser Nachteile wird in den USA versucht, das Rechtsinstitut der Sammelklage durch diverse Vorschriften zu ergänzen, um hierdurch diese Nachteile zu beseitigen. 18 In den USA wird oft die Sammelklage nicht für Kleinanleger, sondern für Rechtsanwälte erhoben. 19 In den USA sind entsprechende Sammelklagen beispielsweise gegen die CocaCola AG und die Ford AG erhoben worden. 20 Dong Yeol Shin, Überlegungen zum Gesetz über die Wertpapiersammelklage, LawTimes Nr. 3308 v. 21.10.2004, http://www.lawtimes.co.kr/LawPnnn/Pnnyn/ PnnynContent.aspx?serial=1662&m=pnnyn.

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Problemlösung nicht. Deswegen besteht ein Bedürfnis nach der Schaffung neuer Rechtsinstitute. Rechtspolitisch zu fordern sind solche Rechtsinstitute für diejenigen Fällen, in denen mit Hilfe des nachträglichen Ersatzes aller Schäden zukünftige Schäden vermieden werden können. Damit kommt die Schaffung von Rechtsinstituten nach dem Vorbild der US-amerikanischen Sammelklage und der deutschen Verbandsklage de lege ferenda in Betracht. Die Einführung dieser Rechtsinstitute hätte auch präventive Wirkung; durch eine entsprechende Anpassung der koreanischen Rechtskultur ließe sich der Entstehung entsprechender Schäden schon im Vorfeld entgegentreten. Jüngst ist das Rechtsinstitut der sog. Wertpapiersammelklage nach US-amerikanischem Vorbild eingeführt worden. Die damit in Gang gesetzte Entwicklung sollte auch auf andere Bereiche wie etwa die Umweltklage und die Verbraucherklage übertragen werden.

___________ 21

In einem Gewässerunfall mit der Chemikalie Phenol in Taegu war keine befriedigende Abhilfe zu schaffen, weil damals Betroffene nach dem Erlaß der Abhilfemaßnahme der Verwaltung entsprechende Klage nicht erhoben hatten.

Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten in Deutschland (Justizfreie Hoheitsakte, Ermessensentscheidungen, unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum) Von Hans-Werner Laubinger

Ich bin gebeten worden, zum Thema „Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten (Justizfreie Hoheitsakte, Ermessensentscheidungen, unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum)“ zu sprechen. Gestatten Sie mir ein paar Worte zur Eingrenzung der Thematik.∗

I. Vorbemerkungen zur Abgrenzung des Themas Zur Kategorie der staatlichen Hoheitsakte zählen Maßnahmen aller drei Staatsgewalten, also der Legislative, der Exekutive und der Judikative. Ich hoffe, Sie sind damit einverstanden, daß ich die Maßnahmen der Ersten und der Dritten Gewalt von vornherein ausklammere. Ich wüßte auch nicht, was ich zu dem Thema Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Legislative halbwegs Originelles beitragen könnte, nachdem sich Herr Kollege Schenke hierzu in seiner Habilitationsschrift1 erschöpfend geäußert hat. Ich werde mich demzufolge auf den Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Exekutive beschränken und mich hierbei auf die der öffentlichen Verwaltung konzentrieren, so daß Maßnahmen der Regierung und der Streitkräfte weitgehend ausgeklammert werden. Die Aufgabenstellung enthält den Klammerzusatz „Justizfreie Hoheitsakte, Ermessensentscheidungen, unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum“. Ich interpretiere dies nicht als eine Art abschließende Definition der Grenzen, die der gerichtlichen Kontrolle gezogen sind, sondern als Aufzählung einiger wichtiger Beispiele für solche Grenzen. Ich werde mich diesen drei ___________ Die Ausführungen sind als Vortrag, nicht als Aufsatz konzipiert. Sie wenden sich in erster Linie an koreanische Hörer und enthalten deshalb vielleicht manches, was deutschen Juristen trivial erscheinen mag. 1 Schenke, Rechtsschutz bei normativem Unrecht, Berlin 1979. ∗

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Rechtsphänomenen denn auch besonders nachhaltig widmen. Es scheint mir jedoch nicht nur legitim, sondern auch geboten, darauf hinzuweisen, daß darüber hinaus weitere Beschränkungen bestehen, die ich im folgenden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – ganz kurz vorstellen möchte. Zuvor aber bedarf es noch einer weiteren sprachlichen Klarstellung: Was sind Grenzen der gerichtlichen Überprüfung? Mit Überprüfung kann in unserem Zusammenhang sinnvollerweise nur die Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Sachbegehren des Klägers oder Antragstellers gemeint sein, z. B. mit dem Begehren des Klägers, – den von der Behörde erlassenen, den Kläger belastenden Verwaltungsakt (VA) aufzuheben, oder – die Behörde zu verpflichten, den vom Kläger begehrten, ihn begünstigenden VA zu erlassen. Auf dieses Sachbegehren darf sich das Gericht dann nicht einlassen, wenn (oder solange2) eine der – je nach Zählweise – rund 20 Sachentscheidungsvoraussetzungen (Prozeßvoraussetzungen) fehlt. Ist das der Fall, wird die gerichtliche Überprüfung des Hoheitsakts nicht „begrenzt“, sondern a limine ausgeschlossen. Das bedeutet: Nach der hier vertretenen Sichtweise stellen die Sachentscheidungsvoraussetzungen keine Grenzen für die Überprüfung von Hoheitsakten dar. Ich möchte betonen, daß es sich hierbei lediglich um eine sprachliche Festlegung, also um eine Nominaldefinition, nicht um eine Realdefinition handelt.3 Eine Einschränkung der gerichtlichen Überprüfungskompetenz ergibt sich hingegen daraus, daß die Verwaltungsgerichte – im Gegensatz zu den Widerspruchsbehörden – nur die Rechtmäßigkeit, nicht auch die Zweckmäßigkeit administrativer Akte kontrollieren dürfen. Die daraus resultierende Begrenzung der gerichtlichen Überprüfungsbefugnis ist allerdings weniger groß, als dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn der Bereich der Zweckmäßigkeitserwä___________ 2 Es ist möglich, daß eine Sachentscheidungsvoraussetzung bei Klageerhebung fehlt, später jedoch eintritt. Das ist beispielsweise der Fall, wenn das zunächst fehlende Widerspruchsverfahren nach Klageerhebung nachgeholt oder der anfänglich unbestimmte Klageantrag präzisiert wird. 3 Zur Unterscheidung von Nominal- und Realdefinitionen siehe Laubinger, Die isolierte Anfechtungsklage, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes – Festschrift für Menger, Köln/Berlin/Bonn/München 1985, S. 443 ff., Fn. 9 auf S. 445 f. Zu den verschiedenen Definitionsarten vgl. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 2. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 2001, S. 25–31; Seiffert, Einführung in die Hermeneutik, Tübingen 1992, S. 124–126; Radnitzky/Seiffert, Art. Definition, in: Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. von Seiffert und Radnitzky, München 1992, S. 27–33; Blasius/Büchner, Verwaltungsrechtliche Methodenlehre, 2. Aufl., Stuttgart/Berlin/Köln/ Mainz 1984, S. 150 f.

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gungen ist in demselben Maße geschrumpft, in dem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit4 aktiviert worden ist. Um dies kurz zu erläutern: Jede behördliche Maßnahme, die in Rechte eines Bürgers eingreift, muß geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne (in der – wenig glücklichen – Terminologie des BVerfG: angemessen) sein, d. h. – die Maßnahme muß geeignet sein, das Ziel zu erreichen, das die Behörde mit der Maßnahme anstrebt, oder ihm zumindest näher zu kommen (Geeignetheit), – es darf keine weniger belastende Maßnahme geben, mit der das Ziel ebenso gut erreicht werden könnte (Erforderlichkeit, mildestes Mittel), und – der angestrebte Erfolg darf nicht außer Verhältnis zu den Nachteilen stehen, welche die Maßnahme verursacht (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, Angemessenheit). Wenn eine Maßnahme diesen drei Anforderungen gerecht wird, bleibt für eine Prüfung der Zweckmäßigkeit kaum noch Raum. Anders formuliert: Kann eine Maßnahme unzweckmäßig sein, wenn sie sowohl geeignet als auch erforderlich und angemessen ist? Bezeichnend dafür ist folgendes: Ich habe mehrere Jahre dem Stadtrechtsausschuß der Stadt Speyer angehört, der über Widersprüche gegen Verwaltungsakte der Stadtverwaltung zu entscheiden und dabei auch die Zweckmäßigkeit zu prüfen hat, wenn diese Maßnahmen dem kommunalen Selbstverwaltungsrecht entspringen (eigene Angelegenheiten). Ich kann mich nicht erinnern, daß wir auch nur ein einziges Maß ernsthaft die Zweckmäßigkeit erörtert hätten, nachdem wir festgestellt hatten, daß der VA rechtmäßig, insbesondere verhältnismäßig war. Eine leicht zu übersehende, aber nicht als geringfügig einzuschätzende Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle ergibt sich aus dem Umstand, daß unsere Verwaltungsgerichte grundsätzlich nur dazu berufen sind, subjektive Rechte (im Regelfall des Bürgers, gelegentlich aber auch juristischer Personen des öffentlichen Rechts, etwa der Gemeinden) durchzusetzen. Hingegen ist es nicht Aufgabe der Verwaltungsgerichte, Maßnahmen der Verwaltung in jeder Hinsicht auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. ___________ 4

Zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit siehe – aus unterschiedlichen Perspektiven – etwa Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 6. Aufl., München 2002, Art. 20, Rn. 80–86; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13. Aufl., München 2000, S. 239 f. (§ 10, Rn. 17); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 4. Aufl., Heidelberg 2005, S. 208–212 (Rn. 331–340).

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Das will ich kurz am Beispiel der baurechtlichen Nachbarklage erläutern: Der Nachbar N ficht die dem Bauherrn B erteilte Baugenehmigung an, begehrt also deren Aufhebung durch das Verwaltungsgericht (VG). Die Klage hat gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und den N in seinen Rechten verletzt. Die objektive Rechtswidrigkeit reicht also nicht aus, zu ihr muß vielmehr die subjektive Rechtsverletzung hinzutreten.5 Diese aber resultiert nur aus dem Verstoß gegen Vorschriften, die – sei es ausschließlich, sei es auch – dazu bestimmt sind, den Interessen des Klägers zu dienen. Das Gericht muß folglich die Nachbarklage des N abweisen, wenn es zu der Einsicht gelangt, die angefochtene Baugenehmigung sei zwar objektiv rechtswidrig, weil sie gegen eine Rechtsvorschrift verstoße, diese sei jedoch nicht nachbarschützend, so daß der N nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt sei. Daraus folgt weiter: Zwar kann es niemand dem VG verwehren, Überlegungen darüber anzustellen, ob der angefochtene VA gegen solche Vorschriften verstößt, die dem Kläger keine subjektiven Rechte einräumen. Derartige Überlegungen sind jedoch überflüssig, weil sie zur Rechtsfindung im konkreten Streitfall nichts beitragen. Werden sie dennoch zu Papier gebracht, sind sie obiter dicta, die von Gerichten tunlichst vermieden werden sollten. Das Beispiel lehrt ferner: Bevor das Gericht untersucht, ob der angefochtene VA gegen eine bestimmte Vorschrift verstößt, sollte es sich darüber klarwerden, ob die Vorschrift dazu bestimmt ist, die Interessen des Klägers (und nicht ausschließlich die Interessen der Allgemeinheit oder anderer Personen) zu schützen. Das ist freilich nur eine Faustformel. Liegt eindeutig auf der Hand, daß die Voraussetzungen der Vorschrift nicht gegeben sind, lohnt es nicht, die möglicherweise schwierige Frage der Drittwirkung zu erörtern. Und schließlich: Wenn wir hier von den „Grenzen der gerichtlichen Überprüfung“ sprechen, so ist das nicht wortwörtlich zu verstehen. Niemand kann – wie ich bereits sagte – das Gericht daran hindern, etwas zu prüfen, auf das es für die Entscheidung letztlich nicht ankommt. Dem Gericht ist es jedoch verwehrt, aus dem Resultat einer derartigen irrelevanten Überprüfung Konsequenzen für die zu treffende Entscheidung zu ziehen, z. B. die angefochtene Baugenehmigung aufzuheben, weil sie gegen eine nicht nachbarschützende Vorschrift verstößt. ___________ 5 Bei genauerem Hinschauen stellt man fest, daß es völlig ausreichen würde, die subjektive Rechtsverletzung zu fordern, denn diese setzt die objektive Rechtswidrigkeit voraus. Ohne daß sich an den Anforderungen etwas ändern würde, könnte § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO deshalb kürzer wie folgt gefaßt werden: „Das Gericht hebt den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf, soweit sie den Kläger in seinen Rechten verletzen.“

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Nach diesen Bemerkungen zur Eingrenzung des Themas wende ich mich den drei in der Klammer aufgeführten Beispielen zu.

II. Justizfreie (gerichtsfreie) Hoheitsakte Hier stellt sich als erstes die Frage, was unter justizfreien oder gerichtsfreien Hoheitsakten zu verstehen ist. Diese Termini sind – soweit ich sehe – keine Gesetzesbegriffe. Deshalb kann für sie keine Realdefinition, sondern nur eine Nominaldefinition aufgestellt werden, also eine sprachliche Festlegung nach dem Muster „Ich verstehe unter justizfreien Hoheitsakten folgendes: …“. Nominaldefinitionen können – anders als Realdefinitionen – nicht richtig oder falsch, sondern nur zweckmäßig oder unzweckmäßig sein. Unzweckmäßig ist eine Nominaldefinition dann, wenn sie unter einem Begriff solche Gegenstände zusammenfaßt, die keine oder nicht genügend gemeinsame Merkmale aufweisen, oder die Gegenstände voneinander trennt, die sachlich zusammengehören. Bei der hier erörterten Fragestellung erscheint es mir zweckmäßig, einen weiteren und einen engeren Begriff zu unterscheiden. Unter justizfreien Hoheitsakten im weiteren Sinne verstehe ich solche, die von niemandem einer gerichtlichen Kontrolle zugeführt werden können. Justizfreie Hoheitsakte im engeren Sinne sind dagegen solche, die von dem in seinen Rechten Betroffenen nicht gerichtlich angefochten werden können. Die Bildung dieses engeren Begriffs erscheint deshalb zweckmäßig, weil sie alle ein bestimmtes Problem aufwerfen, nämlich ob sie mit Art. 19 Abs. 4 GG vereinbar sind. Im folgenden werde ich mich auf die Erörterung solcher Hoheitsakte beschränken, die zu dieser Kategorie zählen oder gezählt werden.

1. Beschränkungsmaßnahmen aufgrund des G 10 Vergleichsweise unproblematisch ist der zeitweilige Ausschluß gerichtlichen Rechtsschutzes gegen bestimmte Maßnahmen, die aufgrund des sog. G 10 getroffen werden, also des (Bundes-)Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz).6 Sein § 12 sieht vor, daß bestimmte Eingriffe in diese Rechtsgüter dem Betroffenen erst nach Abschluß der Maßnahmen mitgeteilt werden. Daran anknüpfend bestimmt § 13, daß gegen die Anordnung derartiger Beschränkungsmaßnahmen der Rechtsweg vor der Mitteilung an den Betroffenen nicht zulässig ist. Gewissermaßen als Surrogat für diese Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung etabliert § 15 des Art. 10___________ 6

Vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254), seither mehrfach geändert.

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Gesetzes eine Kontrolle durch eine Kommission, die vom Bundestag eingesetzt wird. Dieser Fall ist deshalb relativ unproblematisch, weil der gerichtliche Rechtsschutz der Betroffenen nicht gänzlich ausgeschlossen, sondern zeitlich aufgeschoben wird, und – vor allem – weil hier das Grundgesetz eine ausdrückliche Ermächtigung enthält. Denn Art. 10 Abs. 2 Satz 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber zu bestimmen, daß solche Beschränkungen, die dem Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder der Sicherung des Bundes oder eines Landes dienen, nicht mitgeteilt werden müssen und daß an die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von der Volksvertretung bestellte Organe oder Hilfsorgane tritt. Ein Verstoß jener gesetzlichen Regelungen gegen Art. 19 Abs. 4 GG scheidet demzufolge aus.

2. Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse des Bundestages Verfassungsrechtlich unproblematisch ist ebenfalls, daß „Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse“ des Bundestages der „richterlichen Erörterung“ völlig entzogen sind. Denn dies ordnet Art. 44 Abs. 4 Satz 1 GG ausdrücklich an. Damit unvereinbar scheint es auf den ersten Blick zu sein, daß § 36 des Untersuchungsausschußgesetzes7 festlegt, daß der Bundesgerichtshof „zuständiges Gericht für Streitigkeiten nach diesem Gesetz“ ist. Diese Diskrepanz wird dadurch aufgehoben, daß die Wörter „Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse“ einengend dahingehend interpretiert werden, daß damit nur die Abschlußberichte und etwaige Zwischenberichte gemeint sind,8 während solche Maßnahmen, die im Verlaufe des Untersuchungsverfahrens zur Aufklärung des Sachverhalts getroffen werden,9 der Kontrolle durch den BGH unterliegen.10 ___________ 7

Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschußgesetz – PUAG) vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1142). 8 Sodan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, Baden-Baden, Loseblatt, Stand: 5. Ergänzungslieferung/Januar 2003, § 40, Rn. 85. Wenig später schreibt der Autor allerdings, der Rechtswegausschluß gelte nur für „verfahrensbeendende Beschlüsse“. 9 Beispielsweise die Zulässigkeit bestimmter Beweiserhebungsmaßnahmen oder der Aktenversendung; vgl. Hufen, Verwaltungsprozeßrecht, 5. Aufl., München 2003, S. 158 (§ 11, Rn. 8). 10 Klein, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Stand: 43. Lieferung, Art. 44, Rn. 231; Sodan (Fn. 8); Pieroth, in: Jarass/Pieroth (Fn. 4), Art. 44, Rn. 2 („Die Beschlüsse der Untersuchungsausschüsse, d. h. der Schlußbericht einschl. eventueller Minderheitsvoten …“). Unklar Versteyl, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 5. Aufl., München 2001, Art. 44, Rn. 36 („Wertungen und Aussagen der UAe [Untersuchungsausschüsse], also nicht jede Form von Beschlüssen“).

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3. Gnadenentscheidungen Keine mit Art. 10 Abs. 2 Satz 2 oder Art. 44 Abs. 4 Satz 1 vergleichbare Vorschrift enthält das Grundgesetz im Hinblick auf Gnadenentscheidungen. Art. 60 Abs. 2 und 3 GG bestimmt lediglich, daß der Bundespräsident für den Bund das Begnadigungsrecht ausübt und daß er diese Befugnis auf andere Behörden übertragen kann. Entsprechende Vorschriften enthalten die Landesverfassungen zugunsten der Ministerpräsidenten. Angesichts des Schweigens der Verfassungen nimmt es nicht wunder, daß bis zum heutigen Tage umstritten ist, ob Gnadenentscheidungen der gerichtlichen Überprüfung entzogen sind, also justizfreie Hoheitsakte darstellen. Das BVerfG bejaht dies in ständiger Rechtsprechung. Seinem leading case lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Generalstaatsanwalt beim OLG München und das Bayerische Justizministerium hatten das Gnadengesuch eines verurteilten Straftäters abgelehnt. Seine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde wurde vom Zweiten Senat bei Stimmengleichheit (4:4) durch Beschluß vom 23. April 196911 zurückgewiesen. Begründet wurde dies – stark vereinfacht dargestellt – mit dem Argument, aus dem System und dem Gesamtgefüge des Grundgesetzes ergebe sich, daß Art. 19 Abs. 4 GG für Gnadenentscheidungen nicht gelte.12 Demgegenüber befanden die vier dissentierenden Richter, Art. 19 Abs. 4 GG eröffne den Rechtsweg gegen willkürliche Gnadenentscheidungen13 und führten dazu aus: „Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet die rechtsstaatliche Forderung nach möglichst lückenlosem gerichtlichen Schutz gegen die Verletzung der Rechtssphäre des Einzelnen durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (BVerfGE 8, 274 [326]). Nicht zur öffentlichen Gewalt im Sinne von Art. 19 Abs. 4 GG gehören Akte der Rechtsprechung (BVerfGE 15, 275 [280]) und der Gesetzgebung (BVerfGE 24, 33 [49 ff.]). Dagegen kann ein Akt der Exekutive, der in Rechte des Bürgers eingreift, richterlicher Nachprüfung nicht entzogen werden (BVerfGE 10, 264 [267]). Die Einzelbegnadigung ist weder ein Akt der Rechtsprechung noch der Gesetzgebung. Die Inhaber des Begnadigungsrechts gehören nach ihrer verfassungsrechtlichen Stellung zur Exekutive. Wenn sie das Begnadigungsrecht ausüben, üben sie Funktionen eines Exekutivorgans aus, indem sie auf die Vollstreckung eines Urteils Verzicht leisten. In der Rechtswirklichkeit werden die Gnadensachen in der Regel von nachgeordneten Behörden administrativ bearbeitet und entschieden. Art. 19 Abs. 4 GG hat deshalb auch gegen Gnadenent___________ 11

BVerfGE 25, 352 ff. BVerfGE 25, 352, 362. 13 BVerfGE 25, 352, 363. 12

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scheidungen den Rechtsweg eröffnet. Sie müssen von den Gerichten daraufhin überprüft werden, ob sie materiell den durch das Grundgesetz abgesicherten Mindestanforderungen der Gerechtigkeit entsprechen und daher rechtsstaatskonform sind.“ Knapp zwei Jahre später erklärte derselbe Senat per einstimmigen Beschluß,14 der Widerruf eines Gnadenerweises unterliege der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG, und deklarierte dies als „Ergänzung“ zu dem soeben referierten Beschluß vom 23. April 1969. Die unterschiedliche Behandlung von Ablehnung der Begnadigung einerseits und Widerruf des Gnadenerweises begründete das Gericht so: Die Entscheidung vom 23. April 1969 beruhe auf der Erwägung, daß der Gnadenakt einen Eingriff der Exekutive in den Bereich der rechtsprechenden Gewalt bedeute. Der Grundgesetzgeber selbst habe dadurch, daß er das Begnadigungsrecht in dem geschichtlich überkommenen Sinn übernommen habe, die Gewaltenteilung modifiziert und im Bereich der Einzelbegnadigung dem Träger des Gnadenrechts eine Gestaltungsmacht eigener Art verliehen. Aus dem System und dem Gesamtgefüge des Grundgesetzes ergebe sich daher, daß die Ablehnung eines Gnadenerweises einer gerichtlichen Nachprüfung nicht unterliegen könne. Das entspreche auch der Eigenart der Einzelbegnadigung, auf die der Verurteilte kein Recht habe. Bis zum Ausspruch eines Gnadenerweises werde die Rechtsstellung des Verurteilten ausschließlich durch das rechtskräftige Strafurteil und die für seine Vollstreckung maßgebenden gesetzlichen Vorschriften bestimmt.15 Dies ändere sich mit dem „Eingreifen des Trägers des Gnadenrechts“. Durch den Gnadenerweis werde die Wirkung des Urteils umgestaltet. So würden bei einer gnadenweisen Strafaussetzung zur Bewährung dem Verurteilten einerseits Pflichten auferlegt, andererseits aber auch Freiheitsrechte eingeräumt, auf deren Wahrung er sich verlassen und auf deren Fortbestand er vertrauen könne, solange er seine Verpflichtungen erfülle.16 Deshalb sei jede den Verurteilten belastende Entscheidung der Gnadenbehörden dann ein rechtlich gebundener Akt, wenn sie eine dem Verurteilten zuvor im Gnadenwege eingeräumte Rechtsstellung verschlechtere. Dies gelte für den Widerruf des Gnadenerweises ebenso wie für die Ablehnung des Straferlasses nach Ablauf der Bewährungszeit. Diese Entscheidungen der Gnadenbehörden unterlägen der gerichtlichen Kontrolle nach Art. 19 Abs. 4 GG.17 ___________ 14

Vom 12. Januar 1971, BVerfGE 30, 108 ff. BVerfGE 30, 108, 110. 16 BVerfGE 30, 108, 110 f. 17 BVerfGE 30, 108, 111. 15

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Diese unterschiedliche Behandlung von Verweigerung der Begnadigung einerseits und Rücknahme oder Widerruf des Gnadenerweises andererseits leuchtet mir nicht ein. Richtig und unbestritten ist, daß der Verurteilte keinen Anspruch auf Begnadigung hat; das schließt es jedoch nicht aus, ihm einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über sein Gnadengesuch zuzuerkennen, und rechtfertigt es nicht, ihm gerichtlichen Rechtsschutz zu verweigern. Zumindest sprachlich mißlungen ist die Bemerkung des Senats, bis zum Ausspruch eines Gnadenerweises werde die Rechtsstellung des Verurteilten ausschließlich (!) durch das rechtskräftige Strafurteil und die für seine Vollstreckung maßgebenden gesetzlichen Vorschriften bestimmt. Dieses Diktum ist dahingehend zu ergänzen, daß auch für den rechtskräftig verurteilten Straftäter die Grundrechte gelten und deshalb auch der Art. 19 Abs. 4 GG. Obwohl die Literatur die Ansicht des BVerfG ganz überwiegend ablehnt,18 hat es an ihr bis heute hartnäckig festgehalten. Soweit ersichtlich ist dies letztmalig in dem Beschluß der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 3. Juli 200119 geschehen, in dem es heißt: Da ein Recht auf einen Gnadenerweis nicht bestehe, könne es auch nicht verletzt werden. Folglich gelte die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG für Gnadenentscheidungen nicht; vielmehr schließe Art. 60 Abs. 2 GG eine gerichtliche Nachprüfbarkeit ablehnender Gnadenakte aus.

___________ 18 Siehe etwa Schenke, Rechtsschutz gegen Gnadenakte, JA 1981, 588 ff.; ders., Die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG (Sonderausgabe aus dem Bonner Kommentar zum Grundgesetz [BK]), Hamburg 1982, Art. 19 Abs. 4, Rn. 232 ff. (mit zahlreichen Nachweisen); ders., Verwaltungsprozessrecht, 10. Aufl., Heidelberg 2005, S. 30 f. (Rn. 90 f.); Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 14. Aufl., München 2005, § 40, Rn. 5a; Hufen (Fn. 9), S. 158 f. (§ 11, Rn. 9); Jarass, in: Jarass/Pieroth (Fn. 4), Art. 19, Rn. 29; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig (Fn. 10), Art. 19 Abs. 4, Rn. 57 (mit weiteren Nachweisen in Fn. 2); Ehlers, in: Schoch/SchmidtAßmann/Pietzner (Hrsg.), Verwaltungsgerichtsordnung, München, Loseblatt, Stand: 8. Ergänzungslieferung/Januar 2003, § 40, Rn. 124–126; Huber, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 3. Aufl., München 1999, Art. 19 Abs. 4, Rn. 437; Krebs, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 5. Aufl., München 2000, Art. 19, Rn. 55; Henneke, in: Knack, Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Aufl., Köln/Berlin/Bonn/München 2004, § 35, Rn. 75; Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Aufl., München 2001, § 1, Rn. 172 ff., 176; Wolff/Bachof/ Stober, Verwaltungsrecht – Bd. 1, 11. Aufl., München 1999, S. 243 (§ 20, Rn. 69); dies., Verwaltungsrecht – Bd. 2, 6. Aufl., München 2000, S. 30 (§ 45, Rn. 39 f.). A. M. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, Tübingen 1951, S. 47; Sodan (Fn. 8), § 40, Rn. 170–175; Rennert, in: Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 11. Aufl., München 2000, § 40, Rn. 12; wohl auch Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, München 1998, S. 95 f. (Rn. 201). 19 NJW 2001, 3771.

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Diese Auffassung ist aus den vorhin skizzierten Gründen abzulehnen. Dies gilt um so mehr, als das Begnadigungswesen heute durch Gnadenordnungen bis in die Details geregelt und bürokratisiert ist. Ich will dies anhand der als Verwaltungsvorschrift erlassenen badenwürttembergischen Gnadenordnung20 kurz demonstrieren. Je nach Fallgestaltung wird das Begnadigungsrecht ausgeübt von dem Ministerpräsidenten, dem Justizminister oder einer der „Gnadenbehörden“ (§§ 4 und 5). Als solche fungieren die Leiter der Staatsanwaltschaften, die Jugendrichter sowie die Präsidenten der ordentlichen, Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichte (§ 5). §§ 12–25 regeln mit viel Liebe zum Detail das Begnadigungsverfahren. An dessen Ende fällt die zuständige Behörde die Entscheidung. In ihr ist zum Ausdruck zu bringen, daß sie auf Grund der von dem Justizminister allgemein oder im Einzelfall übertragenen Befugnis ergeht (§ 19 Abs. 1). Sie bedarf – so heißt es ausdrücklich – keiner Begründung; die Gnadenbehörde muß jedoch die für ihre Entscheidung maßgeblichen Erwägungen in einem Vermerk zu den Gnadenvorgängen niederlegen (§ 19 Abs. 2 Sätze 2 und 3). Im Klartext: Die Entscheidung bedarf doch der Begründung, diese wird dem Verurteilten aber nicht mitgeteilt. Die Gnadenbehörde gibt die Entscheidung dem Gesuchsteller und – bei Erteilung eines Gnadenerweises – auch dem Verurteilten bekannt (§ 24 Abs. 1). Dies geschieht grundsätzlich durch einen schriftlichen, in einem geschlossenen Umschlag mitzuteilenden Bescheid (§ 24 Abs. 3 Satz 1). Bei der Bekanntgabe wird der Verurteilte über die Bedeutung der gnadenweisen Aussetzung, die Bewährungszeit, die Auflagen und Weisungen sowie darüber belehrt, daß die Aussetzung unter den Voraussetzungen des § 31 zurückgenommen und des § 33 widerrufen werden kann (§ 29 Abs. 1 Sätze 1 und 2). Während Zuständigkeit, Verfahren und Form sehr detailliert geregelt worden sind, verhält sich die Gnadenordnung zu den Entscheidungsmaßstäben vergleichsweise wortkarg. Der mit „Allgemeine Richtlinien“ überschriebene § 3 betont, daß Gnadenerweise Ausnahmecharakter haben (Abs. 1 Satz 1). Sie dienten – so heißt es weiter (Abs. 1 Satz 2) – „insbesondere dazu, Unbilligkeiten auszugleichen, die darauf beruhen, daß das Gericht bei Festsetzung der Rechtsfolgen wesentliche Umstände nicht berücksichtigen konnte, weil diese im Zeitpunkt der Entscheidung nicht bekannt waren oder erst danach eingetreten sind“.

___________ 20 Anordnung des Justizministeriums Baden-Württemberg (Gnadenordnung – GnO) vom 20. September 2001 (Die Justiz S. 506). Siehe auch die Anordnung des Ministerpräsidenten über die Ausübung des Gnadenrechts vom 25. September 2001 (GBl. S. 567), die auf Art. 52 der baden-württembergischen Landesverfassung beruht.

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Auch rechtliche Gründe könnten zu einer Änderung oder Milderung der Rechtsfolgen führen (Abs. 1 Satz 3)! An dieser Stelle zeigt sich besonders deutlich, daß der Inhaber des Gnadenrechts – zumindest auch – rechtliche Überlegungen anzustellen hat, wenn er seine Entscheidung über ein Gnadengesuch trifft. Ein Gnadenerweis kommt gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich nicht in Betracht, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung der verhängten Strafe gebietet. Ähnliches gilt für Maßregeln der Besserung und Sicherung; denn ihr Zweck, die Allgemeinheit vor Gefahren zu schützen, überwiege die Belange des Betroffenen so sehr, daß diese in der Regel zurückzutreten hätten (§ 3 Abs. 2 Satz 2). Sondervorschriften für die gnadenweise Aussetzung von Strafen und Geldbußen enthält § 26 („Besondere Richtlinien“). Dessen Absatz 1 zufolge kommt diese Maßnahme „grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, die erst nachträglich bekannt geworden oder eingetreten sind und nicht mehr bei der gerichtlichen Entscheidung berücksichtigt werden konnten oder die so außergewöhnlich sind, daß sie eine über die gesetzlichen Aussetzungsvorschriften hinausgehende Vergünstigung angezeigt erscheinen lassen“. Absatz 2 betont, die Aussetzung dürfe nur dann bewilligt werden, wenn erwartet werden kann, daß der Verurteilte sich künftig straffrei führen wird. Sehr viel eingehender als die Voraussetzungen für einen Gnadenerweis reglementiert die Gnadenordnung in ihren §§ 31 und 33 die Rücknahme und den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung. Diese Entscheidungen müssen begründet und dem Verurteilten durch Zustellung bekanntgegeben werden (§§ 31 Abs. 3 Satz 2, 33 Abs. 2). Als Rechtsbehelf kennt die Gnadenordnung nur die Beschwerde (§ 41). Statthaft ist sie lediglich gegen Bescheide der Gnadenbehörden (siehe oben). Diesen obliegt nach § 24 Abs. 2 auch die Bekanntgabe der Entscheidungen, die der Ministerpräsident oder der Justizminister getroffen hat, so daß auch deren Entscheidungen beschwerdefähig sind. Die Beschwerde ist stets bei der Gnadenbehörde einzulegen, die den angegriffenen Bescheid erlassen hat. Diese kann der Beschwerde im Rahmen ihrer Befugnis abhelfen, sofern von dem Beschwerdeführer Gründe vorgetragen werden, die nunmehr einen Gnadenerweis rechtfertigen (§ 41 Abs. 2). Hilft sie nicht ab, so berichtet sie dem Justizminister (§ 41 Abs. 3). Dieser entscheidet über sämtliche Beschwerden (§ 41 Abs. 1 Satz 2); das gilt wohl auch für solche Beschwerden, die sich gegen eine Entscheidung des Ministerpräsidenten wenden – eine ungewöhnliche Konstellation. Die Gnadenordnung scheint davon auszugehen, daß sämtliche Gnadenentscheidungen – also auch die Rücknahme und der Widerruf von Gnadenerweisen – ausschließlich mit der Beschwerde angefochten werden können. Damit bleibt sie noch hinter dem vorhin zitierten Beschluß des Zweiten Senats vom

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12. Januar 197121 zurück, der immerhin den Widerruf von Gnadenerweisen für justiziabel erklärt hat. Wenn die Aufgabe der Gnadenerweise darin besteht, Unbilligkeiten auszugleichen, die darauf beruhen, – daß das Strafgericht bei der Verhängung der Strafe wesentliche Umstände nicht berücksichtigt hat, weil es sie nicht kannte oder weil sie erst später eingetreten sind (§§ 3 Abs. 1 Satz 2, 26 Abs. 1), oder – daß rechtliche Gründe eine Änderung oder Milderung der Rechtsfolgen nahelegen (§ 3 Abs. 1 Satz 3), so bedarf es für die Entscheidung der Gnadeninstanz genuin rechtlicher Erwägungen, die gerichtlicher Überprüfung zugänglich sind und ihrer unter Umständen auch bedürfen. Gnadenentscheidungen – welcher Art auch immer – dürfen deshalb unter der Herrschaft des Art. 19 Abs. 4 GG der gerichtlichen Kontrolle jedenfalls nicht völlig entzogen sein. Diskutieren kann man allenfalls darüber, ob die Gerichte – das sind übrigens nicht die Verwaltungs-, sondern die ordentlichen Gerichte (§§ 23 ff. des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz [EGGVG]) – umfassend prüfen, ob die Bestimmungen der Gnadenordnung22 eingehalten worden sind, oder ob sie sich darauf beschränken müssen zu kontrollieren, ob die Gnadenentscheidung gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen die Grundrechte – etwa den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG – verstößt.

4. Ehrungen Gelegentlich wird die Ansicht vertreten, die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen und sonstige Ehrungen durch den Bundespräsidenten, einen Ministerpräsidenten oder andere Staatsorgane seien gerichtsfreie Hoheitsakte.23 Für diese Annahme spricht auf den ersten Blick, daß eine gerichtlich erzwungene Ehrung diesen Namen eigentlich nicht verdient. Andererseits kann eine offenkundig aufgrund unsachlicher Erwägungen gleichheitswidrig vorenthaltene Eh___________ 21

Siehe oben zu Fn. 14. Da sie keine Rechts-, sondern eine bloße Verwaltungsvorschrift ist, hat ein Verstoß gegen ihre Bestimmungen nicht unmittelbar die Rechtswidrigkeit der Maßnahme zur Folge. Wenn die zuständigen Gnadenbehörden aber stets nach der Gnadenordnung verfahren, dürfen sie nicht ohne rechtfertigenden Grund im Einzelfall davon abweichen; tun sie es dennoch, verstoßen sie gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Darüber hinaus stellt ein Verstoß gegen die Gnadenordnung unmittelbar (also ohne den „Umweg“ über Art. 3 Abs. 1 GG) eine zu Schadensersatz verpflichtende Amtspflichtverletzung im Sinne von § 839 BGB/Art. 34 GG dar. 23 So Schneider (Fn. 18). 22

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rung eine schwerwiegende Kränkung darstellen; gleiches gilt in gesteigertem Maße für die Entziehung einer Ehrung. Aus diesem Grund spricht wohl mehr für die Auffassung, daß auch diese Maßnahmen gerichtlicher Kontrolle unterliegen.24

5. Regierungsakte Die Diskussion darüber, ob Regierungsakte (leitende Staatsakte) justizfreie Staatsakte sind, leidet darunter, daß im Dunkeln bleibt, was denn unter „Regierungsakten“ zu verstehen ist.25 Soweit ich sehe, ist der Terminus „Regierungsakt“ kein Gesetzesbegriff, so daß nur eine Nominaldefinition in Betracht kommt. Deshalb stellt sich die Frage, ob es Maßnahmen gibt, die sich unter diesem Begriff in Hinblick auf die gerichtliche Überprüfung sinnvoll zusammenfassen lassen. Zu Klärung dieser Frage schauen wir uns um nach Maßnahmen, die als Regierungsakte bezeichnet werden. Einen umfangreichen Katalog solcher Maßnahmen verdanken wir Wolf-Rüdiger Schenke, der in seiner Kommentierung des Art. 19 Abs. 4 GG26 die folgenden aufführt: politische Beschlüsse des Parlaments, Aufhebung der Immunität durch das Parlament, politische Stellungnahmen der Bundesregierung, Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers, die Unterstellung der Polizeikräfte eines Landes unter die Weisungen der Bundesregierung nach Art. 91 Abs. 2 GG, die Feststellung des Verteidigungsfalles gemäß Art. 115a Abs. 1 GG, die Anerkennung von Staaten oder Regierungen, die Erteilung der Exequatur, die Aberkennung der diplomatischen Immunität, der Abschluß von Staatsverträgen durch den Bundespräsidenten, die Gewährung diplomatischen Schutzes und die Beantwortung parlamentarischer Anfragen durch die Regierung. Sucht man nach Gemeinsamkeiten, stellt man folgendes fest: Nur ein Teil dieser Maßnahmen stammt von der Bundesregierung, so daß die Sammelbezeichnung „Regierungsakte“ irreführend ist. Die Alternativbezeichnung als ___________ 24

Ehlers (Fn. 18), § 40, Rn. 127; Sodan (Fn. 8), § 40, Rn. 176; Rennert (Fn. 18), § 40, Rn. 13; Bosch/Schmidt, Praktische Einführung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren, 8. Aufl., Stuttgart 2005, S. 38 (§ 6 II 5); Hufen (Fn. 9), S. 159 (§ 11, Rn. 9 a. E.); Stelkens/Schmitz (Fn. 18), § 1, Rn. 179 i. V. m. Rn. 176; Wolff/Bachof/ Stober, Bd. 2 (Fn. 18), S. 31 (§ 45, Rn. 41). 25 Schmidt-Aßmann (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 81, meint, man könne Regierungsakte zwar auflisten, ordnen und typisieren, nicht aber definieren. Das ist zumindest unpräzise. Denn man kann durchaus eine Nominaldefinition aufstellen, aber sie ist – jedenfalls im hier erörterten Zusammenhang – nutzlos, wie die weiteren Überlegungen ergeben werden. 26 Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 220.

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„staatsleitende Akte oberster Staatsorgane“ ist zwar präziser, ändert aber nichts daran, daß die Maßnahmen Gemeinsamkeiten nur auf einer sehr hohen Abstraktionsstufe aufweisen: Sie werden von Verfassungsorganen des Bundes erlassen, sie sind öffentlich-rechtlicher Natur, und sie haben einen politischen Charakter, d. h. sie sind Ausdruck von politischen Willensentscheidungen. Damit stellt sich die Frage, ob diese Gemeinsamkeiten es rechtfertigen, sie einheitlichen Regeln in Hinblick auf die gerichtliche Kontrolle zu unterwerfen. Das wäre nur dann der Fall, wenn sämtliche Maßnahmen, die diese drei Charakteristika aufweisen, der gerichtlichen Überprüfung entzogen wären. Das aber ist keineswegs der Fall. So hat die Ernennung eines Staatssekretärs durch den Bundespräsidenten sehr häufig einen eminent politischen Charakter. Gleichwohl besteht wohl Einigkeit darüber, daß es sich bei dieser Maßnahme nicht um einen Regierungsakt handelt.27 Enthält die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durch die Bundesregierung unzutreffende rufschädigende Tatsachenbehauptungen, muß sich der Betroffene dagegen gerichtlich zur Wehr setzen können.28 Das Merkmal des Politischen eignet sich also nicht dazu, justizfreie Akte von Maßnahmen, die der gerichtlichen Kontrolle unterworfen sind, abzugrenzen, wie Schenke schon vor mehr als 20 Jahren festgestellt hat.29 Anders formuliert: Aus der Qualifikation einer Maßnahme als „Regierungsakt“ oder als „staatsleitender Akt eines obersten Staatsorgans“ läßt sich kein Urteil über seine Justitiabilität ableiten.30 Angesichts dessen ist die Kategorie „Regierungsakt“ – jedenfalls im hier erörterten Zusammenhang – wertlos und sollte deshalb aus der Diskussion verschwinden. ___________ 27

Schenke (Fn. 26). Seine Annahme, diese Maßnahmen seien keine Regierungsakte, trifft in dieser Allgemeinheit nicht zu, wenn man die oben im Text genannten drei Kriterien zugrundelegt. Der politische Charakter, der die Ernennung hochrangiger Beamter auszeichnet, kommt auch darin zum Ausdruck, daß derartige Maßnahmen im Kabinett beraten werden, bevor dem Bundespräsidenten ein entsprechender Vorschlag unterbreitet wird (§ 15 Abs. 2 lit. a Geschäftsordnung der Bundesregierung). 28 So auch Schenke, Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 31 (Rn. 94), für den Fall, daß ein Parlamentsbeschluß (zu ergänzen: ungerechtfertigterweise) die Geschäftspraktiken eines Unternehmens verurteilt und dadurch in dessen Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb (Art. 14 GG) eingreift. 29 Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 223 f. Es ist deshalb problematisch, wenn Würtenberger (Fn. 18), S. 95 (Rn. 200), schreibt, Regierungsakte im Bereich der staatsleitenden Tätigkeit seien „politischer Natur und damit (sic!) nicht justitiabel“. 30 Zutreffend Stelkens/Schmitz (Fn. 18), § 1, Rn. 166: Unter der Geltung des Art. 19 Abs. 4 GG müsse angenommen werden, daß die grundrechtlich geschützte Rechtssphäre des Einzelnen nicht durch einen politischen Akt tangiert werden darf. Siehe auch Wolff/Bachof/Stober, Bd. 2 (Fn. 18), S. 29 (§ 45, Rn. 35).

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6. Sonstige justizfreie Hoheitsakte In der Literatur werden gelegentlich noch weitere Maßnahmen als justizfreie Hoheitsakte diskutiert, z. B. – Maßnahmen, die im Rahmen besonderer Gewaltverhältnisse (Sonderstatusverhältnisse), also beispielsweise im Strafgefangenen- oder im Beamtenverhältnis, ergehen,31 – Wahlakte, d. h. Maßnahmen, die im Zusammenhang mit einem Wahlverfahren in die Rechte von Bürgern eingreifen.32 Darauf will ich schon aus Zeitgründen nicht eingehen. Zum Abschluß meiner Überlegungen zu den justizfreien Hoheitsakten lassen Sie mich folgende Bilanz ziehen: Alle Hoheitsakte, die unmittelbar in die Rechte eines Bürgers eingreifen, unterliegen der gerichtlichen Überprüfung, sofern nicht das Grundgesetz etwas anderes bestimmt.

III. Ermessen Die Kontrollbefugnis der Verwaltungsgerichte ist eingeschränkt, wenn eine Behörde einen Verwaltungsakt (VA) aufgrund einer Rechtsvorschrift erlassen hat, die ihr Ermessen einräumt.33 Denn § 114 Satz 1 VwGO bestimmt: „Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.“

Dieser Vorschrift, die sich an die Verwaltungsgerichte wendet, korrespondiert § 40 VwVfG, der an die Verwaltung adressiert ist und besagt: „Ist die Behörde ermächtigt, nach ihrem Ermessen zu handeln, hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.“

Beide Vorschriften betreffen unmittelbar nur den Fall, daß die Behörde einen Verwaltungsakt erläßt bzw. erlassen hat; dies ergibt sich bei § 114 VwGO aus ___________ 31 Sodan (Fn. 8), Rn. 64, 89; Schenke, Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 31–33 (Rn. 95–98); Schmidt-Aßmann (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 84–89. 32 Dazu eingehend mit umfassenden Nachweisen Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 241–248; ders., Der gerichtliche Rechtsschutz im Wahlrecht, NJW 1981, 2440 ff. 33 Umfassende Erörterung der Probleme, die das Ermessen aufwirft, bei Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, Heidelberg 1998.

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dem Wortlaut der Vorschrift, im Falle des § 40 VwVfG aus der Stellung dieser Norm im Verwaltungsverfahrensgesetz (nämlich in Teil III Verwaltungsakt – Abschnitt 1: Zustandekommen des Verwaltungsaktes). Auf die sich aufdrängende Frage, ob die beiden Vorschriften analog auch dann gelten, wenn die Verwaltung sich anderer Handlungsformen bedient – etwa einen Realakt, eine Rechtsverordnung oder eine Satzung erläßt – kann ich hier nicht eingehen.34 Nach dem Gegenstand des Ermessens werden das Entschließungs- und das Auswahlermessen unterschieden. Entschließungsermessen steht der Behörde dann zu Gebote, wenn sie wählen darf, ob sie tätig werden soll oder nicht. Das Auswahlermessen kann sich beziehen auf das von der Behörde einzusetzende Mittel oder auf den Adressaten ihrer Maßnahme. Beispiel: Zwei in derselben Behörde tätige Beamte – nennen wir sie A und B – haben sich verkracht; jeden Tag kommt es zu lautstarken Auseinandersetzungen zwischen den beiden. Der Behördenleiter steht vor der Frage, ob und ggf. was er tun sollte, um den gestörten Betriebsfrieden wiederherzustellen. Als erstes muß er entscheiden, ob er einschreiten oder ob er abwarten soll, ob sich die Streithähne aussöhnen (Entschließungsermessen). Entscheidet er sich für das Einschreiten, muß er sich darüber klarwerden, welche Maßnahme er ergreifen soll (Umsetzung innerhalb der Behörde35 oder Versetzung zu einer anderen Behörde?) und gegen welchen der beiden Streithähne er vorgehen will, d. h. welchen von ihnen er umsetzen oder versetzen soll (Auswahlermessen bezüglich des Mittels bzw. des Adressaten). § 40 VwVfG statuiert mehrere Gebote, denen bestimmte Arten von Ermessensfehlern36 entsprechen: (1) Wenn der Behörde Ermessen eingeräumt worden ist, muß sie dieses auch betätigen (Gebot der Ermessensbetätigung oder -ausübung). Tut sie dies ___________ 34

Vgl. dazu Rennert (Fn. 18), § 114, Rn. 6; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl., München 2003, § 40, Rn. 3–5; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Fn. 18), § 40, Rn. 47. 35 Um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen: Nach heute ganz herrschender Meinung ist die innerbehördliche Umsetzung (im Gegensatz zur Versetzung) kein VA. Gleichwohl ist anerkannt, daß die – gesetzlich nicht näher geregelte – Umsetzung im Ermessen der Behörde steht und daß für dessen Betätigung und Schranken dieselben Grundsätze gelten wie für Verwaltungsakte. 36 Da die Gesetze keinen bestimmten Sprachgebrauch vorgeben, variiert die Benennung der einzelnen Fehlerarten von Autor zu Autor. Ich verwende den Ausdruck Ermessensfehler als Oberbegriff für Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung, Ermessensdefizit und Ermessensmißbrauch. Schenke (Verwaltungsprozeßrecht [Fn. 18], S. 256 [Rn. 744–747]) faßt Ermessensdefizit und Ermessensmißbrauch unter dem Oberbegriff Ermessensfehlgebrauch zusammen. Zu den verschiedenen Kategorisierungen der Ermessensfehler siehe ferner Brinktrine (Fn. 33), S. 99 ff., und Wolff, in: Sodan/Ziekow (Fn. 8), § 114, Rn. 81 ff., der Ermessensausfall, -unterschreitung, -überschreitung und -fehlgebrauch unterscheidet.

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nicht – etwa deshalb, weil sie sich fälschlich für rechtlich gebunden hält –, liegt ein Ermessensfehler in Gestalt des Ermessensnichtgebrauchs (Ermessensunterschreitung, Ermessensausfall) vor. (2) Die Behörde muß ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung37 ausüben. Ausübung (Betätigung) des Ermessens bedeutet Abwägung der Vor- und Nachteile der in Rede stehenden Maßnahme, wobei das öffentliche Interesse sowie die Belange des Adressaten und etwaiger anderer Personen, die von der Maßnahme betroffen sein könnten, angemessen zu berücksichtigen sind.38 In dem soeben gebildeten Beispiel muß der Behördenleiter sich demzufolge fragen: Was spricht für, was gegen das Einschreiten? Was spricht für, was gegen die Umsetzung oder die Versetzung des einen Streithahns, und was spricht für, was gegen die Umsetzung oder die Versetzung des anderen? Das Beispiel macht deutlich, daß die einzelnen Ermessensentscheidungen, die dem Erlaß eines Verwaltungsakts vorausgehen, sich nicht immer strikt von einander trennen lassen. In diese Abwägung einzustellen sind alle Belange (Rechtsgüter, Interessen), die durch die Entscheidung berührt werden. In unserem Beispiel muß der Behördenleiter unter anderem berücksichtigen, daß der Betriebsfrieden gestört ist und darunter die Arbeitsleistung leidet, daß die Umsetzung und mehr noch die Versetzung zumeist Nachteile für den Betroffenen mit sich bringt. Bei der Auswahl des Adressaten muß in Rechnung gestellt werden, wer von beiden den Streit verschuldet hat, aber auch, ob der eine oder andere an seinem jetzigen Arbeitsplatz unentbehrlich ist. Werden relevante Belange bei der Abwägung überhaupt nicht oder nicht mit dem gehörigen Gewicht berücksichtigt, liegt wiederum ein Ermessensfehler vor, und zwar ein Ermessensdefizit. ___________ 37 Kopp/Schenke (Fn. 18), § 114, Rn. 9, weisen zutreffend darauf hin, daß „Zweck der Ermächtigung“ nicht nur der engere Zweck der ermächtigenden Vorschrift ist, sondern daß damit die Gesamtheit der einschlägigen Rechtsvorschriften gemeint ist. Ebenso Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 49. 38 Ähnlich Bull, Allgemeines Verwaltungsrecht, 6. Aufl., Heidelberg 2000, S. 406 (Rn. 185: Die Behörde sei verpflichtet, das Für und Wider ihres Handelns – ob und wie – sorgfältig zu erwägen und dabei die betroffenen Interesse – private wie öffentliche – gegeneinander abzuwägen.); Brinktrine (Fn. 33), S. 54 f.; Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 52. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Fn. 18), § 114, Rn. 18, drückt dies so aus: Die Behörde sei verpflichtet, auf der Grundlage zutreffender Tatsachen das Für und Wider der sich gegenüberstehenden Belange umfassend abzuwägen und sich von Erwägungen leiten zu lassen, die nicht gesetzwidrig und für den Einzelfall dem Gesetzeszweck entsprechend sachgemäß sind.

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Nahe mit ihm verwandt ist der Ermessensmißbrauch. Er ist dann gegeben, wenn die Behörde sachfremde Erwägungen anstellt, d. h. solche Umstände in die Abwägung einstellt, die für die Entscheidung keine Rolle spielen dürfen. Das wäre etwa dann der Fall, wenn der Behördenleiter den Streithahn A deshalb umsetzt oder versetzt, weil dieser einer anderen politischen Partei oder Gewerkschaft angehört als der Behördenleiter oder weil sich der A bei einer früheren Gelegenheit über den Behördenleiter bei dessen Vorgesetzten beschwert hat. (3) Bei der Ausübung des Ermessens muß die Behörde dessen gesetzliche Grenzen einhalten. Überschreitet sie diese Grenzen, so begeht sie eine Ermessensüberschreitung. Besonders bedeutsame Grenzen für die Ermessensausübung stellen die Grundrechte und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Zur Veranschaulichung der Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kehre ich noch einmal zu meinen Beispiel aus dem Beamtenrecht zurück, in dem der Behördenleiter unter anderem vor der Frage steht, welche Maßnahme er ergreifen soll, um den durch den Streit gestörten Betriebsfrieden wiederherzustellen. In Betracht kommen – so unterstelle ich jetzt – die Umsetzung oder die Versetzung des Mitarbeiters A. Vielleicht nicht stets, aber doch im Regelfall ist die Versetzung für den Betroffenen nachteiliger als die Umsetzung. Reicht im konkreten Fall die Umsetzung aus, um den Betriebsfrieden wiederherzustellen (weil die Behörde sehr groß ist), so muß sich der Behördenleiter für diese Maßnahme entscheiden; würde er dagegen die Versetzung wählen, verstieße er gegen den Grundsatz der Erforderlichkeit (das Gebot des mildesten Mittels) und damit gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das wiederum hätte zur Folge, daß eine Ermessensüberschreitung vorläge, die den VA der Versetzung rechtswidrig machen würde. Die Bedeutung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) als Ermessensgrenze läßt sich sehr schön an einem Beispiel aus dem Baurecht illustrieren. Es ist in der Vergangenheit unzählige Male vorgekommen, daß im Außenbereich von Gemeinden ohne die erforderliche Baugenehmigung und unter Verstoß gegen das materielle Bauplanungsrecht (§ 35 Baugesetzbuch [BauGB]) Wochenendhäuser errichtet worden sind. Nachdem die zuständigen Behörden zunächst – sei es aus Unkenntnis, sei es aus Trägheit oder anderen Gründen – untätig geblieben waren, entschieden sie sich schließlich doch dazu, gegen die sog. Schwarzbauten einzuschreiten. Die Handhabe dafür bieten die Landesbauordnungen, die zum Erlaß von Abbruchanordnungen (Beseitigungsanordnungen, Abrißverfügungen) ermächtigen. So bestimmt § 65 Satz 1 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg (LBO):

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„Der teilweise oder vollständige Abbruch einer Anlage, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wurde, kann angeordnet werden, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können.“

Die Vorschrift ist als Kann-Bestimmung formuliert und räumt der Behörde folglich Ermessen ein. In der Praxis ist immer wieder die Frage aufgetaucht: Kann der Bauherr A, gegen den die Behörde eine Abbruchanordnung erlassen hat, sich mit Erfolg darauf berufen, außer ihm hätte noch mehrere andere Personen (B, C und D) ganz in der Nähe ähnliche Schwarzbauten errichtet, gegen die die Behörde nicht eingeschritten sei; deshalb habe die Behörde gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, der das ihr eingeräumte Ermessen begrenze. Folglich liege ein Ermessenfehler in Gestalt der Ermessensüberschreitung vor, der die Abrißverfügung rechtswidrig mache. Diese Frage ist von den Verwaltungsgerichten zu Recht immer wieder bejaht worden, und sie haben demzufolge häufig Abbruchanordnungen aufgehoben, obwohl die übrigen Voraussetzungen der Ermächtigungsnorm vorlagen. Um dem zu entgehen, müssen die Behörden, falls sie nicht gegen sämtliche Schwarzbauten gleichzeitig vorgehen wollen oder können, ein Handlungskonzept entwickeln, aus dem sich ergibt, daß die Behörde gewillt ist, alle Schwarzbauten gleich zu behandeln, wenn auch nicht gleichzeitig. Der (zwar umstrittene, aber zutreffende) Grundsatz „Keine Gleichbehandlung im Unrecht“ läßt sich der Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG in diesen Fällen nicht entgegenhalten. Denn da die Verwaltung befugt ist, Schwarzbauten zu dulden, verlangt derjenige, gegen den die Behörde unter Verstoß gegen den Gleichheitssatz vorgeht, kein rechtswidriges Verhalten. Anders wäre es dann, wenn die Behörde zum Einschreiten verpflichtet wäre, wenn nämlich der oben zitierte § 65 Satz 1 LBO nicht als Kann-, sondern als Muß-Vorschrift formuliert wäre. Wenn ich vorhin sagte, § 65 Satz 1 LBO räume, da als Kann-Bestimmung formuliert, der Behörde Ermessen ein, so muß ich das ein wenig relativieren. Die Rechtsprechung und ein Teil der Literatur vertreten die Ansicht, die Vorschriften, die zum Erlaß von Abbruchanordnungen ermächtigen, und eine Reihe weiterer Kann-Bestimmungen gewährten den Behörden ein sog. intendiertes Ermessen.39 Dieser Doktrin zufolge liegt intendiertes Ermessen dann vor, wenn ___________ 39

Dazu eingehend die von mir betreute Dissertation von Kaffenberger, Das intendierte Verwaltungsermessen, München 2002 (Münchner Juristische Beiträge Bd. 30) mit umfassenden Nachweisen, hier insbes. S. 8 ff. Siehe ferner Wolff (Fn. 36), § 114, Rn. 136 ff.; Kopp/Schenke (Fn. 18), § 114, Rn. 21b („intendierte Entscheidungen“); Hufen (Fn. 9), S. 450 (§ 25, Rn. 28); Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 45 f.; Henneke (Fn. 18), § 40, Rn. 35; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1 (Fn. 18), S. 457 f. (§ 31, Rn. 34a). Diese Rechtsfigur ist in der Literatur heftig umstritten und in der Tat keineswegs unproblematisch, worauf hier nicht weiter eingegangen werden kann. Ablehnend beispielsweise Volkmann, Das „intendierte“ Verwaltungsermessen, DÖV 1996, 282 ff.; Maurer

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die Richtung der Ermessensausübung vom Gesetz vorgezeichnet ist, wenn dieses beispielsweise dahingehend auszulegen ist, daß die Behörde im Regelfall einschreiten (hier: eine Abrißverfügung erlassen) muß und nur in atypischen Fällen davon absehen darf. Liegt kein atypischer, sondern ein Regelfall vor, braucht die Behörde das Für und Wider nicht abzuwägen, und damit entfällt auch eine entsprechende Begründungspflicht. Vorschriften, die der Behörde ein intendiertes Ermessen einräumen, kommen Soll-Vorschriften zumindest sehr nahe.40 Noch einen Schritt weiter in der Einengung des behördlichen Entscheidungsspielraums geht die Reduzierung (Reduktion, Schrumpfung) des Ermessens auf Null. Liegt sie vor, so verfügt die Behörde über keinen Ermessensspielraum (mehr), sondern sie ist strikt verpflichtet – je nach Fallgestaltung –, einzuschreiten oder nicht einzuschreiten, ein bestimmtes Mittel zu benutzen oder gegen einen bestimmten Adressaten vorzugehen. Bis zum heutigen Tage noch nicht abschließend geklärt ist, unter welchen Voraussetzungen eine solche Ermessensreduktion auf Null eintritt.41 Darauf kann ich hier nicht weiter eingehen. Die im Voraufgehenden skizzierten Grundsätze für die Ausübung und Kontrolle des Ermessens gelten gleichermaßen für das „normale“ Verwaltungsermessen wie auch für das Planungsermessen, das häufig als planerische Gestaltungsfreiheit bezeichnet wird.42 Lassen Sie mich meine Überlegungen zur gerichtlichen Kontrolle von Ermessensentscheidungen kurz wie folgt zusammenfassen: Das Verwaltungsgericht hat zu prüfen, ___________ (Fn. 4), S. 126 (§ 7, Rn. 12). Skeptisch auch Sachs (Fn. 34), § 40, Rn. 28 ff., 30 („größte Zurückhaltung geboten“); Liebetanz (Fn. 51), § 40, Rn. 16 („strenge Anforderungen an die Annahme eines intendierten Ermessens zu stellen“); Gerhardt (Fn. 38), § 114, Rn. 20 („Zurückhaltung ist angebracht“); Bull (Fn. 38), S. 188 (Rn. 412a: „fragwürdig“). 40 Kaffenberger (Fn. 39), S. 81: Soll-Vorschriften seien der Sache nach ausdrücklich geregelte Fälle intendierten Ermessens. 41 Dazu eingehend Di Fabio, Die Ermessensreduzierung – Fallgruppen, Systemüberlegungen und Prüfprogramm, VerwArch. 86 (1995), 214 ff., sowie Brinktrine (Fn. 33), S. 153 ff. Siehe ferner Rennert (Fn. 18), § 114, Rn. 32; Wolff (Fn. 36), § 114, Rn. 121 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 30–31a; Sachs (Fn. 34), § 40, Rn. 56– 60a; Gerhardt (Fn. 38), § 114, Rn. 27; Bull (Fn. 38), S. 187 f. (Rn. 411 f.). 42 Laubinger, in: Ule/Laubinger, Verwaltungsverfahrensrecht, Köln/Berlin/Bonn/ München 1995 (mit Nachtrag 1998), S. 393 f. (§ 41, Rn. 16); Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 332 f.; Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 16. Demgegenüber meint beispielsweise Rennert (Fn. 18), § 114, Rn. 34, § 114 VwGO sei wegen der Besonderheiten des Planungsermessens auf dieses nur entsprechend anwendbar. Nach Meinung von Wolff (Fn. 36), § 114, Rn. 34 ff., 37, ist § 114 VwGO auf das Planungsermessen weder unmittelbar noch analog anwendbar.

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– ob die Behörde ihr Ermessen überhaupt ausgeübt, also das Für und Wider gegen einander abgewogen hat, – ob sie bei dieser Abwägung alle relevanten Umstände berücksichtigt hat, und zwar entsprechend ihrer jeweiligen objektiven Gewichtigkeit, – ob die Behörde sachfremde Erwägungen angestellt hat, – und ob sie die Grenzen eingehalten hat, die ihr die Gesetze ziehen, insbesondere ob die Behörde die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt hat.

IV. Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum Eine weitere Einschränkung ihrer Überprüfungskompetenz erfahren die Gerichte dann, wenn die streitentscheidende Vorschrift einen unbestimmten Rechtsbegriff enthält, der der Behörde einen Beurteilungsspielraum einräumt. Unbestimmt sind solche Rechtsbegriffe, deren Auslegung und Anwendung auf den konkreten Fall eine Wertung erfordern.43 Sowohl die Umgangs- als auch die juristische Fachsprache wimmeln geradezu davon: Eignung, Befähigung, fachliche Leistung, dienstliches Bedürfnis, Zuverlässigkeit, Billigkeit, unbillige Härte, Wirtschaftlichkeit, Erforderlichkeit, Zweckmäßigkeit, öffentliches Interesse, Wohl der Allgemeinheit, öffentliche Ordnung, wichtiger Grund und unzählige andere. Die Unbestimmtheit von Begriffen darf nicht verwechselt werden mit der Doppeldeutigkeit44 oder Mehrdeutigkeit. So bezeichnet das Wort „Birne“ je nach dem Zusammenhang – den Obstbaum, der bestimmte Früchte hervorbringt, – die Frucht des Birnbaums, – den einen Glühfaden enthaltenden Glaskolben, der als Lichtquelle in eine Lampe geschraubt wird, oder – den Kopf des Menschen („Hast Du Dir die Birne gestoßen?“).45 In den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde von führenden Vertretern der Verwaltungsrechtswissenschaft die Ansicht vertreten, bei sämtlichen unbestimmten Rechtsbegriffen sei die Prüfungskompetenz der Verwal___________ 43

Allgemeine Meinung; siehe etwa Schenke, Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 257 (Rn. 748). 44 Wiederum etwas anderes ist die Zweideutigkeit! 45 Deutsches Wörterbuch, hrsg. von der Arbeitsgruppe für Sprachberatung und Lexikographie der Universität Essen, Bergisch Gladbach (Honos Verlag) 1996, S. 178.

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tungsgerichte eingeschränkt.46 Für diese Einschränkung der Überprüfungsmöglichkeit wurden im wesentlichen zwei Konzeptionen entwickelt: Die Anhänger der sog. „Vertretbarkeitslehre“47 argumentierten, die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe sei ohne eine Wertung der einzelnen Tatumstände nicht möglich. Eine solche Wertung könne zwar, müsse aber nicht notwendigerweise zu einem eindeutigen Ergebnis führen. Es gebe Grenzfälle, in denen sich beispielsweise darüber streiten lasse, ob eine zu einer Freiheitsstrafe verurteilte Person noch zuverlässig oder schon unzuverlässig ist. In solchen Grenzfällen sei jede der möglichen Entscheidungen (hier: die Person sei zuverlässig oder sie sei unzuverlässig) als „vertretbar“ und damit als rechtmäßig anzusehen.48 Zu ähnlichen Ergebnissen – aber auf einem anderen Wege – führte die Auffassung, jeder unbestimmte Rechtsbegriff enthalte neben einem festen „Begriffskern“ einen „Begriffshof“ und damit einen Beurteilungsspielraum, in dem unterschiedliche Entscheidungen rechtlich möglich seien. Unproblematisch seien die Fälle, in denen ein bestimmter Sachverhalt in den „Begriffskern“ falle. Schwierigkeiten bereiteten dagegen die Fälle, die sich im „Begriffshof“ bewegten, also die Grenzfälle, bei denen man das Vorliegen des unbestimmten Tatbestandsmerkmals mit guten Gründen sowohl bejahen als auch verneinen könne.49 Das Bundesverwaltungsgericht hat von Anfang an große Zurückhaltung bei der Anerkennung gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielräume walten lassen. So hat es in seinem Urteil vom 29. Juni 195750, dem ein Streit darüber zugrunde lag, ob ein Kind für die Wissenschaftliche Oberschule „geeignet“ sei, folgendes ausgeführt: „Der Senat verkennt nicht, daß unter bestimmten, eng begrenzten Voraussetzungen die Anerkennung eines ‚gerichtsfreien Beurteilungsspielraums‘ der Behörde zweckmäßig und auch verfassungsrechtlich vertretbar sein kann. Das gilt gerade bei unbestimmten Rechtsbegriffen wertenden Inhalts, wie dem der Eignung, bei deren Beurteilung in Grenzfällen der menschlichen Erkenntnisfähig___________ 46

Die Entwicklung von Judikatur und Literatur zur Überprüfung der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist am Beispiel von Prüfungsentscheidungen eingehend dargestellt worden von Ibler, Rechtspflegender Rechtsschutz im Verwaltungsrecht, Tübingen 1999, S. 359–428. 47 Sie wurde maßgeblich entwickelt von Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Verwaltungsrecht, Gedächtnisschrift für Walter Jellinek, 1955, S. 309 ff. An dieser Auffassung hat Ule bis zuletzt festgehalten; vgl. Ule, in: Ule/Laubinger (Fn. 42), S. 543 (§ 55, Rn. 7). Kritisch dazu Rupp, „Ermessen“, „unbestimmte Rechtsbegriffe“ und kein Ende, Festschrift für Wolfgang Zeidler, Berlin/New York 1987, S. 455 ff., 464. 48 Ule, Verwaltungsprozeßrecht, 9. Aufl., München 1987, S. 10. 49 Grundlegend Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JZ 1955, 97 ff. 50 BVerwGE 5, 153 ff., 162 f.

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keit natürliche Schranken gesetzt sind. Dem trägt die Lehre vom Beurteilungsspielraum der Verwaltungsbehörde, die ‚Vertretbarkeitslehre‘, Rechnung (vgl. Bachof, JZ 1955, 97; Ule in der Gedächtnisschrift für Jellinek … 1955 S. 309). Ob ein solcher Beurteilungsspielraum aber besteht, ist für jedes Rechtsgebiet besonders zu entscheiden. Die Entscheidung hängt davon ab, ob in das jeweils zur Anwendung gelangende Gesetz ‚hineingelesen‘ werden kann, daß die Behörde über das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach pflichtgemäßer Beurteilung entscheiden darf (Bachof aaO S. 98).“ Heute besteht wohl weitgehende Einigkeit darüber, daß die Verwaltung einen nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum lediglich dann beanspruchen kann, wenn der Gesetzgeber ihn ihr zuerkannt hat (normative Ermächtigungslehre).51 Dies braucht allerdings nicht expressis verbis zu geschehen, sondern kann sich ebenso durch Auslegung der einschlägigen Sach- oder Verfahrensvorschriften ergeben, wobei auch gewisse Sachgesetzlichkeiten (z. B. die faktische Unmöglichkeit, eine Prüfungssituation vor Gericht wirklichkeitsgetreu zu rekonstruieren) eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Inzwischen hat sich ein Kanon an unbestimmten Rechtsbegriffen herauskristallisiert, denen ein Beurteilungsspielraum zugeschrieben wird.52 Hierzu gehören aus dem Beamtenrecht die Schlüsselbegriffe Eignung, Befähigung und fachliche Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG sowie zahlreiche Vorschriften in den Beamtengesetzen und Verordnungen) sowie die Noten, die in Prüfungen vergeben werden („sehr gut“, „gut“ usw.).53 Ich komme ein letztes Mal auf mein Beispiel mit den beiden Streithähnen zurück. Der Behördenleiter entschließt sich dazu, einen von ihnen zu einer ande___________ 51 Schenke, Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 258 (Rn. 752); Kopp/Schenke (Fn. 18), § 114, Rn. 24, 24a; Schmidt-Aßmann (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 185, 191; Liebetanz, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl., Neuwied und Kriftel 1999, § 40, Rn. 61; Sachs (Fn. 34), § 40, Rn. 161 ff., 165; Wolff (Fn. 36), § 114, Rn. 297 f. (dieser jedoch mit Vorbehalten). Einem anderen Ansatz zufolge sind behördliche Entscheidungen dann der gerichtlichen Überprüfung entzogen, wenn für sie ein sachadäquates Verwaltungsverfahren bereitgestellt ist, das gerichtliche Verfahren aber probleminadäquat wäre und damit zwar zu anderen, keinesfalls aber zu besseren, sachangemesseneren Entscheidungen führen könnte (Rennert [Fn. 18], § 114, Rn. 54). 52 Zutreffend schreibt Rennert (Fn. 18), § 114, Rn. 52, gesicherte Kriterien für die Identifizierung eines Beurteilungsspielraums habe das BVerwG bislang nicht entwickelt; es begnüge sich mit einer Anzahl von topoi, die – vielfach erst in Kombination – eine Beurteilungsermächtigung indizierten und dann zugleich auch rechtfertigten. 53 Im übrigen siehe die Zusammenstellungen von unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum bei Schenke, Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 259–263 (Rn. 756–771); Hufen (Fn. 9), S. 458–460 (§ 25, Rn. 47–53); Rennert (Fn. 18), § 114, Rn. 59–76; Liebetanz (Fn. 51), § 40, Rn. 66–79; Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 72–78; Henneke (Fn. 18), § 40, Rn. 18–24; Sachs (Fn. 34), § 40, Rn. 178–217; Gerhardt (Fn. 38), § 114, Rn. 57 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1 (Fn. 18), S. 449–452 (§ 31, Rn. 19–23).

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ren Behörde zu versetzen. Der versetzte Beamte erhebt gegen die Versetzungsverfügung nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage zum Verwaltungsgericht und macht unter anderem geltend, das von der einschlägigen Vorschrift54 geforderte „dienstliche Bedürfnis“ für diese Maßnahme liege nicht vor. Das VG sieht sich mit der Frage konfrontiert, ob es das Vorliegen des dienstlichen Bedürfnisses vollen Umfangs prüfen darf oder ob dem Behördenleiter ein Beurteilungsspielraum zusteht. Von einer ausdrücklichen Einräumung eines Beurteilungsspielraums sind in der einschlägigen Bestimmung nicht einmal Spurenelemente zu entdecken. Es drängt sich jedoch die Annahme auf, daß nur der Behördenleiter kraft seiner intimen Kenntnis seiner Behörde (des Personals, der Aufbau- und Ablauforganisation usw.) dazu in der Lage ist, ein verständiges Urteil darüber abzugeben, ob für die Versetzung dieses Beamten ein Bedürfnis besteht. Das Bundesverwaltungsgericht sieht das freilich anders. In seinem Urteil vom 25. Januar 196755 hat es ausgeführt, es sei nicht zu erkennen, warum die Behörde nicht in der Lage sein sollte, die tatsächlichen Umstände darzutun, aus denen sie ein solches Bedürfnis ableitet, und es sei weiter nicht einzusehen, warum das Gericht nicht die Würdigung dieser Umstände nachvollziehend bestätigen oder auch verwerfen könne. Berücksichtige man ferner, daß eine Versetzung auch auf Antrag des Beamten erfolgen könne, der Versetzungsantrag des Beamten und das dienstliche Bedürfnis also austauschbare Voraussetzungen einer Versetzung seien, so seien keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Gesetzgeber hinsichtlich der letztgenannten Voraussetzung (dienstliches Bedürfnis) durch Normierung einer höchstpersönlichen Beurteilungsermächtigung eine Sonderregelung habe treffen wollen. Ob dieser Gedankengang und sein Ergebnis (kein Beurteilungsspielraum) wirklich überzeugen, will ich hier nicht diskutieren. Dem Bundesverwaltungsgericht scheint selbst nicht ganz wohl in seiner Haut gewesen zu sein. Denn es schränkt die Überprüfungsmöglichkeit der Versetzung im weiteren Verlauf der Entscheidung dadurch ein, daß es die sog. Faktorenlehre56 ins Spiel bringt, indem es ausführt:57 Versetzungen, die auf das dienstliche Bedürfnis gestützt sind, forderten dem Dienstherrn oft Entscheidungen ab, für die ihm ein der gerichtlichen Kontrolle nur beschränkt zugänglicher Bereich zustehe, und zwar – je nach Fallgestaltung – ein „verwaltungspolitischer (Ermessens-)Spielraum“ oder „im Rahmen einer Beurteilungsermächtigung“. Dieser Bereich sei nicht dem ___________ 54

Siehe etwa § 26 Abs. 1 Satz 1 BBG. BVerwGE 26, 65 ff., 75. 56 Zu der Faktorenlehre siehe etwa Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 358 f.; ders., Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 263 (Rn. 770 f.); Schmidt-Aßmann (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 202. 57 BVerwGE 26, 65, 75 f. 55

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unmittelbaren Urteil über das Vorliegen des dienstlichen Bedürfnisses eigen, sondern trete bei Vorfragen auf, bei Faktoren, die ihrerseits das dienstliche Bedürfnis prägten. Was damit gemeint ist, wird an späterer Stelle58 etwas deutlicher: Im zur Entscheidung anstehenden Fall59 komme ein „verwaltungspolitischer Spielraum“ der Behörde in Betracht. Bei der Besetzung der Posten von Schulräten und Schulleitern handele es sich um wichtige verwaltungspolitische Entscheidungen. Gerade deshalb habe das Berufungsgericht „schon in der Bedürfnisstation ohne weitere Prüfung (die einen Eingriff in das verwaltungspolitische Ermessen bedeutet hätte) davon ausgehen [können], daß bei einer erforderlichen Trennung der Streitbeteiligten das dienstliche Bedürfnis für die Versetzung gerade der Klägerin bejaht werden konnte, die Behörde also in diesem Zusammenhang nicht auf die Möglichkeit einer Versetzung des Rektors und des Schulrats als Alternative verwiesen werden durfte; denn die Entscheidung der Behörde, wie sie derartige leitende Stellen besetzen und besetzt halten will, hat das Gericht grundsätzlich zu respektieren.“ Die Überzeugungskraft dieser Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts will ich nicht erörtern, möchte aber doch darauf hinweisen, daß das Gericht in die Gefahr gerät, die Frage, ob ein dienstliches Bedürfnis vorliegt, mit der Ermessensausübung zu vermengen: Wie ich früher dargelegt habe, entscheidet die Behörde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, welcher der Streithähne versetzt werden soll. Im Rahmen der zu diesem Zweck vorzunehmenden Abwägung ist eben das einzustellen, was das Gericht als „verwaltungspolitische Entscheidungen“ bezeichnet. Die sog. Faktorenlehre scheint mir deshalb dogmatisch bedenklich zu sein. Sie ist schlicht überflüssig, wenn man mit der Ermessenslehre ernst macht. Unstreitig ist, daß der Gesetzgeber der Verwaltung nur dann einen gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum zugestehen darf, ohne gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu verstoßen, falls dafür ein sachlich einleuchtender Grund besteht. Die gerichtliche Kontrolle der Auslegung und Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum durch die Verwaltung ist zwar eingeschränkt, aber nicht ausgeschlossen. Was darf und muß das Verwaltungsgericht prüfen, wenn beispielsweise darüber gestritten wird, ob sich ein von seinem Dienstherrn entlassener Probebeamter während der Probezeit „bewährt“, d. h. ___________ 58

BVerwGE 26, 65, 77. Gegen ihre Versetzung klagte die Konrektorin einer Schule, die sich mit dem Rektor und dem Schulrat überworfen hatte. Sie machte geltend, nicht sie, sondern ihre beiden Kontrahenten hätten versetzt werden sollen. 59

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als „geeignet“ erwiesen hat? Das BVerwG hat hierauf in seinem Urteil vom 27. September 196260 folgende Antwort gegeben: „Der Senat hält daran fest, daß der Gesetzgeber in § 31 Abs. 1 Nr. 2 BBG dem Dienstherrn für die Feststellung, ob bei einem Beamten auf Probe der Entlassungsgrund der ‚mangelnden Bewährung (Eignung, Befähigung, fachliche Leistung)‘ vorliegt, einen gerichtlich nicht überprüfbaren ‚Beurteilungsspielraum‘ gewährt hat, so daß der Richter die Beurteilung, welche die Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beamten auf Probe durch den Dienstherrn erfahren haben, nur daraufhin überprüfen kann, ob der Begriff der ‚mangelnden Bewährung‘ und die gesetzlichen Grenzen des Beurteilungsspielraums verkannt worden ist, ob der Beurteilung ein unrichtiger Tatbestand zugrunde liegt und ob allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachwidrige Erwägungen angestellt worden sind.“ Diese Kontrollmaßstäbe kehren in der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts mit nur geringfügigen Modifikationen immer wieder. Das Gericht prüft also, ob die Behörde (1) den unbestimmten Rechtsbegriff falsch ausgelegt hat, (2) die dem Beurteilungsspielraum durch Gesetz gezogenen Grenzen überschritten hat, (3) von unrichtigen Tatsachen ausgegangen ist, (4) allgemeingültige Wertmaßstäbe61 mißachtet hat oder (5) sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Es ist mir leider nicht gelungen zu klären, wie das Gericht auf diese Prüfkriterien gekommen ist. Das erzeugt Unbehagen. Deshalb begrüßt man es, wenn der Versuch unternommen wird, die Kontrollmaßstäbe auf eine solide dogmatische Grundlage zu stellen. Einen solchen Versuch verdanken wir insbesondere Wolf-Rüdiger Schenke.62 Unter Hinweis auf die strukturelle Verwandtschaft von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen schlägt er vor, die in § 114 VwGO normierten Grundsätze heranzuziehen. Der Ermessensüberschreitung stellt er die Beurtei___________ 60

BVerwGE 15, 39 ff. Siehe dazu Wolff (Fn. 36), § 114, Rn. 385 ff. (allgemeine Bewertungsgrundsätze). 62 Schenke, BK (Fn. 18), Art. 19 Abs. 4, Rn. 357; ders., Verwaltungsprozessrecht (Fn. 18), S. 264 f. (Rn. 772–777); Kopp/Schenke (Fn. 18), § 114, Rn. 23. Ähnlich Herdegen, Beurteilungsspielraum und Ermessen im strukturellen Vergleich, JZ 1991, 747 ff.; Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 87 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1 (Fn. 18), S. 452–454 (§ 31, Rn. 25–30). 61

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lungsüberschreitung zur Seite, dem Ermessensfehlgebrauch den Beurteilungsfehlgebrauch, dem Ermessensdefizit das Beurteilungsdefizit und dem Ermessensmißbrauch den Beurteilungsmißbrauch. Dem Ermessensnichtgebrauch fehle ein Pendant, weil hier theoretisch nur eine Entscheidung rechtmäßig sein solle. Das klingt verheißungsvoll, ist aber leichter gesagt als getan, wie folgendes Beispiel veranschaulicht. Der Schüler S hat für seine schriftliche Abiturarbeit die Note „mangelhaft“ erhalten. Nach erfolglosem Vorverfahren erhebt er verwaltungsgerichtliche Klage mit der Begründung, die Note sei eine schreiende Ungerechtigkeit; sie beruhe darauf, daß die Prüfer ihm schon seit langem nicht wohlgesonnen seien, viel zu hohe Anforderungen gestellt und seinen Freund F für die gleiche Leistung ein glattes „befriedigend“ gegeben hätten. Was darf und was muß das Verwaltungsgericht prüfen? „Mangelhaft“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, denn seine Anwendung auf den konkreten Fall (hier die Arbeit des S) setzt ein Werturteil der Prüfer voraus. (1) Als erstes hat das Gericht zu prüfen, ob die Prüfer diesen Rechtsbegriff zutreffend ausgelegt haben. In Prüfungsordnung findet sich häufig eine Definition der Note „mangelhaft“, etwa „eine Leistung mit erheblichen Mängeln“. Gingen die Prüfer bei der Bewertung der Arbeit davon aus, schon geringe Mängel rechtfertigten die Note „mangelhaft“, läge ein Rechtsverstoß vor, der die Notengebung rechtswidrig macht. Dem BVerwG ist deshalb zuzustimmen, wenn es postuliert, das Gericht habe zu prüfen, ob die Behörde den unbestimmten Rechtsbegriff zutreffend ausgelegt hat. Bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen scheint ein Gegenstück dazu zu fehlen. Man kann es aber wohl darin erblicken, daß die Behörde die ihrem Ermessen gesetzlich gezogenen Grenzen nicht überschreiten darf. (2) Ist der Behörde Ermessen eingeräumt, muß sie dies – wie vorhin dargestellt – erkennen und ihr Ermessen auch tatsächlich ausüben, d. h. das Für und Wider gegen einander abwägen. Ähnlich verhält es sich, wenn die Behörde einen unbestimmten Rechtsbegriff auf einen bestimmten Lebenssachverhalt anzuwenden hat. So müssen die Prüfer in unserem Beispielsfall erkennen, daß ihnen ein Werturteil abverlangt wird, und sie müssen dieses Werturteil fällen, indem sie feststellen, welche Stärken und Schwächen die Arbeit aufweist, und alsdann im Wege der Abwägung ein Urteil darüber abgeben, ob die Arbeit mit erheblichen Mängeln im Sinne der Notendefinition behaftet ist.

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Nehmen die Prüfer eine solche Abwägung überhaupt nicht vor, krankt ihre Bewertung an einem Beurteilungsnichtgebrauch – eine Fehlerkategorie, deren Existenz Schenke leugnet.63 (3) Stellen die Prüfer in die Abwägung nicht alle Umstände ein, die abwägungsrelevant sind (übersehen sie beispielsweise eine zutreffende Lösung), liegt ein Beurteilungsdefizit vor. (4) Stellen die Prüfer bei der Abwägung in Rechnung, daß der S während des gesamten Schuljahres schlechte Leistungen erbracht oder daß er häufig seine Lehrer geärgert hat, so stellen sie sachfremde Erwägungen an, die einen Beurteilungsmißbrauch zur Folge haben. Das Beispiel zeigt, daß der von Schenke entwickelte Ansatz durchaus vielversprechend ist, daß es jedoch gewisse Schwierigkeiten bereitet, die Prüfungsmaßstäbe des § 114 Satz 1 VwGO auf die Überprüfung der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum zu übertragen. Hier bedarf es noch einiger dogmatischer Feinarbeit, die nicht im Abstrakten stecken bleibt.

V. Schlußbemerkungen Angesichts der knappen Zeit, die mir zur Verfügung stand, habe ich bei weitem nicht alle Probleme, die das Thema aufwirft, ansprechen, geschweige denn mit der gebührenden Vertiefung behandeln können. Dennoch hoffe ich, daß es mir gelungen ist, einen Eindruck davon zu vermitteln, daß die gerichtliche Überprüfung von Hoheitsakten zwar da und dort an Grenzen stößt, aber trotzdem eine weitgehende Kontrolle jedenfalls dort gewährleistet ist, wo die Rechte des Bürgers gefährdet sind.

___________ 63 Zutreffend dagegen Kopp/Ramsauer (Fn. 34), § 40, Rn. 88: Die Behörde müsse den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum erkennen und durch eine eigene Abwägungsentscheidung ausfüllen; anderenfalls liege eine Beurteilungsausfall vor. Ebenso Wolff/Bachof/Stober, Bd. 1 (Fn. 18), S. 459 (§ 31, Rn. 28): Eine Beurteilungsunterschreitung oder ein Beurteilungsausfall liege dann vor, wenn das Verwaltungsorgan nicht erkannt hat, daß in einem konkreten Fall ein Beurteilungsspielraum besteht oder wenn entscheidungserhebliche Gesichtspunkte verkannt werden.

Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten in Korea (Ermessensentscheidungen, unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum) Von Dong Soo Song

I. Einleitung Im Rechtsstaat binden die Gesetze alle Tätigkeiten der Verwaltung. Also unterliegt die Verwaltung dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Die Verwaltungsbehörden haben die Gesetze zu vollziehen und anzuwenden.1 Der große verwaltungsrechtliche Problemkreis im Rahmen der Rechtsanwendung ist um die Frage gezogen, ob und inwieweit die Gerichte der Verwaltung Ermessensspielräume und andere Entscheidungsfreiräume zuerkennen können oder müssen. Das Stichwort lautet Beurteilungsspielraum. In beiden Fällen geht es um die Frage, ob und inwieweit die Exekutive bei ihren Entscheidungen Spielräume eigener Wahl- und Gestaltungsfreiheit besitzt, die vom Gesetz selbst nicht vorgegeben sind. Ebenso ist hier jene Dimension des Themas zu erörtern, die das Verhältnis der Verwaltung zur Verwaltungsgerichtsbarkeit betrifft, also das Problem zum Gegenstand hat, ob und ggf. inwieweit die Gerichte die Ausübung von Ermessens- und Beurteilungsspielräumen der Verwaltung rechtlich nachprüfen dürfen oder ob und ggf. inwieweit sich diese in einem gesetzesfreien Raum autonomer Verwaltungsentscheidung befinden. Hierzu ist es erforderlich, die rechtliche Bedeutung von Ermessen, von unbestimmten Rechtsbegriffen und von Beurteilungsspielräumen bei der Verwaltungsentscheidung zu untersuchen. Dabei werden nicht nur die Freiräume einer ___________ 1 Die Rechtsanwendung der Verwaltung vollzieht sich in vier Vorgängen, die aufeinander bezogen sind: Ermittlung und Feststellung des Sachverhalts, Auslegung und Feststellung des Inhalts des gesetzlichen Tatbestandes, Subsumtion und Feststellung der Rechtsfolge. Die Rechtsanwendung durch die Verwaltung beinhaltet folglich nicht nur eine logische Schlußfolgerung, sondern auch ein wertendes Erkenntnisverfahren. Vgl. Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, 1991, S. 81.

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Verwaltungsbehörde, sondern auch ihre Verantwortung bei der Ausfüllung dieser Freiräume deutlich.

II. Gerichtliche Überprüfung in Korea 1. Rechtliche Grundlage Die Gesetzesbindung bringt die Verwaltung nicht nur in Beziehung zum Gesetzgeber, sondern auch zur Gerichtsbarkeit. Die koreanische Verfassung (KV) schreibt in Art. 101 Abs. 1 über die Gerichtsbarkeit vor, daß die rechtsprechende Gewalt bei den Gerichten liegt. Kommt es in einem Prozeß auf die Gültigkeit von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsakten an, so entscheidet über deren Verfassungs- oder Gesetzmäßigkeit in letzter Instanz der Koreanische Oberste Gerichtshof (KOGH) nach Art. 107 Abs. 2 KV. Demgemäß steht gegen Entscheidungen der Exekutive der Rechtsweg offen. Da die Rechtsschutzgarantie weitgehend wirkungslos wäre, wenn sie sich darin erschöpfen würde, den Zugang zum Gericht, das Verfahren vor dem Gericht und die Entscheidung durch das Gericht zu verbürgen, ist anerkannt, daß die koreanische Verfassung zugleich das Gebot wirksamen Rechtsschutzes enthält. Daraus folgt die grundsätzliche Pflicht zur vollständigen Überprüfung der Verwaltungsentscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.2 Den Gerichten muß also eine zureichende Entscheidungsmacht eingeräumt werden, um Rechtsverletzungen wirksam abhelfen zu können. Die koreanische Verwaltungsgerichtsordnung (KVwGO) läßt die Klage gegen jeden rechtswidrigen Verwaltungsakt zu. Demnach haben die Gerichte die Verwaltungstätigkeit auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen; grundsätzlich ist also eine uneingeschränkte gerichtliche Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen geboten (Überwindung des Enumerationsprinzips).3 Zunächst muß das Verwaltungsgericht die tatsächlichen Grundlagen seiner Entscheidung (den Sachverhalt) von Amts wegen ermitteln (§ 26 KVwGO). Es muß sich diejenige Kenntnis verschaffen, die sich auch die Behörde verschaffen muß. Eine Bindung des Verwaltungsgerichts an die tatsächlichen behördlichen Feststellungen wäre widersprüchlich, da durch die Tatsachenfeststellung die Voraussetzungen der Rechtsanwendung bestimmt würden und damit diese selbst einer Fremdsteuerung zugänglich gemacht würde.4 Das behördliche Verfahren, das zur streitgegenständlichen Entscheidung geführt hat, unterliegt auch voller verwaltungsgerichtlicher Kontrolle. Die gesetzlichen Vorschriften über das Verwal___________ 2

Young Huh, Korean Constitutional Law, 2005, S. 989. Myung Kun Ryu, Verwaltungsprozeßrecht, 1998, S. 77. 4 Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 707.

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tungsverfahren müssen also eingehalten werden. Die Wahrung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Bestimmungen determiniert die in die Entscheidung einfließenden Erwägungen. Fehler im Verwaltungsverfahren führen deswegen grundsätzlich zur Rechtswidrigkeit der Entscheidung. Sofern Rechtsschutz gegen eine Verwaltungsentscheidung begehrt wird, müssen selbstverständlich die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sein. Da es sich um Verwaltungsentscheidungen handelt, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, so daß die Verwaltungsgerichtsordnung anwendbar ist. Die statthafte Klageart in Korea hängt vom Charakter der jeweiligen Verwaltungsentscheidung ab: Es gibt als Arten der verwaltungsprozessualen Klage die Aufhebungsklage, die Parteienstreitigkeit, die Popularklage und die Organstreitigkeit. Die Aufhebungsklage zerfällt wiederum in drei Klagearten, nämlich die Anfechtungsklage, die Nichtigkeitsfeststellungsklage und die Untätigkeitsfeststellungsklage (§ 4 KVwGO). Anfechtungsklage ist die Klage, mit der die ganze oder teilweise Aufhebung oder auch die Änderung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und des entsprechenden Widerspruchsbescheids erreicht werden soll (Nr. 1). Die Anfechtungsklage hat den Sinn, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu gewährleisten und den Rechtsschutz der Privatpersonen sicherzustellen. Anders als in Deutschland bedarf es in Korea gem. § 18 KVwGO vor Erhebung einer Anfechtungsklage grundsätzlich nicht der vorherigen Durchführung eines verwaltungsbehördlichen Vorverfahrens (Widerspruchsverfahrens). Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist die Klage, in der geklärt werden soll, ob der angefochtene Verwaltungsakt nichtig ist (Nr. 2). Da der nichtige Verwaltungsakt äußerlich als Verwaltungsakt in Erscheinung tritt, benötigt man häufig die Feststellung, daß trotz des äußeren Rechtsscheins der Verwaltungsakt nichtig ist und keine Wirkung erzeugt.5 Die Untätigkeitsfeststellungsklage ist die Klage, mit der die Rechtswidrigkeit der Untätigkeit einer Behörde festgestellt werden soll (Nr. 3). Vorausetzungen sind, daß der Antragsteller gemäß dem Gesetz einen Antrag auf Erlaß eines Verwaltungsakts gestellt hat und daß die Behörde verpflichtet ist, den Verwaltungsakt zu erlassen; ferner, daß die Behörde trotz dieser Pflicht untätig geblieben ist.6

2. Beschränkungen der gerichtlichen Kontrolle Die Thematik von Letztentscheidungsbefugnissen der Verwaltungsbehörden und die daraus folgende Beschränkung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle wird ___________ 5

Jeong Sun Hong, Korean Administrative Law I, 2005, S. 857; KOGH, Urt. v. 09.12.1969, Az. 66 Nu 71. 6 Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, 1991, S. 122 f.

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als grundlegendes Problem der verwaltungsrechtlichen Dogmatik und des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes seit längerer Zeit diskutiert.7 Umfang und Intensität verwaltungsgerichtlicher Kontrolle sind abhängig von dem Umfang und der Intensität der Bindung der Exekutive durch Gesetz und Recht. Ist die rechtliche bzw. gesetzliche Determinierung der Behörde zurückgenommen, ergeben sich auch entsprechende Begrenzungen der gerichtlichen Kontrolle. Bei der Frage nach Art und Umfang von gerichtlich nicht vollständig überprüfbaren Handlungsspielräumen der Behörde geht es um die Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Verwaltungsgerichtbarkeit innerhalb des gewaltenteilenden Beziehungsdreiecks von Gesetzgebung, Exekutive und Justiz. Die Gesetzesbindung kann zur Folge haben, daß die Verwaltungsbehörde bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen entsprechend tätig werden muß. Aber sie kann auch gelockert sein, wenn der Behörde durch Einräumung von Ermessen ein Handlungsspielraum verbleibt oder ihr durch Festlegung unbestimmter Rechtsbegriffe ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird. Eine solche Lockerung der Gesetzesbindung lockert dann auch die verwaltungsgerichtliche Kontrolle. Denn die Verwaltungsgerichte dürfen nur die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts überprüfen. Das besagt, daß die Verwaltung das Recht zur Letztentscheidung hat, wenn ihr ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum zusteht.8 Aus Art. 107 Abs. 2 KV folgt daher keine lückenlose Letztentscheidungskompetenz der Gerichte, kein absoluter Rechtsschutz; die Vorschrift schließt Ermessens- und Beurteilungsspielräume der Verwaltung nicht aus. Anerkannt ist nur, daß die Einräumung von Ermessensspielräumen zu einer Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle führt. § 27 KVwGO beschreibt die Grenze der Ausübung des Ermessens. Demgemäß können die Gerichte einen Ermessenverwaltungsakt aufheben, wenn die Behörde ihr Ermessen überschritten oder mißbraucht hat.

III. Ermessen 1. Begriff und dogmatische Einordnung Der Begriff des Ermessens wird in koreanischen Gesetzen nicht definiert, sondern vorausgesetzt; die Gesetze geben lediglich Regeln für die Handhabung des Ermessens durch die Behörden vor. In der Sache bezeichnet „Ermessen“ ei___________ 7

Dong Choon Lee, Grenze des behördlichen freien Ermessens, Pusan Law Review, 1983, S. 141 ff. 8 Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, 1991, S. 83.

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ne ganze Bandbreite von Argumentationsfiguren, die es den Behörden erlauben, ihre Entscheidung im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit auf den jeweiligen Lebenssachverhalt zuzuschneiden.9 Charakteristisch ist ein der Behörde eingeräumter Entscheidungsspielraum: Ist der Tatbestand der das Ermessen einräumenden Norm erfüllt, kann die Behörde verhältnismäßig frei entscheiden, ob sie überhaupt handeln und welcher Mittel sie sich bedienen will.10 Grund für die Einräumung solcher Spielräume ist, daß der Gesetzgeber angesichts der Kompliziertheit und Unvorhersehbarkeit der Lebensverhältnisse nicht alle erforderlichen Rechtsfolgen vorherbestimmen kann und daher den Behörden die Möglichkeit geben muß, flexibel auf die konkrete Situation zu reagieren. Sofern die Behörde sich innerhalb dieses Spielraums bewegt, darf die Entscheidung vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden; insbesondere darf ein Verwaltungsakt nicht mit der Begründung für rechtswidrig erklärt werden, eine andere, ebenfalls innerhalb des Spielraums angesiedelte Entscheidungsalternative erscheine als „besser“, „gerechter“ o.ä.11 Der Gegenbegriff zum Ermessensverwaltungsakt ist der sog. gebundene Verwaltungsakt. Dieser folgt streng dem rechtsstaatlichen Grundmodell, wonach der parlamentarische Gesetzgeber im Gesetz eine abstrakte Lösung für eine bestimmte Problemlage vorgibt, die von der Verwaltung nur noch im Wege der Subsumtion eins zu eins umgesetzt wird. Hier ist die Behörde darauf beschränkt, die Tatbestandsvoraussetzungen einer bestimmten Norm zu prüfen; liegen sie vor, tritt automatisch die vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsfolge ein. Gebundene Verwaltungsakte begegnen typischerweise bei Genehmigungen oder Leistungen, auf die der Bürger bei Erfüllung aller gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch hat.12 Auch bei Ermessensverwaltungsakten sind zunächst die Tatbestandsvoraussetzungen der das Ermessen einräumenden Vorschrift zu prüfen. Sind sie erfüllt, ist die Rechtsfolge jedoch nicht vom Gesetz konkret vorgeschrieben, sondern in das Ermessen der Behörde gestellt. Ermessensvorschriften begegnen typischerweise bei belastenden Verwaltungsakten, also solchen Vorschriften, die die Verwaltung zu Eingriffen in subjektive Rechte des Bürgers ermächtigen. Beispiele finden sich daher im Polizeirecht (§ 5 Polizeigesetz), im Straßenverkehrsrecht (§§ 75, 78 Straßengesetz), im Baurecht (§ 8 Baugesetz) sowie im allgemeinen Verwaltungsrecht (Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten).

___________ 9

Jeong Sun Hong, Korean Administrative Law I, 2005, S. 271. Baik Yu Kim, Grenzen des Verwaltungsermessens und gerichtlicher Überprüfung, Sung Kyun Kwan Law Review, Bd. 14-2, S. 91 ff. 11 Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 192. 12 Joon Hyung Hong, Treatese on Administrative Law, Part I, 2001, S. 191. 10

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2. Ermessensarten Bezüglich des Ermessens unterscheidet man in Korea überwiegend wie in Deutschland das Entschließungsermessen (bezüglich der Frage, ob die Behörde überhaupt tätig werden soll) und das Auswahlermessen (bezüglich der Frage, welche von mehreren rechtlich zulässigen Maßnahmen die Behörde ergreifen soll).13 Eine ältere Literaturmeinung14 und die Rechtsprechung15, die in der jüngeren koreanischen Literatur überwiegend kritisiert werden, unterscheiden allerdings immer noch das „Ermessen der Gesetzmäßigkeit“ und das „Ermessen der Zweckmäßigkeit“. Das Ermessen der Gesetzmäßigkeit liegt vor, wenn das Gesetz der Behörde einen gesetzlichen Spielraum einräumt, obwohl es die Voraussetzungen des Verwaltungsakts geregelt hat. Handelt die Behörde dem Ermessen der Gesetzmäßigkeit zuwider, macht dies den Verwaltungsakt rechtswidrig, ebenso wie beim gebundenen Verwaltungsakt. Das Ermessen der Zweckmäßigkeit liegt dagegen vor, wenn die Behörde ihre Entscheidung nach der Zweckmäßigkeit trifft. Handelt die Behörde dem Ermessen der Zweckmäßigkeit zuwider, macht dies den Verwaltungsakt zwar fehlerhaft. Dieser fehlerhafte Verwaltungsakt unterliegt aber nicht der gerichtlichen Kontrolle. Man kann gegen ihn nur Widerspruch einlegen.16

3. Rechtliche Grenzen und gerichtliche Kontrolle Nach h.M. hat die Behörde ein ihr eingeräumtes Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten.17 Es gibt also eine pflichtgemäße, d.h. eine rechtlich gebundene Ermessensbetätigung. Die Kontrolle der Einhaltung dieser Grenzen obliegt den Verwaltungsgerichten.18 Während es in den Fällen gebundener Verwaltungsakte immer nur eine richtige Entscheidung geben kann, die der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, ist das bei Ermessensverwaltungsakten anders. Zur Bestimmung der rechtlichen Bindung des Ermessens wurde eine Ermessensfehlerlehre entwickelt. ___________ 13 Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 189; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005, S. 251; Joon Hyung Hong, Treatise on Administrative Law, Part I, 2001, S. 190; Jeong Sun Hong, Korean Administrative Law I, 2005, S. 272. 14 Do Chang Kim, Allgemeines Verwaltungsrecht I, 1993, S. 381 f. 15 KOGH, Urt. v. 09.02.2001, Az. 98 Du 17593. 16 Jong Hyun Seok, Die Rezeption des deutschen Verwaltungsrechts in Korea, 1991, S. 83. 17 Yoon Heun Park, Administrative Law I, 2002, S. 349. 18 Jong Guk Park, Maßstäbe der Grenzen des Verwaltungsermessens, Public Law, Bd. 28-1 (1999), S. 162.

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Danach ist die Ermessensentscheidung rechtswidrig, wenn ein Ermessensfehler vorliegt. Allein die Unzweckmäßigkeit einer Maßnahme macht sie nicht rechtswidrig. Die gerichtliche Kontrolle erstreckt sich nur auf die Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsmaßnahme, bei einer Ermessensentscheidung also auf das Vorliegen von Ermessensfehlern. Die Beurteilung der Zweckmäßigkeit bleibt der Verwaltung – ggf. im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens – vorbehalten. § 4 Nr. 1 KVwGO schreibt vor, daß die Anfechtungsklage, um die Aufhebung oder die Änderung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts zu erreichen, gegen die Behörde, die ihn erlassen hat, zu richten ist. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist Voraussetzung für die Begründetheit der verwaltungsprozessualen Klage. Für den Ermessensverwaltungsakt beschreibt § 27 KVwGO die Grenze der Ermessensausübung. Die Gerichte können den Ermessensverwaltungsakt aufheben, wenn die Behörde ihr Ermessen „überschreitet oder mißbraucht“. Anderers als bei gebundenen Verwaltungsakten besteht bei Ermessensverwaltungsakten keine Pflicht der Behörde, eine bestimmte Handlung vorzunehmen. Daher kann der Bürger von der Behörde grundsätzlich auch kein bestimmtes Handeln fordern, sofern nicht das Ermessen reduziert ist.19 In der koreanischen Literatur finden sich zahlreiche Versuche, die möglichen Ermessensfehler zu systematisieren. Insbesondere in der juristischen Ausbildungsliteratur ist die Zweiteilung gemäß § 27 KVwGO verbreitet. Sie unterscheidet zwischen Ermessensüberschreitung und Ermessensmißbrauch. Daneben werden aber auch stärkere Differenzierungen der Ermessensfehler vorgenommen. So wird zum Teil eine Dreiteilung vorgeschlagen (Ermessensüberschreitung, Ermessensnichtgebrauch und Ermessensmißbrauch). Eine Ermessensüberschreitung liegt nach dieser Systematisierung dann vor, wenn die Behörde eine nicht mehr im Rahmen der Ermessensvorschrift liegende Rechtsfolge wählt.20 Dies ist z.B. dann der Fall, wenn eine Behörde für die Dauer eines Jahres eine Gewerbeuntersagung des Verkaufs schädlicher Lebenmittel anordnet, obwohl nach dem anzuwendenden Lebensmittelsgesetz für diese Fallkonstellation (§ 58) nur eine Gewerbeuntersagung zwischen einem und sechs Monaten vorgesehen ist.21 Ungleich wichtiger ist der zweite Ermessensfehler, der sog. Ermessensmißbrauch (z.T. auch als Ermessensfehlgebrauch bezeichnet). Dieser liegt vor, wenn sich die Behörde nicht ausschließlich vom Zweck der Ermessensvorschrift leiten läßt, also die inneren Grenzen des Ermessens mißachtet.22 Das Verbot des ___________ 19 Baik Yu Kim, Grenzen des Verwaltungsermessens und gerichtlicher Überprüfung, Sung Kyun Kwan Law Review, Bd. 14-2, S. 91 ff. 20 KOGH, Urt. v. 06.09.1996, Az. 96 Nu 914; Urt. v. 25.06.1993, Az. 93 Nu 5635. 21 Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005, S. 259. 22 Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 198.

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Ermessensmißbrauchs verpflichtet die Behörde folglich dazu, sich ausschließlich von sachlichen und zweckgerichteten Erwägungen leiten zu lassen. Danach muß der jeweils handelnde Amtswalter seine Entscheidung grundsätzlich von persönlichen Motiven freihalten und darf auch im Übrigen nur Gesichtspunkte berücksichtigen, die vom Zweck der Ermächtigungsnorm gedeckt sind. Politische, wirtschaftliche und auch menschliche Erwägungen sind dabei keineswegs schlechthin unzulässig, da die Behörde auch nach Zweckmäßigkeit entscheidet und diese Gesichtspunkte insoweit durchaus eine Rolle spielen können. Nach der koreanischen Rechtsprechung ergeben sich auch die Grundsätze des Ermessensmißbrauchs aus dem Verfassungsrecht. Dabei spielt vor allem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Rolle.23 Nach diesem im Grundrechtsbereich letztlich aus Art. 37 Abs. 2 KV abzuleitenden Verfassungsprinzip sind solche Ermessensentscheidungen rechtswidrig, die zur Erreichung des gesetzlich zulässigen Zieles ungeeignet sind, sich als nicht erforderlich erweisen oder im Verhältnis zu dem angestrebten Zweck den Adressaten unangemessen belasten. Außerdem sind die Grundsätze des Koppelungsverbots24 und der Gleichheit25 objektive Schranken des Ermessens, aber auch bei den Ermessenserwägungen zu beachten.

IV. Unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum 1. Begriff und Verfassungsmäßigkeit Ein unbestimmter Rechtsbegriff ist ein im Tatbestand eines Gesetzes oder einer Verordnung etc. verwendeter Rechtsbegriff, der durch ein sprachliches Zeichen Eigenschaften ausdrückt, die mindestens einem Objekt weder ab- noch zugesprochen werden können.26 Dabei verzichtet der Gesetzgeber zugunsten einer Generalklausel auf eine möglichweise unübersichtliche Normenkasuistik, weil er nicht in der Lage ist, einen komplexen Lebenssachverhalt detailliert zu normieren, weil er keine endgültigen Wertungen vornehmen kann. Ein unbestimmter Rechtsbegriff bedarf also in besonderem Maße der Auslegung und Konkretisierung, bevor er auf einen konkreten Sachverhalt angewendet kann. Beispiele für unbestimmte Rechtsbegriffe sind etwa der „wichtige Grund“, das „öffentliche Interesse“, die „Zuverlässigkeit“ oder die „Eignung“. Unbestimmte Rechts___________ 23

KOGH, Urt. v. 23.07.1991, Az. 90 Nu 8954 (eine Disziplinarmaßnahme ist rechtswidrig, wenn sie offensichtlich nicht geeignet ist, ihr Ziel zu erreichen). 24 KOGH, Urt. v. 22.09.1992, Az. 91 Nu 8289 (die Entziehung eines LKWFührerscheins wegen Motorradfahrens in betrunkenem Zustand ist rechtswidrig). 25 KOGH, Urt. v. 24.08.2001, Az. 2000 Du 7704. 26 Joon Hyung Hong, Unbestimmer Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, Public Administration Review 33 (1995), S. 80.

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begriffe sind nicht etwas kategorial anderes als andere Rechtsbegriffe. Auch sie sind bestimmbar. Nur erfordert die Ermittlung ihrer Inhalts und die anschließende Anwendung auf einen konkreten Sachverhalt eine erhöhte Interpretations- und Erkenntnisleistung. Daß die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe durch den Gesetzgeber im Grundsatz verfassungsrechtlich zulässig ist, wird heute praktisch nicht mehr bestritten.27 Angesichts der Komplexität vieler vom Gesetzgeber zu regelnder Sachverhalte ist jener nicht imstande, jeden denkbaren Lebenssachverhalt einzeln normativ zu erfassen. Will er den Sachbereich dennoch vollständig und dauerhaft regeln, kommt er ohne einen gewissen Abstraktionsgrad nicht aus. Solange die von der Rechtsnorm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können, ist dem rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgebot Genüge getan. Normstrukturell sind damit auch unbestimmte Rechtsbegriffe eindeutig: Ein Sachverhalt oder ein bestimmtes Verhalten kann die Tatbestandsvoraussetzungen entweder erfüllen oder nicht erfüllen. Entscheidungsfreiräume der Verwaltungsbehörde bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe werden zumeist „Beurteilungsspielraum“ genannt. Gegenstand von Beurteilungsspielräumen ist die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, und zwar in erster Linie die Subsumtion des fraglichen Sachverhalts unter den gesetzlichen Tatbestand.28 Die Lehre vom Beurteilungsspielraum wird von der koreanischen Literatur allgemein anerkannt. In diesem Sinne vertritt die koreanische Literatur die Auffassung von Bachof29 vom nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraum, und sie schließt sich der Vertretbarkeitslehre von Ule30 an.

2. Abgrenzung zum Ermessen Schwierig und äußerst umstritten ist in Korea, ob der unbestimmte Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum begrifflich dem Ermessen gleichzustellen ist oder nicht.

___________ 27 Kyung Hyun Kwon, Beurteilungsspielraum der Verwaltung, Seoul National University, 2001, S. 68 ff. 28 Joon Hyung Hong, Unbestimmer Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, Public Administration Review 33 (1995), S. 80. 29 Bachof, Beurteilungsspielraum, Ermessen und unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, JZ 1955, 97. 30 Ule, Zur Anwendung unbestimmter Rechtsbegriff im Verwaltungsrecht, Gedächtnisschrift für Jellinek, 1955, S. 309 ff.

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Die h.M.31 in der Literatur ordnet unbestimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum dem Tatbestand der Norm, das Ermessen dagegen der Rechtsfolge zu. Zu unterscheiden sei demnach die Freiheit des Handelns für den Fall des Vorliegens gesetzlich bestimmter Voraussetzungen (Ermessen) einerseits und der Spielraum bei der Beurteilung der Voraussetzungen eben dieses Handelns (unbestimmter Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum) anderseits. Zur Begründung wird insbesondere auf normstrukturelle Unterschiede zwischen beiden Rechtsfiguren, auf Divergenzen im methodischen Vorgehen bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe einerseits und der Ausübung von Ermessen andererseits sowie auf die allgemein übliche Terminologie hingewiesen. Die Gegenansicht32 lehnt die Unterscheidung vom unbestimmten Rechtsbegriff mit Beurteilungsspielraum und Ermessen ab. Nach dieser Auffassung sei unter dem Beurteilungsspielraum ein Ermessen auf der Seite des gesetzlichen Tatbestandes zu verstehen. Die Differenzierung zerreiße die Einheit der Norm, sei praktisch unbrauchbar und somit ein Irrweg. Zwischen der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe und der Ermessensausübung bestünden keine qualitativen Unterschiede, zumal beide Denkvorgänge gleichartig seien und sich das Ergebnis der Ermessensbetätigung auch über Regelungen auf der Tatbestandsseite erreichen lasse. Bemerkenswert an der koreanischen Rechtsprechung ist zunächst, daß zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum und Ermessen noch nicht unterschieden wird. Die koreanische Rechtsprechung hat bisher die Lehre vom Beurteilungsspielraum nicht anerkannt und geschwiegen. Sie hat nur mit dem Wort „freies Ermessen auf der Tatbestandsseite“ die dogmatische Grundlage des Beurteilungsspielraums anerkannt.

3. Beurteilungsspielraum und gerichtliche Überprüfung In der koreanischen Literatur wird die sich mit der Lehre vom Beurteilungsspielraum weitgehend deckende Theorie einer nur beschränkten gerichtlichen Überprüfung der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe vertreten.33 Dabei ist grundsätzlich festzustellen, daß die koreanische Literatur die Lehre vom Beur___________ 31

Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 190; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005, S. 267; Joon Hyung Hong, Treatise on Administrative Law, Part I, 2001, S. 206 ff.; Jeong Sun Hong, Korean Administrative Law I, 2003, S. 307. 32 Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2002, S. 249 ff.; Ji Tae Ryu, Verwaltungsrecht, 2002, S. 68 ff. 33 Nam Jin Kim, Verwaltungsrecht I, 2005, S. 190; Jong Hyun Seok, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2005, S. 267; Joon Hyung Hong, Treatise on Administrative Law, Part I, 2001, S. 206 ff.; Jeong Sun Hong, Korean Administrative Law I, 2003, S. 307.

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teilungsspielraum von der deutschen Lehre übernommen hat. Gerichte sollen nicht eine eigene Bewertung an die Stelle der Bewertung der Verwaltung setzen dürfen. Ihre Kontrolle soll auf die Einhaltung von Verfahrensanforderungen, die Korrektheit der Sachverhaltsermittlung, die Willkürfreiheit der Ermittlungen sowie auf die Einhaltung allgemein anerkannter Bewertungsmaßstäbe beschränkt sein.34 Die Voraussetzungen für die Annahme von Beurteilungsspielräumen ergeben sich aus ihrer Begründung. Als Gründe für die Anerkennung von Beurteilungsspielräumen werden regelmäßig angeführt, daß es sich um eine wertende oder prognostische Entscheidung handele und daß das entscheidende Verwaltungsorgan insbesondere aufgrund seiner Fachkunde und Zusammensetzung für diese Entscheidung besonders qualifiziert sei.35 Im Hinblick auf den Rechtsschutz darf nicht vergessen werden, daß die mit dem Begriff des Beurteilungsspielraums hervorgerufenen Assoziationen vom Rückzug der Gerichte und aufkeimender Verwaltungswillkür wenig mit der Wirklichkeit gemein haben. Wie bei Ermessensentscheidungen steigt auch im Bereich von Beurteilungsspielräumen der Aufwand, mit dem die Verwaltung ihre Entscheidungen begründen und in einem Kontext vergleichbarer Entscheidungen rechtfertigen muß. Ohne solche nachvollziehbaren Begründungen kann das Gericht nicht die rechtmäßige Ausübung und die Grenzen des Beurteilungsspielraums kontrollieren.

4. Überblick über Beurteilungsspielräume in der koreanischen Rechtsprechung Die entscheidende und komplizierteste Frage in der koreanischen Literatur und Rechtsprechung liegt darin, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Beurteilungsspielraum der Verwaltung angenommen werden kann. Ob mit der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe zugleich die Einräumung eines Beurteilungsspielraums verbunden ist, ist dem Gesetz im Einzelfall durch Auslegung zu entnehmen. Über die genaue Zahl und Einteilung der Fallgruppen bestehen jedoch wiederum Meinungsverschiedenheiten. Es fehlt also eine allgemeine Typologie möglicher Beurteilungsspielräume. Die koreanische Rechtsprechung erkennt einen Beurteilungsspielraum nur in wenigen Fallgruppen an. In den entsprechenden Entscheidungen hat sie den wissenschaftlichen Ausdruck „Beurteilungsspielraum“ nicht verwendet, sondern ___________ 34

Ha Joong Chung, Allgemeines Verwaltungsrecht, 2004, S. 193 f. Ha Joong Chung, Ermessen und Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, Public Law, Bd. 23-3, S. 183. 35

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ein eingeschränktes „Ermessen auf der Tatbestandsseite“ zuerkannt. Insoweit wird die Befugnis der Behörde zu einer letztverantwortlichen (d.h. gerichtlich nicht korrigierbaren) Entscheidung in Korea auf wenige Fallgruppen beschränkt. Es läßt sich daher sagen, daß die Lehre vom Beurteilungsspielraum sich seit der Übernahme der deutschen Lehre in der wissenschaftlichen Dogmatik weiterentwickelt hat. Im folgenden sollen kurz die Bereiche vorgestellt werden, in denen Beurteilungsspielräume überwiegend anerkannt werden.36

a) Prüfungsentscheidungen Im Jahr 1972 hatte sich der KOGH zuerst mit dem Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Zulassung zum Studium auseinandergesetzt.37 Außerdem sind Prüfungsentscheidungen, etwa im Rahmen von Beamtenernennungen,38 des ärztlichen Physikums,39 des juristischen Staatsexamens40 oder bei der Prüfung von Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken,41 nach h.M. nur beschränkt gerichtlich überprüfbar, d.h. den Prüfern bzw. Prüfungsausschüssen wird ein Beurteilungsspielraum zuerkannt.42 Die Festsetzung von Maßstäben für die Bewertung von Grundstücken steht im freien Ermessen der Behörde, bei dem ihre eigene politische Beurteilung eine große Rolle spielt (KOGH, Urt. v. 20.09.1996, Az. 96 Nu 6882). Entscheidungen im Rahmen der Zulassungsprüfung zum Studium, der Zulassungsvoraussetzungen oder des Zulassungsverfahrens stehen im sog. freien Ermessen der Behörde, wobei Persönlichkeit, Befähigung, Schulbildung und Kenntnisse des Kandidaten zusammenfassend berücksichtigt werden müssen (KOGH, Urt. v. 22.07.1997, Az. 97 Da 3220). Behördliche Beurteilungen in der mündlichen Prüfung zur Beamtenernennung liegen im freien Ermessen der Behörde; über Befähigung, Zuverlässigkeit und Eignung des Bewerbers muß wegen der hohen Bildung und Erfahrung des Prüfers von diesem entschieden werden (KOGH, Urt. v. 28.11.1997, Az. 97 Nu 11911).

___________ 36

Zur Rechtsprechung in Deutschland siehe Joon Hyung Hong, Unbestimmter Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, Public Administration Review 33 (1995), S. 81 ff.; Ha Joong Chung, Ermessen und Beurteilungsspielraum im Verwaltungsrecht, Public Law, Bd. 23-3, S. 141 ff. 37 KOGH, Urt. v. 27.07.1982, Az. 81 Nu 398. 38 KOGH, Urt. v. 28.11.1972, Az. 72 Nu 164. 39 KOGH, Urt. v. 14.09.1982, Az. 80 Nu 514. 40 KOGH, Urt. v. 10.04.2001, Az. 99 Da 33960. 41 KOGH, Urt. v. 20.09.1996, Az. 96 Nu 6882. 42 Young Kil Bae, Neue Systematisierung der Ermessenslehre, Public Law, Bd. 26-1 (1998), S. 172; Dong Hee Kim, Verwaltungsrecht I, 2002, S. 249 ff.

Grenzen der gerichtlichen Überprüfung von Hoheitsakten in Korea

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In der koreanischen Rechtsprechung wird im wesentlichen argumentiert, daß es sich bei der Prüfung um eine pädagogisch-wissenschaftliche Bewertung handele, um ein höchstpersönliches, unvertretbares Urteil, das allein dem sachkundigen, erfahrenen Prüfer anvertraut sei und nicht durch eine zweite Entscheidung eines Gerichts ersetzt werden dürfe. Dies ist auch deswegen nicht möglich, weil in der Regel die Prüfer mehrere Kandidaten bewerten und der Vergleich der Kandidaten untereinander ein wichtiges Bewertungskriterium bildet.

b) Prüfungsähnliche Entscheidungen, insbesondere im Schulbereich Für prüfungsähnliche Entscheidungen, insbesondere im Schulbereich, bestand in der koreanischen Rechtsprechung weitgehend Einigkeit über die Anerkennung von gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielräumen der Behörde. Die Genehmigung von Schulbüchern liegt im freien Ermessen der Behörde und ist nicht rechtswidrig, wenn das Prüfungsgremium die rechtlichen Voraussetzungen und Maßstäbe der Genehmigung beachtet und den zu Grunde liegenden Sachverhalt richtig ermittelt hat (KOGH, Urt. v. 24.04.1992, Az. 91 Nu 6634). Die Entscheidung, ob die Behörde den Vertrag eines Professors nach Ablauf verlängert oder nicht, steht im freien Ermessen der Behörde, in dessen Rahmen wissenschaftliche Qualifikation, Vorlesungsbefähigung und Persönlichkeit zusammenfassend berücksichtigt werden müssen (KOGH, Urt. v. 27.06.1997, Az. 96 Da 7069).

Nicht nur für Prüfungsentscheidungen, sondern auch für prüfungsähnliche Entscheidungen spielen Gremien eine maßgebliche Rolle. Entscheidungen von Gremien in der Verwaltung unterliegen aber nicht in jedem Falle einer nur beschränkten gerichtlichen Überprüfung. Maßgeblich ist vielmehr der erkennbare Wille des Gesetzgebers, die Letztentscheidungsbefugnis wegen der Anwendung außerrechtlicher Kriterien ausnahmsweise nicht den Gerichten, sondern der Behörde einzuräumen. Das Ausmaß, in dem außerrechtliche Aspekte zu berücksichtigen sind, sowie die Gewähr, daß die Behörde strukturell hierzu in der Lage ist, weil sie über die erforderliche spezielle Sachkunde verfügt, bestimmen somit, ob und inwieweit die richterliche Kontrollbefugnis zurückgedrängt ist. Generell ist bei Vorliegen eines Beurteilungsspielraums die Nachprüfung durch die Gerichte darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung vom zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, die im Gesetz vorgegebenen Maßstäbe beachtet, Verfahrensfehler vermieden sowie sachfremde Erwägungen ausgeschlossen hat.

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c) Festsetzung von Genehmigungsmaßstäben Im Hinblick auf die Festsetzung von Genehmigungsmaßstäben hat die koreanische Rechtsprechung seit der „Speditions-Entscheidung“43 in einer Vielzahl von Fällen die Annahme eines kontrollfreien Beurteilungsspielraums anerkannt. Die Genehmigung von Speditionsgeschäften oder die Festsetzung von Maßstäben für die Genehmigung steht im freien Ermessen der Behörde. Der Wille der Behörde muß daher respektiert werden, soweit die Genehmigungsmaßstäbe nicht objektiv unverhältnismäßig oder unangemessen sind (KOGH, Urt. v. 13.02.1998, Az. 97 Nu 13061). Die Festsetzung von Maßstäben für abfallrechtliche Genehmigungen gemäß § 26 Abs. 1 koreanisches Abfallgesetz liegt im freien Ermessen der Behörde. Der Wille der Behörde muß respektiert werden, soweit die Genehmigungsmaßstäbe nicht objektiv unverhältnismäßig oder unangemessen sind (KOGH, Urt. v. 28.04.1998, Az. 97 Nu 21086). Zum Zweck des Schutzes von Kulturgütern ist ein behördliches Verbot von Bauarbeiten nicht rechtswidrig, wenn ein Sachverständigen-Ausschuß in einem ordnungsgemäßen Verfahren nach dem Kulturschutzgesetz darüber entschieden hat. Seine Beurteilung muß aufgrund seiner hohen fachlichen Kompetenz grundsätzlich respektiert werden (KOGH, Urt. v. 27.10.2000, Az. 99 Du 264).

V. Schlußbetrachtung Das Institut der eingeschränkten Überprüfung von Hoheitsakten ist das geeignete Mittel, die Kompetenzen zwischen Gerichtsbarkeit und staatsfrei agierender Verwaltung sachangemessen abzugrenzen. Die KVwGO läßt die Klage gegen jeden rechtswidrigen Verwaltungsakt zu. Demnach haben die Verwaltungsgerichte die Verwaltungstätigkeit auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Die gerichtliche Kontrolle kann allerdings eingeschränkt werden, wenn der Behörde durch Einräumung von Ermessen ein Handlungsspielraum verbleibt oder ihr durch Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ein Beurteilungsspielraum zugestanden wird. Die Lehre vom Ermessen in Korea ist unter dem Einfluß der deutschen Lehre entstanden. Die Definition des Begriffs „Ermessen“ und die insoweit bestehenden Grenzen der gerichtlichen Überprüfung sind nicht mehr bestritten. Die Fragen, die mit Begründung und Inhalt behördlicher Beurteilungsspielräume und der damit korrespondierenden reduzierten Kontrollintensität verbunden sind, werden dagegen in der koreanischen Literatur und Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet. ___________ 43

KOGH, Urt. v. 13.02.1998, Az. 97 Nu 13061.

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Mit der Einführung der Lehre vom Beurteilungsspielraum tauchte in Korea die Frage auf, ob der Beurteilungsspielraum mit dem Ermessen gleichgesetzt werden kann. Die h.M. in der Literatur ordnet unbstimmte Rechtsbegriffe mit Beurteilungsspielraum dem Tatbestand der Norm, das Ermessen dagegen der Rechtsfolge zu. Die koreanische Rechtsprechung vertritt dagegen die Meinung, daß zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum und Ermessen nicht unterschieden wird. Sie hat bisher die Lehre vom Beurteilungsspielraum nicht anerkannt und dazu geschwiegen. Sie hat nur mit dem Begriff „freies Ermessen auf der Tatbestandsseite“ die dogmatische Grundlage von Beurteilungsspielräumen anerkannt. Beurteilungsspielraum und Ermessen liegen in diesem Sinne eigentlich doch eng beieinander, man sollte deswegen bei der Verwendung solcher Vokabeln vorsichtig sein. Nach der koreanischen Rechtsdogmatik ist die Rechtsfigur der behördlichen Beurteilungsspielräume nur dort anzuerkennen, wo rechtsnormative Vorgaben die grundsätzliche gerichtliche Vollkontrolle nicht zulassen. Ausdrückliche normative Beurteilungsspielräume sind dem besonderen Verwaltungsrecht jedoch regelmäßig fremd. Sie lassen sich nur im Wege der Auslegung ermitteln; Indiz sind unbestimmte Rechtsbegriffe. In diesem Zusammenhang kann die Typologie der Ermessensfehler für die Beurteilungsspielräume nutzbar gemacht werden. Wählt die Behörde bei Beurteilungsspielräumen eine im Gesetz nicht zugelassene Rechtsfolge, konkretisiert sie ihn also in einer Weise, welche anerkannte Auslegungsstandards verletzt, handelt sie ähnlich fehlerhaft wie bei der Ermessensüberschreitung. Ermessensmißbrauch liegt vor, wenn bei der behördlichen Entscheidung die gesetzlichen Zielvorstellungen nicht beachtet oder die für die Ermessensausübung konkret maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend in die Erwägungen einbezogen wurden. Dem entsprechen bei Beurteilungsspielräumen Mängel in der Bewertung berücksichtigungsfähiger Belange.

Justizfreie Hoheitsakte, insbesondere Regierungsakte, in Korea Von Hyun Ho Kang

Ich werde hier etwas über die koreanischen justizfreien Hoheitsakte vortragen, darunter insbesondere den Regierungsakt, den anderen Teil hat Prof. Dr. Song schon vorgetragen. Obwohl mein Deutsch schwer zu verstehen ist, bitte ich Sie um Ihre Aufmerksamkeit.

I. Einleitung Gerichtliche Überprüfung bedeutet, daß das Gericht die Handlungen anderer Staatsorgane prüft. Das Gericht prüft die Staatsakte und macht sie rückgängig, wenn sie rechtswidrig sind. Diese Vorgehensweise ist aus einem historischen Grund gerechtfertigt. Zur Geschichte ist zu bemerken: Es galt im Staatshandeln zunächst der souveräne Wille des Monarchen, und dieser konnte kein Unrecht tun. Aber mit der Änderung der Staatsform konnte das nicht mehr gelten. In erster Linie sollten die Beamten, die die hoheitlichen Aufgaben ausüben, verantwortlich für das Unrecht sein, danach auch der Staat selbst. Heute haben die Bürger einen Rechtsanspruch auf einen Rechtsweg, und das Gericht hat die Pflicht, die staatlichen Handlungen gerichtlich zu überprüfen.1

II. Zwei Standpunkte Hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung staatlicher Hoheitsakte sind wir, die koreanischen Wissenschaftler, uneinig. Einige Wissenschaftler sind geneigt,

___________ 1

Hyun Ho Kang, AllgVerwR, 2005, Rn. 137.

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Hyun Ho Kang

Hoheitsakte uneingeschränkt zu überprüfen,2 andere lehnen es ab, sie gerichtlich völlig zu überprüfen.3 Es vermag nicht zu überzeugen, wenn behauptet wird, es ergäbe sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, daß Regierungsakte nicht gerichtlich überprüfbar wären. Der Aspekt der Gewaltenteilung mag eine inhaltliche Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle gebieten. Doch kann der weite Entscheidungsspielraum der staatlichen Führungsorgane bei Regierungsakten angesichts des koreanischen Verfassungsrechts nicht dazu führen, derartige Maßnahmen völlig von einer gerichtlichen Nachprüfung auszuschließen. Auch läßt sich nicht übersehen, daß das Moment des Politischen kein spezifisches Kriterium von Regierungsakten ist. Jeder staatliche Akt kann politisch bedeutsam werden. Darüber hinaus zeigt die Entscheidung des KVerfG, daß die politischen Akte nicht a priori einer gerichtlichen Nachprüfung entzogen sein sollten. Zur Zeit stehe ich zwar auf der Seite derjenigen, die sich für eine Stärkung der Gerichtsbarkeit entscheiden, aber es ist nicht einfach, sich für einen Standpunkt zu entscheiden. In der Vergangenheit waren wir zurückhaltend bei der Überprüfung von Regierungsakten, aber dadurch wurden die Nebenwirkungen, nämlich die schweren Eingriffe in den Schutzbereich der Grundrechte der Bürger, verstärkt. Danach trat die Forderung, die Überprüfung auszudehnen in den Vordergrund. Heutzutage werden Forderungen in dieser Richtung weltweit erhoben. Aber m.E. werden bald die Nebenwirkungen einer solchen Forderung der Gerichtsbarkeit sichtbar werden. Dann wird wieder die Forderung nach einer Beschränkung der gerichtlichen Überprüfung auf dem Vomarsch sein. Der Umfang des Regierungsakts ist von der Situation Koreas abhängig. Die koreanische Gerichtsbarkeit folgt eigenen Grundsätzen, soweit es um die Kontrolle von Regierungsakten geht. Es ist jedoch fraglich, inwieweit das koreanische Gericht den Regierungsakt überprüfen soll. Ich persönlich denke, daß es besser wäre, den hochpolitischen Regierungsakt in der Hand der politischen Akteure zu belassen, denn die koreanischen Gerichte sind nicht geeignet, Regierungsakte einheitlich zu überprüfen. Nach meiner Ansicht mangelt es unserer Justiz an einer ausreichenden Kenntnis der politischen Realität, und ihre Entscheidungen werden deshalb leicht durch ihre politische Einstellung geprägt.4

___________ 2

Nam Jin Kim / Yun Tae Kim, VerwR I, 2005, S. 10. Vgl. Koreanischer Oberster Gerichtshof (KOGH), Urt. v. 14. 06. 1983, Az. 83 Nu 43. 4 Hyun Ho Kang, AllgVerwR, 2005, Rn. 36. 3

Justizfreie Hoheitsakte, insbesondere Regierungsakte, in Korea

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III. Begriff des Regierungsakts in Korea Der Regierungsakt ist als ein hochpolitischer Akt zu bezeichnen, der mit dem Interesse des Staats und mit der Staatspolitik in einer engen Beziehung steht und von der gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen ist.5 Es ist eine Ausnahme, im modernen Rechtsstaat den Begriff des Regierungsakts anzuerkennen, denn heutzutage ist ein System der gerichtlichen Überprüfung staatlicher Hoheitsakte eingerichtet. Bevor man vom Regierungsakt spricht, muß man zuerst den Begriff des Regierungsaktes noch deutlicher bestimmen, da es hierüber durchaus verschiedene Meinungen gibt. Wenn die Regierungsakte frei von der Gerichtsüberprüfung sind, stellt sich weiter die Frage, ob die Gerichtsüberprüfung nur die Verwaltungsgerichtsbarkeit meint und die Verfassungsgerichtsbarkeit ausschließt. Alle Staatsakte können theoretisch und praktisch vom Verfassungsgericht auf ihre Verfassungsgemäßheit hin überprüft werden. Alle Maßnahmen der öffentlichen Gewalt unterliegen gemäß der koreanischen Verfassung der Kontrolle des Verfassungsgerichts im Wege der Verfassungsbeschwerde.6 Darum meint hier der Begriff „justizfrei“ nur, daß der Regierungsakt nicht der Verwaltungsgerichtsbarkeit unterliegt.7 Es ist auch zu fragen, wessen Handlungen als Regierungsakt zu bezeichnen sind und ob die Regierungsakte Akte der Legislative und der Judikative einschließen. Auch darüber gibt es natürlich verschiedene Meinungen.8 Aber die Handlungen der anderen staatlichen Gewalten sind vom Regierungsakt auszuschließen, denn Regierungsakte sind die Akte des Präsidenten bzw. des Kanzlers. Zu den justizfreien Hoheitsakten wurden damit insbesondere die Akte der Regierung gezählt, wobei unter Regierungsakten nur die staatsleitenden Akte oberster Staatsorgane verstanden werden.9

___________ 5 Jong Hyun Seok, AllgVerwR, 2000, S. 10 f.; Hyun Ho Kang, AllgVerwR, 2005, Rn. 24. 6 Kyun Sung Park, VerwR I, 2005, S. 29. 7 Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 58; Hyun Ho Kang, AllgVerwR, 2005, Rn. 29. 8 Jeong Sun Hong, AllgVerwR, 2005, Rn. 21. 9 Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 58.

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Hyun Ho Kang

IV. Die Notwendigkeit einer Bestimmung des Begriffs des Regierungsakts Die Notwendigkeit, den Begriff des Regierungsakts inhaltlich näher zu bestimmen, ergibt sich daraus, daß hiermit zugleich über die Anwendbarkeit des Verwaltungsrechts entschieden wird. Der Regierungsakt ist zudem ein Akt, der von der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen wird. D.h. der Regierungsakt ist in erster Linie durch die Verfassung geprägt und gehört nicht in den Bereich des Verwaltungsrechts. Darum ist das Verwaltungsrecht auf den Regierungsakt nicht anzuwenden. Deshalb hat der Regierungsakt die Bedeutung, den Anwendungsumfang des Verwaltungsrecht einzugrenzen.10

V. Entscheidungen der koreanischen Gerichte 1. KOGH, Urt. v. 21. 07. 1964, Az. 64 Cho 6 Der Koreanische Oberste Gerichtshof (KOGH) hat in einem Urteil, das eine dringende Maßnahme des Präsidenten betraf, ausgesprochen, daß die Maßnahmen des Präsidenten einen hochpolitischen und militärischen Charakter besitzen. Deswegen habe nur das Parlament als politisches Organ die Befugnis zur Beurteilung der Maßnahmen. Wegen des militärischen Charakters der dringenden Maßnahmen des Präsidenten seien die Handlungen als Regierungsakte zu qualifizieren. Dies ist darauf zurückzuführen, daß Korea sich wegen seiner Teilung in einer schwierigen politischen Lage befindet. Nordkorea hat immer noch den Willen, Südkorea mit militärischer Gewalt zu erobern. In dieser Situation ist der Wert der nationalen Sicherheit am Wichtigsten. Darum sind die Handlungen des Präsidenten zu rechtfertigen.

2. Obergericht Seoul, Urt. v. 24. 02. 1966, Az. 65 Gu 246 Der Beschluß des Sonderausschusses und auch der Hauptversammlung im Parlament ist nach Ansicht dieser Entscheidung als Regierungsakt zu qualifizieren. Dieser Beschluß ist eine Handlung des Parlaments, das eine hohe Selbständigkeit und Selbstkontrollbefugnis besitzt. Deswegen soll er einen Regierungsakt darstellen und kann kein Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein, obwohl es tatsächlich möglich wäre, ihn gerichtlich zu überprüfen. ___________ 10 Chul Yong Kim, VerwR I, 2005, S. 8; Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 52; Hyun Ho Kang, AllgVerwR, 2005, Rn. 24.

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Dieser These der Rechtsprechung ist nicht zu folgen, denn der Beschluß des Parlaments ist kein Akt der Verwaltung, sondern der Legislative.11

3. KOGH, Urt. v. 07. 12. 1979, Az. 79 Cho 70 Maßnahmen des Präsidenten lassen sich als hochpolitische und militärische Handlungen qualifizieren, und darum hat nur das Parlament die Befugnis zu entscheiden, ob sie gerechtfertigt sind oder nicht. Das Gericht als Justizorgan kann nicht überprüfen, ob die Maßnahmen verhältnismäßig sind oder nicht, denn ansonsten würde die innere Grenze der Justiz überschritten. Dieses Urteil betrifft auch Notmaßnahmen des Präsidenten in Bezug auf Politik und das Militär. Es spiegelt die Lage Koreas wider

4. KOGH, Urt. v. 14. 06. 1983, Az. 83 Nu 43 Die Festsetzung, die Änderung oder die Ausweisung der Schutzzone nach dem Gesetz zum Schutz der militärischen Einrichtungen ist nach dieser Entscheidung zwar als ein Verwaltungsakt im weiteren Sinne zu qualifizieren, aber als ein Regierungsakt vom Verwaltungsakt im engeren Sinne zu unterscheiden. Darum genügt es, die Festsetzung öffentlich bekanntzumachen, anstatt persönlich zu informieren. Nach meiner Auffassung ist diesem Urteil nicht zu folgen. Die Festsetzung nach dem Gesetz gehört nicht der Ebene der Verfassung, sondern der Ebene des Verwaltungsrechts an. Das Gericht könnte in diesem Fall die Lehre der Ermessenshandlung oder des Beurteilungsspielraums anwenden und auf diese Weise die Einschränkung der gerichtlichen Überprüfung rechtfertigen. Jedoch qualifizierte das Gericht den rechtlichen Charakter der Festsetzung zur Schutzzone als Regierungsakt. Dies zeigt die mangelnde wissenschaftliche Basis des koreanischen Gerichts.

5. KOGH, Urt. v. 17. 04. 1997, Az. 96 Do 3376 Unser Land hat sich eine Verfassung gegeben und in ihr die Ideen der Bürgersouveränität, der freiheitlichen Demokratie, der Gewährleistung der Grundrechte und des Rechtsstaats umgesetzt. Obwohl die Verfassung mehrmals geändert wurde, hält sie an diesen Ideen fest. ___________ 11

Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 53.

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Hyun Ho Kang

Deshalb ist diejenige Handlung auf keinen Fall gestattet, sondern unter Strafe gestellt, die ohne demokratisches Verfahren und durch Anwendung von Gewalt die Befugnisse der Verfassungsorgane zu beeinträchtigen versucht. Durch die militärischen Aufstände und die inneren Unruhen hat der ehemalige Präsident Jun gewaltsam die Befugnis der anderen Verfassungsorgane beeinträchtigt und die Regierungsgewalt übernommen. Danach hat er durch Volksabstimmung die Verfassung geändert und regierte den Staat fortan durch die geänderte Verfassung. Diese Handlung ist auf keinem Fall zu rechtfertigen.

6. KOGH, Urt. v. 26. 03. 2004, Az. 2003 Do 7878 Das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip verpflichtet die Träger der staatlichen Gewalt, sich im Rahmen der Verfassung und des Gesetzes zu bewegen. Die Beurteilung der Frage, ob die staatlichen Handlungen verfassungswidrig bzw. gesetzwidrig sind, steht nur der Justiz zu. Unter den staatlichen Handlungen gibt es jedoch diejenigen, die hochpolitischen Charakter besitzen. Solche hochpolitischen Handlungen kann das Gericht nicht überprüfen, denn das Gericht trägt keine politische Verantwortung. Außerdem birgt dies auch die Gefahr in sich, daß das Gericht in die Politik verstrickt und dadurch seine Neutralität und Selbstständigkeit gefährdet wird. Das Gericht sollte auch die Zweckmäßigkeit und Legitimation der staatlichen Handlungen respektieren. Darum ist einerseits der Begriff des Regierungsakts zu akzeptieren, aber andererseits soll das Gericht den Anforderungen des Grundrechtsschutzes und des Rechtsstaatsprinzips Geltung verschaffen. Die Gipfelkonferenz zwischen Südkorea und Nordkorea hat einen hochpolitischen Charakter und stellt einen Regierungsakt dar, darum ist es nicht vertretbar, daß das Gericht die Legitimation der Gipfelkonferenz prüft. Die Handlung ist aber ein Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung, soweit die Regierung ohne Genehmigung Nordkorea Geld überwiesen hat, denn die Geldüberweisung kann von der hochpolitischen Handlung getrennt werden. Dieses Urteil hat die Trennung von Regierungsakten und Verwaltungsmaßnahmen deutlich gemacht.12

___________ 12

Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 55.

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VI. Verfassungsgerichtsentscheidungen 1. KVerfG, Entsch. v. 29. 02. 1996, Az. 93 Hunma 186 Die Notmaßnahmen des Präsidenten im Bereich der Finanzen und der Wirtschaft gehören zu den hochpolitischen Handlungen, weswegen sie als Regierungsakte zu qualifizieren sind. Alle staatlichen Handlungen einschließlich der Regierungsakte sollten gemäß der koreanischen Verfassung zum Grundrechtsschutz beitragen. Das Verfassungsgericht hat die Aufgabe, die Verfassungsordnung und die Grundrechte der Bürger vor nicht legitimierten Eingriffen zu schützen. Darum soll es die hochpolitischen Handlungen des Präsidenten überprüfen, soweit diese mit Eingriffen in die Grundrechte der Bürger verbunden sind. Jedoch gibt es Kritik gegenüber dieser Entscheidung. Alle staatlichen Maßnahmen sollten grundsätzlich ohne Ausnahme Gegenstände der Verfassungsgerichtsbarkeit werden, obwohl sie hochpolitischen Charakter besitzen. Darum sollten alle Maßnahmen der Verfassungsgerichtsbarkeit unterfallen, auch wenn sie keine Eingriffe in die Grundrechte der Bürger beinhalten.13

2. KVerfG, Entsch. v. 29. 04. 2004, Az. 2003 Hunma 814 Der Einsatz von Soldaten im Ausland steht in einem engen Zusammenhang mit dem Leben und der Gesundheit der koreanischen Soldaten und mit der Rolle Koreas in der Weltgemeinschaft und mit der Beziehung zu der Allianz. Sie hat einen wichtigen Einfluß auf die Interessen Koreas in der Welt, darum ist sie als Regierungsakt zu charakterisieren. Die Entscheidung über den Einsatz der Soldaten im Ausland soll durch die Versammlung der militärischen Fachleute getroffen werden. Es ist nicht sinnvoll, daß das Verfassungsgericht die Entsendung überprüft, denn es hat nicht nur lediglich begrenzte Informationen, sondern auch keine genügende Legitimation. Nach der Auffassung des Verfassungsgerichts wird dieser Einsatz verfahrensrechtlich durch die Zustimmung der Nationalversammlung legitimiert.

___________ 13

Kwang Yoon Lee, Verwaltungsrechtslehre, 2000, S. 60.

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VII. Der Standpunkt der Rechtslehre 1. Die Ablehnung der eigenständigen Kategorie „Regierungsakt“ Diese Lehre baut auf der Idee auf, daß im modernen Rechtsstaat alle staatlichen Handlungen Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung sein können. Jetzt herrscht das materielle Rechtsstaatsprinzip über unsere Gesellschaft. Es ist weiterhin den Bürgern der Rechtsanspruch auf die gerichtliche Überprüfung gemäß der Verfassung zuzuerkennen. Man kann Klage gegen alle Verwaltungsmaßnahmen erheben; für die Anerkennung eines eigenständigen Rechtsinstituts „Regierungsakt“ besteht kein Bedürfnis.14

2. Die Anerkennung von Regierungsakten Bei denjenigen, die Regierungsakte befürworten, werden in Bezug auf den hiergegen eingeräumten Rechtsschutz vier verschiedene Ansichten vertreten.

a) Die Lehre vom „judicial self-restraint“ Nach der Lehre vom „judicial self-restraint“ kann das Gericht zwar den Regierungsakt gerichtlich überprüfen, denn es handelt sich auch hierbei um eine rechtliche Frage. Aber das Gericht schränkt hiernach seine Überprüfung im Hinblick auf die politische Bedeutung von Regierungsakten ein.15 Kritisiert wird an dieser Lehre, daß sie nicht dem Umstand Rechnung trage, daß das Gericht rechtliche Fragen uneingeschränkt zu beurteilen habe und ihm nur eine Stellungnahme zu politischen Fragen untersagt sei.

b) Die Gewaltenteilungslehre Nach der Lehre der Gewaltenteilung gibt es bestimmte Grenzbereiche, innerhalb derer das Gericht nicht eingreifen sollte, weil es keine politische Verantwortung trägt. Die politischen Fragen sollten von den politischen Organen gelöst werden.16 ___________ 14 Nam Jin Kim/Yun Tae Kim, VerwR I, 2005, S. 10; Jong Hyun Seok, AllgVerwR, 2000, S. 17. 15 Dong Hee Kim, VerwR I, 2005, S. 11. 16 Ha Jung Cheong, AllgVerwR, 2005, S. 12.

Justizfreie Hoheitsakte, insbesondere Regierungsakte, in Korea

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Zu dieser Lehre wird kritisch vermerkt, daß der Kern der Gewaltenteilung im Grundrechtsschutz der Bürger liegt. Deshalb sollte das Gericht die Regierungsakte, die die Grundrechte der Bürger einschränken, auch gerichtlich überprüfen.

c) Verwaltungsermessenslehre Die Regierungsakte sind als Ermessenhandlungen der Verwaltung zu qualifizieren, darum unterliegen sie nur der Zweckmäßigkeitskontrolle, nicht der Gesetzmäßigkeitskontrolle. Hieran wird kritisiert, daß das Gericht nun die Ermessenshandlung der Verwaltung im Hinblick auf eine Ermessensüberschreitung überprüfen kann.

d) Der Regierungsakt als nicht justitiabler politischer Hoheitsakt Nach der sogenannten „Regierungsaktseigenständigkeitslehre“ ist der Regierungsakt eine hochpolitische Handlung, darum soll er von der gerichtlichen Überprüfung ausgeschlossen werden.

e) Die Trennungslehre Sie besagt, daß die Akte der Verwaltung sowohl als Regierungsakte als auch als normale Verwaltungsakte anzusehen seien, wenn sie beide Elemente enthalten und teilbar sind.17

VIII. Zusammenfassung Als ich nur als ein Verwaltungsrechtswissenschaftler tätig war, habe ich oftmals gesagt, daß die gerichtliche Kontrolle gegen den Regierungsakt noch mehr erweitert werden sollte. Aber als ich in der Verwaltung tätig wurde, hat sich meine Sichtweise geändert. Das Gericht sollte den eigenen Bereich der Politik anerkennen, denn es gibt viele Bereiche, in denen das Gericht keine genügenden Informationen hat und sich deshalb mit der Beurteilung schwer tut. Die Verwaltung hat auch ihre eigene verfassungsrechtliche Legitimation. Darum sollte das Gericht mit der Beurteilung hochpolitischer Handlungen sehr ___________ 17

Jong Hyun Seok, AllgVerwR, 2000, S. 12.

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vorsichtig umgehen. Die Politik bzw. die politischen Handlungen sollten deshalb durch die Politik bewertet werden, nicht durch die Justiz. In Korea wurden mehrere nationale Vorhaben durch gerichtliche Entscheidungen an der Fortsetzung gehindert. Wer weiß, ob diese Vorhaben, wären sie verwirklicht worden, zum Wohl der Allgemeinheit beigetragen hätten? Es könnte ein großer Fehler gewesen sein, die Vorhaben nur von der Seite des Rechts aus zu beurteilen und sie zu unterbrechen. Es fragt sich, worauf die Legitimation des Gerichts zu derartigen Entscheidungen beruht. Der Umfang des Regierungsakts ist schließlich von der Abwägung der betroffenen Interessen zu bestimmen.

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten in Deutschland Von Kurt Graulich

I. Vorbemerkung 1. Die rechtliche Grundsituation Der materielle und prozessuale Grundfall in der Rechtsordnung ist die Ausübung eines Rechts durch einen Rechtsträger. Abweichungen von diesem Muster sind der Ausgangspunkt für mehr oder weniger komplexe Rechtsfiguren im materiellen und im Prozessrecht. Aus dem Zivilrecht sind derartige Problemlagen beim Auseinanderfallen von rechtlicher Inhaberschaft und Sachausübungsbefugnis in Bezug auf die Prozessführungsbefugnis bekannt. Die Prozessstandschaft gehört ebenso hierher wie die gesellschaftsrechtliche actio pro socio. Als rechtliches Substrat in solchen Fällen ist ein subjektives privates Recht zu finden, dessen Ausübungsbefugnis nicht ungeteilt bei einer Rechtsperson liegt. Dissoziative Rechtssituationen im öffentlichen Recht entstehen hingegen eher auf der Ebene des Rechtsträgers, denn dieser ist typischerweise keine Einheit wie eine natürliche Person, sondern eine verfasste Rechtspersönlichkeit, die durch Organe handelt. Im Falle des Staates ist ein Teil dieser Organe absichtsvoll antagonistisch gebildet, wie sich im Grundsatz der Gewaltenteilung ausdrückt, und somit in einer strukturell konflikthaften Weise einander zugeordnet. Aber auch ansonsten sind denkbare Streitlagen dadurch vorgezeichnet, dass die juristische Person des öffentlichen Rechts sich jenseits ihrer rechtlichen Verfassung erst durch das Agieren ihrer Organe konstituiert, d. h. indem diese die Grenzen ihrer jeweiligen Befugnisse herausfinden. Da es im demokratischen Rechtsstaat an einer omnikompetenten Spitze fehlt, stehen als Regulative für Konfliktfälle lediglich der Gesetzgeber auf der jeweils maßgeblichen Ebene oder die Rechtsprechung zur Verfügung. Im Sinne eines derart rechtsstaatlichen Verständnisses von Organkompetenzen und des Streites um sie werden Organe bzw. Organteile als Träger subjektiver öffentlicher Rechte angesehen, wenn sie aufgrund von Rechtssätzen berechtigt sind, die ihnen zugewiesenen Funktionen eigenverantwortlich und nicht im Rahmen konkreter Weisungsverhältnisse wahrzunehmen. Rechte zu eigenverantwortlichem Handeln und Entscheidungen haben alle demokratisch legitimier-

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ten Organe im Innenbereich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts. Die Subjektivierung ihrer Beteiligungsposition bezweckt, dass die demokratisch legitimierten Repräsentativorgane und ihre Teilorgane am Prozess demokratischer Willensbildung in wirksamer Weise teilnehmen und die ihnen übertragenen Aufgaben sachgerecht erfüllen können.1

2. Das materielle Recht Die materiellrechtlichen Fragen stehen nicht im Vordergrund der nachfolgenden Ausführungen. Sie interessieren nur als Einschlüsse des Verwaltungsprozessrechts. Dennoch muss das jeweilige Verfassungsrecht der juristischen Personen des öffentlichen Rechts in Betracht gezogen werden, soweit es vom Prozessrecht vorausgesetzt wird. Dabei kann es zu Gemengelagen kommen, in denen sich das maßgebliche Recht der Verfassung einer juristischen Person teils aus Landes- und teils aus Bundesrecht zusammensetzt. Eine dermaßen zusammengesetzte Normsituation lag einem Urteil des BVerwG vom 15. Dezember 19942 zugrunde, in dem es in einem Rechtsstreit zwischen einer Stadt und deren Jugendhilfeausschuss um die Reichweite des dem Jugendhilfeausschuss zustehenden Beschlussrechts in Angelegenheiten der Jugendhilfe ging. Danach stellte sich der Jugendhilfeausschuss als bundesrechtlich konstituiertes Kommunalorgan dar, das den sog. beschließenden Ausschüssen des Kommunalrechts ähnelt, aber die Besonderheit aufweist, dass es nur teilweise die politischen Mehrheitsverhältnisse der Vertretungskörperschaft widerspiegelt und im übrigen von Vertretern der freien Jugendhilfe und sachverständigen Bürgern besetzt wird. Obwohl mit Regelungen dieser Art der Bundesgesetzgeber der Sache nach kommunales Verfassungs-, Organisations- und Verfahrensrecht regelt, für das an sich ausschließlich die Länder gesetzgebungsbefugt sind, hat das Bundesverfassungsgericht die entsprechenden Regelungen des Jugendwohlfahrtsgesetzes als sachbezogene und für die Gewährleistung eines wirksamen Gesetzesvollzuges notwendige Annexregelungen akzeptiert, die der Bund im Rahmen seiner Gesetzgebungszuständigkeit zur materiellen Regelung der öffentlichen Fürsorge gemäß Art. 84 Abs. 1 GG3 treffen ___________ 1

Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 665. BVerwG, Urt. v. 15.12.1994, Az. 5 C 30.91 = BVerwGE 97, 223. 3 GG Art. 84: (1) Führen die Länder die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen. (2) Die Bundesregierung kann mit Zustimmung des Bundesrates allgemeine Verwaltungsvorschriften erlassen. 2

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kann.4 Was den daraus folgenden Kompetenzumfang angeht, hat das BVerwG kein allumfassendes, schrankenloses und fertig ausgeformtes Alleinentscheidungsrecht des Jugendhilfeausschusses in allen Angelegenheiten der Jugendhilfe gesehen, sondern ein Beschlussrecht, das seine konkrete Gestalt und Reichweite erst im Zusammenspiel der bundesgesetzlichen Regelung mit dem Kommunalverfassungsrecht der Länder und der dort konstituierten Haushalts-, Beschluss- und Satzungsgewalt der politischen Vertretungskörperschaft gewinnt. Von ihr gefasste Beschlüsse in Fragen der Jugendhilfe, seien sie haushaltsrechtlicher, sonstiger normativer oder schlicht jugendpolitischer Natur, gingen im Grundsatz dem Beschlussrecht des Ausschusses vor, d. h. sie konstituierten den Rahmen, innerhalb dessen der Ausschuss Beschlussrecht habe.5 Auswirkungen an zentraler Stelle auf die Organbefugnisse und etwaige Organstreitverfahren hat die Unterscheidung zwischen kommunaler und funktionaler Selbstverwaltung. Die Gemeinde als Gebietskörperschaft sowie die ihr zustehende Selbstverwaltungsgarantie haben nach Art. 28 Abs. 2 GG6 Verfas___________ (3) Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, daß die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen. Die Bundesregierung kann zu diesem Zwecke Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden, mit deren Zustimmung und, falls diese Zustimmung versagt wird, mit Zustimmung des Bundesrates auch zu den nachgeordneten Behörden. (4) Werden Mängel, die die Bundesregierung bei der Ausführung der Bundesgesetze in den Ländern festgestellt hat, nicht beseitigt, so beschließt auf Antrag der Bundesregierung oder des Landes der Bundesrat, ob das Land das Recht verletzt hat. Gegen den Beschluß des Bundesrates kann das Bundesverfassungsgericht angerufen werden. (5) Der Bundesregierung kann durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, zur Ausführung von Bundesgesetzen die Befugnis verliehen werden, für besondere Fälle Einzelweisungen zu erteilen. Sie sind, außer wenn die Bundesregierung den Fall für dringlich erachtet, an die obersten Landesbehörden zu richten. 4 BVerfGE 22, 180 (211). 5 BVerwG, Urt. v. 15.12.1994, Az. 5 C 30.91 = BVerwGE 97, 223. 6 GG Art. 28: (1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten. (2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen

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sungsrang. Demgegenüber wird der Begriff der funktionalen Selbstverwaltung im Grundgesetz nicht verwandt, und Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts werden nur in wenigen Artikeln der Bundesverfassung erwähnt, ohne eine den Gemeinden vergleichbare grundgesetzliche Regelung zu erfahren. Dementsprechend stehen beispielsweise der Industrie- und Handelskammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts nur die ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgaben und Befugnisse zu. Die Stellung des Gemeinderates und seiner Mitglieder ist daher von Grundgesetzes wegen eine andere als diejenige der Vollversammlung und seiner Mitglieder, die ihre Rechtsstellung ausschließlich aus dem einfachen Gesetzesrecht ableiten. Ihre Rechtsstellung wird daher geprägt von der gesetzlich zugewiesenen Funktion. Bereits dieser Umstand steht einer Übertragung der Grundsätze des Kommunalverfassungsstreitverfahrens und der Rechtsstellung der Gemeinderatsmitglieder auf die Industrie- und Handelskammern als Träger der funktionalen Selbstverwaltung entgegen.7

3. Das Prozessrecht Die Bundesverfassung hat den gerichtlich auszutragenden Streit von Organen einer Körperschaft um ihre Kompetenzen als einen erwartbaren Normalfall vorausgesehen und stellt als Mittel der Wahl die verfassungsrechtliche Klageart des Organstreitverfahrens zur Verfügung. Die Zahl der juristischen Personen des öffentlichen Rechts ist groß, und ihre rechtlichen Verfassungen sind sehr verschieden, wenn man etwa die Spanne von kommunalen Körperschaften bis zu Anstalten des Bundes durchmisst. Anders als das Grundgesetz zuzüglich des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes hält die Verwaltungsgerichtsordnung als allgemeinstes öffentlich-rechtliches Prozessgesetz keine gesonderte Verfahrensart für Streitlagen innerhalb von juristischen Personen des öffentlichen Rechts bereit. Deshalb haben Rechtswissenschaft und Rechtsprechung es immer wieder unternommen, im Wege der Rechtsfortbildung in Anlehnung an den verfassungsrechtlichen Organstreit,8 Voraussetzungen und Grenzen für derartige Streitigkeiten vor den Verwaltungsgerichten zu formulieren. Hintergründiges Vorbild ist dabei vielfach das verhältnismäßig gut entwickelte verfassungsrechtliche Organstreitverfahren gewesen.9 ___________ Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle. (3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht. 7 BVerwG, Urt. v. 31.03.2004, Az. 6 C 25.03 = Buchholz 451.09 IHKG Nr. 17. 8 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 9 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 662 ff.

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II. Begriff Organschaftliche Streitverfahren sind Streitigkeiten im Innenbereich von juristischen Personen des öffentlichen Rechts, bei denen sich verschiedene Organe oder Mitglieder von Kollegialorganen um öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten streiten. Zu den wichtigsten Verfahren dieser Art gehören die Kommunalverfassungsstreitigkeiten. Vergleichbare Streitigkeiten kommen aber auch bei anderen Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts vor, wie z. B. an Universitäten, Rundfunkanstalten und berufsständischen Kammern.10 Ein Organstreit in diesem Sinn liegt nicht vor, wenn lediglich Individualrechte im Sinne persönlicher subjektiver Rechte geltend gemacht werden.11

III. Einzelfragen im Verwaltungsprozess Die auffindbaren Judikate und Literaturmeinungen zeigen, dass kaum ein verwaltungsprozessrechtliches Feld von der Thematik der Organstreitigkeiten unbeackert geblieben ist. In der danach üblichen Reihenfolge sollen die Probleme abgehandelt werden.

1. Das Problem des In-Sich-Prozesses Als Haupteinwand gegen die Idee eines organschaftlichen Streitverfahrens bestand die aus dem Zivilprozess stammende Ablehnung des In-Sich-Prozesses, der nicht mit der Leitlinie des Art. 19 Abs. 4 GG12 als vereinbar galt,13 welcher von einem Rechtsschutz im Außenverhältnis von Bürger und Staat ausgeht.14 ___________ 10

Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 662 ff. Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 12 GG Art. 19: (1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. (2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. (3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind. (4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt. 13 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 664. 14 Vgl. zur Frage der Zulässigkeit eines In-Sich-Prozesses im Fall der Klage einer Stadt auf Aufhebung des sie zur Erteilung einer Baugenehmigung verpflichtenden 11

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Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG, die für den Bereich des allgemeinen Verwaltungsrechts durch die Verwaltungsgerichtsordnung ausgefüllt wird, beschränkt sich nämlich grundsätzlich auf die Abwehr individueller Rechtsverletzungen.15 Allerdings wurde auch die Ansicht vertreten, bei Organstreitigkeiten, in denen Organe bzw. Teile von Organen ihnen zustehende Organrechte gegenüber anderen Organen der gleichen juristischen Person des öffentlichen Rechts geltend machten, handele es sich nicht um einen In-SichProzess.16 Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Rechtsprechung aber recht bald eine grundsätzlich andere Haltung zur rechtlichen Problematik des In-SichProzesses eingenommen.17 Dabei hatte es den Fall einer Organstreitigkeit zu entscheiden, in dem nach Landesrecht Behörden eine Beteiligungsfähigkeit im Sinne des § 61 Nr. 3 VwGO18 nicht verliehen war und deswegen die Stadt als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß § 61 Nr. 1 VwGO zugleich Klägerin und Beklagte war. Aus der Regelung über die Beteiligtenfähigkeit in § 61 VwGO konnte demnach nicht die Unzulässigkeit der Klage einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gegen sich selbst hergeleitet werden. § 61 VwGO erschöpfe sich nämlich in der Festlegung, wer Subjekt eines verwaltungsgerichtlichen Prozessrechtsverhältnisses sein könne und folglich die Fähigkeit besitze, Prozesshandlungen vorzunehmen. Die gegenteilige Ansicht, die aus § 61 VwGO die Unzulässigkeit eines In-Sich-Prozesses ableiten wolle,19 beruhe auf einem Missverständnis der Materialien zu § 61 VwGO: Die Absicht des Regierungsentwurfs, die Parteifähigkeit von Behörden endgültig zu beseitigen, wurde zwar unter anderem damit begründet, dass es an einem wirklichen Rechtsschutzinteresse dafür fehle, für Behörden desselben Rechtsträgers durch die Verleihung der Parteifähigkeit die Möglichkeit zur Führung von Verwaltungsgerichtsprozessen gegeneinander zu schaffen.20 Dabei habe es sich aber nur um ___________ Widerspruchsbescheides ihres Stadtrechtsausschusses BVerwG, Urt. v. 21.07.1974, Az. IV C 17.72 = BVerwGE 45, 207; allerdings hat in dieser Entscheidung das BVerwG gerade nicht tragend auf Art. 19 Abs. 4 GG abgestellt, sondern die Ansicht des Berufungsgerichts als zutreffend bezeichnet, diese Vorschrift gewähre keine subjektiven Rechte, sondern setze sie und die Möglichkeit ihrer Verletzung voraus (vgl. BVerfGE 15, 275 [281]). 15 OVG Koblenz, Urt. v. 17.02.1981, 7 A 15/80 = AS RP-SL 16, 336-342. 16 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 530. 17 BVerwG, Urt. v. 21.06.1974, Az. IV C 17.72 = BVerwGE 45, 207. 18 VwGO § 61: Fähig, am Verfahren beteiligt zu sein, sind 1. natürliche und juristische Personen, 2. Vereinigungen, soweit ihnen ein Recht zustehen kann, 3. Behörden, sofern das Landesrecht dies bestimmt. 19 OVG Berlin, Urt. v. 06.05.1963, Az. II B 35.62 = DVBl. 1964, 82. 20 BT-Drucksache, 3. Wahlperiode Nr. 55, S. 37.

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eines von mehreren gesetzgeberischen Motiven gehandelt, das nicht zugleich als Inhalt der Regelung gedacht gewesen sei. Zudem sei es aufgrund abweichender Vorstellungen des Bundesrates21 und des Rechtsausschusses des Bundestages22 nicht zur völligen Beseitigung der Parteifähigkeit von Behörden gekommen, so dass jedenfalls § 61 VwGO die Möglichkeit von „In-Sich-Prozessen“ weiter habe bestehen lassen. Die Frage nach der etwaigen Geltung eines allgemeinen Grundsatzes des Verwaltungsprozessrechts über die Unzulässigkeit eines In-Sich-Prozesses in Anlehnung an den Zivilprozess23 hat das BVerwG zwar gestellt, aber verneint.24 Bei der Beantwortung dieser Frage machte es nach Ansicht des Gerichts keinen beachtlichen Unterschied, ob den Behörden nach Landesrecht die Beteiligungsfähigkeit verliehen war oder nicht. Denn Behörden als solche haben Verwaltungsbefugnisse (Kompetenzen), aber in der Regel keine eigenen subjektiven Rechte. Die Frage nach der Zulässigkeit eines „In-Sich-Prozesses“ stellte sich deswegen in gleicher Weise, wenn zwei Behörden eines Rechtsträgers gegeneinander klagten, wenn eine Behörde und ihr Rechtsträger in einem Prozess einander gegenüberstehen oder wenn der Rechtsträger – mit jeweils verschiedener gesetzlicher Vertretung – gleichzeitig Kläger und Beklagter ist. In seinem Urteil vom 14. Februar 196925 hatte das BVerwG zwar – unter Hinweis auf Kisker, Insichprozeß und Einheit der Verwaltung, 1968, S. 24 ff. – für den Fall der Identität des Rechtsträgers einer Planfeststellungsbehörde mit dem Rechtsträger der an der Planfeststellung zu beteiligenden Behörde ausgeführt, dass eine solche Klage schon wegen des „grundsätzlichen Verbots des InSich-Prozesses“ nicht in Betracht komme. In seinem Urteil vom 21. Juni 197426 merkte das Gericht dazu aber an, dies sei jedoch – auch bei Berücksichtigung der gebotenen Zurückhaltung gegenüber der Zulassung von In-Sich-Prozessen27 – nicht dahin zu verstehen, dass dem Bundesrecht ein allgemeiner Grundsatz des Inhalts zu entnehmen sei, dass ohne Ausnahme In-Sich-Prozesse stets unzulässig seien: Zwar gelte im Zivilprozess der Grundsatz des „Zweiparteiensystems“, der von dem Gedanken der einheitlichen Willensbildung innerhalb eines Rechtssubjekts ausgehe. Dieser Grundsatz könne aber nicht ohne weiteres auf den Verwaltungsprozess übertragen werden. Denn Körperschaften des öffentli___________ 21

BT-Drucksache, 2. Wahlperiode Nr. 462, S. 60, Ziff. 43. BT-Drucksache, 3. Wahlperiode Nr. 1094, S. 7. 23 Damals unter Hinweis auf Baumbach/Lauterbach, ZPO, 31. Aufl. 1973, Grundzüge vor § 50, Anm. 2 D. 24 BVerwG, Urt. v. 21.06.1974, Az. IV C 17.72 = BVerwGE 45, 207. 25 BVerwG, Urt. v. 14.02.1969, Az. IV C 215.65 = BVerwGE 31, 263 (267). 26 BVerwG, Urt. v. 21.06.1974, Az. IV C 17.72 = BVerwGE 45, 207. 27 Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf BVerwG, Urt. v. 13.06.1955, Az. III C 41.54 = BVerwGE 2, 147 (149). 22

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chen Rechts seien zwar rechtsbegrifflich Einheiten; aber mit Rücksicht auf ihre Gliederung in verschiedene Organe und auf den horizontalen und vertikalen Behördenaufbau sowie infolge der in der öffentlichen Verwaltung bestehenden Weisungsbefugnisse und Weisungsfreiheiten seien der Einheitlichkeit der Willensbildung in der Körperschaft Grenzen gesetzt.28 Schon daraus könne sich in bestimmten Konstellationen ein Bedürfnis für die Zulassung von In-SichProzessen ergeben. Aus einem solchen Bedürfnis – etwa im Hinblick auf die Weisungsfreiheit der Verwaltungsstelle, deren Entscheidung angegriffen werden soll – folge freilich nicht unmittelbar die Zulässigkeit eines „In-SichProzesses“. Zulässig werde ein solcher erst, wenn entweder der Gesetzgeber diesem Bedürfnis Rechnung trage und den In-Sich-Prozess ausdrücklich normiere oder wenn im Wege der Auslegung der jeweils einschlägigen Bestimmungen ermittelt werden könne, dass eine Rechtsverletzung des Rechtsträgers (oder gegebenenfalls der Behörde) durch die von ihnen angegriffene Entscheidung möglich sei. Dem Bedürfnis, in Ausnahmefällen In-Sich-Prozesse zuzulassen, haben der Bundes- und die Landesgesetzgeber mehrfach durch besondere Vorschriften Rechnung getragen (Wehrpflichtgesetz, Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz, Lastenausgleichsgesetz, Handwerksordnung, verschiedene Landesgesetze). Die ausdrücklich normierte Zulassung eines In-Sich-Prozesses stelle sich regelmäßig als eine gesetzliche Befreiung des derart Klagebefugten von dem Erfordernis der Geltendmachung dar, in eigenen Rechten verletzt zu sein (§ 42 Abs. 2 VwGO29). Sei dagegen gesetzlich nicht ausdrücklich bestimmt, dass ein In-Sich-Prozess statthaft und dass daher die Klage unabhängig von dem Erfordernis der Geltendmachung einer Rechtsverletzung zulässig sei, so sei bei Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen nach § 42 Abs. 2 VwGO ein In-SichProzess dann zulässig, wenn der Kläger eine Verletzung eigener Rechte schlüssig geltend machen könne; das werde davon abhängen, mit welchen – eigenen – Rechten der Kläger des In-Sich-Prozesses von der Rechtsordnung ausgestattet worden sei. Konsequenter ist es allerdings, in Organstreitigkeiten erst gar keine In-SichProzesse30 und darüber hinaus in den Regelungen der §§ 61 und 63 VwGO31 keine Hindernisse für den In-Sich-Prozess zu sehen. Nach dieser Ansicht kann ___________ 28

Damals unter Hinweis auf Redeker/von Oertzen, VwGO, 4. Aufl., § 63, Rdnr. 8. VwGO § 42: (1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden. (2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein. 30 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 530. 31 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 531. 29

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den §§ 61 und 63 VwGO32 nicht entnommen werden, dass Kläger und Beklagter verschiedenen juristischen Personen des öffentlichen Rechts angehören müssen. Maßgeblich für die Zulässigkeit eines In-Sich-Prozesses ist, ob das positive Recht auch subjektive Rechte einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, vertreten durch eine Behörde, gegen die gleiche juristische Person des öffentlichen Rechts, vertreten durch eine andere Behörde, fingiert. Soweit die Rechtsordnung solche subjektiven Rechte bejaht, bringt sie damit auch zum Ausdruck, dass sie prinzipiell von deren Klagbarkeit ausgeht und folglich auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis für den In-Sich-Prozess wegen der Möglichkeit der Beilegung eines Streits durch eine übergeordnete Behörde entfallen soll.33

2. Zulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO34) Die Zulässigkeit des Verwaltungsrechtsweges ist unter drei Aspekten erörtert worden, nämlich ob der Rechtsweg für Organstreitigkeiten überhaupt eröffnet sei, ob es sich dabei um Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art handele und ob – im Fall von Meinungsäußerungsexzessen – überhaupt öffentlichrechtliche Äußerungen mit der Folge einer öffentlichrechtlichen Streitigkeit vorlägen. ___________ 32

VwGO § 63: Beteiligte am Verfahren sind 1. der Kläger, 2. der Beklagte, 3. der Beigeladene (§ 65), 4. der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht oder der Vertreter des öffentlichen Interesses, falls er von seiner Beteiligungsbefugnis Gebrauch macht. 33 Ebenso Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 665. 34 VwGO § 40: (1) Der Verwaltungsrechtsweg ist in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Öffentlich-rechtliche Streitigkeiten auf dem Gebiet des Landesrechts können einem anderen Gericht auch durch Landesgesetz zugewiesen werden. (2) Für vermögensrechtliche Ansprüche aus Aufopferung für das gemeine Wohl und aus öffentlich-rechtlicher Verwahrung sowie für Schadensersatzansprüche aus der Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die nicht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag beruhen, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben; dies gilt nicht für Streitigkeiten über das Bestehen und die Höhe eines Ausgleichsanspruchs im Rahmen des Artikels 14 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die besonderen Vorschriften des Beamtenrechts sowie über den Rechtsweg bei Ausgleich von Vermögensnachteilen wegen Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte bleiben unberührt.

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Der Rechtsweg für Organstreitigkeiten galt nach einer früher vertretenen Ansicht als a limine verstellt, weil es sich dabei um nicht-justiziable Rechtsfragen innerhalb des rechtlichen Sonderstatus einer einheitlichen Rechtsperson drehe. Dahinter stand die sog. Impermeabilitätstheorie, nach der bei besonderen Gewaltverhältnissen ein rechtsfreier Raum existiere, der generell einer gerichtlichen Prüfung entzogen sein soll, da innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen Rechts – in welcher der Gewaltunterworfene nach Art eines besonderen Gewaltverhältnisses eingegliedert sei – keine Rechtsbeziehungen möglich seien. Gegen diesen Ansatz ist zu Recht eingewandt worden, die von ihm vorausgesetzte Gleichsetzung von natürlichen und juristischen Personen sei bereits rechtstheoretisch verfehlt. Historisch entstammte diese Ansicht aus der Zeit des Konstitutionalismus mit der Idee eines für die Rechtsprechung „impermeablen“ monarchischen Reservatbereichs und genügt nicht mehr den rechtsstaatlichen Grundsätzen von Gewaltenteilung und Gesetzesgebundenheit35 des Grundgesetzes. Bei sog. Kommunalverfassungsstreitigkeiten – aber auch bei vergleichbaren Streitigkeiten in anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts – ist daher allgemein anerkannt, dass auch intrapersonale Rechtsbeziehungen bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts einer Subjektivierung zugänglich und damit klagefähig sind.36 Im Ergebnis unumstritten ist, dass es sich bei Streitigkeiten zwischen den Organen bzw. Organteilen von Gemeinden – im sog. Kommunalverfassungsstreit – oder vergleichbaren verwaltungsrechtlichen Organstreitigkeiten beispielsweise innerhalb einer Hochschule um nichtverfassungsrechtliche Streitigkeiten handelt. Es wird nämlich nicht zwischen Verfassungsorganen des Bundes bzw. der Länder um spezifisches Verfassungsrecht, sondern im Innenbereich eines Verwaltungsorgans, das zu „verwaltungspolitischer Willensbildung“ berufen ist, um verwaltungsrechtlich geregelte Rechte und Pflichten gestritten.37 Für sie scheidet, anders als bei Streitigkeiten zwischen obersten Staatsorganen oder Organteilen wie z. B. im Fall von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG,38 eine Zuständigkeit der Verfassungsgerichte von vornherein aus.39 ___________ 35

Im Einzelnen vgl. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 95 ff. und dort Fn. 9. So Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 228 und 391; der vorliegende Zusammenhang zwingt nicht zu einer Auseinandersetzung mit der strittigen Frage, ob die subjektiv-rechtliche Relevanz solcher interpersonalen Rechtsbeziehungen deren rechtlicher Bedeutung mit „Außenwirkung“ i. S. d. Verwaltungsaktlehre gleichzusetzen ist (so Schenke entgegen der h. M.). 37 Würtenberger, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 669. 38 GG Art. 93: (1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet: 1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlaß von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, 36

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Im Fall von missbilligenden Äußerungen durch Amtsträger stellt sich die Frage, ob es sich um eine private Auseinandersetzung oder um einen öffentlichrechtlichen Streit der Organe handelt. Abzustellen ist auf die jeweils wahrgenommene Funktion. Äußerungen in Wahrnehmung der Leitungs- und Ordnungsfunktion des Bürgermeisters oder des Vorsitzenden sind daher auch bei einem „Exzeß“ grundsätzlich öffentlichrechtlicher Natur. Anders verhält es sich bei „gewöhnlichen“ Beleidigungen zwischen Personen, die sich am Rande oder bei Gelegenheit einer Gemeinderatssitzung abspielen.40

3. Beteiligtenfähigkeit (§ 61 VwGO) Natürliche und juristische Personen – des privaten und öffentlichen Rechts – können Beteiligte eines Verwaltungsrechtsstreits nach § 61 Nr. 1 VwGO sein. Nicht durch § 61 Nr. 1 VwGO unmittelbar erfasst sind die Fälle, in denen eine natürliche Person als Organwalter die Rechte des monokratisch besetzten Or___________ die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind; 2. bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche und sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit diesem Grundgesetze oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrechte auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines Drittels der Mitglieder des Bundestages; 2a. bei Meinungsverschiedenheiten, ob ein Gesetz den Voraussetzungen des Artikels 72 Abs. 2 entspricht, auf Antrag des Bundesrates, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes; 3. bei Meinungsverschiedenheiten über Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder, insbesondere bei der Ausführung von Bundesrecht durch die Länder und bei der Ausübung der Bundesaufsicht; 4. in anderen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten zwischen dem Bunde und den Ländern, zwischen verschiedenen Ländern oder innerhalb eines Landes, soweit nicht ein anderer Rechtsweg gegeben ist; 4a. über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein; 4b. über Verfassungsbeschwerden von Gemeinden und Gemeindeverbänden wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Artikel 28 durch ein Gesetz, bei Landesgesetzen jedoch nur, soweit nicht Beschwerde beim Landesverfassungsgericht erhoben werden kann; 5. in den übrigen in diesem Grundgesetze vorgesehenen Fällen. (2) Das Bundesverfassungsgericht wird ferner in den ihm sonst durch Bundesgesetz zugewiesenen Fällen tätig. 39 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 124; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 5. 40 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 6.

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gans bzw. Organteils wahrnimmt und um diese Rechte gestritten wird. Die Situation liegt z. B. vor, wenn der Bürgermeister die sich aus seiner Organstellung ergebenden Organrechte gegenüber dem sie verletzenden Gemeinderat im Rahmen einer kommunalen Verfassungsorganstreitigkeit geltend macht. Die Organe handeln nämlich nicht zur Wahrnehmung ihrer privaten Rechte, sondern in Wahrnehmung innerorganschaftlicher Rechte (z. B. des Rechts, an Abstim41 mungen teilzunehmen). Hier ergibt sich seine Beteiligungsfähigkeit nach einer Ansicht aber analog § 61 Nr. 1 VwGO. Dasselbe gilt für ein einzelnes Gemeinderatsmitglied, das sich gegen seinen Sitzungsausschluss wendet.42 Beteiligter eines Organstreits kann jedes Organ, d. h. jeder Funktionsträger, innerhalb der öffentlichen Verwaltung sein, das mit eigenen Kompetenzen ausgestattet ist, die nicht zur Disposition eines anderen Beteiligten, d. h. Vorgesetzten, stehen.43 Auch § 61 Nr. 2 VwGO lässt sich nicht unmittelbar anwenden, denn Organe sind keine „Vereinigung“. Allerdings wird die Regelung auch auf innerorganschaftliche Streitigkeiten analog angewendet, weil darin ein allgemeiner Rechtsgedanke zum Ausdruck komme, wonach im Verwaltungsprozess beteiligtenfähig sei, wer Zuordnungssubjekt einzelner subjektiv-öffentlicher Rechte sein könne.44 Diese Lösung wird überwiegend vertreten.45 Die juristische Person selbst ist an dem Organstreit nicht beteiligt. Weder kann sie die Rolle des Klägers einnehmen; denn die Kompetenz- und Arbeitsteilung im Innenbereich umfasst notwendigerweise sämtliche Funktionen, ohne dass ein der – als solche im übrigen handlungsunfähigen – juristischen Person vorbehaltener Rest verbliebe. Noch kann sie Beklagter eines Organstreits sein; denn es fehlt ihr schon die passive Prozessführungsbefugnis und erst recht die Passivlegitimation.46

4. Rechtsnachfolge Als ungeklärt wurde zunächst das Schicksal des Organstreits bei personellem Wechsel in einem Organ angesehen.47 ___________ 41

Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 670. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 457. 43 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 44 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 671 m. w. N. 45 Nachweis bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 8. 46 OVG Münster, Urt. v. 12.11.1991, Az. 15 A 1046/90 = DVBl 1992, 444-448. 47 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 42

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Insbesondere im Kommunalrecht können diese Fragen inzwischen aber als geklärt angesehen werden. Eine Klägerin wurde als ehemalige Fraktion im Rat einer Gemeinde in entsprechender Anwendung von § 61 Nr. 1 und 2 VwGO als beteiligungsfähig angesehen.48 Zwar ist sie spätestens mit dem Ablauf des kommunalen Mandats ihrer Mitglieder nach einer kommunalen Neuwahl und dem daran anschließenden Zusammentritt des neugewählten Rates (§ 29 Abs. 2 GO NW), aufgelöst worden und seither als Trägerin körperschaftsinterner Mitwirkungsbefugnisse nicht mehr existent. Die erneute Konstituierung einer gleichnamigen Fraktion nach der Kommunalwahl hat darauf keinen Einfluss; denn diese Fraktion beruht auf einem neuen Errichtungsakt in Gestalt eines Vertrages ihrer Gründungsmitglieder und ist mit der Klägerin nicht identisch. Die Klägerin besteht jedoch in eingeschränktem Umfang insoweit fort, als sie mit dem Ziel der vollständigen Beendigung abgewickelt werden muss. Dieser Vorgang schließt entsprechend den zivilrechtlichen Bestimmungen über die vermögensrechtliche Liquidation aufgelöster Vereine und Gesellschaften (vgl. z. B. §§ 47 ff., §§ 730 ff. BGB, §§ 145 ff. HGB, §§ 264 ff. AktG, §§ 66 ff. GmbHG) auch die Geltendmachung und notfalls gerichtliche Durchsetzung von Forderungen von der Gemeinde ein, welche die Erstattung solcher Kosten betreffen, die ihnen aufgrund einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Organstreitigkeit entstanden sind. Auch das BVerwG hat insoweit entschieden, dass die Zulässigkeit der kommunalverfassungsrechtlichen Feststellungsklage um die Kompetenzen eines Jugendhilfeausschusses weder durch den Ablauf der Wahlperiode für die Vertretungskörperschaft noch durch die Änderung des einschlägigen Bundesgesetzes berührt worden sei. Zwar seien der Jugendhilfeausschuss und der Gemeinderat durch eine zwischenzeitliche Kommunalwahl neu besetzt worden. Damit seien aber die Beteiligten des Kommunalverfassungsstreits nicht untergegangen. Denn der im Parlamentsrecht geltende Grundsatz der Diskontinuität, der zum Verlust der Beteiligtenfähigkeit führen könnte, sei für den Rat der Gemeinden nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts für das betroffene Bundesland nicht anwendbar, weil er kein Parlament im eigentlichen Sinn sei.49

___________ 48 49

OVG Münster, Urt. v. 12.11.1991, Az. 15 A 1046/90 = DVBl 1992, 444-448. BVerwG, Urt. v. 15.12.1994, Az. 5 C 30.91 = BVerwGE 97, 223.

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5. Prozessfähigkeit (§ 62 VwGO) Die Fähigkeit zur Vornahme von Prozesshandlungen – Prozessfähigkeit – bestimmt sich nach § 62 VwGO.50 Für Vereinigungen sowie für Behörden handeln ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte. Für die Vertretungsbefugnis ist das jeweilige Organisationsrecht heranzuziehen.51

6. Statthafte Klageart In einem gewissen Maße umstritten ist weiterhin die Frage nach der Klageart in einem Organstreit.52 Letztlich richtet sie sich nach dem konkreten Begehren des Klägers.53 Verbreitet ist die Ansicht, wegen des besonderen Klageziels – der Wahrung der eigenen Kompetenz im Rahmen der Kompetenzordnung der jeweiligen Verwaltungsorgane – sei dies im Gegensatz zum üblichen Verwaltungsstreitverfahren die grundsätzlich subsidiäre Feststellungsklage (§ 43 VwGO).54 Nach § 43 Abs. 1 VwGO55 kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder ___________ 50

VwGO § 62: (1) Fähig zur Vornahme von Verfahrenshandlungen sind 1. die nach bürgerlichem Recht Geschäftsfähigen, 2. die nach bürgerlichem Recht in der Geschäftsfähigkeit Beschränkten, soweit sie durch Vorschriften des bürgerlichen oder öffentlichen Rechts für den Gegenstand des Verfahrens als geschäftsfähig anerkannt sind. (2) Betrifft ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuchs den Gegenstand des Verfahrens, so ist ein geschäftsfähiger Betreuter nur insoweit zur Vornahme von Verfahrenshandlungen fähig, als er nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts ohne Einwilligung des Betreuers handeln kann oder durch Vorschriften des öffentlichen Rechts als handlungsfähig anerkannt ist. (3) Für Vereinigungen sowie für Behörden handeln ihre gesetzlichen Vertreter, Vorstände oder besonders Beauftragte. (4) §§ 53 bis 58 der Zivilprozeßordnung gelten entsprechend. 51 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 9. 52 Nachweis bei Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 346 ff. 53 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 672. 54 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 55 VwGO § 43: (1) Durch Klage kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat (Feststellungsklage).

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Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses, das etwa zur Teilnahme an Ratssitzungen, zur ordnungsgemäßen Ladung oder zur Einräumung von Redezeit berechtigt, begehrt werden. Rechtsverhältnisse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO sind also die durch organschaftliche Befugnisse und Verpflichtungen gekennzeichneten Innenrechtsbeziehungen zwischen Organen und Organteilen juristischer Personen des öffentlichen Rechts.56 Wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit von § 43 VwGO braucht es nicht der Bildung einer Analogie zur Fortsetzungsfeststellungsklage57 nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO.58 Das BVerwG hat in die___________ (2) Die Feststellung kann nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts begehrt wird. 56 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 674. 57 Insoweit zutreffend die Kritik von Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 337 ff. an Ehlers, NVwZ 1990, 105 und Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 18, Rdnr. 67. 58 VwGO § 113: (1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. (2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben. (3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen. (4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

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sem Sinne von einer kommunalverfassungsrechtlichen Feststellungsklage gesprochen, die auf die Kontrolle der Handlung des kommunalen Rechtssetzungsorgans am Maßstab der kommunalverfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung gerichtet sei, aus welcher der klagende Jugendhilfeausschuss eigene, gegenüber der Satzungsgewalt des Gemeinderates wehrfähige Rechte ableite.59 Wo sich allerdings die Kompetenzverletzung in einem verwaltungsaktsähnlichen Eingriff manifestiere, könne in analoger Anwendung die Anfechtungs-, aber auch Verpflichtungs- oder Leistungsklage als Klageart dienen.60 In einer universitätsrechtlichen Organstreitigkeit ist die Beanstandung durch einen Universitätspräsidenten in der Beziehung zu den Organwaltern zwar nicht als Verwaltungsakt, gleichwohl aber eine kassatorische Gestaltungsklage als zulässige Klageart angesehen worden.61 Folgerichtig zur Verwaltungsaktsklage als richtiger Klageart kommt, wer sog. innerorganisatorische Akte, die zwischen kommunalen Verfassungsorganen bzw. deren Teilen getätigt werden und Regelungen in Bezug auf Organrechte bzw. Organwalterrechte treffen, als Verwaltungsakte ansieht. Für die Qualifizierung solcher Rechtshandlungen als Verwaltungsakte wird nicht zuletzt angeführt, dass die sich auf Organrechte beziehenden Regelungen aus Gründen der Rechtsicherheit bei ihrer Fehlerhaftigkeit materiellrechtlich wie Verwaltungsakte zu behandeln und damit grundsätzlich rechtswirksam seien.62 In Betracht kommen wird neben der Feststellungs- oder Gestaltungsklage aber auch die Leistungsklage, wenn es um hoheitliche Handlungen geht, die weder Verwaltungsakte noch Rechtsnormen sind. Geht man mit der h. M. davon aus, dass eine verbindliche Regelung, die ein Organ gegenüber einem anderen Organ oder Organteil derselben juristischen Person des öffentlichen Rechts vornimmt, selbst bei zielgerichtetem Eingriff in ein Organrecht keinen Verwaltungsakt darstellt, so kommt auch hier der Rechtsschutz über die allgemeine ___________ (5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. 59 BVerwG, Urt. v. 15.12.1994, Az. 5 C 30.91 = BVerwGE 97, 223; ebenso BVerwG, Beschl. v. 07.01.1994, Az. 7 B 224.93 = Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 128; ohne Einordnung in das System der Klagearten nach der VwGO allerdings BVerwG, Urt. v. 15.03.1989, Az. 7 C 10.88 = Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 56, in dem nur von kommunalverfassungsrechtlicher Streitigkeit die Rede ist. 60 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 61 VGH Kassel, Urt. v. 15.06.1984, Az. 6 OE 10/83 = WissR 1985, 96-99. 62 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 228; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 12.

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Leistungsklage in Betracht, die eine Feststellung des mit ihr geltend gemachten Anspruchs nach dem Subsidiaritätsgrundsatz gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausschließt.63 Auch die „kassatorische Leistungsklage“ ist für einschlägig gehalten worden, wenn es nämlich um die Aufhebung eines Beschlusses geht.64 Kein Bedürfnis besteht bei sog. Innenrechtsstreitigkeiten wie z. B. dem kommunalen Verfassungsstreit nach einer besonderen Klageart „sui generis“.65 Ungeachtet des Meinungsstreits über die „richtige Klageart“ wird jedenfalls das der VwGO bekannte Angebot von Anfechtungs- bzw. Leistungsklage oder Feststellungsklage für ausreichend gehalten.66

7. Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO) Das Erfordernis der Klagebefugnis – entweder aus § 42 Abs. 2 VwGO direkt oder analog – hängt von der in Betracht kommenden Klageart ab. Bei allgemeinen Feststellungsklagen (§ 43 VwGO) findet in aller Regel § 42 Abs. 2 VwGO keine Anwendung. Hinsichtlich der Klagebefugnis gilt dann, dass an die Stelle der sonst geforderten Verletzung eines subjektiven Rechts (§ 42 Abs. 2 VwGO) die Verletzung einer rechtlich verliehenen Kompetenz tritt. Die geltend gemachte Verletzung von eigenen Mitgliedschaftsrechten darf nicht ausgeschlossen erscheinen.67 Damit lässt sich auch die Fehlentwicklung in Richtung auf eine Popularklage vermeiden.68 Es mag dahinstehen, ob die mögliche Verletzung von Mitgliedschaftsrechten als eigene Voraussetzung innerhalb der Organfeststellungsklage nach Art eines berechtigten Interesses des Klägers gilt oder doch aus einer Analogie zu § 42 Abs. 2 VwGO abgeleitet wird.69 Dementsprechend wurde Mitgliedern des Krankenhausgremiums „Ärztlicher Vorstand“ gegen die Berufung eines Fachabteilungsleiters zum Ärztlichen Di___________ 63

Als Beispiel wird die Klage auf Rückgängigmachung des Ausschlusses eines Gemeinderatsmitgliedes von zukünftigen Sitzungen durch den Bürgermeister genannt (Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 346); vgl. auch Würtenberger, Verwaltngsprozessrecht, Rdnr. 673. 64 Nachweis bei Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 13. 65 Vgl. Nachweise bei Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 675. 66 Nachweis bei Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 432; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 13, Rdnr. 12 und § 21, Rdnr. 16. 67 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 681. 68 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 69 Vgl. dazu Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 684; für das Erfordernis einer Klagebefugnis Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 17.

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rektor kein Klagerecht zugesprochen, weil sie hierdurch regelmäßig nicht in eigenen Rechten betroffen werden.70 Ebenso wurde ausgesprochen, dass in einem von einzelnen Organwaltern eines Kollegialorgans der Hochschule – hier: Mitgliedern eines Fachbereichsrates – gegen den Universitätspräsidenten geführten Verwaltungsstreitverfahren diese nicht geltend machen können, in ihren Rechten dadurch verletzt zu sein, dass der Universitätspräsident eine Wahlentscheidung des Fachbereichsrats gemäß § 10 Abs 5 UniG Hessen 1978 beanstandet.71 Nach einer anderen Entscheidung verfolgt ein Hochschulprofessor mit der Klage gegen einen Beschluss des Fachbereichsrates zur Bestellung weiterer Professoren als Prüfer keine ihm als natürliche Person zustehende subjektiven (Außen-)Rechte, sondern innerorganisatorische Kompetenzen. Derartige Klagen sind entsprechend den auch für Streitverfahren im Außenrechtsverhältnis geltenden Erfordernissen des § 42 Abs. 2 VwGO nur zulässig, wenn die Existenz des vom Kläger in Anspruch genommenen Mitgliedschaftsrechtes nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise auszuschließen ist. Derartige Mitgliedschaftsrechte wurden im zu entscheidenden Fall verneint. Eine Verletzung subjektiver (Außen-)Rechte des Klägers könne eine Klagebefugnis nicht begründen. Das gilt namentlich für eine etwaige Verletzung des dem Kläger in seiner Eigenschaft als Hochschullehrer zustehenden Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG72). Denn daraus herzuleitende Abwehrrechte stünden dem Kläger nicht in der hier beanspruchten Position als Inhaber körperschaftsinterner Kompetenzen zu. Unerheblich ist schließlich auch, ob der von ihm angegriffene organschaftliche Beschluss wegen der Verletzung objektiven Rechts rechtswidrig sein könnte. Denn eine darauf beschränkte Feststellung ist auch im Organstreitverfahren ausgeschlossen.73 Nach der Rechtsprechung des BVerwG74 kommen Rechtsverletzungen im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO regelmäßig allerdings dann nicht in Betracht, wenn Behörden desselben Rechtsträgers nach dem einschlägigen Organisations___________ 70

OVG Koblenz, Urt. v. 17.02.1981, Az. 7 A 15/80 = AS RP-SL 16, 336-342. VGH Kassel, Urt. v. 15.06.1984, Az. 6 OE 10/83 = WissR 1985, 96-99. 72 GG Art. 5: (1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt. (2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. (3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung. 73 OVG Münster, Urt. v. 09.12.1988, Az. 15 A 271/86 = NWVBl 1990, 11-12. 74 BVerwG, Urt. v. 21.06.1974, Az. IV C 17.72 = BVerwGE 45, 207. 71

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und Verwaltungsverfahrensrecht im Verhältnis von Ausgangs- und Widerspruchsbehörde zueinander stehen: In Angelegenheiten des übertragenen Wirkungskreises hat die Ausgangsbehörde die Widerspruchsentscheidung einer derselben Körperschaft angehörenden Behörde in gleicher Weise hinzunehmen wie die Entscheidung der Widerspruchsbehörde, die bei einem anderen – übergeordneten – Rechtsträger gebildet ist.75 Nicht anders ist es, wenn die Widerspruchsbehörde zuständigerweise einen Verwaltungsakt kontrolliert, den die Ausgangsbehörde im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung erlassen hat. 76 Das folgt schon aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO , wonach als Anfechtungsgegenstand der ursprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid eine Einheit bilden. Dasselbe ergibt sich auch aus Sinn und Zweck des Widerspruchsverfahrens: Der Kontroll- und Korrekturfunktion der insoweit funktionell übergeordneten Widerspruchsbehörde würde es grundsätzlich zuwiderlaufen, wenn die Ausgangsbehörde ihr missliebige Widerspruchsentscheidungen anfechten könnte.77 Die einem anderen Rechtsträger angehörende Widerspruchsbehörde allerdings kann durch den Widerspruchsbescheid Rechte des Rechtsträgers der Ausgangsbehörde verletzen, so insbesondere, wenn die Gemeinde durch einen Widerspruchsbescheid der Aufsichtsbehörde in ihrem Selbstverwaltungsrecht verletzt wird.78 Gehören aber Ausgangsbehörde und Widerspruchsbehörde derselben Gemeinde (oder demselben Gemeindeverband) an, so kann die letztere, jedenfalls solange sie sich im Rahmen ihrer Zuständigkeit hält, nicht Rechte ihrer eigenen Körperschaft verletzen. Klagbare verletzte Rechte können sich nur aus der für die Stellung des Organs maßgeblichen körperschaftlichen Verfassung und nicht aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben. Dementsprechend hat das BVerwG die Frage ver___________ 75

Vgl. BVerwG, Urt. v. 11.03.1970, Az. IV C 59.67 = DÖV 1970, 605. VwGO § 79: (1) Gegenstand der Anfechtungsklage ist 1. der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, 2. der Abhilfebescheid oder Widerspruchsbescheid, wenn dieser erstmalig eine Beschwer enthält. (2) Der Widerspruchsbescheid kann auch dann alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein, wenn und soweit er gegenüber dem ursprünglichen Verwaltungsakt eine zusätzliche selbständige Beschwer enthält. Als eine zusätzliche Beschwer gilt auch die Verletzung einer wesentlichen Verfahrensvorschrift, sofern der Widerspruchsbescheid auf dieser Verletzung beruht. § 78 Abs. 2 gilt entsprechend. 77 Vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 06.10.1955, Az. III ZR 56/54 = MDR 1956, 410 (412). 78 BVerwG, Urt. v. 09.07.1964, Az. VIII C 29.63 = BVerwGE 19, 121; s. ferner BVerwGE 6, 19; 17, 87; 31, 263. 76

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neint, ob Fraktionen oder Ratsmitglieder kraft des Demokratieprinzips zur Klage gegen Entscheidungen von Gemeindeorganen befugt seien, die in eine Ratszuständigkeit eingriffen.79 Aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG i.V.m. dem Demokratieprinzip lasse sich nicht herleiten, dass Ratsmitglieder einzeln oder gemeinschaftlich als Fraktion befugt seien, sich im Klagewege gegen Eingriffe anderer Gemeindeorgane in Zuständigkeiten des Rates zur Wehr zu setzen. Soweit dem Demokratieprinzip überhaupt Einschlägiges in bezug auf die Abwehr derartiger Eingriffe zu entnehmen sein solle, sei ihm jedenfalls bereits dadurch genügt, dass dem Rat ein solches Klagerecht zukomme und die staatliche Kommunalaufsicht darüber wache, dass die innergemeindliche Kompetenzordnung nicht verletzt werde. Daher könnten sich Ratsmitglieder einzeln oder als Fraktionsgemeinschaft im Wege der Klage nur dagegen wehren, dass sie an Ratsentscheidungen nicht nach Maßgabe der einschlägigen landesrechtlichen Regelungen beteiligt worden seien. Sie könnten sich dagegen nicht auf diese Weise unter Berufung auf das Demokratieprinzip gegen die Verletzung von Kompetenzen wenden, die allein dem Rat als Gemeindeorgan zustünden.80 Eine solche Klagebefugnis bestehe vielmehr nur nach Maßgabe einer einschlägigen landesrechtlichen Vorschrift.

8. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis Das Vorliegen eines allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses verlangt, dass das Organ auf den Rechtsschutz durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit angewiesen ist und kein leichterer Weg zur Rechtsverfolgung zur Verfügung steht.81 Besondere Anforderungen an das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, die über jene der Klagebefugnis hinausgehen, sind unter den Sachurteilsvoraussetzungen im Organstreitverfahren nicht zu erblicken. Zu verneinen ist das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Kläger sein angestrebtes Klageziel auf anderem Wege einfacher, besser oder billiger erreichen kann, beispielsweise durch einfachen Antrag im Gemeinderat oder einen Einspruch gegen dessen Entscheidung.82 Bei Organstreitverfahren lässt sich insoweit typischerweise an die Möglichkeit des Eingreifens einer Aufsichtsbehörde – anstelle eines Rechtsstreits – denken. Allerdings liegt darin im allgemeinen kein vergleichbar tragfähiges Hilfsmittel für das klagende Organ, weil oftmals der Aufsichtsbehörde für ihre Handlungsbefugnis ein Ermessen eingeräumt ist und er sich nicht auf einen Weg mit unge___________ 79 BVerwG, Beschl. v. 07.01.1994, Az. 7 B 224.93 = Buchholz 415.1 AllgKommR Nr. 128. 80 BVerfG, Beschl. v. 22.12.1992, Az. 2 BvQ 14/91 = BVerfGE 88, 63 (68 f.). 81 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 25. 82 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 25.

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wissem Ziel verweisen lassen muss.83 Es fehlt also regelmäßig dem Organ an einem subjektiven Recht auf Beilegung des Organstreits durch eine übergeordnete Verwaltungsinstanz. Mit der Anerkennung von Organrechten als subjektive Rechte trifft der Gesetzgeber hingegen zugleich eine Entscheidung für deren prinzipielle gerichtliche Durchsetzbarkeit.84

9. Klagegegner Bei Organstreitverfahren gilt nicht das Rechtsträgerprinzip,85 da es in der Sache um einen Streit zwischen den Organen eines Rechtsträgers oder sogar innerhalb ein- und desselben Organs geht.86 Derartige Klagen sind gegen den intrapersonalen Funktionsträger zu richten, gegenüber dem die mit der Organklage beanspruchte Innenrechtsposition bestehen soll (hier: Hauptausschuss der Gemeinde),87 und zwar gegen das Organ selbst oder den Vorsitzenden des Organs, dessen Maßnahme in die Mitgliedschaftsrechte des Klägers eingegriffen hat.88 Die – beide streitenden Organe umschließende – juristische Person selbst ist nicht passiv prozessführungsbefugt.89

10. Kostentragung Die gerichtliche Kostenentscheidung richtet sich nach §§ 154 ff. VwGO.90 Die Kosten des Rechtsstreits fallen nicht dem Organ, sondern dem Organträger zur Last.91 Die Organe haben nämlich auch in ihrer Prozessführung als Organe ___________ 83

Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 685. Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 592. 85 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 686. 86 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 21, Rdnr. 10. 87 OVG Münster, Urt. v. 26.04.1989, Az. 15 A 650/87 = NWVBl 1989, 402-405. 88 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 686. 89 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 555a. 90 VwGO § 154: (1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt. (4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind. 91 Püttner, Organstreitverfahren, in: Dokumentation zum Sechsten Deutschen Verwaltungsrichtertag 1980, S. 129. 84

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der juristischen Person gehandelt. Dies ist inzwischen in der Rechtsprechung und Literatur herrschende Meinung.92 Das OVG Saarlouis hat den Grundsatz aufgestellt, dass die durch eine Organstreitigkeit entstandenen Aufwendungen eines kommunalen Funktionsträgers einschließlich der notwendigen Kosten für eine anwaltliche Vertretung im Ergebnis von der Gemeinde zu tragen seien.93 Es hat dies hergeleitet aus der Überlegung, dass der kommunale Funktionsträger auch mit der Prozessführung eine Aufgabe der Gemeinde wahrnehme, die deshalb die Kosten tragen müsse. Eine Kostenerstattungspflicht der Gemeinde sei nur dann nicht gegeben, wenn das Verfahren „mutwillig aus sachfremden Gründen“ in Gang gesetzt worden sei. Dieser Rechtsprechung gefolgt sind insbesondere der VGH Mannheim94 und das OVG Koblenz.95 Das erstgenannte Gericht hat eine grundsätzliche Kostentragungspflicht der Hochschule und des Studentenwerks nach einem Organstreit zwischen deren Funktionsträgern bejaht. Habe der Kläger aber über seinen körperschaftsinternen Funktionsbereich hinausgegriffen, weil er keine eigene organschaftliche Rechtsposition geltend gemacht habe, so sei ein Erstattungsanspruch ausgeschlossen. Das OVG Koblenz geht aus von einem allgemeinen staatsrechtlichen Grundsatz, „dass jede öffentlich-rechtliche Körperschaft die Ausgaben zu tragen hat, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch ihre Organe ergeben“. Ein Erstattungsanspruch setze deshalb voraus, dass der im Organstreit unterlegene Funktionsträger organschaftliche Befugnisse verfolgt habe; eine Geltendmachung subjektiver, im Außenrechtsbereich angesiedelter Rechte genüge nicht. Schließlich hat auch das OVG Bremen96 sich der Auffassung angeschlossen, dass die Kosten einer kommunalen Verfassungsstreitigkeit letztlich von der Gemeinde zu tragen seien, sofern der Streit nicht „ohne vernünftigen Grund“ anhängig gemacht worden sei. Dieses Gericht geht allerdings nicht von einem nachträglich, d. h. nach Abschluss des Organstreits geltend zu machenden Erstattungsanspruch aus, der dem unterlegenen Beteiligten gegenüber der Körperschaft zusteht. Es hält es anscheinend vielmehr für möglich, die Kosten des Organstreits bereits in der diesen Streit abschließenden Entscheidung der Gemeinde aufzuerlegen. Die dargestellte obergerichtliche ___________ 92

Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 687. Vgl. OVG Saarlouis, Beschl. v. 05.10.1981, Az. 3 R 87/80 = NVwZ 1982, 140, und dessen dort wiedergegebenes Urt. v. 06.12.1978, Az. III R 123/78. 94 Vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 03.11.1981, Az. 9 S 702/81 = DÖV 1982, 84, Beschl. v. 17.09.1984, Az. 9 S 1076/84 = NVwZ 1985, 284, sowie Urt. v. 21.10.1987, Az. 9 S 2920/85 = KMK-HSchR 1988, 124 (129). 95 Vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 19.05.1987, Az. 7 A 90/86 = DÖV 1988, 40. 96 Vgl. OVG Bremen, Beschl. v. 31.03.1990, Az. 1 B 18 u. 21/90 = NVwZ 1990, 1195 (1197). 93

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Rechtsprechung entspricht auch der im Schrifttum vorherrschenden Auffassung.97 Das OVG Münster98 hat dieser Rechtsprechung zugestimmt. Es sieht die Rechtsgrundlage für die grundsätzliche Kostentragungspflicht der Körperschaft nach einer organisationsinternen Auseinandersetzung in einem öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch des mit Kosten belasteten Funktionsträgers. Dieser Anspruch hat im Allgemeinen zur Voraussetzung, dass es zu einer der materiellen Rechtsordnung widersprechenden Vermögensverschiebung zugunsten des Beklagten und zu Lasten des jeweiligen Klägers gekommen ist. Die in einem solchen Fall grundsätzlich bestehende Ausgleichspflicht entspricht der Forderung nach wiederherstellender Gerechtigkeit und hat im öffentlichen Recht, soweit ausdrückliche gesetzliche Regelungen fehlen, zur Anerkennung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs als eines eigenständigen Rechtsinstituts geführt. Kommunalverfassungsrechtliche und sonstige organisationsinterne Auseinandersetzungen der mit organschaftlichen Befugnissen betrauten Funktionsträger führen, soweit sie überhaupt Kosten verursachen, regelmäßig zu einer ausgleichsbedürftigen Vermögenslage. Ein verwaltungsgerichtlicher Organstreit kann deshalb, soll er nicht schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt sein, nur zwischen den Funktionsträgern der juristischen Person stattfinden. Eine theoretisch denkbare, dem Organstreit indes wesensfremde Beiladung der juristischen Person würde zu keiner sachangemessenen Lösung der Kostenfrage führen. Denn selbst eine bloße Beteiligung der juristischen Person an den Kosten des Rechtsstreits, die eine Kostenbelastung auch eines ihrer Funktionsträger nicht erübrigen würde, wäre von einer Antragstellung abhängig (§ 154 Abs. 3 VwGO) und damit letztlich in deren Dispositionsfreiheit gestellt. Allerdings bestehen zwei bedeutsame Grenzen dieses Kostenerstattungsanspruches.99 Es muss zunächst bei der Auseinandersetzung überhaupt um die Verteidigung innerorganisatorischer Kompetenzen gegangen sein. Die Verfolgung subjektiver Rechte, die dem Kläger als Person zustehen, genügt ebensowenig wie die Geltendmachung einer bloß objektiven Rechtswidrigkeit der im Einzelfall angegriffenen Handlung oder Unterlassung. Im erstgenannten Fall hat der Kläger nicht im gemeindlichen, sondern im eigenen Interesse gehandelt; die einen Erstattungsanspruch auslösende Inkongruenz zwischen Kostenlast und Verantwortungsbereich liegt also nicht vor. Im zweiten Fall hat der Kläger die ihm körperschaftsintern zugewiesenen Kompetenzen schon im Ansatz über___________ 97 Vgl. Hoppe, Organstreitigkeiten vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten, 1970, S. 232; von Loebell, GO NW, 4. Aufl., Stand Juli 1991, § 30, Anm. 10; Kottenberg/Rehn/Cronauge, GO NW, 10. Aufl., Stand November 1990, § 27, Anm. II 4; Gern, VBlBW 1989, 449 (452). 98 OVG Münster, Urt. v. 12.11.1991, Az. 15 A 1046/90 = DVBl 1992, 444-448. 99 OVG Münster, Urt. v. 12.11.1991, Az. 15 A 1046/90 = DVBl 1992, 444-448.

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schritten, denn die Überwachung der objektiven Rechtmäßigkeit der Gemeindeverwaltung ist nicht seine Aufgabe. Der Kostenerstattungsanspruch darf allerdings nicht abhängig gemacht werden davon, dass die im Einzelfall verfolgten körperschaftsinternen Befugnisse tatsächlich bestanden haben bzw. tatsächlich verletzt worden sind. Es genügt vielmehr, dass der Kläger solches schlüssig, wenn auch im Ergebnis ohne Erfolg, geltend gemacht hat. Der Gefahr eines möglichen Missbrauchs wird durch die zweite Grenze des Kostenerstattungsanspruchs begegnet. Da der Funktionsträger seine Innenrechtsbefugnisse nicht um seiner selbst willen, sondern im Fremdinteresse der Gemeinde ausübt, ist er bei deren Durchsetzung zur Rücksichtnahme und Treue gegenüber der Gemeinde verpflichtet. Handelt er dieser Pflicht zuwider, indem er eine gerichtliche oder auch außergerichtliche Auseinandersetzung um seine Befugnisse ohne vernünftigen Anlass führt, so kann er die ihm entstandenen Aufwendungen nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben nicht ersetzt verlangen. Wann diese Grenze überschritten ist, stellt sich dar als eine Frage des Einzelfalls, die nicht weiter verallgemeinerungsfähig ist.

11. Einstweiliger Rechtsschutz Die Art des einstweiligen Rechtsschutzes hängt von der für zulässig gehaltenen Art des Rechtsschutzes respektive der Klageart in der Hauptsache ab. Soweit mit der überwiegenden Meinung die Anfechtungsklage nicht für zulässig erachtet wird, kommt somit nur eine Form der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO100 in Betracht.101 ___________ 100

VwGO § 123: (1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. (2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden. (3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend. (4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß. (5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a. 101 Würtenberger, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 688.

Verwaltungsrechtliche Organstreitigkeiten in Deutschland

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12. Begründetheit Die Begründetheit der Organklage richtet sich nach den allgemeinen Anforderungen. Soweit sie als Feststellungsklage geführt wird, ist sie dementsprechend begründet, wenn das behauptete Rechtsverhältnis besteht oder – im Falle der negativen Feststellungsklage – nicht besteht.102 Da es sich im Streitfall häufig nicht um das generelle Rechtsverhältnis eines Abgeordneten, Ratsmitgliedes o.ä. handelt, sondern einen Teilaspekt davon, ist mitunter auch davon die Rede, das Organrecht des Klägers – vergleichbar § 113 Abs. 1 bzw. Abs. 5 VwGO – müsse verletzt sein.103 Soweit hingegen der allgemeinen Leistungsklage der Vorzug gegeben wird, geht der Anspruch auf die Beseitigung der fortdauernden Verletzung des Organrechts und ist aus dessen subjektiver Rechtsqualität ableitbar.104

IV. Schlussbemerkung Organstreitigkeiten nehmen einen festen Platz unter den Verwaltungsgerichtsverfahren ein. Dabei betreffen die Verfahren Organe kommunaler Selbstverwaltungseinrichtungen ebenso wie diejenigen von Hochschulen, Industrieund Handelskammern oder berufsständische Einrichtungen. Der vorhandene Formenreichtum an Sachurteilsvoraussetzungen in der Verwaltungsprozessordnung, insbesondere an Klagearten, reicht aus, den besonderen Anforderungen zu genügen, die vom Streit unter Organen öffentlichrechtlicher juristischer Personen ausgehen. Im Nachhinein hat es sich als am langwierigsten herausgestellt, die Nachwirkungen der aus der Zeit des Konstitutionalismus stammenden Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis und ihrer Impermeabilität durch Rechtsprechungsakte zu überwinden. Das Ausmaß der klagbaren Rechte bestimmt sich nach den materiellrechtlichen Vorgaben der jeweiligen Verfassung der juristischen Person. Insbesondere in Fällen der sog. funktionalen Selbstverwaltung leiten sich die Befugnisse der Organe nicht aus ihrer Stellung im allgemeinen demokratischen System, sondern ausschließlich aus den ihnen verliehenen Sonderrechten durch die Verbandsverfassung ab.

___________ 102

Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 870. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 29, Rdnr. 5. 104 Schenke, Verwaltungsprozessrecht, Rdnr. 867. 103

Autorenverzeichnis Cho, Hong Suck, Dr. iur., Professor an der Kyungpook-Universität; Kyungpook National University, 1370 Sankyuk-Dong, Buk-Gu, Daegu 702-701, Republik Korea Graulich, Kurt, Dr. iur., Richter am Bundesverwaltungsgericht; Bundesverwaltungsgericht, Postfach 10 08 54, 04008 Leipzig, Deutschland Kang, Hyun Ho, Dr. iur., Professor an der Sungkyunkwan-Universität; Sungkyunkwan University, 53 Myeongnyun-Dong Chongro 3-Ga, Jongno-Gu, Seoul 110-745, Republik Korea Kim, Choon Hwan, Dr. iur., Professor an der Chosun-Universität; Chosun University, Law School, 375 Susuk-Dong, Dong-Gu, Gwangju 501-759, Republik Korea Kim, Hae Ryoung, Dr. iur., Professor an der Hankook-Universität; Hankook University of Foreign Studies, 270 Imun-Dong, Dongdaemun-Gu, Seoul, Republik Korea Kim, Hee Gon, Dr. iur., Professor an der Woosuk-Universität; Woosuk University, 490 Hujeong-Ri, Samnye-Eup, Wanju-Gun, Jeonbuk-Do 565-701, Republik Korea Laubinger, Hans-Werner, Dr. iur., M.C.L., Professor an der Universität Mainz; Johannes-Gutenberg-Universität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Jakob-Welder-Weg 9, 55099 Mainz, Deutschland Ruthig, Josef, Dr. iur., Professor an der Universität Mainz; Johannes-GutenbergUniversität, Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, Jakob-Welder-Weg 9, 55099 Mainz, Deutschland Ryu, Jee Tai, Dr. iur., Professor an der Korea-Universität; Korea University, College of Law, Anam-Dong 5 Ka-1, Seoungbuk-Gu, Seoul 136-701, Republik Korea Schenke, Wolf-Rüdiger, Dr. iur., Professor an der Universität Mannheim; Universität Mannheim, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Schloss, Westflügel, 68131 Mannheim, Deutschland Seok, Jong Hyun, Dr. iur., Dr. rer. publ., Professor an der Dankook-Universität; Dankook University, 8 Hannam-Dong, Yongsan-Gu, Seoul 140-714, Republik Korea Song, Dong Soo, Dr. iur., Professor an der Dankook-Universität; Dankook University, San 29 Anseo-Dong, Cheonan Si, Chungnam 330-714, Republik Korea Würtenberger, Thomas, Dr. iur., Professor an der Universität Freiburg; Albert-LudwigsUniversität, Institut für Öffentliches Recht, 79085 Freiburg, Deutschland