Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft 9783110269345, 9783110269260

The closed corporation is the most important economic form of business organization worldwide; however, it is often negl

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German Pages 248 Year 2012

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Table of contents :
§ 1 Problemstellung und Zielsetzung
§ 2 Analytischer Rahmen
A. Geschlossene Kapitalgesellschaften
B. Typen von (Interessen-)Konflikten
I. Gesellschafter – Geschäftsleiter
II. Gesellschafter – Gesellschafter
III. Gesellschafter – Dritte (insbesondere Gläubiger)
C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen
I. Regelungsziel
II. Regelungsinhalte
1. Förderung privatautonomer Gestaltungen
2. Replizierung hypothetischer Verhandlungslösungen
III. Regelungsformen
1. Zwingende, dispositive und ermöglichende Regeln
2. Regeln und Prinzipien
3. Regeln und Standards
4. Regelungsaufträge
5. Mustersatzungen
D. Ergebnisse
§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften
A. Problemaufriss
I. Binnenkonflikte als Kardinalproblem geschlossener Kapitalgesellschaften
II. Binnenkonflikte als Achillesferse personalistischer Gesellschaften
III. Binnenkonflikte als rechtsvergleichende Forschungslücke bei kapitalmarktfernen Gesellschaften
B. Schutz der Gesellschafterminderheit vor opportunistischem Verhalten des Mehrheitsgesellschafters
I. Strukturelle Gefahren für Minderheitsgesellschafter
1. Mehrheitsprinzip bei Gesellschafterbeschlüssen
2. Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis
3. Stabile Mehrheitsverhältnisse
4. Kein liquider Sekundärmarkt für Gesellschaftsanteile
5. Kein zuverlässiger Wertmesser für Gesellschaftsbeteiligungen
6. Eingeschränkte Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik
II. Typologie minderheitsschädigender Verhaltensweisen
1. Unausgewogene Drittgeschäfte mit der Gesellschaft
2. Überhöhtes Geschäftsführergehalt
3. Aneignung von Geschäftschancen und Gesellschaftsressourcen
4. Übermäßige Gewinnthesaurierung
5. Kündigung von mitarbeitenden Minderheitsgesellschaftern
6. Rückerwerb der Geschäftsanteile vom Mehrheitsgesellschafter
7. Ausschluss der Minderheitsgesellschafter von Kapitalerhöhungen
8. Verschweigen vermögensrelevanter Informationen
III. Möglichkeiten und Grenzen des Selbstschutzes
1. Selbstschutz durch vertragliche oder gesetzliche Vetopositionen
2. Ergänzender Minderheitenschutz durch Gesetzes- oder Richterrecht
3. Unverzichtbare Mitgliedsrechte und unabdingbare Verhaltensstandards
IV. Gesetzliche und höchstrichterliche Verhaltensmaßstäbe
1. Verhaltensstandards für Mehrheitsgesellschafter
2. Verhaltensstandards für Geschäftsführer
3. Verhaltensstandards für die Gesellschaft und ihre Organe
4. Kontrollmechanismen bei Interessenkonflikten
V. Rechtsbehelfe des Minderheitsgesellschafters
1. Minderheitsschutz durch Klagerechte
2. Minderheitsschutz durch Lösungsrechte
VI. Informations- und Prüfungsrechte des Minderheitsgesellschafters
VII. Außergerichtliche Streitbeilegung
1. Schiedsgerichtsbarkeit
2. Mediation
C. Schutz der Gesellschaftermehrheit vor opportunistischem Verhalten von Minderheitsgesellschaftern
I. Das Problem des ex-post-Opportunismus von Minderheitsgesellschaftern
II. Gesetzliche oder richterrechtliche Rechtsbehelfe
1. Verhaltensstandards für Minderheitsgesellschafter
2. Geeignete Sanktionen beim Stimmrechtsmissbrauch
III. Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern
1. Ausschluss aus wichtigem Grund
2. Squeeze-out-Regelung
D. Auflösung von Pattsituationen auf Gesellschafterebene
I. Das Problem der Selbstblockade
II. Privatautonome Schutzvorkehrungen
III. Konfliktlösungen durch Gesetzes- oder Richterrecht
E. Ergebnisse
§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft
A. Funktionen der Geschäftsleitung
I. Handlungsorgan
II. Delegation
III. Wahrung der Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten
1. Konkrete Verhaltenspflichten
2. Regelungsrahmen außerhalb konkreter Verhaltenspflichten
IV. Zwischenergebnis
B. Einzelne Regelungsfragen
I. Stellung in der Organisationsverfassung
1. Geschäftsleitung als zwingendes Handlungsorgan
2. Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsleitung und Gesellschaftern
II. Kontrolle der Geschäftsleiter
1. Konkrete Verhaltenspflichten
2. Bestellung und Abberufung der Geschäftsleiter
3. Information der Gesellschafter oder eines Aufsichtsorgans
4. Vergütung und andere Zuwendungen zur Verhaltenssteuerung
5. Vermeidung von Interessenkonflikten
III. Sanktionen
1. Sanktionsmittel
2. Adressaten
3. Geltendmachung
4. Regelung in der Satzung
C. Ergebnisse
§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft
A. Die beschränkte Haftung – Privileg oder Ausdruck der Privatautonomie
I. Die Haftungsbeschränkung – nicht Wesensmerkmal, sondern rechtspolitisches Gestaltungselement
II. Die Funktion der Haftungsbeschränkung in der geschlossenen Kapitalgesellschaft
III. Die Haftungsbeschränkung – ein „Privileg“?
IV. Die Haftungsbeschränkung als Gegenstand der Privatautonomie
B. Die Funktion der Regeln zur Bildung eines Sondervermögens und zur Haftungsbeschränkung für verschiedene Gläubigergruppen
I. Adjusting und Non-Adjusting Creditors
II. Das Zurechnungsproblem bei Deliktsgläubigern
C. Vertragliche Gläubiger
I. Regelungsziele
II. Zentrale Fragestellungen
III. Die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen
1. Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand
2. Umfang des Unternehmensvermögens
3. Laufende Geschäftsführung
D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger
I. Der verfahrenseinleitende Tatbestand
II. Insolvenzantragsrecht
III. Insolvenzantragspflicht
IV. Eigenverwaltung oder Fremdverwaltung
E. Haftung der Gesellschafter
I. Haftung für Eingriffe in die Geschäftsführung
II. Haftung für Insolvenzverschleppung
F. Verlagerungen zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen
I. Die allgemeine Grenze der Auszahlungen
II. Dividenden: Gutglaubensschutz
III. Verdeckte Vermögensverlagerungen
IV. Weitergehende eigennützige Maßnahmen
G. Informationspflichten gegenüber Gläubigern
I. Pflichtpublizität der Kapitalgesellschaft
1. Tatbestand
2. Haftung
II. Offenlegung einer wirtschaftlichen Notlage
H. Kapital
I. Einleitung
II. Mindestkapital
III. Statutarisches Kapital
1. Das satzungsmäßige Kapital als kollektive Haftungszusage
2. Die Differenzierung zwischen Haftungskapital und Betriebskapital
IV. Gesellschafterdarlehen
I. Ergebnisse
§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung
A. Errichtung
I. Bestehende Modelle
II. Regelungsziele
III. Prüfungsinstanz und Registerführung
IV. Errichtungsverfahren
B. Führung
C. Anteilsübertragung
I. Bestehende Modelle
II. Regelungsziele
III. Übertragungstatbestand
IV. Übertragungsbeschränkungen
D. Ergebnisse
§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft
A. Warum eine supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft?
I. Ausgangspunkt: Das Problem multipler Regelgeber
II. Der „Mehrwert“ einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft
1. Die Debatte um Pro und Contra einer SPE
2. Die Evaluation der SE
3. Was soll der Europäische Gesetzgeber tun?
B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft
I. „Klassische“ Funktion: Grenzüberschreitendes Vehikel
1. Mobilität (Sitzverlegung, grenzüberschreitende Verschmelzung)
2. Uniformität (Konzerntochter)
3. Zusammenfassung
II. Die moderne Funktion: Erweiterung des Rechtsformangebots
1. Leistung
2. Probleme
3. Funktionsbedingungen eines Rechtsformwettbewerbs
4. Regulatorische Konsequenzen
5. Zusammenfassung
III. Sonstige Funktionen
IV. Zwischenfazit
C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen
I. Die Regelsetzungskompetenz
1. Kompetenztitel
2. Subsidiaritätsprinzip
II. Zugangsbeschränkungen
1. Notwendigkeit von Zugangshürden?
2. Modelle der Zugangsrestriktion
III. Kompromisslösungen
1. Kompromisszwang
2. Kompromisstechniken
3. Kompromissgegenstände
IV. Lückenschluss und Normkonkretisierung
1. Das Lückenproblem
2. Lückenschlusstechniken
V. Die EU als guter Regelsetzer?
D. Ergebnisse
Register
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Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft
 9783110269345, 9783110269260

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Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft ZGR-Sonderheft 18

Begründet von Marcus Lutter und Herbert Wiedemann Herausgegeben von Holger Fleischer, Wulf Goette, Heribert Hirte, Peter Hommelhoff, Klaus J. Hopt, Gerd Krieger, Hanno Merkt, Hans-Joachim Priester, Marc Philippe Weller

Sonderheft 18

De Gruyter

Gregor Bachmann, Horst Eidenmüller, Andreas Engert, Holger Fleischer, Wolfgang Schön

De Gruyter

Prof. Dr. Gregor Bachmann, LL.M. (Michigan), Freie Universität Berlin Prof. Dr. Horst Eidenmüller, LL.M. (Cambridge), Ludwig-MaximiliansUniversität München Prof. Dr. Andreas Engert, LL.M. (Chicago), Universität Mannheim Prof. Dr. Holger Fleischer, LL.M. (Michigan), Dipl.-Kfm., Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön, Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen, München

Zitiervorschlag: Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012

ISBN 978-3-11-026926-0 e-ISBN 978-3-11-026934-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Datenkonvertierung/Satz: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Kleine und mittlere Unternehmen* (KMU) bilden das Rückgrat der Volkswirtschaften Europas. Über 99 % aller europäischen Unternehmen sind KMU. Sie beschäftigen mehr als 65 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, und sie erwirtschaften mehr als 60 % des Bruttosozialproduktes in der Europäischen Union (EU). Die bevorzugte Rechtsform für KMU ist die geschlossene Kapitalgesellschaft. Sie bietet den Gesellschaftern eine auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung und schützt diese damit vor existenzgefährdenden unternehmerischen Risiken. Der Gesellschafterkreis ist beschränkt und im Zeitablauf vergleichsweise stabil. Nicht minder bedeutsam ist die Rolle der geschlossenen Kapitalgesellschaft für andere Verwendungen, etwa Private Equity-Firmen, Joint Ventures oder aber als Tochtergesellschaft von Unternehmensgruppen, also als „Konzernbaustein“. Das gilt insbesondere für die rechtliche Strukturierung grenzüberschreitender Geschäftstätigkeit und betrifft neben Großunternehmen wiederum auch KMU. Die Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft beeinflussen, wie gut diese Rechtsform ihre vielfältigen Zwecke für Unternehmen erfüllen kann. Dies haben sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU selbst erkannt: Viele Länder Europas haben in den letzten Jahren ihre Gesetze für geschlossene Kapitalgesellschaftsformen modernisiert, und auf Unionsebene wird intensiv diskutiert, ob und unter welchen Voraussetzungen es eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaftsform (Societas Privata Europaea, SPE) geben sollte. Vor diesem Hintergrund wird in dem vorliegenden Band der Versuch unternommen, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft zu entwickeln. Es geht um die Frage, wie diese Rechtsregeln optimalerweise aussehen sollten, wie – mit anderen Worten – der „Volkswagen“ des Kapitalgesellschaftsrechts zu konstruieren ist. Insoweit besteht eine Forschungslücke: Weltweit galt und gilt die hauptsächliche Aufmerksamkeit der Rechtswissenschaft bisher den Publikumskapitalgesellschaften. Wir möchten mit unserer Untersuchung einen Beitrag zur Modernisierung der Rechtsregeln für geschlossene Kapitalgesellschaftsformen in Europa leisten und die nationalen wie auch den europäischen Gesetzgeber in ihren Reformbemühungen unterstützen. Die Besonderheiten einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaftsform werden in einem eigenen Abschnitt untersucht. Sie stehen aber nicht im Vordergrund unseres Interesses. Dieses gilt vor allem der geschlossenen Kapitalgesellschaft nationalen Rechts. Ausgangspunkt unserer Untersuchung sind die Struktur einer geschlossenen Kapitalgesellschaft und die sie prägenden (Interessen-)Konflikte: zwischen den Gesellschaftern einerseits, den Gesellschaftern und den Geschäftsleitern andererseits und schließlich zwischen der Gesellschaft und ihren Gläubigern. Dementsprechend be*

Dazu zählen nach einer Definition der Kommission der EU Unternehmen mit höchstens 250 Beschäftigten und Umsatzerlösen von ) 50 Millionen Euro p. a. oder einer Bilanzsumme von ) 43 Millionen Euro. In diese Kategorie fallen etwa regelmäßig Start-ups.

VI

Vorwort

schäftigen wir uns nach einem Überblick über Problemstellung und Zielsetzung des Projektes (§ 1) sowie einer Entfaltung des analytischen und methodischen Rahmens (§ 2) mit Gesellschafterkonflikten in geschlossenen Kapitalgesellschaften (§ 3), mit der Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft (§ 4) und dem Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft (§ 5). Daran schließen sich Überlegungen zur Errichtung, Führung und Anteilsübertragung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft an (§ 6), bevor wir in einem letzten Abschnitt auf regulatorische Besonderheiten einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft eingehen (§ 7). Unserer Analyse liegt eine funktional-ökonomische Perspektive zugrunde, die der ökonomischen Relevanz rechtlicher Regeln ein maßgebliches Gewicht beimisst. Wichtige Regulierungsansätze unterschiedlicher Rechtsordnungen in Europa, aber auch und insbesondere in den USA, werden rechtsvergleichend berücksichtigt. Ebenfalls in die Untersuchung eingeflossen sind die rechtshistorischen Erfahrungen, die in unterschiedlichen Jurisdiktionen mit bestimmten Lösungsansätzen gemacht wurden. Die einzelnen Abschnitte münden in zusammenfassende Thesen, welche den wesentlichen Untersuchungsertrag komprimiert wiedergeben. Sie könnten eine Leitlinie für Reformgesetzgeber bei der Konstruktion einer „idealen“ geschlossenen Kapitalgesellschaftsform sein. Die einzelnen Abschnitte des Gesamtwerkes sind von jeweils einem Mitglied des Autorenkreises im Erstentwurf vorbereitet worden. Sie wurden anschließend in diesem Kreis mehrfach kritisch diskutiert. Das jetzt vorgelegte Gesamtwerk wird in allen seinen Teilen von uns gemeinsam als Autoren verantwortet. Das Projekt, welches letztlich in das nunmehr vorgelegte Werk gemündet ist, geht zurück auf eine Initiative von Horst Eidenmüller aus dem Jahre 2008. Diese Initiative wurde ermöglicht durch die Verleihung einer Forschungsprofessur der Ludwig-Maximilians-Universität München innerhalb der 3. Förderlinie der Exzellenzinitiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Dafür ist Horst Eidenmüller der DFG und der Ludwig-Maximilians-Universität München zu großem Dank verpflichtet. Projektbegleitend haben die Entwicklung des Werkes und den Herstellungsprozess diverse Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehrstuhl von Horst Eidenmüller tatkräftig unterstützt. Zu Dank verpflichtet sind wir vor allem Tilmann Frobenius, Julie-Andrea Bartmuß und Ann-Katrin Pötter. Über Kritik und Anregung freuen wir uns. Berlin, Hamburg, Mannheim und München, im Juli 2012 Gregor Bachmann Horst Eidenmüller Andreas Engert Holger Fleischer Wolfgang Schön

Inhaltsverzeichnis

§ 1 Problemstellung und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Analytischer Rahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Geschlossene Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . B. Typen von (Interessen-)Konflikten . . . . . . . . . . . . . . I. Gesellschafter – Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . II. Gesellschafter – Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . III. Gesellschafter – Dritte (insbesondere Gläubiger) . . . C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen . . I. Regelungsziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Regelungsinhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Förderung privatautonomer Gestaltungen . . . . . . 2. Replizierung hypothetischer Verhandlungslösungen III. Regelungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zwingende, dispositive und ermöglichende Regeln . 2. Regeln und Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Regeln und Standards . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regelungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Mustersatzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften . . . . . . A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Binnenkonflikte als Kardinalproblem geschlossener Kapitalgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Binnenkonflikte als Achillesferse personalistischer Gesellschaften III. Binnenkonflikte als rechtsvergleichende Forschungslücke bei kapitalmarktfernen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Schutz der Gesellschafterminderheit vor opportunistischem Verhalten des Mehrheitsgesellschafters . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Strukturelle Gefahren für Minderheitsgesellschafter . . . . . . . 1. Mehrheitsprinzip bei Gesellschafterbeschlüssen . . . . . . . 2. Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis . . . . . . . . . . . . . 3. Stabile Mehrheitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kein liquider Sekundärmarkt für Gesellschaftsanteile . . . . 5. Kein zuverlässiger Wertmesser für Gesellschaftsbeteiligungen 6. Eingeschränkte Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik . . . II. Typologie minderheitsschädigender Verhaltensweisen . . . . . . 1. Unausgewogene Drittgeschäfte mit der Gesellschaft . . . . . 2. Überhöhtes Geschäftsführergehalt . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aneignung von Geschäftschancen und Gesellschaftsressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VIII

Inhaltsverzeichnis

4. Übermäßige Gewinnthesaurierung . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kündigung von mitarbeitenden Minderheitsgesellschaftern . 6. Rückerwerb der Geschäftsanteile vom Mehrheitsgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschluss der Minderheitsgesellschafter von Kapitalerhöhungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verschweigen vermögensrelevanter Informationen . . . . . . III. Möglichkeiten und Grenzen des Selbstschutzes . . . . . . . . . 1. Selbstschutz durch vertragliche oder gesetzliche Vetopositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergänzender Minderheitenschutz durch Gesetzes- oder Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unverzichtbare Mitgliedsrechte und unabdingbare Verhaltensstandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesetzliche und höchstrichterliche Verhaltensmaßstäbe . . . . . 1. Verhaltensstandards für Mehrheitsgesellschafter . . . . . . . 2. Verhaltensstandards für Geschäftsführer . . . . . . . . . . . 3. Verhaltensstandards für die Gesellschaft und ihre Organe . . 4. Kontrollmechanismen bei Interessenkonflikten . . . . . . . . V. Rechtsbehelfe des Minderheitsgesellschafters . . . . . . . . . . . 1. Minderheitsschutz durch Klagerechte . . . . . . . . . . . . . 2. Minderheitsschutz durch Lösungsrechte . . . . . . . . . . . VI. Informations- und Prüfungsrechte des Minderheitsgesellschafters VII. Außergerichtliche Streitbeilegung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schiedsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mediation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Schutz der Gesellschaftermehrheit vor opportunistischem Verhalten von Minderheitsgesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das Problem des ex-post-Opportunismus von Minderheitsgesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gesetzliche oder richterrechtliche Rechtsbehelfe . . . . . . . . . 1. Verhaltensstandards für Minderheitsgesellschafter . . . . . . 2. Geeignete Sanktionen beim Stimmrechtsmissbrauch . . . . . III. Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern . . . . . . . . . . . . 1. Ausschluss aus wichtigem Grund . . . . . . . . . . . . . . . 2. Squeeze-out-Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Auflösung von Pattsituationen auf Gesellschafterebene . . . . . . . I. Das Problem der Selbstblockade . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Privatautonome Schutzvorkehrungen . . . . . . . . . . . . . . . III. Konfliktlösungen durch Gesetzes- oder Richterrecht . . . . . . E. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 34

64 64 65 65 66 66 67 68 68 69 71 73

§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . A. Funktionen der Geschäftsleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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34 35 35 35 36 40 44 46 47 54 55 56 57 57 60 61 62 62 63 64

IX

Inhaltsverzeichnis

I. Handlungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Delegation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wahrung der Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkrete Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regelungsrahmen außerhalb konkreter Verhaltenspflichten IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Einzelne Regelungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Stellung in der Organisationsverfassung . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsleitung als zwingendes Handlungsorgan . . . . . 2. Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsleitung und Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kontrolle der Geschäftsleiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Konkrete Verhaltenspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestellung und Abberufung der Geschäftsleiter . . . . . . . 3. Information der Gesellschafter oder eines Aufsichtsorgans 4. Vergütung und andere Zuwendungen zur Verhaltenssteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vermeidung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . III. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sanktionsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltendmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Regelung in der Satzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . . A. Die beschränkte Haftung – Privileg oder Ausdruck der Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Haftungsbeschränkung – nicht Wesensmerkmal, sondern rechtspolitisches Gestaltungselement . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Funktion der Haftungsbeschränkung in der geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Haftungsbeschränkung – ein „Privileg“? . . . . . . . . . . . IV. Die Haftungsbeschränkung als Gegenstand der Privatautonomie B. Die Funktion der Regeln zur Bildung eines Sondervermögens und zur Haftungsbeschränkung für verschiedene Gläubigergruppen I. Adjusting und Non-Adjusting Creditors . . . . . . . . . . . . . II. Das Zurechnungsproblem bei Deliktsgläubigern . . . . . . . . . C. Vertragliche Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zentrale Fragestellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen . . . . . . . . . 1. Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand . . . . .

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X

Inhaltsverzeichnis

D.

E.

F.

G.

H.

I.

2. Umfang des Unternehmensvermögens . . . . . . . . . . . . . 3. Laufende Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger . . . . . . . . . . . . I. Der verfahrenseinleitende Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . II. Insolvenzantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Insolvenzantragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigenverwaltung oder Fremdverwaltung . . . . . . . . . . . . . Haftung der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Haftung für Eingriffe in die Geschäftsführung . . . . . . . . . . II. Haftung für Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . . . . . . Verlagerungen zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die allgemeine Grenze der Auszahlungen . . . . . . . . . . . . II. Dividenden: Gutglaubensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verdeckte Vermögensverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Weitergehende eigennützige Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . Informationspflichten gegenüber Gläubigern . . . . . . . . . . . . . I. Pflichtpublizität der Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . 1. Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Offenlegung einer wirtschaftlichen Notlage . . . . . . . . . . . Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Mindestkapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Statutarisches Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das satzungsmäßige Kapital als kollektive Haftungszusage . 2. Die Differenzierung zwischen Haftungskapital und Betriebskapital . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gesellschafterdarlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung A. Errichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestehende Modelle . . . . . . . . . . II. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . III. Prüfungsinstanz und Registerführung IV. Errichtungsverfahren . . . . . . . . . B. Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anteilsübertragung . . . . . . . . . . . . . I. Bestehende Modelle . . . . . . . . . . II. Regelungsziele . . . . . . . . . . . . . III. Übertragungstatbestand . . . . . . . IV. Übertragungsbeschränkungen . . . . D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . .

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XI

Inhaltsverzeichnis

§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Warum eine supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft? . . . I. Ausgangspunkt: Das Problem multipler Regelgeber . . . . . . II. Der „Mehrwert“ einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Debatte um Pro und Contra einer SPE . . . . . . . . . 2. Die Evaluation der SE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Was soll der Europäische Gesetzgeber tun? . . . . . . . . . B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. „Klassische“ Funktion: Grenzüberschreitendes Vehikel . . . . 1. Mobilität (Sitzverlegung, grenzüberschreitende Verschmelzung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Uniformität (Konzerntochter) . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die moderne Funktion: Erweiterung des Rechtsformangebots 1. Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktionsbedingungen eines Rechtsformwettbewerbs . . . 4. Regulatorische Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonstige Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen . . I. Die Regelsetzungskompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompetenztitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Subsidiaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zugangsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Notwendigkeit von Zugangshürden? . . . . . . . . . . . . 2. Modelle der Zugangsrestriktion . . . . . . . . . . . . . . . III. Kompromisslösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kompromisszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kompromisstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kompromissgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Lückenschluss und Normkonkretisierung . . . . . . . . . . . 1. Das Lückenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lückenschlusstechniken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die EU als guter Regelsetzer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231

§1 Problemstellung und Zielsetzung * Der vorliegende Band unternimmt den Versuch, ohne Rücksicht auf bestehende Gesetze oder Gesetzesvorhaben Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft zu entwickeln und zu diskutieren.1 Wie sollte die „kleine“ Kapitalgesellschaftsform idealerweise aussehen? Das ist die Kernfrage, deren Beantwortung angestrebt wird. „Geschlossene Kapitalgesellschaften“ sind solche, die sich durch einen beschränkten Gesellschafterkreis auszeichnen und deren Anteile nicht auf öffentlichen Kapitalmärkten gehandelt werden.2 Für diese Gesellschaften sind Organisationsstrukturen und Regelungsprobleme charakteristisch, die sich deutlich von denjenigen offener (Publikums-)Kapitalgesellschaften unterscheiden.3 Wir verfolgen einen konzeptionellen Ansatz, der ohne eine umfassende komparative Aufbereitung bestehender Regelwerke auskommt. Wohl aber werden Erfahrungen und Lösungen einzelner Rechtsordnungen selektiv berücksichtigt und in die Analyse einbezogen. Mit dem Begriff der „Regel“ wird angedeutet, dass die Diskussion über die Identifikation von wesentlichen Problemfeldern – wie insbesondere Gesellschafter- und Geschäftsleiterhaftung, Anteilsübertragung oder Flexibilität der Organisation –, Regelungsstrukturen und Lösungsansätzen – soweit möglich – hinausgeht und zumindest in bestimmten Fällen zu konkreten Regelungsvorschlägen für einzelne Fragestellungen vordringt. Wo dies nicht möglich erscheint, werden zumindest verschiedene Lösungen und deren jeweilige Vor- und Nachteile aufgezeigt. Nicht angestrebt wird, einen kompletten Satz von „Modellregeln“ zu erarbeiten, wie sie etwa

* Der Text beruht auf einem Entwurf von Eidenmüller. 1 Für eine „Metatheorie“ der Evolution des Gesellschaftsrechts in unterschiedlichen Jurisdiktionen vgl. demgegenüber etwa McCahery/Vermeulen/Hisatake/Saito, The New Company Law: What Matters in an Innovative Economy, in: McCahery/Timmerman/Vermeulen, Private Company Law Reform: International and European Perspectives, 2010, S. 71 ff. Zu den Entwicklungstendenzen verschiedener Gesellschaftsrechte vgl. Gordon/Roe, Convergence and Persistence in Corporate Governance, 2004. 2 In der neueren rechtswissenschaftlichen und -politischen Diskussion ist eine Tendenz erkennbar, die Distinktion zwischen offenen und geschlossenen bzw. privaten und öffentlichen Kapitalgesellschaftsformen zugunsten einer solchen zwischen börsennotierten und nicht-börsennotierten zu ersetzen, vgl. etwa Report of the Reflection Group on the Future of EU Company Law, Brussels, 5 April 2011, S. 8 f. Entsprechende Unterscheidungen müssen sich immer vor dem Hintergrund eines bestimmten Erkenntnisinteresses rechtfertigen lassen. Unser Interesse richtet sich auf die Konflikte, die geschlossene Kapitalgesellschaften mit sich bringen und auf Rechtsregeln zur Bewältigung dieser Konflikte, näher dazu § 2 A und B. 3 Damit unterscheidet sich das hier unternommene Vorhaben von dem „European Model Company Law Project“, das auf die Entwicklung von Modellregeln für offene (Publikums-) Kapitalgesellschaften zielt, vgl. Baums/Krüger Andersen, The European Model Company Law Act Project, in: Tison/de Wulf/van der Elst/Steennot, Perspectives in Company Law and Financial Regulation: Essays in Honour of Eddy Wymeersch, 2009, S. 5, 14.

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§ 1 Problemstellung und Zielsetzung

1984 von der American Bar Association für die US-amerikanische close corporation angenommen wurden.4 Sollen Regeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft in einem Staat praktisch implementiert werden, so ist immer das jeweilige Regulierungsumfeld zu berücksichtigen. Was in einer Jurisdiktion in einem bestimmten Umfeld sinnvoll oder auch nur umsetzbar ist, ist es in einer anderen möglicherweise nicht. An kritischen Stellen der Untersuchung wird auf solche Umsetzungs- bzw. Anpassungsprobleme explizit hingewiesen. Vorausgesetzt wird in jedem Fall, dass neben der zu konzipierenden geschlossenen Kapitalgesellschaft jedenfalls eine börsengängige Kapitalgesellschaftsform als Rechtsformalternative zur Verfügung steht. Ein gewisser Schwerpunkt der Untersuchung liegt auf der Struktur geschlossener Kapitalgesellschaften in Europa. Vor einigen Jahren hatte die Europäische Kommission einen Entwurf für das Statut einer „Europäischen Privatgesellschaft“ (Societas Privata Europæa, SPE) vorgelegt.5 Der Entwurf zielte auf die Schaffung einer europäischen (supranationalen) Rechtsform für geschlossene Kapitalgesellschaften. Die Kommission beabsichtigte damit, der „Europäischen Aktiengesellschaft“ (Societas Europæa, SE) ein Regelwerk an die Seite zu stellen, das insbesondere von kleinen und mittleren Unternehmen, die grenzüberschreitend tätig sind, genutzt werden kann und soll.6 Bereits kurz nach Vorlage des Kommissionsentwurfs hatte – vor allem in Deutschland – eine intensive rechtspolitische und -wissenschaftliche Diskussion um das Für und Wider der Schaffung einer „Europäischen Privatgesellschaft“ im Allgemeinen und die vorgeschlagenen Entwurfsbestimmungen im Besonderen eingesetzt.7 Nach diversen Kompromissvorschlägen ist der Entwurf am 30./31.5.2011 im Rat mangels Einstimmigkeit einstweilen gescheitert.8 Die wissenschaftliche und politische Diskus-

4 American Bar Association, Model Business Corporation Act Annotated: Professional Corporation Supplement: Close Corporation Supplement, 1984. 5 Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, KOM(2008) 396 endg. v. 25.6.2008. 6 KOM(2008) 396 endg. v. 25.6.2008, S. 2. 7 Im unmittelbaren Vorfeld des Entwurfs noch Drury, EBOR 9 (2008), 125; sodann Davies, FS Hopt, 2010, S. 479. Vgl. für die deutsche Diskussion stellv. die Stellungnahme des „Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht“, NZG 2008, 897; Teichmann, VGR 14 (2008), 55; Hommelhoff, ZHR 173 (2009), 255; Siems/Rosenhäger/Herzog, DK 2008, 393; Hadding/Kießling, WM 2009, 145; Wicke, GmbHR 2011, 566; Jung, in: Jung, Supranationale Rechtsformen im Typenwettbewerb, 2011, S. 49 ff. 8 Vgl. Rat der Europäischen Union, Mitteilung an die Presse PRES/11/146: 3094. Tagung des Rates: Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie, Forschung und Raumfahrt), Brüssel, 30. und 31. Mai 2011, erhältlich unter http://europa.eu/rapid. Ob und ggf. wann ein erneuter Anlauf gestartet wird, ist ungewiss. Die „Reflection Group on the Future of EU Company Law“ scheint ein anderes Modell zu bevorzugen, nach dem die Mitgliedstaaten durch eine Richtlinie verpflichtet würden, eine extrem einfach gestaltete Ein-Personen-Kapitalgesellschaftsform nationalen Rechts vorzuhalten, die als Konzerntochter, aber auch von Unternehmensgründern genutzt werden könnte, vgl. Report of the Reflection Group on the Future of EU Company Law, aaO (Fn. 2), S. 30, 57 f., 66 f.

§ 1 Problemstellung und Zielsetzung

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sion zur SPE wird gleichwohl weitergehen. Sie zwingt zur Vergewisserung über die Aufgaben des europäischen Gesetzgebers auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts und trägt dazu bei, die Qualität des „Produktes“ SPE – so dieses doch noch auf den „Markt“ kommen wird – zu verbessern. Gleichzeitig ist nicht zu verkennen, dass der Fokus der Diskussion auf das „Projekt SPE“ auch Nachteile mit sich bringt: Er verengt die Perspektive auf ein konkretes Regelwerk, dessen Vorzüge und Schwächen sowie Verbesserungsmöglichkeiten. Dadurch gerät zweierlei aus dem Blick: erstens die Frage, wie eine SPE aussehen könnte und sollte, wenn man sie „auf der grünen Wiese“ konzipierte, und zweitens – noch wichtiger –, welches ganz allgemein Regeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft (in Europa) sind bzw. sein sollten. Reformbedarf besteht nämlich nicht nur im Hinblick auf die Schaffung einer neuen europäischen Rechtsform, sondern auch bezüglich der einschlägigen Regelwerke der Mitgliedstaaten. Die jüngst etwa im Vereinigten Königreich, in Frankreich, Spanien sowie Deutschland unter dem Eindruck eines „Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte“9 unternommenen Anstrengungen, das heimische Rechtsumfeld für geschlossene Kapitalgesellschaften attraktiver zu gestalten, machen dies sehr deutlich.10 In mancher Hinsicht kann insoweit das sehr liberale Recht der US-amerikanischen Limited Liability Company (LLC) als Inspirationsquelle und Reformmotor dienen.11 In § 2 wird zunächst der analytische Rahmen für die folgende Untersuchung entfaltet. Identifiziert werden die in geschlossenen Kapitalgesellschaften typischerweise auftretenden (Interessen-)Konflikte und Regelungserfordernisse. Unterschiedliche Regelungsziele, -inhalte und -formen werden erörtert. In den folgenden §§ 3 bis 5 geht es sodann um Regeln für das Verhältnis zwischen den Gesellschaftern, zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern sowie zwischen der Gesellschaft bzw. ihren Gesellschaftern und Dritten. In allen diesen Abschnitten steht die forschungsleitende Frage im Vordergrund, wie sich die Kosten, die mit diversen (Interessen-)Konflikten verbunden sind, verringern bzw. vermeiden lassen. § 6 beschäftigt sich demgegenüber mit der Errichtung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft und der Anteilsübertragung, den damit verbundenen Kosten und deren Senkung. Den regulatorischen Besonderheiten einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft ist schließlich § 7 gewidmet. 9 Empirische Studien haben sowohl für Europa als auch für die USA gezeigt, dass auch die Inkorporierungsentscheidungen geschlossener Kapitalgesellschaften – und nicht nur diejenigen offener (Publikums-)Kapitalgesellschaften – strategisch auf der Basis eines Kosten/ Nutzen-Kalküls der Gründer getroffen werden, vgl. Becht/Mayer/Wagner, 14 J. Corp. Fin. 241 (2008); Dammann/Schündeln, 27 J. L. Econ. & Org. 79 (2011). 10 UK Companies Act 2006; Loi n° 2003-721 du 1 août 2003 pour l’initiative économique, J. O. R. F. n° 179 du 5 août 2003, page 13449; Ley 25/2011, de 1 de agosto, de reforma parcial de la Ley de Sociedades de Capital y de incorporación de la Directiva 2007/36/CE, del Parlamento Europeo y del Consejo, de 11 de julio, sobre el ejercicio de determinados derechos de los accionistas de sociedades cotizadas, BOE Núm. 184, 2 de agosto de 2011, Sec. I, Pág. 8746; Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BGBl. I/2008, S. 2026. 11 Grundlegend zur Entwicklung der LLC in den USA Ribstein, The Rise of the Uncorporation, 2010, S. 119 ff.

§2 Analytischer Rahmen* A. Geschlossene Kapitalgesellschaften „Richtige“ – oder vielleicht weniger anspruchsvoll: überzeugende – Regeln für geschlossene Kapitalgesellschaften zu entwickeln, erfordert zunächst eine möglichst trennscharfe Beschreibung des Untersuchungsgegenstandes: geschlossene Kapitalgesellschaften. Die komparativ-funktionale Rechtsanalyse hat sich für die Kapitalgesellschaft darauf verständigt, dass es sich um einen Gesellschaftstyp handele, für den juristische Persönlichkeit, beschränkte Haftung (der Anteilseigner), grundsätzliche Übertragbarkeit der Anteile, Möglichkeit der Fremdgeschäftsführung sowie Inhaberschaft der Kapitalgeber – im Sinne einer Koppelung von Verwaltungs- und Vermögensrechten an die Kapitalgeberrolle – maßgeblich seien.1 Funktional bedeutsam sind vor allem die ersten beiden Eigenschaften: Die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft schützt insbesondere deren Vermögen vor dem Zugriff der Gesellschaftergläubiger, während die beschränkte Haftung der Anteilseigner deren (Privat-)Vermögen vor dem Zugriff der Gesellschaftsgläubiger isoliert und damit Anteilshandel und Risikodiversifizierung überhaupt erst ermöglicht.2 Die genannten Charakteristika sind keineswegs morphologische Merkmale, die einer Rechtsordnung vorgegeben wären. Es handelt sich vielmehr um rechtsendogene Eigenschaften, die freilich den kritischen Diskurs um Einzelfragen mehr begleiten – im Sinne nicht hinterfragter Rahmenbedingungen –, als dass sie ihm unterlägen. Ähnliches gilt für das Kriterium der Geschlossenheit als Merkmal geschlossener Kapitalgesellschaften. Gemeinhin wird darunter die Tatsache verstanden, dass Anteile an solchen Gesellschaften nicht „börsengängig“ sind, der Gesellschafterkreis also begrenzt ist, und darüber hinaus jedenfalls potentiell (privatautonomen) Übertragungsbeschränkungen unterliegen.3 Ob und inwieweit diese (oder andere) Merkmale in einer konkreten Rechtsordnung als konstitutive Elemente einer geschlossenen Kapitalgesellschaft ausgeprägt sind, ist eine Frage des Einzelfalles.4 Auch gilt es, hybride

* Der Text beruht auf einem Entwurf von Eidenmüller. 1 Vgl. Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/ Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law: A Comparative and Functional Approach, 2. Aufl., 2009, S. 1. 2 Hansmann/Kraakman, 110 Yale L. J. 387 (2000) (affirmative asset partitioning, defensive asset partitioning). 3 Vgl. Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 1), S. 5 f, 11 f; Cheffins, Company Law: Theory, Structure and Operation, 1997, S. 49 f; Bainbridge, Corporation Law and Economics, 2002, S. 798 f; Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 273 ff (1986). Aus deutscher Sicht für die GmbH vgl. etwa Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einl. Rdn. 37 ff; Wicke, Komm. z. GmbHG, 2. Aufl., 2011, Einleitung Rdn. 10. 4 So lassen es manche Rechtsordnungen genügen, dass die Gesellschafter selbst einen close corporation status wählen, vgl. etwa für das Vereinigte Königreich den Companies Act 2006, der sich darauf beschränkt, für die private company limited by shares (im Gegensatz

A. Geschlossene Kapitalgesellschaften

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Gesellschaftsformen wie die US-amerikanische Limited Liability Company im Blick zu behalten, deren interne Verhältnisse von der partnership und deren Haftungsbeschränkung von der corporation her konzipiert sind.5 Das rechtliche Charakteristikum der Geschlossenheit folgt bei vielen Unternehmen einem praktischen Bedürfnis: Wenn die Gesellschaft durch einen Unternehmer, der gleichzeitig die Geschäfte führt, gegründet wurde oder es sich – von Anfang an oder im Laufe der Entwicklung, etwa durch Erbfälle etc. – um eine Familiengesellschaft handelt, bei der sich (einzelne) Familienangehörige ebenfalls in einer Geschäftsleitungsfunktion engagieren, dann besteht ein Interesse daran, Dritte nur unter eingeschränkten Voraussetzungen (Eignung zur Geschäftsführung, „Kompatibilität“ mit der Familie etc.) als neue Gesellschafter zuzulassen. Gleichzeitig ergeben sich aus dem Charakteristikum der Geschlossenheit eine Reihe weiterer typischer Merkmale dieser Kapitalgesellschaftsform, die für deren rechtliche Behandlung bedeutsam sind: Den Gesellschaftern fehlt die Möglichkeit, die Gesellschaft ohne weiteres zu verlassen und ihren Anteil „zu Geld zu machen“.6 Dies verstärkt den Wunsch nach aktivem Engagement in der Gesellschaft, zumal in einem Geschäftsleitergehalt häufig die wichtigste Form der Vergütung für die Beteiligung an der Gesellschaft liegt.7 Aus ökonomischer Sicht hat dies allerdings die negative Folge, dass etwaige Spezialisierungsvorteile durch die Aufgaben- und Rollentrennung zwischen Gesellschafter- und Geschäftsleiterposition verloren gehen und dass die Gesellschafter, die häufig einen erheblichen Teil ihres Vermögens in die Gesellschaft investiert haben, weniger effiziente Risikoträger sind als gut diversifizierte Aktionäre von Publikumskapitalgesellschaften.8 Auf der anderen Seite bringt der beschränkte Gesellschafterkreis aber auch ökonomische Vorteile mit sich: Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten sind zu vergleichsweise geringen Kosten möglich.9 „Die“ geschlossene Kapitalgesellschaft gibt es in der Rechtspraxis natürlich nicht. Gründer nutzen diese Rechtsform ebenso wie etablierte Unternehmen, kleine ebenso

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zur plc) das öffentliche Angebot der Gesellschaftsanteile auszuschließen (Sec. 755 Companies Act 2006). Andere demgegenüber stipulieren sachliche Voraussetzungen des Zugangs zu dieser Gesellschaftsform wie etwa eine Höchstzahl von Gesellschaftern, vgl. etwa für Frankreich Art. L. 223-3 C.com. für die S.à.r.l. (höchstens 100 Gesellschafter) oder für Delaware § 342(a)(1) Del. Gen. Corp. L. (höchstens 30 Gesellschafter). Vgl. insoweit vor allem den Revised Uniform Limited Liability Company Act (2006) sowie den Delaware Limited Liability Company Act, 6 Del. C. § 18–101, et seq. (in Kraft seit 1.10.1992). Sie haben also keine liquide Exit-Option im Sinne von Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, 1970. Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 798 f. Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986). Allerdings kann die Risikoaversion der Geschäftsleiter auch (ökonomische) Vorteile haben: Diese vermeiden dann ggf. die Eingehung existenzgefährdender und die Gesellschaftsgläubiger schädigender Risiken – jedenfalls in einem Stadium, das von der materiellen Insolvenz noch (weit) entfernt ist (zum Risikoanreiz in Insolvenznähe vgl. demgegenüber § 2 B.III.). Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 798; Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 274 (1986).

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§ 2 Analytischer Rahmen

wie große, die Gesellschaft kann stärker personalistisch oder kapitalistisch organisiert sein, als Ein-Personen-Unternehmen ebenso wie als Konzerntochter eingesetzt werden, eine erwerbswirtschaftliche oder gemeinnützige Ausrichtung haben etc. Angesichts dieser typologischen Vielfalt und unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten stellt sich die Frage, ob die Konzeptionierung von Regeln für diese Gesellschaftsform von einem Leitbild ausgehen sollte und, wenn ja, von welchem. Besonders häufig wird eine geschlossene Kapitalgesellschaft praktisch als Rechtsform von neuen oder kleinen/mittleren Unternehmen (KMU) genutzt, die an einer Beschränkung der persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter interessiert sind.10 Die Zahl der Gesellschafter ist vergleichsweise niedrig, ein Gesellschafterwechsel eher selten. Insbesondere die Gründerperspektive ist demzufolge für die vorliegende Untersuchung von zentraler Bedeutung. Sie steht zu Recht auch im Vordergrund des Kommissionsvorschlages für ein SPE-Statut. Dies hat Konsequenzen für die Typen von Gesellschaftern, die man im Auge hat, wenn es auf deren Verhalten, Bedürfnisse und für sie sinnvolle Regelungen ankommt. Konzernsachverhalte werden deshalb im Folgenden nicht betrachtet. Allerdings ist mit einer Betonung der Gründerperspektive keineswegs eine einseitige Ausrichtung von Regeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft an den Bedürfnissen von Unternehmensgründern verbunden. Diese Regeln müssen vielmehr zumindest im Grundsatz auch geeignet sein, die anderen Verwendungsformen dieser Rechtsform angemessen zu ermöglichen und zu strukturieren.

B. Typen von (Interessen-)Konflikten Der markanteste Unterschied zwischen offenen, kapitalmarktorientierten und geschlossenen Kapitalgesellschaften liegt in den Typen von (Interessen-)Konflikten, die für beide Gesellschaftsformen charakteristisch sind.11 Bekanntermaßen gehört es zu den zentralen Erkenntnissen der rechtsökonomischen Forschung zu Publikumskapitalgesellschaften, dass die (personale) Trennung zwischen Eigentum (Gesellschafterstellung) und Kontrolle (Management, Geschäftsleitung) mit Interessenunterschieden und Konflikten einhergeht, die zu Kosten für das Unternehmen führen.12 Aktionäre haben andere Interessen als Vorstände, und das hat zur Folge, dass Erstere Kontrollaufwendungen tätigen, Letztere (kostenträchtige) Maßnahmen ins Werk setzen, um sich als loyale Agenten zu präsentieren, und schließlich unvermeidbare Residualkosten anfallen, die sich auch durch vermehrte Kontrolle und selbstbindende Signale nicht eliminieren lassen.13 Diese Probleme wachsen mit steigender Zahl der Gesell-

10 Rechtstatsachen etwa zur Nutzung der deutschen GmbH bei Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 198 ff. 11 Für einen Überblick über die ökonomische Struktur geschlossener Kapitalgesellschaften vgl. McCahery/Vermeulen, Corporate Governance of Non-Listed Companies, 2008, S. 6 ff. 12 Grundlegend Berle/Means, The Modern Corporation and Private Property, 1932. 13 Jensen/Meckling, 3 J. Fin. Econ. 306 (1976).

B. Typen von (Interessen-)Konflikten

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schafter, da es für diese dann immer schwieriger wird, ihr Handeln vis-à-vis den Geschäftsleitern zu koordinieren.

I. Gesellschafter – Geschäftsleiter Bei geschlossenen Kapitalgesellschaften ist diese Art von Konflikten die Ausnahme, nicht die Regel. Soweit die Gesellschafter selbst die Geschäfte führen, was etwa in 4/5 aller deutschen GmbHs der Fall ist,14 spielen Interessengegensätze zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern keine oder – bei partieller Personenidentität – jedenfalls nur eine geringe Rolle. Es kommt hinzu, dass ein kleiner Kreis von Gesellschaftern seine Handlungen auch leichter koordinieren kann und deshalb auch besser in der Lage ist, seine Interessen gegenüber den Geschäftsleitern wahrzunehmen.15 Aufgrund des einfacheren Zugriffs der Gesellschafter auf die Geschäftsleiter sind auch spezialisierte Kontrollorgane wie etwa ein Aufsichtsrat bei geschlossenen Kapitalgesellschaften eher selten.16 Regulatorisch besitzt deshalb im Hinblick auf die Geschäftsleiterposition der Konflikt mit den Gesellschaftern in geschlossenen Kapitalgesellschaften auch weniger Gewicht als bei Publikumskapitalgesellschaften. Stattdessen geht es – sofern die Gesellschafter von der Möglichkeit der Fremdorganschaft Gebrauch machen – primär um die pflichtengebundene Mittlerrolle der Geschäftsleiter zwischen den verschiedenen Unternehmensbeteiligten, insbesondere zwischen den Gesellschaftern und den Gläubigern der Gesellschaft.17

II. Gesellschafter – Gesellschafter Eine zentrale Bedeutung besitzen bei geschlossenen Kapitalgesellschaften das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und die damit verbundenen Konflikte.18 Das betrifft zum einen und in erster Linie Interessengegensätze zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern. Für Minderheitsgesellschafter ist die Lage in einer geschlossenen Kapitalgesellschaft häufig vor allem deshalb besonders prekär, weil es – wie bereits erwähnt – keinen liquiden Markt gibt, der ihre Anteile bewertet und auf dem sie diese veräußern könnten. Eine etwaige Anteilsbewertung muss außerhalb eines organisierten Kapitalmarktes auf der Basis betriebswirtschaftlicher Bewertungsverfahren erfolgen. Diese sind bekanntermaßen mit großen Unsicherheiten behaftet. Ein einfacher Ausstieg aus der Gesellschaft zum Marktpreis ist unmöglich. Auch entfällt die Disziplinierung der (Mehrheits-)Gesellschafter durch Kapitalmarktregularien

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Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 203. Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 798. Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 278 (1986). Näher dazu § 4. Näher dazu § 3.

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§ 2 Analytischer Rahmen

und – im Extremfall – die Drohung mit einer öffentlichen Übernahme des Unternehmens.19 Aufgrund dieser Situation sind insbesondere Konflikte zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern über offene und verdeckte (Gewinn-)Ausschüttungen sowie andere Vergütungen sehr naheliegend. Man denke beispielsweise an unausgewogene Verkehrsgeschäfte, welche die Gesellschaft auf Veranlassung des Mehrheitsgesellschafters mit diesem abschließt, an überhöhte Geschäftsführergehälter, die ein Mehrheitsgesellschafter „sich genehmigt“, oder an die Kündigung eines Geschäftsführervertrages mit einem Minderheitsgesellschafter.20 Zwar begünstigen die geringe Zahl der Gesellschafter und die demzufolge auch (vergleichsweise) geringen Kosten von Verhandlungen zwischen den Beteiligten Selbstschutzmöglichkeiten (der Minderheitsgesellschafter), beispielsweise in Form vertraglich ausbedungener Geschäftsführungs- oder Vetorechte.21 Aber dieser Selbstschutz bleibt aus einer Vielzahl von Gründen defizitär:22 Bei Gesellschaftsgründung oder Anteilserwerb werden zukünftige Konflikte häufig nicht antizipiert oder Risiken unterschätzt; in engen persönlichen (familiären) Beziehungen kann eine Neigung bestehen, potentielle Streitpunkte nicht proaktiv anzusprechen und zu klären; solche Klärungen erfordern (finanzielle) Ressourcen, die im Einzelfall vielleicht nicht im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen etc. Auch soziale Verhaltensnormen, die in geschlossenen Kapitalgesellschaften stärker wirken (können) als in offenen, bieten keinen verlässlichen Schutz. Deshalb sind ggf. zwingende rechtliche Regeln als Schutzinstrumente erforderlich und empfehlenswert, welche Lücken im privatautonomen Selbstschutz bzw. im sozialen Normgefüge schließen. Dazu gehören etwa jedenfalls nach überwiegender Auffassung die sowohl in kontinentalen als auch in einzelnen anglo-amerikanischen Rechtsordnungen entwickelten und bedeutsamen Treuepflichten ( fiduciary duties).23 Auch wenn eine mögliche „Ausbeutung“ von Minderheits- durch Mehrheitsgesellschafter das Zentralproblem des Verhältnisses dieser Gesellschaftergruppen in geschlossenen Kapitalgesellschaften bildet, darf – umgekehrt – opportunistisches Verhalten einer Gesellschafterminderheit nicht unerwähnt und -beachtet bleiben. Man denke etwa daran, dass ein Mehrheitsgesellschafter erhebliche firmenspezifische In19 Grundlegend zur Disziplinierungswirkung öffentlicher Übernahmen Manne, 73 J. Pol. Econ. 110 (1965). Modelltheoretisch Tirole, The Theory of Corporate Finance, 2006, S. 425 ff. 20 Für andere Formen/Techniken der Ausbeutung von Minderheitsgesellschaftern vgl. McCahery/Vermeulen, aaO (Fn. 11), S. 46. 21 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 279 (1986); Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 806 ff. 22 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 203. 23 Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 816 ff; Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 139 ff, 292. Das Vereinigte Königreich erkennt allerdings bis heute keine mitgliedschaftlichen Treuepflichten zwischen Gesellschaftern als solche an, vgl. Northern Counties Securities, Ltd v Jackson & Steeple, Ltd, [1974] 1 W.L.R. 1133, 1144; Davies, Introduction to Company Law, 2. Aufl., 2010, S. 238. Eine grundsätzliche Erörterung der Abdingbarkeit gesellschaftsrechtlicher Treuepflichten findet sich bei Hellgardt, FS Hopt, 2010, S. 765 (Abbedingung sei eine realistische Option und keineswegs per se unwirksam).

B. Typen von (Interessen-)Konflikten

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vestitionen getätigt hat und Minderheitsgesellschafter nötige unternehmerische Entscheidungen durch ausbedungene Vetorechte oder satzungsmäßige Mehrheitserfordernisse (als Sperrminorität) blockieren können.24 So lassen sich Sondervorteile herausschlagen. Die soeben erwähnten Treuepflichten gehen deshalb als Korrektiv – zu Recht – auch in die andere Richtung, und Auflösungs- oder Andienungsrechte als Instrumente des Minderheitenschutzes sollten in Abwesenheit einer expliziten vertraglichen Regelung allenfalls ausnahmsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung abgeleitet werden.25 Ein gerade für geschlossene Kapitalgesellschaften charakteristisches Konfliktpotential im Gesellschafterkreis ist mit Pattsituationen verbunden, die vor allem bei paritätischen Beteiligungsverhältnissen anzutreffen sind („50-50-Gesellschaft“) und häufig einen familiären Hintergrund besitzen, der seinerseits konfliktträchtig ist. Aus rechtlicher Sicht gilt es hier prima facie, bei Fehlen privatautonomer Regelungen/Mechanismen zur Auflösung der Situation mittels ergänzender Normen die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft sicherzustellen.26 Andererseits darf nicht übersehen werden, dass es eine rationale (privatautonome) Strategie der Gesellschafter sein kann, die Auflösung einer Pattsituation zu erschweren, um die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einer entsprechenden Situation kommt, zu verringern.27 Rechtliche Intervention ex post hat dann unerwünschte ex ante-Effekte für andere Fälle.

III. Gesellschafter – Dritte (insbesondere Gläubiger) Ein drittes Konfliktfeld, das geschlossene Kapitalgesellschaften ebenso betrifft wie offene – wenn auch mit anderer Nuancierung –, besteht zwischen den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft und Dritten, insbesondere den Gläubigern der Gesellschaft. Kern der Problematik ist insoweit die beschränkte Gesellschafterhaftung. Aus ihr ergeben sich Fehlanreize für den oder die Gesellschafter, sofern deren Eigenkapitalposition nur (noch) einen geringen Umfang aufweist. Diese Fehlanreize resultieren aus einer asymmetrischen Teilhabe an Gewinnen und Verlusten: Letztere tragen die Gesellschafter nur noch bis zur Höhe des (verbliebenen) Eigenkapitals, Erstere kommen ihnen demgegenüber voll zugute. Demzufolge tätigen sie möglicherweise riskante Investitionen mit einem negativen Kapitalwert (aber hohen Zuflüssen bei einem positiven „Ausgang“), oder sie unterlassen Investitionen mit einem positiven Kapitalwert (Unterinvestitionsproblem), die zwar die Eigenkapitalposition (wieder) stärken würden, für sie – die Gesellschafter – jedoch weniger attraktiv sind als andere, riskantere Investitionen.28 24 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 276. 25 Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 825 ff; Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 286 ff (1986); McCahery/Vermeulen, aaO (Fn. 11), S. 52 f. 26 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 296. 27 Vgl. Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271, 287 (1986). 28 Jensen/Meckling, 3 J. Fin. Econ. 306, 335 ff (1976); Myers, 5 J. Fin. Econ. 147 (1977). Näher dazu § 5.

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§ 2 Analytischer Rahmen

Da die Fehlanreize in der Gesellschafterstellung bzw. der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung wurzeln, ist die Problematik in besonderem Maße dort akut, wo die Gesellschafter die Geschäftsleitung stark beeinflussen (können), also bei geschlossenen Kapitalgesellschaften.29 Bei offenen (Publikums-)Kapitalgesellschaften sind die Geschäftsleiter typischerweise mit den maßgeblichen Anteilseignern nicht personenidentisch, und jene besitzen regelmäßig auch eine durch rechtliche Regeln gesicherte, größere Unabhängigkeit in der Geschäftsführung. Einem Risikoanreiz unterliegen die Geschäftsleiter offener (Publikums-)Kapitalgesellschaften nur insoweit, als sich für bestimmte Konstellationen zeigen lässt, dass ihre Interessenlage mit derjenigen der Gesellschafter übereinstimmt.30 Die rechtlichen Regeln, mit denen dem Risikoanreiz der Gesellschafter einer (geschlossenen) Kapitalgesellschaft begegnet werden kann, sind vielgestaltig. In erster Linie haben es die Gläubiger selbst in der Hand, durch vertragliche Kautelen (in Kreditverträgen) entsprechende Vorkehrungen zu treffen.31 Darüber hinaus kommen gesetzliche Haftungstatbestände in Betracht, insbesondere eine Durchgriffshaftung der Gesellschafter (zugunsten bestimmter Gläubiger oder Gläubigergruppen32), und zwar primär bei geschlossenen Kapitalgesellschaften, bei denen die positiven Wohlfahrtseffekte der beschränkten Haftung deutlich kleiner sind als bei offenen (Publikums-) Kapitalgesellschaften.33 Aber auch an eine Geschäftsleiterhaftung für gläubigerschädigende – und in diesem Sinne fehlerhafte – Geschäftsleitungsentscheidungen ist zu denken.34 In letzter Konsequenz führt schließlich die Einleitung eines Insolvenzverfahrens regelmäßig zum Kontrollentzug über das Gesellschaftsvermögen und damit zur Beseitigung des Risikoanreizes der Gesellschafter/Geschäftsleiter.35 Abgesehen von den Gläubigern der Gesellschaft sind auch andere Dritte potentielle „Konfliktpartner“ der Gesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft bzw. der Gesellschaft selbst. Das gilt insbesondere für die in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Bekanntlich wird insbesondere für offene (Publikums-)Kapitalgesellschaften seit langem eine sehr kontroverse Diskussion dazu geführt, ob

29 Abgemildert wird dieser Anreiz in „guten“ Zeiten dadurch, dass die Gesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft häufig einen großen Teil ihres Vermögens in die Gesellschaft investiert haben und in „schlechten“ Zeiten zu verlieren drohen, wenn und soweit sie für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (auch) persönlich haften, etwa in Form von Bürgschaften etc. 30 Vgl. zur Problematik Davies, 7 Eur. Bus. Org. L. Rev. 301 (2006). 31 Vgl. Tirole, aaO (Fn. 19), S. 103 ff; Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz: Mechanismen der Unternehmensreorganisation und Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht, 1999, S. 123 ff; Servatius, Gläubigereinfluss durch Covenants: Hybride Finanzierungsinstrumente im Spannungsfeld von Fremd- und Eigenfinanzierung, 2008. 32 Vgl. Hansmann/Kraakman, 100 Yale L. J. 1879 (1991); Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1048 f. 33 Überblick über den Diskussionsstand bei McCahery, in: McCahery/Raaijmakers/Vermeulen, The Governance of Close Corporations and Partnerships: US and European Perspectives, 2004, S. 1, 4 f; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1049. 34 Vgl. Eidenmüller, ZIP 2007, 1729, 1732 f. 35 Vgl. Eidenmüller, aaO (Fn. 31), S. 22 f.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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deren primäre Zielsetzung in der Mehrung des Aktionärsvermögens oder in dem verbesserten Wohl aller von der Unternehmenstätigkeit Betroffenen zu sehen ist.36 Prinzipiell stellt sich die Problematik in ähnlicher Weise bei geschlossenen Kapitalgesellschaften. Allerdings wird sie dort zumeist dadurch abgemildert, dass die Arbeitnehmerzahl (pro Unternehmen) geringer ist und die Anteilseigner häufig einen erheblichen Teil ihres Vermögens in das Unternehmen investiert haben und an diesem in einem breiteren Sinne interessiert sind – auch und gerade im Hinblick auf die Insolvenzvermeidung – als ein allein Renditeerwägungen verfolgender Streubesitzaktionär. Ist ein Arbeitnehmer gleichzeitig Gesellschafter – der Arbeitslohn hat hier die potentielle Funktion einer korporativen Rendite –, so liegt der typische Konflikt auch nicht in dem Interessengegensatz von Arbeit und Kapital, sondern vielmehr in demjenigen zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter. Er manifestiert sich regelmäßig in der Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Geschäftsleiter auf Veranlassung des Mehrheitsgesellschafters.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen Wenn man Regeln für geschlossene Kapitalgesellschaften entwickeln bzw. vorschlagen möchte, dann ist zunächst eine Vergewisserung über das angestrebte Regelungsziel erforderlich. Auf dieser Grundlage lassen sich sodann Regelungsinhalte und -formen diskutieren, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann.

I. Regelungsziel Im Gesellschaftsrecht wird eher selten explizit über Regelungsziele diskutiert. Werden Regelungen vorgeschlagen, so wird dies zumeist mit Argumenten oder Wertungsgesichtspunkten unterlegt, die dem Verfasser intuitiv plausibel und überzeugungskräftig erscheinen. Dies geschieht etwa, wenn „der Individualschutz“, „der Minderheitenschutz“ oder „der Kapitalanlegerschutz“ als maßgebliche „Wertungsprinzipien des Gesellschaftsrechts“ eingeführt und einer Analyse einzelner Regelungsprobleme zugrunde gelegt werden.37 Solche Wertungsprinzipien sind allerdings sehr generisch und damit wenig trennscharf. Ohne Konkretisierung und Abwägung mit gegenläufigen Prinzipien bieten sie kein Orientierungs- bzw. Handlungswissen im Einzelfall. Schließlich setzen sie voraus, was zu begründen ist (Bsp.: Warum, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Hinsicht sind Minderheiten schutzwürdig?), kurz: Sie liefern die normative Fundierung nicht, die benötigt wird. Das Gleiche gilt für den Rekurs auf „Sachgesetzlichkeiten“, mit dem gelegentlich versucht wird, die Suche

36 Vgl. stellv. Romano, Foundations of Corporate Law, 1993, S. 179 ff; Mülbert, ZGR 1997, 129; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1043 f. 37 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, 3. Kapitel (S. 355 ff).

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nach und den Diskurs über die Wertungsgrundlagen privatrechtlicher Regelsetzung formelhaft zu beenden.38 Ebenso wenig überzeugen kann es, etwa allein darauf abzustellen, ob eine bestimmte Regelung im Regulierungswettbewerb präsumtiv erfolgreich ist bzw. sein wird. Dieser Wettbewerb mag für die nationalen Gesetzgeber ein Datum sein, an dem sie sich zu orientieren haben, wenn sie keine „Marktanteile“ verlieren wollen. Als Antwort auf die Frage nach den normativen Grundlagen rationaler Regelsetzung überzeugt der Verweis auf entsprechende Handlungszwänge jedoch nicht. Fruchtbarer ist es demgegenüber, normative Fragen im Gesellschaftsrecht mit Blick auf die wohlfahrtsökonomischen Konsequenzen bestimmter rechtlicher Regelungen zu beantworten.39 Dieser Maßstab hat eine klare – wenn auch keineswegs unumstrittene – philosophische Grundlage (Regelutilitarismus),40 und er liefert in vielen Fällen – keineswegs in allen – eine vergleichsweise trennscharfe Analyse und Bewertung der Konsequenzen unterschiedlicher Regelungsarrangements. Die Plausibilität und Überzeugungskraft des Maßstabes resultieren aus dem universalistischen und keine besondere Gruppe bevorzugenden Ansatz, aus dem prima facie attraktiven Ziel der Wohlfahrtssteigerung bzw. Vermeidung von Verschwendung und aus der Kompatibilität dieses Ziels mit der Förderung privatautonomer Regelsetzung (dazu sogleich). Die Blindheit des Ansatzes gegenüber Verteilungsfragen kann man mit der Erwägung rechtfertigen, dass das Steuer- und Sozialrecht ein wesentlich tauglicherer Mechanismus zur Herstellung erwünschter Distributionsmuster ist als das Privatrecht.41 Ein Fokus auf die wohlfahrtsökonomischen Konsequenzen bestimmter rechtlicher Regelungen bedeutet keineswegs, dass etwa Fairnessgesichtspunkte unberücksichtigt bleiben müssten. Akteure im Wirtschaftsleben werden regelmäßig auch und gerade durch solche Gesichtspunkte motiviert, nehmen diese also in ihre Präferenzen bzw. ihre Nutzenfunktion auf.42 Allerdings unterscheiden sich die Inhalte der jeweiligen Fairnessvorstellungen häufig stark, und auch ihre motivatorische Kraft ist Individuen-spezifisch.43 Das gilt insbesondere für materielle Kriterien bzgl. einer fairen Verteilung bzw. eines fairen Ergebnisses.44 Nichtsdestotrotz gibt es bestimmte Prinzipien, 38 Grigoleit, Anforderungen des Privatrechts an die Rechtstheorie, in: Jestaedt/Lepsius, Rechtswissenschaftstheorie, 2008, S. 51, 53 ff. 39 Für einen Überblick über den gewachsenen Stellenwert des ökonomischen Effizienzziels im Gesellschaftsrecht und in der Gesellschaftsrechtswissenschaft vgl. Fleischer/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer, Effizienz als Regelungsziel im Handels- und Wirtschaftsrecht, 2008, S. 9, 21 f, 28 f, 36 f, 41 f. 40 Vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip: Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 3. Aufl., 2005, S. 173 ff, 175 ff, 213 f. 41 Shavell, 71 Am. Econ. Rev. (Papers & Proc.) 414 (1982); Kaplow/Shavell, 23 J. Legal Stud. 667 (1994). 42 Aus der reichhaltigen (ökonomischen) Literatur vgl. etwa Fehr/Klein/Schmidt, 75 Econometrica 121 (2007); Fehr/Schmidt, 114 Q. J. Econ. 817 (1999); Falk/Fehr/Fischbacher, 62 Games & Econ. Behav. 287 (2008). 43 Vgl. Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, Verhandlungsmanagement, 2009, S. 33 f, 65 f. 44 Vgl. etwa Brams/Taylor, Fair Division: From Cake-Cutting to Dispute Resolution, 1996; Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft: Wege zum professionellen Konfliktmanagement, 2. Aufl., 2011, S. 213 ff.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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die nahezu universell verbreitet sind. Dazu gehört etwa die Maxime, dass Ergebnisse zu Lasten einer Partei nur legitim sind, wenn diese die Gelegenheit hatte, ihren Standpunkt in Kenntnis der relevanten Informationen in den Prozess der Entscheidungsfindung einzubringen (Prinzip des „fairen Verfahrens“). Solche oder ähnliche Prinzipien können und sollten bei der Beurteilung unterschiedlicher rechtlicher Regelungen aufgrund ihrer weiten Verbreitung als dem Willen der Beteiligten mutmaßlich entsprechend berücksichtigt werden. Umso mehr gilt dies dann, wenn ein Beteiligter in Verhandlungen über entsprechende Regelungen auf ein entsprechendes Prinzip besonders hingewiesen bzw. dieses betont hat. Kann man sich auf das Ziel verständigen, dass es bei der Konzeption gesellschaftsrechtlicher Regeln primär darauf ankommt, deren wohlfahrtsökonomische Konsequenzen im soeben beschriebenen Sinne im Auge zu haben, so folgen daraus eine Reihe von Empfehlungen auch für den Umgang mit den im vorangegangenen Paragraphen beschriebenen (Interessen-)Konflikten in einer geschlossenen Kapitalgesellschaft. Allgemein sollte sich eine Rechtsordnung bemühen, die mit solchen Konflikten verbundenen Kosten zu begrenzen bzw. so gering wie möglich zu halten. Entsprechende Kosten verringern die aggregierte Netto-Wohlfahrtsposition aller Beteiligten. Darüber hinaus ist es eine sinnvolle Empfehlung, die mit der Gründung einer Gesellschaft, ihrer Geschäftstätigkeit und der Anteilsübertragung verbundenen (Transaktions-)Kosten ebenfalls möglichst zu minimieren. Auch diese Kosten sind wohlfahrtsmindernd. Diese Handlungsempfehlung erhält ihren besonderen Stellenwert aber aus der Bedeutung von Transaktionskosten für privatautonome (marktmäßige) Aushandelungsprozesse der Beteiligten. Darauf ist jetzt näher einzugehen.

II. Regelungsinhalte 1. Förderung privatautonomer Gestaltungen Es wurde bereits erwähnt, dass bei geschlossenen Kapitalgesellschaften Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen den Beteiligten aufgrund des vergleichsweise kleinen Gesellschafterkreises leicht(er) möglich sind. Solche Verhandlungen und Vereinbarungen besitzen unter dem Gesichtspunkt einer möglichst wohlfahrtssteigernden Zuordnung von (Handlungs-)Rechten und Pflichten eine große Bedeutung: Privatautonomen Gestaltungen wohnt die Tendenz inne, eine optimale (wohlfahrtsmaximierende) Ressourcenallokation hervorzubringen.45 Wenn ein Beteiligter ursprünglich über eine Rechtsposition verfügt, die für einen anderen einen größeren Nutzen stiftet, so wird Letzterer diese Position für einen bestimmten Preis erwerben – ähnlich wie bei Gütern, die auf Produktmärkten gehandelt werden. Vorausgesetzt wird dabei natürlich, dass sich die Beteiligten rational und nutzenmaximierend verhalten, in ihren Aktionen also im Wesentlichen dem ökonomischen

45 Coase, 3 J.L. & Econ. 1 (1960).

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§ 2 Analytischer Rahmen

Leitbild des homo oeconomicus entsprechen.46 Nun kann zwar kein Zweifel daran bestehen, dass dies nicht immer der Fall ist. Insbesondere hat die kognitionspsychologische Forschung eine Vielzahl von Formen und Phänomenen systematisch-irrationalen Verhaltens von Menschen identifiziert, auch im geschäftlichen Bereich.47 Dessen ungeachtet bleibt es doch im Ausgangspunkt gerade in diesem Bereich richtig, dem Leitbild des homo oeconomicus, also demjenigen des rational handelnden Kaufmanns, zu folgen, und zwar aus zwei Gründen: zum einen deshalb, weil die ihm zugrunde liegende Typik die Realität trifft (Geschäftsleute handeln typischerweise überwiegend rational und „wissen, was sie tun“), zum anderen deshalb, weil eine solche normative Annahme auch erwünschte ökonomische Langfristeffekte hat: Sie „erzieht“ zur Rationalität. Allerdings muss die Rechtsordnung dann auf systematische Rationalitätsdefizite reagieren, wenn diese ganz verbreitet auftreten und für den oder die Betroffenen im Einzelfall gravierende Konsequenzen besitzen. Darauf wird zurückzukommen sein.48 Da Verhandlungsprozessen zwischen den Betroffenen die Tendenz innewohnt, ökonomisch sinnvolle Lösungen hervorzubringen, sollten gesellschaftsrechtliche Regelungen zumindest grundsätzlich nicht zwingend, sondern dispositiv sein.49 Nur wenn die Beteiligten überhaupt eine von der gesetzlichen Ausgangslage abweichende Regelung treffen können, sind entsprechend wohlfahrtssteigernde Arrangements ja möglich. Zwingende Regelungen müssen deshalb im Gesellschaftsrecht die begründungsbedürftige Ausnahme sein (dazu im Einzelnen sogleich). Zum anderen sollte das Recht Aushandelungsprozesse der Beteiligten dadurch unterstützen, dass es deren Kosten verringert.50 Relevant sind insoweit etwa die Vorschriften zur Gründung einer Gesellschaft und zur Satzungsgestaltung, zur Zurechnung von gesellschaftsbezogenem Verhalten im Rechtsverkehr sowie zur Anteilsübertragung. Potentielle Kooperationsgewinne können durch (zu hohe) Transaktionskosten zunichte gemacht werden. Hier liegt der tiefere Sinn der Empfehlung, solche Kosten zu minimieren. Diese sind nicht nur als solche wohlfahrtsmindernd. Sie verhindern gegebenenfalls auch nützliche privatautonome Gestaltungen der Beteiligten.51

46 Zu diesem (kritisch) Eidenmüller, aaO (Fn. 40), S. 28 ff. 47 Überblick etwa bei Kahneman, 150 J. Inst. Theor. Econ. 18 (1994); monographisch Kahneman, Thinking, Fast and Slow, 2011; aus dem deutschen Schrifttum vgl. etwa Bühring-Uhle/Eidenmüller/Nelle, aaO (Fn. 43), S. 38 ff; Eidenmüller, JZ 2005, 216, 218 ff; Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer, Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, 2011, S. 9, 17 ff; Altmann/Falk/Marklein, in: Fleischer/Zimmer, aaO, S. 63 ff; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 816 f. 48 Als regulatorische Instrumente kommen insoweit insbesondere (zwingende) Abfindungs- und Kündigungsregeln in Betracht. 49 Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 15 ff, 22 ff. Eine historisierend-analytische Rekonstruktion der „Kontraktualisierung“ des Gesellschaftsrechts findet sich bei Hansmann/Kraakman, FS Hopt, 2010, S. 747. 50 Vgl. Eidenmüller, aaO (Fn. 40), S. 64. 51 Diese potentiellen Verluste an Allokationseffizienz können allerdings nicht größer sein als die Transaktionskosten selbst. Letztere „deckeln“ also Erstere.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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2. Replizierung hypothetischer Verhandlungslösungen In vielen Konstellationen werden solche Gestaltungen gleichwohl aufgrund absehbar prohibitiv hoher Transaktionskosten unmöglich sein bzw. nicht zustande kommen. Man denke etwa an potentielle Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern einer geschlossenen Kapitalgesellschaft und allen ihren Gläubigern zu der Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen Erstere für Schulden der Gesellschaft ausnahmsweise persönlich haftbar sein sollen. Bei offenen (Publikums-)Kapitalgesellschaften sind es beispielsweise ergänzende Vereinbarungen zwischen Streubesitzaktionären, die an hohen Transaktionskosten scheitern können. Wie sollten gesellschaftsrechtliche Regeln in diesem Fall inhaltlich aussehen? In einem ersten Zugriff wird man insoweit zunächst nach dem „impliziten Willen“ der Parteien fragen, der im Gesellschaftsvertrag vielleicht nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Lässt sich ein Regelungsplan explizieren, der in der privatautonomen Entscheidung der Parteien jedenfalls angelegt ist? Muss diese Frage verneint werden, dann ist es als Denkanstoß in einem zweiten Schritt hilfreich, sich an der Figur einer hypothetischen Verhandlungslösung zu orientieren: Was hätten verständig handelnde Parteien vereinbart, wenn ihnen eine solche Vereinbarung möglich gewesen wäre? 52 In dieser Frage spiegelt sich das normative Leitbild des homo oeconomicus („verständige“ Parteien), von dem bereits die Rede war und das als – für den Regelfall – angemessene Verhaltensannahme für Akteure im Geschäftsleben bzw. im Kontext des Gesellschaftsrechts qualifiziert werden konnte. Je weniger die Beteiligten im konkreten Fall jedoch – aus welchen Gründen auch immer – diesem Leitbild entsprechen, desto eher wird es auf den hypothetischen Willen gerade dieser Beteiligten ankommen.53 Das aber ist, wie bereits ausgeführt, die Ausnahme und nicht die Regel. Um die Frage nach der hypothetischen Vereinbarung verständiger Parteien zu beantworten, kann ein Blick auf die gängige gesellschaftsrechtliche Problemlösungspraxis in ähnlichen Fällen hilfreich sein. So mag etwa eine privatautonome Vereinbarung in einer „kleinen“ geschlossenen Kapitalgesellschaft fehlen, die in einer „großen“ zustande kommt, bei der die Kosten vergleichsweise nicht so stark ins Gewicht fallen.54 Was also, so wäre dann zu fragen, können wir aus der Praxis bei Letzterer für Erstere lernen? Es ist leicht zu sehen, dass mit der Denkfigur des „hypothetischen Vertrages“ dem Regulierungsziel einer Wohlfahrtssteigerung Rechnung getragen werden soll. Gleichzeitig ist zu betonen, dass damit zunächst nur eine Aussage über Regelungsinhalte getroffen wird, keineswegs eine Aussage über den zwingenden oder dispositiven Charakter einer Regelung. Wenn privatautonome Vereinbarungen beispielsweise an prohibitiv hohen Transaktionskosten scheitern, dann ist dies zwar ein Anlass, rechtliche Regeln so zu gestalten, dass der wohlfahrtsfördernde Effekt einer (hypothetischen) 52 Eidenmüller, aaO (Fn. 40), S. 65 ff; Eidenmüller, JZ 2001, 1041, 1043; Easterbrook/Fischel, aaO (Fn. 49), S. 15; Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 264 ff. 53 Eidenmüller, aaO (Fn. 40), S. 456 ff. 54 Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 273 f.

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§ 2 Analytischer Rahmen

Vereinbarung erreicht wird. Das bedeutet jedoch nicht, dass das Recht deshalb tatsächliche Vereinbarungen gänzlich und prinzipiell unmöglich machen sollte, indem es die Regelung zwingend ausgestaltet. Ob zwingende Vorschriften im Einzelfall zu rechtfertigen sind, ist eine von dem Inhalt dieser Vorschriften getrennte und getrennt zu untersuchende Frage.

III. Regelungsformen 1. Zwingende, dispositive und ermöglichende Regeln Analytisch ist es insoweit zunächst hilfreich, zwischen zwingenden, dispositiven und ermöglichenden Regeln zu unterscheiden. Geht man als Gegenstand der vorliegenden Untersuchung von Vorschriften für die geschlossene Kapitalgesellschaft (in Europa) aus, so sind zwingende Regeln (mandatory rules) solche, die unabänderlich gelten, wenn sich Beteiligte für die durch diese Vorschriften konstituierte Rechtsform entschieden haben. Zwingend sind die betreffenden Regeln also nur im Rahmen dieser und für eben diese Rechtsform. Deren Wahl als solche, also die Gründung einer entsprechenden Gesellschaft, ist demgegenüber frei. In diesem Sinne kann man davon sprechen, dass zwingendes Gesellschaftsrecht auf einer Metaebene dispositiv ist, wenn und soweit die Nutzer zwischen verschiedenen Gesellschaftsformen wählen können, um ihre unternehmerischen Aktivitäten zu verwirklichen.55 Was auf der Primärebene nicht verhandelbar ist, trägt auf der Metaebene optionalen Charakter. Dispositive Regeln sind demgegenüber solche, die privatautonom (ohne weiteres) abbedungen werden können (default rules). Solche Regeln informieren über bewährte Regelungsmuster, entlasten die Parteien von der Notwendigkeit, explizit jedes Detail vertraglich zu vereinbaren und füllen Lücken in solchen Vereinbarungen.56 Wenig klar ist bisher die Unterscheidung zu ermöglichenden Vorschriften (enabling rules). Häufig wird der Unterschied darin gesehen, dass dispositive Regeln gelten, sofern und soweit sie nicht abgewählt würden (opt out). Ermöglichende Vorschriften erforderten demgegenüber ein bewusstes „Hineinwählen“ (opt in) der Nutzer.57 Bisweilen wird dies terminologisch auch so zum Ausdruck gebracht, dass dispositive Regeln einen „präsumtiven“ und ermöglichende einen „permissiven“ Charakter besäßen.58 Der Sache nach geht es im Kern darum, dass ermöglichende Regeln den Beteiligten (neue) Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, die sie ansonsten nicht hätten. Besteht beispielsweise eine Regel, nach der mehrere Geschäftsleiter gesamtvertretungsberechtigt sind, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt, so wäre dies eine dispositive Vorschrift in

55 Vgl. Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 1), S. 22 f; Bachmann, JZ 2008, 11, 13, 15 ff. 56 Vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 692. 57 Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 218 f; Bachmann, JZ 2008, 11, 14 f („weiche Optionsmodelle“). 58 Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 218 f, 250 ff, 257 ff.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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dem soeben beschriebenen Sinne. Eine Norm, nach der eine Gesellschaft durch Satzungsregelung einen Aufsichtsrat einrichten und dessen Kompetenzen festlegen kann, trüge demgegenüber ermöglichenden Charakter. Nun kann man sich fragen, ob denn der Sache nach nicht beide Regelformen zu denselben Ergebnissen führen sollten. Ist es – mit anderen Worten – nicht gleichgültig, ob sich die Beteiligten „einwählen“ müssen bzw. eine bestimmte Regelung „abwählen“ können? Nach dem bereits Ausgeführten dürfte klar sein, dass die Antwort auf diese Frage „Nein“ lautet. Zum einen können (prohibitiv hohe) Transaktionskosten dazu führen, dass eine Ursprungsregelung erhalten bleibt, auch wenn sie nicht wohlfahrtsmaximierend ist. Zum anderen kann dieses Resultat auch durch psychologische Effekte herbeigeführt werden. So bewerten wir Güter nachweislich höher, wenn wir sie besitzen, als wenn wir sie nicht besitzen (sogenannte Besitzeffekte [endowment effects]).59 Das kann etwa zur Konsequenz haben, dass – um ein soeben erwähntes Beispiel aufzugreifen – ein Aufsichtsrat nicht eingerichtet wird, wenn es sich um eine ermöglichende Regel handelt, dass er aber eingerichtet wird, wenn dies als default rule vorgesehen ist. Wenn ein Regelgeber vor der Entscheidung steht, eine Norm dispositiv oder ermöglichend auszugestalten, muss er diese Effekte berücksichtigen. Ist eine Regelkorrektur aufgrund hoher Transaktionskosten unwahrscheinlich, sollte die Entscheidung zwischen opt in und opt out auf der Basis von Erwägungen zu einer hypothetischen Verhandlungslösung fallen. Da Rechtsformnutzer unterschiedliche Präferenzen haben, sollte sinnvollerweise darauf abgestellt werden, worauf sich die Mehrheit (hypothetisch) verständigen würde.60 Sind Besitzeffeke im Spiel, lässt sich dieser Kalkül allerdings nicht anstellen. Das Regelungsziel der Wohlfahrtssteigerung liefert hier keine eindeutige Lösung.61 Nach dem Ausgeführten sind hohe Transaktionskosten ein Grund, Regeln inhaltlich an einer hypothetischen Verhandlungslösung auszurichten, aber sie sind kein Grund für zwingende Vorschriften. Es ist deshalb unrichtig, wenn bemerkt wird, externe Effekte seien (nur) dann kein Argument für zwingende Regeln, wenn die Beteiligten über deren Inhalte zu geringen Transaktionskosten verhandeln könnten. Sei dies nicht der Fall, so seien zwingende Vorschriften gerechtfertigt.62 Wenn die Beteiligten aufgrund prohibitiv hoher Transaktionskosten über Regelungsinhalte nicht verhandeln können, dann ist dies ein (guter) Grund, solche Inhalte entsprechend dem hypothetischen Ergebnis einer hypothetischen Verhandlung zu formulieren. Ein Argument für den zwingenden Charakter dieser Inhalte ergibt sich daraus jedoch nicht. Das legt die Frage nahe, unter welchen Umständen und mit welchen Gesichtspunkten zwingende Vorschriften (überhaupt) gerechtfertigt werden können.63 Im 59 60 61 62

Vgl. Eidenmüller, aaO (Fn. 40), S. 125 ff m.w.N. Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 253 f, 262. Vgl. Eidenmüller, JZ 2005, 216, 223 f; Eidenmüller, JZ 2011, 814, 820. Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 3), S. 245 f. Widersprüchlich Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 840 f (zwingende Regeln bei externen Effekten gerechtfertigt – hohe Transaktionskosten seien ein Argument für dispositive, nicht für zwingende Regeln). 63 Dazu monographisch Haberer, Zwingendes Kapitalgesellschaftsrecht: Rechtfertigung und Grenzen, 2009.

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§ 2 Analytischer Rahmen

Lichte des oben formulierten Regelungsziels lässt sich allgemein insoweit folgende Leitlinie bestimmen: Störungen in privatautonomen Aushandelungsprozessen, die dazu führen, dass wohlfahrtsmindernde Gestaltungen vereinbart werden, können ein (guter) Grund für zwingende Regeln sein.64 Das trifft zu etwa auf Konstellationen, in denen ein Beteiligter aufgrund von Informationsdefiziten, Irrationalität und/oder Verhandlungsschwäche Lösungen akzeptiert bzw. akzeptieren würde, die nicht in seinem Interesse liegen.65 Die informationsökonomische Forschung hat uns gezeigt, dass und warum in bestimmten Situationen keine oder die falschen Informationen mitgeteilt werden und deshalb zwingende Informationspflichten gerechtfertigt sein können.66 Bisweilen sind verhandelte Inhalte aber auch deshalb nicht optimal, weil Beteiligte rational unwissend sind (im Sinne von: kalkulierend bzw. bewusst unwissend) und ihre Vertragsentscheidung nicht von bestimmten Qualitätsmerkmalen abhängig machen.67 Schließlich hat die (kognitions-)psychologische Forschung, wie bereits ausgeführt, eine Vielzahl von Phänomenen zutage gefördert, die auf Begrenzungen unserer Rationalität oder sogar systematisch-irrationales Verhalten unter bestimmten Umständen und in bestimmter Hinsicht schließen lassen. So sind beispielsweise unsere Fähigkeiten zur Prognose komplexer Kausalverläufe limitiert, und wir unterschätzen zukünftige Risiken.68 Das ist ein Grund, gesellschaftsvertraglichen Regelungen mit Relevanz für den Minderheitenschutz (etwa Ausschluss- und Abfindungsklauseln) kritisch gegenüberzustehen und diese gegebenenfalls mittels zwingender Regelungen zu korrigieren.69 Auch dann, wenn privatautonome Aushandelungsprozesse nicht gestört sind, wird es innerhalb einer bestimmten Rechtsordnung regelmäßig dem Gesellschaftsrecht übergeordnete (Verfassungs-)Normen geben, aus denen sich im Einzelfall Gründe für zwingende Regelungen werden ableiten lassen. Insoweit zeigt sich die Relevanz der eingangs in § 1 formulierten These, dass das Regulierungsumfeld bei der Gestaltung von Regeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft bedeutsam ist. Ob ein privatautonom im Gesellschaftsvertrag vereinbarter Ausschluss eines Gesellschafters im Falle der Scheidung seiner Ehe wirksam ist oder aber eine Nachfolgeregelung, nach der nur Frauen in Betracht kommen – um nur zwei beliebige Fälle herauszugreifen –, ist damit immer eine Funktion der einerseits kontingenten, andererseits aber vorrangigen Rahmenbedingungen für die Implementierung von Regeln für eine geschlossene Kapitalgesellschaft in einer bestimmten Rechtsordnung. Ebenso wie zwingende Regeln auf einer Metaebene gegebenenfalls optional sind, sofern den Akteuren alternative Rechtsformen zur Verfügung stehen, sind auch

64 Vgl. Bachmann, JZ 2008, 11, 12 m.w.N. 65 Bainbridge, aaO (Fn. 3), S. 840, spricht insoweit plastisch davon, dass eine der Parteien „… demonstrably unable to protect itself through bargaining …“ ist. 66 Vgl. Coffe, 70 Va. L. Rev. 717 (1984). Für die Gegenposition vgl. Easterbrook/Fischel, 70 Va. L. Rev. 669 (1984). 67 Vgl. Akerlof, 84 Q. J. Econ. 488 (1970). 68 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 279 f. 69 Vgl. Eidenmüller JZ 2005, 216, 223.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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Mischformen zwischen ermöglichenden und zwingenden Regeln vorstellbar und praktisch. Man denke etwa an das bereits angesprochene Beispiel einer Vorschrift, die für eine geschlossene Gesellschaft die Errichtung eines Aufsichtsrates gestattet. Wenn dessen Kompetenzen dann nicht der Satzungsgestaltung unterliegen, sondern verbindlich vorgegeben werden, liegt eine ermöglichende Regelung vor, die, wenn die Wahl zugunsten der Regelung ausgeübt wird, inhaltlich zwingend ist.70

2. Regeln und Prinzipien Formal bedeutsam ist eine weitere Unterscheidung: diejenige zwischen Regeln und Prinzipien. Bis jetzt wurde untechnisch allgemein (nur) von „Regeln“ für geschlossene Kapitalgesellschaften gesprochen. In einem methodisch-technischen Sinne sind Regeln Vorschriften, die für einen bestimmten Tatbestand eine klare und vor allem ausnahmslose Rechtsfolgenanordnung enthalten. In diesem Sinne gelten Regeln unbedingt, sie besitzen einen „Alles-oder-Nichts-Charakter“.71 Prinzipien sind demgegenüber „Optimierungsgebote“: Sie verpflichten dazu, ein bestimmtes rechtliches Ziel in möglichst hohem Maße zu verwirklichen, müssen aber mit gegenläufigen Prinzipien abgewogen werden.72 Regelhafte Rechtsfolgenanordnungen, die ausnahmslos gelten, lassen sich aus einem Prinzip nicht ableiten. Regeln können abdingbar oder zwingend sein. Gleiches gilt für Prinzipien. Falsch wäre demnach die Annahme, Regeln würden immer zwingend gelten, und Prinzipien wären demgegenüber immer dispositiv. Die beiden Formen der Kategorisierung (zwingend/dispositiv – Regel/ Prinzip) sind unabhängig voneinander. Unter welchen Umständen ein Gesetzgeber die eine oder die andere Regelungstechnik wählen sollte, ist eine Frage des Einzelfalls. Der „Alles-oder-Nichts-Charakter“ von Regeln spricht dafür, diese Form nur dort – aber auch immer dort – zu verwenden, wo sich klare und unbedingte Rechtsfolgenanordnungen für bestimmte Tatbestände treffen lassen und, besonders wichtig, wo Rechtssicherheit und Transparenz eine große Rolle spielen (bei Prinzipien muss die nötige Abwägungsentscheidung demgegenüber im Streitfall von den Gerichten getroffen werden und ist naturgemäß weniger vorhersehbar). Welches Nennkapital eine geschlossene Gesellschaft aufweisen muss, wie dieses aufzubringen und zu erhalten ist – das sind exemplarische Fragen, die durch klare Regeln normiert werden können und sollten. Ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchem Inhalt sich ein Gesellschafter aufgrund einer Loyalitäts- oder Treuepflicht (der Gesellschaft bzw. den Mitgesellschaftern gegenüber) an Sanierungsmaßnahmen in einer existenzbedrohenden Unternehmenskrise zu beteiligen hat, ist demgegenüber eher eine Frage der Prinzipienabwägung und -konkretisierung (Treuepflicht versus Risikobegrenzung und Limitierung eigenen [finan70 Bachmann, JZ 2008, 11, 15 ff, spricht insoweit von einem „strengen Optionsmodell“. 71 Grundlegend zum Verständnis einer Rechtsordnung als Ordnung von Regeln in diesem Sinne Hart, The Concept of Law, 1961. 72 Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, S. 120.

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§ 2 Analytischer Rahmen

ziellen] Engagements).73 Angesichts der stärkeren Rolle der Gerichte bei der Prinzipienabwägung und -konkretisierung ist für die Wahl der geeigneten Regulierungsstrategie auch relevant, ob und inwieweit eine bestimmte Jurisdiktion über eine professionelle Gerichtsbarkeit verfügt, die im Hinblick auf derartige Aufgaben als erfahren und kompetent gelten kann. Auch spielen Rechtssystem und -kultur eine große Rolle: In vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen unterscheidet sich die Rolle der Gerichte nach wie vor maßgeblich von derjenigen im angelsächsischen Rechtskreis. Gesetzesrecht hier und Fallrecht sowie policy-making durch die Gerichte dort prägen die jeweiligen Systeme und das Selbstverständnis der Gerichte.74

3. Regeln und Standards Der Sache nach eine ähnliche Unterscheidung wie zwischen Regeln und Prinzipien scheint derjenigen zwischen Regeln und Standards zugrunde zu liegen.75 Zu Letzteren würde etwa eine Vorschrift gehören, nach der Geschäftsführer bei ihren Handlungen (oder Unterlassungen) die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsleiters aufzuwenden haben. Während es bei Prinzipien allerdings primär um die Rechtsfolgenbestimmung im Lichte konfligierender bzw. konkurrierender Prinzipien geht, steht bei Standards die Tatbestandsbestimmung im Vordergrund: Ein vergleichsweise offener und unbestimmter Tatbestand ist auf die Elemente eines konkreten Einzelfalls anzuwenden. Dieser rechtsmethodische Unterschied sollte allerdings nicht den Blick darauf verstellen, dass die Konkretisierung von Standards ebenso wie die abwägende Konkretisierung von Prinzipien mit Beurteilungsspielräumen für den oder die Rechtsanwendenden einhergeht. Die Wahl der angemessenen Regulierungsstrategie ist daher auch insoweit bis zu einem gewissen Grade eine Funktion des jeweiligen Justizsystems und insbesondere des Vertrauens in die Professionalität und Kompetenz der Gerichte zur rechtsfortbildenden Regelbildung. Dort, wo der Gesetzgeber oder die Parteien zukunftsbezogene Anordnungen für eine Vielzahl von Situationen treffen wollen, gibt es zur Normierung eines Standards allerdings zumeist keine sinnvolle Alternative. Man denke neben dem soeben erwähnten Maßstab für die Geschäftsleiterhaftung beispielsweise an eine Vorschrift, welche die Beteiligten bei einer fundamentalen Veränderung der Verhältnisse zu einer Neuverhandlung ihres Engagements in der Gesellschaft zwingt. Rechtstechnisch lässt sich die Rechtssicherheit hier immerhin dadurch erhöhen, dass ein (vager) Standard mit 73 Die Bestimmung von Treuepflichten erfordert allerdings nicht nur auf der Rechtsfolgenebene eine Abwägung mit gegenläufigen Prinzipien, sondern auch auf der Tatbestandsebene die Konkretisierung eines offenen und unbestimmten Tatbestandes: Treuepflichten besitzen (auch) den Charakter von Standards, dazu sogleich im Text. 74 Dabei werden die mannigfachen Konvergenzentwicklungen, auch unter dem Einfluss des europäischen Rechts, natürlich nicht verkannt. Aber das Selbstverständnis der Richter in Deutschland ist etwa nach wie vor ein anderes als dasjenige der Richter im Vereinigten Königreich oder in den USA. 75 Vgl. Armour/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 1), S. 35, 39 f.

C. Regelungsziel, Regelungsinhalte und Regelungsformen

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konkretisierenden Regelbeispielen kombiniert wird. Wird ein Standard als zwingendes Recht ausgestaltet – was wie bei Prinzipien der Fall sein kann, aber keineswegs muss –, so zeigt sich ein weiterer Vorteil darin, dass eine Umgehung schwieriger ist als bei einer tatbestandlich eng limitierten Regel.76 Bestimmte Rechtsnormen besitzen einen Hybridcharakter insofern, als sie sowohl auf der Tatbestands- als auch auf der Rechtsfolgenseite vage und konkretisierungsbedürftig sind. Das gilt insbesondere für die im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft bedeutsamen Treuepflichten: Sie sind sowohl Standard als auch Prinzip. Subsumtionsfähige Aussagen lassen sich auf ihrer Basis nur nach tatbestandlicher Konkretisierung und Abwägung mit gegenläufigen Prinzipien gewinnen. Gleiches ist etwa für den gesellschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu konstatieren.

4. Regelungsaufträge Schließlich ist noch auf eine besondere Regelungsform einzugehen, von der jüngst der europäische Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem eingangs erwähnten Projekt einer „Europäischen Privatgesellschaft“ Gebrauch gemacht hat bzw. machen möchte. Es geht um sogenannte „Regelungsaufträge“. Im konkreten Fall des SPE-Projektes haben die Gesellschafter bestimmte Fragen/Materien in der Satzung zu regeln (Art. 4 SPE-VO-E). Unklar ist allerdings, ob und in welcher Hinsicht die Erfüllung dieser Verpflichtung nach dem Verordnungsentwurf der Kommission eine Eintragungsvoraussetzung ist (vgl. Art. 10 SPE-VO-E).77 Auf den ersten Blick scheint der Sinn entsprechender Regelungsaufträge in einer Förderung privatautonomer Gestaltungen zu liegen, ähnlich wie dies oben im Text erörtert und beschrieben wurde. Im besonderen Kontext des SPE-Projektes kommt hinzu, dass damit offenbar das schwierige Problem der Einigung auf europaweit einheitliche Regeln für bestimmte Fragen durch Verweis auf Gestaltungen der Beteiligten elegant lösbar ist. Ganz allgemein wird für diese Regelungstechnik angeführt, dass sie der Vielfalt gesellschaftsrechtlicher Lebenssachverhalte gut gerecht werde und nicht die Neigung zur Bewahrung des Status quo aufweise, die dem dispositiven Gesetzesrecht gelegentlich nachgesagt werde.78 Dass es einen solchen Status quo-bias gibt bzw. geben kann, hatten wir bereits gesehen (Besitzeffekte). Allerdings löst die Verpflichtung der Parteien auf privatautonome Regelungen Transaktionskosten aus und zwingt diese, sich auch dort regelsetzend zu betätigen, wo der Nutzen privatautonomer Gestaltung relativ zu den damit verbundenen Kosten gering ist. Auch bei geschlossenen Kapitalgesellschaften ist deshalb ein „Kom-

76 Vgl. Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 699. 77 Nach der Vorstellung der Kommission besteht ein solches Eintragungshindernis offenbar nicht. Im nationalen Recht seien allerdings (andere?) „… Sanktionen für eine solche Unterlassung oder einen sonstigen Verstoß gegen die Verordnung vorzusehen“ (KOM(2008) 396 endg. v. 25.6.2008, S. 7). 78 Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 696.

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§ 2 Analytischer Rahmen

plettangebot“ des staatlichen Regelsetzers von regulierenden Normen für die Rechtsverhältnisse der Beteiligten vorzugswürdig. Flächendeckende Regelungsaufträge sind jedenfalls nicht zu empfehlen. Vertretbar sind sie nur, wenn gleichzeitig Mustersatzungen bereitgestellt werden, die kostengünstig vereinbar sind, bei denen die rechtsgültige Erfüllung der Regelungsaufträge unwiderleglich vermutet wird und die so – ähnlich wie dispositives Gesetzesrecht – als Rückfall- bzw. Auffangregelung Anwendung finden können.

5. Mustersatzungen Solche Mustersatzungen kommen als Regelungsform auch unabhängig vom Kontext der Regelungsaufträge nach dem SPE-Entwurf in Betracht. Sollen sie die beschriebene „Gültigkeitsgewähr“ besitzen, ist eine Autorisierung durch den jeweils zuständigen staatlichen Gesetzgeber alternativlos.79 Dieser kann dabei ggf. unterschiedliche Varianten zur Verfügung stellen und so den Parteien einen Anstoß dazu geben, sich jedenfalls für eine der Varianten zu entscheiden.80 Neben dem staatlichen Gesetzgeber sind Private ebenfalls mögliche Urheber und Erläuterer von Mustersatzungen. Diesen fehlt zwar das staatliche Gültigkeitssiegel. Dafür werden sie regelmäßig von dem geronnenen Erfahrungswissen einschlägig arbeitender und ausgewiesener Spezialisten geprägt.

D. Ergebnisse 1. Gegenstand dieser Untersuchung ist die geschlossene Kapitalgesellschaft. Der komparativ-funktionale Begriff der geschlossenen Kapitalgesellschaft ist zunächst geprägt durch die allgemeinen Merkmale der Kapitalgesellschaft: juristische Persönlichkeit, beschränkte Haftung, Übertragbarkeit der Anteile, Möglichkeit der Fremdgeschäftsführung sowie Inhaberschaft der Kapitalgeber. Er ist weitergehend dadurch gekennzeichnet, dass ihre Anteile nicht öffentlich gehandelt und darüber hinaus weitergehenden Übertragungsbeschränkungen unterworfen werden können. Eine Konzeptionierung von Regeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft muss als Ausgangspunkt den so bestimmten Untersuchungsgegenstand und zudem die Vielzahl der Nutzungen der geschlossenen Kapitalgesellschaft

79 Ein schönes Beispiel dafür ist die Mustersatzung, die von der „Reflection Group on the Future of EU Company Law“ als Anhang einer vorgeschlagenen Richtlinie zur Einführung einer vereinfachten Ein-Personen-Kapitalgesellschaftsform nationalen Rechts in den Mitgliedstaaten erwogen wird. Diese Richtlinie ist eine Alternative zur Einführung einer SPE durch eine europäische Verordnung. Vgl. Report of the Reflection Group on the Future of EU Company Law, Brussels, 5 April 2011, S. 66. 80 Zu den Mechanismen eines solchen „liberalen Paternalismus“ vgl. etwa Eidenmüller, JZ 2011, 814, 816 ff.

D. Ergebnisse

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berücksichtigen, die von Unternehmensgründungen über mittelständische Unternehmen bis zu Joint Ventures und Konzernholdingstrukturen reicht. In der vorliegenden Untersuchung steht die Gründerperspektive allerdings im Vordergrund. 2. Die spezifischen Merkmale und die Verwendung der geschlossenen Kapitalgesellschaft schlagen sich darin nieder, dass sich die jeweilige Relevanz der einzelnen Interessenkonflikte gegenüber kapitalmarktorientierten Kapitalgesellschaften verschiebt: a. Die Konflikte zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern sind in der geschlossenen Kapitalgesellschaft weniger stark ausgeprägt. Zum einen wird die Geschäftsführung häufig von den Gesellschaftern selbst übernommen und nicht an Dritte delegiert. Zum anderen ist eine Koordinierung unter einer begrenzten Anzahl von Gesellschaftern leichter als in einer Publikumsgesellschaft. b. Die Konflikte unter Gesellschaftern sind dagegen in der geschlossenen Kapitalgesellschaft verschärft. Die Lage von Minderheitsgesellschaftern spitzt sich dadurch zu, dass ihnen mangels liquider Handelbarkeit der Anteile eine Exit-Option fehlt. Sie sind dadurch in besonderem Maße der Gefahr einer Ausbeutung durch die Mehrheitsgesellschafter ausgeliefert. Umgekehrt drohen opportunistische Blockaden durch Minderheitsgesellschafter, die Vetorechte oder satzungsmäßige Mehrheitserfordernisse für eigene Sonderinteressen instrumentalisieren. Blockaden drohen auch, wenn in paritätischen Gesellschaften Uneinigkeit besteht. Konflikte unter Gesellschaftern in der geschlossenen Kapitalgesellschaft werden schließlich sehr häufig durch belastete familiäre oder persönliche Beziehungen zwischen den Gesellschaftern ausgelöst oder verstärkt. c. Akzentuiert sind in der geschlossenen Kapitalgesellschaft auch die Konflikte zwischen Gesellschaftern und Dritten, insbesondere Gläubigern. Da die Gesellschafter meist starken Einfluss auf die Geschäftsleitung haben oder diese selbst wahrnehmen, verstärken sich die Fehlanreize aufgrund der beschränkten Haftung und der asymmetrischen Teilhabe an Gewinnen und Verlusten. In der geschlossenen Kapitalgesellschaft besteht daher verstärkt die Gefahr von Risikoverschiebungen. 3. In dieser Untersuchung werden Regelungsziele des Rechts geschlossener Kapitalgesellschaften vorrangig mit Blick auf wohlfahrtsökonomische Erwägungen ausgearbeitet. Ziel ist es daher einerseits, die Kosten zu begrenzen, die mit den identifizierten Interessenkonflikten verbunden sind. Ein zweites wesentliches Ziel besteht darin, die Transaktionskosten zu minimieren, die der Betrieb einer Gesellschaft mit sich bringt, bspw. bei ihrer Gründung, Geschäftstätigkeit oder der Übertragung von Anteilen. 4. Gesellschaftsrechtliche Regelungen sollten grundsätzlich dispositiv sein und privatautonome Gestaltungen fördern, da diese tendenziell eine optimale (wohlfahrtsmaximierende) Ressourcenallokation hervorbringen. Dieser Umstand sollte auch die inhaltliche Gestaltung der dispositiven Regeln leiten: Sie sollten hypothetische Verhandlungslösungen replizieren. Bei der Wahl zwischen dispositiven und ermöglichenden Regeln, die den Beteiligten Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen,

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§ 2 Analytischer Rahmen

ohne eine Gestaltung vorzugeben, kann sich der Gesetzgeber ebenfalls an einer hypothetischen Verhandlungslösung orientieren. 5. Das ökonomische Leitbild des homo oeconomicus findet dort seine Grenze, wo systematische Rationalitätsdefizite auftreten und im Einzelfall gravierende Konsequenzen für die Betroffenen mit sich bringen. Zwingende Regelungen sind in Betracht zu ziehen, wenn Störungen in privatautonomen Aushandlungsprozessen dazu führen, dass wohlfahrtsmindernde Gestaltungen vereinbart werden. Zwingende Regelungen können zudem im Einzelfall durch höherrangiges Recht geboten sein. 6. Primär von der jeweiligen Rechtskultur und der Entwicklung eines Rechtssystems ist abhängig, ob gesellschaftsrechtliche Regeln technisch für einen bestimmten Tatbestand eine eindeutige Rechtsfolge anordnen (Regel) oder in Form eines Prinzips auf ein bestimmtes Ziel verpflichten und die Bestimmung der Rechtsfolge von der Abwägung mit gegenläufigen Prinzipien abhängig machen (sollten). Auch auf Tatbestandsseite kann die Rechtsanwendung in Form von Standards mit offenen und unbestimmten Vorschriften flexibilisiert werden. Wo die Entwicklung des Rechts- und insbesondere des Gerichtssystems dies gestattet, erlaubt die Verwendung von Prinzipien und Standards tendenziell angemessene(re) Lösungen im Einzelfall. Die Vorhersehbarkeit kann durch eine hybride Gestaltung gesteigert werden, etwa durch die Enumeration von Regelfällen in einem Standard. 7. Der Gesetzgeber sollte wegen der damit verbundenen Transaktionskosten darauf verzichten, den Gesellschaftsgründern Regelungsaufträge zu bestimmten Fragen in der Satzung zu erteilen. Vorzugswürdig ist ein Angebot dispositiver Mustersatzungen.

§3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften* A. Problemaufriss I. Binnenkonflikte als Kardinalproblem geschlossener Kapitalgesellschaften Binnenkonflikte zwischen Gesellschaftern gehören zu den Kardinalproblemen geschlossener Kapitalgesellschaften. Ihre große rechtspraktische Bedeutung rührt daher, dass Minderheitsgesellschafter wegen der Strukturmerkmale dieser Organisationsform durch opportunistisches Verhalten des Mehrheitsgesellschafters besonders verwundbar sind.1 Das Prinzip der Kapitalmehrheit für Gesellschafterbeschlüsse und die charakteristische Personalunion von Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer 2 begründen die Gefahr, dass die Belange der Gesellschafterminderheit übergangen und die Geschäfte überwiegend im Interesse des Mehrheitsgesellschafters geführt werden.3 Dieser kann seine beträchtliche Machtfülle etwa dadurch ausnutzen, dass er unausgewogene Verkehrsgeschäfte mit der Gesellschaft abschließt, den im Unternehmen mitarbeitenden Minderheitsgesellschaftern kündigt, sich selbst überhöhte Geschäftsführergehälter zubilligt und zugleich die Gewinnausschüttung drosselt.4 Den Minderheitsgesellschaftern bleibt dann häufig nur die Möglichkeit, ihre Geschäftsanteile mit einem kräftigen Preisabschlag an den Mehrheitsgesellschafter zu veräußern. Neben dem opportunistischen Verhalten des Mehrheitsgesellschafters, das im Mittelpunkt des vorliegenden Abschnitts steht (dazu unter B.), sind gelegentlich auch Ausbeutungsstrategien einer Gesellschafterminderheit – „la tyrannie des faibles“5 – zu beobachten: Minderheitsgesellschafter setzen hierbei ihre Sperrminorität oder sat-

* Der Text beruht auf einem Entwurf von Fleischer. 1 Vgl. Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einl. Rdn. 276; rechtsvergleichend McCahery/Vermeulen, Corporate Governance of Non-listed Companies, 2008, S. 45 ff; umfassend aus US-amerikanischer Sicht O’Neal/Thompson, Oppression of Minority Shareholders and LLC Members, 2. Aufl., loose-leaf, April 2009; für eine spieltheoretische Annäherung Mahoney, in: Mork, Concentrated Corporate Ownership, 2000, S. 177 unter der Überschrift „Trust and Opportunism in Close Corporations“. 2 Vgl. für die Vereinigten Staaten Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 287 (2006): „Shareholders in close corporations typically serve simultaneously as both owners and managers.“; für Großbritannien Davies, Introduction to Company Law, 2002, S. 217: „For this reason, we shall often refer to the majority shareholders in this chapter as ,controllers‘, so as to take account of the fact that the majority shareholders may express their powers either as shareholders or through the board.“ 3 Dazu aus französischer Sicht Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, 23. Aufl., 2010, Rdn. 381: „Dans une société, comme dans une démocratie, les décisions se prennent à la majorité, devant laquelle la minorité doit s’incliner. […] La minorité n’est pas pour autant livrée pieds et mains liés aux caprices de la majorité.“ 4 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 291. 5 So der plastische Titel des Festschriftenbeitrags von Constantin, La tyrannie des faibles – De l’abus de minorité en droit des sociétés, Mélanges Y. Guyon, 2003, S. 313.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

zungsmäßigen Vetorechte zur Erlangung ungerechtfertigter Sondervorteile ein (dazu unter C.). Schließlich gibt es noch ein drittes gängiges Konfliktmuster, hervorgerufen durch Pattsituationen in paritätisch besetzten Gesellschaften, die zur Handlungsunfähigkeit der Gesellschaftsorgane – dem sog. deadlock6 – führen (dazu unter D.).7

II. Binnenkonflikte als Achillesferse personalistischer Gesellschaften Binnenkonflikte zwischen Gesellschaftern bilden die Achillesferse geschlossener Kapitalgesellschaften.8 Im In- und Ausland trägt der empirische Durchschnittstyp dieser Organisationsform stark personalistische Züge: Die Gesellschafter kennen sich gut, stammen nicht selten aus derselben Familie oder sind eng miteinander befreundet.9 Hierin liegt ein beträchtlicher Organisationsvorteil, weil der größere Zusammenhalt und die disziplinierende Wirkung sozialer Normen die Kontroll- und Überwachungskosten senken.10 Soziologen sprechen insoweit von Relational Governance als einer besonderen Ausprägung der Corporate Governance.11 Dieser Vorzug schlägt freilich in sein Gegenteil um, wenn sich die Gesellschafter überworfen haben: Persönliche Differenzen belasten dann zugleich das geschäftliche Miteinander und gefährden unter Umständen sogar die Existenz der Gesellschaft. Die Gerichtspraxis bietet zahlreiche Beispiele dafür, dass Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Gesellschaftern ähnlich erbittert geführt werden wie zwischen zerstrittenen Eheleuten.12 6 Näher Moll/Ragazzo, The Law of Closely Held Corporations, 2009, § 7.02, 7–149 ff; für eine griffige Umschreibung Wilcox v. Stiles, 873 P.2d 1102, 1105 (Or. Ct. App. 1994): „[Deadlock] is the inaction which results when two equally powerful factions stake out opposing positions and refuse to budge.“ 7 Übergreifend zu allen drei Konfliktlagen Champetier de Ribes-Justeau, Les abus de majorité, de minorité et d’égalité. Etude comparative des droits français et nord-américain des sociétés, 2010. 8 So ausdrücklich Neville, in: Krüger Andersen/Clausen/Skog, Shareholder Conflicts, 2006, S. 87, 91 unter der Zwischenüberschrift „Conflicts between shareholders – the Achilles heel of the SME“. 9 Vgl. etwa Bostock v. High Tech Elevator Indus., 616 A.2d 1314, 1320–21 (N.J. Super. Ct. App. Div. 1992): „A close corporation frequently originates in the context of personal relationships. Often such business entities are formed by family members or friends.“ 10 Näher Mahoney, aaO (Fn. 1), S. 177: „The majority is constrained by the possibility of nonlegal sanctions, including family or social disapproval and loss of reputation“; ähnlich Neville, aaO (Fn. 8), S. 87, 89: „In family owned companies, the norms of equality, trust, altruism and loyalty normally guide the conduct of the owner-managers.“; aus transaktionskostentheoretischer Sicht Pollak, A Transaction Cost Approach to Families and Households, 23 J. Econ. Lit. 581, 591 ff. (1985) unter der Zwischenüberschrift „Family Governance of Market-Oriented Work: Family Farms and Family-Managed Firms“. 11 Vgl. etwa Granovetter, Economic Action and Social Structure: The Problem of Embeddedness, 91 Am. J. Sociol. 481 (1985); Nahapiet/Ghoshal, Social Capital, Intellectual Capital, and the Organizational Advantage, 23 Acad. Mgmt. Rev. 242 (1998); Mustakallio/ Autio/Zahra, Relational and Contractual Governance in Family Firms: Effects on Strategic Decisionmaking, 15 Fam. Bus. Rev. 205 (2002). 12 Gleichsinnig Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, 8. Aufl., 2008, Rdn. 20-9, S. 693: „Small companies emulate marriages in the frequency and bitterness of

A. Problemaufriss

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III. Binnenkonflikte als rechtsvergleichende Forschungslücke bei kapitalmarktfernen Gesellschaften Binnenkonflikte zwischen Gesellschaftern in kapitalmarktfernen Gesellschaften stellen rechtsvergleichend eine Forschungslücke dar. Das Hauptinteresse der Komparatistengilde galt in den vergangenen Jahren der kapitalmarktorientierten Publikumsgesellschaft. Dies trifft – jedenfalls tendenziell – auch für die wegweisende Gemeinschaftsstudie einer internationalen Forschergruppe zur Anatomie des Korporationsrechts zu.13 Wo rechtspolitische Fragen geschlossener Kapitalgesellschaften ausnahmsweise angesprochen werden, geht es zumeist um die Ausgestaltung des Gläubigerschutzes.14 Demgegenüber werden die vielschichtigen Konfliktlagen zwischen Gesellschaftermehrheit und Gesellschafterminderheit oft nur gestreift.15 Sie erweisen sich im rechtsvergleichenden Zugriff als außerordentlich sperrig und entziehen sich weithin einer einheitlichen Systematisierung.16 Überspitzt kann man die kapitalmarktferne Gesellschaft im internationalen Diskurs daher als „the orphan of corporate law“17 bezeichnen.

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their breakdown.“; für einen vertiefenden Vergleich von Eherecht und dem Recht geschlossener Kapitalgesellschaften Ertman, 36 Harv. C. R.-C. L. L. Rev. 79 (2001); außerdem Chiappinelli, 34 Ga. L. Rev. 699, 705 (2000): „I believe judges in these disputes use family law constructs to help them come to appropriate resolutions. The family law construct most analogous to many corporate law disputes is the issue of property distribution in marital dissolutions governed by statutes that typically direct the court to divide the property equitably […].“ Vgl. Kraakman/Davies/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law, 2004; dazu die Besprechungen von Armour, 6 Eur. Bus. Org. L. Rev. 492 (2005); Skeel, 113 Yale L. J. 1519 (2004); Tröger, AG 2005, 627; Wiedemann, ZGR 2006, 240; Windbichler, FS Röhricht, 2005, S. 693; nunmehr Kraakman/Armour/Davies/Enriques/ Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, 2. Aufl., 2009; dazu Bachmann, ZHR 174 (2010), 486. Nachfolgend beziehen sich Zitate auf die 2. Auflage. Wertvoll der Sammelband von Eidenmüller/Schön, The Law and Economics of Creditor Protection, 2008. Frühe Ausnahmen bilden die Beiträge von Manne, 53 Va. L. Rev. 259 (1967); und Easterbrook/Fischel, 38 Stan. L. Rev. 271 (1986); aus jüngster Zeit vor allem McCahery/Vermeulen, Corporate Governance of Non-listed Companies, 2008; sowie Neville/Sørensen, Company Law and SMEs, 2010. Ähnlich die einleitenden Bemerkungen des Generalberichterstatters Perakis, Rights of Minority Shareholders, XVIth Congress of the International Academy of Comparative Law, 2002, S. 15: „In the matter of protection of shareholders the differences between the various legal systems are numerous. Whether they are also fundamental is open to debate. In any case, the whole issue is quite intricate, as there are no complete or coherent national ,systems‘ of minority protection, and the relevant material is not easy to collect and to compare.“ Chayes, 73 Harv. L. Rev. 1532, 1533 (1959), dort bezogen auf das US-amerikanische Korporationsrecht; wieder aufgegriffen von Wells, 5 Berkeley Bus. L. J. 263, 272 (2008).

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

B. Schutz der Gesellschafterminderheit vor opportunistischem Verhalten des Mehrheitsgesellschafters I. Strukturelle Gefahren für Minderheitsgesellschafter „Why Minority Rights?“18 Zur Beantwortung dieser Frage ist es ratsam, sich zunächst einmal die Gefährdungsfaktoren für Minderheitsgesellschafter in geschlossenen Kapitalgesellschaften vor Augen zu führen, die jeweils zusammenspielen (können).19

1. Mehrheitsprinzip bei Gesellschafterbeschlüssen Zu den Strukturmerkmalen des Kapitalgesellschaftsrechts gehört allenthalben das sog. Majoritäts- oder Mehrheitsprinzip, wonach für Gesellschafterbeschlüsse grundsätzlich die einfache Stimmenmehrheit genügt. Sein kapitalistischer Einschlag zeigt sich darin, dass nicht nach Köpfen, sondern nach Kapitalanteilen abgestimmt wird. Die Auswirkungen des Mehrheitsprinzips auf das innergesellschaftliche Machtgefüge sind gewaltig: Wer 51% der Kapitalanteile besitzt, kann seine Vorstellungen bei gewöhnlichen Gesellschafterbeschlüssen zu 100% durchsetzen.20 Es liegt auf der Hand, dass das Beschlussergebnis unter diesen Umständen keine vergleichbare Richtigkeitsgewähr für sich in Anspruch nehmen kann wie ein ausgehandelter Vertrag: „Der herrschende Gesellschafter beschließt nicht, sondern ordnet an.“21 Vor diesem Hintergrund verlangt die Einwirkungsmacht der Gesellschaftermehrheit nach juristischer Einhegung, für die sich im In- und Ausland ganz verschiedene Rechtsfiguren herausgebildet haben.

2. Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis Darüber hinaus zeichnet sich das Binnenrecht geschlossener Kapitalgesellschaften durch eine beträchtliche Gestaltungsfreiheit aus. Nicht das Gesetz, sondern der Gesellschaftsvertrag bildet die primäre Quelle für die interne Organisation der GmbH und ihrer ausländischen Schwestergesellschaften.22 Diese sehr weitreichende Satzungs18 So die Zwischenüberschrift bei Perakis, aaO (Fn. 16), S. 26. 19 Dazu auch oben § 2 B.II. 20 Ähnlich Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 289 (2006): „In a close corporation […] the default allocation of power places near-complete control in the hands of any shareholders who hold more than fifty percent of the shares.“; ferner die zugespitzte, fast zynische Bemerkung in Humphrys v. Winous Co., 133 N.E.2d 780, 783 (Ohio 1956): „The old story, so often told, of a prominent Eastern newspaperman’s reply to the question of what the shares in his company were worth, is very apt: ,There are 51 shares‘, said he, ,that are worth $ 250.000. There are 49 shares that are not worth a …‘.“ 21 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 406. 22 Pointiert Langenfeld, FS Spiegelberger, 2009, S. 809, 812: „Wollte ein des deutschen Gesellschaftsrechts Unkundiger aus der Lektüre des GmbH-Gesetzes den Inhalt des Vertra-

B. Schutz der Gesellschafterminderheit

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autonomie, für die auch der Vorschlag einer SPE-Verordnung plädiert,23 ist grundsätzlich zu begrüßen. Sie hat allerdings zur Folge, dass das GmbH-rechtliche Mehrheitsprinzip in seiner Bedeutung weit über das aktienrechtliche Majoritätsprinzip hinausgeht:24 Während der (Klein-)Aktionär – jedenfalls hierzulande 25 – durch eine zwingend ausgestaltete Legalordnung geschützt wird (§ 23 Abs. 5 AktG), hat der Gesetzgeber für den GmbH-Gesellschafter kein vergleichbares Sicherheitsnetz gespannt. Infolgedessen ist ein wirksamer Minderheitenschutz im GmbH-Recht noch vordringlicher als im Aktienrecht.26

3. Stabile Mehrheitsverhältnisse Für die Stellung des Minderheitsgesellschafters ist zudem bedeutsam, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Zeitablauf kaum verändern. Mag es für börsennotierte Gesellschaften bei entsprechendem free float zutreffen, dass „anybody is potentially a majority or minority shareholder“,27 findet ein solcher Rollentausch bei geschlossenen Kapitalgesellschaften fast nie statt: Hier liegt die Rechtsmacht sehr häufig in der Hand homogener Mehrheiten und wird über den Erbfall hinaus durch kautelarjuristische Vorkehrungen zusammengehalten. Flankierend sorgen Vinkulierungsklauseln und Vorkaufsrechte dafür, dass Übernahmedrohungen als Disziplinierungsinstrument ausscheiden und ein überraschender Kontrollwechsel kaum vorstellbar ist.

4. Kein liquider Sekundärmarkt für Gesellschaftsanteile In wirtschaftlicher Hinsicht gehört das Fehlen liquider Sekundärmärkte zu den Besonderheiten geschlossener Kapitalgesellschaften. Häufig definiert man die close corporation geradezu dadurch, dass ihre Anteile nicht auf öffentlichen Kapitalmärkten gehandelt werden.28 Zwar hat es hierzulande und anderwärts nicht an Versuchen ge-

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ges der personalistischen GmbH […] ablesen, so würde er scheitern. Einen Eindruck von der Komplexität der modernen GmbH bekäme er erst, wenn er beim Handelsregister oder anhand der kautelarjuristischen Literatur Vertragsbeispiele oder Vertragsmuster studieren würde.“ Vgl. Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, KOM(2008) 396, Erwägungsgrund 3: „[…] sollten möglichst viele Punkte der Vertragsfreiheit der Anteilseigner überlassen bleiben“; ebenso in der Kompromissfassung der schwedischen Ratspräsidentschaft vom 23.5.2011. Dazu Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 32; Martens, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 607, 616. Zur Sonderstellung der deutschen Satzungsstrenge im internationalen Vergleich Fleischer, AcP 204 (2004), 502, 517: „Aus der Gesellschaftsrechtsvergleichung wissen wir, dass die rigide Satzungsstrenge des § 23 Abs. 5 AktG international ein Solitär, aber gewiss kein Edelstein ist.“ Ebenso K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 467. Perakis, aaO (Fn. 16), S. 20. Vgl. etwa § 342(a)(3) Del. Gen. Corp. L.; dazu auch oben § 2 A.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

fehlt, die Handelbarkeit der Geschäftsanteile geschlossener Kapitalgesellschaften in einem eigenen Marktsegment herzustellen, doch wollte sich die erforderliche Nachfrage zu keiner Zeit einstellen.29 Potentielle Investoren erkannten die Tücken dieser Anlageform: „Only a fool would purchase a minority interest in a close corporation.“30 Für veräußerungswillige Minderheitsgesellschafter führt das Fehlen liquider Sekundärmärkte zu einem Einsperreffekt (Lock-in): Sie haben keine Ausstiegsmöglichkeit (Exit), und weil sie auch mit ihrem Stimmrecht (Voice) wegen des schon erwähnten Mehrheitsprinzips wenig auszurichten vermögen,31 ist ihre Situation bei gezielter Benachteiligung durch die Gesellschaftermehrheit besonders prekär. Demgegenüber können die Aktionäre börsennotierter Gesellschaften ihre Beteiligung durch die sog. Wall Street Rule jederzeit wieder zu Geld machen32 und verfügen damit über ein gewisses Druckmittel gegenüber Geschäftsleitung und Mehrheitsaktionär.

5. Kein zuverlässiger Wertmesser für Gesellschaftsbeteiligungen Durch das Fehlen liquider Sekundärmärkte steht Gesellschaftern und Gerichten auch kein zuverlässiger Wertmesser für die Gesellschaftsbeteiligung zur Verfügung. Entsprechend kompliziert und fehleranfällig ist die Bewertung geschlossener Kapitalgesellschaften. Viele Grundsätze der modernen Kapitalmarkttheorie, etwa die Einsicht, dass firmenspezifische Risiken unberücksichtigt bleiben,33 lassen sich nicht auf geschlossene Kapitalgesellschaften übertragen. Hinzu kommt, dass der „richtige“ Unternehmenswert je nach Bewertungsanlass schwankt.34 Diese mannigfaltigen Bewertungsschwierigkeiten beeinträchtigen nicht nur die – ohnehin eingeschränkte – Gewinnung externer Investoren; sie erschweren auch und gerade die endgültige Bereinigung interner Konflikte zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter. Die 29 Näher Michalski/Fleischer, Komm. z. GmbHG, 2. Aufl., 2010, Syst. Darst. 5: Finanzierung der GmbH, Rdn. 110 ff; dazu auch unten § 6 C. 30 Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 320 (2006); ähnlich aus der Rechtsprechung Donahue v. Rodd Electrotype Co. of New England, Inc., 328 N.E.2d 505, 515 (Mass. 1975): „No outsider would knowingly assume the position of the disadvantaged minority. The outsider would have the same difficulties.“ 31 Grundlegend zu diesen beiden Konzepten Hirschman, Exit, Voice, and Loyalty: Responses to Decline in Firms, Organizations, and States, 1970. 32 Dazu etwa Fischel, 35 Vand. L. Rev. 1259, 1278 (1982): „The ability freely to sell one’s shares, therefore, the so-called ‚Wall Street Rule‘, is without question the single most important safeguard to all shareholders that managers will act in their best interests.“ 33 Zu den fehlenden Diversifizierungsmöglichkeiten der Anteilseigner geschlossener Kapitalgesellschaften etwa Feldman, Principles of Private Firm Valuation, 2005, S. 80: „In estimating the cost of capital for a private firm, it is generally assumed that the owners cannot diversify away from the unique risk that the firm represents, and thus anybody desiring to purchase the firm would incorporate a premium to reflect this fact.“ 34 Dazu etwa Slee, Private Capital Markets: Valuation, Capitalization, and Transfer of Private Business Interests, 2004, S. 23: „Every private company, therefore, has a large number of different values at the same time, depending on the purpose and function of the valuation.“

B. Schutz der Gesellschafterminderheit

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Akzeptanz eines privatautonom vereinbarten oder gesetzlich vorgesehenen Austrittsoder Andienungsrechts hängt nämlich entscheidend von seinen finanziellen Bedingungen ab: „What is needed is a right to exit at a ‚fair‘ price.“35 Für die Bewertung von Minderheitsbeteiligungen spielt vor allem eine Rolle, inwieweit Abschläge für fehlende Kontrollrechte (discount for lack of control) und eingeschränkte Veräußerbarkeit (discount for lack of marketability) vorzunehmen sind.36

6. Eingeschränkte Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik Zu Lasten der Gesellschafterminderheit wirkt sich schließlich die eingeschränkte Gerichtskontrolle in Fragen der Geschäftspolitik aus.37 Allenthalben zeigt die Spruchpraxis wenig Neigung, sich in unternehmerische Entscheidungen einzumischen, und billigt Geschäftsführern wie Gesellschafterversammlung ein breites Leitungsermessen zu.38 Dieser judicial self-restraint beruht zum Teil auf mangelnder wirtschaftlicher Sachkunde („Richter sind keine Manager“); er speist sich aber auch aus der Überzeugung, dass Gerichte unternehmerische Führungsentscheidungen nicht im Nachhinein durch eigene Ermessenserwägungen ersetzen sollen. Für diese Einsicht sprechen in der Tat durchschlagende Gründe, die in vielen Jurisdiktionen zur Einführung der Business Judgment Rule geführt haben.39 Gleichwohl bildet die traditionelle Zurückhaltung der Gerichte für geschädigte Minderheitsgesellschafter ein enormes Handicap, weil Benachteiligungsstrategien des Mehrheitsgesellschafters häufig im Gewande geschäftspolitischer Entscheidungen daherkommen: So lassen sich für die vollständige Einbehaltung der erwirtschafteten Gewinne oder die Kündigung eines mitarbeitenden Minderheitsgesellschafters fast immer auch kaufmännische Erwägungen vorbringen.40 35 Davies, aaO (Fn. 2), S. 228; dazu auch Fleischer/Strothotte, RIW 2012, 2. 36 Für erste rechtsvergleichende Aufarbeitungen Fleischer/Strothotte, RIW 2012, 2, 4 ff (Anteilsbewertung im englischen Kapitalgesellschaftsrecht); Fleischer, FS Hommelhoff, 2012 (Anteilsbewertung und Bewertungsabschläge im US-amerikanischen Korporationsrecht). 37 Eingehend Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 908 ff (2005); knapper O’Neal/Thompson, aaO (Fn. 1), § 3 : 3, 3–4: „This section discusses two basic precepts that make many squeeze-out activities possible: (1) the principles of majority control, and (2) the business judgment rule.“ 38 Vgl. etwa Iwasaki v. Iwasaki Bros., Inc., 649 P.2d 598 (1982): „Courts will not interfere in legitimate business decisions of private corporations just to resolve dispute between majority and minority stockholders.“; aus deutscher Sicht Martens, FS 100 Jahre GmbHGesetz, S. 607, 609: „Im Gesellschaftsrecht entzünden sich derartige Konflikte zumeist vor dem Hintergrund unternehmerischer Entscheidungen. Da sich diese Entscheidungen nur begrenzt verrechtlichen lassen, im wesentlichen aber durch einen weiten Ermessensspielraum geprägt sind, ist auch der Richter nicht befugt, in derart offene Entscheidungsprozesse zugunsten einer opponierenden Minderheit einzugreifen.“ 39 Eingehend Fleischer, FS Wiedemann, 2002, S. 827 (zum Aktienrecht); zum unternehmerischen Ermessen des GmbH-Geschäftsführers und seinen GmbH-spezifischen Grenzen ders., NZG 2011, 521 mit weiteren rechtsvergleichenden Belegen. 40 Vgl. Chittur, 10 Harv. J.L. & Pub. Pol’y 129, 154 (1987): „So long as the controlling stockholder’s conduct is not outrageous – that is, a plausible business reason can be articulated

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

II. Typologie minderheitsschädigender Verhaltensweisen Um einen möglichst zielgenauen Einsatz minderheitsschützender Instrumente zu gewährleisten, empfiehlt es sich, vorab einen Überblick über die wichtigsten Ausbeutungsstrategien des Mehrheitsgesellschafters zu gewinnen. Vollständigkeit wird nicht angestrebt.41 Zu bedenken ist außerdem, dass ein opportunistisch handelnder Mehrheitsgesellschafter nicht selten verschiedene „Squeeze-out Techniques“42 kombiniert, um seinen Mitgesellschafter hinauszudrängen.

1. Unausgewogene Drittgeschäfte mit der Gesellschaft Ein ebenso einfaches wie erfolgversprechendes Mittel der Selbstbegünstigung besteht für den Mehrheitsgesellschafter darin, unausgewogene Drittgeschäfte mit der Gesellschaft abzuschließen: Er erwirbt von ihr ein Grundstück weit unter Verkehrspreis, veranlasst sie zur Ausreichung eines unverzinslichen Darlehens, vermietet ihr Geschäftsräume zu überhöhten Konditionen etc. Zur Verschleierung des wahren Sachverhalts werden solche sweetheart deals häufig nicht mit dem Mehrheitsgesellschafter, sondern mit dessen Familienangehörigen eingefädelt. Ebenso beliebt ist die Zwischenschaltung von Personen- oder Kapitalgesellschaften, die vom Mehrheitsgesellschafter kontrolliert werden. Im Bilanzrecht spricht man bündig von related parties transactions. Der Minderheitsgesellschafter steht in allen diesen Fällen vor Informations- und Bewertungsproblemen.

2. Überhöhtes Geschäftsführergehalt Im In- und Ausland weit verbreitet ist die (Selbst-)Bewilligung überhöhter Geschäftsführergehälter.43 Sie mag zum Teil steuerlich motiviert sein, weil die Managervergütung – anders als allfällige Dividendenzahlungen – zu den abzugsfähigen Betriebsausgaben der Gesellschaft zählt.44 Für nicht an der Geschäftsführung beteiligte Minderheitsgesellschafter birgt sie aber beträchtliche Gefahren, zumal die Festsetzung

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– his decisions are protected by the business judgment rule.“; ähnlich O’Neal/Thompson, aaO (Fn. 1), § 3 : 3, 3–12: „In general, courts will begin with the lax business judgment standard to review directors’ decisions in selecting corporate officers and employees, fixing salaries, declaring or withholding dividends, authorizing contracts, or otherwise fixing business policies and determining the course of corporate affairs.“ Detaillierter O’Neal/Thompson, aaO (Fn. 1), §§ 3: 4–3: 20, die einen Katalog von 17 Verdrängungsstrategien auflisten; vgl. auch Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7), S. 68 ff, 109 ff. So die Kapitelüberschrift bei O’Neal/Thompson, aaO (Fn. 1), Chapter 3. Vgl. BGHZ 111, 224; Cass. com., Rev. soc. 2012, 38; Irvine v. Irvine, [2007] 1 B.C.L.C. 349; Carlson v. Hallinan, 925 A.2d 506 (Del. Ch. 2006). Vgl. Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 890–891 (2005).

B. Schutz der Gesellschafterminderheit

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der Vergütungshöhe eine nur beschränkt überprüfbare unternehmerische Entscheidung darstellt. Immerhin können sie in krassen Fällen auf die Unterstützung durch die Steuerbehörden rechnen, die nach verdeckten Gewinnausschüttungen fahnden und sich insoweit als „natürlicher Verbündeter“ 45 des Minderheitsgesellschafters erweisen.46

3. Aneignung von Geschäftschancen und Gesellschaftsressourcen Darüber hinaus nutzen geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter ihren Informationsvorsprung immer wieder dazu aus, korporative Geschäftschancen auf ihre eigenen Mühlen umzulenken47 oder der Gesellschaft unerlaubt Konkurrenz zu machen. Hinzu kommen vielfältige Varianten der „consumption on the job“, die von der Erstattung privat veranlasster Reisekosten, Spesen oder Repräsentativaufwendungen über die unerlaubte Verwendung des Dienstwagens bis hin zur Möblierung der Privatvilla auf Firmenkosten reichen.48 Allerdings handelt es sich hierbei um kein spezifisches Problem geschlossener Kapitalgesellschaften; in börsennotierten Publikumsgesellschaften ist dergleichen ebenfalls anzutreffen.

4. Übermäßige Gewinnthesaurierung Reiches Anschauungsmaterial bietet die Gerichtspraxis zudem für Fälle, in denen Mehrheitsgesellschafter, die zugleich über ein üppiges Geschäftsführergehalt verfügen, in der Gesellschafterversammlung jahrelang für eine Vollthesaurierung der erwirtschafteten Gewinne stimmen.49 Der auf eine „Hungerdividende“ gesetzte Minderheitsgesellschafter steht hier wiederum vor der Schwierigkeit, dass die Entscheidung über eine Rücklagenbildung eine unternehmerische Entscheidung darstellt, die sich einer vollen gerichtlichen Überprüfung entzieht.50 45 Formulierung in Anlehnung an Bank, 61 Wash. & Lee L. Rev. 1159, 1232 (2004): „Tax can be considered an ally of Corporate Governance.“ 46 Für ein Fallbeispiel OLG Frankfurt GmbHR 2005, 550, 557 f; konzeptionell Fleischer/ Hupka, DB 2010, 601, 603. 47 Rechtsvergleichender Überblick bei Fleischer, NZG 2003, 985. 48 Umfassendes Fallmaterial bei Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2012, § 43 Rdn. 192. 49 Vgl. zuletzt OLG Brandenburg ZIP 2009, 1955 Leitsatz 3: „Eine Vollthesaurierung über sieben Jahre in einer das Stammkapital um mehr als das Doppelte übersteigenden Höhe belastet den Minderheitsgesellschafter einseitig, wenn er nicht in anderer Weise Einkünfte aus und durch die GmbH erzielen kann, während zugunsten der Mehrheitsgesellschafter, die die Geschäftsführungspositionen besetzt haben, verdeckte Gewinnausschüttungen erfolgen.“; ferner OLG Nürnberg DB 2008, 2415; Cass. com., Rev. soc. 2004, 337; Re Mc Carthy Surfacing Ltd, [2009] 1 B.C.L.C. 622, 651 f. Rdn. 67 ff; Brodie v. Jordan, 857 N.E.2d 1076 (Mass. 2006). 50 Vgl. Ragazzo, 77 Wash. U. L. Q. 1099, 1125 n. 126 (1999): „The business judgment rule is seldom overcome on dividend questions.“

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

5. Kündigung von mitarbeitenden Minderheitsgesellschaftern Vor allem in den Vereinigten Staaten, aber auch anderwärts ist ferner die grundlose Kündigung von mitarbeitenden Minderheitsgesellschaftern durch den geschäftsführenden Mehrheitsgesellschafter anzutreffen.51 Dies hat für den betroffenen Minderheitsgesellschafter häufig einschneidende Folgen, weil die bezahlte Mitarbeit oft einen wesentlichen Teil seiner Rendite ausmacht.52 Die geschlossene Kapitalgesellschaft ist nämlich ganz überwiegend keine bloße Vermögensgemeinschaft von Eigenkapitalgebern, sondern eine Tätigkeitsveranstaltung ihrer Gesellschafter.53 Fehlt es an ausdrücklichen Schutzvorkehrungen gegen die Kündigung des Anstellungsvertrages,54 so muss der Minderheitsgesellschafter beweisen, dass die laufende Mitarbeit im Unternehmen zu den impliziten Vereinbarungen beim Abschluss des Gesellschaftsvertrages gehörte.

6. Rückerwerb der Geschäftsanteile vom Mehrheitsgesellschafter International große Beachtung finden weiterhin Fallkonstellationen, in denen die Gesellschaft Geschäftsanteile vom Mehrheitsgesellschafter zurückerwirbt, ohne den Minderheitsgesellschaftern die gleiche Möglichkeit zu eröffnen. Die Behandlung eines solchen Rückerwerbs ist einfach, wenn der Erwerbspreis über dem inneren Wert der Anteile liegt: Hierin liegt ein unausgewogenes und daher pflichtwidriges Drittgeschäft. Größeres Kopfzerbrechen bereitet hingegen die Frage, ob der Gesellschafterminderheit bei einem angemessenen Preis aus Gleichbehandlungsgründen ebenfalls ein Andienungsrecht zusteht. Verschiedene Gerichte in den Vereinigten Staaten haben dies bejaht (sog. Donahue doctrine 55), andere haben sich gegen ein formal verstandenes Gleichbehandlungsgebot ausgesprochen (sog. Nixon doctrine 56). Hinter alledem

51 Vgl. aus US-amerikanischer Sicht die Aufbereitung des Fallmaterials bei Moll, 1999 U. Ill. L. Rev. 517; aus englischer Sicht Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20–6, S. 690: „It is now accepted that the interests of a member, at least in a small company, may be affected by his or her expulsion from the board, whether because it was expected that the return on investment would take the form of directors’ fees or because a board position, even in a non-executive role, may be necessary to monitor and protect the member’s investment.“ 52 Vgl. Kleinberger, 16 Wm. Mitchell L. Rev. 1143, 1148 (1990): „Payout is frequently in the form of salary rather than dividends.“; aus der Spruchpraxis Balvik v. Sylvester, 411 N.W. 2d 383, 388 (N.D. 1987): „Balvik was ultimately fired as an employee of the corporation, thus destroying the primary mode of return on his investment.“; aus deutscher Sicht Fleischer, NZG 2011, 521, 526 f. 53 Näher Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 37; gleichsinnig Thompson, 48 Bus. Law. 699, 702 (1993), wonach innerhalb einer geschlossenen Kapitalgesellschaft „a more intimate and intense relationship exists between capital and labor.“ 54 Zu ihnen etwa Utset, 2003 Utah L. Rev. 1329, 1343 (2003). 55 Donahue v. Rodd Electrotype Co., 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975). 56 Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del. 1993).

B. Schutz der Gesellschafterminderheit

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stehen grundsätzliche Fragen des Verhältnisses von Fairness und formaler Gleichbehandlung in geschlossenen wie in kapitalmarktorientierten Gesellschaften.57

7. Ausschluss der Minderheitsgesellschafter von Kapitalerhöhungen Ein klassisches Beispiel der Benachteiligung von Gesellschafterminderheiten besteht überdies darin, sie von der Beteiligung an allfälligen Kapitalerhöhungen auszuschließen. Der Gesetzgeber „auf der grünen Wiese“ muss hier vor allem über die Ausgestaltung der default rule nachdenken: Soll das dispositive Gesetzesrecht ein Bezugsrecht vorsehen, oder überlässt man dies der statutarischen Eigenvorsorge der Gesellschafter? Die rechtspolitische Diskussion um preemption rights im Aktienrecht hat insoweit wertvolles Argumentationsmaterial zutage gefördert,58 doch liegen die Dinge bei geschlossenen Kapitalgesellschaften wegen der fehlenden Zukaufsmöglichkeit am Markt etwas anders.

8. Verschweigen vermögensrelevanter Informationen Schließlich kommt es vor, dass der geschäftsführende Mehrheitsgesellschafter seinen Mitgesellschafter durch Verheimlichung von Informationen übervorteilt. Eine beachtliche Kasuistik betrifft Fallgestaltungen, in denen der Mehrheitsgesellschafter die Minderheitsanteile erwirbt, ohne den Minderheitsgesellschafter über werterhöhende Umstände in der Gesellschaftssphäre oder höhere Kaufangebote von dritter Seite zu unterrichten.59

III. Möglichkeiten und Grenzen des Selbstschutzes Besteht nach den bisherigen Überlegungen ein Bedürfnis für minderheitsschützende Regelungen, so bedeutet dies nicht, dass hierfür primär der Gesetzgeber verantwortlich ist. Vielmehr obliegt es zuallererst der Gesellschafterminderheit, nach Kräften für 57 Eingehend und rechtsvergleichend zuletzt de Luca, 34 Del. J. Corp. L. 853 (2009) mit folgender Kurzzusammenfassung: „This article argues that a strong or rather mechanical equal treatment rule in share repurchases, distributions in kind, or capital reductions is not efficient. An economic analysis of the law shows that disparate treatments of shareholders may increase shareholders’ welfare. Disparate treatment, however, should not result in the oppression of minorities. Rather, oppression of minorities should be prevented with the fairness standard.“ 58 Rechtsvergleichend zur Entwicklung in den Vereinigten Staaten, wo das Bezugsrecht in den Gesellschaftsgesetzen der Einzelstaaten heute durchweg dispositiv (und zumeist als opt-in-Lösung) ausgestaltet ist, Hirte, AG 1991, 166; Kübler, ZBB 1993, 1. 59 Vgl. OLG Hamm DB 1991, 799 (GmbH & Co. KG); rechtsvergleichendes Panorama bei Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 528 ff; s. auch BGH NJW 2007, 917 Rdn. 9.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

„self-help“60 zu sorgen.61 Zu diesem Zwecke sollten ihr die verschiedenen kautelarjuristischen Schutzmöglichkeiten gegen einen ex-post-Opportunismus des Mehrheitsgesellschafters62 noch besser als bisher zur Kenntnis gebracht werden.63 In Betracht kommen hier etwa formalisierte Warnhinweise, die obligatorische Beantwortung von Fragebögen, Anstöße zu aktivem Selbstschutz durch gesetzliche Regelungsaufträge oder ein Menü verschiedener Mustersatzungen sowie der Einsatz eines formalisierten Vertragsschlussverfahrens unter Einschaltung fachkundiger und unabhängiger Berater (Notare, Rechtsanwälte).64

1. Selbstschutz durch vertragliche oder gesetzliche Vetopositionen Der deutsche GmbH-Gesetzgeber von 1892 hat es den Materialien zufolge jedem einzelnen Gesellschafter überlassen, hinreichende Schutzvorkehrungen zu treffen.65 Dies leuchtet insofern ein, als ein kleiner Kreis von Gründergesellschaftern kostengünstige Vertragsverhandlungen erlaubt. Kollektivhandlungsprobleme wie bei großen Publikumsgesellschaften treten hier in der Regel nicht auf.66 Zudem verfügen Minderheitsgesellschafter jedenfalls dann über entsprechende Verhandlungsmacht, wenn sie als „letzter Kapitalgeber“ für die Unternehmensgründung unerlässlich sind.67 Allerdings

60 So die Zwischenüberschrift bei Gower/Davies, aaO (Fn. 12), vor Rdn. 19–20, S. 674. 61 Vgl. aus britischer Sicht Davies, aaO (Fn. 2), S. 254: „The best protection for minority shareholders in this class of cases is careful negotiation of the terms on which the investment is made, plus careful monitoring of the majority’s decisions.“; aus US-amerikanischer Perspektive McGinty, 46 Emory L. J. 163, 170 ff (1997). 62 Für einen Katalog von Selbstschutzmaßnahmen aus britischer und australischer Sicht Boros, Minority Shareholders’ Remedies, 1995, S. 104 ff. 63 Näher zuletzt Molitor, 14 Fordham J. Corp. & Fin. L. 491 (2009) unter der Überschrift „Eat Your Vegetables (Or at Least Understand Why You Should): Can Better Warning and Education of Prospective Minority Owners Reduce Oppression in Closely Held Businesses?“. 64 Dazu etwa Molitor, 14 Fordham J. Corp. & Fin. L. 491 (2009); Sneirson, 2008 Wis. L. Rev. 899; umfassend zu solchen Wahlhilfen und debiasing-Strategien für Gründungsgesellschafter Schmolke, Grenzen der Selbstbindung im Vertragsrecht, § 8 unter 2.3.2. 65 Vgl. Begründung zum GmbH-Gesetz, 1892, S. 45, wonach zur Aufstellung bindender Normen wegen fehlender Beteiligung des „großen Publikums“ keine Veranlassung bestehe und die an einer GmbH beteiligten Personen selbst zum Schutze ihrer Interessen in der Lage seien. 66 So auch Bainbridge, Corporation Law and Economics, 2002, S. 798: „Unlike a large public corporation, where collective action problems preclude shareholders from bargaining with one another, the small group of investors in a close corporation permits them to bargaining at a comparatively low cost. Investors would be foolish to agree to invest in the business but leave planning the details about the firm until the future.“; dazu auch oben § 2 B.II. 67 Vgl. den entsprechenden Hinweis bei Oesterle, 66 U. Colo. L. Rev. 881, 893 mit Fn. 54 (1995): „In many small corporations, attracting the last investor necessary to capitalize the business can be very difficult. The last investor, even if a minority investor, has hold-up power; without him there is no firm. Such a minority investor has bargaining power at

B. Schutz der Gesellschafterminderheit

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scheuen auch sie womöglich vor harten Verhandlungen zurück, weil sie ihre geschäftlichen und privaten Beziehungen nicht aufs Spiel setzen wollen.68

a) Statutarische Vetorechte und schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen Für den Minderheitsgesellschafter besteht eine erste Selbstschutzmöglichkeit darin, sich im Gesellschaftsvertrag ein Zustimmungsrecht für bestimmte Maßnahmen auszubedingen, und zwar entweder durch ausdrückliche Einverständniserklärung oder in abgeschwächter Form durch Unterlassen von Widerspruch.69 So kann er das kapitalgesellschaftsrechtliche Mehrheitsprinzip etwa für außergewöhnliche Geschäfte außer Kraft setzen.70 Der schweizerische Reformgesetzgeber hat diese schon zuvor bestehende Gestaltungsoption im Jahre 2008 ausdrücklich in das GmbH-Recht aufgenommen, weil er sich von ihrer Kodifizierung eine verstärkte Nutzung in kleineren Unternehmen und Konsortien verspricht.71 Art. 807 Abs. 1 OR bestimmt seither, dass die Statuten Gesellschaftern ein Vetorecht gegen bestimmte Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einräumen können.72 Die Statuten müssen die Beschlüsse umschreiben, für die das Vetorecht gilt. Nach Art. 807 Abs. 3 OR kann dieses nicht übertragen werden. Auch anderwärts sind statutarische Vetorechte aufgrund der gesellschaftsinternen Gestaltungsfreiheit ohne weiteres möglich.73 Frühere Gegenstimmen, wonach die dadurch drohende Unmöglichkeit einer Satzungsänderung unter public-policy-Gesichtspunkten bedenklich sei,74 haben sich zu Recht nicht behaupten können.75

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formation that exceeds the proportion represented by his equity investment.“; ähnlich Moll, 42 B.C. L. Rev. 989, 1074–75 (2001). In diesem Sinne Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 916 (2005). Zu beiden Varianten Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, S. 213. Vgl. aus US-amerikanischer Sicht Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 906 (2005): „One way for a minority shareholder to avoid the norm of majority rule is to contract around it.“ So ausdrücklich Botschaft zur Revision des Obligationenrechts vom 13.12.2001, BBl. 2002, 3148, 3203 („Erfüllung eines erheblichen Bedürfnisses“); monographisch Nater, Die Willensbildung in der GmbH, 2010. Näher Truffer/Dubs, in: Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 3. Aufl., 2008, Art. 807 Rdn. 3 ff. Vgl. für Deutschland Seibt, in: Römermann, Münchener Anwaltshandbuch GmbHRecht, 2. Aufl., 2009, § 2 Rdn. 147: „Die Bestimmung von Mehrheitserfordernissen für bestimmte Arten von Geschäftsführungsmaßnahmen sowie Strukturmaßnahmen ist eine der wichtigsten Stellschrauben für den Interessenausgleich zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern. Die Gesellschafter müssen durch Satzungsbestimmung regeln, […] bei welchen Maßnahmen einem bestimmten Gesellschafter ein Veto-Recht zugebilligt wird.“ Für die Unwirksamkeit weitreichender Einstimmigkeitserfordernisse noch der New York Court of Appeals in Benintendi v. Kenton Hotel, 60 N.E.2d 829 (1945). Vgl. heute § 616 und § 709 N.Y. Bus. Corp. L.; aus der Spruchpraxis Sutton v. Sutton, 637 N.E.2d 260 (1994).

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

Außerhalb der Satzung können sich die Gesellschafter durch einen schuldrechtlichen Stimmbindungsvertrag verpflichten, ihr Stimmrecht nur in bestimmter Weise auszuüben. Die rechtliche Zulässigkeit solcher shareholder agreements war zwar jenseits des Atlantiks durch eine berühmte Entscheidungsreihe des New York Court of Appeals (die „big four“) in Zweifel gezogen worden,76 doch beeilte sich der dortige Gesetzgeber, sie entsprechend den Bedürfnissen der Praxis zu gestatten.77 Heute sind derartige Vereinbarungen in geschlossenen Gesellschaften überall anerkannt78 und dienen Minderheitsgesellschaftern zur Wahrung ihrer Belange bei wichtigen Änderungen im Gesellschaftsleben.79

b) Qualifizierte gesetzliche Mehrheitserfordernisse Darüber hinaus können sich Mitwirkungsrechte („decision rights“80) der Minderheitsgesellschafter auch dadurch ergeben, dass der Gesetzgeber für bestimmte Beschlussgegenstände ein erhöhtes Quorum vorsieht. Im In- und Ausland gilt dies herkömmlich für Satzungsänderungen. Bei der zahlenmäßigen Festsetzung des Quorums und den von ihm erfassten Beschlussgegenständen kann eine vernünftige Auswahl des Gesetzgebers schwanken: So kennt das französische GmbH-Recht gestaffelte Quoren für außerordentliche Beschlussgegenstände (décisions extraordinaires), die von Einstimmigkeit (z.B. Art. L. 223-30 Abs. 1 C.com.: Wechsel der Nationalität der Gesellschaft) über eine Mehrheit von drei Vierteln der Gesellschaftsanteile (Art. L. 223-30 Abs. 2 C.com.: Satzungsänderungen) bis hin zu einer doppelten Stimm- und Kapitalmehrheit (z.B. Art. L. 223-14 Abs. 1 C.com.: Anteilsveräußerung an außenstehende Dritte) reichen;81 für SARLs, die ab dem 3. August 2005 gegründet worden sind, hat der Reformgesetzgeber die satzungsändernde Mehrheit auf zwei Drittel der von den anwesenden oder vertretenen Gesellschaftern gehaltenen Anteile abgesenkt (Art. L. 223-30 Abs. 3 C.com.), aber zugleich Quoren zur Beschlussfähigkeit eingeführt. Der SPE-Verordnungsentwurf verlangt für bestimmte Beschlussgegenstände in Art. 28 Abs. 2 eine qualifizierte Mehrheit, die nicht weniger als zwei Drittel der gesamten Stimmrechte betragen darf. 76 Ausführlich dazu Bauman/Palmiter/Partnoy, Corporations – Law and Policy, 6. Aufl., 2007, S. 354 ff. 77 Vgl. § 620 N.Y. Bus. Corp. L. 78 Rechtsvergleichende Hinweise bei Fleischer, in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., 2010, § 54 Rdn. 17. 79 Dazu Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 19–26, S. 679: „The shareholders’ agreement does play an important role in establishing the requirement for minority shareholder consent to important changes in the company’s financial or constitutional arrangements in situations such as management buy-outs, venture capital investments and joint ventures.“ 80 So die Klassifizierung von Davies, aaO (Fn. 2), S. 217; übereinstimmend Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 13), S. 92 ff: „Minority shareholder decisions rights“. 81 Vgl. Merle, Sociétés commerciales, 14. Aufl., 2010, Rdn. 216.

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Im Schrifttum hat die Möglichkeit, satzungsändernde Beschlüsse mit qualifizierter Stimmenmehrheit zu fassen, verschiedentlich rechtspolitische Kritik erfahren:82 Sie passe nicht recht zu einer normal-typischen GmbH mit wenigen, zumeist persönlich verbundenen Gesellschaftern. Für diese sei es vorzugswürdig, allen GmbH-Gesellschaftern in satzungsrelevanten Angelegenheiten mittels des Einstimmigkeitsprinzips einen gleichgewichtigen Entscheidungseinfluss zu gewähren.83 Aus ganz ähnlichen Gründen haben manche US-amerikanische Gliedstaaten für die Limited Liability Company eine Einstimmigkeitsregel bei Statutenänderungen eingeführt.84 Für diesen Standpunkt ließe sich die häufig bemühte Nähe von geschlossener Kapitalgesellschaft und Personengesellschaft, close corporation und incorporated partnership, anführen.85 Andererseits erschwert das Einstimmigkeitsprinzip die notwendige Satzungsanpassung an geänderte Verhältnisse86 und lädt zur missbräuchlichen Ausnutzung von Vetopositionen ein. Gute Gründe sprechen mithin dafür, es für Satzungsänderungen bei einem qualifizierten Mehrheitsquorum als default rule zu belassen und den Minderheitsinteressen mit einer treupflichtgestützten Missbrauchskontrolle Rechnung zu tragen. Bei bestimmten Strukturmaßnahmen (fundamental changes) mag man darüber hinaus erwägen, den Minderheitsgesellschaftern ein Abfindungsrecht zuzubilligen. Dies ließe sich auch rechtshistorisch gut begründen: In einer Leitentscheidung aus dem Jahre 1859 brach der Pennsylvania Supreme Court mit der überkommenen Doktrin, dass für Strukturänderungen stets ein einstimmiges Votum aller Gesellschafter erforderlich sei: Überstimmte Anteilseigner erhielten als quid pro quo für die Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips einen Anspruch auf angemessene Abfindung, das sog. appraisal oder dissenter’s remedy.87 Mit umgekehrter Stoßrichtung könnte man weiterhin fragen, ob die hierzulande ganz herrschende Meinung, die eine Absenkung der Dreiviertel-Mehrheit bei Satzungsänderungen aus Gründen des Minderheitenschutzes für ausgeschlossen hält,88 wirklich zu überzeugen vermag.89 Ihr Hinweis auf einen Umkehrschluss zu § 53 Abs. 2 Satz 2 GmbHG entfaltet jedenfalls de lege ferenda keine argumentative Durchschlagskraft. Der SPE-Verordnungsentwurf, der in Art. 28 Abs. 2 ein Quorum von

82 Für „bemerkenswert“ hält dies K. Schmidt, aaO (Fn. 26), § 16 II 1, S. 453. 83 In diesem Sinne Martens, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 607, 614. 84 Näher Miller, 38 Harv. J. on Legisl. 413, 456 (2001): „Some states provide a default rule requiring unanimity for amending the operating agreement […] The capacity to amend the operating agreement […] by majority vote […] has been regarded as a potential weapon in the hands of a majority owner.“ 85 Allgemein dazu Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 37 ff; Bauman/Palmiter/Partnoy, aaO (Fn. 76), S. 339 f; Mayson/French/Ryan, Company Law, 27. Aufl., 2010, S. 71: „Quasi partnership companies“. 86 Vgl. Lauman v. Lebanon Valley R.R. Co., 30 Pa. 42 (1858). 87 Näher zur Entwicklungsgeschichte der shareholder decision rules in den Vereinigten Staaten King, 21 Del. J. Corp. L. 895, 897 ff (1996); rechtsvergleichend Fleischer, ZGR 1997, 368, 394 f. 88 Dazu Hüffer, in: Ulmer/Habersack/Winter, Komm. z. GmbHG, 2006, § 47 Rdn. 22. 89 Relativierend aus Sicht der h.M. Zöllner, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 85, 90: „Es muß auch Auffassungen geben, die unbestritten sind, obwohl man sie bestreiten könnte.“

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zwei Drittel für verbindlich erklärt, verweist in seinem 13. Erwägungsgrund ebenfalls nur lapidar auf Gesichtspunkte des Minderheitenschutzes. Einigkeit dürfte schließlich darüber bestehen, dass qualifizierte gesetzliche Mehrheitserfordernisse das Problem des Minderheitenschutzes nicht gänzlich lösen können: „Any majority requirement short of unanimity carries the potential to leave some minority shareholders exposed.“90

2. Ergänzender Minderheitenschutz durch Gesetzes- oder Richterrecht Hat es der Minderheitsgesellschafter versäumt, ex ante für entsprechende Schutzvorkehrungen zu sorgen, so stehen Gesetzgeber und Gerichte vor der Frage, ob und ggf. in welchen Fällen sie ihm ex post durch Begründung von Treuepflichten oder Austrittsrechten zur Hilfe kommen sollen.

a) Parallelen zum politischen Minderheitenschutz? Einzelne Jurisdiktionen, namentlich Delaware, lehnen dies für geschlossene Kapitalgesellschaften rundheraus ab: „It would be inappropriate judicial legislation for this Court to fashion a special judicially created rule for minority investors […] when there are no negotiated special provisions in the certificate of incorporation, bylaws, or stockholder agreements.“91 Die große Mehrzahl der US-amerikanischen Gliedstaaten,92 allen voran Massachusetts,93 und die meisten europäischen Rechtsordnungen bejahen jedoch ein grundsätzliches Bedürfnis für ergänzende Schutzinstrumente. Dem Vorbild der Politik folgend,94 gehört der Minderheitenschutz fast überall zu den anerkannten Wertungsprinzipien des Rechts geschlossener Kapitalgesellschaften, und auch der SPE-Verordnungsvorschlag bekennt sich ausdrücklich zu diesem Regelungsziel.95 Allerdings sollte man die häufig gezogenen Parallelen zwischen Staatsrecht und

90 Davies, aaO (Fn. 2), S. 223. 91 Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del. 1993). 92 Dazu die Erläuterung von Ragazzo, 77 Wash. U. L. Q. 1099, 1100–1101 (1999): „There is, however, one area in which Delaware corporate law is starkly at odds with the rest of the nation. This area, now almost a quarter-century old, involves the special rights and obligations of shareholders in closely held corporations. […] If Nixon is to be read literally, much of what the rest of the country accepts as illegal conduct in the close corporation sphere has no remedy in Delaware.“ 93 Grundlegend Donahue v. Rodd Electrotype Co., 328 N.E.2d 505 (Mass. 1975). 94 Dazu auch Cozian/Viandier/Deboissy, aaO (Fn. 3), Rdn. 381: „À l’instar des régimes politiques, le droit des sociétés est confronté au redoutable problème de la protection de minorités.“ 95 Vgl. etwa den 13. Erwägungsgrund, wonach eine „unfaire Behandlung“ der Inhaber von Minderheitsbeteiligungen vermieden werden muss.

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Gesellschaftsrecht96 nicht überstrapazieren:97 Einerseits begibt sich der Minderheitsgesellschafter freiwillig in seine Position, was für ethnische oder sonstige Minderheiten nicht gilt;98 andererseits gewährleisten verfassungsrechtliche Vorschriften Minderheitenschutz in der Regel dadurch, dass sie eine Berücksichtigung des betreffenden Merkmals verbieten,99 während das Gesellschaftsrecht gerade umgekehrt die Einbeziehung des Minderheitenstatus in die Entscheidungsfindung verlangt.100 Minderheitenschutz in geschlossenen Kapitalgesellschaften erschöpft sich mit anderen Worten nicht in non-discrimination, sondern ist zum Teil auch affirmative action.

b) Rechtsökonomische Gründe In der Sache lässt sich die Notwendigkeit eines ergänzenden Minderheitenschutzes vor allem rechtsökonomisch begründen.

aa) Anfänglicher Vertragsschluss Ein erstes Argument geht dahin, dass die finanziellen Ressourcen zur Einholung von Rechtsrat bei kleinen Gesellschaften vielfach begrenzt sind.101 Es lohnt sich für Minderheitsgesellschafter bei einem rationalen Kosten-Nutzen-Kalkül häufig nicht, kompetente Berater mit der Abfassung eines Gesellschaftsvertrages zu betrauen: „One simply cannot expect a two-person dry cleaning operation to run with the same level of attorney supervision as a Fortune 500 company.“102 In Rechtsordnungen, in denen 96 Eingehend Wiedemann, aaO (Fn. 21), S. 405, der seine Bemerkungen zum Minderheitenschutz wie folgt einleitet „Im Staatsrecht ist der Minderheitenschutz eine rechtsethisch notwendige Ergänzung des Mehrheitsprinzips.“; aus US-amerikanischer Sicht Chander, 113 Yale L.J. 119 (2003), der intellektuell höchst anregende, aber auch sehr weitreichende Vorüberlegungen zu einer „grand unifying theory of corporate and constitutional law“ anstellt. 97 Zurückhaltend auch Martens, FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 607, 608 unter Hinweis darauf, dass es im Gesellschaftsrecht ausschließlich um Vermögensinteressen gehe. 98 Darauf hinweisend auch Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 309 (2006): „Being a minority investor is quite different from being a racial or ethnic minority, however. Presumably, one is born with certain largely immutable physical characteristics that determine one’s race or ethnicity.“ 99 Vgl. Art. 3 Abs. 3 GG: „Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und seiner Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ 100 Ebenso Chander, 113 Yale L. J. 119, 120 (2003): „Constitutional law believes that equality requires blinding oneself to minority status. Corporate law, to the contrary, believes that equal treatment can only be assured by taking minority status in account. For corporate law, equality is not sameness“. 101 Vgl. Cheffins, Company Law. Theory, Structure and Operation, 1997, S. 273; ganz ähnlich Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-9, S. 692. 102 Ragazzo, 77 Wash. U. L. Q. 1099, 1130 (1999).

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der Gesellschaftsvertrag notarieller Form bedarf (vgl. etwa § 2 Abs. 1 GmbHG), bietet die Belehrungspflicht des Notars (vgl. § 17 BeurkG) immerhin einen Basisschutz.103 Mag man diesem Transaktionskostenargument noch durch dispositives Gesetzesrecht oder eine Modellsatzung Rechnung tragen,104 so sprechen psychologische und verhaltensökonomische Gesichtspunkte für einen Mindestbedarf an zwingenden Schutzstandards.105 Zu berücksichtigen ist einmal das schon erwähnte Problem des Eingebettetseins (embeddedness) in soziale Beziehungen: 106 Wenn und weil sich die Gründergesellschafter persönlich kennen und einander vertrauen, besteht zwischen ihnen wenig Neigung, mögliche Streitpunkte anzusprechen107 und dadurch womöglich den Vertragsschluss zu gefährden.108 Sie vertrauen vielmehr darauf, dass spätere Meinungsverschiedenheiten informell geklärt werden.109 Eng damit verbunden ist zum zweiten der empirisch erhärtete Befund, dass Parteien einer auf Dauer angelegten Vertragsbindung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses häufig einen übermäßigen Optimismus an den Tag legen110 und sich spätere Spannungen nicht recht vorstellen

103 Vgl. aus deutscher Sicht Mayer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, § 2 Rdn. 21 ff; außerdem Roth, in: Roth/Altmeppen, Komm. z. GmbHG, 7. Aufl., 2012, § 2 Rdn. 24, wonach sich das Monopol des Notars im Schutz der Mit- und Minderheitsgesellschafter gegen Übervorteilung bewähren müsse; dazu auch oben § 2 C.III.1. 104 Darauf hinweisend vor allem Oesterle, 66 U. Colo. L. Rev. 881, 920 (1995): „The traditional transaction costs rationale is not satisfying for three reasons. First […] Second, the costs of drafting a customized organizational document seem minimal. Forms for special clauses abound in libraries and lawyers’ files, and the major risks assumed by the minority equityholder are familiar and predictable. And third, a transaction cost based theory does not justify nonwaivable rules. At issue is only what the default rules ought to be.“ 105 Dazu bereits Fleischer, ZGR 2001, 1, 6 f. 106 Zu diesem Konzept etwa Granovetter, 91 Am. J. Sociol. 481 (1985): „How behavior and institutions are affected by social relations is one of the classic questions of social theory. The paper concerns the extent to which economic action is embedded in structures of social relations […].“ 107 Vgl. Bauman/Palmiter/Partnoy, aaO (Fn. 76), S. 337: „There is also a danger of dissension if the parties discuss hypothetical problems that may never arise.“ 108 Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 101), S. 273: „Investors in smaller businesses will usually prefer to avoid bringing up potentially contentious matters since doing so might engender feelings of mistrust and thereby jeopardize the survival of the business relationship.“; Heatherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1, 36 (1977): „The minority investor may be hesitant to raise too many reservations for fear of demonstrating too little confidence in the majority and thereby queering the deal. Introducing the subject of future dissension may produce present discontent and prevent the firm from being organized.“ 109 Dazu Blair/Stout, 149 U. Pa. L. Rev. 1735, 1805 (2001). 110 Allgemein Weinstein, 39 J. Personality & Soc. Psychol. 806 (1980); in gesellschaftsrechtlichem Zusammenhang Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211, 251 (1995): „Furthermore, at the time the contract is made, each party is likely to be unduly optimistic about the relationship’s long-term prospects and the willingness of the other party to avoid opportunistic behaviour or unfair manipulation of the relevant contractual rules as the relationship unfolds.“

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können.111 Drittens schließlich verhindert der langfristige Zeithorizont von Gesellschaftsverträgen, dass die Gründergesellschafter alle wichtigen Bestandteile ihrer Vereinbarung im Vorhinein auf wohldefinierte Verpflichtungen reduzieren: Sie können nicht alle denkbaren Kontingenzen voraussehen und sind aufgrund ihrer unzureichenden teleskopischen Fähigkeiten112 oft nicht in der Lage, Zustände der Gegenwart und Zukunft sachgerecht miteinander zu vergleichen.113 Insgesamt handeln die Gründer geschlossener Kapitalgesellschaften daher häufig eingeschränkt rational oder stehen gar unter dem Eindruck systematischer Wahrnehmungsverzerrungen.114

bb) Spätere Satzungs- oder Grundlagenänderungen Darüber hinaus verliert der Gedanke des private ordering dort an Überzeugungskraft, wo es um spätere Satzungs- oder Grundlagenänderungen geht:115 Diese lassen sich nur begrenzt auf das anfängliche Einvernehmen aller Gründergesellschafter mit Statutenänderungen zurückführen. Daher treten selbst ausgewiesene Anhänger der Vertragsfreiheit bei midstream-Änderungen für gewisse Schutzvorkehrungen ein.116 Dies gilt nach richtiger Ansicht nicht nur für Publikumsgesellschaften mit ihren Informations- und Kollektivhandlungsproblemen,117 sondern auch (und erst recht) für geschlossene Kapitalgesellschaften, bei denen der ex-post-Opportunismus eines Mehrheitsgesellschafters nicht durch Marktkräfte gebändigt oder abgeschwächt wird und

111 Vgl. Meiselman v. Meiselman, 307 S.E.2d 551, 558 (1983): „Close corporations are often formed by friends or family members who simply may not believe that disagreements could ever arise.“ 112 Der Begriff findet sich bereits bei Pigou, The Economics of Welfare, 4. Aufl., 1960, S. 25: „Our telescopic faculty is defective […].“ 113 Grundlegend Ulen, 12 Hamline L. Rev. 385, 386 (1989); vertieft ausgebaut für das Vertragsrecht von Eisenberg, 47 Stan. L. Rev. 211 (1995). 114 Gleichsinnig bereits Carney, 65 Wash. U. L. Q. 1, 59–60 (1987): „Investors in closely held enterprises are likely to be subject to conditions of bounded rationality, under which they either fail to perceive the complete set of problems that may occur later, or underestimate the probability of their occurence.“; allgemein zum Stand der Verhaltensökonomik und ihrer Anwendung im Wirtschaftsrecht Fleischer/Schmolke/Zimmer, in: Fleischer/Zimmer, Der Beitrag der Verhaltensökonomie (Behavioral Economics) zum Handels- und Wirtschaftsrecht, ZHR Beiheft Nr. 75, 2011, 1 ff. 115 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 280. 116 So Easterbrook/Fischel, 89 Colum. L. Rev. 1416, 1443 (1989): „The difference between governance provisions established at the beginning and provisions added later suggests some caution in treating the two categories alike. Some of the harder questions in corporate law concern arrangements that are adopted or changed after the firm is under way and the capital has been raised.“; abw. Butler/Ribstein, The Corporation and the Constitution, 1995, S. 16 f: „Courts and legislators do not have a larger arsenal of weapons against opportunistic amendments than have the parties themselves.“ 117 Hierauf zugeschnitten die Argumentation bei Bebchuk, 102 Harv. L. Rev. 1820, 1828 ff (1989).

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den Minderheitsgesellschaftern kein liquider Sekundärmarkt zur Verfügung steht.118 Qualifizierte Mehrheitserfordernisse bei Satzungsänderungen und Abfindungsrechte bei einzelnen Strukturmaßnahmen können das Problem entschärfen, aber nicht vollständig lösen.

3. Unverzichtbare Mitgliedsrechte und unabdingbare Verhaltensstandards Noch schwierigere Fragen stellen sich, wenn ein Minderheitsgesellschafter von vornherein auf bestehende Mitgliedschaftsrechte oder Schutzstandards verzichtet.119 Sie sind hierzulande vor allem für das Personengesellschaftsrecht unter dem Stichwort eines unverzichtbaren Selbstschutzes erörtert worden.120 Im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft ist der Ausschluss von Gewinn- und Stimmrecht im In- und Ausland ganz überwiegend von der Satzungsautonomie gedeckt.121 Dagegen kann sich ein Gesellschafter niemals ganz entrechten. Ihm muss stets die Möglichkeit verbleiben, rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse anzufechten.122 Auch ein Vorausverzicht auf das mitgliedschaftliche Informationsrecht und das Teilnahmerecht an der Gesellschafterversammlung dürfte unzulässig sein; wohl aber kann die Satzung die Ausgestaltung dieser Kontroll- und Mitverwaltungsrechte näher regeln. International hat sich eine lebhafte akademische Diskussion darüber entsponnen, ob die mitgliedschaftliche Treuepflicht, von der noch ausführlicher zu handeln sein wird,123 zur Disposition der Parteien steht.124 Die sog. contractarians, die Kapitalgesellschaften konzeptionell als ein Geflecht von Verträgen begreifen, neigen dazu, auch die fiduciary duties von Gesellschaftern und Geschäftsführern als abdingbar anzusehen.125 Sie verweisen darauf, dass etwa bei der Ausgestaltung von Venture-Capital-

118 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 280. 119 Aus US-amerikanischer Sicht jüngst Sneirson, 2008 Wis. L. Rev. 899, 932: „A much harder case presents itself where […] the jurisdiction normally affords oppressed minority shareholders relief, and the parties have the soft-paternalistic nudge and opted out of such protections.“ 120 Grundlegend Wiedemann, aaO (Fn. 21), S. 365 ff: „Der unverzichtbare Selbstschutz“; zur Kernbereichslehre zuletzt Ulmer/Schäfer, Gesellschaft bürgerlichen Rechts und Partnerschaftsgesellschaft, 5. Aufl., 2009, § 709 Rdn. 90 ff. 121 Vgl. für Deutschland BGHZ 14, 264, 269 ff; für Delaware § 18-302(a) Del. Limited Liability Corporation Act: „[…] A limited liability company agreement may provide that any member or class or group of members shall have no voting rights.“ 122 Vgl. BGHZ 14, 264, 273; Scholz/Westermann, Komm. z. GmbHG, 10. Aufl., 2006, Einl. Rdn. 79. 123 Vgl. unter B.IV.1.a). 124 Dazu mit Blick auf die organschaftliche Treuepflicht bereits Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 685 f; zuletzt Hellgardt, FS Hopt, 2010, S. 765. 125 Speziell für die mitgliedschaftliche Treuepflicht in geschlossenen Kapitalgesellschaften Illig, 56 Am. U. L. Rev. 275, 324, 328 (2006): „Mandatory legal protections for minority investors in close corporations appear both overly rigid and likely to misconstrue the relative equities of many cases. […] Thus, conceiving of minority protections as default norms makes it possible to permit investors the freedom of waiver, as is generally advo-

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Verträgen durchaus ein Bedürfnis für ein opting-out bestehen könne. Zudem sei es denkbar, dass die Minderheitsgesellschafter für das erhöhte Risiko opportunistischen Verhaltens bereits durch einen geringeren Kaufpreis oder eine höhere Gewinnbeteiligung entschädigt worden seien. Demgegenüber halten die sog. anticontractarians die Vertragsanalogie im Kapitalgesellschaftsrecht grundsätzlich für verfehlt. Sie betrachten fiduciary duties als heteronom vorgegeben126 und nicht verhandelbar. Diese zur Disposition der Parteien zu stellen, entkleide sie ihres rechtsethischen Gehalts127 und habe unabsehbare Folgen für die allgemeine Verkehrsmoral.128 Schließlich gibt es auch erste Ansätze, das allgemeine Konzept des libertarian paternalism129 für die Problemlösung in geschlossenen Gesellschaften fruchtbar zu machen.130 Überzeugend für die hierzulande nur selten vertiefte Frage131 erscheint eine vermittelnde Lösung, die einen generellen Verzicht auf die Treuepflicht für unwirksam hält, einem Gesellschafter aber erlaubt, im konkreten Einzelfall oder für eine bestimmte Kategorie von Fällen vorab auf treugemäße Behandlung zu verzichten.132 Dafür spricht aus verhaltensökonomischer Sicht, dass ein Minderheitsgesellschafter künftige Kosten und Risiken einer pauschalen Treuepflichtabbedingung aufgrund eines ganzen Bündels systematischer Entscheidungsfehler unterschätzt,133 während die-

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cated by the contractarians, while retaining a concern for the adequacy of the status and sophistication of the investor.”; sowie Oesterle, 66 U. Colo. L. Rev. 881, 885 ff (1995); allgemein Butler/Ribstein, 65 Wash. L. Rev. 1 (1990). Vgl. DeMott, 48 Ariz. L. Rev. 925, 926 (2006); Laby, 56 Buff. L. Rev. 99, 129 ff (2008). In diesem Sinne Leslie, 95 Geo. L. J. 67, 70 (2005): „Labeling fiduciary duties ‚default rules‘ threatens to strip fiduciary rules of their moral content.“ So Moore Dickerson, 26 J. Corp. L. 1001, 1015 f (2001). Grundlegend Sunstein/Thaler, 70 U. Chi. L. Rev. 1159 (2003); Thaler/Sunstein, 93 Am. Econ. Rev. 175 (2003). Vgl. Sneirson, 2008 Wis. L. Rev. 899, 932 f, der eine Abbedingung minderheitsschützender Regelungen mit einigen Ausnahmen für zulässig hält; teilweise kritisch dazu Means, 79 Fordham L. Rev. 1161, 1184 f (2010): „Third, it might be objected that even useful default settings cannot substitute for mandatory rules, and that the Sunstein and Thaler model could undermine existing shareholder protections. […] Unless some level of protection is mandatory, trusting and optimistic shareholders may be induced to abandon it at the outset of the venture.“; zuvor bereits Black, 84 Nw. U. L. Rev. 542, 572 (1990): „Giving close corporations the power to dispense with the duty of loyalty would be troublesome.“ Zum Problem jüngst im Rahmen eines größeren Beitrags über „Grenzen der Vertragsfreiheit im Innenverhältnis von GmbH und O(H)G“ Koppensteiner, GesRZ 2009, 197, 199: „In Wahrheit liegen die Dinge komplizierter. So wird das OG-Gesellschafter treffende Wettbewerbsverbot (§ 112 UGB/HGB) allgemein als positiv-rechtlicher Ausdruck der Treuebindung aufgefasst. Dennoch ist diese Regel abdingbar. […] Dennoch muss es einen zwingenden Kern von Treuepflichten geben. Gegenteiliges lässt sich deshalb nicht annehmen, weil sich das für Verbände charakteristische gemeinsame Interesse dann überhaupt verflüchtigen könnte.“ Vgl. für die mitgliedschaftliche Treuepflicht des Aktionärs Fleischer, aaO (Fn. 78), § 53a AktG Rdn. 60; gleichsinnig zuvor bereits M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 215 ff. Grundlegend in allgemeinem Zusammenhang Tversky/Kahneman, Judgment under Uncertainty: Heuristics and Biases, 1982, S. 23 ff. und passim.

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ses Kognitionsproblem bei einem Verzicht für den konkreten Einzelfall weniger stark ausgeprägt ist. Ähnlich wertet das bürgerliche Recht, wenn es den Grundsatz von Treu und Glauben als solchen der Parteidisposition entzieht, aber zugleich gestattet, dass die Vertragspartner im konkreten Fall „abgemagerte“ Leistungs- oder Pflichtenstandards vereinbaren.134 Rechtsvergleichend findet die hier befürwortete Differenzierung Rückhalt in dem kürzlich neu eingeführten Art. 803 Abs. 3 des schweizerischen Obligationenrechts, der nach herrschender Lesart nur eine situative und punktuelle Ausnahme von der Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters, aber keine globale Befreiung zuläßt.135 Noch deutlicher formuliert § 103(b) (3) des Revised Uniform Partnership Act das Regel-Ausnahme-Verhältnis, wonach die mitgliedschaftliche Treuepflicht nicht abbedungen werden darf, aber der Gesellschaftsvertrag „may identify specific types or categories of activities that do not violate the duty of loyalty, if not manifestly unreasonable“.136 Für geschlossene Kapitalgesellschaften scheint die USamerikanische Spruchpraxis ähnlich zu entscheiden.137

IV. Gesetzliche und höchstrichterliche Verhaltensmaßstäbe Soll die Lösung von Mehrheit-Minderheits-Konflikten nicht dem Gerechtigkeitsgefühl oder Vorverständnis des zuständigen Richters überlassen bleiben,138 so müssen übergreifende Verhaltensstandards entwickelt werden, die eine Einzelfallprüfung anleiten und vorstrukturieren. Rechtssystematisch ist dabei zwischen Verhaltensgeboten für Mehrheitsgesellschafter und Geschäftsführer zu unterscheiden, auch wenn ein und dieselbe Person häufig beide „Rollen“ ausfüllt.

134 Vgl. Roth, Münchener Komm. z. BGB, 5. Aufl., 2007, § 242 Rdn. 76 m.w.N. 135 Vgl. Amstutz/Chappuis, in: Honsell/Vogt/Watter, Basler Kommentar, Obligationenrecht II, 3. Aufl., 2008, Art. 803 Rdn. 11. 136 Erläuternd dazu der (offizielle) Comment unter 4: „RUPA attempts to provide a standard that parties can rely upon in drafting exculpatory agreements. It is not necessary that the agreement be restricted to a particular transaction. That would require bargaining over every transaction or opportunity which would be excessively burdensome. The agreement may be drafted in terms of types or categories of activities or transactions, but it should be reasonably specific.“ 137 Vgl. Neubauer v. Goldfarb, 108 Cal. App. 4th 47 (2d Dist. 2003); ferner Cox/Hazen, Corporations, 2. Aufl., 2008, Cum. Supp., § 14.16, S. 110: „The fiduciary duty is a strong one. There is authority that the majority’s duty cannot be eliminated by contract.“ 138 Kritisch zur häufigen Intervention der Richter zugunsten von Minderheitsgesellschaftern, die er auf das Selbstverständnis der Richterschaft zurückführt, Oesterle, 66 U. Colo. L. Rev. 881, 914 (1995): „To make the point graphically, at the expense of a bit of crassness, consider a judge’s retirement banquet. Which of the following accolades would a judge prefer: ‚He used his power to help the oppressed and victimized (overriding formality, precedent and convention)‘; or ‚He predictably enforced contracts (giving voice to the private-ordering power and autonomy of individuals)?‘ I would guess that, currently, the legal profession and thus its judges, prefer the former.“

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1. Verhaltensstandards für Mehrheitsgesellschafter a) Mitgliedschaftliche Treuepflicht aa) Internationale Verbreitung Viele Rechtsordnungen nähern sich den Verhaltensgeboten für Mehrheitsgesellschafter dogmatisch-konstruktiv über die Figur der fiduciary duties. Fast zeitgleich, aber unabhängig voneinander haben höchstrichterliche Entscheidungen in den Vereinigten Staaten und Deutschland der mitgliedschaftlichen Treuepflicht zwischen Gesellschaftern einer geschlossenen Kapitalgesellschaft zum Durchbruch verholfen. Im Mai 1975 urteilte der Massachusetts Supreme Judicial Court in einer bis heute richtungsweisenden Entscheidung: „We hold that stockholders in the close corporation owe one another substantially the same fiduciary duty in the operation of the enterprise that partners owe to one another.“139 Fünf Wochen später judizierte der Bundesgerichtshof, dass „nicht nur die Beziehungen zwischen Gesellschaftern und GmbH, sondern auch die der Gesellschafter untereinander von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht bestimmt sein können“.140 Der schweizerische Reformgesetzgeber hat es sich jüngst angelegen sein lassen, die Treuepflicht des GmbH-Gesellschafters in Art. 809 Abs. 2 OR zu kodifizieren.141 Den gleichen Weg sind in neuerer Zeit auch einige US-amerikanische Gliedstaaten in ihren Limited Liability Companies Statutes gegangen.142 Terminologisch abweichend, aber funktional durchaus vergleichbar, greifen die französische Rechtsprechung und Doktrin auf das Konzept des abus de majorité zurück, der an den allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsmissbrauchsgedanken (abus de droit) anknüpft und sich allmählich verselbständigt hat.143 Die skandinavischen Länder haben zwar keine fallübergreifende Generalklausel, wohl aber den Tatbestand des Stimmrechtsmissbrauchs in ihre Kodifikationen aufgenommen.144 In Großbritannien 139 Donahue v. Rodd Electrotype Co., 328 N.E.2d 505, 515 (Mass. 1975). 140 BGHZ 65, 15, 18 – ITT. 141 Art. 803 Abs. 2 OR lautet: „Sie [= Die Gesellschafter] müssen alles unterlassen, was die Interessen der Gesellschaft beeinträchtigt. Insbesondere dürfen sie nicht Geschäfte betreiben, die ihnen zum besonderen Vorteil gereichen und durch die der Zweck der Gesellschaft beeinträchtigt würde. Die Statuten können vorsehen, dass die Gesellschafter konkurrenzierende Tätigkeiten unterlassen müssen.“ 142 Vgl. etwa Cal. Corp. Code § 17153: „The fiduciary duties a manager owes to a limited liability company and to its members are those of a partner to a partnership and to the partners of the partnership.“; dazu auch Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 965 (2005): „Significantly, many of the statutes explicitly indicate that fiduciary duties run to the individual members as well as to the LLC entity.“ 143 Vgl. Cozian/Viandier/Deboissy, aaO (Fn. 3), Rdn. 382: „Les tribunaux prennent le relais quand la majorité se rend coupable d’abus. Mais qu’est-ce que’un abus de majorité? C’est la transposition en droit des sociétés (avec tout de même des nuances) de la théorie civiliste de l’abus de droit.“; monographisch jüngst Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7). 144 So bestimmt etwa § 5–21 des norwegischen GmbH-Gesetzes in englischer Übersetzung: „Abuse of the authority of the general meeting. The general meeting of the company can-

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zögern Gesetzgeber und Gerichte hingegen, eine allgemeine Treuepflicht des Mehrheitsgesellschafters 145 gegenüber dem Minderheitsgesellschafter anzuerkennen.146 Allerdings beruht der Rechtsbehelf des unfair prejudice in Sec. 994–999 Companies Act 2006, die britische Variante des oppression remedy,147 auf ganz ähnlichen Fairnesserwägungen. Überhaupt sind fiduciary duties und oppression remedy, Treuepflichten des Mehrheits- und Austrittsrechte der Minderheitsgesellschafter, sehr häufig zwei Seiten derselben Medaille.148 Nach alledem lässt sich festhalten, dass eine korrigierende Generalklausel – sei es nach dem Muster der fiduciary duties, sei es nach jenem des abus de majorité – fast überall zur ungeschriebenen Legalordnung des Rechts geschlossener Kapitalgesellschaften gehört. Es empfiehlt sich daher, sie auch in ein Modellgesetz für geschlossene Kapitalgesellschaften aufzunehmen.

bb) Rechtsökonomische Funktion Den Geltungsgrund der mitgliedschaftlichen Treuepflicht erblicken manche in ontologischen Strukturen: Treue sei ein jeder Gemeinschaft von Natur aus innewohnender Grundsatz und folge aus der Vertrauensbeziehung der Mitgesellschafter untereinander.149 Andere begreifen die Treuepflicht als notwendiges Gegenstück zur Einwirkungsmacht (vor allem) des Mehrheitsgesellschafters.150 Rechtsökonomisch bildet die

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not adopt any resolution which may give certain shareholders or other parties an unreasonable advantage at the expense of other shareholders of the company.“; dazu Truyen, in: Krüger Andersen/Clausen/Skog, aaO (Fn. 8), S. 131, 135: „The Norwegian general clause on shareholders’ abuse of authority, and the supporting unwritten principles, can be seen as a specific mutual duty of loyalty between shareholders. In small and mediumsized companies different variations of the duty of loyalty are known, among others, from the German ‚Treuepflicht‘ and the American ‚fiduciary duties‘. The general clause in the Norwegian Private Limited Companies Act § 5–21 does not constitute a common duty of loyalty between shareholders, but rather a specific duty which comes into play when shareholders use the authority derived form the right to vote in the general meeting.“ Anders liegt es bei den fiduciary duties der Direktoren, dazu Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 30–6, S. 1088 f. Dazu Davies, aaO (Fn. 2), S. 231: „The common law does not perceive the controlling shareholders to be in a fiduciary position towards non-controlling shareholders, so that basis for the individual shareholder to restrain the power of the majority as it reveals itself in shareholder decision-making is not available.“ Näher dazu unten C.III. Ähnlich aus US-amerikanischer Perspektive Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 895 (2005): „In the close corporation context, therefore, it is sensible to view the parallel development of the statutory action [of oppression] and the fiduciary duty action as two sides of the same coin.“; zuvor schon Thompson, 48 Bus. Law. 699, 700 (1993): „It makes sense to think of them as two manifestations of a minority shareholder’s cause of action for oppression.“ Vgl. A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947, S. 12 ff. Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 342 ff.

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mitgliedschaftliche Treuepflicht eine Reaktion auf den langfristigen Zeithorizont von Gesellschaftsverträgen, der es nicht erlaubt, dass die Gründungsgesellschafter Vorkehrungen für sämtliche Eventualitäten aushandeln und vertraglich fixieren. Gesellschaftsverträge gehören mit anderen Worten zu den unvollständigen oder relationalen Verträgen.151 Wegen dieser Unvollständigkeit sind Gesellschafter, zumal solche geschlossener Verbände, in besonderem Maße der Gefahr eines ex-post-Opportunismus ausgesetzt: Ein Minderheitsgesellschafter kann nicht ausschließen, dass die Gesellschaftermehrheit ihn im Zeitablauf auf die eine oder andere Weise benachteiligen wird, und umgekehrt muss die Gesellschaftermehrheit gewärtigen, dass sich ein Minderheitsgesellschafter zukünftig einmal notwendigen und zumutbaren Anpassungen des Gesellschaftsvertrages verweigert. Praktisch lösbar sind derartige Probleme in Anbetracht der Unkenntnis der Zukunft nur durch die Niederlegung eines genügend allgemeinen Prinzips, das allen Gesellschaftern ex ante eine Vorstellung davon vermittelt, wie die Gesellschaft ex post auf unerwartete Umstände reagieren wird. Die mitgliedschaftliche Treuepflicht lässt sich als ein solches fokales oder richtunggebendes Prinzip deuten, aus dem sich Entscheidungsregeln zur Bewältigung noch unbekannter Konfliktlagen ableiten lassen.152 Sie ist mit anderen Worten nicht direkte Konfliktschlichtungsregel, sondern bedarf immer der kasuistischen Konkretisierung.153

cc) Inhaltliche Konkretisierung In der Sache verlangt die mitgliedschaftliche Treuepflicht in ihrer Ausprägung durch die deutsche Rechtsprechung, dass der Mehrheitsgesellschafter Rücksicht auf das Gesellschaftsinteresse und die mitgliedschaftlichen Interessen seiner Mitgesellschafter nimmt.154 Dies gilt sowohl für die Ausübung von Rechten und sonstigen Befugnissen wie auch für die tatsächliche Einflussnahme innerhalb des Gesellschaftsverhältnisses, ohne dass die Berücksichtigung von Eigeninteressen gänzlich ausgeschlossen wäre.155 Funktional vergleichbar schützen die Sec. 994–999 des englischen Companies Act 2006 die mitgliedschaftlichen Interessen von Gesellschaftern vor unfairer Benachteiligung (unfair prejudice).156 Unfair ist eine Benachteiligung dann, wenn sie gegen Treu und Glauben verstößt: „Unfairness for the purposes of [s. 994] is not to be judged by reference to subjective notions of fairness, but rather by testing whether, applying equitable principles, the majority has acted, or is proposing to act, in a manner which

151 Vgl. Fleischer, ZGR 2001, 1, 4 f; sehr klar auch Moll, 86 Minn. L. Rev. 717, 754 (2002): „The investment bargains entered into by close corporation shareholders reflect the characteristics of relational contracts.“ 152 In diesem Sinne Fleischer, ZGR 2001, 1, 5. 153 So Amstutz/Chappuis, aaO (Fn. 135), Art. 803 OR Rdn. 7. 154 Vgl. BGHZ 65, 15, 18 f – ITT. 155 Vgl. Hueck/Fastrich, in: Baumbach/Hueck, Komm. z. GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 13 Rdn. 21. 156 Vgl. Mayson/French/Ryan, aaO (Fn. 85), S. 571 f.

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equity would regard as contrary to good faith.“ 157 In Frankreich findet sich die klassische Definition des abus de majorité in dem arrêt Piquard c. Schumann aus dem Jahre 1961. Danach ist eine Entscheidung missbräuchlich, wenn sie getroffen wurde „contrairement à l’intérêt général de la société et dans l’unique dessein de favoriser les membres de la majorité au détriment de la minorité“.158

b) Zum Für und Wider des Schutzes berechtigter Erwartungen Im konkreten Zugriff besteht die wohl schwierigste Frage darin, inwieweit implizite Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern und unausgesprochene Verhaltenserwartungen durch die mitgliedschaftliche Treuepflicht geschützt werden.159 Sie ist eng mit dem schon erwähnten Spannungsverhältnis zwischen Selbst- und Fremdschutz verbunden.160

aa) Streitstand in Rechtsprechung und Rechtslehre Im rechtsökonomischen Schrifttum gehen die Auffassungen über die Schutzbedürftigkeit berechtigter Erwartungen der Minderheitsgesellschafter weit auseinander. Nach einer verbreiteten Meinung sollen sich die Gerichte darauf beschränken, die ausdrücklich vereinbarten Regelungen durchzusetzen.161 Andernfalls hätten die Gesellschafter geringere Anreize, das von ihnen gewünschte Mischungsverhältnis von Minderheitenschutz und unternehmerischer Anpassungsfähigkeit im Gesellschaftsvertrag zu regeln.162 Nicht minder gewichtige Literaturstimmen wollen dagegen auch informelle Absprachen, die bisherige Vertragspraxis und vernünftige Ertragserwartungen der Minderheitsgesellschafter mitberücksichtigt wissen.163 Auf diese Weise, so eines ihrer Hauptargumente, würden Minderheitsgesellschafter zu vermehrten firmenspezifischen Investitionen ermuntert.164 Die Spruchpraxis zeigt sich ebenfalls wenig einheitlich. In den Vereinigten Staaten stehen sich mehrheits- und minderheitsfreundliche Gerichte gegenüber,165 wobei sich innerhalb des minderheitsfreundlichen Lagers zwei konkurrierende Betrachtungsweisen herausgebildet haben: (1) Die „majority perspective“ blickt in erster Linie auf

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Re Guidezone Ltd, [2000] 2 B.C.L.C. 321, 355. Cass. com. 18.4.1961, D. 1961, 661. Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 293. Dazu oben B.III. Vgl. etwa Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 27. In diesem Sinne O’Kelley, 87 Nw. U. L. Rev. 216, 247 (1992). Vgl. Johnston, 70 Wash. U. L. Q. 291, 295 ff, 333 ff (1992); ähnlich Charny, 89 Mich. L. Rev. 1815, 1870 ff (1991); eingehend auch Eisenberg, 89 Colum. L. Rev. 1461, 1465 ff (1989). 164 In diesem Sinne Johnston, 70 Wash. U. L. Q. 291, 333 ff (1992). 165 Näher Bauman/Palmiter/Partnoy, aaO (Fn. 76), S. 385 ff.

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den Mehrheitsgesellschafter und fragt danach, ob sein Verhalten einem legitimen Geschäftszweck dient.166 (2) Demgegenüber richtet die „minority perspective“ ihr Augenmerk zuvörderst auf die Auswirkungen auf den Minderheitsgesellschafter,167 ist also nicht verhaltens-, sondern ergebnisbezogen,168 wobei unterschiedlich beurteilt wird, ob die ursprünglichen oder die späteren Erwartungen maßgeblich sind.169 In Großbritannien haben sich die Gerichte im Rahmen des unfair prejudice-Rechtsbehelfs für den minderheitsbezogenen Schutzstandard ausgesprochen: Sec. 994 Companies Act 2006 schützt danach die „legitimate expectations“ oder „equitable considerations“,170 die nach dem übereinstimmenden Verständnis der Gesellschafter die Grundlage ihres Zusammenschlusses bildeten.171

bb) Vorzüge der Berücksichtigung impliziter Vereinbarungen Für die Berücksichtigung impliziter Vereinbarungen zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter sprechen gute Gründe. (1) Zunächst trägt sie dem Umstand Rechnung, dass es Gesellschafter in geschlossenen Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Gründen häufig an vorausschauender Vertragsplanung fehlen lassen.172 Sie mit sanftem Druck zu ausdrücklichen Absprachen zu veranlassen, ist schwierig und bisweilen sogar kontraproduktiv, weil dies zu einem „crowding out“ des wechselseitigen Vertrauens zwischen den Beteiligten führen kann.173 (2) Sodann stellt der Rückgriff 166 Vgl. Wilkes v. Springside Nursing Home, Inc., 353 N.E.2d 657, 663 (Mass. 1976): „When minority stockholders in a close corporation bring suit against the majority alleging a breach of the strict good faith duty owed to them by the majority, we must carefully analyze the action taken by the controlling stockholders in the individual case. It must be asked whether the controlling group can demonstrate a legitimate business purpose for its action.“ 167 Vgl. In re Kemp & Beatley, Inc., 473 N.E.2d 1173, 1179 (N.Y. 1984): „Oppression should be deemed to arise […] when the majority conduct substantially defeats expectations that, objectively viewed, were both reasonable under the circumstances and were central to the petitioner’s decision to join the venture.“ 168 In diesem Sinne Moll, 53 Vand. L. Rev. 749, 765 (2000): „Whereas the majority perspective focuses primarily on the conduct of the majority shareholder, the minority perspective focuses primarily on the effect of that conduct on the minority shareholder.“ 169 Dazu die Rechtsprechungsnachweise bei Bauman/Palmiter/Partnoy, aaO (Fn. 76), S. 415. 170 Näher Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20–9, S. 692 mit Nachweisen aus der Spruchpraxis. 171 Vgl. Saul D. Harrison & Sons Plc, Re, [1995] 1 B.C.L.C. 14, 19: „[…] arise out of a fundamental understanding between the shareholders which formed the basis of their association but was not put into contractual form“. 172 Eingehend Moll, 40 Wake Forest L. Rev. 883, 911 ff (2005) unter der Zwischenüberschrift „The Absence of Advance Planning“; knapper Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20–9, S. 692 f. 173 Vgl. Blair/Stout, 149 U. Pa. L. Rev. 1735, 1806–1807 (2001): „Participants in closely held corporations accordingly may often decline to negotiate complex formal contracts because doing so would destroy the filtering value of mutual vulnerability as a means of

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auf „informal arrangements among the members“174 keinen Eingriff in deren Privatautonomie dar, sondern nimmt nur an ihren eigenen, wenn auch unvollkommen fixierten Vertragserwartungen Maß.175 Die gedankliche Nähe zu vertragsrechtlichen Rechtsbehelfen (implied contract, frustration, Störung der Geschäftsgrundlage) ist mit Händen zu greifen.176 (3) Darüber hinaus beugt die Bezugnahme auf die gemeinsamen Grundvorstellungen der Gesellschafter der Gefahr vor, dass die Gerichte den Parteiwillen im Nachhinein durch ihre eigenen Fairnessvorstellungen ersetzen. (4) Ferner schlussfolgern britische Autoren aus dem rasanten Anstieg der „informal arrangement“-Fälle unter sec. 994 Companies Act 2006 (zuvor: sec. 459 Companies Act 1985), dass auf diese Weise einem dringenden rechtspraktischen Bedürfnis Rechnung getragen wurde.177 Die Grenzen des Minderheitenschutzes sind nach diesem Ansatz allerdings dort erreicht, wo es nur um vage Hoffnungen oder einseitige Wunschvorstellungen geht: „Majority conduct should not be deemed oppressive simply because the petitioner’s subjective hopes and desires in joining the venture are not fulfilled.“178 Vielmehr müssen die Minderheitsgesellschafter beweiskräftige Anhaltspunkte dafür vorbringen, dass der ausformulierte Gesellschaftsvertrag durch implizite Vereinbarungen ergänzt worden ist.179

cc) Zum Problem der Prozesskosten Es bleibt ein letzter, freilich gravierender Einwand gegen die hier befürwortete Lösung: Die Berücksichtigung impliziter Vereinbarungen führt unweigerlich zu einem

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excluding the intrinsically untrustworthy. […] Worse, attempts to use contracts in relationships in which trust plays a central role can prove counterproductive and promote exactly the sort of opportunistic behavior they were intended to discourage.“ So die Zwischenüberschrift bei Gower/Davies, aaO (Fn. 12), vor Rdn. 20-9. Ebenso Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-10, S. 696: „The courts can claim to be, and indeed are, using as the criteria for judging unfairness the standards laid down, albeit informally, by the members themselves, and the judges can thus avoid the more challenging task of developing their own criteria.“; vertieft ausgearbeitet mit Blick auf das USamerikanische Recht von Means, 79 Fordham L. Rev. 1161, 1194 ff (2010). Eingehend aus US-amerikanischer Sicht Moll, 42 B.C. L. Rev. 989 (2001): „Oppression law is effectively stepping in for contract law and is accomplishing what contract law itself should be doing“; angedeutet aus britischer Perspektive auch bei Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20–9, S. 694. Vgl. Davies, aaO (Fn. 2), S. 253: „The level of litigation which s. 459 triggered suggests that there was a substantial unmet need for minority protection in these companies before the introduction of this remedy.“; ganz ähnlich Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-11, S. 697 f: „At least in small companies, the articles systematically fail to capture the full agreement between the members, the development of this case-law has brought company law into much greater touch with corporate reality and, as the amount of litigation shows, has addressed a previously unmet legal need.“ In re Kemp & Beatley, Inc., 473 N.E.2d 1173, 1179 (N.Y. 1984). Vgl. die Entscheidungsbelege bei Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-10, S. 696.

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enormen Anschwellen des Streitstoffes.180 Die gesamte „Beziehungsgeschichte“ zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter wird auf diese Weise entscheidungsrelevant und treibt die Prozesskosten in die Höhe.181 Zur Vermeidung ähnlicher Probleme haben Anhänger des modern economic formalism im Vertragsrecht verschiedentlich vorgeschlagen, die Gerichte sollten es im wohlverstandenen Interesse der Parteien bei einer Durchsetzung der schriftlichen Vereinbarungen belassen.182 Diese Vorschläge fördern jedoch die Neigung zum ex-post-Opportunismus,183 vernachlässigen das Problem der Lückenfüllung 184 und gehen schließlich von risikoneutralen Vertragsparteien aus, an denen es hier gerade fehlt: (Minderheits-)Gesellschafter geschlossener Kapitalgesellschaften haben häufig einen beträchtlichen Teil ihres Privatvermögens in die Gesellschaft eingebracht185 und sind daher in hohem Maße risikoavers. Sie auf vertragliche Selbstschutzmöglichkeiten zur Risikoreduzierung zu verweisen, führt aus den bereits erwähnten Gründen nicht weiter.186 Alternative Lösungsvorschläge durch den Gesetzgeber könnten dahin gehen, die Konfliktlösung durch Mediation bei Gesellschafterstreitigkeiten zu fördern187 oder ein arbitration scheme einzuführen, wie dies der britische Gesetzgeber erwägt188 und der italienische bereits ins Werk gesetzt hat.189 Einen Befreiungsschlag seitens der englischen Gerichte hat Lord Hoffmann unternommen, indem er den Vorwurf unfairen Verhaltens dann als nicht mehr gegeben ansieht, wenn der Minderheitsgesellschafter ein Kaufangebot der Gesellschaftermehrheit für seinen Geschäftsanteil zu einem fairen Preis ohne Minderheitsabschlag ausgeschlagen hat.190 Verschiedene US-amerikanische Gliedstaaten eröffnen dem Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit, den

180 Vgl. Mayson/French/Ryan, aaO (Fn. 85), S. 569: „Unfortunately, lawyers presenting a case on unfair prejudice in a company often deal with the whole history of the company in detail, so as to build up an overall picture of prejudice, and this is countered by equally extensive evidence and cross-examination from the other side.“ 181 Dazu aus britischer Sicht Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-14, S. 700 f mit dem Zusatz: „All this will typically occur in relation to small companies, whose net value may not be large.“ 182 Vgl. etwa Schwartz/Scott, 113 Yale L.J. 541, 572–73 (2003), die von einer „minimum evidentiary base“ sprechen. 183 Vgl. Kostritsky, 96 Ky. L. J. 43 (2007). 184 Vgl. Bayern, 97 Cal. L. Rev. 943, 956 ff (2009). 185 Eindringlich Ragazzo, 77 Wash. U. L. Q. 1099, 1109 (2001): „Many investors in small businesses invest a significant portion of their life savings in the business. This practice defeats their ability to diversify their investment portfolios and exposes them to company- and industry-specific risk.“ 186 Näher zur Unterversicherung gegen ex-post-Opportunismus aufgrund von Rationalitätsdefiziten und Wahrnehmungsverzerrungen oben B.III.2.b)aa). 187 Für einen Überblick über die deutschen Möglichkeiten zuletzt Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85; umfassend Duve/Eidenmüller/Hacke, Mediation in der Wirtschaft, 2. Aufl., 2011; ausführlicher noch unter B.VII. 188 Vgl. die Hinweise bei Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-14, S. 701. 189 Näher dazu Spada, in: Abbadessa/Portale, Il Nuovo Diritto Delle Società, Liber amicorum Gian Franco Campobasso, 2006, S. 257. 190 Vgl. O’Neill v. Phillipps, [1999] 2 B.C.L.C. 1, 16–17.

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Prozess durch einen Erwerb der Geschäftsanteile der klagenden Minderheitsgesellschafter frühzeitig zu beenden.191

2. Verhaltensstandards für Geschäftsführer a) Organschaftliche Sorgfalts- und Treuepflicht Im Hinblick auf die Geschäftsleiterpflichten hat sich international mit der Zweiteilung in eine duty of care und eine duty of loyalty eine einheitliche Taxonomie herausgebildet.192 Dementsprechend fächert man im deutschen Recht die Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter in eine Sorgfalts- und eine Treuepflicht auf;193 in Frankreich pflegt man gleichsinnig zwischen devoir de diligence und devoir de loyauté zu unterscheiden.194 Auch die Figur des Geschäftsleiterermessens (business judgment rule) ist heute weithin anerkannt.195

b) Punktuelle Einschränkungen des Geschäftsleiterermessens Weniger erörtert wird, ob sich das weite Leitungsermessen, welches den Geschäftsleitern offener oder sogar börsennotierter Kapitalgesellschaften zusteht, maßstabsgetreu auf die Geschäftsführer geschlossener Kapitalgesellschaften übertragen lässt oder ob insoweit gewisse Einschränkungen geboten sind.196 Für eine tendenziell strengere Kontrolle bei geschlossenen Gesellschaften könnte sprechen, dass die marktlichen Kontrollmechanismen des Managements, die von einer internen Disziplinierung durch variable Vergütungselemente über eine Arbeits- und Produktmarkt- bis hin zur 191 Zu solchen Vorschriften in Oregon, Illinois, Florida und weiteren US-amerikanischen Gliedstaaten Art, 28 J. Corp. L. 371, 414 (2003): „When a shareholder brings a proceeding seeking judicial relief, the corporation and the other shareholders receive an option to bring the action to an early conclusion by purchasing the shares of the plaintiff. Unlike the compulsory buyout remedy discussed above, this decision to purchase is made by the corporation or shareholders, not by the court, and does not entail a full trial or a judicial determination of liability.“ 192 Vgl. Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 13), S. 78; speziell für geschlossene Kapitalgesellschaften Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 6.01, 6-6: „In the corporations context, fiduciary duties primarily take two forms: a duty to exercise care in the management and operation of the corporation, and a duty to exercise loyalty by putting the corporation’s interests before personal interests.“; dazu auch unten § 4 B.II. 193 Vgl. für Vorstandsmitglieder Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., 2010, § 93 Rdn. 8 und 200; für GmbH-Geschäftsführer Fleischer aaO (Fn. 48), § 43 GmbHG Rdn. 4. 194 Eingehend Redenius-Hoevermann, La responsabilité des dirigeants dans les sociétés anonymes en droit français et droit allemand, 2010, S. 29 ff. 195 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 193), § 93 AktG Rdn. 9 m.w.N. 196 Dazu Fleischer, NZG 2011, 521, 524 ff; Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 6.02[C], 6–42; dazu auch § 4 B.II.1.a).

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Finanzmarktdisziplinierung reichen,197 dort nicht oder nur bedingt eingreifen. Auch trifft das Standardargument zugunsten der business judgment rule, diversifizierte und daher risikoneutrale Anteilseigner seien daran interessiert, risikoscheue Geschäftsführer zur Eingehung unternehmerischer Risiken zu ermutigen, auf Gesellschafter geschlossener Kapitalgesellschaften nicht zu, weil diese typischerweise einen Großteil ihres Vermögens in die Gesellschaft eingebracht haben.198 Schließlich entfalten manche Geschäftsleiterentscheidungen bei geschlossenen Gesellschaften eine andere Tiefenwirkung auf die Gesellschafter als bei offenen Gesellschaften. Ein Paradebeispiel bildet die Kündigung eines mitarbeitenden Gesellschafters.199 Je nach Art der unternehmerischen Entscheidung kann daher im Einzelfall eine gründlichere Gerichtskontrolle geboten sein.200

3. Verhaltensstandards für die Gesellschaft und ihre Organe Hinzuweisen ist außerdem auf den verbandsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der auch ohne ausdrückliche Kodifizierung einen festen Bestandteil des deutschen GmbH-Rechts bildet.201 Er richtet sich an die Gesellschaft und ihre Organe und verbietet es ihnen, Gesellschafter ohne hinreichenden sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln. Systematisch kann man den Gleichbehandlungsschutz einzelner Gesellschafter gegenüber Beschlüssen der Gesellschafterversammlung und gegenüber Maßnahmen der Geschäftsführung unterscheiden.202 In der hiesigen Rechtspraxis spielt der Gleichbehandlungsgrundsatz neben der mitgliedschaftlichen Treuepflicht

197 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 4. Aufl., 2010, S. 437 f. 198 Insoweit überzeugend Jungmann, FS K. Schmidt, 2009, S. 831, 842 f; Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 6.02 [C], 6–42: „It should be noted that some of the justifications for the business judgment rule are poor fits in the close corporation setting. With respect to the risk-return tradeoff, for example, shareholders in closely held corporations often invest a considerable amount of their savings into the enterprise, which tends to leave them undiversified.“ 199 Vgl. Easterbrook/Fischel, aaO (Fn. 161), S. 244 f: „For example, the decision to terminate an employee in a publicly held corporation is a classic example of the exercise of business judgment that a court would not second-guess. In a closely held corporation, by contrast, termination of an employee can be a way to appropriate a disproportionate share of the firm’s earnings. It makes sense, therefore, to have greater judicial review of termination of managerial (or investing) employees in closely held corporations than would be consistent with the business judgment rule.“; vertieft ausgebaut von Moll, 53 Vand. L. Rev. 749, 822 ff (2000); zum deutschen Recht Fleischer, NZG 2011, 521, 526 f. 200 Vgl. für das US-amerikanische Recht O’Neal/Thompson, aaO (Fn. 1), § 10 :4, S. 13 f; für das deutsche Recht Fleischer, NZG 2011, 521, 525 f; zu weitgehend Jungmann, FS K. Schmidt, S. 831 ff, der für das Geschäftsleiterermessen in der GmbH keinerlei Raum sieht. 201 Vgl. BGHZ 116, 359, 372 f. 202 Vgl. Verse, Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Recht der Kapitalgesellschaften, 2006, S. 355 ff und 362 ff.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

allerdings nur eine untergeordnete Rolle, und auch im Ausland weist man ihm häufig keine eigenständige Bedeutung zu, sondern begreift ihn als Bestandteil der Treuepflicht.203

4. Kontrollmechanismen bei Interessenkonflikten Viele Rechtsordnungen haben schließlich spezielle Kontrollmechanismen für Interessenkonflikte entwickelt. Dies gilt namentlich für schuldrechtliche Austauschgeschäfte eines (Mehrheits-)Gesellschafters mit der Gesellschaft, die besondere Gefahren für die Vermögensinteressen anderer Gesellschafter bergen.204 Das deutsche Recht operiert hier in § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG mit dem Instrument des Stimmrechtsausschlusses. Im französischen Recht sieht Art. L. 223-19 C.com. ein spezielles Kontrollverfahren für solche „Eigengeschäfte“ auf der Grundlage eines Berichts des Geschäftsführers bzw. commissaire aux compte vor: Die Gesellschafterversammlung muss dem Geschäft zustimmen, wobei der an dem Geschäft beteiligte Gesellschafter einem Stimmverbot unterliegt. Das englische Recht kennt ein vergleichbares Kontrollverfahren in sec. 190 ff. Companies Act 2006 nur für Verträge eines director mit der Gesellschaft, was dem Minderheitsschutz nur (aber immerhin) dann zugute kommt, wenn der director zugleich (Mehrheits-)Gesellschafter ist. Darüber hinaus ordnet sec. 239(4) Companies Act 2006 – vergleichbar § 47 Abs. 4 Satz 1 GmbHG – ein Stimmverbot für Fälle der Entlastung an. Die Reichweite des solchermaßen vermittelten Schutzes ist im In- und Ausland umstritten. Nach deutscher Dogmatik werden sog. Sozial- oder Verbandsakte nicht von § 47 Abs. 4 Satz 2 AktG erfasst. Dazu gehört insbesondere die Bestellung eines Gesellschafters zum Geschäftsführer einschließlich der Festsetzung seiner Dienstbezüge.205 Als Kontrollinstrumente dienen der Rechtsprechung stattdessen der Gleichbehandlungsgrundsatz und die unter den Gesellschaftern bestehende Treuepflicht: Die einem als Geschäftsführer tätigen Gesellschafter gezahlte Vergütung muss deshalb angemessen sein und darf in keinem Missverhältnis zu dem Entgelt stehen, das ein Fremdgeschäftsführer für die gleiche Tätigkeit erhalten hätte.206 Das gleiche Problem hat kürzlich auch den französischen Kassationshof beschäftigt: In einem Grundsatzurteil vom Mai 2010 hat er festgestellt, dass die Mitwirkung eines Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführers bei der Festsetzung seines Gehalts nicht unter das Kontrollverfahren nach Art. L. 223-19 C.com. fällt.207 Ein Folgeurteil vom Oktober 2011 hat dann ein Berufungsurteil aufgehoben, welches den Beschluss der Gesellschafterversammlung über die Höhe der Gesellschafter-Geschäftsführer-Vergütung ohne

203 Näher Fleischer, aaO (Fn. 78), § 53a AktG Rdn. 11 m.w.N. 204 Vgl. oben II.1; für schuldrechtliche Austauschgeschäfte von Geschäftsführern auch unten § 4 B.II.5. 205 Vgl. oben II.2; aus der Rechtsprechung BGHZ 18, 205, 210; 51, 209, 225 f. 206 Vgl. BGHZ 111, 224. 207 Vgl. Cass. com., Rev. soc. 2010, 222 m. Anm. Couret.

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nähere Begründung wegen abus de majorité als rechtswidrig verworfen hatte.208 In England hat die Rechtsprechung überhöhte Dienstbezüge eines Gesellschafter-Geschäftsführers in einer geschlossenen Kapitalgesellschaft vereinzelt als unzulässige Einlagenrückgewähr angesehen: In der Ausgangsentscheidung Re Halt Garage aus dem Jahre 1982 hatte die Beklagte nach einer Erkrankung keine Arbeitsleistung mehr für die Gesellschaft erbracht, ihr Direktorengehalt aber weiter bezogen. Oliver J. urteilte, die erfolgten Zahlungen seien „so out of proportion to any possible value to her holding of office that the court is entitled to treat them as not being genuine payments of remuneration.“209

V. Rechtsbehelfe des Minderheitsgesellschafters 1. Minderheitsschutz durch Klagerechte a) Beschlussmängelklage Bei treuwidriger Stimmrechtsausübung bzw. Stimmrechtsmissbrauch steht den überstimmten Minderheitsgesellschaftern in den meisten kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen das Instrument der Beschlussmängelklage zu Gebote.210 Die Regelungstechnik variiert von Land zu Land. In Deutschland greift die Spruchpraxis seit jeher auf eine Analogie zu den §§ 241 ff. AktG zurück; 211 ganz ähnlich sind in der Schweiz nach der Verweisungsnorm des Art. 808c OR die Vorschriften des Aktienrechts für die Anfechtung der Beschlüsse der Gesellschafterversammlung entsprechend anwendbar. Andere Rechtsordnungen, z.B. Österreich (§§ 41–44 öGmbHG) oder Italien (Art. 2479-ter Codice Civile), kennen ein eigenständiges Beschlussmängelregime für die GmbH. Wieder andere Jurisdiktionen, namentlich Frankreich (Art. L. 235-1 C.com.), sehen die Möglichkeit einer action en nullité wegen eines Beschlussmangels einheitlich für alle Handelsgesellschaften vor. Demgegenüber ist dem englischen Recht ein allgemeines Recht jedes Gesellschafters, Mehrheitsentscheidungen der Gesellschafterversammlung überprüfen zu können, gänzlich fremd. Nur für Beschlüsse zur Umwandlung einer Publikums- in eine Privatgesellschaft, zur Änderung von Gattungsrechten und zum Erwerb eigener Aktien ist vorgesehen, wie diese Beschlüsse von der überstimmten Minderheit gerichtlich angegriffen werden können (sec. 98, 633, 721 Companies Act 2006). Im Übrigen ist der Minderheitsgesellschafter auf allgemeine Rechtsgrundsätze und Rechtsbehelfe, z.B. das Verfahren wegen unfair prejudice (sec. 994 ff. Companies Act 2006), verwiesen. Der Entwurf der SPE-Verordnung 208 Vgl. Cass. com., Rev. soc. 2012, 38 m. Anm. D. Schmidt. 209 Re Halt Garage (1965) Ltd. [1982] 3 All ER 1016, 1042; s. auch MacPherson v. European Strategic Bureau, [2000] B.C.L.C. 683, 701–704; rechtsvergleichend Fleischer, in: Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 121 ff. 210 Umfassende Aufarbeitung bei Fleischer, Beschlussmängelrecht in Kapitalgesellschaften: Rechtsvergleichung – Rechtsdogmatik – Rechtspolitik, 2012. 211 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 85, 311, 313 f.

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sieht in Art. 28 Abs. 4 Satz 2 vor, dass sich das Recht der Gesellschafter auf Anfechtung von Beschlüssen nach dem maßgeblichen einzelstaatlichen Recht bestimmt. Ein Modellgesetz für geschlossene Kapitalgesellschaften sollte zur Gewährleistung des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse das Institut der Beschlussmängelklage vorsehen. b) Schadensersatzklage Bei Schadensersatzklagen von Minderheitsgesellschaftern wird allenthalben zwischen einer individuellen Klage (personal action, direct action, action directe) und einer abgeleiteten Gesellschafterklage (actio pro socio, derivative action, action sociale ut singuli) unterschieden. aa) Individualklage Eine Individualklage kommt nach deutschem Recht in Betracht, wenn ein GmbHGesellschafter über den mit der Schädigung des Gesellschaftsvermögens verbundenen mittelbaren Schaden hinaus einen individuellen, unmittelbaren Schaden erleidet.212 Im Vereinigten Königreich kann ein in eigenen Rechten betroffener Gesellschafter zu deren Durchsetzung eine personal action anstrengen;213 mittelbare Vermögenseinbußen vermag er dagegen nach dem no reflective loss principle grundsätzlich nicht durchzusetzen.214 In Frankreich erlaubt Art. L. 223-22 C.com. den Gesellschaftern einer SARL eine Klage auf Ersatz ihres persönlichen, von dem der Gesellschaft verschiedenen Schadens, der durch eine Pflichtverletzung des Geschäftsführers entstanden ist; die praktische Durchsetzung dieser action directe gestaltet sich jedoch recht schwierig. Für ein Modellgesetz empfiehlt sich ebenfalls eine Individualklage, um Schutzdefizite des in eigenen Rechten betroffenen Minderheitsgesellschafters zu vermeiden. bb) Abgeleitete Gesellschafterklage Eine abgeleitete Gesellschafterklage ist hierzulande – in Fortentwicklung der personengesellschaftsrechtlichen actio pro socio 215 – auch im GmbH-Recht anerkannt,216 wenngleich nicht gesetzlich geregelt. Sie ermöglicht einzelnen Gesellschaftern, mitgliedschaftliche Ansprüche der Gesellschaft gegenüber Mitgesellschaftern im eigenen Namen auf Leistung an die Gesellschaft einzuklagen, soweit die Gesellschaft ihre Ansprüche selbst nicht ordnungsgemäß verfolgt. Auch in England ist seit der Jahrhun212 Vgl. BGHZ 95, 330, 340; Merkt, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, § 13 Rdn. 310. 213 Vgl. Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 17-13. 214 Vgl. Prudential Assurance Co Ltd. v. Newman Industries Ltd. (No 2), [1982] Ch. 204; Johnson v. Gore, Wood and Co., [2002] 2 A.C. 1. 215 Vgl. RGZ 70, 32, 34; BGHZ 25, 47, 49. 216 Vgl. BGH NJW 1990, 2627, 2628.

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dertentscheidung in Foss v. Harbottle 217 anerkannt und nunmehr in den sec. 260 ff. Companies Act 2006 ausdrücklich kodifiziert, dass ein Gesellschafter Rechte der Gesellschaft wegen eines pflichtwidrigen Geschäftsleiterverhaltens im Wege einer derivative action geltend machen kann.218 Eine solche Klage muss zunächst einer zweistufigen gerichtlichen Zulassungskontrolle zur Aussonderung missbräuchlicher und unzweckmäßiger Klagen standhalten. Trotz ihrer Ausweitung auf bloß fahrlässige Rechtsverletzungen fristet die derivative action allerdings nach wie vor ein Schattendasein, da sie in ihrem praktischen Anwendungsbereich weitgehend von dem unfair prejudice-Rechtsbehelf überlagert wird.219 In Frankreich können Gesellschafter gemäß Art. L. 223-22 Abs. 3 C.com. für die SARL Schadensersatzklage (action sociale ut singuli) erheben, wenn sich der Geschäftsführer eine Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft hat zu Schulden kommen lassen und die Gesellschaft infolgedessen einen Schaden erlitten hat. In Italien kann jeder Gesellschafter nach Art. 2476 Abs. 3 Codice civile eine Haftungsklage gegen die Geschäftsführer anstrengen. Angesichts dieser nahezu universalen Anerkennung der abgeleiteten Gesellschafterklage in Europa überrascht es, dass der SPE-Verordnungsvorschlag sie nicht als Instrument des Minderheitenschutzes vorsieht.220 Ein Modellgesetz für geschlossene Kapitalgesellschaften sollte auf eine abgeleitete Gesellschafterklage nicht verzichten, weil sie zur effektiven Durchsetzung bestehender Schadensersatzansprüche beiträgt. Die Abgrenzung zwischen Individualklage und abgeleiteter Gesellschafterklage kann in geschlossenen Gesellschaften größere Schwierigkeiten bereiten als in offenen Gesellschaften.221 So neigen in den Vereinigten Staaten manche Gliedstaaten dazu, bei Verletzung der mitgliedschaftlichen Treuepflicht zum Nachteil von Minderheitsgesellschaftern stets eine Individualklage zuzulassen,222 während andere keinen Anlass sehen, bei geschlossenen Gesellschaften von der überkommenen Unterscheidung zwischen direct und derivative action abzurücken.223 Die Principles of Corporate Governance des American Law Institute nehmen insoweit eine vermittelnde Position ein.224 217 2 Hare 461. 218 Vgl. Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 17-17, S. 614; rechtsvergleichend Braun/Strothotte, RIW 2010, 424. 219 Vgl. Reisberg, 6 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 219 (2009). 220 Kritisch zur Eignung der Gesellschafterklage in geschlossenen Gesellschaften aber McCahery/Vermeulen, in: Neville/Sørensen, aaO (Fn. 15), S. 207, 234 f: „Arguably, the remedy is unlikely to provide a good fit for closely held companies where shareholders serve as management. Not only is there doctrinal incoherence, but there is some question as to whether this technique is too costly, given the other legal remedies available to private companies.“; ferner Ribstein, 64 Bus. Law. 739 (2009). 221 Dazu Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 9.02 unter der Überschrift „Derivative Suits in Closely Held Corporations“; aus deutscher Sicht auch BGHZ 65, 15 (ITT) und die zahlreichen (Fehl-)Deutungen dieses Urteils. 222 Vgl. Crosby v. Beam, 548 N.E.2d 217 (Ohio 1989). 223 Vgl. Bagdon v. Bridgestone/Firestone, Inc., 916 F.2d 379, 384 (7th Cir. 1990): „The author of the leading treatise treats Abelow as establishing the proposition that the closely held nature of the corporation [is] irrelevant to the distinction between direct and derivative action. […] Abelow is the law of Delaware today.“ 224 Vgl. Ali, Principles of Corporate Governance, 1994, § 7.01(d).

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2. Minderheitsschutz durch Lösungsrechte Der Austritt eines Gesellschafters aus wichtigem Grund ist hierzulande auch ohne entsprechende Satzungsregelung allgemein anerkannt.225 Er kommt allerdings nur als äußerstes Mittel in Betracht, wenn weniger einschneidende Maßnahmen, namentlich eine Veräußerung des Gesellschaftsanteils, nicht zumutbar sind. Versuche, ein Austrittsrecht bei unbefristeten Gesellschaften auch ohne wichtigen Grund zu begründen, haben sich nicht durchgesetzt; allerdings kann die Satzung ein ordentliches Austrittsrecht einräumen. In der Schweiz bestimmt Art. 822 Abs. 1 OR, dass ein Gesellschafter aus wichtigem Grund beim Gericht auf Bewilligung des Austritts klagen kann; nach Art. 822 Abs. 2 OR können die Statuten den Gesellschaftern ein Recht auf Austritt einräumen und dieses von bestimmten Bedingungen abhängig machen. Eine noch ausführlichere Regelung findet sich in Art. 2473 Codice civile: Nach Abs. 1 bestimmt der Gründungsakt, wann ein Gesellschafter aus der Gesellschaft austreten kann sowie die entsprechenden Modalitäten. Auf jeden Fall steht das Austrittsrecht denjenigen Gesellschaftern zu, die der Änderung des Gesellschaftszwecks oder der Gesellschaftsform, der Verschmelzung oder Spaltung der Gesellschaft, dem Widerruf der Liquidation, der Verlegung des Gesellschaftssitzes ins Ausland, der Beseitigung eines oder mehrerer im Gründungsakt vorgesehener Austrittsgründe und der Vornahme von solchen Geschäften nicht zugestimmt haben, die eine wesentliche Änderung des im Gründungsakt bestimmten Gesellschaftszwecks oder eine bedeutende Änderung der dem Gesellschafter zuerkannten Rechte mit sich bringen. Nach Abs. 2 steht dem Gesellschafter bei einer auf unbestimmte Zeit eingegangenen Gesellschaft das Austrittsrecht jederzeit zu, und er kann es mit einer Vorankündigungsfrist von mindestens 180 Tagen ausüben. Der Gründungsakt kann eine längere Vorankündigungsfrist, nicht jedoch von mehr als einem Jahr vorsehen. Der SPE-Verordnungsvorschlag der Kommission hatte das Austrittsrecht in Art. 18 Abs. 1 vor allem als ein Instrument des Minderheitenschutzes konzipiert: Ein Anteilseigner hat danach das Recht, aus der SPE auszuscheiden, wenn deren Geschäfte in einer Weise geführt werden oder wurden, die seinen Interessen aufgrund eines der nachstehenden Sachverhalte schwer schadet: (a) der SPE wurde ein erheblicher Teil ihrer Vermögenswerte entzogen, (b) der eingetragene Sitz der SPE wurde in einen anderen Mitgliedstaat verlagert, (c) die Geschäftsbereiche der SPE haben sich erheblich verändert, (d) es wurden mindestens drei Jahre lang keine Dividenden ausgeschüttet, obwohl die Finanzlage der SPE eine solche Ausschüttung erlaubt hätte.226 In der Kompromissfassung der schwedischen Ratspräsidentschaft ist diese Bestimmung ersatzlos gestrichen worden. Rechtspolitisch und rechtsökonomisch werden gesetzliche Austrittsrechte in geschlossenen Kapitalgesellschaften seit jeher unterschiedlich beurteilt. Ihre Befürworter betonen die Nähe der close corporation zur Personengesellschaft, bei der es ein sol225 Vgl. BGHZ 9, 162 f; 116, 359, 369. 226 Dazu und zu den beträchtlichen Änderungsvorschlägen des Europäischen Parlaments van den Braak, 6 Utrecht L. Rev. 1, 11 ff (2010).

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ches Austrittsrecht gebe,227 und heben hervor, dass den Minderheitsgesellschaftern damit ein Druckmittel zur Verfügung stehe, um die Geschäftsleiter zu effizientem Management anzuhalten.228 Von der Möglichkeit, ein statutarisches Austrittsrecht zu vereinbaren, machten Minderheitsgesellschafter aus verschiedenen Gründen nicht hinreichend Gebrauch.229 Die Gegner eines gesetzlichen Austrittsrechts verweisen auf Finanzierungs- und Liquiditätsprobleme für die Gesellschaft, die durch den Abfindungsanspruch des austrittswilligen Gesellschafters entstünden,230 und heben die Gefahren eines opportunistischen Verhaltens der Minderheitsgesellschafter hervor.231 Außerdem könnten liberale Austrittsrechte zu Unterinvestitionsproblemen führen, weil die Gesellschafter dann in geringerem Umfang zu firmenspezifischen Investitionen bereit seien.232 Schließlich drohten auch den Gesellschaftsgläubigern Nachteile.233 Insgesamt sprechen überwiegende Gründe gegen großzügige gesetzliche Lösungsrechte.

VI. Informations- und Prüfungsrechte des Minderheitsgesellschafters Eine erfolgversprechende Geltendmachung minderheitsschützender Rechtsbehelfe steht und fällt häufig mit einer hinreichenden Informationsbasis. Daher kommt den Informations- und Prüfungsrechten des Minderheitsgesellschafters allenthalben eine große Bedeutung zu. In Deutschland gewährt § 51a Abs. 1 GmbHG dem einzelnen Gesellschafter ein Informationsrecht auf Auskunft über die Angelegenheiten der Gesellschaft und Einsicht in ihre Unterlagen. Von diesem Individualrecht ist die umfassende Kontrollzuständigkeit der Gesellschaftergesamtheit (§ 46 Nr. 6 GmbHG) zu unterscheiden, in deren Rahmen sie durch einfachen Mehrheitsbeschluss unabhängige Sonderprüfer einsetzen kann.234 Ein Individual- oder Minderheitsrecht auf Einleitung einer Sonderprüfung – ähnlich dem des § 142 Abs. 2 AktG – ist de lege lata für die

227 Vgl. aus US-amerikanischer Sicht Hetherington/Dooley, 63 Va. L. Rev. 1 (1977); s. auch O’Neal, 33 Bus. Law. 873, 883 (1977). 228 Vgl. Neville, in: Neville/Sørensen, aaO (Fn. 15), S. 247, 288: „Moreover, the whole idea of an exit right is to give the minority some bargaining power, so that it can put pressure on the majority to manage the company effectively.“; ferner de Kluiver, 8 Eur. Bus. Org. L. Rev. 103 (2007); van den Braak, 6 Utrecht L. Rev. 1, 21 (2010): „My conclusion is therefore that the shareholder should not be allowed to embark on the SPE adventure unless he is equipped with an adequate buy-out remedy.“; s. auch Andersson, in: Neville/Sørensen, aaO (Fn. 15), S. 191, 204 f; sowie Mahoney, aaO (Fn. 1), S. 177, 180 f. 229 Vgl. Neville, in: Neville/Sørensen, aaO (Fn. 15), S. 247, 280 ff. 230 Vgl. Davies, aaO (Fn. 2), S. 228: „A unilateral exit right might undermine the company’s business activities by requiring it to pay out cash from the business (to the minority shareholders) at an inappropriate time, for example when it was needed to expand the company’s business.“ 231 Vgl. Easterbrook/Fischel, aaO (Fn. 161), S. 238 ff. 232 Vgl. Rock/Wachter, 24 J. Corp. L. 913 (1999). 233 Vgl. Davies, aaO (Fn. 2), S. 228; Easterbrook/Fischel, aaO (Fn. 161), S. 242. 234 Vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, Komm. z. GmbHG, 17. Aufl., 2009, § 46 Rdn. 30.

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GmbH nicht begründbar, de lege ferenda aber erwägenswert.235 In Frankreich verfügen die Gesellschafter einer SARL über weitreichende Informationsrechte: Sie haben ein permanentes (Art. L. 223-26 Abs. 4 C.com. und R. 223-15 C.com.) und anlässlich von Gesellschafterversammlungen punktuelles Recht (Art. L. 223-26 Abs. 2 C.com. und R. 223-18 C.com.; Art. R. 223-19 C.com.) auf Übermittlung von Unternehmensunterlagen. Jeder Gesellschafter ist zudem berechtigt, dem Geschäftsführer der SARL schriftliche Fragen zu stellen (Art. L. 223-26 Abs. 3 C.com.; Art. L. 223-36 C.com.). Gesellschafter, die (zusammen) mindestens 1/10 des Gesellschaftskapitals repräsentieren, können vor Gericht außerdem die Bestellung eines expert de gestion verlangen, der einen Bericht über einen oder mehrere Akt(e) der Geschäftsführung anfertigt (Art. L. 223-37 C.com.). Schließlich können sie im Rahmen einer Klage eine expertise „ad futurum“ durchsetzen (Art. 145 CPC). Im Vereinigten Königreich sind die Informationsrechte von Minderheitsgesellschaftern dagegen schwächer ausgeprägt: 236 Neben dem Anspruch auf Rechnungslegung aus sec. 423(1)(a) Companies Act 2006 stehen ihnen lediglich punktuelle Informationsrechte zu (sec. 229(1) oder sec. 358(4) Companies Act 2006). Allerdings hat die Rechtsprechung in kleineren private companies – gerade im Zusammenhang mit laufenden unfair prejudice-Verfahren – die Einsichtnahme in Dokumente der Gesellschaft gewährt.237 Der SPE-Verordnungsvorschlag sieht in Art. 29 Abs. 1 ein Frage- und Unterrichtungsrecht der Gesellschafter gegenüber den Geschäftsführern vor. Das ursprünglich im Kommissionsentwurf noch enthaltene Sonderprüfungsrecht ist nach scharfer Kritik im Schrifttum 238 gestrichen worden. Unverändert vorgesehen sind aber die für Minderheitsgesellschafter wichtigen Hilfsrechte auf Beantragung eines Beschlusses (Art. 30 Abs. 1, Quorum: 5%) und auf Einberufung einer Gesellschafterversammlung (Art. 30 Abs. 2, Quorum: 10%).

VII. Außergerichtliche Streitbeilegung Gerade bei geschlossenen Kapitalgesellschaften empfiehlt es sich schließlich, den Blick auch auf die Möglichkeiten außergerichtlicher Streitbeilegung zu lenken.

1. Schiedsgerichtsbarkeit Hierzulande hat der Bundesgerichtshof der Schiedsgerichtsbarkeit einen enormen Schub gegeben, als er im Jahre 2009 unter bestimmten Voraussetzungen die Schiedsfähigkeit von Beschlussmängelstreitigkeiten im GmbH-Recht anerkannt hat.239 An235 Dazu Fleischer, GmbHR 2001, 45, 48 ff. 236 Vgl. Hannigan, Company Law, 2. Aufl., 2009, Rdn. 17-6. 237 Vgl. Re Hydrosan Ltd, [1991] B.C.C. 19; Arrow Trading & Investment Est 1920 v Edwardian Group Ltd, [2005] 1 B.C.L.C. 696; s. auch CAS (Nominees) Ltd v Nottingham Forest FC plc, [2002] 1 B.C.L.C. 613. 238 Kritisch etwa Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897, 901. 239 Vgl. BGHZ 180, 221; ablehnend noch BGHZ 132, 278.

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derwärts auf dem Kontinent, etwa in Italien und Spanien, hatte man diesen Schritt schon vorher vollzogen. In Großbritannien sind anlässlich der Vorbereitung der jüngsten Gesellschaftsrechtsreform sorgfältig ausgearbeitete Vorschläge für ein arbitration scheme bei Gesellschafterkonflikten unterbreitet worden.240 Zu ihrer Einführung konnte sich die britische Regierung gleichwohl noch nicht entschließen, hat aber immerhin eine gründliche Kosten-Nutzen-Analyse in Aussicht gestellt.241 In den Vereinigten Staaten sind Schiedsklauseln in Gesellschaftsverträgen weit verbreitet, müssen aber im Einzelfall mit den einzelstaatlichen Vorgaben abgeglichen werden.242 Das Europäische Parlament hat in seiner legislativen Entschließung zu dem SPE-Verordnungsvorschlag der Kommission angeregt, einen zusätzlichen Artikel einzufügen, nach dem der Gesellschaftsvertrag eine Schiedsklausel zur Beilegung gesellschaftsinterner Streitigkeiten vorsehen kann.

2. Mediation Neben der Streitschlichtung durch Schiedsgerichte gewinnt in jüngerer Zeit die Mediation an Bedeutung. Ihre Vorzüge liegen insbesondere bei Gesellschafterstreitigkeiten in geschlossenen Kapitalgesellschaften auf der Hand: Wie eingangs erwähnt,243 beruhen solche Binnenkonflikte häufig auf einem kaum entwirrbaren Geflecht geschäftlicher und persönlicher Differenzen. Eine nur ausschnitthafte Konflikterfassung im Rahmen eines Gerichts- oder Schiedsverfahrens, die den Sachverhalt auf das rechtlich Notwendige reduziert, wird daher kaum zur dauerhaften Konfliktbewältigung beitragen können.244 Der umfassendere Ansatz einer Mediation unter Einschluss der gesamten „Beziehungsgeschichte“ bietet insoweit eine vielversprechende Alternative, die sich durch Mediationsklauseln im Gesellschaftsvertrag kautelarjuristisch vorbereiten lässt.245 Dem Gesetzgeber könnte die Umsetzung der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Mediation246 Gelegenheit geben, die Bedeutung der Mediation im Gesellschaftsrecht weiter aufzuwerten. 240 Vgl. Modern Company Law for a Competitive Economy: Developing the Framework, 2000, Rdn. 7.44–7.69; Modern Company Law for a Competitive Economy, Final Report, 2001, Rdn. 4.10–4.12. 241 Vgl. White Paper, Modernising Company Law, 2002, Cm 5553-I, part II, Rdn. 2.36. 242 Vgl. Cox/Hazen, aaO (Fn. 137), § 14.14, S. 866 f: „Before deciding to use arbitration in a close corporation, the lawyer should carefully search the statutes and judicial decisions of the state of incorporation for corporate norms that would either invalidate arbitration agreements in the particular business situation involved or would otherwise nullify their effectiveness.“ 243 Vgl. oben A.II. 244 Überzeugend Dendorfer/Krebs, MittBayNot 2008, 85, 88. 245 Näher Casper/Risse, ZIP 2000, 437; Heckschen, in: Heckschen/Heidinger, Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 2. Aufl., 2009, § 4 Rdn. 387 ff; umfassend Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation, 2001. 246 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU Nr. L 136 vom 24.5.2008, S. 3.

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C. Schutz der Gesellschaftermehrheit vor opportunistischem Verhalten von Minderheitsgesellschaftern I. Das Problem des ex-post-Opportunismus von Minderheitsgesellschaftern Ein Mehrheitsgesellschafter bedarf grundsätzlich keiner besonderen Schutzvorkehrungen, weil er in der Regel durch sein Stimmgewicht in der Gesellschafterversammlung selbst Abhilfe schaffen kann.247 Allerdings gibt es Situationen, in denen er ausnahmsweise auf die Kooperationsbereitschaft seiner Mitgesellschafter angewiesen ist.248 So liegt es etwa, wenn das Gesetz für bestimmte Maßnahmen ein Einstimmigkeitserfordernis vorsieht oder ein Mitgesellschafter ein statutarisches Vetorecht besitzt.249 Ähnlich verhält es sich, wenn der Mehrheitsgesellschafter nicht über die qualifizierte Mehrheit für Satzungsänderungen verfügt. In solchen Fällen ist gelegentlich zu beobachten, dass ein Minderheitsgesellschafter seine Vetoposition zu eigennützigen Zwecken missbraucht. Spiegelbildlich zur Typologie minderheitsschädigender Verhaltensweisen250 kann man eine „typologie des abus de minorité“ 251 erstellen.252 Im systematischen Zugriff lässt sich dabei ein Missbrauch durch positives Verhalten („abus positif“), z.B. durch zweckwidrige Ausnutzung eines Individual- oder Minderheitenrechts, und ein solcher durch negatives Verhalten („abus négatif“), etwa durch grundlose Verweigerung der Zustimmung zu einem dringend notwendigen Gesellschafterbeschluss, unterscheiden.253

II. Gesetzliche oder richterrechtliche Rechtsbehelfe In nahezu allen Rechtsordnungen haben sich inzwischen Rechtsbehelfe gegen opportunistische Verhaltensweisen von Minderheitsgesellschaftern herausgebildet. Hierzulande greift man auf die Figur der mitgliedschaftlichen Treuepflicht zurück, die nicht nur dem Mehrheitsgesellschafter, sondern bei entsprechendem Blockadepotential auch dem Minderheitsgesellschafter obliegt. In Frankreich kann sich der Mehrheitsgesellschafter auf einen von den Gerichten entwickelten abus de minorité berufen,254 247 Vgl. im Zusammenhang mit dem unfair-prejudice-Rechtsbehelf Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-1, S. 682: „Controlling shareholders are not in terms excluded from using the section but normally any prejudice they are subject to will be remediable through the use of the ordinary powers they possess by virtue of their controlling position.“ 248 Vgl. Smith v. Atlantic Properties, Inc., 422 N.E.2d 798, 801 (Mass. App. Ct. 1981): „Cases may arise in which, in a close corporation, majority stockholders may ask [for] protection from a minority stockholder.“ 249 Vgl. Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 7.01[D][e], 7–104. 250 Vgl. oben B.II. 251 Merle, aaO (Fn. 81), Rdn. 581 mit Fn. 5. 252 Vgl. Le Cannu, Bull. Joly 1986, 429. 253 Vgl. Merle, aaO (Fn. 81), Rdn. 581. 254 Vgl. Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7), S. 182 ff.

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was in den letzten Jahren immer häufiger geschieht.255 Im Vereinigten Königreich steht der unfair-prejudice-Rechtsbehelf unter bestimmten Voraussetzungen auch einem Mehrheitsgesellschafter offen.256 In den Vereinigten Staaten wenden die Gerichte schließlich die Vorschriften über „oppressive actions“ in den Gliedstaatengesetzen an.257

1. Verhaltensstandards für Minderheitsgesellschafter In der Sache verpflichtet die mitgliedschaftliche Treuepflicht in ihrer Ausprägung durch die deutsche Rechtsprechung Minderheitsgesellschafter, ihre Mitgliedsrechte, insbesondere ihre Mitverwaltungs- und Kontrollrechte, unter angemessener Berücksichtigung der gesellschaftsbezogenen Interessen der anderen Gesellschafter auszuüben.258 Ganz ähnlich hat der französische Kassationshof den Missbrauch durch eine Gesellschafterminderheit beschrieben als „l’attitude contraire à l’intérêt général de la société, en ce que [le minoritaire] aurait interdit la réalisation d’une opération essentielle pour celle-ci, et dans l’unique dessein de favoriser ses propres intérêts au détriment de l’ensemble des autres associés“.259

2. Geeignete Sanktionen beim Stimmrechtsmissbrauch Einige Rechtsordnungen haben aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten mit der Bereitstellung wirksamer Rechtsfolgen beim Stimmrechtsmissbrauch von Minderheitsgesellschaftern: „Le problème le plus délicat est celui de la sanction de l’abus de minorité.“260 Die Schwierigkeiten rühren daher, dass Schadensersatzansprüche des Mehrheitsgesellschafters noch keinen wirksamen Gesellschafterbeschluss herbeiführen. So zögern die französischen Gerichte etwa, einen von Minderheitsgesellschaftern missbräuchlich abgelehnten Beschluss unter Rückgriff auf die Figur des jugement valant acte 261 als wirksam anzusehen,262 weil sie sich nicht in die inneren Angelegen-

255 Vgl. Merle, aaO (Fn. 81), Rdn. 581: „Depuis quelques années, il est de plus en plus fréquemment invoqué.“ 256 Vgl. etwa Parkinson v. Eurofinance Group Ltd, [2001] B.C.C. 551. 257 Näher Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 7.101[D][e] unter der Überschrift „Oppression of the Majority by the Minority“. 258 Vgl. BGHZ 129, 136 – Girmes (AG); für die GmbH Merkt, aaO (Fn. 212), § 13 GmbHG Rdn. 91. 259 Cass. com. 15.7.1992, D. 1993, 279. 260 Merle, aaO (Fn. 81), Rdn. 581. 261 Dazu Couret, in: Mélanges Spitéri, 2008, S. 411; Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7), S. 366 ff. 262 Vermittelnd Cass. com., 9.3.1993, JCPE 1993, II, 448 – arrêt Flandin, wonach der Richter zwar keinen Beschluss erlassen, wohl aber einen mandataire ad hoc bestimmen kann, der beauftragt wird, anstelle und im Namen der missbräuchlich handelnden Minderheitsgesellschafter abzustimmen; kritisch Cozian/Viandier/Deboissy, aaO (Fn. 3), Rdn. 383: „La jurisprudence de la Cour ne manque pas d’hypocrisie.“

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

heiten der Gesellschaft einmischen wollen. In Deutschland überwindet man derartige Schwierigkeiten, indem man treuwidrig abgegebene Stimmen als nichtig ansieht 263 oder eine Kombination von Anfechtungs- und positiver Beschlussfeststellungsklage zulässt.264

III. Ausschluss von Minderheitsgesellschaftern Eine besonders drakonische Maßnahme zur Bekämpfung missbräuchlichen Verhaltens eines Minderheitsgesellschafters liegt in dem endgültigen Ausschluss des „Störenfrieds“ aus der Gesellschaft.

1. Ausschluss aus wichtigem Grund Hierzulande erkennen Rechtsprechung 265 und Schrifttum 266 ein Ausschlussrecht aus wichtigem Grund an, wenn ein GmbH-Gesellschafter aus einem in seiner Person liegenden Grund für die Gesellschaft untragbar geworden ist. Zur Begründung pflegen sie auf die mitgliedschaftliche Treuepflicht 267 und den allgemeinen Grundsatz zu verweisen, dass Rechtsverhältnisse von längerer Dauer, die stark in die Lebensbetätigung der Beteiligten eingreifen, bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vorzeitig gelöst werden können.268 Auch im Vereinigten Königreich erkennen die Gerichte ungeachtet des Fehlens einer gesetzlichen Regelung ein Bedürfnis nach dem Ausschluss eines Minderheitsgesellschafters aus wichtigem Grund an.269 Die Maßnahme erfordert eine Satzungsermächtigung und muss einer Inhaltskontrolle standhalten, die jedoch stark subjektiv geprägt ist.270 Daneben ist ein Ausschluss aus wichtigem Grund im Einzelfall im Rahmen des weiten gerichtlichen Ermessens bei einer Klage wegen unfair prejudice nach sec. 996(1) Companies Act 2006 denkbar. Dieser Rechtsbehelf wird dem Mehrheitsgesellschafter jedoch nur zugestanden, wenn er zuvor die Möglichkeiten, sich unter Gebrauch seiner mitgliedschaftlichen Rechte Abhilfe zu verschaffen, ausgeschöpft hat.271 Der französische Kassationshof hat im Jahre 1996 das Verbot des Ge-

263 Vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Komm. z. GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 47 Rdn. 108. 264 Vgl. Zöllner, aaO (Fn. 263), Anh. § 47 GmbHG Rdn. 191 m.w.N. 265 Vgl. BGHZ 9, 157, 159 ff; 16, 317, 322 ff; 32, 17, 22 f; 80, 346, 348 ff; BGH NJW 1999, 3779. 266 Vgl. etwa Strohn, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, § 34 Rdn. 3 m.w.N. 267 Vgl. BGHZ 9, 157, 163; 80, 346, 349. 268 Vgl. BGHZ 9, 157, 161; 80, 346, 349 f; s. nunmehr auch § 314 BGB. 269 Vgl. Sidebottom v Kershaw, Leese & Co Ltd, [1920] 1 Ch. 154; Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 19-4. 270 Vgl. Citco Banking Corp N V v Pusser’s Ltd, [2007] 2 B.C.L.C. 483; Shuttleworth v Cox Bros & Co Ltd, [1927] 2 K.B. 9; Allen v Gold Reefs of West Africa Ltd, [1900] 1 Ch. 656. 271 Vgl. Re Legal Costs Negotiators, [1999] 2 B.C.L.C. 171, 199, 201; Gower/Davies, aaO (Fn. 12), Rdn. 20-1; Hannigan, Company Law, 2. Aufl., 2009, Rdn. 17–24.

C. Schutz der Gesellschaftermehrheit

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sellschafterausschlusses zum Prinzip erhoben; 272 der Richter kann also nicht von sich aus einen Gesellschafter aus der Gesellschaft ausschließen. Das Gesetz lässt hiervon aber für bestimmte Fälle Ausnahmen zu. Auch die Satzung kann die Möglichkeit eines Gesellschafterausschlusses vorsehen. Dies hat der französische Gesetzgeber an verschiedenen Stellen – nicht aber für die SARL – ausdrücklich anerkannt. Die Rechtsprechung 273 hat die Gültigkeit solcher Klauseln ebenfalls bestätigt, wenn auch bisher nur für die société en nom collectif, die der deutschen offenen Handelsgesellschaft entspricht. Diese Satzungsklauseln sind aber Gegenstand richterlicher Kontrolle. Kodifikationen des Gesellschafterausschlusses aus wichtigem Grund finden sich in Italien (Art. 2473-bis Codice Civile) und der Schweiz (Art. 823 OR). Der SPE-Verordnungsvorschlag der Kommission hatte in Art. 17 Abs. 1 vorgesehen, dass das zuständige Gericht auf Antrag der SPE den Ausschluss eines Anteilseigners anordnen kann, wenn dieser den Interessen der SPE schwer geschadet hat oder sein Verbleib als Anteilseigner der Geschäftstätigkeit der SPE abträglich ist. Im Kompromissvorschlag der schwedischen Ratspräsidentschaft ist diese Regelung ersatzlos gestrichen worden.

2. Squeeze-out-Regelung Die meisten Aktienrechte kennen heute in der einen oder anderen Form Squeeze-outRegelungen, mit denen ein Mehrheitsaktionär bei Erreichen eines Schwellenwerts von 90 oder 95% Minderheitsgesellschafter ohne weiteres aus der Gesellschaft ausschließen kann.274 Zur Legitimation dieses allgemeinen Ausschlussrechts beruft sich der Gesetzgeber auch auf das Obstruktionspotential von Kleinstbeteiligungen: Die Praxis zeige, dass diese oftmals missbraucht würden, um den Mehrheitsaktionär bei der Unternehmensführung zu behindern und ihn zu finanziellen Zugeständnissen zu veranlassen.275 In Deutschland hat die h.M. bisher der Versuchung widerstanden, die einschlägigen Vorschriften in §§ 327a ff. AktG analog auf die GmbH anzuwenden, weil sich die GmbH-Gesellschafter selbst bei kleineren Beteiligungen nicht auf die Rolle als Kapitalanleger reduzieren lassen.276 Einen anderen Weg hat dagegen der österreichische Gesetzgeber durch das Gesellschafterausschlussgesetz (GesAusG) aus dem Jahre 2006 beschritten: Nach § 1 Abs. 1 GesAusG steht die Ausschlussmöglichkeit bei Erreichen einer Kontrollschwelle von 90% auch dem Hauptgesellschafter einer GmbH zu.277 Die Regelung ist allerdings dispositiv: Gemäß § 1 Abs. 4 GesAusG kann 272 Cass. com., Rev. soc. 1996, S. 554. 273 Cass. com., D. 2005, S. 839, obs. Lienhard; JCPE 2005, 1046, n° 9, obs. Caussain/Deboissy/Wicker. 274 Rechtsvergleichender Überblick bei Fleischer, in: Hopt/Wiedemann, Großkomm. z. AktG, 4. Aufl., 2007, vor § 327a Rdn. 60 ff. 275 Vgl. Begr. RegE WpÜG, BT-Drucks. 14/7034, S. 31. 276 Näher Fleischer, aaO (Fn. 274), § 327a AktG Rdn. 8 m.w.N.; abw. Harrer, FS Sonnenberger, 2004, S. 235, 237 ff, 244 ff. 277 Vgl. Gall/Potyka/Winner, Squeeze Out. Der Gesellschafterausschluss bei AG und GmbHG, 2006, Rdn. 35; Kalss/Zollner, Squeeze out, 2007, § 1 GesAusG Rdn. 22.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass der Ausschluss von Gesellschaftern nicht zulässig ist oder dass dem Hauptgesellschafter eine höhere Anteilsquote als 90% gehören muss.

D. Auflösung von Pattsituationen auf Gesellschafterebene I. Das Problem der Selbstblockade Schließlich gibt es noch Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, die nicht auf opportunistischem Verhalten von Mehrheits- oder Minderheitsgesellschaftern beruhen. Es sind dies – schuldlose oder beiderseits 278 verschuldete – Pattsituationen auf Gesellschafter- und Geschäftsführerebene, welche die Fortführung der Geschäfte erschweren oder sogar die Handlungsfähigkeit der Gesellschaftsorgane in Frage stellen.279 Für sie hat sich hierzulande noch keine griffige Kurzbezeichnung herausgebildet; in der angelsächsischen Literatur spricht man vom deadlock,280 im französischen Schrifttum beim missbräuchlichen Verhalten einer Partei vom abus d’égalité.281 Rechtstatsächlich entstehen solche Pattsituationen vor allem in ZweipersonenGesellschaften,282 die im In- und Ausland besonders häufig anzutreffen sind:283 Nach einer neueren Stichprobe in verschiedenen deutschen Amtsgerichtsbezirken sind 37% aller GmbHs Zweipersonen-Gesellschaften,284 nach einer älteren Erhebung sogar 51%.285 Dabei reicht das Spektrum von der gewöhnlichen GmbH mit zwei Gesellschaftern über die Ehegatten-GmbH bis hin zum Gemeinschaftsunternehmen zweier Kapitalgesellschaften. Häufig sind beide Gesellschafter je zur Hälfte an der GmbH beteiligt und zugleich als deren Geschäftsführer tätig. Diese Realstruktur begründet 278 Dazu Knies, GmbHR 2005, 1386, 1389: „Einen eindeutig Schuldigen wird man dabei oftmals nicht ausmachen können.“ 279 Vgl. Fleischer, aaO (Fn. 1), Einl. GmbHG Rdn. 276; rechtsvergleichend Wolfram, USamerikanischer Deadlock und Selbstblockade der GmbH-Organe, 1999; aus australischer Sicht die Umschreibung bei O’Donovan/Grady, (1982) 1 Comp. & Sec. L. J. 67: „an impasse in the corporate decision-making process“. 280 Vgl. aus britischer Sicht Mayson/French/Ryan, aaO (Fn. 85), S. 585; aus US-amerikanischer Sicht Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 7.02. 281 Vgl. Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7), S. 21, wobei der abus d’égalité allerdings rechtssystematisch einen Unterfall des abus de minorité bildet. 282 Monographisch Knies, Das Patt zwischen den Gesellschaftern der zweigliedrigen GmbH, 2005; aus schweizerischer Sicht von der Crone, SJZ 89 (1993), 39. 283 Vgl. Champetier de Ribes-Justeau, aaO (Fn. 7), S. 21: „Enfin, l’abus d’égalité est susceptible de prendre place dans les sociétés partagées à parts égales entre deux personnes. Dans ces sociétés, dites égalitaires, aucune décision ne peut être prise sans l’accord des deux associés. Chacun des associés égalitaires dispose alors d’un veto sur tous les projets de résolutions.“ 284 Vgl. Kornblum/Hampf/Naß, GmbHR 2000, 1240, 1245. 285 Vgl. Limbach, Theorie und Wirklichkeit der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1966, S. 42.

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faktisch ein Einstimmigkeitserfordernis und setzt die beiden Gesellschafter unter fortwährenden Einigungszwang. Im Streitfall führt dies zu besonderen Schwierigkeiten, weil sich die Gesellschafter bei der Beschlussfassung gegenseitig blockieren und der Konflikt nicht selten bis hin zu wechselseitigen Abberufungen als Geschäftsführer und Ausschließungen als Gesellschafter eskaliert.286 Dann entsteht – jedenfalls in Deutschland – eine geschäftsführerlose GmbH, über die auch die jüngst eingeführten Vorschriften über die Führungslosigkeit in § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbH nur punktuell hinweghelfen.

II. Privatautonome Schutzvorkehrungen Weil die Zweipersonen-Gesellschaft aus den genannten Gründen als besonders konfliktträchtig gilt, liegt es nahe, für allfällige Streitigkeiten Vorkehrungen in der Satzung oder in schuldrechtlichen Nebenabreden zu treffen.287 Entsprechende Vorschläge sind in den Handreichungen für die Praxis gut aufbereitet 288 und gehören namentlich bei der Abfassung von Joint-Venture-Verträgen zur kautelarjuristischen Routine.289 Zur Pattauflösung bei Abstimmungen über bestimmte Beschlussgegenstände kann man etwa vorsehen, dass (a) einem Beteiligten, z.B. dem (turnusmäßig wechselnden) Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung, ein Stichentscheid zukommt, (b) der Beschlussgegenstand einem anderen Gesellschaftsorgan, insbesondere dem Aufsichtsoder Beirat, zugewiesen wird oder (c) ein Schiedsgericht entscheiden soll. Bei dauerhafter Selbstblockade kann die Satzung (a) ein Austrittsrecht aus wichtigem Grund (b) die Verpflichtung zur Übertragung der Geschäftsanteile auf den Mitgesellschafter, etwa in Form eines doppelt verdeckten Angebots, oder (c) eine freie Veräußerbarkeit der Geschäftsanteile trotz statutarischer Veräußerungsbeschränkungen vorsehen. Gesellschaftsrechtlich werfen solche privatautonomen Schutzvorkehrungen nur vereinzelt Probleme auf. Eine erste Frage geht dahin, ob die Satzung einen Stichent-

286 Vgl. aus US-amerikanischer Sicht Cox/Hazen, aaO (Fn. 137), § 14.11, S. 852: „Deadlocks among the shareholders and in the directorates of closely held corporations may occur because of the way voting shares and positions on the board are distributed. Shares are sometimes divided equally among two or more shareholders or groups of shareholders. And it is not unusual for a close corporation to have an even number of directors; thus a deadlock of directors is likely to occur.“ 287 Dazu aus deutscher Sicht Fleischer, aaO (Fn. 1), § 1 GmbHG Rdn. 79; aus US-amerikanischer Perspektive Cox/Hazen, aaO (Fn. 137), § 14.11, S. 853: „Therefore, during the organization of a close corporation, counsel must anticipate such problems and may need to provide special contractual arrangements to resolve them. These arrangements usually are set up in the corporation’s charter or bylaws or in a shareholders’ agreement. They typically take one or more of the following forms: (a) provisions for the buyout of the interests of aggrieved shareholders, (b) the creation of special dissolution rights and procedures, or (c) undertakings to arbitrate disputes.“ 288 Vgl. etwa Natterer, in: Hamann/Sigle, Vertragsbuch Gesellschaftsrecht, 2008, § 5 Rdn. 220 ff. 289 Vgl. etwa Fett/Spiering, in: dies., Handbuch Joint Venture, 2010, 7. Kapitel, Rdn. 524 ff.

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scheid auch zugunsten eines gesellschaftsfremden Dritten vorsehen kann. Dies wird im heutigen Schrifttum unter dem Gesichtspunkt der Verbandssouveränität häufig verneint.290 Das RG hatte es demgegenüber für zulässig erachtet, dass der Stichentscheid von einem Gesellschaftssyndikus ausgeübt wird, der selbst nicht Mitglied der GmbH ist.291 Problematisiert werden darüber hinaus sog. Shoot-Out-Klauseln, die von der anglo-amerikanischen Vertragspraxis zur Auflösung einer Selbstblockade in zweigliedrigen Gesellschaften entwickelt worden sind.292 Mit ihrer Hilfe kann einer der beiden Gesellschafter sämtliche Anteile in einem streng formalisierten Preisfindungsverfahren erwerben. Shoot-Out-Verfahren versprechen in Übereinstimmung mit der hergebrachten Cake-Cutting-Rule („I cut, you choose“) ein hohes Maß an Preisgerechtigkeit. Spieltheoretischen Untersuchungen zufolge sind sie allerdings ex post ineffizient.293 Empfohlen werden stattdessen Auktionsverfahren, die sicherstellen, dass die Gesellschaftsanteile in die Hände desjenigen Gesellschafters gelangen, der sie am meisten wertschätzt. Gesellschaftsrechtlich ist die Wirksamkeit von Shoot-OutKlauseln noch wenig geklärt. Erste Fingerzeige gibt aus österreichischer Sicht ein Urteil des OLG Wien, das ihre Aufnahme in den GmbH-Gesellschaftsvertrag als wirksam angesehen hat, weil ihr „checks-and-balances“-Mechanismus einer Übervorteilung des nicht zustimmungswilligen Gesellschafters entgegenwirke.294 Das Pariser Appellationsgericht hat eine solche Klausel ebenfalls gebilligt, weil sie keinen Sanktionscharakter aufweise und daher keine unwirksame Ausschlussklausel sei, sondern nur ein freiwillig zwischen den Parteien vereinbartes Ausstiegsverfahren beinhalte.295 Gleichwohl kann in Einzelfällen Anlass für ein richterliches Eingreifen bestehen, wenn einer der beiden Gesellschafter ein Erwerbsangebot von Anfang an nicht finanzieren kann und den für ihn nachteiligen Vollzugsmechanismus des Shoot-Out-Verfahrens deshalb tunlichst vermeiden muss.296

290 Ablehnend etwa Michalski/Römermann, Komm. z. GmbHG, 2. Aufl., 2010, § 47 Rdn. 575; Zöllner, aaO (Fn. 263), § 47 GmbHG Rdn. 23. 291 Vgl. RGZ 49, 141, 147: „Aus dem Gesetz folgt nicht, dass der Stichentscheid nicht auch einem Dritten, außerhalb der Gesellschaft Stehenden übertragen werden könnte. Die Natur der Sache weist viel eher darauf hin, die Entscheidung durch einen dritten Unbeteiligten zuzulassen, dem ein objektives Urteil und ein unbeeinflusstes Ermessen eher zuzutrauen ist, als dem beteiligten Gesellschafter oder Geschäftsführer.“; s. auch Zutt, ZHR 155 (1991), 213, 214 f. 292 Näher Fleischer/Schneider, DB 2010, 2713. 293 Vgl. McAfee, 56 J. Econ. Theory 266, 284 (1992). 294 Vgl. OLG Wien, 20.4.2009, 28 R 53/09h, GesRZ 2009, 376 (Leitsatz). 295 Vgl. CA Paris, Rev. trim. dr. comm. 2007, 169, 170 mit Anm. Le Cannu. 296 Näher Fleischer/Schneider, DB 2010, 2113, 2117 ff.

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III. Konfliktlösungen durch Gesetzes- oder Richterrecht Fehlt es an privatautonomer Vorsorge, so bleibt nur die Möglichkeit, den gordischen Knoten mit den Mitteln des Gesetzes- oder Richterrechts zu durchschlagen. Zur Begründung einer externen Konfliktlösung kann man aus gesamtgesellschaftlicher Sicht anführen, dass sozial wertvolle Ressourcen andernfalls brachlägen.297 Als ultima ratio sehen die meisten Rechtsordnungen eine zwangsweise Auflösung der Gesellschaft auf Antrag eines Beteiligten vor. In Deutschland hat die Spruchpraxis einen wichtigen (Auflösungs-)Grund i.S.d. § 61 Abs. 1 GmbHG bei einem unheilbaren Zerwürfnis in der Zweipersonen-GmbH sowie bei einem Patt in der Gesellschafterversammlung bejaht.298 In Großbritannien lässt die Spruchpraxis in solchen Fällen ein winding up nach § 124 des Insolvency Act 1986 zu.299 In Frankreich haben die Gerichte ausnahmsweise eine Auflösung der Gesellschaft wegen eines Zerwürfnisses der Gesellschafter ausgesprochen.300 In den Vereinigten Staaten sieht § 14.30(2) des Revised Model Business Corporation Act eine Zwangsauflösung in deadlock-Fällen vor, die in den Gesellschaftsgesetzen der Gliedstaaten vielfach variiert wird;301 so kennt Kansas nur eine Auflösungsmöglichkeit für zweigliedrige Gesellschaften.302 Weil eine Zwangsauflösung bei prosperierenden Gesellschaften häufig wirtschaftliche Werte vernichtet, besteht für Gesetzgeber und Gerichte Anlass, über weniger einschneidende Konfliktlösungsmechanismen nachzudenken. Denkbar sind etwa erhöhte treuepflichtgestützte Mitwirkungspflichten beider Gesellschafter303 oder die 297 So auch Moll/Ragazzo, aaO (Fn. 6), § 7.02, 7-149–7-150: „The conventional explanation for the harm of deadlock is that socially useful assets are unable to be productively deployed when disagreements between the corporation’s decisionmakers paralyze the company from taking action.“ 298 Vgl. BGHZ 80, 346, 348; BGH NJW 1985, 1301; OLG München GmbHR 2005, 428; aus dem Schrifttum Knies, GmbHR 2005, 1386. 299 Vgl. Mayson/French/Ryan, aaO (Fn. 85), S. 583 und 585; aus der Spruchpraxis zuvor schon Ng Eng Hiam v. Ng Kee Wei, (1964) 31 MLJ 238, 240: „The principle is clear that if the court is satisfied that complete deadlock exists in the management of a company the jurisdiction [to wind up a company if the court thinks it just and equitable to do so] will be exercised. […] It may be that the jurisdiction will be more readily exercised where […] although the business is carried on by means of a private limited company, the case is not unlike one of a partnership.“ 300 Vgl. Cass. com., Rev. soc. 1982, 804; Montpellier, 18.6.2002, RJDA 2004, p. 893, n° 981; aus dem Schrifttum Merle, aaO (Fn. 81), Rdn. 580: „Exceptionnellement, la dissolution de la société pourrait être prononcée pour mésintelligence entre associés.“ 301 Guter Überblick bei Cox/Hazen, aaO (Fn. 137), § 14.12, S. 853 ff. 302 Vgl. Kans. Stat. Ann. § 17-6804(d): „If the stockholders of a corporation having only two stockholders, each of which owns 50% of the stock therein, are unable to agree upon the desirability of dissolving the corporation and disposing of the corporate assets, either stockholder may file with the district court a petition stating that it desires to dissolve the corporation and to dispose of the assets thereof in accordance with a plan to be agreed upon by both stockholders.“ 303 Überlegungen in diese Richtung bei Schneider, FS Kellermann, 1991, S. 403, 412 f: „Bei solchen Gesellschaften folgt daher aus der Realstruktur ein Mitwirkungs- und Einigungszwang, d.h. eine besonders weitgehende aktive Mitwirkungspflicht an unterneh-

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Ersetzung des blockierten Beschlusses durch richterliche Entscheidung.304 Ganz in diesem Sinne bestimmt etwa der schweizerische Gesetzgeber neuerdings in Art. 821 Abs. 1 Satz 3 OR, dass das Gericht statt auf Auflösung auf eine andere sachgemäße und den Beteiligten zumutbare Lösung erkennen kann, insbesondere auf die Abfindung des klagenden Gesellschafters zum wirklichen Wert seiner Stammanteile. Die hierin liegende Möglichkeit, ein Urteil in Abweichung vom Rechtsbegehren des Klägers oder Beklagten zu erlassen, wird im Schrifttum als ebenso fortschrittlich wie problembeladen angesehen305 und dürfte in einigen Ländern über die Rolle des Richters im Gesellschaftsrecht hinausgehen.306 Einzelheiten sind anderwärts zu vertiefen. Im Interesse des Rechtsverkehrs an der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft könnten des Weiteren legislatorische Vorkehrungen für Pattsituationen erwogen werden. In der Literatur hat man verschiedentlich gesetzliche Sonderregeln für die zweigliedrige Kapitalgesellschaft gefordert.307 § 69 Abs. 5 Satz 3 RegE GmbHG 1973 enthielt eine entsprechende Sondervorschrift für die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis in der Zweipersonen-GmbH,308 doch hat der deutsche – ebenso wie der schweizerische 309 – Gesetzgeber diese Reformüberlegungen seither nicht weiterverfolgt. Allerdings hat die höchstrichterliche Rechtsprechung verschiedentlich Sonderregeln aufgestellt, um der speziellen Interessenlage in der Zweipersonen-GmbH Rechnung zu tragen.310 Zentrale Regelungsfelder bilden der Gesellschafterausschluss, die Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers, die Auflösung der Gesellschaft und die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Mitgesellschafter.311 Neben materiellrechtlichen Besonderheiten stellen sich dabei auch zahlreiche zivilprozessuale Zweifelsfragen.312

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mensleitenden Gesellschafterbeschlüssen, wie etwa bei der Beschlussfassung über die Bestellung von Prokuristen, die Feststellung des Jahresabschlusses usw.“; kritisch aber Knies, GmbHR 2005, 1386, 1389: „Auch die wechselseitigen Treubindungen können keine Anpassung begründen, die im Widerspruch zu einem erkennbar geäußerten Willen der Gesellschafter steht.“ Erste Ansätze bei Zöllner, ZGR 1988, 392, 416 ff, der im Falle einer Blockade-Situation bei der Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses und der Gewinnverwendung vorgeschlagen hat, dem Richter zu gestatten, nach den §§ 315 ff. BGB durch Ersetzung des Beschlusses nach § 894 ZPO eine Entscheidung herbeizuführen. So zur gleichsinnigen Vorschrift in Art. 736 Nr. 4 OR für die AG Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl., 2009, § 16 Rdn. 195. Allgemein dazu aus französischer Sicht Jeantin, Le rôle du juge en droit des sociétés, in: Mélanges Perrot, 1995, S. 149; Mestre, Réflexions sur les pouvoirs du juge dans la vie des sociétés, Rev. juris. com. 1985, 81. Befürwortend bereits Mayer-Wegelin, Die Willensbildung in der paritätischen Zweimann-Gesellschaft bei Uneinigkeit der Gesellschafter, 1968, S. 103 f. Vgl. BT-Drucks. 7/253, S. 19 (Wortlaut) und S. 123 (Begründung). Ablehnend im Vorfeld Böckli/Forstmoser/Rapp, Reform des GmbH-Gesetzes, 1997, S. 112. Zusammenfassend Fleischer, aaO (Fn. 1), § 1 GmbHG Rdn. 74 ff. Monographisch Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003. Näher Wolf, ZGR 1998, 92, 96 ff.

E. Ergebnisse

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E. Ergebnisse 1. Binnenkonflikte zwischen Gesellschaftern bilden die Achillesferse geschlossener Kapitalgesellschaften. Sie begegnen typischerweise in drei verschiedenen Ausprägungen: der Ausbeutung einer Gesellschafterminderheit durch den Mehrheitsgesellschafter („oppression of minority“), dem opportunistischen Verhalten von Minderheitsgesellschaftern („tyrannie des faibles“) und den Pattsituationen in paritätisch besetzten Gesellschaften („deadlock“). 2. Minderheitsgesellschafter sehen sich in geschlossenen Kapitalgesellschaften aufgrund eines Zusammenspiels verschiedener Faktoren einer besonderen Gefährdungslage ausgesetzt. Zu diesen Faktoren gehören das Mehrheitsprinzip bei Gesellschafterbeschlüssen, die Gestaltungsfreiheit im Innenverhältnis, stabile Mehrheitsverhältnisse, das Fehlen liquider Sekundärmärkte und eines zuverlässigen Wertmessers für die Gesellschaftsbeteiligung sowie die eingeschränkte Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik. 3. Im Ausgangspunkt bleibt es jedem (Minderheits-)Gesellschafter überlassen, durch Satzungsbestimmungen oder schuldrechtliche Nebenvereinbarungen für einen hinreichenden Selbstschutz zu sorgen. Allerdings sind Gründungsgesellschafter wegen ihrer optimistischen Grundeinstellung und ihrer Einbettung in enge persönliche Beziehungen besonders anfällig für Rationalitätsdefizite und Wahrnehmungsverzerrungen, die zu einer Unterversicherung gegen opportunistisches Verhalten führen. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit eines ergänzenden Minderheitsschutzes durch Gesetzes- oder Richterrecht. 4. Zur Lösung von Mehrheits-Minderheits-Konflikten haben sich im In- und Ausland verschiedene Verhaltensmaßstäbe herausgebildet, die in ein Modellgesetz übernommen werden sollten. Hierzu gehört vor allem eine fallübergreifende Generalklausel, die der Einwirkungsmacht des Mehrheitsgesellschafters Grenzen zieht (mitgliedschaftliche Treuepflicht, fiduciary duties, abus de majorité). Vor minderheitsschädigendem Geschäftsführerverhalten schützen darüber hinaus organschaftliche Verhaltenspflichten, die man gemeinhin in eine Sorgfaltspflicht (duty of care) und eine Treuepflicht (duty of loyalty) auffächert. Schließlich bieten sich zur Bewältigung von Interessenkonflikten, etwa bei Gesellschafter-Drittgeschäften, spezielle Kontrollverfahren und/oder gesetzliche Stimmverbote an. 5. Der Durchsetzung des Minderheitsschutzes dienen Klage- und Lösungsrechte der Minderheitsgesellschafter. Ihre effektive Wahrnehmung wird durch Informationsund weitere Hilfsrechte erleichtert. Zur Gewährleistung des Rechtsschutzes gegen rechtswidrige Gesellschafterbeschlüsse empfiehlt sich das Instrument der Beschlussmängelklage, das in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fest verwurzelt ist. Hinzu treten sollte die Möglichkeit von Schadensersatzklagen, und zwar sowohl in Form einer Individualklage (direct action, action directe) als auch einer abgeleiteten Gesellschafterklage (actio pro socio, derivative action, action sociale ut singuli). Dagegen sind großzügige gesetzliche Austrittsrechte nicht zu empfehlen, weil sie zu massiven Unterinvestitions- und Liquiditätsproblemen führen können.

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§ 3 Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften

6. Unabhängig davon verdient der Ausbau der außergerichtlichen Streitbeilegung durch Gesetzgeber und Rechtsprechung besondere Aufmerksamkeit. Neben der Streitschlichtung durch Schiedsgerichte bietet die Mediation eine vielversprechende Alternative, weil Gesellschafterstreitigkeiten in geschlossenen Kapitalgesellschaften häufig auf einem kaum entwirrbaren Geflecht geschäftlicher und persönlicher Differenzen beruhen. 7. Zur Bekämpfung des ex-post-Opportunismus von Minderheitsgesellschaftern sollten geeignete Instrumente zur Verfügung stehen. Spiegelbildlich zur mitgliedschaftlichen Treuepflicht des Mehrheitsgesellschafters empfiehlt sich auch hier der Rückgriff auf eine fallübergreifende Generalklausel (abus de minorité, oppression remedy). Als äußerstes Mittel sollte außerdem ein Ausschluss des „Störenfrieds“ aus der Gesellschaft möglich sein. 8. Zur Auflösung von Pattsituationen, wie sie vor allem bei zweigliedrigen Gesellschaften vorkommen, empfehlen sich privatautonome Schutzvorkehrungen in Satzung oder Gesellschaftervereinbarung. Ergänzend sollte die Rechtsordnung eine externe Konfliktlösung vorsehen, um zu verhindern, dass sozial wertvolle Ressourcen brachliegen. Die allseits anerkannte Zwangsauflösung der Gesellschaft bildet insoweit nur eine Notlösung; eine Diskussion über weniger einschneidende Konfliktlösungsmechanismen, etwa durch eine aktivere Rolle des Richters, ist im In- und Ausland noch wenig entwickelt.

§4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft* Geschlossene Kapitalgesellschaften haben typischerweise nur wenige Gesellschafter. Trotzdem sehen die meisten Rechtsordnungen zwingend eine Geschäftsleitung als weiteres Organ neben der Gesellschafterversammlung vor, die übrigen lassen dies zumindest zu.1 Das Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft gestattet es also, andere Personen als die Gesellschafter mit der Geschäftsführung zu betrauen. Auch wenn Selbstorganschaft in der Praxis dennoch die Regel sein dürfte, eröffnet die Fremdorganschaft zusätzliche Gestaltungsspielräume und erweitert die Einsatzmöglichkeiten der geschlossenen Kapitalgesellschaft.2 Im Mittelpunkt steht dabei eine Arbeitsteilung zwischen aktiven Unternehmenslenkern und passiven – oder zumindest weniger aktiven – Eigentümern. Welche Vorteile sie für die Organisation von Unternehmen bieten kann, hängt entscheidend von der gesellschaftsrechtlichen Konzeption und Regelung der Geschäftsleitung ab. Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft wirft zwei einander überschneidende Regelungsprobleme auf: Wenn nicht alle Gesellschafter selbst als Geschäftsleiter tätig sind, ergibt sich – erstens – die Aufgabe, einen drohenden Interessengegensatz zwischen Kapitalgebern und Unternehmensführern rechtlich einzuhegen, um die angestrebte Arbeitsteilung zu ermöglichen. Im Vergleich zu Publikumsgesellschaften tritt diese Konfliktlinie bei geschlossenen Kapitalgesellschaften zwar weniger hervor:3 Da die geschlossene Kapitalgesellschaft zumeist nur einige wenige Gesellschafter hat, fällt die Überwachung der Geschäftsleiter leichter als in der Publikumsgesellschaft. Auch wenn die „Trennung von Eigentum und Kontrolle“ also weniger ausgeprägt ist, bedarf sie aber doch wirksamer rechtlicher Vorkehrungen. Der intensive Einfluss der Gesellschafter (oder einer Gesellschaftermehrheit) lässt zugleich die Interessengegensätze zwischen Mehrheit und Minderheit und der Gesellschafter im Verhältnis zu Dritten stärker hervortreten als in der Publikumsgesellschaft.4 Das zweite, zentrale Regelungsproblem besteht deshalb darin, die Geschäftsleitung in diesem Spannungsfeld als Angelpunkt der widerstreitenden Interessen zu verorten. Wie sich zeigen wird, begründet gerade dies in der geschlossenen Kapitalgesellschaft ihre Funktion als zusätzliches Gesellschaftsorgan und ihren möglichen Nutzen für die Gesellschafter. Das Kapitel gliedert sich wie folgt: Zunächst soll die Rolle der Geschäftsleitung in einer geschlossenen Kapitalgesellschaft grundsätzlich geklärt werden. Dazu gehört die

* Der Text beruht auf einem Entwurf von Engert. 1 Beispiele aus dem US-amerikanischen Gesellschaftsrecht unten in Fn. 24 und 27. 2 Demgegenüber halten im Personengesellschaftsrecht manche Rechtsordnungen an der zwingenden Selbstorganschaft fest, so neben Deutschland etwa Großbritannien, vgl. Sec. 5 Partnership Act 1890 und Sec. 6(1) Limited Liability Partnerships Act 2000. Anders Frankreich, vgl. Art. L. 221-3 Abs. 1 C.com. 3 Vgl. § 2 B.I., S. 7. 4 Hierzu § 2 B., S. 7 ff sowie § 3 und § 5.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Frage, weshalb es überhaupt eines weiteren gesellschaftsrechtlich konstituierten Organs neben der Gesellschafterversammlung bedarf (Abschnitt A.). Im Weiteren werden die wesentlichen Regelungsfragen in Bezug auf die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft erörtert: die Stellung der Geschäftsleitung in der Organisationsverfassung, die Kontrolle der Geschäftsleiter und die anzuwendenden Sanktionen (Abschnitt B.). Abschließend werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (Abschnitt C.). Neben der Geschäftsleitung haben größere geschlossene Kapitalgesellschaften zum Teil einen Aufsichts- oder Beirat als weiteres Organ zur Bestellung, Überwachung und Beratung der Geschäftsleitung.5 Der Einfachheit halber gehen die folgenden Ausführungen von der Geschäftsleitung als einzigem Organ neben der Gesellschafterversammlung aus.

A. Funktionen der Geschäftsleitung Um die Geschäftsleitung im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft richtig einordnen und erfassen zu können, sollte man sich zunächst vergewissern, welche Funktionen sie zu erfüllen hat. Damit ist die grundlegende Frage aufgeworfen, wozu geschlossene Kapitalgesellschaften neben der Gesellschafterversammlung ein weiteres Organ benötigen.

I. Handlungsorgan Die Notwendigkeit einer Geschäftsleitung wird teilweise damit begründet, dass die Gesellschaft selbst nicht handlungsfähig sei und deshalb eines Handlungsorgans bedürfe.6 Das leuchtet im Ausgangspunkt ein. Um allerdings die Gesellschaft überhaupt handlungsfähig zu machen, würde die Gesellschafterversammlung genügen.7 Die „Natur der Sache“ erfordert also nur ein einziges Gesellschaftsorgan. Die Gesellschafterversammlung mag praktisch wenig geeignet sein, die täglichen Geschäfte der Gesellschaft zu führen, doch wäre die Handlungsfähigkeit jedenfalls gesichert. Die Gesellschaft könnte Geschäftsbesorger auf vertraglicher Grundlage beschäftigen und sich deren Rechtsgeschäfte und Handlungen (ebenso wie Wissen und Besitz) nach 5 In einer Stichprobe deutscher Unternehmen mit 100–499 Arbeitnehmern (aber ohne Unterscheidung nach der Rechtsform) wiesen 41% einen Aufsichts- oder Beirat auf, Woywode/Keese/Tänzler/Hauer, BFuP 63 (2011), 628, 633. 6 Etwa Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts I/2, 1983, S. 379; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 248; Merle, Droit commercial, Sociétés commerciales, 12. Aufl., 2008, S. 126; zur Handlungsfähigkeit als Begründung für Gesellschaftsorgane überhaupt Guyon, Droit des affaires I, 12. Aufl., 2003, S. 198 f; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 212. 7 Insofern bedarf es zwingend einer originären Zurechnungsnorm, Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 2. Band, 1840, S. 283 („[S]elbst wenn alle Einzelne, ohne Ausnahme, gemeinschaftlich handeln, so ist dieses nicht so anzusehen, als ob das ideale Wesen, welches wir die juristische Person nennen, gehandelt hätte“).

A. Funktionen der Geschäftsleitung

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den allgemeinen Regeln zurechnen lassen. Die dazu erforderlichen Rechtsgeschäfte könnte die Gesellschafterversammlung vornehmen. Die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zwingt somit nicht dazu, die Geschäftsleitung als zusätzliches, gesellschaftsrechtlich verfasstes Organ vorzusehen. Wenn die geschlossene Kapitalgesellschaft aber – aus im Weiteren zu erörternden Gründen – eine Geschäftsleitung hat, drängt es sich auf, sie anstelle der Gesellschafterversammlung zum alleinigen oder vorrangigen Handlungsorgan zu bestimmen.

II. Delegation Die Einrichtung eines zusätzlichen Organs ermöglicht es, zu treffende Entscheidungen oder deren Ausführung von der Gesellschafterversammlung auf bestimmte Personen – die Geschäftsleiter – zu übertragen.8 Für eine Delegation sprechen die Vorteile der Arbeitsteilung: Die Bedeutung vieler Angelegenheiten ist zu gering, um alle Gesellschafter damit zu befassen. Darüber hinaus kann auch bei geschlossenen Kapitalgesellschaften ein Bedürfnis nach Spezialisierung bestehen. Paradigmatisch ist die Arbeitsteilung zwischen dem Unternehmer oder einem professionellen Unternehmensleiter auf der einen Seite und dem bloßen Kapitalgeber auf der anderen Seite. Bei der geschlossenen Kapitalgesellschaft ist eine solche Aufgabendifferenzierung in jungen Unternehmen mit Wagniskapitalgebern oder in Familienunternehmen anzutreffen, wenn nur bestimmte oder gar keine Familienmitglieder an der Geschäftsführung teilnehmen. Zu denken ist ebenso an konzernangehörige, aber mehr oder minder eigenständig geführte Gesellschaften. Hinzukommen kann ein institutioneller Vorteil: Hat die Gesellschaft mehr als einen Anteilseigner, so bedarf es einer kollektiven Willensbildung durch Mehrheitsbeschluss. Dies ist zumeist aufwendiger als von einzelnen Geschäftsleitern zu treffende Entscheidungen. Eine Delegation kann darüber hinaus die Gefahr verringern, dass die Gesellschafter sich gegenseitig blockieren oder der Gesellschaft durch Passivität schaden. Allerdings bräuchte die Delegation eigentlich nicht im Gesellschaftsrecht geregelt zu werden. Ein Bedürfnis, sachkundige Personen mit weitreichenden Entscheidungen zu betrauen, besteht nicht nur in Gesellschaften, sondern im gesamten Wirtschaftsleben. Die Delegation könnte leicht mit den Mitteln des allgemeinen Geschäftsbesorgungs- und Stellvertretungsrechts bewerkstelligt werden. Tatsächlich hat das französische Gesellschaftsrecht die Geschäftsleiter lange als Beauftragte (mandataires) aufgefasst.9 Hiervon hat sich die französische Lehre indes abgewandt und schreibt der Geschäftsleitung – wie in Deutschland – heute eine spezifisch gesellschaftsrechtliche Stellung als Organ zu.10 Ein Vorteil der organschaftlichen gegenüber einer geschäftsbesorgungsrecht8 Im Rahmen einer „Theorie der Kapitalvereinigung“ hierzu allgemein Fleckner, Antike Kapitalvereinigungen, 2010, S. 47 f. 9 Stv. Vidal, Droit des sociétés, 7. Aufl., 2010, S. 204 f, 517 ff. 10 Vidal, aaO (Fn. 9), S. 205; Merle, aaO (Fn. 6), S. 126. In Deutschland ist dies schon länger anerkannt. Auch die „Vertretertheorie“ (als Gegenspielerin der „Organtheorie“) begrün-

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

lichen Lösung mag darin liegen, dass dem Organ ausschließliche, privative Kompetenzen zugewiesen werden können, während ein Vollmachtgeber sich nicht des Rechts begeben kann, selbst weiter für sich zu handeln.11 Wäre die Gesellschafterversammlung das einzige Gesellschaftsorgan, so könnte sie zwar Vertreter beauftragen, aber nicht darauf verzichten, gegebenenfalls selbst für die Gesellschaft zu handeln. Indem die Geschäftsleitung als Organ eigene, ausschließliche Befugnisse ausübt, ist die angestrebte Delegation gegen kurzfristige Eingriffe der Gesellschafterversammlung (etwa aufgrund von Zufallsmehrheiten) gesichert.

III. Wahrung der Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten Die Geschäftsleitung ist schließlich Angelpunkt der widerstreitenden Belange der verschiedenen Unternehmensbeteiligten. Interessengegensätze treten sowohl unter den Gesellschaftern (insbesondere zwischen einer festgefügten Mehrheit und Minderheit) als auch zwischen den Gesellschaftern und Dritten (Geschäftspartnern, Arbeitnehmern, gesetzlichen Gläubigern, der Allgemeinheit usw.) auf. Indem die Geschäftsleitung in diesen Spannungsfeldern eine Mittler- und Ausgleichsfunktion wahrnimmt, kann sie in einen Gegensatz zur Gesellschafterversammlung geraten: Die Geschäftsleiter müssen gegebenenfalls Entscheidungen gegen den Willen der Gesellschafter(mehrheit) treffen. Damit sind die Geschäftsleiter nicht mehr bloße Beauftragte der Gesellschafter. Vielmehr ist ein entscheidender Grund gefunden, die Geschäftsleitung als eigenständiges Organ der Gesellschaft zu institutionalisieren: In ihrem Zuständigkeitsbereich handelt sie ebenso originär für die Gesellschaft wie die Gesellschafterversammlung. Inwieweit die Geschäftsleitung die Interessen Dritter gegenüber den Gesellschaftern und von Minderheitsgesellschaftern gegenüber der Mehrheit wahrzunehmen hat, ist für die Verfassung der geschlossenen Kapitalgesellschaft von erheblicher Bedeutung. Die entsprechende Diskussion zur Aktiengesellschaft ist ausufernd. Man verbindet sie mit den Stichworten der „Zielfunktion“ bzw. des Formalziels der Gesellschaft, eines eigenständigen „Unternehmensinteresses“, eines Vorrangs der Aktionärsinteressen (shareholder primacy) oder in neuerer Zeit einer corporate social responsibility.12 Im Folgenden soll nach Regelungsfragen abgeschichtet werden: Zu unterscheiden ist zwischen konkreten Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter (Abschnitt 1.) und verbleibenden, rechtlich nicht determinierten Entscheidungsspielräumen (Abschnitt 2.).

det die gesetzliche Vertretung der Gesellschaft gerade mit deren Handlungsunfähigkeit, also spezifisch gesellschaftsrechtlich, vgl. Flume, aaO (Fn. 6), S. 377. Zum US-amerikanischen Recht Restatement (Third) of Agency, § 1.01, Anm. (f)(2) (keine agency relationship zwischen Verwaltungsratsmitgliedern und Kapitalgesellschaft bzw. Anteilseignern). 11 Reuter, AcP 207 (2007), 673, 694 f; Ders., FS Steindorff, 1990, S. 229, 233 f (jeweils als Begründung für den Grundsatz der Selbstorganschaft bei Personengesellschaften). 12 Zusammenfassend Keay, The Corporate Objective, 2011, S. 40 ff; Ders., 71 Modern L. Rev. 663, 667 ff (2008); Klöhn, ZGR 2008, 110; Birke, Formalziel der Aktiengesellschaft, 2005.

A. Funktionen der Geschäftsleitung

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1. Konkrete Verhaltenspflichten Außer Zweifel steht, dass an die Geschäftsleiter konkrete Verhaltensanforderungen im Interesse von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern und anderen Unternehmensbeteiligten zu stellen sind. Solche Vorgaben können gesetzlich besonders geregelt sein oder Generalklauseln wie der allgemeinen Sorgfaltspflicht entnommen werden. Voraussetzung ist aber, dass die Verhaltensanforderungen hinreichend bestimmt und justitiabel sind, um sie mit Haftungssanktionen gegen die Geschäftsleiter verbinden zu können. Für konkrete Verhaltenspflichten zugunsten von Minderheitsgesellschaftern und Dritten lassen sich zahlreiche Beispiele finden: So können die Geschäftsleiter im Interesse (auch) von Minderheitsgesellschaftern verpflichtet sein, eine Gesellschafterliste und die Bücher zu führen, Einsichtsrechte einzelner Gesellschafter zu erfüllen und die Gesellschafter allgemein gleich zu behandeln. Um zugunsten von Gläubigern den Gefahren der Haftungsbeschränkung entgegenzuwirken, können die Geschäftsleiter Ausschüttungssperren zu beachten haben oder gegebenenfalls ein Insolvenzverfahren einleiten müssen. Ferner sind die Geschäftsleiter etwa gehalten, außenstehende Dritte nicht deliktisch zu schädigen.13

Die Geschäftsleiter fungieren so als Hüter fremder Interessen gegenüber den Eigentümern der Gesellschaft.14 Dieser Belastung der Geschäftsleiter entspricht – was bisher wenig beachtet wurde – eine Entlastung der Gesellschafter: Die Rechtsordnung schafft sich in der Geschäftsleitung ein neues Zuordnungssubjekt für Verhaltensvorgaben. Erst die Pflichtenbindung der Geschäftsleiter rechtfertigt es, die Gesellschafter von entsprechenden Anforderungen und den zugehörigen Sanktionen freizustellen. Anderenfalls müssten die Schutzpflichten nämlich den Gesellschaftern selbst als den Eigentümern der Gesellschaft auferlegt werden. Damit werden die Möglichkeiten der Arbeitsteilung zwischen aktiven Geschäftsleitern und passiven Gesellschaftern erweitert: Die Gesellschafter trifft nicht nur jenseits ihrer Einlage keine Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft.15 Sie sind darüber hinaus der Gefahr enthoben, bei der Führung der Gesellschaft gegen konkrete Verhaltenspflichten zu verstoßen und sich dafür Schadensersatzansprüchen oder anderen Sanktionen auszusetzen. Die Haftungsbeschränkung wird auf diese Weise perfektioniert. Die Geschäftsleitung als eigenständiges Gesellschaftsorgan ermöglicht eine befreiende (privative) Pflichtenübertragung und erweitert damit die rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Organisation von Unternehmen.16 Mittelbar kann es damit den Gesellschaftern selbst

13 Näher unten B.II.1. 14 Sofern ein Geschäftsleiter nicht zugleich Gesellschafter ist, besteht zumindest eine Nähe zu der Regelungsstrategie, eine dritte Partei ohne unmittelbares Eigeninteresse als „Gatekeeper“ in die Pflicht zu nehmen, dazu grundlegend Kraakman, 2 J.L. Econ. & Org. 53 (1986). 15 Die Haftungsbeschränkung fördert die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgebern und aktiven Unternehmensleitern, stv. Easterbrook/Fischel, 52 U. Chi. L. Rev. 89, 94 f (1985) (für Publikumsgesellschaften); zu den entsprechenden Vorteilen der Haftungsbeschränkung für die Unternehmenssteuerung im Konzern Couwenberg, 4 Rev. L. & Econ. 621 (2008). 16 Hierzu auch § 5 E.I., S. 143 f.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

zugutekommen, dass „ihre“ Geschäftsleiter für die Interessen Dritter in die Pflicht genommen werden.

2. Regelungsrahmen außerhalb konkreter Verhaltenspflichten Wie die Geschäfte der Gesellschaft zu führen sind, kann indes nur zum Teil über konkrete Pflichten gesteuert werden:17 Man kann den Geschäftsleitern vorschreiben, dass und wie sie Bücher zu führen haben, unter welchen Umständen sie ein Insolvenzverfahren einleiten müssen, ob sie Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausschütten dürfen usw. Demgegenüber sind – abgesehen von seltenen Fällen – kaum sinnvolle Vorgaben darüber möglich, welchen von mehreren Anbietern die Gesellschaft beauftragen, welche Geschäftsfelder sie erschließen oder aufgeben und wie hohe Risiken sie eingehen sollte. Die bestmögliche unternehmerische Entscheidung unter gegebenen wirtschaftlichen Bedingungen ist zumeist nicht justitiabel und lässt sich deshalb rechtlich nicht einfordern. Die Geschäftsleiter verfügen unvermeidlich über einen erheblichen Spielraum für rechtlich nicht unmittelbar determiniertes Verhalten.18 Der rechtliche Rahmen behält dennoch Bedeutung. Er kann mittelbar beeinflussen, wie die Geschäftsleiter den ihnen eröffneten Spielraum nutzen. Das Gesellschaftsrecht kann die Geschäftsleiter lenken, indem es anderen Personen ein Weisungsrecht oder sonstige Kontrollrechte einräumt (etwa über eine Abberufung oder die Vergütung der Geschäftsleiter), die Vergütung regelt oder ein Handeln unter dem Einfluss von Interessenkonflikten untersagt. Für diese indirekte Verhaltenssteuerung ist ebenfalls zu beantworten, ob die Geschäftsleitung als eigenverantwortlicher Interessenwahrer zugunsten von Minderheitsgesellschaftern oder Dritten aufzufassen ist.19 Aus einer solchen Aufgabenbeschreibung könnte man beispielsweise folgern, dass die Geschäftsleitung gegen den Einfluss der Gesellschafter (bzw. der Mehrheit) abzuschirmen sei, um ihr ein neutrales Entscheiden zu ermöglichen. Wiederum käme es womöglich den Gesellschaftern selbst zugute, wenn die Geschäftsleitung zur eigenverantwortlichen Wahrung von Dritt- und Minderheitsinteressen ermächtigt würde: Die geschlossene Kapitalgesellschaft böte ihren Geschäftspartnern, Arbeitnehmern und Gläubigern eine institutionelle Gewähr dafür, dass sie nicht im Interesse kurzfristig höherer Gewinne die Belange dieser Unternehmensbeteiligten beeinträchtigt. Dies kann das Vertrauen in die Gesellschaft erhöhen und bestimmte Austauschbeziehungen erst ermöglichen. Entsprechendes gilt für die Bereitschaft, als Minderheitsgesellschafter in die Gesellschaft einzutreten oder in ihr zu verbleiben.20 Zudem können Konflikte zwischen Anteilseignern möglicherweise ent17 Hierzu bei Publikumsgesellschaften Roe, 31 J. Legal Stud. 233, 234 f, 242 f (2002). 18 Näher unten B.II.1. 19 Dafür grundlegend Blair/Stout, 85 Va. L. Rev. 247, 271 ff (1999) (Verwaltung der Gesellschaft als mediating hierarch aller Unternehmensbeteiligten). 20 Zu diesem Gedanken einer Selbstbindung der Gesellschafter Stout, 152 U. Pa. L. Rev. 667, 677 ff (2003); Blair/Stout, 85 Va. L. Rev. 247, 273 ff (1999); Dies., 7 Eur. Bus. Org. L. Rev. 473, 488 ff (2006).

A. Funktionen der Geschäftsleitung

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schärft werden, indem sich die Parteien auf unbeteiligte Dritte als Geschäftsleiter einigen und deren Entscheidungen als verbindlich anerkennen. Trotz dieser denkbaren Vorteile sprechen die besseren Gründe dagegen, die Geschäftsleitung jenseits konkreter Verhaltenspflichten als Interessenmittler zwischen Gesellschaftern und Dritten bzw. zwischen Mehrheit und Minderheit zu konzipieren. Da geschlossene Kapitalgesellschaften regelmäßig nur wenige Anteilseigner haben, ist die Mehrheit häufig fest gefügt oder besteht nur aus einem einzigen Gesellschafter. Zudem ist die Unternehmensgröße typischerweise geringer als bei Publikumsgesellschaften. Anders als dort können bei der geschlossenen Kapitalgesellschaft deshalb Mehrheitsgesellschafter leicht selbst als Geschäftsleiter tätig werden. Es würde deshalb wenig Erfolg versprechen, wenn der Gesetzgeber die Geschäftsleiter mit rechtlicher Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit gegenüber der Gesellschafterversammlung ausstatten wollte, um sie bei rechtlich nicht determinierten Geschäftsentscheidungen als Kontrollinstanz den Gesellschaftern bzw. der Mehrheit entgegenzusetzen.21 Ein solcher Versuch würde dazu führen, dass sich Mehrheitsgesellschafter seltener bereitfänden, die Geschäftsleitung sachkundigen Außenstehenden zu überlassen.22 Stattdessen würden sie trotz geringerer Qualifikation selbst als Geschäftsleiter tätig, um die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können. Zum Beispiel liegt es nahe, dass sich der herrschende Stamm einer Familiengesellschaft nicht auf einen außenstehenden Geschäftsleiter einließe, wenn dies seinen Einfluss spürbar schmälern würde. Die Entscheidung zwischen Selbst- und Fremdorganschaft würde verzerrt. Anders zu beurteilen ist es freilich, wenn die Gesellschafter selbst die Geschäftsleitung als neutralen Interessenmittler einsetzen.23 So könnten sich die Gesellschafter verpflichten, außenstehende Dritte oder Vertreter aller Gesellschaftergruppen als Geschäftsleiter zu bestellen. Sofern die Gesellschafter privatautonom eine solche Regelung treffen, deutet dies darauf hin, dass in der konkreten Gesellschaft die Vorteile einer Mittlerfunktion die möglichen Nachteile überwiegen. Dies kann beispielsweise in Familienunternehmen mit mehreren gleich starken Stämmen oder in Gemeinschaftsunternehmen ( joint ventures) der Fall sein. Ebenso sollten die Gesellschafter die Geschäftsleitung (oder einen Aufsichts- oder Beirat) privatautonom so ausgestalten können, dass ein Ausgleich zwischen Gesellschafter- und Drittinteressen gefördert wird, etwa über eine Vertretung der Arbeitnehmer oder wichtiger Geschäftspartner.

21 Ähnlich Kroeze/Wezeman, Reform of Dutch Private Company Law, in: McCahery/Timmerman/Vermeulen, Private Company Law Reform, 2010, S. 181, 188 f; anders aber wohl Schwarz, in: Zaman/Schwarz/Lennarts/de Kluiver/Dorresteijn, The European Private Company (SPE), 2009, S. 110 f. 22 Anders wäre es nur, wenn die Gesellschafter nicht mehr über die Besetzung der Geschäftsleitung bestimmen könnten. So weit geht indes nicht einmal die paritätische Mitbestimmung in Deutschland. 23 Hierzu als Mittel zur Pattauflösung § 3 D.II., S. 69 f.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

IV. Zwischenergebnis Nach alledem hat die Geschäftsleitung als gesondertes Organ der geschlossenen Kapitalgesellschaft drei Funktionen: Sie ermöglicht es erstens, die Führung der Geschäfte auf einzelne, besonders geeignete Gesellschafter oder befähigte Außenstehende zu übertragen. Dieser Delegationsfunktion entspricht es zweitens, die Geschäftsleitung als vorrangiges Handlungsorgan auszugestalten. Drittens ist die Geschäftsleitung anstelle der Gesellschafter der richtige Adressat für konkrete Verhaltenspflichten zum Schutze von Minderheitsgesellschaftern und Dritten. Darüber hinaus sollte der Gesetzgeber hingegen nicht versuchen, die Geschäftsleitung institutionell als neutralen Interessenmittler zwischen Mehrheit und Minderheit bzw. den Gesellschaftern und Dritten einzusetzen. Den Gesellschaftern selbst sollte eine solche Gestaltung in der Satzung hingegen offenstehen.

B. Einzelne Regelungsfragen Nachdem die Funktionen der Geschäftsleitung geklärt sind, rücken einzelne Regelungskomplexe und -fragen in den Blickpunkt. Dabei geht es zunächst um die Stellung der Geschäftsleitung in der Organisationsverfassung (Abschnitt I.). Sodann ist zu beleuchten, wie das Verhalten der Geschäftsleiter kontrolliert werden kann, um sie zur Wahrung der ihnen anvertrauten Interessen anzuhalten (Abschnitt II.). Die Sanktionen für Pflichtverletzungen werden gesondert behandelt (Abschnitt III.).

I. Stellung in der Organisationsverfassung 1. Geschäftsleitung als zwingendes Handlungsorgan Wie oben festgestellt könnte die geschlossene Kapitalgesellschaft durchaus mit der Gesellschafterversammlung als einzigem (Handlungs-)Organ auskommen.24 Indes würde nur wenig gewonnen, wenn man die Geschäftsleitung zur Disposition der Gesellschafter stellte.25 Die Gesellschafter können sich jederzeit selbst zu Geschäftsleitern bestellen; dies kann sogar als dispositive Regel vorgesehen werden.26 Zudem müsste man auch ohne gesonderte Geschäftsleitung zwischen dem laufenden Geschäftsbetrieb und Grundlagenentscheidungen differenzieren, zum Beispiel in Hin-

24 Zum Beispiel kann eine close corporation nach dem Recht von Delaware anstelle eines Verwaltungsrats unmittelbar von ihren Gesellschaftern geleitet werden, § 351 Del. Gen. Corp. L. 25 Ebenso zur niederländischen Reformdiskussion De Kluiver, 3 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 45, 56 f (2006). 26 So die Rechtslage in der Schweiz, Art. 809 Abs. 1 S. 1 OR.

B. Einzelne Regelungsfragen

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blick auf Mehrheitserfordernisse.27 Demgegenüber fördert es die Rechtsklarheit, wenn jede geschlossene Kapitalgesellschaft mit einer Geschäftsleitung ausgestattet sein muss und diese zwingend als Handlungsorgan fungiert. Auf diese Weise steht ein festes Zuordnungssubjekt für Verhaltenspflichten und für die (aktive und passive) Vertretungsmacht zur Verfügung. Insbesondere die Vertretungsverhältnisse sind so für den Rechtsverkehr klar erkennbar, und die Gesellschaft bleibt jederzeit handlungsfähig und ansprechbar.28

2. Kompetenzverteilung zwischen Geschäftsleitung und Gesellschaftern Für die innere Verfassung der geschlossenen Kapitalgesellschaft ist von grundlegender Bedeutung, wie die Kompetenzen zwischen Geschäftsleitung und Gesellschaftern verteilt werden. Hierfür muss das Gesetz eine Regelung bereithalten (Abschnitt a)). Von der gesetzlichen Ausgangsverteilung können die Gesellschafter in der Satzung abweichen. Insofern stellt sich die Frage, welche Grenzen das Gesetz der privatautonomen Kompetenzverteilung zieht. Dem ist gesondert für unentziehbare Entscheidungsbefugnisse der Geschäftsleitung (Abschnitt b)) und der Gesellschafterversammlung (Abschnitt c)) nachzugehen.

a) Dispositive Kompetenzverteilung Der Gesetzgeber kann den Gesellschaftsorganen Entscheidungsbefugnisse über eine Generalklausel oder über klar umrissene Einzelgegenstände zuordnen.29 Der zweite Ansatz erhöht die Rechtssicherheit. Dabei entspricht es der Funktion der Geschäftsleitung als Handlungsorgan, die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung abschließend aufzuzählen und die verbleibenden Entscheidungen der Geschäftsleitung zuzuweisen.30

27 So unterscheidet das deutsche Recht der OHG zwischen Grundlagengeschäften und gewöhnlichen bzw. außergewöhnlichen (§ 116 Abs. 2 HGB) Geschäftsführungsmaßnahmen. Vgl. die entsprechende Differenzierung bei US-amerikanischen member-managed limited liability companies, § 407(b)(3)–(5) ULLCA 2006. 28 Im europäischen Gesellschaftsrecht ist dieser Grundsatz in Art. 9 der Publizitätsrichtlinie 68/151/EWG verankert. Demgegenüber kann nach dem US-amerikanischen Modellgesetz eine limited liability company den Rechtsverkehr über die (beliebig gestaltbaren) Vertretungsverhältnisse unterrichten, muss dies aber nicht, § 302 ULLCA 2006. Zustellungen können stets an das registered office der Gesellschaft gerichtet werden, §§ 113 ff ULLCA 2006. 29 Ein Beispiel für eine Generalklausel bietet § 116 Abs. 1 HGB. 30 Eine solche (eingeschränkte) Allzuständigkeit der Geschäftsleitung sieht Art. 26 Abs. 1c des Entwurfs einer SPE-Verordnung (SPE-VO-E) vor. Der SPE-VO-E wird hier und im Folgenden in der Fassung der ungarischen Ratspräsidentschaft vom 23.5.2011 zitiert, abrufbar unter http://www.europeanprivatecompany.eu/legal_texts/download/ Hungarian-presidency-Mai2011.pdf.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Kompetenzen in Bezug auf einen bestimmten Gegenstand brauchen nicht einheitlich einem Organ zugewiesen zu werden; der Gesetzgeber kann sie aufspalten, insbesondere über konkurrierende Zuständigkeiten, Weisungsrechte oder Zustimmungsvorbehalte. Gegen eine konkurrierende Zuständigkeit spricht grundsätzlich das Interesse an Rechtsklarheit sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch im Rechtsverkehr. In Betracht kommt aber ein gesetzliches Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsleitung.31 Wie oben begründet wurde,32 sollten die Gesellschafter im Regelfall die Geschäftsleiter im eigenen Interesse lenken dürfen, soweit nicht konkrete Verhaltenspflichten entgegenstehen. Dem entspricht als dispositive Regelung ein Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung.

b) Zwingende Kompetenzen der Geschäftsleitung Rechtsvergleichend besteht breite Übereinstimmung, dass die Anteilseigner die Kompetenzverteilung zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsleitung auf ihre Bedürfnisse zuschneiden dürfen.33 Die Grenzen der privatautonomen Gestaltung sind zunächst für die Kompetenzen der Geschäftsleitung auszuloten. Wenn das Gesetz neben der Gesellschafterversammlung zwingend ein weiteres Organ vorsieht, liegt es nahe, diesem einen Mindestbestand an Befugnissen zu sichern. Der Funktion der Geschäftsleitung als Handlungsorgan entspricht es, ihr die gesetzliche Vertretung der Gesellschaft nach außen zwingend zuzuordnen.34 Was das Innenverhältnis betrifft, lassen sich Einschränkungen der Privatautonomie nur mit den Belangen einer Gesellschafterminderheit oder von Dritten rechtfertigen. Die konzeptionellen Grundlagen hierfür wurden bereits entworfen: Der Gesetzgeber sollte nicht versuchen, eigenverantwortliche Handlungsspielräume der Geschäftsleitung zu erzwingen, um die Interessen von Minderheitsgesellschaftern oder Dritten zu wahren. Der Schutz dieser Unternehmensbeteiligten sollte vielmehr auf konkrete Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter beschränkt bleiben, soweit sich solche Anforderungen justitiabel aufstellen lassen. Aus diesem Ansatz folgt, dass der Geschäftsleitung nur die Kompetenzen zur Erfüllung konkreter Verhaltenspflichten zwingend vorzubehalten sind; für die Einhaltung ihrer Pflichten müssen die Geschäftsleiter allein zuständig sein. Im Übrigen darf der Satzungsgeber die Kompetenzen der Geschäftsleitung im

31 Ein Weisungsrecht sieht in Deutschland § 37 Abs. 1 GmbHG, in Spanien Art. 161 Ley de Sociedades de Capital und in Großbritannien (mit Dreiviertelmehrheit) § 70 Table A der Companies (Tables A to F) Regulations 1985 vor. In der italienischen s.r.l. können Gesellschafter mit einem Drittel des Gesellschaftskapitals eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung erzwingen, Art. 2479 Abs. 1 Codice Civile. Zum niederländischen und schweizerischen Recht aber Fn. 35. 32 A.III.2. 33 Vgl. § 37 Abs. 1 GmbHG; Art. L. 223-18 Abs. 4 C.com.; Art. 2475 Abs. 5, Art. 2479 Abs. 1 Codice Civile; Art. 804 Abs. 2 Nr. 18, Art. 810 Abs. 1 OR. 34 Vgl. oben Fn. 28.

B. Einzelne Regelungsfragen

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Innenverhältnis frei regeln.35 Da das Außenhandeln der Geschäftsleitung obliegt, muss dies über Zustimmungsvorbehalte oder Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung geschehen.

c) Zwingende Kompetenzen der Gesellschafterversammlung Nach zwingenden Kompetenzen kann man auch in umgekehrter Richtung fragen: Welche Entscheidungen müssen der Gesellschafterversammlung vorbehalten bleiben, können also nicht auf die Geschäftsleitung übertragen werden? Da die Gesellschafter die Satzung der geschlossenen Kapitalgesellschaft bestimmen, handelt es sich im Kern um die Frage, ob und inwieweit die Gesellschafter sich selbst entmachten dürfen. Aus Sicht der Anteilseigner kann für eine Übertragung von Kompetenzen sprechen, sich selbst von Entscheidungen zu entlasten und damit die Transaktionskosten der Gesellschaft zu senken. Dafür genügt in der Regel eine rückholbare Entscheidungsbefugnis. Die Gesellschafterversammlung wird sich also typischerweise ein Weisungsrecht vorbehalten. Indes kann es unter Umständen im Interesse der Gesellschafter liegen, auf ein Weisungsrecht zu verzichten und den Geschäftsleitern eigenverantwortliche Entscheidungen zu ermöglichen. Auf diese Weise kann die Geschäftsleitung auch im Bereich rechtlich nicht determinierter Entscheidungen als Interessenmittler wirken. Ein Machtverzicht kann sich für die Gesellschafter (bzw. die Mehrheit) lohnen, wenn andere Unternehmensbeteiligte (bzw. Minderheitsgesellschafter) aufgrund einer solchen Selbstbindung eher darauf vertrauen, dass die Gesellschaft ihre Interessen auch jenseits konkreter Verhaltenspflichten hinreichend beachtet.36 Für die Gesellschafter kann es also gute Gründe geben, den Geschäftsleitern weisungsfreie Spielräume eigenverantwortlichen Entscheidens zu eröffnen. Auf den ersten Blick spricht wenig gegen eine solche Selbstentmachtung der Gesellschafter. Dennoch behalten viele Gesellschaftsrechte eine Reihe von Entscheidungen zwingend der Gesellschafterversammlung vor, darunter neben Satzungsänderungen und Kapitalmaßnahmen auch die Genehmigung des Jahresabschlusses und die Beschlussfassung über Ausschüttungen und Anteilsrückkäufe.37 Begründen lässt sich dies mit dem Minderheitsschutz: Die Mehrheit soll daran gehindert werden, sämtliche Entschei-

35 Sehr viel strenger hingegen das schweizerische GmbH-Recht, das den Geschäftsführern in jedem Fall die Oberleitung der Gesellschaft und die Festlegung der Organisation sichert, Art. 810 Abs. 2 Nr. 1, 2 OR. Ähnlich erlaubt Art. 2: 239 Abs. 4 Burgerlijk Wetboek bisher nur allgemeine Weisungen aufgrund einer Satzungsermächtigung, dazu Van Schilfgaarde/Winter, Van de BV en de NV, 15. Aufl., 2009, § 43, S. 155 f; zur geplanten Reform De Kluiver, 3 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 45, 57 f (2006). 36 Hierzu bereits oben A.III.2. 37 So Art. 28 Abs. 1 SPE-VO-E, aaO (Fn. 30). Ähnlich weitgehend Art. 160 Ley de Sociedades de Capital und Art. 2479 Abs. 2 Codice Civile. Die entsprechende Regelung in § 46 GmbHG ist in Grenzen dispositiv, vgl. Zöllner, in: Baumbach/Hueck, Komm. z. GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 46 Rdn. 93 f.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

dungen in die Geschäftsleitung zu verlagern und sie damit ganz dem Einfluss der Minderheit zu entziehen. Selbst wenn die Minderheit in der Gesellschafterversammlung überstimmt wird, muss sie doch geladen und über den Beschlussgegenstand unterrichtet werden. Dies kann ihr Gelegenheit geben, Rechtsschutz gegen die geplante Maßnahme zu erwirken. Zudem kann das Gesetz erhöhte Mehrheitserfordernisse für bestimmte strukturändernde Beschlüsse aufstellen.38 Die Gesellschafterversammlung wird so als rechtstechnisches Vehikel des zwingenden Minderheitenschutzes eingesetzt. Welche Kompetenzen danach im Einzelnen der Gesellschafterversammlung vorbehalten bleiben sollten, betrifft das Verhältnis der Gesellschafter untereinander.39 Dabei muss der Minderheitenschutz gegen die höheren Transaktionskosten zwingender Gesellschafterbeschlüsse abgewogen werden.

II. Kontrolle der Geschäftsleiter Die Geschäftsleiter nehmen fremde Interessen wahr. Da geschlossene Kapitalgesellschaften typischerweise sehr wenige Anteilseigner haben und diese häufig selbst als Geschäftsleiter tätig sind, wirft die Ausrichtung auf die Gesellschafterinteressen rechtstatsächlich weniger Probleme als in der Publikumsgesellschaft auf. Dennoch sollte die Rechtsordnung Regelungen bereithalten, damit ein passiver Gesellschafterkreis professionelle Unternehmensführer mit der Geschäftsleitung betrauen kann.40 Der Rechtsrahmen für die Kontrolle der Geschäftsleitung besteht neben konkreten Verhaltenspflichten in indirekten Anreizen, die Geschäfte der Gesellschaft im Interesse der Anteilseigner zu führen. Die Kontrolle der Geschäftsleiter zielt ferner darauf, die Interessen unterschiedlicher Unternehmensbeteiligter – Gesellschafter und Dritte, Mehrheit und Minderheit – zu berücksichtigen und auszugleichen. Dem oben begründeten Grundsatz folgend geschieht dies (nur) über konkrete Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter.41 Dementsprechend sind zunächst die konkreten Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter zu beleuchten. Zu ihnen gehören neben der allgemeinen Sorgfaltspflicht (duty of care) der Geschäftsleiter besondere gesetzliche Pflichten des Gesellschaftsrechts, aber auch etwa des allgemeinen Delikts-, Straf- und Aufsichtsrechts (Abschnitt 1.). Jenseits dieser festen Handlungsgrenzen bleibt ein Bereich rechtlich nicht unmittelbar determinierten Handelns. Dort kann das Verhalten der Geschäftsleiter nur indirekt kontrolliert werden. Einflussmöglichkeiten bieten insoweit das Recht zur Bestellung und Abberufung (Abschnitt 2.), Informationsrechte der Gesellschafter (Abschnitt 3.), positive Verhaltensanreize über Vergütung und andere Zuwendungen (Abschnitt 4.) und Regeln zur Vermeidung von Interessenkonflikten, also insbesondere die Treuepflicht (duty of loyalty) der Geschäftsleiter (Abschnitt 5.). 38 39 40 41

So Art. 28 Abs. 2 SPE-VO-E, aaO (Fn. 30). Dazu § 3. Zu den Regelungsproblemen allgemein Fleckner, aaO (Fn. 8), S. 79 ff. Oben A.III.

B. Einzelne Regelungsfragen

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1. Konkrete Verhaltenspflichten Als Betreuer fremder Vermögensinteressen sind die Geschäftsleiter naturgemäß pflichtgebunden. Viele dieser Pflichten bestehen gegenüber der Gesellschaft. Für den Pflichteninhalt ist indes von Bedeutung, welche Unternehmensbeteiligten materiell geschützt werden sollen. Die folgende Analyse geht deshalb gesondert auf den Schutz der Gesellschafter als Gesamtheit (Abschnitt a)), der Minderheit gegenüber der Mehrheit (Abschnitt b)) und von Dritten (Abschnitt c)) ein. Alle drei Schutzrichtungen durchzieht die Leitfrage, inwieweit unternehmerische Entscheidungen rechtlich in vollem Umfang überprüft werden sollen oder, anders gewendet, wie weit den Geschäftsleitern ein Ermessensspielraum einzuräumen ist.

a) Schutz der Gesellschaftergesamtheit Wohl alle Rechtsordnungen erlegen den Geschäftsleitern eine allgemeine Sorgfaltspflicht gegenüber der geschlossenen Kapitalgesellschaft auf.42 Die der Gesellschaft geschuldete Sorgfalt kommt vor allem den Anteilseignern zugute, weil diese von Gewinnen und Verlusten vorrangig betroffen sind. Aus der generalklauselartig gefassten Sorgfaltspflicht könnte der Rechtsanwender – theoretisch – genaue Vorgaben für jede denkbare Entscheidungslage ableiten; das Handeln der Geschäftsleiter wäre in diesem Fall rechtlich bis ins Einzelne vorbestimmt. Indes wäre für die betroffenen Geschäftsleiter häufig nicht eindeutig erkennbar, welches Verhalten die Sorgfaltspflicht von ihnen fordert. Unternehmerisches Handeln besteht wesentlich darin, unter Unsicherheit zu entscheiden und dabei gegebenenfalls von hergebrachten Verhaltensweisen abzuweichen, um für die Gesellschaft den größtmöglichen Vorteil – insbesondere im Wettbewerb mit anderen Unternehmen43 – zu erreichen. Ob beispielsweise der Aufbau eines neuen Geschäftsbereichs für die Gesellschaft lohnend ist, lässt sich im Entscheidungszeitpunkt nicht sicher beurteilen. Zwar setzt eine Haftung des Geschäftsleiters einen Sorgfaltsverstoß voraus. Eine uneingeschränkte Überprüfung würde aber die große Gefahr heraufbeschwören, dass Gerichte ex post zu Unrecht eine Pflichtverletzung feststellen und den Geschäftsleiter zu Schadensersatz verurteilen. Zudem könnten Geschäftsleiter ex ante kaum voraussehen, ob sich ihr Verhalten später möglicherweise als pflichtwidrig darstellt. In der Konsequenz gingen Geschäftsleiter auch bei sorgfältigem Verhalten – oder trotz besten Bemühens darum – ein erhebliches Risiko ein, für eingetretene Verluste auf Schadensersatz zu haften. Ein solches unvermeidbares Haftungsrisiko widerspräche ihrer

42 Vgl. Sec. 174 Companies Act 2006; Art. L. 223-22 Abs. 1 C.com.; Art. 2476 Abs. 1 Codice Civile; Art. 225 Ley de Sociedades de Capital; § 43 Abs. 1, 2 GmbHG; Art. 2:9 Burgerlijk Wetboek. 43 Zum Zusammenhang zwischen unternehmerischem Ermessen und Wettbewerb schon Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, S. 168 ff: Eine Haftung komme „nur in extremen Randlagen“ (S. 172) bei „evident falsch[en]“ Entscheidungen (S. 174) in Betracht.

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Stellung als Verwalter fremder Vermögensinteressen: Die unternehmerischen Chancen und Risiken aus dem Geschäftsbetrieb sind von der Gesellschaft (und damit vorrangig den Gesellschaftern) zu tragen. Wenn sich die Geschäftsleiter trotz größtmöglicher Sorgfaltsanstrengung nicht sicher vor einer Schadensersatzhaftung schützen könnten, trügen sie im Ergebnis einen Teil des unternehmerischen Risikos. Um dies zu vermeiden, würden Geschäftsleiter auch vor lohnenden Wagnissen und Innovationen zurückschrecken. Ferner würden sie auf Kosten der Gesellschaft Maßnahmen ergreifen, um ihr persönliches Haftungsrisiko zu verringern, selbst wenn damit in der Sache nichts gewonnen wäre (etwa: Absicherungsgutachten externer Berater). Zudem würden sich gerade besonders befähigte oder wohlhabende Personen nicht oder nur gegen eine höhere Vergütung als Geschäftsleiter zur Verfügung stellen. Diesen Nachteilen einer engmaschigen Sorgfaltspflicht stünden für die Gesellschafter kaum Vorteile gegenüber: Soweit sie das Recht haben, die Geschäftsleiter zu bestellen und abzuberufen, können sie unternehmerische Fehlentscheidungen oder Misserfolge selbst sanktionieren und dabei auch subjektive Einschätzungen und wenig greifbare Umstände berücksichtigen, die in einem Rechtsstreit nicht beweisbar wären. Mit diesem Druckmittel sowie dem Weisungsrecht im Hintergrund können sie die Geschäftsentwicklung und einzelne Entscheidungen der Geschäftsleiter überwachen. Über eine erfolgsbezogene Vergütung lassen sich zusätzliche Anreize setzen. Die Gesellschafter verfügen somit bereits über wirksame Instrumente, um die Geschäftsleiter zu disziplinieren. Es liegt daher nicht in ihrem Interesse, die Geschäftsleiter über eine Sorgfaltspflicht nachträglich für einzelne (vermeintliche) Fehlentscheidungen gerichtlich zur Verantwortung zu ziehen.44 Die Kontrolle am Maßstab der Sorgfaltspflicht sollte daher beschränkt bleiben. Zu erreichen ist dies über die Anerkennung eines breiten unternehmerischen Ermessens (business judgment) der Geschäftsleiter.45 Neben der allgemeinen Sorgfaltspflicht wären spezielle gesetzliche Geschäftsleiterpflichten denkbar. Solche Einzeltatbestände gerade im Interesse der Gesellschaftergesamtheit sind indes selten, weil sich kaum sinnvolle Anforderungen in hinreichend bestimmter Weise formulieren lassen. Immerhin kann man die Buchführungspflichten – neben Drittinteressen – zumindest auch mit dem Bestreben erklären, die Geschäftsleiter zu einer geordneten (und deshalb erfolgreicheren) Unternehmensführung anzuhalten. 44 Vgl. Myers, 5 J. Fin. Econ. 147, 157 (1977): „No sane lawyer attempts to write a contract requiring management to ‚abstain from suboptimal decisions‘.“ 45 Zur Begründung eines unternehmerischen Ermessensspielraums im Gesellschaftsrecht stv. Fleischer, FS Wiedemann (2002), S. 827, 829 ff; Enriques/Hansmann/Kraakman, in: Kraakman et al., The Anatomy of Corporate Law, 2. Aufl., 2009, S. 79 f. Zur Rezeption im französischen Recht Redenius-Hoevermann, La responsabilité des dirigeants dans les sociétés anonymes en droit français et droit allemand, 2010, Tz. 112 ff. Entsprechend setzt die Schadensersatzhaftung nach Art. 2:9 Burgerlijk Wetboek einen „schweren Vorwurf“ (ernstig verwijt) gegen den Geschäftsleiter voraus, Van Schilfgaarde/Winter, aaO (Fn. 35), § 47, S. 168. Zum unternehmerischen Ermessen speziell in der geschlossenen Kapitalgesellschaft noch § 3 B.IV.2., S. 54 f; sowie Kuntz, GmbHR 2008, 121, 122 ff; Fleischer, NZG 2011, 521, 522 ff.

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b) Schutz von Minderheitsgesellschaftern Größere Bedeutung könnte konkreten Verhaltenspflichten für den Schutz der Minderheit gegen die Mehrheit zukommen (und von Dritten gegenüber den Gesellschaftern, dazu sogleich unter II.1.c)). Der Grund liegt darin, dass solche Pflichten das einzige realistische Mittel sind, um die Interessen einzelner Gesellschafter in der Unternehmensführung zur Geltung zu bringen: 46 Da in der Gesellschafterversammlung die Mehrheit das Sagen hat, kann sie die Geschäftsleiter eng an ihre eigenen Interessen binden, indem sie den Geschäftsleitern Weisungen erteilt oder ihnen mit Abberufung droht. Nötigenfalls kann sie sich selbst oder andere ihr genehme Personen zu Geschäftsleitern bestellen. Der Minderheit fehlen gleichwertige Rechte, um diesem Einfluss zu begegnen. Zum Ausgleich werden der Geschäftsleitung gesetzlich besonders geregelte Pflichten auferlegt. Dabei geht es vor allem darum, ordnungsgemäße Abläufe, verlässliche Dokumentation und Transparenz sicherzustellen. Zu denken ist an Pflichten zur Führung der Gesellschafterliste, zur Buchführung und Rechnungslegung, zur Erfüllung von Einsichtsrechten einzelner Gesellschafter und zur ordnungsgemäßen Einberufung von Gesellschafterversammlungen. Die Geschäftsleitung erhält so die Verantwortung für eine von einzelnen Gesellschaftergruppen unbeeinflusste, unparteiliche Verfahrensführung. Darüber hinaus steht die Geschäftsleitung als Handlungsorgan häufig im Spannungsfeld zwischen Mehrheit und Minderheit. Möchte beispielsweise der beherrschende Gesellschafter ein bestimmtes Geschäft mit der Gesellschaft abschließen, muss dies über die Geschäftsleitung als Vertretungsorgan geschehen. Zu denken ist ferner an die Ergebnisverwendung oder die Zuteilung neuer Anteile, sofern die Geschäftsleitung hierüber entscheidet.47 Um dem Einfluss der Mehrheit in solchen Fällen entgegenzuwirken, bietet es sich an, den Geschäftsleitern konkrete Verhaltenspflichten zugunsten der Minderheit aufzuerlegen. Solche Vorgaben können gesetzlich besonders geregelt werden; ein Beispiel wäre ein gesetzliches Bezugsrecht auf neue Anteile. Neben speziellen Tatbeständen sollten die Geschäftsleiter zudem über Generalklauseln zum Schutz der Minderheit verpflichtet werden. Dafür bietet die allgemeine Sorgfaltspflicht gegenüber der Gesellschaft immer dann einen geeigneten Anknüpfungspunkt, wenn die Mehrheit auf das Gesellschaftsvermögen zugreifen möchte. Darüber hinaus kann man die Gesellschaft und ihre Organe – und damit auch die Geschäftsleiter – an ein allgemeines Gebot zur Gleichbehandlung der Gesellschafter binden.48 Welche Bedeutung die allgemeine Sorgfaltspflicht oder das Gleichbehandlungsgebot für den Minderheitenschutz gewinnen, hängt allerdings entscheidend davon ab,

46 Vgl. auch § 3 B.IV.2., S. 54 f. 47 Überblick der wichtigsten Ausbeutungsstrategien in § 3 B.II., S. 32 ff. 48 Eine ausdrücklich an die Geschäftsleiter gerichtete Gleichbehandlungspflicht enthält Art. 813 OR. Zum Gleichbehandlungsgebot allgemein § 3 B.IV.3., S. 55 f.

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ob den Geschäftsleitern ein unternehmerisches Ermessen zukommt.49 Für einen ungeschmälerten Ermessensspielraum sprechen die oben beschriebenen Nachteile eines nicht vollständig beherrschbaren Haftungsrisikos der Geschäftsleiter. Dem steht allerdings beim Minderheitenschutz entgegen, dass der Einfluss der Mehrheit eine ausgewogene Entscheidung häufig verhindert, wenn er nicht durch eine Sanktionsdrohung gegen die Geschäftsleiter neutralisiert wird. Den Ausschlag muss geben, welche Funktion der Geschäftsleitung im Konflikt zwischen Mehrheit und Minderheit zukommt. Wie oben festgestellt kann die Inpflichtnahme der Geschäftsleitung den Zweck haben, die Gesellschafter von Sanktionsrisiken zu entlasten.50 Nähme man in diesem Sinne zugunsten der Mehrheitsgesellschafter eine befreiende Pflichtenübertragung an, so wären die Geschäftsleiter die einzige Sicherung der Minderheit gegen Übergriffe der Mehrheit. Für die verfahrens- und transparenzbezogenen Geschäftsleiterpflichten ist dies zu bejahen, also etwa die Pflicht zur Führung von Büchern und der Gesellschafterliste. Soweit es hingegen um unternehmerische Entscheidungen der Gesellschaft geht, sollten Mehrheitsgesellschafter ihren eigenen Treuepflichten auch dann unterworfen bleiben, wenn die Geschäftsleitung an der Maßnahme mitwirkt. Zum einen wird der Mehrheitsgesellschafter in den einschlägigen Fällen – insbesondere bei Geschäften mit der Gesellschaft – meist selbst tätig, bleibt also nicht passiv und bedarf deshalb weniger Schutz vor drohenden Sanktionen. Zum anderen geht eine Schadensersatzhaftung des Mehrheitsgesellschafters in der Regel nicht wesentlich darüber hinaus, einen zulasten der Gesellschaft (und der Minderheitsgesellschafter) erhaltenen Vorteil zurückzugewähren. Ein solches Haftungsrisiko erscheint tragbar und rechtfertigt es nicht, die Minderheit allein auf die Geschäftsleiter zu verweisen. Die Auseinandersetzung über (vermeintlich) mehrheitsbegünstigende Maßnahmen ist deshalb vorrangig zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern zu führen. Im Gegenzug kann den Geschäftsleitern als solchen – nicht aber Mehrheitsgesellschaftern, auch wenn sie zugleich Geschäftsleiter sind – ihr Ermessensspielraum ungeschmälert verbleiben.51 Im Ergebnis bedeutet dies, dass die allgemeine Sorgfaltspflicht zwar dem Minderheitenschutz dient, ihr praktisches Gewicht jedoch gering ist, weil sich die Geschäftsleiter in der Regel auf ihr unternehmerisches Ermessen berufen können. Dasselbe sollte für ein Gleichbehandlungsgebot gelten.

c) Schutz von Dritten Die Verhaltenspflichten der Geschäftsleitung entlasten die Gesellschafter vor allem im Verhältnis zu Dritten: Die Geschäftsleitung als verselbständigtes Organ ermöglicht es ihnen, eine drohende Haftung für Pflichtverletzungen auszuschließen. Anstelle der

49 Hierzu auch § 3 B.IV.2., S. 54 f. 50 Oben A.III.1. 51 Vgl. § 3 B.IV.2., S. 54 f. Ähnlich Kuntz, GmbHR 2008, 121, 124 ff (volles unternehmerisches Ermessen des Fremdgeschäftsführers, aber Einschränkung bei GesellschafterGeschäftsführern); Fleischer, NZG 2011, 521, 526 f (ebenso).

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Gesellschafter als wirtschaftlichen Eigentümern sind grundsätzlich die Geschäftsleiter für den Schutz Dritter verantwortlich. Freizustellen sind die Gesellschafter allerdings nur, soweit sie die Arbeitsteilung respektieren. Die Konzentration der Verhaltenspflichten bei den Geschäftsleitern endet, wenn die Gesellschafter ihren Einfluss nutzen, um die Geschäftsleitung zu Pflichtverletzungen zu bewegen (näher unten III.2.). Es empfiehlt sich, die Verhaltenspflichten der Geschäftsleiter im Drittinteresse zu unterteilen: Insbesondere Gläubigern muss daran gelegen sein, dass die Geschäftsleiter das Gesellschaftsvermögen und deren Solvenz sichern (Abschnitt (a)). Neben den derzeitigen Gläubigern kann die Tätigkeit der Gesellschaft verschiedene individuelle Interessen von Vertragspartnern und außenstehenden Dritten berühren. Ihnen gegenüber geht es darum, die Pflichten der Gesellschaft einzuhalten und Individualschäden zu verhindern (Abschnitt (b)).

aa) Vermögen und Solvenz der Gesellschaft Ein wichtiges Interesse von Gläubigern (sowie Arbeitnehmern und anderen Vertragspartnern) liegt darin, eine Insolvenz der geschlossenen Kapitalgesellschaft zu vermeiden und im Insolvenzfall drohende Einbußen zu begrenzen. Für die geschlossene Kapitalgesellschaft von zentraler Bedeutung sind dabei Vorkehrungen zum Ausgleich der Haftungsbeschränkung. Dazu zählen die Begrenzung von Vermögensverlagerungen über Ausschüttungssperren und die Pflicht zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens im deutschen Recht (§ 15a InsO). Der Inhalt solcher Pflichten ist in § 5 zu behandeln.52 Adressaten sind vorwiegend oder sogar ausschließlich die Geschäftsleiter, auch wenn die Haftungsbeschränkung den Gesellschaftern zugutekommt. Besonders deutlich zeigt sich diese Regelungsstrategie zum Beispiel, wenn die Geschäftsleiter für die Einhaltung von Ausschüttungssperren verantwortlich gemacht werden, während sich die Haftung der Gesellschafter auf eine bloße Rückzahlung – und auch dies zum Teil nur bei Kennen oder Kennenmüssen – beschränkt.53 Für die Stellung der Geschäftsleitung liegt die wichtigste Regelungsfrage darin, ob neben den gesetzlich geregelten Einzeltatbeständen eine allgemeine Sorgfaltspflicht im Drittinteresse besteht.54 Rechtstechnisch kann dies erreicht werden, indem der Schutzzweck der allgemeinen Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter auch das Drittinte-

52 Siehe insbesondere § 5 D.III., S. 140 ff (Insolvenzantragspflicht), § 5 F., S. 146 ff (Vermögensverlagerung), § 5 G., S. 151 ff (Informationspflichten). 53 Nach Art. 22 SPE-VO-E, aaO (Fn. 30) ist sinngemäß Kenntnis oder Kennenmüssen vorausgesetzt; ähnlich Sec. 847(2) Companies Act 2006 und die (praktisch bedeutsamere) Haftung für knowing receipt, dazu Bachner, Creditor Protection in Private Companies, 2009, S. 117 ff, 174 ff; strenger Art. L. 223-40 C.com. (keine Einschränkung bei fehlender Kenntnis bzw. fehlendem Kennenmüssen); differenzierend § 31 Abs. 1, Abs. 2 GmbHG, daneben tritt noch die Ausfallhaftung nach § 31 Abs. 3 GmbHG (vorrangig aber wiederum die Haftung der Geschäftsführer, § 31 Abs. 6 GmbHG). 54 Dazu auch § 5 C.III.3.b), S. 131 ff.

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resse an Vermögen und Solvenz der Gesellschaft umfasst.55 Daneben kennen beispielsweise das französische und das englische Recht gesonderte gesetzliche Generalklauseln zugunsten von Gläubigern.56 Indes gehen die Meinungen darüber auseinander, ob eine gläubigerschützende Ausrichtung der Sorgfaltspflicht von Geschäftsleitern überhaupt zu befürworten ist.57 Bedeutung hat das vor allem für den Pflichteninhalt in einer Krise der Gesellschaft.58 Bekanntlich kann es in einer solchen Lage dem Interesse der Gesellschafter entsprechen, eine riskantere Geschäftspolitik sogar dann zu verfolgen, wenn dies den Unternehmenswert insgesamt schmälert.59 Dieser Risikoanreiz besteht bereits vor Aufzehrung des Eigenkapitals; er verschärft sich nochmals erheblich, wenn die Gesellschaft materiell insolvent geworden ist. Ein am Effizienzziel orientiertes Gesellschaftsrecht muss dem Risikoanreiz entgegenwirken, um Einbußen am Unternehmenswert zu vermeiden.60 Die Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter bietet hierfür ein Mittel. Im Ausgangspunkt muss die Sorgfaltspflicht deshalb (auch) drittbezogen gedacht werden, nämlich gerichtet auf die Steigerung des Gesamtunternehmenswertes.61 Wenn die Einbeziehung der Gläubigerinteressen dennoch umstritten bleibt, dürfte dies im Kern einmal mehr am Problem des unternehmerischen Ermessens liegen. Die Rücknahme der Sorgfaltshaftung war verhältnismäßig einfach zu begründen, solange es nur um die Gesellschafter ging, weil diese die Geschäftsleiter auf andere Weise – etwa durch die Drohung mit Abberufung – disziplinieren können. Den Gläubigern fehlen derartige Machtmittel, zudem müssen sie sich gegen den Risikoanreiz der einflussreicheren Gesellschafter durchsetzen. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, als Gegengewicht die Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter zu verschärfen und dazu das unternehmerische Ermessen einzuschränken. Berücksichtigt man also das Gläubigerinteresse bei der Ausfüllung der Sorgfaltspflicht, so verleitet dies dazu, die Entschei-

55 So das englische Recht, grundlegend Liquidator of West Mercia Safetywear Ltd. v Dodd & Anor, [1988] 4 B.C.C. 30, 33; dazu Bachner, aaO (Fn. 53), S. 231 ff; rechtsvergleichender Überblick unter anderem zum deutschen, US-amerikanischen und englischen Recht bei Klöhn, ZGR 2008, 110, 118 ff. 56 Vgl. die französische Haftung für insuffisance d’actif in den Art. L. 651-1 ff C.com. und die englische für wrongful trading in § 214 Insolvency Act 1986. 57 Gegen eine solche Schutzrichtung vor Eintritt der (materiellen) Insolvenz die Rechtsprechung in Delaware: North American Catholic Educational Programming Foundation v. Gheewalla, 930 A.2d 92, 101 (Del. 2007); Production Resources Group v. NCT Group, 863 A.2d 772, 787 ff (Del. Ch. 2004); anders nach Eintritt der materiellen Insolvenz, ebd., S. 790 f. Grundsätzlich gegen jede Ausdehnung auf Gläubiger etwa Hu/Westbrook, 107 Colum. L. Rev. 1321 (2007). 58 Hierzu auch § 5 C.III.3.b), S. 131 ff. 59 Zu diesem Risikoanreiz grundlegend Jensen/Meckling, 3 J. Fin. Econ. 306, 335 ff (1976); Galai/Masulis, 3 J. Fin. Econ. 53, 70 f (1976). 60 Zum Effizienzziel § 2 C.I., S. 12 f. 61 Dazu auch § 5 C.III.3.b), S. 131 ff. Zur Steigerung des erwarteten Gesamtunternehmenswertes – also der Summe der Wertpositionen aller Unternehmensbeteiligten – als Regelungsziel T. Smith, 98 Mich. L. Rev. 214, 243 ff (1999); Engert, FS Heldrich, 2005, S. 87, 91 ff.

B. Einzelne Regelungsfragen

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dungen der Geschäftsleiter strenger zu überprüfen.62 Zwingend ist das jedoch nicht. Es ist keineswegs widersprüchlich, die Sorgfaltspflicht zwar als drittbezogen zu verstehen, aber an einem breiten unternehmerischen Ermessen der Geschäftsleiter festzuhalten. Die Sorgfaltspflicht in ihrer drittbezogenen Schutzrichtung würde nur bei offensichtlich schädlichen Risikoerhöhungen Bedeutung erlangen. Sollten sich die Geschäftsleiter also auch in der Krise uneingeschränkt auf ihr unternehmerisches Ermessen berufen können? Zunächst einmal bliebe die Wirkung einer strengen Sorgfaltspflicht ohne Ermessen häufig beschränkt, und zwar gerade deshalb, weil sich das Unternehmen in einer Krise befindet. Ob eine Haftungsdrohung das Verhalten der Geschäftsleiter beeinflusst, hängt – grob gesagt – von einer doppelten Voraussetzung ab: Erstens darf eine mögliche Insolvenz der Gesellschaft keine zu große Einbuße des Geschäftsleiters verursachen, so dass er sie „um jeden Preis“ zu verhindern sucht. Gesellschafter-Geschäftsführer werden sich schon aus diesem Grund von einer Sorgfaltspflicht nur selten beeindrucken lassen. Zweitens muss eine drohende Haftung den Geschäftsleiter noch nennenswert schlechter stellen, selbst wenn es zur Insolvenz kommt – denn nur dann kann sie eine nennenswerte Anreizwirkung entfalten. Sogar Fremdgeschäftsleiter sind deshalb kaum für Sanktionen ansprechbar, wenn ihre wirtschaftlichen Geschicke eng mit der Gesellschaft verknüpft sind und sie darüber hinaus nicht viel eigenes Vermögen zu verlieren haben. Bedeutung gewinnt eine strenge Sorgfaltshaftung nur in dem eher seltenen Fall, dass ein Fremdgeschäftsleiter über nennenswertes Vermögen außerhalb der Gesellschaft verfügt. Aber auch dann ist zu bezweifeln, ob es insgesamt zu einer Verbesserung käme: Ohne unternehmerisches Ermessen wächst für den Geschäftsleiter die Wahrscheinlichkeit, trotz besten Bemühens eine Haftung nicht vermeiden zu können. Dieser Gefahr kann er ausweichen, indem er sein Amt zugunsten weniger sanktionsempfänglicher Personen (etwa Gesellschaftern) aufgibt oder ein Insolvenzverfahren einleitet, obwohl ein außergerichtlicher Sanierungsversuch sinnvoller wäre. Der Verzicht auf ein unternehmerisches Ermessen hat also auch hier schädliche Nebenfolgen.63 Es kommt hinzu, dass große Finanzkreditgeber in der Krise erheblichen Einfluss gewinnen und einer risikoerhöhenden Geschäftspolitik – auch im Interesse anderer Unternehmensbeteiligter – entgegenwirken.64 Gerade wenn es darauf an-

62 Dies steht in Kontrast zu der verbreiteten Einschätzung, die Geschäftsleiter erhielten größere Verhaltensspielräume, wenn sie „mehr als einem Herrn“ verpflichtet würden, Clark, Corporate Law, 1986, S. 20, 679 f; Easterbrook/Fischel, The Economic Structure of Corporate Law, 1991, S. 38. Mit Blick auf die Sorgfaltspflicht und das unternehmerische Ermessen mit Recht anders etwa Macey, 21 Stentson L. Rev. 23, 35 f (1991); Ribstein, 81 Notre Dame L. Rev. 1431, 1468 ff (2006). 63 Anders freilich, wenn die strenge Sorgfaltspflicht den Geschäftsleiter zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens zwingen soll. Dann sollte man aber gleich zu einer Insolvenzantragspflicht greifen. 64 Anschauliche Beschreibung der Einflussnahme in Großunternehmen in den USA bei Baird/Rasmussen, 154 Pa. L. Rev. 1209, 1224 ff (2006). Empirische Belege für die (erfolgreiche) Einflussnahme von Banken auf mittelständische Unternehmen in den Niederlanden bei Couwenberg/de Jong, 26 Int’l Rev. L. & Econ. 429, 442 ff (2007).

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

kommt, sind Gläubiger also keineswegs machtlos.65 Schließlich ist wenig klar, wo genau die Grenze zwischen verschärften Krisenpflichten und ungeschmälertem unternehmerischen Ermessen zu ziehen wäre. In der Grauzone zwischen beiden Bereichen träten unerwünschte Nebenwirkungen auf. In Summe sprechen die besseren Gründe dafür, das unternehmerische Ermessen der Geschäftsleiter auch in der Krise nicht anzutasten. Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, so bietet sich dasselbe Bild wie beim Schutz von Minderheitsgesellschaftern: Die allgemeine Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft bezieht zwar die Interessen von Dritten ein. Der Inhalt der Pflicht entspricht so ihrer rechtlichen Konstruktion als einer Pflicht nicht gegenüber den Gesellschaftern, sondern gegenüber der Gesellschaft als der Bündelung der verschiedenen Interessen, deren Gesamtwert zu maximieren ist.66 Zugleich bleibt es aber bei einem breiten unternehmerischen Ermessensspielraum. Im praktischen Ergebnis lassen sich der allgemeinen Sorgfaltspflicht also nur in besonderen Fällen konkrete Vorgaben darüber entnehmen, wie die Geschäftsleiter die Gesellschaft zu führen haben.

bb) Individualinteressen Dritte haben nicht nur ein Interesse an der fortbestehenden Solvenz der geschlossenen Kapitalgesellschaft, sondern kommen auch sonst mit ihrer Geschäftstätigkeit in Berührung. Dementsprechend besteht eine Vielzahl von allgemeinen, privat- und öffentlich-rechtlichen Pflichten, wie sie nicht nur von geschlossenen Kapitalgesellschaften, sondern von Unternehmen gleich welcher Rechtsform zu beachten sind. Für diese Normen ist zunächst zu bestimmen, ob sie sich nicht nur an die Gesellschaft selbst, sondern auch an die für sie handelnden oder hinter ihr stehenden Personen richten.67 Bei vertraglichen Pflichten ist das zumeist eindeutig zu verneinen: Für die im Namen der Gesellschaft geschlossenen Verträge haftet grundsätzlich nur sie selbst. Wem dies nicht genügt, kann versuchen, Gesellschafter oder Geschäftsleiter mit in den Vertrag einzubeziehen. Hingegen können deliktische und öffentlich-rechtliche Verhaltenspflichten auch Geschäftsleiter oder Gesellschafter erfassen.68 Zu denken ist außer dem allgemeinen Delikts- und Strafrecht und dem Insolvenzrecht an

65 Je kleiner allerdings das Unternehmen, umso größer ist zumeist der Informationsvorsprung der Gesellschafter gegenüber den Kreditgebern. Die Anteilseigner haben so bessere Möglichkeiten, das Verhalten der Geschäftsleiter in ihrem Sinne zu lenken. Zugleich dürften in kleinen Gesellschaften aber auch seltener sanktionsempfängliche Geschäftsleiter anzutreffen sein. 66 Zu diesem Ziel oben Fn. 61. 67 Hierzu auch § 5 B.II., S. 119 ff. 68 Ein Grenzfall zwischen Vertrag und Delikt ist die Frage, ob ein Geschäftsleiter selbst haftet, wenn er einen Vertragspartner der Gesellschaft fahrlässig irreführt; dagegen aus deutscher Sicht (c.i.c.) BGHZ 126, 181, 183 ff; aus englischer Sicht (Delikt) Williams & Anor v. Natural Life Health Foods, [1998] 1 UKHL 17.

B. Einzelne Regelungsfragen

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steuer-, sozial- und ordnungsrechtliche Verpflichtungen. Dabei versteht es sich nicht von selbst, dass überhaupt andere Personen neben der Gesellschaft als Trägerin des Unternehmens für Pflichtverletzungen haften sollen. Für eine Mitverantwortlichkeit spricht allerdings die Haftungsbeschränkung der Gesellschafter: Wenn Sanktionen für Pflichtverletzungen erst in der Insolvenz der Gesellschaft greifen, haben die Gesellschafter kein Eigeninteresse an der Normbefolgung und werden die Geschäftsleiter nicht dazu anhalten. Geschlossene Kapitalgesellschaften könnten dann gezielt als Haftungsschild eingesetzt werden, um Pflichtverletzungen zu begehen oder zumindest in Kauf zu nehmen. Dies lässt sich über eine Mithaftung von hinter der Gesellschaft stehenden natürlichen Personen vermeiden oder zumindest mildern. Soweit danach auf natürliche Personen „durchgegriffen“ wird, sollte allerdings die vom Gesellschaftsrecht angestrebte Arbeitsteilung beachtet werden. Die Gesellschafter sollen sich auf die Rolle passiver Kapitalgeber zurückziehen können. Sie sollen nicht nur von unternehmerischen Verlusten jenseits ihrer Einlage verschont bleiben, sondern auch von Sanktionen für von der Gesellschaft begangene Pflichtverletzungen. In dieser Entlastung liegt eine wesentliche Funktion der Geschäftsleitung als verselbständigtem Organ. Im Regelfall sollten deshalb nur die Geschäftsleiter Pflichtund Haftungsadressaten sein (solange die Gesellschafter pflichtgemäßes Handeln nicht vereiteln 69). In konstruktiver Hinsicht entscheidet zumeist das jeweilige Rechtsgebiet – also etwa das Delikts- oder Strafrecht – nach eigenen Maßstäben, an wen sich seine Verhaltensnormen und die damit verbundenen Sanktionen richten. Ein Beispiel für eine gesellschaftsrechtliche Regelung ist die französische Lehre der faute détachable, die als Grundregel eine Haftung der Geschäftsleiter für Pflichtverletzungen der Gesellschaft verneint.70 Umgekehrt erweitert das Gesellschaftsrecht die Haftung der Geschäftsleiter, indem es die allgemeine Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter auf drittbezogene Pflichten der Gesellschaft erstreckt: Als Ausfluss der Sorgfaltspflicht gilt eine „Legalitätspflicht“, wonach die Geschäftsleiter bei ihrem organschaftlichen Handeln die gesetzliche Anforderungen einzuhalten haben.71 Die gesetzlichen Pflichten der

69 Dazu unten B.III.2. 70 Anders nur, wenn die Pflichtverletzung von seiner Organfunktion trennbar (détachable) ist, was bei schweren, vorsätzlichen Verstößen angenommen wird. Dazu ausführlich Vidal, aaO (Fn. 9), S. 225 ff; Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, 24. Aufl., 2011, S. 161 ff. Demgegenüber haften Geschäftsleiter nach deutschem Recht neben der Gesellschaft für Delikte; gestritten wird vor allem darüber, wann deliktische Pflichten auch die Organwalter treffen, expansiv BGHZ 109, 297, 302 ff („Baustoff“); zurückhaltender BGHZ 125, 366, 375 f; Vorschlag für eine Differenzierung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Rechtsverletzungen bei Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997, S. 452 ff. Gegen eine Differenzierung im englischen Recht Standard Chartered Bank v Pakistan National Shipping Corp, [2002] UKHL 43, Rdn. 20 ff; zur englischen Diskussion vgl. Hannigan, Company Law, 2. Aufl., 2009, Rdn. 3-72 ff m.w.N. 71 Zur Begründung Thole, ZHR 173 (2009), 504, 509 ff; Ausblick ins US-amerikanische Gesellschaftsrecht bei Fleischer, ZIP 2005, 141, 146 ff. Aus rechtsökonomischer Sicht kritisch Gelter/Grechenig, WPBl. 2010, 35.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Gesellschaft werden so in das Innenverhältnis zwischen Geschäftsleiter und Gesellschaft übertragen. Die Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter gewinnt eine zusätzliche Schutzrichtung zugunsten Dritter und der Allgemeinheit.

2. Bestellung und Abberufung der Geschäftsleiter Mit konkreten Verhaltenspflichten lässt sich das Handeln der Geschäftsleiter nur begrenzt steuern. Den Geschäftsleitern verbleibt ein breiter Spielraum rechtlich nicht determinierten Ermessens. Betroffen sind hiervon in erster Linie die Gesellschafter als Eigenkapitalgeber (sofern sie nicht selbst als Geschäftsleiter tätig sind). Ihnen stehen daher Kontroll- und Einflussrechte zu, um die Geschäftsleiter zur Wahrnehmung ihrer Interessen anzuhalten. Neben einem (abdingbaren) Weisungsrecht72 geschieht dies vor allem, indem die Gesellschafterversammlung Geschäftsleiter bestellt und abberuft. Der Einfachheit halber empfiehlt sich als gesetzliche Regelung, dass die Gesellschafterversammlung die Geschäftsleiter mit einfacher Mehrheit wählt. Um den Beschlussaufwand gering zu halten, sollten die Geschäftsleiter im Amt bleiben, bis sie ersetzt werden. Im Ausgangspunkt spricht nichts dagegen, dass die Gesellschafter ihr Recht auf freie Bestellung der Geschäftsleiter selbst abwandeln oder einschränken. So kann die Satzung vorsehen, dass nur Gesellschafter zu Geschäftsleitern berufen werden dürfen, um den Interessengleichlauf zu gewährleisten. Einzelnen oder allen Gesellschaftern mag das Recht zugestanden werden, selbst als Geschäftsleiter berufen zu werden oder einen Geschäftsleiter benennen zu dürfen. Eine solche Befugnis kann dazu dienen, die Minderheit abzusichern oder die besondere Rolle eines Gesellschafters – beispielsweise des Unternehmensgründers – festzuschreiben. Schließlich kann die Bestellung von Geschäftsleitern einem weiteren Organ – etwa einem Aufsichtsrat – übertragen werden, um externen Sachverstand institutionell einzubinden oder die Auswahlentscheidung von Konflikten unter den Gesellschaftern freizuhalten. Noch weiter geht es, wenn die Geschäftsleiterbestellung zugleich die Interessen Dritter wahren soll. Erreicht werden kann dies über ein besonderes Auswahlorgan oder unmittelbare Entsenderechte der Begünstigten. Der Entwurf einer SPE-Verordnung enthält demgegenüber eine zwingende Kompetenz der Gesellschafterversammlung, die Mitglieder der Unternehmensleitung zu ernennen und zu entlassen sowie ihre Mandatszeit festzulegen.73 Es ist nicht ersicht72 Oben B.I.2.a). 73 Art. 27 Abs. 1 Buchst. i SPE-VO-E, aaO (Fn. 30). Vgl. ferner Art. L. 223-25 Abs. 1 C.com. (zwingendes Abberufungsrecht der Gesellschafterversammlung, dessen Ausübung allerdings bei Fehlen eines berechtigten Grundes einen Schadensersatzanspruch des Geschäftsleiters auslöst); ähnlich § 16 Abs. 1, Abs. 3 österreichisches GmbHG; Art. 223 Ley de Sociedades de Capital (Zwei-Drittel-Mehrheit muss Geschäftsleiter abberufen können). In Deutschland wird zumindest eine Übertragung auf Dritte überwiegend abgelehnt, Liebscher, Münchener Komm. z. GmbHG, 2012, § 46 Rdn. 180, 183. Zu zwingenden Abberufungsrechten in den kontinentaleuropäischen Aktienrechtsordnungen Cools, 8 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 199, 206 ff (2011).

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lich, weshalb die Privatautonomie der Gesellschafter so weitgehend beschnitten werden sollte. Zwar mögen in der Regel die Gesellschafter als Eigentümer (Residualberechtigte) das stärkste Interesse am Erfolg der Gesellschaft haben, so dass die Kontrolle der Geschäftsleitung bei ihnen am besten aufgehoben scheint. Wenn aber die Gesellschafter in der Satzung auf ihre Rechte verzichten, so tragen sie selbst die damit verbundenen Nachteile. Die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft kann deshalb nicht ohne weiteres gegen die Satzungsautonomie ins Feld geführt werden. Vielmehr ist umgekehrt anzunehmen, dass die Gesellschafter ihre Kontrollrechte nur aus gutem Grund einschränken werden. Eine äußerste Grenze sollte dort gezogen werden, wo das wirtschaftliche Eigentum am Gesellschaftsvermögen endgültig von der Kontrolle darüber getrennt wird.74 Zu begründen ist dies mit der Gefahr, dass sich die Kontrollinhaber auf Dauer von den wirtschaftlichen Interessen der Gesellschafter lossagen. Hiergegen können die Gesellschafter in der Satzung nicht sinnvoll vorsorgen. Indes genügt es, wenn die Gesellschafter eine letzte Rückholkompetenz haben, was bereits dann der Fall ist, wenn sie die Satzungsregelung über die Geschäftsleiterbestellung zu ihren Gunsten ändern können.75 Daneben ist die Privatautonomie der Gesellschafter noch in einer weiteren Hinsicht einzuschränken, nämlich mit Blick auf ein außerordentliches Abberufungsrecht aus wichtigem Grund. Zwar könnte man wiederum einwenden, dass die Gesellschafter selbst die Folgen zu tragen haben, wenn sie sich ein Abberufungsrecht nicht einmal für Fälle offensichtlicher Unfähigkeit oder grober, vorsätzlicher Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter vorbehalten. Jedoch liegt ein Versagen der Privatautonomie zumindest nicht fern: Zum einen mögen die Gesellschafter die Gefahren unterschätzen, wenn sie die Gesellschaft auf Gedeih und Verderb einem Geschäftsleiter ausliefern.76 Zum anderen kann es aus ihrer Sicht im Einzelfall sinnvoll sein, gegenüber einem besonders befähigten Geschäftsleiter das Abberufungsrecht ganz auszuschließen, um Vertrauen zu signalisieren und damit die geplante Kooperationsbeziehung zu fördern, obwohl ein Abberufungsrecht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes interessengerecht wäre.77 Schließlich kann ein solches Recht dazu dienen, die Minderheit gegen grobe Pflichtverletzungen eines von der Mehrheit bestellten Geschäftsleiters zu schützen.78 Hierzu ermöglichen es viele Rechtsordnungen einzelnen Gesellschaftern,

74 In Deutschland wird dies unter dem Stichwort der „Verbandssouveränität“ diskutiert, dazu grundlegend Wiedemann, FS Schilling, 1974, S. 105. Die Problematik ähnelt der beim Abspaltungsverbot, dazu stv. Schön, ZHR 159 (1994), 229, 251 ff; zu der dort S. 257 herausgearbeiteten Gefahr „wechselseitige[r] Blockade und Schikane“ aus rechtsökonomischer Sicht Heller, 111 Harv. L. Rev. 621 (1998) („tragedy of the anticommons“). 75 Die genaue Grenzziehung ist schwierig, wenn die Gesellschafter zwar die Satzung ändern können, dies aber beispielsweise durch ein Einstimmigkeitserfordernis stark erschwert ist. 76 Zu Rationalitätsdefiziten als Begründung zwingender Regelungen § 2 C.III.1., S. 17 f. 77 Zu ineffizienten Vertragsbestimmungen als „Signale“ bei Vertragsanbahnung grundlegend Aghion/Hermalin, 6 J. L. Econ. & Org. 381 (1990). 78 Vgl. § 3.

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die Abberufung gerichtlich durchzusetzen.79 Auch ein solches Minderheitenrecht sollte nicht abdingbar sein.

3. Information der Gesellschafter oder eines Aufsichtsorgans Über eine Abberufung der Geschäftsleiter und andere Kontrollmittel wie die Vergütung oder eine Anspruchsverfolgung können die Gesellschafter sinnvoll nur entscheiden, wenn sie Informationen über die Lage des Unternehmens und die Geschäftstätigkeit erhalten. Dazu bedarf es in der geschlossenen Kapitalgesellschaft grundsätzlich keiner besonderen gesetzlichen Regelungen. Das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung gestattet es ihr, sich die benötigten Informationen von der Geschäftsleitung zu verschaffen. Diese Überwachungsmöglichkeiten sollten die Gesellschafter in der Satzung näher ausgestalten oder beschneiden können. So kann es in größeren geschlossenen Kapitalgesellschaften dem Geheimnisschutz dienen, wenn statt der Gesellschafterversammlung ein besonderes Aufsichtsorgan die Geschäftsleitung überwacht. Umgekehrt können Auskunfts- und Einsichtsrechte einzelner Gesellschafter oder einer Minderheit die Überwachung der Geschäftsleitung verbessern, indem sie den Koordinationsaufwand unter den Gesellschaftern verringern. Einer gesetzlichen und insbesondere zwingenden Regelung bedarf es wenn überhaupt nur zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern.80

4. Vergütung und andere Zuwendungen zur Verhaltenssteuerung Neben der Auswahl, Überwachung und möglichen Abberufung gibt es weitere Möglichkeiten, die Eigeninteressen der Geschäftsleiter am unternehmerischen Erfolg der geschlossenen Kapitalgesellschaft auszurichten. Hierzu gehören insbesondere die Vergütung und die sonstigen positiven Anreize, die den Geschäftsleitern für ihre Tätigkeit geboten werden. Wie eine erfolgreiche Führung der Gesellschaft auf diesem Wege gefördert werden sollte, muss und kann der Satzung bzw. dem Anstellungsvertrag überlassen bleiben.81 Zu unterschiedlich sind die Maßstäbe und Faktoren des Unternehmenserfolgs sowie die sonstigen Anreize der jeweiligen Geschäftsleiter, als dass sich der Gesetzgeber auch nur an einer dispositiven Regelung versuchen sollte, zumal die Gesellschafter in der geschlossenen Kapitalgesellschaft typischerweise selbst über Vergütungsfragen entscheiden können. 79 So etwa Art. L. 223-25 Abs. 2 C.com.; Art. 2476 Abs. 4 Codice civile; § 16 Abs. 2 österreichisches GmbHG; Art. 815 Abs. 2 OR. Im deutschen Recht schließt § 47 Abs. 4 S. 2 GmbHG den betroffenen Geschäftsführer von der Beschlussfassung aus, BGH NJW 1969, 1483, 1483 f. 80 Dazu § 3 B.VI., S. 61 f. 81 Vgl. aber Art. 218 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital (Gewinnbeteiligung darf höchstens zehn Prozent des ausschüttungsfähigen Gewinns betragen und ist in der Satzung im Einzelnen zu regeln).

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5. Vermeidung von Interessenkonflikten Das Gegenstück zu positiven Leistungsanreizen bilden Interessenkonflikte: Eine Schädigung der Gesellschaft würde den Geschäftsleitern individuelle Vorteile verschaffen. Die Erscheinungsformen von Interessenkonflikten sind so vielgestaltig, dass die Gesellschafter sie nicht gut einzeln in der Satzung regeln können. Diese Lücke füllt insbesondere die Treuepflicht (duty of loyalty) der Geschäftsleiter. Sie regelt den Umgang mit Interessenkonflikten und ist scharf von konkreten Verhaltenspflichten und insbesondere der Sorgfaltspflicht (duty of care) zu unterscheiden. Die Treuepflicht verlangt allgemein, Interessenkonflikte zu vermeiden. Sie zielt konzeptionell nicht darauf, dem Geschäftsleiter eine bestimmte Entscheidung in der Sache vorzuschreiben oder ihren Entscheidungsspielraum einzuengen. Vielmehr soll sie verhindern, dass sich der Geschäftsleiter bei der Ausübung seines Ermessens von einem Eigeninteresse leiten lässt, das den ihm anvertrauten Belangen zuwiderläuft. Normen gegen Interessenkonflikte brauchen allerdings nicht in jedem Fall als „Pflichten“ zur Konfliktvermeidung gestaltet zu werden. Je nach Regelungsstrategie kann es beispielsweise genügen, die Handlungsbefugnis des Geschäftsleiters zu beschränken.

a) Regelungsmöglichkeiten Wie das Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft Interessenkonflikte der Geschäftsleiter im Einzelnen erfassen sollte, kann an dieser Stelle nicht umfassend erörtert werden. Für bekannte und häufige Fälle von Interessenkonflikten finden sich in den verschiedenen Gesellschaftsrechtsordnungen besondere Konfliktvermeidungsnormen. Beispiele solcher Regelungen werden im Folgenden systematisiert.

aa) Eindeutig zu beurteilende Interessenkonflikte: Verbot von Sondervorteilen zulasten der Gesellschaft Die einfachste Erscheinungsform eines Interessenkonflikts ist das Erstreben von Sondervorteilen zulasten der Gesellschaft.82 Im Kern handelt es sich dabei um Veruntreuung: Der Geschäftsleiter bereichert sich auf Kosten des Gesellschaftsvermögens, ohne dass daran irgendein Interesse der Gesellschaft bestehen könnte. Neben dem Griff in die Gesellschaftskasse ist an die Nutzung von Eigentum oder Leistungen der Gesellschaft für private Zwecke ohne Vergütung zu denken. Die angemessene Regelung dieses Interessenkonflikts fällt insofern leicht, als für die Gesellschaft nichts zu gewinnen ist: Bestohlen zu werden liegt nie in ihrem Interesse. Das Erstreben von Sondervor-

82 Vgl. Sec. 175(2) Companies Act 2006: Ausnutzung von Eigentum, Informationen oder Chancen der Gesellschaft als Fall eines Interessenkonflikts. Ähnlich allgemein Art. 228 Ley de Sociedades de Capital.

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teilen ist den Geschäftsleitern deshalb ohne weiteres verboten. Allerdings kann es erhebliche Schwierigkeiten bereiten, die Vermögenssphären von Gesellschaft und Geschäftsleiter im Einzelnen abzugrenzen. Paradigmatisch ist die Frage, ob die Gelegenheit zu einem Geschäft oder zu einer gewinnbringenden Unternehmung der Gesellschaft zusteht.83 Ist die Geschäftschance der Gesellschaft zuzuordnen, so steht damit außer Zweifel, dass der Geschäftsleiter sie nicht für sich selbst nutzen darf.

bb) Bewältigung ambivalenter Interessenkonflikte Keine so einfache Lösung gibt es, wenn bei einer Entscheidung das Interesse der Gesellschaft nicht eindeutig ist, weil das Eingehen auf die Wünsche des Geschäftsleiters für sie selbst von Vorteil sein kann (aber nicht muss). Beispiele sind Austauschgeschäfte mit dem Geschäftsleiter, unter anderem über die Vergütung und sonstigen Konditionen seiner Tätigkeit für die Gesellschaft. Aber auch die eben behandelten Sondervorteile stellen sich ambivalenter dar, wenn sie mit einem möglichen Vorteil für die Gesellschaft einhergehen. So kann es durchaus im Interesse der Gesellschaft liegen, eine ihr zustehende Geschäftschance zugunsten des Geschäftsleiters auszuschlagen, wenn dieser zu einer Gegenleistung bereit ist oder hiervon seine weitere Tätigkeit für die Gesellschaft abhängig macht.84 Dem Gesetzgeber oder den die Treuepflicht konkretisierenden Gerichten bieten sich (mindestens) drei Möglichkeiten, auf Interessenkonflikte in einer Entscheidungssituation zu reagieren. Die erste Strategie besteht darin, den Geschäftsleitern konfliktbelastete Transaktionen ganz zu verbieten. Dies entsprach dem ursprünglichen Ansatz des englischen Gesellschaftsrechts, das aus dem Trust-Recht ein kompromissloses Verbot von Insichgeschäften ableitete.85 Heute untersagt beispielsweise das französische Recht Kreditverträge der Gesellschaft mit ihren Geschäftsleitern.86 Ein so strenges Vorgehen beruht auf der Annahme, dass die aufgrund des Interessenkonflikts drohenden Nachteile mögliche Vorteile für die Gesellschaft in aller Regel überwiegen. Allerdings erscheint keine konfliktbelastete Entscheidung so gefährlich, dass man sie 83 Kriterien für die Zuordnung in American Law Institute, Principles of Corporate Governance, 1994, § 5.05(b); zur Abgrenzung im englischen Recht Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, 8. Aufl., 2008, 16–65 ff; Überblick bei Fleischer, WM 2003, 1045, 1054 ff. 84 Hierzu American Law Institute, aaO (Fn. 83), § 5.05(a) (Ausschlagen der Geschäftschance für die Gesellschaft durch disinterested directors oder die Gesellschafter); Sec. 175(5), (6) Companies Act 2006 (Genehmigung mit einer Mehrheit von disinterested directors); Art. 228 Ley de Sociedades de Capital (Verzicht der Gesellschaft ohne Einflussnahme des Geschäftsleiters). 85 Aberdeen Railway v. Blaikie, (1854) 1 Macq. 461, 471 f; zur Überwindung des Verbots (in Großbritannien durch Abbedingung, in den USA durch richterliche Abwandlung) Kershaw, The Path of Fiduciary Law, 2011, S. 25 ff, abrufbar unter http://ssrn.com/ abstract=1874763. 86 Art. L. 223-21 C.com. Ebenso § 43a GmbHG, soweit ein Verlust des Kreditbetrags zulasten des Stammkapitals gehen würde.

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ausnahmslos verbieten müsste. Wenn die Gesellschafter vollständig informiert werden und zustimmen, sollte ein Interessenkonflikt der Geschäftsleiter nicht mehr entgegenstehen. Auf ein vollständiges Verbot bestimmter Transaktionen sollte daher verzichtet werden. Die zweite Regelungsmöglichkeit besteht darin, den Interessenkonflikt zu kontrollieren, ohne die Transaktion von vornherein auszuschließen. Dazu nimmt das Gesetz dem konfliktbelasteten Geschäftsleiter die (alleinige) Entscheidungsbefugnis und zieht weitere Personen – etwa andere Geschäftsleiter oder die Gesellschafter – hinzu. So wird nach niederländischem Recht die Gesellschaft generell bei Interessenkonflikten des Geschäftsleiters vom Aufsichtsrat vertreten.87 Ähnlich muss die Gesellschafterversammlung in der französischen SARL Verträgen außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs oder zu ungewöhnlichen Konditionen zwischen der Gesellschaft und einem Geschäftsleiter zustimmen.88 Das englische Recht verlangt einen Gesellschafterbeschluss für Kredite an Geschäftsleiter und Verträge über erhebliche Vermögenswerte.89 Allgemein bietet es sich in der geschlossenen Kapitalgesellschaft an, grundsätzlich die Gesellschafter einzuschalten, um Interessenkonflikte zu bewältigen. Die Satzung sollte diese Kompetenz auf ein mögliches Aufsichts- und Überwachungsorgan oder andere Geschäftsleiter übertragen können. Eine dritte Regelungsmöglichkeit ist noch zurückhaltender. Danach wird nur verlangt, dass der betroffene Geschäftsleiter einen Interessenkonflikt gegenüber unbefangenen Personen oder der Gesellschafterversammlung offenlegt. So fordert das englische Recht, Eigeninteressen an geplanten Geschäftsabschlüssen den übrigen directors gegenüber aufzudecken, wenn sie zu einem Interessenkonflikt führen können.90 Auch ohne Zustimmungserfordernis dämmt eine solche Pflicht Fehlanreize ein, indem sie den Geschäftsleiter einer kritischen Überprüfung, rechtlichen Angriffen und anderen möglichen Sanktionen – etwa einer Abberufung – aussetzt. Besonders eignet sich die Offenlegung, um die Gesellschafter oder nicht konfliktbehaftete Mitgeschäftsleiter überprüfen zu lassen, ob sie die Entscheidung an sich ziehen wollen.

cc) Verbot des Hervorrufens von Interessenkonflikten Alle bisher genannten Regelungsmöglichkeiten setzen an der konfliktbelasteten Entscheidung an und versuchen, einen vorhandenen Interessenkonflikt zu neutralisieren. Eine weitere Strategie sucht dagegen das Entstehen des Interessenkonflikts zu verhindern: Der Geschäftsleiter soll sich erst gar nicht in die Lage bringen, dass sein Eigen-

87 Art. 2:256 Burgerlijk Wetboek. Zu den praktischen Problemen der weitreichenden niederländischen Regelung De Kluiver, 3 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 45, 67 f (2006). Ähnlich, aber formaler das deutsche Verbot des Insichgeschäfts in § 181 BGB. 88 Art. L. 223-19, L. 223-20 C.com. 89 Vgl. Sec. 197 Companies Act 2006 (Kredite) und Sec. 190–196 Companies Act 2006 (substantial property transactions). 90 Vgl. Sec. 177, 178 Companies Act 2006.

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interesse in Widerspruch zu den Interessen der Gesellschaft gerät. Ein deutliches Beispiel ist das Verbot, von Dritten Zuwendungen oder gar Bestechungsgeld anzunehmen.91 In die gleiche Kategorie gehört das Bestreben, den Geschäftsleiter daran zu hindern, mit der Gesellschaft zu konkurrieren. Eine Wettbewerbssituation begründet einen ständigen Interessenkonflikt, weil sie den Anreiz des Geschäftsleiters schwächt oder sogar beseitigt, der Gesellschaft zulasten ihrer Wettbewerber Vorteile zu verschaffen. Zugleich entsteht die dauernde Versuchung, der Gesellschaft zustehende Geschäftschancen für die Konkurrenztätigkeit zu nutzen. Dementsprechend enthalten manche Gesellschaftsrechte ein allgemeines Wettbewerbsverbot.92 Dies kann der Gesellschaft allerdings zum Nachteil gereichen, wenn sie auf einen bestimmten Geschäftsleiter angewiesen ist und dieser die Konkurrenztätigkeit nicht aufgeben möchte. Die Gesellschafterversammlung sollte den Geschäftsleiter daher von dem Wettbewerbsverbot befreien können.93 Das lässt sich verallgemeinern: Bestimmte an sich verbotene Interessenkonflikte sollte die Gesellschaft im eigenen Interesse zulassen dürfen.

b) Gesetzliche Generalklausel? Die bekannten, wichtigen Fallgruppen von Interessenkonflikten sollten in gesonderten Tatbeständen erfasst werden. Weniger klar ist, ob es daneben eine Generalklausel für konfliktbehaftete Entscheidungen geben sollte. So haben nach Sec. 175 Companies Act 2006 die Direktoren jede Lage zu vermeiden, in der sie ein direktes oder indirektes Interesse haben oder haben können, das in Gegensatz zu den Belangen der Gesellschaft steht oder stehen könnte.94 Für eine solche Generalklausel spricht, dass sich nicht alle denkbaren Interessenkonflikte in einer begrenzten Zahl von Einzeltatbeständen erfassen lassen. Eine allgemeine Treuepflicht ist daher unvermeidlich. Allerdings fragt es sich, ob eine ausdrückliche gesetzliche Regelung mehr als nur ganz allgemein das Vermeiden von Interessenkonflikten vorschreiben könnte. Würde man ein bestimmtes Mittel zur Bewältigung des Interessenkonflikts festlegen – in der Regel die Befassung der Gesellschafterversammlung95 –, so entstünde häufig Unsicherheit darü91 Sec. 176 Companies Act 2006 verbietet Zuwendungen Dritter selbst dann, wenn andere directors oder die Gesellschafter sie erlauben würden; zum deutschen Recht BGH NJW 2001, 2476, 2477 (Herausgabepflicht nach § 667 F. 2 BGB, sofern eine Beeinflussung zum Nachteil der Gesellschaft zu befürchten ist). 92 So Art. 230 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital; Art. 812 Abs. 3 OR; § 24 Abs. 1 öGmbHG; in Deutschland wird für die GmbH ein ungeschriebenes Verbot angenommen, Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, Komm. z. GmbHG, 19. Aufl., 2010, § 35 Rdn. 41; die englische Rechtslage ist wenig geklärt, Gower/Davies, aaO (Fn. 83), Rdn. 16– 72 f. 93 So ausdrücklich Art. 230 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital; § 24 Abs. 1, Abs. 2 öGmbHG. 94 Ähnlich Art. 229 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital. 95 Sec. 175(4)(b), (5), (6) Companies Act 2006 verlangt eine Zustimmung der nicht konfliktbelasteten Direktoren. Ähnlich Art. 229 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital (Zustim-

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ber, ob ein relevanter Interessenkonflikt vorliegt.96 Immerhin könnte eine Generalklausel den Geschäftsleitern aber einen sicheren Weg weisen, wie sie einen Interessenkonflikt und damit eine drohende Haftung vermeiden können. Zumindest in dieser Funktion eines safe harbor ist eine allgemeine gesetzliche Regelung zu befürworten.

c) Abdingbarkeit der Treuepflicht Da Normen zur Vermeidung von Interessenkonflikten vorwiegend dem Schutz der Gesellschaftergesamtheit dienen, liegt es nahe, dass sie in der Satzung abbedungen werden können.97 Allerdings wäre es häufig sehr fraglich, ob die Folgen einer umfassenden Abbedingung wirklich gewollt wären: Außerhalb einer Konfliktsituation ist den Geschäftsleitern ein breiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Ohne Treuepflicht hätten die Geschäftsleiter einen weitgehenden Freibrief, sich zulasten der Gesellschaft selbst zu begünstigen. Dies dürfte von den Gesellschaftern umso weniger beabsichtigt sein, als viele mögliche Interessenkonflikte nicht im Einzelnen absehbar sind.98 Eine abschließende Regelung würde dazu ermutigen, gezielt Lücken zu suchen und auszunutzen.99 Wie beim Abberufungsrecht aus wichtigem Grund dürfte eine umfassende Abbedingung deshalb in aller Regel auf eine Funktionsstörung der Privatautonomie zurückzuführen sein.100 Diese Überlegungen sprechen gegen eine Abdingbarkeit der allgemeinen Treuepflicht.101 Trotzdem kann es aus Sicht der Gesellschafter sinnvoll sein, die Vermeidung von Interessenkonflikten abweichend vom Gesetz zu regeln. So mag ein Bedürfnis be-

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mung des Verwaltungsrates oder ersatzweise der Gesellschafterversammlung ohne Beteiligung des Geschäftsleiters). Nach Sec. 175(4)(a) Companies Act 2006 braucht die Zustimmung der übrigen Direktoren nicht eingeholt zu werden, wenn „the situation cannot reasonably be regarded as likely to give rise to a conflict of interest“. So die großzügige Regelung für die limited liability company in Delaware, § 1101(c) Del. LLC Act (nur keine Abbedingung der Pflicht zu good faith and fair dealing). Der amtierende Chief Justice des Delaware Supreme Court geht hierüber sogar noch hinaus, indem er Treuepflichten nur aufgrund einer positiven Vereinbarung der Gesellschafter anerkennen möchte, Steele, 46 Am. Bus. L.J. 221 (2009). Nachweise zur allgemeinen US-amerikanischen Diskussion über die Abdingbarkeit von Treuepflichten bei Ribstein, 2005 Ill. L. Rev. 209, 211. Vgl. § 3 B.III.3., S. 44 ff; Hellgardt, FS Hopt, 2010, S. 765, 771 f. „[D]evious people can smell a loophole a mile away“, Bishop/Kleinberger, Limited Liability Companies, Abschnitt 14.05[4][a][ii], zitiert nach Kommentar zu § 110(d) ULLCA 2006. Oben B.II.2., insbesondere Text zu Fn. 76 f. Vgl. § 110(d)(1)(B) ULLCA 2006 (keine „offensichtlich unvernünftige“ Abbedingung). Wenig trennscharf die englische Regelung in Sec. 232(1), (4) Companies Act 2006, dazu Gower/Davies, aaO (Fn. 83), Rdn. 16–89 f. Zum deutschen Recht etwa Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 216 (Treuepflichten der Gesellschafter nur in einzelnen Ausprägungen abdingbar); ähnlich Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. II, 2004, S. 198; differenzierte Analyse bei Hellgardt, FS Hopt, S. 765, 774 ff.

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stehen, die Geschäftsleiter von für überflüssig und umständlich gehaltenen Vorkehrungen zu entbinden, etwa der Pflicht, die konfliktbehaftete Entscheidung der Gesellschafterversammlung vorzulegen. Die Gesellschafter sollten es deshalb in der Hand haben, den Umgang mit Interessenkonflikten näher zu regeln. Insbesondere sollten sie bestimmte Entscheidungen ganz ausnehmen und allgemein festlegen können, wie mit Interessenkonflikten zu verfahren ist;102 dies könnte so weit gehen, dass konfliktbehaftete Geschäfte nur nachträglich und im Streitfall daraufhin überprüft werden, ob sie die Gesellschaft im Ergebnis benachteiligt haben. Die allgemeine Treuepflicht bleibt nach diesem Verständnis im Grundsatz vollständig abdingbar, zwingt die Gesellschafter aber dazu, eine konkrete Regelung an die Stelle der gesetzlichen Generalklausel zu setzen.103

III. Sanktionen Sofern den Geschäftsleitern unmittelbar ein bestimmtes Verhalten vorgeschrieben werden soll, müssen Verstöße mit spürbaren Sanktionen verbunden sein; das Gleiche gilt für Pflichten zur Vermeidung von Interessenkonflikten und zur Einhaltung der Kompetenzordnung.

1. Sanktionsmittel Eine Vielzahl möglicher Sanktionsmittel können eingesetzt werden, um Geschäftsleiter zur Normbefolgung anzuhalten. Die wohl bedeutendste privatrechtliche Sanktion ist die Haftung auf Schadensersatz. Wenigstens im Ausgangspunkt verspricht sie eine starke Abschreckungswirkung, weil der Geschäftsleiter mit seinem eigenen Vermögen für Einbußen einzustehen hat, obwohl er fremde Vermögensangelegenheiten besorgt und mögliche Vorteile aus seiner Tätigkeit somit anderen zugutekommen.104 Daneben sehen vor allem die angelsächsischen Rechte bei einer Verletzung der Treuepflicht eine Gewinnauskehr vor.105 Dies ist eine sinnvolle Ergänzung, weil die Gesellschaft den Schaden aus einer konfliktbelasteten Entscheidung zum Teil nicht nachweisen kann, der Geschäftsleiter Interessenkonflikte aber in jedem Fall zu vermeiden hat.106 Eine 102 Vgl. Sec. 103(b)(3)(i) Uniform Partnership Act 1997 („the partnership agreement may identify specific types or categories of activities that do not violate the duty of loyalty, if not manifestly unreasonable“). 103 Vgl. § 3 B.III.3., S. 45 f; Ribstein, 2005 Ill. L. Rev. 209, 219 f. 104 Zu unerwünschten Folgen dieser Asymmetrie als Grund für ein breites unternehmerisches Ermessen oben II.1.a). 105 Zu diesem allgemeinen Grundsatz für fiduciary duties etwa § 100 Restatement (Third) of Trusts (Tentative Draft Nr. 6, 2011); § 8.01 Restatement (Third) of Agency (2006), Comment d.(1). Monographisch (auch zum deutschen Recht) Rusch, Gewinnhaftung bei Verletzung von Treuepflichten, 2003. 106 Cooter/Freedman, 66 N.Y.U. L. Rev. 1045, 1051 ff (1991) (Schadensersatz nicht ausreichend für effiziente Abschreckung); differenzierend Easterbrook/Fischel, 36 J. L. & Econ.

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vergleichbare Anreizwirkung lässt sich erreichen, wenn ein Pflichtverstoß oder die Überschreitung einer Befugnis ein zuvor getätigtes Rechtsgeschäft unwirksam macht, so dass erhaltene Vorteile zurückzugewähren sind (zum Beispiel bei fehlender Vertretungsmacht). Sowohl Schadensersatz als auch Rückgewähr oder Gewinnabschöpfung reichen nicht aus, um die Geschäftsleiter stets zu pflichtgemäßem Verhalten anzuhalten. Ansprüche dürften nur teilweise geltend gemacht werden: Unwirksame Verträge werden nicht in allen Fällen rückabgewickelt, Schadensersatzansprüche nur verfolgt, wenn die Pflichtverletzung entdeckt wird. Vor allem läuft jede privatrechtliche Haftung leer, soweit das Vermögen des Schuldners nicht zur Befriedigung ausreicht („Judgmentproof-Problem“107). Um gegenüber Geschäftsleitern mit geringem Privatvermögen eine ausreichende Abschreckungswirkung zu erzielen, sollten schwerwiegende Pflichtverstöße deshalb auch straf- oder verwaltungsrechtlich sanktioniert werden. Viele Rechtsordnungen greifen dabei auf die Möglichkeit zurück, eine Person für die Zukunft von der Tätigkeit als Geschäftsleiter auszuschließen.108 Nicht selten führen allerdings die so „Disqualifizierten“ doch wieder als „faktische Geschäftsleiter“ eine Kapitalgesellschaft, was erst in der nächsten Insolvenz ans Licht kommt. Die Abschreckungswirkung dieser Sanktion bleibt daher ebenfalls beschränkt.

2. Adressaten Die Sanktionen richten sich an die Geschäftsleiter. Vor allem im Verhältnis zu Dritten haften die Geschäftsleiter dabei anstelle der Gesellschafter;109 die Arbeitsteilung zwischen Kapitalgebern und Unternehmensführern erstreckt sich auf die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit. Die Inpflichtnahme der Geschäftsleiter kann die Rechtsdurchsetzung stärken, weil und insoweit (Fremd-)Geschäftsleiter nicht an möglichen Gewinnen teilhaben. Umgekehrt lädt die Verlagerung aber zu Missbräuchen ein: Die Gesellschafter können gezielt Geschäftsleiter mit geringem Privatvermögen und entsprechend geringer Sanktionsempfindlichkeit bestellen. In kritischen Situationen können sie Druck ausüben, um die Geschäftsleiter zu Pflichtverletzungen zu bewegen. Auf derartige Gefahren aus dem Einsatz von Hilfspersonen reagiert die Rechtsordnung gewöhnlich, indem sie den jeweiligen Geschäftsherrn mithaften lässt.110

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425, 441 ff (1993); Smith, 55 Vand. L. Rev. 1399, 1493 ff (2002); ferner Wiedemann, aaO (Fn. 101), S. 195 f. Shavell, 13 J. Legal Stud. 357, 360 f (1984); Ders., 6 Int’l. Rev. L. & Econ. 45 (1986). Ein bekanntes Beispiel ist der britische Company Directors Disqualification Act 1986. Siehe ferner Art. L. 653-1 ff. C.com., Art. 213 Abs. 1 Ley de Sociedades de Capital i.V.m. Art. 163 ff., 172 Abs. 2 Nr. 2 Ley Concursal, sowie den 2008 erweiterten Ausschluss in § 6 Abs. 2 S. 2 GmbHG. Hingegen sollten die Treuepflichten der Mehrheit gegenüber der Minderheit grundsätzlich nicht privativ auf die Geschäftsleiter übertragen werden können, näher oben II.1.b). Aus rechtsökonomischer Sicht grundlegend Sykes, 93 Yale L. J. 1231 (1984). Eine Haftung des Geschäftsherrn ohne Entlastungsmöglichkeit kennen etwa Frankreich (Art. 1384

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Diese allgemeinen Regeln gelten indes nicht für die Gesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft in Bezug auf die Geschäftsleiter. Als Geschäftsherr gilt vielmehr nur die Gesellschaft selbst. Das entspricht der Zielsetzung, dass die Gesellschafter die Führung der Geschäfte einschließlich der damit verbundenen Verhaltenspflichten delegieren können sollen. Es bedarf deshalb spezifisch gesellschaftsrechtlicher Regelungen, um einerseits die Gesellschafter angemessen vor Haftung zu schützen und andererseits den geschilderten Missbrauchsgefahren zu begegnen. Als dogmatischer Ansatzpunkt bietet es sich an, die Gesellschafter „wie einen Geschäftsleiter“ zu sanktionieren, wenn sie sich mit ihrem Verhalten die Rolle eines Geschäftsleiters anmaßen.111 Viele Rechtsordnungen kennen deshalb die Figur eines „faktischen Geschäftsleiters“, allerdings mit erheblichen Unterschieden in der tatbestandlichen Ausgestaltung.112 So sieht das französische Recht als gérant de fait an, wer mit Rückendeckung oder anstelle der eigentlichen Geschäftsleiter unmittelbar oder durch andere die Geschäftsführung an sich zieht.113 Demgegenüber gibt die Rechtsprechung in Deutschland dem faktischen Geschäftsführer sehr viel weniger Raum.114 Verlangt wird „eigenes, auch nach außen hervortretendes, üblicherweise der Geschäftsführung zuzurechnendes Handeln“.115 Daneben kommt eine Beteiligung an Delikten der Geschäftsführer in Betracht (§ 830 Abs. 2 BGB). Das englische Gesellschaftsrecht wiederum greift auf zwei verschiedene Tatbestände zurück. Als de facto director haftet für die Pflichten eines Geschäftsleiters, wer sich als solcher aufführt (und von der Gesellschaft so dargestellt wird), ohne es zu sein.116 Hingegen zeichnet sich der shadow director durch seine besonderen Einflussmöglichkeiten aus, weil die bestellten Geschäftsleiter seinen Anweisungen typischerweise folgen.117

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Code Civile), Italien (Art. 2049 Codice Civile) und England (vicarious liability, näher Hannigan, aaO (Fn. 70), Rdn. 3–66 ff); erfasst sind dabei jeweils auch Gesellschaften im Hinblick auf ihre Organe. Demgegenüber differenziert das deutsche Recht zwischen der Organhaftung (§ 31 BGB) und der Haftung für Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB), ebenso das schweizerische Recht (Art. 55 Abs. 2 Zivilgesetzbuch gegenüber Art. 55 Abs. 1 OR). Hierzu auch § 5 E.I., S. 143 ff. Überblick bei Fleischer, AG 2004, 517, 519 ff. Vgl. Art. L. 241-9 C.com. (Erstreckung der Strafvorschriften auf „toute personne qui, directement ou par personne interposée, aura, en fait, exercé la gestion d’une société à responsabilité limitée sous le couvert ou au lieu et place de son gérant légal“); siehe ferner die bei Dedessus-le-Moustier, Rev. Soc. 1997, 499, 506 wiedergegebene Definition: „est un dirigeant de fait celui qui, en toute souveraineté et indépendance, exerce une activité positive de gestion et de direction“. Aktuelle Aufarbeitung bei Fleischer, GmbHR 2011, 337, 340 ff; Strohn, DB 2011, 158, 160 ff. BGHZ 104, 44, 48 (Hervorhebung hinzugefügt); siehe auch BGHZ 150, 61, 69 f. Vgl. Hydrodam (Corby) Ltd, Re, [1994] B.C.C. 161, 163 („A de facto director is a person who assumes to act as a director. He is held out as a director by the company, and claims and purports to be a director, although never actually or validly appointed as such.“) Sec. 251(1) Companies Act 2006 („in accordance with whose directions or instructions the directors of the company are accustomed to act“); weitreichende Ausnahme für Konzernverhältnisse aber in Absatz 3 der Vorschrift; vgl. auch § 251 Insolvency Act 1986.

B. Einzelne Regelungsfragen

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Unter welchen Umständen Gesellschafter als faktische Geschäftsleiter behandelt werden sollten, steht im Spannungsfeld zweier widerstreitender Ziele. An sich kann die Haftungsbefreiung der Gesellschafter nur so weit reichen, wie sie die Geschäftsleiter ihre Verhaltenspflichten ungestört erfüllen lassen. Andererseits steht es ihnen zu, in ihrem Sinne die Geschäftsführung zu steuern, soweit es sich nicht um die Befolgung konkreter Verhaltenspflichten im Drittinteresse handelt. Eine intensive und verfestigte Einflussnahme auf die Geschäftsleiter ist daher grundsätzlich hinzunehmen. Zugleich gefährdet sie aber die Erfüllung der Verhaltenspflichten. Indem das deutsche Recht ein Auftreten nach außen verlangt, gibt es den Gesellschaftern bei der Anwendung ihrer internen Machtmittel praktisch freie Hand. Das ist zu großzügig: Der Einfluss der Gesellschafter wurde oben damit gerechtfertigt, dass diese sich selbst zu Geschäftsleitern bestellen könnten, um ihre Interessen in der Geschäftsführung durchzusetzen.118 Wenn die Gesellschafter aber die Geschäftsleitung übernehmen, sind sie der zugehörigen Haftung ausgesetzt. Es gibt daher keinen Grund, die Gesellschafter von Verantwortlichkeit freizustellen, wenn sie intern auf die bestellten Organwalter einwirken, statt selbst als Geschäftsleiter aufzutreten. Allerdings sollten die Gesellschafter in der Lage bleiben, Fremdgeschäftsleiter jenseits konkreter Verhaltenspflichten wirksam zu kontrollieren, ohne sich einer Haftungsgefahr auszusetzen.119 Zudem sollten sie ihre Rechtsauffassung über die Reichweite konkreter Verhaltenspflichten den Geschäftsleitern gegenüber immerhin artikulieren können. Die Grenze ist dort zu ziehen, wo die Gesellschafter die Fähigkeit und Bereitschaft der Geschäftsleiter zu eigenverantwortlicher Pflichterfüllung generell oder im Einzelfall ausschalten. Sie sollten deshalb wie Geschäftsleiter haften, wenn sie eine Pflichtverletzung in concreto – etwa über eine (rechtswidrige) Weisung oder die Drohung mit Abberufung – durchgesetzt haben.120 Über einzelne Entscheidungen hinaus erscheint eine strukturelle Zurechnung nach dem Muster des englischen shadow director sinnvoll: Wenn sich eine laufende, intensive Einmischung der Gesellschafter in die Geschäftsleitung eingebürgert hat, sollte dies eine widerlegliche Vermutung begründen, dass die Eigenverantwortlichkeit der Geschäftsleiter eingeschränkt war und die Pflichtverletzung von den Gesellschaftern ausgelöst wurde.

3. Geltendmachung Straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen werden von Behörden verhängt. Bei einer Schadensersatzhaftung stellt sich die Frage, ob betroffene Dritte oder einzelne Gesellschafter sie selbst geltend machen können. Das hängt zunächst davon ab, ob der Anspruch ihnen selbst (Außenhaftung) oder dem Gesellschaftsvermögen (Innenhaf-

Nicht erforderlich ist, dass der shadow director seinen Einfluss im Verborgenen ausübt, vgl. Secretary of State for Trade and Industry v. Deverell [2001] Ch. 340, 355. 118 Oben A.III.2. 119 Vgl. auch § 5 E.I., S. 143 f. 120 Siehe auch § 5 E.I., S. 144 f.

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

tung) zuzuordnen ist.121 Eine Innenhaftung hat den Vorteil, dass ein Wettlauf auf das begrenzte Privatvermögen der Geschäftsleiter vermieden wird. Dem steht als Nachteil gegenüber, dass einzelne (mittelbar) Geschädigte den Anspruch nicht mehr individuell geltend machen können oder – wenn ihnen eine Prozessstandschaft eingeräumt wird122 – daran kein ausreichendes Eigeninteresse haben.123 In jedem Fall kommt eine Innenhaftung nur in Betracht, wenn eine Pflichtverletzung das Gesellschaftsvermögen mindert. Bei deliktischen Handlungen gegenüber Außenstehenden, aber auch bei Individualschäden von (Minderheits-)Gesellschaftern ist dagegen ein unmittelbar durchzusetzender Direktanspruch gegen die Geschäftsleiter geboten.

4. Regelung in der Satzung Es bleibt zu klären, ob die Gesellschafter die Haftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft modifizieren, sie insbesondere mildern können sollten. Eine solche Regelung kann sich nur auf die privatrechtliche Haftung der Geschäftsleiter auf Schadensersatz oder Gewinnauskehr beziehen. Verschiedene Rechtsordnungen beantworten die Frage unterschiedlich.124 Wertungsmäßig steht sie der nach dem zwingenden Charakter der zugehörigen Pflichten nahe.125 Gegen eine Haftungsbeschränkung wäre nichts einzuwenden, soweit sie nur die Gesellschafter berühren würde. Folgt man allerdings den oben angestellten Erwägungen, so dienen die Pflichten der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft auch dem Schutz von Minderheitsgesellschaftern, Gläubigern oder anderen Dritten.126 Namentlich die Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter richtet sich nicht zuletzt gegen wertmindernde Begünstigungen der Mehrheit und eine Insolvenz der Gesellschaft. Auf den ersten Blick erschiene es ungereimt, wenn die Gründer oder eine satzungsändernde Mehrheit den Schutz von Minderheitsgesellschaftern und Dritten schmälern könnten, indem sie die gesetzlich vorgesehenen Sanktionen einschränken. Andererseits kann es

121 Zur Geltendmachung durch Gesellschafter § 3 B.V.1.b), S. 58 f. 122 Zur Prozessstandschaft der Gesellschafter § 3 B.V.1.b), S. 58 f; der Gläubiger § 5 C.III.3.a), S. 129 f. Eine dem § 93 Abs. 5 AktG entsprechende Regelung trifft Art. 240 Ley de Sociedades de Capital auch für die geschlossene Kapitalgesellschaft. 123 Siehe Schmolke, ZGR 2011, 398, 406 f zu den schwachen Anreizen von Aktionären, Ansprüche von Publikumsgesellschaften geltend zu machen. Wegen des typischerweise kleineren Gesellschafterkreises ist diese Hürde bei der geschlossenen Kapitalgesellschaft niedriger. Für Gläubiger können aber entsprechende Hindernisse bestehen. 124 Im US-amerikanischen Recht kann die Haftung für Sorgfaltsverstöße abbedungen werden, nicht aber die Rechtsfolgen einer Treuepflichtverletzung, vgl. § 102(b)(7) Del. Gen. Corp. L.; § 110(g) ULLCA 2006; noch weiter geht § 1101(e) Del. LLC Act (Unabdingbarkeit der Haftung nur für bösgläubige Verletzung der Pflicht zu good faith and fair dealing). Hingegen schließen das englische und französische Recht jede satzungsmäßige Haftungsbeschränkung aus, Sec. 232(1)–(3) Companies Act 2006; Art. L. 223-22 Abs. 4 C.com. Zur umstrittenen deutschen Rechtslage Fleischer, BB 2011, 2435. 125 Zur Abdingbarkeit der Treuepflicht oben B.II.5.c). 126 Hierzu unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes auch § 5 C.III.3.a), S. 128 ff.

B. Einzelne Regelungsfragen

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nachvollziehbare Gründe geben, die Haftung eines Geschäftsleiters in der Satzung regeln zu wollen. Um gesetzlichen und richterlichen Fehlgriffen vorzubeugen, sollte man die Gestaltungsfreiheit nicht ohne Not opfern.127 Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Sorgfaltspflicht auf die Steigerung des Gesamtunternehmenswertes als dem – in der Regel – gemeinsamen Interesse aller Unternehmensbeteiligten richtet. Als Residualeigentümer sind die Gesellschafter von Pflichtverletzungen der Geschäftsleiter zumeist vorrangig betroffen. Wenn sie die Haftung mildern, berührt dies zwar nicht ausschließlich, aber doch in erster Linie ihre eigenen Belange. Die Gesellschafter können daher in guter Näherung als Interessenrepräsentanten aller Unternehmensbeteiligten gelten. Dies rechtfertigt es, den Gesellschaftern grundsätzlich die Möglichkeit einzuräumen, die Geschäftsleiterhaftung mit Wirkung für alle Beteiligten zu regeln. Zu kurz griffe es hingegen, wenn die Gesellschafter Ansprüche gegen die Geschäftsleiter nur beschränken könnten, soweit nicht die Gläubiger zu ihrer Befriedigung auf sie angewiesen sind. Da die Geschäftsleiter eine Insolvenz nie mit Sicherheit ausschließen können, wäre eine Haftungsbeschränkung für sie entwertet, wenn sie diesen Fall nicht abdecken würde.128

Die soeben entwickelte Begründung bezieht sich auf die allgemeine Sorgfaltspflicht der Geschäftsleiter. Sie trägt nicht, wenn besonders geregelte Pflichten gerade den Schutz Dritter bezwecken. Insoweit sind die Gesellschafter nicht mehr selbst betroffen, ja die Pflichterfüllung liefe vielleicht sogar ihren Interessen zuwider wie bei der Begrenzung von Ausschüttungen; die Belange der übrigen Unternehmensbeteiligten repräsentieren sie in diesem Fall nicht. Obwohl aus der Sorgfaltspflicht abgeleitet, gilt dasselbe für die Legalitätspflicht, also das Gebot, beim Handeln für die Gesellschaft deren gesetzliche Pflichten einzuhalten.129 Erst recht scheidet eine Haftungsbeschränkung in der Satzung natürlich aus, soweit es nicht um Forderungen der Gesellschaft, sondern um individuelle Schadensersatzansprüche Dritter geht. Schließlich wäre es wenig stimmig, wenn die Satzung zwar die Treuepflicht nicht generell abbedingen,130 aber mit gleicher Wirkung die Haftung schlechthin ausschließen könnte. Entsprechend dem oben vorgeschlagenen Kompromiss sollten die Gesellschafter die Rechtsfolgen für bestimmte Interessenkonflikte jedoch abwandeln können. Zumindest in der Nähe der Treuepflicht ist die weitere Frage anzusiedeln, ob die Gesellschafter die Haftung für vorsätzliche Pflichtverstöße erlassen können sollten. Eine vorsätzliche Schädigung beruht zumeist ebenfalls auf einer atypischen An-

127 Zum Vorrang abdingbarer gesetzlicher Regelungen § 2 C.III.1., S. 16 ff. 128 Die entsprechende Einschränkung in §§ 9b, 43 Abs. 3 S. 2 GmbHG betrifft denn auch nur bestimmte, spezifisch gläubigerschützende Pflichten. 129 Zur Legalitätspflicht oben Fn. 71 und zugehöriger Text. Dagegen unterbinden die USamerikanischen Gesellschaftsrechte einen Haftungsausschluss nur bei vorsätzlichen Gesetzesverstößen, § 102(b)(7)(ii) Del. Gen. Corp. L.; noch großzügiger § 110(g)(5) ULLCA 2006 (nur vorsätzliche strafrechtliche Verstöße). 130 Dazu oben B.II.5.c).

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§ 4 Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft

reizlage, sei es dem Desinteresse des Geschäftsleiters in einer besonderen Situation, sei es einem rechtlich nicht greifbaren Interessenkonflikt. Aus demselben Grund wie die Treuepflicht sollte deshalb die Vorsatzhaftung nicht ausgeschlossen werden können.131

C. Ergebnisse 1. Die Geschäftsleitung der geschlossenen Kapitalgesellschaft erfüllt drei Funktionen: Sie erlaubt erstens den Gesellschaftern, die Unternehmensführung besonders befähigten Personen zu übertragen. Als Ausfluss dieser Funktion dient die Geschäftsleitung zweitens als vorrangiges Handlungsorgan der Gesellschaft. Drittens kann die Geschäftsleitung eingesetzt werden, um die Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten gegenüber den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaftermehrheit zu wahren. 2. Die Stellung als gesellschaftsrechtliches Organ (statt als vertraglicher Geschäftsbesorger) verdankt die Geschäftsleitung vor allem ihrer Funktion als Angelpunkt zwischen den Interessen der Gesellschafter und anderer Unternehmensbeteiligter. Die Verselbständigung der Geschäftsleitung nutzt dabei mittelbar auch den Gesellschaftern: Sie rechtfertigt es, die Anteilseigner von der Gefahr einer Haftung für Pflichtverletzungen zu befreien. Zudem kann es das Vertrauen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten in die geschlossene Kapitalgesellschaft fördern, wenn die Geschäftsleiter als Sachwalter von deren Interessen eingesetzt werden. 3. In welchem Umfang die Geschäftsleiter die Interessen von Minderheitsgesellschaftern und Dritten zu wahren haben, ist differenziert zu beantworten: Soweit sich justitiable Verhaltenspflichten insbesondere zugunsten Dritter aufstellen lassen, können sie den Geschäftsleitern auferlegt werden. Über eine solche Pflichtenbindung hinaus sollte das Gesetz die Geschäftsleitung nicht als neutralen Interessenmittler konzipieren. Den Gesellschaftern selbst steht es hingegen offen, die Geschäftsleitung beispielsweise von Weisungen freizustellen und gegen Abberufung zu sichern, um einen weiter gehenden Ausgleich widerstreitender Interessen zu ermöglichen. 4. Als vorrangigem Handlungsorgan sollte der Geschäftsleitung die Außenvertretung der geschlossenen Kapitalgesellschaft zwingend zugewiesen sein. Die Geschäftsleiter sollten für alle Angelegenheiten zuständig sein, soweit sie nicht durch Gesetz oder Satzung den Gesellschaftern vorbehalten sind. Zugleich sollte der Gesellschafterversammlung aber als gesetzliche Ausgangsregel ein Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsleitung zustehen. Vorbehaltlich des Minderheitenschutzes und der von den Geschäftsleitern zu erfüllenden Pflichten sollte die Kompetenzordnung in der Satzung frei geregelt werden können.

131 So auch § 276 Abs. 3 BGB; § 102(b)(7)(ii) Del. Gen. Corp. L.; § 110(g)(4) ULLCA 2006; im Ergebnis wohl auch § 1101(c) (Vorbehalt für good faith and fair dealing, vgl. oben Fn. 97).

C. Ergebnisse

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5. Die Geschäftsleiter unterliegen einer allgemeinen Sorgfaltspflicht gegenüber der Gesellschaft. Zugleich steht ihnen jedoch ein breiter Spielraum unternehmerischen Ermessens zu, so dass der Sorgfaltspflicht nur in offensichtlichen Fällen konkrete Vorgaben für die Geschäftsführung zu entnehmen sind. Dies gilt richtigerweise auch, soweit Entscheidungen die Interessen von Minderheitsgesellschaftern oder Dritten in besonderem Maße berühren wie beispielsweise in einer Unternehmenskrise. Das unternehmerische Ermessen sollte sich auch auf weitere generalklauselartige Tatbestände wie die Gleichbehandlung von Gesellschaftern erstrecken. Eine strengere Pflichtenbindung ergibt sich nur aus besonderen Einzeltatbeständen, etwa der Buchführungspflicht, Ausschüttungssperren, einer Insolvenzantragspflicht usw. 6. Zu einer erfolgreichen Führung des Unternehmens angehalten werden die Geschäftsleiter vor allem über indirekte Verhaltensanreize. Wichtigstes Druckmittel der Gesellschafter ist das Recht zur Abberufung. Dennoch sollte es den Gesellschaftern weitgehend freistehen, dieses Recht in der Satzung einzuschränken. 7. Das Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft sollte Interessenkonflikten begegnen, insbesondere über die Treuepflicht (Loyalitätspflicht) der Geschäftsleiter. Die wichtigsten Fälle solcher Interessenkonflikte sollten gesetzlich besonders geregelt werden. Darüber hinaus empfiehlt sich eine gesetzliche Regelung, wie Interessenkonflikte in jedem Fall vermieden werden können, typischerweise durch Befassung der Gesellschafterversammlung (safe harbor). Die Gesellschafter können die allgemeine Treuepflicht nicht pauschal abbedingen. Hingegen sollten die Gesellschafter den Umgang mit bestimmten Interessenkonflikten und die Art ihrer Vermeidung regeln dürfen. 8. Eine Pflichtverletzung führt privatrechtlich vor allem zur Haftung auf Schadensersatz. Daneben sollten straf- und verwaltungsrechtliche Sanktionen einschließlich einer Disqualifikation treten. Haftungsadressaten können über die eigentlichen Geschäftsleiter hinaus weitere Personen sein, insbesondere die Gesellschafter. Dies ist anzunehmen, wenn die Gesellschafter im konkreten Fall die Einhaltung der Pflicht verhindert haben. Dafür spricht eine widerlegliche Vermutung, wenn sich Gesellschafter ständig und in erheblichem Maße in die Geschäftsführung einmischen. Die privatrechtliche Haftung der Geschäftsleiter gegenüber der Gesellschaft sollte grundsätzlich in der Satzung modifiziert und gemildert werden können. Eine Ausnahme gilt für besonders geregelte Pflichten zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern oder Dritten.

§5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft* A. Die beschränkte Haftung – Privileg oder Ausdruck der Privatautonomie I. Die Haftungsbeschränkung – nicht Wesensmerkmal, sondern rechtspolitisches Gestaltungselement Die beschränkte Haftung der Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft gehört zu den prägenden Merkmalen der (geschlossenen) Kapitalgesellschaft. Sie findet sich bei den Aktiengesellschaften und GmbH (sowie deren Verwandten auf dem europäischen Kontinent) ebenso wie bei der britischen company limited by shares oder der US-corporation. Eine rechtspolitische (Neu-)Konzeption des Gläubigerschutzes in der Kapitalgesellschaft darf nicht davon ausgehen, dass die Haftungsbeschränkung ein zwingendes und damit der rechtspolitischen Diskussion vorgegebenes Wesensmerkmal der juristischen Person im Allgemeinen oder der Kapitalgesellschaft im Besonderen bildet.1 Auch wird man nicht bei der juristischen Person oder auch nur bei der Kapitalgesellschaft die beschränkte Haftung der Mitglieder für eine vorgesetzliche natürliche Regel halten und den Durchgriff auf Teilhaber oder Organmitglieder zur rechtfertigungsbedürftigen Ausnahme erklären können. Zwar legt die Qualifikation bestimmter (unternehmerischer) Rechtsgebilde als juristischer Personen es auf den ersten Blick nahe, sämtliche durch ihre Tätigkeit hervorgerufenen Schuldverhältnisse in erster Linie ihr selbst und nicht ihren Mitgliedern oder den für sie handelnden natürlichen Personen zuzuordnen. Doch sagt dies nichts über Grund und Umfang einer Haftung von Gesellschaftern und Handelnden aus. Vielmehr zeigt ein Blick in Rechtsgeschichte und Rechtsvergleichung die Kurzschlüssigkeit dieser Annahme. Aus der Sicht der deutschen Rechtstradition hat sich gerade in jüngerer Zeit die Differenzierung zwischen der juristischen Person einerseits und der auf ihre Teilhaber bezogenen Gesamthand sowie weiteren nicht-inkorporierten Personenverbänden andererseits als fragwürdig herausgestellt. Die selbständige Rechtsträgerschaft war für die Personengesellschaften des Handelsrechts schon immer in § 124 HGB angeordnet und ist dennoch mit der vollen persönlichen Haftung der Mitglieder verbunden; umgekehrt belegte die langjährige Rechtspraxis zum nichtrechtsfähigen Idealverein, dass das Fehlen der förmlichen Rechtsfähigkeit einer Körperschaft nicht notwendig die persönliche Haftung der Mitglieder nach sich zieht. Spätestens seit dem Siegeszug der übergreifenden Kategorie des selbständigen „Rechtsträgers“ in der Zivilrechtsdogmatik, der alle gesamthänderischen Personengesellschaften wie die GbR oder die OHG * Der Text beruht auf einem Entwurf von Schön. 1 Ausführlich Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 8 ff; Voraussetzung für die beschränkte Haftung ist allerdings die Bildung eines Sondervermögens (Dubarry/Flume, ZEuP 2012, 128 zum Einzelkaufmann mit beschränkter Haftung).

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ebenso wie Vereine oder Kapitalgesellschaften einschließt und jeweils den Personenverband zum Fokalpunkt der Rechtsverhältnisse erklärt,2 lassen sich aus der Dichotomie zwischen der juristischen Person und der Gesamthand für die Haftungslage der Gesellschafter (oder der Handelnden) keine unmittelbaren Schlüsse ziehen. Aber auch umgekehrt gilt: Dass schon der historische Gesetzgeber des GmbH-Gesetzes die Frage nach der Qualifikation der Gesellschaft mit beschränkter Haftung als „juristischer Person“ der Wissenschaft überließ,3 zeigt, dass die Haftungsbeschränkung als solche nicht zwingend mit der Kategorie der juristischen Person verbunden ist. Aus rechtsvergleichender Sicht verstärkt sich für die Personenhandelsgesellschaften die Skepsis gegenüber „natürlichen“ oder „logischen“ Vorgaben zum Thema der Haftungsbeschränkung durch einen Blick auf den romanischen Rechtskreis, der diese schon immer der Kategorie der „personne morale“ unterwirft, ohne dass diese Einordnung an der persönlichen Haftung der Teilhaber etwas ändern würde; aus der Sicht des britischen Rechtskreises findet sich schließlich unter den Urformen der Kapitalgesellschaft neben der company limited by shares mit beschränkter Haftung die unlimited company mit unbeschränkter Haftung der Gesellschafter, ohne dass hinsichtlich der Rechtsfähigkeit der company im Außenverhältnis differenziert würde;4 hinzu tritt in der neueren britischen und US-amerikanischen Gesellschaftsrechtsgesetzgebung die limited liability partnership, die mit Rücksicht auf ihr flexibel gestaltbares Innenverhältnis und den Vorrang der Selbstorganschaft als Personengesellschaft gilt und dennoch (anders als die deutsche Kommanditgesellschaft oder Partnerschaftsgesellschaft) keinen ihrer Gesellschafter einer unbeschränkten persönlichen Haftung aussetzt.5 In der Gestaltungspraxis steht diese LLP wiederum phänotypisch der als „legal person“ kategorisierten limited liability corporation (LLC) des US-Rechts nahe; 6 vor dem Hintergrund dieser Formenvielfalt verlieren begriffliche oder sonst kategoriale Vorgaben weitgehend ihren Nutzwert. Wer europäisches Gesellschaftsrecht in den Blick nimmt, wird zwei weitere Beispiele für die Unbrauchbarkeit dogmatischer Kategorien geben können: Die Gleichgültigkeit der EWIV-VO gegenüber der Qualifikation der EWIV als juristische Person oder Personengesellschaft (sie überlässt diese Zuordnungsfrage in Art. 15 EWIVVO leichthin den Mitgliedstaaten) oder auch das rechtspolitische Programm der Einpersonengesellschafts-Richtlinie, die den Mitgliedstaaten zwar verpflichtend aufgibt, für Einzelunternehmer eine Rechtsform mit beschränkter Haftung einzuführen, aber dabei nicht darauf Wert legt, ob diese als eigenständige juristische Person oder haftungsbeschränktes Sondervermögen des Unternehmers ausgestaltet wird.7

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K. Schmidt, AcP 209 (2009), 181. Nachweise bei Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einleitung Rdn. 6 f. Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, 8. Aufl., 2008, I – 13. Gower/Davies, aaO (Fn. 4), I – 3. Siehe Sec. 104 (a) Revised Uniform Limited Liability Company Act 2006; zur vertraglichen Kontrolle der managers und members in der Delaware LLC: Di Matteo, 46 Am. Bus. L. J. 279 (2009). 7 Schön, RabelsZ 64 (2000), 1.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Maßgeblich für das Design des Gläubigerschutzes im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft müssen daher die wirtschaftliche Funktion der Rechtsform einerseits und die Wahrung der involvierten Interessen andererseits sein. Dabei wird man – wie auch zu anderen Themenstellungen – fragen müssen, ob und in welchem Umfang Grundlage und Ausgestaltung des Schutzes den betroffenen Personen zur privatautonomen Verhandlung und Gestaltung überlassen bleiben können.

II. Die Funktion der Haftungsbeschränkung in der geschlossenen Kapitalgesellschaft Die Funktion der Haftungsbeschränkung in der geschlossenen Kapitalgesellschaft unterscheidet sich graduell, aber nicht prinzipiell von der Funktion der Haftungsbeschränkung in der Publikums-Kapitalgesellschaft. Es geht in beiden Fällen um den Anreiz für Investoren, einen begrenzten Teil des eigenen Vermögens in ein (riskantes) Projekt zu investieren, ohne im Falle des Misserfolgs mit dem gesamten Restvermögen für die entstandenen Verbindlichkeiten einstehen zu müssen.8 Damit erweitert die geschlossene Kapitalgesellschaft gezielt den Kreis der möglichen Investitionsformen; andernfalls würden bestimmte volkswirtschaftlich erwünschte Investitionen möglicherweise unterbleiben. Der wesentliche Unterschied zur Publikumsgesellschaft liegt in der typologischen Annahme, dass dort die Investoren des allgemeinen Kapitalmarkts (Portfolio-Aktionäre und institutionelle Anleger) nicht zugleich als Mitglieder der Geschäftsführung agieren und auch nicht jeweils in einem Umfang am stimmberechtigten Kapital beteiligt sind, der ihnen kraft ihrer mitgliedschaftlichen Mitwirkungs- und Informationsrechte einen nennenswerten Einfluss auf die operative Geschäftsführung der Gesellschaft sichert. Demgegenüber kann in einer geschlossenen Kapitalgesellschaft regelmäßig angenommen werden, dass alle oder einige Gesellschafter entweder persönlich die Aufgabe der Geschäftsleitung wahrnehmen oder zumindest im Rahmen einer Gesellschafterversammlung oder anderer Organe (Aufsichtsräte, Beiräte etc.) substanziell auf das operative Geschäft Einfluss nehmen können. Dieser organschaftlich oder mitgliedschaftlich begründete Einfluss der Gesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft stellt allerdings deren grundsätzliches Bedürfnis nach einer haftungsbeschränkten Rechtsform nicht in Frage. Andernfalls wären weder die Erfindung noch der Siegeszug der GmbH in der Welt zu erklären.9 Eine Notwendigkeit, in „eigentümergeführten“ Unternehmen generell die Haftungsbeschränkung zu problematisieren, ist empirisch nicht begründet. Daher können auch allgemein gehaltene Räsonnements über einen Gleichlauf von Herrschaft und Haf-

8 Haas, Gutachten E zum 66. DJT 2006, S. E 13; Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 281 ff; siehe auch EuGH NZG 2011, 183, 185 ff Rdn. 47 ff – C-81/09 (Idryma Typou) zur unbeschränkten Haftung als Hindernis der wirtschaftlichen Entfaltung im Binnenmarkt sowie Pfennig, Gläubigerschutz bei der Europäischen Privatgesellschaft, 2011, S. 42 f. 9 Näher Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 210 ff; Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 31 ff.

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tung,10 der kontrollierenden Gesellschaftern tendenziell die Befugnis zur Haftungsbeschränkung entziehen würde, nicht überzeugen. Die typischen Fallgruppen der close company, nämlich die Familiengesellschaft, das joint venture, die Konzerntochtergesellschaft oder die start-up-company leben von der Kombination aus Haftungsbeschränkung und Steuerungsmöglichkeit der Gesellschafter und haben sich nicht als prinzipiell wohlfahrtsschädlich erwiesen.11 Die klare Entscheidung des europäischen Gesellschaftsrechts für die Einpersonen-GmbH unterstreicht die rechtspolitische Sinnhaftigkeit der close company mit Nachdruck. Daher kann die Grundfrage des Gläubigerschutzes in der geschlossenen Kapitalgesellschaft nicht auf das Ob einer Haftungsbeschränkung in geschlossenen Gesellschaften, sondern nur auf das Wie ihrer Ausgestaltung, insbesondere der Eindämmung opportunistischen Verhaltens der Mitglieder und Geschäftsleiter der Gesellschaft gegenüber den Gläubigern, gerichtet sein.

III. Die Haftungsbeschränkung – ein „Privileg“? So wenig man davon ausgehen darf, dass in der juristischen Person die persönliche Haftung der Beteiligten eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme bildet, so wenig leuchtet es umgekehrt ein, die Haftungsbeschränkung einer Gesellschaftsform als „Privileg“12 zu deuten, das „verdient“ oder „erkauft“ werden müsse. Mit der rechtspolitischen Entwicklung des gesetzlichen Rahmens der juristischen Personen weg vom Konzessionssystem hin zum System der Normativbestimmungen in allen relevanten Gesellschaftsrechtsordnungen ist der Ausnahmecharakter der Gründung einer juristischen Person (durch royal charter oder einen vergleichbaren Genehmigungsakt) entfallen und ist seither die Gründung einer juristischen Person als selbstverständlicher Ausdruck der Privatautonomie (konkret aus deutscher Sicht: der Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 1 GG) akzeptiert. Damit steht auch fest, dass diese Gründung nicht an Pseudo-Gegenleistungen der Gründer geknüpft werden darf. Im Europäischen Recht hat die Einpersonengesellschafts-RL aus dem Jahre 1989 diese Haltung auch für die GmbH mit nur einem Gesellschafter bekräftigt. Beispielhaft ist dieser Gedanke schließlich in der Gesellschaftsteuer-RL der Europäischen Union formuliert, die lediglich die Entrichtung der kostenbezogenen Gebühren für den Handelsregistereintrag als fiskalische Schranke der Eintragung zulässt. Die Vorstellung eines weitergehenden „Eintrittsgeldes“ für Gesellschaftsgründer oder einer anderen Zusatzleistung ist damit nicht vereinbar. Daher ist auch die Annahme, eine Haftungsbeschränkung müsse durch die Aufbringung eines Mindestkapitals erkauft13 oder durch die Bereitschaft zur Offenlegung 10 Dagegen auch Spindler, JZ 2006, 839, 840; Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 18 ff; zur Diskussion in den 30er Jahren siehe Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 88. 11 McCahery/Vermeulen, Corporate Governance of Non-Listed Companies, 2008, S. 6 ff, 24 ff. 12 Zuletzt Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009, S. 294 ff. 13 Lutter, in: Lutter, Das Kapital der Aktiengesellschaft in Europa, 2006, S. 1, 4.

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von Unternehmensdaten (disclosure) erdient werden, dann nicht akzeptabel, wenn damit die Vorstellung einer Gegenleistung für ein kostspieliges Privileg verbunden ist. Mindestkapital oder Unternehmenspublizität werden vielfach für sachlich gerechtfertigt erachtet, um konkreten Schutzanliegen der Gesellschaftsgläubiger oder anderer Personen gerecht zu werden;14 die Haftungsbeschränkung als solche verlangt jedenfalls nicht per se nach einer Gegenleistung der Gesellschaftsgründer. Daraus folgt auch, dass Forderungen nach einem „Durchgriff“ der Gläubiger auf die Gesellschafter nicht mit dem Gedanken gerechtfertigt sein können, deren „Haftungsprivileg“ stünde im Synallagma zu einem bestimmten Wohlverhalten der Gesellschafter. Jedes veil piercing15 setzt konkrete Haftungsbedürfnisse der Gläubiger voraus, die aus spezifischem Verhalten der Geschäftsführer und Gesellschafter resultieren, und muss in seinen Rechtsfolgen auf diese Bedürfnisse zugeschnitten werden. Vor diesem Hintergrund wird der „Durchgriff“ in den folgenden Betrachtungen nicht als eigenständiges Rechtsinstitut analysiert; vielmehr werden die betroffenen Fallgruppen im jeweiligen Sachzusammenhang erörtert.

IV. Die Haftungsbeschränkung als Gegenstand der Privatautonomie Bei genauer Betrachtung stellt sich das Thema der haftungsbeschränkten Rechtsformen aus der Sicht der Privatautonomie der Gründer als ambivalent dar. Ausgangspunkt ist der Umstand, dass sich in keiner traditionellen Jurisdiktion das Prinzip der freien Körperschaftsbildung i.S. einer völligen Gestaltungsfreiheit für Verbandsgründer findet, sondern dass jeweils ein numerus clausus der Gesellschaftsformen zur Verfügung gestellt wird, verbunden mit einem – je nach Rechtsform und Rechtstradition – unterschiedlich scharf ausgeprägtem Typenzwang.16 Vor diesem Hintergrund kann man einerseits gesetzliche Vorschriften über haftungsbeschränkte unternehmerische Einheiten als enabling oder facilitating law einordnen, d.h. als Regeln, die den Zugang zu bestimmten vorteilhaften rechtlichen Strukturen überhaupt erst ermöglichen. In diesem Sinne kann man die gesetzlich vorgestalteten Gesellschaftsformen als Angebot der jeweiligen Rechtsordnung verstehen, den rechtlichen Handlungsspielraum der natürlichen Personen zu erweitern und ihnen namentlich die Option einer (kollektiven oder – bei der Einpersonen-Gesellschaft – individuellen) Haftungsbeschränkung zur Verfügung zu stellen. Andererseits kann man den numerus clausus und Typenzwang einer Rechtsordnung als Ausdruck einer tiefer liegenden Verbotsnorm verstehen, welche die freie Ausgestaltung haftungsbeschränkter Rechtsformen durch die Gründer behindert. Der numerus clausus sichert aus diesem Blickwinkel mittelbar einen Kernbereich zwingenden Rechts im Rahmen der jeweiligen gesetzlich offerierten Gesellschaftsfor14 Dazu unten H.II. 15 Überblick bei Merkt/Spindler, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 207. 16 Zum Typenzwang im deutschen Gesellschaftsrecht siehe K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl., 2002, S. 96 ff.

A. Die beschränkte Haftung – Privileg oder Ausdruck der Privatautonomie

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men und steht einer freien Körperschaftsbildung auf ausschließlich privatautonomer Grundlage entgegen. Seine Wirkungen ähneln denen des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die ein bestimmtes „Leitbild“ vorgeben und damit einerseits Transaktionskosten senken, aber andererseits Freiräume beschränken. Aus der Sicht des deutschen Rechts ist die Problematik der ermöglichenden und verbietenden Grundstruktur einer Gesellschaftsrechtsordnung am Beispiel der freien Schaffung einer „Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung“ diskutiert worden.17 In Frage stand, ob die Gesellschafter einer Gesamthandsgesellschaft nach § 705 BGB durch Erklärungen an die Öffentlichkeit, durch Begrenzung der organschaftlichen Vertretungsmacht der geschäftsführenden Gesellschafter sowie durch typisierte inhaltliche Vorgaben für Rechtsgeschäfte mit Dritten eine haftungsbeschränkte Rechtsform neben den etablierten Gesellschaftsformen des Gesetzesrechts etablieren können. Der Bundesgerichtshof hielt dies für unzulässig 18 – und mit Recht. Eine frei gestaltete Haftungsbegrenzung in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts würde sämtliche zwingenden Regeln in Frage stellen, die der supranationale oder nationale Gesetzgeber mit Rücksicht auf den Schutz Dritter eingeführt hat, z.B. die Regeln über Publizität, Vertretungsmacht, Kapitalaufbringung und -erhaltung, Verwaltungspflichten, Insolvenzantragspflichten und so fort. Die Haftungsbeschränkung würde aus dem System der korrespondierenden Normen herausgebrochen. Wenn und soweit das gesetzliche Gesellschaftsrecht im Rahmen der angebotenen Rechtsformen zwingendes Recht etabliert, ist eben auch der numerus clausus legitimiert, der eine breitflächige Sicherung der jeweiligen zwingenden Rahmenbedingungen für den Gläubigerschutz in einer bestimmten Rechtsform anordnet. Dies wirft auch ein Licht auf eine weitere spezifische Komponente der Privatautonomie, nämlich die freie Wahl des anwendbaren Rechts. Gerade unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes hat sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Frage immer wieder entzündet, in welchem Umfang die Mitgliedstaaten der Europäischen Union ihre spezifischen gesetzgeberischen Festlegungen über Art und Umfang des Gläubigerschutzes auf ausländische Rechtsformen ausdehnen können, in denen sich Unternehmen auf ihrem Hoheitsgebiet betätigen.19 Mit der Zulassung ausländischer Rechtsformen nach Maßgabe der Gründungstheorie erweitert sich schlagartig die Zahl der im Inland verfügbaren Rechtsformen, so dass auch die Entscheidungen anderer Gesetzgeber für Niveau und Technik des Gläubigerschutzes im Inland Maßgeblichkeit gewinnen. Dies macht den engen Zusammenhang zwischen Privatautonomie und objektiv-rechtlichem Schutzniveau einmal mehr deutlich. Schließlich muss aus der Sicht der Privatautonomie auch beachtet werden, dass sich die gesetzliche Struktur von Rechtsformen und die individuelle Ausgestaltung eines Vertragsverhältnisses mit einem Gläubiger nicht notwendig widersprechen, sondern in aller Regel fruchtbar ergänzen können. Eine privatautonome Ausgestaltung

17 K. Schmidt, aaO (Fn. 16), S. 1794 ff. 18 BGHZ 142, 315. 19 Eidenmüller, FS Heldrich, 2005, S. 581, 585 ff.

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vermag die Haftung über das Gesellschaftervermögen hinaus zu erweitern (etwa durch Gesellschafterbürgschaften) oder auf einzelne Teile des Gesellschaftsvermögens zu begrenzen (etwa durch Individualvertrag mit einem einzelnen Gläubiger). Bei dieser Betrachtung wird deutlich, dass mit jeder Wahl einer Rechtsform auch ein „kollektivvertragliches“ Element verbunden ist: die Gründer entscheiden sich für eine Rechtsform als „Standardvertrag“ mit Dritten, die je nach Wunsch der Beteiligten im Rahmen des zwingenden Rechts durch „Individualabreden“ ergänzt werden kann. Daher soll der nachstehenden Analyse die Annahme zugrunde gelegt werden, dass die objektivrechtlichen Vorgaben des Gesellschaftsrechts einen teils dispositiven, teils verbindlichen „Standardvertrag“ zwischen Gründern/Gesellschaftern und Gläubigern bieten. Die Existenz eines solchen von dispositivem und zwingendem Recht geprägten „Standardvertrages“ bietet zugleich die Gewähr, dass sich die Gerichte nicht voreilig aufgefordert sehen, den im konkreten Fall für nötig gehaltenen Schutz einzelner Gruppen durch allgemeine Rechtsinstitute („Durchgriff“, „Missbrauch“) zu substituieren.20 Je mehr institutionelle Regeln das Gesetz den Gläubigern anbietet, umso weniger Erfolg verheißt der Rekurs auf richterliche Generalklauseln.

B. Die Funktion der Regeln zur Bildung eines Sondervermögens und zur Haftungsbeschränkung für verschiedene Gläubigergruppen I. Adjusting und Non-Adjusting Creditors Es ist allgemein anerkannt, dass die gesetzlichen Regeln zur Haftungsbeschränkung je nach der Person des Gläubigers und dem Rechtsgrund seiner Ansprüche unterschiedliche Funktionen besitzen. Als Analyserahmen wird regelmäßig die von Bebchuk/ Fried begründete Distinktion zwischen adjusting und non-adjusting creditors verwendet, welche die Schutzwürdigkeit von Gläubigern danach beurteilt, ob und in welchem Umfang sie in der Lage sind, die Befriedigung ihrer Ansprüche vertraglich sicherzustellen.21 Das Paradigma für einen adjusting creditor bildet die Hausbank des Schuldners, die mit überlegenem Wissen und faktischer Durchsetzungskraft eine weitgehende Sicherung ihrer Ansprüche oder entsprechende Risikoprämien durchsetzen kann. Dem stehen als non-adjusting creditors insbesondere die Deliktsgläubiger gegenüber, die unfreiwillig und ohne Verhandlungen in die Gläubigersituation geraten, aber auch andere gesetzliche Gläubiger oder wirtschaftlich schwache Vertragspartner (namentlich Arbeitnehmer oder kleine Lieferanten und Handwerker), denen einerseits wirtschaftlich nicht zumutbar ist, von einem Vertragsschluss mit der haf-

20 Böckmann, Gläubigerschutz bei GmbH und close corporation, 2005, S. 317 ff. 21 Näher Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman/Armour/Davies/Enriques/Hansmann/Hertig/Hopt/Kanda/Rock, The Anatomy of Corporate Law: A Comparative and Functional Approach, 2. Aufl., 2009, S. 115, 120 f; kritisch zu dieser Differenzierung Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 42 ff.

B. Die Funktion der Regeln zur Bildung eines Sondervermögens

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tungsbeschränkten Einheit Abstand zu nehmen, die andererseits aber auch nicht stark genug sind, ausgeglichene oder jedenfalls für sie passende Vertragsklauseln auszuhandeln.22 Es sprechen gute Gründe dafür, diese Vertragsgläubiger durch gruppenspezifische Schutznormen außerhalb des Gesellschaftsrechts abzusichern, wie dies für Arbeitnehmer beispielhaft durch Insolvenzvorrechte, Pensionssicherung und andere Instrumente geschehen ist. Vielfach wird sich auch durch das Recht zum schlichten Zug-um-Zug-Austausch von Leistungen oder Werkunternehmerpfandrechte ein Mindestschutz ergeben. Hinzu treten weitere gesetzliche Schuldverhältnisse, die aufgrund ihrer jeweiligen Struktur eher als deliktsähnlich oder als vertragsähnlich bezeichnet werden können, z.B. Kondiktionsansprüche, Verbindlichkeiten aus Gefährdungshaftung oder öffentliche-rechtliche Pflichten, z.B. Steuerpflichten. Gerade am Beispiel der Steuerzahlungspflichten zeigt sich allerdings die Ambivalenz des Begriffspaars adjusting/nonadjusting creditors.23 Einerseits erscheint der Staat als der überlegene Gläubiger, der es als Gesetzgeber in der Hand hat, Steuertatbestände frei und ohne Gegenleistung zu formulieren sowie Konkursvorrechte und andere Sicherungen zu etablieren. Andererseits führt die streng dem einheitlichen Vollzug verpflichtete Anwendung des Steuergesetzes nicht dazu, dass die Finanzverwaltung im Einzelfall darüber entscheiden kann, ob ein Steueranspruch zur Entstehung gelangt oder ob sie ihn durchsetzen möchte. Der Staat als Steuergesetzgeber ist daher ein adjusting creditor, die Finanzbehörden im Vollzug sind es nicht. Es spricht daher vieles dafür, diese Fallgestaltungen einer Sonderregelung zu unterwerfen. Dies gilt in vergleichbarer Weise für öffentlich-rechtliche Pflichtbeiträge wie z.B. Sozialversicherungsbeiträge, die einerseits einen Gegenleistungsanspruch begründen (und daher vertragsähnlichen Charakter haben), deren Entstehung und Durchsetzung allerdings nicht schlicht freiwillig erfolgen darf.

II. Das Zurechnungsproblem bei Deliktsgläubigern Schaut man näher hin, so zeigt sich, dass die Differenzierung zwischen anpassungsfähigen und nicht anpassungsfähigen Gläubigern bereits eines als gegeben hinnimmt: die primäre Zuordnung einer Verbindlichkeit zur Gesellschaft (verstanden als Sondervermögen) als solche und damit auch die prinzipiell fehlende persönliche Haftung der Gesellschaftsorgane oder der Gesellschafter selbst. Vor diesem Hintergrund wird dann behandelt, ob es erforderlich ist, bestimmte gesetzliche Ausnahmeregeln über den Schutz des Vermögens der Gesellschaft, den Durchgriff auf die Gesellschafter, die Verhaltenspflichten der Gesellschaftsorgane etc. zu formulieren.

22 Näher: Haas, aaO (Fn. 8), S. E 95 ff; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, The Law and Economics of Creditor Protection – A Transatlantic Perspective, 2008, S. 361, 370 ff. 23 Näher Schön, FS Westermann, 2008, S. 1469; zuletzt Altmeppen, FS Goette, 2011, S. 1; Weiland, DZWiR 2011, 224.

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Gedanklicher Ausgangspunkt der Analyse muss demgegenüber der Umstand sein, dass in der realen Welt Schuldverhältnisse nur durch das Verhalten natürlicher Personen begründet werden können. Traditionell wird ein solches Verhalten mit dem Begriff der „Handlung“ beschrieben, der sowohl tatsächliche als auch rechtsgeschäftliche Maßnahmen einschließt. Sowohl für tatsächliches als auch für rechtsgeschäftliches Verhalten muss in einem ersten Schritt daher die Frage beantwortet werden, ob die Verbindlichkeit (i.S. einer Verantwortung für die Folgen einer Maßnahme) die handelnden Personen selbst treffen soll. Das Deliktsrecht legt diese persönliche Haftung zugrunde, wenn es die Verpflichtung zum Schadensersatz an die persönliche Verletzung fremder Rechtsgüter oder drittgerichteter Verhaltenspflichten knüpft (siehe § 823 Abs. 1 BGB). Die Rechtsgeschäftslehre verlangt dies im Ausgangspunkt ebenfalls, indem der Abschluss von Rechtsgeschäften, soweit diese nicht erkennbar im Namen Dritter vorgenommen werden, den Handelnden bindet (siehe § 164 Abs. 2 BGB). Ein wesentlicher Unterschied zwischen der vertraglichen und der deliktischen Haftung liegt nun zunächst darin, dass bei der vertraglichen Haftung der (offen gelegte) Inhalt des Rechtsgeschäfts die Gesellschaft (oder/und andere natürliche oder juristische Personen) als Träger einer Verbindlichkeit identifiziert und damit das Rechtsgeschäft selbst den gedanklichen Ausgangspunkt für die weiteren Zuordnungsfragen bildet. Demgegenüber ist gerade bei der deliktischen Haftung eine unmittelbare Zuordnung der Verbindlichkeit zur Gesellschaft nicht denkbar. Ausgangspunkt ist vielmehr stets das persönliche Handeln (einschließlich Unterlassen) einer oder mehrerer natürlicher Personen24 und es geht um die zutreffende Zurechnung der eintretenden Folgen an die beteiligten Rechtsträger. Auf der Seite des Deliktsgläubigers ist dabei zu beachten, dass dieser unfreiwillig einer schädigenden Handlung ausgesetzt wird und daher seinen Schaden nicht von Vornherein im Vertrauen auf die persönliche Haftung einer bestimmten Person (der Gesellschaft, der Geschäftsführer oder der Gesellschafter) erleidet. Weder hat der Deliktsgläubiger über die Bedingungen der Forderungsentstehung „verhandeln“ können noch kann er andererseits die Existenz eines bestimmten Haftungsfonds erwarten. Für die Zurechnung von Delikten zu einer juristischen Person ist daher eine rechtspolitische Begründung erforderlich. Diese liegt typischerweise in dem Umstand begründet, dass eine schädigende Handlung in Ausführung einer Tätigkeit vorgenommen wird, deren Erfolg dem Gesellschaftsvermögen zugute kommen soll.25 Daher muss die juristische Person auch die nachteiligen Konsequenzen dieses Handelns internalisieren. Andernfalls bestünde ein Fehlanreiz zum Betrieb extern schadensträchtiger Unternehmungen in inkorporierter Form. Außerordentlich problematisch ist gerade im Deliktsrecht aber die Frage nach einer möglichen Enthaftung der handelnden Personen durch den Verweis auf eine Zurechnung der Verbindlichkeit an die Gesellschaft. Dies ist vor allem dann von Bedeu-

24 Wagner, Münchener Komm. z. BGB, 5. Aufl., 2009, § 823 Rdn. 305 ff; siehe auch § 4 B.II.1.c)bb). 25 Zuletzt ausführlich Gehrlein, FS Hüffer, 2010, S. 205.

C. Vertragliche Gläubiger

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tung, wenn sich die Verhaltenspflichten, gegen die eine Person (durch Tun oder Unterlassen) verstoßen hat, gerade nicht als „Jedermannspflichten“ darstellen, sondern im (unternehmerischen) Geschäftsbereich der Gesellschaft ihre Grundlage finden, z.B. durch den Betrieb gefährlicher Anlagen, den Vertrieb schadhafter Produkte oder die Aufsicht über das Unternehmenspersonal.26 Im Einzelfall ist daher festzustellen, wann eine „privative“ Verlagerung der deliktischen Verbindlichkeit auf die Gesellschaft in Frage kommt und wann eine gesamtschuldnerische Solidarhaftung angemessen erscheint.27 Dies wiederum muss nicht die Frage präjudizieren, ob die handelnde natürliche Person gegenüber der juristischen Person zum Regress berechtigt ist oder umgekehrt die juristische Person die natürliche Person wegen Fehlverhaltens in Anspruch nehmen kann. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage des „Durchgriffs“ auf die Gesellschafter bei individuellen schädigenden Handlungen in erster Linie eine Frage des Deliktsrechts, nicht des Gesellschaftsrechts: Das Deliktsrecht hat darüber zu entscheiden, ob die schädigende Handlung den hinter den Gesellschaftern stehenden Personen mittelbar als „eigenes“ Handeln zugerechnet und daher mit Haftungsfolgen ausgestattet werden kann – etwa weil die Gründung der juristischen Person bereits auf die Verlagerung hoher Risiken auf potentielle Opfer angelegt ist.28 Auf diese Problematik kann in unserem vorwiegend gesellschaftsrechtlichen Kontext nicht ausführlich eingegangen werden.

C. Vertragliche Gläubiger I. Regelungsziele Wenn eine Person gegen eine Kapitalgesellschaft auf vertraglicher Grundlage einen schuldrechtlichen Zahlungs- oder sonstigen Leistungsanspruch erwirbt, so ist dieser Anspruch in aller Regel (abgesehen von dem seltenen Fall der Schenkung) auf eine eigene Leistung des Gläubigers gegründet. Dabei ist zwischen einem Leistungsaustausch Zug-um-Zug und Fällen einer einseitigen Vorleistung zu unterscheiden. Exemplarisch ist die Hingabe eines Darlehens gegen das Versprechen der Rückzahlung des Kapitalbetrages und der Entrichtung von Zinsen oder anderen Entgelten für die zeitlich befristete Kapitalüberlassung. Weitere Fallgestaltungen betreffen Kauf-, Werkoder Dienstleistungen sowie die Überlassung von Sachen zur Nutzung, soweit nicht Leistung und Gegenleistung unmittelbar Zug um Zug ausgetauscht werden, sondern der Gläubiger eine Vorleistung erbringt. Typisch ist für diese Konstellationen, dass

26 Kleindiek, Deliktshaftung und Juristische Person, 1997. 27 Bachmann, in: Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2007, S. 93, 137 ff; siehe beispielhaft BGHZ 166, 84 (Kirch/Breuer). 28 Leebron, 91 Colum. L. Rev. 1565 (1991); Hansmann/Kraakman, 100 Yale L. J. 1879 (1991).

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der Gläubiger während einer bestimmten Zeitspanne einen Wert auf das Gesellschaftsvermögen überträgt und seinerseits darauf angewiesen ist, dass aus diesem Gesellschaftsvermögen die Rückgewähr (Darlehen) oder Gegenleistung (Zinsen und andere Leistungs- oder Lieferungsentgelte) erbracht wird. Hat sich der Gläubiger keine Individualsicherheit ausbedingen lassen (etwa ein Grundpfandrecht an einem der Gesellschaft gehörenden Grundstück oder eine Gesellschafterbürgschaft), so hängt die Bonität dieses Anspruchs wesentlich von der Solvenz der Gesellschaft ab. Der Gläubiger hat also ein Interesse daran, dass diese Solvenz (spätestens im Fälligkeitszeitpunkt) gegeben ist. Aus der Sicht des Gesetzgebers stellt sich die Frage, ob dieses Interesse einen Anlass für (zwingende oder dispositive) gesetzliche Vorschriften bildet. Dies erfordert eine volkswirtschaftliche Würdigung unternehmerischen Handelns. Diese geht davon aus, dass die freiwillige Bündelung von Produktionsfaktoren aus dem Bereich der Unternehmensgründer (Know How, Arbeitskraft, Eigenkapital etc.) und Produktionsfaktoren aus dem Bereich der Gläubiger (Fremdkapital, Vorleistungen von Waren, Werken oder Diensten) zur effizienten Allokation von Ressourcen und damit zu einer Steigerung der Gesamtwohlfahrt führen kann. Daher ist es Aufgabe der Rechtsordnung, einen Rahmen bereitzustellen, der diese Zusammenführung ermöglicht und dabei insbesondere die Kosten für die Unternehmensgründer einerseits und die Kosten für die Gläubiger andererseits insgesamt effizient zuordnet.29 Beginnt man diese Prüfung bei der Person des Gläubigers, so wird man feststellen, dass dieser die Bereitstellung von Fremdkapital oder andere Vorleistungen davon abhängig machen wird, in welchem Umfang die Solvenz für die Zukunft gesichert ist oder das Risiko der Insolvenz durch Risikozuschläge auf den vereinbarten Zins entgolten werden muss.30 Dabei zeigt sich, dass nicht jedes beliebige Risiko durch solche Zuschläge aufgefangen werden kann. Es wird sich häufig als effizienter erweisen, bestimmte Risiken (etwa opportunistisches Verhalten der Gesellschafter) durch gesetzliche oder vertragliche Verbote auszuschließen als sie durch hohe Risikoprämien zu bepreisen.31 Auf der Gegenseite muss der Unternehmensgründer sich überlegen, welche Beschränkungen seiner Handlungsfreiheit er bereit ist hinzunehmen, um das gewünschte Fremdkapital überhaupt zu erhalten bzw. auf niedrige Fremdkapitalentgelte drängen zu können. Schließlich ist zu beachten, dass beide – sowohl der Unternehmensgründer als auch der Fremdkapitalgeber – in ihrem wirtschaftlichen Erfolg davon abhängen, dass das Unternehmen mit Geschick und Tatkraft betrieben wird; dabei unterscheiden sie sich graduell allerdings darin, dass der Fremdkapitalgeber im Wesentlichen nur das Risiko der Insolvenz des Unternehmens trägt, während der

29 Myers, 5 J. Fin. Econ. 147 (1977); Nash/Netter/Poulsen, 9 J. Corp. Fin. 201 (2003). 30 Braeley/Myers/Allen, Principles of Corporate Finance, 9. Aufl., 2008, Chapt. 24, S. 646 ff; Haaker, ZGR 2010, 1055, 1061–1065; zu den unterschiedlichen finanziellen Risiken (Liquiditätsrisiken, Wertverlustrisiken) siehe Handschin, 22 Eur. Bus. L. Rev. 189 (2011); zur Kalibrierung des Risikozuschlags je nach Eigentümerstruktur siehe Sánchez-Ballesta/ García-Meca, 20 Eur. Acct. Rev. 389 (2011). 31 Tirole, The Theory of Corporate Finance, 2006, S. 80 ff; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 374 f.

C. Vertragliche Gläubiger

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Gründer (und Eigenkapitalgeber) durch seinen Anteil am Liquidationsvermögen und die ihm zugerechneten Gewinnanteile auch die weitergehenden Chancen und Risiken des Geschäftsmodells internalisiert. Bei genauer Betrachtung wirkt sich diese Differenz vor allem im Erfolgsfall aus: dem Eigenkapitalgeber kommt der Residualgewinn alleine zugute, während der Fremdkapitalgeber typischerweise nur den Festzins erhält. Im Fall eines unternehmerischen Misserfolges erleiden typischerweise sowohl der Eigenkapitalgeber als auch der Fremdkapitalgeber (wenn das vorrangig haftende Eigenkapital aufgebraucht ist) einen Ausfall.

II. Zentrale Fragestellungen Vor diesem Hintergrund werden den Eigenkapitalgeber (Unternehmensgründer) und den Fremdkapitalgeber regelmäßig die folgenden Fragen bewegen:32 • Wer übt die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen aus; insbesondere: – Wer entscheidet über die Geschäftsstrategie des Unternehmens? – Welche Konsequenzen haben unternehmerische Fehlentscheidungen (der Geschäftsführer oder der Gesellschafter) für die Position des Fremdkapitalgebers? – Ändert sich der Inhalt der Geschäftsleiterpflichten in der Krise? – Welchen rechtlichen Vorgaben sollen unternehmerische Strategiewechsel unterliegen? • In welchem Zeitpunkt ist es sinnvoll, die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen auf die Gläubiger zu verlagern? • Welche Konsequenz hat der verspätete Kontrollwechsel (insbesondere im Fall der Insolvenzverschleppung)? Wer ist verantwortlich (Geschäftsführer, Gesellschafter?) • In welchem Umfang sind Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter (oder diesen nahestehenden Personen) zulässig; insbesondere: – Wann dürfen Dividenden ausgezahlt werden – Welchen Grenzen unterliegen verdeckte Vermögensverlagerungen an die Gesellschafter; – Welche weiteren eigennützigen Eingriffe durch Geschäftsführer oder Gesellschafter in den Betrieb und das Vermögen einer Gesellschaft bedürfen einer Sanktion? • Welche Informationsrechte sollen den Gläubigern zugestanden werden? • Welche Funktion besitzen die Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung? Diese Frage ist bewusst an den Schluss gesetzt worden. Denn es gehört zu den wesentlichen Zielen der nachfolgenden Analyse, das Verhältnis zwischen den allgemeinen Regeln des Gläubigerschutzes bei beschränkt haftenden Einheiten und dem speziellen Regime des Kapitalsystems deutlich zu machen. Es wird sich zei-

32 Zu den Grundfragen des Gläubigerschutzes in der Kapitalgesellschaft siehe auch den Überblick bei: Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 115 ff.

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gen, dass das Thema „Kapital“ nicht die zentrale Steuerungsfunktion besitzt, die ihm vielfach zugemessen wird. Diese Themen sollen im Folgenden behandelt werden.

III. Die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen In einem ersten Schritt ist zu klären, wie im Verhältnis der Gesellschafter, der Gläubiger und der Geschäftsführer die Herrschaft über das Gesellschaftsvermögen, insbesondere die Geschäftspolitik zu bestimmen ist. Dabei ist zu beachten, dass diese Fragestellung von insgesamt vier wesentlichen Rahmenbedingungen geprägt wird: – dem Unternehmenszweck (Gewinnerzielung oder nicht) – dem Unternehmensgegenstand (Tätigkeitsfeld, Risikoprofil) – dem Umfang des für Investitionen und laufenden Betrieb verfügbaren Unternehmensvermögens (Bereitstellung von Fremd- und Eigenkapital) – den betriebswirtschaftlichen Regeln der laufenden Geschäftsführung

1. Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand Das deutsche Recht der Kapitalgesellschaften und viele verwandte Rechtsordnungen gehen wie selbstverständlich davon aus, dass Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand von den Gründern der Gesellschaft in ihrer Satzung definiert werden. Demgegenüber kann im Vereinigten Königreich (Sec. 31(1) Companies Act 2006) sowie in den USA (§ 102(a)(3) Del. Gen. Corp. L.) auf eine statutarische Benennung von Zweck und Gegenstand des Unternehmens ganz verzichtet werden. Dies wirft zwei Fragen auf: Die erste geht dahin, ob die Gründer (aus Gründen des Gläubigerschutzes) verpflichtet sein müssen, den Gesellschaftszweck und ihren Gegenstand überhaupt (mit substanzieller Präzision) festzulegen. Die zweite geht dahin, ob und in welchem Umfang den Fremdkapitalgebern ein Mitspracherecht bei dieser Festlegung eingeräumt werden muss. Die Antwort auf beide Fragen setzt voraus, dass aus der Sicht des Fremdkapitalgebers der Unternehmenszweck und der Unternehmensgegenstand eine wesentliche Bedeutung für die Entscheidung über die Kapitalhingabe und die Ausgestaltung sowie die Höhe des Kapitalentgelts besitzen. Beides ist der Fall: – Eine auf Gewinnerzielung angelegte Gesellschaft wird aufgrund des Strebens der Geschäftsführung nach einer Mehrung des Gesellschaftsvermögens tendenziell immer auch eine Sicherung der Solvenz der Gesellschaft im Blick haben; demgegenüber kann sich bei einer gemeinnützigen, öffentlichen Zwecken dienenden oder gemischtwirtschaftlichen Gesellschaft die Aufzehrung des Gesellschaftsvermögens geradezu aus dem Zweck ergeben (man denke nur an das gemeinnützigkeitsrechtliche Gebot „zeitnaher Mittelverwendung“). Auch eine Gesellschaft, deren Zweck auf bloße Kostendeckung gerichtet ist, weist aus der Sicht eines Kreditgebers ein anderes Risikoprofil auf als eine Gesellschaft, die ihre Leistungen zu

C. Vertragliche Gläubiger



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Marktpreisen mit Gewinnmargen anbietet und daher eher in der Lage ist, gläubigerschützende Rücklagen zu generieren.33 Ebenso verhält es sich mit dem Unternehmensgegenstand. Je nach der Wahl des Geschäftsmodells wird die Gesellschaft bei identischem Erwartungswert zweier Investitionen ein anderes Risikoprofil (mit höherer oder niedrigerer Volatilität) aufweisen, das sich unterschiedlich (z.T. asymmetrisch) auf das Risikoprofil des Fremdkapitalgebers auswirkt. Daher sind Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand für den Fremdkapitalgeber wichtige Grundlagen seiner eigenen Investitionsentscheidung.34

Dabei empfiehlt es sich, die Definitionskompetenz für Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand in erster Linie den Gründern der Gesellschaft einzuräumen und nicht (auch) den Fremdkapitalgebern. Das hat seine Ursache allerdings nicht schon in dem Charakter der Fremdkapitalhingabe als solcher. So ist bei der Begründung eines stillen Gesellschaftsverhältnisses gesetzlich vorgesehen, dass sich der Inhaber des Handelsgeschäfts und der stille Beteiligte gesellschaftsvertraglich auf einen bestimmten Gesellschaftszweck – den Betrieb eines konkreten Handelsgewerbes durch den Kaufmann – verständigen.35 Bei der Kapitalgesellschaft und ihren Fremdkapitalgebern ist allerdings zu beachten, dass nicht lediglich ein einzelnes bilaterales Verhältnis zur Entstehung gelangt, sondern dass sich in der Regel der oder die Eigenkapitalgeber einer prinzipiell unbeschränkten und zeitlich gestaffelten Zahl von Fremdkapitalgebern gegenüberstehen. Deren Kapitalbeiträge werden in der Gesellschaft gemeinsam als Haftungsmasse und Betriebskapital verwaltet. Eine Aufspaltung der jeweiligen Kapitalbeiträge nach Zweck und Gegenstand ist praktisch nahezu unmöglich. Die hohen Transaktionskosten verhindern, dass mit jedem Fremdkapitalgeber neu über Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand mit dem Ziel eines kollektiv einheitlichen Ergebnisses verhandelt wird. Daher empfiehlt es sich, dass die Gründer der Gesellschaft in einem ersten Schritt Zweck und Gegenstand definieren und die später hinzutretenden Fremdkapitalgeber (sowie neue Eigenkapitalgeber) auf der Grundlage ihrer Abschlussfreiheit entscheiden, ob sie einen Beitrag zur Finanzierung dieser Unternehmung leisten wollen. Der Fremdkapitalgeber kann dann zwar nicht rechtlich einen neuen Unternehmenszweck oder -gegenstand durchsetzen, er kann sich allerdings der Kapitalhingabe verweigern und ist damit (bei entsprechender Bedeutung seines Finanzierungsbeitrags für die Gesellschaft) mittelbar in der Lage, auf eine Modifikation von Zweck und Gegenstand hinzuwirken.

33 Schön, ZGR 1996, 429, 452 ff; zum Verhältnis von Gewinnziel und Haftungsbeschränkung ausführlich Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 55 ff. 34 Wicke, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, § 3 Rdn. 10; explizit für die Sicht neuer Eigenkapitalgeber: Fleischer/Schmolke, ZHR 73 (2009), 649, 674; zur Neuregelung durch das MoMiG siehe Schröder/Cannive, NZG 2008, 1; zu der durchaus parallel gelagerten Festlegung der „Zweckbestimmung“ einer Sache im Rahmen dinglicher Nutzungsrechte siehe Schön, Der Nießbrauch an Sachen, 1992, S. 51 ff. 35 § 230 Abs. 1 HGB.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Unbenommen bleibt dem Kapitalgeber in jedem Fall, individualvertraglich seine Kapitalzufuhr auf bestimmte Aktivitäten des Unternehmens zu beschränken, z.B. eine stille Beteiligung nur im Hinblick auf einen Teilbetrieb des Unternehmens zu gewähren36 und damit nicht den Geschäftsrisiken des Gesamtunternehmens ausgesetzt zu sein. Eine Beteiligung auch am Insolvenzrisiko der übrigen Geschäftsbereiche lässt sich dadurch allerdings mit Rücksicht auf die einheitliche Haftungsmasse der Gesellschaft nicht vermeiden. Zwar sehen die LLC-Gesetze einiger US-Bundesstaaten eine solche interne Separierung in weitere series vor (z.B. Sec. 18–215 Delaware Limited Liability Company Act), doch sind die haftungsrechtlichen und insolvenzrechtlichen Konsequenzen einer solchen Handhabung letztlich ungeklärt (anders daher der Revised Uniform Limited Liability Company Act 2006).37 Dabei empfiehlt sich, dass ein solcher Unternehmensgegenstand nicht nur intern von Vornherein festgelegt, sondern auch im Handelsregister publik gemacht und damit einer offenen Zahl künftiger Vertragspartner verdeutlicht wird. Dies dient nicht nur zur Senkung von Transaktionskosten. Es empfiehlt sich auch deshalb, weil andernfalls individualvertraglich divergierende Erwartungen auf Seiten der verschiedenen Gläubiger geweckt werden können und damit nicht nur Konflikte zwischen Gläubigern und Gesellschaft (bzw. deren Geschäftsführern und Gesellschaftern) programmiert sind, sondern auch Konflikte zwischen verschiedenen Gläubigergruppen, die zu einer Lähmung der Gesellschaftstätigkeit insgesamt führen können. Diese Koordinationsverluste sollten im Vorfeld bereinigt werden, so dass die Gläubiger auf der Grundlage der Gesellschaftssatzung wechselseitig wissen, dass sie bestimmte Risiken parallel in Kauf nehmen.38 Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass der im Zeitpunkt der Hingabe von Fremdkapital im Handelsregister verlautete Unternehmenszweck und -gegenstand zur „Geschäftsgrundlage“ der Fremdkapitalzufuhr erhoben wird. Es wäre zwar unverhältnismäßig, bei einer späteren Änderung des Zwecks oder Gegenstands die volle Zustimmung aller Gläubiger zu verlangen; allerdings sollten diese – in Anlehnung an das französische Recht für Schuldverschreibungen – bei einer entsprechenden Satzungsänderung durch die Gesellschafter ein Recht zur Kündigung des Darlehens aus wichtigem Grund besitzen. Letztlich besteht allerdings kein Anlass, die Gründer auch gegen ihren Willen zu einer solchen – die Transaktionskosten senkenden – Spezifikation von Zweck und Gegenstand des Unternehmens zu zwingen. Den Gläubigern bleibt es unbenommen, von Geschäften mit einem Unternehmen Abstand zu nehmen, welches seinen Gegenstand und damit die mit seiner Tätigkeit verbundenen Risiken nicht offen legt. In diesem Punkt ist dem Recht in den Vereinigten Staaten und im Vereinigten Königreich zu folgen, wo eine gesetzliche Pflicht zu einer satzungsmäßigen Beschränkung des Unternehmensgegenstandes nicht existiert. 36 K. Schmidt, in: Münchener Komm. z. HGB, 2. Aufl., 2007, § 230 Rdn. 39. 37 Kritisch zum Series-Konzept Kleinberger/Bishop, 62 Bus. Law. 515, 541 ff (2007); dagegen Ribstein, 3 Va. L. & Bus. Rev. 35, 36 ff (2008). 38 Siehe auch Hirte, FS Hüffer, S. 329.

C. Vertragliche Gläubiger

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2. Umfang des Unternehmensvermögens Die Risikolage der Gläubiger wird in einem zweiten Schritt durch Umfang und Zusammensetzung des Unternehmensvermögens, namentlich das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital bei dessen Finanzierung, festgelegt. Nachträgliche Änderungen in der Finanzierungsstruktur resultieren daher auch in Modifikationen für den Wert der Gläubigeransprüche. Dies führt zu der Frage, ob und in welchem Umfang den Gläubigern ein Einfluss auf Veränderungen in der Finanzierungsstruktur des Unternehmens zugebilligt werden kann. Das geltende Recht kennt keine Zustimmungsvorbehalte der Gläubiger, wenn es um Veränderungen auf der Eigenkapitalseite geht. Dies erscheint ganz natürlich bei der Kapitalerhöhung, weil diese prinzipiell das Aktivvermögen steigert und damit die Rückzahlungsansprüche der Gläubiger aufwertet. Gesetzlich vorgesehen sind demgegenüber vielfach Ansprüche auf Sicherung der Gläubigerrechte bei der förmlichen Kapitalherabsetzung, der Verschmelzung oder der Spaltung von Gesellschaften. Ein solcher Sicherungsanspruch erscheint als die überlegene Lösung im Vergleich zu einem Zustimmungsvorbehalt der Gläubiger. Ein gesetzlicher Zustimmungsvorbehalt sämtlicher oder einzelner Gläubiger würde die Verhandlungen zwischen Gesellschaftern, Geschäftsführern und Dritten bei der Umstrukturierung außerordentlich belasten und hätte gerade bei gesunden Unternehmen keinen materiellen Mehrwert für die Gläubiger zur Folge. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung erscheint als die mildere und daher angemessene Lösung, weil er sich nach der individuellen Gefährdung der Gläubigerrechte richtet. Dies hindert verhandlungsstarke Gläubiger nicht, gegebenenfalls in ihre Vertragsbedingungen weitergehende Zustimmungsvorbehalte oder Kündigungsrechte aufzunehmen.39 Überhaupt keine Restriktionen bietet – auch im Rechtsvergleich – das gesetzliche Gesellschaftsrecht gegenwärtig bei der Frage, ob die Gesellschaft zu einem späteren Zeitpunkt weiteres Fremdkapital aufnehmen und damit den Zugriff der früheren Gläubiger auf ihre Vermögenswerte „verwässern“ darf (debt dilution).40 Hier geht es indessen ohnehin nicht um ein spezifisches Problem des Gesellschaftsrechts, sondern des allgemeinen Kreditrechts, das weder mit der beschränkten Haftung in der Kapitalgesellschaft noch mit besonderen principal-agent-Konflikten gegenüber den Geschäftsführern zu tun hat: Ein Unterschied zur debt dilution bei natürlichen Personen als Schuldner ist nicht erkennbar. Sowohl der frühere als auch der spätere Fremdkapitalgeber erwerben ihre Ansprüche gegen das Unternehmensvermögen auf der Grundlage individueller Schuldverträge. Ein pauschales gesetzliches Verbot der debt dilution wäre daher gleichbedeutend mit einem Verbot unter Erlaubnisvorbehalt, bei existierenden Obligationen weitergehende Schulden aufzunehmen: Die Privatautonomie der Schuldner würde durch ein solches Kontrahierungsverbot massiv beeinträchtigt,

39 Bratton, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 37, 47 ff. 40 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 127.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

obwohl im Regelfall keine materiellen Schäden auf Gläubigerseite eintreten. Daher erscheint es sinnvoll und ausreichend, es einzelnen umfangreich betroffenen Gläubigern zu überlassen, hier für vertragliche Regelungen zu sorgen.

3. Laufende Geschäftsführung Mit der Festlegung von Unternehmenszweck, Unternehmensgegenstand und Unternehmensfinanzierung ist für Eigenkapitalgeber und Fremdkapitalgeber eine gemeinsame Grundlage hinsichtlich der laufenden Geschäftstätigkeit der Gesellschaft geschaffen. In einem nächsten Schritt muss geklärt werden, wem die Herrschaft über die laufende Geschäftsführung der Kapitalgesellschaft zustehen soll – den Geschäftsführern, den Gesellschaftern oder den Fremdkapitalgebern (oder einer Mehrheit dieser Gruppen). Für diese Analyse muss eine grundsätzliche Differenzierung eingeführt werden: Im Folgenden soll es ausschließlich um die gewöhnlichen Maßnahmen der Geschäftsführung gehen, die sich im Vermögen und Betrieb der Gesellschaft abspielen und die im Grundsatz darauf gerichtet sind, den Unternehmenszweck zu verwirklichen. Diese Maßnahmen sind in erster Linie Aufgabe der Geschäftsführung, die diese nach allgemeiner unternehmerischer Sorgfaltspflicht (duty of care) unter Wahrung ihres betriebswirtschaftlichen Entscheidungsspielraums (business judgment) wählen und durchführen muss. Mit anderen Worten: es geht bei den Regeln zur laufenden Geschäftsführung nicht um Transaktionen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern oder zwischen Gesellschaft und Geschäftsführern, bei denen Vermögenswerte zu Lasten der Gläubiger aus dem Gesellschaftsvermögen verschoben werden. Derartige Maßnahmen – offene Dividenden, verdeckte Vermögensverlagerungen und weitere eigennützige Eingriffe der Geschäftsführer und Gesellschafter in Betrieb und Vermögen der Gesellschaft – werden in einem eigenen Abschnitt behandelt.41

a) Geschäftsführung im gesunden Unternehmen Theorie und Praxis der geschlossenen Kapitalgesellschaft gehen davon aus, dass die Herrschaft über die laufende Geschäftsführung im Grundsatz den Gesellschaftern obliegt, welche die Wahl haben, entweder das management selber wahrzunehmen oder diese Aufgabe professionellen Fremdgeschäftsführern überlassen, die sie nach Arbeitskraft und unternehmerischen Fähigkeiten auswählen. Damit ist zugleich die Annahme verbunden, dass die Geschäftsführer (gleich ob in Selbst- oder Fremdorganschaft) bei der Wahrnehmung ihrer Leitungsaufgaben in erster Linie die Interessen der Anteilseigner im Blick haben. Aus der Sicht der Gläubiger kann dies hingenom-

41 Siehe unten Abschn. F, S. 146 ff.

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men werden. Denn das finanzielle Interesse der Anteilseigner richtet sich auf Dividenden und Liquidationserlöse, deren Auszahlung von einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Fremdkapitalgeber abhängt. Solange ein Unternehmen nicht in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, kann von einem natürlichen Gleichlauf der Interessen der Gesellschafter und der Gläubiger gesprochen werden: Beide Gruppen sind an einer Mehrung des Gesellschaftsvermögens interessiert – die Fremdkapitalgeber zur Absicherung ihrer Rückzahlungsansprüche, die Eigenkapitalgeber zur Erhöhung ihres Residualgewinns. Die allgemeine Sorgfaltspflicht der Unternehmensleiter – die duty of care – kommt im materiellen Ergebnis daher sowohl den Fremdkapitalgebern als auch den Eigenkapitalgebern zugute.42 Grundlegenden Charakter besitzt dennoch die Frage, in wessen Person eine Verletzung dieser Pflichten Schadensersatzansprüche begründet – der Gesellschaft als solcher, der Gesellschafter oder auch der Gläubiger? 43 Ausgangspunkt dieser Betrachtung ist der Umstand, dass die Geschäftsführer – bei dogmatischer Betrachtung – der juristischen Person „Kapitalgesellschaft“ ihre Dienste schulden und daher Schadensersatz in das Gesellschaftsvermögen leisten müssen, wenn sie unter Verstoß gegen ihre Sorgfaltspflicht (bei Berücksichtigung der business judgment rule) eine Minderung des Gesellschaftsvermögens herbeigeführt oder eine Mehrung verhindert haben.44 Aus der Sicht der Gläubiger und Gesellschafter stellt sich daher zunächst die Frage, ob ihnen bei Fehlverhalten der Geschäftsführer zusätzlich ein persönlicher materieller Schadensersatzanspruch zugebilligt werden sollte. Das ist nicht der Fall: Der eigene Vermögensschaden des Gesellschafters (Minderung von Gewinnanteil und Liquidationsanteil) und des Gläubigers (Minderung des Rückzahlungsbetrages) bildet in erster Linie einen Reflex des Vermögensschadens der Gesellschaft als solcher.45 Wenn die Gesellschaft von den schädigenden Geschäftsführern so gestellt wird, wie sie bei ordnungsmäßiger Geschäftsführung stehen würde, führt dies automatisch zu einer richtigen Kompensation auch der Reflexschäden des Gläubigers und des Gesellschafters. Diese Konzeption wird namentlich im französischen Recht bei der responsabilité pour insuffisance d’actifs (in der Nachfolge der action en comblement de passif ) voll durchgesetzt.46 Fraglich kann dann nur noch sein, ob Gesellschafter und Gläubiger berechtigt sein sollen, individuell die Schadensersatzleistung an die Gesellschaft im Wege der Prozessstandschaft einzuklagen. Das ist bei Gesellschaftern im Wege der actio pro socio dann sinnvoll, wenn die Gesellschaftermehrheit (etwa mit Rücksicht auf die Beteiligung eines (Mehrheits-)Gesellschafters an der Geschäftsführung) die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs verweigert. Eine eigene Prozessstandschaft des Gläubigers ist hingegen – zumindest im Regelfall des „gesunden“ Unternehmens –

42 Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 303, 332. 43 Ausführlich Drygala, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 277, 283 ff; Klöhn, ZGR 2008, 110. 44 Wiedmann, ZGR 2011, 183 (197 ff); siehe ausführlich zur Bedeutung der business judgment rule § 4 B.III. 45 Zu reflective losses siehe zuletzt De Wulf, in: FS Hopt, 2010, S. 1537. 46 Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des Sociétés, 22. Aufl., 2009, Rdn. 298 ff.

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nicht angezeigt. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen liegt darin, dass der Gesellschafter als „Residualberechtigter“ jede schuldhafte Schädigung des Gesellschaftsvermögens mittelbar im eigenen Vermögen spürt, während der Gläubiger erst dann von einem Fehlverhalten wirtschaftlich betroffen ist, wenn und soweit sein Anspruch auf Rückzahlung des Fremdkapitals (oder ein weitergehendes Leistungsentgelt) gefährdet ist. Dies ändert sich, wenn die Gläubiger aufgrund des betriebswirtschaftlichen Fehlverhaltens der Geschäftsführer von der Gesellschaft keine Befriedigung ihrer Ansprüche erlangen: Dann erscheint eine eigene Prozessführungsbefugnis der Gläubiger zugunsten der Gesellschaft durchaus sinnvoll – letztlich also dann, wenn ein förmliches Insolvenzverfahren „mangels Masse“ nicht durchgeführt wird. Für die Aktiengesellschaft ist dieser verallgemeinerungsfähige Gedanke in § 93 Abs. 5 AktG niedergelegt.47 Eine wesentliche Zuspitzung erfährt die Frage nach der Konstruktion einer eigenständigen duty of care gegenüber den Gläubigern vor allem dann, wenn die Gesellschafter bereit sind, die Geschäftsführer von vornherein oder im Nachhinein von der Haftung für fehlerhafte betriebswirtschaftliche Entscheidungen freizustellen, die Gläubiger dem aber nicht zustimmen. Exemplarisch ist die Rechtslage in Delaware, wo die Gesellschafter auch zu Lasten der Gläubiger auf die Einhaltung der duty of care verzichten können, so dass zwar nicht treuwidriges (duty of loyalty), aber doch nachlässiges management sanktionslos bleibt.48 Dieser Haftungsausschluss dürfe – so die neuere Rechtsprechung 49 – nicht durch ein eigenes Klagerecht der Gläubiger in Frage gestellt werden; daher könne eine eigenständige und unvermittelte Treuhandschaft der Geschäftsführer gegenüber den Gläubigern nicht akzeptiert werden. Das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht zeigt bisher keine klare Linie zu dieser Frage.50 Fest steht zunächst, dass die Haftung des Vorstandes einer Aktiengesellschaft für „gröbliche“ Pflichtverletzungen nicht mit Wirkung zu Lasten der Gläubiger ausgeschlossen werden kann (§ 93 Abs. 5 Satz 1 AktG). Darüber können auch ein Beschluss der Hauptversammlung oder ein nachträglicher Verzicht oder Vergleich nicht hinweg helfen (§ 93 Abs. 3, Abs. 5 AktG). Eine ebenso scharfe Regelung bietet das für die close company einschlägige GmbH-Recht nicht; vielmehr stellt das GmbH-Recht die Geschäftsführer für Maßnahmen auf Weisung der Gesellschafter haftungsfrei;51 auch kann nach h.M. der Sorgfaltsmaßstab statutarisch vermindert werden;52 solche Enthaftungsregelungen wirken nur dann nicht haftungsausschließend, wenn die Geschäftsführer zu Lasten des Stammkapitals Vermögenswerte auf die Gesellschafter verlagern (§ 43 Abs. 3 Satz 2 GmbHG). Ein eigenes Klagerecht der Gläubiger wird 47 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 38 ff. 48 § 102(b)(7) Del. Gen. Corp. L.; zur Disponibilität nach UK-Recht siehe Steffek, Gläubigerschutz in der Kapitalgesellschaft, 2011, S. 309 ff. 49 Zu den noch weiter reichenden Befreiungen in der LLC siehe: Miller, 46 Am. Bus. L.J. 243 (2009). 50 Klöhn, ZGR 2008, 110, 131 ff. 51 Ausführlich Paefgen, in: Ulmer/Habersack/Winter, Komm. z. GmbHG, 2006, § 43 Rdn. 113 ff. 52 Paefgen, aaO (Fn. 51), § 43 GmbHG Rdn. 122 ff; näher Fleischer, BB 2011, 2435.

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diesen ohnehin bestritten.53 Die Gefährdung der Gläubiger durch betriebswirtschaftliche Fehlentscheidungen der Geschäftsführer ist in der GmbH daher nicht zu Gunsten Ersterer sanktioniert. Betrachtet man diese Situation de lege ferenda, so wird man differenzieren müssen. Zunächst sollte feststehen, dass der Umfang der Geschäftsführerhaftung mit Wirkung für und gegen die Gläubiger nicht durch einseitigen Beschluss der Gesellschafter festgelegt werden kann. Gesellschafter und Geschäftsführer bilden aus der Sicht des Fremdkapitalgebers gerade in der close company eine einheitliche Unternehmensleitung.54 Eine nachteilige Weisung der Gesellschafter an die Geschäftsführer, eine bestimmte Maßnahme vorzunehmen, darf ebenso wenig zu Lasten der Ansprüche der Gläubiger gehen wie eine nachträgliche Freistellung von der Sorgfaltspflicht. Andererseits müssen die Gläubiger die Gesellschaft und das von ihr betriebene Unternehmen so akzeptieren, wie sie es bei Abschluss des Kreditvertrages vorfinden. Dies gilt nicht nur für den Unternehmenszweck und den Unternehmensgegenstand, sondern auch für den betriebswirtschaftlichen Freiraum der Unternehmensleiter. Wenn und soweit die Gesellschafter einer close company den unternehmerischen Handlungsspielraum der Geschäftsführer privatautonom von vornherein erweitern, müssen die Fremdkapitalgläubiger dies hinnehmen, wenn ihnen dieser Umstand bei Hingabe des Fremdkapitals bekannt war. Daher ist die Regelung im Recht des Staates Delaware, den vollen Ausschluss der Haftung für die duty of care in der Gesellschaftssatzung zuzulassen, dann ein sinnvolles Vorbild, wenn diese Satzungsregelung im Handelsregister eingetragen wird und damit an dessen Publizitätswirkung teilnimmt. Die Gläubiger wissen dann, worauf sie sich einlassen. Entscheiden sich die Gesellschafter hingegen erst nach dem Zeitpunkt der Fremdkapitalzufuhr dafür, die Geschäftsführer von der duty of care freizustellen oder erteilen sie selber nachteilige Weisungen, so wäre es zwar unverhältnismäßig, dafür die Zustimmung jedes einzelnen Fremdkapitalgläubigers zu verlangen; allerdings sollte dies – je nach Einzelfall – einen wichtigen Grund für die Kreditoren bilden, die sofortige Rückzahlung des hingegebenen Kapitals verlangen zu können. Dass die Gläubiger in ihren Kreditverträgen eine weitergehende positive Bindung des managements festschreiben können, steht ohnehin außer Frage.

b) Geschäftsführung in der Krise Zu den aktuellen Grundsatzthemen des Gläubigerschutzes im Gesellschaftsrechts gehört die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Unternehmens zur Folge hat, dass sich die Pflichten der Geschäftsführung inhaltlich verändern, insbesondere eine stärkere Betonung der Gläubi-

53 Paefgen, aaO (Fn. 51), § 43 GmbHG Rdn. 174. 54 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 117 f, 135; Fleischer, aaO (Fn. 3), Einl. GmbHG Rdn. 277.

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gerinteressen zu fordern ist.55 Eine solche Verschiebung der Koordinaten wird damit begründet, dass ein weitgehender Verlust des Eigenkapitals zu einer Divergenz von Gläubiger- und Gesellschafterinteressen führt: Zwar bleiben sowohl die Gläubiger als auch die Gesellschafter im Grundsatz an einer Wertmaximierung des Unternehmens interessiert. Während aber die Gläubiger tendenziell eine vorsichtige Geschäftsführung und baldige Abwicklung des Unternehmens in den Blick nehmen, um eine möglichst hohe Rückzahlungsquote auf ihre Ansprüche zu sichern, können die Gesellschafter in erster Linie von dem positiven Ausgang riskanter Geschäfte profitieren, die sie in die Gewinnzone zurückführen, während ein negativer Ausgang dieses Geschäfts sie wirtschaftlich nicht mehr berührt. Daraus hat sich – namentlich in den USA56 und im Vereinigten Königreich57 – die Frage ergeben, ob die Geschäftsführer in the vicinity of insolvency in erster Linie verpflichtet sind, als „Treuhänder“ der Fremdkapitalgeber zu agieren. Bei der Beantwortung dieser Frage muss der konzeptionellen Klarheit willen die besondere Gefährdung der Gläubigerinteressen, die im Vorfeld der Insolvenz durch die Verlagerung von Vermögenswerten aus dem Gesellschaftsvermögen auf die Gesellschafter oder Geschäftsführer oder diesen nahestehende Personen eintreten kann, aus dem Blickfeld genommen werden. Bei unserer jetzigen Betrachtung geht es ausschließlich darum, ob der betriebswirtschaftliche Spielraum, den die Geschäftsführer bei der Verfolgung des Unternehmenszwecks genießen, im Vorfeld einer möglichen Insolvenz eingeengt wird. Dabei geht es vor allem um den Abschluss riskanter Geschäfte, die für die Gläubiger eher schädigend, für die Gesellschafter aber eher vorteilhaft wirken, weil deren Betroffenheit durch das downside risk in dem Zeitraum nach dem (weitgehenden) Verlust des Eigenkapitals ohnehin gegen Null tendiert. Bei der Würdigung dieser Fragestellung ist zunächst festzuhalten, dass die Kreditoren einer Kapitalgesellschaft sich vertraglich darauf eingelassen haben, dass betriebswirtschaftliche Verluste auch zu ihren Lasten gehen können. Eine Rückzahlungsgarantie besteht ebenso wenig wie eine persönliche Einstandspflicht der Geschäftsleiter oder Gesellschafter für die von der Gesellschaft geschuldeten Beträge. Daher können sich die Gläubiger auch in der Krise nicht dagegen wenden, dass mit ihrem Geld der Unternehmenszweck im Rahmen des Unternehmensgegenstandes auf eine Weise verfolgt wird, die zum Verlust ihrer Rückzahlungsansprüche führen kann.58 55 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 119 ff, 134 ff; Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 303, 329 ff; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 361, 407 ff; Spindler, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 341; Baums, ZHR 174 (2011), Heft 2 + 3; siehe auch § 4 B.II.1.c)aa). 56 Siehe zuletzt die Grundsatzentscheidung des Supreme Court of Delaware in North American Catholic Educational Programming Foundation, Inc., v. Rob Gheewalla, Gerry Cardinale and Jack Daly 930 A.2d 92; aus dem Schrifttum siehe Bainbridge, 1 J. Bus. & Tech. L. 281 (2007); Hu/Westbrook, 107 Colum. L. Rev. 1321 (2007); Ribstein/Alces, 1 J. Bus. & Tech. L. 529 (2007); Böckmann, aaO (Fn. 20), S. 202 ff. 57 Keay, 4 J. Corp. L. Stud. 307 (2004); Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 303; Steffek, aaO (Fn. 48), S. 263 ff. 58 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 13 f; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 378 f; K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 188, 189.

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Dem korrespondieren allerdings zugleich zwei Restriktionen: Mit dem Unternehmenszweck ist regelmäßig die Ausrichtung auf die Erzielung von Gewinnen vorprogrammiert. Geschäftsleiter dürfen daher ausschließlich Maßnahmen ergreifen, insbesondere Verpflichtungen eingehen und Investitionen tätigen, die einen positiven Erwartungswert für das Gesellschaftsvermögen besitzen. Darüber hinaus müssen sich die Geschäftsleiter an den Rahmen des Unternehmensgegenstandes halten – damit ist das „Risikoprofil“ der Geschäftstätigkeit in der Regel hinreichend transparent umschrieben. Schließlich verlangen die allgemeinen Regeln betriebswirtschaftlichen Handelns nach einer Diversifikation von Risiken innerhalb eines Unternehmens – einschließlich eines funktionsfähigen Risikomanagements.59 Dies wird vielfach bereits bei gesunden Unternehmen die Geschäftsleiter hindern, ein „Klumpenrisiko“ einzugehen, und wird dies in der Krise erst recht tun. Vor diesem Hintergrund ist es den Geschäftsleitern allerdings nicht grundsätzlich verboten, Maßnahmen zu treffen, die das Risiko einer Gläubigerbeeinträchtigung beinhalten. Beispielhaft genannt sei die Konzentration der finanziellen Ressourcen des Unternehmens auf die Entwicklung und Vermarktung eines bestimmten Kernproduktes, von dem sich die Geschäftsführer im Rahmen ihres business judgment den dauerhaften Einstieg in einen bestimmten Markt versprechen dürfen. Ein Misserfolg dieses Projekts kann durchaus zum Totalverlust führen, ohne dass eine solche Strategie von vornherein verboten sein darf.60 Daher ist auch die Annahme eines generellen Verbots, die „Existenz“ der Gesellschaft durch Geschäftsführungsmaßnahmen zu gefährden, nicht zu halten. Die Gläubiger müssen dies hinnehmen; man wird lediglich annehmen müssen, dass die Geschäftsführer für solche grundlegenden betrieblichen Entscheidungen intern die Zustimmung der Gesellschafter einholen müssen.61 Das Gegenbeispiel einer verbotenen Maßnahme bildet das gambling for resurrection, bei dem die Geschäftsleitung ungewöhnlich riskante Einsätze tätigt, um ein im Scheitern begriffenes Unternehmen aus der Krise zu reißen.62 Solche Investitionen sind bei näherem Hinsehen in aller Regel schon nicht vom Unternehmensgegenstand gedeckt und auch betriebswirtschaftlich vor dem Hintergrund der Forderung nach Risikostreuung kaum vertretbar. Sie sind daher bereits nach den allgemeinen Regeln den Geschäftsleitern nicht erlaubt. Wünscht ein Gläubiger eine noch weiter reichende Einschränkung des Handlungsspielraums der Geschäftsleiter, so muss man ihm zumuten, dafür konkrete Vorgaben im Kreditvertrag auszuhandeln; es lassen sich schwer allgemeine unternehmens- und branchenübergreifende Kriterien im „objektiven Recht“ dafür festlegen. Umgekehrt können die Geschäftsleiter mit Gesellschaftern und Gläubigern für eine „ausbrechende“ Maßnahme darüber verhandeln, ob eine solche Rettungschance wahrgenommen werden darf.

59 Siehe die (vorsichtige) Tendenz bei Fleischer/Schmolke, ZHR 73 (2009), 649, 674 ff; zum „correlation risk“, bei dem die Risiken aus Verbindlichkeiten und Anlagen korreliert sind, siehe: Squire, 123 Harv. L. Rev. 1151 (2010). 60 Überzeugend Hu/Westbrook, 107 Colum. L. Rev. 1321, 1378 ff (2007). 61 Drygala, FS Hopt, Bd.1, S. 541, 545 ff. 62 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 83 ff.

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Es besteht auf den ersten Blick kein Anlass dafür, diese Pflichtenlage im Vorfeld der Insolvenz zu modifizieren. Solange die Geschäftsführer den Unternehmenszweck verfolgen, den Rahmen des Unternehmensgegenstandes nicht verlassen und die allgemeinen betriebswirtschaftlichen Regeln der Risikostreuung beachten, sind die dadurch erzeugten Risiken im Grundsatz von den Vereinbarungen mit den Gläubigern gedeckt. Allerdings bedarf in dieser Situation die Ausrichtung des unternehmerischen Handelns auf das Ziel der „Gewinnerzielung“ einer näheren Konkretisierung. Ausgangspunkt ist die Annahme, dass sowohl die Gläubiger als auch die Gesellschafter ein Interesse an der Erzielung von Gewinnen besitzen, weil jede Mehrung des Gesellschaftsvermögens dem Gläubiger mehr Sicherheit für den Rückzahlungsanspruch und dem Gesellschafter eine Erhöhung seines Residualanteils verschafft.63 Die Geschäftsführer dürfen daher auch in der Krise lediglich solche Projekte in Angriff nehmen, die einen positiven Erwartungswert besitzen. Die „Asymmetrie“ der Risikoverteilung in der Krise eines Unternehmens kann allerdings dazu führen, dass bei mehreren möglichen Projekten mit positivem Erwartungswert die jeweiligen Erwartungswerte für die Gesellschafter und für die Gläubiger nicht korrelieren, weil das upside risk und das downside risk bei den möglichen Maßnahmen ungleich verteilt sind. Soll in dieser Situation der Geschäftsführer die Auswahl zwischen den Optionen danach treffen, welches Projekt den Nutzen der Gesellschafter am stärksten erhöht, vorrangig den Nutzen der Gläubiger maximiert oder den Gesamtertrag der Investition in den Blick nimmt? Diese Problematik stellt sich gerade in der geschlossenen Kapitalgesellschaft wegen des erheblichen Einflusses der Gesellschafter auf die Geschäftsführung.64 Der shareholder value-Ansatz scheint die erste Option anzusteuern; dabei würde jedoch vernachlässigt, dass die Hingabe des Fremdkapitals durch die Gesellschaftsgläubiger unter der (impliziten) Voraussetzung geschieht, dass das Unternehmen nach allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird. Aber auch eine einseitige Betonung der Gläubigerinteressen scheint nicht angezeigt, denn sie sind rechtlich nicht in die Position der Unternehmenseigner gewechselt; die Gesellschafter besitzen – auch wenn ihr finanzieller Einsatz (vorläufig) verloren ist – nach wie vor ihre originäre Rechtsstellung als Inhaber der Gesellschaftsanteile und damit eine call option auf den künftigen Unternehmenswert oberhalb der rückzahlbaren Verbindlichkeiten.65 Die betriebswirtschaftliche Entscheidung der Geschäftsleitung muss daher auf diejenige Option gerichtet sein, die „objektiv“ den höchsten Erwartungswert aufweist – unabhängig davon, wie deren Risiken und Chancen zwischen Gesellschaftern und Gläubigern verteilt sind.66 Solange sich die Geschäftsführer im Rahmen des „satzungsmäßigen“ Risikoprofils bewegen, sind sie nicht verpflichtet, zugunsten der

63 Engert, FS Heldrich, S. 87, 91 ff. 64 Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 310 f; Spindler, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 344 f. 65 Hu/Westbrook, 107 Colum. L. Rev. 1321, 1382 ff (2007). 66 Baird/Henderson, 60 Stan. L. Rev. 1309, 1323 ff (2008).

D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger

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Gläubiger ein weniger riskantes Projekt mit einem geringeren Erwartungswert zu wählen. Risiken oberhalb der impliziten Übereinkunft sind ihnen jedoch nicht erlaubt. Ein wirkliches Problem entsteht dann erst in dem seltenen Fall, dass mehrere alternative Investments einen identischen Erwartungswert besitzen, allerdings mit unterschiedlichen Verteilungswirkungen zwischen Gläubigern und Gesellschaftern.67 Hier muss das Gesetz positivistisch eine Präferenz für eine Kapitalgebergruppe formulieren (die dann bei der Kreditvergabe zur Grundlage der Risikobewertung und Zinsbemessung werden kann). Bedenkt man die Informationsasymmetrie zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern einerseits und Gläubigern andererseits, wenn es um die Bewertung und Risikoanalyse dieser Investitionen geht, sprechen die besseren Gründe dafür, im Zweifel die Gläubigerinteressen in den Vordergrund zu stellen. Die Pflichten der Geschäftsführer in der Krise unterscheiden sich daher in ihrer Zielrichtung nicht von dem Pflichtenrahmen, dem sie auch im „gesunden“ Unternehmen ausgesetzt sind. Eine ganz andere Frage ist darauf gerichtet, ob eine nachteilige betriebliche Entwicklung die Geschäftsführer dazu zwingen muss, im Interesse aller Beteiligten eine Änderung der unternehmerischen Strategie einzuleiten oder die Rekapitalisierung der Gesellschaft zu betreiben. Dies soll im Rahmen des folgenden Kapitels behandelt werden.

D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger Von der Frage, in welchem Umfang die Geschäftsführer einer geschlossenen Kapitalgesellschaft auf die Interessen der Gläubiger Rücksicht nehmen müssen, ist die weitere Frage zu trennen, ob von einem bestimmten Zeitpunkt an die Herrschaft über das Unternehmensvermögen den Gesellschaftern und ihren Geschäftsführern aus der Hand genommen und auf die Gläubiger bzw. ihnen treuhänderisch zugeordnete Personen übergehen soll. Dies betrifft die Einleitung eines Insolvenzverfahrens, dessen auslösenden Tatbestand sowie – personenbezogen – das Recht und die Pflicht zur Antragstellung.

I. Der verfahrenseinleitende Tatbestand Mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder eines anderen auf Verwertung des Unternehmensvermögens zielenden Verfahrens wird die Herrschaft über das Unternehmen im Kern auf die Gläubiger bzw. einen für diese treuhänderisch tätige Person (Verwalter, administrator, receiver etc.) übertragen.68 Daher muss geklärt werden, welcher Tatbestand diese Entrechtung der bisherigen Inhaber (Gesellschafter, Ge-

67 Klöhn, ZGR 2008, 110, 131 ff. 68 Ausführlich Haas, aaO (Fn. 8), S. E 19 f.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

schäftsführer) legitimieren kann und welche Personen zur Einleitung eines solchen Verfahrens berechtigt sein sollen.69 In nahezu allen Rechtsordnungen bildet den maßgeblichen Tatbestand für die Einleitung eines solchen Verwertungsverfahrens die „Zahlungsunfähigkeit“ der Gesellschaft. Hinzu tritt in vielen Jurisdiktionen der Tatbestand der „Überschuldung“.70 Dahinter steht idealiter die Annahme, dass bis zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung die Rückzahlung der Gläubigeransprüche aus dem Aktivvermögen gesichert ist. Die Herrschaft der Gläubiger soll daher in dem Zeitpunkt einsetzen, ab dem sie nur noch eine reduzierte Befriedigung ihrer Forderungen zu erwarten haben. Von diesem moment of truth an verschärft sich einerseits die Konkurrenz zwischen den einzelnen Gläubigern (so dass zur Wahrung der par conditio creditorum eine geordnete Gesamtvollstreckung angezeigt erscheint) und es verschärft sich andererseits die Konkurrenz zwischen den Gläubigern und den Gesellschaftern (so dass eine Verlagerung der Herrschaftsrechte auf die erste Gruppe geboten erscheint).71 Man muss sich darüber im Klaren sein, dass die insolvenzauslösenden Tatbestände der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung keine „naturgegebenen“ Sachverhalte abbilden, sondern lediglich positivrechtliche Konventionen wiedergeben. Sie bilden ein zentrales Element des gesetzlichen “Standardvertrages“ zwischen Gläubigern und Gesellschaftern, der den Gläubigern das Recht zubilligt, ab einem bestimmten Wertverlust die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen.72 Das Gesetz gibt damit eine von mehreren möglichen Antworten auf die Frage, welcher Zeitpunkt in einem auf Effizienz angelegten Kreditvertrag zwischen Gesellschaftern und Gläubigern typischerweise vereinbart worden wäre, um die Kontrolle von den Gesellschaftern auf die Gläubiger zu übertragen. Die gesetzliche Festlegung dieses Zeitpunkts bestimmt wiederum maßgeblich die Bereitschaft des Kreditors, dem Grunde nach Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, sowie die Höhe der Risikozuschläge, die sich der Kreditgläubiger zusätzlich zum sicheren Kapitalmarktzins vom Schuldner einräumen lässt. Daher gehen auch Klagen fehl, welche die gegenwärtigen insolvenzauslösenden Tatbestände allein deshalb kritisieren, weil sie die voraussichtlichen Zerschlagungsverluste und den Abwicklungsaufwand nach Insolvenzeröffnung nicht berücksichtigen und damit das gesetzliche Versprechen einer vollen Befriedigung der Gläubiger regelmäßig nicht einlösen. Es geht nicht um volle Befriedigung der Gläubiger, sondern um die Wahl eines Zeitpunkts, der für das vorausgehende Verhalten der beteiligten Personengruppen und ihre Vereinbarungen effizienzfördernde Anreize setzt. Diesem positivistischen Ansatz entspricht es, dass die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung auch im Detail maßgeblich positiv-rechtlich be-

69 Eidenmüller, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 241. 70 Zum Rechtsvergleich siehe Haas, aaO (Fn. 8), S. E 21 ff; Steffek, aaO (Fn. 48), S. 67 ff; näher K. Schmidt, aaO (Fn. 13), S. 193 ff. 71 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 19 f. 72 Tirole, aaO (Fn. 31), S. 84 ff; Klaus Schmidt, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 87, 91 ff; Christensen/Nikolaev, 50 J. Acct. Res. 75 (2012) (“Performance Covenants”).

D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger

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stimmt werden muss, so dass namentlich der Tatbestand der Überschuldung von der gesetzlichen Wahl der Methode der Rechnungslegung abhängig ist (Zerschlagungswerte, Fortführungswerte, Bilanzwerte). Sodann wird der „Test“ auf Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit häufig um ein prognostisches Element ergänzt, das die Vorläufigkeit oder Endgültigkeit der negativen Vermögensentwicklung des Unternehmens erfasst und daher eine zentrale Rolle beim Kontrollübergang spielt.73 Bei der Festlegung des maßgeblichen Zeitpunkts sind drei wesentliche Erfordernisse zu beachten: – Das erste Kriterium betrifft die „Objektivität“ des triggers, der wegen seiner Bedeutung für Geschäftsführer, Gläubiger und Gesellschafter möglichst anhand äußerlich sichtbarer Merkmale festgestellt werden muss. Unter diesem Gesichtspunkt erweist sich der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit dem der Überschuldung als überlegen.74 Noch weniger handhabbar als eine Anknüpfung an der Überschuldung wäre schließlich, ein Verfahren bereits auf der Grundlage einer „Krise“ im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz einzuleiten.75 – Gegenläufige Anforderungen stellt indessen das Verlangen nach möglichst vollständiger Gläubigerbefriedigung, das bei einer Anknüpfung an die Zahlungsunfähigkeit am wenigsten erfüllt wird und spätestens bei Eintritt der Überschuldung die Einleitung eines verwertenden oder sanierenden Verfahrens erfordert. Der Gedanke des Gläubigerschutzes mag es sogar als sinnvoll erscheinen lassen, den verfahrensauslösenden Tatbestand noch weiter vorzuziehen, um eine höhere oder sogar vollständige Befriedigung der Gläubigeransprüche zu gewährleisten. Aus der Sicht der Eigenkapitalgeber könnte dies allerdings eine Vernichtung ihrer Gewinnaussichten zu einem Zeitpunkt herbeiführen, zu dem noch Hoffnung besteht, das Unternehmen im Interesse aller Beteiligten in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.76 Der Kontrollwechsel darf daher nicht verfrüht stattfinden. – Zum Dritten ist es sinnvoll, bei der Frage nach der Einleitung eines Insolvenzverfahrens neben dem rechnungsmäßigen Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung oder in dessen Rahmen ein prognostisches Element einzuführen, um arbiträre Effekte der Rechnungslegung zu vermeiden und zugleich die mangelnde Vorhersehbarkeit der späteren Entwicklungen bei Abschluss des Kreditvertrages durch einen aktuellen Blick auf die unternehmerische Situation zu ergänzen. Dieses prognostische Element77 kann in zwei Richtungen wirken: – Nach der „deutschen Tradition“ vermag die positive Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung den Ansatz günstiger Fortführungswerte begründen und damit den Tatbestand der Insolvenz ausschließen.78 Die Prognose

73 74 75 76 77 78

K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 188. Eidenmüller, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 241. Eidenmüller, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 244 f; Haas, aaO (Fn. 8), S. E 31. Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 322. Zum Rechtsvergleich siehe differenzierend Steffek, aaO (Fn. 48), S. 468 ff. Hüttemann, FS K. Schmidt, 2009, S. 761; K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 198 ff.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

verhindert hier trotz eingetretener rechnerischer Insolvenz die Einleitung des Verfahrens. Anders gewendet: Die Gläubiger können die Geschäftsführer trotz rechnerischer Insolvenz nicht in ein Insolvenzverfahren zwingen, sondern müssen ihnen die Möglichkeit geben, weitere Rettungsversuche zu unternehmen. Nach den britischen Regeln zum wrongful trading hingegen kann eine negative Prognose bereits im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz Handlungspflichten der Gesellschafter begründen. Anders gewendet: Die Geschäftsführer können sich trotz bestehender Solvenz des Unternehmens nicht damit zufriedengeben, die Geschäfte wie gehabt weiterzuführen, sondern müssen Maßnahmen ergreifen, um durch Änderungen im Geschäftsmodell und/oder Rekapitalisierung der Gesellschaft zu einer günstigen Prognose zurückzukehren.79 Dabei ist allerdings im Schrifttum nicht eindeutig geklärt, ob im britischen Recht die Solvenz des Unternehmens für Zwecke des wrongful trading nur am Maßstab der Zahlungsunfähigkeit oder auch nach dem Maßstab der Überschuldung bestimmt wird.80

Damit zeigt sich: Der insolvenzauslösende Zeitpunkt ist vom Gesetzgeber nicht in erster Linie zu bestimmen nach der Aussicht einer vollständigen Gläubigerbefriedigung, sondern nach der effizienten Zuordnung von Verhaltensanreizen für die beteiligten Gruppen. Er muss weiterhin kombiniert werden mit einer Prognose zur Überlebensfähigkeit des Unternehmens sowie mit Aussagen zu den Verhaltenspflichten der Geschäftsleitung in der Krise – vor allem im Hinblick auf konkrete betriebswirtschaftliche Entscheidungen. Eine ausgewogene Regulierung könnte die folgenden Elemente enthalten: – Vor dem Zeitpunkt einer rechnerischen Überschuldung der Gesellschaft auf der Grundlage von Zerschlagungswerten sind für das Recht zur Weiterführung des Unternehmens weder eine besondere Prognose erforderlich noch eine Verhaltensänderung der Geschäftsführer. Es besteht selbst bei sofortiger Abwicklung keine Gefahr für die Gläubiger. – Ist auf der Grundlage von Zerschlagungswerten Insolvenz eingetreten, besteht allerdings bei positiver Fortbestehensprognose noch keine Überschuldung auf der Grundlage von going concern-Werten, so müssen die Geschäftsleiter prüfen, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um eine dauerhafte Insolvenz zu vermeiden. Eine Verfahrenseinleitung ist zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich, jedoch eine fortlaufende Beobachtung der Wertentwicklung und Steuerung der Unternehmenspolitik zur Insolvenzprophylaxe. – Ist die Prognose ungünstig und daher weder bei Ansatz von Zerschlagungswerten noch bei Ansatz von Fortführungswerten die Überschuldung zu vermeiden, kommt es zum Schwur, ob man dem management eine weitere Frist zur Rettung des Unternehmens einräumen will. Hier wird man verlangen müssen, dass sie –

79 Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 313 ff. 80 Bachner, 5 Eur. Bus. Org. L. Rev. 293 (2004); Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 319 ff; Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174, 213 ff; K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 198 ff; zum französischen Recht Haas, aaO (Fn. 8), S. E 27 ff.

D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger



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zur Vermeidung des Insolvenzverfahrens – die wichtigsten Gläubiger über die Finanzlage informieren und mit ihnen über eine Rekapitalisierung oder andere Rettungsmaßnahmen verhandeln.81 Den Gläubigern muss in diesem Zustand bereits Gelegenheit gegeben werden, einen Insolvenzantrag zu stellen, um in den Verhandlungen ein sinnvolles Druckmittel zu besitzen. Allerdings können auch Sonderkündigungsrechte, die zur unmittelbaren Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen würden, dieses eigenständige Antragsrecht faktisch ersetzen. Spätestens bei Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens ist das Insolvenzverfahren einzuleiten.

II. Insolvenzantragsrecht Die Frage nach dem Recht zur Stellung eines Insolvenzantrags bedarf vor diesem Hintergrund bestimmter Differenzierungen: – Ein Recht der Gläubiger, einen Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, bildet einen erheblichen Eingriff in die Herrschaft der Gesellschafter und Geschäftsführer. Der Antrag ist daher erst im Zeitpunkt der Insolvenz legitim. Andererseits muss dieser Eingriff möglich sein, um bei dauerhaft nachteiliger wirtschaftlicher Entwicklung eine fortlaufende Schädigung der Gläubiger durch Fehleinschätzungen der Geschäftsführer und die daraus resultierende Verzögerung der Verwertung zu vermeiden.82 Die Abhängigkeit der Verfahrenseröffnung von einer negativen Fortführungsprognose des Unternehmens schützt hier die Gesellschafter und Geschäftsführer in ihren redlichen Anstrengungen, das Unternehmen aus der Krise herauszuführen. – Das Recht der Geschäftsführer, einen Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, besitzt eine andere Bedeutung. Aus ihrer Sicht dient das Antragsrecht vor allem einem Einstieg in eine geordnete Abwicklung 83 – je nachdem auch in eine geordnete Restrukturierung – sowie um eine gleichheitskonforme Information der Öffentlichkeit über den finanziellen Stand des Unternehmens. Damit werden die Geschäftsführer zugleich aus einer prekären Pflichtenkollision entlassen. Die Gesellschaft wird vor unkontrollierten Eingriffen der Gläubiger geschützt und erhält gegebenenfalls die Möglichkeit, sich von lästigen Verbindlichkeiten zu befreien. Intensiv diskutiert wird daher auch die Frage, ob den Geschäftsführern bereits im Vorfeld der Insolvenz ein Antragsrecht eingeräumt werden kann, um den Geschäftsführern frühzeitig den Einstieg in eine geordnete Reorganisation oder Restrukturierung zu ermöglichen.84

81 82 83 84

Zuletzt Kleindiek, FS Schneider, 2011, S. 617, 618 ff. Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 122, 143 ff. Zum britischen Recht Steffek, aaO (Fn. 48), S. 139 ff. Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 143; zur Dysfunktionalität des § 18 InsO siehe K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 192.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

Gerade in der geschlossenen Kapitalgesellschaft stellt sich an dieser Stelle die Frage nach den Rechten der Gesellschafter (einzeln oder in ihrer Gesamtheit). Dies führt zunächst in die Problematik, ob die Geschäftsführer bei der Ausübung des Antragsrechts die Zustimmung der Gesellschafter benötigen. Dies wird man in der Situation der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit nicht sagen können, denn hier dient die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in erster Linie der Sicherung der Gläubigeransprüche. Die Gesellschafter müssen sich allerdings gegen einen vorzeitigen Insolvenzantrag wehren können, wenn sie Sorge tragen, dass die Geschäftsführer verfrüht eine Entwertung der Gesellschaftsrechte in Kauf nehmen, um sich selber auf die „sichere Seite“ zu bringen oder ohne Abstimmung mit den Gesellschaftern eine Reorganisation oder Restrukturierung zu deren Lasten durchzuführen.85 Dies entspricht dem Umstand, dass auch im gesunden Unternehmen eine „Liquidation“ nur auf der Grundlage eines (qualifizierten) Gesellschafterbeschlusses durchgeführt werden kann. Schließlich steht die Frage im Raum, ob die Gesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft auch in der Lage sein sollten, selbständig einen Antrag auf Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu stellen. Dafür sprechen gute Gründe: Die Durchführung eines Insolvenzverfahrens dient einerseits der Befriedigung der Gläubiger und andererseits der geordneten Abwicklung, Restrukturierung oder Reorganisation des Unternehmens (je nach Verhältnis von Liquidations- und Fortführungswert). Beides liegt im unmittelbaren oder mittelbaren Interesse der Gesellschafter, die sich möglicherweise gegen eigennütziges Verhalten der Geschäftsleiter durchsetzen müssen. Daher sollte die Gesellschaftermehrheit oder eine qualifizierte Minderheit in die Lage versetzt werden, einen solchen Antrag zu stellen oder die Gesellschafter entsprechend anzuweisen.

III. Insolvenzantragspflicht Das deutsche Insolvenzrecht kennt – ebenso wie die meisten kontinentaleuropäischen Rechte86 – eine generelle Insolvenzantragspflicht der Leitungsorgane einer juristischen Person, namentlich des Vorstandes einer Aktiengesellschaft und der Geschäftsführer einer GmbH. Die Verletzung dieser Pflicht ist zivilrechtlich und strafrechtlich sanktioniert.87 Selbstverständlich ist eine solche Insolvenzantragspflicht indessen nicht, wie ein Blick in die USA belegt. Dort sind die directors einer corporation zwar berechtigt, nicht aber gesetzlich verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen und da-

85 Baird/Henderson, 60 Stan. L. Rev. 1309, 1320 ff. (2008); dies entspricht der Rechtsauffassung im deutschen Recht zum Verhältnis Antragsrecht/Vorlagepflicht (K. Schmidt, in: Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4. Aufl., 2009, Abschn. 5.43 f.). 86 Kalss/Adensamer/Oelkers, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 134. 87 Näher Wagner, FS K. Schmidt, S. 1665; zum Präventionszweck Casper, in: Bachmann/ Casper/Schäfer/Veil, aaO (Fn. 27), S. 33.

D. Der Übergang der Herrschaft auf die Gläubiger

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bei – je nach Lage – Schutz nach chapter 11 zu suchen oder die reguläre Abwicklung nach chapter 7 anzustreben. Dies wird nicht zuletzt damit verteidigt, dass die Geschäftsführer nicht in einen Konflikt zwischen den Interessen der Gläubiger und den Interessen der Gesellschafter geführt werden sollten. Eine mittlere Lösung hat sich im britischen Recht entwickelt: die Vorschrift über wrongful trading (sec. 214 Insolvency Act) statuiert zwar keine Antragspflicht, belegt die Geschäftsleiter jedoch mit einer zivilrechtlichen Haftung, wenn sie trotz Krise des Unternehmens den Antrag nicht stellen und auch nicht durch die Art und Weise ihrer Geschäftsführung dafür sorgen, dass die Schäden, die den Gläubigern durch die Verzögerung der Insolvenzeröffnung drohen, minimiert werden. Indirekt wird damit letztlich ein Druck zur Antragstellung erzeugt, auch wenn es an strafrechtlichen Konsequenzen fehlt.88 Bei sorgfältiger Würdigung der involvierten Interessen streiten für eine gesetzliche Antragspflicht der Geschäftsleiter in erster Linie die Probleme der Informationsasymmetrie und der Kollektivhandlung. Die Gläubiger wissen nicht so gut wie die Geschäftsführer (und in der close corporation die Gesellschafter), wie es finanziell um die Gesellschaft steht, und sie sind nur schwer in der Lage, ihre Interessen im Vorfeld eines förmlichen Insolvenzverfahrens zu koordinieren. Gerade bei Kleingläubigern können Aufwand und Risiko einer streitigen Antragstellung jede Initiative eindämmen. Daher sprechen gute Gründe dafür, in erster Linie die Geschäftsführer für verpflichtet zu halten, bei Eintritt von Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit den Insolvenzantrag zu stellen. Auf diese Weise werden die Geschäftsführer auch indirekt angehalten, gegenüber den wichtigsten Gläubigern frühzeitig die finanzielle Situation offenzulegen und über entlastende Maßnahmen (Rangrücktritt, debt-equity-swap, Teilverzichte) zu verhandeln. Bei verspäteter Antragstellung sollten die Geschäftsführer daher verpflichtet sein, der Masse den durch die Verzögerung entstandenen Schaden zu ersetzen. In diesem Ergebnis unterscheiden sich letztlich die britische Lösung (über wrongful trading) und die deutsche Lösung (über § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO) kaum voneinander.89 Eine wirkliche Bedeutung kommt bei dieser Betrachtung der Frage zu, wem die Zuständigkeit für die Prognose des Fortbestehens oder des Scheiterns des Unternehmens zusteht.90 Während im deutschen Recht vor allem das Gericht im Rahmen der Insolvenzprüfung eine solche Prognose (gegebenenfalls mit Hilfe von Gutachten) zu erstellen hat, überlässt das britische Recht in erster Linie den Geschäftsleitern diese Prognose, die allerdings mit der gebotenen Sorgfalt handeln müssen. Man wird hier nicht umhin kommen, eine „generische Ineffizienz“ festzustellen: die Geschäftsleiter sind besser als das Gericht über die Entwicklung des Unternehmens und sein wirtschaftliches Umfeld informiert, sie sind allerdings zugleich der Gefahr von Wahrneh-

88 Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 316; Keay, 25 Legal Stud. 431 (2005); Steffek, aaO (Fn. 48), S. 342 ff. 89 Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 321 f; Haas, aaO (Fn. 8), S. E 29; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 386 f; K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 201 ff. 90 Spindler, JZ 2006, 839, 846 f.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

mungsstörungen (overoptimism) und Fehlanreizen (Haftungsvermeidung; Arbeitsplatzsicherung) zu Lasten der Gläubiger ausgesetzt. Das Gericht hingegen ist zwar „unparteiisch“ in seiner Beurteilung, es muss allerdings nicht nur eigene Sachkenntnis aufbauen oder substituieren, sondern bei seiner Bewertung auch der Verlockung des hindsight bias entgehen.91 Eine optimale Lösung ist damit strukturell ausgeschlossen. Man wird vielmehr mit einer Kompromisslösung leben müssen, die in erster Linie dem management das Urteil über die Fortbestehensprognose überlässt, in einem späteren Gerichtsverfahren aber eine Substantiierung dieses Urteils und eine Dokumentation der maßgeblichen Überlegungen verlangt.92 Dazu gehört auch, dass die Geschäftsführer verpflichtet sind, bereits im Vorfeld des endgültigen Insolvenztatbestandes alles Erforderliche zu tun, um das Unternehmen wieder zum Erfolg zu führen.93 Dazu gehören auch sichtbare Maßnahmen wie eine Überprüfung und gegebenenfalls Umsteuerung des betriebswirtschaftlichen Konzepts, Verhandlungen mit Eigen- und Fremdkapitalgebern über eine Rekapitalisierung der Gesellschaft etc. Dem Vorteil, trotz rechnerischer Überschuldung bei günstiger Fortführungsprognose keinen Insolvenzantrag stellen zu müssen, muss eine Pflicht korrespondieren, die zur Verwirklichung dieser Prognose erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

IV. Eigenverwaltung oder Fremdverwaltung Eine eigenständige Frage liegt darin, ob es Gründe geben kann, mit der Einleitung des Insolvenzverfahrens zwar die Führung des Unternehmens an den Interessen der Gläubiger auszurichten, die Leitung des Unternehmens aber den bisherigen Geschäftsführern nicht zu entziehen. Im Rechtsvergleich zeigt sich, dass viele Rechtsordnungen – beispielhaft chapter 11 des U.S. Bankruptcy Code – eine solche Eigenverwaltung kennen; auch das deutsche Recht fördert zunehmend eine Kombination aus Insolvenzverfahren und Amtsverbleib der Geschäftsführer.94 Hier wird man differenzieren müssen. Eine „Eigenverwaltung“ darf nicht vorrangig im Interesse der Geschäftsleiter an einer Weiterführung ihrer beruflichen Position angeordnet werden; weiterhin darf der grundsätzliche Übergang der Unternehmensherrschaft an die Gläubiger nicht in Frage gestellt werden. Die „Eigenverwaltung“ ist dann letztlich nur eine Art Auftragsverwaltung des amtierenden (oder eines neuen) Managements, das ebenso wie ein Insolvenzverwalter als „Treuhänder“ der Gläubigergesamtheit agiert. Sie bedarf daher der Zustimmung der Gläubigermehrheit und verändert zugleich den Pflichtenstatus der Geschäftsführer in Richtung auf eine vorrangige Wahrung der Interessen der Kreditorengesamtheit.

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K. Schmidt, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 193. Zur Beweislast siehe zuletzt Strohn, NZG 2011, 1161, 1162. A. A. Haas, aaO (Fn. 8), S. E 33 ff. Zuletzt ausführlich Eidenmüller, ZHR 175 (2011), 11; Jaffé, ZHR 175 (2011), 38.

E. Haftung der Gesellschafter

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E. Haftung der Gesellschafter Typisch für die geschlossene Kapitalgesellschaft ist der gesteigerte Einfluss der Gesellschafter auf die Geschäftsführung. Dies hat zur Folge, dass die Frage nach einer persönlichen Schadensersatzhaftung der Gesellschafter (gegenüber der Gesellschaft) für geschäftsleitende Maßnahmen hier von größerer Relevanz ist als bei Publikumskapitalgesellschaften. Dabei muss in einer haftungsbeschränkten Kapitalgesellschaft selbstverständlich akzeptiert werden, dass der unternehmerische Einfluss als solcher sowie die Vorgabe bestimmter betriebswirtschaftlicher Konzepte für die Geschäftsführung nicht ausreichen können, um eine persönliche Haftung der Geschäftsführer auslösen zu können.95 Vielmehr stehen in unserem Zusammenhang zwei Gesichtspunkte im Vordergrund: die Haftung für betriebliche Fehlentscheidungen der Gesellschafter und ihre Haftung für verzögerte Stellung eines Insolvenzantrags.

I. Haftung für Eingriffe in die Geschäftsführung Die Frage nach der Haftung von Gesellschaftern für Eingriffe in die Leitungsaufgaben der Geschäftsführer wird nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Ländern unter dem Stichwort des „faktischen Organs“96 (de facto director / dirigeant de fait) oder auch der mittelbaren Einflussnahme (shadow director) diskutiert.97 Es geht darum, ob Gesellschafter, die auf die Tätigkeit der Gesellschaft Einfluss nehmen, anstelle oder neben den Geschäftsführern einer solchen Verpflichtung unterliegen können. Die Antwort sollte nicht von der begrifflichen Qualifikation eines Gesellschafters als faktisches Organ einer Gesellschaft abhängen. Diese Bezeichnung hat ihre Grundlage in dem Umstand, dass das positive Recht in der Regel nur die eigentlichen Geschäftsführer in den Blick nimmt und eine Gesellschafterhaftung daher häufig nur im Wege einer Analogie begründet oder systematisch erfasst werden kann. Dies gilt auch für die Frage, ob nur natürliche Personen als faktische Geschäftsführer in die Haftung genommen werden können. Dies wird man bejahen, wenn man die potentielle Organfähigkeit nach deutschem Recht hypostasiert, um überhaupt eine Haftung begründen zu können. Sieht man den Haftungstatbestand in erster Linie in dem tatsächlichen Eingriff des Gesellschafters in die laufenden Geschäfte der Gesellschaft, wird deutlich, dass auch eine juristische Person einer solchen Haftung unterliegen kann. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Wertung, dass nach der gesetzlichen Arbeitsteilung in der Kapitalgesellschaft die Gesellschafter „als solche“ keiner Obligation außerhalb der Erfüllung ihrer satzungsmäßigen Verpflichtungen (namentlich

95 Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 368. 96 Zuletzt ausführlich Strohn, DB 2011, 158; siehe auch § 4 B.III.2. 97 Ausführlich und rechtsvergleichend Merkt/Spindler, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 221 ff, 249 ff; Steffek, aaO (Fn. 48), S. 499 ff.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

der Leistung einer Einlage) unterliegen.98 Sie sind nicht „Organ“ in dem Sinne einer Zuständigkeit zur laufenden Wahrnehmung von Pflichten in der Gesellschaft. Ein Gesellschafter, der sich nach Leistung der Einlage vollständig aus dem Gesellschaftsgeschehen zurückzieht, handelt im Grundsatz nicht pflichtwidrig. Damit wird insbesondere ermöglicht, dass sich ein Gesellschafter in der geschlossenen Kapitalgesellschaft – wie ein Aktionär in der Publikumsgesellschaft – auf die Position eines reinen Kapitalgebers zurückzieht. Dies erscheint auch sinnvoll, um Kapitalgebern die Möglichkeit zu geben, ohne „Arbeitspflichten“ eine solche Beteiligung zu erwerben. Dies sollte im Grundsatz auch für den Alleininhaber sämtlicher Anteile gelten: Wenn die gesetzlichen Pflichten der Geschäftsleiter angemessen ausgestaltet und sanktioniert sind, besteht kein Anlass, den Gesellschaftern besondere Überwachungslasten aufzubürden. Ein ineffizientes bundling wird damit vermieden. Andererseits wird gerade in der Situation einer geschlossenen Kapitalgesellschaft die Lage nicht selten so sein, dass ein oder mehrere Gesellschafter eben doch Einfluss auf die tatsächliche Geschäftsführung nehmen. Wenn und soweit sie betriebswirtschaftlich nachteilige Weisungen erteilen, stellt sich daher die Frage nach Grund und Umfang einer Schadensersatzpflicht vor allem gegenüber der Gesellschaft. Dabei sollen hier nicht die ebenfalls häufigen Konflikte zwischen Mehrheits- und Minderheitsgesellschaftern betrachtet werden; es geht vielmehr auch darum, ob z.B. der Alleingesellschafter einer geschlossenen Kapitalgesellschaft dieser für nachteilige Weisungen haften sollte. Die Antwort muss aus der Sicht der ex ante-Verhandlungen zwischen Gläubigern, Geschäftsführern und Gesellschaftern erfolgen. Die Gläubiger gehen (im gesetzlichen Regelfall) davon aus, dass die Geschäftsführer die Maßstäbe ordnungsmäßiger Geschäftsführung (im Rahmen der business judgment rule) einhalten und das Gesellschaftsvermögen nicht durch ordnungswidrige Maßnahmen vermindert wird. Wenn die Gesellschafter die Möglichkeit hätten, den Geschäftsführern Weisungen zu erteilen, ohne der Gesellschaft für nachteilige Weisungen zu haften, würden die Geschäftsführer die volle Wucht des Interessenkonfliktes zwischen Gläubigern und Gesellschaftern spüren: die Gesellschafter wären dem Anreiz ausgesetzt, zu Lasten der Gläubiger und ohne persönliches Haftungsrisiko zu spekulieren und die Funktionsfähigkeit der governance würde ausschließlich vom persönlichen Rückgrat der Geschäftsleiter (vor allem ihrer persönlichen Unabhängigkeit von den Gesellschaftern) abhängen. Gleiches gilt, wenn ein Gesellschafter unmittelbar Geschäftsführungsmaßnahmen im Hinblick auf die Gesellschaft vornimmt (und dafür bei den Arbeitnehmern, Kunden, Lieferanten etc. der Gesellschaft Gehör findet). Auf das „Auftreten nach außen“ sollte es dafür nicht ankommen.99 Sinnvoll erscheint es daher, die Gesellschafter persönlich gegenüber der Gesellschaft für betriebswirtschaftlich fehlerhafte und nachteilige Weisungen in demselben Umfang haften zu lassen wie die eigentlichen Geschäftsführer. Dies entspricht nicht 98 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 100 ff. 99 Siehe auch Davies, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 314; Spindler, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 348; ders., JZ 2006, 839, 847 f.

E. Haftung der Gesellschafter

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nur einer Ansicht, die in der deutschen wissenschaftlichen Diskussion mit unterschiedlicher Begründung100 immer wieder vorgebracht worden ist; vielmehr hat diese Haftungsregel zuletzt in Art. 2476 Abs. 7 Codice Civile für „Entscheidungen“ und „Ermächtigungen“ der Gesellschafter Aufnahme in das italienische Recht gefunden.101 Wer diese Haftung scheut, mag sich dieser Einmischung enthalten. Erneut kann allerdings die Haftung für die duty of care in der publizierten Satzung ganz oder teilweise ausgeschlossen werden (dies allerdings nur dann, wenn auch die Geschäftsführerhaftung parallel eingeschränkt wird). Auch können sich die Gesellschafter auf die business judgment rule beraten. Die Gläubiger wissen dann, auf welche governance sie sich einlassen. II. Haftung für Insolvenzverschleppung Bei der Frage nach der Haftung für die verspätete oder fehlende Einleitung des Insolvenzverfahrens muss das Bild differenzierter ausfallen. Hier geht es um ein „Unterlassen“, das im Grundsatz nur geahndet werden kann, wenn eine eindeutig zugeordnete Rechtspflicht gegeben ist. Erneut muss man davon ausgehen, dass ein Gesellschafter nicht schon kraft seiner Gesellschafterstellung verpflichtet ist, sich über die finanzielle Situation der Gesellschaft zu informieren und gegebenenfalls auf einen Insolvenzantrag hinzuwirken. Dies würde sich nicht mit dem Bild des Gesellschafters als reiner „Kapitalist“ vertragen und kann auch bei wesentlichen Beteiligungen nicht anders gesehen werden. Insofern sollte das Gesetz von einer klaren Aufgabenteilung zwischen Geschäftsführung und Gesellschafterkreis ausgehen. Auch die bloße Kenntnis vom finanziellen Zustand der Gesellschaft darf für eine solche Haftungsfolge nicht ausreichen. Die Gesellschafter haben das Recht, aber nicht die Pflicht, sich über die finanzielle Situation des Unternehmens zu informieren. Wenn sie dies tun, wird man nicht aus „Ingerenz“ eine Pflicht zur Antragstellung herleiten können, will man nicht die Gesellschafter davon abschrecken, sich über das Verhalten des Managements und die wirtschaftliche Situation des Unternehmens zu informieren. Schwieriger sind zwischengelagerte Fallkonstellationen, bei denen der Gesellschafter sich mehr oder weniger an der Geschäftsführung beteiligt. Einzelne Weisungen aus dem Gesellschafterkreis dürften nicht ausreichen, um die Haftung für Insolvenzverschleppung auszulösen, anders jedoch eine volle Einmischung in die tägliche Arbeit des Unternehmens. Diese müsste allerdings mit einem persönlichen Antragsrecht des Gesellschafters kombiniert werden.102 Ein klarer Fall liegt schließlich in der Situation, dass der Gesellschafter aktiv verhindert, dass ein Insolvenzantrag gestellt wird. Dabei muss er als „Beteiligter“ oder als „Täter“ ebenfalls in den Bereich der Haftungsnorm gelangen.103 100 Einerseits Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; andererseits Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 289 ff. 101 Sangiovanni, RIW 2011, 744. 102 Siehe dazu oben und Haas, aaO (Fn. 8), S. E 47 f. 103 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 44.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

F. Verlagerungen zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen I. Die allgemeine Grenze der Auszahlungen Die Interessen der Gläubiger und der Gesellschaft stoßen unmittelbar aufeinander, wenn es zu Leistungen aus dem Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter kommt. Eine solche Leistung – sei es eine offene Dividende oder eine verdeckte Vermögensverlagerung – vermindert den Haftungsfonds der Gesellschaft und erhöht den Konsumtionsfonds der Gesellschafter. Dieser Effekt verstärkt sich noch, wenn das Gesetz – etwa bei gutgläubig bezogenen Dividenden – die Rückforderung von Zahlungen ausschließt und daher an die Stelle des verlagerten Vermögens nicht etwa ein Rückforderungsanspruch gegen die Gesellschafter tritt. Die Frage nach der Zulässigkeit von Auszahlungen an die Gesellschafter bildet daher eine wesentliche Grundlage des „Vertrages“ zwischen Gläubigern und Gesellschaftern, der durch das objektive Gesellschaftsrecht substituiert wird.104 Je nach Umfang der „Entnahmerechte“ wird man leichter oder schwerer Eigenkapital gewinnen – andererseits werden sich die Fremdkapitalgläubiger die Gefährdung ihrer Ansprüche durch Gesellschafterentnahmen typischerweise durch höhere Zinssätze entgelten lassen.105 Dabei ist die Gefahr opportunistischen Verhaltens bei dieser Problemstellung besonders hoch, so dass es sich lohnen kann, zwingende Vorschriften in das Gesellschaftsrecht einzubauen, die eine vollständige haftungsfreie Entnahme des Gesellschaftsvermögens zu Lasten der Gläubiger generell verhindern.106 Alternativ besteht auch die Option, das Recht der Insolvenzanfechtung zu einem Kontrollinstrument für Auszahlungen an Gesellschafter auszubauen.107 Auf diese technische Frage – Insolvenzrecht oder Gesellschaftsrecht – die auch bei der Kollision mehrerer Rechtsordnungen Bedeutung erlangen kann, wird hier nicht eingegangen.108 Eine besonders hohe Schranke setzten frühere Rechtsordnungen, die eine Auszahlung von Gewinnanteilen erst mit der Liquidation der Gesellschaft und der vor-

104 Kalay, 10 J. Fin. Econ. 211 (1982). 105 Rickford et al., 15 Eur. Bus. L. Rev. 919, 967 (2004). 106 Armour, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 10 f, 14 f; Spindler, JZ 2006, 839, 843 f; die Frage dieser Ausschüttungsgrenzen ist in vielen Rechtsordnungen verbunden mit der Frage nach der Erhaltung des Stammkapitals einer Gesellschaft; sie stellt sich jedoch unabhängig von der Existenz eines gesetzlichen Kapitalschutzsystems (Lutter, aaO (Fn. 13), S. 6; Schön, Der Konzern 2004, 162, 164 ff). 107 Näher Eidenmüller/Engert, FS K. Schmidt, S. 305; Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 153 ff; Paulus, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 434; Thole, Gläubigerschutz durch Insolvenzrecht, 2010, S. 89 ff; Wagner, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 217; zum US-Recht siehe Baird, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 199. 108 Eine gewisse materielle Bedeutung kommt dieser Differenzierung dann zu, wenn man die gesellschaftsrechtlichen Auszahlungsgrenzen als ex ante wirkende Verbote versteht, die insolvenzrechtlichen Regeln aber immer nur ex post eingreifen lässt. M. E. kann aber (bei rechtspolitischer Betrachtung) auch einer insolvenzrechtlichen Regel eine gewisse „Vorwirkung“ beigemessen werden, die z.B. den Geschäftsführer nachträglich für anfechtbare Auszahlungen haften lässt.

F. Verlagerungen zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen

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rangigen Befriedigung aller Gläubigeransprüche ermöglichten; bei langlebigen Kapitalgesellschaften führt dies jedoch zu einem ineffizient hohen Gläubigerschutzniveau, das den Interessen der Gesellschafter an regelmäßigen Erträgen sowie an der Möglichkeit der Reinvestition außerhalb des Gesellschaftsvermögens nicht gleichgewichtig ist.109 Die Wahrheit liegt daher – wie so oft – in der Mitte: Es muss möglich sein, auch im laufenden Betrieb des Unternehmens regelmäßige Dividendenzahlungen vorzunehmen und andere Vermögensverlagerungen durchzuführen. Dabei müssen Konventionen gebildet werden, die – als typisierter Interessenausgleich – die Entnahmegrenze so definieren, dass mit einer effizienten Aufnahme von Fremd- und Eigenkapital gerechnet werden kann.110 Strukturell unterscheiden die bekannten Rechtsordnungen zwischen zwei verschiedenen Grenzlinien: der Grenzlinie des gezeichneten Kapitals einerseits und der Grenzlinie der Überschuldung oder Solvenz andererseits. Die Vorstellung, dass Leistungen, die bei bilanzieller Betrachtung das gezeichnete Kapital angreifen, nicht erfolgen dürfen oder zurückgewährt werden müssen, setzt im Grundsatz voraus, dass man das in der 2. Richtlinie und vielen kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen formulierte System der Aufbringung und Erhaltung von Kapital akzeptiert. Dazu wird in einem eigenständigen Punkt Stellung genommen.111 Die Grenzlinie der Überschuldung oder Solvenz findet sich hingegen in allen bekannten Rechten.112 Es gehört zum Kernbestand des Gesellschaftsrechts oder des Insolvenzrechts, dass Gesellschaften mit beschränkter Haftung keine Zahlungen an ihre Gesellschafter leisten dürfen, wenn dadurch die Erfüllung der Verbindlichkeiten des Unternehmens nicht mehr gesichert erscheint (siehe z.B. sec. 6.40 Revised Model Business Corporation Act). Natürlich könnte man dies den einzelnen Gläubigern zur Verhandlung überlassen – aber vor dem Hintergrund der erheblichen Transaktionskosten, der fehlenden Marktmacht einzelner Gläubiger sowie der bekannten Kollektivhandlungsprobleme erscheint es sinnvoller, eine feste Untergrenze der Ausschüttungen mit Wirkung für und gegen alle Beteiligte vorzusehen und den Beteiligten die Möglichkeit zu lassen, privatautonom höhere Ausschüttungsschranken zu formulieren.113 Erkennt man, dass es sich bei dieser Grenzziehung um eine „Konvention“ handelt, die einen „typischen Vertragsinhalt“ substituiert, so wird deutlich, dass die Vorund Nachteile der vertretenen Konzeptionen in jeweils unterschiedlichen Risikoverteilungen zwischen Gesellschaftern und Gläubigern (oder einzelnen Gläubigergruppen) zum Ausdruck kommen. So werden individualgesicherte Großgläubiger (Banken) kein Interesse an standardisierten Ausschüttungsregeln haben, weil sie ihre

109 Schön in: Hommelhoff/Rowedder/Ulmer, Max Hachenburg – Fünfte Gedächtnisvorlesung 2002, 2003, S. 17 ff. 110 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 132 f. 111 Siehe unten Abschnitt H. 112 Haas, aaO (Fn. 8), S. E 121 ff; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 392 f; Rickford, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 135, 144 ff; zur Diskussion im Rahmen der SPE siehe Hennrichs, NZG 2009, 921, 926, De Erice/Gaude, NZG 2009, 857, 860 f. 113 Spindler, JZ 2006, 839, 841.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

eigenen Vorzugsrechte durchsetzen und zudem in covenants eigenständige Ausschüttungsregeln formulieren können. Bei den übrigen Gläubigern wird man zwischen den Interessen kurzfristiger und langfristiger Gläubiger differenzieren können:114 Während die Inhaber kurzfristiger Forderungen auf die laufende Liquidität des Unternehmens achten werden (die in einem „Solvenztest“ geprüft wird), müssen die Inhaber langfristiger ungesicherter Forderungen (Pensionszusagen, Umweltschutzrückstellungen) an einem „Bilanztest“ interessiert sein, der die Schuldendeckungsfähigkeit des Gesellschaftsvermögens unter langfristigem Einschluss aller Verbindlichkeiten und Rückstellungen in den Blick nimmt. Wendet man einen „Bilanztest“ an, so kann man besonders vorsichtige Bilanzregeln zum Einsatz bringen, die Risiken asymmetrisch stärker abbilden als Chancen, oder eher informationsorientierte Regeln wie die IFRS, die stärker die Aktualität und Marktwertorientierung in den Blick nehmen als die Definition des langfristig entziehbaren Gewinns. Für einen am Vorsichtsprinzip orientierten „Bilanztest“ streiten vor allem Überlegungen, welche die Gefahr opportunistischen Verhaltens der Geschäftsführer und Gesellschafter in den Blick nehmen. Dafür muss man bedenken, dass die genannten Tests zunächst in der Hand des managements liegen und häufig genug vom Gesellschafterkreis ratifiziert werden. Externe gatekeeper wie Wirtschaftsprüfer oder Gerichte kommen erst in zweiter Linie zum Einsatz. Daher sollte man Tests anwenden, die möglichst wenig durch die interessierten Geschäftsführer und Gesellschafter manipuliert werden können. Dabei ist der „Bilanztest“ klar im Vorteil gegenüber dem „Solvenztest“, der weitgehend an persönliche Einschätzungen des managements über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens anknüpft, während der Bilanztest sich in erster Linie an historischen Daten orientiert.115 Bei der Auswahl der Bilanzregeln sollte dem Ansinnen der Gesellschafter entgegengewirkt werden können, bei unsicherem Betriebsverlauf Gewinne auszuweisen und auszuschütten, ohne diese Zahlungen bei Realisation des downside risk zurückzahlen zu müssen. Eine Bilanzierung nach IFRS kann daher auch in Kombination mit einem Solvenztest keine Lösung sein.116 Eine asymmetrische Bilanzierung nach dem Vorsichtsprinzip bietet demgegenüber eine Grenze, die von Gesellschaftern und Geschäftsführern weniger manipuliert werden kann als eine Grenze nach den IFRS oder nach einem Solvenztest. Die bisherige „konservative“ Buchführung hat sich insoweit bewährt und wird bis heute auch in „freiwilligen“ covenants praktiziert.117 Sie sollte auch nicht durch einen obligatorischen kumulativen Solvenztest ergänzt werden.118

114 Schön, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 181, 189 ff. 115 Hennrichs, NZG 2009, 921, 926; Spindler, JZ 2006, 839, 843 f; Haaker, DStR 2010, 663, 667; ders., ZGR 2010, 1055, 1061–1065; Pfennig, aaO (Fn. 8), S. 113 ff. 116 So aber Lutter, aaO (Fn. 13), S. 10 ff sowie für die SPE: Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 340; dagegen Hennrichs, ZGR 2008, 361; Schön, in: Eidenmüller/ Schön, aaO (Fn. 22), S. 196 ff. 117 Nikolaev, 48 J. Acct. Res. 51 (2010); Li, 48 J. Acct. Res. 1103 (2010). 118 Pfennig, aaO (Fn. 8), S. 130 ff.

F. Verlagerungen zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschaftervermögen

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II. Dividenden: Gutglaubensschutz Bei Dividenden aus dem Gesellschaftsvermögen stellt sich die grundsätzliche Frage, ob und in welchem Umfang der gute Glaube der Beteiligten an die Ordnungsmäßigkeit der Zahlungen den Schutz der Gläubiger einschränken kann. Exemplarisch ist eine Zahlung, die aufgrund einer objektiv fehlerhaften Bilanz erfolgt (z.B.: die Notwendigkeit einer Rückstellung für erhebliche Umweltschutzverpflichtungen wurde ohne subjektives Verschulden verkannt). Auf den ersten Blick erscheint die Schutzwürdigkeit der Dividendenempfänger gering, denn sie haben bei ihrer Kapitaleinzahlung keinen eindeutigen Anspruch auf bestimmte Auszahlungen erworben. Andererseits kann es die Bereitschaft von Investoren zur Gewährung von Eigenkapital einschränken, wenn sie damit rechnen müssen, dass Ihnen offene Dividenden im Nachhinein entzogen werden können. Daher wird man einen Gutglaubensschutz anordnen müssen, der zumindest bei einer subjektiv richtigen Bilanzierung der Geschäftsführung sowie bei subjektiv gutem Glauben der Gesellschafter einen Rückforderungsausschluss hervorruft.119

III. Verdeckte Vermögensverlagerungen Bei verdeckten Vermögensverlagerungen stellen sich mehrere Probleme.120 Die erste Frage geht dahin, ob verdeckte Vermögensverlagerungen generell wegen ihres vermögensschädigenden Charakters untersagt und mit Schadensersatz- oder Ausgleichsbzw. Rückgewähransprüchen sanktioniert werden sollen. Diese Tendenz verfolgt das deutsche Aktienrecht, welches – auch bei nicht börsennotierten Unternehmen – die gesamte Vermögenssphäre der Gesellschaft unter Schutz stellt.121 Dies mag aus der Sicht des Schutzes der Gesellschafter (namentlich der Minderheitsgesellschafter) eine diskutierbare Norm sein, aus der Sicht der Gläubiger ist dies hingegen irrelevant. Der Unterschied zwischen der offenen Dividende und der verdeckten Vermögensverlagerung liegt im Hinblick auf den Gläubigerschutz nicht zutage. Beide Leistungen sind darauf angelegt, Werte ohne entsprechende Gegenleistung dem Unternehmen zu entziehen. Daher müssen verdeckte Vermögensverlagerungen aus Gläubigersicht zulässig sein, solange das Unternehmen den Bilanztest besteht. Umgekehrt bedeutet dies aber auch, dass verdeckte Vermögensverlagerungen nicht von einem solchen „Test“ freigestellt werden dürfen. Entschließt man sich – wie oben befürwortet – für einen bilanzorientierten Test, so muss dieser nicht nur auf offene Dividenden, sondern auch auf verdeckte Vermögensverlagerungen angewandt werden.122 Dabei eignen sich diese Fälle zwar nicht für eine vorab zu erstellende „Solvenzbescheinigung“, aber man muss

119 120 121 122

Schön, FS 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, Bd. 2, S. 153 ff. Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 132 f. Kritisch Schön, FS Röhricht, 2005, S. 559. Armour, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 6 ff; zur SPE siehe Wicke, GmbHR 2011, 566, 572 f.

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die Geschäftsführer verpflichten, bei Aufdeckung einer verdeckten Vermögensverlagerung im Nachhinein den Zulässigkeitsnachweis zu führen. Ob man für Konzernsituationen eine gewisse Flexibilität gewähren sollte, wenn nachteilige Rechtsgeschäfte im Rahmen einer übergreifenden Unternehmensstrategie gerechtfertigt erscheinen, steht auf einem anderen Blatt.123

IV. Weitergehende eigennützige Maßnahmen Neben den offenen Dividenden und den ungleichwertigen Leistungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern entfaltet sich ein „grauer Bereich“ von Maßnahmen der Geschäftsführer und Gesellschafter, die geeignet sind, das persönliche Einkommen von Geschäftsführern und Gesellschaftern zu Lasten des Gewinns und Vermögens der Gesellschaft zu steigern. Beispielhaft sind die Nutzung von „Geschäftschancen“ der Gesellschaft durch Geschäftsführer und Gesellschafter oder andere unternehmerische Entscheidungen – z.B. die Schließung eines Geschäftsbereichs, der Entzug betriebswesentlicher Anlagegüter oder die Neugestaltung eines Vertragswerks – welche zwar nicht als Vermögensverlagerung i.e.S. angesehen werden können, aber doch eine Korrespondenz zwischen Gesellschaftsvermögen und Gesellschafter-/Geschäftsführervermögen aufweisen.124 Aus der Sicht des Gläubigerschutzes liegt in diesen Fällen die Besonderheit darin, dass dem Gesellschaftsvermögen nicht ein konkreter Vermögenswert entzogen, sondern die Aussicht auf bestimmte zukunftsgerichtete Erwerbschancen genommen wird. Daher kann auch ein „Bilanztest“ nicht sinnvoll auf diese Maßnahmen angewandt werden. Dies führt erneut zu der Frage, wie man den gesetzlichen „Standardvertrag“ zwischen Gesellschaftern, Geschäftsführern und Gläubigern zu „lesen“ hat. Ausgangspunkt der vertraglichen Vereinbarungen zwischen Gläubiger und Gesellschaft ist – wie bereits mehrfach betont – nicht nur der Bestand des Vermögens, sondern das ganze „Geschäftsmodell“ der Gesellschaft, wie es in Unternehmenszweck und Unternehmensgegenstand zum Ausdruck gebracht ist. Die Gläubiger gehen davon aus, dass die Gesellschaft sich aktiv in diesem Rahmen betätigt und auch die dort vorhandenen Geschäftschancen nutzt. Die Verlagerung von Geschäftschancen aus dem Unternehmen, der Entzug wesentlicher Betriebsgrundlagen oder auch die Herausnahme ganzer Geschäftsfelder wirken sich zu Lasten künftiger Gewinne aus und sind nicht durch die gemeinsamen Vorgaben gedeckt. Die Geschäftsführer oder Gesellschafter können sich diese Vorteile nur dann aneignen, wenn sie sich außerhalb der Sphäre von Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand bewegen oder wenn sie die Gesellschaftssatzung entsprechend ändern. In Einzelfällen kann auch ein einstimmiger Zustimmungsbeschluss der Gesellschaftergesamtheit ausreichen. Eine nachträgliche Änderung der Gesellschaftssatzung oder ein entsprechender Gesell-

123 Fleischer, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 114 (mit Rechtsvergleich). 124 Paefgen, aaO (Fn. 51), § 43 GmbHG Rdn. 45.

G. Informationspflichten gegenüber Gläubigern

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schafterbeschluss sollte allerdings mit einem sofortigen Kündigungsrecht der Gesellschaftsgläubiger kombiniert werden. Diese eigennützigen Verhaltensweisen – zu denen auch einige der in Deutschland unter dem Stichwort der „Existenzvernichtungshaftung“125 besprochenen Konstellationen gehören – sind scharf von den schlicht nachlässigen und betriebswirtschaftlich fehlerhaften Verhaltensweisen zu trennen. Dies gilt vor allem für die Frage der Abdingbarkeit der Pflichten. Während die duty of care in der Satzung – wie oben dargelegt – auch mit Wirkung für die Gläubiger abbedungen werden kann, erscheint dies für die Loyalitätspflichten gegenüber dem Unternehmenszweck nicht möglich, um moral hazard auszuschließen. Eigennützige Eingriffe der Geschäftsführer oder der Gesellschafter in den Gesellschaftsbetrieb müssen also in jedem Fall mit einer Haftung der Beteiligten zugunsten der Gläubiger via Kapitalgesellschaft sanktioniert werden. Voraussetzung muss natürlich sein, dass die Gläubiger durch diese Maßnahmen überhaupt gefährdet sind. Daher empfiehlt es sich, diese Haftung nur für den Fall der Insolvenz eingreifen zu lassen (und entweder dem Insolvenzverwalter oder den Gläubigern die Durchsetzung der Ansprüche zu überlassen). Keine klare Vorstellung verbindet man demgegenüber im deutschen Recht mit „insolvenzauslösenden Zahlungen“, wie sie jetzt in § 64 Satz 3 GmbHG mit Haftungsfolgen belegt sind; hier bleibt namentlich die Frage nach dem Charakter der „Kausalität“ offen.126 Man sollte daher dabei bleiben, dass nur drei Tatbestände zur Haftung von Geschäftsführer und Gesellschafter führen können: – Dividendenzahlungen, die den „Bilanztest“ nicht passieren; – verdeckte Vermögensverlagerungen unter denselben Voraussetzungen; – sonstige eigennützige Maßnahmen der Gesellschafter und Gläubiger im Vorfeld der Insolvenz.

G. Informationspflichten gegenüber Gläubigern Zu den zentralen Anliegen der Diskussion über den angemessenen Schutz von Gläubigern gehört unter anderem der Wunsch nach zeitnaher und substanzieller Information der Gläubiger über die jeweilige wirtschaftliche Situation des Unternehmens. Dabei geht es einerseits um regelmäßige Pflichtpublizität der Gesellschaft, andererseits um ad-hoc-Informationen in der Krise. Zu beiden Themen gibt es unterschiedliche Auffassungen:

125 Habersack, ZGR 2008, 533; Schall, aaO (Fn. 12), S. 213 ff; Schön, ZHR 168 (2004), 268; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274; Tröger/Dangelmayer, ZGR 2011, 558, 568 ff. 126 Näher Altmeppen, FS Hüffer, S. 1; Kleindiek, FS K. Schmidt, S. 893, 900 ff; Schall, aaO (Fn. 12), S. 184 ff; Strohn, ZHR 173 (2009), 589; ders., NZG 2011, 1161, 1168 f, Wiedemann, ZGR 2011, 183, 204 f.

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I. Pflichtpublizität der Kapitalgesellschaft 1. Tatbestand In der europäischen Diskussion wird die Pflicht zur Publizität von Unternehmensdaten traditionell mit dem Anliegen des Gläubigerschutzes begründet.127 Vielfach findet sich hier auch die Annahme, dass die Haftungsbeschränkung in der Kapitalgesellschaft durch die Bereitschaft zu regelmäßiger Offenlegung der Unternehmenszahlen ergänzt werden müsse. Diese – seit Jahrzehnten – in der 1. Richtlinie sowie in der 4. Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft niedergelegte Vorgabe wird als nahezu selbstverständlich eingeschätzt. Sie steht allerdings in deutlichem Gegensatz zur Praxis der Vereinigten Staaten, wo die Einzelstaatenrechte für die geschlossenen Kapitalgesellschaften gerade keine Regelpublizität der Unternehmenszahlen vorschreiben und lediglich auf der Grundlage von Bundesrecht kapitalmarktorientierte Unternehmen vielfältigen Publizitätspflichten unterliegen.128 Bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass die allgemeine Registerpublizität von geschlossenen Kapitalgesellschaften letztlich nachteilige Auswirkungen hat: Sie nützt in erster Linie den Wettbewerbern eines als Kapitalgesellschaft verfassten Unternehmens, wie vielfältig belegt werden kann.129 Für die individuellen Gläubiger hingegen würde es vollständig ausreichen, wenn ihnen die objektive Rechtsordnung einen persönlichen Anspruch auf Vorlage eines geprüften Jahresabschlusses gewähren würde. Wer noch in der Verhandlungssituation steht, kann ohnehin auch ohne gesetzlichen Anspruch seine Bereitschaft zum Vertragsschluss von einer solchen Vorlage abhängig machen.130

2. Haftung Die Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses obliegt typischerweise den Geschäftsführern und den Gesellschaftern. Damit stellt sich die Frage der Haftung dieser Personen für die Schäden von Gläubigern, die im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben im Jahresabschluss der Gesellschaft einen Kredit gewährt haben oder in anderer Weise mit ihr in geschäftlichen Kontakt gekommen sind. Diese Frage, die im deutschen Recht vor allem daran erörtert wird, ob die bilanzrechtlichen Geschäftsführerpflichten sich als drittgerichtete Schutzgesetze darstellen,131 ist de lege ferenda 127 Merkt, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 93; Haas, aaO (Fn. 8), S. E 105 ff; Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 383 f. 128 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 124 f. 129 Schön, in: Schön, Rechnungslegung und Wettbewerbsschutz im deutschen und europäischen Recht, 2009, S. 563 ff. 130 Allen/Kraakman/Subramanian, Commentaries and Cases on the Law of Business Organizations, 3. Aufl., 2009, Abschn. 6.1, S. 133. 131 Siehe etwa Schnorr, ZHR 170 (2006), 9; a.A. Grigoleit, aaO (Fn. 1), S. 136 ff; Merkt, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 118.

G. Informationspflichten gegenüber Gläubigern

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zu bejahen. Eine bloße Schadensersatzhaftung der Gesellschaft als solcher für fehlerhafte Bilanzen bringt den Gläubigern keinen Vorteil: ihnen steht das Gesellschaftsvermögen ohnehin als Haftungsmasse zur Verfügung. Ein Schaden der Gesellschaft, den diese gegenüber den Geschäftsführern mit Wirkung für die Gläubiger geltend machen könnte, ist andererseits nicht erkennbar oder jedenfalls nicht kongruent zum Gläubigerschaden. Um sinnvolle Anreize für eine ordnungsmäßige Unternehmenspublizität vorgeben zu können, muss daher eine vorsätzliche oder fahrlässige Fehlbilanzierung eine persönliche Haftung der Geschäftsführer zur Folge haben können. Die eigentliche Aufgabe besteht darin, die Beurteilungsspielräume der Geschäftsführer – namentlich bei der faktischen Benennung und Bewertung von Risiken – angemessen zu würdigen. Gesellschafter sollten immer dann ebenfalls dieser Haftung unterliegen, wenn und soweit sie aktiv Einfluss auf die Aufstellung der Bilanz genommen haben. Haben sie sich darauf zurückgezogen, das von den Geschäftsführern erstellte und von Wirtschaftsprüfern testierte Rechenwerk zu genehmigen, so trifft sie im Grundsatz keine Haftung, da ihnen auch keine Prüfungspflicht zuzumuten ist. Ein anderes kann nur bei vorsätzlichem Handeln oder deutlicher Evidenz eines Fehlers angenommen werden. Einen Extremfall dieser Informationshaftung bildet schließlich die häufig als Fall der „Durchgriffshaftung“ qualifizierte Haftung für Vermögensvermischung, bei der die Gläubiger in erster Linie dadurch gefährdet werden, dass eine nachvollziehbare Zuordnung von Vermögensgegenständen zum Gesellschaftervermögen und zum Gesellschaftsvermögen anhand der Buchführung nicht mehr möglich ist („Waschkorblage“).132 Es ist aber nicht die Mischung der Vermögenssphären als solche, sondern das daraus resultierende Informationsproblem, das eine Haftung legitimiert.

II. Offenlegung einer wirtschaftlichen Notlage Im System des Gesetzes wird die wirtschaftliche Notlage eines Unternehmens entweder deutlich in den Angaben, die im Rahmen der Registerpublizität offengelegt werden, oder durch die Publizitätswirkung, die mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verbunden ist. Eine Ad-hoc-Publizität, wie sie das Kapitalmarktrecht zum Schutz von Investoren kennt, ist auf der Ebene der geschlossenen Gesellschaft nicht vorgesehen – auch nicht als Ergänzung zur weit gefassten Bilanzpublizität des Europäischen Gesellschaftsrechts. Allerdings wird gerade in den Niederlanden sowie in den skandinavischen Ländern eine solche Aufklärungspflicht anerkannt133 und auch in Deutschland wurde über viele Jahre eine Geschäftsführerhaftung aus culpa in contrahendo praktiziert. Heute wird auf der Grundlage der vollen Deliktshaftung der Geschäftsführer gegen-

132 Merkt/Spindler, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 213 f. 133 Nachweise bei Kalss/Adensamer/Oelkers, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 159, 161, 170 f.

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über Neugläubigern nach § 823 Abs. 2 BGB eine Art „Publizitätshaftung“ durchgesetzt, wenn eine Kapitalgesellschaft nicht rechtzeitig in ein formales – und damit auch für Gläubiger sichtbares - Insolvenzverfahren geführt wird.134 Man muss darüber nachdenken, ob eine solche gläubigerorientierte Ad-hoc-Publizität Sinn ergibt. Dafür müsste man die Geschäftsführer eines Unternehmens verpflichten, den Eintritt einer wirtschaftlichen Krise (im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz) einer allgemeinen Öffentlichkeit oder jedenfalls allen bekannten Gläubigern mitzuteilen. Dies erscheint nicht ratsam. Vielmehr würde dies ein Unternehmen in schwieriger Lage dem generellen Verdacht der baldigen Insolvenz aussetzen und damit die redlichen Versuche der Geschäftsführer, das Unternehmen wieder auf das richtige Gleis zu bringen, konterkarieren. Eine allgemeine Publizitätspflicht für wirtschaftliche Notlagen kann daher nicht befürwortet werden.135 Dies führt zu der spezifischen Frage, ob Geschäftsführer in konkreten Verhandlungen mit Gläubigern verpflichtet sind, über eine bestehende wirtschaftliche Krise des Unternehmens aufzuklären. Selbstverständlich ist in allen Rechtsordnungen, dass den Geschäftsleitern keine misrepresentation erlaubt ist: Alle positiven Angaben zur Lage des Unternehmens müssen bei Gefahr der persönlichen Haftung der Wahrheit entsprechen. Problematisch ist das „Unterlassen“ einer solchen Aufklärung im Vorfeld einer Insolvenz. Soll es – so muss man fragen – im Vorfeld der eigentlichen Insolvenzantragspflicht eine haftungsbewehrte Aufklärungspflicht gegenüber Geschäftspartnern geben? Schaut man näher hin, so stellt man fest, dass die Thematik einer Aufklärungspflicht eng zusammenhängt mit derjenigen des Zeitpunkts für das Einsetzen der Insolvenzantragspflicht. Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass de lege lata und de lege ferenda der Zeitpunkt für den Insolvenzantrag nicht so früh liegt, dass im Insolvenzverfahren sämtliche ausstehenden Forderungen sicher erfüllt werden können. Vielmehr wird – sowohl durch die Anwendung der Bilanzierungsregeln beim Überschuldungsstatus als durch die Berücksichtigung eines prognostischen Elements – den Geschäftsführern gestattet, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einer Weise hinauszuzögern, welche die Ansprüche der Gläubiger effektiv gefährdet. Dieses Recht der Geschäftsführer, zur Rettung des Unternehmens trotz rechnerischer Insolvenz Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere neue Aufträge und neues Kapital zu akquirieren, führt allerdings zu einer Situation der Asymmetrie: Die Geschäftsführer wissen um den Stand des Unternehmens, die (potentiellen) Gläubiger wissen es nicht, so dass die Geschäftsführer ein Stück weit auf Kosten dieser Gläubiger spekulieren können. Dies spricht für eine Rechtsregel, nach der die Unternehmensleiter in der Krise ihre Geschäftspartner in Vertragsverhandlungen positiv auf die Bonitätsrisiken der Kapitalgesellschaft hinweisen müssen.136 Natürlich lässt sich wiederum anführen,

134 Zum Verhältnis siehe Casper, in: Ulmer/Habersack/Winter, Komm. z. GmbHG, 2008, § 64 Rdn. 154 f. 135 Siehe auch Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 387. 136 A. A. Mülbert, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 386 f, der Informationspflichten erst im Zeitpunkt der Insolvenz entstehen lassen will.

H. Kapital

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dass diese Auskunftspflicht die Chancen auf eine Rekapitalisierung der Gesellschaft dämpft – doch muss man dann auch akzeptieren, dass ein genereller Ausschluss dieser Offenlegungspflicht im Vorfeld einer Insolvenz potentielle Gläubiger auch gesunder Unternehmen eher abschrecken und daher zu einer adversen Selektion auf den Kreditmärkten führen kann. Daraus resultiert, dass in einer schweren wirtschaftlichen Krise die Geschäftsführer des Unternehmens potentielle Geschäftspartner auf die potentielle Insolvenz der Gesellschaft aufmerksam machen müssen. Als angemessene Sanktion kommt nur die persönliche Haftung dieser Geschäftsführer in Betracht, denn eine Haftung der Gesellschaft würde nicht über den ohnehin geschuldeten Betrag hinausgehen. Gesellschafter sollten persönlich haften, wenn sie entweder in persona Verhandlungen mit potentiellen Gläubigern geführt oder die Geschäftsführer angehalten haben, die wahren Verhältnisse nicht offenzulegen.

H. Kapital I. Einleitung Im Mittelpunkt der öffentlichen Fachdiskussion über die Zukunft des Gläubigerschutzes im Gesellschaftsrecht steht das Rahmenwerk des legal capital, die gesetzlichen Regeln über die Aufbringung und Erhaltung des Gesellschaftskapitals als Beitrag der Gesellschafter zur Finanzierung der Unternehmen.137 Dass diese Thematik erst am Ende dieser Darstellung erörtert wird, hat seinen Grund darin, dass sämtliche vorausgehenden Themenstellungen – die Verhaltenspflichten von Geschäftsführern und Gesellschaftern, das Recht und die Pflicht zur Einleitung eines Insolvenzverfahrens sowie die Ausschüttungsgrenzen anhand eines Bilanz- oder Solvenztests – davon nicht zwingend berührt werden. Ein Kapitalschutzsystem sollte nur als Ergänzung und Verstärkung, aber nicht als gedanklicher Ausgangspunkt des nach den vorstehenden allgemeinen Regeln erarbeiteten Gläubigerschutzsystems verstanden werden. Das Thema „Kapital“ lässt sich in drei Grundthemen untergliedern:138 die Notwendigkeit eines gesetzlichen „Mindestkapitals“, die Regeln über die Aufbringung und Erhaltung des freiwillig in der Satzung festgelegten Kapitals und schließlich die allgemeine Funktion einer Ausschüttungsgrenze. Alle drei Aspekte sind nicht logisch miteinander verbunden: Ein ausdifferenziertes Kapitalschutzsystem verlangt nicht nach einem Mindestkapital, wenn und soweit sich die Mehrheit der Unternehmen freiwillig auf einen substanziellen Kapitalbetrag festlegt. Eine Kontrolle von Ausschüttungen verlangt ebenfalls nicht nach einem Kapitalsystem, wie die Ausführungen oben belegen. Vielmehr reicht es dafür aus, eine an einem Solvenztest oder einem Bilanztest orientierte Kontrolle für Dividenden und Vermögensverlagerungen einzuführen.

137 Lutter, aaO (Fn. 13), S. 1. 138 Schön, Der Konzern 2004, 162.

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II. Mindestkapital Der national139 und international140 geführten Diskussion über die Vorzüge eines gesetzlichen Mindestkapitals lassen sich keine wesentlichen Argumente hinzufügen. Während sich in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung der Wunsch nach einem spürbaren „Eintrittsgeld“ zur Seriositätsgewähr nach wie vor hält141 und auch der Gedanke eines „Qualitätssignals“142 i.S. eines Bekenntnisses der Gesellschafter zum eigenen Geschäftsmodell vorgetragen wird, hat sich in der Realität und im Wettbewerb des europäischen Gesellschaftsrechts längst eine andere Richtung die Bahn gebrochen. Nicht nur ist es auf europäischer Ebene zu keinem Zeitpunkt gelungen, in Entsprechung zur aktienrechtlichen 2. Richtlinie auch für geschlossene Kapitalgesellschaften in Europa ein gläubigerschützendes Kapitalsystem zu installieren; auch in den Rechten der Mitgliedstaaten haben sich in den letzten 10 Jahren immer mehr kleine Kapitalgesellschaften ohne Mindestkapital etabliert.143 Bedenkt man, welche geringen Schutzwirkungen die schnell verwirtschafteten und in der Insolvenz weitgehend irrelevanten Mindestkapitalbeträge bieten, sprechen gute Gründe dafür, ein solches Mindestkapital nicht gesetzlich zwingend vorzugeben.144 Ebenso wenig lassen sich operationalisierbare Maßstäbe für eine generelle Gesellschafterhaftung aus dem Gesichtspunkt der „materiellen Unterkapitalisierung“ entwickeln.145 Ob und in welchem Umfang die Höhe des statutarischen Kapitals publik gemacht werden sollte,146 insbesondere durch die Wahl einer besonderen Bezeichnung für diese Gesellschaften, ist eine andere Frage. Dem Gedanken der Privatautonomie und der Transparenz von unternehmerischen Angaben entspricht es, hier klare Signale gegenüber dem Geschäftsverkehr zu setzen.

139 Lutter, aaO (Fn. 13), S. 4, 7 f; Eidenmüller/Grunewald/Noack, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 17; Fleischer, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 27; Mülbert, in: Eidenmüller/ Schön, aaO (Fn. 22), S. 389 ff; Schall, aaO (Fn. 12), S. 101 ff. 140 Armour, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 3, 15 ff. 141 Siehe etwa für die SPE: Haaker, ZGR 2010, 1056, 1065, 1092; Hommelhoff, ZHR 173 (2009), 255, 262 ff; Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 338 f; Pfennig, aaO (Fn. 8), S. 101 ff; Wicke, GmbHR 2011, 566, 572; zu den neueren Vorstellungen einer Mitgliedstaaten-Option siehe Freudenberg, NZG 2010, 527, 527 f; Wedemann, EuZW 2010, 534, 537. 142 Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433. 143 Überblick bei: Witt, ZGR 2009, 872 (dort auch zur Ausnahme Schweiz). 144 Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 130 f; so auch für die SPE: Davies, FS Hopt, S. 479, 487 ff. 145 Für die Gegenauffassung siehe Bitter, in: Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, aaO (Fn. 27), S. 57. 146 Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2010, 337, 339.

H. Kapital

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III. Statutarisches Kapital 1. Das satzungsmäßige Kapital als kollektive Haftungszusage In den vergangenen Jahren ist mehrfach der Gedanke entfaltet worden, das klassische Kapitalschutzsystem auch ohne die Festlegung eines gesetzlichen Mindestkapitals beizubehalten und schlicht auf das jeweils von den Gründern oder Gesellschaftern gewählte satzungsmäßige Kapital anzuwenden.147 Der Hintergrund dieses Vorschlags ist sowohl faktischer als auch rechtlicher Natur. Im Tatsächlichen ist festzuhalten, dass die allermeisten Gesellschaften ohnehin Eigenkapital in einem Umfang aufnehmen, der weit über das gesetzliche Mindestkapital hinausgeht. Diesem statutarischen Kapital kann daher durchaus eine gläubigerschützende Funktion zukommen. Im Rechtlichen ist zu sehen, dass dieses Kapital den Charakter einer „kollektiven Haftungszusage“ besitzt – nicht im Sinne eines unmittelbaren Vertrages zwischen Gesellschaftern und Gläubigern, sondern im Sinne einer Selbstbindung, die einen Abzug dieses Kapitals nur unter den besonderen Kautelen der förmlichen Kapitalherabsetzung (mit entsprechender Publizität und entsprechenden Sicherungsmechanismen) erlaubt. Das Rechtsinstitut des satzungsmäßigen Kapitals erlaubt den Gründern oder Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft daher, über die bloße Bereitstellung ungebundener Mittel und über vertragsrechtliche Zusagen (Gesellschafterbürgschaften, Patronatserklärungen) hinaus, der Gesellschaft Finanzmittel zur Verfügung zu stellen, die mit einer besonderen Bindung zugunsten der Gläubiger ausgestattet sind. Bei dieser Betrachtung stellt sich das Kapitalschutzsystem nicht als lästiges Zwangsinstrument dar, sondern als Erweiterung der privatautonomen Handlungsformen der Gesellschafter. Es ist in ihrer Hand, ob und in welchem Umfang sie von diesem Instrument Gebrauch machen und damit ein Bonitätssignal an alle potentiellen und aktuellen Gläubiger senden. Wenn und soweit sie ein solches Kapital bereitstellen, sind natürlich auch Mechanismen zur Kontrolle der Aufbringung und Erhaltung dieses Kapitals zu installieren.148 Dabei kann es den Gesellschaftern (bei entsprechender Publizität) auch überlassen bleiben, ob sie das Kapital unmittelbar einzahlen oder nur eine entsprechende Haftsumme garantieren.149 Im Schrifttum ist dieses Konzept häufig deshalb kritisiert oder jedenfalls für überflüssig erklärt worden, weil den Gläubigern unbenommen sei, in privatvertraglichen covenants individuell die Bereitstellung von Eigenkapital, die Einhaltung von Fremdund Eigenkapitalrelationen oder auch die Begrenzung von Ausschüttungen zu regeln.150 Demgegenüber bleibt festzuhalten, dass diese individualvertraglichen Rege147 Schön, ZHR 166 (2002), 1, 4 f; ders., Der Konzern 2004, 162; ders., 5 Eur. Bus. Org. L. Rev., 429, 438 ff (2004). 148 Zur Reform der Kapitalaufbringung im Europäischen Recht siehe näher Pentz/ Priester/Schwanna, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 42; Jung, EuZW 2012, 129; dies., EWS 2012, 25; Pfennig, aaO (Fn. 8), S. 59 ff; zur Vereinfachung siehe jüngst Hentzen/ Schwandtner, ZGR 2009, 1007. 149 Bayer, GmbHR 2010, 1289 ff. 150 Armour, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), 19 f.

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lungen nicht allen potentiellen Gläubigern zu Gebote stehen und diese als free rider der Verhandlungen von Großgläubigern keine verlässliche Rechtsposition erhalten; vor allem wird damit verkannt, dass gerade solche covenants sich eher als sinnvolle Ergänzung denn als Gegensatz zu einem kollektivvertraglichen „Mindestschutz“ durch eine freiwillig gewählte Kapitalziffer verstehen lassen. Es bleibt dabei, dass das gezeichnete Kapital als kollektive Haftungszusage gegenüber dem Publikum verstanden und entsprechend gebunden sein kann.

2. Die Differenzierung zwischen Haftungskapital und Betriebskapital Der wichtigste Einwand, der bisher im Schrifttum gegen diese Konzeption vorgetragen worden ist, stammt von Eilis Ferran.151 Sie legt dar, dass die Wahl der Eigenkapitalziffer durch die Gründer oder Gesellschafter in der Praxis stärker durch betriebswirtschaftliche Finanzierungserfordernisse als durch die Haftungsrelevanz des Eigenkapitals begründet ist. Wer ein mittleres oder großes Unternehmen ins Leben rufe oder als Geschäftsführer einer solchen Gesellschaft vor der Wahl stehe, Eigen- oder Fremdkapital aufzunehmen, der fälle diese Entscheidung nach den finanziellen Aspekten der jeweiligen Kapitaltitel (Gewinnabhängigkeit, Beteiligung am Liquidationserlös) oder nach anderen rechtlichen Aspekten (Stimmrechte), nicht aber nach dem Umfang des damit ausgelösten Gläubigerschutzes. Diese Argumentation überzeugt zum Teil; ihr muss daher auch zum Teil Rechnung getragen werden. Einerseits bleibt festzuhalten, dass es zur Definition des Eigenkapitals in allen Rechtsordnungen gehört, dass sämtliche Eigenkapitaltitel in der Insolvenz nachrangig sind gegenüber sämtlichen Fremdkapitaltiteln. Insofern ist eine bestimmte gläubigerschützende Funktion von Eigenkapital in keinem Fall zu vermeiden; sonst wäre die gesamte Differenzierung zwischen Eigen- und Fremdkapital gefährdet. Nicht zwingend mit dem Eigenkapitalcharakter der Finanzmittel verbunden ist allerdings ihre strenge Bindung an das Gesellschaftsvermögen, die in dem Umstand zum Ausdruck kommt, dass sie nur mit Hilfe einer formalen Kapitalherabsetzung – und entsprechenden Sicherungen für die Unternehmensgläubiger – aus der Gesellschaft abgezogen werden können. Man kann sich durchaus vorstellen, dass eine bestimmte Gruppe von Finanziers zwar bereit ist, gegenüber dem Fremdkapital nachrangiges Eigenkapital zur Verfügung zu stellen, dass sie aber nicht eine solche formale Bindung dieser Mittel zum Schutze der Gläubiger wünschen. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, den privatautonomen Charakter der Eigenkapitalzusage weiter auszudifferenzieren. Dafür ist lediglich erforderlich, das in Geschäftsanteilen repräsentierte „Eigenkapital“ in „haftendes“ und „freies“ Eigenkapital zu untergliedern. Während das „haftende“ Eigenkapital als solches im Handelsregister eingetragen wird, nach strengen Regeln aufgebracht werden muss, scharfen

151 Ferran, 3 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 178, 196 (2006); zustimmend Armour/Hertig/Kanda, in: Kraakman et al., aaO (Fn. 21), S. 131 Fn. 91.

H. Kapital

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Ausschüttungsgrenzen unterliegt und nur in einem formalen Verfahren herabgesetzt werden kann, ist das „freie Eigenkapital“ nicht so stark gebunden. Es kann auch ohne Formalien durch entsprechende Willensbildung der Gesellschafter abgezogen werden. Allerdings genießt es in der Insolvenz der Gesellschaft nicht den gleichen Rang wie Fremdkapital. Damit wäre ein Modell geschaffen, das sein mittelbares Vorbild in der aus dem Recht der Kommanditgesellschaften bekannten Differenzierung zwischen „Haftsumme“ und „Pflichteinlage“ findet. Der gesamte von einem Gesellschafter versprochene und eingezahlte Kapitalbetrag repräsentiert die geleistete „Pflichteinlage“. Wenn und soweit die Gesellschafter diesen Betrag als „haftendes Eigenkapital“ bezeichnen, unterliegt er den tradierten Regeln zur Aufbringung und Erhaltung von Gesellschaftskapital. Das Recht des Staates Delaware kennt eine vergleichbare Differenzierung, wenn dort der Gesellschaft das Recht eingeräumt wird, die auf Aktien eingezahlten Mittel in gebundenes capital und freien surplus aufzuteilen (siehe sec.154, 170 Delaware General Corporation Law). Die Realität wird dann zeigen, ob und in welchem Umfang die Gesellschafter und Geschäftsführer von der Option Gebrauch machen werden, ihre Gesellschaften mit einem stärker gebundenen „haftenden Kapital“ auszustatten.152 Erst wenn sich erweist, dass diese Option nicht substanziell aufgegriffen wird, kann man erwägen, das Konzept des haftenden Kapitals ganz aufzugeben. Empirische Studien aus den USA, die für Staaten mit einem Kapitalschutzsystem geringere Kreditkosten nachweisen können, deuten in eine für das Kapitalsystem günstige Richtung.153 Ein wichtiger Gesichtspunkt, der die Freistellung des geschilderten „freien“ Eigenkapitals von seiner gläubigerschützenden Funktion betrifft, ist jedoch die insolvenzrechtliche Würdigung von Auszahlungen aus dem „ungebundenen Eigenkapital“ an die Gesellschafter im Vorfeld der Insolvenz. Klar ist, dass einerseits die strengen Regeln der Kapitalerhaltung und formellen Kapitalherabsetzung nicht gelten.154 Klar ist auch, dass die allgemeinen Schranken des „Bilanztests“ oder des „Solvenztests“ auf jede Art der Eigenkapitalauskehr angewendet werden müssen. Beachtlich erscheint darüber hinaus die Frage, ob es für die Rückführung „ungebundener“ Eigenkapitaltitel eine zeitliche Bindung geben muss, die – wie im geltenden deutschen Insolvenzrecht für Gesellschafterdarlehen – alle Auszahlungen innerhalb eines Jahres vor Insolvenzeröffnung einer Rückzahlungspflicht unterwirft. Für die Anwendung von insolvenzrechtlichen Rückforderungsrechten für „ungebundenes“ Eigenkapital spricht nicht nur die Analogie zu den Gesellschafterdarlehen. Hinzu tritt die Informationsasymmetrie zwischen Gesellschaftern und Gläubigern,

152 Zur Praxis in Delaware vgl. KPMG, Feasability Study on an Alternative to the Capital Maintenance Regime established by the Second Company Law Directive 77/91/EEC of 13 December 1976 and an examination of the impact on profit distribution of the new EU-accounting regime, Main Report, 2008, S. 161 ff. 153 Mansi/Maxwell/Wald, 52 J. L. & Econ. 701 (2009); Wald/Lang, 83 J. Fin. Econ. 287 (2007). 154 Siehe auch im UK: Sec. 642(1) Companies Act 2006; Witt, ZGR 2009, 872, 893 f.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

die schon jetzt für stille Gesellschaften eine Sonderanfechtung erlaubt (§ 136 InsO); auch muss erneut berücksichtigt werden, dass die oben befürwortete Regelung zur Insolvenzantragspflicht, die den Geschäftsführern in der Krise „Rettungsversuche“ auf Kosten der Gläubigerquote gestattet, der Gefahr von Kapitalabzug im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz begegnen muss. Wer in einer solchen Situation Leistungen nur dem „Bilanztest“ unterwirft, begibt sich auf unsicheren Boden. Es sprechen daher gute Gründe dafür, dass der Insolvenzverwalter die Rückabwicklung aller Kapitalrückzahlungen aus dem Zeitraum eines Jahres vor Insolvenzeröffnung verlangen kann. IV. Gesellschafterdarlehen Das „freie Kapital“ ähnelt damit stark den eigentlichen Gesellschafterdarlehen, ist diesen gegenüber in der Insolvenz jedoch nachrangig gestellt. Die Regelung dieser Gesellschafterdarlehen ist gegenwärtig sehr uneinheitlich. Sowohl Deutschland als auch die USA und viele andere Länder kennen Sonderregeln, die einen Nachrang (subordination) oder eine Umqualifizierung (recharacterization) solcher Gesellschafterdarlehen vorsehen; zu diesen gehören jedoch nicht England oder Frankreich.155 Die rechtfertigende Grundlage für diese Sonderregeln wird in der Anreizstruktur für die Gesellschafter gesehen.156 Will man ihnen zugestehen, dass sie, wenn ihre Fremdmittel in der wirtschaftlichen Krise zum Einsatz kommen, zwar (nahezu) den gesamten Erfolg vereinnahmen, bei einem Fehlschlag des Engagements jedoch wie ein gewöhnlicher Gläubiger an der Quote partizipieren? Dagegen spricht, dass der Gesellschafter-Darlehensgeber, auch wenn er auf sein Darlehen nur einen festen Rückzahlungsbetrag sowie Zinsen erhält, auf dem „Umweg“ über seine Eigenkapitalbeteiligung die Gewinne im Erfolgsfall vereinnahmen kann. Daher ist nicht nur – wie zuerst von Mülbert vorgeschlagen157 – die Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen im Vorfeld der Insolvenz gesetzlich anzugreifen; vielmehr sind – der neuen deutschen Regelung folgend - prinzipiell alle Gesellschafterdarlehen gegenüber dem eigentlichen Fremdkapital nachrangig gestellt und lediglich gegenüber dem eigentlichen Eigenkapital vorrangig zu befriedigen.158 Die Alternative – Gesellschafterdarlehen und Drittdarlehen gleichrangig zu bedienen und die problematische Anreizstruktur über Verhaltenspflichten der Geschäfsführer zu steuern – erscheint demgegenüber schwer zu operationalisieren.

155 Böckmann, aaO (Fn. 20), S. 210 ff; Witt, ZGR 2009, 872, 886 ff, 922 ff; Huber/Habersack, in: Lutter, aaO (Fn. 13), S. 372 ff; Skeel/Krause-Vilmar, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 261; Cahn, in: Eidenmüller/Schön, aaO (Fn. 22), S. 289; für die SPE siehe Hommelhoff, ZHR 179 (2009), 255, 270 f. 156 Engert, ZGR 2004, 813. 157 AaO (Fn. 22), S. 398 ff; ebenso Eidenmüller, FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 49. 158 Verse, 9 German L.J. 1109 (2009); Pentz, FS Hüffer, S. 747; kritisch Spindler, JZ 2006, 839, 844 ff.

I. Ergebnisse

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I. Ergebnisse Der Gläubigerschutz im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft beruht nach den vorstehend entwickelten Überlegungen auf folgenden Säulen: 1. Gesellschafter, Geschäftsführer und Gläubiger schließen ihre Verträge auf der Grundlage eines bestimmten „Geschäftsmodells“ der Gesellschaft, das den Gesellschaftszweck, den Unternehmensgegenstand, die allgemeinen Grundsätze ordnungsmäßigen betrieblichen Handelns sowie gegebenenfalls Haftungsfreistellungen für die Geschäftsführer und die Gesellschafter enthält. Änderungen des Gesellschaftsvertrages in diesen Punkten berechtigen die Gläubiger zur Kündigung der Kreditverhältnisse aus wichtigem Grund. 2. Die Geschäftsführer betreiben das Unternehmen der Gesellschaft mit dem Ziel der Maximierung des Unternehmenswerts. Diese Zielsetzung wird auch im Vorfeld der Insolvenz der Gesellschaft nicht verändert. Die Geschäftsführer sind berechtigt und verpflichtet, im Rahmen des Unternehmensgegenstandes und im Einklang mit allgemeinen Regeln zur Risikostreuung auch riskante Geschäfte zu tätigen. Pflichtverletzungen führen zur Haftung gegenüber der Gesellschaft, die in der Insolvenz auch durch den Verwalter oder die Gläubiger geltend gemacht werden kann. In Ausnahmefällen können solche Ansprüche auch gegen Gesellschafter begründet sein, die in die Geschäftsführung eingreifen. 3. Die Herrschaft über das Unternehmen geht nicht mit der Krise, wohl aber mit dauerhafter Insolvenz auf die Gläubiger über. Solange die Gesellschaft nach Zerschlagungswerten solvent ist, besteht kein Anlass für ein Eingreifen der Geschäftsführer. Bei Insolvenz nach Zerschlagungswerten, aber bei positiver Fortführungsprognose, besteht eine verschärfte Beobachtungspflicht der Geschäftsführer. Bei Insolvenz nach Zerschlagungswerten, aber bei negativer Fortführungsprognose, bestehen Informations- und Handlungspflichten der Geschäftsführer sowie ein Insolvenzantragsrecht der Gläubiger. Bei dauerhafter Überschuldung und spätestens bei Zahlungsunfähigkeit findet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt. 4. Die Geschäftsführer unterliegen einer Haftung für Insolvenzverschleppung, die Gesellschafter nur im Ausnahmefall. Diesen steht allerdings das Recht zu, einen Insolvenzantrag zu stellen. 5. Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen sind nach Maßgabe eines konservativen Bilanztests verboten. Dies gilt gleichermaßen für offene Dividenden und verdeckte Vermögensverlagerungen. Weitere, die Insolvenz auslösende eigennützige Maßnahmen von Geschäftsführern und Gläubigern sind ebenfalls untersagt. 6. An dem Konzept der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung ist mit folgenden Modifikationen festzuhalten: a. Das gesetzliche Mindestkapital wird bei geschlossenen Kapitalgesellschaften aufgegeben. b. Das statutarische Kapital wird als Option auf eine „kollektive Haftungszusage“ beibehalten. Es bleibt den Gesellschaftern überlassen, in welchem Umfang ihre Kapitalbeiträge als „freies“ oder „haftendes“ Kapital geführt werden sollen.

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§ 5 Gläubigerschutz in der geschlossenen Kapitalgesellschaft

c. Das gezeichnete Kapital bildet eine Ausschüttungsgrenze. Als weitere Untergrenze bleibt für alle Gesellschaften die Schuldendeckungsfähigkeit nach dem unter Nr. 5 genannte Bilanztest. 7. Gesellschafter-Darlehen und freies Kapital, die innerhalb eines Jahres vor Insolvenzeröffnung ausgezahlt werden, können in der Insolvenz zurückgefordert werden. Gesellschafterdarlehen sind gegenüber Drittdarlehen mit Nachrang ausgestattet.

§6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung* Der Fokus der vorangegangenen Abschnitte lag auf den (Interessen-)Konflikten zwischen den Gesellschaftern einer geschlossenen Kapitalgesellschaft, auf den Konflikten zwischen diesen und den Geschäftsleitern sowie auf denjenigen zwischen den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft und Dritten. Es ging um die Frage, durch welche Regeln sich die mit diesen Konflikten verbundenen Kosten minimieren lassen. In diesem Abschnitt werden demgegenüber eher technische, operative Fragen der Geschäftstätigkeit in den Blick genommen: solche der Errichtung und Führung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft sowie des Gesellschafterwechsels. Im Fokus stehen damit jetzt nicht Konfliktkosten, sondern vielmehr Transaktionskosten und deren Senkung.1 Die ökonometrische Forschung hat in den letzten Jahren gezeigt, welchen Stellenwert insbesondere Gründungskosten und -geschwindigkeit für die Rechtsformwahl besitzen.2 Ein diesbezüglich attraktives Angebot ist ein Schlüsselfaktor für den Erfolg einer Rechtsform im internationalen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte. Gleichzeitig konnte auch eine Korrelation zwischen einfacher, schneller und kostengünstiger Firmengründung in einem Land sowie den Gründungszahlen und dem nationalen Wirtschaftswachstum empirisch erhärtet werden.3 Es geht also nicht nur um die Attraktivität einer Rechtsform, sondern auch um die volkswirtschaftliche Prosperität einer Region, in der diese als Vehikel für ökonomische Aktivitäten zur Verfügung steht. Eine hohe Gründungsgeschwindigkeit verringert im Übrigen die juristischen Probleme und vor allem Haftungsrisiken, die geschäftliche Aktivitäten im Errichtungsstadium für die Gründer mit sich bringen. Entsprechend dem in § 2 C.I. formulierten Regelungsziel wird sich die Analyse primär an den wohlfahrtsökonomischen Effizienzeffekten unterschiedlicher Regelungen orientieren. Das bedeutet zunächst, dass die mit der Errichtung und Führung einer Gesellschaft sowie dem Gesellschafterwechsel verbundenen Transaktionskosten, wie bereits erwähnt, möglichst niedrig gehalten werden sollten. Transaktionskosten sind als solche wohlfahrtsmindernd – es gilt, die mit ihnen verbundenen Verluste zu begrenzen. Niedrige Transaktionskosten haben aber auch den positiven Nebeneffekt, dass dadurch privatautonome Aushandelungsprozesse erleichtert werden und so eine effiziente Ressourcenallokation gefördert wird.4 * Der Text beruht auf einem Entwurf von Eidenmüller. 1 Damit wird nicht gesagt, dass Konflikte und Konfliktkosten bei Errichtung, Führung und Anteilsübertragung keine Rolle spielen. Das tun sie sehr wohl. Sie stehen nur nicht – anders als in den vorangegangenen Kapiteln – im Fokus. 2 Becht/Mayer/Wagner, 14 J. Corp. Fin. 241 (2008). 3 Djankov/La Porta/Lopez-de-Silanes/Shleifer, 17 Q. J. Econ. 1 (2002); Klapper/Laeven/Rajan, 82 J. Fin. Econ. 591 (2006); Braun/Eidenmüller/Engert/Hornuf, Does Charter Competition Foster Entrepreneurship? A Difference-in-Difference Approach to European Company Law Reforms, ECGI – Finance Working Paper No. 308/2011, http://ssrn.com/ abstract=1827962. Vgl. aber auch van Stel/Storey/Thurik, 28 Small Bus. Econ. 171 (2007). 4 Vgl. § 2 C.II.1.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

Inhaltlich sollten Regeln zur Errichtung, Führung und Anteilsübertragung grundsätzlich dispositiv sein und dasjenige vorsehen, was verständig handelnde Parteien vereinbaren würden, wenn sie das jeweilige Problem bedacht und explizit geregelt hätten (Replizierung einer hypothetischen Verhandlungslösung 5). Nur dispositive Regeln erlauben eine privatautonome Korrektur des gesetzlichen „Angebots“, sollte dieses den Präferenzen der Marktteilnehmer im Einzelfall nicht entsprechen. Zwingende Vorschriften sind allerdings dann gerechtfertigt, wenn private Aushandelungsprozesse aufgrund von Informationsasymmetrien, Irrationalität oder Verhandlungsschwäche eines Beteiligten keine allseits interessenkonformen Lösungen hervorbringen.6

A. Errichtung Die Errichtung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft wird im Folgenden aus der Warte einer „Gründung aus dem Nichts“ betrachtet. Umwandlungsvorgänge bleiben demzufolge ausgeklammert. Ausgeklammert bleiben auch sämtliche Fragen, die mit der Festlegung und Aufbringung eines bestimmten Gesellschaftskapitals verknüpft sind. Diese Fragen betreffen zentral den Gläubigerschutz.7 Konzeptionell geht es bei der Errichtung zum einen um die insoweit einzuhaltenden materiellen Anforderungen, zum anderen um das oder die formellen Verfahren, in dem bzw. in denen die Einhaltung dieser Anforderungen geprüft wird.8 Zeit und Kosten der Gründung sind eine Funktion dieser beiden Variablen: Je mehr materielle Anforderungen eingehalten werden müssen, und je größer die Zahl der Verfahren ist, in denen diese überprüft werden, desto länger wird die Errichtung tendenziell dauern, und desto teurer wird sie tendenziell sein.

I. Bestehende Modelle Weltweit lässt sich feststellen, dass die Errichtung einer (geschlossenen) Kapitalgesellschaft zumeist jedenfalls die Zeichnung eines Gründungsdokuments durch den oder die Gründer, die Einreichung dieses Dokuments zu einem (öffentlichen) Register und die Registrierung der Gesellschaft voraussetzt. Das gilt jedenfalls für Europa,9 ähnlich aber auch für die USA: Nach den maßgeblichen Gesetzen der Einzelstaaten entsteht 5 6 7 8

§ 2 C.II.2. § 2 C.III.1. § 5. Ausgegangen wird damit von einem „System der Normativbestimmungen“, nach dem die Errichtung einer Kapitalgesellschaft ein Freiheitsrecht ist, sofern die stipulierten Bedingungen eingehalten werden. Das früher gebräuchliche „Konzessionsmodell“ entspricht nicht mehr den freiheitlichen Rechtssystemen westlicher Prägung. 9 Vgl. Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: Van Hulle/Gesell, European Corporate Law, 2006, S. 25, 28.

A. Errichtung

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dort eine corporation, wenn der secretary of state als zuständige Behörde die articles of incorporation mit dem Vermerk „filed“ versieht (vgl. § 2.03 (a) MBCA) oder – nach anderen Einzelstaaten – wenn er den Gründern ein Inkorporierungszertifikat aushändigt.10 Von diesen (fundamentalen) Strukturgemeinsamkeiten abgesehen, bestehen zwischen den Gründungsprozeduren verschiedener Jurisdiktionen erhebliche Unterschiede. Diese betreffen etwa die notwendige Zahl der Gründer (Zulässigkeit einer Einmanngründung?), einzuhaltende Formerfordernisse (Schriftform? Notarielle Beurkundung?) sowie Kontrollinstanz und -umfang vor Registrierung der Gesellschaft (Notar und/oder Behörde? Einzelne materielle Gründungserfordernisse?).11 Eine wesentliche Fragestellung geht insbesondere dahin, ob eine vollelektronische Gründung in extrem kurzer Zeit (Minuten) möglich sein soll. Einzelne Länder wie in Europa etwa das Vereinigte Königreich und vor allem Dänemark oder außerhalb Europas insbesondere Neuseeland haben dies ermöglicht bzw. sind dabei, es zu ermöglichen. Darauf wird zurückzukommen sein.

II. Regelungsziele Der Gründungsprozess bei einer geschlossenen Kapitalgesellschaft ist prima facie ein Vorgang, bei dem hohe Transaktionskosten anfallen können und deshalb auch ein entsprechendes Potential für Einsparungen besteht. Zu Recht hat deshalb der Europäische Rat am 23./24.3.2006 Beschlüsse gefasst, die zeigen, welche Ziele ohne weiteres als erreichbar angesehen werden: Die Mitgliedstaaten sollen eine zentrale Anlaufstelle für Gründungen einrichten (one-stop shop), die Gründungsdauer soll maximal eine Woche betragen und zu möglichst niedrigen Gebühren erfolgen können.12 Anzustreben ist danach sicherlich ein möglichst einfaches Verfahren, bei dem die Unternehmensgründung nicht durch bürokratische Hürden behindert wird, sofern diese nicht sachlich (zwingend) geboten sind (dazu sogleich). Die Einbindung moderner technologischer Methoden und Systeme in den Gründungsprozess ist jedenfalls dann eine Selbstverständlichkeit, wenn diese etabliert, weit verbreitet sowie kostengünstig und rechtssicher handhabbar sind. Kritisch zu hinterfragen ist die zwingende Beteiligung von Intermediären (Gründungsagenturen, Notare etc.) insbesondere dann, wenn deren Mitwirkung mit einer Vervielfachung des Gründungsaufwandes durch mehrfache Prüfungen verbunden ist. Welches sind nun legitime materielle Erfordernisse, die bei der Gründung eingehalten werden müssen? Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Verwaltungs- oder

10 Vgl. Bainbridge, Corporation Law and Economics, 2002, S. 40; Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 2006, S. 196. 11 Vgl. für die Mitgliedstaaten der EU Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: Van Hulle/Gesell, aaO (Fn. 9), S. 28 ff. 12 Rat der Europäischen Union, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Tagung vom 23./24.3. 2006 in Brüssel), EU Doc. 7775/1/06 REV 1, Tz. 30.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

andere öffentlich-rechtliche Anforderungen (etwa steuerrechtliche) sollten es jedenfalls nicht in erster Linie sein. Unter Transparenz-, Vereinfachungs- und Kostengesichtspunkten gilt es, den Gründungsprozess nicht mit einer Instrumentalisierung für außerhalb des Gesellschaftsrechts liegende Zwecke zu belasten. Unbestreitbar ist demgegenüber, dass eine (Kapital-) Gesellschaft jedenfalls mindestens Gesellschafter und Geschäftsleiter, einen Sitz, eine Firma sowie ein stipuliertes Kapital haben muss.13 Zweifelhafter ist die Notwendigkeit eines Unternehmensgegenstandes.14/15 Sofern es im Außenverhältnis keine ultra vires-Doktrin gibt, kann er immerhin dazu beitragen, den Rechtsverkehr über das Betätigungsfeld der Gesellschaft zu informieren, und vor allem erfüllt er eine wichtige Funktion im Hinblick auf die Begrenzung der Handlungsmacht der Gesellschaftsorgane im Innenverhältnis. Vor der Errichtung der Gesellschaft ist zu prüfen, ob den soeben aufgestellten Erfordernissen formal Genüge getan wurde. Damit ist nicht gesagt, welche weitergehenden inhaltlichen Anforderungen im Hinblick auf diese Merkmale bestehen und ob diese im Zuge des Gründungsprozesses geprüft werden sollten (Zahl und (Dis-)Qualifikation der Gesellschafter/Geschäftsleiter? Zulässige(r) Gegenstand/Sitz/Firma?). Solche weitergehenden Anforderungen sind allerdings unumgänglich. So sind etwa bestimmte Personen als Geschäftsleiter ungeeignet (beispielsweise aufgrund strafrechtlich relevanter Vorverurteilungen), bestimmte Unternehmensgegenstände gesetzeswidrig (etwa solche, die kriminellen Aktivitäten dienen) oder Firmen unzulässig (etwa eine solche, die schon von einer anderen Gesellschaft legitimerweise geführt wird). Wenn aber entsprechende Anforderungen stipuliert werden, dann ist es im Grundsatz auch sinnvoll, deren Einhaltung bereits vor Errichtung der Gesellschaft zu prüfen und die Gründer gewissermaßen nicht in ein offenes Messer laufen zu lassen. Allerdings empfiehlt es sich dann, den Prüfungsaufwand so gering als möglich zu halten, um Transaktionskosten zu sparen.16 13 Eine ganz andere Frage ist, ob es ein Mindestkapital geben sollte. Dazu § 5. 14 Zu der Unterscheidung zwischen Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck (Gesellschaftszweck) im deutschen Recht vgl. etwa Ulmer, in: Ulmer/Habersack/Winter, Komm. z. GmbHG, 2005, § 1 Rdn. 4 ff. Anderen europäischen Rechtsordnungen ist diese Unterscheidung fremd. Auf europäischer Ebene enthalten etwa Art. 3 Abs. 1 und Art. 5 lit. c) EWIV-VO beide Begriffe. Art. 9 Abs. 2 der Publizitäts-Richtlinie und Art. 2 lit. b) der Kapitalrichtlinie sprechen allerdings nur vom Gegenstand des Unternehmens, der Gesellschaftszweck wird nicht erwähnt. 15 Sec. 31(1) Companies Act 2006 verzichtet deshalb für das Vereinigte Königreich auch darauf, von den Gründern eine Angabe der objects of the company zu verlangen. Ebenso Bachmann, ZGR 2001, 351, 359 f. Dass der Vorschlag der SPE-VO sich zum Unternehmensgegenstand verschweigt, dürfte auf den englischen Einfluss zurückgehen; so auch Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 317. Vgl. auch Hirte, FS Hüffer, 2009, S. 329, 333 f. 16 Im Hinblick auf Zahl und (Dis-)Qualifikation von Gesellschaftern/Geschäftsleitern sind automatische Kontrollen (Registerabgleich) bzw. Versicherungen im Gründungsprozess leicht möglich. Auch die Zulässigkeit des gewählten Sitzes kann leicht automatisch geprüft werden. Bzgl. der Firma gilt Gleiches dann, wenn man etwa einen alphanumerischen Code verlangt, wie beispielsweise bei der spanischen Sociedad Limitada Nueva Empresa Artículo 131 Ley 2/1995, de 23 de marzo, de Sociedades de Responsabilidad Limitada, añadido por Ley 7/2003, de 1 de abril, de la sociedad limitada Nueva Empresa.

A. Errichtung

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Ein Sonderproblem betrifft das Erfordernis einer Belehrung und Warnung der Unternehmensgründer. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kennen eine Vielzahl von rechtlichen Aktivitäten, die private Akteure mit großen Haftungsrisiken ohne jede staatliche oder staatlich gesteuerte Aufklärung über diese Risiken unternehmen können. Gleichzeitig gibt es natürlich auch immer wieder einzelne Transaktionen, bei denen eine solche Belehrung und Warnung für erforderlich gehalten wird, in Deutschland etwa bei der Gründung einer GmbH gemäß § 2 GmbHG durch den mitwirkenden Notar. Sie soll insbesondere dem Schutz der Beteiligten und des Rechtsverkehrs dienen.17 Weder innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten noch zwischen diesen – im Vergleich ähnlicher Transaktionen – ist insoweit eine konsistente rechtspolitische Linie erkennbar. So kann in Deutschland etwa ein OHG-Gesellschaftsvertrag mündlich geschlossen werden. Auch zeigt die Historie der GmbH die Kontingenz des Beurkundungserfordernisses deutlich.18 Regelmäßig ist die Gründung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft kein Vorgang, der mit außergewöhnlichen (im Sinne von: existenzbedrohenden) Risiken verbunden wäre, die eine besondere Belehrung und Warnung erforderlich machen und rechtfertigen könnten. Wer insoweit professionellen Rat einholen will, kann dies natürlich jederzeit (freiwillig) tun. Ein zwingendes Belehrungs- und Beratungserfordernis wäre nur gerechtfertigt, wenn man annehmen müsste, dass die Mehrheit der Gründer die sehr begrenzten (Haftungs-)Risiken systematisch unterschätzt und erst durch die Belehrung/Beratung zu einer Stärkung privatautonomer Vorsorge in der Satzung angeregt würde. Dafür gibt es jedoch keine empirische Evidenz. Diese wäre für einen so gravierenden regulatorischen Eingriff aber notwendig. Für Beweis- und Publizitätszwecke genügt im Übrigen jedenfalls die Schrift- oder Textform.19

III. Prüfungsinstanz und Registerführung Auf dieser Grundlage lässt sich nun eine erste Strukturfrage des Gründungsvorgangs bearbeiten: Welche Instanz soll die Verantwortung für die Überprüfung der Gründungserfordernisse tragen? Typologische Unterscheidungskriterien sind etwa eine zentrale bzw. dezentrale Organisation sowie die Einschaltung staatlicher bzw. privater Stellen. Bei den staatlichen Stellen lässt sich weiter zwischen behördlichen oder ju-

Transaktionskostenersparnisse bei der Gründung reduzieren hier allerdings gleichzeitig den Marken- und Werbewert einer „guten“ Firma. Aufwändiger, weil nicht nur durch automatische Kontrollen bzw. Versicherungen zu bewältigen, ist jedenfalls die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Gesellschaftsgegenstandes. 17 Vgl. Roth, in: Roth/Altmeppen, Komm. z. GmbHG, Komm. z. GmbHG, 6. Aufl., 2009, § 2 Rdn. 24. 18 So ließ der Entwurf von Oechelhäuser („Vater des GmbH-Gesetzes“) noch die Schriftform bei der Gründung genügen, vgl. Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einl. Rdn. 55. 19 Diese rechtspolitische Linie dürfte inzwischen klar dominieren, vgl. etwa Hadding/Kießling, WM 2009, 145, 155 m.w.N.

168

§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

stiziellen Organen differenzieren. Konkret in Betracht kommen insbesondere eine zentralistische Prüfung durch eine spezialisierte Behörde (so etwa das Companies House im Vereinigten Königreich), die Prüfung durch zuständige Gerichte – je nach politischem System eher zentral oder dezentral –, aber auch die Einschaltung semiöffentlicher oder -privater Stellen wie etwa von Gründungsagenturen oder Notaren, wobei in diesem Fall sicher von einer dezentralen Organisationsform ausgegangen werden müsste.20 Die Strukturfrage nach der Prüfungsinstanz ist mit derjenigen nach der Registerführung verknüpft. Sinnvollerweise liegen materielle Gründungsprüfung und Registerführung in einer Hand. Aspekte der Professionalisierung und Skaleneffekte sprechen tendenziell für eine zentralistische Organisationsform. Dabei mag man einer behördlichen Sachbearbeitung unter Flexibilitäts- und Kostengesichtspunkten (Sachbearbeiter versus Richter), aber auch aus Gründen des Entwicklungspotentials einer solchen Stelle zu einem Dienstleistungszentrum für Unternehmen mehr zutrauen als einer justiziellen Organisation.21 Dies würde für ein dem englischen System ähnelndes Modell eines Companies House sprechen. Auf der anderen Seite sind gewachsene justizielle Strukturen natürlich ein Wert, den man nicht ohne (große) Not aufgeben und durch ein neues System mit hohen (einmaligen) Errichtungskosten ersetzen sollte. Die Nutzung dieser gewachsenen Strukturen zu vergleichsweise niedrigen Grenzkosten ist deshalb rechtspolitisch eine gut vertretbare Entscheidung. Ähnliches gilt hinsichtlich einer Delegation der Prüfung an eine Vielzahl von Notaren oder anderen halb-staatlichen oder -privaten Berufsträgern bzw. Institutionen. Insbesondere Notare erfüllen in einzelnen Mitgliedstaaten derzeit im Rahmen des Gründungsvorgangs für Kapitalgesellschaften wichtige Funktionen. Für andere Mitgliedstaaten gilt dies allerdings nicht. Jedenfalls diese Mitgliedstaaten werden den Berufsstand des Notars nicht zum Zwecke der Gründungsprüfung einführen bzw. seine Aufgaben entsprechend ausdehnen wollen. Eine dezentrale Organisation ist nach dem bereits Ausgeführten tendenziell auch weniger sinnvoll. Erst recht nicht zu empfehlen ist jedenfalls eine Multiplizierung des Gründungsaufwandes durch eine Prüfung sowohl seitens einer staatlichen (Behörde bzw. Gericht) als auch einer privaten bzw. halb-staatlichen/-privaten Stelle (Notariat). Der Kommissionsvorschlag für eine SPEVO ging insoweit in die richtige Richtung. Danach können die Mitgliedstaaten die Eintragung einer SPE nur entweder von der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Dokumente und Angaben der SPE durch eine Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder von der Beglaubigung der Dokumente und Angaben (durch eine Notarsperson) abhängig machen (Art. 10 Abs. 4 SPE-VO-E).22

20 De lege ferenda für eine ausschließliche materiellrechtliche Gründungsprüfung durch (deutsche) Notare sprechen sich Notare aus: Wachter, VGR 12 (2006), 55, 92 ff, 96. 21 Vgl. Reichel, ZRP 2004, 184, 185 f. 22 Leider ist das Europäische Parlament später von diesem Ansatz abgerückt. Nach dem vom Parlament vorgeschlagenen Art. 10 Abs. 4 SPE-VO-E muss die Eintragung durch die Mitgliedstaaten mindestens von einer der beiden Kontrollformen abhängig gemacht werden, vgl. Europäisches Parlament, Beschluss v. 10.3.2009, EU Doc. T6-0094/2009.

A. Errichtung

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IV. Errichtungsverfahren Eine Beschleunigung (und Vereinfachung) des Errichtungsverfahrens lässt sich vor allem dadurch erreichen, dass von den modernen Methoden der elektronischen Kommunikation Gebrauch gemacht wird. Schon heute wickeln wir vielfach signifikante Transaktionen über das Internet ab (Buchung einer [teuren] Reise, Erwerb von Kfz oder Einrichtungsgegenständen etc.), und wir werden das in Zukunft noch viel häufiger tun: E-Commerce ist die nach wie vor am stärksten wachsende Vertriebsform.23 Im Ausgangspunkt gilt es also, eine vollelektronische Gründung (online-Gründung) einer geschlossenen Kapitalgesellschaft jedenfalls zu ermöglichen. Dabei wird nicht verkannt, dass das Ausmaß an Flexibilität und Gestaltungsfreiheit, das eine solche Gründungsprozedur erlaubt, notwendig begrenzt ist. Aber zum einen ist der praktische Bedarf nach solcher Flexibilität/Gestaltungsfreiheit ohnehin gering. Empirische Untersuchungen aus Deutschland und dem Vereinigten Königreich haben gezeigt, dass die weit überwiegende Zahl der GmbH- bzw. Limited-Gründungen als Standardgründungen ohne Bedarf für individuelle Vertragsgestaltung erfolgt,24 und das wird neuerdings auch durch den großen Erfolg von UG-Gründungen in Deutschland mittels Musterprotokoll nachdrücklich bestätigt.25 Zum anderen und vor allem spricht nichts dagegen, eine vollelektronische Gründung jedenfalls als Option anzubieten, die neben eine konventionelle „Papier-Gründung“ tritt, welche größere Gestaltungsfreiheit eröffnet.26 Die Modelle, die als Vorbilder für eine entsprechend vollelektronische Gründung dienen könnten, sind inzwischen recht zahlreich. Für Europa sind vor allem das Vereinigte Königreich sowie Dänemark zu nennen. Im Vereinigten Königreich hat der Companies Act 2006 eine erhebliche Deregulierung des Gründungsprozesses bewirkt (vgl. Sec. 7 ff, 1068 ff.). Zwar ist danach eine direkte online-Gründung über das Inter-

23 Vgl. die Studie der GfK über die E-Commerce-Umsatzentwicklung in Deutschland, abrufbar unter http://www.gfk.com/imperia/md/content/presse/pressemeldungen2010/ 100303_webscope_dfin.pdf (im Jahre 2009 haben deutsche Verbraucher für rund 15,5 Mrd. EUR Waren im Internet gekauft, etwa 14% mehr als im Vorjahr). 24 Vgl. Karsten, GmbHR 2006, 57 ff. (Auswertung von ca. 250 GmbH-Satzungen für Handwerksbetriebe in Chemnitz zeigt, dass es sich ganz überwiegend um Standardgründungen handelt; durch die Notare werde nicht sinnvoll, sondern größtenteils überflüssig belehrt); Cheffins, Company Law: Theory, Structure and Operation, 1997, S. 26 Fn. 82 (95% der Inkorporierungen im Vereinigten Königreich werden durch company formation agents auf der Basis von standard terms durchgeführt). 25 Vgl. Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, R 225 f (in den ersten 7 Monaten nach Inkrafttreten des MoMiG wurden in Deutschland bereits mehr als 10.000 UG gegründet; von den in Thüringen gegründeten UG erfolgten 78 % als Musterprotokoll-Gründungen), und GmbHR 2010, R 161 f (per 1.5.2010 Bestand von mehr als 30.000 UG). Eine UG-Gründung mittels Musterprotokoll kann für etwa 120 EUR erfolgen (100 EUR Registergericht, 1 EUR Bekanntmachung, 20 EUR Notarkosten), vgl. Wachter, GmbHR Sonderheft Oktober 2008, 25, 27 ff. 26 Zu Optionsmodellen vgl. § 2 C.III.1.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

net („WebFiling“) derzeit noch nicht möglich.27 Möglich ist allerdings eine elektronische Gründung dergestalt, dass die nötigen Dokumente via E-Mail in einer vorgeschriebenen Form übersandt werden („Software Filing“).28 Dazu sind einerseits spezielle Software und andererseits ein „Authentifizierungscode“ (für die zu gründende Gesellschaft) erforderlich. Über beides wird regelmäßig nur ein Inkorporierungsagent verfügen, so dass „Endkunden“ auf deren Intermediationsdienste nach wie vor angewiesen sind.29 Dänemark ist hier bereits einen Schritt weiter. Beginnend mit 2003 wurden an die Bürgerinnen und Bürger sukzessive und flächendeckend freie digitale Signaturen für die offizielle Kommunikation mit Behörden ausgegeben (OCES – Public Certificate for Electronic Services).30 Diese können zur Identifikation bei der Firmengründung verwandt werden, die über das Internet sofort („in Echtzeit“) möglich ist.31 Ebenfalls ohne Inkorporierungsagent kommt das neuseeländische Gründungsverfahren aus, das ähnlich schnell und einfach ist wie das dänische, wenn auch unter Verzicht auf digitale Signaturen und damit nicht „rein online“.32 Die Gründungsdokumente werden auf der Basis von online eingegebenen Informationen automatisch vorbereitet und per E-Mail versandt. Sie müssen anschließend unterschrieben per E-Mail oder Fax zurückgesendet werden, worauf binnen weniger Stunden die Registrierung der Gesellschaft erfolgt. Hilfestellung für Gründer bietet ein kurzes DemonstrationsVideo.33 Auch das US-amerikanische Model Law sieht vor, dass die Gründungsdoku-

27 Sehr wohl aber können wesentliche Dokumente einer bereits bestehenden Gesellschaft auf diese Weise eingereicht werden, vgl. http://www.companieshouse.gov.uk/ infoAndGuide/faq/webFiling.shtml. Zu diesem Zweck muss die Gesellschaft einen „Sicherheitscode“ besitzen, der ihr per e-mail zugesendet wird, sowie einen „Authentifizierungscode“, den sie per normaler Post erhält. 28 Vgl. http://www.companieshouse.gov.uk/toolsToHelp/efilingfaq.shtml. 29 Zu der Verteilung von „Authentifizierungscodes“ enthält der in Fn. 27 zitierte Leitfaden folgende Informationen: „If the incorporation is in paper format, the newly incorporated companies can be allocated codes as already described. Alternatively, you may request that a given code is allocated against all companies incorporated by yourselves. You should inform Companies House in writing if you wish to invoke this option. If the incorporation is in an electronic format then a facility exists to specify a company authentication code with incorporation details.“ Variante 1 zielt auf eine vorherige schriftliche Information des Companies House durch die Gesellschaft im Hinblick auf den zukünftig verwandten Code. Variante 2 betrifft Inkorporierungsagenten, die mit demselben Code viele Firmen gründen. In Variante 3 geht es offenbar darum, dass der Registrierungsagent für die neu gegründete Gesellschaft mit den Gründungsunterlagen einen eigenen Code frei wählen und angeben kann. Der Code gilt dann für alle zukünftigen Einreichungen der neu gegründeten Gesellschaft. 30 Vgl. http://www.epractice.eu/en/document/288210. 31 Die Inkorporierung erfolgt über die „Danish Consumer and Companies Agency“, die sich dafür eines speziellen Dienstes („Webreg“) bedient, vgl. http://www.eogs.dk/ sw21281.asp; http://www.webreg-portal.dk/home.asp. 32 Vgl. http://www.companies.govt.nz/cms/how-do-i/form-a-new-zealand-company/Register-your-company. 33 Vgl. http://www.companies.govt.nz/cms/animated-demonstration-library/incorporate_ skin.swf/nomenuview.

B. Führung

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mente elektronisch eingereicht werden können (vgl. § 2.01, § 1.40(5), (7A), (22A) MBCA). Die hier skizzierte Rechtslage und -praxis in einzelnen Staaten zeigt, was heute schon technisch ohne weiteres möglich ist und in welche Richtung die weitere Entwicklung aller Voraussicht nach gehen wird: Eine geschlossene Kapitalgesellschaft kann online „in Echtzeit“ gegründet werden, sofern das Identifikationsproblem – wie jetzt schon in Dänemark – befriedigend gelöst ist.34 Die für nötig gehaltene Aufklärung erfolgt ebenfalls online über offizielle Dokumente bzw. entsprechend sichtbare Informationen. Die online auszufüllenden Formulare sind so konzipiert, dass sämtliche materiellen Eintragungsvoraussetzungen 35 automatisch geprüft werden (können). Das damit erreichbare Ausmaß an Flexibilität in der Gestaltung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse ist allerdings begrenzt, da mit online bereitgestellten Formularen gearbeitet werden muss. Eine satzungsmäßig flexiblere (individuelle) Gründungsgestaltung wird damit – wie in Neuseeland – auch in Zukunft die (elektronische) Einreichung unterschriebener Gründungsdokumente erforderlich machen (so auch Art. 10 Abs. 1 und 2 SPE-VO-E). Dabei zeigt aber gerade das Beispiel Neuseelands, dass die Zeichnung der Gründungsdokumente durch die Gesellschafter als Identitätsnachweis genügt bzw. genügen kann. Ein erhebliches Missbrauchsrisiko besteht offenbar nicht, und von ihm wird auch nicht berichtet. Eine über die Zeichnung als Identitätsnachweis hinausgehende weitere „Personenkontrolle“ bei der Gründung ist nicht erforderlich.

B. Führung Zur (operativen) Führung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft gehören Fragen wie die Willensbildung der Gesellschafter (Gesellschafterversammlungen, Stimmrechtsausübung bzw. Beschlussfassung etc.), deren Kompetenzen und diejenigen der Geschäftsleiter, Berichts- und Rechnungslegungspflichten, aber auch etwa zu zahlende Registrierungsgebühren oder -steuern (franchise fees and taxes). In diesem Rahmen stellen sich eine Vielzahl von Regelungsaufgaben und -problemen, die ihre Wurzel in Agenturkonflikten zwischen den Gesellschaftern, zwischen diesen und den Geschäftsleitern sowie zwischen den Gesellschaftern bzw. der Gesellschaft und Dritten haben. Diese Regelungsaufgaben und -probleme wurden bereits in den §§ 3 bis 5 behandelt und bleiben demzufolge an dieser Stelle außer Betracht. 34 Deutschland hängt insoweit anderen europäischen Staaten wie etwa Dänemark um etwa 10 Jahre hinterher. Nach der Auswertung von Pilotprojekten wurden erst kürzlich einerseits ein neuer Personalausweis mit elektronischer ID und elektronischer Signaturfunktion sowie andererseits ein „De-Mail“-Dienst eingeführt, der flächendeckend eine einfache, fälschungssichere und rechtsverbindliche elektronische Kommunikation ermöglicht, vgl. das De-Mail-Gesetz v. 28.4.2011, BGBl. I/2011, S. 666 (dazu etwa Roßnagel, NJW 2011, 1473) und (zum Personalausweis) das Gesetz über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis sowie zur Änderung weiterer Vorschriften v. 18.6.2009, BGBl. I/2009, S. 1346. 35 Vgl. oben Abschnitt A.II.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

Die genannten Fragen der (operativen) Gesellschaftsführung sind aber nicht nur mit Agenturkonflikten und -kosten verbunden. Sie lassen sich auch aus der Warte des Ziels der Transaktionskostenminimierung betrachten. Aus dieser Warte geht es darum, die mit der (operativen) Führung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft verbundenen, unnötigen „Reibungsverluste“ möglichst gering zu halten. Die diesbezüglichen Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sind beträchtlich.36 Im Wesentlichen können und sollten die einschlägigen Regelungsaufgaben weitestgehend der privatautonomen Satzungsgestaltung der Gesellschafter überlassen bleiben. Diese wissen selbst am besten, wie sich die mit der (operativen) Gesellschaftsführung verbundenen Transaktionskosten minimieren lassen, und sie haben dazu auch jeden Anreiz. Insbesondere werden sie die technisch und ökonomisch effizientesten Kommunikationsmittel im Hinblick auf Informationsaustausch, Willensbildung und Kontakt mit staatlichen Behörden einsetzen (wollen). Der Gesetzgeber kann sich daher grundsätzlich darauf beschränken, die Nutzung dieser Kommunikationsmittel zu gestatten und seinerseits die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (elektronische Registerführung, Möglichkeit der elektronischen Kommunikation mit dem Register etc.). Zu Beweis- und Publizitätszwecken sind allerdings auch gewisse (zwingende) Formvorschriften zu rechtfertigen. Im Lichte des Ziels der Transaktionskostenminimierung müssen Registrierungsgebühren oder -steuern prima facie kritisch beurteilt werden. Soweit sie den tatsächlichen Aufwand für behördliche Leistungen widerspiegeln, sind sie jedoch nicht zu beanstanden, ganz im Gegenteil: Sie haben in einem Wettbewerb zwischen verschiedenen Regelsetzern und -systemen die wesentliche Funktion von Wettbewerbspreisen, signalisieren also Leistungsumfang und -qualität, setzen Anreize zur Kostensenkung und wirken Wettbewerbsverzerrungen entgegen.37 Ein an dieser Stelle kurz anzusprechendes Sonderproblem der Gesellschaftsführung betrifft die (Reichweite der) Vertretungskompetenz der Geschäftsleiter. Die Transaktionskosten der Geschäftstätigkeit werden minimiert, wenn diese Kompetenz jedenfalls im Außenverhältnis unbeschränkt ist bzw. sich etwaige Beschränkungen ohne erheblichen Prüfungsaufwand feststellen lassen. Das gilt gerade bei einer grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit. Demzufolge sehen Art. 33 Abs. 1 und 2 SPE-VO-E zu Recht vor, dass die Satzung einer SPE (lediglich) Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht festlegen kann, weitergehende Beschränkungen Dritten gegenüber jedoch unbeachtlich sind und auch Handlungen außerhalb des Unternehmensgegenstandes die Gesellschaft binden. Die ultra vires-Doktrin hat keinen Platz (mehr) in einem modernen Statut für geschlossene Kapitalgesellschaften.38 36 Vgl. Gesell/Flaßhoff/Krömker, in: Van Hulle/Gesell (Fn. 9), S. 30 f. zu recurrent costs and efforts. 37 De lege lata ist das Thema durch die Gesellschaftssteuer-Richtlinie 69/335/EWG für die EU weitgehend „erledigt“. Vgl. dazu auch Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 337 ff (2005). 38 Vgl. insoweit auch Art. 10 der Publizitäts-Richtlinie 2009/101/EG, dessen Reichweite allerdings nicht ganz klar ist.

C. Anteilsübertragung

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C. Anteilsübertragung Neben steuerlichen Gesichtspunkten, dem Grad der Flexibilität der Organisation und Haftungsfragen wird die Übertragbarkeit bzw. Übertragung der Gesellschaftsanteile häufig als vierter wesentlicher Grund für die Wahl einer bestimmten Rechtsform genannt.39 Tatsächlich sind die damit verbundenen Fragen von großer ökonomischer und juristischer Bedeutung. Eine freie und kostengünstige Anteilsübertragung ist eine Voraussetzung für die effiziente Allokation der mit einer Beteiligung verbundenen Rechte und Pflichten (Coase-Theorem). Sie ist gleichzeitig ein wesentliches Instrument des Minderheitenschutzes (exit statt voice). Auf der anderen Seite kann ein legitimes Bedürfnis bestehen, Gesellschaftsanteile privatautonom durch Vinkulierungen zu demobilisieren, insbesondere mit dem Ziel der Erhaltung eines miteinander vertrauten und kooperationsorientierten Gesellschafterkreises.40 Antworten auf die einschlägigen Fragen hängen größtenteils davon ab, wie der Gesellschaftsanteil und dessen Übertragung juristisch konzipiert werden. Die insoweit real existierenden und konzeptionell denkbaren Lösungen divergieren stark.

I. Bestehende Modelle Verbreitet wird ein Gesellschaftsanteil als unverbrieftes Recht ausgestaltet, das durch – ggf. formbedürftigen (Schriftform, notarielle Beurkundung) – Vertrag (Einigung) zwischen Veräußerer und Erwerber übertragen wird. Das ist bekanntlich etwa nach wie vor die Konzeption des deutschen Rechts (§§ 5, 15 GmbHG). Die Eintragung in die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste legitimiert den Eingetragenen lediglich als Gesellschafter vis-à-vis der Gesellschaft (Art. 16 Abs. 1 GmbHG) und kann die Grundlage bilden für einen gutgläubigen Anteilserwerb (Art. 16 Abs. 3 GmbHG). Konstruktiver Bestandteil des regulären Erwerbstatbestands ist sie demgegenüber ebenso wenig wie etwa die Eintragung als Gesellschafter im Handelsregister. Dieses Modell findet sich in ähnlicher Form, allerdings ohne die Möglichkeit eines gutgläubigen Anteilserwerbs, beispielsweise im österreichischen GmbH-Recht 41 sowie im schweizerischen Obligationenrecht; letzteres lässt allerdings die Schriftform für die Anteilsübertragung genügen (Art. 785 Abs. 1 OR). Andere Rechtsordnungen folgen dem im Grundsatz, werten jedoch die Eintragung in eine Gesellschafterliste oder in ein Handels- bzw. Gesellschaftsregister insofern auf, als diese über die Wirksamkeit der Übertragung in bestimmten Rechtsverhältnissen entscheidet („gespaltener Übertragungstatbestand“). So kann die Anteilsübertragung auch in Frankreich bei einer SARL zwar grundsätzlich durch bloßen

39 Vgl. Bainbridge, aaO (Fn. 10), S. 832. 40 Vgl. § 2 A. 41 Vgl. § 76 GmbHG sowie Kalss/Schauer, Die Reform des österreichischen Kapitalgesellschaftsrechts, 2006, S. 729 ff; Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht, 2008, Rdn. 4/307.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

(formfreien) Vertrag erfolgen. Für die Gültigkeit der Übertragung gegenüber der Gesellschaft sind allerdings ein Notariatsakt oder eine Privaturkunde, für die Gültigkeit gegenüber Dritten zusätzlich die Eintragung der Übertragung im Handels- und Gesellschaftsregister erforderlich.42 Ähnlich gestaltet sich die Rechtslage im englischen Recht (Sec. 544, 768 ff. Companies Act 2006). Mit formlos gültigem Übertragungsvertrag erlangt der Erwerber im Hinblick auf Anteile an einer private company limited by shares einen equitable title, also eine Berechtigung nach Billigkeitsrecht. Gesetzlich berechtigt (legal title) wird er dann, wenn er auf der Grundlage einer schriftlichen Übertragungsurkunde und nach Übergabe eines Anteilsscheins (Beweisurkunde) – sofern es sich um certificated shares handelt – als neuer Anteilsinhaber im Gesellschafterverzeichnis eingetragen wird.43 Der SPE-VO-E verfolgt ein vergleichbares Konzept. Anteile können danach durch schriftliche Vereinbarung übertragen werden (Art. 16 Abs. 2 SPE-VO-E). Wirksam gegenüber der Gesellschaft wird eine Übertragung allerdings erst dann, wenn der Anteilseigner der SPE die Übertragung mitteilt, wirksam gegenüber Dritten dann und zu dem Zeitpunkt, zu dem er in das Verzeichnis der Anteilseigner nach Art. 15 aufgenommen wird (Art. 16 Abs. 4 SPE-VO-E). In allen zuletzt geschilderten Modellen ist Kern des Übertragungstatbestandes die – ggf. formbedürftige – Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber. Die Eintragung in eine Gesellschafterliste oder in ein Handels- bzw. Gesellschaftsregister entscheidet aber über legal title (UK) bzw. Drittwirksamkeit (Frankreich, SPE). Von diesen Modellen ausgehend ist eine „Weiterentwicklung“ vor allem in zwei Richtungen denkbar: entweder die Verbriefung des Anteils in einem Anteilsschein, der dadurch von einer Beweisurkunde zu einem Wertpapier aufgewertet – und entsprechend übertragen – wird, oder aber eine konstitutive Registerlösung, bei der die Eintragung nicht nur in bestimmten Rechtsverhältnissen, sondern generell ein konstitutiver Teil des Übertragungstatbestandes ist. Die Konzeption von Geschäftsanteilen als verbriefte Rechte findet sich etwa in skandinavischen Rechtsordnungen. So kennen das schwedische wie auch das finnische Recht traditionell – und auch weiterhin unter der Geltung jüngerer Gesetze – kein eigenes Statut für die geschlossene Kapitalgesellschaft, sondern (nur) eine einheitliche Form der Kapitalgesellschaft mit zwei Varianten: einerseits eine Publikums-, andererseits die geschlossene Gesellschaft.44 Wenn –

42 Vgl. Arlt, in: Kalss, Die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen in 14 Rechtsordnungen Europas, 2003, S. 89, 97 ff. Artt. L223-17, L221-14 Code de commerce verlangen für die Übertragung von Anteilen an einer S.a.r.l. Schriftform. Die Rechtsprechung knüpft an die nicht gewahrte Form aber keine Nichtigkeitsfolge, sondern betrachtet im Verhältnis zwischen den übertragenden Parteien die Übertragung auch bei bloßer (formungebundener) Vereinbarung als wirksam, vgl. Cass.com., 10 mars 1992, JCP G 1992, II, n° 21962, p. 432. Der Gesellschaft kann die Übertragung in jedem Fall erst dann entgegengehalten werden, wenn sie ihr angezeigt wird, und Dritten nur dann, wenn zusätzlich Registerpublizität hergestellt ist. 43 Vgl. Davies, Gower and Davies’ Principles of Modern Company Law, 8. Aufl., 2008, S. 935 ff, 939 ff, 950 ff. 44 In Schweden gibt es die „privat aktiebolag“ sowie die „publikt aktiebolag“, vgl. 1 kap. 2 § Aktiebolagslag (2005:551), in Finnland die „yksityinen osakeyhtiö“ (geschlossene

C. Anteilsübertragung

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wie üblich – die Gesellschaftsanteile verbrieft werden, dann lassen sie sich durch Indossament übertragen. Eine konstitutive Registerlösung ist demgegenüber – soweit ersichtlich – bisher für geschlossene Kapitalgesellschaften noch in keiner maßgeblichen europäischen Rechtsordnung realisiert worden. Ermöglicht wird sie allerdings neuerdings durch Sec. 783 ff. Companies Act 2006 im Vereinigten Königreich. Danach können Regeln erlassen werden „… for enabling title to securities to be evidenced and transferred without a written instrument“ (Sec. 785 Abs. 1 Companies Act 2006). Die Übertragung eines Gesellschaftsanteils würde in einem System einer konstitutiven Registerlösung durch Einigung zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber sowie dessen (konstitutive) Eintragung in das Handels- bzw. Gesellschaftsregister erfolgen und damit ähnlich wie de lege lata etwa die Grundstücksübereignung nach deutschem Recht (§§ 873, 925 BGB).45 Gleichzeitig markierte die (unrichtige) Eintragung einer Person im Handelsbzw. Gesellschaftsregister den Bezugspunkt für einen etwaigen gutgläubigen Erwerb. Gerade angesichts der Systemkonformität einer „Registerlösung“ (Übertragung durch Einigung und Eintragung in ein Register) mit Übertragungsakten von (dinglichen) Rechten in vielen Rechtsordnungen und der Tatsache, dass solche registerbasierten Systeme weltweit auf unterschiedlichen Feldern an Zuspruch gewinnen (insbesondere im Kreditsicherungsrecht 46), lohnt eine vertiefte Auseinandersetzung insbesondere mit diesem, präsumtiv besonders zukunftsträchtigen Modell.

II. Regelungsziele Dafür ist allerdings zunächst wieder – ähnlich wie bereits im Hinblick auf die Diskussion des Errichtungsverfahrens für eine geschlossene Kapitalgesellschaft – eine Vergewisserung über die mit der Konzeption des Übertragungstatbestandes verfolgten Ziele erforderlich. Wie bereits erwähnt, spielen insoweit Transaktionskosten eine wichtige Rolle. Je niedriger die Kosten des Übertragungsvorgangs sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gesellschaftsanteil tatsächlich von demjenigen gehalten wird, der den größten Nutzen aus diesem ziehen kann. Zu den maßgeblichen Transaktionskosten zählen insbesondere Such- und Informationskosten (vor allem hinsichtlich der Berechtigung des Veräußerers) sowie Vertragsabschluss- und Erfüllungskosten. Nun wird allerdings geltend gemacht, dass für eine (besonders) leichte Handelbarkeit von GmbH-Anteilen oder sogar deren Börsengängigkeit kein Bedürfnis be-

Gesellschaft) sowie die „julkinen osakeyhtiö“ (Publikumsgesellschaft), 1 luku 1 § Osakeyhtiölaki 21.7.2006/624. 45 Für diesen Vorschlag vgl. Eidenmüller, in: Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 1 Rdn. 27; Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 202. 46 Vgl. die Beiträge in Eidenmüller/Kieninger, The Future of Secured Credit in Europe, ECFR Special Volume 2 (2008).

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

stehe.47 Es gehöre vielmehr zu den legitimen Zielen bei der Ausgestaltung des Rechts der geschlossenen Kapitalgesellschaft, deren Anteile durch geeignete Vorschriften vom Kapitalmarkt bzw. einem kapitalmarktmäßigen Handel fernzuhalten. Zu diesem Zweck seien gewisse kostenträchtige Formerfordernisse wie insbesondere eine beglaubigte Unterfertigung des Übertragungsakts zu befürworten (ein bloßes Schriftformerfordernis sei demgegenüber nicht geeignet, einen schwungvollen Internethandel zu unterbinden).48 Das Ziel, Beteiligungskapital nur in das Marktsegment zu lenken, dessen Ausgestaltung den Leitprinzipien des Anlegerschutzes gerecht wird, kann und sollte jedoch durch die für dieses Rechtssegment geltenden Regeln, also das Kapitalmarktrecht, erreicht werden. Sofern danach Anteile an einer geschlossenen Kapitalgesellschaft nicht handelbar sind, ist eine weitergehende gesellschaftsrechtliche Regelung im Sinne einer künstlichen Verteuerung des Übertragungsaktes nicht erforderlich. Auch einen grauen Markt für solche Anteile verhindern zu wollen,49 schießt über das legitime Ziel hinaus, denn aufgrund der typischen Interessenlage und der entsprechenden Vertragsgestaltung ist bei geschlossenen Kapitalgesellschaften (Vinkulierungen) ohnehin nicht mit der Entstehung eines solchen „Marktes“ zu rechnen.50/51 Wohl aber sollte der Übertragungstatbestand so konzipiert sein, dass er eine möglichst rechtssichere Transaktionspraxis fördert und auch einen einfachen Anknüpfungspunkt für einen gutgläubigen Anteilserwerb bietet. Zu Recht kaum strittig ist, dass ein Anteilserwerb vom Nichtberechtigten überhaupt ermöglicht werden sollte.52 Die Transaktionskosten werden erheblich gesenkt, wenn nicht jeder Erwerber kostspielige Recherchen zur Anteilshistorie anstellen muss, um sichergehen zu können, dass die geplante Transaktion nicht ins Leere geht.53 Auch wird der Vertragsgestaltungsaufwand (für Garantien u.Ä.) durch die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs

47 Vgl. zu den – letztlich an der fehlenden „Nachfrage“ gescheiterten – Überlegungen in den achtziger Jahren zur Erleichterung des Börsenzugangs für kleine und mittlere Unternehmen insbesondere Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie BadenWürttemberg, Bericht der Kommission „Zweiter Börsenmarkt“: Börsenzugang für kleine und mittlere Unternehmen (Stuttgart, 1987); Ministerium für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie Baden-Württemberg, Bericht der Arbeitsgruppe „Zweiter Börsenmarkt“: Konkrete Gestaltungsvorschläge, 1989; Kecker, Die Fungibilisierung von GmbH-Anteilen, 1991, insbesondere S. 165 ff. 48 Vgl. Kalss/Schauer, aaO (Fn. 41), S. 734 ff; Kalss/Trenkwalder/Eckert, in: Kalss, aaO (Fn. 42), S. 1, 8, 16 ff, 21 f; s. auch Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, 3. Aufl., 2009, Rdn. 53 (unter Zitat der Materialien zum deutschen GmbHG 1982). 49 So Kalss/Trenkwalder/Eckert, in: Kalss, aaO (Fn. 42), S. 1, 21 f. 50 Vgl. auch unten Abschnitt C.IV. 51 Vgl. insoweit auch Behrens, VGR 12 (2006), 195, 200 ff. 52 Gegen die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs aber Zöllner, VGR 12 (2006), 175, 182 f, 190 ff (es fehle ein geeigneter Rechtsscheinsträger – aber das ist nicht der Fall, vgl. sogleich im Text). 53 Natürlich ist bei der Ausgestaltung eines Gutglaubenstatbestandes gegenläufig zu berücksichtigen, dass der tatsächlich Berechtigte Kosten aufwenden muss, um einen ungewollten Rechtsverlust zu vermeiden.

C. Anteilsübertragung

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verringert. Wenn dieser aber grundsätzlich eingerichtet wird, dann sollte seine Ausgestaltung auch möglichst effizient sein. Im Hinblick auf die für notwendig gehaltene Belehrung und Warnung eines Veräußerers bzw. Erwerbers gelten im Wesentlichen dieselben Erwägungen wie bezüglich des ähnlichen Problems bei der Unternehmensgründung.54 Für die zwingende Mitwirkung einer dritten (Beurkundungs-)Person gibt es weder einen durchschlagenden Sachgrund im Sinne eines exorbitanten Risikos bei Anteilsveräußerung bzw. -erwerb noch eine dahingehende, überwiegende mitgliedstaatliche Praxis. Für Beweis- und Publizitätszwecke genügt die Schrift- oder Textform.55 Eine besondere Problematik betrifft die Frage der Publizität bzw. Vertraulichkeit des Übertragungstatbestandes bzw. – allgemeiner – von Verfügungen über Gesellschaftsanteile. Immer wieder wird vorgetragen, dass kein Interesse daran bestehe, Belastungen von Gesellschaftsanteilen bzw. generell Kapital- und Finanzierungsstrukturen offenzulegen. Diesbezügliche Transparenz sei „unerwünscht“. Der Übertragungstatbestand sei deswegen so zu konstruieren, dass eine entsprechende Offenlegung unterbleiben könne. Ggf. müsse deshalb auf einen gutgläubig lastenfreien Erwerb verzichtet werden.56 Diese Erwägungen sind allerdings nicht stichhaltig. Die Publizität von Anteilsbelastungen trägt dazu bei, dass die Kreditmärkte Risiken korrekt erfassen und in Kreditpreisen abbilden. Dass gut gesicherte Geschäftsbanken ein individuelles Interesse daran haben, ihre Sicherungen möglichst zu verheimlichen, bedeutet nicht, dass es ein entsprechendes volkswirtschaftliches Interesse gibt.

III. Übertragungstatbestand Auf dieser Grundlage treten nun die Vorzüge, aber auch etwaige Probleme einer konstitutiven Registerlösung bezüglich der Übertragung von Gesellschaftsanteilen (Übertragung durch Einigung und Eintragung in ein Handels- bzw. Gesellschaftsregister) deutlich hervor. Nach dieser Lösung würden Einträge in das Register elektronisch und dezentral durch zugangsberechtigte Nutzer vorgenommen.57 Das Register arbeitete demzufolge automatisch auf der Basis spezieller Software und würde nicht etwa manuell durch zuständige Personen „bedient“. Eintragungen erfolgten „in Echtzeit“, also zeitkongruent mit den jeweiligen Eingaben. Mangels zeitlicher Streckung des Erwerbstatbestandes bestünde kein Bedarf für eine „elektronische Vormerkung“ o.Ä. Das Identifizierungsproblem würde durch elektronische Codes bzw. digitale Sig-

54 Vgl. oben § 6 A.II. 55 Diese rechtspolitische Linie dürfte inzwischen klar dominieren, vgl. etwa Hadding/Kießling, WM 2009, 145, 155 f m.w.N. 56 Vgl. den Diskussionsbericht von Rodewig bei Grunewald/Gehling/Rodewig, ZIP 2006, 685, 691. Vgl. auch Gehling, a.a.O., S. 689: Offenlegung von Drittrechten „… schwächt die Attraktivität der GmbH als mittelständische Rechtsform.“ 57 Die Einigung erfolgte formfrei und würde bei Eintragung mitgeteilt – sofern sie bereits vorher zustande kam – bzw. läge konkludent in dem Eintragungsvorgang.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

naturen gelöst, die allgemein der Bevölkerung zur Verfügung stünden bzw. – sofern dies im Einzelfall nicht so ist – ad hoc für eine bestimmte Transaktion vergeben würden. Ein gutgläubiger Erwerb knüpfte an unrichtige Eintragungen an (positive Publizität). Ein solches Modell setzte zunächst natürlich die Einrichtung eines entsprechenden elektronischen Registers voraus, wäre also jedenfalls mit (ggf. erheblichen) Einmalkosten verbunden. Die Kosten des Betriebs (einschließlich Wartung und Pflege) wären demgegenüber sehr niedrig anzusetzen. Um dies zu veranschaulichen, sei erneut auf das Beispiel Neuseelands verwiesen. Dort wurde 2002 ein elektronisches Register für Mobiliarsicherungsrechte eingerichtet. Die Errichtungskosten für das Register haben sich bereits bis 2006 vollständig amortisiert; betrieben wird es von einer einzigen Teilzeitkraft.58 Nun ist natürlich nicht zu verkennen, dass zwischen einem Register für Mobiliarsicherungsrechte und einem solchen für Gesellschaftsanteile gewisse kosteninduzierende Unterschiede bestehen. Insbesondere muss ein Register für Gesellschaftsanteile aufgrund des Verkehrsschutzes durch redlichen Erwerb über eine hohe Richtigkeitsgewähr verfügen, so dass eine beschränkte inhaltliche Überprüfung von Eintragungen unumgänglich ist.59 Indes kann diese inhaltliche Überprüfung weitgehend formalisiert und damit automatisch erfolgen (Voreintragung des Veräußerers, formelle Bewilligung des Veräußerers, zulässiger Verfügungsinhalt [aus einem Kanon an zulässigen Verfügungen] etc.), ähnlich wie heute schon die Prüfung des Grundbuchamts bei der Eintragung von Grundstücksrechten.60 Die damit verbundenen Kosten sollten sich also in einem angemessenen Rahmen halten. Gleichzeitig müsste Personen, die von Registerinhalten negativ betroffen sind, die Möglichkeit eingeräumt werden, in einem ebenfalls formalisierten bzw. automatischen und damit kostengünstigen Verfahren – etwa auf der Basis einer elektronischen Versicherung an Eides statt – eine Registersperre zu erwirken („Widerspruch“). Dadurch ließen sich nicht nur ein Rechtsverlust durch redlichen Erwerb verhindern, sondern auch die Richtigkeitsgewähr des Registers erhöhen. Ein solches System der elektronischen Anteilsübertragung würde den Rechtsverkehr mit Gesellschaftsanteilen präsumtiv erheblich erleichtern und eine gleichermaßen rechtssichere wie moderne Übertragungsform installieren. Ein redlicher Erwerb knüpfte an die Registereintragung an und damit an ein ebenso einfaches wie leicht erkennbares und zeitlich eindeutig fixierbares Kriterium. Dieses Kriterium ist anderen Rechtsscheinsträgern weit überlegen. Das gilt etwa im Vergleich mit der derzeitigen deutschen Lösung einer „im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste“, welche hinsichtlich des Gesellschaftsanteils entweder mindestens drei Jahre oder weniger als drei Jahre, aber dem Berechtigten zurechenbar unrichtig sein muss,

58 Vgl. Kieninger, AcP 208 (2008), 182, 211 f. 59 Vgl. Grunewald/Gehling/Rodewig, ZIP 2006, 685, 686. Das war der maßgebliche Grund, warum diese Lösung im Rahmen der GmbH-Reform in Deutschland nicht verfolgt wurde, vgl. Seibert, ZIP 2006, 1157, 1160 („Mehrbelastung der Registergerichte“). 60 Vgl. Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 203 f.

C. Anteilsübertragung

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um einen gutgläubigen Erwerb zu ermöglichen (§ 16 Abs. 3 GmbHG). Der (relevante) Zeitpunkt der Aufnahme im Handelsregister ist nicht erkennbar, Nachforschungen hinsichtlich der Richtigkeit der Liste bleiben erforderlich (Ist die gegenwärtige Eintragung drei Jahre lang unrichtig? Ist eine kürzere Unrichtigkeit dem Betroffenen zurechenbar?), einen lastenfreien Erwerb gibt es nicht – um nur drei wesentliche Kritikpunkte zu nennen.61/62 Auch eine Aufwertung der Gesellschafterliste zu einem grundbuchähnlichen, von Notaren administrierten Rechtsscheinsträger 63 bliebe auf halbem Wege zu einem „echten“ und modernen, elektronisch geführten Handels- bzw. Gesellschaftsregister stehen. Überlegen ist die hier vorgeschlagene Lösung einer Anteilsübertragung im Rahmen eines elektronischen Registersystems auch der wertpapierrechtlichen Verbriefung und Übertragung von Gesellschaftsanteilen. Der Besitz von körperlichen Gegenständen ist ein antiquierter Rechtsscheinsträger („Entmaterialisierung“ prägt schon heute den Status Quo und erst recht die Zukunft des Effektenhandels), dieser Rechtsscheinsträger ist teuer (Briefausstellung, Übergabe, Prüfung einer Abtretungskette etc.), und verbriefte Anteile sind jedenfalls nicht weniger fälschungs- bzw. manipulationsanfällig als elektronische Eintragungen.64 Ein weiterer Vorteil eines elektronischen Register- und Übertragungssystems der skizzierten Form läge darin, dass etwaige Transaktionssteuern – ähnlich wie bei börsennotierten Papieren – automatisch erhoben werden könnten. Soweit Bedenken gegen ein solches System aus Erwägungen der Kapitalmarktferne einer geschlossenen Kapitalgesellschaft, der Publizität von Verfügungen und/oder einer für notwendig erachteten Belehrung bzw. Warnung der Beteiligten abgeleitet werden, kann auf obige Ausführungen verwiesen werden.65 Insgesamt würde ein elektronisches Register- und Übertragungssystem einen erheblichen Modernisierungsschub für das Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft bewirken.

61 Vgl. Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 201 f; Altgen, 9 German L.J. 1141, 1146 ff (2008); Wachter, GmbHR Sonderheft 10/2008, 51, 59 ff; D. Mayer, ZIP 2009, 1037, 1039. 62 Gänzlich verquer ist im Übrigen auch der Gutglaubensschutz nach § 16 Abs. 3 S. 2 SPE-VO-E. Danach gelten insoweit „… die Bestimmungen der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften zum Schutz von Personen, die Anteile in gutem Glauben erwerben.“ Das würde bzgl. des deutschen GmbH-Rechts ins Leere laufen, weil die SPEGesellschafterliste nach Art. 15 Abs. 3 SPE-VO-E vom Leitungsorgan aufbewahrt und nicht zum Handelsregister eingereicht wird (vgl. § 16 Abs. 3 GmbHG). Ins Leere laufen würde der Verweis aber auch bei Rechtsordnungen, die den Erwerbstatbestand (und folgerichtig auch den Gutglaubensschutz) ganz anders konstruieren als die SPE-VO, etwa weil sie an eine konstitutive Registereintragung für den Erwerb anknüpfen. 63 Dafür etwa (der Notar) Wegen, FS Lüer, 2008, S. 321, 332 ff. 64 Vgl. insoweit auch den Diskussionsbericht von Rodewig bei Grunewald/Gehling/Rodewig, ZIP 2006, 685, 690. 65 Abschnitte A.II und C.II.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

IV. Übertragungsbeschränkungen Gesonderter Erörterung bedarf die Frage der Anerkennung bzw. Überwindung von Übertragungsbeschränkungen. Bereits erwähnt wurde, dass es trotz der wesentlichen ökonomischen und minderheitenschützenden Funktion der Übertragungsfreiheit legitime Interessen an einer Übertragungsbeschränkung geben kann.66/67 Vertrauen und die Identität der Partner spielen in geschlossenen Kapitalgesellschaften häufig eine große Rolle. Es soll sichergestellt werden (können), dass alle Gesellschafter über die notwendigen (Management-)Kompetenzen verfügen. Die Gesellschafter haben häufig auch ein nur geringes Interesse an einer Anteilsveräußerung, weil sie untereinander familiär verbunden sind oder aber in erheblichem Maße firmenspezifische Investitionen – etwa in bestimmte Kompetenzen bzw. Ausbildungen – getätigt haben. Schließlich gilt es, überraschende Machtwechsel zu verhindern (etwa in 1/3-1/3-1/3Gesellschaften). Aus dieser typischen Interessenlage, die sich in der Vertragspraxis in Vinkulierungsklauseln niederschlägt, kann man ableiten, dass die Anteilsveräußerung als dispositive gesetzliche Regel von der Zustimmung der übrigen Gesellschafter abhängen sollte,68 diese Zustimmung aber nicht unbillig – im Sinne von: ohne sachliche Gründe – verweigert werden darf. Da die Regelung dispositiv ausgestaltet wäre, könnte einer abweichenden Interessenlage im Einzelfall durch anderweitige Gestaltungen Rechnung getragen werden. Anzuerkennen wären demzufolge Klauseln, welche die Geschäftsleiter zur Zustimmung ermächtigen oder die dafür nötigen Mehrheiten abweichend von der gesetzlichen Regelung festsetzen. Anzuerkennen wären aber etwa auch Put-Optionen, mit denen sich ein Beteiligter ein bestimmtes Ausstiegsszenario „sichert“.69 Das Gleiche gilt für die vor allem im Venture-Kapital-Bereich verbreiteten drag-along- und tag-along-Klauseln.70 66 Vgl. §§ 2 A und 6 C. 67 Vgl. im Folgenden auch Cheffins, aaO (Fn. 24), S. 50, 285 f; Bainbridge, aaO (Fn. 10), S. 811. 68 So auch Kroeze/Wezeman, Reform of Dutch Private Company Law, in: McCahery/Timmerman/Vermeulen, Private Company Law Reform: International and European Perspectives, 2001, S. 181, 187; Kalss/Schauer, aaO (Fn. 41), S. 751. Entsprechend der typischen Interessenlage sollte für die dispositive Gesetzesregel hinsichtlich der Zustimmung ein Einstimmigkeitserfordernis gelten. Interessant ist vergleichsweise auch die Interessenund Rechtslage bzgl. der US-amerikanischen LLC. Hier können die Vermögensrechte ohne Zustimmung der übrigen Gesellschafter übertragen werden, nicht aber die Verwaltungsrechte, vgl. etwa Ribstein, The Rise of the Uncorporation, 2010, S. 182 ff. Diese Aufspaltung ist zwar fragwürdig. Immerhin kann man dem entnehmen, dass der internationale Trend in Richtung einer „Mobilisierung“ der Gesellschaftsanteile auch für geschlossene Gesellschaftsformen geht. Das ist ein weiterer Grund für die dispositive Ausgestaltung der im Text vorgeschlagenen Regel. 69 Vgl. Cheffins, aaO (Fn. 24), S. 65 f. 70 Drag-along-Klauseln geben einem verkaufswilligen (Mehrheits-)Gesellschafter das Recht, andere Gesellschafter „mitzuziehen“, tag-along-Klauseln umgekehrt solchen Gesellschaftern das Recht, zu verkaufen, wenn ein anderer (Mehrheits-)Gesellschafter verkauft. Vgl. zu solchen Klauseln aus institutionenökonomischer Sicht etwa Saez Lacave/Gutiérrez, 11 Eur. Bus. Org. L. Rev. 423 (2010).

D. Ergebnisse

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Die derzeitige Gesetzespraxis in verschiedenen europäischen und nicht-europäischen Ländern entspricht überwiegend diesen Überlegungen.71 Eine weitgehend dispositive Vinkulierung kraft Gesetzes enthält Art. 786 OR der Schweiz. In Deutschland sind Übertragungsbeschränkungen zwar nicht dispositives Gesetzesrecht, wohl aber privatautonom zulässig und gängige Praxis (die Abtretbarkeit kann sogar ganz ausgeschlossen werden).72 Dem entsprechen Art. 16 Abs. 1 SPE-VO-E sowie – für die USA – § 6.27 MBCA. Auch im Vereinigten Königreich ist „[t]he extent of the restriction … solely a matter of construction of the articles of association.“73 Frankreich lässt privatautonome Übertragungsbeschränkungen grundsätzlich ebenfalls zu; das Gesetz sieht sogar eine allgemeine und zwingende – und deshalb, also wegen des zwingenden Charakters, zu kritisierende – Vinkulierung von Gesellschaftsanteilen im Hinblick auf Übertragungen an Dritte vor.74 Ist ein Gesellschaftsanteil kraft Gesetzes oder Satzung vinkuliert, dann sollte dies in dem elektronischen Handels- bzw. Gesellschaftsregister vermerkt sein und – bei einer intendierten Übertragung – zu einer automatischen Sperre und Benachrichtigung der Parteien der Transaktion sowie des oder der zustimmungspflichtigen Dritten führen. Fehlt der Vinkulierungsvermerk in dem elektronischen Register – ist dieses also materiell unrichtig –, so liegt es in der Konsequenz des oben entwickelten Systems für einen redlichen Erwerb, eine gutgläubige Überwindung der Übertragungssperre zuzulassen.

D. Ergebnisse 1. Die Kosten für Errichtung und Führung einer Kapitalgesellschaft sowie für Gesellschafterwechsel sind nicht nur als solche wohlfahrtsmindernd, sondern auch indirekt bedeutsam: Sie sind ein maßgeblicher Wettbewerbsfaktor bei Rechtsformwahlentscheidungen. Die Möglichkeit einfacher und kostengünstiger Gründungen wirkt sich zudem positiv auf das volkswirtschaftliche Wachstum aus. Errichtung, Führung und Gesellschafterwechsel sollten daher vorrangig mit Blick auf möglichst geringe Transaktionskosten konzipiert werden. 2. Die Gründungsanforderungen sollten nicht für Zwecke außerhalb des Gesellschaftsrechts instrumentalisiert werden. In materieller Hinsicht können sich die Anforderungen auf die essentiellen Merkmale einer Kapitalgesellschaft beschränken: Gesellschafter, Geschäftsleiter, Sitz, Firma und stipuliertes Kapital. 3. Die Gründung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft ist auch im Vergleich mit anderen formfreien Geschäften nicht mit übermäßigen Haftungsrisiken verbun71 Überblick für die europäischen Rechtsordnungen bei Kalss/Trenkwalder/Eckert, in: Kalss, aaO (Fn. 42), S. 1, 13 f. 72 Vgl. Reichert/Weller, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, § 15 Rdn. 1, 358. 73 Davies, aaO (Fn. 43), S. 942. Vgl. auch Lembeck, in: Kalss, aaO (Fn. 42), S. 223, 238 ff. 74 Art. L. 223-14 C.com. Allerdings ist das Verfahren so ausgestaltet, dass es dem veräußerungswilligen Gesellschafter letztlich möglich ist, seinen Anteil zu verkaufen, wenn auch nicht zwingend an die Person, die er/sie zunächst im Auge hatte.

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§ 6 Errichtung, Führung und Anteilsübertragung

den. Der Abschluss des Gesellschaftsvertrags sollte daher nicht an eine besonders strenge Form – etwa notarielle Beurkundung – geknüpft werden. Für Beweis- und Publizitätszwecke genügt jedenfalls die Schrift- oder Textform. 4. Im Gründungsverfahren sollte die Prüfung der materiellen Gründungsanforderungen möglichst automatisch (formal) erfolgen. Prüfung und Registerführung sollten in einer Instanz gebündelt werden. Dafür empfiehlt sich eine zentrale, spezialisierte Behörde, soweit nicht gewachsene und funktionierende andere Strukturen bestehen. Eine Gründung sollte elektronisch und ohne nennenswerte zeitliche Verzögerung möglich sein (online-Gründung). 5. Regelungsaufgaben der Gesellschaftsführung können weitgehend der privatautonomen Satzungsgestaltung der Gesellschafter überlassen bleiben. Registrierungsgebühren (franchise fees) sollten nur erhoben werden, soweit sie den Verwaltungsaufwand nicht übersteigen. 6. Die Modalitäten des Gesellschafterwechsels sollten so konzipiert sein, dass eine Übertragung möglichst rechtssicher möglich ist. Transaktionskosten drohen vor allem durch aufwendige Recherchen zur Anteilshistorie. Die Übertragung sollte als konstitutive elektronische Registerlösung ausgestaltet sein, also in Echtzeit durch Einigung und Eintragung in ein automatisiertes Register erfolgen (können). Ein gutgläubiger Erwerb wäre möglich und knüpfte an unrichtige Eintragungen an (positive Publizität). Vinkulierungen würden im Register berücksichtigt und führten zu einer Sperre.

§7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft* A. Warum eine supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft? I. Ausgangspunkt: Das Problem multipler Regelgeber Die bisherigen Überlegungen erfolgten aus der Perspektive eines für sich stehenden, idealen Gesetzgebers. Dabei konnte davon ausgegangen werden, dass die Notwendigkeit einer geschlossenen Kapitalgesellschaft an sich nicht begründet werden muss, weil das Bedürfnis nach einer solchen Rechtsform universal akzeptiert ist. Ebenso wenig waren die Befugnis und die Fähigkeit des Gesetzgebers in Frage zu stellen, eine derartige Rechtsform zu schaffen. Die Diskussion konnte sich insoweit auf die Frage der sachlichen Ausgestaltung der Rechtsform beschränken. Mit Blick auf die supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft muss dieser einfache Analyserahmen verlassen werden. Die Frage lautet nun nicht mehr, wie eine geschlossene Kapitalgesellschaft „an sich“ beschaffen sein sollte, sondern welche Funktionen eine zusätzliche geschlossene Kapitalgesellschaft in einem Mehrebenensystem erfüllen kann, und welche regulatorischen Herausforderungen sich insoweit stellen. Dazu muss die Perspektive in zwei Richtungen verändert werden. Zuerst vermehrt sich die Zahl der beteiligten Regelgeber. Eine supranationale Rechtsform setzt mindestens drei Regelgeber auf wenigstens zwei Ebenen voraus: Zwei nationale Regelgeber auf einer unteren Ebene, sowie einen föderalen Regelgeber auf der oberen Ebene.1 Diese Multiplikation bringt zusätzliche (politische) Interessen ins Spiel, die in den bisherigen Überlegungen keine Rolle spielten. Sodann ist nicht mehr von einem idealen, sondern von einem konkreten Regelgeber auszugehen. Als solcher wird hier die Europäische Union (EU) in den Blick genommen. Grund dafür ist weniger der Umstand, dass sich supranationale Rechtsformen vor allem in Europa etabliert haben, als vielmehr die Tatsache, dass die Vielfalt denkbarer Mehrebenensysteme es ausschließt, im Rahmen dieser Arbeit alle möglichen Variablen durchzuspielen. Soweit das Grundmuster der EU demjenigen anderer föderaler Ordnungen vergleichbar ist, lassen sich die hier gewonnenen Erkenntnisse auf andere Rechtssysteme übertragen. Kennzeichnend für dieses Grundmuster ist eine Vielzahl „unterer“ Regelgeber mit divergenten Rechtsordnungen sowie ein „oberer“ Regelgeber, der – das ist entscheidend – gegenüber den unteren Regelgebern nicht völlig autark ist, sondern maßgeblich von diesen (mit-)gesteuert wird.2 * Der Text beruht auf einem Entwurf von Bachmann. 1 Nur theoretischer Natur dürfte ein Mehrebenenmodell sein, in dem ein oberer und nur ein unterer Regelgeber konkurrierende Rechtsprodukte schaffen. Der föderale Regelgeber muss zudem nicht zwingend institutionalisiert sein, sondern kann sich im (vertraglichen) Zusammenwirken nebeneinander stehender Regelsetzer erschöpfen. Diese Konstellationen werden hier vernachlässigt. 2 Das unterscheidet die EU von Bundesstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland oder

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

II. Der „Mehrwert“ einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft Da die unteren Regelgeber – die Mitgliedstaaten der EU – jeweils über eigene geschlossene Kapitalgesellschaften verfügen, lautet die zentrale Frage, ob es daneben eines supranationalen Statuts überhaupt bedarf.3 Konkret: Was leistet eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaft, das eine nationale geschlossene Kapitalgesellschaft nicht zu leisten vermag?

1. Die Debatte um Pro und Contra einer SPE Die Diskussion über den „Mehrwert“ einer supranationalen europäischen Rechtsform ist schon in den sechziger Jahren intensiv geführt worden.4 Wiederbelebt wurde sie anlässlich des vom Europäischen Parlament geforderten Entwurfs einer Societas Privatae Europaea (SPE), den die Europäische Kommission im Jahr 2008 vorgelegt hat,5 und der seither einige Änderungen, aber keine Verabschiedung erfahren hat.6 Betrachtet man die Debatte um Für und Wider einer solchen Rechtsform, erkennt man darin die Argumente wieder, die schon in der früheren Diskussion um die Einführung einer europäischen Aktiengesellschaft eine Rolle gespielt haben: Befürworter der SPE erhoffen sich vor allem die Reduktion von Transaktionskosten, wenn bei europaweiten unternehmerischen Aktivitäten nur ein Rechtsregime zu berücksichtigen ist.7 Ferner wird auf die Möglichkeit der erleichterten Sitzverlegung über die Grenze verwiesen. Auch psychologische Vorteile wie der Ausweis einer „europäischen Marke“ oder die Neutralität der Rechtsform bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen (Joint Ventures) werden immer wieder genannt. In diesem Zusammenhang werden die Interessen der jüngeren Beitrittsstaaten ins Feld

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den USA, in denen der Einfluss der Länder auf die föderale Rechtsetzung geringer ist. Auch dort kann der Bund freilich nicht vollkommen autark agieren. Näher dazu unten, B.II. Die von juristischer Warte aus vorrangige Frage, ob ein zentrales Statut erlassen werden darf (Kompetenzfrage), ist bei funktionaler Betrachtung nachrangig und im Übrigen davon abhängig, was man von einer solchen Rechtsform erwartet. Sie wird weiter unten behandelt (s.u., C.I.). Vgl. dazu die Darstellung bei Ch. Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 2006, S. 234–238. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Statut der Europäischen Privatgesellschaft, KOM(2008) 396 endg. Zum Inhalt unten (Fn. 89). Auf Einzelnachweise aus dem reichen Schrifttum zur SPE muss hier verzichtet werden. Speziell zum Folgenden und jeweils mit weiteren Nachweisen Davies, FS Hopt, 2010, S. 479; Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 403 f; Hügel, ZHR 173 (2009), 301, 319; UziahuSantcroos, in: Zaman/Schwarz/Lennarts/de Kluiver/Dorresteijn, The European Private Company (SPE) – A Critical Analysis of the EU Draft Statute, 2009, S. 1. Siehe ferner die Nachweise oben, § 1 Fn. 7. Siehe hierzu und zum Folgenden insbes. die als Begleitdokument zum SPE-Verordnungsentwurf veröffentlichte Folgenabschätzung (Impact Assessment) der Kommission sowie die von Gérard Seguin verantwortete sog. Machbarkeitsstudie (2005), beide abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company.

A. Warum eine supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft?

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geführt, die (noch) auf keine eigene „exportfähige“ Rechtsform zurückgreifen können. Schließlich und nicht zuletzt verspricht man sich eine Belebung des gesellschaftsrechtlichen Ideenwettbewerbs.8 Kritiker bringen vor, dass Auslandsaktivitäten sich ebenso gut durch ein Netz von Zweigniederlassungen, jedenfalls durch die unionsweite Verwendung einer nationalen Rechtsform (z.B. Ltd., GmbH) verwirklichen ließen.9 Denn die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verbürgte Niederlassungsfreiheit gestatte es Unternehmensgründern, im In- wie im Ausland auf nationale Rechtsformen in der EU zurückzugreifen, sofern nur der Gründungsstaat den „Export“ seiner Rechtsform zulässt.10 Für die Rechtswahl maßgebliche Parameter wie das Steuerrecht blieben durch die einheitliche Rechtsform ohnehin unberührt.11 Weniger deutlich ausgesprochen, aber omnipräsent und eigentlicher Grund des bisherigen Scheiterns der SPE ist die Furcht vor einem Unterlaufen nationaler Mindeststandards und einer damit einher gehenden „Sogwirkung“: Ist die supranationale Rechtsform besonders attraktiv, kann dies zum Austrocknen der nationalen Rechtsformreservoirs und damit zu einem Steuerungsverlust der Mitgliedstaaten führen.12

2. Die Evaluation der SE Bevor auf diese Kritikpunkte einzugehen ist, sind die mit der bereits vorhandenen Societas Europaea (SE), der Europäischen Aktiengesellschaft, gewonnenen Erfahrungen zu betrachten. Die zugrunde liegende Verordnung wurde im Jahr 2001 verabschiedet und zwischenzeitlich von allen Mitgliedstaaten der EU durch entsprechende Ausführungsvorschriften „einsatzfähig“ gemacht. Inzwischen (Stand 19. März 2012) haben 1123 Unternehmen in Europa die Rechtsform der SE gewählt.13 Gemessen an frühen Unkenrufen, die die SE zur Bedeutungslosigkeit verdammt sahen, ist das viel, verglichen mit der absoluten Zahl nationaler Aktiengesellschaften in Europa dagegen wenig.

8 Dazu besonders Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 403 f, 409 ff; ders., AcP 204 (2004), 502, 510 f, 518 ff. 9 Exemplarisch zum Folgenden die Stellungnahme des deutschen Bundesrats, s. Beschluss vom 10.10.2008, BR-Drucks. 479/08, S. 3. 10 Vgl. EuGH Slg. 2008, I-9641 – C-210/06 (Cartesio); EuGH Slg. 1988, 5483 – Rs. 81/87 (Daily Mail). 11 Vgl. Davies, FS Hopt, S. 479, 481, wonach die SPE in Umfragen deshalb hohen Zuspruch erfahre, weil ihre Bereitstellung den Befragten zwar wenig brächte, sie aber auch nichts koste. 12 Vgl. Bundesrat, Beschluss vom 10.10.2008, BR-Drucks. 479/08, S. 3. Aus Sicht der deutschen Ministerialverwaltung Neye, FS Hüffer, 2010, S. 717, 720: „Aus rechtspolitischer Sicht gilt es zu verhindern, dass die gerade erst modifizierten Standards für die GmbH auf europäischer Ebene im Wege der Gründung einer SPE unterlaufen werden können“. 13 Laufend aktualisierte Zahlen unter http://www.worker-participation.eu/EuropeanCompany/ SE-COMPANIES/Facts-and-Figures.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

Gemäß dem Evaluationsauftrag aus Art. 69 der SE-Verordnung hat die Europäische Kommission daher Anstrengungen unternommen, um die Gründe für die (Nicht-)Wahl der SE zu eruieren und möglichen Nachbesserungsbedarf aufzuspüren. Gestützt auf Vorarbeiten aus Wissenschaft 14 und Praxis15 sowie auf ein Konsultationsverfahren legte sie dazu am 17. November 2010 einen Evaluationsbericht vor, der einerseits die Motive für die Wahl der SE, andererseits möglichen Reformbedarf herausstellt.16 Als Motiv der Rechtsformwahl nennt der Bericht zuvörderst das europäische Image, das insbesondere in kleineren Staaten sowie in den osteuropäischen Mitgliedsländern eine Rolle spiele. Das deckt sich mit den Erfahrungen in Kanada, wo ebenfalls Imagegründe maßgeblich zum Erfolg der Bundesrechtsform beigetragen haben.17 Im gleichen Atemzug wird das Motiv genannt, bei internationalen Fusionen keine „Niederlage“ eingesteckt zu haben.18 Weiter wird die Möglichkeit der identitätswahrenden Sitzverlegung bzw. grenzüberschreitenden Fusion erwähnt, wobei die Zahl der tatsächlich durchgeführten Sitzverlegungen eher gering zu sein scheint und die Verschmelzungsoption mit der Umsetzung der Verschmelzungsrichtlinie als zentrales Motiv an Bedeutung eingebüßt haben dürfte.19 Ein besonderer Beweggrund in Ländern mit weitgehend zwingender Unternehmensverfassung – namentlich Deutschland – ist ferner die Möglichkeit, alternative Governance-Strukturen wählen zu können. Das betrifft vor allem das Mitbestimmungsregime, das bei der SE ausgehandelt oder „eingefroren“ werden kann, zum anderen – weniger bedeutsam – die Option, statt der dualistischen eine monistische Führungsstruktur zu installieren.20 Neben der empirischen Evaluation stehen Überlegungen, wie der normative Rahmen der SE verbessert werden könnte. Handlungsbedarf sieht man vor allem bei dem als zu schwerfällig empfundenen Gründungsverfahren, wobei u.a. der numerus clausus der Gründungsvarianten, aber auch das Mehrstaatlichkeitserfordernis, das Junk-

14 Siehe hierzu insbes. die empirischen Untersuchungen von Eidenmüller/Engert/Hornuf, 11 Eur. Bus. Org. L. Rev. 35 (2010); dies., 10 Eur. Bus. Org. L. Rev. 1 (2009); dies., AG 2008, 721; ferner Bayer/Schmidt, AG 2007, R 192 und AG 2008, R 31. Normative Evaluation insbes. bei Casper, ZHR 173 (2009), 181. 15 Vgl. hierzu insbesondere die Ernst & Young-Studie „Study on the operation and the impacts of the Statute for a European Company (SE) – Final report (9 December 2009)“, abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/se/index_en.htm. 16 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), KOM(2010), 676 endg. Kritische Analyse bei Kiem, Corp. Fin. L. 2011, 134. 17 Vgl. Daniels, 36 McGill L.J. 130, 189 (1991); Cumming/McIntosh, 22 Int’l J. L. & Econ. 277, 299 f (2002). 18 Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 3; s. auch Eidenmüller/Engert/Hornuf, 10 Eur. Bus. Org. L. Rev. 1, 28 (2009). 19 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 4; s. dazu auch Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 725. 20 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 4 f; ferner Eidenmüller/Engert/Hornuf, AG 2008, 721, 728.

A. Warum eine supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft?

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tim von Verwaltungs- und Satzungssitz sowie die aufwändige Prozedur zur Aushandlung der Mitbestimmung kritisiert werden.21 Generell beklagt wird die z.T. unklare Verzahnung mit nationalem Recht, die aus der komplizierten Verweisungstechnik herrührt.22 Daneben werden Sorgen vor der supranationalen Rechtsform geäußert. So befürchten namentlich die Gewerkschaften ein Unterlaufen der nationalen Mitbestimmungsregeln durch Flucht in die SE.23 Die Gewährung von mehr Gestaltungsfreiheit wird mit der Tatsache konfrontiert, dass dadurch der Wettbewerb mit den Rechtsformen der Mitgliedstaaten intensiviert werde, was politische Widerstände provozieren könnte.24 Auch die Sorge um die Reputation der Rechtsform, die bei allzu starker Deregulierung in Mitleidenschaft gezogen werden könnte, wird artikuliert.25 Unklar blieb, ob die Vorzüge der SE nicht nur von den Initiatoren der Rechtsformwahl, sondern auch von den Anlegern und den Stakeholdern goutiert werden.26 Die Kommission selbst dämpft die Hoffnung auf eine Liberalisierung der Verordnung mit dem Hinweis, das SE-Statut sei das „Ergebnis eines nach langen Verhandlungen gefundenen heiklen Kompromisses“.27 Ob es überhaupt zu Veränderungen des Statuts kommen wird, ist derzeit ungewiss.

3. Was soll der Europäische Gesetzgeber tun? Angesichts der Für und Wider die Einführung einer SPE streitenden Gesichtspunkte und mit Blick auf die ambivalenten Evaluationsergebnisse zur SE stellt sich die Frage, wie sich der europäische Gesetzgeber in der Frage der geschlossenen Europäischen Kapitalgesellschaft verhalten soll.28 Die einfachste Antwort wäre, das SPE-Projekt nicht weiter zu verfolgen und sich stattdessen (wieder) der Rechtsharmonisierung zuzuwenden.29 Trotz des stockenden Prozesses der SPE-Einführung sollte dies unseres 21 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 7 f; ferner Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht, 10 Eur. Bus. Org. L. Rev. 285 ff (2009); Kiem, Corp. Fin. L. 2011, 134; eingehend Casper, ZHR 173 (2009), 181, 189 ff, 208 ff. 22 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 7; Casper, ZHR 173 (2009), 181, 185 f. 23 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 9. 24 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 9. 25 So – aus Sicht der Beratungspraxis – Kiem, Corp. Fin. L. 2011, 134, 143: Die SE deutscher Prägung „verdankt ihr ausgezeichnetes Standing nicht zuletzt dem rigiden Regelungsgerüst, dem sie unterworfen ist. Die strikten Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln sichern ihr einen Reputationsvorschuss, der bei einer spürbaren Lockerung des Regelungsgefüges möglicherweise schnell aufgebraucht wäre.“ 26 Vgl. dazu Eidenmüller/Engert/Hornuf, 11 Eur. Bus. Org. L. Rev. 35 (2010). 27 Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 11. 28 Die Kommission selbst ist hier unschlüssig und hat daher die Frage nach dem „Mehrwert“ einer SPE noch einmal ausdrücklich zur Debatte gestellt, s. Consultation on the Future of European Company Law v. 20.2.2012, http://ec.europa.eu/internal_market/ consultations/2012/company_law_en.htm. 29 In diesem Sinne etwa Sandberg/Skog, AG 2010, 580, 583; s. auch Report of the Reflection Group on the Future of EU-Company Law, 2011, S. 29 (mit gespaltenem Meinungsbild);

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

Erachtens nicht die letzte Antwort sein. Vielmehr empfiehlt es sich, noch einmal einen Schritt zurück zu treten und die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, welche Funktionen eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaft sinnvollerweise erfüllen kann.

B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft Die Argumente der Befürworter einer SPE, aber auch die Einsichten aus der Evaluation der SE zeigen, dass es nicht um eine, sondern um mehrere Funktionen der supranationalen Rechtsform geht. Dagegen kommt in den Argumenten der Kritiker der Verweis auf funktionale Äquivalente zum Ausdruck. Dieser ist wichtig, weil eine funktionsgerechte Ausgestaltung der europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft nur gelingen kann, wenn man alternative Lösungsmuster in den Blick nimmt.

I. „Klassische“ Funktion: Grenzüberschreitendes Vehikel Grundlage der Idee einer europäischen Rechtsform ist die Tatsache, dass unterschiedliche Gesellschaftsrechte Hürden für die grenzüberschreitende Entfaltung unternehmerischer Aktivität und damit für die Entfaltung des Binnenmarkts (Art. 26 AEUV) darstellen. Die supranationale Rechtsform kann sie beseitigen. Dabei ist einerseits an den Umzug über die Grenze zu denken (unten 1.), zum anderen an die europaweit agierende Unternehmensgruppe (unten 2.).

1. Mobilität (Sitzverlegung, grenzüberschreitende Verschmelzung) a) Leistung, funktionale Äquivalente, Probleme Die Möglichkeit der identitätswahrenden, d.h. ohne Auflösung und Neugründung auskommenden Sitzverlegung über die Grenze war „einer der wichtigsten Gründe für die Entwicklung der Idee einer Gesellschaft europäischen Rechts“.30 Dieses Bedürfnis ist heute angesichts der großzügigen Interpretation der im europäischen Recht verbürgten Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) in den Hintergrund getreten. Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) können umzugswillige Gesellschaften nationaler Provenienz ihren Verwaltungssitz rechtsformwahrend über die Grenze verlegen, wenn das Heimatland dies gestattet.31 Auch

Davies, FS Hopt, S. 479, 498: „Should not have been undertaken in the first place“; skeptisch mit Blick auf die Ergebnisse der SE-Evaluation auch Kiem, Corp. Fin. L. 2011, 134, 139 (Notwendigkeit weiterer supranationaler Rechtsformen zweifelhaft). 30 Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl., 1996, S. 719. 31 Vgl. EuGH Slg. 1999, I-1495 – C-212/97 (Centros).

B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft

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ohne eine solche Gestattung ist die Sitzverlegung möglich, wenn die Gesellschaft bereit ist, die Rechtsform des Aufnahmelandes anzunehmen und dieses den Rechtsformwechsel akzeptiert.32 Zwar schafft das Primärrecht selbst keinen ausbuchstabierten Rahmen für einen formwechselnden Umzug, wie ihn etwa das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) vorsieht.33 Er kann aber durch Harmonisierung in Gestalt einer Sitzverlegungsrichtlinie bereit gestellt werden. Entsprechende Entwürfe liegen vor und harren der Verabschiedung.34 Die Praxis behilft sich vorläufig mit dem (Um-)Weg über die grenzüberschreitende Verschmelzung, die durch die zehnte Richtlinie harmonisiert wurde.35 Unter Einsatz eines zu diesem Zweck gegründeten oder erworbenen ausländischen Vehikels kann der rechtsformwechselnde Umzug so ohne größere Mühe bewerkstelligt werden. Weil dieser Weg unter mitbestimmungsrechtlichen Gesichtspunkten z.T. weniger hürdenreich ist als die Gründung einer SE, hat diese als Instrument zur Sitzverlegung oder zur grenzüberschreitenden Verschmelzung bislang keine Bedeutung erlangt.36 Bedarf für eine supranationale Rechtsform besteht insofern nur noch, als weder die Niederlassungsfreiheit noch die Verschmelzungsrichtlinie den rechtsformwahrenden Wegzug verbürgt. Vielmehr bleibt es einem Mitgliedstaat gestattet, den aus seinem Territorium wegziehenden Gesellschaften, die nach seinem Recht gegründet wurden, die Rechtsfähigkeit zu entziehen.37 Deutschland wäre also nicht durch europäisches Recht daran gehindert, einer deutschen GmbH bei „Strafe“ der Zwangsauflösung den rechtsformwahrenden Umzug nach Großbritannien zu untersagen. Das deutsche Recht tut dies aber nicht, weil es insofern – wie viele andere europäische Länder – seinen Kapitalgesellschaften erlaubt, ihren Verwaltungssitz im Ausland zu nehmen.38 Den Anstoß dazu gab die erwähnte Rechtsprechung des EuGH zur großzügigen Interpretation der Niederlassungsfreiheit, die es ausländischen Rechtsformen gestattet, in Deutschland Fuß zu fassen, wovon insbesondere die britische Limited profitierte. Diesen „Wettbewerbsnachteil“ wollte der deutsche Gesetzgeber vermeiden, indem er den „Export“ der Rechtsform GmbH mit der GmbH-Reform 2008 erlaubte.39 Sollte

32 Vgl. EuGH Slg. 2008, I-9641 – C-210/06 (Cartesio), Rdn. 112. 33 Vgl. Art. 8 SE-VO. 34 Eingehend zuletzt Leible, FS Roth, 2011, S. 447; ferner die „Thesen zum Erlass einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie“ des Arbeitskreises Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2011, 98 ff, die sich explizit am Muster der Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung orientieren. Siehe auch den älteren Kommissionsentwurf, ZIP 1997, 1721. 35 Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EU Nr. L 310 vom 25.11.2005, S. 1 ff. 36 Vgl. Kommissionsbericht, aaO (Fn. 16), S. 4; J. Schmidt, 1 Asian J.L. & Econ. 15 (2010): („has taken away a unique selling point for the SE“); Dorresteijn/Uziahu-Santcroos, 5 Eur. Co. L. 277, 279 f (2008); Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 17 ff. 37 Vgl. EuGH Slg. 2008, I-9641 – C-210/06 (Cartesio), Rdn. 110. 38 Vgl. nur Bachmann, in: Spindler/Stilz, Komm. z. AktG, 2. Aufl., 2010, § 262 Rdn. 75 ff; Weller, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einl. Rdn. 379 ff. 39 Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 29.

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dieser Antrieb nicht genügen, um auch alle anderen Mitgliedstaaten zu einer entsprechenden Öffnung zu bewegen, könnte der europäische Gesetzgeber immer noch auf das Instrument einer Harmonisierung des Gesellschaftskollisionsrechts zurückgreifen. Fasst man diese Überlegungen zusammen, so stellt die supranationale Rechtsform heute kein exklusives, sondern nur noch ein alternatives Mobilitätsvehikel für Gesellschaften in Europa dar. Ihre Funktion besteht weniger darin, den Grenzübertritt zu ermöglichen (so die ursprüngliche Idee der sechziger Jahre), als darin, den betreffenden Werkzeugkasten grenzüberschreitender Strategien zu erweitern. Die heimatmüde GmbH kann also wählen, ob sie als solche nach Großbritannien „auswandert“, indem sie sich die primärrechtliche Niederlassungsfreiheit zu Nutze macht, ob sie nach den Regeln der durch Sekundärrecht harmonisierten grenzüberschreitenden Verschmelzung mit einer britischen Ltd. fusioniert oder ob sie sich in eine supranationale Rechtsform in Gestalt der SE bzw. SPE verwandelt und dadurch (bzw. hernach) nach Großbritannien umzieht. Aus Sicht von Gesellschaftern und Geschäftsleitern birgt der Wechsel über die Grenze keine spezifischen Probleme. Zwar kann damit ein Rechtsformwechsel einhergehen, der aber auch im rein nationalen Kontext möglich ist (vgl. §§ 190 ff. UmwG). Aus Sicht Dritter stellen sich hingegen Fragen, die im rein nationalen Kontext in dieser Weise nicht auftreten. Dabei geht es im Kern um drei regulatorische Herausforderungen: (1) Durch den Umzug ins Ausland wird der Zugriff der Altgläubiger auf das Gesellschaftsvermögen wenigstens faktisch erschwert. (2) Der rechtsformwechselnde Umzug lässt die Gesellschaft zu einer solchen fremden Rechts werden. Damit entfallen prinzipiell auch die rechtsformanknüpfenden Mitbestimmungsregeln. (3) Der rechtsformwahrende Umzug konfrontiert die im Zuzugsstaat ansässigen (Neu-)Gläubiger mit einer für diese ungewohnten, weil ausländischen Rechtsform.

b) Regulatorische Konsequenzen Während das letztgenannte Problem in einem gemeinsamen Markt grundsätzlich hinzunehmen ist, kann das erste Problem abgemildert werden, indem insolventen oder auflösungsreifen Gesellschaften der Umzug untersagt und die perpetuatio fori für vor der Verlegung entstandene Ansprüche angeordnet wird. Entsprechend sieht es die SEVerordnung vor (vgl. Art. 8 Abs. 15 u. 16 SE-VO). Die EuGVO assistiert, indem sie für Klagen sowohl den Satzungs- als auch den Verwaltungssitz für zuständigkeitsbegründend erklärt und damit die Verlegung bloß des einen oder anderen irrelevant werden lässt (vgl. Art. 60 EuGVO).40 Im Übrigen werden sich die Alt-Gläubiger da40 Das hat schon bei Verabschiedung der SE-Verordnung die Frage aufgeworfen, ob die Anordnung der perpetuatio fori in Art. 8 Abs. 16 SE-VO entbehrlich ist. Sie ist daher zum Gegenstand des nach fünf Jahren durchzuführenden Evaluationsverfahrens gemacht worden (vgl. Art. 69 Satz 2c) SE-VO). In ihrem Evaluationsbericht neigt die Kommission dieser Auffassung zu, sieht aber gleichwohl keinen Änderungsbedarf (Kommissionsbericht,

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mit abfinden müssen, dass auch ein natürlicher Schuldner ins Ausland verziehen kann und sie dagegen privatautonom Vorsorge zu treffen haben. Das zweite Problem ist aus dem nationalen bzw. harmonisierten Umwandlungsrecht vertraut. Dort hat sich ein Schutzmuster etabliert, das sowohl bei der SE-Verordnung (Art. 8 SE-VO) als auch bei der Richtlinie über die grenzüberschreitende Verschmelzung Pate gestanden hat und das auch für die Sitzverlegungsrichtlinie geeignet erscheint.41 Es sieht ein abgestuftes Verfahren vor, dessen Elemente aus einem publik zu machenden (Sitzverlegungs-)Plan, einem Bericht, einem Beschluss, einer formalen Prüfung, einem Registrierungsverfahren sowie etwaigen gläubigerschützenden Kautelen (z.B. Sicherheitsleistung) besteht. In nämlicher Weise hat sich für die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein Übergangsmuster herausgebildet. Es verlangt die Bildung eines Verhandlungsgremiums auf Arbeitnehmerseite, welches mit der Geschäftsleitung ein Mitbestimmungsregime für die neue Rechtsform aushandelt. Kommt es zu keiner Einigung, greift eine Auffanglösung, die sich am vorherigen Status orientiert.42 Da die supranationale Rechtsform nur ein alternatives Vehikel zur Lösung grenzüberschreitender Probleme ist, überrascht es nicht, dass der Vorschlag für ein SPEStatut auf die Regulierungsmuster zurück greift, wie sie für die anderen grenzüberschreitenden Strategien entwickelt worden sind. So sind auch bei der SPE ein Sitzverlegungsverbot bei Insolvenz und eine perpetuatio fori vorgesehen.43 Auch das Sitzverlegungsprozedere ist am geschilderten Modell orientiert.44 In beiden Fällen ergeben sich keine wesentlichen Unterschiede zur SE, wenn auch das Modell in Teilen liberaler ausgestaltet ist.45 Besondere Probleme bereitet die Mitbestimmung. Obwohl

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aaO (Fn. 16), S. 9 f.). Dem ist beizupflichten, weil mangels rechtstatsächlicher Erkenntnisse ungewiss bleibt, ob auf den zusätzlichen Schutz des Art. 8 Abs. 16 SE-VO wirklich verzichtet werden kann, s. Casper, in: Spindler/Stilz, Komm. z. AktG, 2. Aufl., 2010, Art. 8 SE-VO Rdn. 27. Vgl. Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, aaO (Fn. 34). Zu diesem Schutzmuster Hommelhoff/Riesenhuber, in: Grundmann, Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts, 2000, S. 259; vor der Harmonisierung schon Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, S. 875 (mit Unterscheidung präventiver und repressiver Modelle). Vgl. Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl. EG Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 22; Richtlinie 2005/56/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2005 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, ABl. EG Nr. L 310 vom 25.11.2005, S. 1. So der Entwurf zur SPE-Verordnung (Art. 35 Abs. 2 u. 4 des Kommissionsvorschlags = Art. 36 Abs. 2 u. 4 schwedischer Kompromissvorschlag, s.u. Fn. 45), der insoweit dem Vorbild der SE-Verordnung folgt, vgl. Art. 8 Abs. 15 u. 16 SE-VO. Vgl. Art. 37, 38 SPE-VO des Kommissionsvorschlags sowie die im Wesentlichen gleichlautenden Art. 37, 38 SPE-VO des schwedischen Kompromissvorschlags. Politisch umstritten ist namentlich, ob die SPE-Verordnung dem Vorbild der SE-VO folgend Satzungssitz und Hauptverwaltung aneinander koppeln sollte, s. dazu den schwedischen Kompromissvorschlag (zeitlich befristetes Koppelungsgebot), Rat der Europäischen Union, 16115/09 ADD1, DRS 71, SOC 711, u.a. abrufbar unter http://www. europeanprivatecompany.eu.

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sich das Verhandlungsmodell mit Auffanglösung als generelles Muster etabliert hat, wird doch bei jedem Rechtsakt um Einzelheiten wieder gerungen. Auch hier deutet sich für die SPE ein gegenüber der SE liberaleres Modell an, das jedoch noch keineswegs konsentiert ist, und an dem die gesamte Rechtsform zu scheitern droht.46 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die supranationale Rechtsform als Mobilitätsvehikel denselben Herausforderungen begegnet wie ihre funktionalen Äquivalente (Sitzverlegung, grenzüberschreitende Fusion) und daher auf ähnliche Schutzvorkehrungen zugunsten Dritter (Gläubiger, Arbeitnehmer) angewiesen ist. Die entscheidende Frage lautet, ob es dabei spezifische Regulierungsanforderungen gibt, die entweder nur die supranationale Rechtsform treffen oder nur durch sie zu verwirklichen sind. Beides ist zu bejahen. So minimieren sich die Gefährdungen, die Dritten aus einem grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel erwachsen können, in dem Maße, in dem die Rechtsform diesseits und jenseits der Grenze dieselbe ist. Dies war auch die Überlegung, welche die supranationale Rechtsform ihren Vordenkern als ideales Werkzeug für den Grenzübertritt erscheinen ließ, gingen diese doch noch davon aus, dass das Statut einer solchen Rechtsform unionsweit einheitlich sei, so dass der Grenzübertritt zwar zu einem Wechsel des Sitzes, nicht jedoch zu einem solchen des Gesellschaftsstatuts führte. Bei der SE ist das (leider) nicht der Fall, weil diese zwar durch den Grenzübertritt ihre Rechtsform beibehält, jedoch aufgrund der vielfachen Verweisungen ins nationale Gesellschaftsrecht (Art. 9 SE-VO) einem faktischen Rechtsformwechsel unterworfen ist. Dessen ungeachtet bleibt es theoretisch dabei, dass die supranationale Rechtsform über ein möglichst autarkes, d.h. ohne Rückgriff auf nationale Normen auskommendes Statut verfügen sollte, weil damit das die Altgläubiger schützende, umwandlungsspezifische Regulierungsraster in weiten Teilen entbehrlich wird, und weil Neugläubiger nicht mit einer ihnen fremden Rechtsform konfrontiert werden. Kann die supranationale Rechtsform also idealerweise das Problem des Grenzübertritts besser bewältigen als seine funktionalen Äquivalente, ist es umgekehrt besonderen Herausforderungen ausgesetzt. Diese bestehen darin, dass eine übermäßige Insolvenzanfälligkeit oder der Missbrauch zu unseriösen Zwecken zu einem Reputationsverlust der Rechtsform führen kann.47 Für die supranationale geschlossene Kapitalgesellschaft ist das gefährlicher als für die Pseudo-Auslandsgesellschaft. Denn selbst wenn sich eine bestimmte, aus Gründersicht attraktive nationale Rechtsform im Ausland den Ruf der „Billigrechtsform“ erwerben sollte, beeinträchtigt dies die Rechtsform als solche nicht, weil diese wenigstens in ihrem Heimatstaat, der mit ihr leben gelernt hat und Missstände vor Ort zu bekämpfen vermag, aktionsfähig bliebe. An-

46 Umstritten ist hier u.a. der Schwellenwert, ab dem die Mitbestimmungsregeln greifen sollen, s. auch dazu den schwedischen Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45), S. 3 (min. 500 Arbeitnehmer, davon min. die Hälfte in dem Staat beschäftigt, der ein (höheres) Mitbestimmungsregime vorsieht). Der Vorschlag ist von Deutschland abgelehnt worden. Eingehend zur Mitbestimmungsproblematik Dorresteijn/Uziahu-Santcroos, 6 Eur. Co. L. 152, 157 f (2009); Hommelhoff, ZEuP 2011, 7; ders., FS Schneider, 2011, S. 547. 47 Müller-Graff, EWS 7/2008 (Editorial).

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ders liegt es bei einer supranationalen Rechtsform. Verliert diese ihre universale Vertrauenswürdigkeit, weil sie sich – ob zu Recht oder Unrecht – den Ruf als suspektes Vehikel erworben hat, dann büßt sie ihre spezifische Funktion als grenzüberschreitendes Mobilitätsinstrument ein.48 Dieser Umstand erlangt besonderes Gewicht in Anbetracht der Tatsache, dass gerade das Image ein maßgeblicher Grund zur Wahl der europäischen Rechtsform ist.49 Diese Überlegung mag es rechtfertigen, ein strikteres Gläubigerschutzregime und/ oder höhere Zugangshürden zu etablieren, als dies bei der isoliert betrachteten geschlossenen Kapitalgesellschaft angezeigt ist.50 So koppelt die SE den Satzungssitz zwingend an denjenigen der Hauptverwaltung (sog. Einheitlichkeitsgebot, vgl. Art. 7, 64 SE-VO), was zwar die Mobilität erschwert, zugleich aber das Entstehen von schlecht beleumundeten „Briefkastengesellschaften“ verhindert. Ob auch für die SPE entsprechendes vorzusehen ist, ist politisch umstritten.51 Wohl gemerkt: Der Grund für derartige Vorkehrungen liegt nicht darin, den Gläubigern der supranationalen Rechtsform ein höheres Schutzniveau zu verschaffen, als es nach allgemeinen Erwägungen erforderlich wäre (dazu oben, § 5). Grund ist vielmehr der Schutz der supranationalen Rechtsform an sich, mithin Institutionenschutz. Die Situation ist mit derjenigen des kapitalmarktrechtlichen Insiderhandelsverbots vergleichbar. Es wird z.T. als effizienzwidrig gebrandmarkt, fördert aber langfristig das Vertrauen in die Institution „Kapitalmarkt“ und hält diesen damit funktionsfähig.52 Zusätzlich kann es darum gehen, den Gründern mit der Wahl einer Rechtsform zugleich ein Qualitätssignal an die Hand zu geben.

2. Uniformität (Konzerntochter) a) Leistung, funktionale Äquivalente, Probleme Wie geschildert kann die Sitzverlegung zwar auch, aber nicht nur mithilfe supranationaler Rechtsformen bewältigt werden. Treibende Kraft hinter den gegenwärtigen Bestrebungen zur Schaffung einer SPE ist daher weniger die Sitzverlegung, als die Idee, mit einer Europa-GmbH ein unionsweit einsetzbares und nach einheitlichem Recht

48 Brems/Cannive, Der Konzern 2010, 629, 638; Freudenberg, NZG 2010, 527, 528; Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2009, 36. Lehrreich ist der Blick auf die in Deutschland agierende pseudo-foreign Ltd. Für diese wird nicht nur eine hohe Insolvenzanfälligkeit berichtet (vgl. Niemeier, ZIP 2007, 1794 ff.). Auffallend ist auch, dass sie ungewöhnlich oft bei suspekten Geschäftsmodellen zum Einsatz kommt. So sind die Anbieter sog. Internet-Kostenfallen in nahezu allen gerichtsbekannten Fällen als Ltd. organisiert gewesen, exemplarisch OLG Frankfurt NJW 2011, 398. 49 S.o., bei Fn. 18. 50 So insbes. Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2009, 36; Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 341 ff. 51 Näher Hommelhoff, FS Roth, S. 269. 52 Vgl. nur Fleischer, Informationsasymmetrie im Vertragsrecht, 2001, S. 188 ff.

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zu gestaltendes Vehikel zu haben, das als Gruppenbaustein insbesondere der gemeinschaftsweit agierenden mittelständischen Wirtschaft dienen kann.53 Die Einrichtung und Führung einer solchen Unternehmensgruppe würden durch ein einheitliches Rechtskleid erheblich erleichtert. Mit ähnlichen Argumenten werden Bestrebungen um ein optionales europäisches Vertragsrechtsregime, aber auch um andere optionale europäische Rechtsangebote (Patent, Marke, Gewinnermittlung) verfolgt.54 Dass durch ein derartiges (optionales) Einheitsregime selbst dann signifikante Transaktionskostenersparnisse zu erzielen sind, wenn nicht alle rechtlichen Rahmenbedingungen vereinheitlicht sind, ist leicht zu sehen und wird auch nicht ernsthaft bestritten. Das Vorhandensein funktionaler Äquivalente, mit denen Kritiker die Überflüssigkeit supranationaler Rechtsformen darzutun versuchen,55 vermag daran nichts zu ändern.56 Denn diese erzielen nicht die komparativen Kostenvorteile, die eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaft ermöglicht. Offensichtlich ist das für Zweigniederlassungen, welche nicht die betriebswirtschaftlich zweckmäßige Vermögenssonderung („asset partitioning“) leisten, und die schon deshalb als ernst zu nehmende Alternative ausscheiden. Ähnliches gilt im Ergebnis aber auch für den grenzüberschreitenden Einsatz nationaler Rechtsformen (z.B. Ltd.). Er ist von der Niederlassungsfreiheit gewährleistet, kreiert jedoch Reibungsverluste, weil die sach- und kollisionsrechtliche Verzahnung der fremden Rechtsform mit dem Ortsrecht trotz der europäischen Leitvorgaben nicht hinreichend bewältigt ist und rechtskulturelle Widerstände diesen Vorgaben trotzen mögen.57 Dem wäre nur durch eine mehr oder weniger umfassende Vollharmonisierung der europäischen GmbH-Rechte zu begegnen. Abgesehen davon, dass sich eine solche politisch nicht realisieren lassen wird,58 stellt die Schaffung einer supranationalen Rechtsform das rechtlich und tatsächlich vorzugswürdige Instrument dar. Denn es belässt den Beteiligten die Wahl unterschiedlicher Rechtsformen und erstickt nicht den horizontalen Ideenwettbewerb. Nicht nur aus rechtlichen (Subsidiaritätsprinzip), 53 Betont Hommelhoff, ZHR 173 (2009), 255, 256 f m.w.N. („Leitbild, das die Diskussion von Anfang an geprägt hat“); Teichmann in: ders., Aktuelle Entwicklungen im Gesellschaftsrecht, 2009, S. 52, 61 ff. 54 Vgl. nur Leible, BB 2008, 1469, 1472; Heiss, FS Roth, S. 237 (zum optionalen Vertragsrecht); zum Europäischen Kaufrecht nur Grundmann, Kosten und Nutzen eines Europäischen Optionalen Kaufrechts (Entwurfsfassung des Vortrags auf der Sondertagung der Zivilrechtslehrervereinigung am 20.4.2012 in Bonn); zu Bemühungen um ein europäisches Patent s. BörsZ v. 11.3.2011; zur europäischen Gewinnermittlung s. den Vorschlag einer Richtlinie über eine Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) der Kommission v. 16.3.2011, KOM(2011) 121/4; dazu (kritisch) Schön, ZHR 171 (2007), 409 ff; ders., 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 363 f (2005). 55 S.o., A.II.1. 56 So überzeugend bereits die Folgenabschätzung der Kommission, s. Impact Assessment, aaO (Fn. 7), S. 13 ff. 57 Vgl. Teichmann, aaO (Fn. 4), S. 65 f; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 291. 58 Zu den Problemen der Vollharmonisierung nur Gsell/Herresthal, Vollharmonisierung im Privatrecht, 2009; zum Vorschlag einer weitgehenden Harmonisierung der Einmann-Gesellschaft durch ein harmonisiertes Vertragsmuster s.u. (bei Fn. 148).

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sondern auch aus ökonomischen Gründen wird dieser Weg daher überwiegend als vorzugswürdig angesehen.59 Fehl geht schließlich der Hinweis auf divergierende Steuerrechte: Dass die Kosten einer ausländischen Niederlassung nicht auf Null reduziert werden können, rechtfertigt es nicht, sie überhaupt nicht zu senken. Die Konsequenz besteht im Übrigen nicht darin, auf die supranationale Rechtsform zu verzichten, sondern die Besteuerungsgrundlagen in Europa zu optimieren. Da die Gesellschafter, mittelbar aber auch die Konsumenten an dieser Kostenersparnis partizipieren, ist insofern kein gegenläufiges Interesse zu erkennen.60 (Ausländische) Geschäftsführer mögen sich in einer ungewohnten Rolle wiederfinden, etwa wenn sie in den ihrer Heimatrechtsordnung unterliegenden Rechtsformen an bestimmte Vorteile (Weisungsfreiheit, Haftungsschranken o.ä.) gewohnt sind, die in der supranationalen Rechtsform so nicht existieren. Derartige Anpassungsleistungen werden der in einem internationalen Konzern tätigen Führungskraft aber generell zugemutet. Vorteile der supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft ergeben sich für den Manager demgegenüber daraus, dass beim Wechsel innerhalb des Konzerns oder bei konzerndimensionaler Aufgabenwahrnehmung der rechtliche Anpassungs- und „Umrechnungsbedarf“ entfällt oder doch sinkt. Dass die Niederlassungsfreiheit schließlich auch den Gläubigern Anpassungsleistungen abfordert, wurde bereits gesagt.61 Gegenläufige Interessen fallen daher unter diesem Gesichtspunkt normativ nicht ins Gewicht. Problematischer sind die Belange der Arbeitnehmer. Zwar bleiben ihre arbeitsrechtlichen Beziehungen von der Rechtsform des Arbeitgebers unberührt. Dies gilt jedoch nicht für die unternehmerische Mitbestimmung. Wie bereits erwähnt, hat sich die Mitbestimmung daher als Stolperstein auf dem Weg zur supranationalen Rechtsform in Europa erwiesen.62 Damit ist die grundsätzliche Schwierigkeit angeschnitten, zu einer politischen Einigung über den Inhalt des supranationalen Statuts zu gelangen. Auch wenn Einigkeit darüber besteht, dass eine einheitliche Rechtsform Transaktionskosten erspart, ist damit nicht notwendig Einigkeit darüber verbunden, wie das einheitliche Recht ausgestaltet sein sollte. b) Regulatorische Konsequenzen Die zentrale Regulierungsstrategie muss auch unter dem Blickwinkel der Uniformitätsfunktion darin bestehen, ein möglichst geschlossenes (autarkes), also von den jeweiligen nationalen Gesellschaftsrechtsordnungen unabhängiges Statut zu schaffen. Verweise auf nationales Recht sind damit nach Möglichkeit zu vermeiden. Als Grund59 Grundsätzlich Schön, ZHR 160 (1996), 221, 249; in neuerer Zeit Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 405; aus ökonomischer Sicht Holzgräbe, HFR 1999, 69, 79; Röpke/Heine, ORDO 56 (2005), S. 157, 161, 172. 60 Die Schaffung einer SPE wird daher gerade von Seiten der Wirtschaft gefordert, von den Verbraucherverbänden jedenfalls nicht bekämpft. 61 S.o., B.I.1. 62 S.o., bei Fn. 42.

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baustein für die unionsweite Unternehmensgruppe wird es sich bei der europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft regelmäßig um eine Einmann-Gesellschaft handeln. Damit erledigen sich Mehrheits-Minderheitskonflikte, was Regulierungsbedarf im Verhältnis der Gesellschafter zueinander entfallen lässt, im Verhältnis Gesellschafter – Geschäftsführer jedenfalls reduziert. Im Innenverhältnis wird man der europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft als Konzernbaustein also weitgehend Satzungsfreiheit zugestehen können und eher auf dispositives als auf zwingendes Recht setzen.

3. Zusammenfassung Als grenzüberschreitendes Vehikel hat die supranationale Rechtsform in Europa an Bedeutung eingebüßt. Spätestens mit der Verabschiedung der Sitzverlegungsrichtlinie würde für sie das zwingende Bedürfnis entfallen.63 Andererseits spricht nichts dagegen, sie dem Rechtsverkehr als alternatives Mobilitätsvehikel zur Verfügung zu stellen. Komparative Vorteile könnte sie als solche ausspielen, wenn sie über ein möglichst geschlossenes Statut verfügte (was die Konfrontation mit „fremden“ Rechtsformen beseitigte), andererseits reputationserhaltende Eigenschaften aufweist. Solche könnten in einem komparativ tendenziell strikten Gläubigerschutzregime sowie (moderaten) Zugangsschranken bestehen. Bedeutsamer ist die SPE als unionsweiter Konzernbaustein. Auch dafür wäre vor allem ein autarkes Statut von Vorteil. Als Einmanngesellschaft könnte ihr Statut zudem weitgehend dispositiv ausgestaltet sein.

II. Die moderne Funktion: Erweiterung des Rechtsformangebots 1. Leistung In jüngerer Zeit in den Vordergrund gerückt ist die Vorstellung, durch Schaffung einer supranationalen Rechtsform das Rechtsformsortiment zu erweitern und damit zugleich den Ideenwettbewerb um das „beste“ Gesellschaftsrecht zu beleben.64 Dafür spricht prima facie, dass sich, wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, oftmals verschiedene Taktiken zur Regulierung geschlossener Kapitalgesellschaften anbieten, deren Vor- und Nachteile sich erst in der praktischen Erprobung zeigen. Das streitet für ein möglichst breitgefächertes Rechtsformangebot.65 Diese Einsicht ist an sich

63 S. dazu Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2.2.2012 mit Empfehlungen an die Kommission zu einer 14. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verlegung von Unternehmenssitzen (2011/2046(INI) – P7 – TAPROV(2012)0019). 64 Eingehend zuletzt Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 403 f, 409 ff. Mit nämlichen Überlegungen für ein europäisches Vertragsrecht („optionales Instrument“) u.a. Leible, BB 2008, 1469, 1472 f; Grundmann (Fn. 54). 65 Ob sich aus der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG, Art. 11 EMRK) die Verpflichtung zur Bereitstellung eines solchen Sortiments ergibt, soll hier nicht erörtert werden, s. dazu Flei-

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nicht neu, entsprechen ihr doch die nationalen Gesellschaftsrechte, die allesamt eine mehr oder minder große Rechtsformpalette bereit halten. Hinzu kommt die durch die Niederlassungsfreiheit eröffnete Option, zusätzlich auf ausländische Rechtsformen zurückgreifen zu können.66 Wozu also, so könnte man fragen, noch ein weiteres, supranationales Angebot? Die Frage lässt sich mit einer Gegenfrage kontern: Warum nicht? Ob eine europäische Rechtsform am Markt reüssiert und welchen volkswirtschaftlichen Nutzen sie bringt, lässt sich ebenso wenig am grünen Tisch beurteilen wie die Frage, ob ein neues Produkt bei den Konsumenten auf Anklang stoßen wird.67 Es liegt daher nahe, die supranationale Rechtsform, gleich in welcher Gestalt, einfach zu schaffen und ihre Akzeptanz dann zu beobachten: Wird sie gewählt, hat der Markt die Bedarfsfrage positiv beantwortet, wird sie nicht gewählt, bleibt das Statut totes, aber unschädliches Recht.68 In Rechnung zu stellen sind allein die Kosten der „Markteinführung“, also der mit der Schaffung der neuen Rechtsform verbundene Aufwand (einschließlich der Opportunitätskosten).69 Angesichts der vorhandenen Vorarbeiten können diese vernachlässigt werden.

2. Probleme Dennoch darf der Frage nach dem „Warum“ eines als bloßes Zusatzangebot gedachten supranationalen Statuts nicht ausgewichen werden. Denn wenn es eine Rechtsformoption gibt, für die möglicherweise eine hohe Nachfrage existiert, dann muss es Gründe geben, warum sie nicht schon von den Mitgliedstaaten selbst angeboten wird. Diese Gründe mögen dazu beitragen, dass die supranationale Form in ihrer „idealen“ Gestalt nicht zur Entstehung gelangt. Wie eingangs erwähnt, ist der 2008 von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag für eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaft, der zumindest teilweise den in diesem Buch entwickelten Überlegungen folgte, in dieser Form gescheitert. Um die Gründe dafür zu sehen, ist es förderlich, sich die in der öffentlichen Debatte um Für und Wider einer SPE gebildeten Lager genauer anzusehen: Für die Einführung einer Euro-GmbH sprach und spricht sich ganz überwiegend die Unternehmerschaft (einschließlich der sie repräsentierenden Verbände) aus.70

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scher, ZHR 174 (2010), 385, 397 f; ders., ZHR 168 (2004), 673, 674 ff („juristische Infrastrukturverantwortung“). S.o., bei Fn. 31 (Centros-Fall). Als Beispiel mag man an Apples iPad denken. Bei seiner Vorstellung argwöhnisch beäugt, erwies es sich später als vielfach kopierter Marktrenner. Vgl. Bachmann ZGR 2001, 351, 372; Eidenmüller, JZ 2009, 641, 652; Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 401 f; Schön, ZHR 160 (1996), 221, 249. Mit Opportunitätskosten sind hier diejenigen Wohlfahrtseinbußen gemeint, die dadurch entstehen, dass die Beschäftigung mit der EPG den Gesetzgeber daran hindert, sich mit anderen Projekten zu beschäftigen. Dazu im hiesigen Kontext nur Davies, FS Hopt, S. 479, 481. Vgl. hierzu die Ergebnisse des Konsultationsprozesses „Synthesis of the Comments on

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Ebenfalls pro-SPE äußern sich die international orientierte Anwaltschaft,71 die Rechtswissenschaft72 und die jüngeren Beitrittsstaaten.73 Bedenken werden dagegen von Seiten der Gewerkschaften,74 der (deutschen) Notare75 sowie aus Kreisen jener Mitgliedstaaten geäußert, die über ein etabliertes, z.T. zwingendes Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaft verfügen.76 Analysiert man diese Lagerbildung aus Sicht der politischen Ökonomie, dann spiegelt sich darin der erwartete negative oder positive Eigennutzen der Akteure wider.77 Unternehmern und Managern eröffnet die SPE eine weitere Gestaltungsoption, den Großkanzleien erschließt sie zusätzliches Beratungsgeschäft, und die Wissenschaft erhält eine Plattform für den transnationalen Diskurs – zu verlieren haben diese Gruppen nichts. Anders sieht es bei den Opponenten aus, die etwa um Mitbestimmung (Gewerkschaften), Beurkundungspflichten (Notare) oder den Verlust staatlicher Einflussmöglichkeiten oder ihres „Kulturguts“ fürchten (Mitgliedstaaten).78 Unter public-choice-Gesichtspunkten könnte man geneigt sein, die Bedenken für irrelevant zu erklären, weil sie durch privatnützige (egoistische) Motive ihrer Funktionsträger, nicht hingegen durch die Sorge für die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt bestimmt sind.79 Derartige Motive und ihr Einfluss auf die Gesellschaftsrechtsetzung wurden daher in den vorangegangenen Kapiteln bewusst außer Betracht gelassen.80 Hier müssen sie aber einbezogen werden. Denn während partikulare Interessengruppen (Lobbys) im einzelstaatlichen Kontext Innovationen zu blockieren vermögen, können sie nicht die Schaffung der haftungsbeschränkten Rechtsform als

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the Consultation Document of the Internal Market and Services Directorate-General on a Possible Statute for a European Private Company“, verfügbar unter http://www.europeanprivatecompany.eu. Vgl. DAV (Ausschuss Anwaltsnotariat), NZG 2008, 138; DAV (Handelsrechtsausschuss), NZG 2009, Beilage zu Heft 7, S. 1. Vgl. nur Arbeitskreis Europäisches Unternehmensrecht, NZG 2008, 897 (http://www. akeur.eu). Vgl. Radwan, 18 Eur. Bus. L. Rev. 769, 771 (2007); Lamandini, 3 Eur. Co. L. 272, 274 (2006); Machbarkeitsstudie, aaO (Fn. 7), S. 6. Vgl. FAZ v. 4.11.2008: „Mitbestimmungsstreit behindert Europa-GmbH“. Vgl. FAZ v. 11.3.2009: Notare fürchten Umgehung der Beurkundungspflicht; Stellungnahme des Deutschen Notarvereins vom 31. Juli 2008; aus Sicht der Bundesnotarkammer Bormann/König, RIW 2010, 111 ff. Vgl. die Nachweise oben (Fn. 16). Kritisch dazu Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2009, 36. Für diesen Ansatz speziell im Gesellschaftsrecht Macey/Miller, 65 Tex. L. Rev. 469 (1987); Carney, 26 J. Legal Stud. 303 (1997); Heine, Regulierungswettbewerb im Gesellschaftsrecht, 2003, S. 167 ff. Bemerkenswert ist, dass Widerstand nicht nur von Mitgliedstaaten mit einem tendenziell strikten Regime artikuliert wird, sondern auch von solchen, die über ein liberales Regime mit langer Tradition verfügen (z.B. UK), denn auch diesen droht durch die europäische Rechtsform ein Verlust an Einfluss, aufschlussreich dazu Davies, FS Hopt, S. 479, der dem SPE-Projekt aus diesem Grund keine Chancen einräumt. Zum Maßstab der Gesamtwohlfahrt oben, § 2 C.I. Womit wir nicht sagen wollen, dass Partikularinteressen – etwa das Gebühreninteresse der Notare oder der Machterhaltungs- oder Gestaltungswille von Funktionären – in der nationalen Rechtspolitik keine erhebliche Rolle spielen.

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solcher verhindern. Aus Gründen, auf die zurückzukommen sein wird, ist das im supranationalen Kontext anders. Daher ist die Frage aufzuwerfen, ob die Sorge vor der Erosion nationaler Schutzstandards begründet ist, und falls ja, wie ihr begegnet werden kann. In der Tat ist es nicht nur möglich, sondern sogar naheliegend, dass die supranationale Kapitalgesellschaft das nationale Gesellschaftsrecht zu Anpassungsprozessen nötigt und im Extremfall verdrängt.81 Denn soll die europäische Rechtsform die ihr zugedachte Rolle eines attraktiven Zusatzangebots erfüllen, muss sie Eigenschaften aufweisen, die von den Rechtsformwählenden, also den Gesellschaftern, als positiv wahrgenommen werden, und die in dieser Form oder um diesen Preis im nationalen Sortiment nicht zu haben sind.82 Ist dies der Fall, weil das Statut – um ein Beispiel zu nennen – auf jegliche Gründungskontrolle verzichtet, dann kann dies einen „Run“ auf die europäische Rechtsform auslösen, was abweichende nationale Rechte dazu zwingt, sich dem – aus ihrer Sicht suboptimalen – Regulierungsniveau anzupassen.83 Dass dies keine theoretische Annahme ist, zeigen die Gesellschaftsrechtsreformen in Europa, die, das Muster der britischen Ltd. imitierend, ihre Mindestkapitalanforderungen gesenkt oder gar aufgegeben haben.84 Auch in Kanada hat die Einführung einer föderalen Gesellschaftsrechtsform die Provinzen binnen kurzer Zeit dazu veranlasst, ihr eigenes Gesellschaftsrecht entsprechend anzupassen.85 Nun wird im nationalen Kontext darauf hingewiesen, dass „Artenschutz“ kein Argument gegen die Bereitstellung attraktiverer Rechtsformalternativen sein kann.86 Daran ist richtig, dass der nationale Gesetzgeber sich von der Optimierung einer Rechtsform (etwa der AG) nicht deshalb abbringen lassen sollte, weil andere, gleichfalls seiner Gestaltungsmacht unterliegende Rechtsformen dadurch an Attraktivität einbüßten. Im transnationalen Kontext liegen die Dinge indes anders. Denn während der nationale Gesetzgeber (und die ihn beeinflussenden Interessengruppen) es verschmerzen können, wenn unter mehreren von ihm zur Wahl gestellten Rechtsinstituten eines zum Schattendasein verdammt wird,87 geht mit demselben Ergebnis auf transnationaler Ebene ein Steuerungsverlust der betroffenen Jurisdiktion einher. Eben dies gab Anlass, bei der SE künstliche Zugangssperren (numerus clausus der Gründungsformen, Mehrstaatlichkeitserfordernis, hohes Mindestkapital) einzubauen. In der Literatur wird heute zunehmend deren Abbau gefordert, weil der unge-

81 Klar gesehen und artikuliert schon in der Machbarkeitsstudie, aaO (Fn. 7). 82 Anders liegt es, wenn die Rechtsform ausschließlich grenzüberschreitende Funktionen erfüllen soll. Dann kann sie ihre Vorteile auch ausspielen, wenn sie über keine originelle Regelungsstruktur verfügt. 83 Eine solche Sogwirkung zugunsten der SPE befürchtend z.B. Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 341. 84 S. dazu nur Fleischer, Münchener Komm. z. GmbHG, 2010, Einl. Rdn. 228. 85 Vgl. Daniels, 36 McGill L.J. 130, 151 (1991): „Dramatischer Erfolg“. 86 Windbichler, JZ 2008, 840, 844 (betr. Verdrängung der GmbH durch eine deregulierte AG); speziell zur SPE auch Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 312. 87 Ein Beispiel liefern die deutschen Grundpfandrechte: Unter den Alternativen Hypothek und Grundschuld hat Letztere die Erstere in weiten Teilen faktisch verdrängt.

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bremste Wettbewerb zwischen nationalem und supranationalem Muster als wünschenswert erachtet wird.88 Dem folgte die EU-Kommission in ihrem erwähnten, äußerst liberalen Entwurf einer SPE-Verordnung, der auf jegliche Zugangsschranken verzichtete.89 Dabei wich sie dem skizzierten Problem mit dem juristisch, nicht aber ökonomisch zutreffenden Argument aus, die Schaffung der SPE lasse das nationale Recht „weitgehend unberührt“.90 Erwartungsgemäß wurde dieser Vorstoß vom Europäischen Parlament erheblich abgeschwächt und sodann im Rat von den Mitgliedstaaten blockiert. Die Frage, unter welchen Bedingungen die Konkurrenz nationaler mit supranationalen Rechtsformen abläuft oder ablaufen kann, wird dabei weder von den Befürwortern noch von den Gegnern ungebremsten Rechtsformwettbewerbs gestellt. Das ist hier nachzuholen.

3. Funktionsbedingungen eines Rechtsformwettbewerbs Voraussetzungen und Folgen eines sog. Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte werden heute auch in Europa ausgiebig diskutiert.91 Ganz im Fokus steht dabei der horizontale Wettbewerb, der zunächst zu betrachten ist, bevor der Blick auf die Besonderheiten vertikaler Konkurrenz gerichtet werden kann.

a) „Wettbewerb der Regelsetzer“ Beim horizontalen Wettbewerb der Regelsetzer buhlen die verschiedenen einzelstaatlichen Rechte um Nachfrager, wobei die föderale Ebene (Bund, Union) eine schiedsrichterartige Stellung einnimmt. Zwei Fragen stehen dabei im Raum: Die erste lautet, ob in Europa die Voraussetzungen eines solchen Wettbewerbs gegeben sind. Als solche werden neben dem Vorhandensein von mindestens zwei Regelsetzern (Anbietern) insbesondere die Auswahlfreiheit der Nachfrager und Anpassungsanreize für den Anbieter genannt.92 Die Auswahlfreiheit ist spätestens seit 1999 88 Statt vieler Casper, aaO (Fn. 40), Art. 2, 3 SE-VO Rdn. 3. Skeptisch Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 341 ff. 89 Der Entwurf sieht kein Mindestkapital, keine Beurkundungserfordernisse und nur freiwillige Ausschüttungssperren vor. Er gestattet ferner das Auseinanderfallen von Satzungssitz und Hauptverwaltung und überlässt die Frage der Mitbestimmung allein dem Sitzstaat. 90 So die Begründung des Vorschlags für eine SPE-Verordnung, aaO (Fn. 5), Zif. 5 (S. 4). Kritisch dazu mit Recht Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 1 ff. 91 Aus der inzwischen uferlosen Literatur nur Eidenmüller, FS Heldrich, 2005, S. 581; Schön, 43 Common Mkt. L. Rev. 331 (2005); mit umfassenden Nachweisen Heine, aaO (Fn. 77), S. 85 ff; Röpke, Gläubigerschutzregime im europäischen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte, 2007; von Hein, Die Rezeption des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts in Deutschland, 2008, S. 572 ff. Allgemein Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt, 2002. 92 Vgl. nur Eidenmüller, JZ 2009, 641, 643; eingehend Kieninger, aaO (Fn. 91), S. 56 ff.

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durch die vom EuGH entsprechend weit interpretierte Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) verbürgt. Danach steht es den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten frei, die ihnen am günstigsten erscheinende Gesellschaftsrechtsform zu wählen, selbst wenn die Gesellschaft im Gründungsstaat keinerlei Aktivitäten entfaltet.93 Dagegen wurde lange bezweifelt, dass europäische Staaten, die – anders als das notorische Delaware – nicht auf das Erheben einer Gesellschaftssteuer (franchise fee) angewiesen sind, über hinreichende Anreize zum „kundengerechten“ Erlass von Rechtsnormen verfügen.94 Angesichts der in den vergangenen Jahren gemachten Erfahrungen wird man das heute im Grundsatz bejahen dürfen.95 Die vom EuGH eröffnete Möglichkeit, auf gründerfreundliche ausländische Rechtsformalternativen zurück zu greifen, hat eine diesbezügliche Nachfrage speziell nach der britischen Ltd. angefacht, auf welche die konkurrierenden Anbieter mit einer entsprechenden Liberalisierung ihrer „Produkte“ reagiert haben.96 Ob es sich um einen „echten“ (proaktiven) oder nur um einen passiven (defensiven) Wettbewerb handelt, wird freilich unterschiedlich gesehen.97 Wie sich der Markt für Rechtsformen in Europa langfristig entwickeln wird, ist eine empirische Frage, auf die noch keine Antwort gegeben werden kann.98 Dabei wird sich erweisen, ob die mit der Deregulierung einhergehende Steigerung von Unternehmensgründungen unter dem Strich Wohlfahrtsgewinne generiert hat oder nicht.99 Wichtiger ist an dieser Stelle die zweite Frage. Sie lautet, wie der Wettstreit der Regelsetzer zu bewerten ist. Wer gewohnt ist, Wettbewerb als etwas grundsätzlich Positives zu begreifen, wird geneigt sein, auch diese Frage positiv zu beantworten. Im Unterschied zum Produktmarkt wirft der Rechtsmarkt aber drei grundsätzliche Probleme auf:

93 Vgl. EuGH Slg. 1999, I-1495 – C-212/97 (Centros). 94 Vgl. nur Kieninger, aaO (Fn. 91), S. 222 f; Körber, Grundfreiheiten und Privatrecht, 2004, S. 30 f; Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545, 554 ff; Teichmann, aaO (Fn. 4), S. 397 ff. 95 Vgl. Eidenmüller, ZGR 2007, 168 ff; Fleischer, aaO (Fn. 84), Einl. GmbHG Rdn. 227; Zimmer, FS K. Schmidt, 2009, S. 1791, 1795 ff; s. auch schon Cheffins, Company Law, S. 435–440. 96 Dass die nationalen Regelsetzer und die sie beeinflussenden Interessengruppen im Übrigen auch ohne franchise fees Anreize zur Vermarktung ihrer Regelwerke verspüren, illustriert hierzulande das „Bündnis für deutsches Recht“, s. dazu Gehb, DRiZ 2008, 222: „Der Rechtsexport ist ein Wettstreit, dem man sich stellen muss“. Dazu http://www.lawmadeingermany.de. 97 Im letzteren Sinne etwa von Hein, aaO (Fn. 91), S. 590; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 293 ff; Bratton/McCahery/Vermeulen, How does Corporate Mobility Affect Lawmaking?, ECGI Law Working Paper No. 91/2008 („Responsive, not competitive lawmaking“); reserviert auch Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 343 f (2005). Allgemein zur Unterscheidung von proaktivem und passivem Regelwettbewerb Cumming/McIntosh, 20 Int’l Rev. L. & Econ., 141, 144 ff (2000). 98 Eidenmüller, JZ 2009, 641, 649. 99 Vgl. Hornuf/Eidenmüller/Engert/Braun, Does Charter Competition Foster Entrepreneurship?, ECGI-Finance-Working Paper 308/2011: „While the reforms have evidently fostered the creation of new firms, we have little to say about their quality. It may be that lowering the regulatory costs of incorporations lures mostly incompetent or unproductive entrepreneurs“.

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Das erste besteht darin, einen Maßstab dafür zu finden, nach dem sich beurteilen lässt, ob ein bestimmtes Rechtsprodukt – hier: die Regeln einer geschlossenen Kapitalgesellschaft – als „besser“ oder „schlechter“ zu beurteilen ist als vergleichbare Produkte. Will man sich nicht im Kreis drehen, kann dieses Problem nicht damit „gelöst“ werden, dass man auf die Ergebnisse des (hypothetischen) Regelwettbewerbs schaut.100 Erforderlich ist vielmehr ein externer Maßstab, wie wir ihn für Zwecke dieser Untersuchung eingangs beschrieben haben: Die Güte eines Rechtsprodukts bemisst sich u.E. nach ihren wohlfahrtsökonomischen Konsequenzen – Regeln, die mehr kosten als nutzen, sind negativer zu bewerten als solche, bei denen dies nicht der Fall ist.101 Das zweite Problem besteht darin, dass der Ausleseprozess auf dem Normenmarkt möglicherweise stärker durch Marktunvollkommenheiten geprägt ist als derjenige auf dem Produktmarkt (Stichwort: Marktversagen). So gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die Regelnachfrager (Manager, Gründer) besonders auf kurzfristige Vorteile – etwa ein niedriges Mindestkapital – achten, ohne die langfristigen (Neben-) Wirkungen der Rechtswahl ins Kalkül zu ziehen.102 Ferner schlägt zu Buche, dass schutzbedürftige Dritte (Klein- und Deliktsgläubiger) nicht an der Wahl der Rechtsform beteiligt sind (negative Externalität), dass die wählenden Manager nicht notwendig die Interessen der Anteilsinhaber oder sonstiger Stakeholder im Auge haben (Prinzipal-Agenten-Konflikt), dass die Rechtswahl ein „Rosinenpicken“ („cherry picking“) erlaubt oder dass die Normanbieter aufgrund von Kollektivhandlungsproblemen in eine ruinöse Abwärtsspirale geraten („race to the bottom“).103 Umgekehrt ist nicht auszuschließen, dass die Marktkräfte wenigstens auf lange Sicht in der Lage sind, diesen Gefahren zu wehren, indem die Wählenden z.B. freiwillig eine restringierte Rechtsform nachfragen, um auf diese Weise Gläubiger-, Anleger- und Kundenvertrauen zu gewinnen („Signalling“).104 Das dritte, häufig ausgeblendete Problem ist demokratietheoretischer Natur. Auf dem Rechtsmarkt sind diejenigen, die sich ein Rechtsprodukt auswählen dürfen, nicht mit denjenigen identisch, die von den Auswirkungen des Produkts betroffen sind.105 Die Identität von Rechtswählenden und Rechtsbetroffenen macht aber den Grundgedanken der Volkssouveränität aus, wie er modernen westlichen Gemeinwesen zu-

100 Vgl. oben, § 2 C.I; siehe auch Leible, RabelsZ 76 (2012), 374, 383. 101 S.o., § 2 C.I. Dass sich damit nicht die eine „richtige“ Lösung bestimmen lässt und dass insofern Raum (und Bedarf) für einen Rechtsmarkt ist, wird konzediert. 102 Am Beispiel des deutschen Ltd.-Booms illustriert von Fleischer, aaO (Fn. 84), Einl. GmbHG Rdn. 221 u. 312; Niemeier, ZIP 2007, 1794. 103 Vgl. nur Eidenmüller, JZ 2009, 641, 649 ff; ders., ZIP 2002, 2233, 2235–2237; Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 343 ff (2005). 104 Optimistisch in diesem Sinne Röpke, aaO (Fn. 91), S. 133 ff, 182 f; eingehend G. H. Roth, ZGR 2005, 348, 376 ff. 105 Zum Problem Eidenmüller, JZ 2009, 641, 648; vertiefend Bachmann, Vertikaler Regulierungswettbewerb im Europäischen Gesellschaftsrecht, Arbeitspapier 2012; dieses Problem außer Acht lassend Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 306, der in seinem Modell die rechtswählenden „Bürger“ mit den rechtswählenden Unternehmern identifiziert.

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grunde liegt. So sind – um im obigen Beispiel zu bleiben – zwar auch die Normen des britischen Company Act demokratisch legimitiert, indes nicht von denjenigen, die als Gläubiger, Arbeitnehmer etc. mit der Ltd. außerhalb Großbritanniens konfrontiert sind.106 Dieser Umstand gewinnt an Brisanz, wenn sowohl die Rechtswählenden als auch die Rechtsbetroffenen ausschließlich im Ausland residieren – das klassische Problem der pseudo-foreign company. Relevant wird es namentlich dort, wo sich die wohlfahrtsfördernde Wirkung von Rechtsnormen nicht zweifelsfrei ermitteln lässt oder wo konkurrierende Werte ins Spiel kommen, wie es bei der unternehmerischen Mitbestimmung der Fall ist.107 Auch aus demokratietheoretischer Sicht kann Rechtswettbewerb indes nützlich sein, weil er den Bürgern ein Mittel in die Hand gibt, Einflüsse schlagkräftiger Lobbys abzuwehren.108 Hinzu kommt jedenfalls in der EU das Binnenmarktprinzip, dass dem Abschotten nationaler Souveräne normativen Widerstand entgegen stemmt. Setzt die die wohlfahrtsfördernde Wirkung des Regelmarktes mithin die Beseitigung von Marktunvollkommenheiten ebenso voraus wie die Konkordanz mit demokratischen Prinzipien, gelangt man zu der für alle Märkte geltenden Einsicht, dass es einer regulierenden Ordnung bedarf, welche dem Markt die ihm gemäßen Räume zuweist und sein Funktionieren innerhalb dieser Räume gewährleistet.109 In der EU besteht diese Ordnung aus dem komplexen Ineinandergreifen von Kollisionsrecht, Harmonisierungsakten und Grundfreiheiten, deren Austarierung dem EuGH obliegt.110 Wie die betreffende Ordnung für den vertikalen Regulierungswettbewerb beschaffen ist und welche Folgerungen daraus für die Ausgestaltung einer europäischen Privatgesellschaft zu ziehen sind, soll nunmehr betrachtet werden.

b) Eigenarten vertikaler Regelkonkurrenz Auch diejenigen Autoren, die dem Gedanken eines horizontalen Regulierungswettbewerbs grundsätzlich kritisch begegnen, stehen der Schaffung supranationaler Rechtsformen aufgeschlossen gegenüber, weil auch sie sich davon eine Anreicherung des „Ideenwettbewerbs“ versprechen.111 Unausgesprochen schwingt dabei die Erwartung mit, dass der vertikale Normwettbewerb einerseits Denkanstöße und Auswahlmöglichkeiten produziert, die zu schaffen die nationale Legislative nicht im Stande ist, und

106 Dass wir ausländische Rechtsformen gleichwohl im Inland akzeptieren, hängt mit dem Binnenmarktprinzip und dem Gedanken des wohlfahrtsfördernden Freihandels zusammen, die freilich zum Gedanken nationaler Souveränität in Widerstreit geraten können. 107 Vgl. Bachmann, Private Ordnung, 2006, S. 51; Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 12 f. 108 Vgl. nur Eidenmüller, JZ 2009, 641, 648 f; O’Hara/Ribstein, The Law Market, S. 21 ff. Kritisch Peters, VVDStRL 69 (2010), 7, 28. 109 Das ist bekanntlich die Grundeinsicht der ordoliberalen Schule, s. nur Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 6. Aufl., 1990, S. 254 ff; Leible, RabelsZ 76 (2012), 374, 393 ff. 110 Vgl. Bachmann, aaO (Fn. 107); Grundmann, ZGR 2001, 783, 803 ff. 111 Exemplarisch Kieninger, aaO (Fn. 91), S. 377 f, 384 und Teichmann, aaO (Fn. 4), S. 353 ff.

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dass andererseits ein „race to the bottom“ nicht zu befürchten ist. Doch stimmt das wirklich? Bei näherem Zusehen fällt auf, dass die Besonderheiten vertikaler Regelkonkurrenz weder im gesellschaftsrechtlichen noch im privatrechtlichen Schrifttum vertieft beleuchtet worden sind.112 Zwar ist in der Literatur das wettbewerbsfördernde Moment der SE analysiert worden.113 Vor Augen hat man dabei aber nicht den vertikalen Wettbewerb zwischen der SE und ihren nationalen Pendants (AG, SA etc.), sondern denjenigen zwischen den SEs unterschiedlicher nationaler Prägung, letztlich also eine horizontale Konkurrenz. Ermöglicht wird sie durch den Umstand, dass die SE-VO in weiten Teilen auf nationales Recht verweist, was zu einer Renationalisierung der SE geführt hat (vgl. Art. 9 SE-VO). Hilfreich könnte ein Blick in die USA sein. Dort ist das Phänomen des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte schon vor Jahr und Tag intensiv diskutiert worden. Ganz im Vordergrund steht dabei aber der horizontale Wettbewerb der einzelstaatlichen Gesellschaftsrechte untereinander. Die Frage nach einer konkurrierenden Bundesgesellschaftsrechtsform wird dort schon deshalb kaum aufgeworfen, weil die dortigen Rahmenbedingungen mit Delaware einen unangefochtenen Marktführer hervorgebracht haben, dessen spezialisiertes Angebot ohne größere Brüche von Nachfragern aus allen anderen Staaten angenommen werden kann und auch angenommen wird, so dass unter diesem Gesichtspunkt kein Bedarf für ein stimulierendes Bundesrecht gesehen wird. Wenn auch in den USA hin und wieder die Forderung nach einem Bundesgesellschaftsrecht laut wird, meinen die Befürworter einer solchen Lösung denn i.d.R. auch nicht eine alternativ hinzutretende föderale Rechtsform, sondern wollen die von ihnen behaupteten Defizite des Horizontalwettbewerbs durch prärogierendes Bundesrecht beseitigen.114 Durch die Androhung solcher Bundesnormen mögen die Mitgliedstaaten im Einzelfall zur „freiwilligen“ Anpassung ihrer Regelwerke motiviert worden sein.115 Um Wettbewerb im eigentlichen Sinne handelt es sich dabei aber nicht. Immerhin ist auch in den USA der Gedanke artikuliert worden, die dem föderalen Regelsetzer in bestimmten Fragen zugetraute legislative Überlegenheit dadurch zum Tragen zu bringen, dass auf Bundesebene optionale Instrumente kreiert 112 Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 413 („wissenschaftlich unterbelichtet“). Weiterführende Ansätze aber bei Röpke/Heine, aaO (Fn. 59); dies., Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 265; Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 360 ff (2005); Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 290 ff; Bachmann, aaO (Fn. 105); siehe auch Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 342 und Leible, RabelsZ 76 (2012), 374, 387 ff. 113 Vgl. Enriques, 4 J. Corp. L. Stud. 77, 84 ff (2004). Empirisch ist eine Regulierungsarbitrage innerhalb der unterschiedlichen nationalen SE-Muster allerdings bislang nicht festgestellt worden, vgl. Eidenmüller/Engert/Hornuf, 10 Eur. Bus. Org. L. Rev. 1, 27 (2009). Dies dürfte damit zusammenhängen, dass eine freie Rechtswahl aufgrund der im SE-Statut verankerten Sitztheorie (Art. 7, 64 SE-VO) nicht möglich ist. 114 Vgl. nur (kritisch) Romano, Foundations of Corporate Law, 2. Aufl., 2010, S. 117 ff; für eine echte Bundesgesellschaftsform aber etwa Dent, 35 J. Corp. L. 499 (2010). 115 Zu dieser Form von vertikalem „Wettbewerb“ von Hein, aaO (Fn. 91), S. 501 ff; Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 361 (2005); Roe, 117 Harv. L. Rev. 588 (2003); ders., 118 Harv. L. Rev. 2491 (2005); Coffee, 8 Cardozo L. Rev. 759, 766 (1987).

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werden, zu deren Gunsten dann aus der vom Landesrecht angebotenen Lösung heraus optiert werden kann.116 Aufschlussreich ist ferner der Blick nach Kanada. Anders als in den USA bestehen dort einzelstaatliches (provinziales) Gesellschaftsrecht und Bundesgesellschaftsrecht nebeneinander.117 Unternehmern ist es freigestellt, ob sie sich in einer Provinz inkorporieren oder ob sie die Bundesrechtsform wählen. Wie in Europa sind sie auch im ersten Fall frei, im ganzen Bundesgebiet zu agieren, so dass provinziale und föderale Rechtsform in echte Konkurrenz zueinander treten. Anders als in den USA ergab sich das Bedürfnis für eine Bundesrechtsform daraus, dass ein Delaware-artiger Marktführer nicht existierte. Im Ergebnis hat die vertikale Konkurrenz dazu geführt, dass sich die provinzialen Gesellschaftsrechte mehr oder weniger dem Vorbild des Bundesrechts angeglichen haben.118 Ob dies vom Bundesgesetzgeber so gewollt oder spontane Folge des Rechtswettbewerbs war, wird unterschiedlich gesehen.119 Jedenfalls hat man in Kanada mit dem vertikalen Nebeneinander der Gesellschaftsrechte leben gelernt. Traut man also jenseits des Atlantiks dem Regelgeber der höheren Ebene praktisch (Kanada) oder doch immerhin theoretisch (USA) zu, für eine wenigstens punktuelle, attraktive Ergänzung des einzelstaatlichen Rechtsformsortiments zu sorgen, dann scheint das die im hiesigen Schrifttum vorherrschende positive Bewertung eines europäischen Zusatzangebots zu bestätigen. Für diese Sicht streitet ferner, dass der horizontale Wettbewerb in Europa aufgrund der nach wie vor beträchtlichen sprachlichen, kulturellen und rechtlichen Unterschiede in absehbarer Zeit wohl kein europäisches Delaware hervorbringen wird,120 so dass die föderale Rechtsform – wie in Kanada – regen Zuspruch finden dürfte. Die naheliegende Folgerung wäre, für einen möglichst offenen, von politischen Störfaktoren unberührten Vertikalwettbewerb der Gesellschaftsformen zu plädieren.121 Danach obläge es dem freien Spiel von Angebot und Nachfrage, nicht nur das vorzugswürdige Rechtsangebot, sondern auch die optimale Regulierungsebene (EU oder Mitgliedstaaten) zu identifizieren („Wettbewerb als Entdeckungsverfah-

116 Dafür z.B. Bebchuk/Ferrell, 87 Va. L. Rev. 111, 131 ff (2001) (betr. Übernahmerecht); dazu Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 362 (2005). 117 Grundlage des Bundesrechts ist der Canada Business Corporations Act von 1975. Hierzu und zum folgenden Kieninger, aaO (Fn. 91), S. 181 ff; zuletzt Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 288 ff. 118 Vgl. Cumming/McIntosh, 20 Int’l Rev. L. & Econ., 141, 147, 153 (2000); Ziegel, in: Cumming, Harmonisation of Business Law in Canada, 1986, S. 1 ff. Dagegen hat Australien auf einen Wettbewerb der Gesellschaftsrechte verzichtet und die entsprechende Gesetzgebungskompetenz – wie in Deutschland – nur noch dem Bund eingeräumt, s. Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 284 f m.w.N. 119 Im letztgenannten Sinne Daniels, 36 McGill L.J. 130 ff (1991); im zweiten Sinne Cumming/McIntosh, 20 Int’l Rev. L. & Econ., 141, 158 ff (2000). 120 So jedenfalls eine verbreitete Einschätzung, s. dazu Tröger, Choice of Law, 2006, S. 64 ff. 121 So Röpke/Heine, aaO (Fn. 59), S. 178; dies., Jb.J.ZivRWiss 2004, S. 265, 278; in der Tendenz auch Fleischer, ZHR 174 (2010), 3385, 421 f; Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 361 f (2005); Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 305 ff.

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ren“).122 Zugleich erführe das Subsidiaritätsprinzip eine neue – dynamische – Interpretation, denn die richtige Normsetzungsebene würde nicht mehr nach einem abstrakten Rechtsprinzip vorab zugewiesen, sondern müsste sich im Marktprozess behaupten.123 Dieser wettbewerbsfreundliche Ansatz hat nach allem, was wir über die wohlfahrtsfördernde Wirkung von Konkurrenz wissen, vieles für sich. Ergänzungsbedürftig erscheint er deshalb, weil das institutionelle Design des oberen Regelgebers bei ihm entweder eine „black box“ bleibt oder nur als Störfaktor wahrgenommen wird. Dabei wird übersehen, dass dieses Design eben jenen Ordnungsrahmen ausmacht, dessen jede Form von Regelwettbewerb nach dem oben Gesagten bedarf. Wir wollen uns mit dem Bekenntnis zur präsumtiv wohlfahrtsfördernden Wirkung von Wettbewerb daher an dieser Stelle nicht begnügen, sondern weiter fragen, unter welchen Bedingungen die Regelsetzung auf der oberen Ebene stattfindet. Dazu sind zunächst abstrakt die Eigenschaften zu beschreiben, die den oberen Regelsetzer in einem föderalen System gegenüber seinen unteren Konkurrenten auszeichnen. Anschließend sollen die konkreten Rahmenbedingungen der Regelsetzung in der EU betrachtet werden, aus denen dann regulatorische Konsequenzen gezogen werden können. Beginnen wir mit der abstrakten Betrachtung: Unter den spezifischen Eigenschaften des föderalen Regelsetzers sind zwei von besonderer Bedeutung: Zum ersten der Umstand, dass er tendenziell freier von Pfadabhängigkeiten agieren kann, zum anderen eine Verwässerung des Einflusses lokaler Interessengruppen.124 Gleichsam „über den Parteien stehend“ und losgelöst von eigenfiskalischen Anreizen vermag er aus dem gesamten Fundus ökonomischer und rechtsvergleichender Einsichten zu schöpfen und damit möglicherweise näher an die „ideale“ Rechtsform zu gelangen, als dies den unteren Normgebern möglich ist. Gegenüber horizontalen Wettbewerbern weist er zudem den Vorzug einer breiteren Legitimationsbasis auf, denn gewählt wird er nicht nur von den Bürgern des Staates, der das aus Gründersicht attraktivste Rechtsformangebot liefert (dieser mag winzig klein sein), sondern von allen. Schließlich ist seine Lösung, selbst wenn sie deckungsgleich mit einem nationalen Muster sein sollte, nicht an die gleichen Sprachbarrieren gekoppelt.125 Dem stehen einige nicht zu ignorierende Nachteile gegenüber. Sie liegen in einer aus der Distanz geborenen verringerten Verantwortlichkeit gegenüber den unmittelbaren Normbetroffenen, einem möglichen bürokratischen Übereifer sowie einer mangels Einbindung in ein gewachsenes Rechtssystem geringeren Fähigkeit und Sen-

122 Röpke/Heine, aaO (Fn. 59), S. 173; dies., aaO (Fn. 112), S. 272 f (unter Hinweis auf Hayek); Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 415. 123 Röpke/Heine, aaO (Fn. 59), S. 174 f; dies., aaO (Fn. 112), S. 273 ff. 124 Mit diesem Argument wird denn auch in den USA für ein föderales Gesellschaftsrecht gestritten, vgl. nur Bebchuk/Ferrell, 87 Va. L. Rev. 111, 149 f (2001); kritisch Romano, aaO (Fn. 114). 125 Dieser Umstand, der in der US-amerikanischen Debatte naturgemäß keine Rolle spielt, darf im europäischen Kontext nicht unterbewertet werden. Eine griechische GmbH, gleich wie attraktiv gestaltet, wird sich im Rechtswettbewerb kaum durchsetzen. Hier hat England einen natürlichen Wettbewerbsvorsprung, den auszugleichen eine Bundesrechtsform beitragen könnte.

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sibilität für die Einbettung des Rechtsformmusters in den nationalen Normenkontext.126 Während der einzelstaatliche Anbieter sein Modell zumindest auch vor dem heimischen Publikum vertreten und bei Fehlentwicklungen korrigieren muss (und dies auch ohne weiteres kann), ist dies beim oberen Regelgeber so nicht gewährleistet. Dieser genießt gegenüber horizontalen Konkurrenten zugleich einen künstlichen Wettbewerbsvorteil: Wer sich für eine ausländische Rechtsform entscheidet, muss damit zugleich alle sprachlichen, kulturellen und rechtlichen Unwägbarkeiten mit ins Gepäck nehmen, die mit einer solchen Rechtswahl unweigerlich verbunden sind.127 Diese natürlichen Schranken entfallen wenigstens partiell, wenn man eine supranationale Form wählt. Zwar wird dieser Wettbewerbsvorsprung durch fehlende positive Netzwerkeffekte z.T. wieder ausgeglichen.128 Diese helfen den bewährten nationalen Rechtsformen aber nur solange, wie sich die supranationale Rechtsform noch nicht etabliert hat. Ist dies einmal geschehen, wirken sich die Netzwerkeffekte vielmehr zugunsten der supranationalen Form aus.128a Der Vorzug föderaler Regelsetzung, der, kurz gesprochen, in seiner Basisferne liegt, ist so gesehen zugleich sein entscheidender Nachteil. Während die Wettbewerber beim horizontalen Wettbewerb strukturell gleiche Schwächen und gleiche Stärken aufweisen, konkurrieren im vertikalen Modell Regelsetzer mit unterschiedlichen Anreizen und Fähigkeiten. Es ist daher theoretisch nicht auszuschließen, dass ein ehrgeiziger, aber unerfahrener oberer Regelsetzer ein Rechtsformangebot liefert, dass die nationalen Angebote in die Defensive drängt, obwohl die supranationale Rechtsform gesamtwirtschaftlich gesehen ineffizient ist. Wenn der obere Regelsetzer dann nicht in der Lage ist, auf eventuelle Fehlentwicklungen des Rechtsmarkts rasch und flexibel zu reagieren, kann sich dies als entscheidender Nachteil darstellen. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass ein föderales Rechtsformangebot theoretisch Bedürfnisse befriedigen könnte, welchen die einzelstaatlichen Angebote aus den genannten Gründen (Sprachbarrieren, lokaler Lobbyeinfluss, Pfadabhängigkeiten, Legitimationsdefizite) nicht gerecht werden. Andererseits bürgt der Umstand, dass das zusätzliche Angebot „von oben“ kommt, nicht per se dafür, dass die Probleme eines Rechtswettbewerbs verschwinden. Auch der vertikale Wettbewerb bedarf daher eines ordnenden Rahmens. Da der Bund hier als Teilnehmer nicht die Rolle eines Schiedsrichters einnehmen kann, lautet die Frage, inwiefern Bund und Einzelstaaten wechselseitig ihr Normangebot beeinflussen können. Man kann diese Frage normativ-abstrakt angehen und versuchen, die Rahmenbedingungen (Metaregel, Verfassung) zu formulieren, unter denen Regelsetzung und

126 Das letzte Problem kann in gleicher Weise den horizontalen Wettbewerb betreffen. 127 Das ist in den USA aufgrund der Homogenität der Staaten nicht der Fall, weshalb ein Bundesgesellschaftsrecht unter diesem Gesichtspunkt dort weniger dringlich ist. 128 Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 422; Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 314; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 302. 128a Näher Engert, Im Netz des Rechts – Der Einfluss ökonomischer Netzeffekte auf den Wettbewerb der Regelungen (Mannheimer Antrittsvorlesung); speziell zum Europäischen Optionalen Kaufrecht auch Grundmann (Fn. 54).

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

Regelwettbewerb im föderalen System von statten gehen sollten.129 Dabei gerät man freilich in einen Kreis, weil die Modellierung des Normsetzungsverfahrens nicht zuletzt davon abhängt, welche Ergebnisse man sich davon verspricht und wie man diese bewertet.130 Jedenfalls wäre eine Antwort nicht ohne eine vertiefte Auseinandersetzung mit Föderalismus- und Demokratietheorien zu geben, was im Rahmen dieses Beitrags nicht zu leisten ist.131 Von der abstrakten soll daher zur konkreten Perspektive gewechselt werden. Sie ist auf die Regelsetzungsbedingungen der Europäischen Union gerichtet. c) Regelsetzung in der EU Die eben geschilderten Bedingungen des oberen Regelgebers finden sich in der EU in Gestalt der Kommission wieder. Als Institution, von der die maßgeblichen Regelungsvorschläge ausgehen, ist sie gegen lokale pressure groups stärker immunisiert als die untere Ebene. Sie verfolgt keine partikularen oder eigenfiskalischen Interessen und ist auch für solche Stimmen offen, die auf den Ebenen der horizontal konkurrierenden Regelsetzer wenig oder kein Gehör finden.132 Auch Pfadabhängigkeiten spielen auf Kommissionsebene naturgemäß eine geringere Rolle. Andererseits steht die Kommission weniger in der direkten Verantwortlichkeit gegenüber dem Elektorat und ist insofern gegenüber den Normbetroffenen schwächer legitimiert. Sie unterliegt ihrerseits dem Einfluss von Lobbys, die stark genug sind, um sich auf föderaler Ebene zu konstituieren. Auch ihre Vertrautheit mit dem nationalen Normenumfeld und ihre Möglichkeiten, diesbezügliche Einpassungs- oder Ergänzungsleistungen zu erbringen, ist geringer. Es ist daher folgerichtig, dass in das Institutionengefüge der EU entsprechende Gegenkräfte eingebaut sind.133 Ein solches bildet das Europäische Parlament, das kraft unmittelbarer Wahl durch die Unionsbürger eine höhere Legitimation aufweist, ohne den nationalen Interessen in gleicher Weise verpflichtet zu sein wie die einzelstaatlichen Normgeber. Es kann den Normgebungsprozess beeinflussen, ohne ihn entscheiden zu können. Diese Rolle fällt dem Rat zu, der sich aus Repräsentanten der nationalen Regierungen zusammensetzt, und der jeden Regelungsvorschlag billigen 129 So Röpke/Heine, aaO (Fn. 59), die sich dazu an das (wettbewerbsfreundliche) Modell eines „markterhaltenden Föderalismus“ von Weingast anlehnen, s. dazu Weingast, 11 J.L. Econ. & Org. 1 (1995); ders., 21 J. L. Econ. & Org. 103 (2005). 130 Zum Zirkelproblem Bachmann, aaO (Fn. 107), S. 191 f m.w.N. 131 Der Blick wäre dabei auch auf sonstige institutionelle Arrangements zu richten, die einem vertikalen Wettbewerb ausgesetzt sind oder sein könnten, etwa: Sprachen, soziale Normen, Währungen. Für ein vollständiges Bild wären obendrein private Anbieter solcher „Produkte“ ins Visier zu nehmen. 132 Wir behaupten also nicht, dass die Kommission immun gegen Lobbyeinflüsse wäre. Sie hat aber kein wirtschaftliches Eigeninteresse daran, eine bestimmte Klientel (z.B. Rechtsdienstleister) zu begünstigen. Der globale Wettbewerb verschafft gleichwohl einen Anreiz, das europäische Rechtsinventar insgesamt attraktiv zu halten (s. Schön, ZHR 160 (1996), 221, 237). 133 Eingehend dazu Haltern, Europarecht. Dogmatik im Kontext, 2. Aufl., 2007, Rdn. 136 ff.

B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft

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muss.134 Hat er einstimmig zu entscheiden, was bei der Schaffung supranationaler Rechtsformen der Fall ist,135 steht jedem Mitgliedstaat ein Vetorecht zu. Sieht man vom Sonderweg der verstärkten Zusammenarbeit (Art. 326 AEUV) vorerst ab,136 hat jeder nationale Regelsetzer es damit in der Hand, ein von ihm befürchtetes vertikales „Wettrennen“ zu bremsen oder von beliebigen Zugeständnissen abhängig zu machen. Für den vertikalen Wettbewerb kann dieses Design fatale, wenn auch im System bewusst angelegte Konsequenzen haben. Denn Mitgliedstaaten, die ihr eigenes Rechtsformangebot durch die Konkurrenz „von oben“ bedroht sehen, werden diese von vornherein auszuschalten trachten.137 Zwar kann auch bei Vorhandensein von Vetorechten ein Einigungsdruck entstehen, namentlich wenn der regelungslose Zustand die Beteiligten schlechter stellte als eine aus Sicht einzelner suboptimale Einigung.138 Dies mag partiell auch im Gesellschaftsrecht der Fall sein, weil eine attraktive SPE manchen als das kleinere Übel gegenüber einer attraktiven Pseudo-Auslandsgesellschaft erscheinen mag; existenznotwendig ist das Vorhandensein der supranationalen Rechtsform indes nicht. Erschwerend kommt hinzu, dass der horizontale Wettbewerb viele EU-Staaten unlängst zu einer Modernisierung ihrer GmbH-Rechte veranlasst hat, so dass nicht wenige für ein konkurrierendes supranationales Angebot unter diesem Gesichtspunkt kein Bedürfnis verspüren. Die Vetokonstruktion hat weiterhin den Nachteil, dass eine einmal konsentierte Lösung ebenso schwer wieder zu ändern oder gar abzuschaffen ist, so dass ein „Versteinerungseffekt“ droht. Diesen fürchtend werden sich auch prinzipiell konsenswillige Mitgliedstaaten sehr genau überlegen, ob und wann sie ihre Zustimmung zu einem supranationalen Statut erteilen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen mag die freiwillige Einigung auf europäische Normangebote, die in unmittelbare Konkurrenz zu denjenigen der Mitgliedstaaten treten, als Wunder erscheinen, und in der Tat hat man die Einigung auf ein SE-Statut als solches bezeichnet. Das Wunder ist freilich durch signifikante Zugeständnisse erkauft worden, deren markantester darin besteht, dass die SE-VO zum Torso geschrumpft ist, der in zentralen Fragen auf nationales Aktienrecht verweist. Diese „Renationalisierung“ ist von Befürwortern einer europäischen Lösung heftig beklagt worden – nach allem, was wir zur grenzüberschreitenden Funktion gesagt haben, zu Recht. Weil derartige Unvollkommenheiten durch das europäische Rechtserzeugungsverfahren aber vorprogrammiert sind, hilft nicht die Klage, sondern ist nach Auswegen zu suchen. 134 Übertragen auf Deutschland ist die Situation derjenigen vergleichbar, in der der Bundesrat das maßgebliche Gesetzgebungsorgan wäre. 135 Unten, C.I. 136 Dazu noch unten, B.II.3. a.E. 137 Man hat den Rat daher mit einem Kartell verglichen, s. Schön, 42 Common Mkt. L. Rev. 331, 362 (2005); Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 416. Dieser Vergleich ist insofern nicht ganz treffend, als die Mitgliedstaaten nicht den Wettbewerb untereinander ausschalten, sondern lediglich zusätzlichen Wettbewerb durch ein „Joint Venture“ unterbinden. Zur Joint-Venture-Parallele s. Fleischer, RabelsZ 76 (2012), 235, 250 f. 138 Am Beispiel der Fischerei- und Landwirtschaftspolitik illustriert von Haltern, aaO (Fn. 133), Rdn. 215–234; allgemein Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 489 ff.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

4. Regulatorische Konsequenzen a) Die EU als Anbieter der „idealen“ Rechtsform Eine erste Antwort besteht darin, die politischen Rahmenbedingungen auszublenden und die EU aufzufordern, die „ideale“ Kapitalgesellschaft, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln umrissen wurde, den mitgliedstaatlichen GmbH-Modellen an die Seite zu stellen.139 In der Tat sind wir der Ansicht, dass eine solche Ergänzung im Sinne möglichst großer Wahlfreiheit wünschenswert wäre und daher weiterhin anzustreben ist. Wie der Erfolg der SE zeigt, muss temporärer Stillstand auf europäischer Ebene nicht bedeuten, dass eine supranationale Rechtsform als endgültig gescheitert zu betrachten ist. Wie das Beispiel der SE aber auch lehrt, ist es angesichts der beschriebenen Rahmenbedingungen unwahrscheinlich, dass die SPE in ihrer „Reinform“ zur Entstehung gelangen wird – das Schicksal des ehrgeizigen Kommissionsvorschlags belegt dies.140 Wollten wir es daher bei dieser Antwort belassen, setzten wir uns dem „Nirwana“-Einwand aus: Ein modelltheoretisch plausibles, unter den Bedingungen der realen Welt aber nicht taugliches Konzept vorzulegen.141 Die erste Antwort kann daher nicht die letzte sein.

b) Die Reform des europäischen Rechtsetzungsprozesses Eine zweite Antwort könnte darin liegen, eine Reform der Rahmenbedingungen anzumahnen und für einen verringerten Einfluss der Mitgliedstaaten bei der europäischen Rechtsetzung zu plädieren.142 Das müsste indes mit Kompensationen einhergehen, welche die demokratischen Defizite der europäischen Rechtsetzung – und damit ein zentrales Problem der vertikalen Regelkonkurrenz in Europa – beseitigen hülfen.143 Derartige Reformen, die im Ergebnis auf eine bundesstaatsähnliche Konstruktion hinausliefen, sind nach dem Scheitern der europäischen Verfassung vorerst illusorisch. Abgesehen davon gingen sie weit über den Gegenstand dieses Buches hinaus. Wir wollen diesen Weg daher nicht beschreiten, werden aber am Schluss des Kapitels auf einzelne Fragen einer verbesserten Rechtsetzung in der EU kurz eingehen.

139 In diesem Sinne Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 306 f, der sich für ein dispositives Statut ohne Mindestkapital und (zwingende) Mitbestimmung ausspricht, dabei aber selbst erkennt, dass der Vorschlag politisch aussichtslos ist. 140 S.o., § 1. 141 Vgl. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 3. Aufl., 2003, S. 549. 142 In diese Richtung Röpke/Heine, aaO (Fn. 59). 143 Vorschläge bei Bernholz/Schneider/Vaubel/Viber, Public Choice 118 (2004), 451. Eingehend zum Demokratiedefizit der EU Haltern, aaO (Fn. 133), Rdn. 259 ff; BVerfGE 123, 267 (Vertrag von Lissabon), Rz. 276 ff; speziell im Kontext des vertikalen Regelwettbewerbs Bachmann, aaO (Fn. 107).

B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft

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c) Alternativen zur SPE Der dritte, im Folgenden einzuschlagende Weg ist der, die vorhandenen Rahmenbedingungen als Datum hinzunehmen und von da aus nach Möglichkeiten zur Verwirklichung eines europäischen Zusatzangebots zu suchen. Die regulatorische Herausforderung besteht darin, das supranationale Statut einerseits so originell zu gestalten, dass es aus Sicht der Rechtsuchenden eine interessante Option darstellt, andererseits keine völlige Verdrängung der mitgliedstaatlichen Steuerungsmöglichkeiten im Recht der geschlossenen Kapitalgesellschaften befürchten lässt. Hierzu bieten sich vor allem Kompromisslösungen und künstliche Zugangshürden an, auf die wir im folgenden Abschnitt (C.) näher zu sprechen kommen werden. Eine zweite Strategie ist die Suche nach alternativen Regulierungsinstrumenten, mit denen sich ein attraktives Zusatzangebot u.U. auf weniger invasive Weise verwirklichen lässt.144 Solche Alternativen sollen hier kurz beleuchtet werden: Als erstes wäre zu erwägen, sich von der Vorstellung eines alle Funktionen vereinenden und in allen Mitgliedstaaten geltenden SPE-Statuts zu verabschieden.145 In Betracht kommt stattdessen, mehrere SPE zu schaffen, von denen sich z.B. eine für den grenzüberschreitend agierenden (Einmann-)Konzern eignet, während eine andere als Allzweckmöbel neben die nationalen GmbHs tritt. Je nachdem könnten die Zugangshürden und die Regulierungstiefe moduliert werden. Alternativ kann der Geltungsbereich einer SPE-Verordnung auf diejenigen Mitgliedstaaten reduziert werden, die sich auf ein einheitliches Statut zu einigen vermögen. Der vom Lissaboner Vertrag dazu gewiesene Weg ist derjenige der „verstärkten Zusammenarbeit“ (Art. 326 ff. AEUV), der auch für andere supranationale Regelungsangebote – etwa die Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) – in Betracht gezogen wird.146 Er ist allerdings nur als „letztes Mittel“ (Art. 20 Abs. 2 EU) gedacht und setzt eine Ermächtigung durch den Rat voraus (vgl. Art. 329 Abs. 1 Uabs. 2 AEUV). Schließlich ist auf die Möglichkeit hinzuweisen, ein europäisches Muster der geschlossenen Kapitalgesellschaft nicht mittels einer unmittelbar geltenden Verordnung, sondern mit anderen Instrumenten zu etablieren.147 Zu denken wäre zunächst an eine Richtlinie, die im Rat mehrheitlich verabschiedet werden kann und so möglicherweise leichter zu verwirklichen ist. Speziell für die Einmanngesellschaft, die in der europäischen Unternehmensgruppe den Hauptanwendungsfall einer SPE bilden dürfte, hat man jüngst vorgeschlagen, per Richtlinie eine vereinfachte Einmann-Muster-GmbH („Simplified Single Member Company Template“) zu etablieren.148 Gegenüber dem 144 Dazu auch schon Impact Assessment, aaO (Fn. 7), S. 13 ff, 37 ff (Alternativen verwerfend). 145 Aufgegeben hat die EU-Kommission bereits den Gedanken, das SE-Statut zu liberalisieren und dadurch dem Bedürfnis nach einer SPE Genüge zu tun, s. dazu Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 19 f; sowie bereits Impact Assessment, aaO (Fn. 7), S. 17. 146 S.o. (Fn. 54). 147 Dazu vor allem Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 16–27. 148 Reflection Group on the Future of EU Company Law, aaO (Fn. 29), S. 66 f.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

vorhandenen Zustand wäre dies sicherlich ein Fortschritt. Eine wirklich autarke Rechtsform kann so aber nicht geschaffen werden.149 Für die „heißen“ Fragen der SPE (Mindestkapital, Sitzdoktrin, Beurkundungspflichten, Mitbestimmung) hält im Übrigen auch dieser Vorschlag keine Antworten parat. Im Ergebnis besteht daher kein Unterschied zu einer SPE, die in diesen strittigen Fragen auf Optionslösungen setzt und zum Lückenschluss auf nationales Recht verweist.150 Als Alternativen kommen schließlich „sanftere“ Instrumente der Rechtsanpassung in Betracht. Zu denken ist hier etwa an die sog. Offene Methode der Normkonkretisierung, die auf die Etablierung einer unionsweiten „best practice“ zielt.151 Will man nur die „europäische Marke“, könnte sich eine Zertifizierung als Alternative anbieten.152 Diskutiert wird ferner die Möglichkeit einer an die Mitgliedstaaten adressierten Empfehlung oder eines Model Law.153 Auch davon können innovative Effekte ausgehen, wie der Erfolg verschiedener Mustergesetze der Vereinten Nationen (UNCITRAL) illustriert.154 Der Vorzug dieser Instrumente besteht darin, dass sie die mitgliedstaatliche Souveränität weitgehend unangetastet lassen. Kehrseite ist, dass die Mitgliedstaaten ihren Angehörigen den Zugang zu dem Musterangebot gänzlich verweigern können (indem sie es nicht umsetzen). In dem Maße, in dem sich ein internationales Muster als „best practice“ etabliert, wird es widerspenstigen Staaten zwar zunehmend schwerer fallen, ihren Angehörigen diesen Standard vorzuenthalten. Herrscht Rechtswahlfreiheit, bleibt den Betroffen zudem die Möglichkeit, durch Wahl einer anderen Rechtsordnung, welche das Muster umgesetzt hat, für dieses zu optieren und dadurch einen horizontalen Wettbewerbsdruck zu initiieren. Insgesamt stellen sich „weiche“ Regelungsinstrumente aus unserer Sicht aber allenfalls als subsidiäre Alternative dar, die eine eigenständige, den Unternehmen unmittelbar zugängliche europäische Rechtsform nicht ersetzt.

5. Zusammenfassung Theoretische Erwägungen und praktische Erfahrung lehren, dass supranationale Rechtsformen eine willkommene Bereicherung des Rechtsformsortiments darstellen können. Gegenüber der Alternative zwischen zentralisierender Vereinheitlichung und horizontalem Nebeneinander erweist sich das föderale Zusatzangebot als eleganter dritter Weg. Es ist daher grundsätzlich wünschenswert. Problematisch und in der bis-

149 150 151 152 153

Vgl. de Kluiver, 3 Eur. Co. L. 112 f (2008); Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 25 f. Dazu unten, C.III. u. IV. Dazu näher Fleischer, ZGR 2012, 160, 176 ff. Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 20 ff. Erwogen von Sandberg/Skog, AG 2010, 580, 583 und Uziahu-Santcroos, aaO (Fn. 6), S. 24 f, beide unter Hinweis auf das Model-Law-Projekt von Baums und Krüger Andersen (dazu oben, § 1 Fn. 3). 154 Dokumentiert unter http://www.uncitral.org.

B. Die Funktionen einer supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft

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herigen Diskussion unterbelichtet sind die Rahmenbedingungen, unter denen sich vertikale Regelkonkurrenz entfaltet. Eine nähere Betrachtung zeigte, dass die Eigenarten eines „höheren“ Regelsetzers, die seine Stärken ausmachen, zugleich seine Schwächen markieren. Um diese Schwächen zu kompensieren, legt das föderale System der EU die Entscheidung über „ob“ und „wie“ vertikaler Konkurrenz in die Hand der Konkurrenten (Mitgliedstaaten). Das mag man bedauern, ist als politisches Faktum aber einstweilen hinzunehmen. Um einzelstaatliche Widerstände zu überwinden und zugleich potenziellen Defiziten des föderalen Angebots zu begegnen, empfehlen sich verschiedene Strategien. Dazu gehören künstliche Zugangsschranken ebenso wie Kompromiss- oder Optionslösungen und ein eingeschränkter Geltungskreis.

III. Sonstige Funktionen Die möglichen sonstigen Funktionen einer SPE sind z.T. bereits erwähnt worden. Sie überschneiden sich mit den ausgiebig diskutierten und sollen hier nur noch einmal im Überblick angesprochen werden. Zu nennen sind die Denkanstöße, die von einem europäischen Statut für die nationale Gesetzgebung ebenso wie für die europäische Rechtswissenschaft ausgehen, welche dadurch neues Anschauungsmaterial und eine anregende Diskursplattform erhält. Akademische Neugier allein genügt sicher nicht, um die Schaffung einer supranationalen Rechtsform zu rechtfertigen; immerhin handelt es sich um einen willkommenen Nebeneffekt. Der Gesichtspunkt der europäischen Marke, der für viele Gesellschaften Anlass war, die SE zu wählen, gewinnt Bedeutung nicht nur im grenzüberschreitenden Kontext. Denn auch das nur in einem Land agierende Unternehmen mag daran interessiert sein, sich einen europäischen Anstrich zu geben. Hier ist allerdings auf die Missbrauchsgefahr hinzuweisen, die mit einem solchen Anstrich einhergehen kann, und die wiederum Anlass zu Zugangsrestriktionen geben mag.155 Gelingt es schließlich, ein effizientes SPE-Statut zu entwickeln, das sich auf dem Markt der Rechtsformen durchsetzt, kommt dies nicht nur den einzelnen Unternehmen in Europa, sondern der europäischen Wirtschaft insgesamt zugute. Diese Einsicht erlangt unter kompetenzrechtlichen Gesichtspunkten Bedeutung.156

IV. Zwischenfazit Die eingangs aufgeworfene Frage nach dem Mehrwert einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft ist zu bejahen. Als Instrument zum Grenzübertritt hat sie ihre exklusive Stellung eingebüßt, stellt aber weiterhin eine attraktive Alternative dar, die

155 Dazu näher unten, C.II. 156 Unten, C.I.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

mobilitätswilligen Unternehmen nicht vorenthalten werden sollte. Effizienzgewinne verspricht sie daneben als uniformer Baustein unionsweit agierender Konzerne sowie als innovatives Vehikel, welches das auf mitgliedstaatlicher Ebene vorhandene Rechtsformsortiment um eine originelle Option ergänzt. Trotz dieser augenscheinlichen Vorzüge hat sich die Schaffung einer SPE in der politischen Realität als ungemein schwierig herausgestellt. In ihrer grenzüberschreitenden Funktion ist sie vor allem auf ein möglichst autarkes Statut angewiesen, für das die im Rat erforderliche Einigung – wie bereits bei der SE – nicht zu erzielen ist.157 Als innovatives Zusatzangebot weckt sie mitgliedstaatliche Ängste vor einem Austrocknen der eigenen Rechtsformen. So gesehen leidet der von der Kommission unternommene Versuch, mit der SPE eine alle Funktionen gleichzeitig erfüllende Rechtsform zu schaffen, an einem Geburtsfehler. Will man nicht resignieren und die Idee einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft ganz verabschieden,158 müssen die politischen Hürden als Datum hingenommen und Techniken zur Überwindung der daraus resultierenden Schwierigkeiten diskutiert werden.

C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen In den vorangegangenen Abschnitten (§§ 2–6) durfte ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass der jeweilige Regelsetzer zur Schaffung der geschlossenen Kapitalgesellschaft rechtlich und tatsächlich in der Lage ist. Unterstellt werden konnte auch, dass Institutionen bereit stehen, um die gesellschaftsrechtlichen Normen bei Bedarf vervollständigen, konkretisieren und anpassen zu können. Im europäischen Kontext ist das, wie gesehen, anders. Die dadurch entstehenden Herausforderungen sind nunmehr im Detail zu adressieren.

I. Die Regelsetzungskompetenz 1. Kompetenztitel Föderale Ordnungen zeichnen sich durch zuständigkeitsverteilende Kompetenznormen aus. Im hier interessierenden Kontext stehen derer zwei zur Auswahl: Zum einen Art. 114 AEUV, der Maßnahmen zur Angleichung solcher Rechtsvorschriften, „welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand haben“, mit qualifizierter Ratsmehrheit gestattet, zum anderen die sog. Abrundungskompetenz des Art. 352 AEUV, der als Auffangklausel Einstimmigkeit im Rat fordert. Gute Gründe mögen dafür sprechen, in Art. 114 AEUV die passende Kompe157 Anschaulich aus Insidersicht Neye, FS Hüffer, S. 717 (zu den Widerständen gegen den Kommissionsvorschlag); Sandberg/Skog, AG 2010, 580 (zum Scheitern des schwedischen Kompromissvorschlags). 158 Siehe dazu die Nachweise oben (Fn. 6).

C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen

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tenzgrundlage zu sehen.159 Nachdem die vorhandenen supranationalen Statute (SE, SCE, EWIV) mit ausdrücklicher Billigung des EuGH ausnahmslos auf Art. 352 AEUV gestützt wurden,160 ist die Frage praktisch in diesem Sinne erledigt. Auch das laufende Verfahren zur Schaffung einer SPE-Verordnung wird nach Art. 352 AEUV betrieben. Dies hat nicht nur die erwähnte Konsequenz eines Vetorechts für die Regierungen aller Mitgliedstaaten, sondern bedingt speziell für Deutschland, dass ein mit 2/3-Mehrheit (!) zu fassender zustimmender Beschluss von Bundestag und Bundesrat hinzutreten muss.161 Angesichts der scharfen Kritik, die der deutsche Bundesrat am liberalen SPE-Entwurf der Kommission geübt hat,162 dürfte dessen Schicksal damit besiegelt sein. Wenn überhaupt, ist ein SPE-Statut mit deutscher Beteiligung nur noch als Kompromisslösung realisierbar.163

2. Subsidiaritätsprinzip Problematisch sind daneben die Schranken, die das Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 3 EUV) zieht. Danach darf die EU in Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig werden, wenn die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten „nicht ausreichend“ verwirklicht werden können (Negativtest), sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene „besser“ zu verwirklichen sind (Positivtest). Im Schrifttum, aber auch in den Erwägungsgründen der Europäischen Rechtsformen werden diese Anforderungen bisweilen deshalb schon bejaht, weil die Mitgliedstaaten gar nicht in der Lage seien, eine supranationale Rechtsform zu schaffen.164 Dem ließe sich entgegenhalten, dass es nicht auf den abstrakten Charakter der Supranationalität ankommt (der in der Tat nur auf EU-Ebene kreiert werden kann), sondern auf die Leistungen, die das supranationale Vehikel erbringt. Die Europäische Kommission stellt daher bei der Prüfung des Subsidiaritätsprinzips einen sog. Mehrwert-Test an.165 Dabei ist zwischen den oben herausgearbeiteten Leistungen einer supranationalen Rechtsform zu unterscheiden: Problemlos zu bejahen ist der „Mehrwert“ hinsichtlich der grenzüberschreitenden Funktion. Soweit die Ansicht vertreten wird, dass angesichts der den nationalen

159 Vgl. dazu nur Müller-Graff in: Hommelhoff/Helms, Neue Wege in die Europäische Privatgesellschaft, 2001, S. 289, 295 ff. 160 Vgl. EuGH EuZW 2006, 380 – C-436/03 (Europäische Genossenschaft (SCE)). 161 Vgl. § 8 Integrationsverantwortungsgesetz. Dieses Erfordernis folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus dem Grundgesetz, s. BVerfGE 123, 267 (Vertrag von Lissabon), Rdn. 328 u. 417; kritisch dazu Fleischer, ZHR 174 (2010), 384, 400 („Folgen für das europäische Gesellschaftsrecht übersehen“). 162 AaO (Fn. 9). 163 Unten, C.II. u. III. 164 Vgl. Schön, ZGR 1995, 1, 25, 28: „per definitionem“ nicht mit Mitteln des nationalen Rechts zu realisieren. 165 Vgl. nur Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 5 EUV Rdn. 40.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

Rechtsformen durch die Niederlassungsfreiheit eröffneten Freizügigkeit kein Bedürfnis für eine supranationale GmbH besteht,166 ist dem aus den bereits genannten Gründen zu widersprechen.167 Schwieriger ist die Frage zu beantworten, soweit es um die Erweiterung des Rechtsformangebots geht. Hier hegen auch solche Autoren Bedenken, die der Idee einer SPE grundsätzlich aufgeschlossen gegenüberstehen.168 Um dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung zu tragen, fordern sie, ein transnationales Element in das Statut aufzunehmen. Ein solches mag aus politischen Gründen empfehlenswert sein.169 Rechtlich zwingend erscheint es nicht.170 Zwar ist in den Erläuterungen zu Art. 5 Abs. 3 EUV immer wieder von „transnationalen Aspekten“ die Rede, welche die fragliche Maßnahme aufweisen muss.171 Daraus folgt indes nicht, dass optionales Einheitsrecht zwingend ein grenzüberschreitendes Tatbestandselement enthalten müsste.172 Dagegen sprechen mehrere Gründe: Zum Ersten verliert die Schutzfunktion des Art. 5 Abs. 3 EUV dort an Bedeutung, wo den Mitgliedstaaten ein Vetorecht zusteht, weil diese es dann selbst in der Hand haben, sich gegen zentralistische Anmaßungen der Kommission zu wehren.173 Ein solches Vetorecht ist im Rahmen des Art. 352 AEUV gegeben. Hinzu kommt, zweitens, der Umstand, dass Art. 5 Abs. 3 EUV vor dem Hintergrund alternativer Zuständigkeiten formuliert ist. Weil die Mitgliedstaaten die geteilte Zuständigkeit dort verlieren, wo die Union von ihr Gebrauch gemacht hat (vgl. Art. 2 Abs. 2 AEUV), ist es plausibel, dem Kompetenzhunger der Union durch ein streng verstandenes Subsidiaritätsprinzip Zügel anzulegen. Geht es aber, wie hier, nur darum, ein zusätzliches Angebot zu schaffen, kann und muss das Subsidiaritätsprinzip großzügiger interpretiert werden. Denn die Mitgliedstaaten werden dadurch nicht ihrer gesellschaftsrechtlichen Zuständigkeiten beraubt, sondern lediglich einem Wettbewerb ausgesetzt, der auf horizontaler Ebene kraft Primärrechts ohnehin besteht.174 Hinzu kommt ein in der Diskussion oft übersehener Aspekt: Die Existenz einer attraktiv ausgestalteten, europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft fördert nicht nur die Aktivitäten europäischer Unternehmen im Binnenmarkt, sondern stärkt auch

166 Z.B. Bloemarts, 3 Eur. Co. L. 265 (2006). 167 S.o., B.I. 168 Vgl. nur Müller-Graff, EWS 7/2008 (Editorial); Dorresteijn/Uziahu-Santcroos, 5 Eur. Co. L. 277, 279 f (2008); dies., 6 Eur. Co. L. 152, 154 ff (2009); Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897, 900. 169 Dazu unten, C.II. 170 Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 421; Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 319 ff. 171 Vgl. nur Calliess, aaO (Fn. 165), Art. 5 EUV Rdn. 34, 38. 172 Vgl. Schön, ZGR 1995, 1, 25 f. Der vorgeschlagene Rahmen für ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht tut dies aber, s. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht v. 11.10.2011, KOM(2011) 635 endgültig, S. 13 u. S. 28 (Art. 4; siehe aber auch Art. 13). 173 Vgl. bereits Schön, ZGR 1995, 1, 24 f: „Ob eine europäische Rechtsform wünschenswert ist, hängt nicht an Art. 3b Abs. 2 EGV (jetzt: Art. 5 Abs. 3 EUV), sondern wird anhand der Rechtsgrundlage von den Gemeinschaftsorganen entschieden“. 174 Vgl. dazu bereits oben, bei Fn. 91.

C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen

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deren Wettbewerbsfähigkeit nach außen.175 Auch dies hat sich die EU im Rahmen ihrer Industriepolitik als explizit zu verwirklichendes Ziel auf die Fahnen geschrieben (vgl. Art. 173 AEUV). Zur Gewährleistung der Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie muss sich die Union danach um die Förderung eines für die Initiative, Weiterentwicklung und Zusammenarbeit insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen „günstigen Umfelds“ bemühen (Art. 173 Abs. 1 Satz 2 AEUV). Dieser Auftrag gewinnt an Bedeutung, wenn man bedenkt, dass der europäischen Industrie trotz der europarechtlich verbürgten Rechtswahlfreiheit kein „Delaware“ zur Verfügung steht, was die Vorzüge einer Einheitsrechtsform noch greifbarer werden lässt. All dies spricht dafür, der EU auch dann die Kompetenz zur Schaffung einer geschlossenen Kapitalgesellschaft zuzusprechen, wenn deren Gründung nicht an ein strenges Mehrstaatlichkeitserfordernis geknüpft ist.

II. Zugangsbeschränkungen 1. Notwendigkeit von Zugangshürden? Grundsätzlich sollte eine geschlossene Kapitalgesellschaft allen Interessierten für alle Zwecke offen stehen.176 „Künstliche“ Zugangsschranken behindern die grundsätzlich wünschenswerte Auswahlfreiheit und sind daher rechtfertigungsbedürftig. Eine solche Rechtfertigung kann im europäischen Kontext mit rechtlichen, ökonomischen oder politischen Argumenten unternommen werden. Rechtlich werden Zugangsschranken vor allem mit kompetenziellen Erwägungen begründet, was aus den bereits genannten Gründen nicht überzeugt.177 Ökonomisch betrachtet sind Zugangsbeschränkungen zweischneidig. Sie mögen helfen, die Seriosität der Gründung und damit die Reputation der supranationalen Rechtsform zu wahren.178 Dafür blockieren sie die präferenzgerechte Auswahl der Nachfrager und behindern das Entstehen positiver Netzwerkeffekte. Je nachdem, wie viel man dem vertikalen Wettbewerb zutraut,179 sind Zugangsschranken daher ökonomisch mehr oder weniger sinnvoll. Geboten sein können Zugangsbeschränkungen indes aus politischen Gründen, wenn nur so die erforderliche Einstimmigkeit im Rat zu erzielen ist.

175 Zutreffend erkannt von Drury, 3 Eur. Co. L. 267 (2006): „It is just as important to consider the relevance of a possible European Private Company to trade flows outside the EU and the competitive position of the EU in the world markets“. 176 Paradigmatisch § 1 des deutschen GmbH-Gesetzes: „Gesellschaften mit beschränkter Haftung können (…) zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine oder mehrere Personen errichtet werden“. 177 Oben, C.I. 178 Oben, bei Fn. 50. 179 Oben, B.II.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

2. Modelle der Zugangsrestriktion Wegen der ökonomischen Zwiespältigkeit sollten Zugangsbeschränkungen jedenfalls so strukturiert sein, dass sie für den seriösen Unternehmer keine ernsthafte Hürde darstellen. Andernfalls werden nur wenige oder gar keine Unternehmen die supranationale Rechtsform wählen. Weniger geeignet erscheint ein numerus clausus der Gründungsformen, weil er den Einsatz der supranationalen geschlossenen Kapitalgesellschaft als Konzernvehikel und damit eine ihrer wesentlichen Funktion behinderte. Entsprechendes gilt für Zweckrestriktionen. In den vorliegenden Entwürfen für ein SPE-Statut ist beides denn auch nicht vorhanden. Diskutabler erscheint das Erfordernis einer transnationalen Komponente. Soll die Gesellschaft als grenzüberschreitendes Vehikel eingesetzt werden,180 bereitete seine Erfüllung i.d.R. keine Schwierigkeiten. Im Übrigen ist das Repertoire denkbarer Lösungen weit und kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen debattiert werden.181 Hinzuweisen ist nur auf Lösungen, die vom hiesigen Standpunkt aus unpassend erscheinen. So sollte namentlich darauf verzichtet werden, das Vorhandensein von Gesellschaftern aus mehreren Mitgliedstaaten zu fordern. Es würde die Einpersonengründung verhindern und dem unionsweit agierenden Konzern verbieten, die heimischen Töchter ebenfalls als SPE zu führen.182 Bedenklich ist auch das Erfordernis einer bereits ausgeübten grenzüberschreitenden Tätigkeit, weil die geschlossene Gesellschaft oft als Rechtsform für Start-ups dient, deren (grenzüberschreitende) Aktivitäten erst im Aufbau begriffen sind. Wenig praktikabel ist es schließlich, bei nachträglichem Wegfall der Mehrstaatlichkeit die Zwangsumwandlung in eine nationale Rechtsform vorzusehen.183 Gangbar erscheint demgegenüber der Weg, eine bei Gründung vorliegende Absicht grenzüberschreitender Aktivität oder einen grenzüberschreitenden Gesellschaftszweck zu fordern, aber auch genügen zu lassen.184 Er macht freilich ein zentrales Problem eines Mehrstaatlichkeitserfordernisses deutlich: Es ist leicht zu umgehen und schwer zu überwachen. Aus eben diesem Grund wird bei der SE für seine Abschaffung plädiert.185 180 Oben, B.I. 181 Vgl. dazu Hommelhoff, GesRZ 2008, 337, 345 (grenzüberschreitender Unternehmensgegenstand, Gründungsmitglieder aus verschiedenen Staaten, Register- und Geschäftssitz in unterschiedlichen Staaten, Auseinanderfallen von Gesellschaftssitz und Sitz mindestens eines wesentlich beteiligten Gesellschafters). Konkrete Formulierungsvorschläge in DAV-Stellungnahme, NZG-Beil. 7/2008, Rdn. 12; sowie bei AKEur, NZG 2008, 897, 899 Zif. 20. Daran orientiert der Vorschlag des Europäischen Parlaments (Art. 3 Abs. 1 lit ea) SPE-VO Entwurf EP, vgl. Art. 3 Abs. 1 lit ea) SPE-VO-Entwurf EP und der schwedische Kompromissvorschlag (Art. 3 Abs. 3 SPE-VO-E), der das grenzüberschreitende Moment aber nur noch „zum Zeitpunkt der Eintragung“ verlangt. 182 Vgl. Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 422; Hügel, ZHR 173 (2010), 309, 314. 183 So der Vorschlag des Europäischen Parlaments, s. Art. 9 Abs. 3 SPE-VO-Entwurf EP, abrufbar unter http://www.europeanprivatecompany.eu. Ablehnend Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 423. 184 So der schwedische Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45). 185 Vgl. Arbeitskreis Aktien- und Kapitalmarktrecht, ZIP 2009, 698 = 10 Eur. Bus. Org. L. Rev. 285 (2009); Casper, ZHR 173 (2009), 181, 189 ff (zur SE); zur SPE nur Hügel, ZHR

C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen

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Insgesamt überwiegen damit die Gründe, die gegen künstliche Zugangshürden sprechen. Will man die europäische geschlossene Kapitalgesellschaft überhaupt, muss man ihr auch erlauben, eine hinreichend „kritische Masse“ zu bilden. Allenfalls für eine Anlaufphase sind daher (moderate) Zugangshürden in Betracht zu ziehen. Mit Blick auf die besondere Rolle, welche die Reputation bei der europäischen Rechtsform spielt, könnte dabei an gläubigerschützende Elemente in Gestalt eines (moderaten) Mindestkapitals oder eines verbindlichen Solvenztests gedacht werden.186

III. Kompromisslösungen 1. Kompromisszwang Inhaltlich sollte ein supranationales Statut nicht eine gewollt experimentelle Richtung einschlagen, sondern sich am wohlfahrtsökonomischen Optimum orientieren.187 Orientierungspunkte dafür liefern die vorangegangenen Kapitel, auf die an dieser Stelle verwiesen werden kann. Problematisch ist allerdings auch hier die im Rat erforderliche Einstimmigkeit. Wie die Erfahrung lehrt, orientieren sich die Mitgliedstaaten bei der Konzeption supranationaler Modelle weniger an funktionalen Gesichtspunkten, als am Referenzpunkt ihres eigenen Rechts. An der Geschichte des europäischen Gesellschaftsrechts lässt sich deutlich ablesen, dass das Scheitern allzu ambitionierter Projekte damit vorgezeichnet ist. Um diese Schwierigkeit zu überwinden, ist der Einsatz von Regulierungstechniken hilfreich, wie sie für das europäische Gesellschaftsrecht im Allgemeinen und die europäischen supranationalen Rechtsformen im Besonderen prägend geworden sind.188

2. Kompromisstechniken Nicht empfehlenswert ist es, die nationalen Muster einfach kumulativ zu übernehmen, d.h. etwa alle gläubigerschützenden Elemente, die sich in den unterschiedlichen GmbH-Rechten finden, aufeinanderzutürmen. Heraus käme ein regulatorisches Ungetüm, mit dem niemand glücklich wäre. Eher könnte es umgekehrt geraten sein,

173 (2009), 309, 316 f; ferner Impact Assessment, aaO (Fn. 7), S. 25 f. Mit dem gleichen Argument kann man allerdings auch für seine Hinnahme plädieren, so pragmatisch Bachmann, ZEuP 2008, 32, 53; Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 423. 186 S. dazu oben B.I.1.b) (Reputation) sowie unten C.III.3. (Gläubigerschutz). 187 Eidenmüller, JZ 2009, 641, 652; Klöhn, RabelsZ 76 (2012), 276, 304; der Sache nach auch Impact Assessment, aaO (Fn. 7), S. 20–35, wo die verschiedenen Regelungsoptionen mit Blick auf die fünf Kriterien Einheitlichkeit, Flexibilität, Rechtssicherheit, Effektivität und politische Akzeptabilität untersucht werden. Die Bedeutung des letzten Kriteriums hat die Kommission dabei – wie das nachfolgende Schicksal ihres Entwurfs zeigt – offensichtlich unterschätzt. 188 Hierzu insbesondere Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 406 ff.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

der supranationalen Rechtsform im Sinne einer Meistbegünstigungsklausel alle Optionen zuzugestehen, die die einzelnen Rechtsordnungen ihren geschlossenen Kapitalgesellschaften einräumen.189 Ungeachtet ihrer Realisierbarkeit führte diese Lösung zu Rechtsunsicherheiten, die einer supranationalen Rechtsform eher abträglich wären. Ein klassischer Kompromissweg besteht demgegenüber darin, sich in der Mitte zu treffen. Ein Beispiel dafür ist der für die SPE unterbreitete Vorschlag, ein Mindestkapital in einer Höhe (konkret: 8.000 EURO) vorzusehen, die zwischen den in einzelnen Mitgliedstaaten verbindlichen Werten liegt.190 Dieser Weg scheidet jedoch aus, wenn sich – wie so oft – keine „Mitte“ bestimmen lässt. In solchen Fällen mag ein „gemischtes“ Statut, in dem sich alle Mitgliedstaaten mit ihren Regelungstraditionen wiederfinden, der richtige Ansatz sein. Eine solche Strategie hat das „Forum Europaeum Konzernrecht“ gewählt, das dadurch den Weg zu einem harmonisierten Recht der Unternehmensgruppe zu ebnen suchte.191 Politischer Erfolg war diesem Vorschlag freilich nicht beschieden. Abgesehen davon fragt sich, ob Einzelelemente nationaler Rechtsordnungen wirklich friktionslos in ein supranationales Geschöpf implantiert werden können.192 Vielversprechender erscheint der Einsatz von Optionsmodellen.193 Er hat nicht nur der europäischen Übernahmerichtlinie, sondern letztlich auch der SE zum Durchbruch verholfen. Musterbeispiel sind die bei der SE vorhandenen Optionen, zwischen ein- und zweigliedrigem Verwaltungsmodell zu wählen (Art. 38 b) SE-VO) und die gesetzliche Mitbestimmungsregelung durch ein verhandeltes Modell zu ersetzen (RL 2001/86/EG). Diese Regelungstechnik findet sich in verschiedener Form auch in den vorliegenden SPE-Vorschlägen wieder.194 Während derartige Optionslösungen die Gesellschafter vor die Wahl stellen, kann man hilfsweise auch daran denken, den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen verschiedenen Ausgestaltungsoptionen zu lassen (oder beide Wege zu kombinieren). Auch dieser Weg wird in den Vorschlägen für ein SPE-Statut beschritten, etwa hinsichtlich der Festlegung eines etwaigen Mindestkapitals.195 In dem Maße, in dem die Staaten davon abweichenden Gebrauch machen, geht zwar die Einheitlichkeit des Rechtsformmodells und damit ein wesentlicher Vorzug der supranationalen Rechtsform verloren. Erhalten werden kann jedoch der innovative Charakter des verbleibenden Rumpfstatuts. Handelt es sich auch nicht um den Königsweg, ist er doch allemal besser als der Verzicht auf die europäische Rechtsform. Soweit er beschritten wird, darf man es den Mitgliedstaaten allerdings nicht verübeln, wenn sie von den eingeräumten Optionen auch Gebrauch machen.196 189 Für die SE erwogen (aber letztlich verworfen) von Kiem, Corp. Fin. L. 2011, 134, 144. 190 So der schwedische Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45). 191 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 ff; krit. dazu Windbichler, 1 Eur. Bus. Org. L. Rev. 265 (2000). 192 Zum damit angerissenen Thema der „legal transplants“ nur Fleischer, NZG 2004, 1129 ff. 193 Fleischer, ZHR 174 (2010), 385, 406 f, 407; sowie allgemein bereits oben, § 2 C. 194 So der Vorschlag des Europäischen Parlaments: Wahl zwischen Mindeststammkapital oder Solvenztest, vgl. 16 Abs. 4 SPE-VO-Entwurf EP. 195 So der schwedische Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45). 196 Vgl. Hopt, in: Hommelhoff/Hopt/von Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl., 2009, S. 59: „Es ist durchaus normal, dass die Mitgliedstaaten, die Optionsrechte

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221

Ähnliches gilt für den Ausweg, in nicht konsensfähigen Fragen auf nationales Gesellschaftsrecht zu verweisen (Verweisungsmodell ). Auch dieser Weg ist zweischneidig,197 aber wiederum besser als nichts.198 Speziell mit Blick auf die geschlossene Kapitalgesellschaft mag ferner erwogen werden, statt einer SPE-Verordnung deren mehrere zu schaffen, um so den unterschiedlichen Funktionen und deren teilweise inkompatiblen Anforderungen Genüge zu tun. So könnte es sich empfehlen, speziell für die Einpersonen-Konzerntochter ein Sonderstatut zu schaffen.199 Da dieses geringere regulatorische Anforderungen stellt, könnte die Einigung auf ein solches möglicherweise leichter gelingen. Weniger empfehlenswert erscheint uns der im Schrifttum erwogene Ausweg, der SPE die Bahn dadurch zu ebnen, dass zuvor wesentliche Bereiche der nationalen GmbH-Rechte harmonisiert werden.200 Abgesehen davon, dass das Gelingen einer solchen Harmonisierung trotz des dafür geltenden Mehrheitsprinzips eher noch illusorischer sein dürfte als die Einigung auf ein ergänzendes europäisches GmbH-Muster, gäbe es gerade diejenigen Vorteile preis, welche die supranationale Rechtsform als regulatorische Alternative gegenüber der Rechtsvereinheitlichung auszeichnen.201

3. Kompromissgegenstände Bestimmte Gegenstände haben sich in der Diskussion um die Schaffung europäischer Rechtsformen als immer wiederkehrende Streitpunkte und damit als typische Kandidaten für Kompromisslösungen herausgestellt. Zu ihnen gehören die Frage nach einem Mindeststammkapital, die Gründungsformalien, der Umfang der Satzungsfreiheit, die Mitbestimmung, die Verwaltungsstruktur und die Sitzwahl. Bei der SE konnten diese Punkte geklärt werden, indem man sich auf Optionsmodelle einigte, wie es namentlich bezüglich der Mitbestimmung, der Verwaltungsstruktur und z.T. der Gründungsformalien geschah. In anderen Punkten verständigten sich die Mitgliedstaaten auf ein strenges,202 aber unter dem Vorbehalt späterer Überprüfung stehendes Regime (betr. Satzungsstrenge und die Sitzwahl, vgl. Art. 69 SE-VO). Teilweise konnte man auch an Regelungen anknüpfen, die durch Richtlinien schon harmonisiert und insoweit weniger streitanfällig waren (betr. Kapitalaufbringung und z.T. Gründungsformen).

197 198 199 200 201 202

haben, davon Gebrauch machen. Das muss nicht unbedingt (…) protektionistische Gründe haben, sondern kann auf (…) der Berücksichtigung von Pfadabhängigkeiten (…) beruhen“. Näher oben C.II. Vgl. Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 346: „Lückenfüllung durch nationales Recht ist besser als gar keine Lückenfüllung“. Vgl. Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 334 ff. Erwogen etwa von Sandberg/Skog, AG 2010, 580, 583. Dazu bereits oben, B.I.2.a). Unter einem strengen Regime wird hier ein solches verstanden, das vergleichsweise hohe Zugangshürden und mehr zwingendes Recht zugunsten von Minderheiten oder Dritten vorsieht.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

Bei der SPE hat sich die Kompromissfindung als schwieriger erwiesen. Auch hier will man zwar in den genannten Punkten auf die bewährte Technik der Optionsmodelle zurückgreifen. Als besonderer Zankapfel hat sich dabei allerdings – wieder einmal – die Mitbestimmung herausgestellt. Keines der bislang präsentierten Modelle wurde von den deutschen Verhandlungsführern akzeptiert. Hintergrund dürfte der Umstand sein, dass eine steigende Zahl deutscher Unternehmen sich die durch Europarecht (SE, grenzüberschreitende Verschmelzung, Centros-Rechtsprechung) eröffneten Optionen zunutze macht, um der Mitbestimmung zu entkommen. Das wird vor allem von den Gewerkschaften als Ärgernis begriffen. Eine politisch konsensfähige Lösung ist hier weiterhin nicht in Sicht.203 Die Einigung auf ein Mindeststammkapital fällt schwer, weil es – anders als bezüglich der Aktiengesellschaften – an einer entsprechenden Harmonisierung für die geschlossene Gesellschaft fehlt. Hier zeichnet sich indes ein Optionsmodell als konsensfähige Lösung ab. Den Mitgliedstaaten stünde es danach frei, den bei ihnen beheimateten Gesellschaften ein Mindeststammkapital moderaten Umfangs vorzuschreiben.204 Der Kompromissbereitschaft zuträglich dürfte dabei der Umstand sein, dass verschiedene Mitgliedstaaten für ihre eigenen Rechtsformen schon zu einem optionalen Mindeststammkapital übergangen sind. Auch bei den Gründungsformalien weist die Optionslösung den Weg, wenn es den Mitgliedstaaten danach überlassen bleibt, ob sie notarielle Beurkundungszwänge etablieren wollen oder nicht.205 Offen ist die Frage, ob Satzungs- und Verwaltungssitz wie bei der SE (vgl. Art. 7 SE-VO) zusammenfallen müssen. Der dazu für die SPE unterbreitete Kompromissvorschlag, dies nur (aber immerhin) während der Anlaufzeit der Verordnung vorzuschreiben, hat unter den Mitgliedstaaten bislang keine ungeteilte Zustimmung gefunden. Verweist das SPE-Statut hilfsweise auf nationales Recht, kann ein Junktim von Satzungs- und Verwaltungssitz den Aufbau eines europaweit einheitlichen Konzerns erschweren und den horizontalen Rechtswettbewerb blockieren. Andererseits bewirkt es den Gleichlauf von (hilfsweise anwendbarem) nationalem Gesellschaftsrecht und Insolvenzstatut (vgl. Art. 3, 4 EuInsVO) und erleichtert es so den Gläubigern, das Insolvenzstatut ex ante rechtssicher zu ermitteln und dessen Risiken einzupreisen.206 Angesichts dieser Ambivalenz lässt sich mit dem Junktim von Satzungs- und Verwaltungssitz wenigstens für eine Übergangszeit leben.

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Neue Kompromissvorschläge bei Hommelhoff, ZEuP 2011, 7. So der schwedische Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45). So der schwedische Kompromissvorschlag, aaO (Fn. 45). Vgl. Casper/Weller, NZG 2009, 681, 682; Veil, Kölner Komm. z. AktG, 3. Aufl., 2011, Art. 7 SE-VO Rdn. 10.

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IV. Lückenschluss und Normkonkretisierung 1. Das Lückenproblem Spezifische Probleme der supranationalen Kapitalgesellschaft ergeben sich daraus, dass ein europäisches Statut aufgrund der skizzierten Kompromisszwänge auch dort ergänzungsbedürftig bleiben wird, wo das nationale Recht typischerweise Regelungen – sei es in Gestalt zwingenden, sei es in Gestalt dispositiven Rechts – vorhält. Bei der SE ist man dieser Not durch exzessive Verweisung auf nationales Aktienrecht entflohen. Während manche darin den auch für die SPE passenden Schlüssel sehen,207 fordern andere weiter eine autonome europäische Lösung ein.208 Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass ein voll ausbuchstabiertes Statut, wie man es von den nationalen Rechten her gewohnt ist, angesichts der beschriebenen Bedingungen der Regelsetzung vorerst Utopie bleiben wird. Zu den zentralen Aufgaben gehört daher die Suche nach geeigneten Lückenschlusstechniken.

2. Lückenschlusstechniken Für die Analyse ist es hilfreich, in Anlehnung an die Nomenklatur des internationalen Warenkaufrechts zwischen externen und internen Lücken zu unterscheiden.209

a) Externe Lücken Externe Lücken betreffen Fragen, die vom Regelungsbereich des Statuts von vornherein nicht erfasst werden. Namentlich geht es um die Abgrenzung von anderen Rechtsgebieten wie dem Insolvenz- oder Deliktsrecht. Die Problematik ist keine spezifische der supranationalen Rechtsform, sondern aus dem Internationalen Gesellschaftsrecht vertraut. Die regulatorische Aufgabe besteht hier darin, den Regelungsbereich möglichst rechtssicher und unter Synchronisierung mit anderen europäisch normierten Regelungsbereichen (z.B. EuInsVO) abzustecken. Das mag sich einfach anhören, birgt aber nicht selten unterschätzte Herausforderungen.210 Denn das nationale Statut ist in ein vorhandenes Regel- und Institutionenumfeld eingebettet und mit diesem abgestimmt. Die aus einem solchen Rahmen herausgerissene, weil im Ausland operierende Rechtsform ist damit ebenso wie die freischwebend konstruierte supranationale Rechtsform latent von Über- oder Unterregulierung bedroht (Stichworte: Normenhäufung, Normenmangel). Da es sich nicht um genuine Fragen der supranationalen

207 208 209 210

Z.B. Hügel, ZHR 173 (2009), 309, 347. Z.B. Bücker, ZHR 173 (2009), 281, 287. Vgl. nur Schlechtriem/Ferrari, CISG, 3. Aufl., 2000, Art. 7 Rdn. 41. Am Beispiel des SE-Konzernrechts veranschaulicht von Engert, ZVglRWiss 104 (2005), 444 ff.

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Rechtsform handelt, kann das hier nicht vertieft werden. Für die Suche nach brauchbaren Lösungen ist auf den reichen Fundus des Kollisionsrechts zu verweisen.

b) Interne Lücken Ein wenig genauer sind die Lücken zu betrachten, welche innerhalb des Regelungsbereichs des Statuts auftreten. Hier geht es um Fragen, die, wiewohl gesellschaftsrechtlicher Natur, im Gesellschaftsrecht der supranationalen Rechtsform mangels politischer Einigung keine Antwort gefunden haben. Eine originelle Lückenschlusstechnik präsentiert der SPE-Entwurf der EU-Kommission mit der Figur des sog. Regelungsauftrags. Regelungsbedürftige Fragen werden danach nicht vom Statut selbst beantwortet, sondern den Gesellschaftern wird aufgegeben, dafür eine eigene Lösung zu entwerfen. Dieses Instrument hat den Charme, ein politisch schwer durchsetzbares Einheitsmuster entbehren zu können, ohne auf nationales Recht ausweichen zu müssen.211 Kehrseite der Lösung ist die damit verbundene Rechtsunsicherheit, weil die Parteien insbesondere bei fehlender rechtlicher Beratung riskieren, fehlerhafte, unklare oder unvollständige Regelungen zu treffen.212 Für diesen Fall muss jedenfalls dann eine Auffanglösung bereit stehen, wenn die Gesellschaft bereits in Vollzug gesetzt wurde, weil eine Auflösung dann als unangemessene Sanktion nicht mehr in Betracht kommt.213 Hinzu kommt, dass Regelungsaufträge die Parteien auch dort zu Transaktionskosten zwingen, wo der ökonomische Mehrwert privatautonomer Gestaltung zweifelhaft ist.214 Aus diesen Gründen hat der allzu extensiv auf Regelungsaufträge setzende Kommissionsentwurf zu Recht Kritik erfahren. Um ihr zu entgegnen, ist der Vorschlag einer wenigstens hilfsweise bereit stehenden Mustersatzung unterbreitet worden.215 Auch der nationale Gesetzgeber greift zunehmend auf diese Technik zurück.216 Auf den ersten Blick scheinen sich damit die 211 Grundsätzlich anerkennend daher Bachmann, aaO (Fn. 107), S. 375 ff, Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 696 sowie bereits oben, § 2 B.III.3.d). 212 Hieran zeigt sich, dass die Wahl einer Regelungstechnik (hier: zum Lückenschluss) die Wahl anderer Techniken (etwa: Einsatz präventiver Beratungs- und Kontrollpflichten) präjudizieren kann. 213 So auch der Vorschlag des Europäischen Parlaments, vgl. Art. 43a SPE-VO-Entwurf EP (salvatorische Klausel). Der Kommissionsentwurf löste dieses Problem nicht zufriedenstellend. Für eine präventive Kontrolle AKEur, NZG 2008, 897, 898, Ziff. 13. 214 Kritisch aus diesem Grund auch DAV, NZG-Beil. 7/2009 Rdn. 27 („gefährdet das Ziel einer kostengünstigen Rechtsform“); Hadding/Kießling, WM 2009, 145, 153 („verkompliziert und verteuert jede Gründung“). 215 So der Vorschlag des Europäischen Parlaments, vgl. Art. 8 Abs. 2 und Art. 43a SPE-VOEntwurf EP; ebenso AKEur, NZG 2008, 897, 898, Ziff. 14; J. Schmidt, EWS 2008, 455, 456; aus Sicht der Beratungspraxis Bücker, ZHR 173 (2009), 281, 307 („eindeutig zu begrüßen“). Eine entsprechende Mustersatzung ist auf Veranlassung der Kommission bereits ausgearbeitet worden, s. Working Document des „Advisory Board on Corporate Governance and Company Law“ vom 23.7.2008, Nr. 1122/DRS 17. 216 Vgl. für Deutschland z.B. Anl. 1 zu § 60 AO; Anlage zu § 2 Abs. 1a GmbHG.

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225

Nachteile der Regelungsaufträge beseitigen zu lassen. Bei näherem Hinsehen handelt es sich indes nur um eine Variante dispositiven Rechts. Dies wird deutlich, wenn die Geltung der Mustersatzung nicht explizit vereinbart werden muss (opt-in-Lösung), sondern diese immer dann greift, wenn die Parteien nichts Abweichendes geregelt haben (opt-out-Lösung).217 Wie beim dispositiven Recht stellt sich auch hier das Problem der politischen Konsensfähigkeit. Um ihm zu entgehen, muss das Muster schlank gehalten werden – was wiederum den Einsatz zusätzlicher Lückenschlusstechniken erfordert. Alternativ ist der Erlass der Mustersatzung einem Gremium zu überantworten, das leichter zu einem Konsens gelangen kann als der europäische Gesetzgeber.218 Dies wiederum wirft grundlegende Legitimationsprobleme auf, die nicht leichterhand beiseite gewischt werden dürfen.219 Auch die Mustersatzung ist daher kein Königsweg. Abgesehen davon kommt sie – ebenso wie der Regelungsauftrag – von vornherein nur für Gegenstände in Betracht, für die Satzungsfreiheit gewährt werden kann. Liefern somit weder Regelungsauftrag noch Mustersatzung den Stein der Weisen, bleiben zwei Lückenschlusstechniken, deren Diskussion schon die Entstehung der SE begleitet hat, und die auch bei der SPE wieder die Kommentatoren in zwei Lager spalten. Die eine, bei der SE schlussendlich zum Einsatz gekommene Technik besteht darin, hilfsweise das Recht des Sitzstaates zur Anwendung zu berufen (Verweisungslösung). Diese „zweitbeste“ Lösung kann für sich in Anspruch nehmen, Gründungswillige überhaupt zur Wahl der supranationalen Rechtsform zu motivieren, weil die Nabelschnur zum vertrauten Heimatrecht nicht ganz gekappt wird. Sie belebt ferner den horizontalen Wettbewerb innerhalb des supranationalen Modells.220 Vor allem aber sorgt sie für Rechtssicherheit, weil nicht nur die Ermittlung des jeweils anwendbaren Regelsets vergleichsweise leicht gelingt, sondern dieses auch durch die nationalen Institutionen (Gesetzgeber, Kommentatoren, Justiz) umfassend operationalisiert ist. Der Preis besteht in der bereits erwähnten Re-Nationalisierung der Rechtsform, welche die oben geschilderten Effizienzvorteile der einheitlichen Rechtsform zu einem Gutteil wieder preisgibt. Spiegelverkehrt präsentieren sich die Vor- und Nachteile der konkurrierenden, für die SE ursprünglich angedachten Lösung, auf allgemeine Grundsätze des gemeinschaftsrechtlichen („ius communitatis“) und/oder des nationalen Gesellschaftsrechts („ius commune“) zu verweisen.221 Das zentrale Problem dieses Ansatzes, welches bei der SE schließlich zu seiner Verwerfung führte, besteht zum einen darin, aus dem 217 Zu opt-out und opt-in-Modellen oben, § 2 C.III.1. 218 Dafür Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925, 930: „Rechtspolitisch rückgekoppeltes Fachgremium“, dessen Muster der „Rang einer Gesetzesbegründung“ zukommen soll; s. auch Hommelhoff/Teichmann, GmbHR 2008, 897, 899. Im Auge hat man dabei wohl das von der Kommission etablierte Advisory Board on Corporate Governance and Company Law (s. Fn. 215). Explizit in diesem Sinne AKEur, NZG 2008, 897, 898, Ziff. 14. 219 Vgl. unten C.V. 220 Vgl. oben Fn. 113. 221 Vgl. dazu nur Bachmann, ZEuP 2008, 32, 48 ff.

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lückenhaften europäischen Rechtsstoff allgemeine Prinzipien herauszudestillieren, zum anderen und vor allem darin, solche Prinzipien in einer Weise zu konkretisieren, dass sie zur fallbezogenen Rechtsanwendung taugen. Während ersteres gelingen mag,222 wird letzteres wegen der hohen Abstraktheit der Grundsätze bezweifelt.223 In jedem Fall bedarf es einer Instanz, die über die nötige Autorität und Legitimität sowie das erforderliche Anschauungsmaterial (Fälle!) verfügt, um die gebotene Konkretisierungsarbeit leisten zu können. Der Bezug auf allgemeine Grundsätze des europäischen Gesellschaftsrechts ist damit nicht die letzte Antwort, sondern leitet unmittelbar über zum letzten Punkt dieses Kapitels.

V. Die EU als guter Regelsetzer? Ob die EU ein guter Regelsetzer ist, wurde bei der Diskussion der Innovationsfunktion, aber auch bei den spezifischen Regulierungsfragen wiederholt angesprochen. Dabei wurde sichtbar, dass das institutionelle, auf Kompromiss angewiesene Gefüge der EU darauf angelegt ist, Rechtsformen hervorzubringen, die ebenso originell wie unvollkommen sind. Weil Änderungen dieses Gefüges hier nicht zur Diskussion stehen, lautet die abschließende Frage, was innerhalb des institutionellen Rahmens getan werden kann, um die Normsetzung speziell im europäischen Gesellschaftsrecht zu optimieren. Sie führt über den engeren Themenkreis hinaus und kann hier nur skizziert werden. An erster Stelle steht ein umfassendes, öffentliches Konsultationsverfahren. Wenn man die Befürchtung hegt, dass der supranationale Regelsetzer zu weit von den Interessen der Regelbetroffenen entfernt agiert, und dass der vertikale Wettbewerb möglicherweise nur ungenügend in der Lage ist, dies spontan zu korrigieren,224 sollten die Interessen aller Regelbetroffenen in größtmöglichem Umfang bereits im Vorfeld sondiert werden. Im Unterschied zum deutschen Gesetzgebungsverfahren, das die Einbeziehung der Öffentlichkeit erst nach Fertigstellung eines Gesetzesentwurfs vorsieht und sie auch dann noch in das Belieben des federführenden Ministeriums stellt (vgl. § 48 GGO),225 ist das europäische Normsetzungsverfahren hier deutlich fortschrittlicher.226 So konnte sich der von der Kommission vorgestellte Vorschlag einer SPE-

222 Näher Schön, FS Hopt, S. 1343; ders., RabelsZ 64 (2000), 1 ff; speziell zur SPE Bücker, ZHR 173 (2009), 281, 287, 308. 223 Näher Bachmann, ZEuP 2008, 32, 49 f, 53 ff; ders., ZGR 2001, 351, 373 ff; Casper, FS Ulmer, 2003; tendenziell optimistischer die in Fn. 222 Genannten. 224 Zu diesem Problem oben, § 7 B.II.3.b). 225 Berechtigte Kritik daran bei OECD, Bessere Rechtsetzung in Europa: Deutschland, 2010, S. 73 ff; s. auch schon Bachmann, ZGR 2001, 351, 368 f; Schäffer, Theorie der Rechtssetzung, 1988, 145, 158 ff. 226 Vgl. Art. 2 des Protokolls über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit, wonach die Kommission umfangreiche Anhörungen durchführt, bevor sie einen Gesetzgebungsakt vorschlägt. S. allgemein auch Art. 11 EUV (Politische Willensbildung).

C. Spezifische Probleme Europäischer Gesellschaftsrechtsformen

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Verordnung nicht nur auf gründliche Vorarbeiten und Anregungen aus Wissenschaft und Praxis stützen, sondern auch auf Umfragen unter betroffenen Unternehmen sowie auf ein umfassendes Konsultationsverfahren, das durch eine Machbarkeitsstudie und eine Folgenabschätzung noch ergänzt wurde.227 Ein häufig im Kontext europäischer Normsetzung angesprochenes Problem ist die sog. Versteinerungsgefahr – wegen der Schwerfälligkeit des europäischen Normgebungsverfahrens kommt man von einmal eingeführten Vorgaben trotz besserer Einsicht später nicht mehr herunter.228 Begegnen ließe sich dem mit dem sowohl im nationalen als auch im europäischen Recht zunehmend eingesetzten Instrument der Verfallsklausel („sunset clause“) oder mit den auch in der SE-VO implementierten Evaluierungspflichten (vgl. Art. 69 SE-VO). Beide sind für supranationale Gesellschaftsformen indes nur eingeschränkt geeignet, weil deren Wahl eine gewisse Verlässlichkeit bedingt und mühsam gepackte Kompromisspakete erfahrungsgemäß nur ungerne wieder aufgeschnürt werden.229 Allerdings stellt sich der Versteinerungseffekt bei optionalen Regelwerken weniger dramatisch dar als bei Harmonisierungsakten, weil der Normunterworfene zur Not auf andere, reformempfänglichere Rechtsinstrumente (Rechtsordnungen) ausweichen kann.230 In Kanada scheint im Übrigen gerade die Reformresistenz des föderalen Musters zu dessen Attraktivität beigetragen zu haben.231 Angesichts der bisweilen zu hörenden Klagen über Dauerreformen des deutschen Gesellschaftsrechts („Aktienrechtsreform in Permanenz“) ist das gar nicht einmal überraschend. Zum Problem gerät die Versteinerungsgefahr, wenn ein – im Nachhinein als korrekturbedürftig erkanntes, aber mangels Konsenses nicht korrekturfähiges – geschlossenes supranationales Kapitalgesellschaftsstatut zum Austrocknen nationaler Alternativformen führt. Ein solches Austrocknen ist angesichts der politisch gebremsten Attraktivität der supranationalen Rechtsform in Europa derzeit nicht zu befürchten. Sollten sich die Rahmenbedingungen ändern, wäre dieser Aspekt im Auge zu behalten. Sucht man nach Wegen zur Flexibilisierung der europäischen Regulierungsinstrumente, gerät das Komitologieverfahren in den Blick („Lamfalussy“), das u.a. im Technik- und im Kapitalmarktrecht extensiv zum Einsatz gelangt. Es hat enorme Ausmaße erreicht, steht unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten aber nicht zu Unrecht in der Kritik.232 Angesichts seiner Flexibilität könnte es sich zur Anwendung auch im 227 Dokumentiert unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/epc/index_en.htm. 228 Vgl. statt aller Schön, ZHR 160 (1996), 221, 236 m.w.N. 229 Sehr zurückhaltend daher auch die Einschätzung der Kommission im SE-Evaluationsbericht, s.o. Fn. 16. 230 Für den verstärkten Einsatz von Optionsmodellen aus diesem Grund Hertig/McCahery, ECGI Working Paper 78/2007 (ssrn.com/abstract=958247) = 3 Eur. Co. & Fin. L. Rev. 341 (2006). 231 So die Einschätzung von Cumming/McIntosh, 20 Int’l Rev. L. & Econ., 141, 144 ff (2000). 232 Vgl. nur Haltern, aaO (Fn. 133), Rdn. 282 f; weniger kritisch Schmolke, NZG 2005, 912; ders., EuR 2006, 432; s. ferner Möllers, ZEuP 2008, 480; Kasten, ZBB 2008, 238; Sethe, Anlegerschutz im Recht der Vermögensverwaltung, 2006, S. 450 ff. Zu jüngsten Reformen s. Bremer, NZG 2011, 341.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

europäischen Gesellschaftsrecht empfehlen. Dieses ist seiner Natur nach aber weniger für bürokratisch-schemenhafte Normung geeignet als die vorgenannten Rechtsgebiete. Auch aus diesem Grund müsste vor seiner Übernahme über ernsthafte Modifikationen nachgedacht werden. Das Komitologieverfahren ist indes nicht der einzige Weg zu einem anpassungsfähigen europäischen Gesellschaftsrecht. Neben der – politisch vorerst illusorischen – Ausweitung des Mehrheitsprinzips im EU-Vertrag ist vor allem an die Aktivierung privaten Sachverstands zu denken. So kann die Konkretisierung unbestimmter Standards und Prinzipien nicht nur von Gerichts wegen, sondern auch „von unten“ ins Werk gesetzt werden. Erforderlich dafür ist neben einer gemeinsamen Sprache (die mit dem Englischen zur Verfügung steht) eine Diskursplattform, die in mehr oder weniger institutionalisierter Form Lösungsvorschläge für konkrete, vorläufig der nationalen Spruchpraxis zu entnehmende Fallgestaltungen liefert.233 Herauskommen könnten konkurrierende, private wie halbamtliche Regelsets nach dem Vorbild des Draft Common Frame of Reference (DCFR) oder diverser nationaler oder selbstregulativer Kodizes, die dem jeweils zur Entscheidung berufenen nationalen Gericht als persuasive authority Entscheidungshilfen lieferten. Das Ergebnis wäre ein mittlerer Weg zwischen der „voll“ nationalisierten und der „rein“ europäischen Rechtsform. In diesem Zusammenhang ist schließlich die Judikative anzusprechen. Da ungeachtet der gewählten Lückenschlusstechnik die höchstrichterliche Normkonkretisierung unverzichtbar bleibt, stellt sich die Frage, ob diese zentral oder dezentral zu organisieren ist. Für die zentralisierte Lösung auf EU-Ebene sprechen die Rechtseinheitlichkeit sowie der Umstand, dass nationale Instanzgerichte mit der rechtsvergleichenden Materialschöpfung überfordert sind. Weil der EuGH aber als Letztinstanz schwerfällig und wenig spezialisiert ist, kommt auch eine dezentrale Lösung in Betracht.234 Will man die Vorzüge zentraler Entscheidung erhalten, ist über eine Reform des europäischen Gerichtssystems – etwa durch Einrichtung handelsrechtlicher Spezialsenate – nachzudenken.235 Ob Derartiges politisch realisierbar ist, ist ungewiss. Der Versuch, eine europäische Patentgerichtsbarkeit zu etablieren, ist jedenfalls vorerst gescheitert.236 Der Zugang zu Schiedsgerichten sollte der europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft und den an ihr Beteiligten in weitem Umfang ermöglicht werden.237 Jedenfalls beim lückenschließenden Verweis auf allgemeine Grundsätze des europäischen Rechts wäre zudem die allgemein und in übersetzter oder verbreiteter (englischer) Sprache zugängliche Publikation der Judikate zu verlangen.238 Jedenfalls 233 Ansatzpunkte dafür liefert die Gründung des European Law Instituts (ELI), http:// www.europeanlawinstitute.eu. 234 Vgl. dazu auch Dammann, Materielles Recht und Beweisrecht im System der Grundfreiheiten, 2007 (für dezentrale Konkretisierung der Grundfreiheiten). 235 Dafür etwa Eidenmüller, FS Heldrich, S. 581, 592; Bachmann, ZEuP 2008, 32, 56 f; eingehend Völter, Der Lückenschluss im Statut der Europäischen Privatgesellschaft, 2000, 268 ff m.w.N. 236 Vgl. EuGH-Gutachten 1/09 vom 8. März 2011, dazu Gaster, EuZW 2011, 394. 237 So auch Art. 42a SE-VO-Entwurf des Europäischen Parlaments. 238 So im Ansatz Art. 45 Abs. 3 SE-VO-Entwurf des Europäischen Parlaments (Liste der Gerichtsurteile).

D. Ergebnisse

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bei Schiedsverfahren sollte dies anonymisiert erfolgen. Schrecken die Beteiligten selbst davor zurück, müsste die Schiedsfähigkeit eingeschränkt oder der Verweis auf allgemeine europäische Rechtsgrundsätze aufgegeben werden. Beides trüge nicht zur Attraktivität einer europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft bei.

D. Ergebnisse 1. Eine europäische geschlossene Kapitalgesellschaft (EGK) erfüllt drei zentrale Funktionen: Sie kann (1) als Vehikel für Sitzverlegung und grenzüberschreitende Verschmelzung, (2) als uniformer Konzernbaustein und (3) zur Erweiterung des europäischen Rechtsformangebots eingesetzt werden. Obwohl sich diese Leistungen z.T. auch mit nationalen Rechtsformen erbringen lassen, weist die supranationale Rechtsform diesen gegenüber komparative Vorteile auf, die ihre Schaffung nach wie vor wünschenswert machen. Modellgesetze und harmonisierte Gründungsmuster stellen demgegenüber nur zweitbeste Lösungen dar. 2. Kompetenzrechtliche Bedenken gegen die Einführung einer EGK bestehen nicht. Allerdings setzt ihre Schaffung Einstimmigkeit im Rat der EU und damit die Zustimmung aller Mitgliedstaaten voraus. 3. Um ihre Funktionen optimal erfüllen zu können, sollte die EGK über ein autarkes Statut verfügen, d.h. möglichst ohne Rückgriff auf Regelungen des nationalen Rechts auskommen. 4. Reputationsverluste (etwa durch starke Insolvenzanfälligkeit) treffen die EGK stärker als nationale Rechtsformen. Um den Wert der „europäischen Marke“ zu erhalten, kann daher zumindest in der Anlaufphase ein strikteres Gläubigerschutzregime angezeigt sein, als es an sich vonnöten ist. 5. Die EGK wird in vielen Fällen eine Einmanngesellschaft sein. Dies reduziert den Regulierungsbedarf und gestattet den großzügigen Einsatz dispositiven Rechts. Gegebenenfalls ist für Einmanngesellschaften ein Sonderstatut zu schaffen. 6. Als europäisches Zusatzangebot tritt die EGK in Konkurrenz zu den vorhandenen nationalen Rechtsformen. Aus ökonomischer Sicht ist dies ambivalent: Einerseits lässt die Distanz der europäischen Gesetzgebungsorgane zu lokalen Lobbys und zu Pfadabhängigkeiten eine effiziente Rechtsform erhoffen, andererseits kann nicht ausgeschlossen werden, dass die europäische Rechtsform die nationalen Konkurrenten verdrängt, obwohl sie diesen gegenüber langfristig defizitär ist. Insofern erscheint ein „gedämpfter“ Wettbewerb einstweilen vorzugswürdig. Unbegrenzter Vertikalwettbewerb macht Änderungen im institutionellen Gefüge der EU erforderlich, die derzeit nicht in Sicht sind. 7. Künstliche Zugangshürden sind problematisch, weil sie das Entstehen einer „kritischen Masse“ blockieren. Sie dürfen, wenn überhaupt, nur moderat eingesetzt werden. Wenig geeignet erscheinen Gründungs- und Zweckbeschränkungen. Grenzüberschreitende Erfordernisse sind leicht zu umgehen. Ein komparativ strikterer Insolvenzschutz sollte genügen, um die EGK nicht „überattraktiv“ zu machen.

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§ 7 Regulatorische Besonderheiten einer Europäischen geschlossenen Kapitalgesellschaft

8. Aufgrund der erforderlichen Einigung aller Mitgliedstaaten ist ein EGK-Statut auf Kompromisse angewiesen. Unter den verschiedenen Kompromisstechniken erscheint uns insbesondere der Einsatz von Optionsmodellen empfehlenswert. 9. Ein zentrales Problem supranationaler Rechtsformen ist der Lückenschluss. Hier stehen verschiedene Techniken bereit, bei denen vor allem der Verweis auf nationales Recht und die Heranziehung allgemeiner europäischer Rechtsprinzipien miteinander konkurrieren. Unter dem Gesichtspunkt der erstrebenswerten Autarkie (These 3) ist letzteres vorzugswürdig. 10. Um eine gute Normsetzung, Normfortbildung und vor allem Normkonkretisierung (These 9) im Bereich der EGK zu garantieren, sind die dazu vorhandenen Einrichtungen zu optimieren. Hilfreich sind namentlich institutionalisierte Diskursplattformen (European Law Institute), der Ausbau der europäischen Gerichtsbarkeit (Spezialsenat) und die erleichterte Zugänglichkeit nationaler Judikate (Datenbanken, Übersetzung).

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abus d’égalité s. Gesellschafterbeschlüsse abus de majorité s. Mehrheitsgesellschafter abus de minorité s. Minderheitsgesellschafter action en nullité s. Gesellschafterbeschlüsse actio pro socio s. Schadensersatzklage adjusting creditors 118 Adverse Selektion 155 Anfechtung von Beschlüssen 57 f, 66 anticontractarians 45 – s.a. contractarians Arbeitnehmer 10 f, 78 ff, 91, 118 f, 144, 191 ff, 203 Arbeitsteilung 75 ff, 91, 95, 105, 143 Aufsichtsrat 7, 17 ff, 96, 101, 114 Ausschüttungssperren 79, 91, 111, 147, 155 Auszahlungen 129, 146 ff – s.a. Dividenden Belehrung 42, 167, 177 ff Berechtigte Erwartungen 50 ff Besitzeffekte 17, 21 Bilanztest 148 ff Binnenkonflikte s. Konflikte unter Gesellschaftern Binnenmarkt 188, 203, 214 ff Bonitätssignal 157 business judgment rule 31, 54 f, 88, 128 ff, 144 f – s.a. Geschäftsleiterermessen cake cutting rule 70 close company 115, 130 f close corporation 2, 29, 39, 60 f Companies House 168 company limited by shares 112 f, 174 contractarians 44 – s.a. anticontractarians corporate social responsibility 78 covenants 148, 157 f deadlock 26, 68 ff debt dilution 127 de facto director s. Faktische Geschäftsleiter decision rights s. Mitwirkungsrechte default rules 16 f, 28, 35, 39 – s.a. Dispositve Regeln Delaware 40, 126 ff, 159, 201 ff, 217 Delegation 77 ff, 168

Deliktsrecht 79, 94 f, 106 ff, 118 ff, 153, 202, 223 devoir de diligence 54 – s.a. Sorgfaltspflichten devoir de loyauté 54 – s.a. Treuepflichten dirigeant de fait 143 – s.a. Faktische Geschäftsleiter Dispositive Regeln 14 ff, 19, 21 ff, 35, 42, 67, 82 ff, 98, 118, 122, 164, 180 f, 196, 223, 225, 229 Dividenden 32 ff, 60, 123, 128 f, 146 ff, 161 Donahue doctrine 34 Draft Common Frame of Reference 228 drag-along-Klauseln 180 Drittschutz 9 ff, 78 ff, 90 ff, 192, 202 duty of care 54, 73, 86, 99, 128 ff, 145, 151 – s.a. Sorgfaltspflichten duty of loyalty 46, 48, 54, 73, 86, 99, 104, 130 – s.a. Treuepflichten Effizienz 5, 61, 70, 92, 122, 136 ff, 163, 172 ff, 207, 213 f, 225, 229 Einpersonengesellschafts-Richtlinie 113 ff Ein-Personen-Unternehmen 6, 196, 218 – Einmann-Muster-GmbH 211 Elektronisches Register 178 f enabling rules 16, 116 – s.a. Ermöglichende Regeln endowment effects s. Besitzeffekte Entmaterialisierung 179 Ermöglichende Regeln 16 f, 19, 23 Europäische Aktiengesellschaft s. Societas Europæa Europäische Marke 184, 212 f, 229 Europäische Privatgesellschaft s. Societas Privata Europæa Europäisches Image 186, 193 – s.a. Europäische Marke Europäische Union 183, 208 f – Innovationsfunktion 226 Existenzvernichtungshaftung 151 expert de gestion 62 Fairness 12 f, 35, 48 ff Faktische Geschäftsleiter 105 ff, 143 faute détachable 95 fiduciary duties 8, 44 ff, 73

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gambling for resurrection 133 Generalklausel 47 f, 73 f, 79, 102 ff gérant de fait 106 – s.a. Faktische Geschäftsleiter Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik 31 ff, 55, 73 Geschäftsleiter 7, 75 ff – Abberufung 69, 72, 80, 89, 92, 96 ff, 110 f – als Verwalter fremder Vermögensinteressen 88 – Bestellung 56, 76, 96 ff – Funktionen 76 ff – Gehalt 5, 8, 25, 32 f, 56 – Gewinnauskehr 104 f, 108 – Legalitätspflicht 95, 109 – Loyalitätspflicht s. Treuepflichten – Mittler- und Ausgleichsfunktion 78, 81 – Pflichten 54, 78 ff, 87 ff, 144 – Pflichtenkollision 139 – Pflichtenübertragung 79, 90 – s.a. Faktische Geschäftsleiter – s.a. Geschäftsleiterermessen – s.a. Mehrheitsgesellschafter – Sanktionen 79 ff, 104 ff, 140 ff – s.a. Sorgfaltspflichten – s.a. Treuepflichten – Unabhängigkeit 10, 81, 144 – Vergütung 32 f, 56, 88, 98 ff – Verhältnis zu Gesellschaftern 7 – Verhaltenssteuerung 80, 98 – Vertretungsmacht 83, 117, 172 – Zwingendes Handlungsorgan 76 f, 82 ff, 110 Geschäftsleiterermessen 31, 54, 85, 87 ff, 111, 128, 153 Geschlossene Kapitalgesellschaft 4 ff, 22 f – Anteile 4 ff, 22 f, 25 ff, 54, 69 ff, 89, 123, 134, 146, 158, 173 ff – Anteilserwerb vom Nichtberechtigten 176 f – Anteilsübertragung 13, 164, 173 ff – Elektronische Gründung 165, 169 – Errichtung 3, 164 ff, 181 – Geschäftsleitung s. Geschäftsleiter – Gläubigerschutz 9 f, 27, 92, 112 ff, 151 ff, 164, 193 ff, 219, 229 – Gründungsgeschwindigkeit 163, 186 – Haftsumme 157, 159 – Handelbarkeit der Geschäftsanteile 23, 30, 175 – Merkmale 4, 22 – Operative Führung 171 ff – Pflichteinlage 159

– Rechtsfähigkeit 4, 112, 189 – Regelungsziele 11 ff, 23, 40, 121 ff, 165 ff, 175 ff – Restrukturierung 139 f – Risikoprofil 124 f, 133 f – s.a. Solvenz – Satzung 14 ff, 23 f, 28 f, 37 ff, 60 ff, 73 f, 82 ff, 96 ff, 108 ff, 150 ff, 181 f, 196, 221 – Übertragungsbeschränkungen 4, 22, 180 f – Zugangsbeschränkungen 217 ff Gesellschaft bürgerlichen Rechts mit beschränkter Haftung 117 Gesellschafter – als Geschäftsleiter 107 – Gesellschafterbürgschaften 118, 122 – Gesellschafterversammlung 31 ff, 37, 44, 55 ff, 76 ff, 85 f, 96 ff, 111, 114, 171 – Gesellschafterwechsel 6, 163, 181 f – Information 98 – Kontrollrechte 31, 65, 80, 96 ff – Kündigung 8, 31, 34, 55 – Mitgliedschaftliche Treuepflicht 44 ff, 65 f, 73 f – s.a. Mehrheitsgesellschafter – s.a. Minderheitsgesellschafter – Verhältnis unter den Gesellschaftern 7 – Verhältnis zu Dritten 9 ff – Verhältnis zwischen Geschäftsleitern und Gesellschaftern 3, 7 – Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung 84 f, 88 f, 96 ff, 107, 110, 130 f, 144 f, 195 – Wertmesser für Gesellschaftsbeteiligung 30, 73 – Zustimmungsvorbehalte 84 f, 127 Gesellschafterbeschlüsse 25, 28, 44, 58, 64 f, 73, 86, 101, 140 – abus d’égalité 68 – action en nullité 57 – Beschlussmängelklage 57 f, 73 – Einstimmigkeitsprinzip 38 f, 64, 68 f – Kapitalmehrheit 25, 38 – Majoritäts- oder Mehrheitsprinzip 28 ff, 37, 43 f, 73 – Pattsituationen 9, 26, 68 ff, 73 f – Satzungsautonomie 28 f, 44, 97 – Selbstblockade 68 ff – Stichentscheid 69 f Gesellschafterdarlehen 160 ff Gesellschaftsvermögen 10, 58, 80, 89, 97 ff, 107 f, 118 ff, 146 ff, 158 Gesellschaftsvertrag – als unvollständiger Vertrag 49

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– Zwingende Schutzstandards 42 ff Gewinnausschüttungen 8, 79, 85 – s.a. Ausschüttungssperren Gewinnthesaurierung 33 Gleichbehandlung – gesellschaftsrechtliche 21, 34 f, 89 f, 111 – verbandsrechtliche 55 f going-concern-Werte 138 Gründungstheorie 117 Grundlagenentscheidungen 82 Haftung – der Geschäftsleiter 87 f, 95, 104 ff, 130 ff, 152 ff – der Gesellschaft 152 f – der Gesellschafter 9, 15, 95, 132, 143 ff – der Mehrheitsgesellschafter 90 – Durchgriff 10, 95, 112 ff, 153 – Enthaftung 120, 130 – Haftungsbeschränkung 5, 79, 91, 95, 108 f, 112 ff, 143, 152, 198 hindsight bias 142 homo oeconomicus 14 f, 24 Hypothetischer Vertrag 15 ff, 23 f Implizite Vereinbarungen 34, 50 ff informal arrangement 52 Informationsasymmetrie 141, 159, 164 Insolvenz 10, 79 f, 91 ff, 111, 121 ff, 222 f – Antragspflicht 111, 117, 140 ff, 154, 160 – Antragsrecht 139 f, 145, 161 – Eigenverwaltung 142 – Fortführungsprognose 142 – Fremdverwaltung 142 – Insolvenzverschleppung 145, 161 Institutionenschutz 193 Interessenkonflikte 6 ff, 23, 56 f, 73, 80, 111, 144 – Offenlegung 101 – s.a. Konflikte – Vermeidung 86, 99 ff – zwischen Kapitalgebern und Unternehmensführern 75 Interessenunterschiede s. Konflikte Investoren 30, 114, 149, 153 joint venture 23, 69, 81, 115, 184 judicial self-restraint s. Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik jugement valant acte 65

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Kapital – Eigenkapital 9, 34, 92, 96, 122 ff, 146, 157 ff – Fremdkapital 122 ff, 158 ff – Kapitalaufbringung und -erhaltung 117, 123, 147, 155, 161, 221 – Mindestkapital 115 f, 155 ff, 161, 199, 202, 212, 219 ff – Rekapitalisierung 135 ff, 155 – statutarisches 157 ff – Unterkapitalisierung 156 Kleine/mittlere Unternehmen 6 Klumpenrisiko 133 KMU s. Kleine/mittlere Unternehmen Kollektivhandlungsprobleme 36, 43, 141, 147, 202 Kompetenzverteilung 83 ff Konflikte 6 ff, 23 – Geschäftsleiterhaftung 10 – Konfliktvermeidungsnormen 99 ff – Kontrollmechanismen 54, 56, 86 ff – Kosten 6 f, 13, 163 – Mediation 53, 63, 74 – s.a. Konflikte unter Gesellschaftern – s.a. Prozesskosten – s.a. relational governance – s.a. Selbstschutz – Schiedsverfahren 62 f, 69, 228 f – Stimmrechtsausschluss 56 – über Gewinnausschüttungen 8 – Verhaltensstandards 47 ff – Zwangsauflösung 71, 189 – zwischen Gesellschaftern und Dritten 9 f, 78 – zwischen Gesellschaftern und Geschäftsleitern 7 – zwischen Gläubigern und der Gesellschaft 126 Konflikte unter Gesellschaftern 7 f, 23, 25 ff, 63, 73 – Pattsituationen 9 Krise 19, 92 ff, 111, 123, 131 ff, 151 ff, 161 Legitimationsdefizite 207 limited liability company 3, 5, 39, 47, 126 – Mitwirkungsrechte 39 – Statutes 47 limited liability corporation 113 limited liability partnership 113 Lückenschluss 212, 223 ff

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mandatory rules 16 – s.a. Zwingende Regeln Mehrheitsgesellschafter 8, 11, 23, 25 ff, 47 ff, 64 ff, 73 f, 81, 90 – abus de majorité 47 f, 50, 57, 73 – Benachteiligungsstrategien 31 – Machtverzicht 85 – Opportunistisches Verhalten 8, 25, 73, 122 – Verhaltenspflichten 47, 89 f Mehrstaatlichkeitserfordernis 186, 199, 217 f Mehrwert einer supranationalen europäischen Rechtsform 184 f, 215 f Minderheitenschutz 9, 11, 18, 29 ff, 39 ff, 85 ff, 110, 173 – Abfindungsrecht 39, 44 – Ausstiegsmöglichkeit 30 – Austrittsrechte 40, 48, 60 f, 73 – durch Gesellschafterversammlung 86 – Kontrollrechte 31, 61, 65 – Sperrminorität 9, 25 – Verzicht 44 Minderheitsgesellschafter 25 ff – abus de minorité 64 ff, 74 – Ausschluss 66 ff – Bewertung von Minderheitsbeteiligung 31 – Eingeschränkte Veräußerbarkeit 31 – Einsperreffekt 30 – exit 30 f, 173 – Gefährdungsfaktoren 28 – Lock-in 30 – Opportunistisches Verhalten 64 ff – s.a. Berechtigte Erwartungen – s.a. Gerichtskontrolle der Geschäftspolitik – s.a. Selbstschutz – s.a. tyrannie des faibles – Stimmrecht 30 – Vetorechte 8 f, 23, 26, 37, 64 – voice 30, 173 Mitbestimmung 186 ff, 220 ff Mitwirkungsrechte 38 ff Mobilität 188 ff moral hazard 151 Multipler Regelgeber 183 ff Nachrang 158 ff Netzwerkeffekte 207, 217 Niederlassungsfreiheit 185 ff, 216 Nixon doctrine 34 non-adjusting creditors 118 f Notare 36, 42, 165 ff, 182, 198 numerus clausus der Gesellschaftsformen 116 f, 199, 218

Opportunitätskosten 197 Organisationsverfassung 76, 82 par conditio creditorum 136 partnership 5 Pfadabhängigkeiten 206 ff, 229 preemption rights 35 Prinzipien s. Regeln Privatautonomie der Gesellschafter 52, 84, 97, 103, 112 ff, 156 f private ordering 43 Produkt SPE 3 – s.a. Rechtswettbewerb Prozesskosten 52 ff – s.a. Konflikte pseudo-foreign company 203 Publizität 116 f, 131, 151 ff, 177, 182 – s.a. Registerführung Put-Optionen 180 Rationalitätsgrenzen 14, 18, 24, 73, 164 – s.a. Rechtswettbewerb recharacterization s. Umqualifizierung Rechtsformalternative 2, 199, 201 Rechtsformwechsel 189 ff Rechtsharmonisierung 187 ff, 220 ff Rechtswettbewerb 3, 12, 156, 163, 172, 181 ff, 200 ff, 229 – als Entdeckungsverfahren 206 – Horizontaler Wettbewerbsdruck 212 – Marktversagen 202 – race to the bottom 202, 204 Regeln 16 ff – Mischformen 19 – Mustersatzung 22, 24, 36, 224 f – opt in 16 f, 225 – opt out 16 f, 45, 225 – s.a. Dispositive Regeln 14 ff, 19, 21 ff, 35, 42, 67, 82 ff, 98, 118, 122, 164, 180 f, 196, 223, 225, 229 – s.a. Ermöglichende Regeln – s.a. Zwingende Regeln – vs. Prinzipien 19 ff, 24 – vs. Standards 20 f, 24 Regelsetzung – Komitologieverfahren 227 f – Konsultationsverfahren 186, 226 f – Versteinerungsgefahr 209, 227 Regelungsaufträge 21 ff, 36, 224 f Regelungstechnik 19, 21, 57, 220 Regelutilitarismus 12 – s.a. Rechtswettbewerb Registerführung 167 f

Register

Registerlösung 174 f, 182 Registersperre 178 Registrierungsgebühren 171 f related parties transaction 32 relational governance 26 Re-Nationalisierung der Rechtsform 225 Reputation 187, 192, 217 ff, 229 Rückerwerb von Geschäftsanteilen 34 Schadensersatzansprüche 65, 79, 87 ff, 104 ff, 120, 129, 143 ff, 153 Schadensersatzklage 58 f, 73 SE s. Societas Europæa Selbstschutz 8, 35 ff, 50 ff, 73 – der Gesellschafterminderheit 36 – im Gesellschaftsvertrag 37 – s.a. Minderheitenschutz – s.a. Stimmbindungsvertrag – unverzichtbarer 44 shadow director 106 f, 143 shareholder agreement s. Stimmbindungsvertrag shareholder primacy s. Vorrang der Aktionärsinteressen shareholder value-Ansatz 134 Shoot-Out-Klauseln 70 Sicherungsanspruch 127 Sitzverlegung 184 ff, 229 Societas Europæa 2, 185 ff, 209 ff Societas Privata Europæa 2 f, 21, 187 ff, 222 ff – Junktim von Satzungs- und Verwaltungssitz 222 – Kompromisszwang 219, 223 – Mitwirkungsrechte 38 f – Regelungskompetenz der EU 214 ff – Verordnungsentwurf der Europäischen Kommission 2, 21, 29, 38 ff, 57 ff, 96, 168, 174, 197 ff – Verweisungsmodell 221 Software Filing 170 Solvenz 91 ff, 122, 124, 138, 147 ff Solvenztest 148, 155, 159, 219 Sondervermögen 113, 118 f Sorgfaltspflichten 73, 79, 86 ff, 99 ff, 108 f, 111, 128 f, 131 SPE s. Societas Privata Europæa Squeeze-out 32, 67 f Standards s. Regeln Standardvertrag 118, 136, 150 Steuerrecht 166, 185, 195

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Stimmbindungsvertrag 38 Stimmrecht 30, 158 – Ausschluss 44, 56 – Ausübung 38, 57, 171 – der Minderheitsgesellschafter 30 – Missbrauch 47, 57, 65 f subordination s. Nachrang Subsidiaritätsprinzip 194, 206, 215 ff sweetheart deals 32 tag-along-Klauseln 180 Transaktionskosten 13 ff, 17, 21, 42, 86, 125 f, 163, 166, 172, 175, 184 Transaktionssteuern 179 Treuepflichten 8 f, 19, 21, 40, 44 ff, 54 ff, 59, 64 ff, 73 f, 86, 90, 99 ff, 103 f, 109 110 f, 130, 151 tyrannie des faibles 25, 73 – s.a. Minderheitsgesellschafter Überschuldung 136 ff, 147, 154, 161 Umqualifizierung 160 Unfaire Benachteiligung 48 ff Uniformität 193 ff unlimited company 113 Unternehmensgegenstand 124 ff, 150, 161, 166, 172 Unternehmenszweck 124 ff, 150 veil piercing 116 Vermögensverlagerung 128, 146 ff Veruntreuung 99 Vinkulierung 29, 173 ff, 182 Vorkaufsrechte 29 Vorrang der Aktionärsinteressen 78 Vorzugsrechte 148 Wall Street Rule 30 WebFiling 170 Wertmaximierung des Unternehmens 132 Wertungsprinzipien des Gesellschaftsrechts 11, 40 Wettbewerbsverbot 102 Wirtschaftliche Notlage 153 ff Wohlfahrtssteigerung 12 ff, 201 wrongful trading 138, 141 Zahlungsunfähigkeit 136 ff, 161 Zustimmungsrecht 37 Zweipersonen-Gesellschaft 68 ff Zwingende Regeln 16 ff, 21