Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft [1 ed.] 9783428503735, 9783428103737

Im letzten Jahrzehnt hat die Kommission der Europäischen Gemeinschaften die Kontrolle staatlicher Beihilfen erheblich au

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German Pages 226 Year 2001

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Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft [1 ed.]
 9783428503735, 9783428103737

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JOSEF BONKAMP

Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft

Schriften zum Europäischen Recht Herausgegeben von

Siegfried Magiera und Detlef Merten

Band 71

Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft

Von Josef Bonkamp

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme

Bonkamp, Josef: Die Bedeutung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes für die Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Kapitalgesellschaft I von Josef Bonkamp.- Berlin: Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum europäischen Recht ; Bd. 71) Zug!.: München, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10373-4

D 19 Alle Rechte vorbehalten Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Selignow Verlagsservice, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Gerrnany

© 2001

ISSN 0937-6305 ISBN 3-428-10373-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Meinen lieben Eltern

Vorwort Bei der Anfertigung dieser Arbeit habe ich ein großes Maß an Unterstützung erfahren. Dank sagen möchte ich zuerst meinem Doktorvater, Professor Dr. Peter Badura, der für meine Fragen immer ein offenes Ohr hatte, sowie Professor Dr. Dr. Udo Di Fabio für die Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern, Professor Dr. Siegfried Magiera und Professor Dr. Dr. Detlef Merten, danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die "Schriften zum Europäischen Recht". Von ganzem Herzen bedanke ich mich auch bei meinen Eltern, die mir Studium und Promotion ermöglichten, sowie bei Judith Brandt für ihr Verständnis und für die Durchsicht des Manuskripts. Die Arbeit wurde gefördert durch ein Begabtenstipendium der Hanns-Seidel-Stiftung aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Josef Bonkamp

Inhaltsübersicht A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV . . . . . . . . . . . 33 D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV ...... . .... .. .................. .... ..... 111 E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV ................ . . . . . ................ . . . ...... 152

F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 G. Gesamtergebnis ..... .. ............ .. .... .. .. .. ...... .. ........... .. . .... ...... .. ...... 212 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Sachwortverzeichnis .. . ........... . ... . . . ....... . ........... . . . . . ... . .... . ....... . . . .. . . . . . 221

Inhaltsverzeichnis A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 I. Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1. Ziel des unverfälschten Wettbewerbs gemäß Art. 3 lit. g EGV . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Unterteilung der Wettbewerbsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Prinzip der negativen Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 II. Verhältnis zu anderen Vertragsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Steuerfragen und Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Grundfreiheiten und Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Allgemeine Wirtschaftspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 4. Querschnittsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Auswirkungen der Art. 86 I EGV und Art. 295 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Geltung des Beihilfeverbots für öffentliche Unternehmen........... . .. . ..... 27 2. Keine Einschränkung durch Art. 295 EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen privatem und öffentlichem Eigentum ... .. .. . .. .. .... .. . .. . . . . .. . .. .. . .. ... .. . ... .. .. .. .. . . . . .. . .. .. . . . . . .. . . . .. . 29 IV. Weitere Bestimmungen für die Gewährung von Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 1. Maßnahmen der Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2. Gemeinschaftsbeihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV . . . . . . . I. Beihilfebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Staatliche Kapitalbeteiligung als Sonderform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Beteiligung am Eigenkapital als Mittel der Unternehmensfinanzierung . b) Hohe Beihilferelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bestimmungen des nationalen Haushaltsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anlässe für Kapitalzufuhren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gründung von Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigentumsübertragung vom privaten auf den öffentlichen Sektor . . . cc) Bereitstellung von Kapital für öffentliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . dd) Kapitalerhöhung bei privaten Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Modalitäten der Kapitalzufuhr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Andere Finanzierungsformen im Rahmen einer bestehenden Kapitalbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleich mit dem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber . . . . . . . . . . . . a) Ausdruck des Prinzips der Gleichbehandlung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 33 34 34 35 36 37 38 39 40 41 41 42 42 43 43

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Inhaltsverzeichnis b) Entwicklung des Vergleichsmaßstabes . . . . . . . . . . . . .. .. . .. . .. .. . . . . . . . . . . . c) Probleme der Auslegung des Vergleichsmaßstabes . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weite Bandbreite von Beurteilungsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung der sozialen und regionalen Verantwortung des Eigentümers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Unterschiedliche Bewertung von Mehrheits- und Minderheitsbeteiligung ... .... .. . . . . . . . . ..... .. .. .......... . . . . . . .. .. .. . . . .. . . . . . . . .. . .. . ee) Relevante Vergleichsunternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Probleme der Anwendung des Vergleichsmaßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Substanzwert und Ertragswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Berechnung der Rentabilitätsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erfassung von Unternehmen mit begrenzten Gewinnaussichten . . . . dd) Zeithorizonte für die Rentabilitätserwartung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Quantifizierung des Beihilfeelements............... . . . ... .. . . . . . . ... ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Weitere Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Keine Parallele zum deutschen Kapitalersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Keine Erfassung von Belassungssachverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Maßgebliche Vergleichskriterien für die Bewertung von Einzelfällen . . . . . . . . a) Bewertung der gegenwärtigen Lage des Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Finanzlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Mittelzuführungen in der Vergangenheit. ........ . . . .. . .. . .. .. .. . . . . . cc) Bestehende Marktverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Produktions- und absatztechnische Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Begleitumstände der Kapitalbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prognose der zukünftigen Entwicklung. . . . . . . . . . ....... .. . . . ...... . ...... aa) Entwicklung der Marktverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Produktions- und absatztechnische Planungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Erfordernis eines Umstrukturierungsplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Vergleich der Umstrukturierungs- und Liquidationskosten . . . . . . (a) Bloßer Indizcharakter des Vergleichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Keine Berücksichtigung sozialer und regionaler Folgekosten sowie sämtlicher Verbindlichkeiten des Unternehmens . . . . . . (c) Keine Berücksichtigung einer gesetzlich bestimmten Verpflichtung zur Haftungsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Generelles Verbot der Geltendmachung durch die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beabsichtigte Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Strategische Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( 1) Synergieeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Imagepflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Neuorientierung der Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 45 45 46 48 49

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56 58 60 60 60 63 66 68 68 70 70 72 72 73 75 76 77 77 78 79 81 81 82 83 85 87 88 89 90 92

Inhaltsverzeichnis

II.

III. IV.

V. VI.

(4) Grenze der längerfristigen Rentabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Investitionen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen . . . . . . . . ee) Ergebnis .. .. . .. . .. ........ .. .. .. . ....... ...... ........ ....... .. ..... .. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Definition .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . . . . . . . .. . . a) Substantielle Einflußmöglichkeit des Staates auf die Beihilfeentscheidung .... .. ......... . . .. . .. ..... .. .. ... .. . .. . . . . . . . . ....... .. . . . ... . . . . . .. .. b) Belastung öffentlicher Mittel .. .. .. .. .. . . . . .. .. .. . .. . .. . .. . .. .. . .. .. .. . .. . 2. Beihilfengewährung durch staatliche Beteiligungsgesellschaften . . . . . . . . . . . . a) Gewährung durch öffentliche Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewährung durch Unternehmen mit staatlicher Minderheitsbeteiligung . Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige .... . .... . . .. . Verfalschung des Wettbewerbs .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. . .. . . .. .. . 1. Allgemeine Definition . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. . .. .. . . .. .. . 2. Notwendigkeit einer Marktanalyse .......... . ................ . ..... . .... . . ... 3. Spürbarkeilserfordernis . . . . . ............... .. . .. . . . . ... ... . . ..... . . . . ...... ... Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels . ....... . . ..... . . . . .. .. .. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

D. Ausnahmetatbestände des Art.87 II, 111 EGV ...... ........ .............. .. ....... I. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 II EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausnahme gemäß Art. 87 II lit. a EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausnahme gemäß Art. 87 II lit. b EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahme gemäß Art. 87 II lit. c EGV .. .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . a) Weitergeltung nach der deutschen Wiedervereinigung . . .. .. ..... . .. . . .. . b) Ausgleich nur unmittelbar teilungsbedingter Nachteile .......... . ....... c) Räumliche Nähe zur früheren Grenze ....... . . . . . .............. . . . . . . . ... II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gemeinsame Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe ........... . ... . ... a) Beitrag zur Zielverwirklichung .. ... ........ .... .. .. .... .... .. ........ .... b) Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse . . . ...... . .. . . . . . . ... . . . . . . .. 2. Die einzelnen Rechtfertigungsgründe .. . . .. . . . ......... . .... . ... .. ..... . . . . . . a) Ausnahme gemäß Art. 87 III lit. a EGV .. . .... .................. . .. .. . .. . aa) Bestimmung der förderwürdigen Gebiete . . ............ . ... . . . ...... bb) Erfordernis der regionalen Spezifität der staatlichen Kapitalzufuhr . (1) Förderwürdige Investitionen . . . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ablehnende Haltung der Kommission gegenüber Einzelbeihilfen außerhalb von Regionalförderprograrnmen . .. ... . . . ....... . . (3) Geeignetheil und Erforderlichkeil zur Förderung der regionalen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresses im Rahmen der Ermessensausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Ergebnis .. .. . .. . .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . . .. . .. . .. .. . .. . .. . . . .. . .. . . .. .. .. b) Ausnahme gemäß Art. 87 III lit. b EGV . . ..... .. ...... . ........... . .. .... aa) Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse .. .. .. . .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . .. . .. .. .

13 92 93 94 95 95 96 96 97 97 99 101 102 102 103 105 106 108 111 112 112 113 114 115 116 118 119 121 121 121 122 122 122 123 123 124 126 127 128 128 129

14

Inhaltsverzeichnis bb) Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis ........................ . ... .... . .......... .. ....... .. . . .. .... c) Ausnahme gemäß Art. 87 III lit. c EGV .. .. .. .. .. .. . . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . aa) Förderung gewisser Wirtschaftsgebiete .. . .................. . . . .... . . bb) Förderung gewisser Wirtschaftszweige . . ..................... . . . .... cc) Förderung von Unternehmen in Schwierigkeiten ............. . ...... (1) Wiederherstellung der Lebensfähigkeit ... .............. . ... .. . . . . (a) Erfordernis eines Umstrukturierungsplans ......... . ..... . . . . (b) Beabsichtigte Privatisierung .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grundsatz des Interventionsminimums . . .. .... . ... .. . .. . . . . . . . . . . (a) Vergleich mit anderen Sanierungsalternativen .......... .. .. .. (b) Prinzip der einmaligen Gewährung . . ............... . . . . . . . . . . (3) Vermeidung unzumutbarer Wettbewerbsverfälschungen . . . . . . . . . (a) Gegenleistung in Form einer Kapazitätsanpassung . . . . . . .. . . . (b) Andere Vorteile und Gegenleistungen . . ............ . ....... . . dd) Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen . . . .. . . .. . .. . . . . . ... . .. (1) Allgemeine Fördermöglichkeiten ...................... .... ....... (2) Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen in Schwierigkeiten ......... ... ..................... ... ...... .. ............. ... ..... ee) Ergebnis ...... . .... .. ................. .. .. .. ................... . ...... d) Ausnahme gemäß Art. 87 III lit.d EGV .. ........ .. .. ........ . .. ..... .... e) AusnahmegemäßArt.8711Ilit.eEGV ... .. .... .. .. . .............. .. ..... III. Zusammenfassung ............ . ...... . . . .... . . . .. . . . . . . . ........... . . ... . .. . . . .. .

E. Ausnahmetatbestand des Art.86 II EGV .... .... ..... ........... ..... .. .. . .. ... .... I. Bedeutung des Art. 86 II EGV für die Beihilfevorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine Funktionslosigkeit des Art. 86 II EGV . .. .... .. .............. . .... .. . .. 2. Anwendbarkeit auf die Beihilfevorschriften .. . . . . . .................... . . . . . .. 3. Keine Ausweitung des Anwendungsbereiches durch Art.16 EGV .... . . . . . . . II. Mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraute oder als Finanzmonopol ausgestaltete Unternehmen .. . . . . . ........................ . . . 1. Betraute Unternehmen .. ... . .. ................ ....... ............ .. .... . . ..... 2. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ...... . .... . . . . . a) Allgemeines Interesse . . . . . . .. ............... . . . . . ............... . .. . . . . . . . b) Wirtschaftliches Interesse . ... .............. .. ........................... .. 3. Finanzmonopole ...... . ... .. ..... ... .... .......... ... .... . . ......... . .. . . .. .. . III. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung der Aufgabenerfüllung ... . . . .. . .... 1. Allgemeine Definition . ... .... ........ . . . .......................... .... . . ..... 2. Strikte Beschränkung der Kapitalzufuhr auf die durch die Sonderaufgabe verursachten Mehrkosten . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . 3. Keine Überprüfung der Art und Weise der Aufgabenerfüllung .... . .. . .. ... . . 4. Kein Vorrang anderer Befreiungsmöglichkeiten ........ . ........... . .... . . .. . IV. Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse ............ . . . ........... . . . .. .. .. . 1. Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausmaß der Beeinträchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Zusammenfassung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

130 132 132 132 133 135 137 138 139 140 141 142 143 143 144 146 146 147 148 148 149 150 152 153 153 154 156 157 158 159 159 160 161 162 162 163 165 167 168 169 171 174

Inhaltsverzeichnis F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Informationspflichten nach der Transparenzrichtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Art. 86 111 EGV als taugliche Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betroffene öffentliche Verwaltungseinheiten und Unternehmen ..... . ... . ... 3. Erfaßte finanzielle Transaktionen ............ . . . .................... . . . ....... 4. Inhalt der Verpflichtungen ................. ... . ... ..... .. .......... .. ........ . II. Beihilfenkontrolle gemäß Art.88 EGV ........... . ...................... . ....... 1. Verfahren bei neu angemeldeten Beihilfen .. . . .. ... .. ................ .. ...... a) Notifikationspflichtige staatliche Maßnahmen . . . .... . ... . . . . . .... . ... . .. . aa) Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand .......... . .. . ... . . . . . .. . bb) Privatisierungsmaßnahmen ..... . ..... . . . . . . .. ........... . . . . . ... . . . . cc) Ergebnis ....... ...... ... . ............ . . . . . ... .... .... ......... . ... . ... b) Vorläufige Prüfung . .. .. .. .................. ........ ..... . ......... .. ...... c) Förmliches Prüfverfahren .................. .. .... ... .............. .. ...... 2. Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen ....... .. . ... . . ........ ..... ... . . . . . . . . a) Einstweilige Anordnungen ......... . ... . . . . . . . ....... . ................ . ... b) Endgültige Rückforderung der Kapitaleinlage . . . ................. . . . . .. . . 3. Verfahren bei bestehenden Beihilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verfahren vor dem Rat ... . . . ... . . . ............... . . . . ................ . .. . . . . . . 111. Gerichtliche Überprüfung . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 1. Klagemöglichkeiten der Kommission und betroffener Mitgliedstaaten . . . . . . 2. Klagemöglichkeiten des investierenden Mitgliedstaats und des begünstigten Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Klagemöglichkeiten von Konkurrenzunternehmen . . . .................... . . . . a) Rechtsschutz durch die europäische Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsschutz durch nationale Gerichte .... . . . . ... .... . ... .. ..... .. . . . . . . . aa) Zuständigkeit der Zivilgerichte ....... ........ .............. .. ... .. .. bb) Ansprüche gegen den die Kapitaleinlage gewährenden Mitgliedstaat .. ......... .... . .. ..... .... ... . ..... .. . .. .. ..... ... ........ . .... . . cc) Ansprüche gegen die begünstigte Gesellschaft . .... . . . ..... . .. . ..... dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rückabwicklung der Kapitalzuführung nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Nichtigkeit der Beteiligungsvereinbarung ......... .. .............. .. ... ..... . 2. Einwand des Vertrauensschutzes des Beihilfeempfängers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einwand des Gläubigerschutzes ............ . .......... . ...... . . ............ .. 4. Einwand absoluter Unmöglichkeit . . . . ......... . . . . . ... .. . . .. . ......... .. . . .. . V. Zusammenfassung . ....... . . . .... ... .. ... . . .. . ... . .. . . . . .... .. . . .. . . .. . . . . . . . ... .

15 175 176 176 179 180 180 181 182 183 184 186 186 186 187 188 189 190 190 192 192 195 196 197 197 199 201 202 203 203 204 204 207 209 209 210

G. Gesamtergebnis .. ...... ........ ... .. ... ...... ....... .... ... .... . .. . .... . . . . ...... . .. . 212 Literaturverzeichnis ........ .. . . .. . . . . . . . . . .. .. .. ... . . . . . . . .. ....... . . . .. . ... . .. .. .. . . . .. . 215 Sachwortverzeichnis . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. .. .. .. .. 221

Abkürzungsverzeichnis ABI. AG AktG Art. BB BGB BGHE BHO BVerfGE CDE CMLRep CMLRev DÖV EAG EAGV ECLR EG EGKS EGKSV EGV ELR EU EuGel EuGH EuR EURATOM EUV EuZW EWG EWR EWS f., ff. GG GmbH GmbHG GTE JuS lit. NJW 2 Bonkamp

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Aktiengesellschaft Aktiengesetz Artikel Betriebs-Berater Bürgerliches Gesetzbuch Entscheidung des Bundesgerichtshofs Bundeshaushaltsordnung Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Cahiers de droit europeen Common Market Law Report Common Market Law Review Die öffentliche Verwaltung Europäische Atomgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft European Competition Law Review Europäische Gemeinschaft Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Law Review Europäische Union Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europarecht Europäische Atomgemeinschaft Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz über Gesellschaften mit beschränkter Haftung von der Groeben(fhiesing/Ehlermann Juristische Schulung littera Neue Juristische Wochenschrift

18 Nr. NVwZ OVG RabelsZ RIW Rn. Rs. RTD eur.

s.

Slg. u.a. UWG verb.Rs. VwVfG wbl ZfRV ZGR ZHR ZIP ZögU

Abkürzungsverzeichnis Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Oberverwaltungsgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtssache Revue trimestrielle de droit europeen Seite Sammlung und andere Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb verbundene Rechtssachen Verwaltungsverfahrensgesetz Wirtschaftsrechtliche Blätter Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen

A. Einführung Seit dem Inkrafttreten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) im Jahr 1958 hat die Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften stark zugenommen. Wahrend der Vertragsverhandlungen wurde die Tragweite der Regelungen möglicherweise gar nicht überall erkannt, zumal zu dieser Zeit in keinem Mitgliedstaat ein ähnlich striktes Verbot bestand. 1 So wurde ihr zunächst umstrittener rechtsverbindlicher Charakter erst später durch die Rechtsprechung klargestellt. 2 Im Zuge der fortschreitenden Integration durch den Abbau von Zollschranken und schließlich durch die Vollendung des Binnenmarktes wurde es den Staaten immer mehr verwehrt, die heimische Wirtschaft vor Konkurrenz aus dem europäischen Ausland zu schützen. Statt dessen griffen sie in verstärktem Maße zu dem Mittel der Beihilfengewährung. Aus diesem Grund intensivierte die Kommission seit Anfang der achtziger Jahre ihre Bemühungen, der steigenden Anzahl von Unterstützungsmaßnahmen Herr zu werden. Trotzdem werden in der Europäischen Union immer noch staatliche Beihilfen von erheblichem Umfang vergeben.3 Die Bundesrepublik entwickelte sich dabei, hauptsächlich bedingt durch die Aufwendungen zugunsten des Wiederaufbaus Ostdeutschlands sowie für Landwirtschaft und Kohle, nach den Worten des ehemaligen Wettbewerbskommissars Karel Van Miert zum "Beihilfeneuropameister".4 1998 betrafen von den 438 in diesem Bereich ergangenen Entscheidungen Deutschland 154, gefolgt von Italien mit 77 Entscheidungen.5 Staatliche Beteiligungen an Kapitalgesellschaften stellen eine mögliche Form von Beihilfen dar. Seit jeher beteiligt sich die öffentliche Hand im Rahmen ihrer erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten an privatrechtliehen Unternehmen zum Zwecke der Einnahmeerzielung. Hinzu kommt, daß seit einigen Jahren klassische Bereiche der Leistungsverwaltung wie etwa der Post- und Telekommunikationssektor für den Wettbewerb geöffnet werden. Dabei werden die staatlichen Betriebe häufig in eine Privatrechtsform überführt.6 I

Oppermann, Rn. 1029.

EuGH Slg. 1962,97, 113 in Rs. 13/61 (Oe Geus/Bosch). Vergleiche etwa den VII. Beihilfenbericht, S. 59. 4 Zitiert nach Oppermann, Rn. 1150. s XXVIII. Wettbewerbsbericht 1998, S.404. 6 Kapitalgesellschaften, deren Wesensmerkmal die beschränkte Haftung der Anteilseigner ist, existieren in allen Mitgliedstaaten, ihre rechtliche Ausgestaltung kann allerdings variieren. In Frankreich gibt es zum Beispiel die Gesellschaftsformen der Soci~te par actions (S.A.) und der Societe a responsabilite limitee (S.A.R.L.), in Italien die Societa per azioni (S. p. A.) sowie 2

3

2*

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A. Einführung

Die Mitgliedstaaten lassen sich bei ihren Finanzierungsentscheidungen allerdings oftmals nicht von Rentabilitätserwägungen leiten, sondern verzichten auf einen angemessenen Ertrag der den Unternehmen zur Verfügung gestellten Mittel, um beispielsweise Arbeitsplätze zu erhalten. Ein solches Verhalten ruft die Kommission auf den Plan. Sie prüft die Kapitalzuführungen der öffentlichen Hand dahingehend, ob diese staatliche Beihilfen darstellen. Sollte das der Fall sein, untersucht sie, ob die Maßnahmen ausnahmsweise genehmigt werden können. Falls sie zu keiner positiven Entscheidung gelangt, dürfen die Gelder nicht ausgezahlt werden, was weitreichende Folgen haben und bis zur Insolvenz der betroffenen Gesellschaft führen kann. Aus bayerischer Sicht kann hier das Beispiel des Stahlwerkes Maxhütte genannt werden.7 Mit den mit dieser Untersuchung verbundenen Problemen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit. Zunächst wird allgemein die Bedeutung der Beihilfevorschriften erläutert, insbesondere wird dargelegt, wie sich die Regelungen in das System der sonstigen Vertragsbestimmungen einfügen (B.). Es folgt die Prüfung der Frage, wann Beteiligungen der öffentlichen Hand dem Verbot des Art. 87 I EGV unterfallen (C.), wobei vor allem die Feststellung der Beihilfeeigenschaft der staatlichen Maßnahmen erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. Darum werden Kriterien erarbeitet, anband derer sich die Einordnung im Einzelfallleichter treffen läßt. Danach wird analysiert, welche der in Art. 87 II, III EGV genannten Rechtfertigungsgründe für Kapitaleinlagen in Betracht kommen (D.). Die einschlägigen Genehmigungstatbestände werden ausführlich mit den jeweils zu beachtenden Voraussetzungen dargestellt. Für Beihilfen zugunsten von Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, besteht die besondere Ausnahmemöglichkeit des Art. 86 II EGV. Dessen Bedeutung und Reichweite sind jedoch bis heute nicht völlig geklärt. Daher wird versucht, die Frage zu beantworten, inwieweit diese Norm zur Rechtfertigung herangezogen werden kann (E.). Schließlich wird noch erläutert, welchen Verfahrens sich die Kommission zur Kontrolle etwaiger Beihilfen bedient (F.). Von Interesse sind ferner die Rechtsschutzmöglichkeiten der Beteiligten und insbesondere, wie sich Konkurrenten der begünstigten Gesellschaft gegen die staatliche Finanzierungsmaßnahme wehren können. die Societa a responsabilila limitata (S.R. L.). Für Deutschland sind als wichtigste Formen die Aktiengesellschaft (AG) und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu nennen. Zu weiteren Gesellschaftsformen in anderen Mitgliedstaaten vergleiche Bundesstelle für Außenharuielsinformationen, S. 20 ff. 7 EuGel Slg. 1999 II, 17ff. in verb. Rs. T-129/95, 2, 97/96 (NeueMaxhütte); zurZulässigkeit der ersten Kapitaleinlage des Freistaates Bayern bei diesem Unternehmen siehe den XVIII. Wettbewerbsbericht 1988, 5 . 167.

B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften Die Beihilferegeln haben ihren Standort nicht zufällig im dritten Teil des Vertrages gefunden, der den Politiken der Gemeinschaft gewidmet ist. Die Kontrolle staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsablauf ist nämlich immer auch politischer Natur, was schon die zum Teil heftigen Reaktionen der Mitgliedstaaten auf für sie negative Entscheidungen belegen.

I. Verhältnis zu den übrigen Wettbewerbsbestimmungen 1. Ziel des unverfälschten Wettbewerbs gemäß Art. 3 lit. g EGV

Im Gegensatz zu der vom deutschen Bundesverfassungsgericht angenommenen "wirtschaftspolitischen Neutralität" des Grundgesetzes1 legt sich der Vertrag in Art. 2, 3 EGV auf eine marktwirtschaftliche Ordnung fest. Diese Grundsatzentscheidung wird nochmals in Art.4I EGV betont, wo das Prinzip einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb festgeschrieben ist, und umgesetzt durch das Binnenmarktkonzeptdes Art.14 EGV. Hinter dieser Festlegung steht die Erkenntnis, daß Wohlstand und Entwicklung in der Gemeinschaft am besten durch einen funktionierenden Wettbewerb gesichert werden können. Nur durch ihn kann ein effektiver Einsatz der finanziellen Ressourcen sichergestellt werden. Außerdem bietet ein solches Wutschaftssystem dem einzelnen die größten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Das Bekenntnis zur Marktwirtschaft ist also einerseits als ordnungspolitische Entscheidung im Rahmen der gemeinschaftlichen Wirtschaftsverfassung zu verstehen. Dazu kommt aber auch die gesellschaftspolitische Funktion im Zusammenhang mit dem Gedanken der Verwirklichung der Grundwerte von Chancengleichheit und individueller Freiheit,2 die sich im Wettbewerb am besten entfalten können. Verzerrungen der Marktbedingungen können diesen Zielen zuwiderlaufen. Sie können sich zum einen dadurch ergeben, daß die Unternehmen selbst auf unterschiedlichem Wege den Wettbewerb einschränken, zum anderen durch Interventionen der öffentlichen Hand. Zur Durchsetzung marktwirtschaftlicher Voraussetzungen bedarf es daher eines Systems, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt. 1

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BVerfGE 4, 7, 17. Schweitzer/Hummer, Rn. 1258; lpsen, S. 608.

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B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

Die Errichtung eines solchen Systems hat sich die Gemeinschaft in Art. 3 lit. g EGV zur Aufgabe gemacht. Art. 3 lit. g EGV stellt dabei ein grundlegendes Vertragsziel, nicht lediglich einen unverbindlichen Programmsatz dar. 3 2. Unterteilung der Wettbewerbsregeln Die Art und Weise, wie der unverfälschte Wettbewerb gesichert werden soll, und die diesbezüglichen Befugnisse der Gemeinschaftsorgane sind in Art. 81-89 EGV genannt. Diese Wettbewerbsregeln lassen sich unterteilen in Vorschriften, die sich unmittelbar an Unternehmen wenden, und solche, deren Adressaten die Mitgliedstaaten selbst sind. Zu der ersten Gruppe gehören das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen und Verhaltensweisen gemäß Art. 81 EGV, das Verbot des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aus Art. 82 EGV sowie die auf Grundlage des Art. 83 EGV erlassene Verordnung über die Kontrolle von Untemehmenszusammenschlüssen. 4 Unter die zweite Gruppe fallen die sich an die Mitgliedstaaten richtenden Beihilfevorschriften der Art. 87-89 EGV sowie Art. 86 I EGV, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, in bezug auf öffentliche Unternehmen und Gesellschaften, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag und insbesondere Art. 81-89 EGV widersprechenden Maßnahmen zu treffen oder aufrechtzuerhalten. Eine Sonderrolle nimmt Art. 86 II EGV ein. Dieser wendet sich nach seinem Wortlaut an Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, und nimmt sie unter bestimmten Voraussetzungen von der Geltung der Wettbewerbsvorschriften aus. Da zu diesen Vorschriften allerdings ebenfalls das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV zählt, können sich auch die Mitgliedstaaten auf die Ausnahmeregelung berufen. Die Regelungen ergänzen sich somit zur Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf mitgliedstaatlicher und auf Untemehmensebene, um das ihnen zugrundeliegende Ziel des Art. 3 lit. g EGV zu verwirklichen. 3. Prinzip der negativen Integration Der Vertrag bedient sich hierzu des Prinzips der negativen Integrations (Verbotsprinzip), das heißt, der Gemeinsame Markt soll durch die Abwehr wettbewerbsverzerrender Maßnahmen erreicht und erhalten werden. Dabei werden die GemeinEuGH Slg. 1973, 215,246 in Rs.6n2 (Continental Can). Verordnung des Rates 4064/89/EWG, ABI. 1989, Nr. L 395, 1ff. (Fusionskontrolle). 5 Grabitz/Hilftvon Wal/enberg, vor Art. 92 EGV, Rn. 2. 3 4

II. Verhältnis zu anderen Vertragsvorschriften

23

schaftsorgane nicht selbst unmittelbar gestaltend tätig, sondern sind auf eine Kontrollfunktion beschränkt. Sie dürfen die Mitgliedstaaten nämlich nicht verpflichten, zur Erreichung anderer gemeinschaftlicher Ziele beispielsweise Beihilfen zu gewähren, sondern nur vertragswidrige Verhaltensweisen verbieten. Eigene Gestaltungsmöglichkeiten bestehen demgegenüber bei der Vergabe von Gemeinschaftsbeihilfen, die allerdings nicht den Art. 87 ff. EGV unterfallen. Die in den Art. 81-89 EGV enthaltenen Verbote sind keine absoluten, vielmehr wird anerkannt, daß den grundlegenden Erfordernissen der Gemeinschaft unter Umständen durch indirekte, fördernde Eingriffe besser gedient sein kann als durch eine strikte Anwendung der Verbote. Ausnahmen gestattet der Vertrag allerdings nur unter eng begrenzten Voraussetzungen, wie sie in den Art. 81 ill, 86 II, 87 II, ill EGV normiert sind. Der Eingriff in den Wettbewerb muß sich auf das absolut erforderliche Mindestmaß beschränken (Grundsatz des Interventionsminimums). Zudem müssen sich spürbare objektive Vorteile ergeben, welche die mit ihm verbundenen Nachteile im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Bilanz zumindest ausgleichen.6 Auf diese Weise wird immer ein Kompromiß zwischen den Interessen der Gemeinschaft und denjenigen der Mitgliedstaaten angestrebt. II. Verhältnis zu anderen Vertragsvorschriften Staatliche Beihilfen sind nicht ausschließlich anband von Art. 87 ff. EGV zu beurteilen, sie können gleichzeitig gegen andere Bestimmungen des Vertrags verstoßen. Sollte dieses der Fall sein, so können sie nicht genehmigt werden.7 Es stellt dabei allerdings die Frage, in welchem konkreten Verhältnis die Art. 87 ff. EGV zu den sonstigen Vertragsvorschriften stehen. 1. Steuerfragen und Rechtsangleichung

Die Wettbewerbsregeln stehen im fünften Titel des dritten Teils des Vertrages unter der Überschrift "Gemeinsame Regeln betreffend Wettbewerb, Steuerfragen und Angleichung der Rechtsvorschriften", was auf einen Sachzusammenhang zwischen diesen Materien hindeutet. In allen drei Fällen geht es um die Beseitigung von Wettbewerbsverfälschungen im weiteren Sinne, wobei die Vorschriften über Steuern und Rechtsangleichung im Verhältnis zu den Wettbewerbsregeln eine ergänzende Funktion erfüllen. Während letztere Verzerrungen bekämpfen sollen, die sich aus privaten oder hoheitlichen Eingriffen in den Markt ergeben, ist ersteren die Aufgabe zugewiesen, jene Verfälschungen zu beseitigen, die in den unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten begründet sind.8 GTE/Schröter, vor Art. 85-94 EGV, Rn. 8. GTE/Mederer, vor Art. 92- 94 EGV, Rn. 10. s GTE/Schröter, vor Art. 85-94 EGV, Rn. 23.

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B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

Insbesondere sollen hier zwei dem Prinzip des unverfälschten Wettbewerbs besonders kraß zuwiderlaufende Steuerpraktiken der Mitgliedstaaten sanktioniert werden. Zum einen ist der Schutz inländischer Unternehmen durch die Erhebung höherer Abgaben auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 90 EGV verboten, zum anderen wird die Förderung der eigenen Exportwirtschaft durch die Rückvergütung von Abgaben durch Art. 91 EGV stark eingeschränkt. Die Vorschriften sind neben dem Beihilfeverbot des Art. 87 EGV anwendbar. 9 Art. 94-97 EGV dienen dem Zweck, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften anzugleichen, soweit dies für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlich ist. Durch Art. 96, 97 EGV wird dabei ein besonderes Verfahren zur Behandlung bestehender oder geplanter wettbewerbsverfälschender Vorschriften der Mitgliedstaaten festgelegt. Nach Ansicht des Gerichtshofes sind die Beihilferegelungen allerdings vorrangig heranzuziehen, da die Anwendung der Art. 96, 97 EGV nur dann erwogen werden dürfe, wenn die Wettbewerbsbeschränkung nicht schon wegen eines Verstoßes gegen andere Vertragsvorschriften beseitigt werden könne. Das Verfahren der Art. 96, 97 EGV kommt somit lediglich für Begünstigungen in Betracht, die sich nicht an eine abgrenzbare Anzahl von Unternehmen richten und deshalb nicht unter Art. 87 I EGV fallen. 10 2. Grundfreiheiten und Diskriminierungsverbot

Zwischen den Wettbewerbsbestimmungen und den Grundfreiheiten besteht ein Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeit. Die Normen sind als systematische Einheit zu betrachten. Die Art. 28 ff. EGV regeln vor allem die Rechte des einzelnen auf Teilnahme am grenzüberschreitenden Wirtschaftsleben, während die Art. 81-89 EGV die gemeinschaftliche Ordnung des aus der Inanspruchnahme der Grundfreiheiten hervorgehenden Wettbewerbs darstellen.'' Die Beseitigung der Handels- und Güterverkehrsschranken im Binnenmarkt würde ihren Zweck verfehlen, wenn es den Unternehmen und Mitgliedstaaten gestattet wäre, durch andere Praktiken den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt einzuschränken. 12 Die Ausübung der Grundfreiheiten muß deshalb durch das Wettbewerbsrecht abgesichert werden. 13 Dem Verbot der Beschränkung des innergemeinschaftlichen Warenverkehrs gemäß Art. 28 EGV könnten grundsätzlich auch staatliche Beihilfen unterliegen. Allerdings haben alle Beihilfen, die den Tatbestand des Art. 87 I EGV erfüllen, per definitionem Auswirkungen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, weshalb GTE/Mederer, vor Art. 92-94 EGV, Rn. 10. So auch Lenz/Rawlinson, vor Art. 87-89 EGV, Rn. 17. 11 lmmenga/Mestmäcker, I. A., Rn. 25. 12 lpsen, S. 606. 13 Explizit ausgesprochen wird dieses in Art. 44 II lit. h EGV, wonach sicherzustellen ist, daß die Bedingungen für die Niederlassung nicht durch Beihilfen der Mitgliedstaaten verfälscht werden. 9

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II. Verhältnis zu anderen Vertragsvorschriften

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sie immer unter Art. 28 EGV fallen würden, ohne Rücksicht darauf, ob sie eventuell durch Art. 87 II, III EGV gerechtfertigt wären. Aus diesem Grund ist davon auszugehen, daß die Beihilfebestimmungen in der Regel als speziellere Vertragsvorschriften vorgehen. 14 Die Begünstigung an sich unterliegt somit nicht Art. 28 EGV. Etwas anderes gilt jedoch für die Modalitäten und Begleitumstände der staatlichen Maßnahme, die ihrerseits sehr wohl an Art. 28 EGV zu messen sind. 15 Jedenfalls unzulässig ist die Beihilfe, falls bei ihrer Vergabe Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten benachteiligt werden. Allgemein ist dieses Diskriminierungsverbot in Art. 12 EGV festgeschrieben. Ein Verstoß ist allerdings nicht schon allein deshalb zu bejahen, weil die Maßnahme auf in dem Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates ansässige Unternehmen beschränkt wird, da dieses in der Natur staatlicher Beihilfen liegt. Eine Verletzung ist erst dann anzunehmen, wenn dort ansässigen ausländischen Gesellschaften zusätzliche Hindernisse in den Weg gelegt werden, an der Förderung teilzunehmen. 16 3. Allgemeine Wirtschaftspolitik

Strikt abzugrenzen sind die Kontrollbefugnisse der Gemeinschaftsorgane im Rahmen des Wettbewerbsrechts von der Befugnis zur Gestaltung der allgemeinen Wirtschaftspolitik, die noch weitgehend den Mitgliedstaaten verblieben ist. Zwar fordert Art. 99 I EGV die Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, die Beschlüsse der Gemeinschaft in diesem Bereich haben aber nur empfehlenden Charakter. Da insbesondere die innerstaatliche Beihilfenpolitik ein integraler Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftspolitik ist, muß die Kontrolle der Gemeinschaft auf den Aspekt des Wettbewerbsschutzes begrenzt bleiben. 17 Nur Begünstigungen einzelner Unternehmen oder Produktionszweige dürfen einer Untersuchung nach Art. 88 EGV unterworfen werden. Staatliche Maßnahmen, welche die Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Betätigung insgesamt verändern, sind hingegen nicht überprüfbar. Wettbewerbsverfälschungen, die auf der unterschiedlichen Verfassung der einzelnen Volkswirtschaften innerhalb der Gemeinschaft beruhen, müssen hingenommen werden, solange das Instrumentarium der Art. 98 ff. EGV nicht fortentwikkelt wird.

GTE/Mederer, vor Art. 92-94 EGV, Rn.10. Die Unterscheidung zwischen den Modalitäten der Gewährung und den Auswirkungen der Beihilfe als solcher ist von der Rechtsprechung in EuGH Slg. 1982, 4005, 4021 in Rs. 249/81 (Kauft irisch), bestätigt worden. Danach schließt die Tatsache, daß eine staatlich finanzierte Werbekampagne für einheimische Produkte unter die Beihilfevorschriften fallt, nicht aus, daß die Kampagne selbst von dem Verbot des Art. 28 EGV erfaßt wird. 16 Lenz/Rawlinson, vor Art. 87-89 EGV, Rn. 12; GTE/Mederer, vor Art. 92-94 EGV, Rn. lO. 11 EuGH Slg. 1987,871,896 in Rs.304/85 (Falck). 14

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26

B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

4. Querschnittsklauseln

Problematisch ist, wie sich die in anderen Aufgabenbereichen der Gemeinschaft bestehenden Querschnittsklauseln auf die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auswirken. Eine solche wurde zum Beispiel durch den Amsterdamer Vertrag für die Beschäftigungspolitik eingeführt. Gemäß Art.127 II EGV wird das Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus bei der Festlegung und Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken mitberücksichtigt Weitere derartige Klauseln sind etwa in Art. 151 IV EGV für den Bereich der Kultur, Art. 157 ill 1 EGV für die Industriepolitik, Art. 159 I 2 EGV für die Politik des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts sowie in Art. 6 EGV für die Umweltpolitik enthalten. Im Extremfall könnte man in ihnen sogar zusätzliche Rechtfertigungsgründe für staatliche Beihilfen erblicken. Dem ist zwar zuzugeben, daß im Konfliktfall zwischen verschiedenen Vertragszielen grundsätzlich ein Ausgleich hergestellt werden muß, bei dem kein Einzelinteresse völlig aufgeopfert wird. Daher müssen auch diese Aspekte im Rahmen der Beihilfenkontrolle berücksichtigt werden. Oftmals bedeutet jedoch die Durchsetzung des Verbotes des Art. 87 I EGV den vollständigen Verlust aller Arbeitsplätze in dem betroffenen Unternehmen, was dem Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus im Sinne von Art.127 EGV diametral entgegenzulaufen scheint. Der Grundsatz der praktischen Konkordanz findet allerdings dort seine Grenze, wo eine harmonisierende Auslegung mit zwingenden Normen des Gemeinschaftsrechts unvereinbar ist. Die Beihilferegeln der Art. 87 ff. EGV sind die vom Vertrag zwingend vorgeschriebenen Mittel, mit deren Hilfe ein System unverfälschten Wettbewerbs errichtet werden soll. Von ihrer Anwendung kann auch im Dienste anderer Gemeinschaftsaufgaben nicht abgesehen werden. 1s Der Vertrag geht vielmehr davon aus, daß auf Grundlage unverfälschten Wettbewerbs die weiterreichenden Ziele des Vertrages am besten verwirklicht werden können. 19 So führt beispielsweise die Aufrechterhaltung bestehender Arbeitsplätze in einer unrentablen Gesellschaft durch staatliche Beihilfen dazu, daß diese Mittel nicht zur Schaffung wettbewerbsfähiger Industrien genutzt werden können. Außerdem werden rentabel arbeitende Konkurrenzunternehmen daran gehindert, ihre Produktion auszuweiten und auf diese Weise selbst neue Arbeitsplätze zu schaffen. Des weiteren beinhalten die Beihilfevorschriften schon einen abschließenden Katalog von Ausnahmetatbeständen in Art. 86 II, 87 II, III EGV. Bei der Anwendung dieser Ausnahmetatbestände und insbesondere im Rahmen der dabei vorzunehmenden Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse können andere Ziele, wie das der 18

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lmmenga/Mestmäcker, I. A., Rn. 52. GTE/Schröter, vor Art. 85-94 EGV, Rn. 11.

III. Auswirkungen der Art. 86 I EGV und Art. 295 EGV

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Erhaltung des Beschäftigungsstandes, in einem gewissen Umfang Berücksichtigung finden. 20 Ferner bestimmt Art. 157 III 3 EGV ausdrücklich für die Industriepolitik, daß die diesbezüglichen Vorschriften keine Grundlage dafür bilden, daß Maßnahmen durchgeführt werden, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen können. Dieser Grundsatz muß für alle Querschnittsklauseln des Vertrages gelten, die somit keine zusätzlichen Rechtfertigungsgründe für Eingriffe in den freien Wettbewerb darstellen. III. Auswirkungen der Art. 86 I EGV und Art. 295 EGV Zu untersuchen ist ferner, welche Bedeutung den Art. 86 I, 295 EGV hinsichtlich der Gewährung staatlicher Beihilfen zukommt. Nach Art. 86I EGV dürfen die Mitgliedstaaten in bezugauf ihre öffentlichen Unternehmen und auf Unternehmen, denen sie besondere oder ausschließliche Rechte gewähren, keine dem Vertrag widersprechenden Maßnahmen treffen oder beibehalten. Art. 295 EGV bestimmt dagegen, daß der Vertrag die Eigentumsordnungen in den Mitgliedstaaten unberührt läßt. 1. Geltung des Beihilfeverbots für öffentliche Unternehmen

Der Unternehmensbegriff wird im Vertrag nicht ausdrücklich definiert. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs umfaßt er jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.21 Diese Voraussetzungen kann auch eine staatliche Stelle ohne eigene Rechtspersönlichkeit erfüllen, die in die Verwaltung eingegliedert ist, soweit ihre Aktivitäten darin bestehen, Güter oder Dienstleistungen auf dem Markt anzubieten. Daß die Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten von privaten Gesellschaften ausgeübt wird, kann dabei als Indiz für ihren wirtschaftlichen Charakter herangezogen werden.22 Ein öffentliches Unternehmen im Sinne von Art. 86 I EGV ist ein Unternehmen, auf das der Staat aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. Ein derartiger Einfluß ist in der Regel gegeben, wenn die öffentliche Hand die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzt, über die Mehrheit der Stimmrechte verfügt oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bestellen kann.23 20 Vergleiche dazu die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 5. 21 EuGH Slg. 1991 I, 1979, 2016 in Rs. C-41/90 (Höfner und Elser). 22 Grabitz!Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 14. 23 Vergleiche Art. 2 der Richtlinie der Kommission 80n23/EWG, ABI. 1980, Nr. L 195, 35ff. (Transparenzrichtlinie). Diese Definition gilt zwar ausdrücklich nur für die Unternehmen, denen durch die Richtlinie besondere Informationspßichten auferlegt werden. Sie wird

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B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

Unter ausschließlichen Rechten sind solche zu verstehen, die durch den Mitgliedstaat einer Gesellschaft gewährt werden und dieser die Erbringung einer Leistung oder die Ausübung einer bestimmten Tätigkeit vorbehalten. Durch die Gewährung besonderer Rechte wird zwar keine Monopolstellung begründet, die jeweilige Gesellschaft erhält aber dennoch eine Vorzugsstellung im Wettbewerb. Die bloße Erteilung einer Konzession oder Genehmigung zur Ausübung der Tätigkeit ist dafür nicht ausreichend, vielmehr muß sich die öffentliche Hand zusätzlich gewisse Einflußmöglichkeiten für die Zukunft vorbehalten.24 Diesen Unternehmen gegenüber dürfen die Mitgliedstaaten keine dem Vertrag und insbesondere den Wettbewerbsvorschriften widersprechenden Maßnahmen treffen. Der Begriff der Maßnahme ist dabei weit auszulegen, er umfaßt sowohl privatrechtliche und öffentlich-rechtliche Akte als auch rein tatsächliche Einwirkungen.2s Eine eigenständige Bedeutung besitzt Art. 86 I EGV vor allem bezüglich der unternehmensbezogenen Vorschriften der Art. 81-85 EGV. Ohne diese Regelung könnten die Gemeinschaftsorgane lediglich gegen die handelnden Gesellschaften vorgehen, nicht aber gegen den Staat selbst, der den Rechtsverstoß veranlaßt hat. Diese Lücke schließt Art. 86 I EGV, indem er die mittelbaren Vertragsverletzungen der Mitgliedstaaten sanktioniert.26 Das Beihilfeverbot richtet sich jedoch von vornherein ausschließlich an die Mitgliedstaaten, so daß Art. 86 I EGV hier nur die klarstellende Funktion zukommt, daß die Art. 87 ff. EGV natürlich ebenfalls für öffentliche und mit besonderen oder ausschließlichen Rechten ausgestattete Unternehmen gelten. Eine zusätzliche Befugnis gewährt hier allerdings Art. 86 III EGV, wodurch der Kommission gestattet wird, in diesem Bereich Richtlinien zu erlassen. Dadurch können den Mitgliedstaaten zur Kontrolle etwaiger Beihilfen auch zusätzliche Pflichten auferlegt werden. 27 2. Keine Einschränkung durch Art. 295 EGV

Mit der Erstreckung der Wettbewerbsbestimmungen auf öffentliche Unternehmen scheint sich ein Widerspruch zu Art. 295 EGV zu ergeben, wonach die Gestaltung der Eigentumsordnungen als wesentlicher Bestandteil der nationalen Wirtschaftsverfassungen allein Sache der Mitgliedstaaten bleibt.28 Unter dem Begriff der jedoch zunehmend auch zur allgemeinen Bestimmung des Begriffes des öffentlichen Unternehmens herangezogen. 24 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 7 ff. 25 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 10. 26 Calliess/Ruffert!Jung, Art. 86 EGV, Rn. 3; Grabitz!Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 6. 27 Dieses wurde in EuGH Slg. 1982, 2545, 2581 in verb. Rs. 188, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie) klargestellt. 28 Nicolaysen, S. 113 f.

III. Auswirkungen der Art. 86 I EGV und Art. 295 EGV

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Eigentumsordnung ist die Gesamtheit aller verfassungsrechtlichen Vorschriften über das Privateigentum, die Enteignung oder Sozialisierung sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten zu verstehen.29 Durch das Beihilfeverbot könnten die Mitgliedstaaten in Zeiten ökonomischer Schwierigkeiten praktisch dazu gezwungen werden, ihren öffentlichen Sektor aufzulösen. Ihre Wahlfreiheit zwischen öffentlichem und privaten Eigentum könnte damit aufgehoben sein. Die eigentumspolitische Neutralität gemäß Art. 295 EGV darf allerdings nicht mit einer wirtschaftspolitischen Neutralität verwechselt werden, die durch den Vertrag gerade nicht verfolgt wird. 30 Dieser legt sich vielmehr auf eine marktwirtschaftliehe Ordnung fest. Art. 295 EGV bezieht sich daher nur auf die Ausgestaltung der Eigentumsordnung als solcher. Lediglich deren prinzipieller Bestand wird geschützt, während die Ausübung der Eigentumsrechte in vollem Umfang den Vertragsvorschriftenund insbesondere den Wettbewerbsregeln unterliegt. 31 Somit sind auch staatliche Interventionen zugunsten öffentlicher Unternehmen uneingeschränkt der Beihilfenkontrolle unterworfen.

3. Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen privatem und öffentlichem Eigentum

Aus einer Zusammenschau der Art. 86 I EGV und Art. 295 EGV ergibt sich, daß privates und öffentliches Eigentum durch das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich gleich zu behandeln sind.32 Weder dürfen öffentliche Unternehmen bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts bevorzugt werden, noch dürfen ihnen dabei Nachteile im Vergleich mit privaten Gesellschaften entstehen. Letzteres wird der Kommission im Rahmen der Beihilfenkontrolle aber oftmals vorgeworfen. Das Prinzip der Gleichbehandlung sei schon deshalb verletzt, weil es dem öffentlichen Eigentümer anders als dem privaten wegen Art. 87 ff. EGV untersagt sei, seinem Unternehmen jederzeit finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Wo sich die Staaten für jede Investition rechtfertigen müßten, um den Beihilfeverdacht auszuräumen, entstehe faktisch ein Zwang zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen.33 Diese Ansicht verkennt jedoch, daß eine Ungleichbehandlung immer dann gerechtfertigt ist, wenn dafür ein sachlicher Grund existiert. Ein derartiger Grund ist in Grabitz!Hilf/Schweitzer, Art. 222 EGV, Rn. 3; GTE/Hochbaum, Art. 222 EGV, Rn. 3. Handkommentar/Klein, Art. 222 EGV, Rn. 9; siehe schon oben B.l. 1. 31 EuGH Slg. 1984, 3809, 3826 in Rs. 323/82 (lntermills); Immenga/Mestmäcker, XII. B., Rn. 24. Zu der parallelen Auslegung des gewerblichen und kommerziellen Eigentums in Art. 30 EGV siehe schon EuGH Slg. 1966,449, 519 in verb. Rs. 56, 58/64 (Grundig und Consten). 32 Vergleiche nur Calliess!Ruffert/Jung, Art. 86 EGV, Rn. 3. 33 Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 833; ähnlich auch Soukup in ZögU 1995, 16, 34, der auf die Gefahr einer Diskriminierung wegen der Verzögerung der Investition durch die Beihilfenkontrolle hinweist. 29

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B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

den verschiedenen Situationen zu sehen, in denen sich private und öffentliche Investoren befinden. Während sich Private bei ihren Entscheidungen hauptsächlich durch die Aussicht auf Erträge leiten lassen, befindet sich die öffentliche Hand in einer Doppelrolle. Neben ihrer Eigenschaft als Eigentürnenn des öffentlichen Unternehmens hat sie außerdem Belange des Allgemeinwohls zu wahren. 34 Bei ihr besteht viel eher die Gefahr, daß sie eine ausbleibende Rendite der zur Verfügung gestellten Mittel und damit Wettbewerbsverfälschungen in Kauf nimmt, um zum Beispiel Arbeitsplätze zu sichern. Die Erstreckung der Beihilfenaufsicht auf den öffentlichen Sektor führt also nicht per se zu einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz.

IV. Weitere Bestimmungen für die Gewährung von Beihilfen 1. Maßnahmen der Mitgliedstaaten

Das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV gilt nur insoweit, wie im Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist. Durch Sonderbestimmungen können die Beihilfevorschriften der Art. 87 ff. EGV ganz oder zumindest teilweise verdrängt werden. Einschränkungen betreffen den Bereich der Landwirtschaft. Zum einen können die Mitgliedstaaten im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisationen wegen Art. 3411 Unterabsatz 1 EGV berechtigt sein, Mittel für die Erzeugung und Verteilung der Produkte bereitzustellen. Zum anderen finden gemäß Art. 36 EGV die Wettbewerbsregeln generell nur in dem Maße Anwendung, wie der Rat dieses bestimmt. Er kann einzelstaatliche Beihilfen insbesondere aus struktur- und entwicklungspolitischen Gründen zulassen. Zwar wurden die Wettbewerbsbestimmungen auch hier generell für anwendbar erklärt, für die einzelnen landwirtschaftlichen Erzeugnisse bestehen jedoch zum Teil erhebliche Beschränkungen.35 Sonderregelungen bestehen zudem im Verkehrssektor aufgrund von Art. 73, 76, 78 EGV. Nach Art. 296 I lit. b EGV dürfen die Mitgliedstaaten Beihilfen gewähren für die Herstellung von Kriegsmaterial und den Handel mit diesem, soweit die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich anderer Waren dadurch nicht beeinträchtigt werden. Gemäß Art. 132 EGV sollen Ausfuhrbeihilfen vereinheitlicht werden. Diese Vorschrift schließt die Anwendung von Art. 87 ff. EGV jedoch nicht aus, da Exportbeihilfen indirekt ebenfalls Auswirkungen auf den innergemeinschaftlichen Handel haben können.J6 34 In diesem Sinne EuGH Slg. 1982,2545, 2577 in verb. Rs.188, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie). 35 Verordnung des Rates 26/1962/EWG, ABl. 1962, Nr. 30, 993f. (Marktorganisation); Lenz!Rawlinson, vor Art. 87-89 EGV, Rn. 6. 36 EuGH Slg. 19901, 959, 1013 in Rs.C-142/87 (Thbemeuse).

V. Zusammenfassung

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Art. 305 I EGV bestimmt, daß der EGV nicht die Bestimmungen des schon früher abgeschlossenen Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKSV) berührt. In Art. 4 lit. c EGKSV wird ein absolutes Beihilfeverbot postuliert, von dem nach seinem Wortlaut keine Ausnahmen möglich sind. Da gerade in diesen Branchen staatliche Interventionen jedoch an der Tagesordnung und in gewissem Umfang sinnvoll sind, wird zu deren Genehmigung auf die Kompetenzergänzungsnorm des Art. 95 EGKSV zurückgegriffen. 37 Art. 87 ff. EGV gelten demgegenüber auch im Anwendungsbereich des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAGV), da dieser keine Beihilferegeln enthält und somit nicht im Sinne von Art. 305 II EGV beeinträchtigt wird. 38 2. Gemeinschaftsbeihilfen

Die Gemeinschaft vergibt auch aufgrundeigener Programme Beihilfen an Unternehmen, um die Erreichung bestimmter Ziele zu fördern. Als Beispiele sind insbesondere die verschiedenen Strukturfonds im Rahmen von Art.159ff. EGV zu nennen, mit deren Hilfe der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt gefördert und der Rückstand der am stärksten benachteiligten Regionen verringert werden soll. Bei diesen Geldem handelt es sich aber nicht um einzelstaatliche Beihilfen, so daß ihre Gewährung nicht der Kontrolle gemäß Art. 87 ff. EGV unterliegt. Dennoch müssen die Gemeinschaftsorgane Handelsbeeinträchtigungen und Wettbewerbsverfalschungen möglichst vermeiden. Außerdem wird eine Kohärenz zwischen den gemeinschaftlichen und mitgliedstaatliehen Maßnahmen angestrebt, zumal nationale Programme häufig durch Gemeinschaftsmittel kotinanziert werden. Deshalb orientiert man sich auch hier an den Voraussetzungen des Art. 87 EGV, insbesondere was die Festlegung der förderwürdigen Gebiete und der Beihilfehöchstsätze betrifft.39 V. Zusammenfassung Die Beihilfevorschriften der Art. 87 ff. EGV sind Teil eines umfassenden Systems von Regelungen, die sich teils an Unternehmen, teils an die Mitgliedstaaten selbst richten und dem Schutz des unverfalschten Wettbewerbs dienen. Maßnahmen, die diesem Ziel zuwiderlaufen, sind grundsätzlich verboten, allerdings bestehen einige eng auszulegende Ausnahmemöglichkeiten. Interventionen der öffentlichen Hand, die gleichzeitig gegen andere Bestimmungen des Vertrages verstoßen, können nicht genehmigt werden. Andererseits können in anderen Aufgabenbereichen der GeBleckmann!Koch, Rn. 2092. Lenz!Rawlinson, vor Art. 87-89 EGV, Rn. 10. 39 Carl in EuZW 1992, 301 ff.; Lenz!Rawlinson, Art. 87-89 EGV, Rn. 19; Mitteilung der Kommission über die Regionalpolitik und die Wettbewerbspolitik, ABI. 1998, Nr. C 90, 3 ff. 37

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32

B. Bedeutung der gemeinschaftsrechtlichen Beihilfevorschriften

meinschaft bestehende Querschnittsklauseln nicht den abschließenden Katalog der Rechtfertigungsgründe für staatliche Unterstützungsmaßnahmen erweitern. Das Beihilfeverbot gilt ebenfalls für öffentliche Unternehmen, wobei Art. 295 EGV die Anwendung der Wettbewerbsregeln nicht einschränken kann. Allerdings darf der öffentliche Sektor nicht gegenüber dem privaten diskriminiert werden, weshalb jede Ungleichbehandlung eines sachlichen Grundes bedarf. Es bestehen Sonderregelungen für gewisse Bereiche, so daß dort die Art. 87 ff. EGV nicht oder nur beschränkt angewendet werden können. Auch für Gemeinschaftsbeihilfen gelten diese Vorschriften nicht, es wird jedoch versucht, die Voraussetzungen für die Gewährung von einzelstaatlichen und Gemeinschaftsbeihilfen einander anzugleichen.

C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV Art. 87 I EGV bestimmt, daß staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfalschen oder zu verfalschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Dieser Vorschrift kommt Verbotscharakter zu, 1 sie ist jedoch nicht unmittelbar anwendbar, da sie weder hinreichend bestimmt noch inhaltlich unbedingt ist. 2 Die Unzulässigkeit einer Maßnahme der öffentlichen Hand muß vielmehr zunächst im Verfahren nach Art. 88 EGV von der Kommission festgestellt werden. Im folgenden sind die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 87 I EGV näher zu untersuchen. I. Beihilfebegriff 1. Allgemeine Definition

Der Begriff der Beihilfe3 ist mit Blick auf den Wortlaut des Art. 87 I EGV "Beihilfen gleich welcher Art" und auf das Ziel, einen umfassenden Schutz des Wettbewerbs in der Gemeinschaft zu sichern, weit auszulegen. Nach der Definition des Gerichtshofs umfaßt er alle Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat.4 Charakteristisch sind die Freiwilligkeit und die fehlende äquivalente Gegenleistung.5 Somit stellt beispielsweise die normale Vergütung für Dienstleistungen, die ein Unternehmen im Auftrag der öffentlichen Hand verrichtet, oder die staatliche Bereitstellung von Kapital für ein Unternehmen zu marktüblichen Bedingungen keine Beihilfe dar. An der Freiwilligkeit fehlt es, wenn der Staat gemäß der nationalen Rechtsordnung zu Unrecht erhobene Beiträge erstattet oder berechtigten Schadensersatz leistet, weshalb auch diese Fälle nicht von dem Verbot des Art. 87 I EGV erfaßt werden. 6 Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 1; Grabitz!Hi/f!von Wal/enberg, Art. 92 EGV, Rn. 2. Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 6; Oppermann, Rn. 1109. 3 Diese Ausführungen gelten in gleicher Weise für die Beihilfebegriffe in Art. 61 I des EWRAbkommens und Art. 4 lit. c EGKSV, vergleiche die Klarstellung in EuGel Slg. 1999 II, 17, 49 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). 4 EuGH Slg. 1961, I, 43 in Rs. 30/59 (Oe Gezamenlijke Steenkolenmijnen). 5 Streinz, Rn. 845. 6 EuGH Slg. 1980, 1205, 1227 in Rs.61n9 (Denkavit); EuGH Slg. 1988,5515,5539 in verb. Rs. 106- 120/87 (Asteris). 1

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3 Bonkamp

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Bei der Beurteilung der Maßnahme kommt es nicht auf die Motive oder Ziele, sondern ausschließlich auf deren Wirkung an. 7 Daher kann sich die öffentliche Hand nicht darauf berufen, allgemeine wirtschaftspolitische Ziele zu verfolgen, wenn faktisch einzelne Unternehmen begünstigt werden. Ebenso unbeachtlich ist die Form, was sich schon aus der Formulierung "gleich welcher Art" ergibt. Dadurch soll den Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen werden, durch die Wahl einer bestimmten Form die Verbotsbestimmung zu umgehen.S Enger als der Beihilfebegriff ist dagegen der Begriff der Subvention, worunter nur positive Leistungen an Unternehmen, also Geld- oder Sachleistungen, zu verstehen sind. Eine Subvention wird von dem Begriff der Beihilfe mitumfaßt, der neben positiven Leistungen auch sonstige belastungsmindernde Maßnahmen (Verschonungssubventionen) betrifft. Die Weite und die Unbestimmtheit des Beihilfebegriffs bergen für die Mitgliedstaaten Gefahren, da sie nicht immer abschätzen können, ob ihr Handeln dem Verbot des Art. 87 I EGV unterfällt Aus diesem Grunde wird in der Literatuf'J versucht, den Begriff anband weiterer Kriterien einzugrenzen und so bestimmte nationale Fördermaßnahmen von der gemeinschaftlichen Kontrolle auszunehmen. Eine Einengung des Beihilfebegriffs ist jedoch abzulehnen, da die Kommission immer neuen Formen staatlicher Unterstützung gegenübersteht und anderenfalls eine effektive Kontrolle wettbewerbsverzerrender Maßnahmen nicht möglich wäre. Daher war auch die Aufzählung möglicher Beihilfeformen durch die Kommission10 im Jahr 1963 nicht als abschließend anzusehen, wonach Beihilfen durch Darlehen, Bürgschaften, Zinszuschüsse, Steuerbefreiungen, Lieferung von Gütern zu Vorzugsbedingungen oder durch das Nichteintreiben einer Forderung gewährt werden. Erst später wurde durch den Gerichtshof bestätigt, daß auch Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand Beihilfen darstellen können. 11 2. Staatliche Kapitalbeteiligung als Sonderform

a) Beteiligung am Eigenkapital als Mittel der Unternehmensfinanzierung Beteiligungen am Kapital eines Unternehmens stellen für dieses eine mögliche Finanzierungsform dar. Unter Finanzierung versteht man alle Maßnahmen der Mit7

EuGH Slg. 1987, 901, 923 in Rs. 310/85 (Deufil); Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV,

Rn. 7; Appe/t, S. 157.

GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 7. Vergleiche zum Beispiel Hoischen, S. 3 ff.; Schernthanner, S.4ff. to Aufzählung in der Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage des Abgeordneten Burgbacher, ABl. 1963, Nr. 125, 2235. Im Rahmen bestehender Kapitalbeteiligungen wurde als mögliche Beihilfeform der Verzicht auf Dividenden genannt, nicht jedoch die Zuführung neuen Kapitals. 11 EuGH Slg. 1984, 3809, 3830 in Rs. 323/82 (Intermills). 8 9

I. Beihilfebegriff

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telbeschaffung und Mittelrückzahlung und damit der Gestaltung der Zahlungs-, Informations-, Kontroll- und Sicherungsbeziehungen zwischen einer Gesellschaft und ihren Kapitalgebern. 12 Nach der Rechtsstellung der Kapitalgeber lassen sich Eigenund Fremdmittel unterscheiden. Fremdkapital wird der Gesellschaft meistens von Dritten zur Verfügung gestellt. Diese werden Gläubiger des Unternehmens, womit ihnen Ansprüche auf Zinszahlungen und Kredittilgung zustehen. Charakteristisch für diese Finanzierungsform ist, daß die Zinsen unabhängig vom Gewinn anfallen, die Zurverfügungstellung des Kapitals befristet ist und normalerweise nur gegen Stellung von Sicherheiten geschieht. Die Eigenfinanzierung des Unternehmens erfolgt dagegen aus dem betrieblichen Prozeß (Selbstfinanzierung) oder aus Mitteln der Eigentümer. Diese erhalten ab einer gewissen Höhe der Einlage oft Einfluß auf die Geschäftsführung und haften mit dem eingesetzten Kapital für die Verbindlichkeiten des Unternehmens. Anstelle regelmäßiger Zinszahlungen von immer gleicher Höhe erhalten sie einen Anspruch auf Gewinnbeteiligung, die Zahlungen an die Kapitalgeber sind somit erfolgsabhängig. An die Stelle der Tilgung der eingesetzten Mittel treten Abfindungsvereinbarungen für den Fall des Ausscheidens, der Verkauf der Beteiligung zum jeweils aktuellen Wert oder die Beteiligung am Liquidationserlös. Bei der Liquidation ist das Eigenkapital dem Fremdkapital im Rang nachgeordnet, das Risiko des Verlustes des eingesetzten Kapitals ist also höher. Wegen der Erfolgsabhängigkeit der Erträge und der größeren Gefahr des Verlustes des eingesetzten Kapitals ist Eigenkapital unter marktwirtschaftliehen Bedingungen nur zu höheren Kosten zu erhalten als FremdkapitaL Als Ausgleich für die Unsicherheiten wird der Investor eine höhere Risikoprämie verlangen, er wird sein Kapital nur zur Verfügung stellen, wenn er sowohl für die eingesetzten Mittel als auch für das eingegangene Risiko eine angemessene Vergütung erwartet. 13

b) Hohe Beihilferelevanz Im freien Markt fließt das Kapital grundsätzlich in die Gesellschaften, die die höchste Rendite erwirtschaften. Die Unternehmen sind daher gezwungen, möglichst wirtschaftlich zu arbeiten, da sie sonst kein neues Kapital mehr erhalten und vom Markt verschwinden. Dieses ist auch durchaus erwünscht, da sie den Platz frei machen für leistungsfähigere Konkurrenten. Auf diese Weise kommt es zu einem möglichst effizienten Einsatz des zur Verfügung stehenden Kapitals. Das marktwirtschaftliche Prinzip wird aber durchbrochen, falls die Kapitalbeteiligung aus anderen Gründen als der Erzielung von Gewinnen eingegangen wird. 12 13

3•

Gabler Wirtschafts-Lexikon, 5.1327. Wolls Wirtschaftslexikon, S. 148.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Führt zum Beispiel der Staat einer Gesellschaft Kapital zu, um Arbeitsplätze zu erhalten, obwohl keine Aussicht auf Rentabilität besteht, so verzichtet er auf eine angemessene Vergütung für das eingesetzte Kapital und für das eingegangene Risiko. Gleichzeitig können diese Mittel aber auch nicht in Wirtschaftsbereichen mit höherer Produktivität eingesetzt werden, ein optimaler Einsatz der finanziellen Ressourcen des Staates ist nicht gewährleistet. Dennoch wird diese Form der Beihilfengewährung von den Mitgliedstaaten häufig angewandt, was zeigt, daß dieses Instrument als gut geeignet zur Verfolgung politischer Ziele angesehen wird. 14 Beteiligungen der öffentlichen Hand verschaffen der begünstigten Gesellschaft dabei einen großen und in der Regellangfristigen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten. Zum einen ist die Höhe der zu zahlenden Vergütung nämlich nicht im voraus bestimmt, so daß bei mangelnden Gewinnaussichten häufig völlig auf einen Ertrag verzichtet wird. Zum anderen ist die Zurverfügungstellung des Kapitals normalerweise nicht zeitlich begrenzt, das Unternehmen muß sich also nicht auf einen festen Zeitpunkt für die Rückzahlung einstellen. Zudem ist bei Kapitalbeteiligungen im Gegensatz zu anderen Unterstützungsmaßnahmen die Feststellung der Beihilfeeigenschaft nur unter erheblichem Aufwand möglich. Bei der Gewährung von verlorenen Zuschüssen ist sie offensichtlich, aber auch für die Vergabe von Darlehen gibt es in den meisten Fällen einen Markt, der einheitliche Vergabekonditionen aufweist. Die Beurteilung einer Eigenkapitalzufuhr ist dagegen nur dann relativ einfach möglich, falls deren Marktwert feststeht, also etwa dann, wenn die Gesellschaft an der Börse notiert wird. Anderenfalls ist eine umfassende Analyse der wirtschaftlichen Verfassung des Unternehmens erforderlich, wobei insbesondere eine annähernd exakte Bewertung des Risikos einer Beteiligung erhebliche Schwierigkeiten bereiten kann. 15 Deshalb zeigte sich die Kommission schon früh 16 besorgt darüber, daß diese Form der Unternehmensfinanzierung von den Mitgliedstaaten verstärkt angewendet wird, um die Beihilfevorschriften zu umgehen.

c) Bestimmungen des nationalen Haushaltsrechts In den Mitgliedstaaten regeln zum Teil nationale Haushaltsvorschriften, wann sich die öffentliche Hand an einem privatrechtliehen Unternehmen beteiligen darf. In Deutschland gilt in diesem Zusammenhang § 65 der Bundeshaushaltsordnung. Danach soll sich der Bund an einer neu zu gründenden oder an einer bestehenden Gesellschaft nur beteiligen, falls ein wichtiges Interesse vorliegt und sich das angestrebte Ziel nicht besser und wirtschaftlicher auf andere Weise erreichen läßt. Dieses Vahlens großes Wirtschaftslexikon, S. 2040. Hölters!Fischer, S. 80. 16 Kommission in II. Wettbewerbsbericht 1972, S. l21 ; Kommission in VII. Wettbewerbsbericht 1977, S.l92. 14

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I. Beihilfebegriff

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Interesse ist jedoch kaum justitiabel,17 so daß sich daraus in der Praxis keine Schranke für staatliche Investitionen ergibt. Außerdem soll die Einzahlungsverpflichtung des Bundes auf einen bestimmten Betrag begrenzt sein, was der Grund dafür ist, daß seine Engagements fast ausschließlich bei Kapitalgesellschaften erfolgen. Ferner sind angemessene Einflußmöglichkeiten anzustreben, damit der Bund auf die Verfolgung des wichtigen Interesses hinwirken kann. 18 Die Landeshaushaltsordnungen enthalten fast wortgleiche Bestimmungen.'9 Für die wirtschaftliche Betätigung der Gemeinden gelten in der Bundesrepublik restriktivere Vorschriften. Hier muß zusätzlich ein öffentlicher Zweck das Unternehmen erfordern und die Haftung muß auf einen der Leistungsfahigkeit der Gemeinde angemessenen Betrag begrenzt werden. Des weiteren darf die Tätigkeit nicht ebensogut durch einen anderen erfüllt werden können.20 Diese Subsidiaritätsklausel ist allerdings in einigen Bundesländern aufgehoben worden, wodurch Kapitalbeteiligungen auch auf Gemeindeebene unter erleichterten Voraussetzungen ermöglicht werden.2 1 Die innerstaatlichen Haushaltsvorschriften sind für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung von Kapitalzuführungen der öffentlichen Hand allerdings nicht von Bedeutung. Anderenfalls würden Mitgliedstaaten mit strengeren Bestimmungen im Rahmen der Beihilfenkontrolle gegenüber anderen Staaten benachteiligt. Wegen des bestehenden Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts22 richtet sich die Zulässigkeit der Maßnahmen vielmehr allein nach den Art. 87 ff. EG V.

d) Anlässe für Kapitalzufuhren Die finanziellen Beziehungen der Gesellschaft zum Staat vor der Kapitalzuführung können unterschiedlich sein. Hierbei lassen sich vier Situationen unterscheiden, in denen sich die öffentliche Hand veranlaßt sehen kann, eine Kapitalzufuhr vorzunehmen. 23 Dabei geht es um die Neugründung von Unternehmen, um Bigenturnsübertragungen vom privaten auf den öffentlichen Sektor, um Kapitalzuführungen an ein öffentliches Unternehmen sowie um Kapitalerhöhungen bei privaten Gesellschaften. Diese sollen nun dargestellt werden, wobei zu untersuchen ist, inwieweit in den einzelnen Konstellationen Beihilfeelemente enthalten sein können.

Isensee!Kirchhof!Ronellenfitsch, § 84, Rn. 28. Piduch, § 65 BHO, Rn. 10. 19 So zum Beispiel Art. 65 der bayerischen Haushaltsordnung. 20 Vergleiche etwa Art. 87, 92 der bayerischen Gemeindeordnung. 21 Art.107, 108 der nordrhein-westfalischen Gemeindeordnung. 22 EuGH Slg. 1964, 1251, 1269ff. in Rs. 6/64 (Costa/ENEL). 23 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105. 17

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

aa) Gründung von Unternehmen Beteiligt sich der Staat an der Gründung eines Unternehmens, so kommt es zu einem Mitteltransfer zwischen ihm und der Gesellschaft durch die Einzahlung in das Eigenkapital. Als Gegenleistung erhält die öffentliche Hand Rechte an dem Unternehmen.24 Dieser Vorgang kann den Tatbestand des Art. 87 I EGV erfüllen, wenn der Staat mehr Kapital einbringt, als die Beteiligung für ihn wert ist, da es dann an der marktüblichen Gegenleistung des Begünstigten fehlt.2s Zwar ist die Höhe des einzubringenden Kapitals fest bestimmt, so daß man beispielsweise 100 Prozent der Gesellschaftsanteile nur gegen Leistung von Einlagen erhalten kann, deren Höhe mindestens dem Nennwert des Eigenkapitals entsprechen. Tatsächlich haben Unternehmen manchmal aber bereits bei Gründung einen solchen Marktwert erreicht, daß mehr Geld für eine Beteiligung geboten wird, als sie dem Nennwert des Anteils entspricht. Für Deutschland gelten insoweit die§§ 9, 54 I des Aktiengesetzes (AktG). Der Ausgabebetrag kann entsprechend weit über dem Nennwert angesetzt werden.26 Bereits der Gründungsakt wird so für die Gesellschaft zu einem rentablen Geschäft. Normalerweise entsprechen diese Vorgänge der Wettbewerbssituation, allerdings ist eine Begünstigung hier in zwei Formen möglich. 27 Zum einen ist dies der Fall, wenn der Staat Anteile zu einem Preis über dem Nennwert erwirbt, ohne daß diese zusätzliche Leistung durch einen höheren Marktwert gerechtfertigt wäre. Zum anderen kann eine Beihilfe aber auch dann vorliegen, wenn die Kapitalzufuhr dem Nennwert der Anteile entspricht. Wird ein Unternehmen gegründet, das keine ausreichenden Ertragserwartungen besitzt, so bekommt der staatliche Kapitalgeber zwar den aktuellen Substanzwert der Beteiligung, verzichtet aber auf eine angemessene Rendite in der Zukunft. Dies kommt der Gesellschaft zugute, die das Kapital auf dem freien Markt nicht erhalten hätte.28 Diese Überlegungen spielen insbesondere bei scheinbaren Neugründungen zur Fortsetzung der Tätigkeit unrentabler Betriebe eine große Rolle.29 Somit können auch in staatlichen Kapitalzufuhren im Zusammenhang mit der Gründung einer Gesellschaft Beihilfeelemente enthalten sein.30 Schmidt, S. 805 ff. EuGH Slg. 1984,3809,3831 in Rs. 323/82 (lntermills); EuGH Slg. 1986,2321 , 2345 in Rs. 40/85 (Boch); GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 6. 26 Hoffmann-Becking, § 3, Rn. 9. 27 Pape, S. 26. 28 EuGH Slg. 1986, 2263, 2286 in Rs. 234/84 (Meura). 29 EuGH Slg. 1984, 3809, 3826 in Rs. 323/82 (lntermills); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 306, 18, 22 (Aircraft Services Lemwerder). 30 Diese Meinung vertritt auch die Kornmission in ihrer Mitteilung über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105f. Danach liegt a priori keine Beihilfe vor, sofern die öffentliche Hand bei der Gründung von Unternehmen 24

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I. Beihilfebegriff

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bb) Eigentumsübertragung vom privaten auf den öffentlichen Sektor Ein anderer Fall ist die teilweise oder völlige Eigentumsübertragung vom privaten auf den öffentlichen Sektor. Durch den staatlichen Erwerb einer Unternehmensbeteiligung kommt es generell nur zu einem Mitteltransfer zwischen dem Staat und dem Veräußerer, so daß zwar dieser begünstigt werden kann, wenn der Kaufpreis den Marktwert übersteigt. Das Unternehmen selbst ist jedoch nur der Gegenstand des Transfers, ihm kommt der gezahlte Kaufpreis nicht zugute. Anders liegt der Fall nur, wenn vereinbart wird, den Kaufpreis nicht dem Veräußerer, sondern dem Unternehmen zuzuführen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß die Gesellschaft möglicherweise auf andere Art von ihrem neuen Eigentümer profitiert. Denkbar ist, daß wegen dessen guten Rufes als Schuldner das Unternehmen nun Kredite auf dem freien Markt zu günstigeren Bedingungen erlangen kann als vor der staatlichen Beteiligung. Außerdem könnte es Synergieeffekte durch die Kooperation mit anderen öffentlichen Unternehmen nutzen und dadurch seine eigenen Kosten senken. Diese Vorteile stellen allerdings keine Beihilfen dar, da der Staat für sie eine äquivalente Gegenleistung erhält. Die Kostensenkungen werden sich nämlich positiv auf das Betriebsergebnis auswirken, so daß die Rendite der Beteiligung steigt. Außerdem folgen diese Vorteile für die Gesellschaft nicht aus der Übertragung von staatlichen Mitteln auf das Unternehmen. Manchmal verpflichtet sich der Staat beim Kauf eines Unternehmensteils, diesem Unternehmen in der Folgezeit weiteres Kapital zuzuführen. Aber auch durch solche Zusatzvereinbarungen wird die Eigentumsübertragung selbst nicht zu einer unzulässigen Beihilfe. Die weiteren Kapitalzuführungen stellen eigenständige Maßnahmen dar, die nur anläßlich des Beteiligungserwerbs erfolgen und somit unabhängig davon zu prüfen sind. Daher untersuchen auch die Kommission und die Rechtsprechung in derartigen Fällen nicht die Angemessenheit des Kaufpreises, sondern nur, ob die folgende Kapitalzufuhr Beihilfeelemente enthält. Derartige Maßnahmen sind systematisch unter den Kategorien der Bereitstellung von Kapital für ein öffentliches beziehungsweise für ein privates Unternehmen einzuordnen. Die Übertragung von Unternehmensbeteiligungen vom privaten auf den öffentlichen Sektor an sich unterfallt also nicht dem Tatbestand des Art. 87 I EGV,31 es sei denn, der Kaufpreis wird nicht dem Veräußerer, sondern der Gesellschaft zugeführt. nach marktwirtschaftliehen Gesichtspunkten handelt. Andererseits handelt es sich jedoch um eine Beihilfe, wenn die öffentliche Beteiligung die Wiederaufnahme oderdie weitere gänzliche oder teilweise Betreibung der unrentablen Tätigkeit eines sich in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens über die Gründung einerneuen juristischen Einheit verfolgt. 31 Ebenso Grabitz/Hilftvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 14; Dauses/Götz, H. III., Rn. 35. Vergleiche auch die Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105, wonach der einfache Erwerb eines Teils oder des gesamten Gesellschaftsvermögens eines bereits bestehenden Unternehmens ohne Bereitstellung von neuem Kapital für dieses Unternehmen keine Beihilfe darstellt.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

cc) Bereitstellung von Kapital für öffentliche Unternehmen Bei der Bereitstellung von Kapital für ein öffentliches Unternehmen ist zu beachten, daß diese häufig nicht in Form einer förmlichen Kapitalerhöhung erfolgt. Die zugeführten Mittel werden bilanziell nicht als Eigenkapital erfaßt, sondern zum Beispiel in die Rücklagen eingestellt. Daher ändert sich zwar nominell nicht die Höhe der staatlichen Beteiligung, die Wirkung ist jedoch die gleiche wie bei einer förmlichen Kapitalerhöhung. Da aber nicht die Form einer staatlichen Maßnahme, sondern ausschließlich deren Wrrkung für die Beurteilung der Beihilfeeigenschaft entscheidend ist,32 sind diese Fälle gleich zu behandeln. Fälle von Kapitalzuführungen an öffentliche Unternehmen führen am häufigsten zur Anwendung des gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverbotes. 33 Wegen des sich aus Art. 86 I, 295 EGV ergebenden Grundsatzes der Neutralität gegenüber den mitgliedstaatliehen Eigentumsordnungen können sie aber nicht prinzipiell als Beihilfen angesehen werden, sondern es ist im Einzelfall zu prüfen, ob das betroffene Unternehmen dadurch einen nicht marktgerechten Vorteil erlangt.34 Eine Untergruppe hat dabei in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, nämlich Kapitalzufuhren an öffentliche Unternehmen im Vorfeld von Privatisierungen. Auch diese Veräußerungen unter Hinzugabe einer "Mitgift" werden von Kommission und Rechtsprechung auf ihre Beihilferelevanz hin überprüft. 35 Ein entscheidender Aspekt ist dabei, ob die Höhe der "Mitgift" durch einen entsprechend höheren Verkaufserlös aufgewogen wird. Bei Kapitalzufuhren an öffentliche Unternehmen ist somit immer am konkreten Einzelfall zu prüfen, ob diese Beihilfeelemente enthalten.

Siehe oben C.l. I. Vergleiche etwa EuGel Slg. 1998 II, 3437, 3445 in verb. Rs. T-126, 127/96 (BFM und EFIM); EuGH Slg. 1986, 2321, 2323 in Rs.40/85 (Boch); EuGH Slg. 1986, 2263, 2265 in Rs. 234/84 (Meura); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, 1 (Societe Marseillaise de Credit). 34 Vergleiche die Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105: Apriori liegen keine staatlichen Beihilfen vor bei der Bereitstellung von neuem Kapital für öffentliche Unternehmen, sofern die Bereitstellung von Kapital dem Bedarf an Neuinvestitionen und den damit unmittelbar verbundenen Kosten entspricht, sofern in dem Sektor, in dem das Unternehmen tätig ist, im Gemeinsamen Markt keine strukturellen Überkapazitäten bestehen und es sich um ein finanziell gesundes Unternehmen handelt. 35 EuGel Slg. 1999 II, Rn. 1 ff. in Rs. T-110/97 (Kneiss1 Dachstein) (Urteil vom 6.10.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 88, 53, 54 (Lloyd Triestino di Navigazione). 32 33

I. Beihilfebegriff

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dd) Kapitalerhöhung bei privaten Unternehmen Minderheitsbeteiligungen der öffentlichen Hand sind ebenfalls der Beihilfenkontrolle unterworfen,36 so daß auch Kapitalerhöhungen in diesem Rahmen anhand Art. 87 ff. EGV zu untersuchen sind. Sofern der Staat dabei nicht aus anderen Gründen als wegen der Höhe der Beteiligung einen beherrschenden Einfluß auf das Unternehmen ausüben kann, bleibt dieses jedoch dem privaten Sektor zugeordnet. 37 Nominelle Kapitalerhöhungen werden aus den Rücklagen der Gesellschaft finanziert. Hier werden keine staatlichen Mittel an das Unternehmen transferiert. Eine Vorteilsgewährung kommt allein bei effektiven, von außen finanzierten Kaphaierhöhungen in Betracht.38 Zwar erwirbt die öffentliche Hand als Gegenleistung dabei die erhöhte Beteiligung an dem Unternehmen, dessen Substanzwert um die Höhe des Kapitaltransfers gestiegen ist. Die Fortführung der Gesellschaft bringt aber Substanzverluste mit sich, die nur durch Erträge ausgeglichen werden können. Ohne die Aussicht auf angemessene Erträge in der Zukunft darf kein Unternehmen unter normalen Umständen erwarten, Mittel für eine Kapitalerhöhung und damit für neue Investitionen zu erhalten.39 Auch durch die staatliche Beteiligung an einer Kapitalerhöhung bei einem privaten Unternehmen kann der Tatbestand des Art. 87 I EGV erfüllt werden.40 ee) Ergebnis Es ist daher festzuhalten, daß es vier verschiedene Situationen gibt, in denen sich die öffentliche Hand veranlaßt sehen kann, einer Gesellschaft Kapital zuzuführen. In den Fällen der Gründung eines Unternehmens, der Kapitalzufuhr für ein Unternehmen des öffentlichen Sektors und der Kapitalerhöhung bei einer privaten Gesellschaft können staatliche Mitteltransfers Beihilfeelemente enthalten, wenn der Staat keine äquivalente Gegenleistung erhält. Allein der Erwerb eines Unternehmensteils durch den Staat stellt für dieses Unternehmen normalerweise keine Beihilfe dar, da der Kaufpreis nicht ihm, sondern dem Veräußerer zugute kommt. Etwas anderes gilt nur, falls vereinbart wird, den Kaufpreis der Gesellschaft zuzuführen.

EuGei Slg. 1999 li, 17, 28 in verb. Rs. T-129/95 und T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). Siehe Art. 2 der Richtlinie der Kommission 80n23/EWG, ABI. 1980, Nr. L 195, 35ff. (Transparenzrichtlinie). 38 Pape, S. 27. 39 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 6. 40 Ein wichtiges Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe ist dabei nach Ansicht der Kommission die fehlende Beteiligung Privater an der Kapitalerhöhung, vergleiche insofern die Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106. 36 37

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

e) Modalitäten der Kapitalzufuhr Die konkreten Ausgestaltungen von Kapitalzuführungen können sehr unterschiedlich sein, wofür unter anderem wirtschaftliche, steuerliche und bilanztechnische Gründe ursächlich sind. Sie reichen von einer Umwandlung von Darlehen in Eigenkapital41 über die Eigenkapitalzufuhr in mehreren Tranchen42 bis hin zu einer "aufgeschobenen Kapitalerhöhung" durch die Zeichnpng von Schuldverschreibungen, die obligatorisch in Aktien getilgt werden.43 Eine Beteiligungserhöhung kann zudem mit einem Kapitalschnitt verbunden werden,44 also einer Reduzierung des bilanziellen Kapitalwerts mit einer gleichzeitig erfolgenden Kapitalerhöhung durch neu eingeschossene Mittel.45 Die möglichen Modalitäten der Beteiligung betreffen jedoch nur ihre äußere Form. Diese erlaubt aber für sich allein keinen Rückschluß auf den Beihilfecharakter einer Maßnahme46 und ist deshalb nur von sekundärer Bedeutung. f) Andere Finanzierungsformen im Rahmen einer bestehenden Kapitalbeteiligung Kapitalzufuhren sind nicht die einzigen Möglichkeiten eines staatlichen Anteilseigners, sein Unternehmen zu unterstützen. Andere Finanzierungsformen können eine ähnliche Begünstigungswirkung aufweisen und somit ebenfalls als Beihilfen einzustufen sein. Hierzu zählen etwa die Übernahme von Bürgschaften oder die Gewährung von Darlehen, eventuell in der Form eines Beteiligungsdarlehens.47 Außerdem können bestehende Schulden erlassen werden, oder die öffentliche Hand kann auf die Entrichtung von Steuern verzichten. Den genannten Beispielsfällen ist gemein, daß die staatlichen Maßnahmen ihre begünstigende Wirkung gegebenenfalls auch ohne eine zuvor erfolgte Kapitalbeteiligung erzeugen würden. Sie erfolgen nur anläßlich einer staatlichen Beteiligung. Auf sie soll deshalb im weiteren nicht eingegangen werden. 41 EuGel Slg. 1999 II, Rn.1 ff. in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 6.10.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung); EuGel Slg. 1995 II, 1971, 1977 in verb. Rs. T-447, 448, 449/93 (AITEC, British Cement und Titan); Smit/Herzog, §92.02. 42 EuGel Slg. 199811, 3327, 3332 in Rs. T-140/95 (Ryanair); EuGel Slg. 199811, 3235, 3242 in Rs. T-11/95 (BP Chemica1s). 43 EuGel Slg. 199611,2109,2155 in Rs.358/94 (AirFrance). 44 EuGH Slg. 1986, 2321,2322 in Rs.40/85 (Boch). 4s Schmidt, S. 1176. 46 GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 7; vergleiche auch C. I. 1. Unzutreffend sind daher die Ausführungen von Pape, S. 84, der allein aus der Tatsache, daß die Kapitalerhöhung mit einem Kapitalschnitt kombiniert wird, eine Vermutung für das Vorliegen einer Beihilfe ableiten will. 47 Bei dieser Darlehensform ist das Kapital zunächst nur mit einem niedrigen Zinssatz zu veninsen. Weitere Zins- und Tilgungsleistungen sind abhängig von dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Sie ähnelt also in gewisser Weise einer Kapitalbeteiligung, siehe van der Esch, S. 27 f.

I. Beihilfebegriff

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3. Vergleich mit dem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber

a) Ausdruck des Prinzips der Gleichbehandlung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor Bei staatlichen Kapitalbeteiligungen erlangt Art. 295 EGV, demzufolge der Vertrag die Eigentumsordnungen in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt läßt, besondere Bedeutung. In Zusammenschau mit Art. 86 I EGV ergibt sich daraus der Grundsatz der Neutralität des Gemeinschaftsrechts gegenüber den bestehenden Eigentumsordnungen.48 Den Mitgliedstaaten darf es deshalb nicht verwehrt werden, sich wie ein privater Unternehmer zu verhalten, indem sie Beteiligungen erwerben oder erhöhen. Andererseits führt die Doppelrolle des Staates als Eigentümer und Vertreter von Interessen des Allgemeinwohls oftmals dazu, daß dieser bei seiner Investitionsentscheidung nicht renditeorientiert handelt. Aus dem Neutralitätsprinzip folgt aber ebenfalls, daß öffentliche Unternehmen nicht gegenüber privaten Unternehmen bevorzugt werden dürfen,49 die öffentliche Hand muß vielmehr an dieselben Regeln marktwirtschaftlicher Tatigkeit gebunden werden wie jedes andere private Unternehmen auch.5° Es stellt sich also die Frage nach der Abgrenzung von erlaubter untemehmerischer Betätigung des Staates zu generell verbotener Beihilfengewährung im Sinne von Art. 87 I EGV. Hierbei wird von der Kommission der Vergleich mit einem "marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber''5 1 angewandt, der Gerichtshof stellt auf den "vernünftigen Investor"52 ab. Diese Begriffe unterscheiden sich nur terminologisch. Beide Maßstäbe sind eine Ausprägung des Grundsatzes der Gleichbehandlung zwischen dem öffentlichen und dem privaten Sektor,53 wonach Mittel, die der Staat einem Unternehmen unter normalen Marktbedingungen zur Verfügung stellt, nicht als staatliche Beihilfen anzusehen sind. Umgekehrt handelt es sich um Beihilfen, wenn ein privater Kapitalgeber die Investition nicht getätigt hätte.54

Siehe oben B. III. 3. Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 55 (Alitalia); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 279,29,36 (TAP). 50 Pappalardo in Festschrift für von der Groeben, S. 313; Page in ELR 1982, 19, 23. 51 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 6. 52 EuGH Slg. 1986,2321,2345 in Rs.40/85 (Boch). s3 EuGel S1g. 1996 II, 2109, 2134 in Rs. T-358/94 (Air France). 54 Zunehmend wird der Vergleich mit dem privaten Investor auch zur Beurteilung anderer Beihilfeformen wie etwa Bürgschaften angewandt, vergleiche die Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 8; Schohe/Hoenike in EuZW 1997,741,743. 411

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

b) Entwicklung des Vergleichsmaßstabes

Das Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers wurde weniger durch die betriebswirtschaftliche oder juristische Wissenschaft als vielmehr durch die Kommissionspraxis und Judikatur in kasuistischer Weise entwickelt und konkretisiert.55 Als "reasonable investor's test" fand es schon in den siebziger Jahren Verwendung im amerikanischen Antidumpingrecht.56 Innerhalb eines Rechtsakts der Europäischen Gemeinschaft erschien es erstmalig in einer Richtlinie des Rates57 aus dem Jahr 1981. Die Kommission wandte diesen Vergleichsmaßstab explizit in einer Entscheidung58 im folgenden Jahr und in einer Mitteilung an die Mitgliedstaaten über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen59 an, worin sie auch Indizien für das Vorliegen von Beihilfen nannte. Die Fortentwicklung des Begriffs durch die Rechtsprechung läßt sich in zwei Schritte unterteilen. Zunächst stellte der Gerichtshof nur darauf ab, ob ein privater Gesellschafter in vergleichbarer Lage unter Zugrundelegung der Rentabilitätsaussichten und unabhängig von allen sozialen oder regionalpolitischen Überlegungen oder Erwägungen einer sektorbezogenen Politik eine solche Kapitalhilfe gewährt hätte. 60 Diese Definition orientiert sich einseitig am unmittelbaren Gewinnstreben des privaten Investors und stellt fest, daß strikt zwischen der wirtschaftlichen Tatigkeit des Staates und seiner Verantwortung für das Allgemeinwohl zu unterscheiden ist. 61 Dieses Verständnis des Begriffs erwies sich jedoch als zu eng und mit dem Prinzip der Gleichbehandlung von öffentlichem und privatem Eigentum nicht vereinbar. Daher wurde später klargestellt, daß bei Beteiligungen der öffentlichen Hand zu prüfen ist, ob ein privater Investor von vergleichbarer Größe wie die Verwaltungseinrichtung des öffentlichen Sektors in vergleichbarer Lage hätte veranlaßt werden können, Kapitalhilfen dieses Umfangs zu gewähren. Vergleichsmaßstab ist nicht 55

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Zehetner, S. 311. Vergleiche Stad/er in RIW 1987, S. 210ff.

51 Richtlinie des Rates 81/363/EWG, ABI. 1981, Nr. L 137, 39, 40 (Schiffbaukodex). Danach liegt eine Beihilfe vor, wenn die Bereitstellung von haftendem Kapital nicht "nach der normalen Unternehrnenspraxis" in einer Marktwirtschaft erfolgt. sa Entscheidung der Kommission, ABI. 1982, Nr. L 277, 15 (Leeuwarder Papierwarenfabriek). 59 Mitteilung der Kornmission über Beteiligungen der öffentlichen Hand arn Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104ff. 60 EuGH Slg. 1986, 2263, 2264 in Rs. 234/84 (Meura); EuGH Slg. 1986, 2321, 2322 in Rs. 40/85 (Boch). 61 Unhaltbar sind deshalb die Ausführungen von Pape, S. 48, der annimmt, daß bestehende öffentliche Aufgaben des Staates den Beihilfebegriff des Art. 871 EGV modifizieren und sogar das Vorliegen einer Beihilfe ausschließen könnten, sofern diese Aufgaben nicht schon zu einer Ausnahme nach Art. 87 II, III EGV oder Art. 86 II EGV führen. Pape vermengt hier die beiden Prüfungsschritte des Vorliegens einer Beihilfe und ihrer eventuellen Rechtfertigung, die jedoch strikt voneinander zu trennen sind.

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zwangsläufig das Verhalten eines gewöhnlichen Investors, der Kapital zum Zweck seiner mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, sondern wenigstens das Verhalten einer privaten Holding oder einer privaten Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Gewinnaussichten leiten läßt.62 Somit kann eine Muttergesellschaft während eines beschränkten Zeitraums auch Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen, um dieser die Einstellung ihrer Tätigkeit unter möglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen. Solche Entscheidungen können nicht nur mit der Wahrscheinlichkeit eines unmittelbaren materiellen Gewinns begründet werden, sondern ebenso mit anderen Erwägungen, etwa dem Bemühen um Imagepflege des Konzerns oder um Neuorientierung seiner Tätigkeit. Die Grenze einer vernünftigen unternehmerischen Entscheidung ist allerdings dann überschritten, wenn bei Kapitalzuschüssen der öffentlichen Hand selbst langfristig jede Aussicht auf Rentabilität fehlt.63 c) Probleme der Auslegung des Vergleichsmaßstabes

Der Begriff des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers ist in den letzten Jahren durch die Arbeit der Kommission und der Rechtsprechung konkretisiert worden, so daß für die betroffenen Unternehmen und Mitgliedstaaten ein gewisses Maß an Rechtssicherheit gewährleistet ist. Dennoch bleiben noch einige Auslegungsfragen offen, die einer Klärung bedürfen. Dazu zählen Probleme im Zusammenhang mit dem maßgeblichen Zeitpunkt für die Bewertung der staatlichen Beteiligungsmaßnahme, die Reichweite des Beurteilungsspielraums der öffentlichen Hand bei der Investitionsentscheidung, das Problem der Berücksichtigung der sozialen und regionalen Verantwortung des Eigentümers, die unterschiedliche Bewertung von Mehrheits- und Minderheitsbeteiligungen sowie die Frage, welche Privatunternehmen für einen Vergleich mit der die Beihilfe gewährenden Stelle herangezogen werden dürfen. aa) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung Insbesondere bei zunächst nicht notifizierten Beihilfen, deren Überprüfung durch Kommission und Rechtsprechung erst in größerem zeitlichen Abstand erfolgt, besteht die Gefahr, daß Informationen über die zwischenzeitliche Entwicklung des Unternehmens als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden.64 Die BerückEuGH Slg. 1991 I, 1603, 1640 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); siehe auch Appelt, S. 42. EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi). 64 Dieser Fehler ist gelegentlich in den Ausführungen aller Verfahrensbeteiligten, aber ebenso in der Literatur zu beobachten. So zum Beispiel bei Grabitz/Hilflvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn.14, wo behauptet wird, ein Indiz gegen das Vorliegen einer Beihilfe könne sein, daß 62

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

sichtigung nachträglich bekanntgewordener Tatsachen könnte für die betroffene Gesellschaft unterschiedliche Auswirkungen haben. Einerseits könnte wegen einer nachträglichen unvorhersehbaren Besserung der wirtschaftlichen Lage die Beihilfeeigenschaft auszuschließen sein,65 andererseits könnten die Umstände auch als Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe wirken.66 Bei der Bewertung einer Maßnahme sind jedoch nur Umstände zu berücksichtigen, die zur Zeit der staatlichen Beteiligungsentscheidung bekannt waren. Es darf keinesfalls durch eine ex post-Beurteilungfestgestellt werden, ob die Zuführung öffentlicher Mittel eine Beihilfe darstellt, bloß weil die tatsächlich erzielte Ertragsrate nicht angemessen war. Es liegt nämlich auf der Hand, daß wegen des mit allen Investitionsentscheidungen verbundenen Risikos nicht alle Vorhaben erfolgreich sein werden, sondern manche nur eine unterdurchschnittliche Rendite aufweisen oder auch vollständig scheitern werden.67 Anderenfalls würde das Prinzip der Gleichbehandlung mit privaten Kapitalgebern verletzt, deren Kapitalzufuhr im Ergebnis ebenfalls nur geringe oder gar keine Gewinne erbringen kann. Außerdem wären sonst Mitgliedstaaten, die Beihilfen nicht notifizieren, eventuell sogar begünstigt, falls im nachhinein entgegen den Erwartungen doch Gewinne erzielt werden. bb) Weite Bandbreite von Beurteilungsmöglichkeiten Die Kommission muß bei ihrer Prüfung eine hypothetische Betrachtung anstellen, was die Gefahr in sich birgt, daß sie anstelle des Investors über die ökonomische Sinnhaftigkeit eines Projekts entscheidet. Die Kommission ist sich dieses Problems bewußt und erkennt an, daß für Unternehmerische Entscheidungen ein großer Entscheidungsspielraum notwendig ist. Den Mitgliedstaaten ist eine weite Bandbreite von Beurteilungsmöglichkeiten zuzubilligen, eine Kapitalzufuhr ist nur dann als Beihilfe zu qualifizieren, wenn es keine objektiven oder in gutem Glauben angenommenen Gründe gibt, die vernünftigerweise eine mit einem privaten Unternehmen derselben Branche vergleichbare Rendite erwarten lassen.68 die Beteiligung später schnell an einen privaten Investor veräußert wurde. Siehe auch zur Bewertungsgrundlage der Kornmission den XVI. Wettbewerbsbericht 1986, S. 150. 6S Vergleiche nur die Argumentation der italienischen Regierung in EuGH Slg. 1991 I, 4437, 4458 in Rs. C-261/89 (Aluminia und Comsal), die Kommission habe das Prinzip des vernünftigen Investors nicht richtig angewandt, da sie inzwischen eingetretene Gewinne nicht berücksichtigt habe, obwohl diese vorhersehbar waren. Genau diese Vorhersehbarkeit wurde vom Generalanwalt jedoch bestritten. 66 So nahm der Generalanwalt in EuGH Slg. 1984, 3809, 3842 in Rs. 323/82 (Interrnills), an, daß aus dem Umstand, daß sogar vier Jahre nach der Gewährung der Beihilfe die Rentabilität noch nicht wiederhergestellt sei, geschlossen werden müsse, daß dieses Kapital auf dem privaten Kapitalmarkt nicht hätte beschafft werden können. 67 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10. 68 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 10.

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Die Erforderlichkeit eines solchen Spielraums ergibt sich schon aus dem Vergleichsmaßstab des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers, da auch private Investoren bei der Bewertung einer konkreten wirtschaftlichen Situation zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können. In der Praxis erweist es sich allerdings als schwierig, hier eine scharfe Trennlinie zwischen dem Eingehen eines erlaubten Risikos und der Gewährung einer Beihilfe zu ziehen. Zunächst stellt sich schon das Problem, die zukünftigen Gewinnaussichten der Beteiligung abzuschätzen. Der Wert der Investition läßt sich nur innerhalb einer mehr oder minder großen Bandbreite feststellen,69 da Kapitalbeteiligungen oft langfristig eingegangen werden und die Wertentwicklung daher mit großen Unwägbarkeilen behaftet ist. Welche Schwierigkeiten eine exakte Risikobewertung beinhaltet, beweist schon die Tatsache, daß auch viele private Kapitalgeber mit ihrem Projekt scheitern und die eingesetzten Mittel verlieren. Falls die Gesellschaftsanteile nicht an der Börse gehandelt werden, existiert zudem kein transparenter Markt zur Festlegung ihres Wertes, was eine genaue Bewertung zusätzlich erschwert. Doch selbst bei gleicher Kenntnis der Sachlage und gleicher Einschätzung der Wahrscheinlichkeit und der Höhe der Rendite werden die Entscheidungen privater Investoren bezüglich eines konkreten finanziellen Engagements nicht einheitlich gefällt.1° Die subjektive Risikoneigung ist auch in der Privatwirtschaft sehr unterschiedlich. Die Risikofreudigkeit oder -aversion hängt jeweils von der individuellen Persönlichkeit ab, weshalb es auch verfehlt erscheint, ein "idealtypisches" Risiko festlegen zu wollen. Das Wesen der Marktwirtschaft besteht ja gerade in der freiverantwortlichen Tätigkeit jedes ihrer Teilnehmer. Aus diesen Gründen muß den Mitgliedstaaten eine weite Bandbreite von Beurteilungsmöglichkeiten zugebilligt werden, der Entscheidungsspielraum darf nicht unsachgemäß eingeschränkt werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, daß die Kommission ihre wirtschaftliche Entscheidung an die Stelle der Entscheidung der Mitgliedstaaten setzt. Außerdem könnten diese wegen der drohenden Überprüfung im Beihilfeverfahren von vornherein davon abgehalten werden, riskante Investitionen zu tätigen. 71 Die Kommission muß jedoch nicht jede Entscheidung der Mitgliedstaaten als Ausdruck individueller Risikobewertung und Risikoneigung hinnehmen, sonst wäre die Beihilfenkontrolle ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt. Die Grenze der Entscheidungsfreiheit der öffentlichen Hand ist dort erreicht, wo die Maßnahme der marktwirtschaftliehen Logik widerspricht und nicht mehr anders erklärt werden Pape, S.55f. Soukup in ZögU 1995, 16, 32; Hellingman in CMLRev 1986, 111, 119. Auch die Kommission erkennt in ihrer Mitteilung über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105, an, daß Investitionen mit besonderem Risiko nicht generell als Beihilfen einzustufen sind. 71 Soukup in ZögU 1995, 16, 33. (fJ

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kann, als daß der Mitgliedstaat nicht in seiner Rolle als Marktteilnehmer, sondern in Erfüllung seiner Aufgaben für das Allgemeinwohl gehandelt hat. Nicht relevant ist in diesem Zusammenhang hingegen, daß auch das Handeln Privater nicht immer rational ist.72 Dieses kann bei der Frage des Beurteilungsspielraums der Mitgliedstaaten keine Rolle spielen. Durch die Berücksichtigung irrationaler Entscheidungsmöglichkeiten würde eine effektive Beihilfenkontrolle unmöglich, da sich die Mitgliedstaaten immer auf Einzelfälle aus der Privatwirtschaft berufen könnten, in denen auch nicht aus nachvollziehbaren ökonomischen Gründen gehandelt worden ist. Ein derartiges Verhalten entspricht jedoch gerade nicht dem Vergleichsmaßstab eines vernünftigen Investors. Ein Recht der Mitgliedstaaten auf eine irrationale Entscheidung ist also nicht anzuerkennen.

cc) Berücksichtigung der sozialen und regionalen Verantwortung des Eigentümers Problematisch ist, inwieweit die soziale und regionale Verantwortung des Eigentümers für die Einstufung einer staatlichen Maßnahme als Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV beachtlich ist. Als Ausgangspunkt ist hier zu beachten, daß zwischen den erwerbswirtschaftlich Unternehmerischen Aktivitäten der öffentlichen Hand und ihrem staatlichen, an politischen Zielen und der Förderung des öffentlichen Wohles orientierten Tätigwerden streng zu unterscheiden ist. Daher erklärte der EuGH schon früh, daß zu prüfen sei, ob ein privater Gesellschafter unter Zugrundelegung der Rentabilitätsaussichten und unabhängig von allen sozialen oder regionalpolitischen Überlegungen eine solche Kapitalhilfe gewährt hätte. 73 Bei einer engen, sich ausschließlich an unmittelbaren Gewinnaussichten orientierenden Auslegung des Begriffes des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers besteht aber die Gefahr, den sich aus Art. 90 I, 295 EGV ergebenden Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen öffentlicher und privater Wirtschaft zu verletzen. Denn in Wirtschaftssystemen, wie sie in der Europäischen Union bestehen, in denen Arbeitnehmerinteressen deutlichen Ausdruck finden, kann auch eine private Unternehmensgruppe gegenüber der Belegschaft und der wirtschaftlichen Entwicklung der Region, in der sie arbeitet, nicht völlig gleichgültig sein. 74 Deshalb ist als Vergleichsmaßstab eine Gesellschaft heranzuziehen, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten 72 So jedoch andeutungsweise Deckert/Schroeder in EuR 1998, 291, 308, die darauf hinweisen, daß rationales privates Investorenverhalten nicht der Realität entspreche. 73 EuGH Slg. 1986, 2263, 2264 in Rs. 234/84 (Meura); EuGH Slg. 1986, 2321 , 2322 in Rs. 40/85 (Boch). 74 So der Generalanwalt in EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1459 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi). Zu pauschal ist daher der Hinweis in Dauses/Götz, H. III, Rn. 32, daß Ziele wie die Vermeidung von Entlassungen nicht zu berücksichtigen seien.

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läßt.75 Im diesem Rahmen können auch regionale Interessen oder solche der Arbeitnehmer zumindest in gewissem Umfang Berücksichtigung finden. Soziale oder regionale Erwägungen können eine vernünftige Unternehmensführung allerdings nicht dazu veranlassen, Rentabilitätserwägungen völlig außer Betracht zu lassen. Das gebietet schon die Verantwortung gegenüber ihren Kapitalgebern und ebenso gegenüber ihren Arbeitnehmern, da unrentable Investitionen auf die Dauer zum Konkurs der gesamten Unternehmensgruppe führen würden. Auch eine sozial verantwortlich handelnde Gesellschaft kann sich nicht den Marktgesetzen entziehen. Die Grenze für die Beachtlichkeit anderer Ziele wird dann überschritten, wenn selbst langfristig keine Gewinnaussicht für die Investition besteht. Das Erfordernis zumindest längerfristiger Rentabilität des eingesetzten Kapitals setzt sich somit im Ergebnis immer gegen die soziale und regionale Verantwortung des Eigentümers durch.76 dd) Unterschiedliche Bewertung von Mehrheitsund Minderheitsbeteiligung Die Kommission erklärt in einer Mitteilung an die Mitgliedstaaten, daß bei der Beurteilung einer staatlichen Maßnahme nach dem Umfang der bestehenden oder angestrebten Beteiligung zu differenzieren sei. Wahrend Minderheitsbeteiligungen generell eher spekulativer Natur seien und daher mit kurzfristigen Rentabilitätserwägungen einhergingen, verfolgten Mehrheitsgesellschafter regelmäßig längerfristige lnteressen. 77 In vielen Fällen wird diese Unterscheidung auch der Realität in der Privatwirtschaft gerecht, da Minderheitsgesellschafter, die keinen Einfluß auf die Geschäftsführung nehmen können, sich in der Regel weniger um strategische Belange kümmern, sondern an einer kurzfristigen Verzinsung ihres Kapitals interessiert sind. Diese Aussage darf jedoch nicht pauschaliert werden. Zum einen würde dadurch der auch gemeinschaftsrechtlich anerkannte Gleichheitssatz in seiner Ausprägung der unterschiedlichen Behandlung gleicher Sachverhalte verletzt. 78 Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum nicht auch eine Minderheitsbeteiligung auf längere Dauer ausgerichtet sein und sich deshalb an längerfristigen RentabilitätserwägunEuGH Slg. 19911, 1603, 1640 in Rs.C-305/89 (Alfa Romeo). So berief sich auch Deutschland in EuGel Slg. 1999 li, 17,44 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Max.hütte), vergeblich auf die Sozialbindung des Eigentums gemäß Art. 14 li des Grundgesetzes. Das Gericht stellte fest, daß ein privater Investor, der eine von langfristigen Rentabilitätsaussichten geleitete umfassende oder sektorale Strukturpolitik verfolge, es sich vernünftigerweise nicht erlauben könne, nach Jahren ununterbrochener Verluste eine Kapitalzuführung vorzunehmen, für die keine Gewinnaussicht bestehe. 77 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10; siehe auch schon oben C .l. 3. b). 78 Ebenso Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 595. 15

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4 Bonlr.amp

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gen orientieren kann. Zum anderen könnte eine solche Verallgemeinerung in der Praxis dazu führen, daß die öffentliche Hand dazu gezwungen würde, Mehrheitsanteile an einer Gesellschaft zu erwerben, da sie nur auf diese Weise ihre Kapitalzufuhr durch andere Gründe als kurzfristige Gewinnerwarrungen rechtfertigen könnte. So pauschal sind die Ausführungen der Kommission aber nicht zu verstehen. Der Umfang der staatlichen Beteiligung stellt nur ein Indiz unter mehreren dar, um zu beurteilen, ob ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber eine kurzfristige oder eine langfristige Rentabilität anstreben würde. Das wird schon durch die vorsichtige Formulierung in der Mitteilung deutlich, wonach eine Minderheitsbeteiligung eher spekulativer Natur sein "dürfte", während sich Mehrheitsgesellschafter "in der Regel" weniger von rein auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten Überlegungen leiten lassen. Auch in der Entscheidungspraxis der Kommission werden zum Teil strategische Gründe der Mitgliedstaaten für eine weitere Kapitalbereitstellung überprüft, selbst wenn diese nur eine Minderheitsbeteiligung besitzen.79 Als Grundtendenz läßt sich allerdings festhalten, daß ein Investor langfristige Motive desto weniger berücksichtigen wird, je weniger Anteile er an dem Unternehmen besitzt oder zu erwerben beabsichtigt. ee) Relevante Vergleichsunternehmen Für die Gegenüberstellung mit dem Verhalten privater Investoren müssen Gesellschaften herangezogen werden, die von vergleichbarer Größe sind und sich in der gleichen Lage befinden wie die staatliche Stelle, welche die Beteiligungsmaßnahme durchführt.80 In der Praxis wird gerade hierüber häufig gestritten, wenn die Mitgliedstaaten behaupten, ihre Maßnahme entspreche dem Finanzierungsverhalten bestimmter privater Unternehmen.B 1 Da die wirtschaftliche Situation, in der sich eine Gesellschaft befindet, aber nie exakt der einer anderen entspricht, bereit die konkrete Festlegung eines Vergleichsunternehmens immer wieder Probleme. In ihrer Größe muß die investierende Einrichtung in der Regel einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe gegenübergestellt werden.B2 Oft erreichen jedoch selbst diese nicht die Größe der staatlichen Einheit. Mangels anderer Möglichkeiten 79 Vergleiche die Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 27ff. (Neue Maxhütte), wo trotzeiner nur 45prozentigen Beteiligung des Freistaates Bayern an dem Unternehmen eingehend längerfristige Motive wie das der Imagepflege geprüft werden. 80 EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1640 in Rs.C-305/89 (Alfa Romeo); EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi). 81 Vergleiche nur EuGel Slg. 1999 II, 17, 43 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte); EuGel Slg. 1998 II, 2405,2481 in verb. Rs. T-371, 394/94 (British Airways und British Midland); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L ll6, 36, 45 (Banco di Napoli); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1, 6 (Bull). 82 EuGH Slg. 19941,4175,4192 in Rs.C-42/93 (Merco); EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1640 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo).

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wird hier dennoch auf große private Konzerne zurückgegriffen, ein Vergleich mit mittelständischen Unternehmen scheidet dagegen normalerweise aus. Des weiteren ist nur der Vergleich mit Unternehmensgruppen zulässig, die in derselben Branche tätig sind. Bei der Ermittlung der Rentabilität, die für das eingesetzte Kapital in der Privatwirtschaft erwartet würde, darf keinesfalls ein branchenübergreifender Mittelwert gebildet werden. Ansonsten wäre den Mitgliedstaaten jede Investition in ertragsschwachen Sektoren von vornherein verwehrt, da sie diesen Wert praktisch nicht erreichen könnten. Das würde jedoch gegen das Prinzip der Gleichbehandlung zwischen öffentlichem und privatem Eigentum verstoßen, weil auch private Gesellschaften solche Kapitalzufuhren vornehmen dürfen und dieses auch tun. 83 Das Vorliegen einer Beihilfe darf also erst dann bejaht werden, wenn die Ertragsaussichten des untersuchten Unternehmens noch schlechter sind als die ohnehin geringen branchenüblichen Rentabilitätserwartungen.S4 Schlechte Zukunftsaussichten des Sektors können allerdings keine Investitionen rechtfertigen, für die beispielsweise wegen struktureller Überkapazitäten überhaupt keine Rendite zu erwarten ist,s' da unter solchen Umständen kein vernünftiger Investor neues Kapital bereitstellen würde. In einem solchen Fall wäre eine Kapitalzuführung nur dann nicht als Beihilfe anzusehen, falls die Gesellschaft aufgrund besonderer Umstände in der Lage wäre, auf diesem Markt dennoch Gewinne zu erwirtschaften. ff) Ergebnis

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß die Kommission für die Beurteilung der staatlichen Beteiligungsmaßnahme auf den Zeitpunkt der Investitionsentscheidung der öffentlichen Hand abzustellen hat. Stellt sich später heraus, daß die Kapitalzufuhr keine ausreichenden Erträge abwirft, so kann diese nicht ex post als Beihilfe qualifiziert werden. Bei der Auslegung des Begriffs des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgebers muß den Mitgliedstaaten eine weite Bandbreite von Beurteilungsmöglichkeiten zugebilligt werden, die erst dann überschritten ist, wenn die Maßnahme völlig der marktwirtschaftliehen Logik widerspricht und nicht mehr anders erklärt werden kann, als daß der Mitgliedstaat nicht in seiner Rolle als Marktteilnehmer, sondern in Erfüllung seiner Aufgaben für das Allgemeinwohl gehandelt hat. In diesem Rahmen kann auch die soziale und regionale Verantwortung des Eigentümers bei der Entscheidung berücksichtigt werden; die Grenze ist allerdings dann 83 Als Beispiele können hierfür Investitionen in den Bereichen Textil, Stahl und Schiffsbau dienen. Vergleiche auch Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 595; Soukup, S. 167. 84 Kommission in XIV. Wettbewerbsbericht 1984, S.152; Pape, S.58. 8' EuGH Slg. 19901,959, 1012 in Rs.C-142/87 (Tubemeuse); EuGH Slg. 1985,809,824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek).

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erreicht, wenn selbst längerfristig keine Aussicht auf Gewinn besteht. Staatliche Minderheitsbeteiligungen dürfen nicht pauschal strengeren Bewertungsmaßstäben unterworfen werden als Mehrheitsbeteiligungen. Als Grundtendenz läßt sich jedoch durchaus feststellen, daß ein Investor langfristige Motive desto weniger berücksichtigen wird, je weniger Anteile er an dem Unternehmen besitzt oder zu erwerben beabsichtigt. Für den Vergleich mit einem privaten Investor dürfen schließlich nur private Gesellschaften herangezogen werden, die in derselben Branche tätig sind. d) Probleme der Anwendung des Vergleichsmaßstabes Neben diesen Auslegungsproblemen stellen sich eine Reihe von bewertungstechnischen Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des Vergleichs mit einem privaten Investor, die im folgenden beantwortet werden sollen. Zunächst ist zu untersuchen, inwiefern als Maßstab für den Wert der Beteiligung auf den Substanzoder den Ertragswert der Gesellschaft abzustellen ist. Von Interesse sind hier außerdem die Methode zur Berechnung der für das spezielle Unternehmen zu fordernden Rendite und die Erfassung von Gesellschaften mit begrenzten GewinnerwarlUngen durch die Beihilfenkontrolle. Außerdem ist zu analysieren, welche Zeithorizonte von der Kommission für die Bewertung der Rentabilitätsaussichten herangezogen werden, sowie die Frage zu klären, wie im Falle des Vorliegens einer Beihilfe das in der Kapitaleinlage enthaltene Beihilfeelement quantifiziert werden kann, das dann von dem Unternehmen zurückzufordern ist. aa) Substanzwert und Ertragswert Der Substanzwert einer Gesellschaft ist zur Beurteilung ihrer wirtschaftlichen Lage nur begrenzt tauglich. Er errechnet sich daraus, daß man unabhängig von der funktionalen Einbindung in die Unternehmensstruktur den am Markt realisierbaren Wert der Einzelteile addiert.86 Doch nur wenn die Gesellschaft sofort liquidiert werden soll, kann dieser Wert in vollem Umfang als Rendite verbucht werden. Fast immer geht die öffentliche Hand jedoch Beteiligungen in der Absicht ein, das Unternehmen auch in Zukunft fortzuführen. Durch die weitere Tätigkeit wird die bestehende Substanz dauernd verändert, Maschinen werden abgenutzt und Rohstoffe verbraucht. Es entsteht laufend Bedarf an Ersatzinvestitionen, der nur gedeckt werden kann, wenn die Gesellschaft ausreichende Erträge erwirtschaftet. Zudem führt die Bildung von Rücklagen und stillen Reserven aus erwirtschafteten Gewinnen zu einer Erhöhung des Substanzwertes,87 während entstehende Verluste oder Gewinnausschüttungen in Form von Dividenden die Substanz des Unternehmens angreifen. 86 87

Pape, S. 48. Hölters/Fischer, S. 126ff.

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Wegen dieser dauernden Schwankungen des Substanzwertes ist bei werbenden Gesellschaften die maßgebliche Bezugsgröße zur Berechnung des Unternehmenswertes der Ertragswert. Dieser hängt von den in Zukunft zu erwartenden Gewinnen ab. Eine Substanzwertbetrachtung eignet sich allenfalls zur Beurteilung von weitgehend wertbeständigem langfristigen Anlagevermögen wie beispielsweise von Grundstücken. 88 bb) Berechnung der Rentabilitätsschwelle Ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber beteiligt sich also nur dann an einem werbenden Unternehmen, wenn er erwartet, daß dieses angemessene Erträge erwirtschaften wird, die ihm später in Form von Dividendenzahlungen oder eines erhöhten Wertes seines Gesellschaftsanteils zufließen sollen. Es gibt dabei immer eine zu erreichende Mindestrendite, unterhalb derer eine Beteiligung nicht eingegangen wird. Ob die Höhe der künftigen Gewinne des Unternehmens als ausreichend zu betrachten sind, hängt im wesentlichen von zwei Faktoren ab. Zum einen wird der potentielle Investor darauf achten, daß er zumindest eine Verzinsung erlangt, die üblicherweise in der Branche erreicht wird, in der er zu investieren beabsichtigt.s9 Darüber hinaus wird er jedoch auch eine angemessene Risikoprämie verlangen. Eine Mittelzuführung an ein Unternehmen ist nämlich immer mit der Gefahr des Verlustes des eingesetzten Kapitals verbunden. Dabei ist zu beachten, daß das Verlustrisiko bei der Bereitstellung von Eigenkapital wegen der fehlenden Sicherheiten und der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft erheblich größer ist als etwa bei einer Darlehensgewährung. Aus diesen Gründen sind die verlangten Risikoprämien hier weitaus höher. 90 Die abzudeckenden Risiken können in zwei Gruppen unterteilt werden, systematische und unsystematische Risiken.91 Die systematischen Risiken betreffen eine Vielzahl von Unternehmen und entstehen aus äußeren Einflüssen wie zum Beispiel 88 Verschiedene betriebswirtschaftliche Methoden der Unternehmensbewertung werden dargestellt in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 88, 53, 56 (Lloyd Triestino): Zum einen wird die "Methode der abgezinsten Cash-fl.ows" verwandt, die auf der Annahme basiert, daß der Wert des Unternehmens von den betrieblichen Zahlungsströmen abhängt, die in Zukunft zu erwarten sind. Daneben und zur Kontrolle wird auch die ,,Exess Earnings"-Methode angewandt, der die Annahme zugrunde liegt, daß der Wert des Unternehmens sowohl vom Anlagevermögen als auch von den erwarteten Gewinnen des Unternehmens abhängt. Eine dritte Methode ist die sogenannte "Vergleichsmethode". Bei nicht börsennotierten Gesellschaften wird dabei ein Vergleich mit den Finanzkennzahlen ähnlicher Unternehmen vorgenommen, deren Anteile auf den Finanzmärkten gehandelt werden oder die in neuerer Zeit Gegenstand einer Fusion oder Übernahme waren, um einen Unternehmenswert zu ermitteln. 89 Siehe oben C.l. 3. c) dd). 90 Siehe C.l. 2. a). 91 Abbamonte in ECLR 1996, 258, 264.

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Rezessionen oder Wechselkursschwankungen. Da aber nicht jedes Unternehmen in gleichem Maße anfällig ist für diese Einflüsse, muß dieses bei der Schätzung der systematischen Risiken berücksichtigt werden.92 Als unsystematisch werden solche Risiken bezeichnet, die in dem Unternehmen selbst begründet sind wie beispielsweise die Qualität der Geschäftsführung. Zu ihrer Feststellung ist eine detaillierte Analyse der Stärken und Schwächen der einzelnen Gesellschaft vorzunehmen. Erst wenn die erwarteten Erträge der Summe aus branchenüblicher Verzinsung und Risikoprämie mindestens entsprechen, lohnt sich die Investition. Ist dies nicht der Fall, wird ein vernünftiger Investor sein Kapital in gewinnbringenderen Bereichen anlegen. Die Kommission formuliert dieses Erfordernis so, daß der Gegenwartswert des erwarteten zukünftigen Cash-tlows aus dem Finanzierungsvorhaben den eingesetzten Investitionsbetrag erreichen muß.93 Dabei wird zunächst eine Diskontierungsrate gebildet, die aus der üblichen Verzinsung und der zu fordernden Risikoprämie besteht. Um diese Rate werden die erwarteten Gewinne "abgezinst", so daß ein "Gegenwartswert" der künftigen Zahlungsströme entsteht.94 Wenn dieser der Kapitalzufuhr zumindest entspricht, stellt die Beteiligungsmaßnahme keine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV dar. 95 Ein Sonderproblem stellt sich, wenn die öffentliche Hand eine Kapitalzuführung vornimmt, ohne daß sich ihr prozentualer Anteil am Gesellschaftsvermögen ändert. Dies ist zum Beispiel bei öffentlichen Unternehmen gegeben, die sich schon zu 100 Prozent im Eigentum des Staates befinden. Hier fließen die Erträge sowieso der öffentlichen Hand zu, unabhängig von der neuerlichen Mittelgewährung. In einem solchen Fall wird ein marktwirtschaftlich handelnder Investor nur dann neues Kapital bereitstellen, falls dadurch mit Ertragssteigerungen zu rechnen ist. Für die Berechnung der zu fordernden Mindestrendite der staatlichen Investition ist also nicht auf die Gesamthöhe der in Zukunft zu erwartenden Gewinne abzustellen, sondern auf die auf der staatlichen Kapitalzufuhr beruhende Steigerung der künftigen Erträge.96 92 Die Kommission schätzt die üblichen Eigenkapitalkosten zunächst mit Hilfe des "Capital Assel Pricing Model" (CAPM). Nach diesem Modell entsprechen die Kosten des Eigenkapitals dem Zinssatz ohne Risikoprämie auf dem betreffenden Markt, welcher um die Risikoprämie dieses Marktes erhöht und mit einem Koeffizienten "Beta" multipliziert wird. Der BetaKoeffizient dokumentiert dabei die Höhe der Anfalligkeit des einzelnen Unternehmens für systematische Risiken. Anschließend werden die unsystematischen Risiken in die Analyse eingearbeitet, vergleiche insoweit nur die Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 39 f. (Iberia). 93 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 12. 94 Aus den zukünftigen Erträgen muß natürlich auch die Inflation herausgerechnet werden. 9S Mitteilung der Kommission, ABI. 1994, Nr. C 330, 7 (Enichern). 96 Die Kommission berücksichtigt diese Tatsache dadurch, daß sie bei der Berechnung der Rendite der staatlichen Kapitalzufuhr zunächst einen mittelfristigen Unternehmenswert berechnet, der die zukünftigen Ertragssteigerungen beinhaltet. Von diesem zieht sie dann den gegenwärtigen Unternehmenswert ab. Vergleiche hierzu die Entscheidung der Kommission,

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cc) Erfassung von Unternehmen mit begrenzten Gewinnaussichten Bis Anfang der neunziger Jahre untersuchten Kommission und Rechtsprechung hauptsächlich Fälle, in denen die Zuwendungen der öffentlichen Hand ohne jede Aussicht auf Rentabilität erfolgten.97 Deshalb wurde die Auffassung vertreten, daß in Zweifelsfällen erst ein zu erwartender Verlust als Nachweis des Begünstigungscharakters genügen würde.98 Allerdings hat die Kommission im Jahr 1993 klargestellt, daß sie Kapitalzuführungen an Unternehmen, die keine Verluste machen, ebenfalls der Beihilfenkontrolle unterstellen will. 99 So werden heute auch Beteiligungen als Beihilfen gekennzeichnet, für die zwar unter Umständen Gewinnaussichten bestehen, die aber unter jenem Mindestsatz liegen, der sich aus der branchenüblichen Verzinsung und der Risikoprämie ergibt. 100 Mit der Ausweitung der untersuchten Fälle geht eine Verfeinerung der Bewertungsmethoden einher. Bezeichnend dafür ist, daß sich die Kommission zur Analyse der wirtschaftlichen Verfassung der betroffenen Gesellschaft immer häufiger der Hilfe von externen Beratungsgesellschaften bedient.101 Die zum Teil erhobene Forderung, die Analyse dürfe nicht mit dem "Lehrbuchrigorismus des betrieblichen Rechnungswesens" durchgeführt werden,102 muß deshalb als zeitlich überholt gelten. Bei dieser Intensivierung der Prüfung staatlicher Beteiligungsmaßnahmen besteht natürlich die Gefahr, daß der den Mitgliedstaaten zustehende Beurteilungsspielraum bezüglich ihrer Unternehmerischen Entscheidungen beschnitten wird. Die Kommission darf eine staatliche Investition jedoch nur dann als Beihilfe qualifizieren, wenn es keine objektiven oder in gutem Glauben angenommenen Gründe gibt, die vernünftigerweise eine mit einem privaten Unternehmen vergleichbare Rendite ABI.1996, Nr. L 104,25,39 (lberia); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 56 (Alitalia). '11 EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1641 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); EuGH Slg. 19901, 959, 1012 in Rs. C-142/87 (Thbemeuse); EuGH Slg. 1990 I, 307, 361 in Rs. C-301/87 (Boussac); EuGH Slg. 1986,2321,2346 in Rs.40/85 (Boch). 98 Pape, S.57. 99 Mitteilung der Kornmission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 8, 12. IOO Als Beispiel ist die Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 51, 56 (Alitalia), anzuführen. Dort wurde die Kapitalzufuhr als Beihilfe bewertet, obwohl im Falle des günstigsten entworfenen Entwicklungsszenarios ein jährlicher interner Ertragssatz von 20 Prozent erreicht worden wäre. Wegen des sehr hohen Risikos der Investition wäre jedoch eine Mindestrendite (,,hurdle rate") zwischen 30 und 40 Prozent zu verlangen gewesen. Dagegen konnte die Kapitalzufuhr zugunsten der spanischen Fluggesellschaft Iberia der Qualifizierung als Beihilfe noch entgehen, da die geforderte jährliche Mindestrendite von 30 Prozent erreicht wurde, vergleiche die Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 40f. (Iberia). 101 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 88, 53, 56 (Lloyd Triestino); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 51 (Alitalia); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 40 (lberia). 102 Müller-Graf! in ZHR 152 (1988), 403, 422.

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erwarten lassen. 103 Sie versucht dieser Gefahr zum Teil dadurch zu begegnen, daß sie die Beratungsgesellschaften unterschiedliche Szenarien für die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft entwerfen läßt. 104 Nur falls selbst im Falle der günstigsten möglichen Entwicklung der Ertrag unter der errechneten Mindestrendite liegt, ist das Vorliegen einer Beihilfe zu bejahen. Insgesamt ist die Erstreckung der Beihilfenkontrolle auf Kapitalzufuhren für Unternehmen, die keine Verluste machen, zu begrüßen. In der Praxis der Mitgliedstaaten werden nämlich bei weitem nicht nur Unternehmen begünstigt, die sich in einer prekären wirtschaftlichen Lage befinden. Da sich auch private Kapitalgeber der gleichen Prüfungsmethoden wie die Beratungsgesellschaften bedienen, um zu bewerten, ob eine Investition für sie rentabel ist, wird der Grundsatz der Gleichbehandlung zwischen öffentlichem und privatem Sektor nicht verletzt. Allerdings muß die Kommission darauf achten, den Unternehmerischen Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten nicht einzuschränken, wobei die Bewertung der Maßnahmen des Staates anband verschiedener Entwicklungsszenarien als taugliches Mittel erscheint. Im übrigen ist das Verbot des Art. 87 I EGV ja kein absolutes, Grenzfälle sind häufig nach Art. 87 III lit. c EGV gerechtfertigt. 105 dd) Zeithorizonte für die Rentabilitätserwartung Fraglich ist außerdem, welche konkrete Zeitspanne für die Berechnung der Rentabilität einer Kapitaleinlage der öffentlichen Hand zu betrachten ist. Nach der Definition des Gerichtshofs muß es sich bei dem Vergleich mit einem vernünftigen privaten Investor nicht zwangsläufig um das Verhalten eines gewöhnlichen Kapitalgebers handeln, der seine Mittel zum Zweck einer mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, sondern wenigstens um das Verhalten einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe, die sich von längerfristigen Renditeaussichten leiten läßt. 106 Allerdings dürfte nach Ansicht der Kommission eine staatliche Minderheitsbeteiligung eher kurzfristig von Interesse sein.l07 Diese beiden Begriffe der Kurz- und Langfristigkeil der Ertragserwartung stellen unbestimmte Rechtsbegriffe dar, die der Ausfüllung bedürfen. Das Anstreben einer kurzfristigen Rentabilisierung bedeutet nicht, daß sich ein angemessener Ertrag zwangsläufig schon im ersten Jahr des staatlichen Engagements einstellen muß. Ein derartig kurzer Zeitraum entspräche nicht den entsprechenden Verzinsungserwartungen in der Privatwirtschaft. Vielmehr erscheint eine 103 Mitteilung der Kornmission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10. 104 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 51 (Alitalia). •os Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 61 (Alitalia). 106 EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1640 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo). 107 Mitteilung der Kornmission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10.

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Spanne von ein bis drei Jahren als angemessen. In der Praxis ist eine kurzfristige Rentabilitätserwartung jedoch nur von untergeordneter Bedeutung, da Beteiligungen der öffentlichen Hand in der Regel auf längere Sicht eingegangen werden und die Kommission auch bei Minderheitsbeteiligungen häufig längerfristige Motive prüft. 108 Eine Ausnahme bilden in diesem Zusammenhang Fälle, in denen einem öffentlichen Unternehmen kurz vor der Privatisierung noch einmal staatliche Mittel zugeführt werden. Hier werden Kapitalzuführungen dann als Beihilfen angesehen, wenn der Verkaufspreis sie nicht ausgleicht und er zudem keine angemessene Risikoprämie enthält. 109 Für die Rendite ist also nur der in unmittelbarer Zukunft liegende Zeitpunkt der Veräußerung der Gesellschaft entscheidend. Problematischer ist die Bewertung der langfristigen Ertragsaussichten. Es wird nämlich immer schwieriger, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die weiter in der Zukunft zu erwirtschaftenden Gewinne eines bestimmten Unternehmens vorherzusagen. Wegen unvorhersehbarer zukünftiger Entwicklungen werden die Prognosen immer allgemeiner und gleichen sich immer mehr an bis zu einem Punkt, an dem unternehmensspezifische Voraussagen praktisch nicht mehr möglich sind.110 Als Zeitraum, in dem für die Zukunft noch ausreichend sichere Voraussagen gemacht werden können, werden in der Wirtschaftswissenschaft fünf bis acht Jahre angegeben.111 Die Kommission stellt bei ihrer Analyse zunächst auf den gegenwärtigen Unternehmenswert ab, der auch zukünftige Gewinne berücksichtigt, soweit diese hinreichend konkret vorhersehbar sind.112 Besitzt die Gesellschaft jedoch zur Zeit keine Ertragsaussichten, sondern sind erst umfangreiche Sanierungsbemühungen erforderlich, um wieder in die Gewinnzone zu gelangen, so wird ein mittelfristiger Ertragswert gebildet. Dieser wird für einen Zeitpunkt berechnet, in dem der durchzuführende Umstrukturierungsplan abgeschlossen sein wird, in der Regel in drei bis fünf Jahren. 113 Dieser Zeitpunkt wird zum einen als weit genug entfernt angesehen, damit die Auswirkungen der Kapitalzufuhr im Rahmen des Sanierungsprozesses zum Tragen kommen können, und zum anderen als nahe genug, um die Unsicherheiten hinsichtlich der Zuverlässigkeit der Voraussagen einzuschränken. 114 Das Vorgehen der Kommission ist betriebswirtschaftlich korrekt, ihr kann insbesondere 108 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 27 ff. (Neue Maxhütte); siehe auch oben C. I. 3. c) dd). 109 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, I, 8 (Societe Marseillaise de Credit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 88, 53, 57 (Lloyd Triestino); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 25, 26, 36 (Head Tyrolia Mares). 110 Hölters!Fischer, S. 81; Pape, S. 66. 111 Siehe die bei Zehetner, S. 308, nachgewiesene Ansicht der Kommission; ähnlich Lea, S.25f. 112 Siehe C.l. 3. d) aa). 113 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 67, 31, 38 (Thomson); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997. Nr. L 322, 44, 56 (Alitalia). 114 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 39 (lberia).

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nicht vorgeworfen werden, daß sie durch die Ermittlung eines mittelfristigen Unternehmenswertes gegen die erforderliche Berücksichtigung langfristiger Rentabilitätsaussichten verstieße, da auch der mittelfristige Ertragswert natürlich spätere Gewinnmöglichkeiten beinhaltet, soweit diese absehbar sind. 115 Nicht genügend im Rahmen des Vergleichs mit einem vernünftigen Investor ist es, falls erst gegen Ende des Umstrukturierungszeitraums wieder die Mindestrentabilität erreicht wird, da dieses nicht als angemessene Rendite für die Investition des Staates angesehen werden kann. 116 In einem solchen Fall kommt allerdings eine Genehmigung insbesondere nach Art. 87 m lit. c EG V in Betracht. Das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn sich aus dem Unternehmenswert nach dem Ende der Umstrukturierung für den gesamten Sanierungszeitraum die aus branchenüblicher Verzinsung und angemessener Risikoprämie bestehende Mindestrendite ergibt. 117 ee) Quantifizierung des Beihilfeelements Wenn die Kommission festgestellt hat, daß die Kapitalzufuhr der öffentlichen Hand eine Beihilfe darstellt, muß sie in einem nächsten Schritt bewerten, in welchem Umfang in der Maßnahme Beihilfeelemente enthalten sind. Dieses "Subventionsäquivalent" bestimmt die Höhe des Betrages, der durch den Mitgliedstaat von dem begünstigten Unternehmen zurückzufordern ist. Auch zur Beantwortung dieser Frage kann der Vergleich mit dem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber herangezogen werden. Die Höhe des Beihilfeelements besteht nämlich aus der Differenz zwischen dem Betrag der staatlichen Mittelbereitstellung und dem Betrag, den ein vernünftiger Investor im Hinblick auf die zu erwartenden zukünftigen Erträge der Gesellschaft zur Verfügung gestellt hätte. Mit den Worten der Kommission ergibt sie sich aus den jeweils auf den Gegenwartswert abgezinsten Kosten der Investition abzüglich des Wertes derselben. 118 Der Gegenwartswert wird errechnet, indem man aus den sich in Zukunft ergebenden absoluten Beträgen die branchenübliche Verzinsung und eine angemessene Risikoprämie herausrechnet. 119 Keine größeren Schwierigkeiten bei der Berechnung des Beihilfeelements entstehen, falls für die gewährte Leistung ein Markt existiert. So wird bei staatlichen Darlehen zum Beispiel generell der Unterschiedsbetrag zwischen dem von der begünstigten Gesellschaft verlangten Zinssatz und dem in der freien Wirtschaft zu zahlenm Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 322,44,51 (Alitalia). Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 67, 31, 38 (Thomson); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 24 (Enichem Agricoltura). 117 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L I 04, 25, 41 (lberia). 118 Mitteilung der Kornmission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 12. 119 Vergleiche dazu schon das gleiche Vorgehen der Kornmission bei der Beurteilung des Beihilfecharakters der staatlichen Beteiligungsmaßnahme, siehe oben C.l. 3. d) bb). 116

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den Satz zurückgefordert. 120 Bei Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand steht der Marktwert aber normalerweise nur dann fest, wenn das Unternehmen schon an der Börse notiert wird und der Staat nun Anteile erwirbt oder anläßlich einer (Teil-)Privatisierung veräußert. In diesen Fällen besteht das Beihilfeelement in der Differenz zwischen dem gezahlten und dem Börsenpreis. 121 Oft läßt sich der Wert der Investition dagegen nur anband einer intensiven Analyse der ökonomischen Situation der Gesellschaft bestimmen, die durch unterschiedliche betriebswirtschaftliche Bewertungsmethoden noch erschwert wird. In der Praxis nimmt die Kommission daher meistens als Beihilfeumfang die gesamte Eigenkapitalzufuhr durch staatliche Stellen an. 122 Diese Vorgehensweise ist sicherlich gerechtfertigt, falls sich die Lage des Unternehmens derart hoffnungslos darstellt, daß kein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber mehr irgendwelche Mittel gewährt hätte. Aber auch in weniger eindeutigen Fällen ist sie der einzig gangbare Weg. Würde nur ein Teilbetrag der staatlichen Kapitaleinlage zurückgefordert, so entstände folgendes Problem. Für die Berechnung der Rentabilität der Investition wird eine Prognose der zukünftigen Entwicklung der Gesellschaft nach der Beteiligungsmaßnahme erstellt. Wenn jedoch ein Teil dieser Mittel zurückzuzahlen wäre, würde dieser Vorhersage der Boden entzogen, da eventuell geplante Investitionen nicht vorgenommen werden könnten oder weiteres Fremdkapital aufgenommen werden müßte. Dadurch würde sich wiederum die Rendite für die in dem Unternehmen verbliebenen staatlichen Gelder verringern.t2J Die einzig mögliche Alternative bestände darin, daß die Kommission selbst neue Investitionspläne bezüglich geringerer Kapitalzuführungen der öffentlichen Hand entwerfen und anband dieser festlegen würde, bei welcher Höhe noch mit einem angemessenen Ertrag für den Staat zu rechnen wäre. Abgesehen von der immensen zusätzlichen Arbeitsbelastung würde die Kommission dadurch allerdings zu sehr in den Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten eingreifen. Sie würde ihre eigene ökonomische Entscheidung an die Stelle derjenigen der Mitgliedstaaten setzen, was sie jedoch nach eigenem Bekunden nicht will. 124 Sie kann also im Falle des Vorliegens einer Beihilfe regelmäßig nur den Gesamtbetrag zurückfordern lassen. Es ist dann die Sache der Mitgliedstaaten und des betroffenen Unternehmens, neue Pla120 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 14. 121 Entscheidung der Kommission, ABI. 1993, Nr. L 143, 7, 8 (British Aerospace); Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 600. 122 Vergleiche nur die Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 80, 32, 38 (Enirisorse); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, 1, 8 (Societe Marseillaise de Credit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 272, 46, 52 (Breda Fucine Meridionali). 123 AbbaTTWnte in ECLR 1996,259, 267f. 124 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10; siehe auch oben C.l. 3.c) bb).

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nungen mit einer geringeren Beteiligung der öffentlichen Hand vorzulegen, die dann ihrerseits wieder Gegenstand der Beihilfenkontrolle sein können. ff) Ergebnis

Für den im Rahmen des Vergleichs mit einem privaten Investor zu ermittelnden Wert des Unternehmens ist maßgeblich auf dessen Ertragswert abzustellen, der von den in Zukunft zu erwartenden Gewinnen abhängt. Die für die staatliche Kapitalbeteiligung zu fordernde Mindestrendite muß zunächst eine branchenübliche Verzinsung der eingesetzten Mittel enthalten. Darüber hinaus ist aber zusätzlich eine angemessene Risikoprämie zu berücksichtigen, die je nach der konkreten Situation der Gesellschaft stark variieren kann. Aus diesem Grund können auch Unternehmen von der Beihilfenkontrolle erfaßt werden, bei denen zwar bei günstigster Entwicklung sogar Gewinnaussichten bestehen, deren Ertragserwartungen aber selbst in diesem Fall unter dem Mindestsatz liegen. Falls für eine Investition eine kurzfristige Rentabilisierung zu fordern sein sollte, muß sich diese in einem Zeitraum von ein bis drei Jahren einstellen. Bei der Berechnung der längerfristigen Rentabilität stellt sich das Problem, daß weiter in der Zukunft liegende Erträge immer schwerer vorhersehbar werden. Als maximaler Zeitraum für eine hinreichend genaue Vorhersage der zukünftigen Gewinne einer Gesellschaft ist eine Zeitspanne von etwa fünf bis acht Jahren anzusetzen. Ist das Vorliegen einer Beihilfe bejaht worden, so muß schließlich noch die Höhe des Beihilfeelements festgesetzt werden, das durch die Mitgliedstaaten von dem betroffenen Unternehmen zurückzufordern ist. In der Praxis nimmt die Kommission zumeist die gesamte Eigenkapitalzufuhr der öffentlichen Hand als Umfang der Beihilfe an.

e) Weitere Einzelfragen In der Literatur wird diskutiert, ob Wertungen des deutschen Kapitalersatzrechts zur Konkretisierung des Beihilfebegriffs aus Art. 87 I EGV herangezogen werden können. Zudem stellt sich die Frage, ob Sachverhalte von der Beihilfenkontrolle erfaßt werden, in denen der staatliche Kapitalgeber seine Mittel einem Unternehmen beläßt, obwohl für dieses sogar langfristig keine Ertragsaussicht mehr besteht. Des weiteren ist umstritten, wer die Beweislast für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Beihilfe trägt. aa) Keine Parallele zum deutschen Kapitalersatzrecht Es bestehen gewisse Ähnlichkeiten zwischen dem deutschen Kapitalersatzrecht, das in den §§ 32 a, 32 b des Gesetzes über Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) geregelt ist, und dem Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV. Fraglich ist, ob sich deshalb Wertungen des deutschen Rechts auch auf die gemeinschaftsrechtliche

I. Beihilfebegriff

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Beurteilung einer Beihilfe übertragen lassen. Nach § 32ai GmbHG sind Darlehen eines Gesellschafters an die Gesellschaft dann ähnlich wie haftendes Eigenkapital zu behandeln und im Insolvenzverfahren nur nachrangig zu berücksichtigen, wenn sie zu einem Zeitpunkt gewährt worden sind, in dem ordentliche Kaufleute Eigenkapital zugeführt hätten. Zum Teil wird hier eine Parallele zum Beihilferecht konstruiert. 125 So habe sich auch die Kommission in einer Entscheidung ausdrücklich auf § § 32 a, 32 b GmbHG berufen, 126 woraus folge, daß hier das Beihilferecht dem nationalen Kapitalersatzrecht folge. Beide Regelungen seien vergleichbar, da sie das gleiche Ziel, nämlich die Vermeidung der Verschleppung einer Unternehmenskrise, verfolgten. In beiden Fällen befinde sich der Kapitalgeber in einer Doppelrolle. Bei der Eigenkapitalzufuhr aus öffentlichen Mitteln handele der Staat als Gesellschafter und als Hüter des Allgemeinwohls, bei der Gewährung von eigenkapitalersetzendem Fremdkapital handele der Gesellschafter als solcher, aber auch als externer Vertragspartner der Gesellschaft. Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelungen sei jeweils zu verhindern, daß sich die Handelnden unter Ausnutzung ihrer Doppelrolle der Finanzierungsverantwortlichkeit entziehen. Bei der Prüfung seien auch gleiche Maßstäbe anzuwenden. Der Vergleichsmaßstab des vernünftigen Investors und der des ordentlichen Kaufmanns stimmten inhaltlich überein, da jeweils eine Prognose über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens zu erstellen und die hypothetische Beschaffbarkeit der Mittel auf dem freien Markt zu untersuchen sei. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung sei jeweils der Zeitpunkt der Mittelgewährung. 127 Als wichtiges Indiz gelte zudem in beiden Fällen die Mitwirkung von Nichtgesellschaftern. Aus diesen Gemeinsamkeiten wird gefolgert, daß Wertungen des deutschen Kapitalersatzrechts auf das Beihilferecht des EGV übertragbar seien. So sei im nationalen Recht weitgehend anerkannt, daß Voraussetzung für die Umqualifizierung von früher gewährtem Fremdkapital in Eigenkapital unter anderem die Nichtherbeiführung der Liquidation durch einen Gesellschafter ist, sofern dieser die Liquidation der Gesellschaft durchsetzen könnte. 128 Übertragen auf das Beihilferecht könne dieses nur bedeuten, daß die Qualifizierung einer staatlichen Eigenkapitalzufuhr als Beihilfe ausscheiden müsse, wenn das Maß des staatlichen Gesellschaftereinflusses beschränkt sei und die beteiligten marktwirtschaftlich handelnden Privatinvestoren, Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 602 ff. Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr.L 53, 41,46 (Neue Maxhütte). 12 7 Baumbach!Hueck, § 32a GmbHG, Rn. 50. 128 Baumbach/Hueck, § 32 a GmbHG, Rn. 40a. Vergleiche nun auch§ 32 a III 2 GmbHG, wo die Einschränkung gemacht wird, daß die Regeln über den Eigenkapitalersatz nur dann nicht gelten, wenn ein nicht geschäftsführender Gesellschafter mit nicht mehr als zehn Prozent am Stammkapital beteiligt ist. 125

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

aus welchen Gründen auch immer, die Weiterführung des Unternehmens einer Liquidation vorzögen.129 Dieser Ansicht ist nicht zu folgen. Zum einen diente die Zitierung der §§ 32a, 32 b GmbHGin der Entscheidung der Kommission nur dem Zweck klarzustellen, daß eine Rückzahlung der gewährten Darlehen von einem marktwirtschaftlieh handelnden Kapitalgeber nicht erwartet werden konnte. 130 Daß eine Vorschrift des EGV dem nationalem Recht "folgt", ist schon wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht möglich. Außerdem sind die Ziele der Vorschriften nicht vergleichbar, einmal geht es um den Gläubigerschutz,l31 in dem anderen Fall um den Schutz des unverfalschten Wettbewerbs. Die Einstufung einer Beteiligung als Beihilfe führt wegen dieses Schutzzweckes zu einem Ergebnis, das §§ 32a, 32b GmbHG gerade vermeiden wollen. Die Beihilfe ist von der Gesellschaft zurückzuzahlen und steht damit für eine Befriedigung der Gläubiger nicht mehr zur Verfügung. Auch die Motive der Handelnden sind unterschiedlich, bei §§ 32 a, 32 b GmbHG geht es darum, das Vermögen im Insolvenzfall dem Zugriff Dritter zu entziehen, bei Art. 87 I EGV meist um politische Gründe für die Kapitalzuführung. Die geregelten Lebenssachverhalte sind ebenfalls völlig verschieden: Im deutschen Kapitalersatzrecht findet eine Umqualifizierung von Fremdkapital in Eigenkapital statt, bei den europarechtlichen Vorschriften eine Qualifikation von Eigenkapital als Beihilfe. Im ersten Fall geht es um die Unterschreitung der Finanzierungsverantwortung, im zweiten Fall aber um deren Überschreitung. Ein Vergleich der in den Vorschriften angewandten Maßstäbe zur Ermittlung des Verhaltens eines ordentlichen Kaufmanns beziehungsweise eines vernünftigen Investors ist zudem wenig fruchtbar. Denn selbst, wenn ein Kaufmann gesellschaftsrechtlich "ordentlich" gehandelt und seinem Unternehmen rechtzeitig Eigenkapital statt Fremdkapital zugeführt hat, kann seine Finanzierungsmaßnahme als Beihilfe eingestuft werden, falls sie keine angemessene Rendite erwarten läßt. Umgekehrt kann man aber nicht einmal sagen, daß jedenfalls dann, wenn in einer Krisensituation im Sinne von §§ 32 a, 32 b GmbHG eine weitere Finanzierung der Gesellschaft durch die öffentliche Hand erfolgt, stets eine Beihilfe vorliegt. 132 Allein aus dem Umstand, das in beiden Fallen ex ante beurteilt werden muß, ob sich der Kapitalgeber ordnungsgemäß verhalten hat, läßt sich eine Gleichbehandlung nicht herleiten. Ferner ist der Adressatenkreis der Vorschriften unterschiedlich. Wahrend für eine Anwendung der gesellschaftsrechtlichen Vorschriften eine schon bestehende Beteiligung am Gesellschaftskapital Grundvoraussetzung ist, 133 gilt Art. 87 I EGV auch 129 Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S.603f. 13o

Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 53, 41, 47 (Neue Maxhütte).

Baumbach!Hueck, § 32 a GmbHG, Rn. 1. 132 Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 824. 133 Baumbach/Hueck, § 32a GmbHG, Rn. l6. 131

I. Beihilfebegriff

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für eine erstmalige Kapitalzufuhr durch den Staat. Insbesondere bezieht sich das Erfordernis der Nichtherbeiführung der Liquidation der Gesellschaft auf Sachverhalte schon bestehender Darlehen, während es im Beihilfeverfahren um die Überprüfung neuer Mittelbereitsteilungen geht. Vor allem aber ist die Übertragung der weiteren Wertungen des deutschen Kapitalersatzrechts auf die Beihilfevorschriften aus prinzipiellen Gründen abzulehnen. Würde man die Fälle fehlender Einflußmöglichkeiten der öffentlichen Hand auf die Liquidationsentscheidung in Analogie zu §§ 32 a, 32 b GmbHG vom Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV ausnehmen, so könnte der Staat dieses Verbot leicht umgehen, indem er seinen Einfluß von vomherein durch die Höhe der Beteiligung oder den satzungsmäßigen Verzicht auf Einflußnahme ausschließt. Das wiederum würde einen Freibrief für staatliche Beihilfen in Form von Kapitalbeteiligungen bedeuten, was mit dem Effizienzgebot des Art. 10 EGV nicht zu vereinbaren wäre, da die Beihilfevorschriften in ihrer Wirkung so weit beeinträchtigt würden, daß ihre Verwirklichung praktisch unmöglich gemacht würde. Es ist somit keine Parallele zwischen §§ 32 a, 32 b GmbHG und Art. 87 I EGV zu ziehen, was mittlerweile auch durch die Rechtsprechung klargestellt wurde.l34 bb) Keine Erfassung von Belassungssachverhalten Es wird ebenfalls diskutiert, ob der Beihilfetatbestand dadurch erfüllt werden kann, daß die öffentliche Hand einem Unternehmen einmal zugeführte Mittel beläßt, obwohl keine Ertragsaussichten mehr bestehen. 135 Selbst wenn im Zeitpunkt der Mittelzuführung noch hinreichende Ertragsaussichten bestanden, könnte der Staat verpflichtet sein, die Mittel aus dem Unternehmen wieder abzuziehen, wenn dieses so tief in die Verlustzone geraten ist, daß keine Erholung zu erwarten ist. Fraglich ist, ob dieses Belassen ein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Anwendung des Beihilfeverbots sein kann. Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, daß der Wortlaut des Art. 87 I EGV der Erfassung von Belassungssachverhalten nicht entgegensteht. Zwar ist dort von einer Gewährung von Beihilfen die Rede, womit man im allgemeinen Sprachgebrauch eher ein aktives Tun als ein Unterlassen verbindet. Allerdings werden nur in der zweiten Alternative des Art. 87 I EGV "aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen" genannt, während die erste Alternative nur von "staatlichen" Beihilfen spricht. Darunter könnten auch Belassungssachverhalte fallen. Eine Ausdehnung des Beihilfebegriffs scheint im Hinblick auf Sinn und Zweck der Beihilfevorschriften, ein System des unverfälschten Wettbewerbs herzustellen, geboten zu sein. Gerade die Belassung von Eigenkapital bei einem unrentabel gewordenen Unternehmen kann langfristige Auswirkungen auf die Wettbewerbssitua134 135

EuGel Slg. 199911, 17, 58f. in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). Pape, S. 30ff.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

tion haben. Es kann unter Umständen viele Jahre dauern, bis das bestehende Kapitalpolster aufgebraucht ist und die Gesellschaft endlich aus dem Markt ausscheidet. Unter normalen marktwirtschaftliehen Bedingungen dagegen würde ein Eigentümer seine hoffnungslos in die Verlustzone geratene Gesellschaft frühestmöglich liquidieren, um zumindest den Rest des eingesetzten Kapitals zu retten. Das Unternehmen verschwände vom Markt, so daß leistungsfähigere Konkurrenten seinen Marktanteil übernehmen und für ihre Entwicklung nutzen könnten. Auch ein Vergleich mit den Regelungen der §§ 32 a, 32 b GmbHG könnte wieder für eine Ausdehnung des Beihilfebegriffes sprechen. Bei der Frage eigenkapitalersetzender Gesellschafterdarlehen geht die deutsche Rechtsprechung davon aus, daß auch bloß "stehengelassene" fällige Darlehensforderungen wie Eigenkapital behandelt werden, falls der Gesellschafter die wirtschaftliche Lage kennen und danach handeln konnte. 136 Diese Ansicht könnte Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens sein, wonach ein Kapitalgeber in einer wirtschaftlichen Krise der Gesellschaft nicht untätig bleiben darf, ohne eine Umqualifizierung des eingesetzten Kapitals hinnehmen zu müssen. Diese Argumente sind jedoch nicht stichhaltig. Zum einen verlangt der Schutz des unverfälschten Wettbewerbs im Sinne von Art. 3 lit. g EGV nicht die Herstellung eines vollkommenen Wettbewerbs, 137 in dem jeder kleinste Einfluß von außen auszuschalten ist, sondern nur die Gewährleistung eines funktionsfähigen Wettbewerbs, der Störungen unter Umständen für bestimmte Zeit in Kauf nimmt. Das zeigt sich schon in den vorgesehenen Ausnahmen vom Beihilfeverbot in Art. 87 II, III EGV. Unterläßt es der staatliche Inhaber trotz anhaltender Verluste, seine Gesellschaft aufzulösen, so wird die Gesellschaft dennoch auf die Dauer vom Markt verschwinden, falls keine neuen Mittel bereitgestellt werden.138 Die Selbstreinigungskräfte des Marktes sind hier als so stark einzuschätzen, daß es nicht erforderlich erscheint, diese Sachverhalte der Beihilfenkontrolle zu unterstellen. 139 Zum anderen ist der Vergleich mit dem deutschen Kapitalersatzrecht wiederum nicht stichhaltig, da die geregelten Sachverhalte zu unterschiedlich sind. 1-w Außerdem ist in bezug auf§§ 32 a, 32 b GmbHG in der deutschen Literatur umstritten, ob das bloße Belassen eines fälligen Darlehens ausreichend ist für eine Umqualifikation in Eigenkapital oder ob dafür weitere Umstände hinzutreten müssen.141 Ein allgemeiner Rechtsgedanke läßt sich jedenfalls nicht ableiten. BGHE 127, 336, 346; Baumbach/Hueck, § 32a GmbHG, Rn. 37. Bleckmann!Schollmeier!Krimphove, Rn. 1792. 138 Das wird deutlich in vielen Hi.lle, in denen erneute Kapitalzufuhren zur Abdeckung von zwischenzeitlich entstandenen Schulden notwendig wurden: EuGH Slg. 1986, 2263, 2282 in Rs. 234/84 (Meura); EuGei Slg. 1998 II, 3437, 3446 in verb. Rs. T-126, 127/96 (BFM und EFIM); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1 (Bull). 139 Pape, S. 34. 140 Vergleiche schon oben C. I. 3. e) aa). 141 Zum Meinungsstand Baumbach!Hueck, § 32a GmbHG, Rn. 38; Scholz/Schmidt, §§ 32a, 32b GmbHG, Rn.44. 136 137

I. Beihilfebegriff

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Das Verfahren der Beihilfenkontrolle nach Art. 88 EGV würde sich auch gar nicht zur Kontrolle dieser Sachverhalte eignen. Es käme eine Aut von Verfahren auf die Kommission zu, da sie sämtliche Beteiligungen der öffentlichen Hand fortlaufend daraufhin überprüfen müßte, ob ursprünglich rentable Investitionen mittlerweile zu verbotenen Beihilfen geworden sind. Dieses wäre jedoch weder wünschenswert noch mit dem begrenzten Personalbestand zu bewältigen. Außerdem würde es für die Mitgliedstaaten zu einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit führen, da auch sie im Zweifel nicht erkennen können, wann ihre Kapitalbeteiligung zu einer gemäß Art. 88 Ill 1 EGV zu notifizierenden Beihilfe wird. Der wichtigste Grund gegen eine Unterwerfung der Belassungssachverhalte unter das Beihilfeverbot liegt aber darin, daß auf diese Weise gegen Art. 295 EGV verstoßen würde. Diese Vorschrift schützt zwar nicht die Ausübung öffentlicher Eigentumsrechte, wohl aber deren Bestand. 142 Daher können zwar neue Beihilfevorhaben des Staates der gemeinschaftlichen Kontrolle unterworfen werden, nicht aber bestehende Beteiligungen nachträglich in Beihilfen umqualifiziert werden. Anderenfalls könnte der gesamte öffentliche Sektor niemals sicher sein, irgendwann dem Verbot des Art. 87 I EGV zu unterfallen und deshalb aufgelöst werden zu müssen. Ausdruck des Neutralitätsprinzips ist der Vergleich der öffentlichen Unternehmertätigkeit mit der eines vernünftigen privaten Investors in der gleichen Lage. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der staatlichen Maßnahme ist dabei immer derjenige der Investitionsentscheidung. Dabei stellt die Kommission ausdrücklich fest, daß sie keinesfalls durch eine Beurteilung im Rückblick feststellen wird, ob die Zuführung öffentlicher Mittel eine Beihilfe darstellt, bloß weil die tatsächlich erzielte Ertragsrate nicht angemessen war. 143 Sowohl die Kommission als auch der Gerichtshof haben daher in der Vergangenheit ausschließlich neue Kapitalbeteiligungen der Mitgliedstaaten untersucht. 144 Aus alledem folgt, daß der Beihilfetatbestand nicht dadurch erfüllt wird, daß die öffentliche Hand einem Unternehmen einmal ordnungsgemäß zugeführtes Kapital beläßt, obwohl die Gesellschaft mittlerweile in die Verlustzone geraten ist, ohne daß Aussicht auf Besserung besteht.

Vergleiche B. 111. 2. Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 10. 144 Vergleiche nur EuGel Slg. 1998 li, 3235, 3242 in Rs. T-11/95 (BP Chemicals); EuGH Slg. 1985, 809, 819 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder PapieJWarenfabriek); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92 (Credit Lyonnais); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 129,30,31 (Condotte). 142 143

S Bonkamp

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

cc) Beweislastverteilung Im Beihilfenkontrollverfahren gibt es keine Amtsennittlungspflicht der Kommission, die zur Folge hätte, daß diese alle relevanten Umstände von sich aus zu erforschen hätte. Vielmehr orientiert sich die Darlegungs- und Beweislast an dem Grundsatz, daß jeder Verfahrensbeteiligte diejenigen Umstände darlegen und beweisen muß, die sich für ihn günstig auswirken. Hinsichtlich des Merkmals des Vorliegens einer Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV trägt deshalb die Kommission die Beweislast, da sie es ist, die sich im Beihilfeverfahren darauf beruft. 145 Der Beweis gelingt ihr allerdings regelmäßig schon durch die Untersuchung der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage der betroffenen Gesellschaft, wenn aufgrund der prekären finanziellen Situation nicht mit einer angemessenen Rendite der staatlichen Investition zu rechnen ist. Dann ist es Sache des Mitgliedstaates beziehungsweise des Unternehmens, anband von Planungen für die Zukunft den Gegenbeweis anzutreten, daß sich dennoch Gewinne einstellen werden. Zum Zwecke des Gegenbeweises können sich die Mitgliedstaaten zum Beispiel auf einen überzeugenden Umstrukturierungsplan oder auf mittelbare Erträge wegen einer Verbesserung des Unternehmensimages berufen. 146 Für die Bewertung der Kapitalbeteiligung der öffentlichen Hand ist zumeist eine intensive Analyse des konkreten Falls erforderlich, die zeitlich sehr aufwendig sein kann. Um dem zu entgehen und die Prüfung zu vereinfachen, werden in der Literatur zum Teil Vennutungstatbestände oder ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen einer Beihilfe konstruiert. 147 Diese Versuche sind jedoch abzulehnen, da sie den vielen unterschiedlichen Konstellationen der ökonomischen Realität nicht gerecht werden. Statt dessen bleibt es bei der Grundregel, daß im Rahmen einer umfassenden Gesamtbetrachtung jeder Verfahrensbeteiligte diejenigen Tatsachen beweisen muß, auf die er sich beruft. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Standpunkt der Kommission zu Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen aus dem Jahr 1984,148 worin konkretisiert wird, wann die Kommission vom Vorliegen einer Beihilfe ausgeht. Zum einen kann eine bloße Mitteilung nicht die Beweislastverteilung des Primärrechts ändern. Sie soll den Mitgliedstaaten vielmehr hauptsächlich zur Orientierung dienen, wann diese eine staatliche Kapitalzufuhr bei der Kommission gemäß 145 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 10. 146 EuGel Slg. 1999 II, 17,56 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte); EuGH Slg. 1986,2321,2346 in Rs.40/85 (Boch); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr.L 308, 92, 96 (Cr~dit LyoMais). 147 Pape, S. 81 ff.; Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 601 f. 148 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104ff. Demgegenüber will Pape, S. 85ff., an einzelne der aufgeführten Umstände eine Vermutungswirkung anknüpfen.

I. Beihilfebegriff

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Art. 88 m 1 EGV zu melden haben.149 Zum anderen sind die aufgeführten Beispielsfälle insgesamt so allgemein gehalten, daß weiterhin eine konkrete Einzelfallprüfung notwendig bleibt. Auch die dort aufgestellten .,Vermutungen" sind nicht als Vermutungen im technischen Sinne zu verstehen, so daß die Mitgliedstaaten nun ihrerseits nachweisen müßten, daß ihre Beteiligungsmaßnahmen keine Beihilfe darstellen. Wenn beispielsweise festgestellt wird, daß bei strukturellen Überkapazitäten in einem Sektor eine Beihilfe .,vermutet" wird, bedeutet das nur, daß die Kommission diesen Umstand als starkes Beweisindiz ansieht, so daß derartige Mittelbereitsteilungen im voraus zu melden sind. Die Entscheidung über das Vorliegen der Beihilfeeigenschaft und deren Begründung liegen aber weiter bei der Kommission.150 Ebenso verfehlt erscheint es, an unterschiedliche .,gesellschaftsrechtliche Formen"151 der Einlage der öffentlichen Hand wie die Neugründung von Unternehmen, die Kapitalerhöhung oder den Kapitalschnitt Vermutungswirkungen für oder gegen den Beihilfecharakter knüpfen zu wollen. Abgesehen davon, daß die Form der staatlichen Maßnahme für den Beihilfebegriff irrelevant ist, 152 sind die ökonomischen Gegebenheiten jedes Unternehmens selbst bei gleicher .,gesellschaftsrechtlicher Form" der Mittelzuführung zu verschieden, um generell eine Vermutung auslösen zu können. Diese Umstände können allenfalls als ein Aspekt im Rahmen einer Gesamtwürdigung Berücksichtigung finden. Andere Stimmen nehmen sogar an, daß der investierende Staat für jede seiner Maßnahmen begründungspflichtig sei, um den a priori bestehenden Anschein vom Vorliegen einer Beihilfe zu widerlegen. 1s3 Diese Meinung ist jedoch abzulehnen, da anderenfalls die Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand zu sehr eingeschränkt und dadurch das Prinzip der Gleichbehandlung zwischen öffentlichem und privatem Sektor verletzt würde. 154 Außerdem würde die Kommission durch die Unzahl der auf sie zukommenden Beihilfeverfahren überlastet. Ebensowenig kann hier Art. 5 II der Transparenzrichtlinieiss zur Begründung eines Anscheinsbeweises dienen, wonach die Mitgliedstaaten der Kommission auf Verlangen Angaben zu den Mitteln machen müssen, die sie ihren öffentlichen Unternehmen gewährt haben. Die Berichtspflichten der Transparenzrichtlinie bestehen nämlich zum einen unabhängig von einer möglichen Beihilfeeigenschaft, zum anderen kann Sekundärrecht nicht die Beweislastverteilung des Primärrechts ändern. 149

Grabitz!Hilftvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 14.

Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 107. ISI Pape, S. 81 ff. 1S2 Siehe C. I. 1. ISJ Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 601; Müller-Graf! in ZHR 152 (1988), 403,422. 154 Im Ergebnis ebenso Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 819. ISS Richtlinie der Kommission 80n23/EWG, ABI. 1980, Nr. L 195, 35 ff. (Transparenzrichtlinie). ISO

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Das Problem, wer den Beihilfecharakter nachweisen muß, ist strikt zu trennen von der Notifikationspflicht gemäß Art. 88 m 1 EGV, wonach ein Mitgliedstaat die Kommission vor der Einführung einer Beihilfe zu unterrichten hat. Die Meldepflicht soll die Kommission in die Lage versetzen zu entscheiden, ob sie ein förmliches Verfahren einleitet. Der Gerichtshof hat zwar in diesem Zusammenhang entschieden, daß die Kommission befugt ist, eine abschließende Entscheidung allein auf Grundlage der ihr vorliegenden Informationen zu erlassen, falls der Mitgliedstaat trotz Aufforderung die verlangten Auskünfte nicht erteilt. 156 Auch dieses führt aber nicht zu einer Änderung der Beweislastverteilung, sondern stellt nur eine Beweiserleichterung zugunsten der Kommission dar. dd) Ergebnis Es können somit weder Wertungen des deutschen Kapitalersatzrechts auf den Beihilfebegriff des Art. 87 I EGV übertragen werden, da die geregelten Sachverhalte zu unterschiedlich sind. Noch werden Belassungssachverhalte von der Beihilfenkontrolle erfaßt, denn ansonsten wäre der Bestand des öffentlichen Sektors im Sinne von Art. 295 EGV bedroht. Die Beweislast für das Vorliegen einer Beihilfe liegt bei der Kommission. Diese kann der Verpflichtung jedoch in der Regel schon durch den Nachweis der prekären finanziellen Situation der betroffenen Gesellschaft nachkommen. In diesem Fall obliegt es dann dem Mitgliedstaat beziehungsweise dem Unternehmen, anband konkreter Planungen für die Zukunft den Gegenbeweis anzutreten, daß dennoch mit einer ausreichenden Rendite für die staatliche Kapitalzufuhr zu rechnen ist. Dabei ist immer eine Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, es dürfen keine Vermutungswirkungen oder Anscheinsbeweise konstruiert werden, wonach die Mitgliedstaaten im konkreten Fall von vornherein das Nichtvorliegen einer Beihilfe nachzuweisen hätten. 4. Maßgebliche Vergleichskriterien für die Bewertung von Einzelfallen

Ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber investiert nur dann in ein Unternehmen, wenn er zumindest langfristig mit einer angemessenen Rendite rechnet. Der Ertrag seiner Kapitalzufuhr wird ihm dabei entweder in Form von Dividenden oder einer Wertsteigerung seines Gesellschaftsanteils zufließen.157 Entscheidend für die Bestimmung der Rentabilitätsaussichten ist die Prognostizierung der künftigen Erträge und des daraus resultierenden Unternehmenswertes. 158 EuGH Slg. 19901, 307, 308 in Rs.C-301/87 (Boussac). Mitteilung der Kommission über öffentliche Untemelunen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 12; vergleiche auch C.l.3.d)bb). 158 Bezüglich der verschiedenen betriebswirtschaftliehen Methoden der Untemelunensbewertung siehe schon oben C.l. 3. d) aa). 156 157

I. Beihilfebegriff

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Der Unternehmenswert läßt sich nur dann ohne große Mühe festlegen, wenn für das betreffende Unternehmen ein Marktwert existiert, da es beispielsweise an der Börse notiert wird. Der Börsenkurs stellt nämlich einen Durchschnitt der individuellen Entwicklungsprognosen der beteiligten und interessierten Investoren dar, 159 er gibt deshalb die Aussichten der Gesellschaft ziemlich exakt wieder. Erwirbt der Staat eine Beteiligung zum aktuellen Börsenkurs, so stellt diese keine Beihilfe dar, da ja gerade auch private Investoren den Preis für angemessen und durch zu erwartende Gewinne gerechtfertigt halten. Eine intensive Untersuchung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens ist dann nicht mehr erforderlich. Liegt der gezahlte Preis dagegen über dem Marktwert, spricht das für das Vorliegen einer Beihilfe. Dieser Verdacht kann allerdings noch durch besondere andere Umstände ausgeräumt werden, in einem solchen Fall muß also eine detaillierte Einzelfallanalyse stattfinden. Oftmals, insbesondere wenn sich das Unternehmen vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand befindet, kann sich ein Marktwert aber gar nicht herausbilden, so daß der Unternehmenswert ebenfalls nur durch eine umfassende Untersuchung der ökonomischen Gegebenheiten bestimmt werden kann. Im Rahmen der Analyse ist eine Gesamtwürdigung anband verschiedener Indizien vorzunehmen, die in der betriebswirtschaftliehen Literatur und Praxis für Investitionsentscheidungen herangezogen werden. Diese Kriterien werden auch von der Kommission als Grundlage ihrer Prüftätigkeit angesehen160 und in ihren Entscheidungen verwendet. Eine abschließende Aufstellung aller möglichen Indizien ist jedoch bislang nicht erfolgt, ebensowenig hat die Kommission bestimmte Zahlenwerte festgelegt, anhand derer definitiv vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Beihilfe ausgegangen werden könnte.l61 Diese Unbestimmtheit der Vergleichskriterien bewirkt zwar eine erhöhte Rechtsunsicherheit, da die Mitgliedstaaten nicht im vorhinein sicher sein können, ob ihre Beteiligungsmaßnahme als Begünstigung im Sinne von Art. 87 I EGV angesehen wird. Andererseits könnten die Mitgliedstaaten die Beihilfevorschriften leicht umgehen, wenn ein abschließender Kriterienkatalog mit Zahlenwerten existierte. Sie müßten nur darauf achten, daß durch ihre Kapitalzufuhr die Grenzwerte in den aufgezählten Kategorien nicht überschritten werden, die Berücksichtigung anderer Umstände hätten sie nicht zu fürchten. Durch eine solche Selbstbindung der Kommission würde ihr Beurteilungsspielraum stark eingeschränkt, die Beihilfenkontrolle würde ihrer praktischen Wrrksamkeit beraubt. Zudem wäre ein solches Vorgehen nicht mit dem auch vom Gerichtshof geforderten weiten Beihilfebegriff des Art. 87 I EGV vereinbar.162 Die Rechtsunsicherheit der Mitgliedstaaten wird im übrigen daPape, S.66. Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3 ff.; Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand arn Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104fT. 161 Soukup in ZögU 1995, 16, 25. 162 EuGH Slg. 1961, 1, 43 in Rs. 30/59 (De Gezarnenlijke Steenkolenmijnen); siehe dazu auch C.I.l . 159

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

durch verringert, daß die bestehenden Kriterien durch Entscheidungen von Kommission und Rechtsprechung konkretisiert worden sind, so daß die drohende Qualifizierung einer Kapitalzuführung als Beihilfe anhand einer vorherigen wirtschaftlichen Analyse der Investition absehbar ist. Die in der Praxis angewandten Indizien für und gegen den Beihilfecharakter einer staatlichen Kapitalbeteiligung lassen sich systematisch in zwei Gruppen einteilen. In einem ersten Schritt wird zunächst die gegenwärtige Lage der Gesellschaft beurteilt. Auf Grundlage der gewonnenen Daten und der weiteren Planungen der Unternehmensführung muß sodann eine Prognose über die zukünftige Entwicklung nach der Investition erstellt werden. a) Bewertung der gegenwärtigen Lage des Unternehmens Die zur Analyse der aktuellen wirtschaftlichen Verfassung des Unternehmens zu berücksichtigenden Kriterien lassen sich nicht abschließend aufzählen, vielmehr ist erforderlich, anband möglichst vieler Gesichtspunkte ein umfassendes Bild der wirtschaftlichen Gesamtlage des Unternehmens zu erstellen. Für die Untersuchung der gegenwärtigen Lage spielen insbesondere die Finanzlage der Gesellschaft, Kapitalzuführungen in der Vergangenheit, die bestehenden Marktverhältnisse, produktions-und absatztechnische Faktoren sowie die Begleitumstände der Kapitalbeteiligung eine große Rolle. aa) Finanzlage Die Finanzlage stellt das wichtigste Kriterium zur Beurteilung der Frage dar, ob ein vernünftiger privater Investor dem Unternehmen Kapital zuführen würde.l 63 Daher ist sie immer Ausgangspunkt bei der wirtschaftlichen Analyse und oftmals entscheidend für die Einordnung der staatlichen Maßnahme als Beihilfe. Maßgebend ist hier zunächst die Ertragslage der Gesellschaft in den vergangenen Jahren. 164 Hat das Unternehmen in der Vergangenheit angemessene Investitionsrenditen in Form von Dividenden oder Kapitalzuwächsen erwirtschaftet, so berücksichtigt die Kommission dieses positiv. 165 Waren hingegen seit langem nur Verluste zu verbuchen, so spricht das eindeutig für den Beihilfecharakter. 166 Von besonderer Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 819; Soukup, S. 175. Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 13; vergleiche auch oben C. l. 3. d)aa). 16' Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 11; Deckert!Schroeder in EuR 1998,291, 297. 166 EuGei Slg. 1999 II, 17,53 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte); EuGH Slg. 1986, 2321, 2345 in Rs. 40/85 (Boch); EuGH Slg. 1986, 2263, 2286 in Rs. 234/84 (Meura). 163

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Bedeutung ist des weiteren die Struktur und das Ausmaß der Verschuldung.' 67 Je höher nämlich die Schulden sind, desto länger wird es dauern, bis diese durch zukünftige Erträge beglichen werden können und das Unternehmen wieder eine Rendite erwirtschaftet. Ein privater Eigentümer würde in einer solchen Situation unter Umständen sogar die Liquidation der Gesellschaft in Betracht ziehen, um die Haftung auf seinen bestehenden Kapitalanteil zu beschränken, nicht aber neue Mittel zuführen. Um die absoluten Zahlenwerte besser mit denen anderer Unternehmen vergleichen zu können, ermittelt die Kommission verschiedene Finanzkennzahlen. So werden zum Beispiel die aufgelaufenen Verluste und die Verschuldung in Relation zum Umsatz gesetzt, letztere auch in ein Verhältnis zum Eigenkapital (Verschuldungsgrad).168 Ebenso sind verschiedene Kennziffern für die Liquidität und Zahlungsfähigkeit zur Ermittlung der Kreditwürdigkeit zu berechnen und mit der potentiellen Fremdfinanzierungskapazität anderer Gesellschaften derselben Branche zu vergleichen. Der Cash-flow hingegen ist ein Maß für die Selbstfinanzierungsmöglichkeiten, 169 da nur dann Eigenmittel für notwendige Investitionen zur Verfügung stehen, wenn entsprechende Zahlungsströme in das Unternehmen fließen. Relevant ist ferner das Verhältnis der Kapitaleinlage zu Eigenkapital, Nettoaktiva oder Unternehmenswert.'70 Im Bankenbereich existieren zudem Mindestsolvabilitätskoeffizienten. Sinkt die Zahlungsfähigkeit eines Kreditinstituts unter diesen Wert, so sind dessen Eigentümer verpflichtet, entweder Mittel zuzuführen oder das Unternehmen zu liquidieren. Hinter dieser Bestimmung steht die Erwägung, daß die Bank nur bei einer Mindestsolvabilität solide geführt werden kann. Die Regelung dient daher letztendlich dem Gläubigerschutz. Dennoch werden auch derartige Maßnahmen der Neufinanzierung auf Beihilfeelemente untersucht, das Unterschreiten des Grenzwertes wird dabei als Indiz gegen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit angesehen. 171 Die Kommission ist sich der Schwierigkeiten bewußt, die mit einem solchen Vergleich zwischen den Mitgliedstaaten insbesondere aufgrund unterschiedlicher Rechnungslegungspraktiken und-vorschriftenverbunden sind. Sie behält sich daher vor, sich nicht auf die von den Mitgliedstaaten übermittelten Zahlen zu verlassen, 167 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106; GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 8; Dauses/Götz, H. III., Rn. 32. 168 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABl. 1993, Nr.C 307, 3, 13; Entscheidung der Kommission, ABl. 1991, Nr.L 73, 27,28 (Halids). 169 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABl. 1993, Nr. C 307, 3, 12; Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 820; Entscheidung der Kommission, ABl. 1994, Nr.L 254,73,80 (AirFrance). 170 Soukup, S. 175. 171 Entscheidung der Kommission, ABl. 1995, Nr.L 308,92, 106 (Cr6dit Lyonnais).

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

sondern selbst bereinigte Werte zu ermitteln oder einfachere Kriterien zur Ermittlung der wirtschaftlichen Lage heranzuziehen. 172 bb) Mittelzuführungen in der Vergangenheit Weiteres Indiz können Mittelzuführungen an das Unternehmen in der Vergangenheit sein. Allerdings hat die Qualifizierung der früheren Maßnahmen als Beihilfe oder als normales marktwirtschaftliches Verhalten grundsätzlich keine präjudizielle Wirkung für die später erfolgende Kapitalzufuhr. Statt dessen ist jede einzelne Übertragung öffentlicher Mittel aufgrundder jeweiligen Umstände im Einzelfall zu beurteilen. 173 Etwas anderes kann gelten, falls die verschiedenen Maßnahmen als wirtschaftliche Einheit zu betrachten sind. Dabei ist zu untersuchen, ob die spätere Einlage vernünftigerweise von den ersten getrennt und im Hinblick auf das Kriterium des privaten Kapitalgebers als eigenständige Investition gesehen werden kann. Zu den hierfür maßgeblichen Gesichtspunkten zählen die zeitliche Abfolge der Kapitaleinlagen, ihr Zweck und die Lage der Gesellschaft zu der Zeit, als die Entscheidung für die Vornahme jeder dieser Kapitalzuführungen getroffen wurde. 174 Unabhängig davon, ob die unterschiedlichen Mittelübertragungen getrennt oder als Einheit zu bewerten sind, stehen Kommission und Rechtsprechung wiederholten Kapitalzufuhren kritisch gegenüber. Oftmals werden diese als Zeichen angesehen, daß frühere Sanierungsbemühungen nicht erfolgreich waren und deshalb neue Einlagen erforderlich sind. 175 Daraus wird abgeleitet, daß auch erneute Rettungsversuche wahrscheinlich nicht von Erfolg gekrönt sein werden. Insbesondere Maßnahmen, die in kurzem zeitlichen Abstand erfolgen, sind ein deutliches Indiz für die mangelnde finanzielle Lebensfahigkeit des Unternehmens und deuten auf den Beihilfecharakterder staatlichen Leistungen. 176 cc) Bestehende Marktverhältnisse Auch die gegenwärtige Situation auf dem betreffenden Markt ist zu analysieren, sie hat direkte Auswirkungen auf die Ertragslage einer Gesellschaft. 177 Dabei ist zwischen der Angebots- und der Nachfragelage zu differenzieren.1 78 172 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 14. 173 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 30 (Neue Maxhütte). 174 EuGel Slg. 1998 II, 3235, 3289 in Rs. T-11/95 (BP Chemicals). 175 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 258, 26, 35 (Air France); EuGH Slg. 19911, 1603, 1641 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); Kahl in NVwZ 1996, 1082, 1087. 176 EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi); Schroeder in ZfRV 1998, 53, 56. 177 Hölters/Fischer, S. 93. 11s Kraus-Grünewald, S. 72.

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Zum einen ist die Entwicklung der Nachfrage in den vergangenen Jahren zu untersuchen. Ist diese kontinuierlich zurückgegangen, so spricht das gegen ausreichende Entwicklungsperspektiven des Unternehmens in der Zukunft. Insbesondere ist zu berücksichtigen, ob sich die Bedürfnisse der Kunden geändert haben, also eine Tendenz hin zu anderen Produkten geht. 179 Auf der Angebotsseite ist zunächst der bestehende Marktanteil der Gesellschaft zu berücksichtigen. Zudem spielt hier die Intensität des Wettbewerbs eine entscheidende Rolle. Hat etwa bezüglich der Produktion eines Gutes eine Konzentration auf wenige große Hersteller stattgefunden, so ist es für kleinere Anbieter schwer, sich in diesem Marktsegment zu behaupten. Als besonders problematisch sieht die Kommission Kapitalzuführungen an, die in einer Branche erfolgen, in der bisher schon strukturelle Überkapazitäten bestehen. 180 Strukturelle Überkapazitäten liegen dann vor, wenn unabhängig von konjunkturellen Einflüssen permanent ein größeres Angebot besteht als Nachfrage vorhanden ist. 181 Die Kommission berücksichtigt dabei, ob das Unternehmenaufgrund des Angebotsüberhangs überhaupt eine positive Perspektive besitzt oder nur wegen staatlicher Unterstützung überlebensfähig ist. Die Gründe für diese kritische Haltung sind darin zu sehen, daß einerseits auch vernünftige private Kapitalgeber bei derartigen Investitionen eine erhöhte Vorsicht walten lassen, andererseits diese Sektoren besonders anfällig für Wettbewerbsverfälschungen sind. 182 dd) Produktions- und absatztechnische Faktoren Für die Beurteilung der Wettbewerbsfähigkeit sind zudem produktions- und absatztechnische Faktoren maßgeblich. Relevant sind in diesem Zusammenhang vor 179 Mitteilung der Korrunission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 13. 180 Mitteilung der Korrunission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106. 181 Eine Definition des Begriffes "strukturelle Überkapazitäten" in bezugauf die verarbeitende Industrie findet sich in dem multisektoralen Regionalbeihilferahmen für große lnvestitionsvorhaben, ABI. 1998, Nr. C 107, 7, 12. Danach gelten strukturelle Überkapazitäten als gegeben, wenn der Kapazitätsausnutzungsgrad des jeweiligen (Teil-)Sektors im Durchschnitt der letzten fünf Jahre mehr als zwei Prozentpunkte unter dem der gesamten Verarbeitungsindustrie liegt. 182 In ihrer Entscheidung, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 30 (Head Tyrolia Mares), stellte die Kommission beispielsweise darauf ab, daß in den letzten fünf Jahren ein weltweiter Nachfragerückgang nach Skiausrüstungen stattgefunden habe, da eine Tendenz zu modischeren Produkten wie Snowboards erkennbar sei. Außerdem habe in attraktiven Marktnischen eine Konzentration auf eine geringe Anzahl großer Hersteller stattgefunden. Der Gerichtshof wertete es in EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi), als schlechtes Zeichen, daß sich der gesamte Sektor wegen struktureller Überkapazitäten, einer Preisschwäche und eines lebhaften Wettbewerbs innerhalb wie außerhalb der Gemeinschaft in einer schweren Strukturkrise befand.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

allem der Zustand der Produktionsanlagen, Standort und Infrastruktur der Gesellschaft, die Produktpalette sowie das beschäftigte Personal. Veraltete Maschinen und ein daraus folgender dringender Bedarf an Ersatzinvestitionen stellen ein Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe nach Art. 87 I EGV dar. 183 Sie sind häufig die Ursache für eine geringe Produktivität. Haben dagegen erfolgte Investitionen schon spürbar die Produktionskosten gesenkt, so wird dieses als positives Zeichen gewertet. Dann ist nämlich zu erwarten, daß durch die gesunkenen Aufwendungen in Zukunft höhere Erträge erzielt werden können. Ein ungünstiger Standort etwa wegen schlechter Verkehrsanbindung fallt negativ ins Gewicht. Gleiches gilt, wenn an zu vielen kleinen Produktionsstätten gearbeitet wird, die keine Fertigungszahlen zulassen, bei denen die Fixkosten gedeckt werden.184 Ebenso skeptisch werden lange Vertriebswege, eine komplizierte Arbeitsorganisation oder unzureichende Informationssysteme beurteilt. Eine gut ausgebaute Infrastruktur wirkt sich hingegen günstig auf die Bewertung aus. 185 Außerdem ist die Wettbewerbsfahigkeit der von dem Unternehmen angebotenen Produktpalette zu analysieren. Erweisen sich die verlangten Preise auf dem Markt als zu hoch, ohne daß dieses durch eine bessere Qualität der Waren ausgeglichen wird, so spricht das für den Beihilfecharakter der Kapitaleinlage der öffentlichen Hand. Ebenso wird das völlige Fehlen innovativer Produkte bewertet, da davon auszugehen ist, daß die Gesellschaft aufgrund der Dynamik der Marktentwicklung in Zukunft nicht mithalten können wird. Ein weiteres negatives Indiz ist eine zu große Tiefe der Angebotspalette, 186 was darauf zurückzuführen ist, daß nur bei einer Konzentration auf das Kerngeschäft die vorhandenen Ressourcen optimal genutzt werden können. Häufige Kritikpunkte sind ein zu hoher Personalstand und überhöhte Lohnkosten.187 Aber auch die Qualifikation der Arbeitnehmer und insbesondere der Unternehmensleitung muß beachtet werden. Eine zu riskante Geschäftsführung oder eine zu aggressive Expansionsstrategie kann nämlich zu erheblichen Verlusten führen. 188 EuGH Slg. 1985, 809, 824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek). Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr.L 67, 31,41 (Thomson). 185 So wird vom Gericht erster Instanz in EuGei Slg. 1996 II, 2109, 2140 in Rs. T-358/94 (Air France) das sehr gut ausgebaute Liniennetz der französischen Fluggesellschaft hervorgehoben. 186 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr.L 67, 31,41 (Thomson). 187 Siehe nur EuGH Slg. 1985, 809, 812 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 67, 31, 41 (Thomson); Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 821. 188 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 10 (GAN). Vergleiche hierzu auch das vernichtende Urteil über die Geschäftsführung einer italienischen Bank in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 116,36,49 (Banco di Napoli): In der Führungsebene waren ein ungeeignetes Personalmanagement, eine komplizierte Organisationsstruktur, unzureichende Informationssysteme, eine schwache Geschäftstätigkeit und ein riskantes Finanzmanagement festzustellen. Die Unternehmensführung war verantwortlich für eine territoI8J

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ee) Begleitumstände der Kapitalbeteiligung Weitere Beurteilungskriterien sind die Begleitumstände der Beteiligungsmaßnahme. Die Kapitalzufuhr darf nicht isoliert betrachtet, sondern muß immer im Zusammenhang mit dem Verhalten privater Marktteilnehmer und dem sonstigen Verhalten des staatlichen Investors gesehen werden. So spricht die überproportionale Beteiligung der öffentlichen Hand bei der Mittelbereitstellung für eine Gesellschaft, deren Kapital von privaten und öffentlichen Anlegern gehalten wird, für den Beihilfecharakter.l89 Dagegen indiziert die gleichmäßige Teilnahme Privater, daß die staatliche Kapitalzuführung rein kommerziellen Charakter besitzt. 190 Dieser Gesichtspunkt kann jedoch nicht für eine positive Beurteilung herangezogen werden, falls für das Handeln der privaten Investoren andere Gründe als die der öffentlichen Hand ausschlaggebend sind. Solche Beweggründe können etwa der Zugang zu einem ausländischen Markt oder zu öffentlichen Aufträgen sein. 191Gleiches gilt, wenn die Kapitaleinlagen zeitlich erst nach der staatlichen Maßnahme erfolgen und davon auszugehen ist, daß sie ohne die Bereitstellung öffentlicher Mittel nicht geleistet worden wären. 192 Weiter ist zu untersuchen, ob die Beteiligung der öffentlichen Hand mit anderen beihilfeverdächtigen Interventionen kombiniert wird, wobei die verschiedenen Maßnahmen allerdings nicht zwingend einheitlich beurteilt werden müssen. Jede einzelne ist vielmehr getrennt mit marktwirtschaftlichem Verhalten zu vergleichen.193 Ferner muß geprüft werden, ob die Kapitaleinlage nur die Wiederaufnahme oder den Weiterbetrieb der Tatigkeit einer unrentablen Gesellschaft unter neuem Namen verfolgt oder ob sie eine vorübergehende Beteiligung ist, deren Dauer und Veräußerungspreis im voraus derart festgelegt sind, daß sich daraus eine erheblich niedrigere Rendite ergibt, als sie üblicherweise am Markt zu erzielen wäre. 194 Es kann nicht als Indiz gegen das Vorliegen einer Beihilfe gewertet werden, daß die durch die staatliche Kapitalzufuhr an eine Gesellschaft entstehenden Verluste im rial unausgewogene Expansion, eine unkontrollierte Kreditpolitik, eine inkohärente Auslandspräsenz, Investitionen in zu riskante Operationen und das Fehlen innovativer Produkte. 189 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106; EuGH Slg. 1985, 2321, 2330 in Rs. 40/85 (Boch); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 4 (GAN). 190 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105; Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 38 (lberia). 191 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1, 5 (Bull). 192 EuGHSig. 19901,307,361 inRs.C-301/87 (Boussac); GTE/Mederer,Art.92EGV,Rn.8. 193 Soukup, S . 181 ff. 194 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106; EuGH Slg. 1984, 3809, 3826 in Rs.323/82 (lntermills); Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr.L 159, 46,48 (Nuova Cartiera di Arbatax).

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Staatshaushalt durch die Veräußerung anderer öffentlicher Unternehmen ausgeglichen werden. Vielmehr ist jeder Einzelfall anhand der jeweiligen Umstände zu beurteilen.195 Ein solches Verhalten kann allenfalls durch strategische Gründe wie der Neuorientierung der wirtschaftlichen Tätigkeit der öffentlichen Hand legitimiert werden. 196 Ebensowenig kann ein etwaiger Verstoß gegen Haushaltsgrundsätze eines Mitgliedstaates für die Bewertung der staatlichen Investition herangezogen werden. In Deutschland käme hier unter anderem ein Verstoß gegen den für staatliche Beteiligungen an privatrechtliehen Unternehmen geltenden § 65 der Bundeshaushaltsordnung in Betracht. 197 Zwar stehen solche Haushaltsvorschriften tendenziell einer ökonomisch nicht gerechtfertigten Subventionierung entgegen, da Ausgaben der öffentlichen Hand auf ihre Wirtschaftlichkeit und Erforderlichkeil hin überprüft werden. Gerade auch ein Verstoß gegen das in ihnen verankerte Gebot der Vorsicht bei der staatlichen Mittelvergabe könnte als Gesichtspunkt für den Beihilfecharakter im Sinne von Art. 87 I EGV sprechen. Allerdings ist zu beachten, daß das Gemeinschaftsrecht grundsätzlich unabhängig von nationalen Regelungen auszulegen ist. Zudem würden anderenfalls Staaten mit weniger strengen Haushaltsbestimmungen unangemessen gegenüber anderen Mitgliedstaaten privilegiert. Ebenso würde das Neutralitätsgebot bezüglich der Behandlung von privatem und öffentlichem Eigentum außer acht gelassen, weil private Kapitalgeber in der Regel nicht durch so strenge Investitionsvorschriften gebunden sind. 198 ff) Ergebnis

Für die Bewertung der gegenwärtigen Lage der Gesellschaft sind also verschiedene Indizien zu berücksichtigen, wobei die Erstellung eines abschließenden Kataloges nicht möglich ist, da der Beihilfebegriff des Art. 87 I EGV zugunsten der Möglichkeit einer dynamischen Weiterentwicklung offengehalten werden muß. Die Analyse der Finanzlage des Unternehmens ist hier das wichtigste Kriterium zur Beurteilung der wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Dabei kommt den in den letzten Jahren aufgelaufenen Verlusten und der Höhe der Verschuldung eine herausgehobene Bedeutung zu. Wiederholten Kapitalzufuhren in der Vergangenheit steht die Kommission skeptisch gegenüber und wertet sie als Zeichen, daß auch die neuen Sanierungsbemühungen wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werden. Bezüglich der gegenwärtigen Marktverhältnisse sind sowohl Faktoren des Nachfrage-, als auch des Angebotsbereichs erheblich. Besonders kritisch wird hier von Kommission und Rechtsprechung das Bestehen struktureller Überkapazitäten in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 27 (Neue Maxhütte). Siehe oben C. I. 3. b). 197 Vergleiche schon oben C. I. 2. c). 198 In diesem Sinne auch Pape, S. 80. 19~

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jeweiligen Branche bewertet. Ebenso bedeutsam sind produktions- und absatztechnische Gesichtspunkte wie der Zustand der Produktionsanlagen, der Standort und die Infrastruktur der GeselJschaft, die Wettbewerbsfähigkeit der angebotenen Produktpalette sowie Kosten und Qualifikation des Personals. Schließlich sind noch die Begleitumstände der staatlichen Beteiligungsmaßnahme in die Gesamtbetrachtung einzustellen. So spricht zum Beispiel die gleichmäßige Teilnahme Privater an der Kapitalerhöhung generelJ gegen den Beihilfecharakter. Nicht relevant sind demgegenüber ein Verstoß gegen nationale Haushaltsgrundsätze und die Tatsache, daß die durch die Investition entstehenden Verluste im Haushalt durch den Verkauf anderer öffentlicher Unternehmen ausgeglichen werden.

b) Prognose der zukünftigen Entwicklung In einem zweiten Schritt ist nun auf Grundlage der vorliegenden Informationen zur gegenwärtigen Lage der GeselJschaft eine Prognose zu erstellen über die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten. Dabei ist nicht mehr nur auf das einzelne Unternehmen abzusteiJen, an dem sich der Staat beteiligt, sondern auf die Bedeutung, die es für die gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand hat. Maßstab im Rahmen des Vergleichs mit einem privaten Investor ist zumeist das Verhalten einer privaten Holding oder Unternehmensgruppe, die eine globale oder sektorale Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt. 199 Beachtlich sind hierbei vor allem die weitere Entwicklung der Marktverhältnisse, produktions- und absatztechnische Planungen der Geschäftsführung sowie eventuelle langfristige strategische Gründe für das Eingehen der Beteiligung. Außerdem wird auf die Behandlung von Investitionen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen durch die Kommission eingegangen. aa) Entwicklung der Marktverhältnisse Aus den Tendenzen der vergangenen Jahre ist die weitere Entwicklung des Marktes und der Marktanteile des Unternehmens vorherzusagen. 200 Als Ausgangspunkt bietet sich an, für die Ermittlung des zukünftigen Nachfragevolumens die bisherige Entwicklung der Größe des Absatzmarktes festzustellen und diesen Trend entsprechend dem zu erwartenden Volkseinkommen zu verlängern. Ebenso kann zunächst einmal davon ausgegangen werden, daß sich die Preise für die hergestellten Produkte im gleichen Verhältnis zum allgemeinen Preisindex weiterentwikkeln wie bisher. 201 EuGH Slg. 19911, 1603, 1640 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo). Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 13. 201 Pape, S.68ff. 199

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Allerdings birgt die Entwicklung der Marktverhältnisse in der Zukunft Unwägbarkeilen und Gefahren. Es ist der Regelmechanismus des Marktes, daß günstige Ertragsverhältnisse bei hoher Nachfrage neue Anbieter anziehen, während ein Angebotsüberhang ertragsschwache Anbieter zum Ausscheiden zwingt.202 Diese Gefahr des Verlustes des bestehenden Marktanteils wegen einer sich verändernden Wettbewerbssituation gehört zu den systematischen Risiken einer Unternehmung.203 Einigermaßen gesicherte Aussagen bezüglich der zukünftigen Entwicklung lassen sich hierbei nur treffen, wenn klare Erkenntnisgrundlagen vorliegen, vage Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lage reichen jedenfalls nicht aus. 204 Zum Beispiel sprechen äußere Einflüsse auf das Unternehmen wie das Ausscheiden von Konkurrenten aus dem Markt, sinkende Rohstoffpreise oder eine sich anbahnende konjunkturelle Erholung für eine verbesserte Ertragslage der Gesellschaft in der Zukunft. Dagegen stellen das Auftauchen neuer Billiganbieter aufgrundeiner erfolgten Marktöffnung und allgemein sinkende Verkaufspreise negative Anzeichen für die weitere Entwicklung dar.2os bb) Produktions- und absatztechnische Planungen Ein wichtiger Punkt der Analyse sind die produktions- und absatztechnischen Planungen. Aufgrund der Marktmechanismen besteht immer die Gefahr, den einmal erworbenen Marktanteil wieder zu verlieren. Um dem entgegenzuwirken, muß eine Gesellschaft permanent Anstrengungen zum Erhalt und zur Steigerung der eigenen Wettbewerbsfahigkeit unternehmen. Es ist beispielsweise zu untersuchen, ob Investitionen in neue Anlagen beabsichtigt sind, welche die Produktivität des Unternehmens steigern. Ebenfalls positiv zu bewerten sind konkrete Bemühungen zur Entwicklung innovativer Produkte, die den aktuellen Trends auf dem Markt entgegenkommen. Können die Verkaufspreise für ein Produkt unter das Niveau der Preise der Konkurrenz gesenkt werden oder sollen durch neue Marketingstrategien mehr potentielle Kunden erreicht werden als in der Vergangenheit, so spricht das für eine verbesserte Situation des Unternehmens in der Zukunft. Geplante Steigerungen des Umsatzes auf einem nicht gesättigten Markt und bei nicht ausgelasteten Produktionskapazitäten deuten gleichfalls auf höhere zukünftige Erträge hin, da bei im wesentlichen gleichbleibenden fixen Kosten die Stückkosten sinken und damit die Gewinne pro Wareneinheit steigen werden. All diesen Planungen haftet aber das Risiko ihrer Realisierbarkeil und die Gefahr des wirtschaftlichen Mißerfolges auf dem Markt an. Falsche Strategien der GeKraus-Grünewa/d, S. 72ff. Siehe oben C.l. 3. d) bb). 204 EuGel Slg. 1996 II, 2109,2157 in Rs. T-358/94 (Air France). 205 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 20 (Enichem Agricoltura).

20z 203

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schäftsführung können zu erheblichen Verlusten206 und im Ergebnis zur Insolvenz führen. Diese Unwägbarkeiten stellen die in der Gesellschaft selbst begründeten unsystematischen Risiken einer Unternehmung dar.207 Die Höhe des jeweiligen Risikos kann je nach Lage des Einzelfalls stark variieren und ist bei der zu fordernden Rendite für die staatliche Kapitalzufuhr durch eine angemessene Risikoprämie zu berücksichtigen.

(1) Erfordernis eines Umstrukturierungsplans In den meisten Fällen werden Kapitalhilfen zugunsten von Unternehmen in Krisensituationen gewährt. Die Schwierigkeiten können von falschen Managemententscheidungen in der Vergangenheit herrühren, aber auch von einer allgemein schlechten Marktsituation. Bestehen auf einem Markt zum Beispiel strukturelle Überkapazitäten, so liegt darin ein starkes Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe.208 Dieses kann jedoch eventuell durch die Vorlage eines überzeugenden Umstrukturierungsplans ausgeräumt werden. Dessen Erfolgsaussichten bezüglich der Wiederherstellung der Rentabilität sind aus der Sicht eines sich in gleicher Lage befindenden privaten Investors zu bewerten. Der Beihilfecharakter der staatlichen Kapitalzufuhr kann erst dann ausgeschlossen werden, falls sich aus dem Ertragswert des Unternehmens nach dem Ende der Sanierung für den gesamten Zeitraum die aus branchenüblicher Verzinsung und angemessener Risikoprämie bestehende Mindestrendite ergibt.209 Nicht ausreichend ist hingegen, wenn zwar nach dem Ende des Umstrukturierungszeitraums wieder Gewinne zu erwarten sind, die aber zu niedrig sind, um als ausreichende Rendite für die Investition des Staates angesehen werden zu können. 210 Wird durch die Kapitalhilfe die Lebensfahigkeit der Gesellschaft so weit wiederhergestellt, daß ihr zwar private Mittel auf dem Kapitalmarkt wieder zugänglich werden und sie daher keiner weiteren staatlichen Einlagen mehr bedarf, ohne allerdings einen angemessenen Ertrag der Kapitalhilfe auch für den Zeitraum der Sanierung zu sichern, so liegt eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV vor. In einem solchen Fall kann der Umstrukturierungsplan noch zur Rechtfertigung der Beihilfe etwa im Rahmen des Art. 87 III lit. c EGV dienen. Der Umstrukturierungsplan wird von der Kommission auf dessen Kohärenz, Schlüssigkeit und Durchführbarkeit hin überprüft.211 Dabei ist im Laufe der Zeit die Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 10 (GAN). Vergleiche C.l. 3. d) bb). 20s SieheobenC.I.4.a)cc). 209 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 104, 25, 41 (lberia); siehe auch C.I.3.d)dd). 210 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 24 (Enichem Agrico1tura). 211 Als plausible Begrundung für eine Eigenkapitalzufuhr der öffentlichen Hand wurde es zum Beispiel in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, 25, 41 (lberia), angesehen, daß die Passivseite der Bilanz der Fluggesellschaft saniert werden sollte, um private Partner anzu206 201

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 l EGV

Intensität der Analyse erheblich verschärft worden. Die dem Plan zugrundeliegenden wirtschaftlichen Annahmen werden kritisch hinterfragt und die einzelnen Umstrukturierungsmaßnahmen hinsichtlich ihrer Auswirkungen untersucht, wobei immer häufiger die Hilfe von externen Beratungsgesellschaften in Anspruch genommen wird. Oft kommt die Kommission hierbei zu anderen Ergebnissen als die investierenden Mitgliedstaaten.212 Ein detailliertes Umstrukturierungsprogramm ist Grundvoraussetzung für eine positive Beurteilung der staatlichen Beteiligungsmaßnahme, da die Kommission nur auf dessen Basis die Ernsthaftigkeit der Sanierungsbemühungen und deren Erfolgsaussichten beurteilen kann. Die bloße Existenz eines Sanierungsprogrammes reicht also nicht aus, um die Kapitalzuführung als ökonomisch sinnvoll einzustufen, dagegen stellt das Fehlen eines solchen Planes ein starkes Indiz für den Beihilfecharakter dar, da es darauf hindeutet, daß die Wurzeln der wirtschaftlichen Misere nicht beseitigt werden können oder sollen.213 Nicht ausreichend ist insbesondere, wenn durch die neuen staatlichen Mittel nur bestehende Schulden getilgt werden sollen.214 Solche Rettungsbeihilfen sichern nämlich allein das kurzfristige Überleben der Gesellschaft, ohne die Ursachen der Krisensituation anzugreifen. Wird die Kapitalzufuhr der öffentlichen Hand dadurch aufgezehrt, daß aufgelaufene Verluste ausgeglichen werden, kann von ihr kein Umstrukturierungsbeitrag mehr erwartet werden. Die Verwendung eines Teils der Einlage zur Schuldentilgung im Rahmen eines plausiblen Sanierungsprogramms kann dagegen marktwirtschaftlich sinnvoll sein. Allerdings kann umgekehrt die Tatsache, daß die Mittel für Investitionen verwendet werden, nicht von vomherein ausschließen, daß der Beihilfetatbestand des Art. 87 I EGV erfüllt ist.215 An den Umstrukturierungsplan ist die Anforderung zu stellen, daß er die Rentabilität wiederherstellt. Gerade bei Gesellschaften, die in Branchen mit strukturellen Überkapazitäten agieren, sind dafür erhebliche Anstrengungen im produktions- und absatztechnischen Bereich erforderlich. Die beabsichtigten Maßnahmen müssen vor allem der Rationalisierung, Kostensenkung und Steigerung der Produktivität dienen, um auf dem übersättigten Markt überhaupt mit Gewinn arbeiten zu können. Im einzelnen kann es notwendig sein, Produktionsstandorte zu schließen, um Kapaziehen, und daß die Banken beruhigt werden sollten, deren Finanzierungen für das Weiterbestehen des Unternehmens lebenswichtig waren. 212 So wurde in EuGel Slg. 199611,2109,2146 in Rs. T-358/94 (Air France), entgegen der französischen Auffassung festgestellt, daß der vorgelegte Umstrukturierungsplan in mehrfacher Hinsicht lückenhaft war und die Kommission deshalb davon ausgehen konnte, daß die Gesellschaft ein eventuelles Entwicklungspotential oder positive Marktentwicklungen nicht werde nutzen können. Schon in EuGH Slg. 1986, 2321, 2346 in Rs.40/85 (Boch), stellte der Gerichtshof fest, daß das Programm zur Sanierung des Unternehmens nicht den Schluß erlaube, daß die vorgesehenen Maßnahmen einen in Zukunft rentablen Betrieb hätten gewährleisten können. 213 Soukup in ZögU 1995, 16, 26. 214 EuGH Slg. I 99I I, I603, I64I in Rs. C-305/89 (Aifa Romeo). 215 EuGH Slg. I 99I I, 4437, 4459 in Rs. C-261/89 (Aiuminia und Comsal).

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zitäten abzubauen, womit ein Personalabbau einhergehen kann. Generell ist auf eine Senkung der Lohnkosten hinzu wirken. Auch eine Änderung der Produktpalette oder eine Beschränkung auf das Kerngeschäft unter Abgabe von unrentablen Bereichen kann sinnvoll erscheinen, um die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen. Zudem kann zur Steigerung der Produktivität eine Änderung der Unternehmensorganisation erforderlich werden, wozu beispielsweise Maßnahmen zur Verringerung der Lagerbestände oder zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten zählen.216

(2) Vergleich der Umstrukturierungs- und Liquidationskosten Bei der Entscheidung, ob ein Umstrukturierungsversuch vorgenommen werden soll, ist zu beachten, daß es durchaus der normalen marktwirtschaftliehen Praxis entspricht, wenn ein Unternehmer die "legale Alternative" wählt, untätig zu bleiben und die mögliche Insolvenz in Kauf zu nehmen, statt weitere Mittel in eine Gesellschaft zu investieren, das keine Rendite erwirtschaftet.217 In diesem Zusammenhang machen die Mitgliedstaaten sehr häufig geltend, daß die Kosten der Liquidation die der Umstrukturierung übersteigen würden und schon aus diesem Grund eine Sanierung die wirtschaftlich richtige Entscheidung sei.218 Die neuerliche Kapitalzufuhr könne daher nicht als Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV bewertet werden. Im Rahmen der entstehenden Liquidationskosten seien der drohende Verlust des bestehenden Geschäftsanteils, eine gesetzlich bestimmte Haftung für die Gesellschaftsverbindlichkeiten auch über die bestehende Einlage hinaus und ebenso Folgekosten etwa für die Arbeitslosenunterstützung oder die Wiederherstellung der industriellen Strukturen in der Region anzusetzen. Fraglich ist allerdings, ob allein dieser Kostenvergleich über den Beihilfecharakter entscheiden kann, ob alle angeführten Posten zu berücksichtigen sind und ob es den Mitgliedstaaten überhaupt gestattet werden soll, sich hierauf zu berufen. (a) Bloßer Indizcharakter des Vergleichs Für das alleinige Abstellen auf den Vergleich der Umstrukturierungs- und Liquidationskosten spricht zunächst das Argument der Rechtssicherheit,219 da dieses Kriterium für klar vorhersehbare Ergebnisse sorgt und die Mitgliedstaaten somit von 216 Zu möglichen Umstrukturierungsmaßnahmen vergleiche nur die Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 19 (Aircraft Services Lemwerder); EuGel Slg. 1999 II, Rn. 23f. in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 6.10.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 217 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr.L 253,22. 29 (Neue Maxhütte). 218 Vergleiche hierzu nur die Stellungnahmen der Mitgliedstaaten in EuGH Slg. 1994 I, 4103, 4152 in verb. Rs. C-278, 279, 280/92 (Hytasa. Imepiel und Intelhorce); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, I, 5 (Bull). 219 Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 597.

6 Bonkamp

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Anfang an genau einschätzen könnten, ob ihre Beteiligungsmaßnahme dem Beihilfeverbot unterfällt oder nicht. Außerdem entspricht es dem Verhalten eines privaten Investors, vor einer Entscheidung gegen die Sanierung die dann entstehenden Liquidationskosten in Betracht zu ziehen. Nur das Argument der Rechtssicherheit kann jedoch eine pauschale Vorgehensweise nicht rechtfertigen. Zum einen kann ein Teil der zu analysierenden Sachverhalte gar nicht erlaßt werden. Wenn die öffentliche Hand ein Unternehmen gründen will, ist der Vergleich mit den alternativen Liquidationskosten sinnlos. Es ist aber anerkannt, daß auch solche Kapitalzuführungen Beihilfen darstellen können.220 Zum anderen ist es zwar richtig, daß auch in der Privatwirtschaft ein derartiger Vergleich angestellt wird, allerdings kann dieser allenfalls ein Indiz für oder gegen eine Umstrukturierung darstellen. Es sind nämlich Fälle denkbar, in denen die Kosten bei Insolvenz die Sanierungskosten übersteigen und dennoch die Liquidation die einzig sinnvolle Entscheidung ist. Falls absehbar ist, daß die Rentabilitätsaussichten der Gesellschaft trotz aller Anstrengungen negativ bleiben werden, wäre die Bereitstellung neuen Kapitals ökonomisch nicht vertretbar, da auch dieses in absehbarer Zeit verloren wäre. Auch im umgekehrten Fall kann es durchaus vorkommen, daß trotz höherer Umstrukturierungskosten eine Weiterführung des Unternehmens Sinn macht, da dieses aufgrund bestehender Wachstumschancen, Strukturen und Geschäftsverbindungen erhaltenswürdig erscheint. Das alleinige Abstellen auf den Vergleich der Liquidations- und Umstrukturierungskosten erweist sich somit aufgrund der Dynamik der Marktentwicklung als zu statisch, entscheidendes Kriterium müssen vielmehr die Zukunftsperspektiven sein. Dem Vergleich kommt höchstens als Indiz Bedeutung zu.

(b) Keine Berücksichtigung sozialer und regionaler Folgekosten sowie sämtlicher Verbindlichkeiten des Unternehmens Des weiteren ist anerkannt, daß bei dem Vergleich die sozialen und regionalen Folgekosten keine berücksichtigungsfähigen Posten darstellen, da anderenfalls die Stellung des Staates als Eigentümer und die Verpflichtungen, die ihm als Träger der öffentlichen Gewalt obliegen, vermengt würden.221 Die Haftung des Anteilseigners einer Kapitalgesellschaft ist regelmäßig auf die Höhe des gezeichneten Anteils beschränkt,222 so daß sein Verlustrisiko auf diesen Betrag begrenzt ist. Vergleiche C.l. 2. d) aa). EuGH Slg. 19941,4103, 4153 in verb. Rs. C-278, 279, 280/92 (Hytasa, lmepiel und Intelhorce); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, 1, 9 (Soci~t~ Marseillaise de Cr~dit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 7 (GAN). 222 Eine Haftung über den Betrag des gezeichneten Kapitalanteils kann sich allerdings ergeben, falls Mutter- und Tochtergesellschaft durch einen Ergebnisabführungsvertrag verbunden sind; siehe die Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr.L 253,22,28 (Neue Maxhütte). 220 221

I. Beihilfebegriff

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Deshalb können ebensowenig generell die sonstigen Verbindlichkeiten der Gesellschaft einbezogen werden, es sei denn, der Staat hat für sie eine Bürgschaft übernommen.223 Unter besonderen Umständen wird nicht einmal der potentielle Verlust von staatlichen Darlehen im Insolvenzverfahren berücksichtigt. Dies ist zum Beispiel der Fall, falls die Kapitalzuführung allein dazu bestimmt ist, die Kredite zu tilgen, da hierbei im Ergebnis nur eine unsichere Anlageform durch eine noch unsicherere ersetzt wird. Ansonsten würde fast immer eine Qualifikation als Beihilfe ausscheiden, da automatisch die Liquidations- den Sanierungskosten mindestens entsprächen, was zu einer Umgehung des Beihilfeverbots führen würde.224 Ebensowenig werden Darlehen der öffentlichen Hand für das Unternehmen erfaßt, für die schon im Zeitpunkt ihrer Gewährung keine Aussicht auf Rückzahlung bestand und die deshalb schon damals als wirtschaftlich wertlos einzustufen waren.225

(c) Keine Berücksichtigung einer gesetzlich bestimmten Verpflichtung zur Haftungsübernahme In einigen Mitgliedstaaten bestehen gesetzliche Regelungen, die den Staat verpflichten zu gewährleisten, daß seine Unternehmen Forderungen der Gesellschaftsgläubiger in jedem Fall in voller Höhe erfüllen, oder eine Haftungsübernahme des Staates bei Unternehmerischen Fehlentscheidungen vorsehen. Beispiele dafür sind Art. 2362 des italienischen Zivilgesetzbuches, welcher eine unbegrenzte Haftung des Alleinaktionärs bei freiwilliger Liquidation bestimmt,226 und die in Frankreich bestehende Durchgriffshaftung bei Managementfehlern gemäß Art.180 des Gesetzes über die Sanierung und den Konkurs beziehungsweise Art. 1382 des Code Civil.227 Für Deutschland lassen sich eine mögliche Einstandspflicht nach den Grundsätzen des faktischen Konzerns analog den §§ 302, 303 AktG sowie die Anstaltsund Gewährträgerhaftung des deutschen Staates zugunsten öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute228 anführen. Es ist zu prüfen, ob derartige Bestimmungen den Beihilfecharakter der neuerlichen Kapitaleinlage ausschließen können und ob die durch die Haftung entstehenden Belastungen im Rahmen der Liquidationskosten berücksichtigt werden dürfen. Die Kommission hat die Fragen pauschal mit Nein beantwortet, denn ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber hätte in einer Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr.L 386, l, 5 (Bull). Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 56 (Alitalia). 225 EuGel Slg. 1999 II, 17,54 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). 226 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 300, 23, 31 (lritecna). 227 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, l, 7 (GAN). 228 Es geht hier nicht um die zur Zeit viel diskutierte Frage, wann die Übernahme einer solchen Haftung eine Beihilfe darstellt, sondern um das Folgeproblem, ob diese im Krisenfall eine weitere Kapitalzuführung legitimieren kann. Zur ersten Frage siehe den Streit zwischenKoenig und Schneider/Busch in EuZW 1995, 595ff., 602ff. 223

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

solchen Situation schon früher die Möglichkeit der Auflösung oder Reduzierung seiner Investition in Betracht ziehen müssen.229 Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung könnten weitere Kapitaleinlagen jedoch schon gar nicht dem Beihilfetatbestand unterfallen, da es eventuell an der Freiwilligkeit der Leistung fehlt. 230 Daß auch private Eigentümer vor haftungsauslösenden Managementfehlern nicht gefeit seien, beweise allein die Existenz derartiger Bestimmungen.231 Zudem könnte die Berücksichtigung eines hypothetischen früheren Verhaltens gegen den Grundsatz verstoßen, daß der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung der staatlichen Maßnahme derjenige der konkreten Entscheidung über die Mittelgewährung ist.232 Es wird ferner vertreten, daß hier zwei unterschiedliche Maßnahmen, nämlich die ursprüngliche Investition und der spätere Haftungsfall, unzulässig als Einheit betrachtet würden, obwohl die ursprüngliche Beteiligung in der damaligen Situation keine Beihilfe darstellte.m Solche Haftungsrisiken einzugehen, könne unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Vernunft geradezu geboten sein, wenn der Zufuhr von Eigenkapital und der damit verbundenen Haftung entsprechende wirtschaftliche Vorteile gegenüberständen. Außerdem könnte die von der Kommission aufgestellte Pflicht, die Kapitalbeteiligung rechtzeitig zu liquidieren, gegen die Tatsache verstoßen, daß Belassungssachverhalte nicht vom Beihilfeverbot erlaßt werden.234 Diesen Argumenten ist die Kommission zu Recht entgegengetreten. Für die Fälle, in denen die Haftung nur bei Fehlentscheidungen der Führungskräfte eintritt, weist sie darauf hin, daß oft nicht erkennbar ist, warum der Staat mit der Unternehmensleitung gleichzusetzen sein sollte. Im übrigen entsteht eine Haftungspflicht des Managements normalerweise nicht für die Gesamtschulden der Gesellschaft und für die Verbindlichkeiten bei der Liquidation, sondern nur in den Grenzen der finanziellen Auswirkungen der Fehlentscheidungen.235 Eine Unfreiwilligkeit der neuerlichen Kapitaleinlage ist schon deshalb zu verneinen, weil die gesetzlichen Vorschriften nicht zwingend die Zurverfügungstellung von Eigenkapital fordern, sondern nur die Haftung im Falle der Insolvenz regeln. Zwar kommen solche haftungsauslösenden Fehlentscheidungen ebenso in der Privatwirtschaft vor, dem Vergleich mit einem vernünftigen privaten Investor können sie jedoch dann nicht mehr standhalten, wenn die wirtschaftliche Krise schon seit 229 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 12. 230 Müller-Graffin ZHR 152 (1988), 403, 423; GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 6; siehe hierzu C.I. 1. 231 Schroeder in ZHR 161 (1997), 805,830. 232 Siehe C.l. 3. c) aa). 233 Dreher in Gedächtnisschrift für Knobbe-Keuk, S. 598. ~Vergleiche oben C.l.3.e)bb). 23s Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 103, 19, 28 (Socit~te de Banque Occidentale); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr.L 67, 31,39 (Thomson).

I. Beihilfebegriff

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langer Zeit vorhersehbar und abwendbar war. Ebensowenig widerspricht die Berücksichtigung früherer Handlungsmöglichkeiten dem Grundsatz, daß der maßgebliche Zeitpunkt für die Bewertung der staatlichen Maßnahme derjenige der Investitionsentscheidung ist. Dieser Grundsatz will nur verhindern, daß die Kommission nachträglich eintretende Tatsachen in ihre Analyse einbezieht,236 frühere Umstände wie die Ertragslage der vergangenen Jahre werden jedoch selbstverständlich erfaßt. Es liegt auch keine unzulässige einheitliche Beurteilung von ursprünglicher Beteiligung und erneuter Kapitalzufuhr vor, da es nicht darum geht, die ursprüngliche Einlage nachträglich als Beihilfe zu qualifizieren, sondern nur um die aktuelle Maßnahme der öffentlichen Hand. Somit kommt es ebensowenig zu einer verbotenen Berücksichtigung eines Belassungssachverhaltes. Daß das Eingehen derartiger Haftungsrisiken ökonomisch sinnvoll sein kann, steht nicht in Frage. Bei der Bewertung der wirtschaftlichen Vorteile ist sogar ein weiter Beurteilungsspielraum gegeben. Dieser wird jedoch dann überschritten, wenn für den öffentlichen Eigentümer offensichtlich wird, daß seine Beteiligung auf Dauer unrentabel ist. Erst in diesem Moment besteht für ihn die Obliegenheit, eine Auflösung seiner Investition in Betracht zu ziehen, ansonsten stellen weitere Mittelzuführungen Beihilfen dar. Die Kommission führt hier als zusätzlichen Punkt noch den allgemeinen Rechtsgrundsatz an, daß niemand seine Argumentation auf eigene Fehler stützen darf (nemo auditur turpitudinem allegans).237 Genau dieses würde aber geschehen, falls die öffentliche Hand eine Beihilfe durch die Verschleppung der Liquidation legitimieren könnte. Trotz gesetzlicher Verpflichtung zur Haftungsübernahme kann also die Bereitstellung von zusätzlichen Mitteln eine Beihilfe darstellen. Im Rahmen des Vergleiches mit den Umstrukturierungskosten dürfen die aus dem Haftungsfall erwachsenden Belastungen nicht zwecks Erhöhung der Liquidationskosten berücksichtigt werden. (d) Generelles Verbot der Geltendmachung durch die Mitgliedstaaten In ihren jüngsten Entscheidungen geht die Kommission sogar noch einen Schritt weiter. Sie verbietet es den Mitgliedstaaten insgesamt, sich auf den Vergleich der Umstrukturierungskosten mit den höheren Liquidationskosten zu berufen, wenn ein privater Anteilseigner angesichts der Verschlechterung der Marktchancen und der Unmöglichkeit einer Sanierung das Unternehmen viel früher in Liquidation gestellt, dadurch kostenaufwendige Kapitalaufstockungen vermieden und die Liquidationskosten selbst spürbar verringert hätte.238 Sich selbst sieht die Kommission dagegen Vergleiche C.I. 3.c)aa). Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 198, 1, 10 (Societe Marseillaise de Credit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 8 (GAN). 238 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 109, 1, 9 (ltalstrade); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 129,30, 37 (Condotte). 236 237

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

weiterhin nicht daran gehindert, zur Begründung der Beihilfeeigenschaft einer staatlichen Kapitalzufuhr die höheren Sanierungskosten heranzuziehen. Gegen diese Differenzierung könnte freilich sprechen, daß durch das pauschale Argument der früheren Handlungsmöglichkeit des Staates jede Umstrukturierung einer Gesellschaft in Schwierigkeiten als Beihilfe einzustufen sein könnte. Praktisch immer bestanden nämlich schon in der Vergangenheit Möglichkeiten, um die jetzigen Insolvenzkosten geringer zu halten. Durch ein solches Vorgehen könnte zudem der Gleichbehandlungsgrundsatz zwischen öffentlichem und privatem Eigentum aus Art. 86 I, 295 EGV verletzt werden, da ein privater Kapitalgeber den Vergleich zwischen Umstrukturierungs- und Liquidationskosten zumindest als Indiz bei seiner Entscheidung berücksichtigt. Es ist jedoch zu beachten, daß das Abstellen auf frühere Handlungsmöglichkeiten des Staates selbst nur ein Indiz im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist. Die Kommission will Kapitalzufuhren im Rahmen von Sanierungsbemühungen nicht generell verbieten, sondern bewertet diese auch weiterhin hauptsächlich anband ihrer Geeignetheit zur Wiederherstellung der Rentabilität. Ebensowenig liegt ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot vor, da eine Ungleichbehandlung immer dann gerechtfertigt ist, wenn dafür sachliche Gründe existieren.239 Ein solcher Grund ist hier darin zu sehen, daß der öffentliche Eigentümer den Vergleich von Sanierungs- und Liquidationskosten dazu mißbrauchen könnte, das Beihilfeverbot zu umgehen. Er müßte die Liquidation nur so lange verschleppen, bis die Insolvenz- die Umstrukturierungskosten übersteigen, um dieses dann für die Zulässigkeil einer erneuten Mittelbereitstellung geltend zu machen. In diesem Zusammenhang kann wieder der Rechtsgrundsatz angeführt werden, daß niemand seine eigenen Fehler für seine Argumentation nutzen darf.240 Als Ergebnis läßt sich somit festhalten, daß der Vergleich zwischen den Liquidations- und Umstrukturierungskosten den Mitgliedstaaten nur in den seltensten Fällen zur Legitimation einer staatlichen Kapitalzuweisung dienen kann. Das Vorliegen einer Beihilfe kann sicherlich nicht allein anband dieses Vergleiches abgelehnt werden, wie das oft von den Betroffenen geltend gemacht wird, da diesem Vergleich auch in der Privatwirtschaft allenfalls Indizcharakter zukommt. Kommission und Rechtsprechung standen dem Vergleich schon immer kritisch gegenüber. Zunächst wurde klargestellt, daß im Rahmen der Liquidationskosten weder pauschal alle Gesellschaftsverbindlichkeiten noch soziale und regionale Kosten oder Belastungen wegen einer gesetzlichen Verpflichtung zur Haftungsübernahme berücksichtigungsfähig sind. Neuerdings verbietet die Kommission den Mitgliedstaaten generell, sich auf diesen Vergleich zu berufen, wenn die Krisensituation seit längerer Zeit vorhersehbar ist. Daher bleibt das entscheidende Kriterium zur Bewertung einer Kapitaleinlage bei Umstrukturierung weiterhin die Geeignetheit zur Wiederherstellung der Rentabilität. 239 240

Siehe oben B. III. 3. Siehe schon C.l. 4. b) bb) (2) (c).

I. Beihilfebegriff

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(3) Beabsichtigte Privatisierung Die Europäische Union überzog in den vergangeneo Jahren eine Privatisierungswelle. In vielen Mitgliedstaaten wurden Programme beschlossen, um die wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand einzuschränken und staatseigene Betriebe an private Investoren zu veräußem.241 Der erste Schritt ist dabei zumeist die Überführung der Betriebe in eine Privatrechtsform, der zweite Schritt der Verkauf an private Anteilseigner. Insbesondere bei Unternehmen in Schwierigkeiten lassen sich jedoch nur schwer Käufer finden, wenn nicht der Staat zunächst kapitalintensive Umstrukturierungsmaßnahmen vornimmt. Ein andere Variante ist, daß die Gesellschaft zu einem negativen Kaufpreis, etwa durch Vereinbarung eines "symbolischen Preises" bei gleichzeitigem Verzicht auf staatliche Darlehensforderungen oder unter Gewährung einer letzten Kapitalspritze verkauft wird. Allein schon, um Arbeitsplätze zu sichern, wird die öffentliche Hand oftmals solche Aufwendungen einer Liquidation des Unternehmens vorziehen. Zwar begrüßt die Kommission generell Privatisierungen, da diese nach ihrer Ansicht die Erfolgschancen eines Sanierungsplans vergrößern und den Umfang einer möglichen Beihilfe durch den erzielten Verkaufserlös vermindern. Außerdem würden künftige Wettbewerbsverzerrungen verringert, weil durch den Rückzug des Staates aus einem öffentlichen Unternehmen eher gewährleistet werden könne, daß dieses in Zukunft keine staatlichen Mittel mehr erhalte.242 Gleichzeitig betont sie allerdings, daß wegen des Neutralitätsprinzips gemäß Art. 861, 295 EGV öffentliches Eigentum nicht bevorzugt behandelt werden dürfe. Demnach könne eine finanzielle Unterstützung, welche die Privatisierung von staatseigenen Betrieben erleichtere, als solche nicht von vomherein in den Genuß einer Ausnahme von dem Grundsatz der Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt im Sinne von Art. 87 I EGV kommen. Eine "Prämie" für die beabsichtigte Privatisierung sei unzulässig.243 Gerade Kapitalzuführungen an öffentliche Unternehmen im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Veräußerung sind häufig Gegenstand der Beihilfenkontrolle. Zur Bewertung von Maßnahmen im Rahmen der Aufgabe einer staatlichen Kapitalbeteiligung wurden von der Kommission einheitliche Grundsätze entwickelt.244 Geschieht die Privatisierung durch den Verkauf von Aktien über die Börse, wird generell davon ausgegangen, daß die Veräußerung zu Marktbedingungen erfolgt und kein Beihilfeelement zugunsten des Erwerbers beinhaltet.245 Werden vor dem börsenmäßigen Verkauf bestehende Verbindlichkeiten durch den Staat übernommen, spricht das so lange nicht für das Vorliegen einer Beihilfe, wie der Erlös der XXIII. Wettbewerbsbericht 1993, S. 270. Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 116 (Cr&lit Lyonnais). :143 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 27 (Neue Maxhütte). :144 XXIII. Wettbewerbsbericht 1993, S.270f. l4s Vergleiche auch oben C. I. 4. :14 1 :142

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Veräußerung die Schuldenreduzierung übersteigt. Doch auch ein Verkauf des Unternehmens ohne Einschaltung der Börse deutet nicht auf eine Beihilfe hin, falls gewisse Bedingungen erfüllt sind. Es muß ein offener und transparenter Ausschreibungswettbewerb stattfinden,246 der an keine weiteren Bedingungen geknüpft ist wie etwa an die Weiterführung bestimmter Geschäftstätigkeiten, die Gesellschaft muß an den Meistbietenden veräußert werden, und die Bieter müssen über genügend Zeit und Informationen zur Bewertung der Vermögensgegenstände verfügen. Demgegenüber spricht es für den Beihilfecharakter, wenn die Verhandlungen nur mit einem oder wenigen Bietern geführt werden, wenn vor einem freihändigen Verkauf der Staat Verbindlichkeiten des Unternehmens tilgt, wenn Kapitalaufstockungen vorangehen oder der Kaufvertrag Bedingungen enthält, die bei vergleichbaren Transaktionen zwischen Privatparteien nicht üblich sind. Als Beispiel kann hier die Vereinbarung von Beschäftigungsgarantien genannt werden.247 Doch selbst, falls einige Indizien erfüllt sind, darf nicht zwingend auf das Vorliegen einer Beihilfe geschlossen werden, vielmehr kann sich aus einer Analyse aller Umstände ergeben, daß die Privatisierung trotzdem nach marktwirtschaftliehen Gesichtspunkten erfolgte. Bei der Untersuchung von staatlichen Kapitaleinlagen im Vorfeld von Privatisierungen ist zu beachten, daß diese regelmäßig dann Beihilfen darstellen, wenn sie nicht durch den Verkaufspreis ausgeglichen werden. In einem derartigen Fall erfolgen sie nämlich ohne jegliche, selbst langfristige Aussicht auf Rentabilität, da die öffentliche Hand nach der Veräußerung keine Erträge mehr aus dem Unternehmen ziehen kann.248 Des weiteren muß der Veräußerungserlös eine Mindestverzinsung des zur Verfügung gestellten Kapitals für die Zeit enthalten, bis der Kaufpreis der öffentlichen Hand zufließt, insbesondere eine angemessene Risikoprämie.249 Sollten diese Voraussetzungen nicht erfüllt sein, kann die Kapitalaufstockung allenfalls noch durch strategische Überlegungen des Staates wie solche der Imagepflege oder einer Neuorientierung seiner wirtschaftlichen Tatigkeit legitimiert werden. cc) Strategische Gründe Der strategische Charakter der Investition250 kann ebenfalls dazu führen, daß eine Kapitalbeteiligung der öffentlichen Hand nicht als Beihilfe einzustufen ist. Diese Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 39 (Head Tyrolia Mares). Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 40 (Head Tyrolia Mares). 248 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, 1, 8 (Societe Marseillaise de Credit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 28 (Neue Maxhütte); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 25, 26, 36 (Head Tyrolia Mares); vergleiche auch C. l. 3.d)dd). 249 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 88, 53, 57 (Lloyd Triestino). 250 Mitteilung der Kornmission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105. 246

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I. Beihilfebegriff

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langfristigen Ertragserwartungen können unter anderem durch beabsichtigte Synergieeffekte, den Erhalt oder die Verbesserung des Unternehmensimages sowie durch eine erhöhte Rentabilität nach einer Neuorientierung der Konzerntätigkeit realisiert werden.251 Auch in der Privatwirtschaft kann beispielsweise eine Muttergesellschaft im Rahmen einer Langzeitstrategie der Gewinnoptimierung252 während einer begrenzten Zeitspanne die Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Kommission den hierfür vernünftigerweise zu akzeptierenden Zeitraum in der Regel für überschritten erachtet, falls die Konzernmutter mehr als fünf Jahre hohe Defizite ihrer Tochter tragen muß.253 Mit einem pauschalen Verweis auf Synergieeffekte, positive Auswirkungen einer Neustrukturierung der Unternehmensgruppe oder zu befürchtende Nachteile wegen Imageverlustes ist es allerdings nicht getan. Vielmehr liegt für derartige Umstände die volle Darlegungs- und Beweislast bei den Mitgliedstaaten.254 In der Praxis wird meistens versucht, den Nachweis durch die Anführung vergleichbarer Fälle aus der Privatwirtschaft zu erbringen. Nur selten führen diese Vergleichsfälle jedoch zu einer anderen Bewertung der staatlichen Kapitalzuführung, da die geschilderten Situationen zu unterschiedlich sind.255

(1) Synergieeffekte

Durch Investitionen in ein defizitäres Unternehmen können sich Synergieeffekte zugunsten anderer Gesellschaften des staatlichen Eigentümers ergeben. Es stellen sich zwar möglicherweise keine unmittelbaren quantitativen Vorteile in Form von Erträgen des unterstützten Unternehmens ein. Die Vorteile sind vielmehr qualitativer Natur und schlagen sich später mittelbar an anderer Stelle des Konzerns nieder. Dies ist etwa der Fall, wenn die begünstigte wirtschaftliche Einheit andere öffentliche Unternehmen kostengünstig beliefern kann256 und auch sonst als komplementärer Teil eines Mischkonzerns die Struktur der Unternehmensgruppe sinnvoll ergänzt.257 Dann sind ebenfalls Quersubventionierungen zwischen den einzelnen EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs.C-303/88 (ENl/Lanerossi). So der Generalanwalt in EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1460 in Rs. C-303/88 (ENl/Lanerossi). Irreführend ist daher die Aussage in Grabitz/Hi/flvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 14, wo diese Gründe als "immateriell" bezeichnet werden. Auch strategische Überlegungen sollen vielmehr zu einem materiellen Gewinn führen, nur in einem längeren Zeitraum. 253 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 80, 32, 38 (Enirisorse); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr.L 28, 18,24 (Enichem Agricoltura). 254 Vergleiche EuGel Slg. 1999 II, 17,56 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte); siehe schon oben C.I. 3.e)cc); ähnlich auch Deckert/Schroeder in EuR 1998, 291, 300f. m Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 36f. (Head Tyrolia Mares). 256 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105. 257 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1, 6 (Bull). 251

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

staatlichen Gesellschaften erlaubt, solange diese für den Konzern als Ganzen insgesamt einen Vorteil darstellen.258 Geht die Kapitaleinlage einer Privatisierung voraus, kann die Veräußerung zu einem negativen Kaufpreis unter Umständen akzeptabel sein, falls der öffentliche Unternehmer eine umfassende Zusammenarbeit mit dem Käufer aufbauen möchte oder aber weiter an der teilprivatisierten Gesellschaft beteiligt bleibt und deshalb an deren Überleben interessiert ist.259 (2) Imagepflege

Der Staat kann sich ferner zur Zuführung von Eigenkapital veranlaßt sehen, um seinen Ruf in der betreffenden Branche zu wahren. Falls er nämlich ein Unternehmen in Schwierigkeiten, an dem er beteiligt ist, nicht unterstützt, sondern in Konkurs gehen läßt, so verlieren auch ZuliefeTfirmen und Kreditinstitute zumindest einen Teil ihrer Forderungen gegen diese Gesellschaft. Das wiederum kann zur Folge haben, daß andere Firmen des Sektors in Zukunft nicht mehr mit dem öffentlichen Konzern zusammenarbeiten und insbesondere die Banken ihn in seiner Kreditwürdigkeit herabstufen.260 Er wird dann Darlehen nur zu schlechteren Konditionen erhalten, die sich in höheren Zinssätzen und größeren verlangten Sicherheiten ausdrücken. Unter Umständen können diese finanziellen Nachteile größer sein als die Kosten einer Kapitalaufstockung des bedrohten Tochterunternehmens.261 Gerade bezüglich der Frage der künftigen Bonität ist dieser Schluß jedoch nicht zwingend. Im Gegenteil könnte argumentiert werden, daß die Kreditwürdigkeit der staatlichen Unternehmensgruppe ohne die Kapitalbereitstellung sogar besser wäre, da die fraglichen Mittel dann noch zur Verfügung ständen und die Finanzbasis des Konzerns stärken würden. Außerdem zeugt es nicht von wirtschaftlicher Vernunft, einer Gesellschaft Kapital zur Verfügung zu stellen, falls offensichtlich ist, daß deren Rentabilität nicht wiederhergestellt werden kann.262 In jedem Einzelfall muß fer238 Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr. C 307, 3, 10; Dauses!Götz, H. III., Rn. 32. 239 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 37 (Head Tyrolia Mares); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 28 (Neue Maxhütte). uo Dieses Argument wurde beispielsweise von Italien mehrfach vorgebracht: EuGel Slg. 1998 II, 3235, 3274 in Rs. T-11/95 (BP Chemicals); EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1624 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo). 261 Die Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 138, 24, 28 (Rekonversionsgesellschaften), kann als Beispiel für die Beachtlichkeil von Imagegründen angeführt werden. Derartige Gesellschaften sollen die regionalen und sozialen Folgen der Umstrukturierung eines Konzerns abmildern und neue Arbeitsplätze schaffen helfen. Zwar stellt ihre Finanzierung isoliert betrachtet keine rentable Investition dar, sie entfaltet aber langfristig für das Image der Untemehrnensgruppe positive Wirkungen. Entscheidend ist hier der Umstand, daß private Großkonzerne ähnliche Gesellschaften unterhalten. 262 So der Generalanwalt in EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1460 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi); ebenso die Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 25, 26, 38 (Head Tyrolia Mares).

I. Beihilfebegriff

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ner geprüft werden, ob die Bonität der öffentlichen Gruppe wirklich von ihrem konkreten Finanzierungsverhalten abhängt oder ob sie nicht deshalb besonders kreditwürdig ist, weil etwa der Staat eine Garantie für sämtliche ihrer Verbindlichkeiten übernommen hat.263 Ist die Mittelbereitstellung mit der Veräußerung des Tochterunternehmens verbunden und zieht sich der staatliche Konzern dabei vollständig aus einer Branche zurück, so kann nach Auffassung der Kommission das Argument der Imagekosten normalerweise überhaupt keine Beachtung finden. Den Gläubigem des Konzerns sei nämlich der Unterschied zwischen der finanziellen Verantwortlichkeit einer Muttergesellschaft für das Kerngeschäft und für sonstige Investitionen bekannt. Aus diesem Grund sei keine "Überlaufwirkung" eines möglichen Liquidationsbeschlusses auf die anderen Tätigkeitsbereiche des Konzerns zu erwarten.264 Jedenfalls müssen dann konkrete Anhaltspunkte vorgebracht werden, weshalb die Kreditwürdigkeit der Unternehmensgruppe in anderen Sektoren beeinträchtigt ist. Daher ist auch kaum anzunehmen, daß sich das Verhalten eines staatlichen Konzerns negativ auf den Ruf anderer staatlicher Unternehmensgruppen auswirkt. Zwar ist zuzugeben, daß bei dem Vergleich mit einem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber auf wirtschaftliche Einheiten von vergleichbarer Größe wie die öffentliche Hand abzustellen ist. 265 Somit könnten als Vergleichsmaßstab private Investoren heranzuziehen sein, die ebenfalls Eigentümer mehrerer Konzerne sind. Verschiedene öffentliche Unternehmensgruppen werden von den übrigen Wirtschaftsteilnehmern jedoch genau wie in der Privatwirtschaft als eigenständige Rechtssubjekte wahrgenommen und nicht pauschal dem Staat zugerechnet.266 Es müßte schon konkret nachgewiesen werden, warum eine "Überlaufwirkung" anzunehmen sein sollte. Die Grenze der Verrnengung der Stellung des Staates als Eigentümer und als öffentliche Hand wird überschritten, wenn man die Auswirkungen eines Liquidationsbeschlusses auf das Ansehen des Staates an sich und auf die Staatsverschuldung für beachtlich erklärt.267 Es kann nicht darauf ankommen, ob sich generell die Kreditkonditionen für die Mittelbeschaffung zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben verschlechtem, da das den Bereich der Verantwortung des Staates für das Allgemeinwohl betrifft. Auf diese Weise würde zudem das Neutralitätsgebot der Art. 86 I, 295 EGV verletzt, da sich private Investoren nicht auf dieses Argument berufen können.268 EuGei Slg. 1999 II, 17, 56 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 38 (Head Tyrolia Mares); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 29 (Neue Maxhütte). 26j Vergleiche C. I. 3. b). 266 Anderer Ansicht ist insoweit Soukup in ZögU 1995, 16, 35. 267 So jedoch Soukup in ZögU 1995, 16, 36. 268 Siehe die Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 198, 1, 8 (Soci~t~ Marseillaise de CrMit). 263

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

(3) Neuorientierung der Tätigkeit Die Übernahme von Verbindlichkeiten eines Unternehmens kann außerdem durch die beabsichtigte Neuorientierung der Tätigkeit der öffentlichen Hand, etwa zur Beendigung der bisherigen Diversifizierung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten,269 legitimiert werden. Durch finanzielle Einsparungen und eine Konzentration auf das Kerngeschäft lassen sich die Ressourcen eines Konzerns regelmäßig besser nutzen, so daß sich durch die Umstrukturierung der Tochtergesellschaft oder unter Umständen sogar durch ihre Veräußerung zu einem negativen Kaufpreis langfristig finanzielle Vorteile für den staatlichen Eigentümer ergeben. Erforderlich ist aber jedenfalls eine umfassende und kohärente Umstrukturierung des Gesamtkonzerns. 270 Parallel zu der Sanierung eines einzelnen Unternehmens271 dürfte auch hier die Vorlage eines detaillierten Umstrukturierungsplans für die staatliche Unternehmensgruppe Voraussetzung für eine positive Beihilfeentscheidung der Kommission sein.

(4) Grenze der längeifristigen Rentabilität Die Berufung auf vermeintliche strategische Gründe der Investition darf allerdings nicht dazu führen, daß für die betreffende Kapitalzufuhr auf eine angemessene Rendite verzichtet wird. Wenn die Einlage des öffentlichen Kapitalgebers selbst langfristig von jeder Aussicht auf Rentabilität absieht, ist sie als Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV anzusehen.272 Dabei kommt es für die Berechnung der Ertragserwartung sowohl auf die voraussichtlichen Gewinne durch das Einzelunternehmen selbst an als auch auf die sonstigen sich für den gesamten öffentlichen Konzern ergebenden Vorteile. Bleibt der Staat an der unterstützten Tochtergesellschaft auch in Zukunft beteiligt, so ist davon auszugehen, daß langfristig nur dann eine Rendite zu erzielen ist, wenn das Tochterunternehmen wenigstens auf Dauer selbst wieder Erträge erwirtschaften kann, da ansonsten die mittelbaren Vorteile für den Gesamtkonzern von den anhaltenden Verlusten aufgezehrt werden. Ist die Kapitalaufstockung hingegen Teil einer Privatisierungsvereinbarung mit einem privaten Investor, kann es für die Ertragsaussichten der öffentlichen Hand Schroeder in ZHR 161 (1997), 805, 830. 270 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 37 (Head Tyrolia Mares). Ge269

rade dieses Erfordernis einer kohärenten Umstrukturierungspolitik bezüglich der wirtschaftlichen Gesamtaktivitäten der öffentliche Hand wurde von Bayern in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 253, 22, 27 (Neue Maxhütte), nicht ausreichend datgetan. Lediglich die Begründung, daß der Staatshaushalt durch den Verkauf eines anderen, werthaltigen Unternehmens ausgeglichen wird, kann dazu nicht genügen. 211 Siehe oben C.I.4. b) bb)(1). 272 EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1476 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi).

I. Beihilfebegriff

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nicht mehr darauf ankommen, ob das veräußerte Unternehmen künftig rentabel arbeiten wird. Dessen spätere Gewinne kommen dem Staat nämlich nicht mehr zugute. In einem derartigen Fall ist vielmehr ausschließlich auf die durch den Verkauf entstehenden unmittelbaren und mittelbaren Vorteile für den Restkonzern abzustellen.273 Die sich aus den strategischen Überlegungen ergebenden wirtschaftlichen Vorteile in Form von Synergieeffekten, Imageverbesserungen oder einer Straffung des staatlichen Konzerns sind oft nur schwer quantifizierbar. Da die Mitgliedstaaten aber diesbezüglich beweisbelastet sind, gelingt es ihnen meist nicht, die zu erwartenden mittelbaren Erträge in ausreichendem Maße darzutun. Deshalb bleibt es im Rahmen der Berechnung der Rentabilität der staatlichen Kapitalbereitstellung häufig bei der Berücksichtigung der unmittelbar durch das Einzelunternehmen zu erzielenden Gewinne. Bei Unternehmen, die nicht veräußert werden, sind das die längerfristigen Renditeerwartungen der begünstigten Tochtergesellschaft, bei Privatisierungen die Verkaufserlöse.274 dd) Investitionen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen Die Kommission steht der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen275 aufgeschlossen gegenüber. Das zeigt sich schon darin, daß sie ihnen gegenüber bei der Beurteilung der Beihilfeeigenschaft einer staatlichen Kapitalbeteiligung nicht so strenge Kriterien anwendet wie bei sonstigen Investitionen der öffentlichen Hand. 276 Zum einen wird es nicht unbedingt als Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe gewertet, wenn bei der Bereitstellung neuer Mittel für eine Gesellschaft, deren Kapital von privaten und öffentlichen Anlegern gehalten wird, die staatliche Beteiligung erheblich höher ausfallt als die der privaten Investoren.277 Zum anderen soll es nicht immer ein negatives Anzeichen darstellen, falls die staatliche Kapitalzufuhr den der273 Verfehlt sind deshalb die Ausführungen des Gerichts erster Instanz zu künftigen Gewinnaussichten des unterstützten Unternehmens, da die Kapitalzufuhr Teil einer Vereinbarung zu dessen Privatisierung war, EuGel Slg. 1999 II, 17, 53 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte). 274 Undeutlich hier EuGel Slg. 1999 II, 17, 55 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte) und EuGH Slg. 19941,4103,4154 in verb. Rs. C-278, 279, 280/92 (Hytasa, Imepiel und Intelhorce), wo als Argumente gegen die langfristige Rentabilität der Kapitaleinlage ausschließlich die geringeren Liquidationskosten sowie der Verkauf des Unternehmens angeführt werden. 275 Die Definition des Begriffes kleiner und mittlerer Unternehmen findet sich im Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr. C 213, 4, 5: Diese Gesellschaften dürfen nicht mehr als 250 Personen beschäftigen, einen Jahresumsatz von höchstens 40 Millionen Euro oder eine Jahresbilanzsumme von höchstens 27 Millionen Euro aufweisen sowie von keinem größeren Unternehmen abhängig sein. 276 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 105f. 277 Vergleiche oben C.l.4.a)ee).

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

zeitigen Unternehmenswert übersteigt. Diese Ausnahmen macht die Kommission für kleine und mittlere Unternehmen, die aufgrund ihrer geringen Größe keine hinreichenden Garantien für den privaten Kapitalmarkt bieten, deren Ertragsaussichten jedoch eine staatliche Beteiligung legitimieren können. In der Praxis sind Kapitaleinlagen zugunsten dieser Gesellschaften trotzdem häufig als Beihilfen einzustufen.278 Sie werden dann allerdings auch im Rahmen einer möglichen Rechtfertigung nach Art. 87 Illlit. c EGV bevorzugt behandelt. ee) Ergebnis Für die Prognose der zukünftigen Entwicklung nach der Kapitalzufuhr dürfen nicht nur die Aussichten des begünstigten Unternehmens untersucht werden. Es ist vielmehr auf die Gewinnerwartungen der staatlichen Unternehmensgruppe als Ganzer abzustellen, wobei es regelmäßig auf die langfristige Rentabilität der staatlichen Investition ankommt. Die Entwicklung der Marktverhältnisse gehört hierbei zu den systematischen Risiken einer Unternehmung. Da bestehende Nachfrage immer auch neue Anbieter anzieht, ist der Marktanteil einer Gesellschaft nämlich nie auf Dauer gesichert. Zudem sind die produktions- und absatztechnischen Planungen des unterstützten Unternehmens zu berücksichtigen. Die Gefahren eines wirtschaftlichen Mißerfolgs dieser Vorhaben stellen die in der Gesellschaft selbst begründeten unsystematischen Risiken dar, die bei der Berechnung der zu fordernden Rendite durch eine angemessene Prämie zu berücksichtigen sind. Falls sich die Gesellschaft in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befindet, verlangt die Kommission die Vorlage eines detaillierten Umstrukturierungsplans, der dem Unternehmen erhebliche Anstrengungen zur Rationalisierung und Kostensenkung abverlangen kann. Wenn dieser geeignet ist, die Rentabilität wiederherzustellen, kann der Beihilfecharakter der staatlichen Kapitaleinlage verneint werden. Auf den Vergleich der Sanierungskosten mit höheren Liquidationskosten können sich die Mitgliedstaaten dagegen in der Regel nicht berufen, um dem Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV zu entgehen. Auch Kapitalaufstokkungen im unmittelbaren Vorfeld von Privatisierungen werden nicht von der Kontrolle ausgenommen. Eine Beihilfe liegt in diesem Zusammenhang dann vor, wenn die Kapitalzuführung der öffentlichen Hand nicht durch den Kaufpreis ausgeglichen und auch nicht durch strategische Gründe legitimiert wird. Der strategische Charakter einer Investition kann dieser also ebenfalls die Beihilfeeigenschaft nehmen. Zwar führt die Kapitalbeteiligung in diesem Fall nicht unmittelbar zu steigenden Erträgen der begünstigten Gesellschaft, die Vorteile schlagen sich jedoch mittelbar an anderer Stelle der staatlichen Unternehmensgruppe nieder. Als mögliche Gründe sind beabsichtigte Synergieeffekte, die Aufrechterhal278 Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr.C 213, 4, 5.

II. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen

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tung des Images des Konzerns und dessen Bemühen um eine Neuorientierung seiner wirtschaftlichen Aktivitäten zu nennen. Grenze für die Beachtlichkeil derartiger Gründe ist aber auch hier das Erfordernis einer zumindest längerfristigen Rentabilität des eingesetzten Kapitals. Schließlich ist festzustellen, daß die Kommission die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen begrüßt. Schon im Rahmen der Prüfung des Art. 87 I EGV wendet sie nicht so strenge Maßstäbe an wie bei der Bewertung anderer Maßnahmen, wenn günstige Zukunftsprognosen bestehen. Falls die Kapitalbeteiligung dennoch als Beihilfe zu qualifizieren ist, kommt immer noch eine erleichterte Genehmigung nach Art. 87 III lit. c EGV in Betracht.

II. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen 1. Allgemeine Definition

Nur staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen sind von dem Verbot des Art. 871 EGV umfaßt. Staatliche Beihilfen liegen dann vor, wenn sie unmittelbar durch einen Mitgliedstaat oder seine innerstaatlichen Untergliederungen, in Deutschland also durch die Bundesländer oder Gemeinden, gewährt werden. 279 Der Begriff "aus staatlichen Mitteln" geht dagegen weiter und kann Beihilfen aller Organisationen einschließen, die über öffentliche Finanzmittel verfügen. Es sollen also sowohl unmittelbare als auch mittelbare Interventionen des Staates erfaßt werden. Eine strikte Trennung der beiden Begriffe erübrigt sich, da die Rechtsfolgen gleich sind. Gemeinschaftsbeihilfen fallen nicht unter Art. 87 I EGV. Das ist offensichtlich in den wenigen Fällen gemeinschaftsunmittelbarer Subventionierung, die direkt aus Gemeinschaftsmitteln erfolgt. Gleiches gilt aber ebenfalls für mittelbare Gemeinschaftsmaßnahmen, die aus Geldern der einzelnen Mitgliedstaaten gezahlt werden. Da jedoch die Beihilfeentscheidung auf ein Gemeinschaftsorgan zurückgeht, ist sie dem Mitgliedstaat nicht zurechenbar.280 Grundsätzlich werden auch private Beihilfen nicht erfaßt, da sie durch die Privatautonomie legitimiert sind. In Mißbrauchsfällen können höchstens die Wettbewerbsregeln für Unternehmen gemäß Art. 81 ff. EGV eingreifen. Allerdings muß im Einzelfall geprüft werden, ob der "freiwilligen" Leistung von privater Seite nicht eine Maßnahme der öffentlichen 279 Bleckmann!Koch, Rn. 2057; Grabitz!Hilf!von Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 16. Der frühere Streit, ob das Beihilfeverbot auch für Gemeinden gilt, kann als erledigt angesehen werden seit dem Urteil des EuGH Slg. 1987, 4013, 4041 in Rs. 248/84 (Regionalförderungsprograrnm). Heute geht es nur noch um die theoretische Frage, ob deren Maßnahmen unter dem Merkmal "staatliche" oder "aus staatlichen Mitteln gewährte" Beihilfen zu subsumieren sind, vergleiche die Nachweise bei Cal/iess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 10. 280 Dauses!Götz, H. III., Rn. 2; Müller-Graff in ZHR 152 (1988), 403, 414; siehe auch B.IV.2.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Hand zugrunde liegt und deshalb eine Zurechnung stattfinden muß.281 Die entscheidenden Abgrenzungskriterien sind die substantielle staatliche Einflußmöglichkeit auf die Beihilfeentscheidung sowie die Belastung öffentlicher Mittel, die kumulativ erfüllt sein müssen.

a) Substantielle Einflußmöglichkeit des Staates auf die Beihilfeentscheidung Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß dieses Kriterium sicherlich erfüllt ist, falls der öffentlichen Hand eine konkrete Einflußnahme auf die Beihilfeentscheidung nachgewiesen werden kann. Dieses ist der Kommission allerdings häufig wegen unzureichender Informationen durch die Mitgliedstaaten nicht möglich. Es würde die praktische Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts stark beeinträchtigen, wenn nicht gar dessen Durchsetzung unmöglich machen, würde man hier auf einem Beweis der tatsächlichen Veranlassung bestehen. Ausreichen muß vielmehr der Nachweis, daßder Staat substantiellen Einfluß auf die Entscheidung nehmen kann. Dies ist jedenfalls dann gegeben, wenn die öffentliche Hand die Realisierung ihrer eigenen Vorstellungen durchsetzen kann.282 Das Erfordernis ist beispielsweise erfüllt bei Unternehmen, die vom Staat zum Zwecke der Durchführung von Unterstützungsmaßnahmen errichtet oder damit beauftragt worden sind.283 Dann ist auch keine besondere Zuweisung oder Zweckbindung der involvierten staatlichen Mittel für den Einzelfall erforderlich, die öffentliche Hand muß vielmehr die konkrete Entscheidung nicht mehr beeinflussen.284 In diesem Zusammenhang wurde vom Gerichtshof entschieden, daß "staatliche Mittel" auch bei einem Unternehmen vorliegen können, das sich zwar nicht mehrheitlich im Staatsbesitz befindet, dessen Entscheidungen aber jeweils der Genehmigung durch eine staatliche Stelle bedürfen.2ss Auch hier kann unter Umständen die staatliche Einflußmöglichkeit auf die Beihilfeentscheidung so stark sein, daß eine Zurechnung des Verhaltens zum Staat gerechtfertigt erscheint.

b) Belastung öffentlicher Mittel Zum anderen muß durch die Maßnahme eine Belastung der finanziellen Ressourcen des Staates eintreten.286 Dieses kann sowohl durch die Ausgabe öffentlicher GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 14. Calliess/Ruffert/Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 11 . 283 EuGH Slg. 1977, 595, 612 in Rs. 78n6 (Steinike und Weinlig); Geiger, Art. 92 EGV, Rn.13; Handkommentar!Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 19. 284 EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1474 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi); Soukup, S.179f. 283 EuGH S1g. 1988,219,272 in verb. Rs.67, 68,70/85 (Van derKooy). 286 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 16; Smit/Herzog, § 92.02; EuGH Slg. 1993 I, 887, 888 in verb. Rs. C-72, 73/91 (Sloman Neptun); EuGH Slg. 19981, 7907, 7908 in Rs. C-200/97 (Eco281

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II. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen

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Mittel als auch durch einen Einnahmeverzicht geschehen. Bei Quersubventionierungen innerhalb eines Konzerns der öffentlichen Hand sind ebenfalls staatliche Mittel betroffen, wenn etwa eine Tochtergesellschaft einer anderen eine Kapitalzufuhr gewährt.287 Dagegen fällt die staatliche Festsetzung von Mindestpreisen beispielsweise nicht unter Art. 87 I EGV, da die Vorteile für die Hersteller, die sich aus diesem Eingriff in die freie Preisbildung ergeben, weder unmittelbar noch mittelbar aus öffentlichen Mitteln stammen oder zu Einnahmeverlusten des Staates führen. 288 Eine Umverteilung zwischen Privaten ist nicht ausreichend. 2. Beihilfengewährung durch staatliche Beteiligungsgesellschaften

Zuwendungen von Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, können somit aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen darstellen. In der Entscheidungspraxis von Kommission und Rechtsprechung spielen diese Fälle mittelbarer Begünstigung eine entscheidende Rolle. 289 Hier sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden. In Betracht kommt zunächst eine Beihilfengewährung durch öffentliche Unternehmen, des weiteren aber auch durch private Unternehmen mit staatlicher Minderheitsbeteiligung. Im folgenden ist zu untersuchen, ob entsprechende Maßnahmen dem Staat allein wegen seiner Gesellschafterstellung zurechenbar sind.

a) Gewährung durch öffentliche Unternehmen Charakteristisch für öffentliche Unternehmen ist, daß der Staat auf sie einen beherrschenden Einfluß ausüben kann.290 Im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der "staatlichen Mittel" reicht es hingegen schon aus, daß die öffentliche Hand substantiellen Einfluß auf die Aktivitäten des Unternehmens nehmen kann. Es ist also nicht unbedingt erforderlich, daß der staatliche Eigentümer seine Vorstellungen immer auch gegen den Widerstand der anderen Anteilseigner durchsetzen kann, jedoch trade). In diesen Urteilen hat der Gerichtshof seine frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach staatliche Beihilfen nicht nur solche seien, die aus staatlichen Mitteln finanziert werden, siehe hierzu EuGH Slg. 1985, 439, 449 in Rs. 290/83 (Caisse nationale de CrMil Agricole). Anderer Ansicht sind Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 11; Dauses!Götz, H. III., Rn.25. Eine umfassende Behandlung dieses Problems liefert So/tesz in EuZW 1998, 747ff. 287 Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 6. Unzutreffend ist die gegenteilige Ansicht von Müller-Graff!Zehetner, S.121 f., wo das Tatbestandsmerkmal der "staatlichen Mittel" mit dem des Vorliegens einer Beihilfe verwechselt wird. 288 EuGH Slg. 1978,25,41 in Rs.82n7 (Van Tiggele); GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn.18. 289 Vergleiche nur EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1639 in Rs.C-305/89 (Alfa Romeo); EuGH Slg. 1985, 809, 819 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); Entscheidung der Kommission, ABI. 1988, Nr. L 220, 30, 34 (Renault). 290 Siehe Art. 2 der Richtlinie der Kommission 80n23/EWG, ABI. 1980, Nr. L 195, 35 ff. (Transparenzrichtlinie); zur Definition eines öffentlichen Unternehmens siehe oben B.III.l. 7 Bonkamp

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

muß deren Entscheidungsfreiheit erheblich eingeschränkt sein.291 Umgekehrt kann man aber jedenfalls festhalten, daß immer dann, wenn die die Beihilfe gewährende Stelle ein öffentliches Unternehmen ist, eine substantielle Einflußmöglichkeit des Staates gegeben ist. Die Möglichkeit der Einflußnahme äußert sich regelmäßig in der Befugnis der öffentlichen Hand, an der Bestellung der Unternehmensführung mitzuwirken. So werden zum Beispiel häufig der Vorstand und der Aufsichtsrat der Gesellschaft durch staatliche Stellen besetzt.292 Deren etwaige Abberufung entfaltet eine disziplinierende Wirkung. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Bestellung unwiderruflich erfolgt. Es kann nach dem Gemeinschaftsrecht nämlich nicht zulässig sein, daß die Vorschriften über staatliche Beihilfen durch die bloße Tatsache umgangen werden, daß unabhängige Einrichtungen geschaffen werden, denen die Verteilung der Beihilfen übertragen wird.293 Der Einfluß der öffentlichen Hand kann zusätzlich über Verhaltensrichtlinien oder Zustimmungsvorbehalte abgesichert werden.294 Den Mitgliedstaaten ist daher in bezugauf ihre öffentlichen Unternehmen die Berufung auf eine vermeintlich autonome Entscheidung der Geschäftsleitung verwehrt, es kann vielmehr davon ausgegangen werden, daß ohne die stillschweigende oder ausdrückliche Billigung des Staates die Beihilfemaßnahme nicht durchführbar wäre.29S Auch das Kriterium der staatlichen Mittelbelastung ist bei öffentlichen Unternehmen erfüllt. Bei ihnen ist ebenfalls keine besondere Zweckbindung oder Zuweisung für den Einzelfall notwendig, da ansonsten die Beihilfebestimmungen des Vertrages leicht umgangen werden könnten. 296 Es reicht die mittelbare Herkunft der Gelder aus dem Staatshaushalt. Eine solche ist zu bejahen, da durch die früheren Kapitaleinlagen des Staates dem öffentlichen Unternehmen erst die Möglichkeit eröffnet wurde, auf dem Markt tätig zu werden, etwa um selbst Fremdkapital aufzunehmen und dieses dann an die begünstigte Gesellschaft weiterzugeben.297 Zudem folgen aus unrentablen Engagements Einnahmeverluste der öffentlichen Hand, da sie nachteilige Auswirkungen auf die Gewinne des beihilfegewährenden Unternehmens haben, die dieses für seine Anteilseigner erwirtschaften soll. Die Beihilfe wird also aus Erlösen finanziert, die anderenfalls dem Staat in Fonn von Dividenden oder einem 291 Zu weitgehend deshalb GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn.15, der es schon ausreichen lassen will, daß die die Vergünstigung gewährende Stelle keine volle Entscheidungsautonomie mehr hat. 292 EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1639 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 25, 26, 35 (Head 'JYrolia Mares). 293 EuGei Slg. 1996 II, 2109,2132 in Rs. T-358/94 (Air France). 294 EuGHSlg. l991I, 1603, 1639inRs.C-305/89(AlfaRomeo);EuGHSlg.l991I, 1433, 1474 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi). 295 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr.L 28, 18,24 (Enichem Agricoltura); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 300, 23, 30 (Iritecna). 296 So der Generalanwalt in EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1639 in Rs.C-305/89 (Aifa Romeo). 297 Pape, S. 105.

II. Staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen

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Wertzuwachs zugute gekommen wären.298 Deshalb unterfallen Beihilfen, die durch ein öffentliches Unternehmen gewährt werden, immer dem Tatbestandsmerkmal "aus staatlichen Mitteln" des Art. 87 I EGV. b) Gewährung durch Unternehmen mit staatlicher Minderheitsbeteiligung Es kann ebenso vorkommen, daß ein privates Unternehmen, an dem die öffentliche Hand eine Minderheitsbeteiligung besitzt, eine für sich unrentable Investition durchführt, die im Ergebnis als Begünstigung einer anderen Gesellschaft erscheint. Dann stellt sich die Frage, ob dieses Verhalten dem Staat allein wegen seiner Gesellschafterstellung zugerechnet werden kann, wodurch die Maßnahme der Beihilfenkontrolle durch die Kommission unterworfen wäre. Eine Belastung öffentlicher Mittel ist auch in diesem Fall zu bejahen, da die ursprüngliche staatliche Kapitaleintage mittelbar dazu beiträgt, daß die spätere Investition getätigt werden kann. Außerdem entstehen wiederum Einnahmeverluste durch die Schmälerung der Erträge. Problematisch ist hingegen das Erfordernis einer substantiellen staatlichen Einflußmöglichkeit auf die Beihilfeentscheidung. Diese ist sicher nicht gegeben, falls die Beteiligung der öffentlichen Hand so gering ist, daß ihr überhaupt kein Mitspracherecht bei den Unternehmerischen Entscheidungen zusteht. Etwas anderes könnte allerdings gelten, wenn der Staat zwar nicht die Mehrheit der Anteile besitzt, seine Beteiligung jedoch so groß ist, daß eine Sperrminorität299 erreicht ist. In einem solchen Fall spricht man von einem gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen. Der öffentlichen Hand ist es dann zwar nicht möglich, ihre eigenen Vorstellungen gegen den Willen der anderen Anteilseigner durchzusetzen und die Investitionsentscheidungen kraft beherrschenden Einflusses zu bestimmen. Die Höhe reicht aber aus, um mißliebige Entscheidungen zu verhindern. Für eine Zurechenbarkeit derartiger Sachverhalte zum Staat wird vorgebracht, daß an das Ausmaß der staatlichen Einflußmöglichkeit keine hohen Anforderungen zu stellen seien. Es sei ausreichend, wenn sie so stark sei, daß die die Vergünstigung gewährende Stelle keine volle Entscheidungsautonomie mehr besitze.300 Eine konkrete Beeinflussung sei gerade in diesen Fallen schwer nachweisbar, weshalb die Vermutung gelten müsse, daß die öffentliche Hand die Beihilfe veranlaßt habe, da ein Privater im Zweifel keine unrentablen Investitionen tätigen würde.301 298 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 24 (Enichem Agricoltura); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 300, 23, 30 (lritecna). 299 Im deutschen Recht reicht beispielsweise eine Minderheitsbeteiligung von mehr als 25 Prozent des Grundkapitals aus, um Satzungsänderungen durch die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft zu verhindern,§ 17911 AktG. 300 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 15. JOt Pape, S. 109.

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

Anderenfalls könne man der herausgehobenen Bedeutung des Zieles des Art. 3 lit. g EGV, des Schutzes des unverfalschten Wettbewerbs, nicht gerecht werden. Dieses Ziel gebiete eine möglichst umfassende Anwendung der Beihilfevorschriften, um jede Umgehung zu verhindern. 302 Des weiteren wird eine Parallele zu der Entscheidung des Gerichtshofes gezogen, wonach "staatliche Mittel" auch bei einem privaten Unternehmen gegeben sein können, an dem der Staat zwar nicht mehrheitlich beteiligt ist, dessen Entscheidungen aber jeweils der Genehmigung durch eine öffentliche Stelle bedürfen.3°3Gleiches müsse für eine staatliche Sperrminorität gelten, da ein Unterlassen der Ausübung dieser Verhinderungsmöglichkeit einer aktiven GenehmigungseTteilung gleichzusetzen sei. Allerdings geht die Berücksichtigung jeder Einflußmöglichkeit des Staates hier zu weit. Vielmehr muß die öffentliche Hand die Beihilfeentscheidung substantiell beeinflussen können. 304 Eine tatsächliche Einflußnahme muß auch in diesem Rahmen nicht nachgewiesen werden, es müssen nur die Umstände dargelegt werden, aus denen sich eine erhebliche potentielle Beeinflussung ergibt. Eine Vermutung, daß jede wirtschaftlich unvernünftige Maßnahme von der öffentlichen Hand ausgeht, ist nicht zulässig, da private Investoren auch nicht vor falschen Einschätzungen der Lage gefeit sind.Jos Das Ziel des Art. 3 lit. g EGV kann hier ebensowenig als Argument angeführt werden. Bei Vorliegen einer bloßen staatlichen Sperrminorität liegt nämlich die unternehmerische Entscheidung allein in den Händen der privaten Mehrheitseigentümer. Art. 87 ff. EGV sollen aber nicht unvernünftige Entscheidungen Privater korrigieren, vielmehr ist davon auszugehen, daß diese Entscheidungen durch die Marktkräfte ausgeglichen werden, was bis zur Insolvenz der Gesellschaft führen kann. Das schließt jedoch nicht aus, daß auch im Fall einer Sperrminorität öffentlicher Stellen weitere Umstände hinzutreten können, aufgrundderer von einer erheblichen Möglichkeit der Beeinflussung auszugehen ist. So lag der Fall in der angeführten Entscheidung des Gerichtshofs, wo die öffentliche Hand neben dem Genehmigungsvorbehalt noch 50 Prozent der Gesellschaftsanteile hielt und die Hälfte des Leitungsorgans des Unternehmens kontrollierte.306 Allein das Vorliegen einer Sperrminorität bei staatlichen Minderheitsbeteiligungen an einem privaten Unternehmen reicht also nicht, um Investitionsentscheidungen der Beihilfenkontrolle zu unterwerfen. Es können aber zusätzliche Umstände Pape, S. 111. EuGH Slg. 1988, 219, 272 in verb. Rs. 67, 68, 70/85 (Van der Kooy). 304 Siehe C.ll. 1. a). JOs Siehe C.l. 3. c) bb). 306 Entscheidung der Kommission, ABI. 1985, Nr. L 97, 49, 50 (Vorzugstarife); EuGH Slg. 1988,219,272 in verb. Rs.67, 68,70/85 (Van der Kooy). In dem Urteil wurde ausdrücklich angeführt, daß die Umstände nur "zusammengenommen" für eine Qualifikation als staatliche Mittel im Sinne von Art. 87 I EGV ausreichten. Dieses wurde noch einmal betont in Eu Gei Slg. 199611,2109,2134 in Rs. T-358/94 (Air France). 302 303

III. Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige

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hinzutreten, wobei im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen ist, ob aus diesen eine substantielle Einflußmöglichkeit der öffentlichen Hand abgeleitet werden kann.

111. Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige Als mögliche Empfänger einer Beihilfe werden in Art. 87 I EGV "bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige" genannt. Für die Unternehmensqualität genügt jede auf Dauer angelegte Verfolgung eines wirtschaftlichen Zwecks,307 die Rechtsform ist unbeachtlich. Dadurch wird deutlich, daß Zuwendungen an private Haushalte, kirchliche oder karitative Stellen außer im Fall des Art. 87 II lit. a EGV nicht vom Beihilfeverbot erfaßt werden. 308 Der Begriff des Produktionszweiges ist ebenfalls weit auszulegen. Unter ihm ist in Anlehnung an Art. 87 III lit. c EGV jeder Wirtschaftszweig zu verstehen, neben der Warenherstellung also auch die Erbringung von Dienstleistungen.309 Außerdem ergibt sich aus der Formulierung des Art. 87 I EGV, daß eine selektive Begünstigung erforderlich ist. Selektiv ist eine staatliche Maßnahme, wenn sie einem ausdrücklich genannten Unternehmen oder einer aufgrundbesonderer Merkmale identifizierbaren Gruppe zugute kommt. 310 Allgemeine Maßnahmen der Wirtschaftsförderung fallen hingegen nicht darunter, da die allgemeine Wirtschaftspolitik im Sinne von Art. 98 ff. EGV noch weitgehend im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten verblieben ist. 311 Es kommt jedoch vor, daß als allgemein getarnte Interventionen in Wirklichkeit auf bestimmte Gesellschaften gemünzt sind. In diesen Fällen müssen die Wirkungen genau untersucht werden, auf die Bezeichnung oder die Form kommt es nicht an. Um tatsächlich als allgemein zu gelten, müssen die Maßnahmen nach völlig objektiven Kriterien und vollkommen automatisch ohne jeden Ermessensspielraum auf alle Unternehmen, die im Geltungsbereich der staatlichen Stelle ansässig sind, anzuwenden sein.312 Bei Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand ist das Kriterium der Selektivität der Begünstigung immer erfüllt. In den meisten Fallen führt der Staat einzelnen Unternehmen Kapital zu, die sich in finanziellen Schwierigkeiten befinden.313 Es kommt jedoch auch vor, daß die öffentliche Hand Beihilfeprogramme auflegt, um 307 Grabitz!Hilflvon Wallenberg, Art. 92EGV, Rn.20; Müller-Graffin ZHR 152 (1988), 403, 427. Zur Definition des Unternehmensbegriffes vergleiche schon oben B. III. 1. 3os Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 14; Dauses/Götz, H. III., Rn. 26. 309 Handkommentar!Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 23. 310 Handkommentar/Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 21; Lenz/Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 9. m Siehe B. II. 3. 312 Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 9; GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 28. 313 Siehe stellvertretend für viele die Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1 (Bull); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 5, 41 (Compagnie G~n~rale Maritime); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 93 (Credit Lyonnais).

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

einen bestimmten wirtschaftspolitischen Zweck zu verfolgen, in denen Beteiligungen an förderwürdigen Gesellschaften vorgesehen sind. 314 Hier muß aber ebenfalls zumindest eine Gruppe von Unternehmen anband bestimmter Merkmale individualisiert werden. Außer im Falle schon wegen Art. 295 EGV zulässiger Verstaatlichungen ist es dagegen praktisch undenkbar, daß sich ein Mitgliedstaat pauschal an allen in ihm ansässigen Unternehmen beteiligen will. Keinen Unterschied macht dabei, ob die Einlage bei einem öffentlichen oder privaten Unternehmen erfolgt, auch auf die Rechtsform der unterstützten Gesellschaft kommt es nicht an. Da dem Staat als juristischer Person allerdings alle Rechtsformen verschlossen sind, die nur natürlichen Personen offenstehen, und zudem haushaltsrechtliche Vorschriften oftmals eine Begrenzung seiner Haftung fordern,m erfolgen seine Engagements hauptsächlich bei Kapitalgesellschaften. 316

IV. Verfälschung des Wettbewerbs 1. Allgemeine Definition

Die Bezugnahme auf die Wettbewerbsverfalschung im Tatbestand des Art. 87 I EGV weist darauf hin, daß die Vorschriften der Beihilfenkontrolle dem Ziel des Art. 3 lit. g EGV dienen, ein System zu errichten, das den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft vor Verfalschungen schützt.317 Trotz der gemeinsamen Zielrichtung mit den anderen Wettbewerbsregeln ist der Begriff unabhängig von dem gleichlautenden Merkmal in Art. 81 I EGV auszulegen. 318 Er ist weit gefaßt und beinhaltet jede Veränderung des Ablaufs des Wettbewerbs, wodurch in der Regel die Stellung der begünstigten Gesellschaft gegenüber anderen Marktteilnehmern verbessert wird. Die Erschwerung des Marktzutritts für neue Unternehmen fallt ebenfalls darunter.319 Es kann sowohl um den Wettbewerb der nationalen Unternehmen untereinander als auch um deren Verhältnis zu Konkurrenten in den übrigen Mitgliedstaaten ge314 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 236, 14, 15 (Zuckersektor); Entscheidung der Kommission, ABI. 1988, Nr. L 76, 18, 19 (Griechische Industriebeihilfen); ebenso die Mitteilung der Kommission, ABI. 1998, C 308, 8 (Deutscher Industriebeteiligungsfonds), wo diese keine Einwände gegen ein Beihilfeprogramm zur Bereitstellung von Risikokapital für kleine und mittlere Unternehmen erhob. 315 Für Deutschland folgt dies etwa aus§ 65 I Nr. 2 der Bundeshaushaltsordnung, vergleiche schon oben C.l. 2. c). 316 Siehe nur EuGei Slg. 1999 II, 17,26 in verb. Rs. T-129/95, T-2, 97/96 (Neue Maxhütte); EuGH Slg. 1994I, 4103, 4106 in verb. Rs. C-278, 279, 280/92 (Hytasa, Imepiel und Intelhorce); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 279, 29, 30 (TAP); Pape, S. 120. 317 Siehe B.l. l. 318 Grabitz!Hilftvon Wal/enberg, Art. 92 EGV, Rn. 23; Müller-Graffin ZHR 152 (1988), 403, 431. 319 Geiger, Art. 92 EGV, Rn.15; Schweitzer!Hummer, Rn.l306; Oppermann, Rn.1114; Appelt, S. 242.

IV. Verfälschung des Wettbewerbs

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hen, wobei ein Vergleich zwischen der Konkurrenzlage vor und nach der Subventionierung vorzunehmen ist. 320 Wiederum sind allein die objektiven Auswirkungen der Beihilfe entscheidend, die kausal für die Verfälschung des Wettbewerbs sein müssen. Nach dem Wortlaut des Art. 87 I EGV reicht es aus, daß eine Verfälschung droht, sie muß sich aber mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft ergeben können.321 Ansonsten wäre die präventive Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 III EGV bedeutungslos. Unbeachtlich ist hier, ob die Intervention der öffentlichen Hand nur die negativen Effekte wettbewerbsverfälschender Maßnahmen anderer Mitgliedstaaten ausgleichen soll. Derartige Handlungsweisen unterfallen dem Beihilfeverbot, da die Wirkungen nicht aufgehoben, sondern sogar kumuliert werden.322 Anderenfalls würde auf dem Markt nicht mehr die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, sondern allein die Finanzkraft aufgrund der staatlichen Beihilfen zählen, so daß insbesondere die Innovationsfreudigkeit verringert würde. Es entstände die Gefahr eines Subventionswettlaufs. Zudem hält das Gemeinschaftsrecht zur Bekämpfung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen anderer Mitgliedstaaten ein ausreichendes Instrumentarium in den Art. 81 ff. EGV bereit, weshalb es eines eigenmächtigen Handeins der benachteiligten Staaten nicht bedarf.323 Ebenso unerheblich muß es sein, wenn durch eine Beihilfengewährung bestehende Nachteile geographischer, klimatischer oder sonstiger Art ausgeglichen werden sollen, um dadurch erst einen redlichen Wettbewerb im Sinne gleicher Ausgangsbedingungen zu ermöglichen.l24 Für diese Fälle bestehen genügend Ausnahmemöglichkeiten durch die Art. 87 II, III EGV. 2. Notwendigkeit einer Marktanalyse

Lange Zeit ging die Kommission davon aus, daß jede Beihilfe naturgemäß eine Wettbewerbsverfälschung bewirke. 325 Dies sei ein Gebot wirtschaftlicher Logik, da jeder Vorteil, der einem Unternehmen gewährt werde, kehrseitig in gleichem Maße die Wettbewerbsposition der Konkurrenten beeinträchtige. Der Gerichtshof lehnte jedoch eine solche per se-Wettbewerbsverfälschung ab und erlegte der Kommission auch hier die Begründungspflicht im konkreten Einzelfall auf. 326 Zwar könne sich eine Verfälschung in bestimmten Fällen bereits aus den Umständen ergeben, unter GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 31; Calliess!Rujfert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 12. GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 32. 322 EuGH Slg. 1977,595,613 in Rs. 78n6 (Steinike und Weinlig); Harutkommentar!Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 24; Grabitz!Hilflvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 25. 323 GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 34. 324 Rengeling, S. 30. 325 XI. Wettbewerbsbericht 1981, S. 124. 326 EuGH Slg. 1985, 809, 824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); EuGH Slg. 1984, 3809, 3832 in Rs. 323/82 (Intermills). 320

32t

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

denen die Beihilfe gewährt worden sei, stets habe die Kommission jedoch wenigstens diese Gegebenheiten in der Begründung ihrer Entscheidung zu nennen. Es ist deshalb immer eine Marktanalyse zu erstellen, die zum Beispiel Aussagen zur Situation des betroffenen Marktes, zum Marktanteil der begünstigten Gesellschaft, zu den Handelsströmen der fraglichen Erzeugnisse zwischen den Mitgliedstaaten und zu den Ausfuhren des Unternehmens enthalten kann. 327 Bei der Einzelfallprüfung kann weiter mit dem Umfang der Beihilfe und dem sich daraus ergebenden Kostenvorteil für die Gesellschaft argumentiert werden, andere Beweisindizien sind etwa eine Kapazitätserweiterung des Unternehmens oder das Bestehen von Überkapazitäten in der betreffenden Branche. 328 Der für die Untersuchung sachlich relevante Markt umfaßt die Produktpalette des begünstigten Unternehmens sowie jene Güter, die wegen ihrer besonderen Merkmale, ihrer Preise und ihrer beabsichtigten Verwendung als Ersatzprodukte angesehen werden können. Der zu berücksichtigende geographische Markt umfaßt grundsätzlich den Europäischen Wirtschaftsraum oder einen bedeutenden Teil davon, wenn sich die Wettbewerbsbedingungen in diesem Gebiet gegenüber anderen Regionen hinreichend unterscheiden lassen. Gegebenenfalls kann auch der Weltmarkt als relevanter geographischer Markt zugrunde gelegt werden, falls die Gemeinschaftsunternehmen auf diesem miteinander konkurrieren.329 Der Nachweis der Wettbewerbsverfälschung braucht allerdings nicht so ausführlich auszufallen wie bei Art. 81, 82 EGV, insbesondere was die Abgrenzung des relevanten Marktes angeht. 330 In diesem Zusammenhang geht die Kommission außerdem von einer Konnexität zwischen der zunehmenden Liberalisierung und Integration der Märkte einerseits und den abnehmenden Anforderungen an die wettbewerbsverzerrende Wirkung einer Beihilfemaßnahme andererseits aus.331 Der zusammenwachsende Markt werde nämlich immer anfälliger für Wettbewerbsverzerrungen. Daher begnügt sich die Kommission in ihrer Entscheidungspraxis zumeist mit einer knappen Begründung der Verfälschung, was auch durch die Rechtsprechung toleriert wird, solange die Begründung nicht vollständig fehlt.

EuGH Slg. 1985, 809, 824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek). ns EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1642 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); EuGH Slg. 1990I, 959, 1014 in Rs.C-142/87 (Tubemeuse); EuGH Slg. 1986,2321 ,2347 in Rs.40/85 (Boch). 329 Diese Definition ist dem multisektoralen Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben, ABI. 1998, Nr.C 107, 7, 11 , entnommen. 330 Lenz/Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 11. In der Kommissionspraxis der Beihilfenkontrolle wird beispielsweise meistens auf eine exakte Bestimmung der sachlich und räumlich relevanten Produktmärkte verzichtet, was hingegen im Rahmen der Prüfung von Art. 81, 82 EGV einen wesentlichen Aspekt der Untersuchung ausmacht. 33 1 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 8 (GAN); Kahl in NVwZ 1996, 1082, 1085; Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 114 (Credit Lyonnais). 327

IV. Vetfälschung des Wettbewerbs

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3. Spürbarkeitserfordernis

Ob es zulässig ist, als zusätzliche Voraussetzung für die Annahme einer Wettbewerbsverfälschung eine bestimmte Intensität der Marktbeeinflussung zu fordern, ist umstritten. Gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist bei Art. 81 I EGV eine ,.Spürbarkeit" notwendig.332 Hinsichtlich der Beihilferegeln war die Rechtsprechung dagegen bislang uneinheitlich. 333 Gegen die Erforderlichkeit einer Spürbarkeitsschwelle wird zum einen vorgebracht, daß auch eine verhältnismäßig geringe Beihilfe die Marktverhältnisse beeinflussen könne, wenn in dem fraglichen Sektor lebhafter Wettbewerb herrsche.334 Zum anderen könnten an mitgliedstaatliche Maßnahmen aufgrund der besonderen Loyalitätspflichten gemäß Art. 10 EGV strengere Maßstäbe anzulegen sein als an privates Handeln im Rahmen von Art. 81 I EGV. 335 Ferner wird argumentiert, daß den Mitgliedstaaten die Möglichkeit des Ausreizens der Spürbarkeitsgrenze genommen werden sollte, um nicht das Beihilfeverbot umgehen zu können.336 Vielmehr enthielten schon die Art. 87 II, III EGV weitreichende Ausnahmen, die es sachgerecht erscheinen ließen, jede Wettbewerbsverfälschung unabhängig von ihrem Intensitätsgrad für beachtlich zu halten. Für das Spürbarkeitserfordernis spricht jedoch zunächst, daß dadurch eine Gleichbehandlung mit Art. 81 I EGV erreicht wird. Des weiteren ist zu beachten, daß nicht spürbare Wettbewerbsverfälschungen keine oder nur unbedeutende Marktbeeinflussungen mit sich bringen. Dem allgemeinen Grundsatz, daß man gegen Geringfügigkeiten nicht einschreiten muß (de minimis non curat praetor), dürfte deshalb mehr Gewicht zukommen als der Furcht vor staatlichem Fehlverhalten.m Da die Beihilfenkontrolle in den vergangenen Jahren stark ausgeweitet wurde, stellt die Einführung einer solchen Schwelle ein notwendiges Korrektiv dar, um eine Arbeitsüberlastung der Kommission zu verhindern. Der Verwaltungsaufwand für die Kontrolle geringfügiger Beihilfen wäre nicht gerechtfertigt, denn letztlich überwiegt das Interesse an einer effektiven Kontrolle wirklich bedeutender Marktbeeinflussungen.338 Die Aufstellung eines Spürbarkeitserfordernisses ist daher als zuläsEuGH Slg. 1969, 295, 302 in Rs. 5/699 (Voelk/Vervaecke). Gegen eine Spürbarkeitsschwelle EuGH Slg. 19901,959,1015 in Rs. C-142/87 (Tubemeuse); EuGH Slg. 19941,4103,4159 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, lmepiel und Intelhorce); EuGH Slg. 1986, 2263,2288 in Rs.234/84 (Meura); dafür EuGH Slg. 1987,4013, 4041 in Rs. 248/84 (Regionalförderungsprograrnm). 334 EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1477 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi). 335 Caspari in Festschrift für von der Groeben, S. 80; Renge/ing, S. 31. ll6 So etwaMüller-Gra.ffin ZHR 152 (1988), 403, 432; Grabitz/Hilf/von Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn.27. 337 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 35. 338 XXVII. Wettbewerbsbericht 1997, S.84. 332

333

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

sig anzusehen und wird durch den der Kommission im Rahmen des Art. 87 I EGV zustehenden Beurteilungsspielraum abgedeckt. 339 In diesem Sinne hat die Kommission erklärt, daß nicht alle Beihilfen eine spürbare Wirkung auf den Wettbewerb haben. 340 Aus diesem Grund hat sie eine Bagatellgrenze festgelegt, unterhalb derer Art. 87 I EGV nicht mehr als anwendbar angesehen werden kann. Wird der maximale Gesamtbetrag von 100.000 Euro für die einem Unternehmen in einem Zeitraum von drei Jahren gewährten Beihilfen nicht überschritten, so geht sie davon aus, daß keine notifikationspflichtigen staatlichen Maßnahmen vorliegen.341 Diese Regelung betrifft zwar in der Praxis vorrangig kleine und mittlere Unternehmen, gilt aber prinzipiell unabhängig von der Größe der begünstigten Gesellschaft. Allerdings sind die "sensiblen" Sektoren Stahl, Kohlebergbau, Schiffbau, Landwirtschaft, Fischerei und Verkehr sowie Ausfuhrbeihilfen hiervon ausgenommen. Beteiligungen der öffentlichen Hand an Kapitalgesellschaften sind wegen des sich daraus ergebenden langfristigen Kostenvorteils regelmäßig als wettbewerbsverfälschend anzusehen, falls sich das betroffene Unternehmen in einer Konkurrenzsituation befindet.342 Da jedoch die von der Kommission aufgestellte Bagatellgrenze für Beihilfen gleich welcher Art gilt,343 ist auch bei Kapitalzuführungen zu beachten, ob das errechnete Beihilfeelement344 unter 100.000 Euro innerhalb von drei Jahren liegt.

V. Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels Das Merkmal der Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten hat die Aufgabe, den Anwendungsbereich des gemeinschaftlichen Beihilfenaufsichtsrechts gegenüber dem innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten abzugrenzen.J4s Daher besitzt es eine eigenständige Bedeutung neben dem der WettbewerbsDauses/Götz, H.III., Rn.45. Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr.C 213, 4, 5. 341 Mitteilung der Kommission über de minimis-Beihilfen, ABI. 1996, Nr. C 68, 9. Im Schrifttum werden gegen diese Vorgehensweise Bedenken geäußert, da zweifelhaft sei, ob die Kommission durch eine bloße Mitteilung die Meldepflicht des Art. 88 III 1 EGV modifizieren könne, vergleiche GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 43; Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 15. Allerdings dürfte dieses Vorgehen durch den der Kommission zustehenden Beurteilungsspielraum gedeckt sein, so auch Dauses/Götz, H. 111., Rn. 45. Dieser Streit wird gegenstandslos, wenn die Kommission von der ihr neuerdings zugebilligten Möglichkeit Gebrauch macht, durch eine Verordnung de minimis-Beihilfen von dem Anwendungsbereich des Art. 87 I EGV auszuschließen, siehe Art. 2 der Verordnung des Rates 994/98/EG, ABI. 1998, Nr.L 142, 1, 2f. (Gruppenfreistellungen). 342 EuGH Slg. 19901,307,362 in Rs.C-301/87 (Boussac). 343 Mitteilung der Kommission über de minimis-Beihilfen, ABI. 1996, Nr. C 68, 9. 344 Siehe C. I. 3. d)ee). 345 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 36; Smit/Herzog, § 92.07. 339 340

V. Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels

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verfälschung in Art. 87 I EGV. Eine solche Beeinträchtigung liegt dann vor, wenn der Güteraustausch zwischen den Mitgliedstaaten künstlich beeinßußt wird, was insbesondere durch die Erschwerung beziehungsweise Erleichterung von Ein- und Ausfuhren geschehen kann. 3~ Neben dem Austausch von Waren wird ebenfalls der Austausch von Dienstleistungen erfaßt, wobei nicht nur unmittelbare, sondern auch mittelbare Beeinträchtigungen des innergemeinschaftlichen Handels ausreichen. In diesem Zusammenhang genügt es etwa, wenn das begünstigte Unternehmen zwar nur auf dem inländischen Markt tätig ist, hier jedoch in Konkurrenz zu Gesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten steht, da in diesem Fall die Chancen der anderen Unternehmen verringert werden, ihren Marktanteil zu vergrößern. 347 Eine Handelsbeeinträchtigung kann auch vorliegen, falls insgesamt die Importe in den die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaat konstant bleiben oder sogar zunehmen, denn es wird jedenfalls eine weitere Zunahme des Absatzes ausländischer Produkte verhindert.348 Selbst wenn das unterstützte Unternehmen fast seine gesamte Produktion in Länder außerhalb der Gemeinschaft exportiert, kann angesichts der Verflechtung der Märkte der innergemeinschaftliche Handel betroffen sein.349 Nicht erfüllt ist dieses Tatbestandsmerkmal nur in Ausnahmefallen, falls die staatliche Maßnahme lediglich lokale, regionale oder nationale Auswirkungen hat, weil für die geförderten Produkte keineAnbieteraus anderen Mitgliedstaaten existieren.Jso In Anlehnung an Art. 81 I, 82 I EGV genügt auch im Rahmen des Art. 87 I EGV die Geeignetheil zur Handelsbeeinträchtigung.m Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, die der Nachweis einer tatsächlichen Beeinträchtigung bei der Vielzahl der Beihilfefalle mit sich bringen würde, wäre dieser bei der präventiven Kontrolle im Sinne von Art. 88 III EGV nicht zu führen, weil bei nur beabsichtigten Maßnahmen noch keine Auswirkungen auf den Markt eingetreten sind. Allerdings muß sich genauso wie bei dem Merkmal der Wettbewerbsverfälschung die zukünftige Handelsbeeinträchtigung anband einer Gesamtheit objektiver Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lassen.352 Da sich die Wirkung einer Beihilfe auf das Gebiet nur eines Mitgliedstaates beschränken kann, darf nicht pauschal von einer Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels ausgegangen werden. Ebensowenig besteht eine Vermutung Ca/liess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 16; Beutler!Bieber!Pipkorn!Streil, S. 368. EuGH Slg. 19941,4103,4158 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, lmepiel und Intelhorce); EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1477 in Rs. C-303/88 (ENI/Lanerossi). 34& Grabitz!Hilf!von Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 28; Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. l3. 349 EuGH Slg. 19901, 959, 1013 in Rs.C-142/87 (Tubemeuse). 350 Wegen der fortschreitenden Integration der Märkte ist dieses nur bei wenigen Gütern vorstellbar wie bei regionalen Tageszeitungen, lokalem Einzelhandel oder lokalen Verkehrsunternehmen, siehe Dauses/Götz, H. III., Rn. 44; Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 17; Oppermann, Rn. 1115. m EuGH Slg. 1980,2671,2689 in Rs. 730n9 (Philip Morris). 352 GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 38. 346 347

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

zugunsten ihres Vorliegens. 353 Die Beweislast liegt vielmehr auch hier bei der Kommission, 354 es können jedoch die gleichen Indizien wie zur Feststellung der Wettbewerbsverfälschung herangezogen werden. Daher werden diese beiden Tatbestandsmerkmale in der Praxis oft zusammen geprüft. Auch die Handelsbeeinträchtigung muß spürbar sein.355 Diese Voraussetzungen werden von Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand in der Regel erfüllt, da sie aufgrund des der begünstigten Gesellschaft gewährten Kostenvorteils mittelbar die normale Entwicklung der innergemeinschaftlichen Handelsströme beeinflussen. Dieses gilt allerdings nicht, falls sich die Aktivitäten des Unternehmens auf den nationalen Markt beschränken und auch keine potentielle Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten vorhanden ist. Das wird jedoch wegen der fortschreitenden Integration der Märkte höchstens noch auf lokaler oder regionaler Ebene der Fall sein. VI. Zusammenfassung Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Beihilfen im Sinne von Art. 87 I EGV Maßnahmen sind, die in verschiedener Form die Belastungen mindern, die ein Unternehmen normalerweise zu tragen hat. Staatliche Kapitalbeteiligungen als Sonderform der Beihilfengewährung können dabei in vier verschiedenen Situationen erfolgen, nämlich bei der Gründung von Unternehmen, bei der Eigentumsübertragung vom privaten auf den öffentlichen Sektor, bei Kapitalzuführungen an ein öffentliches Unternehmen sowie bei der Kapitalerhöhung einer privaten Gesellschaft. Zur Bewertung der Beihilfeeigenschaft ist ein Vergleich mit einem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber vorzunehmen, wobei zu untersuchen ist, ob ein privater Gesellschafter in vergleichbarer Lage und von vergleichbarer Größe unter Zugrundelegung der Gewinnaussichten eine solche Einlage vernünftigerweise gewährt hätte. Vergleichsmaßstab ist in diesem Rahmen nicht zwangsläufig das Verhalten eines gewöhnlichen Investors, der sein Kapital zum Zweck einer mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, sondern wenigstens das Verhalten einer privaten Unternehmensgruppe, die sich von längerfristigen Ertragserwartungen leiten läßt. Der relevante Zeitpunkt für die Bewertung der Maßnahme der öffentlichen Hand ist derjenige der Investitionsentscheidung. Den Mitgliedstaaten steht hierbei eine weite Bandbreite an Beurteilungsmöglichkeiten bezüglich der wirtschaftlichen So jedoch Dauses/Götz, H. III., Rn. 44; Müller-G raff in ZHR 152 (1988}, 403, 434. EuGH Slg. 1985, 809, 824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); EuGH Slg. 1984, 3809, 3832 in Rs. 323/82 (lnterrnills); siehe C. IV. 2. m Zu diesem Streit vergleiche das oben unter C. IV. 3. Gesagte. Insbesondere gilt auch hier die von der Kommission festgelegte Bagatellgrenze von 100.000 Euro innerhalb von drei Jahren, siehe die Mitteilung der Kommission über de minimis-Beihilfen, ABI. 1996, Nr. C 68, 9. 353 354

VI. Zusammenfassung

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Lage der betroffenen Gesellschaft zu. In diesem Zusammenhang können sie auch ihre soziale und regionale Verantwortung als Eigentümer berücksichtigen, solange wenigstens langfristig Aussicht auf eine angemessene Rendite der bereitgestellten Mittel besteht. Nicht beachtlich sind dagegen Motive, die auf der Verantwortung des Staates für das Allgemeinwohl beruhen. Die Kommission geht davon aus, daß bei Minderheitsbeteiligungen tendenziell eher kurzfristige Erträge angestrebt werden, während bei Mehrheitsbeteiligungen längerfristige Gewinnerwarrungen ausschlaggebend sein können. Für den Vergleich mit dem vernünftigen Investor dürfen ferner nur Unternehmen derselben Branche herangezogen werden. Zur Berechnung der Rentabilitätsschwelle ist entscheidend auf die zukünftigen Erträge der Gesellschaft abzustellen. Für die staatliche Investition muß zunächst eine branchenübliche Verzinsung zu erwarten sein, zusätzlich aber ebenso eine angemessene Risikoprämie. Wird diese Mindestrendite voraussichtlich nicht erreicht, so können auch Kapitalzuführungen an Unternehmen mit geringeren Gewinnaussichten von Art. 87 I EGV erlaßt werden. Sollte für die Einlage der öffentlichen Hand eine kurzfristige Rentabilisierung zu fordern sein, muß sich diese in ein bis drei Jahren einstellen, längerfristige Entwicklungen sind hinreichend exakt nur für einen Zeitraum bis zu höchstens acht Jahren abschätzbar. Falls die staatlichen Mittel durch die Kommission als unzulässige Beihilfe qualifiziert werden, sind sie in der Regel in voller Höhe von der begünstigten Gesellschaft zurückzufordern. Weder sind Wertungen des deutschen Kapitalersatzrechts auf den Beihilfebegriff übertragbar, noch werden Belassungssachverhalte von der Beihilfenkontrolle erfaßt. Die Beweislast für das Vorliegen einer Begünstigung im Sinne von Art. 87 I EGV liegt bei der Kommission. Die Analyse der ökonomischen Verfassung der Gesellschaft erfolgt anhand einer Gesamtwürdigung verschiedener Umstände. Zunächst ist die gegenwärtige Lage zu beurteilen, wobei auf die aktuelle Finanzlage, Mittelzuführungen in der Vergangenheit, die bestehenden Marktverhältnisse, produktions- und absatztechnische Faktoren sowie auf die Begleitumstände der Kapitalbeteiligung abgestellt wird. Daraufhin wird die weitere Entwicklung der staatlichen Unternehmensgruppe nach der Kapitalzufuhr prognostiziert. Entscheidende Kriterien sind hierbei die voraussichtliche Entwicklung der Marktverhältnisse, produktions- und absatztechnische Planungen und strategische Gründe für die Investition. Befindet sich das unterstützte Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten, verlangt die Kommission die Vorlage eines detaillierten Umstrukturierungsplanes. In bezug auf kleine und mittlere Unternehmen mit günstigen Zukunftsaussichten wendet sie nicht ganz so strenge Prüfungskriterien an. Durch das Tatbestandsmerkmal der staatlichen oder aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen werden alle Interventionen der öffentlichen Hand erlaßt, die diese unmittelbar selbst oder mittelbar durch andere zwischengeschaltete Stellen ausführt. Maßgebliche Zurechnungskriterien sind dabei die substantielle Einflußmög-

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C. Staatliche Kapitalbeteiligungen und das Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV

lichkeit des Staates auf die Beihilfeentscheidung und die Belastung öffentlicher Mittel. Das Merkmal der "staatlichen Mittel" wird bei der Beihilfengewährung durch öffentliche Unternehmen stets erfüllt, während bei staatlichen Minderheitsbeteiligungen das Bestehen einer Sperrminorität allein nicht für eine Zurechnung ausreicht. Durch eine staatliche Kapitalbeteiligung wird immer ein bestimmtes Unternehmen begünstigt. Eine Wettbewerbsverfälschung und eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels liegen in der Regel vor, wenn die Beteiligung eine Bagatellgrenze überschreitet und die begünstigte Gesellschaft in Konkurrenz zu Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten steht.

D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, 111 EGV Durch Art. 87 I EGV wird jede Kapitalbeteiligung der öffentlichen Hand als Beihilfe gekennzeichnet, falls sie keine marktübliche Rendite erreicht. Eine uneingeschränkte Anwendung des Beihilfeverbots würde allerdings dazu führen, daß die Mitgliedstaaten entgegen durchgängiger Praxis 1 gezwungen wären, auf Subventionierungen als Marktkorrektiv gänzlich zu verzichten. Das Verbot istjedoch kein absolutes,2 vielmehr erkennt das Gemeinschaftsrecht an, daß es Situationen geben kann, in denen staatliche Eingriffe in den Wirtschaftsablauf notwendig erscheinen. Der freie Wettbewerb allein kann nämlich das Entstehen einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur nicht garantieren.3 Außerdem ist zu berücksichtigen, daß Maßnahmen der öffentlichen Hand auch einen Beitrag zur Verwirklichung anderer Gemeinschaftsziele leisten können.4 Die möglichen Rechtfertigungsgründe für Beihilfen im Sinne von Art. 87 I EGV5 sind neben der Bestimmung des Art. 86 II EGV abschließend in Art. 87 II, ill EGV genannt. Als Ausnahmevorschriften zu dem grundsätzlichen Ziel, den unverfälschten Wettbewerb zu schützen, sind sie eng auszulegen. Art. 87 II, ill EGV enthalten soziale (Art. 87 II lit. a, b EGV) und geschichtliche (Art. 87 II lit. c EGV) Gründe, berücksichtigen aber vor allem regionale und wirtschaftliche Erfordernisse (Art. 87 III lit. a, b, c EGV). Ferner werden kulturelle Interessen (Art. 87 III lit. d EGV) geschützt, und nach Art. 87 III lit. e EGV besitzt der Rat die Möglichkeit, sonstige Arten von Beihilfen von dem Verbot auszunehmen. Gemäß Art. 87 II EGV sind bestimmte Beihilfen zwingend als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen, bei diesen Legalausnahmen beschränkt sich die Prüfungsbefugnis der Kommission auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände.6 Im Unterschied dazu steht ihr bei der Bewertung im Rahmen des Art. 87 III EGV ein weites Ermessen zu, bei diesen fakultativen Befreiungsmöglichkeiten muß sie zusätzlich das Gemeinschaftsinteresse an einem unverfälschten Wettbewerb in einer Abwägung berücksichtigen.7 Siehe nurden V. Beihilfenbericht, S.5; Caspari in Festschrift fürvon derGroeben, S.69f. Siehe oben 8.1. 3. 3 Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, S. 366; Streinz, Rn. 851. 4 XXVII. Wettbewerbsbericht 1997, S. 93. 5 Demgegenüber gilt das Beihilfeverbot nach Art. 4 lit. c EGKSV grundsätzlich ohne Einschränkungen. Allerdings werden im Wege der Kompetenzergänzung gemäß Art. 95 EGKSV auch hiervon Ausnahmen zugelassen. 6 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 51 . 7 XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.l87; Oppermann, Rn.lll9. 1

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

I. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 II EGV Aufgrund der Legalausnahmen des Art. 87 II EGV können Beihilfen also unabhängig von dem Ausmaß ihrer wettbewerbsverfalschenden Wirkung zulässig sein. Der jeweilige Beihilfezweck ist in diesen Fällen so gewichtig, daß er die Marktverzerrungen immer überwiegt. 8 Der Ausschluß einer Ermessensentscheidung der Kommission bedeutet aber nicht, daß die Prüfung hier völlig statisch verläuft. Bezüglich der tatsächlichen Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe verbleibt der Kommission ein Beurteilungsspielraum, wobei insbesondere bei der Bewertung des Art. 87 li lit. c EGV eigene wirtschaftliche Wertungen der Kommission einfließen. Die Beweislast für das Vorliegen der Ausnahmetatbestände liegt bei den Mitgliedstaaten, da sie es sind, die sich auf diese berufen. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob Beihilfen, die durch Art. 87 II EGV gerechtfertigt sind, überhaupt der Kontrolle durch die Kommission unterliegen. 9 Dagegen könnte sprechen, daß gerade in Eilfallen wie bei Naturkatastrophen im Sinne von Art. 87 II lit. b EGV eine vorherige Notifikation und die Beachtung des sich daran anschließenden Durchführungsverbotes 10 nicht möglich wären, ohne den Erfolg der staatlichen Maßnahme zu beeinträchtigen. Allerdings spricht der Wortlaut des Art. 88 III 1 EGV eindeutig davon, daß die Kommission von jeder beabsichtigten Beihilfe unterrichtet wird. 11 Anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten die Beihilfenkontrolle leicht umgehen, indem sie unberechtigt eine Ausnahme nach Art. 87 II EGV in Anspruch nähmen, wodurch die Kommission unter Umständen keine Kenntnis von der Beihilfe erlangen würde. Zudem wäre die einheitliche Anwendung dieser Rechtfertigungsgründe in den einzelnen Mitgliedstaaten nicht gewährleistet.12 Um eine zügige Bearbeitung durch die Kommission sicherzustellen, können für Eilfälle kürzere Verfahrensfristen festgelegt werden. 13 Aus diesen Gründen können durch Art. 87 II EGV gerechtfertigte Beihilfen nicht von der Kontrolle ausgenommen werden. 1. Ausnahme gemäß Art.87 II lit.a EGV

Art. 87 II lit. a EGV nimmt Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher von dem Verbot des Art. 87 I EGV aus, 14 wenn sie ohne Diskriminierung nach der HerGTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 50; Oppermann, Rn. 1121 . Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 17. 10 Siehe Art. 88 111 EGV sowie Art. 2, 3 der Verordnung des Rates 659/99/EG, ABI. 1999, Nr. L 83, 1 ff. (Verfahrensordnung). 11 Ebenso Art. 2 der Verfahrensordnung. 12 Grabitz!Hilf/von Wa/lenberg, Art. 92 EGV, Rn. 37. 13 Art. 27 der Verfahrensordnung; GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 51. 14 Unzutreffend sind in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Dauses/Götz, H. 111., Rn. 26; Müller·Graff in ZHR 152 (1988), 403, 426, wonach bei derartigen Verbraucherbeihilfen schon gar keine Beihilfen im Sinne von Art. 87 I EGV vorlägen. Vielmehr besteht nur ein 8

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I. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 II EGV

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kunft der Waren gewährt werden. Zur Auslegung des Begriffes "sozial" kann auf Art. 137 EGV zurückgegriffen werden, dabei muß sich der soziale Charakter aus dem Kreis der Begünstigten ergeben. Die Vorschrift betrifft Beihilfen, die entweder unmittelbar einer Gruppe von Verbrauchern gewährt werden, sich aber mittelbar bei bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen auswirken, oder solche Maßnahmen, die zwar an Unternehmen gerichtet sind, deren begünstigende Wirkung jedoch bei den Verbrauchern eintreten soll. 15 Ein Beispiel kann hier die Ausgabe von Schulmilch sein. Aus einem Umkehrschluß zu Art. 87 Illit. a EGV ist zu folgern, daß auch Vergünstigungen für Verbraucher unzulässige Beihilfen an einzelne Unternehmen beinhalten können, wenn die Verbraucher beispielsweise durch eine Zweitbegünstigungsklausel verpflichtet werden, mit den gewährten Mitteln Waren eines bestimmten Unternehmens zu erwerben. In diesem Fall wird nämlich gegen das in der Vorschrift verankerte Diskriminierungsverbot in bezugauf die Warenherkunft verstoßen.I6 Eine Anwendung dieser Ausnahmebestimmung auf Beteiligungen der öffentlichen Hand an Kapitalgesellschaften ist nicht möglich, da diese kaum die Begünstigung einzelner Verbraucher bezwecken können. Jedenfalls sind sie diskriminierend bezüglich der Warenherkunft Wenn der Rechtfertigungsgrund in Entscheidungen zu staatlichen Kapitaleinlagen überhaupt erwähnt wird, beschränkt sich die Kommission auf den pauschalen Hinweis, daß seine Voraussetzungen nicht erfüllt sind. 17

2. Ausnahme gemäß Art. 87 II lit. b EGV

Gemäß Art. 87 II lit. b EGV sind Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Sie werden allerdings nur als zulässig erachtet, soweit es um die Beseitigung unmittelbar aufgrund dieser Vorkommnisse entstandener Schäden geht und sie nicht über den erforderlichen Mindestumfang Bedürfnis nach einer Ausnahme durch Art. 87 II lit. a EGV, falls der Tatbestand des Art. 87 I EGV erfüllt ist. So auch Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 22; XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.l88. IS GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 52. 16 Diskriminierungen von Substitutionsprodukten werden hiervon nicht erfaßt. Da bei "Beihilfen" für alle untereinander austauschbaren Arten von Waren schon gar keine Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige vorliegt, kann es nicht im Sinne des Vertrages sein, den Begriff der Diskriminierung auf die verschiedenen Produktarten zu beziehen. Ansonsten könnten staatliche Maßnahmen, die den Tatbestand des Art. 87 I EGV erfüllen, nie nach Art. 87 II lit. a EGV gerechtfertigt werden. Anderer Ansicht insoweit Grabitz!Hilftvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 38, wie hier Cal/iess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 20; XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S. 188. 17 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 116,36,48 (Banco di Napoli); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 96, 30,33 (Hytasa); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 272, 46, 51 (Breda Fucine Meridionali). 8 Bonkamp

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

hinausgehen. Die Maßnahmen dürfen nur den ursprünglichen Zustand wiederherstellen (situationem ex ante), nicht aber der industriellen Entwicklung dienen. 18 Der Ausnahmetatbestand ist auf Fälle höherer Gewalt beschränkt, normale Risiken werden nicht erfaßt. 19 Als Naturkatastrophen werden nur außergewöhnliche Naturereignisse mit schwerwiegenden Folgen wie Überschwemmungen, Erdbeben oder umfangreiche Waldbrände angesehen. Gewöhnliche Naturschäden wie beispielsweise durch Gewitter fallen nicht darunter, zumalsich die Unternehmen dagegen versichern können. Unter sonstigen außergewöhnlichen Ereignissen sind etwa Kriege, schwere innere Unruhen oder terroristische Anschläge zu verstehen, nicht jedoch plötzlich auftretende Begebenheiten im Wirtschaftsbereich wie Streiks oder Konjunkturkrisen. 2o Theoretisch kommt eine Anwendung von Art. 87 li lit. b EGV auch auf staatliche Kapitalzuführungen in Betracht. Dabei ist allerdings streng zu prüfen, ob diese zur Beseitigung der unmittelbaren Schäden erforderlich sind. Die Beihilfe darf nur zur Wiederherstellung der vor der Katastrophe bestehenden Lage führen. Deshalb ist darauf zu achten, daß der Umfang der Einlage der öffentlichen Hand nicht so groß ist, daß zusätzlich Mittel für Neuinvestitionen oder eine Ausweitung der Produktionskapazitäten zur Verfügung stehen. In der diesbezüglichen Entscheidungspraxis der Kommission hat die Vorschrift bisher keine Rolle gespielt, es wird allenfalls kurz festgestellt, daß dieser Rechtfertigungsgrund nicht eingreift.21 3. Ausnahme gemäß Art. 87 II lit. c EGV

Als weitere Ausnahmebestimmung betrifft Art. 87 II lit. c EGV Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind. Hierdurch könnten auch staatliche Kapitalbeteiligungen in den neuen Bundesländern gerechtfertigt werden. Diese Vorschrift galt früher insbesondere für das Zonenrandgebiet, Westberlin und vorübergehend für das Saarland, sollte dann jedoch nach Auffassung der Kommission mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit entfallen sein.22 Später stützte sie 18 Entscheidung der Kommission, ABI. 1991, Nr. L 86, 23, 25 (Mezzogiomo); Lenz/Raw· linson, Art. 87 EGV, Rn. 24; GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 57. 19 Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 19. 20 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 59. 21 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 145, 18, 23 (Nouvelle Filiature); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 109, 1, 10 (Italstrade); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 272, 46, 51 (Breda Fucine Meridionali). 22 XX. Wettbewerbsbericht 1990, S. 151 . Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wurden die Gemeinschaftsbestimmungen über staatliche Beihilfen für die neuen Bundesländer ohne die sonst bei Aufnahme neuer Mitgliedstaaten üblichen Übergangsregelungen anwendbar. Auf diese Weise sollen übermäßige Wettbewerbsverzerrungen verhindert werden, XX. Wettbewerbsbericht 1990, S. 149. Andererseits erkennt die Kommission die Notwendig-

I. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 II EGV

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allerdings zwei ihrer Entscheidungen auf die Teilungsklausel des Art. 87 11 lit. c EGV, und zwar bezüglich eines Investitionsvorhabens am Potsdamer Platz in Berlin sowie der Wiederherstellung einer Eisenbahnlinie zwischen den alten und den neuen Bundesländern.23 Ansonsten sieht sie Art. 87 III lit. a, c EGV als ausreichend zur Bewältigung der vereinigungsbedingten Probleme an.24 Grund für die Zurückhaltung der Kommission ist, daß sie durch Art. 87 III EGV Beihilfen flexibler handhaben kann. Bei Art. 87 lllit. c EGV ist ihre Kontrollbefugnis geringer, da sie keine Ermessensentscheidung treffen und das Gemeinschaftsinteresse an einem unverfälschten Wettbewerb nicht im Rahmen einer Abwägung berücksichtigen darf. 25 So wäre zum Beispiel das Bestehen von Überkapazitäten in dem von der Beihilfe betroffenen Sektor irrelevant. Daher vertrin die Kommission eine sehr einschränkende Auslegung, sie will diese Bestimmung allenfalls auf Gebiete nahe der ehemaligen Sektorengrenze anwenden, um unmittelbare Folgen der alten Trennungslinie auszugleichen.26 Deutschland hingegen will die Teilungsklausel auf die gesamten neuen Bundesländer erstrecken und zur Rechtfertigung von Interventionen heranziehen, bis alle wirtschaftlichen Nachteile im Verhältnis zum Westteil der Bundesrepublik nivelliert sind.27

a) Weitergeltung nach der deutschen Wiedervereinigung Zunächst wird schon in Frage gestellt, ob Art. 87 lllit. c EGV nach Vollendung der deutschen Einheit überhaupt noch anwendbar ist. Gegen ein Gültigbleiben könnte sprechen, daß die Schwierigkeiten der Unternehmen in den neuen Bundesländern, sich im Wettbewerb zu behaupten, nicht durch die Teilung Deutschlands verursacht wurden, sondern im Gegenteil durch die Aufhebung dieser Teilung.28 Außerdem war die Vorschrift ursprünglich auf die Berlin- und Zonenrandförderung keit von Beihilfen für den Anpassungs- und Umstrukturierungsprozeß der ostdeutschen Wirtschaft an, weshalb diese Maßnahmen im Kontrollverfahren bevorzugt behandelt werden. 23 Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 263, 15, 22 f. (Potsdamer Platz); Mitteilung der Kommission, ABI. 1994, Nr. C 178, 24 (Tettau); siehe auch den XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.187. 24 Vergleiche nurdie Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr.L 239, I, 8 (Buna); Entscheidung der Kommission, ABI. 1993, Nr.L 114,21,24 (SST-Gamgesellschaft); Schütte/Hix in CMLRev 1995, 215, 230. Zur zügigen Bewältigung der großen Probleme im Zusammenhang mit der deutschen Wiedervereinigung wendet die Kommission ein beschleunigtes Prüfungsverfahren für staatliche Beihilfen in den neuen Bundesländern an, vergleiche den XXI. Wettbewerbsbericht 1991, S. 177. 25 Siehe schon oben D. 26 Kommission in EuGel Slg. 199911, Rn.122 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 27 Deutschland in EuGei Slg. 1999 11, Rn. 116f. in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 28 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 63.

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 11, III EGV

zugeschnitten, was mit den Problemen infolge der Wiedervereinigung nicht vergleichbar sein könnte. Diese Betrachtungsweise ist jedoch zu formalistisch. Die negativen Folgen sind mit der Aufhebung der Teilung nicht entfallen, weshalb die frühere Teilung immer noch als eine Ursache für die Probleme im Osten Deutschlands angesehen werden kann. Auf das Fortbestehen der Grenze kommt es insoweit nicht an. Das Saarland stellt zudem einen Präzedenzfall für die Anwendung des Art. 87 II lit.c EGV nach dem Ende einer Teilung dar, da die Vorschrift nach seiner Eingliederung in die Bundesrepublik im Jahr 1957 als Rechtfertigungsgrund herangezogen wurde.29 Vor allem aber wurde die Klausel weder durch den Vertrag über die Europäische Union 1992 noch durch den Vertrag von Amsterdam 1997 abgeschafft, sondern sogar neu in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum aufgenommen.30 Daher hat nun auch das Gericht erster Instanz klargestellt, daß angesichts der objektiven Geltung des Gemeinschaftsrechts sich nicht annehmen läßt, daß die Bestimmung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands gegenstandslos geworden ist. 31

b) Ausgleich nur unmittelbar teilungsbedingter Nachteile Problematisch ist des weiteren, welche Arten von Schäden von Art. 87 II lit. c EGV gedeckt sind. Nach deutscher Ansicht werden sämtliche Nachteile erfaßt, die den neuen Bundesländern durch die Teilung und das vierzig Jahre andauernde planwirtschaftliche System entstanden sind. Hier sei die einmalige historische Sondersituation zu beachten, daß in einem Gebiet der Gemeinschaft zunächst einmal eine marktwirtschaftliche Ordnung installiert werden müsse. Zu diesem Zweck seien umfangreiche staatliche Beihilfen erforderlich, um in sozialverträglicher Weise wettbewerbsflihige Wirtschaftseinheiten zu schaffen, damit Wettbewerb als zu schützendes Rechtsgut überhaupt entstehen könne. 32 Ferner hätten viele Unternehmen damals ihre traditionellen Absatzmärkte im Westen verloren, weshalb deren Schwierigkeiten auch heute noch als teilungsbedingt anzusehen seien. Anders als Art. 87 II lit. b EGV gehe es bei Art. 87 II lit. c EGV nicht um die "Beseitigung von Schäden", sondern um einen ,,Ausgleich" für die Folgen der Teilung Deutschlands. Diese flexiblere Formulierung trage den komplexen Zusammenhängen Rechnung und ziele auf die Gesamtheit der Maßnahmen ab, mit denen in den neuen Bundesländern Wirtschafts- und Sozialstrukturen hergestellt werden sollten, Entscheidung der Kommission, EG-Bulletin 2/1965,33 (Saargebiet). Art. 61 li lit. c des EWR-Abkommens. Wie hier Falkenkötter in NJW 1996, 2689, 2691 ; Perry in ELR 1997, 85, 87. 31 EuGel Slg. 1999 li, Rn. 131 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 32 Schütterle in EuZW 1991,662. 29

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I. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 li EGV

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die mit denen in den anderen Gebieten Deutschlands vergleichbar seien. 33 Eine Berufung auf das angebliche Ausreichen der Art. 87 m lit. a, c EGV zur Bewältigung der vereinigungsbedingten Probleme sei nicht überzeugend, da Art. 87 li EGV vorrangig sei gegenüber Art. 87 ill EGV. Insbesondere sei auch die Förderung von sensiblen Wirtschaftsbereichen erforderlich, ohne daß es auf das Bestehen von Überkapazitäten in der Gemeinschaft ankommen dürfe. Die Kommission hingegen wendet Art. 87 li lit. c EGV zu Recht nur in Ausnahmefallen zum Ausgleich unmittelbar teilungsbedingter Nachteile an, was mittlerweile auch von der Rechtsprechung gebilligt wird. Dafür spricht zum einen, daß die Regelung als Ausnahmebestimmung von dem grundsätzlichen Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV eng auszulegen ist. Zum anderen ändert die besondere Situation im Ostteil Deutschlands nichts an der Tatsache, daß sich die in großem Umfang gewährten Beihilfen negativ auf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirken können, weshalb eine möglichst umfassende Kontrolle notwendig erscheint. Die Legalausnahmen des Art. 87 II EGV sind zwar vorrangig gegenüber den Fakultativausnahmen des Art. 87 ill EGV zu prüfen, allerdings können letztere auf die Auslegung der Teilungsklausel zurückwirken. 34 Da Art. 87 ill lit. a, c EGV einen angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen ermöglichen, besteht kein Anlaß für eine extensive Auslegung von Art. 87 li lit. c EGV. Es muß abgegrenzt werden zwischen den Folgen der Teilung selbst und den Auswirkungen der Planwirtschaft auf die Entwicklung Ostdeutschlands. Letztere dürfen nicht relevant sein. Als unmittelbar teilungsbedingt sind nur diejenigen wirtschaftlichen Nachteile einzustufen, welche die Isolierung aufgrund der Errichtung oder Aufrechterhaltung der innerdeutschen Grenze mit sich brachte, beispielsweise die Umschließung bestimmter Regionen, die Unterbrechung der Verkehrswege oder für einige Unternehmen der Verlust ihrer natürlichen Absatzgebiete. 35 Deshalb erlaubt Art. 87 li lit. c EGV ebensowenig, den wirtschaftlichen Rückstand der neuen Bundesländer bis zu dem Punkt vollständig auszugleichen, in dem diese Länder einen Entwicklungsstand erreicht haben, der dem der alten Bundesländer entspricht. Die Teilung Deutschlands als solche hat sich auf die wirtschaftliche Entwicklung der Ostzone und der Westzonen nämlich nur am Rande ausgewirkt, diese zu Beginn zudem in gleicher Weise getroffen und die anschließende günstige Wirtschaftsentwicklung in den alten Bundesländern nicht verhindert.36 Die unterschiedliche Entwicklung beruht statt dessen hauptsächlich auf den verschiedenen 33 Deutschland in EuGel Slg. 1999 II, Rn.ll6 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung); Kruse in EuZW 1998,229, 231; Schütte/Hix in CMLRev 1995,215,228. 34 Uerpmann in DÖV 1998,226,230. 35 EuGel Slg. 1999 li, Rn. l34 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 36 EuGel Slg. 1999 li, Rn.136 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

politischen und wirtschaftlichen Systemen, die diesseits und jenseits der Grenze errichtet wurden. Unklarheit herrscht ferner in bezugauf die Frage, ob auch Neuinvestitionen durch Art. 87 II lit. c EGV gerechtfertigt werden können, zumal die Kommission erklärt hat, daß Regionalbeihilfen für neue Investitionsprojekte nicht darunter subsumierbar sind.37 Daraus wird gefolgert, daß die Beihilfen nur der Erhaltung oder Modernisierung bestehender Strukturen dienen dürften.38 Es kann jedoch nicht darum gehen, den Vorkriegszustand wiederherzustellen. Ein Ausgleich isolationsbedingter Standortnachteile darf auch dadurch geschehen, daß eine wirtschaftliche Entwicklung gefördert wird, die unter heutigen Bedingungen sinnvoll erscheint.39 So bezog sich die Kommissionsentscheidung zum Potsdamer Platz ebenfalls auf ein neues Investitionsvorhaben.40 Regionalbeihilfen für Neuinvestitionen fallen nur dann nicht unter Art. 87 II lit. c EGV, wenn sie keine unmittelbar teilungsbedingten Nachteile ausgleichen.41 Die Erforderlichkeit zum Nachteilsausgleich ist dann nicht mehr gegeben, wenn der Empfänger der Beihilfe nach der Förderung besser dasteht, als dies vor der Teilung Deutschlands der Fall war.

c) Räumliche Nähe zur früheren Grenze Nach dem Wortlaut des Art. 87 II lit. c EGV können bestimmte, durch die Teilung betroffene Gebiete begünstigt werden. Das sagt auf den ersten Blick nichts aus über die Größe oder den lokalen Bezug der förderwürdigen Gebiete, weshalb die physische Nachbarschaft zur ehemaligen Grenze unbeachtlich sein könnte und die gesamten neuen Bundesländer erfaßt wären.42 Allerdings fordert die Rechtsprechung hier einen spezifischen Zusammenhang mit der alten Trennungslinie zwischen den beiden deutschen Staaten, indem sie nur die durch Isolierung entstandenen wirtschaftlichen Nachteile für ausgleichsfaltig hält.43 Auch die von der Kommission auf Art. 87 II lit. c EGV gestützten Entscheidungen beziehen sich auf grenznahe Gebiete.44 Von besonderer Bedeutung ist außerdem, daß dem Mitgliedstaat die Beweislast für die Voraussetzungen des Art. 87 II lit. c EGV obliegt. Er ist es nämlich, der sich Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 308, 46, 52 (Volkswagen Sachsen). GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 60. 39 Uerpmann in DÖV 1998, 226, 230. 40 Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 263, 15 ff. (Potsdamer Platz). 41 EuGel Slg. 1999 II, Rn. 138 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 42 So Uerpmann in DÖV 1998, 226, 230; Kruse in EuZW 1998, 229, 231; Schütterle in EuZW 1994, 715,716. 43 EuGel Slg. 1999 II, Rn. 134 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 44 Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 263, 15 ff. (Potsdamer Platz); XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S. 187. 37

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II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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auf die für ihn günstige Bestimmung beruft.45 Mit wachsendem Abstand zur alten Grenze fällt die Abgrenzung zwischen unmittelbar teilungsbedingten Nachteilen und den Auswirkungen der Planwirtschaft immer schwerer, so daß der Nachweis regelmäßig nur in Grenznähe geführt werden kann. Theoretisch könnten also Beihilfen im gesamten Ostteil Deutschlands durch die Teilungsklausel gerechtfertigt werden, praktisch hat eine Berufung auf sie jedoch nur in räumlicher Nähe zur ehemaligen Grenze Aussicht auf Erfolg. So verneinte das Gericht erster Instanz zum Beispiel die Teilungsbedingtheit der heutigen Probleme der sächsischen Automobilindustrie. Selbst wenn der Wegfall der traditionellen Absatzgebiete durch Hindernisse im innerdeutschen Handel bedingt gewesen sei, so bedeute dies noch nicht, daß die gegenwärtige schlechte Lage dieses Industriezweiges eine unmittelbare Folge der Teilung gewesen sei. Die Schwierigkeiten beruhten vielmehr in erster Linie auf der anderen Wirtschaftsorganisation des ostdeutschen Systems.46 Für Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand in den neuen Bundesländern kann somit grundsätzlich der Ausnahmetatbestand des Art. 87 II lit. c EGV in Betracht kommen. Es muß jedoch beachtet werden, daß der Anwendungsbereich dieser Klausel sehr beschränkt ist. Staatliche Investitionen werden hiervon nur erfaßt, wenn sie dem Ausgleich unmittelbar teilungsbedingter Nachteile dienen, die infolge einer durch die Grenzziehung verursachten Isolierung des betroffenen Gebietes entstanden sind. Der Nachweis dieses spezifischen Zusammenhangs wird sich regelmäßig nur für Regionen nahe der alten Grenze führen lassen. In der Praxis kann es dabei hauptsächlich um Maßnahmen im ehemaligen Sperrgebiet oder zur Wiederherstellung der Infrastruktur zwischen den alten und neuen Ländern gehen. Nach Vollendung dieser Aufgaben wird die Bedeutung der Teilungsklausel völlig verschwinden. Ferner ist zu beachten, daß durch die Begünstigung, die auch Neuinvestitionen zugute kommen darf, nur ein mit der Zeit vor der deutschen Teilung vergleichbarer Zustand geschaffen werden darf. Eine weitergehende Förderung ist nur aufgrund Art. 87 m lit. a, c EGV möglich.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 111 EGV Die Ausnahmen des Art. 87 ill EGV bilden die Grundlage für die große Mehrheit aller Entscheidungen zu staatlichen Beihilfen. Diese Vorschriften ermöglichen der Kommission eine flexible Handhabung von Einzelfällen. Anders als bei Art. 87 II EGV hat der Mitgliedstaat nämlich selbst bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen keinen Anspruch auf Freistellung. Vielmehr verfügt die Kommission hier •s EuGel Slg. 1999 II, Rn.l41 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung); zur Beweislast vergleiche auch schon C. I. 3. e) cc). 46 EuGel Slg. 1999 II, Rn.145 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

über ein weites Ennessen, dessen Ausübung wirtschaftliche und soziale Wertungen voraussetzt, die auf die Gemeinschaft als Ganze zu beziehen sind.47 Wohl aber besteht ein Anspruch auf pflichtgemäße Ennessensausübung. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß das Gemeinschaftsrecht in Anlehnung an die französische Dogmatik keine Unterscheidung trifft zwischen dem Beurteilungsspielraum und der Ennessensausübung.48 Sowohl die Tatbestands- als auch die Rechtsfolgenseite werden also von dem gemeinschaftsrechtlichen Ennessensbegriff erfaßt. Um trotz der Verschiedenheit der Fallgestaltungen ein größtmögliches Maß an Rechtssicherheit und Transparenz zu gewährleisten, hat die Kommission in Leitlinien und Gemeinschaftsrahmen einheitliche Kriterien aufgestellt, nach denen sie die Rechtfertigung der staatlichen Interventionen prüft. 49 Diese stellen keine zusätzlichen Ausnahmebestimmungen zum Beihilfeverbot dar, sondern konkretisieren nur die Bestimmungen des Art. 87 III EGV. Wenn sie als zweckdienliche Maßnahmen im Sinne von Art. 88 I 2 EGV ergangen und von den Mitgliedstaaten angenommen worden sind, sind sie rechtlich verbindlich in bezug auf bestehende Beihilfen. Hinsichtlich neuer Beihilfen besteht dagegen immer nur eine faktische Bindungswirkung, da die Kommission sie ihren Entscheidungen zugrunde legt und sich somit in ihrer Ennessensausübung selbst bindet. Aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Gleichbehandlung können sich auch die Mitgliedstaaten darauf berufen. Gemäß Art. 89 EGV wurde die Kommission vom Rat außerdem ennächtigt, für Teilbereiche rechtlich verbindliche Verordnungen zu erlassen.so Die Kommission trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob die Beihilfemaßnahme dem gemeinschaftlichen Interesse zuwiderläuft. Demgegenüber muß der jeweilige Mitgliedstaat nachweisen, daß seine Kapitalzuführung einem der Ziele des Art. 87 III EGV dient, da das ein für ihn günstiger Umstand ist.5 1

47 EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1479 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi); EuGH Slg. 19901, 959, 1018 in Rs.C-142/87 (Tubemeuse); EuGH Slg. 19901, 307,363 in Rs.C-301/87 (Boussac). Eine Ausnahme bildet insoweit Art. 87 III lit. e EGV, wonach der Rat sonstige Arten von Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklären kann. Da er hierbei aber nur auf Vorschlag der Kommission tätig werden darf, hat diese auch in diesem Fall die Verfahrenshoheit über die Beihilfenkontrolle inne. 48 Dauses!Götz, H. III., Rn. 47; Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 26. 49 Als Beispiele können angeführt werden die Leitlinien der Gemeinschaft für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2ft.; Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9ft.; Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen in der Kfz-Industrie, ABI. 1997, Nr. C 279, 1ft.; Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr. C 213, 4ft. Zur Rechtsnatur und Bindungswirkung von Leitlinien und Gemeinschaftsrahmen vergleiche weiterführend GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 74ft.; Jestaedt/Häsemeyer in EuZW 1995, 787ft. so Vergleiche hierzu Art.1 der Verordnung des Rates 994/98/EG, ABI. 1998, Nr. L 142, 1, 2 (Gruppenfreistellungen). 51 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 68; vergleiche auch C . l. 3. e)cc).

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 Ill EGV

121

1. Gemeinsame Voraussetzungen der Rechtfertigungsgründe

a) Beitrag zur Zielverwirklichung Zunächst muß die Intervention der öffentlichen Hand zur Verwirklichung eines der Ziele des Art. 87 III EGV geeignet sein.52 Schon auf dieser Stufe scheitert die Genehmigung vieler Vorhaben, denn die Kommission untersucht eingehend, ob die Maßnahmen überhaupt erfolgversprechend sind und somit einen Entwicklungsbeitrag leisten können. Als berücksichtigungsfähiges Ziel kommt zum einen die wirtschaftliche Entwicklung bestimmter Regionen (Art. 87 III lit. a, c Alt. 2 EGV) oder Wirtschaftszweige (Art. 87 III lit. c Alt. 1 EGV) in Betracht. Zum anderen werden Beihilfen für wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates als förderwürdig angesehen (Art. 87 III lit. b EGV). Ferner können Kapitaleinlagen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes (Art. 871II lit. d EGV) für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden, und nach Art. 87 III lit. e EGV kann der Rat weitere Ziele festlegen. Um den Eingriff in den freien Wettbewerb möglichst zu begrenzen, müssen die Kapitalbeteiligungen zudem erforderlich sein, um eines der Ziele des Art.87 III EGV zu erreichen, sie dürfen nicht über ein Mindestmaß hinausgehen. Daran fehlt es etwa, wenn schon die Marktkräfte allein zur Zielverwirklichung ausgereicht hätten. 53 b) Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse Des weiteren muß die Kommission prüfen, ob den grundsätzlich förderwürdigen Absichten der Mitgliedstaaten nicht überwiegende Gemeinschaftsinteressen gegenüberstehen. Es darf nicht hingenommen werden, daß durch die staatlichen Beihilfen die bestehenden Probleme lediglich auf andere Mitgliedstaaten abgewälzt werden. Die Beihilfen müssen also angemessen sein, wobei die Kommission fordert, daß die wettbewerbsverzerrenden Wirkungen der Maßnahmen durch eine im GerneiDschaftsinteresse liegende Gegenleistung ausgeglichen werden.54 Sie hat nämlich die Einheit des Gemeinsamen Marktes zu wahren und insbesondere darauf zu achten, daß das Gleichgewicht der vertraglichen Ziele nicht gestört wird. Die Gegenleistung kann beispielsweise in einem Kapazitätsabbau oder der Entwicklung technischer Neuerungen durch das begünstigte Unternehmen liegen.

Handkommentar/Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 32; Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 22. EuGH Slg. 1980,2671, 2692 in Rs. 730n9 (Philip Morris); Oppermann, Rn.1133. 54 Grabitz/Hilflvon Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 42; Mortelmans in CMLRev 1984, 405 ff. 52 53

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D. Ausnalunetatbestände des Art. 87 11,111 EGV 2. Die einzelnen Rechtfertigungsgründe

a) Ausnahme gemäß Art. 87 Illlit. a EGV Nach Art. 87 III lit. a EGV können Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden. Diese Vorschrift beinhaltet ebenso wie Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV eine Ausnahme vom Beihilfeverbot für die Regionalförderung.ss Sie ist Ausdruck des Zieles des Art. 3 lit. k EGV, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft zu stärken und insbesondere die Unterschiede im Entwicklungsstand der verschiedenen Regionen und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete zu verringern. 56 Zur einheitlichen und transparenten Bewertung hat die Kommission im Jahr 1998 neue Leitlinien erlassen, die eine Vielzahl älterer Dokumente ersetzen.57 aa) Bestimmung der förderwürdigen Gebiete Schon die Begriffe "außergewöhnlich" und "erheblich" deuten an, daß die Vorschrift nur für extrem unterentwickelte Gebiete einschlägig ist. Ihre Anwendung muß auf die am stärksten benachteiligten Regionen konzentriert bleiben, da die Beihilfen anderenfalls ihren Anreizcharakter verlören und ihre Wirkungen zunichte gemacht würden.58 Die wirtschaftliche Situation darf dabei nicht am nationalen Durchschnitt, sondern nur am Gemeinschaftsniveau gemessen werden,59 sonst könnten neue Ungleichgewichte entstehen und das Ziel einer harmonischen Entwicklung der gesamten Gemeinschaft nicht erreicht werden. Als Fördergebiete im Sinne von Art. 87 III lit. a EGV werden solche Regionen eingestuft, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung unter 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts der letzten drei Jahre liegt. 60 Die Festlegung ist also nicht statisch, sondern richtet sich nach der aktuellen ökonomischen Entwicklung. ss In Deutschland werden Regionalbeihilfen im Ralunen der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur gemäß Art. 91al Nr. 2 des Grundgesetzes oder aufgrund spezifischer Förderprogramme der Bundesländer gewährt. S6 Siehe Absatz 5 der Präambel des EGV und Art. 158 II EGV. s7 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9ff. ss Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 10. s9 EuGH Slg. 19901, 307, 364 in Rs.C-301/87 (Boussac); EuGH Slg. 1980, 2671, 2691 in Rs. 730n9 (Philip Morris); Handkommentar/Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 34. 60 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 11. Der Zuschnitt der zu untersuchenden Regionen ist weitgehend deckungsgleich mit den für die Förderung aus den gemeinschaftlichen Strukturfonds zugrunde gelegten Gebieten der NUTS li-Ebene. In Deutschland entspricht er den Bundesländern. Kleine Mitgliedstaaten können auch insgesamt gefördert werden, vergleiche GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 86.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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Die Bedeutung dieser Rechtfertigungsmöglichkeit war anfangs gering, sie nahm aber seit dem Beitritt Griechenlands, Portugals und Spaniens im Jahr 1986 stark zu und wird aufgrund der geplanten Osterweiterung der Europäischen Union weiter in den Vordergrund gerückt werden. Derzeit leben 22,7 Prozent der Unionsbevölkerung in Fördergebieten nach Art. 87 m lit. a EGV.61 Darunter fallen ganz Griechenland, Irland und Portugal, in Deutschland die neuen Bundesländer, das Burgenland in Österreich, die südlichen Teile von Spanien und Italien, Nordirland sowie die französischen Überseedepartements.62 bb) Erfordernis der regionalen Spezifität der staatlichen Kapitalzufuhr

(1) Förderwürdige Investitionen Die Kapitaleinlage der öffentlichen Hand muß einen Beitrag leisten zur Entwicklung der betreffenden Region, sie muß dabei auf die Förderung von produktiven Investitionen (Erstinvestitionen) oder die investitionsgebundene Schaffung von Arbeitsplätzen im Rahmen einer langfristigen Entwicklung abzielen.63 Unter Erstinvestitionen sind Anlageinvestitionen zur Errichtung einerneuen Betriebsstätte, zur Erweiterung oder zur Vomahme einer grundlegenden Änderung des Produkts oder des Produktionsverfahrens einer bestehenden Betriebsstätte durch Rationalisierung, Produktumstellung oder Modemisierung zu verstehen. Anlageinvestitionen durch Übernahme eines Produktionsstandortes können ebenfalls als Erstinvestitionen angesehen werden, sofern der Erwerb unter Marktbedingungen erfolgt.64 Der Beihilfeempfänger muß einen eigenen Finanzierungsbeitrag von mindestens 25 Prozent leisten, um zu gewährleisten, daß die produktiven Investitionen rentabel und damit geeignet sind, einen Beitrag zur Entwicklung der Region zu leisten. Arbeitsplatzschaffung meint in diesem Zusammenhang nur die an Erstinvestitionen gebundene Nettoerhöhung der Anzahl der vorhandenen Stellen. Von der Bruttozahl der im betreffenden Zeitraum geschaffenen Arbeitsplätze sind gegebenenfalls die in derselben Zeit gestrichenen Stellen abzuziehen. Um sicherzustellen, in EuZW 1998,517,518. VII. Beihilfenbericht, S. 81. 63 Entscheidung der Kommission, ABI. 1991, Nr. L 73, 27, 30 (Halid s); Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 13. Hier wird zudem klargestellt, daß auch öffentliche Beteiligungen zu Vorzugsbedingungen im Rahmen von Regionalförderprogramrnen gerechtfertigt sein können. 64 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 14; ebenso der multisektorale Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben, ABI. 1998, Nr. C 107, 7, 11. Auch die Übernahme einer Betriebsstätte eines sich in Schwierigkeiten befindenden Unternehmens kann hierunter fallen, vergleiche die Änderung durch die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 15. 61 Er/bacher 62

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

daß sowohl die Investitionen als auch die geschaffenen Arbeitsplätze wirklich langfristig der Region zugute kommen, muß außerdem im vorhinein festgelegt werden, daß sie während eines Zeitraums von mindestens fünf Jahren bestehen bleiben.65 An dieser regionalen Zweckbestimmung fehlt es beispielsweise, wenn die durch die Kapitaleinlage begünstigte Gesellschaft Standorte in verschiedenen Gebieten eines Mitgliedstaates unterhält.66 Außerdem darf die Beihilfe grundsätzlich nicht punktuell gewährt werden, also nicht an einzelnen geographischen Stellen, die praktisch keinen Einfluß auf die Entwicklung eines Gebietes haben. Dagegen ist die regionale Spezifität zu bejahen, falls sich die Beteiligung in ein Regionalförderprogramm von gemeinschaftlichem Interesse einfügt. 67

Beihilfeprogramme stellen Regelungen dar, durch die Begünstigungen für Unternehmen, die in allgemeiner und abstrakter Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen gewährt werden können, beziehungsweise Regelungen, wonach einer oder mehreren Gesellschaften nicht an ein bestimmtes Vorhaben gebundene Mittel für unbestimmte Zeit oder in unbestimmter Höhe zur Verfügung gestellt werden können.68 Verfahrensrechtliche Folge von genehmigten Beihilferegelungen ist, daß die einzelnen Maßnahmen, die aufgrund dieser Programme ergehen, nicht im voraus einzeln bei der Kommission notifiziert werden müssen. (2) Ablehnende Haltung der Kommission gegenüber Einzelbeihilfen außerhalb von Regionalförderprogrammen Es widerstrebte der Kommission schon immer, den Ausnahmetatbestand des Art. 87 III lit. a EGV auf staatliche Beteiligungen außerhalb von genehmigten Beihilfeprogrammen anzuwenden. Ihrer Meinung nach wird durch solche Maßnahmen in der Regel nur ein einzelnes Unternehmen in Schwierigkeiten unterstützt, nicht jedoch die Entwicklung einer ganzen Region gefördert. 69 Ebensowenig könnten sich die Mitgliedstaaten darauf berufen, daß gerade die Tätigkeit des begünstigten Unternehmens unerläßlich sei für die wirtschaftliche Entwicklung der Region, da die Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 16. Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 25, 26, 40 (Head Tyrolia Mares); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 114 (Cr~dit Lyonnais); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 300, 23, 31 (lritecna). 67 EuGH Slg. 19941,4103,4161 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, Imepiel und Intelhorce); so schon die Mitteilung der Kommission über regionale Beihilferegelungen, ABI. 1979, Nr.C 31, 9,11. 68 Art. 1 lit. d der Verordnung des Rates 659/99/EG, ABI. 1999, Nr. L 83, I ff. (Verfahrensordnung). 69 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 170, 36, 41 (SITAS); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 154, 37, 42 (Merco); Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr.L 171,54,61 (Hytasa). 61

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II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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Kapitalzuführung nicht einmal allen Gesellschaften der betreffenden Branche gewährt werde, die in diesem Gebiet ansässig seien.70 Dieser Auffassung ist der Gerichtshof entgegengetreten. Derartige Beihilfen dienten zwar in erster Linie der Rettung von Unternehmen in Schwierigkeiten, es könne aber nicht ausgeschlossen werden, daß das Erfordernis der regionalen Spezifität dennoch erfüllt sei. Dabei obliege es allerdings dem jeweiligen Mitgliedstaat darzutun, daß die in Rede stehende Beihilfe tatsächlich über eine regionale Zweckbestimmung verfüge.7 1 Trotz dieses Urteils steht die Kommission der Anwendung von Art. 87 III lit. a EGV auf Einzelbeihilfen außerhalb von genehmigten Beihilferegelungen weiterhin skeptisch gegenüber. Interventionen zugunsten nur eines Unternehmens könnten nämlich erhebliche Auswirkungen auf den Wettbewerb in dem betroffenen Sektor haben, trügen jedoch möglicherweise nur geringfügig zur regionalen Entwicklung bei. Sie fielen im allgemeinen unter punktuelle oder sektorale industriepolitische Maßnahmen und wichen vom Sinn und Zweck der eigentlichen Regionaibeihilfenpolitik ab. Das gleiche gelte auch für Beihilfen, die auf einen einzigen Wirtschaftszweig begrenzt seien, da die Mittelvergabe hinsichtlich der intersektoralen Verteilung der wirtschaftlichen Ressourcen neutral bleiben müsse. Deshalb ist die Kommission der Ansicht, daß derartige Begünstigungen die Voraussetzungen des Art. 87 III lit. a EGV nicht erfüllen, solange nicht das Gegenteil nachgewiesen wird.72 Die Bedenken der Kommission sind gerechtfertigt, denn in den meisten Fallen von Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand sind andere Gründe als solche der Regionalförderung ausschlaggebend. Meistens geht es um die Rettung einzelner Unternehmen in Schwierigkeiten. Für die Beurteilung derartiger Maßnahmen reicht aber das Instrumentarium des Art. 87 Illlit. c Alt. 1 EGV völlig aus, insbesondere fließt die Lage der betroffenen Gesellschaft in einem Fördergebiet auch dort positiv in die Bewertung ein. 73 Daß in einzelnen Situationen die Kapitalzufuhr trotzdem eine regionale Zweckbestimmung aufweisen kann, wird ausreichend dadurch berücksichtigt, daß den Mitgliedstaaten deren Nachweis offensteht Das entspricht im übrigen der normalen Beweislastverteilung im Rahmen des Art. 87 III EGV. 74

70 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 273, 22, 32 (Olympic Airways); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 54, 30, 37 (Aer Lingus). 71 EuGH Slg. 19941,4103,4161 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, Imepiel und Intelhorce). 72 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 10; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 326, 57, 63 (Kranbau Eberswalde). 73 Vergleiche die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 9. 74 Vergleiche D. II.

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

(3) Geeignetheit und Erforderlichkeil zur Förderung der regionalen Entwicklung

Der Nachweis der regionalen Spezifität von Einzelmaßnahmen zugunsten von Unternehmen in Schwierigkeiten kann jedenfalls dann nicht gelingen, wenn durch die Beihilfe die Lebensfahigkeit der Gesellschaft selbst langfristig nicht wiederhergestellt werden kann. 75 Dann ist sie nämlich gar nicht geeignet, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Gebietes zu erbringen, in dem die Gesellschaft ihren Sitz hat. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Kapitalspritzen in absehbarer Zukunft aufgebraucht sind und die subventionierten Arbeitsplätze dennoch verlorengehen. Dies wirkt sich auf die Wirtschaft des Gebietes insofern nachteilig aus, als die knappen Regionalfördermittel effizienter an anderer Stelle hätten eingesetzt werden können.76 Unabdingbare Voraussetzung für die Prüfung der Wiederherstellung der Lebensfahigkeit des Unternehmens ist wie schon bei der Analyse der Beihilfeeigenschaft77 die Vorlage eines detaillierten Umstrukturierungsplans, der von der Kommission eingehend untersucht wird. Dienen die Kapitaleinlagen nur der Verlustdeckung ohne strukturelle Verbesserungen der wirtschaftlichen Lage, so scheidet eine Rechtfertigung von vornherein aus.78 Andererseits reicht es nicht unbedingt, wenn die Sanierung mit einem Personalabbau verbunden ist oder ein Teil der Mittel für Investitionen verwandt wird, entscheidend ist, ob die Gesellschaft langfristig ihre Rentabilität wiedergewinnen kann.79 Um den Eingriff in den freien Wettbewerb möglichst gering zu halten, muß die Kommission bei allen Regionalbeihilfen analysieren, ob die Maßnahmen auf das erforderliche Mindestmaß beschränkt sind. Daran fehlt es etwa, falls die Beteiligung der öffentlichen Hand bei weitem die geplanten Investitionen des Unternehmens überschreitet oder die aus anderen Beihilfeprogrammen gewährten Mittel ausreichen, um den gebietsbedingten Nachteilen entgegenzuwirken.80 Eine unbeschränkte Kumulierung verschiedener Beihilfen ist unzulässig.S 1 Allerdings muß der Beihilfebetrag grundsätzlich nicht strikt auf den Ausgleich der gebietsbedingten Nachteile 75 Schlußanträge des Generalanwalts in EuGH 19941, 4175, 4184 in Rs.C-42/93 (Merco); Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr.L 159,46,52 (Nuova Cartiera di Arbatax). 76 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 96, 30, 35 (Hytasa). 77 Siehe C. I. 4. b) bb) (1). 78 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 170, 36, 41 (SITAS); Entscheidung der Kommission, ABI. 1991, Nr. L 73, 27, 30 (Halids); vergleiche auch Handkommentar!Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 33. 79 EuGH Slg. 19941,4103,4165 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, Imepiel und Intelhorce); Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 176, 57, 65 (lntelhorce). 80 Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 159, 46, 52 (Nuova Cartiera di Arbatax); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 96, 30, 33 (Hytasa). 81 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 17.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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für das Unternehmen beschränkt sein, vielmehr sind auch gewisse Beihilfezuschläge möglich, um einen Anreiz für Investitionen in diesen Regionen zu gewähren. 82 In diesem Zusammenhang wird je nach Intensität der Probleme der jeweiligen Region eine maximale Beihilfeintensität, also der Anteil der Beihilfe an den Gesamtkosten der Investition, variabel festgelegt. Der absolute Spitzensatz für Gebiete des Art. 87 III lit. a EGV beträgt 40-65 Prozent und ist damit höher als der in Gebieten nach Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV, wodurch eine Privilegierung zum Ausdruck kommt. Für kleine und mittlere Unternehmen wird dieser Prozentsatz um fünfzehn Prozent erhöht.83 cc) Berücksichtigung des Gemeinschaftsinteresses im Rahmen der Ermessensausübung Zumindest bei staatlichen Kapitalzufuhren im Rahmen von Regionalförderprogrammen ist das Erfordernis der regionalen Spezifität regelmäßig erfüllt. Dann stellt sich die Frage, ob die Kommission die Genehmigung dennoch verweigern kann, wenn andere Gemeinschaftsinteressen entgegenstehen. Anders als bei Art. 87 III lit. c EGV fordert der Wortlaut des Art. 87 ITI lit. a EGV nicht, daß die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändert werden dürfen, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Trotzdem hat die Kommission dieses im Rahmen ihrer Ermessensausübung zu berücksichtigen.84 Sie muß dabei allerdings den Unterschied zwischen den beiden Rechtfertigungsgründen beachten, Art. 87 III lit. a EGV gewährt ihr einen größeren Genehmigungsspielraum. Würde sie die Gemeinschaftsverträglichkeit einer Beihilfe genauso streng beurteilen wie bei Art. 87 III lit. c EGV, hätte Art. 87 III lit. a EGV keinen eigenständigen Anwendungsbereich mehr. Die bezweckte Privilegierung besonders unterentwickelter Regionen würde entfallen.85 Somit ist auch hier die Angemessenheit der Kapitalzuführung zu prüfen, wobei das Ziel der Regionalentwicklung gegen andere Gemeinschaftsinteressen abzuwägen ist. Insbesondere müssen die sektoralen Auswirkungen der Regionalbeihilfe überprüft werden, damit durch die Minderung der Probleme des betreffenden Gebietes nicht noch größere Probleme in der jeweiligen Branche entstehen.86 Bei Re82 EuGel Slg. 1999 II, Rn.188 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 83 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 15. 84 EuGei Slg. 1998 II, 3437, 3473 in verb. Rs. T-126, 127/96 (BFM und EFIM); ebenso Streinz, Rn. 856. ss EuGH Slg. 19971, 135, 155 in Rs.C-169/95 (Piezas y Rodajes); siehe auch Uerpmann in DÖV 1998, 226,232. 86 EuGel Slg. 1998 II, 3437, 3474 in verb. Rs. T-126, 127/96 (BFM und EFIM); vergleiche schon die Mitteilung der Kommission über regionale Beihilferegelungen, AB I. 1979, Nr. C 31, 9, 11 f.; XXVII. Wettbewerbsbericht 1997, S. 111; Lenz/Raw/inson, Art. 87 EGV, Rn. 28.

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

gionalbeihilfen für große Investitionsvorhaben berücksichtigt die Kommission dieses durch die Verwendung eines "Wettbewerbsfaktors",87 wodurch die zulässige Beihilfeintensität abnimmt, je größer die Gefahr einer Wettbewerbsverfälschung ist. Bei Art. 87 III lit. a EGV fordert sie allerdings geringere Gegenleistungen der begünstigten Gesellschaft als im Rahmen von Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV. Bestehen in dem Sektor Überkapazitäten, so ist die Beihilfehöhe strikt auf den Ausgleich der regionalen Nachteile zu beschränken.88 dd) Ergebnis

Art. 87 III lit. a EGV kommt zur Förderung von Erstinvestitionen und zur Schaffung von investitionsgebundenen Arbeitsplätzen in besonders unterentwickelten Gebieten in Betracht, in denen das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung unter 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt. Die Bedeutung des Art. 87 III lit. a EGV für die Freistellung staatlicher Kapitalbeteiligungen ist jedoch beschränkt. Die Kommission wendet die Bestimmung zu Recht regelmäßig nicht auf Maßnahmen zugunsten einzelner Unternehmen in Schwierigkeiten an, die außerhalb von genehmigten Regionalförderprogrammen durchgeführt werden, weil hier keine regionale Zweckbestimmung erkennbar ist. Da die Rettung solcher Gesellschaften aber in der großen Mehrzahl der Falle Grund für die Intervention der öffentlichen Hand ist, kommt meistens allein Art. 87 III lit. c Alt. 1 EGV als Rechtfertigungsgrund in Betracht. Für Mittelgewährungen im Rahmen regionaler Beihilfeprogramme ist Art. 87 III lit. a EGV demgegenüber regelmäßig einschlägig. Die Maßnahmen müssen geeignet und erforderlich sein, um die Probleme des betroffenen Gebietes auszugleichen. Außerdem muß die Kommission entgegenstehende Gemeinschaftsinteressen bei ihrer Ermessensausübung berücksichtigen, die Kapitalzufuhr darf nicht zu unzumutbaren Wettbewerbsverfälschungen führen.

b) Ausnahme gemäß Art. 87 Ill lit. b EGV

Art. 87 III lit. b EGV läßt Freistellungen vom Beihilfeverbot für zwei völlig unterschiedliche Zwecke zu. Zum einen können Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden, zum anderen können staatliche Interventionen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates gerechtfertigt sein. 87 Multisektoraler Regionalbeihilferahmen für große Investitions vorhaben, ABI. 1998, Nr. C 107, 7, 8. 88 EuGel Slg. 1999 II, Rn.188 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung).

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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aa) Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse Als Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse sind solche anzusehen, die der Verwirklichung der in Art. 2, 3 EGV bezeichneten Ziele der Gemeinschaft dienen. 89 Oft werden in diesem Zusammenhang Aktionsprogramme der Kommission oder Entschließungen des Rates oder des Europäischen Parlaments verabschiedet, die auf ein gemeinsames europäisches Interesse hindeuten. Das Vorhaben muß grenzüberschreitenden Charakter besitzen, es muß aber nicht notwendig den Interessen aller Mitgliedstaaten entsprechen, da der Ausnahmetatbestand anderenfalls aufgrundder fortgesetzten Erweiterung der Gemeinschaft praktisch leerliefe.90 Ausreichend ist, wenn es gemeinsam von verschiedenen Mitgliedstaaten unterstützt wird oder aus einer zwischen Mitgliedstaaten abgestimmten Tätigkeit besteht, um gegen eine gemeinsame Bedrohung vorzugehen oder ein gemeinsames Ziel zu erreichen.91 In der Praxis sind bislang vor allem Projekte des Flugzeugbaus, der Energieeinsparung, des Umweltschutzes und der Forschungs- und Entwicklungsförderung unter Art. 87 III lit. b Alt. 1 EGV gefaßt worden. Die Privilegierung derartiger Vorhaben wird auch darin deutlich, daß hier hohe Beihilfeintensitäten von bis zu 75 Prozent zulässig sind. 92 Die Tatsache allein, daß eine staatliche Beihilfemaßnahme eine positive Auswirkung auf die Handelsbilanz der Gemeinschaft durch Verringerung der Einfuhren aus Drittstaaten hat oder sonstige Vorteile für die Gesamtwirtschaftslage der Gemeinschaft entstehen, macht diese noch nicht zu einem Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse. So kommt zum Beispiel die Verringerung der Arbeitslosigkeit in einem Gebiet oder die Erneuerung veralteter Produktionsanlagen vor allem einer einzelnen Region oder einem einzelnen Unternehmen zugute. 93 Ebensowenig genügt die bloße Einführung neuer Technologien in einem Unternehmen,94 insbesondere wenn dieses auf einem von Überkapazitäten geprägten Markt tätig ist. Auch für Kapitalzuführungen der öffentlichen Hand kommt Art. 87 III lit. b Alt. 1 EGV zur Rechtfertigung in Betracht, falls durch diese ein Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse gefördert wird. Meistens dienen die staatlichen BeteiBleckmannl Koch, Rn. 2066. Lenz!Rawlinson, Art. 87 EGV, Rn. 29; GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 99. Anderer Ansicht insoweit Grabitz!Hilflvon Wal/enberg, Art. 92 EGV, Rn. 50, wonach eine Anwendung von Art. 87 III lit. b Alt. 1 EGV schon dann ausgeschlossen sein soll, wenn die Interessen auch nur eines Mitgliedstaates übergangen werden. 91 EuGH Slg. 1988, 1573, 1595 in verb. Rs. 62, 72/87 (Glaverbel). 92 Calliess!Ruffert!Cremer, Art. 87 EGV, Rn. 32. 93 EuGH Slg. 1988, 1573, 1595 in verb. Rs. 62, 72/87 (Glaverbel); GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 99. 94 Dieses kann allerdings im Rahmen des Art.87 III lit.c Alt.1 EGV positiv berücksichtigt werden. s9

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

ligungen allerdings nur der Rettung einzelner Unternehmen in Schwierigkeiten, woran ein besonderes Gemeinschaftsinteresse nicht ersichtlich ist.95 bb) Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates Eine beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates liegt vor, wenn ein wesentlicher Teil seiner Gesamtwirtschaft betroffen ist. Nicht ausreichend sind hingegen regionale oder sektorale Krisen, die nur nach Art. 87 III lit. a, c EGV beurteilt werden können. Das Ausmaß der Verschlechterung muß im Gemeinschaftskontextgesehen werden. Dabei kann entweder durch einen Vergleich mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage in anderen Mitgliedstaaten eine solche Störung festgestellt werden, oder die Kommission erkennt eine derartige Situation in allen Mitgliedstaaten an.96 Die Ursachen der Krise sind für die Anwendung der Vorschrift ohne Belang, sie können auch von den Mitgliedstaaten etwa durch eine verfehlte Wirtschaftspolitik selbst verschuldet sein. Als Kriterien für eine beträchtliche Störung können unter anderem eine erhebliche Abnahme der einzelstaatlichen Produktion und Beschäftigung, ein erheblicher Rückgang der Investitionen und die Gefährdung des Fortbestandes einer Vielzahl von Unternehmen gelten. 97 Mit dieser Ausnahmeregelung wird wegen ihrer gefährlichen Präzedenzfallwirkung äußerst sparsam umgegangen. So wurde sie nach der Ölkrise in den Jahren 1973/1974 erst wieder 1987 und 1991 auf Griechenland angewandt, 98 wobei sie insbesondere für Dringlichkeitsmaßnahmen zur Wirtschaftsbelebung und Beschäftigungssicherung herangezogen wurde. Alle bislang entschiedenen Fälle betreffen Beihilfeprogramme zur Überwindung der Krise, diese können auch staatliche Kapitalbeteiligungen vorsehen.99 Zwar ist ~Siehe nur EuGH Slg. 1985, 809, 815 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); Entscheidung der Konunission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 9 (GAN); Entscheidung der Konunission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 114 (Credit Lyonnais). 96 EuGH Slg. 1985, 809, 815 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 101; Geiger, Art. 92 EGV, Rn. 25. Aus diesen Gründen sind Beihilfen Deutschlands für die neuen Bundesländer nicht nach Art. 87 III lit. b EGV gerechtfertigt. Durch die Wiedervereinigung entstanden zwar negative Auswirkungen für die Gesamtwirtschaft der Bundesrepublik, diese sind jedoch nicht so stark, um sie als beträchtlich im Sinne des Ausnahmetatbestandes anzusehen. Dagegen betreffen die isoliert betrachtet noch größeren Problerne der neuen Bundesländer nur einzelne Regionen der Bundesrepublik Deutschland, vergleiche hierzu EuGel Slg. 1999 II, Rn.167 in verb. Rs. T-132, 143/96 (Volkswagen Sachsen) (Urteil vorn 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). 97 GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 102. 91 Entscheidung der Konunission, ABI. 1988, Nr. L 76, 18 ff. (Griechische lndustriebeihilfen); XXI. Wettbewerbsbericht 1991, S.177; V. Wettbewerbsbericht 1975, S.ll3ff. 99 Unzutreffend ist insoweit auch der Verweis von GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 101, auf den Fall Heracles. Auch dieser geht nämlich auf das griechische Gesetz über Industriebeihilfen

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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denkbar, daß auch Beihilfen an eine einzelne Gesellschaft der Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates dienen, falls diese aufgrund ihrer Größe einen wichtigen Faktor für die Gesamtwirtschaft darstellt. Zumeist zielen derartige Interventionen der öffentlichen Hand allerdings allein auf die Rettung des sich in Schwierigkeiten befindenden Unternehmens ab. 100 Insofern ist eine Parallele zu Art. 87 III lit. a EGV zu ziehen, wo verlangt wird, daß bei der Begünstigung einzelner Unternehmen durch die Mitgliedstaaten gerrau dargelegt werden muß, warum die konkrete Maßnahme auf den Zweck des Ausnahmetatbestandes abzielt. 101 Nicht unbedingt ist bei Art. 87 III lit. b Alt. 2 EGV hingegen die Vorlage eines Umstrukturierungsplans für die unterstützten Gesellschaften zu fordern, falls die Schwierigkeiten nur auf externen Ursachen und nicht auf strukturellen Problemen des Unternehmens beruhen. Dann dürfen die Beihilfen auch ausschließlich der finanziellen Sanierung dienen. 102 Anders liegt der Fall jedoch, wenn eine Umstellung der Produktion notwendig ist, um die Lebensfähigkeit wiederherzustellen. Hier kann nur eine Umstrukturierung zur Behebung der Krise beitragen. 103 Außerdem muß die Steigerung der Leistungsfähigkeit der unterstützten Gesellschaften zur Sanierung der Volkswirtschaft des betreffenden Mitgliedstaates erforderlich sein. Dieses ist dann zu bejahen, wenn eine Stillegung der Unternehmen den Sanierungserfolg für die Gesamtwirtschaft erheblich beeinträchtigen würde.104 In diesem Zusammenhang können auch wiederholte Maßnahmen zulässig sein. Die Kapitalzufuhren dürfen aber nicht dazu führen, daß sich die begünstigten Unternehmen nach den Sanierungsmaßnahmen gegenüber ihren Wettbewerbern aus den anderen Mitgliedstaaten in einer günstigeren Lage befinden, als dies ohne die gesamtwirtschaftliche Krise der Fall wäre. Deshalb dürfen die Beihilfen nicht zu einer Ausweitung der Produktionskapazitäten beitragen. Das Gemeinschaftsinteresse ist hier ebenso wie bei Art. 87 III lit. a EGV im Rahmen der Ermessensausübung der Kommission zu berücksichtigen, obwohl es nicht ausdrücklich erwähnt wird. Insbesondere darf es nicht zu einer Verlagerung der Probleme in andere Mitgliedstaaten kommen, etwa durch eine Steigerung der Ausfuhrentrotz bestehender Überkapazitäten in einer Branche oder durch eine Unterstützurück, siehe EuGel Slg. 1995ll, 1971 , 1977 in verb. Rs. T-447, 448,449/93 (AITEC, British Cement und Titan). 100 Entscheidung der Kommission, ABl. 1998, Nr. L 78, 1, 9 (GAN); Entscheidung der Kommission, ABl. 1995, Nr. L 308, 92, 114 (Credit Lyonnais); Entscheidung der Kommission, ABL 1994, Nr. L 273, 22, 32 (Olympic Airways). 1°1 Siehe D. II.2.a)bb)(2). 102 Entscheidung der Kommission, ABl. 1988, Nr. L 76, 18, 21 (Griechische lndustriebeihilfen). 103 Entscheidung der Kommission, ABL 1991, Nr. L 73, 27, 30 (Halkis). 104 Entscheidung der Kommission, ABl. 1988, Nr. L 76, 18, 21 (Griechische lndustriebeihilfen).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 ß, ßi EGV

zung von Investitionen, die ansonsten in anderen notleidenden Mitgliedstaaten durchgeführt worden wären. 105 cc) Ergebnis Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen können also sowohl der Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse als auch der Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates dienen. Allerdings muß eine strenge Prüfung erfolgen, ob sie wirklich auf diese Zwekke abzielen oder ob sie nur auf die Rettung einzelner Unternehmen gerichtet sind. c) Ausnahme gemäß Art. 87 /11/it. c EGV

Den am häufigsten angewandten Ausnahmetatbestand bildet Art. 87 III lit. c EGV, der für Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete gilt, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. aa) Förderung gewisser Wirtschaftsgebiete Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV betrifft Regionalbeihilfen und unterscheidet sich von Art. 87 III lit. a EGV dadurch, daß er einerseits die Förderkulisse erweitert, indem er nicht so strenge Anforderungen an die Benachteiligung des Gebietes stellt, andererseits aber die Genehmigungsvoraussetzungen erheblich verschärft. 106 So können schon Gebiete gefördert werden, die im Vergleich zu ihrem Mitgliedstaat rückständig sind, wenn ihr Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung höchstens 85 Prozent des Landesdurchschnitts beträgt oder die Arbeitslosigkeit mindestens zehn Prozent über dem nationalen Durchschnitt liegt. 107 Zusätzlich wird die relative Lage der Region innerhalb der Gemeinschaft berücksichtigt, wobei das Ungleichgewicht innerhalb des Mitgliedstaates desto größer sein muß, je besser dessen ökonomische Lage insgesamt ist. Dadurch soll verhindert werden, daß durch nationale Regionalbeihilfen auf der Ebene der Gemeinschaft neue Ungleichgewichte entstehen, was dem Ziel des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts aus Art. 158 EGV widerspräche. Anband dieser Kriterien legt die Kommission zunächst einen maximalen Bevölkerungsanteil pro Mitgliedstaat fest, der in einer Region des Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV leben darf. Die Auswahl der konkreten Fördergebiete ist dagegen Sache der 10' EuGel Slg. 199511, 1971, 1981 in verb. Rs. T-447, 448, 449/93 (AITEC, British Cement und Titan); Handkommentar!Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 37. 106 Streinz, Rn. 855. 107 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 30.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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Mitgliedstaaten, 108 wobei diese allerdings eine objektive und transparent nachprüfbare Methode verwenden müssen. So kann etwa als zusätzliches Kriterium eine geringe Bevölkerungsdichte berücksichtigt werden. Derzeit leben 20 Prozent der Unionsbevölkerung in einem Fördergebiet nach Art. 87 ill lit. c Alt. 2 EGV. Wie bei Art. 87 ill lit. a EGV müssen die zur Verfügung gestellten Mittel für Erstinvestitionen oder zur Arbeitsplatzschaffung verwendet werden. Dieses Erfordernis ist beispielsweise nicht erfüllt, wenn die öffentliche Hand einem Unternehmen Kapital ohne jede Zweckbindung zuführt. 109 Wiederum muß die Beihilfe der gesamten Region zugute kommen, weshalb auch Art. 87 m lit. c Alt. 2 EGV normalerweise nur hinsichtlich von Maßnahmen in Betracht kommt, die im Rahmen von Beihilfeprogrammen durchgeführt werden. 110 Die zulässigen Beihilfeintensitäten sind mit höchstens 10-30 Prozent geringer als bei Art. 87 m lit. a EGV, wobei bei kleinen und mittleren Unternehmen ein Zuschlag von weiteren zehn Prozentpunkten zulässig sein kann. 111 Auch die Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse folgt hier strengeren Maßstäben, da die regionalen Probleme nicht so gravierend sind. Insbesondere werden von dem Beihilfeempfänger höhere Gegenleistungen verlangt. bb) Förderung gewisser Wirtschaftszweige Art. 87 III lit. c Alt. 1 EGV erlaubt die Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige, falls dieser keine überwiegenden Gemeinschaftsinteressen gegenüberstehen. Unter dem Begriff "Wirtschaftszweige" sind nicht nur ganze Branchen zu verstehen, sondern ganz allgemein bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten. 112 Die Vorschrift stellt somit einen Auffangtatbestand dar und betrifft neben der sektoralen Förderung auch sonstige horizontale Beihilfen, also solche, denen es an einer regionalen oder sektoralen Spezifität fehlt.113 Möglich sind also auch Interventionen zu108 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 12f. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zu der alten Vorgehensweise, nach der die Fördergebiete direkt aufgrund der von der Kornmission durchgeführten Berechnungen festgelegt wurden, siehe die Mitteilung der Kornmission über die Methode zur Anwendung von Art. 92 III lit. a und c EGV auf Regionalbeihilfen, ABI. 1988, Nr. C 212, 2, 5. Die Größe der Gebietseinheiten orientiert sich generell an der NUTS III-Ebene, die auch für die Rirderung aus den gemeinschaftlichen Strukturfonds herangezogen wird. In Deutschland wird dagegen auf die Arbeitsrnarktregionen zurückgegriffen. 109 Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 172, 76, 84 (lrnepiel). 11o Siehe D. II. 2. a) bb)(2). 111 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 15. 112 Diese weite Auslegung ergibt sich aus einem Vergleich mit der englischen ("certain economic activities") und französischen ("certaines activit6s 6conorniques") Sprachfassung. So auch GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 105. 113 Grundvoraussetzung ist natürlich, daß sich diese Interventionen ihrer Wirkung nach als Begünstigung einzelner oder einer abgrenzbaren Gruppe von Gesellschaften darstellen, da sie ansonsten nicht die "Begünstigung bestimmter Unternehmen und Produktionszweige" im Sin-

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 li, III EGV

gunsten von Gesellschaften etwa zur Unterstützung von Forschung und Entwicklung, von Umweltschutzvorhaben oder von kleinen und mittleren Unternehmen. 114 In diesem Zusammenhang darf sich der Staat auch am Kapital der jeweiligen Gesellschaften beteiligen, solange die zur Verfügung gestellten Mittel zweckgebunden verwendet werden und die Kapitalzufuhr nicht anderen Gemeinschaftsinteressen zuwiderläuft. Vor allem darf den Unternehmen kein unangemessener Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren Konkurrenten eingeräumt werden. Unzulässig sind dagegen allgemeine Investitionsbeihilfen, die unabhängig von anderen Förderzwecken gewährt werden sollen. Die Begünstigungen müssen nämlich für die Entwicklung erforderlich sein und daher einen Anreiz darstellen, unternehmerisches Verhalten in Richtung eines im Gemeinschaftsinteresse liegenden Zieles zu lenken, das allein durch die Marktkräfte nicht erreicht würde. Investitionen werden aber grundsätzlich auch ohne staatliche Beihilfen getätigt, sie sind die Grundvoraussetzung dafür, im Wettbewerb erfolgreich zu sein. 115 Ihre Förderung kann daher nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie zur Erfüllung anderer Ziele wie beispielsweise der Regionalentwicklung 116 oder der Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen beitragen. Auch Beihilferegelungen zugunsten ganzer Branchen steht die Kommission ablehnend gegenüber, vielmehr fordert sie, daß die Mitgliedstaaten bei der Subventionsvergabe den Grundsatz der intersektoralen Neutralität wahren. 117 Dabei betont sie die allgemeine Wirkungslosigkeit jeglicher sektoraler Politik interventionistischer Prägung und räumt im Gegenzug den horizontal angelegten Maßnahmen zur Förderung der Strukturanpassung den Vorzug ein. Letztere Maßnahmen seien eher geeignet, die Rahmenbedingungen für die Unternehmen der Gemeinschaft insgesamt zu verbessern, und kämen somit eher für eine Ausnahme vom generellen Beihilfeverbot in Frage. 118 Aus diesem Grund ist auch die Abschaffung der sektoralen Sonderregeln für die Beihilfenkontrolle geplant, an deren Stelle branchenübergreifende Regelungen treten sollen. So hat die Kommission bereits im Jahr 1998 einen multisektoralen Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben eingeführt.119 ne von Art. 87 I EGV zur Folge haben. Allgemeine staatliche Maßnahmen der Wirtschaftsförderung unterfallen hingegen nicht dem Beihilfeverbot, siehe oben C. III. 114 Vergleiche dazu den Gemeinschaftsrahmen für staatliche Forschung- und Entwicklungsbeihilfen, ABI. 1996, Nr. C 45, 5 ff.; Gemeinschaftsrahmen für staatliche Umweltschutzbeihilfen, ABI. 1994, Nr. C 72, 3ff.; Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr. C 213, 4ff. 115 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 106. 116 Siehe dazu D.Il. 2. a)bb)(l). 117 Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung, ABI. 1998, Nr. C 74, 9, 10. 118 XXI. Wettbewerbsbericht 1991, S.179; XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.194. 119 Multisektoraler Regionalbeihilferahmen für große Investitionsvorhaben, ABI. 1998, Nr.C 107, 7ff.; zu diesem Thema auch GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn.178ff.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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cc) Förderung von Unternehmen in Schwierigkeiten Die Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten stellt ebenfalls einen Beihilfezweck dar, der nach Art. 87 ill lit. c Alt. 1 EGV gerechtfertigt sein kann. In bezug auf staatliche Kapitalbeteiligungen stellt diese Gruppe den weitaus größten Anteil der Fälle dar. Zum Zwecke der einheitlichen und transparenten Beurteilung hat die Kommission neue Leitlinien erlassen, in denen sie ihre Vorgehensweise bei der Prüfung dieser Vorhaben erläutert. 120 Als Unternehmen in Schwierigkeiten wird danach eine Gesellschaft betrachtet, die nicht in der Lage ist, mit eigenen Mitteln oder von ihren Gläubigem bereitgestelltem Fremdkapital Verluste zu beenden, die das Unternehmen kurz- oder mittelfristig so gut wie sicher in den wirtschaftlichen Untergang treiben werden, wenn der Staat nicht eingreift. Bei Kapitalgesellschaften gilt das insbesondere, falls mehr als die Hälfte des gezeichneten Kapitals bereits verschwunden ist und mehr als ein Viertel dieses Kapitals während der letzten zwölf Monate verlorenging oder falls die Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfüllt sind. 121 Typische Symptome sind unter anderem zunehmende Verluste, sinkende Umsätze, Überkapazitäten und eine ansteigende Verschuldung.•22 Neugegründete Unternehmen kommen für Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen selbst dann nicht in Betracht, wenn ihre anfängliche Finanzsituation prekär ist. Dies gilt vor allem, wenn sie aus der Abwicklung oder der Übernahme der Vermögenswerte einer anderen Gesellschaft entstanden sind. 123 Tochtergesellschaften eines Konzerns können nur dann unterstützt werden, wenn es sich um spezifische Schwierigkeiten des einzelnen Unternehmens handelt und diese zu gravierend sind, um von dem Konzern selbst bewältigt zu werden. Rettungsbeihilfen dienen dazu, die Gesellschaft für einen begrenzten Zeitraum, der in der Regel sechs Monate nicht überschreiten soll, am Leben zu erhalten, um in dieser Zeit einen Umstrukturierungsplan zu erstellen und die Entscheidung der 120 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2ff. Diese ersetzen die älteren Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1994, Nr. C 368, 12 ff. 121 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2. 122 Ähnliche Kriterien werden auch schon zur Beurteilung der Frage herangezogen, ob eine Kapitalbeteiligung der öffentlichen Hand eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV darstellt, vergleiche dazu oben C. I. 4. a). 123 Die scheinbare Neugründung eines Unternehmens zur Fortsetzung einer unrentablen Tätigkeit ist also nicht nur ein Indiz für das Vorliegen einer Beihilfe, siehe C. I. 4. a) ee), sondern derartige Falle werden auch von einer Genehmigung nach Art. 87 III lit. c Alt. 1 EGV ausgeschlossen.

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

Kommission über diesen Plan abzuwarten. Sie dürfen nur in Form von Bürgschaften oder Darlehen zu Konditionen gewährt werden, die bei gesunden Unternehmen üblich sind. 124 Die Zufuhr von Eigenkapital ist hingegen nicht gestattet. Die Genehmigung einer Rettungsbeihilfe präjudiziert auch nicht die spätere Entscheidung über den Umstrukturierungsplan. Umstrukturierungsbeihilfen zielen demgegenüber auf eine grundlegende Neuorganisation und Rationalisierung der Aktivitäten der Gesellschaft ab, um deren Lebensfähigkeit wiederherzustellen. Sie gehen einher mit grundlegenden Veränderungen beim Personal, bei den Mitteln und dem Verfahren der Produktion, der Produktionskapazität und bei anderen Aspekten der Tätigkeit des Unternehmens. 125 Zu diesem Zweck sind auch staatliche Kapitaleinlagen erlaubt. Umstrukturierungsbeihilfen sind jedoch für den Wettbewerb besonders problematisch, weil sie dazu führen können, daß ein unangemessener Teil der Strukturanpassungslasten und der damit verbundenen sozialen und wirtschaftlichen Probleme auf nicht begünstigte Marktteilnehmer und auf andere Mitgliedstaaten abgewälzt wird. 126 Daher müssen sie strenge Kriterien erfüllen, sie können nur zugelassen werden, wenn die gemeinschaftlichen Vorteile der Weiterführung des Unternehmens die Nachteile für den freien Wettbewerb zumindest ausgleichen. Die Kommission hat die Voraussetzungen für eine Freistellung solcher Beihilfen weiter verschärft. So will sie beispielsweise Beihilfeprogramme für Unternehmen in Schwierigkeiten in Zukunft nur noch für kleine und mittlere Unternehmen genehmigen.127 Alle anderen Fälle müssen einzeln im voraus notifiziert werden und werden nach strengen Maßstäben überprüft. Zu den Kriterien gehören die Geeignetheil der Maßnahmen zur Wiederherstellung der Lebensfähigkeit der Gesellschaft, die Begrenzung der Beihilfe auf ein Minimum und die Vermeidung unzumutbarer Wettbewerbsverfälschungen.128 124 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 4. 125 So schon der Generalanwalt in EuGH Slg. 1990 I, 307, 347 in Rs. C-301/87 (Boussac). 126 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 25 (Enichem Agricoltura); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 300, 23, 31 (Iritecna). 127 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 10. Damit werden Beihilfeprogramme für größere Unternehmen in Schwierigkeiten bald der Vergangenheit angehören. Programme, die Kapitalbeteiligungen an Krisenunternehmen vorsehen, sind aufgeführt im XXVIII. Wettbewerbsbericht 1998, S. 293; XXI. Wettbewerbsbericht 1991, S. 179. Gleiches gilt für einen brandenburgischen Konsolidierungsfonds, vergleiche die Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 326, 57, 60 (Kranbau Eberswalde). 128 Sollte eine Kapitalbeteiligung an einem sich in Schwierigkeiten befindenden Unternehmen anband dieser Kriterien für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden, dann erlegt die Kommission dem Mitgliedstaat regelmäßig eine Reihe weiterer Verpflichtungen auf, um kontrollieren zu können, ob die Bedingungen der Genehmigung auch eingehalten werden. Dazu gehört die vollständige Durchführung des Umstrukturierungsplans, die Einhaltung der Auflagen sowie eine regelmäßige Kontrolle der Fortschritte der Sanierung anband detaillierter

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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(1) Wiederherstellung der Lebensfähigkeit Grundvoraussetzung für die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ist, daß durch sie die langfristige Rentabilität des Unternehmens wiederhergestellt wird. 129 Nach der Sanierungsphase muß dieses dem Wettbewerb wieder aus eigener Kraft gewachsen sein. Anderenfalls ist die staatliche Intervention nicht geeignet, einen dauerhaften Beitrag zur Entwicklung der unterstützten Gesellschaft zu leisten. Nicht ausreichend ist insbesondere der bloße Erhalt des status quo.130 Werden nämlich nur unrentable Strukturen erhalten, so wird die Lebensfähigkeit des Unternehmens zwar künstlich verlängert, sein Untergang wird aber letztlich dennoch nicht zu vermeiden sein. Die Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, daß die staatliche Kapitaleinlage selbst eine angemessene Rendite erreichen muß, da dann schon gar keine Beihilfe vorliegt. Zur Verneinung der Beihilfeeigenschart im Sinne von Art. 87 I EGV ist bei einem Unternehmen in Schwierigkeiten erforderlich, daß sich für die gewährten Mittel nach Abschluß der Sanierungsphase für den gesamten Zeitraum eine Mindestrendite ergibt, die aus der branchenüblichen Verzinsung und einer angemessenen Risikoprämie besteht. 131 Zur Rechtfertigung nach Art. 87 III lit. c Alt. 1 EGV reicht es hingegen aus, daß das Unternehmen erst nach Abschluß der Umstrukturierung wieder eine Mindestverzinsung des eingesetzten Kapitals erwirtschaftet,132 um so alle anfallenden Kosten selber tragen und allein am Markt bestehen zu können. Für den Begriff der Langfristigkeit läßt sich keine starre Grenze festlegen. Umstrukturierungspläne haben in der Regel eine Dauer von drei bis fünf Jahren, erst nach deren Ende müssen die zukünftig zu erwartenden Erträge die zu fordernde Mindestrendite ergeben. Dabei ist allerdings zu beachten, daß hinreichend exakte unternehmensspezifische Entwicklungsprognosen nur für einen Zeitraum bis zu maximal acht Jahren möglich sind. 133

Jahresberichte, vergleiche zu den Einzelheiten die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 7 ff. 129 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 5 f.; Handkommentar/Magiera, Art. 92 EGV, Rn. 39; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 103, 19, 29 (Soci~t~ de Banque Occidentale); ldot in RTD eur. 1998,295, 303. IJo Entscheidung der Kommission, ABI. 1992, Nr. L 172, 76, 84 (Imepiel); Geiger, Art. 92 EGV, Rn.27. IJI Siehe C.I.4.b)bb)(l}. 132 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 6; Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr.L 67, 31, 39 (Thomson). m Vergleiche C.I.3.d)dd).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

(a) Erfordernis eines Umstrukturierungsplans Die Kommission macht die Gewährung der Beihilfe von der Durchführung eines Umstrukturierungsplans abhängig, 134 der eingehend geprüft wird. Die Vorlage eines solchen Planes ist also nicht nur Voraussetzung für die Vemeinung der Beihilfeeigenschaft im Rahmen von Art. 87 I EGV, sondern auch für eine Genehmigung gemäß Art. 87 lli lit. c Alt. 1 EGV. Die Beweislast für die Tragfähigkeit des Sanierungsprogramms liegt bei den Mitgliedstaaten. 135 In ihren Leitlinien hat die Kommission eine Reihe formaler und inhaltlicher Bedingungen aufgestellt, die der Umstrukturierungsplan erfüllen muß.136 In formeller Hinsicht verlangt sie, daß der Umstrukturierungsplan die Umstände beschreibt, die zu den Schwierigkeiten des Unternehmens geführt haben. Außerdem ist eine Marktstudie vorzulegen. Der Plan muß des weiteren die Situation und voraussichtliche Entwicklung von Angebot und Nachfrage durch verschiedene Szenarien berücksichtigen, die einer optimistischen, einer pessimistischen und einer mittleren Hypothese entsprechen. 137 Grundsätzlich kann man davon ausgehen, daß die Chancen für eine Genehmigung der staatlichen Maßnahme desto besser stehen, je detaillierter und besser strukturiert das Sanierungsprogramm ist. Inhaltlich ist zu fordern, daß der Plan eine Wiederherstellung der Rentabilität in einer angemessenen Frist und auf Grundlage realistischer Annahmen ermöglicht. Wann diese Frist noch als angemessen betrachtet wird, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalles, insbesondere von der Schwere der Probleme und der Größe der Gesellschaft ab. 138 Die Lebensfähigkeit muß vor allem durch unternehmensinterne Maßnahmen wiederhergestellt werden, externe Faktoren wie Preisoder Nachfrageschwankungen dürfen nur dann berücksichtigt werden, wenn die betreffenden Marktprognosen allgemein anerkannt werden. 134 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 5; Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 25, 26,41 (Head 'JYrolia Mares); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr.L 272, 46, 51 (Breda Fucine Meridionali). Der vorübergehende Verzicht der Kommission auf einen Umstrukturierungsplan, wie er in dem Urteil des EuGei Slg. 1998ll, 3235, 3268 in Rs.T-11/95 (BP Chemicals}, nachgewiesen ist, liegt in den besonderen Umständen des Einzelfalls begründet und darf keinesfalls verallgemeinert werden. 135 Vergleiche D. II. 136 Diese Anforderungen an den Sanierungsplan sind von der Kommission nur im Zusammenhang mit der Ausnahmebestimmung des Art. 87 llllit. c Alt. 1 EGV festgeschrieben worden. Ihre Beachtung dürfte aber auch auf die Bewertung der staatlichen Kapitalbeteiligung im Rahmen von Art. 87I EGV positive Auswirkungen haben. 137 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 6. l38 In der Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 326, 57, 63 (Kranbau Eberswalde), wurde es beispielsweise als angemessen angesehen, daß das Unternehmen seine Rentabilität innerhalb von vier Umstrukturierungsjahren wiedererlangen sollte.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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Die vorgesehenen Maßnahmen müssen der Reorganisation und Rationalisierung der Tätigkeiten des Unternehmens dienen. 139 In Bereichen, die auch nach den Sanierungsbemühungen defizitär bleiben würden, ist ein Rückzug der Gesellschaft unvermeidbar, andere Felder, die wieder wettbewerbsfahig werden können, sind umzustrukturieren. In manchen Situationen kann auch die Erschließung neuer Tatigkeitsbereiche geboten sein. 140 Meistens ist zur Wiedererlangung der Rentabilität jedoch eine Beschränkung der Produktionskapazitäten erforderlich, da die Gesundung der Gesellschaft nur durch eine massive Kostensenkung zu erreichen ist. 141 Diese betrieblichen Umstrukturierungsmaßnahmen müssen in der Regel mit einer finanziellen Umstrukturierung in Form von Kapitalzuführungen und einem Abbau der Verschuldung einhergehen. Umgekehrt darf sich die Sanierung allerdings nicht auf die Schuldentilgung beschränken, ohne die Ursachen der Krise anzugreifen. Auch eine bloße Modernisierung bestehender Anlagen ohne grundlegende Veränderungen oder eine Fortsetzung der Tätigkeit des Unternehmens in größerem Umfang reichen nicht aus zur Wiederherstellung der Wettbewerbsfahigkeit. 142

(b) Beabsichtigte Privatisierung Seit einigen Jahren versuchen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, einen Teil ihrer öffentlichen Unternehmen zu privatisieren. Gerade bei defizitären Gesellschaften ist es jedoch häufig schwierig, Käufer zu finden. Daher sehen sich die Mitgliedstaaten in vielen Fällen genötigt, im Rahmen der Veräußerung dem Unternehmen eine letzte Kapitalzufuhr aus öffentlichen Mitteln zu gewähren, die aus marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht zu vertreten ist. 143 Auch diese Beihilfen können gemäß Art. 87 lli lit. c EGV freigestellt werden, falls dessen Voraussetzungen eingehalten werden. 139 In dem Urteil des EuGel Slg. 1997 II, 2031, 2052 in Rs. T-149/95 (Ducros), wurde die Vereinbarkeil von Kapitaleinlagen mit dem Gemeinsamen Markt bestätigt, die im Zusammenhang mit einem Umstrukturierungsplan gewährt wurden, der eine Senkung der Gesamtkapazitäten um 50 Prozent, die Aufgabe ganzer Tätigkeitsfelder, eine Erhöhung der Produktivität durch Personalabbau und die Ersetzung veralteter Ausrüstungen sowie die Übertragung der Endbearbeitung an Subunternehmer vorsah. Als positiv wurde es in der Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 80, 32, 38 (Enirisorse), bewertet, daß die Gesellschaft gemäß dem Sanierungsplan alle nichtstrategischen Geschäftsbereiche abstieß, um sich auf ihr Kerngeschäft zu konzentrieren. 140 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 3. 141 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 58 (Alitalia). 142 EuGel Slg. 1998 II, 2405, 2453 f. in verb. Rs. T-371, 394/94 (British Airways und British Midland); EuGH Slg. 19941,4103,4167 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa, lmepiel und Intelhorce); EuGH Slg. 19901, 307, 365 in Rs. C-301/87 (Boussac). 143 Siehe oben C.I.4.b)bb)(3).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

Erste Bedingung hierfür ist, daß durch die Privatisierung und den mit ihr verbundenen Umstrukturierungsplan die Rentabilität der Gesellschaft langfristig wiederhergestellt wird. Dabei geht die Kommission grundsätzlich davon aus, daß durch eine Privatisierung die Erfolgschancen des Sanierungsprogramms vergrößert werden,144 da es der marktwirtschaftliehen Logik entspreche, daß sich private Investoren nur dann engagierten, wenn sie letztendlich mit einer angemessenen Rendite rechneten. Der Umstand, daß ein Unternehmen in den privaten Sektor übergeht, ist für sie zumeist ein überzeugender Beweis dafür, daß der Umstrukturierungsplan geeignet ist, die Lebensfähigkeit nachhaltig wiederherzustellen. Teilweise wird eine Privatisierung sogar zur unabdingbaren Voraussetzung erhoben, damit die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewonnen werden kann. 145 Wegen der in Art. 295 EGV festgeschriebenen Neutralität der Gemeinschaft gegenüber den bestehenden Eigentumsordnungen kann die Kommission eine Überführung in den privaten Sektor allerdings rechtlich nicht erzwingen. Sie kann jedoch die Zusage eines Mitgliedstaates, die umzustrukturierende Gesellschaft zu privatisieren, zur Kenntnis nehmen 146 und zur Grundlage ihrer Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt machen. Aufgrund des Erfordernisses der Wiederherstellung der Rentabilität kann die Einhaltung dieser Zusage sogar zu einem verbindlichen Element der Kommissionsentscheidung gemacht werden. 147 Für derartige Auflagen kommen vor allem "rückfallige" Unternehmen in Betracht, also öffentliche Unternehmen, die bereits früher ohne Erfolg Sanierungsbeihilfen erhalten haben. In diesen Fällen hat sich der betreffende Mitgliedstaat nämlich als unfähig erwiesen, die Rentabilität ohne massive Unterstützung eines privaten Partners sicherzustellen. 148 Wegen dieser Entscheidungspraxis der Kommission kann man davon sprechen, daß zwar kein rechtlicher Zwang zur Überführung in den privaten Sektor besteht, wohl aber ein faktischer Privatisierungsdruck.

(2) Grundsatz des Interventionsminimums Um den Eingriff in den freien Wettbewerb möglichst gering zu halten, muß die Höhe der Beihilfe und die Art ihrer Verwendung auf das zur Sanierung unbedingt erforderliche Mindestmaß beschränkt werden.

Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr.L 308,92, 116 (Credit Lyonnais). Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1, 10 (Bull). 146 Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322, 44, 58 (Alitalia); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 279, 29,40 (TAP). 147 Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 118 (Credit Lyonnais). 148 XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.19l. 144

14s

Il. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 Ili EGV

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(a) Vergleich mit anderen Sanierungsalternativen Es muß geprüft werden, ob nicht auch mit milderen Mitteln das Ziel der Wiedergewinnung der langfristigen Rentabilität genauso gut erreicht werden könnte. Zu diesem Zweck wird der vorgelegte Umstrukturierungsplan von der Kommission mit anderen Sanierungsmöglichkeiten verglichen. 149 Dagegen spielt der Vergleich mit den Liquidationskosten der Gesellschaft150 hier keine Rolle mehr, da es nicht wie im Rahmen von Art. 87 I EGV darum geht zu bewerten, ob eine Umstrukturierung dem Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden Investors entspricht, sondern darum, ob für die Sanierung die für den Wettbewerb schonendsten Mittel verwandt werden. Die staatliche Kapitalzufuhr ist jedenfalls nicht erforderlich, falls die Marktkräfte allein ausreichen, um den Sanierungserfolg herzustellen. Doch selbst, wenn dies nicht der Fall ist, müssen die Beihilfeempfänger aus eigenen Mitteln einen bedeutenden Beitrag zu dem Umstrukturierungsplan leisten.m Dazu kann auch die Aufnahme von Fremdmitteln zu Marktbedingungen oder der Verkauf von Vermögenswerten gehören, sofern diese für den Fortbestand des Unternehmens nicht unerläßlich sind. Ferner dürfen die finanziellen Belastungen der Gesellschaft nicht über Gebühr reduziert werden. Durch die Gewährung der Mittel darf dem Unternehmen keine überschüssige Liquidität zugeführt werden, die es zu einem aggressiven und marktverzerrenden Verhalten in von dem Umstrukturierungsprozeß nicht betroffenen Geschäftsbereichen verwenden könnte.152 Zu diesem Zweck kann die Kommission auch eine Kumulierung von Beihilfen während des Umstrukturierungszeitraums verbieten. Der Umstrukturierungsplan selbst muß in seiner Laufzeit möglichst begrenzt sein. Bei seiner Durchführung ist darauf zu achten, daß das zugeführte Kapital nicht 149 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. L 78, 1, 6 (GAN). Aus diesem Grund unzutreffend EuGel Slg. 1999 Il, Rn. 131 in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 15.12.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung), wo ein Vergleich der Umstrukturierungskosten bei Veräußerung an einen Wettbewerber mit den Kosten bei Verkauf an einen Konkurrenten als unbeachtlich abgelehnt wurde. Entscheidend konnte l)ier nur sein, daß die zweite Möglichkeit mit höheren Folgekosten verbunden war. 1so Siehe C.I.4. b)bb)(2). 151 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 7; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 310, 56, 60 (Everts Erfurt); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 198, 1, 13 (Societe Marseillaise de Credit); Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 386, 1, 12 (Bull). 152 Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 28, 18, 26 (Enichem Agricoltura). Die in den alten Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1994, Nr. C 368, 12, 16, aufgestellte Bedingung, daß bestehende Steuergutschriften gelöscht werden müssen, falls die Beihilfe zur Begleichung von alten Schulden dient, da das Unternehmen sonst zweimal eine Beihilfe erhielte, wird in den neuen Leitlinien allerdings nicht mehr explizit erwähnt.

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D. Ausnalunetatbestände des Art. 87 II, III EGV

zur Finanzierung von Neuinvestitionen verwendet werden darf, die für die Wiederherstellung der Lebensfähigkeit nicht unbedingt notwendig sind. 153 Ebensowenig darf die Beihilfe es dem Empfänger ermöglichen, während der Durchführung des Sanierungsplans seine Produktionskapazitäten zu erweitern, außer wenn dies zur Wiederherstellung der langfristigen Rentabilität des Unternehmens erforderlich ist. Diese Erforderlichkeitsprüfung wird auch bei Kapitalzuführungen im Vorfeld von Privatisierungen vorgenommen. Dabei kann es vorkommen, daß die Kommission der Auffassung ist, daß die Sanierung und Veräußerung des öffentlichen Unternehmens auch ohne oder mit einer geringeren Bereitstellung zusätzlicher Mittel hätten durchgeführt werden können.154 Generell steht sie Privatisierungen aber positiv gegenüber, sie geht insbesondere davon aus, daß ein börsenmäßiger Verkauf oder eine unbedingte Ausschreibung zu einem Verschwinden des überschüssigen Teils der Beihilfe führen wird, indem der Erlös wieder an die staatliche Stelle zurückfließt.155 (b) Prinzip der einmaligen Gewährung Um eine mißbräuchliche Förderung zu vermeiden, dürfen Umstrukturierungsbeihilfen grundsätzlich nur einmal gewährt werden. Die Kommission nimmt an, daß eine einmalige Mittelgewährung ausreichend sein muß zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit, zumal sie schon den ersten Sanierungsplan auf dessen Tauglichkeit hin untersucht hat. Eine wiederholte Beihilfe dürfe dann normalerweise gar nicht mehr erforderlich sein. Die zeitliche Grenze für den Ausschluß der weiteren Förderbarkeit liegt bei zehn Jahren seit der letzten Umstrukturierungsphase, auch eine Änderung der Eigentumsverhältnisse an der Gesellschaft während dieses Zeitraums spielt zumeist keine Rolle. Eine Ausnahme hiervon kommt nur unter außergewöhnlichen und unvorhersehbaren Umständen in Betracht, die das Unternehmen nicht zu vertreten hat.I56 Der Grundsatz der einmaligen Gewährung gilt auch für Privatisierungsmaßnahmen.157 Die Beachtung dieses Prinzips ist nach Auffassung der Kommission hier alm Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 7; GTE!Mederer, Art. 92 EGV, Rn.146. 154 Entscheidung der Kommission, ABI. 1989, Nr. L 25, 92, 98 (Rover). 155 EuGel Slg. 1997 II, 2031, 2053 in Rs. T-149/95 (Ducros); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr.L 308,92, 116 (Credit Lyonnais). 156 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 8. Vergleiche auch die Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 310,56,61 (Everts Erfurt), in der die von dem Tochterunternehmen nicht zu verantwortende Insolvenz der Muttergesellschaft als ein außergewöhnlicher Umstand anerkannt wurde. Durch diese Ausnalunemöglichkeit von dem Prinzip der einmaligen Gewährung dürfte sich der Einwand vonJestaedt!Miehle in EuZW 1995, 659, 663, erledigt haben, daß der Grundsatz zu unbilligen Ergebnissen führen könne. 1s1 XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.191.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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lerdings eher gewährleistet, da eine Übertragung auf den privaten Sektor dazu führe, daß die Gesellschaft in Zukunft nicht mehr so leicht öffentliche Mittel erhalten könne.

(3) Vermeidung unzumutbarer Wettbewerbsverfälschungen In einem nächsten Schritt ist eine Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse an einem unverfälschten Wettbewerb vorzunehmen. Erst wenn die gemeinschaftlichen Vorteile einer Fortführung des Unternehmens den durch die Subventionierung entstehenden Nachteilen wenigstens entsprechen, kann die Kapitaleinlage für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werden. Je größer dabei die durch die Beihilfe verursachten Marktverzerrungen sind, desto höher müssen die zu erbringenden Gegenleistungen sein. 158 Insbesondere die nachteiligen Auswirkungen auf Konkurrenten müssen möglichst abgemildert werden, weshalb von dem Beihilfeempfänger eine Begrenzung oder sogar ein Abbau von Produktionskapazitäten verlangt werden kann. Es kommen aber auch andere im Gemeinschaftsinteresse liegende Vorteile und Gegenleistungen in Betracht. (a) Gegenleistung in Form einer Kapazitätsanpassung Regelmäßig wird von der begünstigten Gesellschaft eine Begrenzung oder Reduzierung ihrer Marktpräsenz verlangt. Bei einem Unternehmen in Schwierigkeiten muß diese Gegenleistung in zusätzlichen Anstrengungen des Beihilfeempfängers über das für seine Sanierung erforderliche Maß hinaus bestehen. 159 Es genügt beispielsweise nicht, wenn sich ein Personalabbau schon als notwendige Folge der Modernisierung bestehender Produktionsanlagen oder aufgrund allgemeiner wirtschaftlicher Entwicklungen ergibt. 160 Der Umfang der Kapazitätsanpassung muß proportional zu dem Ausmaß der Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels ausfallen. So führen etwa eine extrem hohe Beihilfe, eine besondere Größe des Unternehmens oder seine starke Exportorientiertheit zu höheren Anforderungen an die zu erbringende Gegenleistung.161 Vor allem sind jedoch die Verhältnisse auf dem relevanten Markt zu berücksichtigen. 158 Daher müssen auch im Falle einer nachträglichen Änderung des Umstrukturierungsplans bei einer Heraufsetzung der Beihilfehöhe die verlangten Gegenleistungen erhöht werden, während bei einer Verringerung der angebotenen Gegenleistungen der Beihilfebetrag zu kürzen ist, vergleiche die Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 9. 159 Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 116, 36, 52 (Banco di Napoli). 160 GTE/Mederer, Art. 92 EGV, Rn. 150. 161 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 6; Entscheidung der Kommission, ABl. 1998, Nr.L 78, 1, 24 (GAN).

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

Bestehen hier strukturelle Überkapazitäten, so muß der Umstrukturierungsplan durch einen endgültigen Kapazitätsabbau zu deren Verminderung beitragen. Ein Kapazitätsabbau gilt als endgültig, wenn die Anlagen endgültig unbrauchbar gemacht oder endgültig auf andere Zwecke umgestellt werden. 162 Die Veräußerung von Produktionskapazitäten an Konkurrenten reicht in diesem Zusammenhang nicht aus, es sei denn, die Maschinen werden zur Verwendung in einen Weltteil verkauft, wo von ihrem weiteren Betrieb keine wesentlichen Auswirkungen auf die Wettbewerbslage in der Gemeinschaft zu erwarten sind. Die Reduzierung der Kapazitäten muß zu einer Verringerung der Marktpräsenz der unterstützten Gesellschaft führen. Die Anforderungen bei Nichtvorliegen von strukturellen Überkapazitäten sind durch die neuen Leitlinien der Kommission verschärft worden. 163 In Zukunft wird hier dennoch untersucht, ob nicht Gegenleistungen verlangt werden sollten. Umfassen die Gegenleistungen einen Kapazitätsabbau des betreffenden Unternehmens, so kann dieser allerdings in Form einer Veräußerung von Produktionsanlagen oder Tochterunternehmen erfolgen. Die Kommission überprüft die von dem Mitgliedstaat vorgeschlagenen Maßnahmen, wobei sie unter anderem dem Marktwachstum und dem Grad der Nachfragedeckung Rechnung tragen will. 164 (b) Andere Vorteile und Gegenleistungen Neben Kapazitätsanpassungen kommen noch weitere im Gemeinschaftsinteresse liegende Vorteile und Gegenleistungen in Betracht, welche die Wettbewerbsverfälschung ausgleichen und eine Genehmigung der Beihilfe ermöglichen können. Diese müssen zur Verwirklichung der Gemeinschaftsziele aus Art. 2, 3 EGV beitragen. Zunächst ist hier ein möglicher Beitrag zur Regionalentwicklung zu nennen. Die Verringerung des Rückstandes benachteiligter Gebiete stellt eine Aufgabe der Gemeinschaft dar, zu deren Bewältigung gemäß Art. I 5912 EGV die übrigen Politiken beitragen sollen. Diese Querschnittsklausel stellt zwar keinen eigenen Rechtfertigungsgrund für staatliche Beihilfen dar, sie ist aber von der Kommission bei der Ausübung ihres Ermessens zu beachten. 165 Der Standort allein reicht jedoch für eine Genehmigung der Kapitalzufuhr nicht aus, zumal einer Region mit der Unterstützung von Unternehmen, die aus strukturellen Gründen auf Dauer nicht erhalten wer162 EuGel Slg. 1997 II, 2031, 2053 in Rs. T-149/95 (Ducros); Entscheidung der Kommission, ABI. 1988, Nr.L 121,57,63 (Pechiney). 163 Nach den alten Leitlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1994, Nr.C 368, 12, 16, wollte die Kommission normalerweise keinen Kapazitätsabbau als Gegenleistung für die Beihilfe verlangen, weM auf dem Markt keine strukturellen Überkapazitäten bestehen. In diesem SiMe auch die Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 279, 29, 39 (TAP). 164 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 7. 165 Siehe oben B.II.4.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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den können, mittel- bis langfristig nicht gedient ist. 166 Daher werden die allgemeinen Kriterien für Umstrukturierungsbeihilfen auch in Regionalfördergebieten angewandt. Allerdings legt die Kommission in diesen Gebieten bezüglich des verlangten Kapazitätsabbaus weniger strenge Maßstäbe an, falls die Bedürfnisse der Regionalentwicklung dieses rechtfertigen. Sie unterscheidet dabei zwischen Gebieten, die aufgrund von Art. 87 III lit. a EGV gefördert werden, und solchen, die unter Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV fallen, um den ernsteren regionalen Problemen der erstgenannten Gebiete Rechnung zu tragen.'67 Des weiteren ist eine Lockerung der geforderten Kapazitätsanpassungen möglich, falls der Fortbestand der Gesellschaft positive Auswirkungen auf den betroffenen Sektor insgesamt hat. Das gilt insbesondere, wenn nur so eine ausgewogene Wettbewerbsstruktur aufrechterhalten werden kann, da das Verschwinden des Unternehmens zu einer Monopol- oder Oligopolsituation führen würde. 168 Ferner darf die Kommission die Genehmigung der Beihilfe davon abhängig machen, daß der jeweilige Mitgliedstaat selbst Maßnahmen ergreift wie etwa die Öffnung bestimmter Märkte für andere Gemeinschaftsunternehmen. 169 Auch die Versorgung von Randbereichen der Gemeinschaft, falls diese ansonsten nicht sichergestellt wäre, rechtfertigt geringere Gegenleistungen. 170 Die erstmalige Einführung technischer Innovationen kann ebenfalls positive Auswirkungen auf die gesamte Branche haben, 171 und wegen des Ziels des Erhalts des Mittelstandes ist eine bevorzugte Behandlung kleiner und mittlerer Unternehmen erlaubt.172 Eine Prämie in Form geringerer Kapazitätsanpassungen für die Privatisierung öffentlicher Unternehmen ist dagegen nicht zulässig. 66 Vergleiche schon D. II. 2. a) bb) (3).

1

Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 9; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr.L 326,57,63 (Kranbau Eberswalde). 168 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 6; EuGel Slg. 1999 II, Rn. 97 in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 6.1 0 .1999, noch nicht in amtlicher Sammlung); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 322,44,60 (Alitalia); Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 310, 56, 60 (Everts Erfurt). 169 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 7; Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 279, 29, 42 (TAP). 170 Entscheidung der Kommission, ABI. 1994, Nr. L 54, 30, 38 (Aer Lingus). 171 In der Entscheidung der Kommission, ABI. 1988, Nr. L 121,57,63 (Pechiney), ist von einer "internationalen Pionierleistung" durch die getätigte Investition die Rede. 172 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 9; XXIV. Wettbewerbsbericht 1994, S.189. Auf die Fragen im Zusammenhang mit der Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen wird gesondert eingegangen. 167

10 Bonkamp

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

Schließlich kann der Erhalt des Beschäftigungsstandes in begrenztem Umfang in die Abwägung einfließen, zumal dieses Ziel nach Art. 127 II EGV bei der Durchführung anderer Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen ist. Das gilt vor allem, wenn der Nettoeffekt der durch den Untergang der Gesellschaft verursachten Entlassungen und die Auswirkungen auf die Zulieferer die lokalen, regionalen oder nationalen Probleme der Arbeitslosigkeit nachweislich verschärfen würde. 173 Dieser Nachweis dürfte jedoch nur in seltenen Fällen gelingen, da hier auf die langfristigen Auswirkungen auf die Beschäftigungslage abzustellen ist. Der Vertrag geht aber davon aus, daß eine positive Entwicklung der Lebensverhältnisse in der Gemeinschaft am besten durch einen freien Wettbewerb gesichert werden kann. Eine Dauersubventionierung unrentabler Arbeitsplätze ist jedenfalls nicht zulässig. 174 dd) Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen Beihilfen zugunsten von kleinen und mittleren Unternehmen175 werden von der Kommission eher genehmigt als Zuwendungen an größere Unternehmen. Begründet wird das mit der entscheidenden Rolle des Mittelstandes bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und generell als Faktor sozialer Stabilität und wirtschaftlicher Dynamik. Dabei stehen diese Gesellschaften erhöhten Hindernissen für ihre Entwicklung insbesondere hinsichtlich der Kapitalbeschaffung gegenüber. Die Ursachen hierfür liegen in ihrem begrenzten Zugang zu Informationen, der Zurückhaltung der Kapitalmärkte, Risiken einzugehen, und den begrenzten Sicherheiten, die kleine und mittlere Unternehmen bieten können. Zum Ausgleich dieser Marktmängel hat die Kommission erleichterte Voraussetzungen für die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen aufgestellt. Aber auch in Krisensituationen wird diese Gruppe von Gesellschaften privilegiert behandelt.

(1) Allgemeine Fördermöglichkeiten Die allgemeinen Bedingungen für eine Unterstützung des Mittelstandes hat die Kommission in einem Gemeinschaftsrahmen dargelegt. 176 Zur Anwendung der Ausnahmebestimmung des Art. 87 lit. c Alt. 1 EGV müssen auch diese staatlichen Beihilfen Anreizcharakter besitzen. Sie dürfen keinesfalls nur bewirken, daß die Kosten der Unternehmen fortlaufend oder regelmäßig gesenkt werden und damit

m

173 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 5. 174 Siehe oben B.ll. 4. m Zur Definition kleiner und mittlerer Unternehmen siehe C. I. 4. b) dd) sowie den Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr. C 213, 4, 5 f. 176 Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen, ABI. 1996, Nr. C 213, 4ff.

II. Rechtfertigung der Beihilfe durch Art. 87 III EGV

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der status quo aufrechterhalten wird. Außerdem müssen sie für Zielsetzungen erforderlich sein, die mit den Marktkräften allein nicht verwirklicht werden könnten. Die verfolgten Zwecke müssen im gemeinsamen Interesse liegen und die schädlichen Folgen für den Wettbewerb wettmachen. Für verschiedene Beihilfegegenstände werden unterschiedliche maximale Beihilfeintensitäten festgesetzt. So dürfen zum Beispiel materielle Investitionen zu höchstens 7,5-15 Prozent gefördert werden, in Regionalfördergebieten gemäß Art. 87 m lit. a EGV kann ein Zuschlag von fünfzehn Prozent und in Gebieten nach Art. 87 m lit. c Alt. 2 EGV von zehn Prozent auf den genehmigten regionalen Förderhöchstsatz zulässig sein. 177 Da der Gemeinschaftsrahmen für Beihilfen gleich welcher Art gilt, können auch Kapitaleinlagen der öffentlichen Hand hierunter fallen, falls die zugeführten Mittel zweckgebunden verwendet werden. 178 (2) Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen in Schwierigkeiten Bei Kapitalbereitsteilungen zugunsten von mittelständischen Gesellschaften in Krisensituationen gelten die allgemeinen Kriterien, die Kommission legt bei deren Prüfung jedoch weniger strenge Maßstäbe an. Insbesondere wird die Freistellung nicht generell von Gegenleistungen wie etwa einem Kapazitätsabbau abhängig gemacht.179 Dagegen gilt der Grundsatz der einmaligen Gewährung in vollem Umfang. Beihilfeprogramme zur Rettung und Umstrukturierung wird die Kommission in Zukunft nur noch zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen genehmigen. Auch diese Programme müssen grundsätzlich die allgemeinen Bedingungen erfüllen, wobei sie allerdings keine Verringerung der Präsenz der begünstigten Gesellschaften auf dem Markt vorsehen müssen. Wohl aber ist sicherzustellen, daß die Beihilfeernpranger während der Dauer des Sanierungsplans keine Kapazitätsaufstockungen vornehmen können. 180 In den Beihilferegelungen muß außerdem ein Höchstbetrag angegeben sein, der einem einzelnen Unternehmen zur Umstrukturierung zur Verfügung gestellt werden kann. Dieser Betrag darf jedoch zehn Millionen Euro nicht überschreiten. Jede im Rahmen einer solchen Regelung gewährte Beihilfe, die eine Vergleiche dazu schon oben D. II. 2. a) bb)(3) und D. II. 2. c) aa). Siehe beispielsweise die Mitteilung der Kommission, ABI. 1998, Nr. C 308, 8 (Deutscher Industriebeteiligungsfonds). 179 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr. C 288, 2, 9; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 310, 56, 60 (Everts Erfurt). Auch an den Inhalt der zur Kontrolle des Umstrukturierungserfolgs anzufertigenden Berichte werden geringere Anforderungen gestellt. 180 Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten, ABI. 1999, Nr.C 288, 2, 11. Es sind auch keine Jahresberichte für jedes einzelne Unternehmen anzufertigen, vielmehr genügt ein normalerweise jährlicher Bericht über die Durchführung der betreffenden Beihilfeprogramme, die ein Verzeichnis der begünstigten Gesellschaften sowie der Umstände der Einzelbeihilfen enthalten müssen. 177

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D. Ausnalunetatbestände des Art. 87 li, III EGV

dieser Bedingungen nicht erfüllt, muß einzeln notifiziert und im voraus genehmigt werden. ee) Ergebnis Im Rahmen des Art. 87 m lit. c EGV können zunächst staatliche Kapitalbeteiligungen zur Förderung gewisser Gebiete vom Beihilfeverbot freigestellt werden, wobei allerdings zu beachten ist, daß eine regionale Zweckbestimmung ebenso wie bei Art. 87 m lit. a EGV normalerweise nur für Maßnahmen nachweisbar ist, die im Rahmen von Regionalförderprograrnmen durchgeführt werden, nicht aber für Maßnahmen zugunsten einzelner Gesellschaften. Die Förderung gewisser Wirtschaftszweige meint nicht nur die Unterstützung ganzer Branchen, sondern allgemein bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten, weshalb hierunter vor allem auch horizontale Beihilfen fallen.

Davon stellt die Gruppe der Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten den wichtigsten Anwendungsbereich hinsichtlich Kapitaleinlagen der öffentlichen Hand dar. Eine Freistellung wird hier an strenge Bedingungen geknüpft. So muß der Umstrukturierungsplan gewährleisten, daß die Gesellschaft langfristig ihre Rentabilität wiedererlangen kann. Die Beihilfe ist auf das absolut erforderliche Mindestmaß zu beschränken, außerdem müssen unzumutbare Wettbewerbsverfälschungen vermieden werden. d) Ausnahme gemäß Art. 87 l/1 lit. d EGV

Durch Art. 87 ill lit. d EGV können Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes von dem Verbot des Art. 87 I EGV freigestellt werden, soweit sie die Handels- und Wettbewerbsbedingungen in der Gemeinschaft nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft. Dadurch wird zwar kein ,,kultureller Vorbehalt" gegenüber der Beihilfenaufsicht aufgestellt, wohl aber wird die Kulturförderung als privilegierte Zwecksetzung anerkannt. 181 Die Kommission steht diesen Interventionen positiv gegenüber und schreitet meist nur ein, falls Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten diskriminiert werden. Die Ausnahmebestimmung kann nur dann zur Anwendung gelangen, wenn die Beihilfeempfänger Wirtschaftsunternehmen im Sinne von Art. 87 I EGV sind, 182 die am grenzüberschreitenden Wettbewerb teilnehmen. Als solche kommen etwa Dienstleistungsgesellschaften aus den Bereichen Presse, Film, Rundfunk und FernDauses/Götz, H. III., Rn. 81. Unzutreffend daher Grabitz/Hilf/von Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 84 b, wo angenommen wird, daß unter Kultur alle nichtwirtschaftlichen Betätigungen im kulturellen Bereich fallen. Zum Unternehmensbegriff siehe B. III. l. 111

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sehen in Betracht. Von vornherein ausgeschlossen ist dagegen ein groBer Teil klassischer Kultureinrichtungen wie Museen, Theater oder auch lokale Tageszeitungen, die nicht am innergemeinschaftlichen Handel beteiligt sind. 183 Ebensowenig werden Maßnahmen der allgemeinen Kulturförderung erfaßt, weil hier keine selektive Begünstigung erfolgt. Kapitalbeteiligungen müssen in diesem Rahmen einen dauerhaften Beitrag leisten zur Entwicklung der Kultur oder dem Erhalt des kulturellen Erbes. Daran fehlt es jedenfalls, wenn die Beihilfe nur die Abschottung des nationalen Marktes vor ausländischer Konkurrenz bezweckt. 184 Die Mittelbereitstellung ist ebenso ungeeignet, falls durch sie die Lebensflihigkeit des jeweiligen Unternehmens nicht wiederhergestellt werden kann. Bei der Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse an einem unverfalschten Wettbewerb ist zu beachten, daß das Ziel der Entfaltung der Kulturen der Mitgliedstaaten aus Art. 3 lit. q EGV als gewichtiges Argument für die Genehmigung derartiger Beihilfen spricht.185 e) Ausnahme gemäß Art. 87 I/1 fit. e EGV

Eine besondere Regelung enthält Art. 87 m lit. e EGV, wonach der Rat durch eine Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission sonstige Arten von Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklären kann. Damit kann der Rat den Katalog der vertraglich vorgesehenen Ausnahmetatbestände erweitern. Im Unterschied zu Art. 88 II Unterabsatz 3 EGV wird hier nicht eine einzelne, sondern eine Gruppe von Beihilfen von dem Verbot des Art. 87 I EGV freigestellt. Die Entscheidung ist keine technische im Sinne von Art. 249 IV EGV, da sie an keinen Adressaten gerichtet ist. Bei einem Abweichen vom Kommissionsvorschlag ist wegen Art. 250 I EGV Einstimmigkeit erforderlich. Die Bedeutung der Vorschrift ist gering. Bisher hat der Rat auf dieser Grundlage nur Richtlinien und Verordnungen über Beihilfen für den Schiffbau erlassen, wonach auch Kapitaleinlagen der öffentlichen Hand insbesondere zur Umstrukturierung von Werften zulässig sein können.186 Kruse in EWS 1996, 113, 116. ln ihrer Entscheidung, ABI. 1997, Nr.L 95, 19, 24 (Soci6t6 francaise de Production), stellt die Kommission beispielsweise fest, daß die Abschottung der Märkte in Europa, die als eines der Haupthindernisse der europäischen Film- und Fernsehprogrammindustrie betrachtet wird, nicht zu dem gemeinschaftlichen Ziel der Entwicklung einer wettbewerbsfcihigen europäischen Industrie auf dem Weltmarkt beiträgt. 185 Verfehlt erscheint es hingegen, schon aus dem unterschiedlichen Wortlaut von Art. 87 III lit. c EGV und Art. 87 III lit. d EGV eine Privilegierung der Kulturförderung ableiten zu wollen, so allerdings Grabitz/Hilf!von Wallenberg, Art. 92 EGV, Rn. 84b EGV. Beispielsweise deutet die englische Sprachfassung ("adversely affect" in Art. 87 III lit. c EGV und "affect" in Art. 87 III lit. d EG V) hier in die entgegengesetzte Richtung, vergleiche auch Ress in Gedächtnisschrift für Grabitz, S. 624. 186 Siehe die Verordnung des Rates 1540/98/EG, ABI. 1998, Nr. L 202, 1, 4 (Schiffbauverordnung); oder die ältere Richtlinie des Rates 90/684/EWG, ABI. 1990, Nr. L 380, 27ff. (Schiffbaurichtlinie). 183

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D. Ausnahmetatbestände des Art. 87 II, III EGV

111. Zusammenfassung In Art. 87 II, III EGV werden verschiedene Gründe festgelegt, aus denen eine Ausnahme vom Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV in Frage kommen kann. Während nach Art. 87 II EGV bestimmte Arten von Beihilfen als zwingend mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen sind, kommt der Kommission bei Art. 87 III EGV ein weites Ermessen bezüglich der Freistellung zu. Art. 87 II lit. a EGV kann dabei nicht auf staatliche Kapitalbeteiligungen angewandt werden, auch der Ausnahmetatbestand des Art. 87 II lit. b EGV für Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, spielt insofern nur eine geringe Rolle. Grundsätzlich möglich ist dagegen eine Rechtfertigung von Kapitalzufuhren nach Art. 87 II lit. c EGV zum Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland. Allerdings wird diese Vorschrift sehr eng ausgelegt. Es werden nur unmittelbar teilungsbedingte Nachteile erfaßt, die im Zusammenhang mit der alten Grenzziehung stehen, nicht jedoch solche, die durch das sozialistische Wirtschaftssystem im Ostteil Deutschlands hervorgerufen wurden. Dieser Zusammenhang läßt sich in der Regel nur in räumlicher Nähe zur alten Grenze nachweisen, so daß zumeist nur Maßnahmen im ehemaligen Sperrgebiet oder zur Wiederherstellung der Infrastruktur zwischen den alten und neuen Bundesländern gerechtfertigt sein können. Die Bedeutung dieser Klausel wird im Laufe der Zeit völlig verschwinden. Beihilfen zur Regionalentwicklung können gemäß Art. 87 III lit. a EGV und Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV freigestellt werden. Art. 87 III lit. a EGV ist hierbei nur auf extrem unterentwickelte Gebiete anwendbar, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung unter 75 Prozent des Gemeinschaftsdurchschnitts liegt. Art. 87 III lit. c Alt. 2 EGV stellt dagegen weniger strenge Anforderungen an das Gebiet. Es ist ausreichend, wenn das Bruttoinlandsprodukt höchstens 85 Prozent oder die Arbeitslosigkeit mindestens I I 0 Prozent des Landesdurchschnitts beträgt. Zusätzlich wird die relative Lage des Mitgliedstaates in der Gemeinschaft berücksichtigt. Die zulässigen Beihilfeintensitäten sind hier geringer als bei Art. 87 III lit. a EGV. Nach Auffassung der Kommission kommen diese Ausnahmebestimmungen normalerweise nur für Beihilfen innerhalb von Regionalförderprogrammen in Betracht. Kapitalzufuhren der öffentlichen Hand an einzelne Unternehmen fehle dagegen regelmäßig eine regionale Zweckbestimmung. Staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen können ebenfalls der Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse oder der Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaates im Sinne von Art. 87 m lit. b EGV dienen. Es muß jedoch auch hier genau untersucht werden, ob die Investitionen wirklich auf diese Zwecke abzielen oder ob sie nur die Rettung einzelner Unternehmen in Schwierigkeiten beabsichtigen. Kulturbeihilfen sind nach Art. 87 III lit. d EGV zu behandeln, wegen des Gemeinschaftsziels des Art. 3

III. Zusammenfassung

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lit. q EGV nehmen sie eine privilegierte Stellung ein. Art. 87 m lit. e EGV ist hingegen von geringer Bedeutung.

Am häufigsten wird Art. 87 ill lit. c Alt. 2 EGV zur Genehmigung staatlicher Kapitaleinlagen herangezogen. Die Freistellung von Interventionen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten wird dabei von der Kommission an strenge Voraussetzungen geknüpft. Der Umstrukturierungsplan muß die Wiederherstellung der Lebensfahigkeit der Gesellschaft gewährleisten, das Unternehmen muß also nach dem Abschluß der Sanierung wieder eine Mindestrendite des eingesetzten Kapitals erwirtschaften. Dabei wirkt sich eine beabsichtigte Privatisierung in der Regel positiv auf die Genehmigungsfahigkeit aus, da die Kommission davon ausgeht, daß durch die Übertragung auf den privaten Sektor die Erfolgschancen des Umstrukturierungsplans vergrößert werden. Der Umfang der Kapitalzufuhr ist auf das absolut erforderliche Minimum zu beschränken, die Beihilfe darf außerdem generell nur einmal gewährt werden. Um unzumutbare Wettbewerbsverfälschungen zu vermeiden, verlangt die Kommission vor allem bei bestehenden Überkapazitäten auf dem relevanten Markt einen Abbau von Produktionskapazitäten. Andere Vorteile wie beispielsweise die Lage der begünstigten Gesellschaft in einem Regionalfördergebiet oder die Verhinderung von Monopol- oder Oligopolstrukturen in demjeweiligen Sektor können dabei zu einer Verringerung der zu fordernden Kapazitätsanpassungen führen. Kleine und mittlere Unternehmen werden bei der Förderung bevorzugt behandelt.

E. Ausnahmetatbestand des Art.86 II EGV Eine weitere Ausnahmemöglichkeit besteht gemäß Art. 86 II EGV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Die Vorschriften des Vertrages und insbesondere die Wettbewerbsregeln gelten hier nicht, soweit die Anwendung dieser Normen die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. Die Befreiung steht jedoch unter dem weiteren Vorbehalt, daß die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Historisch betrachtet, stellte die Bestimmung einen Kompromiß dar zwischen Staaten wie Frankreich und Italien, die über einen starken öffentlichen Sektor verfügten, sowie den Benelux-Staaten, die zur Erfüllung der Sonderaufgaben weitgehend auf öffentliche Unternehmen verzichteten.' Wahrend erstere bei den Verhandlungen zum EWG-Vertrag fürchteten, daß die uneingeschränkte Anwendung der Vertragsvorschriften die Aufgabenerfüllung gefährden könnte, waren letztere an einer möglichst umfassenden Geltung der Vertragsbestimmungen interessiert. Sie waren zu einer Ausnahme nur unter strengen Voraussetzungen bereit, was sich schließlich in der doppelten Schranke des Art. 86 II EGV niederschlug. Die bewußt unklare Formulierung der Vorschrift hat in der Folgezeit zu zahlreichen Auslegungsproblemen geführt. Art. 86 II EGV hat also den Zweck, einen Ausgleich herzustellen zwischen dem Bedürfnis von Mitgliedstaaten, bestimmte Unternehmen als Instrumente ihrer Wirtschafts- und Sozialpolitik einzusetzen, und dem Gemeinschaftsinteresse an einem unverfälschten Wettbewerb.2 Wegen der strengen Bedingungen, an die eine Befreiung geknüpft ist, stellt die Norm keine Bereichsausnahme für ganze Wirtschaftssektoren dar. 3 Sie ist als Legalausnahme ausgestaltet, so daß bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Kommission kein Ermessen bezüglich der Freistellung mehr zukommt. Bei der Prüfung der Tatbestandsmerkmale kommt ihr allerdings ein großer Beurteilungsspielraum zu.4 Als Ausnahmeregelung muß die Vorschrift eng ausgelegt werden. Dauses/Emmerich, H. II., Rn.l42. /mmenga/Mestmäcker, XII.D., Rn. I; Smit/Herzog, §90.05;Müller-Graff!Zehetner, S.l41. 3 So jedoch Calliess/Ruffert/Jung, Art. 86 EGV, Rn. 34; GTE/Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 62; Appelt, S. 115. 1

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4 1m Urteil des EuGel Slg. 1997 II, 229, 262 in Rs. T-106/95 (FFSA), wird festgestellt, daß das Ermessen vergleichbar sei mit dem, welches der Kommission im Rahmen der Anwendung von Art. 87 III EGV zusteht. Hierbei ist allerdings zu beachten, daß der gemeinschaftsrechtli-

I. Bedeutung des Art. 86 II EGV für die Beihilfevorschriften

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Gemäß Art. 86 III EGV besitzt die Kommission die Möglichkeit zum Erlaß von Richtlinien, welche die Anforderungen für eine Befreiung von den Vertragsvorschriften näher konkretisieren können. Solange sie von dieser Befugnis keinen Gebrauch macht, bleiben die Freistellungsvoraussetzungen allein anband von Art. 86 II EGV zu prüfen. Die Beweislast für die Verhinderung der Aufgabenerfüllung liegt bei den betroffenen Unternehmen und Mitgliedstaaten, während die Kommission nachweisen muß, daß die Entwicklung des Handelsverkehrs in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.5 I. Bedeutung des Art. 86 II EGV für die Beihilfevorschriften

Zunächst ist die Relevanz des Art. 86 II EGV für staatliche Beihilfen zu prüfen, mithin auch für Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand, die von einem marktwirtschaftlich handelnden Kapitalgeber nicht eingegangen worden wären. In diesem Zusammenhang muß eine Auseinandersetzung mit den in der Literatur vertretenen Ansichten erfolgen, die Vorschrift sei insgesamt obsolet oder zumindest nicht auf die Beihilfevorschriften anwendbar. Danach wird untersucht, ob im Gegenteil der Anwendungsbereich des Art. 86 II EGV durch den neu eingeführten Art. 16 EGV sogar ausgeweitet worden ist. 1. Keine Funktionslosigkeit des Art. 86 II EGV

Einige Stimmen wollen Art. 86 II EGV generell für obsolet erklären.6 Entgegen dem durch den Wortlaut erweckten Anschein könne die Norm nicht einmal eine teilweise Befreiung von den Wettbewerbsvorschriften bewirken. Das zeige sich zum einen darin, daß der Gerichtshof bislang in keinem Fall ein Durchgreifen dieses Ausnahmetatbestandes bejaht habe. Obgleich zahlreiche Gesellschaften als mit Sonderaufgaben betraute Unternehmen anerkannt worden seien, sei ihnen niemals eine Freistellung gelungen. Immer sei nämlich eine vertragsgetreue Art der Aufgabenerfüllung vorstellbar. 7 Zum anderen sei es für die Mitgliedstaaten ansonsten ein leichtes, bestimmte Leistungen als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen ehe Ermessensbegriff auch den Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite miturnfaßt, vergleiche D. II. s Lenz/Grill, Art.86 EGV, Rn.27; Streinz, Rn.841; siehe auch C.l. 3.e)cc) Umstritten ist, ob die Vorschrift des Art. 86 EGV unmittelbar anwendbar ist, vergleiche dazu nur Dausesl Emmerich, H. II., Rn. 169; Streinz, Rn. 841. Diese Frage spielt allerdings für staatliche Beihilfen keine Rolle, da schon Art. 87 I EGV keine unmittelbare Wirkung besitzt und deshalb nicht von nationalen Gerichten angewendet werden kann. 6 von Wilmowsky inZHR 155 (1991), 545, 547; Emmerich, S.586. Letzterererhält seine Ansicht in Dauses!Emmerich, H. II., Rn. 144, allerdings nicht mehr aufrecht. 7 Emmerich, S. 590.

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 li EGV

Interesse zu deklarieren mit der Folge, daß nun unbeschränkt gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen werden dürfe. Außerdem leide Art. 86 II EGV an einem Funktionsdefizit Zu Kollisionen zwischen der Erfüllung der übertragenen Aufgabe und den allgemeinen Vertragsgeboten könne es gar nicht kommen, da die Mitgliedstaaten schon bei der Betrauung der Unternehmen verpflichtet seien, die Aufgabe so auszugestalten, daß sie vertragskonform wahrgenommen werden könne. 8 Daher sei aus systematischen Gründen eine Anwendung der Vorschrift ausgeschlossen. Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen,9 denn sie beinhaltet einen Zirkelschluß. Art. 86 II EGV stellt eine Ausnahmeregelung dar, so daß im Falle ihres Eingreifens auch bei der Ausgestaltung der Aufgabe die allgemeinen Vertragsbestimmungen nicht zur Anwendung gelangen. Des weiteren kann nicht jede Leistung beliebig als eine Sonderaufgabe im Sinne von Art. 8611 EGV bezeichnet werden, an die Bejahung einer solchen sind vielmehr strenge Voraussetzungen geknüpft. Eine Freistellung ist zudem an den doppelten Vorbehalt der Verhinderung der Aufgabenerfüllung und der Vereinbarkeil mit dem Gemeinschaftsinteresse gebunden. Daß die Norm bisher so selten angewandt wurde, liegt an der Strenge ihrer Tatbestandsvoraussetzungen, kann aber keineswegs dazu führen, sie für obsolet zu erklären. Mittlerweile hat die Rechtsprechung auch einen Fall entschieden, in dem Art. 86 II EGV durchgreifen konnte. 10 Ein weiterer Grund dafür, daß die Vorschrift in der Vergangenheit so wenig Bedeutung erlangt hat, liegt darin, daß früher klassische öffentliche Bereiche wie das Post- und Fernmeldewesen weitgehend von einer Kontrolle durch die Kommission verschont worden sind. Seit einigen Jahren vollzieht sich in diesen Sektoren jedoch ein Wandel. An die Stelle der Bereitstellung von Leistungen durch die Verwaltung tritt immer mehr die Erfüllung der Aufgaben durch privatrechtlich verfaßte Gesellschaften der öffentlichen Hand und schließlich die gesetzlich garantierte Leistungserbringung durch Private unter staatlicher Wirtschaftsaufsicht. 11 Im Zuge von Deregulierung und Privatisierung weitet die Kommission die Kontrolle zunehmend auf diese Bereiche aus. Deshalb wird Art. 86 II EGV in Zukunft immer mehr in das Zentrum des Interesses gerückt werden. 2. Anwendbarkeit auf die Beihilfevorschriften

Teilweise wird auch vertreten, daß Art. 86 II EGV zwar auf die unternehmensbezogenen Art. 81, 82 EGV anwendbar sei, nicht aber auf staatliche Beihilfen. 12 Zur s von Wilmowsky in ZHR 155 (1991), 545,572. So auch Mestmäcker in Festschrift für Zacher, S.642f.; Ehricke in EuZW 1993,211, 214. 10 EuGel Slg. 1997 li, 229, 288 in Rs. T-106/95 (FFSA). 11 Badura in ZGR 1997,291, 292. 12 GTEIHochbaum, Art. 90 EG V, Rn. 51.

9

I. Bedeutung des Art. 86 li EGV für die Beihilfevorschriften

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Begründung wird darauf verwiesen, daß die Norm gemäß ihrem Wortlaut nur an einzelne Unternehmen adressiert sei, anders als Art. 86 I EGV jedoch nicht an die Mitgliedstaaten selbst, weshalb sie auf das sich an die Mitgliedstaaten richtende Beihilfeverbot nicht angewendet werden könne. Die Vorschriften der Art. 86 I EGV und Art. 86 II EGV enthielten zudem verschiedene Regelungsgegenstände. Selbst wenn eine Gesellschaft wegen einer bestehenden Sonderaufgabe etwa von der Geltung der unternehmensbezogenen Wettbewerbsvorschriften befreit sei, so könne die Kommission über Art. 86 I EGV immer noch gegen den betreffenden Mitgliedstaat vorgehen. Öffentliche Unternehmen könnten sich hingegen nicht auf Art. 86 II EGV berufen, um Beihilfen zu gewähren, welche dem den Auftrag erteilenden Mitgliedstaat selbst wegen Art. 87 EGV untersagt wären. Ferner sei es undenkbar, daß eine Beihilfe, deren Vereinbarkeil mit dem Vertrag schon wegen entgegenstehender Gemeinschaftsinteressen im Rahmen des Art. 87 III EGV abgelehnt wurde, aufgrundmangelnden Interesses der Gemeinschaft im Sinne von Art. 86 II 2 EGV gebilligt werden könne. 13 Vielmehr entsprächen sich beide Begriffe. In Art. 87 ll, III EGV sei ein abschließender Katalog von Rechtfertigungsgründen enthalten, der nicht verwässert werden dürfe. Allerdings muß hier beachtet werden, daß Art. 86 II EGV nach seinem Wortlaut die gesamten Vorschriften des Vertrages betrifft, "insbesondere die Wettbewerbsregeln". Diese umfassen jedoch nicht nur die Regelungen für Unternehmen, sondern eben auch die bezüglich staatlicher Beihilfen. Vielmehr ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 86 I EGV, daß beide Normen als Einheit zu verstehen sind. 14 Über Art. 86 I EGV gelten die Vertragsvorschriften auch für die Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Unternehmerischen Betätigung. 15 Art. 86 II EGV erlaubt davon unter eng begrenzten Voraussetzungen Ausnahmen. Das darf aber nicht nur für die betrauten Unternehmen selbst gelten, denn was diesen Gesellschaften erlaubt ist, kann nicht den Mitgliedstaaten als Träger dieser Unternehmen verboten sein. 16 Ansonsten ergäbe sich das widersprüchliche Ergebnis, daß in bezug auf dieselbe Maßnahme gemäß Art. 86 I EGV eine Vertragsverletzung des Mitgliedstaates festgestellt würde, während das betroffene Unternehmen nach Art. 86 II EGV von der Geltung der Wettbewerbsvorschriften befreit wäre. Die Wirkung des Art. 86 II EGV würde damit praktisch durch die Hintertür durch ein Vorgehen gegen den Mitgliedstaat wieder aufgehoben. Ebenso scheitert eine Berufung auf den angeblich gleichen Bedeutungsinhalt des Gemeinschaftsinteresses in Art. 87 III EGV und in Art. 86 II 2 EGV, diese Begriffe GTE!Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 66. Dauses/Emmerich, H. li., Rn. 143. 1s Siehe oben B. 111. 1. 16 /mmenga/Mestmäcker, XII.D., Rn.30; Appelt, S.119; Page in ELR 1982, 19, 27; Ehricke in EuZW 1993,211,214. 13

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

sind statt dessen unterschiedlich auszulegen. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Normen, da Art. 87 III lit. c EGV beispielsweise fordert, daß die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändert werden dürfen, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft, während Art. 86112 EGV von der Entwicklung des Handelsverkehrs spricht. Art. 86 II EGV ist neben den Rechtfertigungsgründen des Art. 87 II, m EGV anwendbar, da die Regelungen unterschiedliche Ziele verfolgen. Während ersterer die Erfüllung von bestimmten Dienstleistungen durch betraute Unternehmen sicherstellen will, bezwecken letztere eine Freistellung vom Beihilfeverbot etwa aus regionalen oder wirtschaftlichen GründenP Kommission und Rechtsprechung gingen schon immer davon aus, daß Art. 86 II EGV staatliche Beihilfen und insbesondere Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand von dem Verbot des Art. 87 I EGV ausnehmen kann. 18 Auch das schon erwähnte positive Urteil zur Anwendbarkeit des Art. 86 II EGV bezieht sich auf die Beihilfevorschriften. 19 Dabei bewirkt die Norm allerdings nicht, wie man ihrem Wortlaut entnehmen könnte, daß bei ihrem Eingreifen gar keine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV vorliegt. Nach Ansicht der Rechtsprechung bleibt der Beihilfebegriff unberührt, nur die Zulässigkeil der Begünstigung wird durch Art. 86 II EGV klargestellt. Die Vorschrift stellt eine "andere Bestimmung" im Sinne von Art. 87 I EGV dar. Das hat zur Folge, daß sich die Kontrolle der Kommission nach Art. 88 EGV auch auf diese Sachverhalte erstreckt.20 Art. 86 II EGV wirkt somit ähnlich wie ein zusätzlicher Rechtfertigungsgrund für staatliche Beihilfen. 3. Keine Ausweitung des Anwendungsbereiches durch Art.l6 EGV

Durch den Vertrag von Amsterdam wurde ein neuer Art.16 EGV eingeführt. Danach tragen unbeschadet der Art. 73, 86 und 87 EGV und in Anbetracht des Stellenwerts, den Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse innerhalb der gemeinsamen Werte der Union einnehmen, sowie ihrer Bedeutung bei der Förderung des sozialen und territorialen Zusammenhalts die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse im Anwendungsbereich dieses Vertrages dafür Sorge, daß die Grundsätze und Bedingungen für das Funktionieren dieser Dienste so gestaltet sind, daß sie ihren Aufgaben nachkommen können. Unklarheit herrscht bisher im Hinblick auf die Frage, wie sich diese Norm auf den Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV auswirkt. Appelt, S. 122. EuGH Slg. 1977,595,612 in Rs. 78n6 (Steinike und Weinlig); Schlußanträge des Generalanwalts in EuGH Slg. 1986, 2321, 2328 in Rs. 40/85 (Boch); Schlußanträge des Generalanwalts in EuGH Slg. 1986, 2263, 2269 in Rs. 234/84 (Meura); Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3, 8. 19 EuGel S1g. 1997 II, 229,288 in Rs. T-106/95 (FFSA). 20 EuGel Slg. 1997 II, 229, 279f. in Rs. T-106/95 (FFSA); EuGH Slg. 19941, 877,908 in Rs. C-387/92 (Banco Exterior); Mitteilung der Kommission, ABI. 1995, Nr. C 262, 11, 14 (La Poste). 17 18

II. Mit Dienstleistungen betraute Unternehmen

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Unzweifelhaft haben durch die Einführung des Art.16 EGV die Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse eine Aufwertung erfahren. Teilweise wird daraus gefolgert, daß nun auch Befreiungen von der Geltung der Wettbewerbsregeln und insbesondere von den Beihilfevorschriften unter erleichterten Bedingungen möglich seien. Zwar werde von den allgemeinen Vorschriften nicht insgesamt dispensiert, die besondere Bedeutung dieser Dienstleistungen sei aber bei der Rechtfertigung von möglichen Begünstigungen ein verstärkt zu berücksichtigender Gesichtspunkt.21 Diese Meinung verkenntjedoch den eindeutigen Wortlaut des Art. 16 EGV, wonach Art. 86 EGV unberührt bleibt. 22 Die Bedeutung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse ist von der Kommission zwar im Rahmen ihrer Politiken zu beachten, für die Überprüfung von Vertragsverletzungen stellt Art. 86 II EGV allerdings die speziellere Regelung dar, wenn die Mitgliedstaaten Unternehmen für ihre Zwecke einsetzen. Der Ausnahmetatbestand ist außerdem geeignet, auch ohne Ergänzung durch Art. 16 EGV einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Bedürfnis der Mitgliedstaaten an der Erfüllung bestimmter Aufgaben durch betraute Unternehmen und dem Gemeinschaftsinteresse an einem unverfälschten Wettbewerb. Art. 86 II EGV bleibt somit eng auszulegen.23

II. Mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraute oder als Finanzmonopol ausgestaltete Unternehmen Um in den Genuß einer Freistellung gemäß Art. 86 II EGV zu kommen, muß es sich bei der durch die staatliche Kapitalzufuhr begünstigten Gesellschaft um ein Unternehmen handeln, das mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut ist oder den Charakter eines Finanzmonopols hat. Schon die Feststellung des Vorliegens dieser Voraussetzungen bereitet in vielen Fällen erhebliche Schwierigkeiten.

Lenz, Art.16 EGV, Rn. 9; Kahl in wbl1999, 189, 195f. Calliess!Ruffert!Jung, Art. 16 EGV, Rn. 12. 23 So auch Oppermann, Rn. 1057. Auch die Erklärung Nr. 37 zum Vertrag von Amsterdam, ABI. 1997, Nr.C 340, 138, kann an diesem Ergebnis nichts ändern, wonach der Vertrag es nun zulasse, den deutschen öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten zum Ausgleich für die von ihnen im allgemeinen Interesse erbrachten Dienstleistungen bestimmte Vorteile gewährt werden. Denn zum einen spricht schon die Erklärung Nr. 13 zum Amsterdamer Vertrag, ABI. 1997, Nr. C 340, 133, der die uneingeschränkte Beachtung der Rechtsprechung des Gerichtshofs postuliert, gegen eine erweiterte Auslegung. Zum anderen sind solche Erklärungen im Gegensatz zu Protokollen im Sinne von Art. 311 EGV nicht rechtsverbindlich, sondern haben rein politischen Charakter. 21

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV 1. Betraute Unternehmen

Unternehmen im Sinne der Ausnahmeregelung können öffentliche und private sein, gleichgültig, ob sie unter Art. 86 I EGV fallen oder nicht. Art. 86 II EGV fordert nur die Übertragung besonderer Aufgaben, nicht die Gewährung besonderer Rechte.24 Wahrend es sich früher auch hier hauptsächlich um öffentliche Unternehmen handelte, werden heute immer mehr private Gesellschaften mit der Erfüllung dieser Aufgaben beauftragt. Wegen der unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen ist es schwer, einheitliche Kriterien für das Tatbestandsmerkmal der Betrauung festzulegen. Die Rechtsprechung fordert in vielen Fällen als formale Voraussetzung, daß die Betrauung durch einen Hoheitsakt der öffentlichen Gewalt, etwa aufgrund eines Gesetzes oder eines Verwaltungsaktes, erfolgen müsse.25 Abgeleitet wird dieses aus einer Parallele zu den ebenfalls in Art. 86 II EGV erwähnten Finanzmonopolen, die auch durch derartige Akte errichtet werden. Dem ist insofern zuzustimmen, als ohne einen formal eindeutigen Anknüpfungspunkt26 der Anwendungsbereich der Vorschrift zu sehr ausgeweitet würde, die aber als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist. Dabei stellt die Aufgabenübertragung durch Hoheitsakt die häufigste Form und gleichzeitig ein starkes Indiz für eine Betrauung dar. Diese muß allerdings nicht zwangsläufig in einem Verhältnis der Überund Unterordnung erfolgen, die Rechtsformen können vielmehr verschieden ausgestaltet sein,27 Anderenfalls droht die Gefahr, daß wirtschaftlich gleiche Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden.28 Denkbar ist ebenfalls, daß eine Gesellschaft beispielsweise in einem öffentlich-rechtlichen Vertrag durch eine Auflage verpflichtet wird, die Leistung zu erbringen. Auch in diesem Fall bleibt das Erfordernis eines formalen Anknüpfungspunktes gewahrt, eine eindeutige Abgrenzung zu sonstigem wirtschaftlichen Handeln ist möglich. Zusätzlich zu diesem formalen Kriterium muß die Betrauung materiellen Anforderungen genügen. Charakteristisch für sie ist, daß das Unternehmen gezwungen wird, selbst dann die Aufgabe zu erfüllen, wenn dies aus rein ökonomischen Gesichtspunkten seinem Eigeninteresse zuwiderläuft.29 Nicht ausreichend ist hingegen 24 Grabitz!Hi/f/Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 31; Müller-Graff!Zehetner, S.142. Entgegen der Auffassung von Wilmowskys in ZHR 155 (1991), 545, 553, stellen Gebietskörperschaften wie Landkreise und Gemeinden keine Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift dar. 25 EuGH Slg. 1989, 838, 853 in Rs.66/86 (Ahmed Saeed); EuGH Slg. 1971,723, 730 in Rs. 10n1 (Hafen von Mertert). 26 Grabitz!Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 34; Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 24. 27 Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABI. 1996, Nr.C 281, 3, 4. In EuGH Slg. 1988,2479,2512 in Rs.30/87 (Pompes Funebres), erachtete zum Beispiel der Gerichtshof die durch Konzessionsverträge mit Bestattungsdiensten beauftragten Unternehmen als betraut im Sinne von Art. 86 II EGV. 28 Hagendorf, S.198. 29 Badura in ZGR 1997, 291, 300; Mestmäcker in RabelsZ 52 (1988), 526,565.

II. Mit Dienstleistungen betraute Unternehmen

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die bloße staatliche Erlaubnis zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit oder das Bestehen einer staatlichen Wirtschaftsaufsicht.30 Indizien für eine Betrauung können besonders enge Beziehungen der Gesellschaft zur öffentlichen Hand und die gleichzeitige Einräumung gewisser Vorrechte sein,31 unabdingbare Voraussetzungen sind sie allerdings nicht. Für öffentliche Unternehmen werden diese Verpflichtungen häufig schon bei ihrer Errichtung in der Satzung oder dem Gesellschaftsvertrag festgelegt. Auch bei ihnen kann jedoch nicht generell von einer Betrauung ausgegangen werden, da sie ebenso zu dem alleinigen Zweck der Erwirtschaftung von Gewinnen betrieben werden können. Bei privaten Gesellschaften ist eine strenge Prüfung angezeigt, ob die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen einer Betrauung erfüllt sind. 2. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse

Das Unternehmen muß mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sein. Der Begriff der Dienstleistung entspricht dabei nicht dem des Art. 50 EGV. Er ist weit auszulegen und umfaßt alle Arten wirtschaftlicher Betätigung.32 Fraglich ist, wem das Bestimmungsrecht zusteht, wann ein allgemeines wirtschaftliches Interesse anzunehmen ist, zumal zu diesem Begriff keine Entsprechungen in den nationalen Rechtsordnungen existieren. Überließe man die Festlegung dem freien Belieben der Mitgliedstaaten, ohne daß eine Überprüfung möglich wäre, so bestände die Gefahr, daß die Vertragsvorschriften leicht umgangen werden könnten. Andererseits verweist hier eine Norm des Gemeinschaftsrecht auf nationale Interessen. Daher muß die Bestimmung grundsätzlich den Staaten vorbehalten bleiben, weshalb die Leistungen auch von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein können. Die Qualifikationskriterien sind dagegen auf Gemeinschaftsebene festzulegen und müssen einheitlich für alle Staaten gelten.33 Keineswegs dürfen diese Kriterien jedoch mit den Gemeinschaftsinteressen aus Art. 2, 3 EGV gleichgesetzt werden, was schon aus der getrennt vorzunehmenden Abwägung nach Art. 86 II 2 EGV folgt.

a) Allgemeines Interesse Der Inhalt der übertragenen Aufgabe ergibt sich aus dem Betrauungsakt. Um als Dienstleistung von allgemeinem Interesse zu gelten, muß es sich um Grundversorgungsleistungen im weiteren Sinne handeln, insbesondere um Aktivitäten zur SiEuGH Slg. 1983,483, 504 in Rs. 7/82 (Urheberrechtsgesellschaft); Smit!Herzog, § 90.05. EuGH Slg. 1971,723,730 in Rs.10n1 (Hafen von Mertert). 32 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 60; Bleckmann!Schollmeier/Krimphove, Rn. 1980. 33 /mmenga/Mestmäcker, XII. 0., Rn.43; Grabitz/Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 35.

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

cherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Nach der Rechtsprechung müssen die Leistungen den Nutzern zu einheitlichen Gebühren und in gleichmäßiger Qualität zugute kommen, ohne Rücksicht auf Sonderfälle und die Wirtschaftlichkeit jedes einzelnen Vorgangs.34 In diesem Zusammenhang ist ferner zu beachten, daß der Begriff kein statischer ist, sondern daß sich die Bedürfnisse im Laufe der Zeit wandeln können. Es muß somit immer ein "dynamisches Gleichgewicht" zwischen der Wettbewerbsfreiheit und der Berücksichtigung von Gemeinwohlzielen hergestellt werden. 35 Keine Rolle spielen darf hingegen, ob die Leistung theoretisch auch von der privaten Wirtschaft allein erbracht werden könnte. 36 Diese Frage betrifft die Erforderlichkeit der Aufgabenerfüllung durch betraute Unternehmen, sie ist daher allenfalls im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Verhinderung zu prüfen. Bei dem nationalen Interesse muß es sich nicht notwendig um das des gesamten Mitgliedstaates handeln, vielmehr genügt das Interesse einer Gemeinde oder eines Teils der Bevölkerung.37 Abzugrenzen ist das allgemeine Interesse allerdings gegenüber Privatinteressen. Die Erfüllung der Sonderaufgabe muß zumindest auch im öffentlichen Interesse liegen. 38 Daher fallen staatliche Kapitalbeteiligungen nicht unter Art. 86 II EGV, deren einziger Zweck darin besteht, die begünstigte Gesellschaft zu sanieren. Soll durch die Einlage demgegenüber ebenfalls die Erbringung von Gemeinwohlleistungen gesichert werden, so kann die Kapitalzufuhr bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen vom Beihilfeverbot ausgenommen werden.

b) Wirtschaftliches Interesse Zudem muß es sich um ein wirtschaftliches Interesse des Mitgliedstaates handeln. Teilweise wird diesem Tatbestandsmerkmal keine eigenständige Bedeutung beigemessen.39 Der Ausdruck weise lediglich darauf hin, daß die handelnden Subjekte Unternehmen seien, die schon per definitionem wirtschaftliche Tätigkeiten ausübten. Deshalb träten immer auch ökonomische Wirkungen auf. Die eigentlichen Gründe für die staatlichen Interventionen in den Wirtschaftsablauf seien dagegen hauptsächlich anderer Art, wobei etwa soziale oder kulturelle Ziele eine Rolle spielen könnten. 34 EuGel Slg. 1997 II, 229, 254 in Rs. T-1 06/95 (FFSA); EuGH Slg. 1993 I, 2533, 2568 in Rs. C-320/91 (Corbeau). Js Mitteilung der Kommission über Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa, ABI. 1996, Nr.C 281, 3, 5. l6 So jedoch lmmenga!Mestmäcker, XII. D., Rn. 44; Smit!Herzog, § 90.05. 37 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 23. 38 Aus diesem Grund lehnte der EuGH Slg. 1983, 483, 504 in Rs. 7/82 (Urheberrechtsgesellschaft), ein allgemeines Interesse an der Tätigkeit von Urheberrechtsgesellschaften ab, auch wenn es sich dabei um gesetzlich geschützte Eigentumsrechte handelte. 39 /mmenga/Mestmäcker, XII. D., Rn.21; Appelt, S. 127; Page in ELR 1982, 19, 28.

II. Mit Dienstleistungen betraute Unternehmen

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Diese Ansicht verkennt jedoch den Wortlaut des Art. 86 li EGV. Es darf in der Regel nämlich nicht davon ausgegangen werden, daß eine Tatbestandsvoraussetzung ohne Bedeutung ist. Außerdem ist nicht die Rede davon, daß jede beliebige wirtschaftliche Auswirkung ausreicht, die Leistung muß vielmehr den wirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit dienen.40 Aus diesem Grund hat die Kommission früh klargestellt, daß allein kulturelle oder soziale Zwecke die Anwendbarkeit des Art. 86 II EGV nicht begründen können.41 Dieses Problem wird allerdings dadurch entschärft, daß neben anderen Interessen oft wirtschaftliche Interessen der Allgemeinheit mitbetroffen sind, was für eine Anwendung des Art. 86 II EGV ausreicht. Nicht erforderlich ist, daß die wirtschaftlichen Vorteile Hauptzweck oder Schwerpunkt der Leistungserbringung durch betraute Unternehmen sind. 42 Beispielsweise dient die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung durch die Postdienste neben der Pflege sozialer Kontakte und dem Zusammenwachsen der Regionen auch dem Ziel der Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der ansässigen Gesellschaften.43 Als Beispiele für mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraute Unternehmen können Gesellschaften aus den Bereichen Verkehr, Post und Telekommunikation ebenso wie Rundfunk- und Fernsehanstalten sowie Energie- und Wasserversorgungsunternehmen angeführt werden. 44 Allerdings muß beachtet werden, daß bei einem Teil dieser Unternehmen wie etwa bei lokalen Verkehrsbetrieben schon der Tatbestand des Art. 87 I EGV nicht erfüllt ist, da sie nicht am grenzüberschreitenden Wettbewerb teilnehmen. In den meisten Fallen besteht jedoch zumindest potentiell Konkurrenz aus anderen Mitgliedstaaten, so daß Art. 86 II EGV als Ausnahmemöglichkeit vom Beihilfeverbot relevant wird. 3. Finanzmonopole

Unternehmen, die den Charakter eines Finanzmonopols haben, können ebenfalls von der Anwendung der Vertragsregeln befreit sein. Man versteht darunter Gesell40 Beispielsweise läge die Gründung einer staatlichen Monopolgesellschaft zur Vermarktung der Bayreuther Festspiele zwecks Erhalts des kulturellen Erbes zwar eventuell im kulturellen Interesse der Allgemeinheit, ein allgemeines wirtschaftliches Interesse wird man daran aber kaum ausmachen können. 41 Entscheidung der Kommission, ABI. 1971, Nr.L 134, 15,27 (GEMA). 42 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 23. Daß der wirtschaftliche Zweck den Schwerpunkt der Leistungserbringung darstellen müsse, vertreten dagegen GTE!Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 56; Dauses!Emmerich, H. II., Rn. 152. 43 Mitteilung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor, ABI. 1998, Nr. C 39, 2, 14. 44 Geiger, Art. 90 EGV, Rn. 9; Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 25. In bezug auf die deutschen Energieversorgungsunternehmen und Rundfunkanstalten ist das wegen eines angeblich fehlenden Betrauungsaktes umstritten, siehe lmmenga!Mestmäcker, XII. D., Rn. 34f. Für den Verkehrshereich besteht in Art. 73 EGV eine Sonderregelung.

II Bonkamp

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

schaften, denen der Staat ausschließliche Rechte zum Zwecke der Einnahmeerzielung für den Staatshaushalt gewährt. Dabei handelt es sich um eine besondere Art der Verbrauchsbesteuerung.45 Sind die Finanzmonopole gleichzeitig als Handelsmonopole ausgestaltet, so gilt für sie grundsätzlich die Umformungspflicht des Art. 31 EGV. Aber auch von dieser Verpflichtung kann durch Art. 86 II EGV eine Ausnahme gemacht werden.46 Die Bedeutung derartiger Unternehmen ist allerdings gering. In Deutschland bestand bis zum Jahre 1983 ein ZündwarenmonopoL Das Branntweinmonopol verlor schon 1976 seine ausschließlichen Rechte hinsichtlich der Einfuhr dieser Spirituosen.47 111. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung der Aufgabenerfüllung Weitere Voraussetzung ist, daß die Beachtung der Wettbewerbsregeln die Erfüllung der dem Unternehmen übertragenen Aufgaben rechtlich oder tatsächlich verhindert. 1. Allgemeine Definition

Die Annahme einer Verhinderung ist an strenge Voraussetzungen geknüpft, eine bloße Erschwerung oder Behinderung genügt nicht.48 Vielmehr darf es keine anderen Mittel geben, die technisch möglich und wirtschaftlich realisierbar sind, um die Aufgabe zu erfüllen.49 Mit anderen Worten muß Vertragstreue gleichbedeutend sein mit dem Verzicht auf eine weitere Leistungserbringung durch das betraute Unternehmen. Solange dagegen die Erfüllung des Versorgungsauftrags ohne eine Vertragsverletzung möglich ist, scheidet eine Ausnahme nach Art. 86 II EGV aus. In diesem Zusammenhang kommt es allerdings nicht auf eine logische Unmöglichkeit an, weil dann für Art. 86 ll EGV kein Anwendungsbereich mehr bliebe.5° Unmöglichkeit ist statt dessen im Sinne von Unzumutbarkeit zu verstehen. Die Mitgliedstaaten dürfen den Gesellschaften eine Stellung gewähren, welche die ErDauses/Emmerich, H. II., Rn. 84; Obermann/Soukup, S . 54. Ein großer Teil der Literatur ging bislang davon aus, daß Art. 86 II EGV keine Einschränkung der Umformungspflicht bewirken könne, vergleiche nur Bleckmann/Schollmeier/Krimphove, Rn. 1982; Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 26. Demgegenüber wurde die Anwendbarkeit des Art.86 II EGV auf Art.31 EGV nundurchden Gerichtshof in EuGH Slg. 19971,5699,5700 in Rs.C-157/94 (SEP), ausdrücklich bestätigt, so auchCalliess!Ruffert/Jung, Art. 86 EGV, Rn.43. 47 GTE/Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 61. 48 EuGel Slg. 1997 II, 997, 1043 in Rs. T-260/94 (Air Inter). 49 Entscheidung der Kommission, ABl. 1982, Nr. L 167, 39, 48 (NAVEWA-ANSEAU). so Gleiss/Hirsch, Art. 90 EGV, Rn. 16; Calliess/Ruffert/Jung, Art. 86 EGV, Rn. 45. 4'

46

III. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung der Aufgabenerfüllung

163

füllung der Sonderaufgaben unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen sicherstellt.51 Ausreichend ist, wenn anderenfalls die Erfüllung der Sonderaufgabe konkret gefährdet wäre. Es ist deshalb auch nicht erforderlich, daß bei Beachtung der Wettbewerbsvorschriften das Überleben des betrauten Unternehmens gefährdet wäre.52 Eine Verhinderung aus Rechtsgründen ist anzunehmen, falls der Vertrag ein Verhalten verbietet, welches das innerstaatliche Recht zur Erfüllung der Sonderaufgabe vorschreibt, zuläßt oder voraussetzt. Eine tatsächliche Verhinderung liegt vor, werm zwar kein Normenkonflikt entsteht, das unternehmefische Handeln jedoch in einer Weise beeinflußt wird, welche die Erbringung der Leistung wirtschaftlich unzumutbar macht.53 Art. 86 ll EGV stellt keine Ausnahmemöglichkeit für sämtliche Aktivitäten der betrauten Gesellschaft dar. Eine Befreiung von den Vertragsvorschriften kommt lediglich dann in Betracht, werm durch deren Anwendung gerade die als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anerkarmte Tätigkeit verhindert wird. Daher muß genau abgegrenzt werden zwischen diesem Bereich und anderen Marktsegmenten, in denen das Unternehmen vertreten ist. 2. Strikte Beschränkung der Kapitalzufuhr auf die durch die Sonderaufgabe verursachten Mehrkosten Es ist also eine strenge Erforderlichkeilsprüfung vorzunehmen, der Umfang der Beihilfe darf nicht über das notwendige Mindestmaß hinausgehen. Die Mittelgewährung fällt nur darm nicht unter das Verbot des Art. 87 I EGV, werm sie lediglich die Mehrkosten ausgleicht, die dem mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen durch die Erfüllung der ihm übertragenen besonderen Aufgabe entstehen.54 Zu solchen Mehrkosten kommt es etwa durch die Verpflichtung zur Aufrechterhaltung eines flächendeckenden Filial- oder Verkehrsnetzes, zur Versorgung der Bevölkerung mit Gütern unter Marktpreis oder zur Bereitstellung von kulturell hochwertigen Rundfunk- und Fernsehprogrammen, die unter Marktbedingungen nicht kostendeckend angeboten werden körmen. Die Begünstigung muß als notwendig erscheinen, um der Gesellschaft die Erfüllung ihrer Verpflichtungen unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen. Die Beurteilung der Erforderlichkeil setzt eine globale Bewertung der wirtschaftlichen Bedingungen voraus, unter denen das betreffende Unternehmen seine Tätigkeiten in dem geschützten Sektor ausübt. Hierbei sind allerdings Vorteile, die ' 1 EuGH Slg. 19971.5789,5809 in Rs.C-158/94 (ENEL); EuGH S1g. 19971,5699,5783 in Rs.C-157/94 (SEP). ' 2 EuGH Slg. 19971, 5815,5835 in Rs.C-159/94 (EDF und GOF). 'J lmmenga/Mestmiicker, XII. 0., Rn. 51. ~ EuGel Slg. 1997 II, 229, 282 in Rs. T-106/95 (FFSA).

II*

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

es unter Umständen aus Bereichen ziehen kann, die nicht unter Art. 86 ll EGV fallen und deshalb dem Wettbewerb offenstehen, nicht zu berücksichtigen.55 Die Beihilfe darf keinesfalls den Aktivitäten der Gesellschaft im Wettbewerbsbereich zugute kommen. Eine "Quersubventionierung" ist unzulässig. 56 Daher sind beispielsweise nicht die gesamten Kosten eines flächendeckenden Filialnetzes als Mehrkosten anzusetzen, falls dieses auch für Tätigkeiten genutzt wird, die nicht als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anzusehen sind. In diesem Fall müssen die sich für den Wettbewerbsbereich ergebenden Vorteile von der Beihilfehöhe abgezogen werden.s7 Diesbezüglich wird vertreten, daß die einem Unternehmen gewährte Unterstützung immer der Gesellschaft insgesamt zufließe, eine Trennung nach Bereichen, die unter Art. 86 ll EGV fallen und solchen, für die das Prinzip des freien Wettbewerbs gilt, sei nicht durchführbar. Zumindest würden durch die Beihilfe andere Mittel freigemacht, die nun zur Verbesserung der Marktstellung im Wettbewerbsbereich eingesetzt werden könnten. 58 Dieser Argumentation ist die Rechtsprechung jedoch entEuGei Slg. 1997 II, 229, 283 in Rs. T-106/95 (FFSA). Mitteilung der Kommission, ABI. 1995, Nr.C 262, 11, 14 (La Poste). Eine andere Art von ,.Quersubventionierung" betraf der vorn Gerichtshof entschiedene Fall in EuGH Slg. 1993 I, 2533 ff. in Rs. C-320/91 (Corbeau). Dort war zu beurteilen, ob zur Finanzierung der Dienstleistung von allgerneinem wirtschaftlichen Interesse ein staatliches Monopol in einem anderen Tatigkeitsbereich der Gesellschaft zulässig war, der nicht unter Art. 86 II EGV fiel. Der Gerichtshof kam zu dem Schluß, daß eine derartige Beschränkung des Wettbewerbs auch in von der Sonderaufgabe deutlich trennbaren Marktsegmenten zulässig sei, falls dadurch lediglich die Mehrkosten gedeckt würden, die in dem Grundversorgungsbereich entständen. Es müsse verhindert werden, daß sich andere Unternehmen einfach die rentablen Leistungen als ,,Rosinen" herauspickten und auf diesen Gebieten ungehindert mit den betrauten Unternehmen konkurrierten. Ansonsten sei die Lebensfahigkeit letzterer Gesellschaften nicht gewährleistet. Dennoch sei ein Ausschluß des Wettbewerbs dann nicht gerechtfertigt, wenn es sich um spezifische, von Dienstleistungen von allgerneinem wirtschaftlichen Interesse trennbare Dienstleistungen handele, die den besonderen Bedürfnissen der Wirtschaftsteilnehmer entsprächen und bestimmte zusätzliche Leistungen erforderten, welche die mit der besonderen Aufgabe betrauten Unternehmen nicht anböten. Dieses wurde vorn Gerichtshoffür Eilkurierdienste bejaht, da der herkömmliche Postdienst Leistungen dieser Art nicht anbietet. In dieser Fallkonstellation ging es allerdings nicht um eine Ausnahme von dem Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV, da die Einräumung einer Monopolstellung nicht zu einer Belastung öffentlicher Mittel führt, sondern darum, ob die Ausübung des ausschließlichen Rechts gegen Art. 82 EGV verstieß. Dennoch stellte dieses Urteil einen wichtigen Anhaltspunkt für die Auslegung des Art. 86 II EGV auch schon im Hinblick auf die Beihilfevorschriften dar. 37 Um eine AufschlüsseJung der jeweiligen Kosten für die Erfüllung der Sonderaufgabe und für die Tatigkeiten im Wettbewerbsbereich zu erreichen, drängt die Kommission die Mitgliedstaaten zu einer getrennten Buchführung. Falls eine solche jedoch noch nicht eingeführt worden ist, behilft sich die Kommission, indem sie den prozentualen Anteil des Wettbewerbsbereichs am Gesamtumsatz der Gesellschaft ermittelt und diesen dann von den Mehrkosten abzieht. Dieses Vorgehen wird von der Rechtsprechung gebilligt, siehe EuGei Slg. 1997 II, 229, 283 in Rs. T-106/95 (FFSA). 38 So eine private Versicherungsgesellschaft in EuGei Slg. 1997 II, 229, 272 in Rs. T-1 06/95 (FFSA). 33

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lll. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung der Aufgabenerfüllung

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gegengetreten. Nach ihrer Meinung besteht dann, wenn der Beihilfeumfang nur die durch die Erfüllung der Sonderaufgabe entstehenden Verluste ausgleicht, keine Veranlassung zu dem Schluß, daß ein Ressourcentransfer in Bereiche stattfindet, die dem Wettbewerb offenstehen.'9 Aus diesem Grund sind auch staatliche Kapitaleinlagen bei betrauten Unternehmen zum Ausgleich der in dem geschützten Bereich entstehenden Mehrkosten zulässig. Es ist allerdings zu beachten, daß die Höhe maximal den in der Vergangenheit entstandenen Verlusten entsprechen darf, zukünftige Mehrkosten dürfen nicht antizipiert werden. Da Kapitalzuführungen in der Regel nicht sukzessive gewährt werden, wie dies etwa bei einer Begünstigung durch Steuererleichterungen der Fall ist, wäre anderenfalls nicht auszuschließen, daß die Beihilfe auch Tatigkeiten der Gesellschaft im Wettbewerbsbereich zugute kommt. 3. Keine Überprüfung der Art und Weise der Aufgabenerfüllung

Sehr umstritten ist, ob eine Verhinderung der Aufgabenerfüllung ausgeschlossen werden muß, falls der Versorgungsauftrag auf eine andere Art und Weise erfüllt werden kann, die den Wettbewerb weniger beeinträchtigt. Zum Beispiel könnte hier beachtlich sein, daß die Grundversorgung der Bevölkerung mit einer bestimmten Leistung ebenfalls durch ein kleineres Filialnetz, seltenere Verkehrsverbindungen oder weniger Personal sichergestellt werden könnte. Diese Prüfung könnte darin gipfeln, daß der öffentlichen Hand hinsichtlich einer Beihilfe für eine betraute Gesellschaft deswegen keine Freistellung gemäß Art. 86 li EGV gewährt werden dürfte, weil die Dienstleistung genausogut von der Privatwirtschaft erbracht werden könnte. Dadurch entstände ein mittelbarer Zwang zur Auflösung bestehender Kapitalbeteiligungen des Staates an diesen Unternehmen. Für ein solches Vorgehen scheint zunächst der Wortlaut des Art. 86 li EGV zu sprechen, wonach es darauf ankommt, ob die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften die Erfüllung der Aufgabe verhindert. Eine solche Verhinderung könnte aber gerade zu verneinen sein, wenn die Leistung auch ohne eine Vertragsverletzung auf andere Weise erbracht werden kann. Dieses entspräche einer strikten Anwendung des Erforderlichkeitsmaßstabes, wonach alle milderen Mittel in Betracht gezogen werden müssen, die zur Zielverwirklichung ebenso geeignet sind. Damit würde sich die Prüfung an die aus dem Bereich der Grundfreiheiten bekannte Cassis-Doktrin60 annähern, wonach eine Beschränkung des freien Warenaustausches nur durch "zwingende Erfordernisse" gerechtfertigt werden kann, wenn also keine anderen weniger beeinträchtigenden Maßnahmen möglich sind. Ein solcher Einklang der Prüfungsmaßstäbe sei wünschenswert, da dadurch die Kohärenz S9 60

EuGel Slg. 1997 II, 229, 285 in Rs. T-106/95 (FFSA). EuGH Slg. 1981,649,662 in Rs. 120/81 (Cassis de Dijon).

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

und Geschlossenheit der Rechtsordnung gewahrt würden. 61 Auch Art. 295 EGV stehe einer solchen Auslegung nicht im Wege, da dieser zwar den Bestand des öffentlichen Sektors schütze, nicht aber die Ausübung der Eigentumsrechte. Somit seien ineffiziente Organisationsabläufe im Rahmen der Erfüllung des Versorgungsauftrags nicht schutzwürdig. Eine Erstreckung der Überprüfung auf die Modalitäten der Leistungserbringung ist jedoch abzulehnen. Die gegenteilige Meinung verkennt schon den Wortlaut des Art. 86 ll EGV, der verlangt, daß die Erfüllung der den betrauten Unternehmen übertragenen Aufgaben verhindert wird. Das bedeutet, daß die Art und Weise der Aufgabenerfüllung der Organisationsgewalt des jeweiligen Mitgliedstaates vorbehalten bleibt. Darin liegt auch der prinzipielle Unterschied zu den "zwingenden Erfordernissen", da bei den Grundfreiheiten Organisationsentscheidungen des Staates bezüglich seiner Sektoren der Grundversorgung keine Rolle spielen.62 Außerdem muß Art. 86 ll EGV als eigenständige Ausnahmeregelung von den Vertragsvorschriften eine genuine Bedeutung über die der sonstigen Rechtfertigungsgründe hinaus besitzen. Ansonsten wäre im Bereich der Warenverkehrsfreiheit eine Prüfung des Art. 86 ll EGV neben den Cassis-Grundsätzen sinnlos. Art. 86 ll EGV enthält kein "Optimierungsgebot"63 in bezug auf die Leistungserbringung, anderenfalls würde man dem Kompromißcharakter dieser Ausnahmeregel nicht gerecht. Mit ihr wurde ein Ausgleich zwischen dem Interesse der Mitgliedstaaten an dem Einsatz besonderer Unternehmen zur Grundversorgung und dem Grundsatz des freien Wettbewerbs angestrebt. 64 Dieser Konflikt würde sonst einseitig zugunsten des Wettbewerbsprinzips entschieden, da fast immer effizientere Organisationsmöglichkeiten zur Aufgabenerfüllung vorstellbar sind. Auch die zusätzliche Grenze des Art. 86 II 2 EGV wäre bei einer derartigen Auslegung überflüssig, da eine Verhinderung im Sinne von Art. 86 II 1 EGV wohl nie zu bejahen wäre.65 Ferner setzt ein solch extensives Verständnis des Verhinderungstestes eine komplexe politische, wirtschaftliche und soziale Betrachtung der Rahmenbedingungen in dem betreffenden Mitgliedstaat voraus. Bei Verstößen gegen Art. 81, 82 EGV, zu deren Untersuchung die nationalen Gerichte wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Vorschriften berufen sind, käme dadurch eine Aufgabe auf diese Gerichte zu, die sie nicht bewältigen könnten.66 van der Esch in ZHR 155 (1991), 274, 285; Bellamy!Chi/d, Rn.l3-025. Edward!Hoskins in CMI..Rev 1995, 157, 170; Hailbronner in NJW 1991,593,601. 63 So auch Burgi in EuR 1997,261, 276f. 60 Siehe E. Mfmmenga!Mestmäcker, XII. D., Rn.49. 66 Edward/Hoskins in CMI..Rev 1995, 157, 170. 61

62

III. Rechtliche oder tatsächliche Verhinderung der Aufgabenerfüllung

167

Schließlich ist zwar zuzugeben, daß Art. 295 EGV allein den Bestand der nationalen Eigentumsordnungen schützt. Art. 86 II EGV geht allerdings darüber hinaus, indem er auch die Art und Weise der Leistungserbringung von der gemeinschaftsrechtlichen Kontrolle ausnimmt. Überprüfbar bleibt demgegenüber die Finanzierung der öffentlichen Versorgungsleistungen. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung ist somit zu untersuchen, ob etwa die Einräumung ausschließlicher Rechte oder die Gewährung staatlicher Beihilfen unerläßlich ist, um die Aufgabenerfüllung, so wie sie von den betrauten Unternehmen tatsächlich gehandhabt wird, unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen sicherzustellen. In diesem Sinne hat auch die Rechtsprechung entschieden, daß es nicht Aufgabe der Gemeinschaft ist, unter Berücksichtigung politischer, wirtschaftlicher und sozialer Gesichtspunkte die potentiellen Maßnahmen der Mitgliedstaaten zu würdigen, um eine möglichst effektive Erfüllung der Sonderaufgaben zu gewährleisten. Sie ist nicht befugt, die Zweckmäßigkeit zu überprüfen. 67 Es ist unbeachtlich, wenn die Kommission die tatsächlich entstehenden Kosten für zu hoch hält, da das alleinige Ziel des Beihilfeverbotes in durch Art. 86 II EGV geschützten Bereichen darin besteht, die Verlagerung der Beihilfe in den Wettbewerbsbereich zu verhindern.68 Eine Überprüfung der Modalitäten der Leistungserbringung ist nur dann zulässig, wenn die Kommission zum Zwecke der Harmonisierung Richtlinien für diese Bereiche erläßt, was wegen Art. 86 III EGV möglich ist. Anderenfalls darflediglich die Finanzierung der tatsächlich erbrachten Dienstleistungen untersucht werden, die etwa durch Kapitalzufuhren der öffentlichen Hand an die betrauten Unternehmen geschehen kann. Der Staat ist insbesondere auch nicht praktisch dazu gezwungen, bestehende Beteiligungen an diesen Gesellschaften aufzulösen, falls die Sonderaufgabe ebensogut von der Privatwirtschaft erfüllt werden könnte. 4. Kein Vorrang anderer Befreiungsmöglichkeiten

Ein großer Teil der Literatur geht davon aus, daß ein Mitgliedstaat sämtliche anderen Befreiungsmöglichkeiten des Vertrages in Anspruch genommen haben muß, bevor er sich auf Art. 86 II EGV berufen kann. Deshalb könnte auch bezüglich staatlicher Kapitalzuführungen an die betrauten Unternehmen zunächst eine Genehmigung nach Art. 87 II, III EGV versucht und sogar ein Verfahren vor dem Rat gemäß Art. 88 II Unterabsatz 3 EGV zur Erteilung einer Sondergenehmigung durchgeführt werden müssen. 67 EuGH Slg. 19971,5699,5785 in Rs.C-157/94 (SEP); EuGel Slg. 1997 II, 229,265 in Rs. T-106/95 (FFSA). Daher war es in EuGel Slg. 1997 II, 229, 260, 276 in Rs. T-106/95 (FFSA), sogar unbeachtlich, daß sich 58 Prozent der französischen Postämter in Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern befanden und der diensthabende Beamte deshalb bei acht Stunden Dienst pro Tag oft nur etwas mehr als eine Stunde lang beschäftigt war. Statt dessen hätte Frankreich die Zahl der Postämter noch erhöhen können, ohne daß diese Erhöhung für die Beurteilung im Rahmen von Art. 86 II EGV hätte berücksichtigt werden können. 68 Stellungnahme der Kommission in EuGel Slg. 1997 II, 229, 259 in Rs. T-106/95 (FFSA).

168

E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

Diese Arten der Freistellung müßten Vorrang haben, da sie in Anwendung des Wettbewerbsrechts geschähen, während Art. 86 II EGV eine Ausnahme davon begründe.69 Erst wenn kein vertragsmäßiges Verfahren die widerstreitenden Interessen in Einklang bringen könne, komme Art. 86 II EGV zum Zuge. Hierin zeige sich der Charakter der Ausnahmevorschrift als ultima ratio, nur nach einem vergeblichen Ablauf der anderen Verfahren könne davon gesprochen werden, daß eine Verhinderung der Aufgabenerfüllung vorliege. 70 Die Annahme eines solchen Erfordernisses findetjedoch keine Stütze im Vertrag, der ein bestimmtes Vorverfahren vor der Anwendung des Art. 86 II EGV gerade nicht vorschreibt. Zwar wäre es wegen Art. 86 III EGV zulässig, daß die Kommission per Richtlinie ein solches einführt, das ist allerdings bislang nicht geschehen. Insbesondere Art. 88 II Unterabsatz 3 EGV stellt nur eine fakultative Möglichkeit für die Mitgliedstaaten dar, eine Freistellung ihrer Fördermaßnahmen durch den Rat zu erreichen, eine Verpflichtung dazu ist dem Wortlaut nicht zu entnehmen. Ein derartiges Vorverfahren wäre außerdem zu umständlich71 und würde zu einem Leerlaufen des Art. 86 II EGV führen, da der Rat sich in der Praxis wohl nur selten mit einzelnen Beihilfen befassen könnte. Daher prüft auch die Rechtsprechung nach der Feststellung der Beihilfeeigenschaft im Sinne von Art. 87 I EGV gegebenenfalls sofort eine Ausnahme nach Art. 86 II EGV, ohne auf andere Befreiungsmöglichkeiten einzugehen.n IV. Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse Allein die Verhinderung der Aufgabenerfüllung reicht nicht aus für eine Befreiung von den Vertragsvorschriften. Art. 86112 EGV stellt als zweite Schranke das Erfordernis auf, daß die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden darf, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Letztendlich kann sich das Gemeinschaftsinteresse also gegenüber dem mitgliedstaatliehen Interesse an der Erfüllung der Sonderaufgaben durch besondere Unternehmen Grabitz!Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 53. Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 27; Dauses!Emmerich, H. II., Rn. 161; Page in ELR 1982, 19, 31; Mestmäcker in RabelsZ 52 (1988), 526,569. 71 Diese Auffassung wird auch von Gleiss!Hirsch, Art. 90 EGV, Rn. 16, vertreten. 69

70

72

EuGel Slg. 1997 II, 229, 280 in Rs. T-106/95 (FFSA). Unzutreffend ist der Verweis in

GTE!Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 63, auf das Urteil des Gerichtshofs in EuGH Slg. 1994 I,

877, 909 in Rs. C-387/92 (Banco Exterior). Dort wurde erklärt, daß eine bestehende Beihilfe fortgeführt werden könne, solange die Kommission nicht deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt habe, und daß deshalb eine Prüfung des Art. 86 II EG V nicht notwendig sei. Daraus kann aber nicht der Schluß gezogen werden, eine Genehmigungsmöglichkeit nach Art. 87 II, 111 EGV genieße den Vorrang gegenüber Art. 86 II EGV. Die Feststellung bedeutet lediglich, daß für bestehende Beihilferegelungen im Sinne von Art. 88 I 1 EGV das Durchführungsverbot des Art. 88 111 3 EGV nicht gilt und deshalb vor einer Entscheidung der Kommission nicht auf etwaige Ausnahmetatbestände eingegangen werden muß.

IV. Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse

169

selbst dann durchsetzen, wenn den betrauten Gesellschaften durch die Anwendung des Vertrages die Leistungserbringung unmöglich wird.73 Es ist eine Interessenahwägung vorzunehmen zwischen dem allgemeinen wirtschaftlichen Interesse des jeweiligen Mitgliedstaates und dem Gemeinschaftsinteresse. Worin letzteres liegt, muß vor allem den Zielen der Art. 2, 3 EGV entnommen werden, wobei die hervorgehobene Bedeutung der Errichtung des Binnenmarktes zu berücksichtigen ist.74 Da das gemeinsame Interesse einer dynamischen Entwicklung unterliegt, muß auch das ergangene Sekundärrecht beachtet werden. Zur Konkretisierung des Gemeinschaftsinteresses steht der Kommission Art. 86 III EGV zur Verfügung.75 In der Entscheidungspraxis hat diese Abwägung bisher kaum eine Rolle gespielt, in den meisten Fällen scheiterte eine Berufung schon an den Voraussetzungen des Art. 86 II 1 EGV. Daher ist die genaue Bedeutung noch weitgehend ungeklärt. Im Rahmen der Ausweitung der Kontrolle durch die Kommission auf Bereiche der Daseinsvorsorge ist allerdings zu erwarten, daß in Zukunft eine Reihe von staatlichen Beihilfen und insbesondere von Kapitalzuführungen an Versorgungsunternehmen an dieser Klausel gemessen wird.76 1. Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs

Die Voraussetzung der "Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs" ist nicht mit dem in Art. 87 I EGV verwandten Begriff der "Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten" identisch und nicht schon erfüllt, falls bestimmte grenzüberschreitende Warenströme spürbar begrenzt oder umgelenkt werden.77 Ansonsten könnte Art. 86 II EGV seinem Zweck nicht gerecht werden, einen Interessenausgleich zu schaffen zwischen dem Einsatz betrauter Unternehmen als Mittel nationaler Wirtschaftspolitik und der Einhaltung des Wettbewerbsprinzips. Da die übermäßige "Veränderung der Handelsbedingungen" auch Grenze einer Freistellung nach Art. 87 III EGV ist, muß Art. 86 II 2 EGV eine darüber hinausgehende Ausnahmemöglichkeit vom Beihilfeverbot eröffnen. Zur Bestimmung des Begriffs der ,,Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs" ist darauf abzustellen, ob die fragliche Abweichung vom Vertrag den 73 Mestmäcker in RabelsZ 52 (1988), 526, 570, spricht daher von einem Vorrang des Gemeinschaftsinteresses für den Fall eines sonst nicht lösbaren Konflikts mit dem Interesse der Mitgliedstaaten. 74 Bleckmann/Schollmeier!Krimplwve, Rn. 1983; Calliess!Ruffert!Jung, Art. 86 EGV, Rn. 52; vergleiche auch B. l. 1. 75 Jmmenga!Mestmäcker, XII. D., Rn. 65. 76 Deshalb kann entgegen Smit!Herzog, § 90.05, nicht davon ausgegangen werden, daß die Klausel im Grunde überflüssig ist. 77 EuGH Slg. 1991 I, 1223, 1263 in Rs. C-202/88 (Endgeräterichtlinie).

170

E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

freien Güteraustausch insgesamt und nicht nur für einzelne Produkte beeinßußt.78 Nur die grundsätzliche Autonomie des Gesamtprozesses wird geschützt. Folge dieser Auslegung ist, daß selbst dann, wenn der Handel zwischen den Mitgliedstaaten für ein Produkt ganz unterbunden ist, dennoch die Entwicklung des Güterverkehrs, insgesamt betrachtet, nur unwesentlich beeinträchtigt werden und die Ausnahme des Art. 86 II EGV eingreifen kann.'9 Bei der Beurteilung der Auswirkungen einer staatlichen Kapitaleinlage auf den Gesamtprozeß des innergemeinschaftlichen Handels sind die durch die Beihilfe verursachten Veränderungen der Warenströme zu untersuchen.80 Es ist ein Vergleich anzustellen zwischen der potentiellen Entwicklung des Güteraustausches zwischen den Mitgliedstaaten ohne und bei Gewährung der finanziellen Unterstützung. Gegen diesen Ansatz wird vorgebracht, daß ein quantitatives Verständnis den Prinzipien widerspreche, die sonst für die Auslegung der Wettbewerbsregeln gelten. In allen anderen Fällen wie zum Beispiel bei Art. 87 I EGV komme es nur auf die Geeignetheit zur Handelsbeeinträchtigung an. Außerdem verliere Art. 86 II 2 EGV jede begrenzende Bedeutung, falls man auf die Auswirkungen auf den gesamten Gemeinsamen Markt abstelle. Eine nach Art. 86 II 1 EGV zulässige Ausnahme für eine bestimmte Dienstleistung könne nämlich schwerlich den Freiverkehr im ganzen Binnenmarkt beeinträchtigen. Statt dessen wird vorgeschlagen, die Wirkungen auf den unmittelbar betroffenen aktuellen und potentiellen Handelsverkehr zu prüfen.81 Ein solches Kriterium erweist sich jedoch als ungeeignet, da die Beschränkung der Untersuchung auf den durch die Beihilfe unmittelbar betroffenen Teilmarkt und angrenzende Sektoren dem Vorgehen im Rahmen des Art. 87 III EGV entspricht. Art. 86 II EGV muß aber eine eigenständige Bedeutung besitzen und eine Befreiung über Art. 87 III EGV hinaus ermöglichen. Bei einer Begrenzung der Prüfung auf den Teilmarkt kämen zudem Monopole niemals in den Genuß einer Ausnahme von Art. 82 EGV, was der Tatsache widerspricht, daß ihre Existenz in Art. 86 I EGV vorausgesetzt wird. Auch die Befürchtung, Art. 86 II 2 EGV verliere seinen Charakter als zusätzliche Schranke für eine Befreiung von den Vertragsvorschriften, wenn auf den Gemeinsamen Markt insgesamt abgestellt werde, ist unbegründet. Gerade Unternehmen der Daseinsvorsorge nehmen aufgrund ihrer Größe oft eine herausragende Stellung im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten ein. Da sie zudem häufig mit ausschließlichen Rechten ausgestattet sind, wären die Auswirkungen ihres Verschwindens vom Markt infolge des Ausbleibens der Beihilfe auch auf dem Gesamtmarkt spürbar. Calliess!Ruffert!Jung, Art. 86 EGV, Rn. 51; Grabitz!HilftPernice, Art. 90 EGV, Rn. 55. Grabitz!Hilf!Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 55. 80 Ähnlich GTE!Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 65; Dauses!Emmerich, H. II., Rn. 165. 81 Immenga!Mestmäcker, XII. D., Rn.62. 78

79

IV. Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse

171

Die Geeignetheit zur Handelsbeeinträchtigung wird als Maßstab bei Art. 87 I EGV herangezogen, um einen möglichst weiten Anwendungsbereich des Beihilfeverbotes sicherzustellen.82 Diese Interessenlage ist allerdings nicht vergleichbar mit der Frage, ob den Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer Grundversorgungsunternehmen eine Befreiung von den Vertragsvorschriften gewährt werden soll. Vielmehr darf hier kein derartig strenger Maßstab herangezogen werden, da man sonst dem Kompromißcharakter des Art. 86 II EGV nicht gerecht würde. 83 Deshalb müssen zur Beurteilung der "Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs" im Sinne von Art. 86 II 2 EGV die konkret zu erwartenden Auswirkungen der Beihilfe auf die Gesamtsumme der Güterströme innerhalb der Gemeinschaft untersucht werden. 2. Ausmaß der Beeinträchtigung

Wenn sich aufgrund der Kapitaleinlage eine spürbare mengenmäßige Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Gesamtmarkts durch die staatliche Kapitalzufuhr ergibt, ist die Anwendung von Art. 86 II EGV dennoch nicht automatisch ausgeschlossen. Vielmehr muß zusätzlich eine Abwägung des Gemeinschaftsinteresses mit dem Organisationsinteresse des Mitgliedstaates hinsichtlich seiner Grundversorgungssektoren vorgenommen werden. Die Frage, wo hier die Grenze für eine noch zulässige Beeinträchtigung zu ziehen ist, ist größtenteils noch unbeantwortet. 84 Das hinnehmbare Ausmaß ist jedenfalls überschritten, falls etwa das Diskriminierungsverbot des Art.12 EGV oder die gemeinschaftlichen Grundrechte verletzt werden.85 In bezug auf das Diskriminierungsverbot muß allerdings beachtet werden, Vergleiche oben C. V. In seinen Schlußanträgen in EuGH Slg. 19971,5699,5765 in Rs.C-157/94 (SEP), gelangt der Generalanwalt zu demselben Ergebnis. Problematisch ist hingegen seine Annahme, es komme auf die "tatsächlichen" Wirkungen an. Wie das Beispiel einer beabsichtigten Beihilfe zeigt, können tatsächliche Effekte unter Umständen noch gar nicht eingetreten sein. Es muß daher ausreichen, wenn die staatliche Maßnahme potentiell spürbare mengenmäßige Auswirkungen auf den Gesamtmarkt der Gemeinschaft hat. 84 Auf diese Frage geht das Urteil in EuGei Slg. 199711, 229,287 in Rs. T-106/95 (FFSA), leider nicht ein. Dort wird nur festgestellt, daß keine Wettbewerbsverfalschung im Sinne von Art. 87 I EGV vorliege, da eine Verlagerung der Beihilfe in Bereiche, die dem Wettbewerb offenstehen, nicht anzunehmen sei. Diese Aussage kann noch nachvollzogen werden, wenn man davon ausgeht, daß sich ein Eingreifen der Ausnahmeregel des Art. 86 II EGV zwar nicht auf den Begriff der staatlichen Beihilfe, wohl aber auf die anderen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 87 I EGV auswirkt. Die Feststellung kann für Art. 8611 2EGV jedoch nicht ausreichen, da die fehlende Verlagerung der Beihilfe in den Wettbewerbsbereich schon Teil der Prüfung ist, ob überhaupt eine Verhinderung der Aufgabenerfüllung vorliegt. Als zusätzliche Schranke müssen die Anforderungen in Art. 86 II 2 EGV darüber hinausgehen, weil die Beihilfe selbst dann verboten werden kann, wenn eine Verhinderung der Leistungserbringung vorliegt. Zu diesem wichtigen schweigt das Urteil. 85 Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 28; lmmenga/Mestmäcker, XII. D., Rn. 64; GTE/Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 68; Dauses!Emmerich, H. II., Rn. 166. 82

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E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

daß dieses nicht schon dann verletzt ist, wenn der Staat sich ausschließlich an in seinem Gebiet ansässigen Kapitalgesellschaften beteiligt. Es entspricht nämlich der Natur staatlicher Beihilfen, sie auf im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates ansässige Unternehmen zu beschränken. Eine derartige territoriale Abgrenzung verstößt nicht gegen Art. 12 EGV, falls nicht noch weitergehend danach unterschieden wird, ob die Unternehmen einen Auslandsbezug besitzen, weil sie etwa ihren Hauptverwaltungssitz in einem anderen Mitgliedstaat haben oder das Kapital sich mehrheitlich in ausländischen Händen befindet.86 Teilweise wird angenommen, daß bei Beschränkungen der Grundfreiheiten, vor allem der Warenverkehrsfreiheit des Art. 28 EGV, das Gemeinschaftsinteresse an einer Anwendung der Vertragsregeln immer überwiege.87 Diese Meinung ist jedoch abzulehnen. Art. 86 II EGV würde sonst seiner praktischen Wirksamkeit beraubt, da der größte Teil staatlicher Interventionen zu einer Beeinträchtigung der innergemeinschaftlichen Güterströme führt.S 8 Zudem ist eine Verletzung des als allgemeines Beschränkungsverbot ausgestalteten Art. 28 EGV weniger gravierend als ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot Daher kann die Nichtbeachtung der Grundfreiheiten nicht pauschal zur Unanwendbarkeit des Art. 86 II EGV führen. Eine Freistellung scheidet aber aus, sofern mit dem Verstoß gegen die Grundfreiheiten eine Benachteiligung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten einhergeht. Andere versuchen, bei der Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse eine Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der Cassis-Grundsätze einzuführen.s9 Dem kann allerdings ebenso wie im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Verhinderung der Aufgabenerfüllung nicht gefolgt werden, weil so die eigenständige Bedeutung des Art. 86 II EGV verkannt und der Kompromißcharakter der Vorschrift nicht ausreichend beachtet würde.90 Auch die Nichtbeachtung von Sekundärrecht kann nicht generell zu einem Ausschluß der Befreiungsmöglichkeit des Art. 86 II EGV führen, wie dies im Schrifttum zumindest für einstimmig beschlossene Rechtsakte angenommen wird.91 Ein Mitgliedstaat verstoße gegen das allgemeine Prinzip des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens, wenn er einerseits dem Rechtsakt zustimme, andererseits später aber GTE/Mederer, vor Art. 92-94 EGV, Rn. 10; siehe schon B. II. 2. Calliess/Ruffert/Jung, Art. 86 EGV, Rn. 53; Appe/t, S. 124. Diese Annahme beruht auf dem Urteil in EuGH S1g. 1984,2727,2747 in Rs. 72/83 (Campus Oil). Danach befreie Art.86 II EG V den Mitgliedstaat, der ein Unternehmen mit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse betraut hat, nicht von dem Verbot, zugunsten dieser Gesellschaft und zum Schutze seiner Tätigkeit Maßnahmen zu ergreifen, die entgegen Art. 28 EGV die Einfuhren aus den übrigen Mitgliedstaaten behindern. Diese Rechtsprechung wurde allerdings inzwischen aufgegeben in EuGH Slg. 19971,5699, 5776f. in Rs.C-157/94 (SEP). 88 So auch Grabitz/Hilf/Pernice, Art. 90 EGV, Rn. 59. Außerdem gehen die Beihilfevorschriften den Art. 28 ff. EGV regelmäßig vor, siehe B. li. 2. 89 Appe/t, S.145ff.; Ehricke in EuZW 1993,211, 215f. 90 Vergleiche im einzelnen E. III. 3. 91 GTE/Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 69; ähnlich Dauses/Emmerich, H. li., Rn. 166. 86

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IV. Abwägung mit dem Gemeinschaftsinteresse

173

eine Ausnahme davon erreichen wolle. Diese Argumentation läßt jedoch außer acht, daß das Primärrecht ebenfalls einstimmig beschlossen wurde und Art. 86 II EGV dennoch eine Freistellung davon gewähren kann. Außerdem kann eine Nichtbeachtung von Sekundärrecht nicht pauschal schwerer wiegen als eine Verletzung der primären Vertragsvorschriften. Somit darf eine Berufung auf die Ausnahmeregelung hier nicht als Verstoß gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz des Verbotes des venire contra factum proprium angesehen werden. Vielmehr ist ein eigenständiges Kriterium für die Abwägung nach Art. 86 II 2 EGV zu entwickeln, um einzugrenzen, wann das gemeinsame Interesse das Interesse der Mitgliedstaaten an der Erfüllung der Sonderaufgaben durch betraute Unternehmen überwiegt. Da das Gemeinschaftsinteresse hier nur auf die Sicherung der Autonomie des Gesamtprozesses des innergemeinschaftlichen Handels gerichtet ist,92 kann dieses Interesse erst dann verletzt sein, wenn in den Kernbereich der Vertragsziele aus Art. 2, 3 EGV eingegriffen wird. Der Eingriff muß deshalb so wesentlich sein, daß die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigt werden. Als Folge dieser Auslegung kann die schon dargestellte Verletzung der Grundrechte und des Diskriminierungsverbotes als Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts nie erlaubt sein. Demgegenüber dürfte das Gemeinschaftsinteresse etwa zurücktreten, falls trotz der staatlichen Beihilfemaßnahme die Importe in den betreffenden Mitgliedstaat in dem subventionierten Bereich zunehmen. 93 Generell hängt das zulässige Ausmaß der Beeinträchtigung von der wirtschaftlichen Bedeutung des begünstigten Sektors für den Gesamtmarkt der Gemeinschaft und von der Bedeutung der beeinflußten Handelsströme ab. So kann im Rahmen des Art. 86 II 2 EGV beispielsweise eine Kapitalzuführung an ein Monopolunternehmen für die Vermarktung von Zündhölzern eher hingenommen werden als eine Beihilfe für die Energiewirtschaft.94 Die konkrete Grenzziehung im Einzelfall setzt komplexe wirtschaftliche, politische und soziale Erwägungen voraus, weshalb der Kommission auch hier ein weiter Beurteilungsspielraum zugebilligt werden muß. Tendenziell ist aber davon auszugehen, daß aufgrund des Zusammenwachsens der Märkte die Anforderungen für die Bejahung eines Eingriffes in den Kernbereich der Gemeinschaftsinteressen weiter abnehmen werden.

Siehe E. IV. I . Vergleiche die Schlußanträge des Generalanwalts in EuGH Slg. 1997 I, 5699, 5765 in Rs. C-157/94 (SEP). 94 Ähnlich lmmenga/Mestmäcker, XII. D., Rn. 64. 92

93

174

E. Ausnahmetatbestand des Art. 86 II EGV

V. Zusammenfassung Art. 86 li EGV stellt eine zusätzliche Ausnahmeregelung vom Beihilfeverbot dar. Es kann weder davon ausgegangen werden, daß die Vorschrift funktionslos, noch daß sie auf die Beihilfebestimmungen nicht anwendbar ist. Andererseits wurde ihr Anwendungsbereich durch die Einführung des Art. 16 EGV auch nicht ausgeweitet. Die Befreiungsmöglichkeit betrifft Unternehmen, die von den Mitgliedstaaten mit der Erfüllung von Aufgaben der Grundversorgung betraut werden, insbesondere zur Sicherung von Infrastruktur und Daseinsvorsorge. Ein allgemeines wirtschaftliches Interesse ist anzunehmen, falls ökonomische Belange der Allgemeinheit zumindest mitverfolgt werden. DerBetrauungsakt setzt einen formal eindeutigen Anknüpfungspunkt voraus und beinhaltet materiell, daß die Gesellschaften dazu verpflichtet werden, selbst dann tätig zu werden, wenn das ihrem wirtschaftlichen Eigeninteresse widerspricht. Zur Annahme einer Verhinderung der Aufgabenerfüllung muß die Leistungserbringung dem Unternehmen ohne die Beihilfengewährung wirtschaftlich unzumutbar sein. Dabei ist der Umfang der staatlichen Kapitaleinlage strikt auf die durch die Sonderaufgabe verursachten Mehrkosten zu beschränken, um eine Verlagerung der Begünstigung in Tatigkeitsbereiche der Gesellschaft zu vermeiden, die dem Wettbewerb offenstehen. Eine Überprüfung der Art und Weise der Erfüllung des Versorgungsauftrages ist hingegen nicht zulässig, weil deren Festlegung der Organisationsgewalt des betreffenden Mitgliedstaates vorbehalten ist. Überprüfbar ist allein die Finanzierung der Aufgabenerfüllung. Ein Vorrang anderer Freistellungsmöglichkeiten vor einer Berufung auf Art. 86 II EGV ist nicht anzuerkennen. Als zweite Schranke darf die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Hier muß eine Abwägung vorgenommen werden zwischen dem Gemeinschaftsinteresse und dem Interesse der Mitgliedstaaten an der Sicherstellung der Grundversorgung durch betraute Unternehmen. Eine Beeinträchtigung der Entwicklung des Handelsverkehrs liegt vor, falls die Beihilfe konkret spürbare Auswirkungen auf die Gesamtheit des Gemeinsamen Marktes hat. Das Gemeinschaftsinteresse steht einer Kapitalzuführung durch die öffentliche Hand dann entgegen, wenn durch die Beihilfe in den Kernbereich der Gemeinschaftsziele aus Art. 2, 3 EGV eingegriffen wird und somit die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigt werden.

F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung Trotz des prinzipiellen gemeinschaftsrechtlichen Verbots sehen die Mitgliedstaaten die Gewährung staatlicher Beihilfen vielfach als geeignetes Mittel zur Durchsetzung ihrer wirtschaftspolitischen Ziele an. 1 Daher sind sie immer wieder versucht, geplante Zuwendungen nicht bei der Kommission anzumelden, um so einer Beanstandung im Beihilfeverfahren zu entgehen. Gerade bei Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand ist es zudem schwer, eine genaue Unterscheidung zu treffen zwischen dem Vorliegen einer Beihilfe und marktwirtschaftlichem Eigentümerverhalten,2 weshalb die Mitgliedstaaten oftmals davon ausgehen, daß gar keine notifikationspflichtige Maßnahme vorliegt. Falls die Kommission in diesen Fällen auf andere Weise von der Mittelzuführung Kenntnis erlangt, leitet sie dennoch häufig eine Überprüfung ein. Kommt sie dabei zu einem für den investierenden Mitgliedstaat negativen Ergebnis, so sind Konflikte vorprogrammiert. Außerdem kommt es vor, daß sich ein Konkurrent durch eine für das begünstigte Unternehmen positive Beihilfeentscheidung benachteiligt fühlt und diese beanstandet. Um bei unterschiedlichen Bewertungen eine Lösung zu finden, muß eine unabhängige gerichtliche Kontrolle der Entscheidung möglich sein. Ein zusätzliches Problem stellt sich der Kommission hinsichtlich der Prüfung staatlicher Beihilfen zugunsten von öffentlichen Unternehmen. Wegen bestehender Verflechtungen mit der öffentlichen Hand und der damit verbundenen Intransparenz ist es schwer, überhaupt Informationen zu erhalten über Mitteltranfers innerhalb des öffentlichen Sektors. Um das materielle Beihilferecht durchzusetzen, ist hier ein effektives Kontrollverfahren erforderlich. Anderenfalls wäre das Verbot des Art. 87 I EGV leicht zu umgehen und würde seiner praktischen Wirksamkeit beraubt. Es ist zunächst zu untersuchen, auf welche Weise die Kommission eine wirksame Aufsicht auch im Hinblick auf öffentliche Unternehmen sicherstellen will. Danach wird das Verfahren der Beihilfenaufsicht gemäß Art. 88 EGV dargestellt, bevor auf die Klagemöglichkeiten der Beteiligten eingegangen wird.

1 2

SieheC.I.2.b). Zu den hierfür relevanten Kriterien vergleiche C. l. 4.

176

F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

I. Informationspflichten nach der Transparenzrichtlinie Öffentliche Unternehmen unterliegen der Beihilfenkontrolle wegen Art. 86 I EGV genauso wie private Gesellschaften. Erstere erfüllen für den Staat häufig eine doppelte Funktion.3 Zum einen dienen sie der Einnahmeerzielung, zum anderen werden sie aber auch gezielt als Instrumente der Wirtschaftspolitik eingesetzt, indem die Unternehmen beispielsweise aus beschäftigungspolitischen Gründen die Produktion in unrentablen Sektoren aufrechterhalten. Deshalb besteht gerade in diesem Bereich eine erhöhte Gefahr staatlicher Subventionierung.4 Gleichzeitig kann die Vielschichtigkeit der Verbindungen des Staates zu seinen öffentlichen Unternehmen jedoch verhindern, daß die Kommission überhaupt Kenntnis von den gewährten Beihilfen erlangt. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat die Kommission im Jahr 1980 eine Richtlinie über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und ihren öffentlichen Unternehmen erlassen,5 in der den Mitgliedstaaten bestimmte Informationspflichten auferlegt werden. Erstmalig erging damit ein auf Art. 86 III EGV gestützter Rechtsakt Die Verpflichtungen sind nicht Teil der eigentlichen Beihilfenkontrolle im Sinne von Art. 88 EGV, da sie unabhängig vom Vorliegen einer Begünstigung bestehen.6 Sie sind dem Verfahren vielmehr vorgelagert und sollen gewährleisten, daß die Kommission die erforderlichen Informationen erhält, um etwaige Beihilfemaßnahmen offenlegen zu können. 1. Art. 86 III EGV als taugliche Rechtsgrundlage

Art. 86 III EGV stellt eine Konkretisierung der allgemeinen Überwachungsaufgabe der Kommission aus Art. 211 EGV dar7 und verleiht ihr darüber hinaus die Befugnis, in bezugauf die Anwendung von Art. 86 I, ll EGV erforderlichenfalls geeignete Richtlinien oder Entscheidungen an die Mitgliedstaaten zu richten. Zunächst war allerdings umstritten, wie weit diese Rechte reichen und ob sie die Kommission insbesondere ermächtigen, neue Verpflichtungen der Mitgliedstaaten wie durch die Transparenzrichtlinie zu begründen. Es wurde vertreten, daß die Kommission nicht zuständig sei für den Erlaß derartiger Rechtsakte. Nach dem systematischen Zusammenhang des Vertrages stehe die GTE/Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn.l10. Mitteilung der Kommission über öffentliche Unternehmen in derverarbeitenden Industrie, ABI. 1993, Nr.C 307, 3. s Richtlinie der Kommission 80n23/EWG, ABI. 1980, Nr. L 195, 35 ff. (Transparenzrichtlinie), geändert durch die Richtlinie der Kommission 85/413/EWG, ABI. 1985, Nr.L 229, 20f., und die Richtlinie der Kommission 93/84/EWG, ABI. 1993, Nr.L 254, 16ff. Die Verabschiedung einer Neufassung dieser Richtlinie wird für die Mitte des Jahres 2000 erwartet. 6 So auch Soukup, S. 63. 7 Geiger, Art. 90 EGV, Rn. 14; Lenz/Grill, Art. 86 EGV, Rn. 30. 3 4

I. Informationspflichten nach der Transparenzrichtlinie

177

originäre Rechtsetzungsbefugnis in vollem Umfang dem Rat zu, während die Kommission nur Überwachungs- und Durchführungsbefugnisse besitze. Daher müßten die Bestimmungen des Vertrages, die der Kommission ausnahmsweise die Möglichkeit zum Erlaß von Richtlinien einräumen, so ausgelegt werden, daß diese Rechtsakte keine generellen Bestimmungen mit normativem Charakter enthalten könnten, sondern nur dazu dienen dürften, einer besonderen Sachlage in einem oder mehreren Mitgliedstaaten zu begegnen.8 Ansonsten werde gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstoßen. Aus diesem Grund hätten die in der Transparenzrichtlinie enthaltenen Verpflichtungen gemäß Art. 89 EGV in einer Durchführungsverordnung vom Rat erlassen werden müssen, der Kommission könne hier keine konkurrierende Zuständigkeit nach anderen Vertragsvorschriften zuerkannt werden. Außerdem sei die Einführung dieser Informationspflichten nicht erforderlich, da es über die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen öffentlichen Unternehmen genügend veröffentlichte Aufzeichnungen gebe, die mindestens ebenso vollständig seien wie diejenigen über die Beziehungen zu privaten Unternehmen. Somit werde auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Art. 295, 86 I EGV verstoßen. 9 Des weiteren verletze die Transparenzrichtlinie die Art. 86, 87, 88 EGV, indem sie ohne Rechtsgrundlage den Begriff des öffentlichen Unternehmens definiere und die finanziellen Beziehungen festlege, die staatliche Beihilfen darstellen könnten. Diesen Argumenten ist der Gerichtshof jedoch zu Recht entgegengetreten. Die Auffassung, die Kommission sei für den Erlaß solcher Richtlinien nicht zuständig, findet im Vertrag keine Stütze. Nach Art. 7 I EGV ist die Kommission vielmehr in gleicher Weise an der Wahrnehmung der Aufgaben der Gemeinschaft beteiligt wie die anderen Organe. Gemäß Art. 249 I EGV darf die Kommission im Rahmen der ihr durch den Vertrag verliehenen Befugnisse ebenso wie der Rat Richtlinien erlassen, wobei keine Unterscheidung zwischen Richtlinien mit allgemeiner Geltung und solchen getroffen wird, die nur spezifische Maßnahme vorsehen dürfen. 10 Auch die Möglichkeit des Erlasses von Durchführungsverordnungen durch den Rat ändert nichts an diesem Ergebnis, denn Art. 86 ID EGV und Art. 89 EGV betreffen verschiedene Regelungsgegenstände. Letzterer gehört zu einer Gruppe von Vorschriften über staatliche Beihilfen gleich welcher Art und für welche Empfänger, während ersterer nur öffentliche Unternehmen und solche Gesellschaften betrifft, denen die Mitgliedstaaten besondere oder ausschließliche Rechte gewähren.u Deshalb steht der etwaige Erlaß einer Durchführungsverordnung durch den Rat, in der 8 Diese Meinung vertrat die Regierung von Großbritannien in EuGH Slg. 1982, 2545, 2572f. in verb. Rs.l88, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie). 9 So die Stellungnahme von Frankreich und Italien in EuGH Slg. 1982, 2545, 2577 in verb. Rs.l88, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie). 10 EuGH Slg. 1982, 2545, 2573 in verb. Rs. l88, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie). 11 Vergleiche auch Page in ELR 1980, 492, 497; Brothwood in CMLRev 1983, 335, 339.

12 Bonkamp

F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

178

Bestimmungen enthalten sind, die das Gebiet der den öffentlichen Unternehmen gewährten Beihilfen berühren, der Ausübung der Befugnisse der Kommission aus EGV nicht entgegen. 12 Art. 86

m

In Anbetracht der unterschiedlichen Formen der öffentlichen Unternehmen in den verschiedenen Mitgliedstaaten und der Verästelung ihrer Tätigkeiten sind ihre finanziellen Beziehungen zur öffentlichen Hand häufig vielschichtig und daher auch bei Benutzung der veröffentlichten Informationsquellen schwer überprüfbar. Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht das Bedürfnis abgesprochen werden, zusätzliche Informationen über diese Beziehungen zu erlangen. Bei Beurteilung der Erforderlichkeil der Einführung neuer Verpflichtungen nach Art. 86 III EGV steht der Kommission nämlich ein weiter Beurteilungsspielraum zu. 13 Ebensowenig kann von einer Diskriminierung der öffentlichen gegenüber privaten Unternehmen gesprochen werden, da die Berufung auf den Gleichheitsgrundsatz voraussetzt, daß sich beide Gruppen in einer vergleichbaren Lage befinden. 14 Wahrend private Gesellschaften ihr Marktverhalten jedoch insbesondere mit Rücksicht auf Rentabilitätsanforderungen festlegen, können die Entscheidungen der öffentlichen Unternehmen durch den Staat und Interessen des Allgemeinwohls beeinflußt sein. Hierdurch entstehen finanzielle Beziehungen eigener Art zwischen diesen Unternehmen und der öffentlichen Hand, die sich von den Beziehungen der öffentlichen Hand zu privaten Gesellschaften unterscheiden. Darin liegt ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung bezüglich der Informationspflichten. Schließlich stellen die Begriffsbestimmungen in der Transparenzrichtlinie nicht den Versuch der Kommission dar, einzelne Tatbestandsmerkmale der Art. 86, 87, 88 EGV zu definieren, sondern sollen lediglich den Anwendungsbereich der Richtlinie abgrenzen. 15 Die Kommission besitzt also gemäß Art. 86 III EGV die Möglichkeit, die den Mitgliedstaaten hinsichtlich von Unternehmen im Sinne von Art. 86 I EGV obliegenden 12 Demgegenüber sind Entscheidungen nach Art. 86 III EGV gegenüber Entscheidungen im Beihilfenkontrollverfahren gemäß Art. 88 EGV subsidiär. Zwar kommt Art. 86 III EGV neben Entscheidungen im Sinne von Art. 81, 82 EGV zur Anwendung, da sich diese Vorschriften nur an Unternehmen richten, während über Art. 86 EGV die Mitgliedstaaten verpflichtet werden. Auch im Hinblick auf einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten kann die Kommission unmittelbar eine Entscheidung an die Mitgliedstaaten richten, ohne auf das langwierige Vertragsverletzungsverfahren vor dem Gerichtshof nach Art. 226 EGV angewiesen zu sein. Die Beihilfevorschriften richten sich allerdings ausschließlich an die Mitgliedstaaten, wobei in Art. 88 EGV detaillierte Verfahrensvorschriften für das Vorgehen der Kommission bestehen, die nicht über Art. 86 111 EGV ausgehebelt werden dürfen. Art. 88 EGV ist deshalb als Iex specialis anzusehen. Eine andere Ansicht vertritt hier Appelt, S. 122. 13 EuGH Slg. 1982, 2545, 2573 in verb. Rs. 188, 189, 190/80 (Transparenzrichtlinie); so auch Calliess/Ruffert!Jung, Art. 86 EGV, Rn. 57. 14 Vergleiche schon oben B. 111. 3. 15 Auch die weiteren Klagegründe, daß die Transparenzrichtlinie unzulässigerweise auch Unternehmen erfasse, die in den Anwendungsbereich des EGKSV und des EAGV fielen, sowie daß ein Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip hinsichtlich der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen vorliege, wurden durch den Gerichtshof zurückgewiesen.

I. Informationspflichten nach der Transparenzrichtlinie

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Verpflichtungen zu konkretisieren und zu präzisieren. Sie kann den Mitgliedstaaten sogar neue Verpflichtungen wie in der Transparenzrichtlinie auferlegen, sofern dies zur wirksamen Ausübung ihrer Überwachungsaufgabe notwendig ist. 2. Betroffene öffentliche Verwaltungseinheiten und Unternehmen

In der Richtlinie werden zunächst die staatlichen Untergliederungen und die Unternehmen definiert, für welche die Informationspflichten gelten. 16 Unter dem Begriff der öffentlichen Hand sind danach der Staat sowie andere Gebietskörperschaften zu verstehen, in Deutschland also auch Länder und Gemeinden. Öffentliche Unternehmen sind solche, auf die die öffentliche Hand aufgrund Eigentums, finanzieller Beteiligung, Satzung oder sonstiger Bestimmungen, welche die Tätigkeit des Unternehmens regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluß ausüben kann. Das ist insbesondere anzunehmen, wenn staatliche Stellen die Mehrheit des gezeichneten Kapitals besitzen, über die Mehrheit der mit den Anteilen verbundenen Stimmrechte verfügen oder mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen können. Auf die rechtliche Ausgestaltung der Beziehungen kommt es dabei nicht an, vielmehr wird allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse abgestellt. Einflüsse allgemeiner Art wie zum Beispiel steuer- oder sozialpolitische Entscheidungen des Mitgliedstaates bleiben dagegen außer Betracht, obwohl auch sie erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmen haben können.J7 Die Möglichkeit der Einflußnahme genügt, da die Mitgliedstaaten anderenfalls ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie umgehen könnten, indem sie formal auf die Ausübung ihrer Kontrollrechte verzichten. Durch die Einbeziehung mittelbarer Abhängigkeitsverhältnisse wird zudem klargestellt, daß auch Tochtergesellschaften innerhalb von staatlichen Konzernen erfaßt werden. Allerdings werden einige Arten von Unternehmen vom Geltungsbereich der Richtlinie nicht erfaßt. 18 Zunächst waren hier wesentliche wirtschaftliche Aktivitäten wie der Wasser- und Energieversorgungssektor sowie das Post-, Femrnelde- und Verkehrswesen ausgenommen, mithin große Bereiche der Daseinsvorsorge. 19 Im Jahr 1985 wurden die Informationspflichten jedoch auf diese Gesellschaften ausgedehnt. Nicht erfaßt werden weiterhin öffentliche Unternehmen, die Dienstleistungen erbringen, die den innergemeinschaftlichen Handel nicht merklich beeinträchtigen sowie kleine und mittlere Unternehmen. Außerdem besteht eine Ausnahme für die Zentralbanken der Mitgliedstaaten und für öffentliche Kreditanstalten hinsichtlich der Anlage öffentlicher Mittel zu normalen Marktbedingungen. Art. 2 der Transparenzrichtlinie. GTE!Hochbaum, Art. 90 EGV, Rn. 112. 11 Art. 4 der Transparenzrichtlinie. 19 lmmenga!Mestmäcker, XII. E., Rn. 19; Beutler/Bieber!Pipkorn!Streil, S. 365. 16 17

12•

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprtifung 3. Erfaßte finanzielle Transaktionen

In den sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fällt sowohl die unmittelbare Bereitstellung staatlicher Mittel durch die öffentliche Hand für die betreffenden Gesellschaften als auch die Bereitstellung über öffentliche Unternehmen oder Finanzinstitute.20 Relevantes Kriterium ist also die letztendliche Zurechenbarkeit der Mittel zur öffentlichen Hand. Auch die tatsächliche Verwendung der Gelder ist offenzulegen, wodurch verhindert werden soll, daß etwaige staatliche Beihilfen deshalb nicht erkannt werden können, weil die zugeteilten Mittel zu anderen als den ursprünglich ausgewiesenen Zwecken verwendet werden. Als Beispiele möglicher finanzieller Transaktionen zwischen öffentlichen Stellen und Unternehmen werden einerseits aktive Mittelzuweisungen wie nicht rückzahlbare Zuschüsse oder Darlehen zu Vorzugsbedingungen, insbesondere aber auch staatliche Kapitaleinlagen oder Kapitalausstattungen genannt. Andererseits werden ebenso der Verzicht auf Gewinne und die Nichteinziehung von Schuldforderungen erfaßt.21 Die Aufzählung ist nicht abschließend.22 4. Inhalt der Verpflichtungen

Die Mitgliedstaaten müssen die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit die Angaben über die finanziellen Beziehungen zu ihren öffentlichen Unternehmen der Kommission fünf Jahre lang zur Verfügung stehen.23 Diese Informationspflicht stellt damit keine Bringschuld dar,24 die Mitgliedstaaten müssen die Angaben vielmehr nur auf Verlangen der Kommission mitteilen. 1993 hat die Kommission zusätzlich ein besonderes Berichterstattungssystem für größere öffentliche Unternehmen im verarbeitenden Gewerbe25 etabliert. Wegen der dort stark ausgeprägten Beihilfepraxis erschien es ihr notwendig, jährliche Berichtspflichten über die wichtigsten Teile der betrieblichen Rechnungslegung sowie über bestimmte Finanztransfers wie etwa die Bereitstellung von Aktienkapital einzuführen.26 Die Vorschrift schließt allerdings die Befugnis der Kommission nicht aus, bei Bedarf zusätzliche Informationen anzufordern. w Art. 1 der Transparenzrichtlinie. 21 Art. 3 der Transparenzrichtlinie. 22 Nicolaysen, S. 127. 23 Art. 5 der Transparenzrichtlinie. 24 Soukup, S. 71. ~ Öffentliche Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes sind Gesellschaften, deren Hauptaktivität, definiert als Tätigkeit, die mindestens 50 Prozent des Jahresumsatzes ausmacht, die Verarbeitung ist. Art. 5 a der Transparenzrichtlinie gilt dabei für solche Unternehmen, deren Umsatz im jeweils letzten Geschäftsjahr 250 Millionen Euro überschritten hat. 26 Art. 5 a der Transparenzrichtlinie. Im Jahr 1991 versuchte die Kommission zunächst, die jährlichen Berichtspflichten durch eine bloße Mitteilung einzuführen, da die Pflichten ihrer Meinung nach nur eine Konkretisierung von Art. 5 der Transparenzrichtlinie darstellten, siehe

II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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Die Verpflichtungen richten sich an die Mitgliedstaaten, nicht an die öffentlichen Unternehmen selbst. Aufgrund ihres beherrschenden Einflusses ist es den Mitgliedstaaten jedoch möglich, die Informationen bereitzustellen. Bei einer Weigerung kann die Kommission eine Entscheidung nach Art. 86 ill EGV an den Mitgliedstaat richten oder ein Vertragsverletzungsverfahren gemäß Art. 226 EGV einleiten. II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV Um dem Beihilfeverbot des Art. 87 I EGV nicht seine praktische Wrrksamkeit zu nehmen, bedarf es eines effektiven Verfahrens zu seiner Durchsetzung, das im Vertrag in Art. 88 EGV geregelt ist. Die Überwachungsaufgabe liegt vorbehaltlich einer möglichen gerichtlichen Überprüfung und einer ausnahmsweisen Zuständigkeit des Rates gemäß Art. 88 II Unterabsatz 3 EGV allein in den Händen der Kommission. Diese ist im Gegensatz zum Rat weniger stark tagespolitischen Einflüssen ausgesetzt, so daß durch sie eine strikte Durchführung der Beihilfenkontrolle eher gewährleistet werden kann. Anders als die Informationspflichten gemäß der Transparenzrichtlinie, die nur für öffentliche Unternehmen gelten, unterfallen dem Verfahren nach Art. 88 EGV alle Arten staatlicher Beihilfen unabhängig von ihrem Empfänger. Es werden also auch Kapitalzuführungen an private Gesellschaften erfaßt, die ein marktwirtschaftlich handelnder Kapitalgeber nicht vorgenommen hätte. Das Kontrollverfahren ist in Art. 88 EGV nur summarisch geregelt. Art. 88 I EGV gilt für die fortlaufende Überprüfung bestehender Beihilferegelungen, während Art. 88 m EGV die Kontrolle neu einzuführender oder umzugestaltender Beihilfen sicherstellen soll.27 Beide Alternativen können in das Hauptprüfungsverfahren des Art. 88 II EGV münden. Somit sind beide Verfahren potentiell zweistufig aufgebaut.28 Nachdem die Kommission auf der ersten Stufe nur eine Grobprüfung vornimmt und sich einen ersten Eindruck über die staatliche Maßnahme verschafft, muß sie bei verbleibenden Zweifeln das förmliche Prüfverfahren einleiten, das unter anderem eine Stellungnahme der Beteiligten beinhaltet. Die Beihilfenkontrolle bedie Mitteilung der Kornmission über öffentliche Unternehmen in der verarbeitenden Industrie, ABl. 1991, Nr. C 273,2 ff. Diese Mitteilung wurde vorn Gerichtshof aus formalen Gründen für nichtig erklärt, woraufhin die Kornmission 1993 die Pflichten inhaltlich unverändert in die Transparenzrichtlinie aufnahm. 27 Die in der Literatur verwandte Unterteilung in ein repressives Verfahren gemäß Art. 88 I EGV und ein präventives Verfahren nach Art. 88 III EGV ist begrifflich nicht ganz korrekt, weil die Kornmission beispielsweise bei nicht notifizierten neuen Beihilfen eine Rückforderungsentscheidung treffen und damit repressiv tätig werden kann. Diese Falle sind dennoch nach Art. 88 III EGV zu beurteilen, für sie gilt insbesondere auch das Durchführungsverbot des Art. 88 III 3 EGV. 28 GTE!Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 4. Für bestimmte Arten von Beihilfen hat die Kommission ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren vorgesehen, vergleiche beispielsweise die Mitteilung der Kornmission über das beschleunigte Genehmigungsverfahren für Beihilferegelungen für kleine und mittlere Unternehmen und für Änderungen bestehender Beihilferegelungen, ABl. 1992, Nr.C 213, !Off.

182

F. Kontrolle durch die Kornmission und gerichtliche Überprüfung

hält dabei allerdings ihren bilateralen Charakter als Verfahren zwischen der Kommission und dem die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaat, da anderen Beteiligten nur Anhörungsrechte gewährt werden. Der Vertrag geht in allen Prüfungsphasen von einer loyalen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten aus, zu der letztere schon wegen Art. 10 EGV verpflichtet sind.29 Diese Prämisse trifft in der Praxis jedoch häufig nicht zu, da die Mitgliedstaaten oft neue Beihilfen einführen, ohne diese vorher bei der Kommission anzumelden, oder keine ausreichenden Informationen für eine umfassende Bewertung zur Verfügung stellen. Deshalb sah sich die Rechtsprechung gezwungen, die Verfahrensregeln für derartige Fälle fortzuentwickeln. Zudem haben sich die Gewichte innerhalb der Beihilfenkontrolle verschoben. Während es bei Gründung der Europäischen Gemeinschaft hauptsächlich darum ging, die bestehenden Beihilferegelungen zu überprüfen, spielt dieser Aspekt heute nur noch eine untergeordnete Rolle. 30 Statt dessen ist die Kontrolle neuer staatlicher Interventionen in den Vordergrund gerückt. Um den veränderten Anforderungen Rechnung zu tragen, wurde im Jahr 1999 eine detaillierte Verfahrensordnung auf Grundlage des Art. 89 EGV erlassen. 31 Diese bezweckt zunächst eine größere Transparenz der zu beachtenden Vorschriften, geht allerdings über eine bloße Kodifikation der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze hinaus.32 Sie beseitigt außerdem bestehende Auslegungsprobleme in bezug auf Art. 88 EGV und versucht, durch teilweise Neuerungen zu einer Verfahrensbeschleunigung und effektiveren Durchsetzung des Rechts beizutragen. 1. Verfahren bei neu angemeldeten Beihilfen

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, neue Beihilfen rechtzeitig vor ihrer Gewährung bei der Kommission anzumelden, damit vorab die Zulässigkeil geprüft werden kann.33 Da die Beihilfenkontrolle als zweiseitiges Verfahren zwischen der Kommission und den Mitgliedstaaten ausgestaltet ist, betrifft nur letztere die Notifikationspflicht. Die Mitgliedstaaten müssen dafür Sorge tragen, daß auch Maßnahmen, die von ihren innerstaatlichen Untergliederungen oder ihren öffentlichen Unternehmen durchgeführt werden, angemeldet werden. Während des gesamten Zeitraums der Vor- und Hauptprüfung besteht eine Sperrwirkung hinsichtlich der Auszahlung der Mittel, wodurch verhindert werden soll, Soukup, S. 40. Im Jahr 1997 waren lediglich sechs der 857 beihilferechtlichen Entscheidungen der Kommission auf Art. 881 EGV gestützt, was einem Anteil von 0, 7 Prozent entspricht. Vergleiche zu diesen Zahlen den XXVII. Wettbewerbsbericht 1997, S. 403. 31 Verordnung des Rates 659/99/EG, ABI. 1999, Nr. L 83, 1 ff. (Verfahrensordnung). 32 Sinnaeve in EuZW 1998, 268. 33 Art. 88 Ill 1 EGV, Art. 2 I der Verfahrensordnung. 29

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II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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daß durch voreilige vertragswidrige Interventionen der öffentlichen Hand in den Wirtschaftsablauf das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes beeinträchtigt wird. 34 Dieses Durchführungsverbot ist unmittelbar anwendbar.

a) Notifikationspflichtige staatliche Maßnahmen Unter dem Begriff neuer Beihilfen sind sowohl geplante Beihilferegelungen und Einzelbeihilfen als auch Änderungen bestehender Beihilfen zu verstehen. Angezeigt werden müssen alle staatlichen Begünstigungen, unabhängig davon, ob sie unter eine Ausnahmebestimmung des Vertrages wie zum Beispiel Art. 87 II EGV fallen. Die Feststellung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes ist nämlich allein die Aufgabe der Kommission. 35 Das Notifikationserfordernis gilt jedoch nur, soweit Verordnungen nach Art. 89 EGV oder nach anderen einschlägigen Vertragsvorschriften nichts anderes vorsehen.36 In diesem Zusammenhang wurde der Kommission vom Rat die Möglichkeit eingeräumt, selbst durch Verordnungen bestimmte Gruppen von Beihilfen von der Anmeldeverpflichtung freizustellen. 37 Dazu zählen etwa Maßnahmen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen, falls sie gewisse Kriterien erfüllen, sowie de minimis-Beihilfen. Derartige Verordnungen hat die Kommission bislang allerdings nicht erlassen. Schon jetzt geht sie aber davon aus, daß Begünstigungen, die einen Betrag von 100.000 Euro innerhalb von drei Jahren nicht überschreiten, den Wettbewerb nicht spürbar beeinträchtigen und daher nicht notifiziert werden müssen. 38 Umstritten war lange Zeit, ob nur Beihilfen im Sinne von Art. 87 I EGV bei der Kommission angemeldet werden müssen oder auch solche Maßnahmen, deren Beihilfequalität zweifelhaft ist. Diese Frage ist insbesondere für Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand von großem Interesse, da sich deren Einordnung oft nur aufgrund einer eingehenden Analyse der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage des Unternehmens sowie der wahrscheinlichen künftigen Entwicklung treffen läßt.39 Würde hier jede Unsicherheit ausreichen, hätte das zur Folge, daß beinahe alle staatlichen Kapitalzuführungen im voraus zu notifizieren wären. 34 Art. 88 III 3 EGV, Art. 3 der Verfahrensordnung; EuGH Slg. 1990 I, 307, 356 in Rs. C-301/87 (Boussac). 3s Siehe schon oben 0 .1. 36 Art. 2 I der Verfahrensordnung. 37 Art. 1, 2 der Verordnung des Rates 994/98/EG, ABI. 1998, Nr. L 142, 1, 2 (Gruppenfreistellungen). Auch diese Arten von Beihilfen werden jedoch nicht völlig von der Kontrolle durch die Kommission freigestellt. Vielmehr müssen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 3 der Verordnung ein Verzeichnis dieser Begünstigungen führen und der Kommission Jahresberichte übermitteln. 38 Mitteilung der Kommission über de minirnis-Beihilfen, ABI. 1996, Nr. C 68, 9; vergleiche schon C. IV. 3. 39 Siehe C.l. 4.

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

Dafür könnte sprechen, daß die Beihilfenkontrolle allein die Aufgabe der Kommission und nicht der Mitgliedstaaten ist. Anderenfalls könnten die Mitgliedstaaten das Verbot des Art. 87 I EGV umgehen, indem sie eine Beihilfe nicht als solche deklarierten und so einer Untersuchung durch die Kommission entzögen. Aus diesen Gründen sei der Begriff der Beihilfe in Art. 88 III 1 EGV anders auszulegen als im Rahmen des Art. 87 I EGV, weshalb auch bei Unsicherheiten über die Beihilfeeigenschaft eine Meldepflicht bestehe.40 Gegen diese Auffassung kann jedoch vorgebracht werden, daß bei konsequenter Durchführung eine Unzahl von Beihilfeverfahren auf die Kommission zukäme, weil jeder staatlichen Investition ein gewisses Risiko anhaftet, so daß die Rentabilität nicht sicher im vorhinein feststeht. Dieses würde zu einer Arbeitsüberlastung der Kommission führen, die damit ihr Ziel einer größeren Effizienz durch Konzentration auf die wesentlichen Fälle nicht mehr erreichen könnte. 41 Außerdem würde in Konsequenz dieser Ansicht praktisch jede Kapitaleinlage dem Durchführungsverbot unterliegen, bis die Kommission eine abschließende Entscheidung erlassen hat. Das Verbot hat wegen seiner unmittelbaren Anwendbarkeit aber weitreichende Konsequenzen, bei einem Verstoß gegen die Sperrwirkung müssen nationale Gerichte allein deswegen die Rückforderung der Mittel anordnen.42 Diese schwere Folge ist nur gerechtfertigt, falls tatsächlich eine Beihilfe vorliegt, nicht aber bei einer Investition der öffentlichen Hand, die sich nach eingehender Prüfung als normales marktwirtschaftliches Verhalten darstellt. 43 In der Verfahrensordnung wird die Identität der Begriffe in Art. 88 III 1 EGV und Art. 87 I EGV nun ausdrücklich klargestellt.44 Dennoch ist in Zweifelsfällen den Mitgliedstaaten aus Gründen der Rechtssicherheit eine vorherige Notifikation zu empfehlen, da sie ansonsten Gefahr laufen, daß die Kommission die Gelder zurückfordern läßt, falls sie anders als die Mitgliedstaaten nach Durchführung des Hauptprüfungsverfahrens zu dem Schluß kommt, daß eine Beihilfe vorliegt. aa) Kapitalbeteiligungen der öffentlichen Hand Im Jahr 1984 hat die Kommission eine Mitteilung veröffentlicht, in der sie darlegt, welche Indizien für die Beihilfequalität staatlicher Kapitalbeteiligungen sprechen. Darin werden verschiedene Kriterien in fünf Gruppen unterteilt, die jeweils mit eigenen Notifikationspflichten versehen werden.45 Grabitz!Hilf/von Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 52. Schroeder in ZIP 1996, 2097, 2100; Sinnaeve in EuZW 1998, 268, 269; Soukup, S. 74f. •z EuGH Slg. 19961, 3547, 3591 in Rs.C-39/94 (SFEI). 43 So auch GTE!Mederer, Art. 93 EGV, Rn. lO; Sinnaeve in EuZW 1998, 268, 269. 44 Art. 1 lit. a der Verfahrensordnung. 45 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand arn Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104ff.; siehe auch schon C.I. 3. b). 40

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II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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Keine besonderen Meldepflichten bestehen danach für den einfachen Erwerb eines Teils oder des gesamten Gesellschaftsvermögens eines bereits bestehenden Unternehmens ohne Bereitstellung von neuem Kapital, da dieser Vorgang für die Gesellschaft keine Beihilfe darstellen könne. In anderen Fällen geht sie davon aus, daß a priori ebenfalls keine Beihilfe vorliegt, weshalb diese nur aufgrund regelmäßiger, im Prinzip jährlicher Berichte im nachhinein mitgeteilt werden müßten.46 Dazu gehört beispielsweise die Erhöhung der Beteiligung der öffentlichen Hand an einer Gesellschaft, falls private Anteilseigner gleichzeitig bedeutende Mittel zur Verfügung stellen, oder die Bereitstellung von neuem Kapital für öffentliche Unternehmen, sofern die Bereitstellung von Kapital dem Bedarf an Neuinvestitionen entspricht, auf dem Markt keine strukturellen Überkapazitäten bestehen und es sich um ein finanziell gesundes Unternehmen handelt. Demgegenüber fordert sie eine vorherige Notifikation, wenn etwa unter Berücksichtigung der Finanzlage der Gesellschaft nicht mit einer angemessenen Rendite der investierten Mittel gerechnet werden kann oder die öffentliche Beteiligung lediglich die Wiederaufnahme der unrentablen Tatigkeit eines sich in Schwierigkeiten befindenden Unternehmens über die Gründung einer neuen juristischen Einheit bezweckt. Es sei jedoch nicht auszuschließen, daß bestimmte Kapitalzuführungen nicht unter die aufgeführten Kategorien fallen und infolgedessen nicht im voraus gesagt werden könne, ob sie eine Beihilfe darstellten oder nicht. Hier sollen ebenfalls jährliche Berichte der Mitgliedstaaten im nachhinein ausreichen. Schließlich gebe es noch eine Reihe von Fällen, die zwar nicht direkt unter die aufgelisteten Konstellationen subsumierbar seien, bei denen aber eine "Vermutung" bestehe, daß es sich um Beihilfen handele. Das gelte insbesondere für Maßnahmen, die mit anderen beihilfeverdächtigen Interventionen kombiniert würden oder die in Sektoren erfolgten, die unter strukturellen Überkapazitäten litten. Unter solchen Umständen verlangt die Kommission ebenfalls, vor der Gewährung der Mittel unterrichtet zu werden. Nach Überprüfung der ihr übermittelten Angaben will sie dann innerhalb von fünfzehn Werktagen entscheiden, ob die betreffenden Angaben als Notifikation im Sinne von Art. 88 III I EGV anzusehen sind.47 Diese Meldepflichten sind allerdings für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich, da sie in einer bloßen Mitteilung der Kommission enthalten sind, die an den vertraglich festgelegten Notifikationserfordernissen nichts ändern kann. Die dargestellten Fallkonstellationen können jedoch den Mitgliedstaaten als Orientierung dienen, wann die Kommission vom Vorliegen einer Beihilfe ausgeht. Die Mitteilung trägt damit 46 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 106. 47 Mitteilung der Kommission über Beteiligungen der öffentlichen Hand am Kapital von Unternehmen, EG-Bulletin 9/1984, 104, 107.

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zur Erhöhung der Rechtssicherheit bei und hilft, das Rückforderungsrisiko gering zu halten, wenn zu entscheiden ist, ob eine staatliche Maßnahme ohne vorherige Notifikation durchgeführt werden soll. Eine rechtliche Verpflichtung zur Anmeldung einer geplanten Kapitalbeteiligung besteht aber nur dann, wenn es sich bei der Mittelzuführung tatsächlich um eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV handelt. bb) Privatisierungsmaßnahmen Das gleiche gilt für Maßnahmen der öffentlichen Hand im Zusammenhang mit der Auflösung bestehender Kapitalbeteiligungen. Dennoch hat die Kommission auch für Privatisierungsfalle Regeln aufgestellt, wann sie normalerweise eine Beihilfe bejaht, weshalb derartige Aktivitäten im voraus zu melden seien.48 Keine Notifikationspflicht bestehe, falls die Privatisierung durch den Verkauf von Aktien über die Börse stattfinde. Würden vor der Veräußerung Schulden abgeschrieben oder vermindert, entstehe so lange kein Anlaß zur Annahme einer Beihilfe, wie der Erlös der Veräußerung die Schuldentilgung übersteige. Werde die Veräußerung nicht über die Börse durchgeführt, müsse sie der Kommission dennoch nicht zur vorherigen Prüfung mitgeteilt werden, falls ein offener Ausschreibungswettbewerb stattfinde, die Bieter über genügend Zeit und Informationen verfügten und das Unternehmen an den Meistbietenden verkauft werde. Demgegenüber müßten Veräußerungen notifiziert werden, die beispielsweise im Anschluß an Verhandlungen mit nur einem potentiellen Käufer oder einigen ausgewählten Bietern erfolgten oder denen eine Umwandlung von Schulden in Aktienkapital oder Kapitalaufstockungen vorausgingen. cc) Ergebnis Eine rechtliche Verpflichtung zur Anmeldung geplanter staatlicher Investitionen besteht immer nur dann, wenn tatsächlich eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV vorliegt. Daran können die Mitteilungen der Kommission zu Beteiligungsmaßnahmen der öffentlichen Hand und zu Privatisierungen nichts ändern.

b) Vorläufige Prüfung Das Vorprüfungsverfahren dient der Kommission dazu, sich aufgrund einer kursorischen Analyse der staatlichen Maßnahme eine erste Meinung zu bilden. In dieser Phase ist sie nicht verpflichtet, Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, da das die vorläufige Kontrolle unangemessen hinauszögern würde und auf 48

XXIII. Wettbewerbsbericht 1993, S. 270f.; vergleiche schon C. l. 4. b) bb) (3).

II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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eine Verdoppelung des förmlichen Prüfverfahrens hinausliefe.49 Falls die Kommission hierbei zu dem Ergebnis gelangt, daß offensichtlich keine Begünstigung im Sinne von Art. 87 I EGV vorliegt oder daß die Beihilfe keinen Anlaß zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt bietet, stellt sie dies durch eine Entscheidung fest. Bestehen hingegen Zweifel bezüglich der Zulässigkeit der Kapitalzufuhr, so muß sie das Hauptprüfungsverfahren einleiten.5° Die Entscheidung wird innerhalb von zwei Monaten erlassen, die Zeitspanne verlängert sich aber, falls die Mitgliedstaaten nur unzureichende Informationen einreichen.51 Die Frist beginnt nämlich erst nach Eingang einer vollständigen Anmeldung, die alle sachdienlichen Auskünfte wie etwa den Empfanger der Beihilfe, den Umfang, den Zweck und die Modalitäten der Gewährung beinhalten muß. 52 Genügt die Notifikation den Anforderungen nicht, wirkt die Kommission auf eine Ergänzung der Informationen hin.53 Trifft sie nach vollständiger Unterrichtung innerhalb von zwei Monaten keine Entscheidung, so gilt die Mittelbereitstellung als genehmigt.54 Der betreffende Mitgliedstaat kann daraufhin die Maßnahme durchführen, nachdem er die Kommission hiervon in Kenntnis gesetzt hat, es sei denn, daß diese innerhalb von fünfzehn Arbeitstagen nach Erhalt der Benachrichtigung eine Entscheidung zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens erläßt. c) Förmliches Prüfverfahren Das Hauptprüfungsverfahren wird zwingend durch eine Aufforderung an die Beteiligten eröffnet, sich in einer Frist von normalerweise höchstens einem Monat zu äußem.55 Potentielle Beteiligte sind dabei neben dem die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaat das begünstigte Unternehmen, dessen Konkurrenten beziehungsweise deren Interessenvereinigungen sowie die anderen Mitgliedstaaten. Die Aufforderung ergeht also an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten und erfolgt durch eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften.56 Die Einholung 49 EuGH Slg. 19981, 1719, 1769 in Rs. C-367/95 P (Sytraval und Brink's France); GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn.41; Calliess/Ruffert/Cremer, Art. 88 EGV, Rn. 9. 50 Art. 4 der Verfahrensordnung. 51 So schon EuGH Slg. 19901, 307, 358 in Rs.C-301/87 (Boussac). 52 Art. 2 II der Verfahrensordnung. Nach Art. 27 ff. der Verfahrensordnung ist die Kommission berechtigt, Durchführungsvorschriften zu Form, Inhalt und anderen Einzelheiten der Anmeldung zu erlassen. 53 Gemäß Art. 5 der Verfahrensordnung fordert die Kommission zunächst ergänzende Auskünfte an. Werden die verlangten Informationen nicht oder nicht vollständig erteilt, übermittelt die Kommission ein Erinnerungsschreiben, in dem sie eine zusätzliche Frist festsetzt. Wenn die Daten weiterhin nicht vorgelegt werden, kann das dazu führen, daß die Anmeldung als zurückgezogen gilt, so daß die Beihilfe im Falle ihrer Gewährung als rechtswidrig behandelt wird. 54 Diese Fiktion wurde in EuGH Slg. 1973, 1471, 1482 in Rs. 120/73 (Lorenz), in einer Analogie zu Art. 230 V EGV entwickelt. Sie ist nun in Art. 4 VI der Verfahrensordnung kodifiziert. ss Art. 6, 20 I der Verfahrensordnung; Grabitz/Hilf/von Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 12. 56 EuGH Slg. 1984, 3809, 3826f. in Rs. 323/82 (lntermills).

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

der Stellungnahmen bezweckt zum einen, die Untersuchung der Kommission durch die gewonnenen zusätzlichen Informationen zu vervollständigen, zum anderen aber auch, den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu wahren. Das förmliche Prüfverfahren wird ebenso wie die vorläufige Kontrolle durch eine Entscheidung abgeschlossen. Darin kann festgestellt werden, daß die Kapitalbeteiligung der öffentlichen Hand keine Beihilfe darstellt oder daß sie durch einen Ausnahmetalbestand gerechtfertigt ist. Die Vereinbarkeilserklärung kann mit Bedingungen oder Auflagen versehen werden, die es der Kommission ermöglichen, die Genehmigung zu erteilen und die Befolgung der Entscheidung zu überwachen.s7 Gelangt die Kommission hingegen zu dem Schluß, daß die angemeldete Maßnahme mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, so verfügt sie, daß die Beihilfe nicht eingeführt werden darf. Die Entscheidung muß den generellen Anforderungen an gemeinschaftliche Rechtsakte genügen, sie muß insbesondere ordnungsgemäß begründet werden.58 Erst durch sie wird, abgesehen von der schon während der Prüfungsphase bestehenden Sperrwirkung, das Verbot des Art. 87 I EGV unmittelbar anwendbar. Die Kommission entscheidet, sobald alle Unklarheiten beseitigt sind. Sie bemüht sich darum, möglichst in 18 Monaten nach Eröffnung des Hauptprüfungsverfahrens zu einem endgültigen Ergebnis zu kommen. Ist diese Frist abgelaufen, trifft sie auf Wunsch des betreffenden Mitgliedstaats innerhalb von zwei Monaten auf Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Informationen eine Entscheidung. Reichen die vorgelegten Daten nicht aus, um eine Genehmigung zu erteilen, kann die Kommission gegebenenfalls zu einer negativen Beurteilung gelangen.59 2. Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen Häufig werden neue Beihilfen allerdings ohne vorherige Anmeldung bei der Kommission gewähft60 oder nach einer Notifikation noch während der Dauer des 57 Art. 7 IV der Verfahrensordnung. Schon vor Erlaß der Verfahrensordnung leitete die Kommission das Recht zur Genehmigung unter Bedingungen und Auflagen aus dem Wortlaut des Art. 88 II Unterabsatz 1 EGV her, wonach sie auch die Umgestaltung der Beihilfe fordern darf. Von dieser Befugnis macht sie häufig Gebrauch, vergleiche nur die Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr.L 78, 1, 28f. (GAN); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr.L 25, 26, 43 (Head 1)'rolia Mares); Entscheidung der Kommission, ABI. 1995, Nr. L 308, 92, 118 (Cr~dit Lyonnais). 58 EuGH Slg. 1985, 809, 824 in verb. Rs. 296, 318/82 (Leeuwarder Papierwarenfabriek); EuGH Slg. 1984, 3809, 3830 in Rs. 323/82 (lntermills). 59 Außerdem ist die Kommission befugt, zur Überwachung der Einhaltung Nachprüfungen vor Ort vorzunehmen und ihre Entscheidung zu widerrufen, sofern diese auf während des Verfahrens übermittelten unrichtigen Informationen beruht. Der Mitgliedstaat kann seinerseits die Anmeldung der Beihilfe zurücknehmen, Art. 8, 9, 22 der Verfahrensordnung. 60 1998 waren zum Beispiel 17 Prozent der bei der Kommission neu eingegangenen Fälle nicht angemeldete Beihilfen, vergleiche den XXVIII. Wettbewerbsbericht 1998, S. 401.

II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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Kontrollverfahrens ausgezahlt. Von diesem vertragswidrigen Verhalten der Mitgliedstaaten kann die Kommission dennoch etwa durch Presseberichte oder informelle Beschwerden von Konkurrenzunternehmen61 Kenntnis erlangen. Da das Durchführungsverbot auch für diese staatlichen Maßnahmen gilt, werden sie als rechtswidrige Beihilfen behandelt mit der Folge, daß der Kommission erweiterte Befugnisse zu deren Abstellung zustehen. Bei ihren Entscheidungen ist die Kommission in derartigen Fällen grundsätzlich an keine Fristen gebunden. 62 Gerade bei schwierigen und undurchsichtigen Fallen wie Beteiligungen der öffentlichen Hand an Kapitalgesellschaften besteht ein großer Anreiz für die Mitgliedstaaten, die Mittelzuführungen nicht zu notifizieren. Es besteht nämlich immer die Hoffnung, nicht entdeckt zu werden und so ein langwieriges und aufwendiges Prüfungsverfahren zu vermeiden.63

a) Einstweilige Anordnungen Wenn der Mitgliedstaat die Kapitaleinlage bereits gewährt hat, besteht die Gefahr, daß schon während des Ablaufs von Vor- und Hauptprüfungsverfahren Wettbewerbsverfalschungen eintreten und die Konkurrenten irreversible Schäden erleiden. Schon in dieser Phase muß die Kommission deshalb Befugnisse besitzen, um die Beeinträchtigungen möglichst gering zu halten. Zum einen kann sie hier nach Anhörung des Mitgliedstaates verfügen, daß die rechtswidrige Beihilfe so lange auszusetzen ist, bis die Kommission eine Entscheidung über die Vereinbarkeil mit dem Gemeinsamen Markt erlassen hat.64 Andererseits kann sie aber auch, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, anordnen, die Mittel einstweilig bis zum Erlaß einer abschließenden Entscheidung zurückzufordern.65 Das gilt jedoch nur dann, wenn nach geltender Praxis hinsichtlich des Beihilfecharakters der Maßnahme keinerlei Zweifel bestehen, ein Tatigwerden dringend geboten erscheint und anderenfalls ein erheblicher und nicht wiedergutzumachender Schaden für einen Wettbewerber ernsthaft zu befürchten ist. Die einstweilige Rückforderung erfolgt in diesem Fall unverzüglich und umfaßt angemessene Zinsen für den Zeitraum der ZurArt. 20 II der Verfahrensordnung. Art. 13 II der Verfahrensordnung. 63 Vergleiche nur EuGH Slg. 1991 I, 1603, 1636 in Rs. C-305/89 (Alfa Romeo); EuGH Slg. 1991 I, 1433, 1471 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi); Entscheidung der Kommission, ABI. 1996, Nr. L 272, 46, 52 (Breda Fucine Meridionali). 64 Art.ll I der Verfahrensordnung; so schon EuGH Slg. 19901,307,356 in Rs.C-301/87 (Boussac); EuGH Slg. 19901,959, 1009f. in Rs.C-142/87 (Tubemeuse). 6.1 Art. 11 II der Verfahrensordnung. Dieses Recht nahm die Kornmission schon vor Inkrafttreten der Verfahrensordnung für sich in Anspruch. Die Zulässigkeil einer derartigen Anordnung wurde jedoch teilweise bezweifelt unter Berufung auf das Urteil des EuGH Slg. 1996 I, 3547, 3591 in Rs. C-39/94 (SFEI); vergleiche auch GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 17. 61

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

verfügungstellung des Kapitals. Die Kommission kann den Mitgliedstaat allerdings ermächtigen, die Rückerstattung mit der Zahlung einer Rettungsbeihilfe66 an das betreffende Unternehmen für den Zeitraum bis zu einer endgültigen Entscheidung zu verbinden.

b) Endgültige Rückforderung der Kapitaleinlage Eine endgültige Rückforderung der staatlichen Mittel darf die Kommission nicht allein wegen eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot anordnen. Daher muß sie auch hier ein Vor- und Hauptprüfungsverfahren einleiten, um das Vorliegen einer Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV und deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt festzustellen. 67 Sie fordert dazu alle sachdienlichen Informationen bei dem betreffenden Mitgliedstaat an und kann für den Fall, daß die Daten nicht oder nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden, eine Anordnung zur Auskunftseeteilung erlassen. Bei Nichtbefolgung wird die endgültige Entscheidung auf Grundlage der der Kommission vorliegenden Informationen getroffen. 68 Kommt die Kommission zu einem für den investierenden Mitgliedstaat negativen Ergebnis, so wird diesem aufgegeben, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beihilfe vom Empfänger zurückzufordern. Diesbezüglich steht der Kommission kein Ermessen zu.69 Sie darf die Erstattung allerdings nicht verlangen, falls dies gegen einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts wie den Vertrauensschutz des Begünstigten verstoßen würde. Die Rückforderung muß unverzüglich erfolgen und angemessene Zinsen umfassen. Sie ist erst ausgeschlossen, wenn seit der Gewährung zehn Jahre vergangen sind, wobei Maßnahmen der Kommission oder ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eine Unterbrechung beziehungsweise Hemmung der Frist bewirken. 7o 3. Verfahren bei bestehenden Beihilfen

Im Rahmen der Kontrolle bestehender Beihilfen ist zu unterscheiden zwischen dem Verfahren hinsichtlich der mißbräuchlichen Anwendung einer genehmigten Maßnahme und der fortlaufenden Überprüfung von Beihilferegelungen.71 Zu dem Begriff der Rettungsbeihilfe siehe D.ll. 2.c)cc). Art.13 der Verfahrensordnung; so schon EuGH Slg. 19901,307,357 in Rs.C-301/87 (Boussac); EuGel Slg. 1997 II, 2031, 2047f. in Rs. T-149/95 (Ducros). 68 Art.IO, 13 der Verfahrensordnung; EuGH Slg. 19901, 959, 1010 in Rs.C-142/87 (Tubemeuse); EuGH Slg. 19911, 1433, 1483 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi). 69 Dieses stellt eine Verschärfung im Vergleich zu der bislang geltenden Rechtslage dar. 10 Art.14, 15 der Verfahrensordnung. 71 Zur Definition dieses Begriffes vergleiche Art. I lit. d der Verfahrensordnung sowie schon oben D. II. 2. a) bb) (1). 66

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II. Beihilfenkontrolle gemäß Art. 88 EGV

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Eine mißbräuchliche Anwendung liegt vor, wenn der Empfänger die erhaltenen Mittel entgegen einer Kommissionsentscheidung verwendet, welche die Vereinbarkeil der Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt hat.72 Diese Voraussetzung kann sowohl bei Einzelbeihilfen als auch bei Beihilferegelungen erfüllt sein. Die mißbräuchliche Anwendung wird ähnlich behandelt wie neue rechtswidrige Beihilfen, es sind ebenfalls ein Vor- und gegebenenfalls ein Hauptprüfungsverfahren durchzuführen, die vorläufige Aussetzung der Gewährung kann angeordnet werden, und im Falle einer negativen Beurteilung im förmlichen Prüfverfahren muß die Rückerstattung verlangt werden.73 Da allerdings schon einmal eine genehmigende Entscheidung ergangen ist, gilt das Durchführungsverbot hier nicht automatisch und die einstweilige Rückforderung durch die Kommission für die Dauer der Überprüfung ist nicht zulässig. Einer dauernden Kontrolle unterliegen hingegen nur Beihilferegelungen. In diesen sind auch vereinzelt staatliche Kapitalbeteiligungen an Unternehmen vorgesehen.74 Durch die fortlaufende Überprüfung trägt die Kommission den vielschichtigen und raschen Änderungen unterworfenen wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten Rechnung. Beispielsweise kann inzwischen eine Gesundung des geförderten Sektors eingetreten sein oder sich die Erwerbslosigkeit in der Region verringert haben.75 Als bestehend gelten Förderprogramme, die schon vor lokrafttreten des Vertrages oder vor dem Beitritt neuer Mitgliedstaaten existierten, die von der Kommission für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden sind oder als genehmigt gelten.76 Die Vorprüfungsphase beginnt damit, daß die Kommission die erforderlichen Auskünfte bei den Mitgliedstaaten einholtP Gelangt sie zu der vorläufigen Auffassung, daß eine bestehende Beihilferegelung nicht oder nicht mehr mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, so gibt sie dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von normalerweise einem Monat. Falls danach ihre Zweifel nicht beseitigt sind, schlägt sie zweckdienliche Maßnahmen vor, die insbesondere in der inhaltlichen Änderung des Förderprogramms, der Einfüh72 Art. 1 lit. g der Verfahrensordnung; Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 128, 1, 2 (Olympic Airways). 73 Art. 16 der Verfahrensordnung. 74 Entscheidung der Kommission, ABI. 1998, Nr. C 308, 8 (Deutscher Industriebeteiligungsfonds); Entscheidung der Kommission, ABI. 1988, Nr. L 76, 18, 19 (Griechische Industriebeihilfen); XXVIII. Wettbewerbsbericht 1998, S. 293; XXI. Wettbewerbsbericht 1991, S. 179. 75 Vergleiche GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 30; Beutler/Bieber/Pipkorn!Streil, S. 373; Oppermann, Rn. 1139. 76 Art. 1 lit. b der Verfahrensordnung. Als genehmigt gelten Förderprogramme, über die im Vorprüfungsverfahren nicht innerhalb von zwei Monaten entschieden wurde oder die schon seit zehn Jahren ohne Beanstandung existieren, Art.4 VI, 15 III der Verfahrensordnung. 77 Zur Gewährleistung eines ausreichenden Informationsstandes sind die Mitgliedstaaten außerdem verpflichtet, der Kommission Jahresberichte über die bestehenden Beihilferegelungen zu übermitteln, Art. 21 der Verfahrensordnung.

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Übeq>rüfung

rung von Verfahrensregeln oder der Abschaffung der Beihilferegelung bestehen können. Diese Vorschläge sind als Empfehlungen im Sinne von Art. 249 V EGV jedoch nicht verbindlich, erst wenn der Mitgliedstaat ihnen zustimmt, ist er zur Durchführung verpflichtet.78 Verweigert er seine Zustimmung und vertritt die Kommission trotz der von dem Mitgliedstaat vorgebrachten Argumente weiterhin die Auffassung, daß Änderungen notwendig sind, leitet sie die Hauptprüfung ein. Allerdings besteht während des Kontrollverfahrens keine Sperrwirkung in bezug auf die Auszahlung der Mittel, ebensowenig kann die vorläufige Aussetzung der Beihilfe oder eine Rückerstattung schon gewährten Kapitals verlangt werden. Die Wirkungen einer möglichen negativen Beurteilung treten vielmehr erst mit der abschließenden Entscheidung ein. 4. Verfahren vor dem Rat Nur geringe Bedeutung besitzt das Verfahren nach Art. 88 II Unterabsatz 3 EGV, wonach der Rat einstimmig auf Antrag eines Mitgliedstaats entscheiden kann, daß eine von diesem Staat gewährte oder geplante Beihilfe in Abweichung von Art. 87, 89 EGV als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar gilt, wenn außergewöhnliche Umstände eine solche Entscheidung rechtfertigen. Diese Umstände müssen über die in Art. 87 II, lli EGV genannten Probleme hinausgehen, es müssen besonders erhebliche Schwierigkeiten etwa in einer Region oder einem Wirtschaftsbereich bestehen.79 Bisher hat der Rat fast ausschließlich im Landwirtschaftssektor von diesem Recht Gebrauch gemacht. Hat die Kommission bereits das förmliche Prüfverfahren eingeleitet, so bewirkt der Antrag an den Rat die Aussetzung dieses Verfahrens, bis der Rat sich geäußert hat. Äußert er sich nicht innerhalb von drei Monaten, fallt die Entscheidungsbefugnis an die Kommission zurück. Wird die Beihilfe dagegen durch den Rat genehmigt, wird sie zu einer bestehenden, so daß die Kommission nur noch bei ihrer mißbräuchlichen Anwendung oder, im Falle eines Förderprogramms, bei einer grundlegenden Änderung der Umstände im Rahmen der fortlaufenden Überprüfung gegen sie einschreiten darf. so

III. Gerichtliche Überprüfung Nach Art. 88 II Unterabsatz 2 EGV kann die Kommission oder jeder betroffene Staat unmittelbar den Gerichtshof anrufen, falls der die Beihilfe gewährende Mitgliedstaat eine für ihn negative Entscheidung im Sinne von Art. 88 II Unterabsatz 1 EGV nicht befolgt. In dem gerichtlichen Verfahren können dann gemäß Art. 243 Art. 17, 18, 19 der Verfahrensordnung. Grabitz/Hilf/von Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 38. 80 GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 77. 78

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Ill. Gerichtliche Überprüfung

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EGV auch einstweilige Anordnungen getroffen werden. Eine Vertragsverletzung kann sich jedoch nicht nur durch die Nichtbefolgung einer abschließenden Kommissionsentscheidung ergeben, weshalb die Klagemöglichkeiten im Laufe der Zeit durch die Rechtsprechung erweitert und schließlich teilweise in der Verfahrensordnung kodifiziert wurden. Häufig kommt es vor, daß die Kommissionsentscheidung selbst zum Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung gemacht wird, indem gegen sie Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EGV erhoben wird. Das kann zum einen der Fall sein, wenn sich der subventionierende Mitgliedstaat und das durch die Kapitalzufuhr begünstigte Unternehmen gegen eine für sie ungünstige Entscheidung zur Wehr setzen.81 Andererseits können auch andere Mitgliedstaaten oder Konkurrenzunternehmen gegen eine Genehmigung der Beihilfe vorgehen wollen. 82 Wegen Art. 242 EGV haben diese Klagen grundsätzlich keine aufschiebende Wrrkung, die Gerichte können jedoch die angefochtene Handlung einstweilig aussetzen. Die Erfolgsaussichten solcher Klagen sind allerdings begrenzt, weil die Rechtsprechung die nach Art. 88 EGV ergangenen Entscheidungen für nur eingeschränkt überprüfbar hält.83 Der Kommission sei bei der Beihilfenkontrolle ein weites Ermessen einzuräumen, weil die Beurteilung einer staatlichen Maßnahme Probleme aufwerfe, welche die Berücksichtigung und Bewertung komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge impliziere. Der Gemeinschaftsrichter müsse deshalb die Nachprüfung darauf beschränken, ob die Vorschriften über das Verfahren und die Begründung eingehalten, die Tatsachen richtig ermittelt worden seien und kein offensichtlicher Beurteilungsfehler oder Ermessensmißbrauch vorliege. Das Gericht dürfe nicht seine eigene wirtschaftliche Bewertung an die Stelle der Beurteilung der Kommission setzen.84 Eine derartige Selbstbeschränkung bei der Überprüfung von Ermessensentscheidungen ist angebracht, da die Rechtsprechung ansonsten zu stark in den Kompetenzbereich der Exekutive eingriffe. Sie wird in Art. 229 EGV und Art. 33 I 2 81 Vergleiche etwa EuGel 1996 II, 2109, 2112 in Rs. T-358/94 (Air France); EuGH Slg. 19941,4103,4146 in verb. Rs.C-278, 279,280/92 (Hytasa,lmepiel und lntelhorce). ' 2 EuGel Slg. 1999 II, Rn.1 ff. in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 6.10.1999, noch nicht in amtlicher Sammlung). Wegen der geringen Bedeutung, die Beihilferegelungen im Sinne von Art. 881 EGV für staatliche Kapitalbeteiligungen haben, werden die mit der fortlaufenden Überprüfung zusammenhängenden Probleme der gerichtlichen Anfechtbarkeil nicht gesondert behandelt, vergleiche insoweit etwa GTE!Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 35; Schohe! Hoenike in EuZW 1997,741, 745f. 83 EuGel Slg. 1998 II, 2405, 2408 in verb. Rs. T-371, 394/94 (British Airways und British Midland); EuGel Slg. 1997 II, 2031, 2051 f. in Rs. T-149/95 (Ducros). 84 Wenn eine Kommissionsentscheidung aufgehoben wird, geschieht dies in der Regel wegen einer unzureichenden Begründung im Sinne von Art. 253 EGV. In diesem Fall ist die Kommission jedoch nicht daran gehindert, eine neue Entscheidung zu erlassen, die besser begründet ist und der ersten entspricht, vergleiche die Entscheidung der Kommission, ABI. 1999, Nr. L 63, 66, 76 (Air France); Entscheidung der Kommission, ABI. 1997, Nr. L 96, 30, 36 (Hytasa).

13 Bonkamp

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F. Kontrolle durch die Konunission und gerichtliche Überprüfung

EGKSV vorausgesetzt. Zudem wäre es den Gerichten aufgrund begrenzter personeller Ressourcen unmöglich, selbst eine umfassende Analyse der ökonomischen Gegebenheiten vorzunehmen. 85 In diesem Zusammenhang muß beachtet werden, daß sich der gemeinschaftsrechtliche Ermessensbegriff sowohl auf den Beurteilungsspielraum auf der Tatbestandsseite als auch auf die Rechtsfolgenseite bezieht.86 Daher ist beispielsweise die Annahme der Kommission, daß eine Beihilfe im Sinne von Art. 87 I EGV vorliege, ebenfalls nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Was den Umfang der Begründungspflicht der Kommission angeht, so richtet sich dieser nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Die Begründung muß hinreichend klar abgefaßt sein. Sie braucht jedoch nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte zu enthalten, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 253 EGV genügt, nicht nur anband ihres Wortlauts, sondern ebenso anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet zu beurteilen ist. Insbesondere muß die Kommission nicht alle Details genau berechnen, eine pauschale Schätzung der Auswirkungen der staatlichen Kapitalbeteiligung ist ausreichend.87 Eine Begründung darf aber jedenfalls nicht ganz fehlen.ss Ferner stellt die Rechtsprechung lediglich auf die Informationen ab, die der Kommission zum Zeitpunkt der Entscheidung vorlagen. Ein Rechtsakt sei ausschließlich nach der Sach- und Rechtslage zu beurteilen, die bei Erlaß des Aktes bestanden habe, seine Gültigkeit könne nicht von einer rückschauenden Betrachtung abhängen.89 Anderes gilt lediglich, falls die Kommission beispielsweise eine informelle Beschwerde eines Konkurrenzunternehmens schon im Vorprüfungsverfahren zurückweist, da die Beteiligten in dieser Phase nur eine eingeschränkte Kenntnis des Sachverhalts besitzen und ein förmliches Prüfverfahren, das der umfassenden Erörterung der staatlichen Maßnahme dienen soll, noch nicht stattgefunden hat.9o Aus diesen Gründen ist den Beteiligten zu empfehlen, ihre Argumente bereits möglichst detailliert in dem Verfahren des Art. 88 EGV darzulegen. Auf Grundlage 85 Daher geht die Kritik von Deckert/Schroeder in EuR 1998, 291, 309f., an der eingeschränkten Kontrolldichte fehl. 86 Siehe schon D. II. 87 EuGel Slg. 1999 II, Rn. 84 in Rs. T-110/97 (Kneissl Dachstein) (Urteil vom 6.10.1999, noch nicht in amtlicher Sanunlung); EuGH Slg. 1998 I, 1719, 1721 f. in Rs. C-367/95 P (Sytraval und Brink's France). 88 In EuGH Slg. 1984, 3809, 3832 in Rs. 323/82 (Intermills), wurde die Konunissionsentscheidung unter anderem wegen des völligen FehJens einer Begründung der Handelsbeeinträchtigung im Sinne von Art. 87 I EGV aufgehoben. 89 EuGei Slg. 1998 II, 2405, 2409 in verb. Rs. T-371, 394/94 (British Airways und British Midland); EuGH Slg. 1986, 2263, 2286 in Rs. 234/84 (Meura); Grabitz/Hilflvon Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 30. 90 EuGei Slg. 1995 II, 2501, 2516 in Rs. T-49/93 (SIDE); Schohe/Hoenike in EuZW 1997, 741, 742f.

III. Gerichtliche Überprüfung

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dieser Informationen trifft die Kommission ihre Entscheidung. Ist diese hingegen erst einmal ergangen, so ist es wegen der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolldichte und der Nichtberücksichtigung eines Vorbringens, das erstmals in der Klage erhoben wird, schwer, eine Korrektur der Entscheidung im Klageverfahren zu erreichen. 1. Klagemöglichkeiten der Kommission und betroffener Mitgliedstaaten

Da der Kommission keine Zwangsmittel zur Verfügung stehen, um ihre Entscheidungen im Beihilfeverfahren durchzusetzen, muß sie hierzu die Hilfe der Gerichte in Anspruch nehmen. Sie kann unmittelbar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den die Beihilfe gewährenden Mitgliedstaat einleiten, wenn dieser einer mit Bedingungen und Auflagen verbundenen Entscheidung oder einer Negativentscheidung, wozu vor allem auch die endgültige Rückforderung einer rechtswidrig eingeführten Beihilfe zählt, nicht nachkommt. 91 Auf ein erneutes Vorverfahren im Sinne von Art. 226 EGV wird dabei verzichtet, weil schon im Hauptprüfungsverfahren gemäß Art. 88 II Unterabsatz 1 EGV genügend Gelegenheit zur Stellungnahme bestanden hat. In dem Gerichtsverfahren nach Art. 88 II Unterabsatz 2 EGV dürfen allerdings nur Verstöße gegen die Beihilferegeln geltend gemacht werden, für weitere Vertragsverletzungen muß das komplette Verfahren des Art. 226 EGV durchgeführt werden. 92 Hat der Mitgliedstaat versäumt, die Kommissionsentscheidung innerhalb der Zweimonatsfrist des Art. 230 V EGV anzufechten, so kann er im Vertragsverletzungsverfahren ihre inhaltliche Richtigkeit nicht mehr in Frage stellen. Eine Möglichkeit zur Inzidentkontrolle trotz Bestandskraft existiert hier nicht, da Art. 241 EGV nicht auf Entscheidungen anwendbar ist.93 Falls der Gerichtshof einen Vertragsverstoß feststellt, der Mitgliedstaat sich aber weiterhin weigert, diesen abzustellen und insbesondere die Beihilfe zurückzufordern, können nach Einleitung eines erneuten Verfahrens vor dem Gerichtshof Zwangsmittel in Form eines zu zahlenden Pauschalbetrages oder eines Zwangsgeldes verhängt werden.94 Kommt im Falle einer rechtswidrig durchgeführten Beihilfe der Mitgliedstaat einer Anordnung zur Aussetzung oder einstweiligen Rückforderung der Kapitaleinlage nicht nach, kann die Kommission bei gleichzeitiger Fortsetzung ihrer Sachprüfung ebenfalls den Gerichtshof unmittelbar anrufen und um die Feststellung ersuchen, daß die Nichtbefolgung der Anordnung einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt. 95 Art. 23 I der Verfahrensordnung, Art. 88 II Unterabsatz 2 EGV. Grabitz!Hilf/von Wal/enberg, Art. 93 EGV, Rn. 31. 93 GTE!Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 70; Grabitz/Hilf!von Wal/enberg, Art. 93 EGV, Rn. 31 a. 94 Art. 23 II der Verfahrensordnung, Art. 228 II EGV. 95 Art. 12 der Verfahrensordnung. So schon EuGH Slg. 19901, 307, 357 in Rs. C-301/87 (Boussac); EuGH Slg. 19911, 1433, 1483 in Rs.C-303/88 (ENI/Lanerossi). 91

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F. Kontrolle durch die Kommission und gerichtliche Überprüfung

Auch anderen betroffenen Mitgliedstaaten steht gemäß Art. 88 ll Unterabsatz 2 EGV das Recht zu, unmittelbar ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, falls der subventionierende Mitgliedstaat einer für ihn negativen Entscheidung im Hauptprüfungsverfahren nicht nachkommt. Eine Betroffenheit ist dann anzunehmen, wenn in dem Gebiet des klagenden Staates durch die Beihilfe der Wettbewerb verfälscht oder der Handel beeinträchtigt wird. Da eine potentielle Beeinträchtigung hier genügt, ist dieses Merkmal fast immer erfüllt, so daß es eines Rückgriffs auf Art. 227 EGV nicht bedarf. 96 Will ein anderer Mitgliedstaat hingegen die Gültigkeit der Kommissionsentscheidung angreifen, muß er eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EGV erheben. In diesem Rahmen muß er als privilegiert Klagebefugter keine individuelle und unmittelbare Betroffenheit nachweisen. Eine derartige Klage ist denkbar sowohl gegen die Entscheidung im Vorprüfungsverfahren, keine Einwände gegen die Mittelbereitstellung zu erheben, als auch gegen die Genehmigungsfiktion, falls die Kommission sich nicht binnen zwei Monaten nach Eingang der vollständigen Anmeldung äußert.97 Gegen die Zulassung der Beihilfe im förmlichen Prüfungsverfahren ist die Nichtigkeitsklage ebenfalls statthaft. Kommt die Kommission dagegen ihrer Pflicht zur Bescheidung im Hauptprüfungsverfahren nicht nach, so können andere Mitgliedstaaten eine Untätigkeitsklage nach Art. 232 EGV anstrengen.98 2. Klagemöglichkeiten des investierenden Mitgliedstaats und des begünstigten Unternehmens

Auch der die Kapitaleinlage gewährende Mitgliedstaat besitzt die Möglichkeit, Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung im förmlichen Prüfverfahren zu erheben. Dieses kommt etwa bei mit Bedingungen und Auflagen verbundenen Vereinbarkeitserklärungen oder bei Rückforderungsanordnungen in Betracht. Verzögert die Kommission pflichtwidrig eine Entscheidung im Hauptprüfungsverfahren, kann sich der Staat mit einer Untätigkeitsklage wehren.99 Die Entscheidung am Ende der Vorprüfungsphase, wegen bestehender Zweifel das förmliche Prüfverfahren des Art. 88 ll Unterabsatz 1 EGV einzuleiten, ist demgegenüber in der Regel nicht anfechtbar, da sie nur verfahrensleitenden Charakter besitzt. Etwas anderes gilt nur, falls der Mitgliedstaat geltend macht, die Kommission habe die falsche Verfahrensart gewählt, weil es sich bei der Maßnahme um eine bestehende und nicht um eine neue Beihilfe handele. 100 GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 68; Grabitz/Hi/flvon Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 31. So auch GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 44. 98 GTE!Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 60. 99 Grabitz!Hilflvon Wallenberg, Art. 93 EGV, Rn. 65 a. 100 Lenz/Rawlinson, Art. 88 EGV, Rn. 9; GTE/Mederer, Art. 93 EGV, Rn. 45. Unzutreffend insoweit Beutler/Bieber/Pipkorn/Streil, S. 372, wo die Eröffnung des Hauptprüfungsverfahrens generell als anfechtbarer Rechtsakt bezeichnet wird. 96