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German Pages 128 [130] Year 2018
Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung Herausgegeben von der Gesellschaft für Rechtsvergleichung e. V.
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Rechtsdurchsetzung durch Vertragsstrafe und Aufrechnung Ergebnisse der 36. Tagung für Rechtsvergleichung vom 14. bis 16. September 2017 in Basel Herausgegeben von
Martin Gebauer und Stefan Huber
Mohr Siebeck
Martin Gebauer ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und im Nebenamt Richter am Oberlandesgericht Stuttgart. Stefan Huber ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Zivilprozess- und Insolvenzrecht, Europäisches und Internationales Privat- und Verfahrensrecht an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.
ISBN 978‑3‑16‑156400‑0 / eISBN 978‑3‑16‑156401‑7 DOI 10.1828 / 978‑3‑16‑156401‑7 ISSN 1861‑5449 / eISSN 2569‑426X (Rechtsvergleichung und Rechtsvereinheitlichung) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Gomaringen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Der vorliegende Band enthält die Beiträge der zivilrechtlichen Fachgruppe zur Tagung der Gesellschaft für Rechtsvergleichung, die im Herbst 2017 unter dem Generalthema „Das Recht und seine Durchsetzung“ in Basel stattfand. Vor dem Hintergrund dieses Generalthemas widmete sich die zivilrechtliche Abteilung Aspekten materiellrechtlicher Gestaltungsmacht, die der Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche dienen können. Zwei klassische Institute derartiger Gestaltungsmacht sind die Aufrechnung und die Vertragsstrafe. Dabei fällt aus rechtsver¬gleichender Perspektive bereits im Ausgangspunkt auf, dass die Vertragsstrafe in einigen Rechtsordnungen sowohl Erfüllungsdruck als auch Vereinfachung durch Schadenspauschalierung bewirken soll, wohingegen in anderen Rechtsordnungen die Druckfunktion traditionell nicht anerkannt ist. In jüngerer Zeit gibt es allerdings Anzeichen für eine gewisse Konvergenz. Bei der Aufrechnung finden sich in den einzelnen Rechtsordnungen völlig unterschiedliche Modelle zur Realisierung dieses Mechanismus – auch dieser Bereich unterlag in jüngerer Zeit nationalen Reformprozessen, so bspw. in Frankreich mit der Obligationenrechtsreform aus dem Jahre 2016. Traditionelle Grundansätze und aktuelle Reformprozesse stehen somit im Zentrum des vorliegenden Bandes. Er vereint Berichte zu den Rechtsordnungen von China, Deutschland, Frankreich und Polen sowie den Ländern des Common Law. Methodische Hinweise zum Rechtsvergleich finden sich in der Einführung. Die Orientierungsfragen, die den Ausgangspunkt der einzelnen Berichte bilden, sind am Ende des Bandes abgedruckt. Wir danken besonders den Berichterstattern, die die Tagung durch ihre mündlichen Referate ermöglicht und ihre Gedanken für diesen Band in vertiefter Form zu Papier gebracht haben: Helge Dedek von der Universität McGill in Montreal, Shiyuan HAN von der Universität Tsinghua in Peking, Jonas Knetsch von der Universität Jean-Monnet Saint-Étienne in Lyon, Knut Benjamin Pißler vom Max Planck Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, Piotr Tereszkiewicz von der Jagiellonen-Universität in Krakau und Matthias Weller von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Schließlich danken wir unseren Mitarbeitern Karin Arnold, Tim Giesecke, Gabriel Lipps und Linda Meister für die wertvolle Unterstützung bei der Editierung der Texte. Tübingen, im Sommer 2018
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Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Gebauer und Stefan Huber Materielle Gestaltungsmacht durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Rechtsvergleich – Grundidee und Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Jonas Knetsch Aufrechnung und Vertragsstrafe im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . .
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Helge Dedek Rechtsdurchsetzung durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Common Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Han Shiyuan und Knut Benjamin Pißler Materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung in der Volksrepublik China. Aufrechnung und Vertragsstrafen . . . . . . . . .
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Piotr Tereszkiewicz Aufrechnung und Vertragsstrafe im polnischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . .
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Matthias Weller Materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung: Aufrechnung und Vertragsstrafe – Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Martin Gebauer, Stefan Huber, Karin Arnold und Gabriel Lipps Anhang: Orientierungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Materielle Gestaltungsmacht durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Rechtsvergleich – Grundidee und Vorgehensweise Martin Gebauer und Stefan Huber Die Durchsetzung des materiellen Rechts wird in aller Regel dem Prozessrecht zugeschrieben, das spätestens auf der Ebene der Vollstreckung die Ausübung hoheitlicher Staatsgewalt vorsieht. Daneben aber hält das materielle Privatrecht selbst verschiedene Möglichkeiten bereit, die Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche zu erreichen oder zumindest gestaltend zu beeinflussen. Zwei klassische Instrumente derartiger privatautonomer Gestaltungsmacht, die sich in ihren Funktionen teilweise überlagern, sind die Vertragsstrafe und die Aufrechnung. Die Vertragsstrafe kann dabei einen doppelten Zweck verfolgen: Zum einen den Aufbau eines gewissen Erfüllungsdrucks; zum anderen die Gewährung eines pauschalierten Schadensersatzanspruchs für den Fall einer Pflichtverletzung. Wie die beiden Funktionen in den einzelnen Rechtsordnungen umgesetzt werden, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen und warum die einzelnen Rechtsordnungen unterschiedliche oder auch gemeinsame Wege gehen, ist der erste zentrale Untersuchungsgegenstand des vorliegenden Bandes. Unabhängig von privatautonom erhöhtem Erfüllungsdruck lässt sich materielle Rechtsdurchsetzung über die Aufrechnung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen – als Gestaltungsrecht, als Legalkompensation, als richterliche oder auch als vertragliche Aufrechnung – realisieren. Besonders ausgeprägt ist die privatautonome Gestaltungsmacht, wenn die Aufrechnung ganz ohne Inanspruchnahme hoheitlichen Handelns Wirkung entfaltet. Die Grundidee der Aufrechnung ist schnell beschrieben, in den praxisrelevanten Details aber wirft sie schwierige Fragen auf, wie bspw. die der Insolvenzfestigkeit einer Aufrechnungslage (näher s. die hier auf S. 117 abgedruckten Orientierungsfragen). Dieses Institut bildet in seinen verschiedenen Ausprägungen den zweiten Themenschwerpunkt des vorliegenden Bandes. Die gemeinsame Betrachtung der Vertragsstrafe und der Aufrechnung in ihren verschiedenen Erscheinungsformen verfolgt das Ziel, diese Instrumente in einen funktionalen Gesamtzusammenhang zu stellen und rechtsvergleichend unter Berücksichtigung der jeweiligen historischen Entwicklung und ihres Verhältnisses zum Prozessrecht einzuordnen. Einbezogen in den Rechtsvergleich
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wurden die Rechtsordnungen Frankreichs, Polens, des Common Law, Chinas sowie Deutschlands. Berücksichtigung erfahren haben dabei auch transnationale Projekte wie die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts und der Draft Common Frame of Reference (DCFR). Die Rechtslage in Frankreich hat im Jahre 2016 eine grundlegende Reform im Bereich des Obligationenrechts erfahren. Die Neuregelungen haben auch Auswirkungen auf die hier behandelten Themenkreise. So hat das Reformgesetz deutliche Zweifel an der traditionellen französischen Konstruktion der Legalaufrechnung aufkommen lassen (unten S. 5, 18 ff.). Die richterliche Aufrechnung, die die Rechtsprechung praeter legem für Fälle entwickelt hatte, in denen nicht sämtliche Voraussetzungen der Legalkompensation vorlagen, hat durch die Reform Eingang in den Code civil gefunden (unten S. 5, 20, dort Fn. 66). Im Bereich der Vertragsstrafe hat der Gesetzgeber die zuvor etablierte Rechtslage fortgeführt und die richterliche Befugnis zur Herauf- und Herabsetzung der vereinbarten Vertragsstrafenhöhe nochmals konkretisiert und gestärkt (unten S. 5, 8 ff.). Neuere Entwicklungen sind ebenfalls im Common Law zu beobachten. Traditionell ist dort bei vertraglichen Abreden über Zahlungen im Falle von Pflichtverletzungen die Funktion des Erfüllungsdrucks nicht anerkannt, die Funktion von „liquidated damages“ hingegen schon. Neuere Gerichtsentscheidungen relativieren allerdings diesen traditionellen Ansatz (unten S. 33, 53 ff.). Eine umgekehrt verlaufende Entwicklung lässt sich in China konstatieren: Aufgrund der zentralen Bedeutung des vertraglichen Erfüllungsanspruchs im sozialistischen System Chinas war traditionell eine Vertragsstrafenregelung mit Erfüllungsdruckfunktion fester Bestandteil des Vertragsrechts. Mit der Öffnung des chinesischen Marktes für Transaktionen mit Akteuren aus Rechtssystemen, denen derartige Regelungen fremd sind, wurde parallel die Entwicklung von Regelungen mit lediglich kompensatorischem Charakter betrieben (unten S. 67, 76 ff.). Die polnische und deutsche Rechtslage sind demgegenüber von Kontinuität geprägt. Die Aufrechnung hat in Deutschland seit der Kodifikation des BGB unzweifelhaft den Charakter eines Gestaltungsrechts; die richterliche Aufrechnung ist hier nicht vorgesehen. Bei der Vertragsstrafe ist Erfüllungsdruck als Regelungszweck klar anerkannt. Bemerkenswert ist hierzulande allerdings die intensive richterliche Kontrolle der Vertragsstrafenregelungen (dazu unten S. 101, 114 f.). Die polnische Rechtslage ähnelt im Bereich der Aufrechnung dem deutschen System, im Bereich der Vertragsstrafe hingegen dem französischen, da die Geltendmachung der vereinbarten Vertragsstrafe die Liquidation eines darüber hinausgehenden Schadens ausschließt. Das gemeinsame Fundament der einzelnen Berichte bilden Orientierungsfragen, die sich verschiedenen Grundkategorien zuordnen lassen. Bei der Aufrechnung sind dies bspw. die Voraussetzungen, die Wirkungen und mögliche Ausschlüsse der Aufrechnung, aber auch Mehrpersonenverhältnisse und prozessuale Fragen. Bei der Vertragsstrafe geht es neben dem allgemeinen rechtli-
Materielle Gestaltungsmacht durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Rechtsvergleich
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chen Kontext vor allem um das Verhältnis zu Erfüllung und Schadensersatz, um Mechanismen richterlicher Kontrolle und um die prozessuale Einbettung. Die Einzelheiten lassen sich den im Anhang (S. 117) abgedruckten Orientierungsfragen entnehmen.
Aufrechnung und Vertragsstrafe im französischen Recht Jonas Knetsch I. Die Vertragsstrafe im französischen Code civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Begriff der Vertragsstrafe (clause pénale) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit und Wirksamkeit der Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Richter und die Höhe der Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Aufrechnung im französischen Code civil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Funktion der Aufrechnung im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschied von der Legalaufrechnung (compensation légale)? . . . . . . . . . . . . . 3. Der Sonderfall der Aufrechnung konnexer Forderungen im Konkurs . . . . Anhang: Auswahl an Gesetzestexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorschriften zur Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorschriften zur Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Befragt man einen französischen Juristen zum Thema „materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung“, so wird man nur selten auf sofortiges Verständnis stoßen. Umschreibt man jedoch die zu besprechenden Fragestellungen mit den Schlagworten „unilatéralisme contractuel“1 und „limites du pouvoir du juge“2, also dem vertragsrechtlichen Unilateralismus und den Grenzen des richterlichen Einflusses auf die Vertragsbeziehung, so ist schnell ein gemeinsames Terrain für den Ideenaustausch gefunden und die maßgebliche Hürde einer rechtsvergleichenden Diskussion aus dem Weg geräumt. Um es vorwegzunehmen: Das französische Vertragsrecht tut sich nach wie vor sehr schwer mit der Vorstellung, Rechte von Vertragsparteien begrifflich als Gestaltungsinstrumente einzuordnen. Zwar weiß man auch in Frankreich um 1
Das Thema erfreut sich seit der Jahrtausendwende in der rechtswissenschaftlichen Literatur zunehmender Beliebtheit. Siehe bereits den Tagungsband Jamin / D. Mazeaud (Hg.), L’uni latéralisme et le droit des obligations, 1999; aus jüngerer Zeit Piazzon, Revue des contrats 2012, 1459; Bros, Revue des contrats 2012, 1452 sowie die Dissertationen von Lemay, Le principe de la force obligatoire du contrat à l’épreuve du développement de l’unilatéralisme, Diss. Lille 2, 2012; Delobel, L’unilatéralisme en droit des contrats, Diss. Nizza, 2011 und Lê-Comby, L’unilatéralisme et le droit des contrats, Diss. Paris-Sud, 2009. 2 Siehe etwa Grynbaum, Le contrat contingent: l’adaptation du contrat par le juge sur habilitation du législateur, 2004; Gout, Le juge et l’annulation du contrat, 1999 sowie aus rechtsvergleichender Perspektive zuletzt Signat, Le pouvoir discrétionnaire du juge et l’inexécution du contrat, 2018.
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die deutsche Kategorie der Gestaltungsrechte, der sog. droits formateurs3. Allerdings ist die Idee, die einseitige Einwirkung auf den Vertrag als Ausübung einer besonderen Art von Rechten zu verstehen, nie auf fruchtbaren Boden gefallen. Das Fehlen einer eigenständigen Lehre der Willenserklärungen sowie das tief verwurzelte Verbot der Selbsthilfe (nul ne peut se faire justice à soi-même) haben sicher dazu beigetragen, dass es zu einer Verästelung der Kategorie der subjektiven Rechte (droits subjectifs) wie im deutschen Recht nicht gekommen ist4. Der Rücktritt vom Vertrag wird denn auch schlicht und einfach als Ausübung eines Auflösungsrechts (droit à résolution) verstanden, die Kündigung eines Mietvertrages als Ausübung eines Kündigungsrechts (droit à résiliation), egal ob dies durch einseitige Erklärung oder im Klagewege erfolgt. Eine Unterscheidung zwischen Gestaltungsrecht einerseits und Gestaltungsantrags- oder Gestaltungsklagerecht andererseits, wie sie das deutsche Zivilrecht kennt5, ist der französischen Rechtsordnung fremd. Gleichwohl bedeutet dies aber nicht, dass der französische Jurist beim Thema „materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung“ zum Schweigen verurteilt und das System des Code civil für eine weiterführende Diskussion völlig untauglich wäre. Schließlich ermöglicht auch das französische Zivilrecht einer Partei, auf die Vertragsbeziehung oder generell auf eine bestehende Rechtslage einzuwirken, ohne zunächst eine gerichtliche Klage anzustrengen. Nur wird dies mit anderen Mitteln erreicht und in nicht demselben Umfange anerkannt wie im BGB. Das klassische französische Zivilrecht steht vor allem im vertraglichen Bereich einer einseitigen Einwirkung auf die Rechtslage ohne Mitwirkung der anderen Partei skeptisch gegenüber. So ist die Anfechtung eines Vertrages aufgrund eines Willensmangels nach wie vor nur durch Klage möglich6, die – eben bereits angesprochene – Auflösung des Vertrags bei Nichterfüllung (résolution) bis weit in die 1990er Jahre ebenso nur im Rahmen eines Gerichts-
3 Witz, Droit privé allemand, Bd. 1, 1991, Rn. 587 ff. Auch die Begriffe droit potestatif und prérogative contractuelle kommen dem deutschen Gestaltungsrecht nahe. Bei allen drei Begriffen handelt es sich jedenfalls um rein akademische Rechtsfiguren ohne positivrechtliche Grundlage. Siehe Rochfeld, in: Études offertes à Jacques Ghestin, 2001, 747; Pomart-Nomdédéo, Revue trimestrielle de droit civil 2010, 209 (zum droit potestatif) sowie Raynard, Revue des contrats 2011, 695 u. Fenouillet, Revue des contrats 2011, 644 (zur prérogative contractuelle) jeweils m. w. N. 4 In deutscher Sprache hierzu Ferid / Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 1 / 1, 2. Aufl. 1994, Rn. 1 C 47. 5 Statt vieler Brox / Walker, Allgemeiner Teil des BGB, 41. Aufl. 2017, Rn. 629 f. 6 Gemäß Art. 1178 Abs. 1 S. 2 C. civ. „muss die Nichtigkeit des Vertrages durch den Richter ausgesprochen werden, es sei denn die Parteien haben sie durch Vereinbarung festgestellt“. Hierzu in deutscher Sprache Ferid / Sonnenberger (Fn. 4), Rn. 1 F 912 ff.; detaillierter Schätz, Die Mangelhaftigkeit der Rechtsgeschäfte nach deutschem und französischem Recht, Diss. München, 1962 sowie grundlegend Windscheid, Zur Lehre des Code Napoléon von der Ungültigkeit der Rechtsgeschäfte, 1847.
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prozesses7. Das ursprüngliche System des Code civil verfolgt also eher einen prozessualen denn einen materiellen Ansatz zur Rechtsdurchsetzung. Nur in Ausnahmefällen wurde dem Vertragspartner bei Mängeln des Vertragsschlusses oder bei Nicht- oder Schlechterfüllung der Gang vors Gericht erspart8. Vor diesem Hintergrund überrascht es wenig, dass die Väter des Code civil den Vertragsparteien die Möglichkeit einräumten, Vereinbarungen zu treffen, die es der einen oder anderen Partei erlauben, sofort und ohne Anrufung eines Richters, etwa bei Vertragsbruch, ihr Recht auf Schadensersatz geltend zu machen. So wurden bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches sogar an zwei verschiedenen Stellen des Zivilgesetzbuches derartige Klauseln erwähnt, was der Begriffsklarheit und der Rechtssicherheit gleichwohl keineswegs zuträglich war. So sind zunächst die Artikel 1226 bis 1233 a. F. zu erwähnen, die eine ganze Reihe von Vorschriften über „Verpflichtungen unter Vertragsstrafe“ (Des obligations avec clauses pénales) beinhalteten. Neben zwei nicht ganz identischen Definitionen und Ausführungen zum Verhältnis zwischen Hauptleistung und Vertragsstrafe sowie zum richterlichen Abänderungsrecht fanden sich hier auch detailreiche Ausführungen zur Wirkung von Vertragsstrafen, etwa bei Übergang der Verpflichtung auf die Erben des Schuldners. Die unklare Begriffsbestimmung in den Artikeln 1226 und 1229 a. F. hat dazu geführt, dass diese Vorschriften zuletzt ein gewisses Schattendasein führten9. Sowohl der Praxis als auch der Literatur galt Artikel 1152 a. F. als die eigentliche, zentrale Vorschrift des Rechts der Vertragsstrafe, obgleich diese Norm diesen Begriff gar nicht verwendete, sondern viel allgemeiner von Vereinbarungen ausging, nach denen „im Falle der Nichterfüllung ein bestimmter Betrag als Schadensersatz zu zahlen sei“, also von pauschaliertem Schadensersatz. Wie noch zu sehen sein wird, hat auch die Schuldrechtsreform 2016 in diesem Punkte nicht zu mehr Klarheit geführt. Die traditionelle Skepsis des französischen Zivilrechts gegenüber einseitigen Gestaltungsrechten äußert sich vor allem aber auf dem Gebiet der Aufrechnung. Zwar regelte der Code civil von 1804 in nicht weniger als elf Artikeln Voraussetzungen und Wirkungen der Aufrechnung, jedoch galt die Aufrechnung nicht als Gestaltungsinstrument, sondern als ein selbstverständlicher Vorgang, der sich aus der Natur der Sache ergibt und keiner Erklärung bedarf. Selbst in Deutschland finden sich in der Literatur Verweise auf die Singularität von Art. 1290 C. civ. 7 Eine Aufweichung dieses Prinzips erfolgte erst durch ein Grundsatzurteil v. 13.10.1998, nach dem „ein schwerwiegendes Vertragsverhalten einer Partei die andere dazu berechtigen kann, den Vertrag einseitig und auf eigenes Risiko zu beenden“. Dieser Rechtssatz ist im Zuge der Schuldrechtsreform in Art. 1224 C. civ. kodifiziert worden. 8 Insbesondere die Einrede des nicht erfüllten Vertrags (exception d’inexécution), nunmehr in Art. 1219 f. C. civ. kodifiziert, ist in diesem Zusammenhange zu nennen. 9 Der erläuternde Bericht (rapport explicatif) der Schuldrechtsreform qualifiziert die Vorschriften etwa als „unnötig“ (inutiles) und „selbstverständlich“ (évidentes). Siehe Journal officiel v. 11.2.2016, 4539 (4559).
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a. F., nach dem die Aufrechnungswirkung „von Rechts wegen, kraft Gesetzes, selbst bei Unwissen der Schuldner“ (de plein droit par la seule force de la loi, même à l’insu des débiteurs) eintritt10. Der reformierte Code civil hat dieses Prinzip der automatischen Legalaufrechnung abgeschwächt und verlangt nunmehr, dass die Aufrechnung „geltend gemacht“ (invoqué) wird. Inwieweit die Kompensation damit zu einem Gestaltungsinstrument wird, ist jedoch nach wie vor unklar. Hält man sich nach diesen einleitenden Worten die Ausgangssituation des französischen Rechtssystems vor Augen, so lässt sich ein gewisser Eindruck der Starrheit nicht verleugnen. Es ist geradezu, als traute der historische Gesetzgeber den Vertragspartnern weniger als in anderen Rechtsordnungen zu und vertraute allein auf die Wirkungskraft von Gesetz und Richter11. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass unter dem Einfluss der Rechtsprechung, punktueller Eingriffe des Gesetzgebers sowie vor allem der großen Schuldrechtsreform des vergangenen Jahres das System des Code civil jedoch deutlich wendiger geworden ist und den Parteien heutzutage wesentlich mehr Spielraum eingeräumt wird als noch zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Hauptziel dieses Beitrags ist demnach, die historischen Eigenheiten des französischen Rechts der Vertragsstrafe und der Aufrechnung den seit dem 1. Oktober 2016 geltenden Vorschriften gegenüberzustellen und das tatsächliche Ausmaß an außergerichtlicher Gestaltungsmacht in beiden Bereichen herauszuarbeiten.
I. Die Vertragsstrafe im französischen Code civil Der französische Reformgesetzgeber hat die detailreichen Vorschriften des historischen Code civil zur Vertragsstrafe in einem einzigen Artikel mit fünf Absätzen zusammengefasst und sich für einen weiten Begriff der Vertragsstrafe entschieden. Nach Art. 1231‑5 Absatz 1 liegt eine pénalité immer dann vor, wenn „der Vertrag vorsieht, dass bei Vertragsverletzung seitens des Schuldners ein bestimmter Betrag als Schadensersatz zu zahlen ist“ (lorsque le contrat stipule que celui qui manquera de l’exécuter paiera une certaine somme à titre de dommages et intérêts). 10 Siehe Kegel, Probleme der Aufrechnung: Gegenseitigkeit und Liquidität, 1938, S. 8 ff.; Helmreich, Das Selbsthilfeverbot, 1967, 74 ff.; Ferid, Das französische Zivilrecht, Bd. 1, 1. Aufl. 1971, Rn. 2 D 70 ff. sowie Zimmermann, in: FS für Dieter Medicus, 1999, 707 (712) und ders., in: Schmoeckel / Rückert / Zimmermann (Hg.), Historisch-kritischer Kommentar zum BGB, Bd. II / 2, 2007, 2179 (2187). Grundlegend aus der klassischen Literatur Dernburg, Geschichte und Theorie der Compensation nach römischem und neuerem Rechte, 2. Aufl. 1868, 291 ff. Aus neuerer Zeit auch in englischer Sprache Zimmermann, Comparative Foundations of a European Law of SetOff and Prescription, 2002, 32 ff. 11 Vgl. Hattenhauer, Einseitige private Rechtsgestaltung: Geschichte und Dogmatik, 205 ff. („Als Gegenmodell zum deutschen folgt das französische Recht, stellvertretend für den romanischen Rechtskreis, weitgehend dem für die romanischen Länder typischen Grundsatz richter licher Vertragsaufhebung.“).
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Zwar sollten die neuen Regelungen des Art. 1231‑5 C. civ. den Begriff der Vertragsstrafe schärfen und den vormaligen Kontroversen um dessen Konturen den Boden entziehen. Allerdings darf bezweifelt werden, dass dies dem Gesetzgeber mit dieser weiten Definition auch tatsächlich gelungen ist. Ebenso wenig erwähnt die neue Vorschrift die Frage der Zulässigkeit der Vertragsstrafen. Wie zuvor sind Praktiker darauf angewiesen, die diversen Verbotsnormen aus verschiedenen Gesetzesquellen zusammenzusammeln und die betroffene Absprache auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Einzig und allein die Vorschriften zur Bindungswirkung der Vertragsstrafe, insbesondere zu deren Abänderbarkeit durch den Richter, sind in den Absätzen 2 und 3 zufriedenstellend zusammengefasst worden. 1. Der Begriff der Vertragsstrafe (clause pénale) Wie in so vielen Rechtsordnungen12 werfen auch in Frankreich Strafabreden unter Vertragsparteien erhebliche Abgrenzungsprobleme auf, die weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung bisher zufriedenstellend gelöst haben. Insbesondere die Unterscheidung zwischen der Vertragsstrafe im eigentlichen Sinne und vereinbarten Schadensersatzpauschalen ist bis heute hoch umstritten, was sich auch mit der neu gefassten Vorschrift des Art. 1231‑5 C. civ. nicht ändern dürfte. Die Väter des Code civil hatten diese Abgrenzung bei der Ausarbeitung des schuldrechtlichen Teils des Zivilgesetzbuches durchaus im Hinterkopf. Während die Vertragsstrafe im engeren Sinne Gegenstand der ausführlichen Art. 1226 – 1233 C. civ. a. F. war, fanden Pauschalierungsklauseln lediglich in der knapper gehaltenen Vorschrift des Artikel 1152 C. civ. a. F. Erwähnung. Ging es dem historischen Gesetzgeber noch darum, beide Klauseltypen voneinander abzugrenzen und unterschiedlichen Regeln zu unterwerfen, so ist diese Differenzierung allerdings weder von der Wissenschaft vertieft, geschweige denn in der Praxis recht verstanden worden. So hatte die Cour de cassation keinerlei Bedenken, Artikel 1152 C. civ. a. F. auf Vertragsstrafen anzuwenden und diese als eine Unterart von Pauschalierungsklauseln zu verstehen. Kritik in der 12 Rechtsvergleichend in deutscher Sprache Gottwald, in: FS für Alfred Söllner, 2000, 379 (383 ff.); D. Fischer, Vertragsstrafe und vertragliche Schadensersatzpauschalierung, 1981, 159 ff. sowie Steltmann, Die Vertragsstrafe in einem Europäischen Privatrecht, 2000, 60 ff. Vgl. auch aus dem französischen Schrifttum Pinto-Moreno, in: Études offertes à Jacques Ghestin, 2001, 719 (der Autor fasst in diesem Beitrag die Haupterkenntnisse seines Werks Cláusula penal e indemnização, 1990 zusammen) sowie die rechtsvergleichende Aufsatzsammlung in Droit et pratique du commerce international 1982, 401 ff. Siehe noch Benjamin, International and Comparative Law Quarterly 9 (1960), 600 sowie Punkt 6 der offiziellen Begründung (exposé des motifs) der Resolution des Europarats v. 20.1.1978 über Vertragsstrafen im Zivilrecht (abgedr. in Uniform Law Review 1978, II, 222).
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Literatur fand sich hierzu zunächst selten, später dann vor allem in den grundlegenden Abhandlungen von Jacques Mestre13 und Denis Mazeaud14. Ausgangspunkt der Debatte ist die Frage nach den Funktionen der Vertragsstrafe15. Gehe es den Parteien darum, durch die drohende Zahlung eines Strafgeldes die Erfüllung des Vertrages sicherzustellen, so handele es sich ohne Zweifel um eine Vertragsstrafe. Soll jedoch lediglich dem Richter die Befugnis abgesprochen werden, im Falle der Nichterfüllung des Vertrages den entstandenen Schaden zu schätzen, also ein pauschaler Schadensersatz vereinbart werden, so sei darin eine sog. clause de dommages-intérêts zu sehen. Mit der Einführung eines solchen subjektiven Unterscheidungskriteriums kommt man dem aus dem Common Law bekannten Begriffspaar penalty clause und liquidated damages recht nahe. Zwar vermag diese Abgrenzung rechtsdogmatisch zu überzeugen, allerdings ist sie in der Praxis nur begrenzt tauglich. In der Tat dient eine Pauschalierung des Schadensersatzes immer dann, wenn die vertraglich vereinbarte Schadensersatzsumme höher ist als der vorhersehbare Schaden bei Nichterfüllung, beiden Funktionen, d. h. sowohl der Erzwingung der Vertragserfüllung als auch der Erleichterung der Schadensersatzbemessung. Daher überrascht es nicht, dass große Teile der Literatur sich einem weiten Verständnis der Vertragsstrafe angeschlossen haben und jede vertraglich antizipierte Schadensersatzbemessung auch als solche qualifizieren16. Diesen Ansatz hat auch der Reformgesetzgeber gewählt, indem die überkommene Differenzierung zwischen Schadensersatzpauschalen und Vertragsstrafen, wie bereits gesehen, nicht in den neuen Code civil übernommen wurde17. Dadurch wurde zwar der alten Debatte weitestgehend die Grundlage entzogen, jedoch ist durchaus denkbar, dass die neue Vorschrift des Art. 1231‑5 C. civ. neue Abgrenzungsprobleme aufwirft18. So ist etwa an die Abgrenzung 13
Mestre, Revue trimestrielle de droit civil 1985, 372. D. Mazeaud, La notion de clause pénale, 1992, 107 ff. 15 Grundlegend hierzu Delbecque, JurisClasseur Code civil, Art. 1146 à 1155, Fascicule 22, 2014, Rn. 4 ff.; Pimont, in: Répertoire de droit civil, v° Clauses pénales, Rn. 29 ff. In deutscher Sprache siehe Steltmann (Fn. 12), 31 ff. Siehe auch in englischer Sprache zum französischen Recht Benjamin (Fn. 12), 610 ff. 16 In diesem Sinne etwa Delbecque (Fn. 15), Rn. 9; im Ergebnis auch Borghetti, Revue des contrats 2008, 1158; siehe auch das allgemeine Lehrbuch Fabre-Magnan, Droit des obligations, Bd. 1, 4. Aufl. 2016, Rn. 729; differenzierter J. Flour / Aubert / Savaux, Droit civil. Les obligations, Bd. 3, 8. Aufl. 2013, Rn. 236 f.; a. A. Mestre (Fn. 13), 373 f. und D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 256 ff. 17 Hierzu Deshayes / Genicon / Laithier, Réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations. Commentaire article par article, 2017, 521 f. sowie Chantepie / Latina, La réforme du droit des obligations. Commentaire théorique et pratique dans l’ordre du Code civil, 2016, Rn. 687. 18 Dissaux / Jamin, Réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations. Commentaire des articles 1100 à 1386‑1 du code civil, Beil. zum Code civil Dalloz 2017, 2016, p. 142. Bereits zu Art. 1231‑5 des Entwurfs der Regierungsverordnung Grosser, Petites Affiches v. 3. / 4.9.2015, 78 (93). 14
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zu vertraglichen Schadensersatzhöchstgrenzen (clause limitative de responsabilité) zu denken, die bisweilen so ungenau formuliert sind, dass nicht klar ist, ob die Parteien im Falle einer Vertragsverletzung eine Höchstgrenze oder einen festgelegten Schadensersatzbetrag vereinbaren wollten, der mitunter so niedrig ausfallen kann, dass er der Möglichkeit einer richterlichen Revision nach Art. 1231‑5 Abs. 2 C. civ. n. F. unterliegt19. 2. Zulässigkeit und Wirksamkeit der Vertragsstrafe Trotz der Verankerung im Code civil unterliegen vertragliche Strafabreden zahlreichen Zulässigkeits- und Wirksamkeitsbeschränkungen, die sich auch nach der Schuldrechtsreform erst nach einem Blick in die sondergesetzlichen Regelungen des besonderen Vertragsrechts zu einem klaren Bild fügen. So ist zu unterscheiden zwischen generellen Vertragsstrafverboten, gesetzlichen Höchstgrenzen und Wirksamkeitsbeschränkungen, die sich aus einer Gesamtschau des Vertrages ergeben. Generell unzulässig sind Vertragsstrafen, wenn diese gegen den ordre public, etwa gegen verfassungsrechtliche Grundfreiheiten, verstoßen. Der Gesetzgeber ordnet daher in verschiedenen Fällen die Nichtigkeit der Strafabrede an. Die in der Praxis wichtigste Verbotsvorschrift ist Artikel L. 1331‑2 Code du travail, der in Absatz 1 für Arbeitsverträge anordnet, dass „Strafgelder und andere Geld bußen verboten“ seien20. Dies wird nicht nur mit dem Arbeitnehmerschutzgedanken begründet, sondern auch damit, dass anderenfalls die Berufsfreiheit weitreichend eingeschränkt werden könne. Zur Wahrung der Ehe- und Testierfreiheit sind Strafabreden ebenso bei Eheversprechen (promesses de mariage)21 sowie bei Erbverträgen (pactes sur succession future)22 und Schenkungsverträgen23 (contrats de donation) unzulässig. Im Mietrecht sieht das Gesetz vom 6.7.1989 bei Wohnraummietverträgen vor, dass einseitige Strafabreden zugunsten des Vermieters „als nicht geschrieben gelten“ (réputées non écrites), wenn
19 Delbecque (Fn. 15), Rn. 67 ff.; Pimont (Fn. 15), Rn. 30, 48. Grundlegend Malinvaud, in: L’avenir du droit. Mélanges en hommage à François Terré, 1999, 689 (691 u. 697). Anders jedoch D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 487 f., der von einem weitaus engeren Begriff der clause pénale ausgeht. Aus der Rechtsprechung siehe z. B. C. cass., Com., Urt. v. 18.12.2007, Recueil Dalloz 2008, 154. 20 Zu dieser Vorschrift siehe insb. Paisant, La Semaine Juridique – Édition générale 1986, I, Nr. 3238. 21 Delbecque (Fn. 15), Rn. 142. 22 Dies war auch ausdrücklich in Art. 1130 Code civil a. F. vorgesehen. Der Reformgesetzgeber hat die Vorschrift nicht beibehalten, da sich das Verbot direkt aus Art. 6 Code civil ergibt, nach dem „man nicht durch besondere Vereinbarungen gegen Gesetze verstoßen, die die öffentliche Ordnung und die guten Sitten betreffen. 23 Siehe Art. 900‑8 C. civ. Hierzu Le Bars, in: Mélanges à la mémoire de Patrick Courbe, 2011, p. 345.
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diese für den Fall einer Missachtung des Mietvertrages oder der Hausordnung vorgesehen sind24. Einschränkungen der Höhe des Strafgeldes sind auch in diversen anderen Nebengesetzen vorgesehen. So beschränkt im Versicherungsvertragsrecht Art. L. 113‑10 Code des assurances die Strafzahlungen für einen Sonderfall der Nichtdeklaration des versicherten Risikos auf 50 % des nicht gezahlten Versicherungsbetrags25. Hauptanwendungsbereich derartiger Kappungsgrenzen ist das Bau- und Verbraucherrecht. Bei Verträgen über den Kauf eines noch zu errichtenden Gebäudes (vente d’immeubles à construire) sowie bei Verbraucher- und Immobilienkrediten (crédits à la consommation und crédits immobiliers) sehen die einschlägigen Vorschriften des Code de la construction et de l’habitation sowie des Code de la consommation Obergrenzen zum Schutz des Bauherrn und des Verbrauchers vor26. Rechtsvergleichend interessanter sind die Wirksamkeitsbeschränkungen, die sich direkt aus dem allgemeinen Vertragsrecht ergeben. Das neue französische Schuldrecht erlaubt es dem Schuldner einer Vertragsstrafe, eine Strafklausel gerichtlich überprüfen zu lassen und ggf. für unwirksam erklären zu lassen, wenn diese in der Gesamtschau zu einem krass unausgewogenen Vertrag (contrat déséquilibré) führt. Ein solcher Eingriff in den Vertrag ist nunmehr in zwei Vorschriften des Code civil vorgesehen. Zunächst kann sich der Schuldner auf die Regelungen über missbräuchliche Klauseln (clauses abusives) berufen, welche vor der Reform hauptsächlich im Verbraucherrecht Anwendung fanden27, nunmehr aber auch im allgemeinen Vertragsrecht verankert sind. Nach Art. 1171 C. civ. sind in Standardverträgen (contrats d’adhésion) solche Klauseln unwirksam, die ein erhebliches Ungleichgewicht zwischen den Rechten und Pflichten der Parteien entstehen lassen28. Art. 1170 C. civ. bietet darüber hinaus eine weitere Grundlage für die Überprüfung der vertraglichen Strafabrede, denn nach dieser Vorschrift sind auch solche Klauseln unwirksam, die die Substanz der Hauptverpflichtung des Schuldners infrage stellen29. 24
Art. 4, i) des Gesetzes Nr. 89-462 v. 6.7.1989. Siehe auch Art. 4, f) desselben Gesetzes. Hierzu ausführlich Lamy Assurances, 2017, Rn. 391 sowie Cass., Civ. 1, Urt. v. 17.7.2001, Nr. 00-10.646. 26 Siehe Art. L. 261-14 Abs. 1 Code de la construction et de l’habitation sowie Art. L. 312‑48 f. u. L. 313‑50 f. Code de la consommation. 27 Anders als in Deutschland hat sich das französische Recht der unlauteren Vertragsbedingungen aus dem Verbraucherrecht heraus entwickelt. Bis heute sehen Art. L. 212‑1 ff. u. R. 212‑1 ff. Code de la consommation hierzu eine umfassende Regelung vor. Aus dem nahezu unüberschaubaren rechtsvergleichenden Schrifttum in deutscher Sprache siehe nur Nobis, Missbräuchliche Vertragsklauseln in Deutschland und Frankreich, 2005, 59 ff. – Seit 2008 ist eine ähnliche Vorschrift auch in das Wettbewerbsrecht aufgenommen werden. Siehe Art. L. 442‑6, I, 2° C. com. 28 Ein Kommentar der neuen Vorschrift bietet etwa Chénedé, Le nouveau droit des obligations et des contrats, 2. Aufl. 2016, Rn. 23-341 ff. 29 Hierzu Chénedé (Fn. 28), Rn. 23-331 ff. 25
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Welche praktische Bedeutung den Art. 1170 f. C. civ. zukommen wird, lässt sich derzeit noch nicht genau abschätzen. Zwar hat sich der französische Kassationsgerichtshof in der Vergangenheit nicht gescheut, Vertragsstrafeabreden als missbräuchliche Klauseln zu qualifizieren30. Gleichwohl beschränkten sich derartige Judikate auf Verbraucherrechtsstreitigkeiten. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion um den Begriff des contrat d’adhésion wird jedenfalls vor einer zu weiten Auslegung und einer damit einhergehenden Ausweitung bereits bestehender richterlicher Eingriffsrechte gewarnt31. Auch die Kodifizierung der bisherigen Chronopost-Rechtsprechung32 zu substanzgefährdenden Klauseln in Artikel 1170 C. civ. n. F. wirft Fragen auf, die erst in den kommenden Jahren mit Gewissheit beantwortet werden können33. 3. Der Richter und die Höhe der Vertragsstrafe Das französische Recht sieht nicht nur Regelungen zur Wirksamkeit der Klausel an sich vor, sondern ermöglicht es dem Richter auch, auf die Höhe der Vertragsstrafe mäßigend oder verschärfend einzuwirken. Der richterliche Eingriff betrifft in diesem Fall also nicht den Bestand der Vertragsstrafe, sondern deren summenmäßige Bestimmung. Im Laufe der vergangenen 40 Jahre hat sich die Vertragsstrafe von einer verbindlichen, unantastbaren (intangible) Klausel zu einem Vertragsbestandteil entwickelt, welcher weitreichenden richterlichen Abänderungsbefugnissen unterliegt. Grund für diese erstaunliche Entwicklung in einem Rechtssystem, in dem der Begriff der Vertragstreue einen so illustren Platz einnimmt wie im Code civil34, ist die besondere Rechtswirkung von Strafabreden im französischen Recht. Diese bewirken nämlich eine abschließende Schadensliquidierung, d. h. der Gläubiger kann – anders als im deutschen Recht – kein Recht auf ergänzenden 30 So etwa Cass., Civ. 1, Urt. v. 10.2.1998, Nr. 96-13.316 (Vertrag zwischen Eltern und einer Privatschule, nach dem auch bei Abbruch der Ausbildung der volle Preis zu zahlen ist). Zur Frage, unter welchen Bedingungen Vertragsstrafen als unzulässige Vertragsklauseln (clauses abusives) i. S. d. Art. L. 212‑1 des Code de la consommation zu qualifizieren sind, siehe zusammenfassend Pimont (Fn. 15), Rn. 15; ausführlicher Paisant, Recueil Dalloz 1995, chr. 223. 31 Zu dieser Frage siehe insbesondere die Ausführungen bei Chénedé (Fn. 28), Rn. 23-361 ff. sowie dems., La Semaine Juridique – Édition générale 2016, Nr. 776 und zum Vorentwurf des Reformtextes ders., Recueil Dalloz 2015, 1226. 32 Hierzu in deutscher Sprache Gräser, Missbräuchliche Vertragsklauseln im unternehmerischen Geschäftsverkehr in Frankreich und Deutschland, 2013, 49 ff. 33 Chénedé (Fn. 28), Rn. 23 – 331. 34 Eine der berühmtesten Vorschriften des Code civil war der Artikel 1134 Abs. 1 a. F., nach denen eine gesetzlich abgeschlossene Vereinbarung den Parteien an Gesetzes statt gilt („Les conventions légalement formées tiennent loi à ceux qui les ont faites.“). Siehe hierzu in deutscher Sprache Weller, in: GS U. Hübner, 2012, 435 und aus dem älteren Schrifttum Ferid (Fn. 10), Rn. 2 C 100. – Im Zuge der Schuldrechtsreform ist der Artikel denn auch, gleichwohl in leicht abgeänderter Form (contrats statt conventions), beibehalten worden. Siehe Art. 1103 C. civ. n. F.
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Schadensersatz geltend machen35. Selbst wenn dem Gläubiger überhaupt kein Schaden entstanden ist, gilt grundsätzlich die Bindung an die Vertragsstrafe36. Dass eine solch starre Anwendung von Strafzahlungen zu unbilligen Ergebnissen führt, insbesondere bei Verträgen zwischen wirtschaftlich ungleichen Parteien, liegt auf der Hand. So mancher französischer Autor sprach von „vertraglichem Terrorismus“37 durch „skandalöse Strafabreden“38, die nur ihrem Namen nach auch tatsächlich von beiden Seiten „verabredet“ waren. Angesichts einer kautelarjuristischen Inflation von Vertragsstrafen haben sich Rechtsprechung und Gesetzgeber daher für eine weitreichende Kontrolle solcher Vereinbarungen entschieden. Richterrechtlich schon seit langem anerkannt ist die Möglichkeit, im Falle einer vorsätzlich oder grob fahrlässig verursachten Vertragsverletzung zu niedrige Vertragsstrafen für unwirksam zu erklären und dem Gläubiger vollen Schadensersatz zuzuerkennen39. Auch hier zeigt sich die Nähe von Strafabreden und vertraglich vereinbarten Schadensersatzhöchstgrenzen, hat doch die Cour de cassation lediglich ihre Rechtsprechung zu den clauses limitatives de responsabilité auf die Vertragsstrafklauseln ausgeweitet40. Bemerkenswerter ist jedoch die durch Gesetz eingeführte richterliche Überprüfung und Abänderbarkeit von Vertragsstrafen. Zwar sah die ursprüngliche Fassung des Code civil bereits für den Fall der teilweisen Erfüllung eine proportionale Herabsetzung der vereinbarten Vertragsstrafe vor41, jedoch ging dem Gesetzgeber diese Möglichkeit, in den Vertrag einzugreifen, nicht weit genug. Seit dem Inkrafttreten des „Gesetzes vom 9.7.1975 über die Änderung der Vorschriften zur Vertragsstrafe“ sieht das französische Zivilgesetzbuch daher vor, dass der Richter auch in allen anderen Fällen der Nichterfüllung übertrieben hohe Vertragsstrafen (pénalité manifestement excessive) herab- und lächerlich geringe (dérisoire) heraufsetzen kann42. 35 Siehe etwa C. cass., Civ. 1, Urt. v. 21.11.1967, Nr. 65-13.412. Hierzu Delbecque (Fn. 15), Rn. 70 ff. und ausführlich D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 568 ff. – Gleichwohl kann der Gläubiger einen separaten Schaden geltend machen, der von einer anders gearteten Vertragsverletzung herrührt und daher nicht von der Vertragsstrafe erfasst ist. Aus dem Arbeitsrecht siehe C. cass., Soc., Urt. v. 21.11.1973, Nr. 72-40.322. 36 Siehe z. B. C. cass., Soc., Urt. v. 21.3.1978, Nr. 76-41.060. Umfassend D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 564 ff. Streitig ist, ob es sicher hierbei um eine beweisrechtliche Erleichterung handelt (ein entstandener Schaden ist nicht zu beweisen) oder ob – auf der materiell-rechtlichen Ebene – ein Schaden gar nicht erst entstanden sein muss. 37 Thylmany, Revue internationale de droit comparé 1980, 17 (29). 38 Ph. Malaurie, Dalloz Sirey 1972, 733. 39 Siehe bereits C. cass., Civ. 1, Urt. v. 4.2.1969, Recueil Dalloz 1969, 601. 40 Delbecque (Fn. 15), Rn. 75 ff. Ausführlich und mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 586 ff. 41 Art. 1231 a. F. (jetzt Art. 1231‑5 al. 3). 42 Siehe unter den zahlreichen Kommentierungen insb. Boccara, La Semaine Juridique. Édition générale 1975, I, Nr. 2742; Chabas, Recueil Dalloz 1976, chr. 229; Sanz, Revue trimestrielle de droit civil 1977, 268 sowie rückblickend Nectoux, La Semaine Juridique. Édition générale 1978,
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Mangels weiterer Kriterien hat sich die französische Rechtsprechung zunächst kasuistisch den Voraussetzungen dieses schwerwiegenden Eingriffes in die Vertragssphäre genähert. Nach und nach bildete sich im Laufe der Jahre eine Kontrollmethode heraus, die maßgeblich auf die Differenz zwischen dem tatsächlich entstandenen Schaden und der vereinbarten Vertragsstrafe abstellt43. Bei übermäßig hohen Vertragsstrafen kann die Vertragsstrafe nur so weit herabgesetzt werden, dass der Gläubiger mindestens den vollen Ersatz seines tatsächlich erlittenen Schadens erhält. In Ermangelung eines Schadens kann die Strafe sogar ganz entfallen. Anlässlich der französischen Schuldrechtsreform 2016 ist diese richterliche Abänderungsmöglichkeit in Art. 1231‑5 C. civ. neu kodifiziert worden. So sieht die Vorschrift nunmehr vor, dass die Strafabrede zwar bindenden Charakter habe (Abs. 1), „der Richter aber, sogar von Amts wegen, die vereinbarte Strafe abmildern oder heraufsetzen kann, wenn diese offenkundig übertrieben hoch oder lächerlich gering ist“ (Abs. 2). Aus dieser Formulierung geht deutlich hervor, dass die Entscheidung über eine etwaige Revision der Vertragsstrafe allein dem Richter obliegt; dieser „kann“ die Strafe herauf- oder herabsetzen. Ebenso soll mit der Formel „von Amts wegen“ sichergestellt werden, dass auch noch die rechtsunkundigste Vertragspartei vor Gericht vor zu hohen oder zu niedrigen Vertragsstrafen geschützt werden kann44. Neuerungen finden sich allenfalls am Rande. So wird in Absatz 5 die bisherige Rechtsprechung bestätigt, nach der eine Vertragsstrafe nur nach vorheriger Mahnung (mise en demeure) geltend gemacht werden kann, es sei denn der Vertrag kann seitens des Schuldners endgültig nicht mehr erfüllt werden45. Darüber hinaus entzieht Absatz 4 den Parteien die Möglichkeit, die Kontrollfunktion des Richters auszuschließen46. Auch in diesem Punkt hat sich der Reformgesetzgeber für eine Kodifizierung der bisherigen Rechtslage entschieden. I, Nr. 2913; Paisant, Revue trimestrielle de droit civil 1985, 647; Amiot, Revue de droit bancaire et de la bourse 1987 (Nr. 4), 108 sowie zuletzt Rontchevsky, in: De code en code. Mélanges en l’honneur du doyen Georges Wiederkehr, 2009, 695. 43 Delbecque (Fn. 15), Rn. 118 ff. Zur Suche geeigneter Kriterien siehe auch Steinmetz, Recueil général des lois et de la jurisprudence 1976, 405. 44 Das richterliche Initiativrecht ist bereits durch das Gesetz v. 11.10.1985 eingeführt worden. Siehe hierzu die Begründung des damaligen Justizminsters Badinter während der Parlamentsdebatte („les plus défavorisés ne profitent pas de la loi [. . .] par ignorance ou par abattement, ils ne se défendent pas“; abgedr. in Journal officiel de l’Assemblée nationale, compte rendu v. 3.6.1985, 1378). Ebenso sollte verhindert werden, dass die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil seitens der unterlegenen Partei allein darauf beruht, dass die zu zahlende Vertragsstrafe als zu hoch eingeschätzt wird. 45 Delbecque (Fn. 15), Rn. 75 ff. m. w. N. – Diese Voraussetzung gilt im Übrigen auch im Recht der öffentlichen Verträge. Siehe hierzu die Urteilsanmerkung von Llorens, Contrats – Marchés publics 2010, comm. Nr. 286. 46 Ausführlich D. Mazeaud (Fn. 14), Rn. 56 ff. Siehe auch Jomain, in: Schwarz-Liebermann von Wahlendorf (Hg.), Exigence sociale, jugement de valeur et responsabilité civile en droit français, allemand et anglais, 1983, 92, Rn. 7.
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Eine ähnlich nuancierte Bilanz kann ebenso für die Neufassung des Aufrechnungsrechts gezogen werden. Auch hier hat sich der Gesetzgeber für eine eher behutsame Reform entschieden, die vor allem die bisherige Judikatur kodifizieren und den Code civil von überholten Vorschriften befreien sollte. Nichtsdesto trotz bleibt die Aufrechnung im französischen Recht, insbesondere unter dem Eindruck seiner automatischen Wirkung, in vielerlei Hinsicht ein Rätsel.
II. Die Aufrechnung im französischen Code civil Die Originalität des französischen Rechts der Aufrechnung liegt zweifelsohne in ihrer wichtigsten Erscheinungsform, der Legalkompensation, also der automatischen Aufrechnung kraft Gesetzes. Zwar spricht der Code civil seit der Schuldrechtsreform des vergangenen Jahres nicht mehr von einer Aufrechnung „von Rechts wegen, kraft Gesetzes, selbst bei Unwissen der Schuldner“, allerdings hält auch der neugefasste Artikel 1347 daran fest, dass die Aufrechnung dann erfolgt, „wenn ihre Voraussetzungen vorliegen“. Anders als im deutschen Recht ist eine Erklärung des Schuldners nicht erforderlich, jedoch muss nunmehrdie Aufrechnung zumindest „geltend gemacht“ (invoqué) werden, ohne dass der Gesetzgeber zu Form und Rechtsnatur dieser „Geltendmachung“ Stellung bezogen hätte. Ob diese neue Voraussetzung zu einer Wandlung des Instruments der Aufrechnung von einem den Parteien entzogenen Automatismus hin zu einem wahrhaftigen Gestaltungsrecht im deutschen Sinne geführt hat oder noch führen wird, ist derzeit noch nicht gewiss. Sowohl Funktion als auch Wirkung der Aufrechnung sind nach wie vor sehr vom klassischen Verständnis des frühen 19. Jahrhunderts geprägt. 1. Die Funktion der Aufrechnung im französischen Recht Die Aufrechnung hat im französischen Recht traditionell die Funktion einer erleichterten Zahlungsabwicklung47. Die klassische Lehre von der „abgekürzten Zahlung“ (paiement abrégé) ist geradezu der Gegenentwurf des deutschen Modells, nach dem die Aufrechnung aus Billigkeitsgründen als Sicherungsinstrument ausgeformt ist und dem Zurückbehaltungsrecht nahe steht48.
47 Statt vieler J. Flour / Aubert / Savaux (Fn. 16), Rn. 453 u. Fabre-Magnan (Fn. 16), Rn. 629. Aus dem deutschen Schrifttum siehe insb. die grundlegende Arbeit von Kegel (Fn. 10), 53 sowie Ferid (Fn. 10), Rn. 2 D 49. Aus dem neueren rechtshistorischen Schrifttum siehe auch Pichonnaz, La compensation, 2001, 386 ff. Kritisch zum weit verbreiteten Gedanken, die Aufrechnung sei eine Art „Doppelerfüllung“ (double-paiement) Andreu, Revue trimestrielle de droit commercial 2009, 655. 48 Rechtsvergleichend Kegel (Fn. 10), 53.
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Dies spiegelt sich vor allem in den Voraussetzungen wider, die ganz auf die Erleichterung des Geldverkehrs zugeschnitten sind. Zwar spielen auch im französischen Recht die Gegenseitigkeit (réciprocité) und die Gleichartigkeit (fongibilité) der Forderungen eine prominente Rolle, allerdings handelt es sich hierbei um Voraussetzungen, die so in fast allen Rechtsordnungen bestehen und den „materiellen Kern“ des Instituts der Aufrechnung bilden49. Es sind die drei weiteren Aufrechnungsbedingungen, an denen sich die Unterschiede zum deutschen Modell am besten ablesen lassen. Nach Artikel 1347 C. civ. n. F. charakterisiert sich die Aufrechnungslage durch gegenseitige und gleichartige Forderungen, die „certaines, liquides et exigibles“ sind. Aufrechnungsfähig sind also nur dann Forderungen, wenn sie in Bestand und Höhe als gesichert gelten dürfen50 und gleichzeitig auch durchsetzbar51 sind. Anders als im deutschen Recht, wo auf die Voraussetzung der Liquidität verzichtet wird, setzt der Code civil der Aufrechnung also scheinbar engere Grenzen. Beruft sich der Beklagte im Zivilprozess auf eine Gegenforderung, so muss das Gericht zunächst überprüfen, ob diese nicht lediglich zur Verzögerung des Prozesses vorgebracht wurde. Erfundene oder unklare Forderungen sollen einer richterlichen Befassung des Aufrechnungsbegehrens von vornherein entgegenstehen, indem sie aus dem Anwendungsbereich der Kompensation ausscheiden. In der Literatur gilt das Liquiditätserfordernis als zentrales Argument für die Lehre von der abgekürzten Zahlung, da eine illiquide, also unklare oder unbestimmte Forderung, schließlich auch nicht bezahlt würde. Ebenso lässt sich die Durchsetzbarkeit (exigibilité) mit der Funktion der Zahlungserleichterung erklären, denn auch einredebehaftete oder nicht fällige Forderungen seien ja nicht für eine spontane Erfüllung geeignet52. Zuletzt weist auch Artikel 1347‑4 C. civ. n. F. auf die Nähe zur Erfüllung (paiement) von Forderungen hin, denn bei mehreren aufrechnungsfähigen Haupt- oder Gegenforderungen sind die Vorschriften über die Anrechnung der Leistung auf eine Mehrzahl von Forderungen (Art. 1342‑10 C. civ.) anwendbar53.
49 Daher widmet Kegel in seiner Arbeit zur Aufrechnung auch beiden Voraussetzungen einen Gutteil seiner Ausführungen. 50 Im französischen Schrifttum besteht bisweilen eine gewisse Unklarheit über die klare Abgrenzung zwischen der liquidité und der certitude einer Forderung. Mit beiden Begriffen wird zum Ausdruck gebracht, dass die Forderung unbestritten und sofort beweisbar ist. Dies spiegelt sich auch im deutschen Schrifttum wider. Siehe etwa Ferid (Fn. 10), Rn. 2 D 64. – Nach heutigem Verständnis bezieht sich die certitude auf den gesicherten Bestand der Forderung, die liquidité auf die Möglichkeit, die Forderung der Höhe nach zu bestimmen. 51 Im deutschen Schrifttum ist diesbezüglich auch von der „Eintreibbarkeit“ der Forderung die Rede (Ferid [Fn. 10], Rn. 2 D 61). 52 Skeptisch aber Kegel (Fn. 10), 54 f. Ein vom Richter ausgesprochener Fälligkeitsaufschub (délai de grâce) steht einer Aufrechnung jedenfalls nicht entgegen (siehe Art. 1347‑3 C. civ. n. F.). 53 Siehe hierzu die Kommentierung von Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 772 f.
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Trotz aller Übereinstimmung in der Literatur erscheint es jedoch etwas zu kurz gegriffen, das Institut der Aufrechnung lediglich in seiner Zahlungsfunktion (fonction de paiement) zu begreifen. Insbesondere die Möglichkeit des Richters, fehlende Voraussetzungen für abdingbar zu erklären und eine sog. gerichtliche Aufrechnung auszusprechen54, deutet an, dass es auch in Frankreich nicht nur um eine Erleichterung des Zahlungsverkehrs gehen kann. So kann etwa nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Hauptgläubiger die bloße Konnexität (connexité) von Forderungen zu einer Aufrechnung führen, obgleich Artikel L. 622‑7 Code de commerce ja eigentlich ein umfassendes Zahlungsverbot anordnet55. Es überrascht demnach nicht, dass hin und wieder in der Literatur die Sicherungsfunktion (fonction de garantie) betont wird56, die sich besonders deutlich auch in der Wirkungsweise der Aufrechnung widerspiegelt. Neben der Kodifizierung von gerichtlicher und vertraglicher Kompensation hat sich der Reformgesetzgeber hier ein Stück weit vom Modell der Legalaufrechnung entfernt. 2. Abschied von der Legalaufrechnung (compensation légale)? Um die jüngsten Entwicklungen des französischen Aufrechnungsrechts zu verstehen, muss kurz auf die Entstehungsgeschichte des Artikels 1290 C. civ. a. F. hingewiesen werden. Dieser sah vor, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen die Aufrechnung „von Rechts wegen, kraft Gesetzes, selbst bei Unwissen der Schuldner“ erfolgt. Für die Väter des Code civil war das automatische, nahezu brutale Erlöschen gegenseitiger Forderungen ohne oder sogar gegen den Willen der Parteien bereits seit dem römischen Recht anerkannt und folglich eine bloße Übernahme bestehender Rechtssätze im vom droit écrit geprägten Süden Frankreichs. Spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist jedoch klar, dass eine derartige Analyse auf tönernen Füßen steht und zu Recht als rechtshistorischer Irrtum qualifiziert werden muss. Wie bereits Dernburg überzeugend 54 Zur compensation judiciaire ausführlich D. Martin / Andreu, JurisClasseur Code civil, Art. 1294 – 1299, Fascicule unique, 2016, Rn. 67 ff. und Toledo-Wolfsohn, in: Répertoire de droit civil, v° Compensation, Rn. 27 ff. Siehe auch den Grundlagenaufsatz von Chabas, La Semaine Juridique. Édition générale 1966, I, Nr. 2026; Ndoko, Revue trimestrielle de droit civil 1991, 661, Rn. 13 ff. sowie Mendegris, La nature juridique de la compensation, 1969, Rn. 139 ff. Zu den neuen Vorschriften Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 780 ff. 55 Die Aufrechnung konnexer Forderungen stellt einen Sonderfall dar, der dogmatisch schwierig einzuordnen ist. Hierzu näher gleich. 56 Hierzu Toledo-Wolfsohn (Fn. 53), Rn. 3 sowie aus dem allgemeinen Schrifttum L. Aynès / Crocq, Sûretés. Publicité foncière, 10. Aufl. 2016, Rn. 2. Vgl. auch J. Flour / Aubert / Savaux (Fn. 16), Rn. 453, die allerdings betonen, dass die Sicherungsfunktion in anderen Rechtssystemen weitaus bedeutender sei. Missverständlich D. Martin / Andreu, JurisClasseur Code civil, Art. 1289 – 1293, Fascicule unique, 2016, Rn. 4 (die Autoren beschreiben die Lehre der abgekürzten Zahlung [paiement abrégé] unter der Überschrift „Fonctions. Garantie.“).
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dargelegt hat57, beruhte eine der Hauptinspirationsquellen des Code civil, das Schuldrechtslehrbuch von Pothier58, in diesem Punkte auf einem falschen Verständnis der bei Justinian beschriebenen ipso iure-Aufrechnung. Nichtsdestotrotz hielt der französische Gesetzgeber mehr als zweihundert Jahre an einer automatischen Legalaufrechnung fest. Für ein Verständnis der Kompensation als materielles Gestaltungsrecht wie im BGB war demnach kein Platz. Über Umwege kam man allerdings auch in Frankreich zu vergleichbaren Ergebnissen. So stand das Prinzip der Legalkompensation zu keiner Zeit einem vertraglichen Ausschluss entgegen, denn die Vorschriften zur Aufrechnung gelten seit jeher als dispositives Recht59. Ferner war es dem Richter untersagt, von Amts wegen (d’office) auf eine Aufrechnungslage hinzuweisen und auf das automatische Erlöschen der betroffenen Forderungen zu erkennen60. Schließlich verwässerte die Legalaufrechnung mit der Zeit zu einer Einrede (exception), die vor Gericht geltend gemacht werden musste, um ihre Wirkungen zu entfalten. Somit kam dem Richter die Rolle zu, die Aufrechnung rückwirkend festzustellen. Dass die Kombination aus ex-tunc-Wirkung und Erfordernis einer Geltendmachung zu komplexen Folgefragen führt61 und auch rechtspolitisch nur schwer zu begründen ist62, wurde von der Literatur allenfalls am Rande diskutiert63. Darüber hinaus haben sich neben der Aufrechnung „kraft Gesetzes“ zwei weitere Formen der Aufrechnung entwickelt, die der gesetzlichen Grundform 57
Dernburg (Fn. 10), 281 ff. Aus neuerer Zeit siehe die umfassende Abhandlung von Pichonnaz (Fn. 47), 386 ff.; aus amerikanischer Sicht Tigar, California Law Review 53 (1965), 224 (231 f. u. 246 ff.). Siehe auch François / Libchaber, in: Catala (Hg.), Avant-projet de réforme du droit des obligations et de la prescription, 2005, 56 („une erreur de rédaction dénoncée depuis longtemps“). 58 Pothier, Traité des obligations, 1761, Rn. 623 ff. (635 ff.). Zum Einfluss von Pothier auf den Code civil in diesem Zusammenhang Pichonnaz (Fn. 47), 390 f. 59 Collin, Revue trimestrielle de droit civil 2010, 229, Rn. 4 m. w. N. Zu den Wirkungen gegenüber Dritten eines Aufrechnungsverzichts siehe Drakidis, Revue trimestrielle de droit civil 1955, 238. 60 So die h. L. Statt vieler Collin (Fn. 59), Rn. 4; Toledo-Wolfsohn (Fn. 54), Rn. 3. Aus der Rechtsprechung siehe C. cass., Req., Urt. v. 11.5.1880, Dalloz Périodique 1880, 1, 470. Nuancierter jedoch D. Martin / Andreu (Fn. 56), Rn. 8 f. (mit Hinweis auf die Reform der Zivilprozessordnung im Jahre 1975, die dem Richter wesentlich mehr Spielraum einräumt) sowie vor allem Andreu, in: Mélanges en l’honneur de Didier R. Martin, 2015, 1, Rn. 16 (der daran erinnert, dass sich die Cour de cassation seit der zitierten Entscheidung aus dem Jahre 1880 zu dieser Frage nicht geäußert hat). – Im Zuge der Schuldrechtsreform hat der Gesetzgeber den Wünschen einiger Autoren, dem Richter zu ermöglichen, die Aufrechnung auch von Amts wegen auszusprechen, eine klare Absage erteilt. Hierzu sogleich. 61 Zimmermann, Comparative Foundations (Fn. 10), 35, der beispielhaft die Problematik der Verzugszinsen sowie der Verjährung anspricht. 62 Sehr kritisch Pichonnaz (Fn. 47), 638 ff., demzufolge die ex-tunc-Wirkung eine historische Anomalie und juristische Fiktion sei, die allein dazu diene, die (vermeintlichen) römischen Wurzeln der Aufrechnung zu bewahren. 63 In der französischen Literatur ist das Problem erst in neuerer Zeit verstärkt wahrgenommen worden. Siehe Collin (Fn. 59), Rn. 11 ff. u. 21 f. sowie Barthez, La Semaine Juridique. Édition générale 2005, I, Nr. 172, Rn. 25 (die Retroaktivität erfordere „ein Maß an Abstraktion, welchem nur schwer zuzustimmen sei“). Vgl. auch Andreu (Fn. 59).
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nach und nach den Rang abgelaufen haben und in den reformierten Vorschriften nunmehr kodifiziert sind. Die vertragliche und die gerichtliche Aufrechnung (compensation conventionnelle et judiciaire) sind vor allem dann wichtig, wenn eine der Voraussetzungen für die Legalaufrechnung nicht vorliegt64. So können die Parteien im Vorfeld ihre gegenseitigen Forderungen für aufrechenbar erklären, obgleich diese weder gleichartig noch liquide oder durchsetzbar sind. In der Praxis spielen derartige Aufrechnungsabreden vor allem im Bankrecht eine Rolle65. Von größerer praktischer Bedeutung ist die richterliche Aufrechnung, die immer dann ausgesprochen werden kann, wenn der Beklagte auf das Begehren des Klägers mit einer demande reconventionnelle, also einer Widerklage, reagiert, allerdings nur eine illiquide oder nicht gleichartige Gegenforderung geltend machen kann66. Sofern diese zumindest in ihrem Bestand als hinreichend sicher gelten kann, ist es dem Richter möglich, auf eine Aufrechnungslage zu erkennen und ex nunc das Erlöschen der Forderungen festzustellen. Entgegen dem Wortlaut von Art. 1290 C. civ. a. F. war die Aufrechnung also schon lange kein Automatismus mehr, sondern musste stets vom Schuldner im Zivilprozess geltend gemacht werden67. Daher verwundert es nicht, dass der Gesetzgeber anlässlich der Schuldrechtsreform die umstrittene Formulierung der Aufrechnung „selbst bei Unwissen der Schuldner“ nicht wieder aufgenommen hat und anstelle dessen in Artikel 1347 Abs. 2 C. civ. n. F. eine vorherige Geltendmachung der Aufrechnung (sous réserve d’être invoquée) verlangt. Ob es sich hierbei um eine dem deutschem Recht ähnliche Figur eines Gestaltungsrechts handelt oder lediglich um ein prozessuales Vorbringen der Aufrechnungseinrede, ergibt sich nicht eindeutig aus dem Wortlaut der neuen Vorschrift68. 64 Ausführlich D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 67 ff. u. 76 f. Aus dem deutschen Schrifttum Kegel (Fn. 10), 10; knapp Ferid (Fn. 10), Rn. 2 D 64; aus jüngerer Zeit Kannengiesser, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, 1998, 55 ff. 65 Nach h. M. beruht der Kontokorrentvertrag (compte-courant) auf einer derartigen Aufrechnungsabrede. Siehe etwa Ndoko (Fn. 53), Rn. 4; Toledo-Wolfsohn (Fn. 54), Rn. 46 f. sowie bereits Esmein, Revue trimestrielle de droit civil 1920, 79. A. A. Bonneau, Droit bancaire, 12. Aufl. 2017, Rn. 470 ff. sowie diesem folgend D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 76. Aus dem deutschen Schrifttum siehe grundlegend Berger, Der Aufrechnungsvertrag, 1996. – Die vertragliche Aufrechnung ist nunmehr in Artikel 1348‑2 C. civ. n. F. kodifiziert. Zur Neufassung Hontebeyrie, in: Forti / Andreu (Hg.), Le nouveau régime général des obligations, 2016, 151, Rn. 15 f. 66 D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 67. Dies wurde auch im Zuge der Schuldrechtsreform gesetzlich festgeschrieben. Siehe Art. 1348 S. 1 C. civ. n. F. („La compensation peut être prononcée en justice, même si l’une des obligations, quoique certaine, n’est pas encore liquide ou exigible.“). Hierzu Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 780 ff. 67 Siehe schon Mendegris (Fn. 54), Rn. 94 f.; Collin (Fn. 59), Rn. 8 sowie in englischer Sprache Zimmermann, Comparative Foundations (Fn. 10), 35 („the French solution which was originally more liberal in recognizing set-off would now appear to be marginally more restrictive requiring a declaration in court“). A. A. aber Andreu (Fn. 60). 68 Es überrascht, dass eine solche grundlegende Änderung erst im letzten Moment erfolgte und noch im Entwurf der Verordnung v. 11.2.2016 nicht enthalten war. Vgl. etwa die Kommen-
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Die Bewertung der neuen Regelungen fällt demzufolge auch sehr verschieden aus. Während einige Literaturstimmen das Erfordernis einer Geltendmachung als bloße Kodifizierung der bisherigen Rechtslage sehen und nicht gesondert auf die Konsequenzen der Neufassung eingehen69, sehen andere Autoren in den neuen Texten einen grundlegenden Paradigmenwechsel des französischen Aufrechnungsrechts70. Einer dritten Gruppe von Kommentatoren zufolge habe der Gesetzgeber das System der Legalaufrechnung zwar zugunsten einer willensorientierten Aufrechnung aufgeben wollen, ohne jedoch anderweitig den Begriff des einseitigen Rechtsgeschäfts (acte unilatéral de volonté) anzuerkennen, was unweigerlich zu Folgeproblemen führe, derer sich die Autoren der Schuldrechtsreform nicht bewusst gewesen seien71. Einen Sonderfall stellt die Aufrechnung konnexer Forderungen dar, die in der Systematik der Art. 1347 ff. C. civ. weder als gesetzliche, noch als vertragliche Aufrechnung eingeordnet, sondern vielmehr als Aufrechnung sui generis gestaltet ist. 3. Der Sonderfall der Aufrechnung konnexer Forderungen im Konkurs Nach Art. 1347‑7 C. civ. „werden erworbene Rechte Dritter durch eine Aufrechnung nicht beeinträchtigt“. Obgleich diese Vorschrift den bisherigen Art. 1298 S. 1 Code civil nahezu unverändert fortführt, ist nicht ganz deutlich, welche „Dritte“ und vor allem welche „erworbenen Rechte“ geschützt sein sollen.72 Ein besonderer Anwendungsfall dieses Drittschutzgedankens ist in Art. 1347‑5 C. civ. n. F. geregelt, nach dem im Falle einer Forderungsabtretung dem neuen tierung des Reformentwurfs aus dem Jahre 2015 bei Dissaux / Jamin, Projet de réforme du droit des contrats, du régime général et de la preuve des obligations, Commentaire article par article, Dalloz, 2016, 189 ff. 69 Siehe etwa Mainguy, in: ders. (Hg.), Le nouveau droit français des contrats, du régime général et de la preuve des obligations, 2016, Rn. 315 („la seule réelle innovation des articles 1347 à 1348‑1 consiste à séparer la compensation en général de la compensation conventionnelle“) u. Mekki, Revue des sociétés 2016, 711, Rn. 44 f. („dans la continuité du droit ancien [. . .] ne devrait pas avoir de conséquences majeures“). Ähnlich auch Chantepie / Latina (Fn. 17), Rn. 1004. 70 Julienne, Le régime général des obligations après la réforme, 2017, Rn. 520 („une modification considérable“). Siehe auch Ph. Malaurie / L. Aynès / Stoffel-Munck, Droit des obligations, 9. Aufl. 2017, Rn. 1191; Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 765 sowie Andreu / Thomassin, Les obligations, 2. Aufl. 2017, Rn. 2251 ff. (die Autoren verhehlen nicht ihre Enttäuschung über die neu gestaltete Wirkungsweise der Aufrechnung). 71 Mignot, Petites Affiches 23.5.2016, 6; Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 764 ff.; Andreu, Revue des contrats 2017, 206, Rn. 3 sowie François, Traité de droit civil. Les obligations, régime général, 4. Aufl. 2017, Rn. 92 f. u. 97. Besonders deutlich Julienne (Fn. 70), Rn. 523 mit konkreten Beispielen aus dem Handels- und Insolvenzrecht. Siehe auch bereits Robine, Droit et Patrimoine 2015 (Nr. 249), 59; Jourdan, Journal des sociétés 2016 (Nr. 144), 32 sowie Hontebeyrie, in: Forti / Andreu (Hg.), Le nouveau régime général des obligations, 2016, 151, Rn. 18 ff. 72 Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 779 (die Autoren warnen davor, der Vorschrift eine zu große Bedeutung zuzumessen [„il ne faut pas [. . .] conférer une portée excessive à la règle“]).
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Gläubiger eine Aufrechnung mit einer Forderung des Schuldners gegen den Zedenten dann nicht entgegen gehalten werden kann, wenn der Schuldner die Abtretung widerspruchslos zur Kenntnis genommen hat. Das Erlöschen der Aufrechnungslage und der damit einhergehende Schutz des Zessionars beruhen hier bereits auf einem konkludenten Verzicht des Schuldners auf die Aufrechnung73. Der Grundgedanke von Art. 1347‑7 C. civ. n. F., wonach die Rechte Dritter durch eine Aufrechnungslage grundsätzlich nicht berührt werden, kommt vor allem im Falle der Insolvenz des Schuldners zum Tragen74. Bestünde nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Möglichkeit zur Aufrechnung, könnte sich der Gläubiger der Gegenforderung unter Benachteiligung der anderen Gläubiger befriedigen und damit das Gebot der Gläubigergleichheit umgehen75. In Art. L. 622‑7‑I S. 1 Code de commerce ist denn auch ein weitreichendes Zahlungsverbot für all die Forderungen vorgesehen, die vor Eröffnung des Verfahrens entstanden sind. Da die Aufrechnung im französischen Recht, wie gesehen, traditionell als Erfüllungsmodalität gilt, war von dieser Verbotsnorm ursprünglich auch die Aufrechnung erfasst. Seit 1994 sehen jedoch die Vorschriften zur Zahlungssperre ausdrücklich eine Ausnahme für die „Aufrechnung konnexer Forderungen“ vor76. Mit dieser Einschränkung sollte verhindert werden, dass ein Schuldner auch nach Eröffnung der Insolvenz an seinen Gläubiger zu leisten hat, obgleich ihm eine hiermit verbundene Gegenforderung zusteht, mit deren Erfüllung auf Grund der Zahlungsschwierigkeiten kaum zu rechnen ist. Die von der Rechtsprechung entwickelte Möglichkeit, trotz Zahlungssperre mit einer konnexen Forderung aufzurechnen, ist daher vor allem als Ausnahme aus Billigkeitsgründen zu werten77. 73 In diesem Sinne zuletzt Chénedé (Fn. 28), Rn. 44.153 sowie Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 774 f. Ausführlich zum alten Recht (welches jedoch eine Zustimmung des Schuldners verlangte) Duboc, La compensation et les droits des tiers, 1989, Rn. 36 ff. 74 Weitere Anwendungsbeispiele finden sich bei Julienne (Fn. 70), Rn. 533 (so etwa die Forderungspfändung [nantissement] durch einen Dritten). 75 Eingängig hierzu Duboc (Fn. 73), Rn. 225 ff. u. 237. In deutscher Sprache und aus rechtsvergleichender Sicht Kegel (Fn. 10), 112. Knapp auch Zimmermann, Comparative Foundations (Fn. 10), 59 m. w. N. 76 Zur Gesetzesentwicklung ausführlich Toledo-Wolfsohn (Fn. 54), Rn. 64 f. Bereits vor der Reform war diese Ausnahme richterlich weitestgehend anerkannt. In seiner grundlegenden Arbeit zur Drittwirkung der Aufrechnung verortet Duboc (Fn. 73), Rn. 297 ff. die entscheidende Rechtsprechungsänderung im Jahre 1938, als der Kassationsgerichtshof zum ersten Mal eine Aufrechnung auch im Konkursfall für „rechtmäßig“ (licite) hielt, da sie zwei konnexe Forderungen betraf. 77 Marty / Rainaud / Jestaz, Droit civil. Les obligations, Bd. 2, 2. Aufl. 1989, Rn. 255; in englischer Sprache auch Zimmermann, Comparative Foundations (Fn. 10), 43 f. Eine andere Sicht bietet Duboc (Fn. 73), Rn. 406 ff., der in der Aufrechnung konnexer Forderungen das rechtssystematische Pendant zur Einrede des nicht erfüllten Vertrages (exception d’inexécution) und zum Rücktritt wegen Nichterfüllung im Synallagma sieht. In diesem Sinne auch Malecki, L’exception d’inexécution, 1999, Rn. 191 ff., die hierin sogar eine Variante der Einrede des nicht erfüllten Vertrages sieht.
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Im Zuge der Schuldrechtsreform ist diese besondere Variante der Aufrechnung im Code civil kodifiziert, gleichwohl aber auf eine definitorische Klarstellung des Begriffs der connexité verzichtet worden. Die bisherige Rechtsprechung, nach der in diesem Zusammenhang auch illiquide oder noch nicht fällige Forderungen aufrechnungstauglich sind, ist vom Reformgesetzgeber bestätigt worden. Die Vorschrift des Art. 1348‑1 C. civ. stellt bereits in Abs. 1 klar, dass „im Falle konnexer Verbindlichkeiten der Richter die Aufrechnung nicht mit der bloßen Begründung ablehnen kann, dass eine der Verpflichtungen illiquide oder noch nicht durchsetzbar ist“78. Ebenso wenig ist von Bedeutung, dass die Bedingung der Gegenseitigkeit (réciprocité) erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt ist79. Dass der Gesetzestext auf eine nähere Ausgestaltung des Konnexitätbegriffs verzichtet, erstaunt nur auf den ersten Blick, da auch die bisherige Rechtsprechung äußerst wenig zu einer Begriffsbestimmung beigetragen hat. Dass es sich bei Forderungen aus ein und demselben Vertrag um zusammenhängende, also konnexe Verbindlichkeiten handelt, ist vom Kassationsgerichtshof eindeutig entschieden worden80. Darüber hinaus wird etwa auch bei Forderungen aus verbundenen Verträgen von Konnexität gesprochen81, bisweilen genügt jedoch lediglich eine „enge Verbindung“ (lien étroit)82 oder gar eine vertraglich vereinbarte Konnexität zweier Forderungen83. Angesichts der fehlenden Trennschärfe des Begriffs wird in der Literatur daher in diesem Zusammenhang auch bildlich von einer „condition-joker“84 oder allgemein von einer „super-compensation“85 gesprochen. 78 Hieraus ergibt sich gleichwohl, dass nicht alle Aufrechnungshindernisse durch den Einwand der Konnexität überwunden werden können. Im Umkehrschluss ergibt sich aus Art. 1348‑1 Abs. 1 C. civ., dass eine konnexe, aber unbestimmte (incertaine) oder nicht gleichartige Forderung nicht aufrechnungstauglich ist. Siehe D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 60. 79 Cass., Com., Urt. v. 4.1.2005, Nr. 02-14.044. Hierzu D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 63 und Danos, Recueil Dalloz 2015, 1655 (1658 f.). 80 Siehe etwa Cass., Com., Urt. v. 11.5.1960, Bull. Nr. 173; Urt. v. 4.7.1973, Nr. 71-14.790 und zuletzt Urt. v. 15.5.2005, Nr. 02-19.129. Zu dieser Rechtsprechung ausführlich Duboc (Fn. 73), Rn. 340 ff. sowie aus neuerer Zeit D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 63 ff. und zuletzt Danos, Recueil Dalloz 2015, 1655 (1656). 81 Besonders deutlich Cass., Com., Urt. v. 9.5.1995, Nr. 93-11.724 („le lien de connexité peut exister entre des créances et dettes nées de ventes et achats conclus en exécution d’une convention ayant défini, entre les parties, le cadre du développement de leurs relations d’affaires, ou de plusieurs conventions constituant les éléments d’un ensemble contractuel unique servant de cadre général à ces relations“). Hierzu ausführlich Duboc (Fn. 73), Rn. 345 ff.; D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 66 ff. und Danos, Recueil Dalloz 2015, 1655 (1656). Vgl. auch Gabet-Sabatier, Revue trimestrielle de droit civil 1980, 39 (44 ff.). 82 D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 62. Ähnlich auch Terré / Simler / Y. Lequette, Les obligations, 11. Aufl. 2013, Rn. 1404, die davon ausgehen, dass „die Konnexität [. . .] sich nicht in eine rechtstechnisch präzise Definition fügen lasse“. 83 In einem solchen Fall wird von connexité conventionnelle gesprochen. Siehe Danos, Recueil Dalloz 2015, 1655 (1657 u. 1659). Reservierter aber D. Martin / Andreu (Fn. 54), Rn. 70. 84 Marty / Rainaud / Jestaz (Fn. 77), Rn. 254. 85 Terré / Simler / Y. Lequette (Fn. 82), Rn. 1403.
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Ein positiver Nebeneffekt der Kodifizierung der Aufrechnung konnexer Forderungen in Art. 1348‑1 C. civ. betrifft deren rechtliche Einordnung, über die jahrzehntelang im Schrifttum gestritten wurde. Für die einen handelte es sich um eine Variante der Legalkompensation, andere sahen sie als Unterart der richterlichen Aufrechnung. Zwar bietet das Gesetz nach wie vor keinen Anhaltspunkt über die genaue Rechtsnatur der compensation de créances connexes, jedoch dürften die neuen Bestimmungen mittel- und langfristig dieser Debatte den Nährboden entziehen, denn aus der Gesetzessystematik ergibt sich, dass es sich vielmehr um eine separate Sonderfigur der compensation handelt86. Insbesondere die praktisch bedeutsame Frage nach dem Zeitpunkt der Aufrechnungswirkungen ist nunmehr ausdrücklich durch Art. 1348‑1 Abs. 2 C. civ. beantwortet worden, nach dem „die Aufrechnung in dem Zeitpunkt als erfolgt gilt, an dem die erste beider Forderungen durchsetzbar wurde“. Die Positionierung der Aufrechnung konnexer Verbindlichkeiten als Instrument mit ex-nunc-Wirkung offenbart gleichwohl rechtspolitische Unschärfen, was die rechtsdogmatische Konstruktion der Kompensation betrifft. Im Vorfeld der Reform ist nur ganz vereinzelt zur Frage nach der Vereinbarkeit einer Legal aufrechnung kraft Erklärung mit deren ex-tunc-Wirkung87 Stellung bezogen worden. Ebenso ist unklar, warum sich der Gesetzgeber bei der richterlichen Aufrechnung und der Aufrechnung konnexer Forderungen gegen eine Retroaktivität ausgesprochen hat und in diesen Fällen vom Grundsatz der Rückwirkung abgewichen wird88. Die Zukunft wird zeigen, ob die Neufassung des französischen Aufrechnungsund Vertragsstraferechts tatsächlich auch eine Neuorientierung in Sachen materieller Rechtsdurchsetzung mit sich bringt. Insbesondere die seit 2016 geltende Grundnorm zur Aufrechnung legt den Schluss nahe, dass dem Begriff des Gestaltungsrechts auch in Wissenschaft und Praxis zukünftig mehr Bedeutung zukommen kann. Sollte sich aus den verschiedenen Fällen einseitiger Erklärung konstitutiven Charakters tatsächlich eine einheitliche Unterkategorie des subjektiven Rechts herausbilden89, so wird auch der französische Jurist beim Thema „materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung“ die gleiche Sprache wie sein deutscher Kollege sprechen können. 86 Dass die Systematik des neuen Aufrechnungsrechts nicht vollständig überzeugt und eine Aufrechnung konnexer Forderungen auch als compensation judiciaire eingeordnet werden kann, wird im Schrifttum denn auch nicht verkannt. Siehe etwa Julienne (Fn. 70), Rn. 535 (dort Fn. 90); a. A. Deshayes / Genicon / Laithier (Fn. 17), 782. 87 Siehe insbesondere Andreu (Fn. 60) und die Nachweise oben in Fn. 63. 88 Zu den praktischen Unterschieden zwischen ex-tunc- und ex-nunc-Wirkung bei der Aufrechnung siehe Zimmermann, Comparative Foundations (Fn. 10), 36 ff. 89 Vgl. auch Julienne (Fn. 70), Rn. 525 zur Rechtsnatur der invocation der Aufrechnung („On peut [. . .] s’interroger [. . .] sur le point de savoir s’il s’agit d’un acte juridique.“).
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Anhang: Auswahl an Gesetzestexten Im Folgenden finden sich die wichtigsten Gesetzestexte zur Vertragsstrafe und zur Aufrechnung, sowohl in ihrer französischen Originalfassung als auch in deutscher Übersetzung. Zur besseren Orientierung sind neben den aktuellen Vorschriften auch die bis 2016 geltenden Regeln aufgeführt. 1. Vorschriften zur Vertragsstrafe Aktuelle Rechtslage (seit 1.10.2016) Article 1231‑5 (1) Lorsque le contrat stipule que celui qui manquera de l’exécuter paiera une certaine somme à titre de dommages et intérêts, il ne peut être alloué à l’autre partie une somme plus forte ni moindre. (2) Néanmoins, le juge peut, même d’office, modérer ou augmenter la pénalité ainsi convenue si elle est manifestement excessive ou dérisoire. (3) Lorsque l’engagement a été exécuté en partie, la pénalité convenue peut être diminuée par le juge, même d’office, à proportion de l’intérêt que l’exécution partielle a procuré au créancier, sans préjudice de l’application de l’alinéa précédent. (4) Toute stipulation contraire aux deux alinéas précédents est réputée non écrite. (5) Sauf inexécution définitive, la pénalité n’est encourue que lorsque le débiteur est mis en demeure.
Art. 1231‑5 (1) Sieht der Vertrag vor, dass bei einer Vertragsverletzung ein bestimmter Betrag als Schadensersatz zu zahlen ist, so kann der anderen Partei weder eine höhere noch eine niedrigere Summe zugesprochen werden. (2) Der Richter kann jedoch, auch von Amts wegen, die vereinbarte Vertragsstrafe herauf- oder herabsetzen, wenn sie übertrieben hoch oder lächerlich gering ist. (3) Ist die Verpflichtung teilweise erfüllt worden, so kann der Richter, auch von Amts wegen, die vereinbarte Vertragsstrafe entsprechend dem Interesse, welches der Gläubiger an der teilweisen Erfüllung hat, herabsetzen. Der vorstehende Absatz bleibt hiervon unberührt. (4) Eine Vereinbarung, die den beiden vorstehenden Absätzen widerspricht, gilt als nicht geschrieben. (5) Die Vertragsstrafe wird erst mit Verzug des Schuldners fällig, es sei denn die Nichterfüllung des Vertrags ist endgültig festgestellt.
Bisherige Rechtslage (bis 30.9.2016) Article 1152 (1) Lorsque la convention porte que celui qui manquera de l’exécuter payera une certaine somme à titre de dommages-intérêts, il ne peut être alloué à l’autre partie une somme plus forte, ni moindre.
Art. 1152 (1) Ist vereinbart worden, dass bei Nichterfüllung des Vertrages ein bestimmter Betrag als Schadensersatz zu zahlen sei, so darf der anderen Partei weder ein höherer noch ein niedrigerer Betrag zuerkannt werden.
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(2) Néanmoins, le juge peut, même d’office, modérer ou augmenter la peine qui avait été convenue, si elle est manifestement excessive ou dérisoire. Toute stipulation contraire sera réputée non écrite.
(2) Der Richter kann jedoch, auch von Amts wegen, die vereinbarte Vertragsstrafe herauf- oder herabsetzen, wenn sie übertrieben hoch oder lächerlich gering ist. Jede anderweitige Vereinbarung gilt als nicht geschrieben.
Article 1226 La clause pénale est celle par laquelle une personne, pour assurer l’exécution d’une convention, s’engage à quelque chose en cas d’inexécution.
Art. 1226 Eine vertragliche Strafabrede (clause pénale) liegt vor, wenn sich jemand, um die Erfüllung der Vereinbarung sicherzustellen, für den Fall einer Nichterfüllung zu etwas verpflichtet.
Article 1227 La nullité de l’obligation principale entraîne celle de la clause pénale. La nullité de celle-ci n’entraîne point celle de l’obligation principale.
Art. 1227 Die Nichtigkeit der Hauptverpflichtung hat die der Strafabrede zur Folge. Die Nichtigkeit dieser letzteren zieht aber nicht die der Hauptverpflichtung nach sich.
Article 1228 Le créancier, au lieu de demander la peine stipulée contre le débiteur qui est en demeure, peut poursuivre l’exécution de l’obligation principale.
Art. 1228 Der Gläubiger kann, anstatt von dem im Verzug befindlichen Schuldner die vereinbarte Vertragsstrafe zu fordern, denselben wegen Erfüllung der Hauptverpflichtung in Anspruch nehmen.
Article 1229 (1) La clause pénale est la compensation des dommages et intérêts que le créancier souffre de l’inexécution de l’obligation principale. (2) Il ne peut demander en même temps le principal et la peine, à moins qu’elle n’ait été stipulée pour le simple retard.
Art. 1229 (1) Die vertragliche Strafabrede dient dem Ausgleich des Schadens (dommages et intérêts), den der Gläubiger durch Nichterfüllung der Hauptverpflichtung erleidet. (2) Er kann nicht zugleich die Hauptverpflichtung und die Vertragsstrafe verlangen, es sei denn die letztere ist für den bloßen Fall des Verzugs vereinbart worden.
Article 1230 Soit que l’obligation primitive contienne, soit qu’elle ne contienne pas un terme dans lequel elle doive être accomplie, la peine n’est encourue que lorsque celui qui s’est obligé soit à livrer, soit à prendre, soit à faire, est en demeure.
Art. 1230 Ungeachtet, ob die ursprüngliche Verpflichtung eine bestimmte Frist für die Erfüllung enthält oder nicht, wird die Vertragsstrafe nur dann fällig, wenn derjenige, der sich verpflichtet, etwas zu liefern, etwas in Empfang zu nehmen oder etwas zu tun, im Verzug ist.
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Article 1231 Lorsque l’engagement a été exécuté en partie, la peine convenue peut, même d’office, être diminuée par le juge à proportion de l’intérêt que l’exécution partielle a procuré au créancier, sans préjudice de l’application de l’article 1152. Toute stipulation contraire sera réputée non écrite.
Art. 1231 Ist die Verpflichtung teilweise erfüllt worden, so kann der Richter, auch von Amts wegen, die vereinbarte Vertragsstrafe entsprechend dem Interesse, welches der Gläubiger an der teilweisen Erfüllung hat, herabsetzen. Artikel 1152 bleibt hiervon unberührt. Jede anderweitige Vereinbarung gilt als nicht geschrieben.
Article 1232 Lorsque l’obligation primitive contractée avec une clause pénale est d’une chose indivisible, la peine est encourue par la contravention d’un seul des héritiers du débiteur, et elle peut être demandée, soit en totalité contre celui qui a fait la contravention, soit contre chacun des cohéritiers pour leur part et portion, et hypothécairement pour le tout, sauf leur recours contre celui qui a fait encourir la peine.
Art. 1232 Hat die unter einer Strafabrede vereinbarte ursprüngliche Verpflichtung eine unteilbare Sache zum Gegenstand, so wird die Vertragsstrafe schon bei Zuwiderhandlung eines einzigen der Erben des Schuldners fällig. Sie kann entweder in ihrer Gänze von demjenigen verlangt werden, der die Zuwiderhandlung begangen hat, oder von jedem der Miterben in Höhe des jeweiligen Anteils und hypothekarisch in voller Höhe, vorbehaltlich des Rückgriffs dieser letzteren gegen denjenigen, durch dessen Handeln die Vertragsstrafe fällig wurde.
Article 1233 (1) Lorsque l’obligation primitive contractée sous une peine est divisible, la peine n’est encourue que par celui des héritiers du débiteur qui contrevient à cette obligation, et pour la part seulement dont il était tenu dans l’obligation principale, sans qu’il y ait d’action contre ceux qui l’ont exécutée.
Art. 1233 (1) Hat die unter einer Strafabrede vereinbarte ursprüngliche Verpflichtung eine teilbare Sache zum Gegenstand, so wird die Vertragsstrafe nur durch den Erben des Schuldners fällig, der dieser Verpflichtung zuwiderhandelt, und nur für den Teil, für den er hinsichtlich der Hauptverpflichtung einzustehen hat, ohne dass ein Rückgriff gegen diejenigen bestünde, die diese erfüllt haben. (2) Diese Vorschrift ist dann nicht anzuwenden, wenn die Vertragsstrafe vereinbart wurde, damit die Erfüllung nicht teilweise geschehen könne, und ein Miterbe die vollständige Erfüllung verhindert hat. In diesem Fall kann von letzterem die Vertragsstrafe in ihrer Gänze verlangt werden, von den übrigen Miterben jeweils nur in Höhe ihres jeweiligen Anteils, vorbehaltlich ihres Rückgriffs.
(2) Cette règle reçoit exception lorsque la clause pénale ayant été ajoutée dans l’intention que le paiement ne pût se faire partiellement, un cohéritier a empêché l’exécution de l’obligation pour la totalité. En ce cas, la peine entière peut être exigée contre lui, et contre les autres cohéritiers pour leur portion seulement, sauf leur recours.
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2. Vorschriften zur Aufrechnung Aktuelle Rechtslage (seit 1.10.2016) Section 2. La compensation Sous-section 1. Les règles générales.
Abschnitt 2. Die Aufrechnung Unterabschnitt 1. Allgemeine Vorschriften
Article 1347 (1) La compensation est l’extinction simultanée d’obligations réciproques entre deux personnes. (2) Elle s’opère, sous réserve d’être invoquée, à due concurrence, à la date où ses conditions se trouvent réunies.
Art. 1347 (1) Die Aufrechnung ist das gleichzeitige Erlöschen gegenseitiger Verbindlichkeiten zweier Personen. (2) Wird die Aufrechnung geltend gemacht, so erfolgt sie bis zum Betrag der geringeren Schuld zu dem Zeitpunkt, an dem ihre Voraussetzungen vorliegen.
Article 1347‑1 (1) Sous réserve des dispositions prévues à la sous-section suivante, la compensation n’a lieu qu’entre deux obligations fongibles, certaines, liquides et exigibles.
Art. 1347‑1 (1) Unter dem Vorbehalt der Vorschriften des folgenden Unterabschnitts, erfolgt die Aufrechnung nur unter zwei gleichwertigen, unbestrittenen liquiden und durchsetzbaren Verbindlichkeiten. (2) Gleichwertig sind die Verbindlichkeiten, die einen Geldbetrag gleich welcher Währung, vorausgesetzt diese ist konvertierbar, oder eine bestimmte Menge von Sachen gleicher Gattung zum Gegenstand haben.
(2) Sont fongibles les obligations de somme d’argent, même en différentes devises, pourvu qu’elles soient convertibles, ou celles qui ont pour objet une quantité de choses de même genre. Article 1347‑2 Les créances insaisissables et les obligations de restitution d’un dépôt, d’un prêt à usage ou d’une chose dont le propriétaire a été injustement privé ne sont compensables que si le créancier y consent.
Art. 1347‑2 Unpfändbare Forderungen, Rückgabeansprüche aus einem Verwahrungs‑, Leih- oder Mietvertrag oder Ansprüche auf Herausgabe einer Sache, die dem Eigentümer rechtswidrig entzogen wurde, sind nur mit Zustimmung des Gläubigers aufrechnungsfähig.
Article 1347‑3 Le délai de grâce ne fait pas obstacle à la compensation.
Art. 1347‑3 Ein vom Richter ausgesprochener Fälligkeitsaufschub steht der Aufrechnung nicht entgegen.
Article 1347‑4 S’il y a plusieurs dettes compensables, les règles d’imputation des paiements sont transposables.
Art. 1347‑4 Bei mehreren aufrechnungsfähigen Verbindlichkeiten sind die Vorschriften zur Anrechnung der Erfüllung anwendbar.
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Article 1347‑5 Le débiteur qui a pris acte sans réserve de la cession de la créance ne peut opposer au cessionnaire la compensation qu’il eût pu opposer au cédant.
Art. 1347‑5 Ein Schuldner, der von der Forderungsabtretung vorbehaltlos Kenntnis genommen hat, kann dem neuen Gläubiger ge genüber nicht die Aufrechnung entgegen halten, die er dem alten Gläubiger gegenüber hätte geltend machen können.
Article 1347‑6 (1) La caution peut opposer au créancier la compensation intervenue entre ce dernier et le débiteur principal. (2) Le codébiteur solidaire peut se prévaloir de la compensation intervenue entre le créancier et l’un de ses coobligés pour faire déduire la part divise de celui-ci du total de la dette.
Art. 1347‑6 (1) Der Bürge kann dem Gläubiger gegenüber die erfolgte Aufrechnung einer Forderung des Hauptschuldners einwenden. (2) Der Gesamtschuldner kann sich auf die Aufrechnung zwischen dem Gläubiger und einem der Mitschuldner berufen, um von der gesamten Schuld den Betrag abzuziehen, der auf den Mitschuldner entfällt.
Article 1347‑7 La compensation ne préjudicie pas aux droits acquis par des tiers.
Art. 1347‑7 Erworbene Rechte Dritter werden durch die Aufrechnung nicht beeinträchtigt.
Sous-section 2. Règles particulières
Unterabschnitt 2. Besondere Vorschriften
Article 1348 La compensation peut être prononcée en justice, même si l’une des obligations, quoique certaine, n’est pas encore liquide ou exigible. A moins qu’il n’en soit décidé autrement, la compensation produit alors ses effets à la date de la décision.
Art. 1348 Die Aufrechnung kann selbst dann vom Gericht ausgesprochen werden, wenn eine unbestrittene Verbindlichkeit illiquide oder noch nicht durchsetzbar ist. In diesem Falle wird die Aufrechnung erst zum Zeitpunkt der Entscheidung wirksam.
Article 1348‑1 (1) Le juge ne peut refuser la compensation de dettes connexes au seul motif que l’une des obligations ne serait pas liquide ou exigible.
Art. 1348‑1 (1) Im Falle konnexer Verbindlichkeiten kann der Richter die Aufrechnung nicht mit der bloßen Begründung ablehnen, dass eine der Verpflichtungen illiquide oder noch nicht durchsetzbar ist. (2) In diesem Falle gilt die Aufrechnung in dem Zeitpunkt als erfolgt, an dem die erste beider Forderungen durchsetzbar wurde. (3) Der Erwerb von Rechten an einer der Verbindlichkeiten durch einen Dritten steht einer Aufrechnung durch den Schuldner nicht entgegen.
(2) Dans ce cas, la compensation est réputée s’être produite au jour de l’exigibilité de la première d’entre elles. (3) Dans le même cas, l’acquisition de droits par un tiers sur l’une des obligations n’empêche pas son débiteur d’opposer la compensation.
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Article 1348‑2 Les parties peuvent librement convenir d’éteindre toutes obligations réciproques, présentes ou futures, par une compensation; celle ‑ci prend effet à la date de leur accord ou, s’il s’agit d’obligations futures, à celle de leur coexistence.
Art. 1348‑2 Den Parteien steht es frei, das Erlöschen ihrer aktuellen oder zukünftigen gegenseitigen Verbindlichkeiten durch Aufrechnung zu vereinbaren; diese wird mit dem Zeitpunkt der Vereinbarung wirksam oder, im Falle zukünftiger Verbindlichkeiten, in dem Zeitpunkt, in dem sie gleichzeitig bestehen.
Bisherige Rechtslage (bis 30.9.2016) Article 1289 Lorsque deux personnes se trouvent débitrices l’une envers l’autre, il s’opère entre elles une compensation qui éteint les deux dettes, de la manière et dans les cas ci-après exprimés.
Art. 1289 Sind zwei Personen sich gegenseitig etwas schuldig, so erfolgt unter ihnen eine Aufrechnung, die die Verpflichtungen zum Erlöschen bringt, und zwar auf folgende Art und Weise und in den hiernach bestimmten Fällen.
Article 1290 La compensation s’opère de plein droit par la seule force de la loi, même à l’insu des débiteurs; les deux dettes s’éteignent réciproquement, à l’instant où elles se trouvent exister à la fois, jusqu’à concurrence de leurs quotités respectives.
Art. 1290 Die Aufrechnung tritt von Rechts wegen ein, kraft Gesetzes, selbst bei Unwissen der Schuldner; beide Verpflichtungen erlöschen gegenseitig in dem Augenblicke, in dem sie zu gleicher Zeit bestehen, bis zur Höhe ihres jeweiligen Betrages.
Article 1291 (1) La compensation n’a lieu qu’entre deux dettes qui ont également pour objet une somme d’argent, ou une certaine quantité de choses fongibles de la même espèce et qui sont également liquides et exigibles. (2) Les prestations en grains ou denrées, non contestées, et dont le prix est réglé par les mercuriales, peuvent se compenser avec des sommes liquides et exigibles.
Art. 1291 (1) Die Aufrechnung findet nur zwischen zwei Verpflichtungen statt, welche beide eine Geldsumme oder eine gewisse Anzahl vertretbarer Sachen derselben Art zum Gegenstand haben und gleichermaßen liquide und durchsetzbar sind. (2) Unbestrittene Leistungen in Form von Getreide oder Waren, deren Preis auf dem Markt festgesetzt wird (réglé par les mercuriales), können gegen liquide und fällige Geldbeträge aufgerechnet werden.
Article 1292 Le terme de grâce n’est point un obstacle à la compensation.
Art. 1292 Ein gerichtlicher Fälligkeitsaufschub (délai de grâce) steht der Aufrechnung nicht entgegen.
Aufrechnung und Vertragsstrafe im französischen Recht
Article 1293 La compensation a lieu, quelles que soient les causes de l’une ou l’autre des dettes, excepté dans le cas : 1° De la demande en restitution d’une chose dont le propriétaire a été injustement dépouillé; 2° De la demande en restitution d’un dépôt et du prêt à usage; 3° D’une dette qui a pour cause des aliments déclarés insaisissables. Article 1294 (1) La caution peut opposer la compensation de ce que le créancier doit au débiteur principal; mais le débiteur principal ne peut opposer la compensation de ce que le créancier doit à la caution. (2) Le débiteur solidaire ne peut pareil lement opposer la compensation de ce que le créancier doit à son codébiteur. Article 1295 (1) Le débiteur qui a accepté purement et simplement la cession qu’un créancier a faite de ses droits à un tiers, ne peut plus opposer au cessionnaire la compensation qu’il eût pu, avant l’acceptation, opposer au cédant.
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Art. 1293 Eine Anrechnung findet unabhängig vom Ursprung (cause) der einen oder anderen Verpflichtung statt. Ausgenommen sind jedoch: 1° Ansprüche auf Herausgabe einer Sache, die dem Eigentümer rechtswidrig entzogen wurde; 2° Rückgabeansprüche aus einem Verwahrungs‑, Leih- oder Mietvertrag; 3° Verpflichtungen auf Zahlung von Unterhalt, die für unpfändbar erklärt worden sind. Art. 1294 (1) Der Bürge kann dem Gläubiger gegenüber die Aufrechnung einer Forderung des Hauptschuldners einwenden; der Hauptschuldner aber kann dem Gläubiger gegenüber nicht die Aufrechnung einer Forderung des Bürgen einwenden. (2) Ebenso wenig kann der Gesamtschuldner die Aufrechnung dessen, was der Gläubiger seinem Mitschuldner schuldet, einwenden.
(2) A l’égard de la cession qui n’a point été acceptée par le débiteur, mais qui lui a été signifiée, elle n’empêche que la compensation des créances postérieures à cette notification.
Art. 1295 (1) Ein Schuldner, der die Abtretung der Forderung durch den Gläubiger an einen Dritten vorbehaltlos angenommen hat, kann dem neuen Gläubiger gegenüber nicht die Aufrechnung einwenden, die er vor der Annahme dem Zedenten hätte entgegenhalten können. (2) Eine Abtretung, die der Schuldner nicht angenommen hat, ihm aber zugestellt (signifié) wurde, verhindert die Aufrechnung nur solcher Forderungen, die nach dieser Zustellung entstehen.
Article 1296 Lorsque les deux dettes ne sont pas payables au même lieu, on n’en peut opposer la compensation qu’en faisant raison des frais de la remise.
Art. 1296 Sind beide Verbindlichkeiten nicht am selben Orte zu erfüllen, so kann die Aufrechnung nur unter Anrechnung der Lieferkosten eingewendet werden.
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Article 1297 Lorsqu’il y a plusieurs dettes compensables dues par la même personne, on suit, pour la compensation, les règles établies pour l’imputation par l’article 1256.
Art. 1297 Hat dieselbe Person mehrere aufrechnungstaugliche Verbindlichkeiten, so sind bezüglich der Aufrechnung die für die Anrechnung vorgesehenen Bestimmungen des Artikels 1256 zu befolgen.
Article 1298 La compensation n’a pas lieu au préjudice des droits acquis à un tiers. Ainsi celui qui, étant débiteur, est devenu créancier depuis la saisie faite par un tiers entre ses mains, ne peut, au préjudice du saisissant, opposer la compensation.
Art. 1298 Die Aufrechnung findet nicht unter Beeinträchtigung erworbener Rechte eines Dritten statt. So darf ein Schuldner, der seit der Pfändung eines Dritten in sein Eigentum (entre ses mains) Gläubiger geworden ist, die Aufrechnung nicht zum Nachteil des Pfänders einwenden.
Article 1299 Celui qui a payé une dette qui était, de droit, éteinte par la compensation, ne peut plus, en exerçant la créance dont il n’a point opposé la compensation, se prévaloir, au préjudice des tiers, des privilèges ou hypothèques qui y étaient attachés, à moins qu’il n’ait eu une juste cause d’ignorer la créance qui devait compenser sa dette.
Art. 1299 Derjenige, der auf eine von Rechts wegen erloschene Schuld geleistet hat, kann sich, wenn er die Forderung, gegen die er die Aufrechnung nicht eingewendet hat, geltend macht, nicht mehr auf die mit ihr verbundenen Vorzugsrechte und Hypotheken berufen, soweit dies Dritten zum Nachteil gereicht; es sei denn, er hatte einen berechtigten Grund, die Forderung nicht zu kennen, die gegen seine Schuld aufrechenbar war.
Rechtsdurchsetzung durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Common Law Helge Dedek I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Common law als „Rechtskulturkreis“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidated damages / penalties und set-off vor diesem Hintergrund: einführende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Law of Set-off . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick: Formenvielfalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Contractual set-off . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Law / Equity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fortwährende Bedeutung der Dichotomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verknüpfung mit der Frage nach prozessualer und materieller Wirkweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Statutory / legal set-off . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Equitable set-off, set-off in bankruptcy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Liquidated Damages and Penalty Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überblick: Penalty rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ursprünge und jüngste Entwicklungen im englischen Recht . . . . . . . . . . . . 3. Die Vertragsstrafe im Recht des Commonwealth: Kanada . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entwicklung in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklungslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beispiele bundesstaatlicher Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Tendenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung 1. Common law als „Rechtskulturkreis“ Es ist eine beträchtliche Herausforderung, zwei komplexe Rechtsinstitute (oder gar, wenn wir an die Formenvielfalt des set-off denken1, ganze Rechts-Gebiete), bei deren Betrachtung es auch auf viele Details ankommt, für einen gesamten
1
Dazu sogleich ausführlicher unten II.1.
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Helge Dedek
Rechts-„Kreis“ oder eine Rechts-„Familie“2 darzustellen. In unserem Tagungsband finden sich für nationale Rechtsordnungen des civil law, des Zivilrechts kontinentalen Ursprungs, gleich mehrere Berichte. Die zugrundeliegende Annahme scheint zu sein, dass die Rechtsordnungen „des“ common law untereinander größere Familienähnlichkeiten aufweisen als die kodifizierten Rechtsordnungen des civil law. Der vorliegende Bericht versucht, dieser Hypothese gleichsam als Leitlinie zu folgen und die in verschiedenen Jurisdiktionen des common law vorfindlichen Ausprägungen der untersuchten Rechtsinstitute auf gemeinsame Ursprünge und Charakteristika zurückzuführen. Hierbei scheint es durchaus hilfreich, selbst in einem Forum von Komparatisten dem Bericht einige Überlegungen – und damit auch ein caveat – voranzustellen im Hinblick auf diese Grundannahme, die für die Jurisdiktionen des common law eine gewisse Kohärenz, wahrscheinlich einen gegenüber den nationalen Ausprägungen des civil law höheren Grad an Kohärenz annimmt. Zunächst müssen wir näher bestimmen, worauf sich die Rede von „dem“ common law denn beziehen soll. Ist im technischen Sinne ein in einem bestimmten Hoheitsgebiet geltendes Recht gemeint – so wie hier „dem“ common law italienisches, französisches, polnisches Recht gegenübergestellt werden – so haben wir es mit einer ungeheuren Vielzahl von common law-Jurisdiktionen zu tun, die ihre eigenen Rechtsprechungstraditionen und eigenes Gesetzesrecht produzieren, in föderalen Systemen auch im Privatrecht auf der Ebene von Bundesstaaten, Provinzen und Territorien3. Freilich teilen diese Rechtsordnungen ein gemeinsames historisches Fundament, und daher auch Grundzüge von Methode und Stil und ein Arsenal typischer Argumente. Dies alles ließe sich auch über die Rechtsordungen des civil law sagen, obschon diese keine gemeinsame lingua franca (mehr) teilen. Die Konsolidierung nationaler Systeme in den Rechtsordnungen des common law ist jedoch – jedenfalls, soweit wir die Rechte des Commonwealth betrachten – zunächst schlicht historisch weniger weit entrückt und so auch die grenzüberschreitende kulturelle Verwandtschaft noch stärker spürbar. In privatrechtlichen Angelegenheiten etwa wurde die Appellation an das privy council, eine Institution bedeutsam nicht nur zur Wahrung gewisser Kohärenz, sondern auch in ihrem Symbolcharakter, in Kanada erst 1949 abgeschafft4; in Neuseeland gar 2 Ein erschöpfender Nachweis der theoretischen und methodologischen Literatur darf hier unterbleiben; siehe zum „Rechtskreis“ des common law etwa noch stets Zweigert / Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, 177 ff. und aus dem theoretischen Schrifttum etwa Kötz, ZEuP 1998, 493 ff.; Husa, Revue internationale de droit comparé 56 (2004), 11 ff.; Glenn, in: Reimann / Zimmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Comparative Law, 2006, 422 ff. 3 Vgl. etwa für Kanada den Constitution Act 1867 (UK), 30 & 31 Vict., c. 3, s. 92(13): „In each Province the Legislature may exclusively make Laws in relation to Matters coming within the Classes and Subjects next hereinafter enumerated; that is to say [. . .] 13. Property and Civil Rights in the Province.“ 4 Siehe Laskin, Canadian Bar Review 29 (1951) 1038 ff.
Rechtsdurchsetzung durch Aufrechnung und Vertragsstrafe im Common Law
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erst zum 1. Januar 2004 (und nur nach einer kontroversen und auch lebhaft in den Medien ausgetragenen Debatte)5. In der Tat wird insbesondere im Commonwealth über die gemeinsamen Schnittbereiche – ein gleichsam ideales common law – ein transnationaler Diskurs geführt, der in der Welt des civil law kein Gegenstück hat6, unter anderem auch insoweit, als dogmatische Details der lokalen Rechte, vor allem sofern sie im Statutenrecht ihren Ursprung haben, als durchaus zweitranging behandelt werden. So verkündet etwa der Klappentext der 2. Auflage von Goodes Legal Problems of Credit and Security, für unsere Betrachtungen wichtig als ein Standardwerk zum law of set-off (dazu sogleich mehr), es enthalte die wichtigsten Leitentscheidungen aus dem Vereinigten Königreich, Australien, Kanada, und Neuseeland; und „[b]ecause the purpose of this book is not to analyse the minutiae of local legislation but rather to explore fundamental concepts of common law and equity (. . .), this book will be of value to academic and practising lawyers in all Commonwealth jurisdictions“7. Eine Sonderrolle spielen freilich die USA, deren Abtrennung vom Mutterland historisch nicht weniger weit zurückliegt als der Beginn des Kodifikationszeitalters auf dem europäischen Kontinent als Startpunkt nationalrechtlicher Abschottung; in Folge der unzähligen Gesetzgebungsakte auf Bundes- wie Staatenebene und der durch die ungeheure Produktion von Präzedenzien bedingten Mutationsgeschwindigkeit amerikanischen Rechts, und auch durch kulturelle Andersartigkeiten gegenüber dem Commonwealth, etwa in der Art und Weise, in der Juristen ausgebildet werden, haben sich bekanntlich mitunter große Unterschiede aufgetan, die bisweilen eine „Familienähnlichkeit“ durchaus in den Hintergrund treten lassen8. 2. Liquidated damages / penalties und set-off vor diesem Hintergrund: einführende Beobachtungen Unsere konkreten Untersuchungsthemen eignen sich nun glücklicherweise besonders gut dafür, just diesen dualen Charakter „des“ common law als einer Vielzahl geltender Rechte und zugleich eines geteilten Kulturraumes auf der 5 Vgl. Nevill, International Journal of Constitutional Law 3 (2005), 115 ff.; Harris, New Zea land Law Review 2004, 269, 271 f. 6 Siehe dazu etwa jüngst Dedek, GPR 2017, 282 f. 7 Goode, Legal Problems of Credit and Security, 2. Aufl. 1988. 8 Zur Einführung in den Ablösungsprozess siehe etwa nur Friedman, A History of American Law, 3. Aufl. 2007, 63 ff.; historisch auch Griswold, Journal of Legal Education 10 (1958), 429 ff. Für Kanada gilt die Besonderheit, dass die Substanz des kanadischen common law naturgemäß immer noch dem englischen Recht sehr gleicht, die wichtigen „Kulturkomponenten“ Wissenschaftsparadigma und Ausbildung aber stark amerikanisch beeinflusst sind, und Kanada insoweit mit den USA einen nordamerikanischen „Kreis“ bildet, siehe etwa Dedek, JZ 2009, 540 ff.; ders., in Trute / Brockmann u. a. (Hg.), Exzellente Lehre im Juristischen Studium: auf dem Weg zu einer juristischen Fachdidaktik, 2011, 41 ff.
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Basis eines geteilten historischen Erbes zu illustrieren. Beide Themen zeigen die Familienähnlichkeit, die verbleibenden Übereinstimmungen in der Art und Weise, wie ein (funktional diagnostizierbares) „Problem“ begrifflich gefasst wird – was für die hier untersuchten Themenfelder im Grundsatze wohl auch für das Recht der Vereinigten Staaten gesagt werden kann. Das heißt aber nicht, dass nicht konkrete Lösungen zu konkreten Fällen in den unterschiedlichen Jurisdiktionen des common law mitunter gänzlich verschieden ausfallen könnten. Zudem ist freilich damit auch nicht gesagt, dass sich nicht Ähnlichkeiten mit anderen Rechtstraditionen, vor allem der des civil law, diagnostizieren und zum Teil ebenfalls auf historische Transfervorgänge zurückführen ließen; nur ist dieser Vergleich nicht Gegenstand der folgenden Ausführungen. Im Hinblick auf die begriffliche Erfassung der Konfliktlagen zeigen sich strukturelle Übereinstimmungen, in denen sich vor allem durch das geteilte historische Erbe bedingte Pfadabhängigkeiten offenbaren. So spielt etwa, wie wir sehen werden, im law of set-off, dem besten Kandidaten für ein Äquivalent der Kompensation und Aufrechnung, die archaische Trennung von law und equity für das Verständnis der aktuellen Rechtslage eine wichtige Rolle. Auch das historisch gewachsene besondere Verständnis des Vertrages, seinerseits sowohl verknüpft mit dem traditionell prozessualen Ansatz des common law wie der Trennung der beiden Gerichtsbarkeiten von law und equity, tangiert unsere Themen: etwa die auf das assumpsit zurückgehende fraktionierte Konzeptualisierung des Vertrages als zweier sich zunächst selbständig gegenüberstehender Versprechen, die auch aus dem Vertrag entstehende Ansprüche zunächst unverbunden nebeneinanderstellt9; und das Verständnis des Vertrages, trotz der scheinbar moralisierenden Versprechens-Rhetorik, gleichsam als einer Art Versicherung, die zumindest im Falle des Versprechensbruches at common law ausschließlich die finanzielle Kompensation gewährleistet, die Erzwingung der Einhaltung eines Versprechens aber als Ausnahme in das Recht der equity verweist10 – ein Umstand, der wiederum die argumentativen Parameter festlegt für die Frage, ob eine Vertragsstrafe und das Ausüben von Druck in Richtung auf die Erfüllung einen legitim verfolgbaren Zweck bei der Vertragsgestaltung darstellen kann11. 9 Zu der Relevanz für das Recht des set-off: siehe Gullifer / Goode, Goode on Legal Problems of Credit and Security, 5. Aufl. 2013, Rn. 7‑62; auch Zimmermann, Comparative Foundations for a European Law of Set-Off and Prescription, 2002, 31. Allgemein beispielsweise Smith, Contract Theory, 2002, 56; 180 f.; kritisch etwa De Moor, in: Oxford Essays in Jurisprudence, 3rd series, 1987, 103 ff.; in der deutschen Literatur siehe einführend Dedek, Negative Haftung aus Vertrag, 68 ff. 10 Zur Einführung etwa Zakrzewski, Remedies Classified, 13 f.; 105 f.; 120 ff.; 134 ff., und nochmals Dedek, Negative Haftung aus Vertrag, 72 ff.; dort auch Fn. 73 zu Unterschieden zwischen dem englischen und dem noch stärker konsequentialistischen amerikanischen Verständnis. 11 Siehe etwa Farnsworth, Contracts, New York, 4. Aufl. 2004, § 12.18.
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Als letzter Aspekt soll die Rolle der universitären Rechtslehre bei der Durchdringung und Ordnung dogmatischen Materials nicht unerwähnt bleiben: gewisse Rechtsgebiete sind von der akademischen Jurisprudenz schlechthin nicht in einer Weise durchdrungen, die vor allem im deutschsprachigen Raum im Gefolge der pandektistischen Tradition selbst für Randgebiete erwartet wird. Dies zeigt sich besonders für das law of set-off, das traditionell von Universitätsjuristen so gut wie nicht wissenschaftlich behandelt wird, und das zudem in der Lehre kaum eine Rolle spielt – set-off fällt im klassischen curriculum, da es einen Kurs zu einem „allgemeinen Schuldrecht“ nicht gibt, zwischen den wichtigen Pflichtkursen in torts und contracts gleichsam zwischen die Stühle und wird in elektiven Fortgeschrittenenveranstaltungen wie etwa remedies und secured transactions, wenn überhaupt, nur sporadisch behandelt. Das Thema ist daher vornehmlich dem Fallrecht und – mit einzelnen Ausnahmen12 – einigen wenigen Praktikerhandbüchern überlassen. Ein caveat auch in eigener Sache sollen und müssen diese Vorbemerkungen deshalb sein, weil ein Bericht zu dem common law wegen der ungeheuren Vielfalt im Detail – etwa den unterschiedlichen Tests, was eine Vertragsstrafe, eine penalty, nicht nur in England und in Kanada und Hong Kong, sondern auch in Iowa, North Dakota und Connecticut ausmachen möge – nie einen Anspruch auf Vollständigkeit wird erheben können. Stattdessen werde ich versuchen, für ausgewählte Bereiche allgemeine Leitlinien aus der gemeinsamen Geschichte der heutigen common-law-Jurisdiktionen herauszuarbeiten, und es hinsichtlich der Details notwendig bei Stichproben belassen. Dabei werde ich mich für den ersten Teil der Betrachtungen, der sich mit dem Recht des set-off und daher mit einem ganzen (zudem disparaten und nur bedingt wissenschaftlich durchdrungenen) Rechtsgebiet befasst, in erster Linie auf die fortdauernde Relevanz der archaischen Trennung von law und equity konzentrieren, dabei vornehmlich auf die Rechtsentwicklung in England Rücksicht nehmen und es hinsichtlich des Vergleichs mit den Jurisdiktionen des Commonwealth und den USA mit einem kurzen Hinweis bewenden lassen, dass die Unterscheidung auch nach wie vor für das Verständnis des set-off maßgeblich ist (sogleich II.). Die thematisch von vornherein stärker eingegrenzte Betrachtung der penalty rule (unten III.) wird uns sodann die Möglichkeit geben, genauer – wenn auch freilich ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit – auch auf verschiedene Entwicklungen in individuellen Jurisdiktionen der common-law-„Familie“ einzugehen, wobei neben den jüngsten Rechtsprechungsinnovationen in England unser Augenmerk vor allem den USA und Kanada (als Vertreter des Commonwealth) gelten soll. 12 Bekannte Ausnahme sind etwa die Ausführungen Roy Goodes, dessen Ansichten zur rein prozessualen Wirkung des set-off sicherlich auch wegen der Seltenheit von Stellungnahmen namhafter Wissenschaftler eine überproportionale Aufmerksamkeit gilt: siehe dazu Goode, Legal Problems of Credit and Security, 2. Aufl. 1988, 138 ff. Zu dieser Problematik siehe unten II.2.b, d.
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II. Law of Set-off 1. Überblick: Formenvielfalt „The modern law of set-off is a curiosity“13, beginnt ein Bericht der Law Reform Commission der kanadischen Provinz British-Columbia aus dem Jahre 1988: In Kanada, wie in anderen Jurisdiktionen des common law, gibt es keine einheitliche Regelung des set-off, sondern eine Vielzahl an Erscheinungsformen und Rechtsregimen, die ein set-off, ein Gegen-Einander-In-Ansatzbringen von Ansprüchen im weitesten Sinne, zum Gegenstand haben14. Diese durchaus verwirrende Situation fasste 1992 Staughton L. J. in einer Entscheidung des englischen Court of Appeal mit den Worten zusammen, das Recht des set-off „has to be discovered in a number of diverse rules based on no coherent line of reasoning“15. Diese Situation bleibt unverändert16; der Terminus des set-off beschreibt dementsprechend nur allgemein einen Oberbegriff17, der funktional die Grundkonstellation umfasst, dass zwei sich gegenüberstehende Ansprüche zur Verrechnung kommen: „A has a claim against B, and B has a claim against A. In this case, an evaluation of the elements of the cross claims between A and B may be taken to determine the extent, if any, of the ultimate sum payable between A and B“18. Den common-law-Rechtsordnungen ist grundsätzlich gemein, dass sie an der Unterscheidung von common law bzw. statutory oder legal set-off einerseits gegenüber dem sog. equitable set-off andererseits festhalten. Zudem finden sich weitere Sub-Unterteilungen, wie etwa die analoge Anwendung der set-offStatuten in equity (ie. eine analoge Anwendung der Regeln des legal set-off auf Ansprüche, die ihren Ursprung in der equity haben), und von den Formen des 13
Law Reform Commission of British Columbia, Report on Set-Off, Law Reform Commission of British Columbia, 1988, 1, online: www.bcli.org / sites / default / files / LRC97-Set-Off.pdf (letzter Zugriff am 3.12.2017). 14 Palmer, The Law of Set-Off in Canada, 1993, 1. 15 Axel Johnson Petroleum v MG Mineral Group [1992] 1 W.L.R. 270, 276. 16 Siehe etwa Gullifer / Pichonnaz, Set-Off in Arbitration and Commercial Transactions, 2014, Rn. 5‑01: „Even with this limitation [sc.: der Beschränkung der Betrachtung auf ein set-off zwischen solventen Parteien], the law is somewhat complex, as there are different types of set-off, each of which has its own history and purpose. The nomenclature used by the courts, as well as by writers, for these different types of set-off is not stable.“ 17 Siehe auch Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical [2010] EWHC 2366 (Ch), Rn. 11: „The term ‚set-off ‘ as it is used in English law has no uniform meaning and is therefore a ready source of confusion.“ 18 Palmer, Set-Off in Canada, 1. Siehe auch Wood, Set-Off and Netting, Derivatives, Clearing Systems, Vol. 4, London, 2. Aufl. 2007, para 1‑004: „Set-off is the discharge of reciprocal obligations to the extent of the smaller obligation. It is a form of payment. A debtor sets off the crossclaim owed to him against the main claim which he owes his creditor. Instead of paying money, he uses the claim owed to him to pay the claim he owes [. . .]. A defendant sets off, against the claimant-creditor, a cross-claim owed by the claimant to the defendant“.
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set-off wiederum abzugrenzende Erscheinungen wie das sog. abatement, das sich am ehesten als eine auf bestimmte Austauschverträge beschränkte Form der Minderung denken lässt19. Eine alternative Terminologie, die auf dieser historischen Unterteilung basiert (jedoch teilweise zu ihr quer liegt), fasst sowohl die direkte wie die analoge equitable Anwendung der set-off-Statuten unter der Kategorie des independent set-off, während die Fallgruppen des set-off in equity in Anbetracht der Voraussetzung eines gemeinsamen Ursprungs in einem einheitlichen wirtschaftlichen Austauschvorgang in transaction set-off umbenannt werden; diese Terminologie hat vor allem in England und Wales Anerkennung gefunden20. Zusätzlich zu diesen Typen wird durchweg ein contractual set-off, mithin eine vertragliche Vereinbarung einer Verrechnung, anerkannt; auch existieren in den Details komplexe Sonderregeln für das set-off in der Insolvenz. 2. Contractual set-off Als vergleichsweise unproblematisch lässt sich hierbei zunächst das sogenannte contractual set-off abschichten, das allenthalben aus dem Prinzip der Vertragsfreiheit hergeleitet wird21. Es gelten in diesem Kontext vornehmlich die Regeln des Vertragsrechts, nach denen sich die Gültigkeit der Abrede bestimmt (offer, acceptance, consideration, etc.). Weitere Voraussetzungen (wie mutuality, liquid and connected debts etc.) müssen demgegenüber nicht erfüllt sein22. Der Supreme Court of Canada formulierte im Jahre 2009 in der Entscheidung in Ministre du Revenu national v Caisse Populaire du bon Conseil: „Contractual [set-off] achieves a similar goal to [. . .] legal or equitable set-off, the discharge of mutual debts. However, contractual [set-off] achieves this goal through mutual consent. It provides the parties with a self-help remedy that avoids the technical requirements of [. . .] legal or equitable set-off. Both a contract providing for a right of compensation in Quebec and a contract providing for a right of set-off in the common law provinces are to be interpreted by a court in a manner that gives effect to the intentions of the parties as reflected in the words of the contract“23.
Schwierigkeiten ergeben sich daher vornehmlich in Fällen, in denen die Vereinbarung nicht ausdrücklich getroffen wurde und eine Partei vorbringt, eine 19 Vgl. etwa Mondel v Steel (1841) 8 M & W 858. Siehe dazu etwa Derham, The Law of SetOff, 4. Aufl. 2010, Rn. 2.123. 20 Siehe die Ausführungen von Hoffmann LJ in Aectra Refining Inc v Exmar NV [1994] 1 W.L.R. 1634, 1648 f. unter ausdrücklicher Anlehnung an die Terminologie von Wood, English and International Law of Set-off, 1989; dazu Gullifer / Goode, Goode on Legal Problems of Credit and Security, 5. Aufl. 2013, Rn. 7‑03; 7‑05 und Fn. 13. 21 Siehe auch Zimmermann, Comparative Foundations for a European Law of Set-Off and Prescription, 2002, 31. 22 Palmer, Set-Off in Canada, 263. 23 Ministre du Revenu national v Caisse Populaire du bon Conseil, 2009 SCC 29 para 22.
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solche Abrede sei dennoch implizit vereinbart („implied“). In diesen Fällen ergeben sich die üblichen Schwierigkeiten mit der parol evidence rule24, wobei Gerichte jedoch geneigt scheinen, die Anforderung an den zu führenden Beweis weniger streng auszulegen, was in der Literatur mit Wurzeln des set-off in der equity erklärt wird: in diesem Kontext sei die Auslegung von Verträgen nicht strikt auf die schriftliche Vereinbarung beschränkt gewesen, sondern habe alle Begleitumstände in Betracht ziehen dürfen25. Als praktisch besonders wichtig ist in diesem Kontext das sog. banker’s right of set-off zu erwähnen, das traditionell als „lien“ verstanden wurde, nunmehr aber mit guten Argumenten als ein – mitunter stillschweigend – vertraglich vereinbartes Recht begriffen wird26, eine Konzeption, die allerdings nach wie vor umstritten ist27. 3. Law / Equity a) Fortwährende Bedeutung der Dichotomie Verlassen wir den Bereich vertraglich vereinbarter Verrechnung, ist vor allem bemerkenswert die fortdauernde begriffliche Zweiteilung von set-off in law and equity. Die Unterscheidung zwischen law und equity hat natürlich mit der Fusion beider Gerichtsbarkeiten im 19. Jahrhundert viel an institutionell und prozessual bedingter Komplexität verloren, und auch an praktischer Relevanz: oft wird es nunmehr vom Ergebnis her gleichgültig sein, ob ein Rechtsinstitut, zumal eine „defence“, aus dem common law stammt oder aus der equity. Mit besonderem Blick auf das set-off hatte im Jahre 1978 denn auch Lord Denning prophezeit, die Unterscheidung gehöre der Vergangenheit an28: „Over 100 years have passed since the Supreme Court of Judicature Act. During that time the streams of common law and equity have flown together and combined so as to be indistinguishable the one from the other. We have no longer to ask ourselves: what would the courts of common law or the courts of equity have done before the Supreme Court of Judicature Act 1873? We have to ask ourselves: what should we do now so as to ensure fair dealing between the parties? This question must be asked in each case as it arises for decision; and then, from case to case, we shall build up a series of precedents to guide those who come after us.“ 24
Siehe dazu etwa Holt v Telford [1987] SCR 193, 6 WWR 386. Anderson / Gelbman / Pullen, Annual Review of Insolvency Law 2009, 1 (13). 26 Gullifer / Goode, Goode on Legal Problems of Credit and Security, 5. Aufl. 2013, Rn. 7‑07: „the implied contractual right given to bankers operating different current accounts for the same customer to combine them and treat them as one, thus setting off a debit balance on one account against the other“. 27 Siehe etwa Wood, Law of Set-off, 1989, 92 ff.; und besonders ausführlich McCracken, The Banker’s Remedy of Set-Off, 3. Aufl. 2010, 3 ff. 28 Federal Commerce Ltd. v Molena Alpha Inc (The „Nanfri“), [1978] QB 927. 25
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Lord Dennings Prognose hat sich indes, so will es scheinen, nur teilweise bewahrheitet. Zwar werden Unterschiede zwischen legal und equitable set-off praktisch immer dann keine Rolle spielen, sofern die weiterreichende Option des equitable set-off offensteht. Anders als von Lord Denning erhofft, hat die Rechtsentwicklung, insbesondere auch das Richterrecht, jedoch nicht zu einer Amalgamierung beider Typen des set-off geführt29; im Gegenteil, das Recht des set-off ist noch stets ganz und gar begrifflich erfasst und geordnet nach der alten Zweiteilung. Die Unterscheidung ist daher auch heute durchaus noch von grundsätzlicher Relevanz, als sie den Schlüssel liefert zum Verständnis davon, wie Saldierungsoperationen im common law gedacht werden. Es scheint mir umso wichtiger, dieses Phänomen hier besonders hervorzuheben, als diese fortwährende, durchaus archaisch anmutende Unterscheidung von law und equity, wie die kategorielle Zersplitterung des law of set-off überhaupt, ein besonderes Merkmal ausmacht, das common-law-Rechtsordnungen auch jenseits von England und Wales teilen. In Kanada wurden die englischen set-off statutes oder deren Nachfolger (dazu sogleich mehr) entweder in der provinzialen Gesetzgebung reproduziert oder der Sache nach in das jeweilige common law der Provinzen aufgenommen30. In den USA etwa verfuhren manche Bundesstaaten ähnlich; zudem erließen kurioserweise vier Staaten vor dem kolonialen Mutterland Statuten zum set-off, beginnend mit Virginia bereits im Jahre 1645 (alle ausdrücklich mit dem Zweck, eine unnötige Prozessvermehrung zu vermeiden)31. Sowohl in Kanada32 wie in den USA33 wurde aber auch das Konzept eines von der statuarischen Verrechnung zu trennenden Grundsatzes des equitable set-off rezipiert. Bei allen Unterschieden im Detail: insgesamt ist die Familienähnlichkeit, der gemeinsame Ursprung der begrifflichen Herangehensweise unverkennbar, ihr wesentliches Merkmal die Geburt aus der Prozesssituation und aus verschiedenen Rechts-Schichten. 29 Eine ähnliche Vereinigung der Doktrinen hatte Denning ja bekanntlich mehrfach vorgeschlagen, siehe nur etwa Lloyds Bank Ltd v Bundy [1974] EWCA 8. 30 Siehe zu der historischen Entwicklung etwa die Darstellung in der maßgeblichen Leitentscheidung des kanadischen Supreme Court, Telford et al v Holt et al (1987), 41 DLR (4th) 385. Siehe auch den Überblick in Judge / Grottenthaler, Canadian Bar Review 70 (1991), 91 (94 ff.). 31 Virginia (1645); Pennsylvania (1682); New York (1714); New Jersey (1722). Dazu ausführlich Loyd, University of Pennsylvania Law Review 64 (1916) 541 (553 ff.), der insbesondere auch den bemerkenswerten Gebrauch des terminus der defalcatio hervorhebt. 32 Hierzu nochmals Telford et al v Holt et al (1987), 41 DLR (4th) 385; Palmer, Set-Off in Canada, 21 ff; 65 ff.; Judge / Grottenthaler, Canadian Bar Review 70 (1991), 91 ff. 33 Siehe etwa nur Croall v Kohler, 106 Conn App 788, 791 ff.: „In Connecticut, a setoff may be legal or equitable in nature [. . .] When the statutes governing legal setoff do not apply, a party may be entitled to equitable setoff “; OCI Mortgage Corp v Marchese, 255 Conn 448, 463: „[A] party may be entitled to equitable setoff, nonetheless, ‚only to enforce the simple but clear natural equity‘ in a given case“, unter Hinweis auf Spurr v Snyder, 35 Conn 172 at 174 (1868); Keith G v Suzanne H, 62 Cal App (4th) 853, 861: „The right exists independently of statute and rests upon the inherent power of the court to do justice to the parties before it“.
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b) Verknüpfung mit der Frage nach prozessualer und materieller Wirkweise Neben unterschiedlichen Voraussetzungen von statuarischem und equitablen set-off ist hierbei bemerkenswert vor allem auch die Verknüpfung mit der Frage, inwieweit dem set-off „prozessuale“ oder auch „materielle“ Wirkung zukommen soll. Damit sind wir zunächst auf eine Abgrenzung gestoßen, die in der rechtsvergleichenden Literatur bekannt und hinlänglich beschrieben ist (Reinhard Zimmermann etwa hat dieses Phänomen in seiner Monographie zu den Konturen eines europäischen Aufrechnungsrechts untersucht34, und Christiana Fountoulakis in ihrer Basler Habilitationsschrift35), eine Zweiteilung, die sich auf den ersten Blick entlang der Trennlinie von common und civil law abzuzeichnen scheint: während die kontinentalen Systeme, so will es scheinen, die compensatio und deren Varianten (nunmehr) als Institut vornehmlich des materiellen Rechts begreifen (wobei es freilich zu Überlagerungen und Überschneidungen mit dem Prozessrecht kommt), ist im common law, und zwar vor allem, als es um die „strengrechtliche“, statutenbasierte Saldierung geht, ein Verständnis der Verrechnung als eines prozessualen Behelfs (wiederum freilich mit materiellrechtlichen Implikationen) sehr viel ausgeprägter. Insgesamt ist eine gewisse Ähnlichkeit der Entwicklungsvorgänge diagnostiziert worden, bei der das Verständnis von Verrechnungsvorgängen sowohl im römischen wie dann später im englischen Recht im Prozessrecht seinen Ausgang genommen und im Laufe der Zeit einen immer stärker materiellrechtlichen Charakter ausgeformt habe36. Dass diese Entwicklungen im common law weitaus jüngeren Ursprunges sind als im kontinentalen civil law, mag eine der Ursachen dafür sein, dass die prozessualen Ursprünge des set-off noch weitaus stärker im Bewusstsein des common lawyers präsent sind; und (trotz der zunehmenden praktischen Bedeutung des equitablen set-off, dessen materiell-rechtliche Wirkweise nunmehr weitestgehend akzeptiert ist die Art und Weise, in der das set-off verstanden und taxonomisch beschrieben wird, noch immer so deutlich prägen. Um diese Besonderheit besser nachvollziehen zu können, kommen wir nicht umhin, diese Ursprünge im englischen Recht ein wenig näher zu betrachten, wobei wir uns jedoch mit einer groben Skizze dieser verschlungenen Geschichte werden bescheiden müssen. Dabei mag der Leitgedanke hilfreich sein, sich nochmals zu vergegenwärtigen, dass sich unter den Argumenten, die für die Einrichtung von – wie auch immer funktionierenden – Auf- oder Verrechnungsmechanismen streiten, zum einen solche finden, die auf die Vermeidung unnötiger Verschwendung von Ressourcen abheben, sei es durch Hin- und Herzahlung oder durch entbehrliche Mehrfachbeschäftigung der Gerichte; und 34
Zimmermann, Comparative Foundations, 22 ff. Fountoulakis, Set-off Defences in International Commercial Arbitration, 2011, 121 ff. 36 Zimmermann, Comparative Foundations, 22 ff.; Fountoulakis, Set-off Defences, 124. 35
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zum anderen Gerechtigkeitserwägungen, wie etwa die, dass es durchaus fraglich erscheinen mag, ob der Gläubiger einer Forderung diese mit staatlicher Hilfe und notfalls mit Zwang soll durchsetzen können, ohne dem Schuldner gegenüber eine eigene Schuld in Ansatz bringen zu müssen37. Diese sich doch an sich gegenseitig ergänzenden Erwägungen erscheinen in der Entwicklung des englischen Rechts nun als treibende Kräfte separater Entwicklungen des set-off in common law und equity. Trotz anfänglicher Überschneidungen kristallisiert sich alsbald eine Interpretationstradition heraus, derzufolge die Entwicklung des set-off im common law und im Statutenrecht ausschließlich dem Zwecke der Prozessökonomie diene, während die Entwicklungen des equitable set-off und des set-off in bankruptcy auf grundlegende Gerechtigkeitserwägungen zurückgeführt werden. c) Statutory / legal set-off Beginnen wir mit dem statutory oder auch legal set-off. Das statutory set-off geht auf zwei Statuten aus dem frühen 18. Jahrhundert zurück, eingeführt 172938 und dann perpetuiert 173539. Der Titel des ersten dieser gesetzgeberischen Akte von 1729 lautet: „An Act for the Relief of Debtors with respect to the Imprisonment of their Persons“. Regelungsgegenstand war mithin die Schuldhaft; und dieser Kontext mag zu Recht den Eindruck erwecken, die Möglichkeit, eigene Ansprüche gegen den Gläubiger zur Vermeidung der Haft in Ansatz zu bringen, sei durchaus auch zum Zwecke des materiellen Schuldnerschutzes eingeräumt worden40. Jedoch wurde schon sehr bald, das erste Mal in einer Entscheidung aus dem Jahre 1741, die Auffassung formuliert, Ziel des set-off „at law“ sei allein „to avoid circuity of action and multiplicity of suits“41. In diesem Zusammenhang ist besonders interessant die von einem Rechtshistoriker geäußerte Vermutung, die in der Prozessökonomie begründete Anerkennung eines Funktionsäquivalents der compensatio hänge mit der Einführung fest besoldeter Richterämter zusammen: zuvor hätten Richter ihr Einkommen über die Prozesskosten selbst erwirtschaften müssen und hätten daher an der Einsparung unnötiger Prozesse kein Interesse gehabt42. Diese Deutung des legal set-off, also set-off außerhalb der equity, war für den weiteren Verlauf dieser Rechts-Geschichte prägend. Die beiden set-off-Statuten wurden zwar formell 1879 vom Civil Procedure Acts Repeal Act aufgehoben, ihre Substanz aber, so die allgemeine Meinung, ist im common law erhalten geblie37
Hierzu Weller (in diesem Band), 101, 102, 109 f. (1729) 2 Geo. II, c. 22, s. 13. 39 (1735) 8 Geo. II, c. 24, s. 5. 40 So auch Derham, Rn. 2.04. 41 Hutchinson v Sturges (1741) Willes 261, 125 ER 1163; Derham, a. a. O. 42 Loyd, University of Pennsylvania Law Review 64 (1916) 541 (546). 38
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ben43; die prozessuale Geltendmachung (nicht die materiellen Voraussetzungen) des set-off ist nunmehr in den Civil Procedure Rules44 geregelt. Ansprüche können heute demgemäß in einem Gerichtsverfahren saldiert werden, sofern beide Ansprüche in die Jurisdiktion des angerufenen Gerichts fallen und den folgenden Erfordernisse Genüge getan ist45: – Bei beiden Ansprüchen muss es sich um Geldforderungen handeln bzw. um eine remedy für die Nichterfüllung eines Zahlungsanspruches46; – die sich gegenüberstehenden Forderungen müssen „liquidated“ sein, d. h. auf eine feststehende oder zum Urteilszeitpunkt bestimmbare Geldsumme lauten; – beide Forderungen müssen zum Zeitpunkt des pleadings und der Urteilsverkündung fällig sein; – die Forderungen müssen „mutual“, gegenseitig, sein, was definiert wird als bestehend „between the same parties in the same right“. In diesem Kontext wird „same right“ strengrechtlich verstanden, in dem Sinne, dass equitable Positionen keine Berücksichtigung finden können; es hätte etwa der beneficiary eines trusts als Beklagter kein Recht auf set-off mit einer Forderung, deren Schuldner der Kläger, deren Gläubiger jedoch formell der trustee ist, mag diese Position auch die eines Treuhänders für den Beklagten sein. Dies ist anders im Recht des equitable set-off 47. Bis heute wird dabei aus der rein auf die Prozessökonomie zielenden Rechtfertigung ein ausschließlich prozessualer Charakter des legal set-off abgeleitet. 43 Civil Procedure Acts Repeal Act 1879 s. 4 (1) (b) bestimmt: „Any jurisdiction or principle or rule of law or equity established or confirmed, or right or privilege acquired, or duty or liability imposed or incurred, or compensation secured, by or under any enactment so repealed.“ Dies ist traditionell als gesetzgeberische Entscheidung gedeutet worden, das materielle Recht nicht anzutasten, vgl. etwa Hanak v Green [1958] 2 QB 9, 22. Ähnlich wird in s. 49 (2) des Senior Courts Act 1981 eine gesetzberische Sanktionierung der Regeln hineingelesen, wo es heißt: „Every such court shall give the same effect as hitherto – (a) to all equitable estates, titles, rights, reliefs, defences and counterclaims, and to all equit able duties and liabilities; and (b) subject thereto, to all legal claims and demands and all estates, titles, rights, duties, obligations and liabilities existing by the common law or by any custom or created by any statute, and, subject to the provisions of this or any other Act, shall so exercise its jurisdiction in every cause or matter before it as to secure that, as far as possible, all matters in dispute between the parties are completely and finally determined, and all multiplicity of legal proceedings with respect to any of those matters is avoided (sic!).“ Zum ganzen Derham, Rn. 2‑06. 44 Rules of Civil Procedure r 16.6: Defence of set-off „Where a defendant – (a) contends he is entitled to money from the claimant; and (b) relies on this as a defence to the whole or part of the claim, the contention may be included in the defence and set off against the claim, whether or not it is also a Part 20 claim.“ Der Verweis auf Part 20 bezieht sich auf den counterclaim, dazu unten der Text zu Fn. 53 ff. 45 Zum folgenden und zu weiteren besonderen Voraussetzungen Gullifer / Goode, Rn. 7‑37 ff. 46 Zum Sonderfall der specific perfomance vgl. BICC plc v Burndy Corp. [1985] 1 All ER 417. 47 Siehe Gullifer / Goode, Rn. 7‑44, 7‑53.
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„Prozessual“ heißt hierbei zunächst, dass ein legal set-off nur innerhalb eines Gerichtsverfahrens als eine „defence“ plädiert werden kann. Insoweit gilt noch stets die Feststellung von Sir George Jessel MR in Talbot v Frere (1878): „there could not be a set off until action brought and set off pleaded“48. Hoffmann LJ (as he then was) beschrieb in der wichtigen Leitentscheidung Aectra Refining Inc v Exmar NV den prozessualen Charakter des legal set-off in Abgrenzung vom equitable set-off wie folgt (wobei er sich der Wood’schen Terminologie von independent set-off / transaction set-off bediente49): „It would not be entirely true to say that transaction set off was substantive while independent setoff was procedural, because independent set off does operate as a substantive reduction or extinction of the debt owed to the plaintiff. But it arrives at this result by procedural means. It entitles the defendant to require that the merits of an unrelated cross-claim be tried in the same action and converts the plaintiffs original cause of action into the right to a balance due on the taking of an account“50.
Erachtet das Gericht die Voraussetzungen des set-off als gegeben, ergeht ein auf den Saldo lautendes Urteil. Wichtig ist hierbei, dass, wie Hoffmann hervorhebt, dem Urteil insoweit Gestaltungswirkung zugeschrieben wird: eine materielle Wirkung kommt dem set-off erst ab diesem Moment zu, zuvor sind beide Forderungen als separat fortexistierend gedacht. Später formulierte Hoffmann, nunmehr als law lord, in der Entscheidung Stein v Blake aus dem Jahre 1996 (in einem obiter dictum – maßgeblich für den Rechtsstreit war eine Frage des bankruptcy set-off): „Legal set-off does not affect the substantive rights of the parties against each other, at any rate until both causes of action have been merged in a judgment of the court. It addresses questions of procedure and cash-flow. As a matter of procedure, it enables a defendant to require his cross-claim (even if based upon a wholly different subject matter) to be tried together with the plaintiff ’s claim instead of having to be the subject of a separate action. In this way it ensures that judgment will be given simultaneously on claim and cross-claim and thereby relieves the defendant from having to find the cash to satisfy a judgment in favour of the plaintiff (or, in the 18th century, go to a debtor’s prison) before his cross-claim has been determined“51.
Unter ausdrücklichem Hinweis auf beide Entscheidungen hat der Court of Appeal im Jahre 1999 noch einmal bestätigt, dass der legal set-off vor dem Urteil keinerlei materieller Effekt auf den Bestand der sich gegenüberstehenden Forderungen entfaltet52. Die Vorteile, die laut Lord Hoffmann dem Beklagten und Gläubiger des cross-claims zugutekommen, werden in der Praxis oft auch durch ein ähnliches 48
Talbot v Frere (1878) 9 Ch D 568, 573. Dazu bereits oben zu Fn. 18. 50 Aectra Refining Inc v Exmar NV [1994] 1 W.L.R. 1634, 1649. 51 Stein v Blake [1996] AC 243, 251. 52 Glencore Grain Ltd v Agros Trading Co Ltd [1999] All ER (D) 71522, Rn. 22. 49
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prozessuales Institut gewährleistet sein: den sog. counterclaim. Hierbei handelt es sich nicht um eine defence, sondern um die prozessrechtliche Option, zwei an sich voneinander unabhängige Klagen, in denen sich dieselben Parteien in vertauschten Rollen gegenüber stehen (cross-actions), in ein Verfahren zusammenzuziehen.53 Diese Möglichkeit, ihrerseits eine Kreatur des Supreme Court of Judicature Act 187354, stand Parteien noch nicht zur Verfügung, als die set-off statutes, auf die Lord Hoffmann mit der Erwähnung der Schuldhaft anspielt, erlassen wurden. Üblicherweise ergehen separate Urteile für beide Klageansprüche, jedoch hat die Vollstreckung üblicherweise nur für den Saldo statt55. Trotz dieser Ähnlichkeit mit der Wirkung des legal set-off darf jedoch nicht verkannt werden, dass für die Entscheidung über Zusammenfassung und separate Behandlung, und, falls der counterclaim separat verhandelt wird, über die Aussetzung der Vollstreckung eines Urteils hinsichtlich des main claim, richterliche Ermessenspielräume bestehen56. Ein weiterer besonderer Vorteil der Geltendmachung eines eigenen Anspruches im Wege des set-off gegenüber dem counterclaim wird vor allem auch darin gesehen, dass diese Vorgehensweise erlaubt, sich gemäß r 24 Rules of Civil Procedure gegen den Antrag des Klägers auf ein summary judgment verteidigen zu können57. d) Equitable set-off, set-off in bankruptcy Entscheidungen, die seit dem 17. Jahrhundert ein set-off im Sonderfall der bank ruptcy, ein sogenanntes „right to a balanced account“, zuließen, beruhten demgegenüber offenbar auf der Wertungsentscheidung, es sei ungerecht, wenn in einer gegenseitigen Handelsbeziehung der solvente Kaufmann ausstehende Forderungen des Bankrotteurs zu begleichen hätte, zugleich aber hinsichtlich eigener Forderungen auf die Quote verwiesen werde58. Für die bankruptcy wurde in 53 Siehe auch, zu Kanada, Law Reform Commission of British Columbia, Report on Set-Off, 2: „The two methods by which a defendant may raise a cross demands against a plaintiff function in entirely different fashions. Counterclaim is a simple procedural concept. It contemplates that the parties who have cross demands which can be heard separately may be heard in the same proceeding. Set-off is an exceedingly technical defence. It allows cross demands between parties to be heard in the same proceedings when the obligations of the parties should be resolved on a net basis“; CED 4th (online) Pleadings (West) „Set-Off and Counterclaim“ (VII.3) § 143: „The costs of a set-off are dealt with on an entirely different basis from those of a counterclaim. A set-off is a defence, not a cross-action. A defendant who succeeds in establishing a set-off to the amount of or greater than the plaintiff ’s claim is entitled to have the plaintiff ’s claim dismissed and judgment given in his or her favour for any balance [. . .] with costs“. 54 Supreme Court of Judicature Act 1873 s. 24 (3). 55 Derham, Rn. 1.04, auch zu der in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Judicature Act üblichen, jedoch nunmehr aufgegebenen Praxis, über beide Ansprüche in einem Urteil zu befinden. 56 Gullifer / Pichonnaz, Set-Off, Rn. 15.13. 57 Gullifer / Pichonnaz, Set-Off, Rn. 15.14; Derham, Rn. 1.05. 58 Chapman v Derby (1689) 2 Vern. 117, 23 ER 684; Derham, Rn. 6.20; 6.33 f.
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der Folge bereits im Jahre 1705 gesetzlich festgelegt, der „commissioner“ solle bei gegenseitiger Gewährung von Kredit ein „adjustment of accounts“ vornehmen; diese Vorschrift ist Vorläufer und auch inhaltlich Vorbild der modernen set-off Regelungen in bankruptcy und liquidation59. Parallel hierzu entwickelte sich das selbständige Institut eines set-off in equity60. Die Form einer distinkten Doktrin erreicht diese Entwicklung spätestens mit der bekannten Leitentscheidung in Rawson v Samuel aus dem Jahre 1841, in der Lord Cottenham die Formulierung prägte: aufgrund des Vorbringens, gegen einen Kläger at common law eine eigene Forderung zu besitzen, werde relief in equity dann gewährt, „when the plaintiff ’s title to his demand is impeached“61. Was bedeutet hier „impeachment“? Die zur Verteidigung vorgebrachte Behauptung einer eigenen Aktivforderung gegen den Kläger muss so geartet sein, dass sie gleichsam die moralische Validität des klägerischen Begehrens in Zweifel zieht, mag dessen Anspruch auch formell Bestand haben. Die Formulierung bringt besonders plastisch das Wesen des set-off in equity als die eines moralischen Korrektivs zum Ausdruck. Zudem leitet sich aus dem hier ausgedrückten Grundgedanken auch hinsichtlich der Voraussetzungen ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen common law und equitable set-off ab: während im ersteren Falle sich nur zwei Geldforderungen in der Weise gegenüberstehen müssen, dass zwei Personen sie einander gegenseitig schulden (mutuality)62, so verlangt die equity, dass es eine Art materiellen Konnex, eine Art Nähebeziehung zwischen den Ansprüchen, gibt. Während der „impeachment“-test mittlerweile aufgegeben ist, und Gerichte stattdessen zunächst von einer „inseparable connection“ zwischen den Ansprüchen sprachen63, hat der Court of Appeal 2010 den Test dahingehend formuliert, es sei zu fragen, ob sich feststellen lasse, der cross-claim sei „so closely connected with [the claimant’s] demands that it would be manifestly unjustly64 to allow him to enforce payment without taking into account the cross-claim“65. Wann eine solche Nähebeziehung gegeben ist, ist im Wesentlichen eine Frage der Einzelfallbetrachtung. Es ist beispielsweise nicht notwendig, aber auch nicht 59
(1705) 4 & 5 Anne, c. 17, s. 11. Zu der Entwicklung wohl unübertroffen die Darstellung von Morris LJ in der Entscheidung Hanak v Green [1958] 2 QB 9, die von Lord Diplock später als „masterly“, meisterlich, beschrieben wurde, Gilbert-Ash (Northern) Ltd v Modern Engineering (Bristol) Ltd [1974] AC 689, 717. 61 Rawson v Samuel (1841) 41 ER 451, 458 f. 62 Siehe oben Text zu Fn. 44. 63 Bim Kemi AB v Blackburn Chemicals Ltd (No. 1) [2001] 2 Lloyd’s Rep. 93, 29. 64 Dieses Element des Tests geht zurück auf die wichtige Entscheidung in Federal Commerce Ltd. v Molena Alpha Inc (The „Nanfri“), [1978] QB 927, 975. 65 Geldof Metaalconstructie NV v Simon Carves Ltd [2010] EWCA Civ 667, Rn. 46. Die Adaption des Zitats ist übernommen aus der Besprechung von Friedman, Construction Law Journal 27 (2011), 494 (503), die auch insgesamt eine übersichtliche erste Einführung in das Recht des equitable set-off in England bietet. 60
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hinreichend, dass beide Forderungen aus demselben Vertrag stammen. Die Voraussetzungen des equitable set-off sind damit, wie wir gesehen haben, zugleich enger als auch weiter als die des legal set-off. Ist die Nähebeziehung, die für ein legal set-off entbehrlich ist, dargelegt, so ist das set-off in equity durchaus großzügiger, was die strikten Anforderungen an die Gegenseitigkeit und die Natur der claims als liquidierte Geldschulden anbetrifft; so erlaubt das equitable set-off etwa auch, nicht-liquidierte Schadensersatzforderungen in Ansatz zu bringen, und berücksichtigt, wie wir bereits gesehen haben66, jenseits des „nackten Titels“ equitable Rechtspositionen, wie etwa die des benefiziarischen Gläubigers, für die Gegenseitigkeit der Forderungen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen equitable set-off und legal set-off ist, dass ersterem von einer wohl mittlerweile herrschenden Meinung eine Funktion als substantive defence zugesprochen wird67. Was aber bedeutet „substantive“ in diesem Zusammenhang? Die materielle Wirkweise des equitable set-off nimmt erst in Abgrenzung zu dem Verständnis des „prozessualen“ Wirkmechanismus’ des legal set-off deutlichere Konturen an. Erinnern wir, als Ausgangspunkt, zunächst die Funktionsweise der equity. Vor der Zusammenlegung der beiden getrennten Gerichtsbarkeiten für law und equity in den Judicature Acts war der at law Beklagte darauf verwiesen, in equity um eine injunction zu ersuchen; war er mit diesem Begehren erfolgreich, so erging, bewehrt freilich mit der schneidigen Androhung des contempt, eine solche persönliche Anordnung dahingehend, den Prozess at lacr nicht weiter zu verfolgen oder von dem schon erstrittenen Titel keinen Gebrauch zu machen. Der materielle Bestand des Anspruchs und das Verbot von dessen Verwirklichung werden so als zwei selbständigen Rechtsmassen mit ihrer jeweils eigenen normativen Logik zugehörig betrachtet. Diese normative und konzeptuelle Trennung erschwerte es auch nach der formellen Überwindung der institutionellen Auftrennung in den Judicature Acts, law und equity zusammenzudenken. Noch heute sprechen bekanntlich Richter etwa dann, wenn ein Vertrag aufgrund einer aus der equity stammenden defence undurchsetzbar ist, regelmäßig nicht von der Unwirksamkeit des Vertrages, sondern von der „equitable rescission“, die den Vertrag nicht annulliert, sondern zu dessen Nichtberücksichtigung in equity führt (the contract is „set aside“)68. Damit stellt sich auch für das equitable set-off die Frage, ob, wie und wann es auf den materiellen Anspruch wirken kann. Wenn sich nun die Aussage findet, es sei eine „substantive defence“, so bedeutet das zunächst nur, dass in Abgrenzung zum legal set-off eine Geltendmachung auch außerhalb eines gerichtlichen 66
Siehe dazu oben zu Fn. 38. Ausführlich Derham, Rn. 4.30 ff.; Gullifer / Pichonnaz, Set-off, Rn. 5.34 ff. 68 Siehe etwa zu den remedies im Falle des „undue influence“ etwa McCamus, The Law of Contracts, 2. Aufl. 2012, 422. 67
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Verfahrens möglich ist. Es ist mithin anerkannt, dass die Geltendmachung allein bereits rechtliche Konsequenzen hat69 – doch wie sind diese zu denken? Wiederum herrscht hinsichtlich der Details Unklarheit: „The precise way in which it (sc. transaction set-off) operates as such a [substantive] defence, though, is not entirely dear“70. Ein wichtiger technischer Aspekt dieses Fragenkreises wurde 2010 in dem Rechtsstreit Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical relevant. Auf die exakte Bestimmung des Zeitpunkts, in dem das set-off seine materielle Wirkung entfaltete, kam es in diesem Disput an, weil die sich gegenüberstehenden Forderungen in verschiedenen Währungen geschuldet waren: der auf englische Pfund lautenden Hauptforderung stand eine Gegenforderung in Euro gegenüber, und zwischen dem Zeitpunkt, zu dem zum ersten Male eine „Aufrechnungslage“ bestanden hatte, und dem Urteilszeitpunkt hatte das Pfund gegenüber dem Euro kontinuierlich so stark an Wert verloren, dass zum Urteilszeitpunkt die Gegenforderung den Wert der in Euro übertragenen Hauptforderung deutlich überstieg71. Der Kläger vertrat daher die Auffassung, mit Bestehen der „Aufrechnungslage“ – hier ergab die Umrechnung noch deutlich ein Saldo zugunsten des Klägers – seien bereits, gleichsam automatisch, die Forderungen, soweit sie sich deckten, erloschen. Alternativ sei diese Wirkung mit der Geltendmachung des Rechts eingetreten72. Das Gericht machte sich diese Auffassung indes nicht zu eigen; in einer ausführlichen Analyse der verschiedenen Autoritätslinien kam es zu dem Ergebnis, dass eine materielle Wirkung auf den Bestand der Ansprüche, ebenso wie im Fall des legal set-off, erst mit der Gestaltungswirkung der gerichtlichen Anordnung eintrete, die in ihrer Wirkung dem contractual set-off entspreche: „Where one party has a claim against another party who has a cross-claim, the two claims cannot be netted off so as to extinguish each liability to the extent of the other except by agreement or a judgment of the court and once both liabilities have been established by agreement or judgment.73“
Insoweit besteht mithin kein Unterschied zu dem legal set-off. Die maßgebliche „substantive“ Wirkung, die dem equitable set-off zukommt, ist indes die, dass die Geltendmachung des set-off materiell die Verweigerung der Zahlung rechtfertigen kann. Dies ist für das legal set-off anders: Wer etwa die Zahlung einer vertraglichen Schuld unter Verweis auf einen eigenen Zahlungsanspruch verweigerte, hat den Vertrag gebrochen und dafür alle Konsequenzen zu tra69 Dieser Grundsatz ist etabliert seit der Entscheidung in Federal Commerce Ltd. v Molena Alpha Inc (The „Nanfri“), [1978] QB 927. 70 Gullifer / Pichonnaz, Set-off, Rn. 5.42. 71 Der Unterschied betrug insgesamt mehr als 100.000 Euro: Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical [2010] EWHC 2366 (Ch) Rn. 6. 72 Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical [2010] EWHC 2366, Rn. 7. 73 Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical [2010] EWHC 2366, Rn. 50 (1).
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gen, auch wenn im Prozess dann später ein legal set-off plädiert wird: Schadensersatzansprüche, das Auslösen von Verfallsklauseln, Kündigung des Vertrages. Demgegenüber berechtigt die Berufung auf das equitable set-off – auch ohne, wie wir gesehen haben, im technischen Sinne auf den Bestand der Forderungen einzuwirken – zur Verweigerung der Zahlung. Dies lässt sich wohl am ehesten unter Rückgriff auf den der equity zugrundeliegenden Gedanken erklären: wo nämlich beide Ansprüche so eng miteinander verbunden sind, dass das subjektive Recht, einen der Ansprüche ohne Berücksichtigung des anderen durchzusetzen, grundsätzlich als „impeached“ gelten muss, wäre es nach derselben Logik ebenfalls „ungerecht“, könnte der Gläubiger den Schuldner dieses Anspruches für eine vorherige Leistungsverweigerung zur Rechenschaft ziehen. Das heißt: Obwohl at law die Leistungsverweigerung nicht gerechtfertigt ist, wäre es in equity „unconscionable“, den Schuldner so zu behandeln, als habe er einen Vertragsbruch begangen. Dies erklärt auch die Erwähnung der bona fides und der „reasonability“ als zusätzlich notwendige Elemente, um diese „substantive“ Wirkung herbeizuführen: „[W]here the two claims are (i) made reasonably and in good faith and (ii) so closely connected that it would be manifestly unjust to allow one party to enforce payment without taking into account the cross-claim, neither party may exercise any rights contingent on the validity of its claim except in so far as it exceeds the other party’s claim (equitable set-off).“74
Diese Erklärung lässt sich auch in Einklang bringen mit der Charakterisierung des equitable set-off als Recht zur „Zurückbehaltung“ bis zu einer abschließenden Klärung der Rechtslage zwischen den Parteien, „a temporary retention of an economic asset by the party exercising the right, and the temporary deprivation of the other party of that asset. For the exercise of the right does not prevent either party from subsequently proving his claim or cross-claim, and so does not affect the final resolution of the fundamental dispute“75.
III. Liquidated Damages and Penalty Rule 1. Überblick: Penalty rule Eine dezidierte Familienähnlichkeit zeichnet sich ab, wenn wir uns unserem zweiten Thema, der Vertragsstrafe, zuwenden. Ausgangspunkt der Betrachtung ist der bekannte Befund76, dass „das“ common law (trotz der Verschiedenartigkeit seiner vielen Ausprägungen) die Qualifikation einer Vertragsklausel als 74
Gary Fearns v Anglo Dutch Paint & Chemical [2010] EWHC 2366, Rn. 50 (3). SL Sethia Liners Ltd v Naviagro Maritime Corp (The „Kostas Mellas“) [1981] 1 Lloyd’s Rep 18, 26 per Robert Goff J. 76 Siehe nur Zimmermann, The Law of Obligations, 1998, 106 ff. 75
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Strafe – penalty – gleichsetzt mit deren Undurchsetzbarkeit. Einigen sich die Parteien bei Vertragsabschluss auf eine bestimmte Summe oder einen Mechanismus zur Bestimmung einer im Falle des Vertragsbruches zu zahlenden Summe, so wird ein Gericht das enforcement der fraglichen Klausel in der Regel nur dann anordnen, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, die Abrede sei rechtlich als eine von dem Strafversprechen abzugrenzende Schadenspauschalierung – liquidated damages – einzustufen77. Die Notwendigkeit einer klaren Einordnung in die eine oder andere Kategorie lässt bereits zahlreiche praktische Abgrenzungsprobleme erahnen, die in der Folge zwangsläufig die Gerichte beschäftigen78. Als eine Frage des common law wurde die Unwirksamkeit der penalties auf einen Verstoß gegen die public policy zurückgeführt und als die der Regel zugrundeliegende Prinzipienerwägung in den verschiedenen common-law-Rechtsordnungen immer wieder angeführt, dass die Funktion des Vertragsrecht nicht in der Leistungserzwingung – Privatrecht soll nicht strafen – und auch nicht in der Abschreckung vom Vertragsbruch bestehe, sondern in der institutionellen Gewährleistung von Schadensersatz für den enttäuschten Versprechensempfänger liege79. Allerdings begann sich in jüngerer Vergangenheit die Tendenz abzuzeichnen, die dichotome Unterscheidung aufzuweichen, eine Tendenz, der für England und Wales mit einer grundlegenden Stellungnahme des UK Supreme Court im Jahre 2015 höchstrichterliche Anerkennung zuteil wurde: in einer vielbeachteten Entscheidung hob der UKSC hervor, dass die Dichotomie von wirksamer Kompensation einerseits und unzulässiger Abschreckung andererseits die Freiheit zum Verfolgen durchaus „legitimer Interessen“ über Gebühr beschränke: „In our opinion, the law relating to penalties has become the prisoner of artificial categorisation, itself the result of unsatisfactory distinctions“80. Bereits an dieser Stelle ist damit deutlich der bekannte – und in der rechtsvergleichenden Literatur hinlänglich beschriebene81 – Unterschied zu der typischen Herangehensweise der kontinentalen civil-law-Traditionen sichtbar geworden, die im Hinblick auf vertragliche Strafversprechen zunächst von dem Prinzip der Vertragsfreiheit ausgehen, sich jedoch angesichts der besonderen Missbrauchsgefahr insbesondere in vertraglichen Ungleichgewichtslagen zu einer richterlichen Kontrollmöglichkeit hin entwickelt haben – ein solches richterliches Moderationsrecht fehlte bekanntlich noch im Code Napoléon 77
Zu den historischen Grundlagen noch immer Loyd, Harvard Law Review 29 (1915), 117 ff. Siehe etwa Gottwald, in: G. Köbler u. a. (Hg.), Festschrift für Alfred Söllner zum 70. Geburtstag, 2000, 379 (384). 79 Statt aller etwa Farnsworth, Contracts, 4. Aufl. 2004, § 12.18. 80 Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172, Rn. 31 ff. per Lord Neuberger & Lord Sumption. 81 Siehe etwa Mattei, American Journal of Comparative Law 43 (1995), 427 ff.; Marín García, European Journal of Legal Studies 5 (2012), 95 ff.; Nordin, Maastricht Journal of European & Comparative Law 21 (2014), 162 ff. 78
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(Art 1152 (1804): „. . . il ne peut être alloué à l’autre partie une somme plus forte ni moindre.“)82, setzte sich aber mit der im BGB vorgesehenen Lösung in den jüngeren Kodifikationen durch. Im Hinblick auf das kanadische Recht etwa tritt die Eigenart des commonlaw-Ansatzes besonders deutlich hervor im Vergleich mit dem civil law Québecs, das in seinem 1994 in Kraft getretenen Zivilgesetzbuch (Code civil du Québec, CCQ) im Prinzip dem französischen Reformmodell83 folgt. Der Quebecer Code betont im Gesetzestext die Schadensersatzfunktion einer „peine“,84 lässt aber eine Druckfunktion ebenfalls zu85. Besonders die (authentische) englische Fassung lässt den von der Tradition des common law abweichenden Ansatz hervortreten – die Wirksamkeit einer „penalty“ in englischer Sprache ausformuliert zu sehen, mag durchaus seltsam anmuten: Art 1623 CCQ. A creditor who avails himself of a penal clause is entitled to the amount of the stipulated penalty without having to prove the injury he has suffered. However, the amount of the stipulated penalty may be reduced if the creditor has benefited from partial performance of the obligation or if the clause is abusive.
Nach dieser Regelung ist die Abgrenzung zwischen „penalty“ und „liquidated damages“ mithin keine Weichenstellung, die über die Wirksamkeit der Klausel entscheidet. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Klausel „abusive“, also missbräuchlich sei, wird insbesondere auf ein Missverhältnis zwischen vereinbarter „peine“ und tatsächlichem Schaden abgestellt, mit der Konsequenz, dass im Missbrauchsfall Gerichte ihr Moderationsrecht dahin ausüben, die vertraglich bedungene Zahlung an die Höhe des tatsächlich entstandenen Schadens anzupassen.86 Wenn ein kanadischer common law-Richter demgegenüber ein solches Missverhältnis auf der Ebene der Einordnung als penalty oder liquidated damages (zu den Kriterien der Unterscheidung sogleich) berücksichtigt und mit der Einordnung als unwirksame Vertragsstrafe den Weg zu einem award der tatsächlich entstanden Schäden öffnet – so werden die praktischen Ergebnisse oft weniger weit auseinanderklaffen, als die begriffliche Divergenz der Ansätze vielleicht vermuten ließe. 82
Dieser Wortlaut erhält sich bis heute in CC (2017) Art 1231‑5 al 1. L. n° 75-597 du 9 juill. 1975; L. n° 85-1097 du 11 oct. 1985. 84 Art 1622 CCQ. „La clause pénale est celle par laquelle les parties évaluent par anticipation les dommages-intérêts en stipulant que le débiteur se soumettra à une peine au cas où il n’exécuterait pas son obligation. Elle donne au créancier le droit de se prévaloir de cette clause au lieu de poursuivre, dans les cas qui le permettent, l’exécution en nature de l’obligation; mais il ne peut en aucun cas demander en même temps l’exécution et la peine, à moins que celle-ci n’ait été stipulée que pour le seul retard dans l’exécution de l’obligation.“ Kritisch etwa wegen der scheinbar vom Wortlaut implizierten Marginalisierung der Leistungserzwingungsfunktion Tancelin, Des Obligations en Droit Mixte du Québec, 7. Aufl. 2009, Rn. 1094.1. 85 So die h. M., siehe Baudouin / Jobin / Vézina, Les Obligations, 7. Aufl. 2013, Rn. 901. 86 Vgl. z. B. 151276 Canada inc. c. Verville, [1994] R.J.Q. 2950 (C.S.). 83
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2. Ursprünge und jüngste Entwicklungen im englischen Recht Diese Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Mitgliedern der commonlaw-„Familie“ lassen sich, wenig überraschend, wieder auf die gemeinsamen Wurzeln im englischen Recht zurückführen: es ist ursprünglich eine Funktion der equity, abstrakte Schuldversprechen mit ausschließlicher Sicherungsund / oder Druckfunktion für undurchsetzbar zu erklären und den Kläger auf die nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt geschuldete Summe zu verweisen. Anders als im Fall des set-off wurde hier jedoch bemerkenswerterweise seit Ende des 17. Jahrhunderts das Fallrecht der equity in das common law absorbiert, so dass der Schuldner nicht mehr separat in chancery um relief nachsuchen musste. Dies führte dazu, dass die Entwicklung hinfort ausschließlich im common law stattfand – mit dem spürbaren Effekt einer immer rigideren Handhabung, die zumindest im Grundsatz bis heute in dem strikten Entweder-Oder der Abgrenzung von penalty zu liquidated damages überlebt. Die moderne Differenzierung nimmt im frühen 19. Jahrhundert ihre noch heute vertraute Gestalt an und wird dann in der berühmten Entscheidung des House of Lords in Dunlop Pneumatic Tyre Co Ltd and New Garage & Motor Co Ltd87 in ihrer kanonischen Form ausformuliert. Lord Dunedin hatte bekanntlich in seiner berühmten Rede aus dem Fallrecht die weitere Rechtsentwicklung in England und im Commonwealth prägende Grundsätze abgeleitet: darunter zunächst, dass die Qualifikation der in Rede stehenden Klausel nicht den Parteien überlassen sei, sondern es dem Gericht obliege zu bestimmen, ob „the payment stipulated is in truth a penalty or liquidated damages.“ Zudem hatte er die „Essenz“ von Vertragsstrafe und Schadenspauschalierung jeweils so bestimmt: „The essence of a penalty is a payment of money stipulated as in terrorem of the offending party; the essence of liquidated damages is a genuine covenanted pre-estimate of damage.“88
Ob die Parteien dementsprechend bezweckten, bona fide eine ernstgemeinte und aufrichtige Einschätzung eines potentiellen Schadens vertraglich niederzulegen oder doch die bloße Abschreckung vom Vertragsbruch, sei durch Auslegung der jeweiligen Abrede zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (und nicht nach dem Kenntnisstand bei Vertragsbruch) festzustellen. Bei der Auslegung könnten gewisse „tests“ hilfreich sein; so spreche es etwa für das Vorliegen einer Vertragsstrafe, wenn die vereinbarte Summe den größtmöglichen Schaden übersteige in einer Weise, die „extravagant and unconscionable“ sei; oder schlechthin jede Abrede, derzufolge die Nichtzahlung einer Geldsumme mit der Verpflichtung sanktioniert werde, eine höhere Summe zu zahlen89. 87
Dunlop Pneumatic Tyre Co Ltd v New Garage & Motor Co Ltd [1914] UKHL 1, AC 79. Dunlop Pneumatic Tyre Co Ltd v New Garage & Motor Co Ltd [1914] UKHL 1, AC 79, 86. 89 Dunlop Pneumatic Tyre Co Ltd v New Garage & Motor Co Ltd [1914] UKHL 1, AC 79, 87. 88
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Was folgte, waren zumindest im englischen Recht Variationen über das Thema dieser grundlegenden Definition: „Lord Dunedin’s speech in Dunlop achieved the status of a quasi-statutory code in the subsequent case-law.“90 Das House of Lords hatte indes nie eine zweite Chance, grundlegend zu diesem Fragenkreis und vor allem auch der immer lauter werdenden Kritik an dem Eingriff in die Vertragsfreiheit der Parteien Stellung zu nehmen. Es war daher eine kleine Sensation, als 2015 der UK Supreme Court in den Entscheidungen Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi und ParkingEye Ltd v Beavis91 nach einhundert Jahren endlich die Möglichkeit zu einer weiteren grundlegenden Stellungnahme hatte – und diese beim Schopfe griff. In einer langen und sorgfältigen Würdigung – die beiden zusammengefassten Entscheidungen umfassen insgesamt 124 Druckseiten – wird eine grundsätzliche Kurskorrektur vorgenommen, die zwar an dem Entweder / Oder festhält, jedoch das, was als unzulässige penalty gelten muss, in subtiler, aber zugleich radikaler Weise neu definiert. Das Gericht lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass es die überkommene Regel für anachronistisch hält, sieht aber auch einen Punkt der Rechtsentwicklung erreicht, an dem die Regel des common law so etabliert ist, dass eine Abrogation nur mehr vom Parlament vorgenommen werden könnte. Ihre Lordschaften Neuberger und Sumption schreiben in ihrer lead speech: „We rather doubt that the courts would have invented the rule today if their predecessors had not done so three centuries ago. But this is not the way in which English law develops, and we do not consider that judicial abolition would be a proper course for this court to take“92.
Diese Argumentation begegnet häufig, wenn es um die Sorgenkinder des modernen common law geht, wie etwa consideration oder privity93; der verbleibende Handlungsspielraum für den Richter ist dann graduelle Veränderung durch kreative Interpretation des existierenden Fallrechts. Neuberger und Sumption gehen nun wie folgt vor: In einem ersten Schritt wird die penalty rule in den weiteren Kontext des Leistungsstörungsrechts eingeordnet. Dieses unterliege dem grundsätzlichen Prinzip, dass das Recht keine remedy gewähre, wenn der Nachteil, der der pflichtverletzenden Partei entstehe, in signifikantem Maße ein berechtigtes Interesse der „innocent party“ übersteige.94 Dies 90
Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172 Rn. 22. [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172. 92 Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172, Rn. 36. 93 Siehe etwa die Stellungnahme des kanadischen Supreme Court im Hinblick auf die Frage, ob ein Höchstgericht, in Abwesenheit einer gesetzgeberischen Initiative (wie etwa dann des Contracts (Rights of Third Parties) Act im Vereinigten Königreich), die Kompetenz zur Reform des Grundsatzes der privity besitze; dies wird mit unter Hinweis auf die Gewaltenteilung abgelehnt, jedoch verbleibe Richtern ein Spielraum für „incremental change“: London Drugs v Kuehne und Nagel International Ltd., [1992] 3 S.C.R. 299. 94 Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172, Rn. 29. 91
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gelte etwa für die remedy der specific performance, also der Erzwingung der Naturalerfüllung: diese könne nur erfolgen, wenn ein besonderes „legitimate interest“ jenseits der bloß finanziellen Kompensation bestehe.95 Das bedeutet im Umkehrschluss nun freilich auch, dass die Rechtsordnung ein solches legitimes Interesse in besonderen Fällen als valide anerkennt. Diese Einsicht wird sogleich auf die penalty rule übertragen. Ein Gläubiger mag sicher kein anerkennenswertes Interesse an einer schlichten Bestrafung des pflichtverletzenden Schuldners haben. Demgegenüber sei ein besonderes Interesse an der Sachleistung ohne weiteres denkbar – in anderen Worten, durch die Druckfunktion einer autonomen vertraglichen Gestaltung Leistungsanreize zu setzen, sei nicht mit einer Bestrafung gleichzusetzen. Der derzeitige Stand der penalty rule gehe demgegenüber auf eine zu enge Lesart des klassischen Dunlop-Tests zurück: das Vorliegen eines „genuine pre-estimate“, eines aufrichtigen Versuchs der Schadenschätzung, spreche in der Tat für die Vereinbarung einer Schadenspauschalierung – daraus folge aber nicht notwendig, dass eine in terrorem vereinbarte Klausel stets und gleichsam automatisch als penalty zu gelten habe: „In our opinion, the law relating to penalties has become the prisoner of artificial categorisation, itself the result of unsatisfactory distinctions: between a penalty and genuine pre-estimate of loss, and between a genuine pre-estimate of loss and a deterrent. [. . .] The real question when a contractual provision is challenged as a penalty is whether it is penal, not whether it is a pre-estimate of loss. The true test is whether the impugned provision is a secondary obligation which imposes a detriment on the contract-breaker out of all proportion to any legitimate interest of the innocent party in the enforcement of the primary obligation“96.
Es wird mithin die Frage, ob die vereinbarte Sanktion „extravagant and unconscionable“ sei, geschickt auf eine andere Ebene transponiert, indem nun als Bezugspunkt nicht mehr der tatsächlich zu erwartende Schaden, sondern ein allgemeiner Begriff vom berechtigten Interesse eingeführt wird – das, in den Grenzen der Proportionalität, durchaus legitim Abschreckung als Motiv einschließen kann. Und so ist die Doktrin erfolgreich aus dem Gefängnis der artifiziellen Kategorisierung befreit. Just weil die penalty rule zum weltweiten Fundus des common law gehört, aber eben zugleich ein ungeliebtes Erbstück ist, fand die Entscheidung im gesamten Commonwealth große Beachtung. Ein indischer Beobachter bemerkte hinsichtlich der richterlichen Vorgehensweise, der UK Supreme Court habe ein overruling von Dunlop vermieden, jedoch tatsächlich die Dunlop rule „in quintessentially common law fashion“ so neu geformt, dass die alte Regel nur dem Namen nach überlebe97. 95
Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172, Rn. 30. Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172, Rn. 31. 97 Swaminathan, Common Law World Review 45 (2016) 248. 96
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3. Die Vertragsstrafe im Recht des Commonwealth: Kanada Das kanadische common law hatte sich früh der englischen Lösung angeschlossen: im Jahre 1915 schrieb Chief Justice Fitzpatrick in der Entscheidung Canadian General Electric Co v Canadian Rubber Co of Montreal98, das englische Fallrecht der Vertragsstrafen sei „settled“, es bedürfe nur eines Hinweises auf die rezente Dunlop-Entscheidung. Ohne dann ausdrücklich zu zitieren, ist der Anklang an die Definition Lord Dunedins deutlich: „A penalty is the payment of a stipulated sum on breach of contract, irrespective of the damages sustained. The essence of liquidated damages is a genuine covenanted pre-estimate of damage“99. Hierbei schien es dem Gericht unbeachtlich, dass die Vereinbarung, im Fall der Lieferungsverzögerung sei für jeden Tag weiterer Verspätung ein gewisser Betrag vom Kaufpreis abzuziehen, von den Parteien ausdrücklich als „liquidated damages and not as a forfeit for every day’s delay“ bezeichnet worden war100. Kanadische Gerichte haben sich seitdem regelmäßig auf die Formel des „genuine pre-estimate“ berufen101, dabei jedoch die angewandten „tests“ abgeändert und damit den ursprünglichen primären Fokus auf die Intention der Parteien hin zu einer Prüfung hin auf ein objektives Missverhältnis zwischen Schaden und versprochener Summe verschoben102. Einen wichtigen Wegpunkt in dieser Entwicklung markiert die Entscheidung des Supreme Court in H. F. Clarke Ltd v Thermidaire Corp103. Die Parteien hatten eine Klausel verein 98 Canadian General Electric Co v Canadian Rubber Co of Montreal [1915] 52 SCR 349, 27 DLR 294. 99 [1915] 52 SCR 349, 27 DLR 294. 100 In dem Appell war zudem das Argument vorgebracht worden, der Vertrag unterliege dem civil law Quebecs und die Klausel sei daher eine nach der französischen Tradition zulässige „peine“; Fitzpatrick CJ ließ die Frage des anwendbaren Rechts als nicht entscheidungsrelevant offen, mit dem bemerkenswerten Argument, das französische Wort „peine“ entspreche dem englischen „penalty“ nur scheinbar und stehe seinem eigentlichen Sinne den „liquidated damages“ näher, was dann durchaus kunstfertig mit Nachweisen bei Pothier belegt wird, letztlich aber nur den Eindruck von Harmonie zwischen common und civil law erzielen will – und eine solche, als ein Beispiel für die Hybridisierungsdynamik in Mischrechtsordnungen, freilich auch mit herbeiführt. 101 Shatilla v Feinstein (1923), 16 Sask. L.R. 454, [1923]1 W.W.R. 1474, [1923]3 D.L.R. 1035; Inch v Farmers’ Co-operative Dairy Co., 15 M.P.R. 315, [1941] 2 D.L.R. 27; Waugh v Pioneer Logging Co., [1949] S.C.R. 299, [1949]2 D.L.R. 577; Neonette Sign Co. v Stankovic, 66 B.C.L.R. 269; Canadian Acceptance Corp. v Regent Park Butcher Shop Ltd. (1969), 13 C.B.R. (N.S.) 8, 67 W.W.R. 297, 3 D.L.R. (3d) 304; Newman, Hill, Duncan & Lacoursiere v Murray, [1988] B.C.W.L.D. 75, [1987] B.C.J. No. 2326; 1259121 Ontario Inc. v Canada Trust Co., 30 B.L.R. (4th) 193; Ferguson v Lord, [1998] BCJ No 141, para 12, 1998 CarswellBC 271, aff ’g 1995 BCCA 254; Mortgage Makers Inc v McKeen, 2009 NBCA 61 paras 1 – 3, 312 DLR (4th) 82; UPS Asia Group PTE Ltd v Belair Fabrication Ltd, 2015 FC 1141 para 59, 258 ACWS (3rd) 455; Ottawa Community Housing Corp v Foustanellas, 2015 ONCA 276 paras 32 – 36, 253 ACWS (3rd) 338. 102 Siehe auch die Analyse bei Veel, Toronto Faculty Law Review 66 (2008), 229 (236 f.). 103 H. F. Clarke Ltd v Thermidaire Corp [1976] 1 SCR 319.
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bart, derzufolge eine im Falle des Vertragsbruches zu zahlende Summe nicht bereits vorab fixiert, sondern nach einer Formel zu dergestalt zu berechnen war, dass die tatsächlichen Verluste übertroffen wurden, wobei die Diskrepanz zwischen tatsächlichem Schaden und von der Formel ausgeworfenem Resultat mit zunehmender Dauer immer deutlicher auseinanderklafften. Das Gericht hebt bei seiner Analyse jenen auch in Dunlop zur Sprache gekommenen104 Test hervor, wonach ein eklatantes Missverhältnis zwischen tatsächlichem Schaden und versprochener Summe für das Vorliegen einer Strafabrede spreche. Was bei Lord Dunedin aber eine Rolle als Auslegungshilfe zukommt, wird nun mit selbständiger Funktion ausgestattet, um der besonderen Entwicklung des Missverhältnisses über die Zeit Rechnung tragen können: der Befund eines solchen Missverhältnisses ex post könne selbst dann für eine penalty sprechen, wenn die Parteien bei Vertragsabschluss den vereinbarten Mechanismus bona fide für eine realistische Methode der Schadenspauschalierung gehalten hätten. Chief Justice Bora Laskin formulierte: „The court exercises a dispensing power (which is unknown to the civil law of Quebec[!]) because the parties’ intentions, directed at the time to the performance of their contract, will not alone be allowed to determine how the prescribed sum or formula will be characterized. The primary concern in breach of contract cases (as it is in tort cases, albeit in a different context) is compensation, and judicial interference with the enforcement of what the parties regard as penalty clauses is simply a manifestation of a concern for fairness and reasonableness“105.
Damit war die Vermeidung des unfairen Effekts der Klausel als Hauptziel der Doktrin betont; und zugleich der Schutz vor einem unfairen und dem auf Kompensation ausgelegten Privatrecht fremden Strafcharakter als deren rechtspolitische Begründung. Dies hob nochmals Chief Justice Dickson hervor, als er 1978 in einer weiteren Leitentscheidung, Elsley v J. G. Collins Insurance Agencies106 feststellte: „[T]he power to strike down a penalty clause is a blatant interference with freedom of contract and is designed for the sole purpose of providing relief against oppression for the party having to pay a stipulated sum. It has no place where there is no oppression“107.
In diesem Fall hatte der Supreme Court die Frage zu entscheiden, ob einer fraglos als penalty intendierten Klausel Wirksamkeit zukommen könne, wenn sie den entstandenen Schaden, den sie übertreffen sollte, tatsächlich zu gering veranschlagt hatte und daraufhin von der vertragsbrechenden Partei die Ansicht vertreten wurde, das Ausmaß der vertraglichen Schadensersatzpflicht sei nun 104 Dort Lord Halsbury zugeschrieben, siehe Clydebank Engineering and Shipbuilding Co Ltd v Don José Ramos Yzquierdo y Castaneda [1904] UKHL 4. 105 H. F. Clarke Ltd v Thermidaire Corp [1976] 1 SCR 319, 330 f. 106 Elsley v J. G. Collins Insurance Agencies [1978] 2 SCR 916. 107 Elsley v J. G. Collins Insurance Agencies [1978] 2 SCR 916, 937.
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nach oben hin durch die vereinbarte Strafsumme begrenzt. In Einklang mit dem Prinzip „it has no place where there is no oppression“ verweigerte das Gericht der Partei, der die Strafe versprochen war, das Verbot der Vertragsstrafe zu ihren Gunsten geltend zu machen; außerdem wurde auf das Argument verwiesen, dass der Empfänger des Strafversprechens nicht zugleich von dem Abschreckungseffekt profitieren und sodann die Klausel ignorieren dürfen solle, sobald sich herausstelle, dass sie der anderen Partei nutze108. Diese auf eine besondere Konstellation zugeschnittenen Erwägungen führten in der Folge zu einer gewissen Verwirrung dahingehend, ob die von Dickson CJ besonders unterstrichene Notwendigkeit eines „oppressiven“ Charakters der in Rede stehenden Klausel so gedeutet werden könne, dass eine Strafabrede generell dann wirksam sei, wenn sie zwar als Strafe intendiere, jedoch im Ergebnis nicht zu einer besonders unfairen Benachteiligung der vertragsbrechenden Partei führe. In der Tat haben kanadische (Unter‑)Gerichte in vereinzelten Entscheidungen Klauseln als penalties eingestuft, aber dennoch für wirksam gehalten, da sie nicht „oppressive“ oder „unconscionable“ seien; oder aber die Untersuchung von vornherein auf die Frage der materiellen Fairness gelenkt, ohne die traditionelle Kategorisierung vorzunehmen109. Gewichtige Stimmen in der Literatur haben solche Tendenzen begrüßt und darauf hingewiesen, dass die policy-Begründung in der Fairness mit dem klassischen Dunlop-Test in keinerlei Verbindung stehe, und daher statt der angestammten Dichotomie von vornherein eine Form der in den letzten Jahrzehnten etablierten doctrine of unconscion ability zur Anwendung kommen solle110. Eine ähnliche Tendenz lässt sich in einer Entscheidung des Ontario Court of Appeal erkennen, die darauf pochte, die Definition von Strafabreden, die unter das common law-Verbot von „penalties“ fielen, sei tunlichst so eng wie möglich zu fassen, zu Gunsten der flexibleren, der equity entstammenden Doktrin der „forfeiture“, die allein die „unconscionability“ der in Rede stehenden Klausel zum maßgeblichen Kriterium habe. Dementsprechend sah das Gericht den Verfall von Zahlungsansprüchen, dem nach dem Dunlop-Test wohl Strafcharakter zugekommen wäre, der aber als nicht „unconscionable“ eingestuft wurde, als wirksam vereinbart und die Ansprüche daher als undurchsetzbar an111. Der gegenwärtige Stand des common law ist jedoch, mangels ober- oder höchstgerichtlicher Klarstellung, wohl am besten damit beschrieben, dass der von Canadian General Electric übernommenen Dunlop-Test noch stets Ausgangspunkt der Analyse ist, mit den von Thermidaire und Elsley etablierten Aus108
Elsley v J. G. Collins Insurance Agencies [1978] 2 SCR 916, 937. Nortel Networks Corp. v Jervis (2002), 33 C.C.P.B. 71, 18 C.C.E.L. (3d) 100 (Ont. S.C.J.); Redfearn v Elkford (District) (1998), 34 C.C.E.L. (2d) 161, 49 B.C.L.R. (3d) 172 (B.C.S.C.). 110 Waddams, The Law of Contracts, 7. Aufl. 2017, Rn. 454 ff. 111 Peachtree II Associates – Dallas L.P. v 857486 Ontario Ltd. (2005), 76 O.R. (3d) 362. 109
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nahmen112. Dies gilt auch noch nach der im Vereinigten Königreich vollzogenen Neuformulierung durch den UK Supreme Court in Cavendish Square Holding BV v Talal El Makdessi und ParkingEye Ltd v Beavis113 – unmittelbare Reaktionen kanadischer Gerichte auf diese Entwicklung – der UKSC ist ja „persuasive authority“ – sind noch nicht ersichtlich. 4. Die Entwicklung in den USA Die Entwicklung des Rechts der liquidated damages verlief in den USA unter ähnlichen Vorzeichen. In Anbetracht der schieren Vielzahl der bundesstaatlichen common laws scheint es tunlich, anhand der einschlägigen Regelungen der Restatements und des UCC zunächst allgemeine Tendenzen zu umreissen, um dann stichprobenartig auf die Besonderheiten in einzelnen Bundesstaaten einzugehen. a) Entwicklungslinien Unter Verweis auf die englische Tradition entwickelten US‑amerikanische Gerichte bereits zum Ausgang des 19. Jahrhunderts eine solide eigene Autoritätslinie, die zum einen das aus der Vertragsfreiheit abzuleitende Recht der Parteien anerkannte, individuelle Abreden hinsichtlich der Schadensbemessung zu treffen, dabei indes wirksame liquidated damages-Klauseln von unwirksamen penalties unterschied114. Vor der Veröffentlichung des First Restatement of Contracts im Jahre 1932 fand sich als maßgebliche Frage formuliert, „whether the parties had attempted to reasonably estimate in advance the damages that might result from a breach“115 – eine dem „genuine pre-estimate“ mithin sehr ähnliche Formulierung, die jedoch mit ihrem Verweis auf die „Vernünftigkeit“ des Versuchs bereits zu Anbeginn einen gewissermaßen objektiven Einschlag aufwies. Ein Missverhältnis zwischen vereinbartem und antizipierbarem Schaden floss in diese 112
McCamus, Law of Contracts, 970. [2015] UKSC 67, [2016] AC 1172. 114 Siehe beispielsweise Bignall v Gould, 119 US 495, 498 (1886): „By the rules now established, at law as well as in equity, the sum of $ 10,000, named in this bond, is a penalty only, and not liquidated damages. As observed by Lord Tenterden in a similar case: ‚Whoever framed this agreement does not appear to have had any very clear idea of the distinction between a penalty and liquidated damages.‘“ Siehe auch Chicago House-Wrecking Co v US, 106 F 385, 389, 45 CCA 343 (1901): „The parties cannot, by calling the sum mentioned ‚stipulated damages,‘ change what is essentially a penalty.“ 115 United States v Bethlehem Steel Co, 205 US 105, 27 S Ct 450 (1907); Frick Co v Rubel Corp, 62 F (2nd) 769 (1933); Ellicott Machine Co v US, 43 Ct Cl 232 (1908); Wise v United Stated, 249 US 361, 39 S Ct 303 (1919): „Relative to whether a provision of a contract is for liquidated damages or penalty, intention will be sought by construction precisely as in other respects“; Kothe v RC Taylor Trust, 280 US 224, 50 S Ct 142 (1930); siehe auch Sun Printing & Publishing Association v Moore, 183 US 642 (1901). 113
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Bewertung ein116. Der Entscheidung des Connecticut Supreme Court of Errors (dem Gericht letzter Instanz im Staat Connecticut) in Banta v Stamford Motor Co117 aus dem Jahre 1914 – zeitlich mithin zusammenfallend mit der englischen Dunlop-Entscheidung – wird bisweilen zugeschrieben, einen ersten „amerikanischen“ Test für penalties etabliert zu haben118. Banta fragt nach drei Kriterien: „(1) [t]he damages to be anticipated as resulting from the breach must be uncertain in amount and difficult to prove; (2) there must have been an intent on the part of the parties to liquidate them in advance; and (3) the amount stipulated must be a reasonable one-that is to say, not greatly disproportionate to the presumable loss or injury“119.
Das erste Restatement of Contracts aus dem Jahre 1932 fasste dies sodann in § 339 in zwei Voraussetzungen, unter denen eine Klausel zur Festsetzung der Rechtsfolgen eines Vertragsbruches als unwirksame penalty gilt: „An agreement, made in advance of breach, fixing the damages therefor, is not enforceable as a contract and does not affect the damages recoverable for the breach, unless: (a) the amount so fixed is a reasonable forecast of just compensation for the harm that is caused by the breach, and (b) the harm that is caused by the breach is one that is incapable of very accurate estimation“120.
Die Intention der Parteien, Schaden vorab liquidieren zu wollen, war damit nicht mehr Element des Tatbestandes; statt dessen wurde allerdings zunächst aber an einer subjektivierenden Lesart der „reasonable forecast“ festgehalten in dem Sinne, dass eine von den Parteien „bona fide“ als solche gemeinte vernünftige Prognose der Schadenshöhe wirksam sei121; ähnliche Formulierungen waren bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts vorzufinden, werden aber seltener (wobei sich aber regionale Eigenheiten erhalten, siehe unten), und Gerichte haben klargestellt, dass umgekehrt eine „vernünftige“ Schadenspauschalierung nicht schon deshalb unwirksam sei, weil sie vornehmlich als Erfüllungsanreiz in den Vertrag aufgenommen wurde122. Die wichtigsten Kriterien, die demgegenüber die weitere Rechtsentwicklung bestimmten, waren zum einen das Merkmal der „reasonability“ der Schadensschätzung sowie das bereits in Banta hervorgehobene Merkmal, dass die Schadensprognose sich als schwierig erweisen muss – beides aus einer ex-ante Betrachtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses, nicht des Vertragsbruches, betrachtet123. 116 Bignall v Gould, 119 US 495 (1886); Sun Printing & Publishing Association v Moore, 183 US 642 (1901). 117 Banta v Stamford Motor Co, 92 A 665, 667 (1914). 118 zB. García, European Journal of Legal Studies 5 (2012), 95 (98). 119 Banta v Stamford Motor Co, 92 A 665 (667). 120 Restatement of Contracts § 339 (1932). 121 Dazu Ferris, Cornell Law Review 67 (1982), 862 (868). Siehe als historisches Beispiel auch Dunbar, Ohio State Law Journal 20 (1959), 221 (222). 122 Siehe etwa DJ Mfg. Corp. v United States, 86 F3d 1130, 1135 (Fed. Cir. 1996). 123 Farnsworth, Contracts, § 12.18.
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Die Bestimmung des ersten Restatements wurde dementsprechend dahingehend ausgelegt, dass die „reasonability“ der Schadensprognose immer nur anhand eines Vergleiches der vertraglich bedungenen Summe mit der von den Parteien bei Vertragsabschluss antizipierbaren Schadenshöhe stattfinden könne, und damit jeder Beweis hinsichtlich des sodann tatsächlich entstandenen Schadens „inadmissable“ sei124. Diese Praxis wurde in Frage gestellt mit der in UCC § 2‑718125 eingeführten und dann von § 356 (1) in das zweite Restatement übernommene Formulierung „reasonable in light of anticipated or actual loss“. In Gänze lautet die Regel: „Damages for breach by either party may be liquidated in the agreement but only at an amount that is reasonable in light of the anticipated or actual loss caused by the breach and the difficulties of proof of loss. A term fixing unreasonably large liquidated damages is unenforceable on grounds of public policy as a penalty“.
Es stellte sich mithin die Frage, welche Funktion der Feststellung des tatsächlich entstandenen Schadens würde zukommen können: sollte mithilfe dieser Feststellung eine sich zu Vertragsabschluss als „vernünftig“ darstellende Einschätzung im Lichte der tatsächlichen Schadensentwicklung nachträglich als „unvernünftig“ und daher die Abrede als Strafversprechen eingestuft werden können? Wir erinnern, dass der kanadische Supreme Court in Thermidaire eben diese Modifikation des bei einer ex-ante Perspektive ansetzenden „tests“, ob eine Klausel in terrorem vereinbart ist, vorgenommen hatte126. Eine solche Deutung schien jedoch nicht bezweckt127: Der tatsächlich entstandene Schaden sollte nur von der von der Abrede begünstigten Partei ins Felde geführt werden können, um darzulegen, dass eine bei Vertragsschluss im Hinblick auf den antizipierbaren Schaden sich als „unvernünftig“ überhöht darstellende versprochene Summe sich ex post, im Verhältnis zu dem tatsächlich entstandenen Schaden, als nicht disproportional erweist128. 124 Ferris, Cornell Law Review 67 (1982), 862 (869) unter Hinweis etwa auf McCarthy v Tally, 297 P (2nd) 981, 996 (1956). 125 UCC § 2‑718 (1): „Damages for breach by either party may be liquidated in the agreement but only at an amount which is reasonable in light of the anticipated or actual harm caused by the breach, the difficulties of proof of loss, and the inconvenience or nonfeasibility of otherwise obtaining an adequate remedy. A term fixing unreasonably large liquidated damages is void as a penalty.“ 126 Siehe oben zu Fn. 78. 127 Restatement (Second) of Contracts § 356 (1), Comment b (1979): „Under the test stated in Subsection (1), two factors combine in determining whether an amount of money fixed as damages is so unreasonably large as to be a penalty. The first factor is the anticipated or actual loss caused by the breach. The amount fixed is reasonable to the extent that it approximates the actual loss that has resulted from the particular breach, even though it may not approximate the loss that might have been anticipated under other possible breaches. Furthermore, the amount fixed is reasonable to the extent that it approximates the loss anticipated at the time of the making of the contract, even though it may not approximate the actual loss.“ 128 So auch Farnsworth, Contracts, § 12.18; anders aber Ferris, Cornell Law Review 67 (1982), 862 (875), die annimmt, ein tatsächlich entstandener Schaden, der weitaus geringer als der ge-
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Indes findet sich auch eine Tradition allerdings nicht sehr zahlreicher Entscheidungen, die im umgekehrten Fall den tatsächlich entstandenen (bzw. nicht entstandenen) Schaden in die Beurteilung der „enforceability“ von Schadenspauschalierungen mit einbeziehen: wenn nämlich der Schaden nicht höher, sondern geringer ausfällt als erwartet, insbesondere ein Schaden infolge der Vertragsverletzung völlig ausbliebt: „[N]o provision in a contract for the payment of a fixed sum as damages, whether stipulated for as a penalty or as liquid ated damages, will be enforced in a case where the court sees that no damage has been sustained“129. In solchen Fällen wurden Klauseln nach common law als penalty eingestuft130 oder aber ausdrücklich das enforcement mit Berufung auf ein equitables Prinzip verweigert, das unabhänging von der Einstufung als penalty / liquidated damages Anwendung finde131. b) Beispiele bundesstaatlicher Entwicklungen Diese Entwicklungslinien zeichnen die Parameter vor, innerhalb derer sich das Fall- und Statutenrecht in den einzelnen Bundesstaaten bis heute entwickelt hat. Die Rechtsentwicklung in den Bundesstaaten folgt dem UCC und dem Restatement insoweit, als die Frage der Einordnung als penalty oder liquidated damages schätzte ausfalle, könne als Verteidigung gegen die Einstufung einer Klausel als liquidated damages dienen. Sie verweist dabei auf die Illustration 4 zu § 356, die in der Tat verwirrend eine Konstellation skizziert, in der kein tatsächlicher Schaden entsteht und daher eine als Schadenspauschalierung gedachte Klausel ex post als Konventionalstrafe qualifiziert wird; allerdings mit der Begründung: „Since the actual loss to B is not difficult to prove, A’s promise is a term providing for a penalty and is unenforceable on grounds of public policy.“ Es wird also der Grund für die Einstufung als penalty nicht darin gesehen, dass es nachträglich zu einem Missverhältnis zwischen Schaden und bedungener Summe kommt, sondern darin, dass es in dem konkreten Beispiel an dem Tatbestandsmerkmal der Beweisschwierigkeiten bei der Schadensermittlung gefehlt habe. Hier mischt sich mithin ein zweites Problem in die Analyse, nämlich dass seltsamerweise für die Beurteilung der Beweisschwierigkeiten nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern der Verhandlung maßgeblich sein soll. Zu dem verwandten Problem, ob die Beweisschwierigkeiten bei Vertragsschluss oder zum Zeitpunkt des Vertragsbruches zu beurteilen sind, siehe etwa Truck Rent-a-Car, Inc. v Puritan Farms, 51 A.D.2d 786, 380 N.Y.S.2d 37 (1976). 129 Norwalk Door Closer Co. v Eagle Lock & Screw Co.153 Conn. 681, 688 (1966); Miller v Macfarlane, 97 Conn. 299, 302, 116 A. 335; The Colombia, 197 Fed. 661, (664). 130 Vgl. etwa Priebe & Sons, Inc. v United States, 332 U.S. 407 (1947) – allerdings einen procurement contract betreffend; Massman Constr. Co. V. City Council of Greenville, 147 F.2d 925 (5th Cir. 1945). 131 Ausdrücklich Norwalk Door Closer Co. v Eagle Lock & Screw Co.153 Conn. 681, 689: „In a valid contract for liquidated damages, the parties are permitted, in order to avoid the uncertainties and time-consuming effort involved, to estimate in advance the reasonably probable foreseeable damages which would arise in the event of a default. Implicit in the transaction is the premise that the sum agreed upon will be within the fair range of those just damages which would be called for and provable had the parties resorted to proof. Consequently, if the damage envisioned by the parties never occurs, the whole premise for their agreed estimate vanishes, and, even if the contract was to be construed as one for liquidated damages rather than one for a penalty, neither justice nor the intent of the parties is served by enforcement.“
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stets anhand der Bausteine der „reasonability“ sowie der Beweisschwierigkeiten bei der Feststellung des tatsächlich entstandenen Schadens erfolgt. Hinsichtlich Gewichtung der einzelnen Elemente, der – wie gezeigt – wichtigen Frage des für die Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkts sowie der Beweislastverteilung, variieren die einzelstaatlichen Rechtsprechungstraditionen jedoch merklich, so dass sich bei fast wortgleichen Ausgangsdefinitionen in der praktischen Anwendung signifikante Unterschiede auftun. Aufgrund dieser Unterschiede lassen sich auch generelle Tendenzen erkennen, eine Klausel im Zweifel für wirksam oder unwirksam zu halten. So stehen, nach einer 2017 veröffentlichten Studie132, etwa die Chancen dafür, dass eine Klausel für wirksam erachtet wird, besonders gut vor den Gerichten North Dakotas. Das überrascht schon deshalb, weil dort das bundestaatliche Statutenrecht eine über den Wortlaut des Restatements hinausgehende, besonders restriktive Definition vorschreibt, die die Möglichkeit einer wirksamen Schadenspauschalierung auf Fälle beschränkt, „in which it would be impracticable or extremely difficult to fix the actual damage“133. In der Praxis interpretieren Gerichte diese Vorgabe jedoch nur, im Rahmen einer Art beweglichen Systems, als einen Faktor einer umfassenden Abwägung, mit dem Ergebnis, dass sogar eine ausdrücklich als penalty bezeichnete per diemStrafregelung, die typischerweise in anderen Staaten für unwirksam erachtet wird, aufrecht erhalten wurde; besonderes Gewicht wurde dabei dem Umstand beigemessen, dass die Klausel individuell ausgehandelt und das Ergebnis von „bona fide negotiations“ gewesen sei – und als „incentive“ zur Leistungserbringung (!) dienen sollte134. Demgegenüber hieß es beispielsweise von den Gerichten des Bundesstaates Illinois, sie würden im Zweifel private Sanktionsabreden als penalty einordnen135. Doch auch in diesem Staat zeigt sich eine Tendenz zu mehr Offenheit. So hat der Appellate Court of Illinois in einer Entscheidung aus dem Jahre 2011 die Bedeutung der Einzelfallabwägung unterstrichen und nunmehr die Regel formuliert: „Courts generally give effect to liquidated damages provisions if the parties have expressed their agreement in clear and explicit terms and there is no evidence of fraud or unconscionable oppression“136.
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Zum folgenden vor allem die Studie von Jacobs / Castillo, Texas Journal of Oil Gas & Energy Law 12 (2017), 19 ff. (27 ff.). 133 N.D. Cent. Code Ann. § 9‑08‑04 (West 2016). 134 Circle B. Enterprises, Inc. v. Steinke, 584 N.W.2d 97, 99 (N.D. 1998). Jacobs / Castillo, Texas Journal of Oil Gas & Energy Law 12 (2017), 19 (28) weisen allerdings auch darauf hin, dass kein Missverhältnis zu dem tatsächlich entstandenen Schaden vorlag, so dass „Gerechtigkeitserwägungen“ für die Einordnung als penalty wegfielen. 135 Siehe mit dieser Einschätzung Lake River Corp. v Carborundum Co. 769 F.2d 1284 (7th Cir. 1985). Siehe beispielsweise Penske Truck Leasing Co. v. Chemetco, Inc., 311 Ill.App.3d 447, 244 Ill.Dec. 218, 725 N.E.2d 13 (2000). 136 Karimi v 401 N. Wabash Venture, LLC, 2011 IL App (1st) 102670, 952 N.E.2d 1278.
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Zuletzt sei noch als Besonderheit auf die Mischrechtsordnung Louisianas hingewiesen. Die einschlägigen, 1985 in Kraft getretenen Bestimmungen lehnen sich an die französischen Reformvorschriften an und weisen so Ähnlichkeit mit den eingangs dargestellten Regelung in Québec auf – vermeiden es aber, von einer „peine“, also „penalty“, zu sprechen, und verwenden stattdessen den terminus „stipulated damages“: Art. 2005. Secondary obligation Parties may stipulate the damages to be recovered in case of nonperformance, defective performance, or delay in performance of an obligation. That stipulation gives rise to a secondary obligation for the purpose of enforcing the principal one.
Ein richterliches Eingreifen ist vorgesehen, wenn die Stipulation so „unreason able“ erscheint, dass sie der public policy zuwiderläuft: Art. 2012. Stipulated damages may not be modified Stipulated damages may not be modified by the court unless they are so manifestly unreasonable as to be contrary to public policy.
Insofern kombiniert die Vorschrift mithin eine Technik des civil law, der richterlichen Modifikation, mit dem Maßstab der „reasonability“. Nach der Formulierung trägt die Partei, die sich auf die Sittenwidrigkeit der Klausel beruft, die Beweislast137. Die Beurteilung dessen, was „so manifestly unreasonable as to contrary to public policy“ ist, ist wiederum von einer umfassenden Interessenabwägung abhängig, in der im konkreten Fall die tatsächlich entstandenen Schäden Berücksichtigung finden können, aber nicht müssen138. Jacobs / Castillo gelangen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass demgegenüber in der Gesamtabwägung das Hauptaugenmerk zunehmend der Frage gelte, inwieweit die Klausel das Ergebnis ungleicher Verhandlungspositionen bei Vertragsschluss gewesen sei139. 5. Unterschiede, Gemeinsamkeiten, Tendenzen Wir finden mithin bestätigt, was wir bereits anfangs vorweggenommen hatten: Im Recht der liquidated damages lassen sich auch im Vergleich der Lösungen in England, den USA und Kanada unschwer noch strukturelle Familienähnlichkeiten ausmachen. Trotz der seit Jahrzehnten geübten, mitunter harschen Kritik der Literatur140 wird im Grundsatz an der Unterscheidung zur penalty als Wei137 Hierzu und zum folgenden wiederum Jacobs / Castillo, Texas Journal of Oil Gas & Energy Law 12 (2017), 19 ff. (25 ff.). 138 Vgl. Ball Marketing, Inc. v. Sooner Refining Co. 422 So.2d 582, 586 (La. App. 3 Cir. 1982). 139 Jacobs / Castillo, Texas Journal of Oil Gas & Energy Law 12 (2017), 19 ff. (26 f.). 140 Siehe etwa, als einen „Klassiker“ dieses Genres, Goetz / Scott, Columbia Law Journal 77 (1977), 554 ff.
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chenstellung festgehalten. Zugleich treten mitunter erhebliche Abweichungen in den Details und in der praktischen Handhabung zu Tage, so dass in den USA Ergebnisse sogar von Staat zu Staat deutlich divergieren. Die USA haben dabei – wenig überraschend – früher als Kanada zu einem flexibleren Ansatz gefunden, der die Intention, eine Klausel in terrorem zu vereinbaren, hinter einer objektiven „Vernünftigkeit“ der Schadensschätzung zurücktreten lässt; die in diese Wertung mit einfließende Erwägung, die Schadensermittlung habe gewissen Schwierigkeiten begegnen müssen (mit der Folgefrage: zu welchem Zeitpunkt?) hat hierbei in den USA eine größere Rolle gespielt als in Kanada. Gleichsam hinter dem Rücken der traditionellen Definitionen sind jedoch sowohl in Kanada wie in den USA interessante Verschiebungen zu beobachten: in der fallspezifischen Gesamtabwägung, in der das Hauptgewicht der Schadensprognose („pre-estimate“; „forecast“) zugemessen wurde, gewinnen nun andere Elemente zunehmend an Bedeutung, die sich allgemeiner auf die Fairness von Zustandekommen und Ergebnis der Abrede beziehen: das sowohl in Kanada wie in den USA gebräuchliche Merkmal der „unconscionability“ etwa schafft Raum für solche Wertungen, ebenso wie insbesondere die Reflektionen über den „oppressiven“ Charakter der Klausel im kanadischen Recht. Solchen Ansätzen ist gemein, dass sie sich handhaben lassen, als seien sie nur harmlose Weiterentwicklungen der „klassischen“ Tests; sie jedoch geeignet sind, die traditionellen Regeln im Einzelfall fast gänzlich auszuhebeln. Dies zeigt sich in Fällen, in denen die traditionelle Einordnung unterwandert wird beispielsweise in der Weise, dass eine nach dem „klassischen“ Test des „genuine preestimate“ als Strafversprechen einzuordnenden Klausel gleichwohl für wirksam gehalten wird, da ihr der „oppressive“ Charakter fehle. So hat etwa der Ontario Superior Court eine zweifellos als Strafe intendierte Klausel aufrechterhalten, weil sie nicht „oppressive and unconscionable“ gewesen sei: denn die versprechende Partei sei eine „sophisticated person“ gewesen141. Hier ist die „unconscionability“ als Wertungsmaßstab nicht mehr nur Ausdruck der Bezeichnung eines besonders eklatanten Missverhältnisses von pre-estimate und tatsächlich entstandenem Schaden als „extravagant and unconscionable“ im Sinne der Dunlop-Formel. Vielmehr findet, von der Homonomytät befördert, eine subtile Bedeutungsverschiebung statt, wenn dergestalt die Tatbestandsmerkmale der equitablen Doktrin der „unconscionability“, die just eine „inequality of bargain ing power“, mithin die strukturelle oder situative Unterlegenheit einer Vertragspartei, voraussetzt142, in die common law-Vorschriften der penalty rule hineindiffundieren. 141
Nortel Networks Corp v Jervis [2002] OJ No 12, 110 ACWS (3rd) 832, Rn. 49. Syncrude Canada Ltd v Hunter Engineering Co [1989] 1 SCR 426, 57 DLR (4th) 321; Tercon Contractors Ltd v British Columbia (Minister of Transportation and Highways) 2010 SCC 4, [2010] SCR 69. 142
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Insgesamt lässt sich daher eine übergreifende Tendenz ausmachen, eine Tendenz zur Flexibilisierung, unter der Oberfläche der scheinbar rigiden Einordung die materielle Entscheidung weg von der Anwendung eines einfachen tests, einer „hard and fast rule“, in eine Interessenabwägung zu verlagern; zuletzt mit einem Ausrufezeichen versehen durch die neuen Leitentscheidungen des UKSC, die sich ja nichts weniger auf die Fahnen geschrieben haben, als die Befreiung der Vertragsstrafendoktrin aus dem Gefängnis künstlicher Begriffsfixierung.
Materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung in der Volksrepublik China Aufrechnung und Vertragsstrafen Han Shiyuan und Knut Benjamin Pißler I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines und Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wechselseitig fällige Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Ausschluss der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkungen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrpersonenverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines und Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Vertragsstrafe . . . . . . . . 3. Die Kontrolle der Vertragsstrafe und der Schutz des Schuldners . . . . . . . . . 4. Prozessuale Fragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Einleitung Das Zivilrecht entwickelt sich in der Volksrepublik China erst seit der Entscheidung, sich ausländischen Investitionen zu öffnen und die sozialistische Planwirtschaft zugunsten einer marktorientierten Wirtschaft zu reformieren. Erste Regelungen zur Durchsetzung privatrechtlicher Ansprüche entstanden in den 1980er Jahren. Zu nennen sind insbesondere – das Wirtschaftsvertragsgesetz vom 13.12.19811, – das Außenwirtschaftsvertragsgesetz vom 21.3.19852 (revidiert am 2.9.1993),
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Deutsche Übersetzung in: Robert Heuser (Hg.), Wirtschaftsreform und Gesetzgebung in der Volksrepublik China, 1996, 203 ff. 2 Deutsche Übersetzung in: RIW 1985, 379 ff.
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– die Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts (AGZR) vom 12.4.19863 (revidiert am 27.8.2009) und – das Technologievertragsgesetz vom 23.6.19874. Mit dem Inkrafttreten des Vertragsgesetzes am 1.10.19995 wurden das Wirtschaftsvertragsgesetz, das Außenwirtschaftsvertragsgesetz und das Technologievertragsgesetz aufgehoben.6 Neben diesen vom Nationalen Volkskongress erlassenen Gesetzen sind einige abstrakt-generelle Regelungen des Obersten Volksgerichts (OVG), so genannte justizielle Interpretationen (司法解释), zu erwähnen, mit denen Untergerichten verbindlich vorgegeben wird, wie sie gesetzliche Vorschriften anzuwenden haben: – die Erläuterungen des OVG zu einigen Fragen des „Vertragsgesetzes der Volksrepublik China“ (Teil 2) (OVG-Erläuterungen zum Vertragsgesetz II) vom 24.4.20097 und – die Erläuterungen des OVG zu Fragen der Rechtsanwendung bei der Behandlung von Streitfällen zu Kaufverträgen (OVG-Erläuterungen Kaufverträge) vom 10.5.20128.
II. Aufrechnung 1. Allgemeines und Voraussetzungen Schriftlich fixierte Regelungen zur Aufrechnung (抵销) finden sich in China im materiellen Recht9 sowie im Insolvenzrecht10. Die Aufrechnung ist auf mate riellrechtlicher Ebene angesiedelt. Grundlage sind die Regelungen im Vertragsgesetz aus dem Jahr 1999.
3
Deutsche Übersetzung in: Frank Münzel (Hg.), Chinas Recht, 12.4.1986 / 1. Deutsche Übersetzung in: RIW 1988, 856 ff. 5 Deutsche Übersetzung in: Frank Münzel (Hg.), Chinas Recht, 15.3.1999 / 1. 6 § 428 Vertragsgesetz. 7 Deutsche Übersetzung in: ZChinR 2009, 288 ff. 8 Deutsche Übersetzung in: ZChinR 2014, 373 ff. 9 § 99 Vertragsgesetz (Fn. 5), § 41 Partnerschaftsunternehmensgesetz vom 23.2.1997 in der Fassung vom 27.8.2006 (deutsche Übersetzung in: ZChinR 2006, 407 ff.), § 18 Treuhandgesetz vom 28.4.2001 (deutsche Übersetzung in: ZChinR 2001, 71 ff.), § 6 Wertpapierinvestmentfondsgesetz vom 28.10.2003 in der Fassung vom 24.4.2015 (chinesisch abgedruckt in: Amtsblatt des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses [中华人民共和国全国人民代表大会常务委 员会公报] 2015, Nr. 3, 467 ff. 10 Unternehmenskonkursgesetz vom 27.8.2006 (deutsche Übersetzung in: ZChinR 2007, 50 ff.) und Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu einigen Fragen der Anwendung des „Unternehmenskonkursgesetzes der Volksrepublik China“ (2) (OVG-Bestimmungen zum Konkursgesetz II) vom 5.9.2013 (deutsche Übersetzung in: ZChinR 2014, 359 ff.). 4
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§ 99 Abs. 1 Vertragsgesetz bestimmt: „Wenn die Parteien wechselseitig fällige Verbindlichkeiten haben, die Gegenstände gleicher Art und Güte betreffen, kann jede die eigene Verbindlichkeit gegen die Verbindlichkeit der anderen Seite aufrechnen, außer wenn nach gesetzlichen Bestimmungen oder nach der Natur des Vertrags nicht aufgerechnet werden darf.“ Die in § 99 Abs. 1 Vertragsgesetz geregelte Aufrechnung ist (im Gegensatz zu der in § 100 Vertragsgesetz vorgesehenen „einverständlichen Aufrechnung“ [合意抵消]) ein Gestaltungsrecht (形成权)11 und wird der anderen Partei gegenüber erklärt.12 Sie darf nicht bedingt oder befristet sein, § 99 Abs. 2, S. 3 Vertragsgesetz.13 Voraussetzung für eine Aufrechnung gemäß § 99 Abs. 1 Vertragsgesetz ist, dass (1) die Parteien wechselseitig fällige Verbindlichkeiten (互负到期债务) haben, (2) die Verbindlichkeiten Gegenstände gleicher Art und Güte betreffen (标的物种类、品质相同) und (3) eine Aufrechnung nicht durch Gesetz oder nach der Natur des Vertrags (合同性质) ausgeschlossen ist. a) Wechselseitig fällige Verbindlichkeiten Die Wechselseitigkeit der Verbindlichkeiten setzt nicht voraus, dass diese aus demselben Vertragsverhältnis entstanden sind.14 Grundsätzlich müssen die Verbindlichkeiten beider Parteien im Zeitpunkt der Aufrechnung fällig sein. Allerdings wird für zulässig erachtet, dass der Schuldner seine nicht fällige Gegenforderung gegen eine fällige Hauptforderung des Gläubigers aufrechnet.15 Wird ein Schuldner für insolvent erklärt, gelten seine Forderungen im Zeitpunkt der Konkurserklärung als fällig16, so dass der Gläubiger seine Hauptforderungen gegen Forderungen des Schuldners aufrechnen kann.17 11 Han Shiyuan [韩世远], Allgemeiner Teil des Vertragsrechts [合同法总论], 3. Aufl. 2011, 545. Eine gesetzliche Aufrechnung, die ohne eine entsprechende Erklärung der Partei wirksam wird, gibt es in China nicht, Han Shiyuan, 552. 12 § 99 Abs. 2, S. 1 Vertragsgesetz. Die Erklärung kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Schlüssiges Verhalten kann ausreichen, Bing Ling, Contract Law in China, 2002, 365 (mit Hinweis auf Rechtsprechung). Die Literatur führt auch Entscheidungen an, in denen eine Aufrechnung gegenseitiger Forderungen durch Gerichte oder Schiedsgerichte erfolgte, Bing Ling, 365 (dort Fn. 238). 13 Eine solche Bedingung oder Befristung führt zur Unwirksamkeit der Aufrechnung, siehe Bing Ling (Fn. 12), 366. 14 Bing Ling (Fn. 12), 362. 15 Han Shiyuan (Fn. 11), 549. Der Gläubiger kann zwar grundsätzlich gemäß § 71 S. 1 Vertragsgesetz eine vorzeitige Erfüllung der Schuld durch den Schuldner ablehnen; die Ablehnung ist jedoch ausgeschlossen, wenn die vorzeitige Erfüllung seine Interessen nicht schädigt. Dies wird bei einer Aufrechnung regelmäßig der Fall sein. Siehe Bing Ling (Fn. 12), 363. 16 § 46 Unternehmenskonkursgesetz. 17 Die Aufrechnung mit Gegenforderungen durch den Gläubiger gegen Forderungen des Gemeinschuldners ist nach § 40 Unternehmenskonkursgesetz (Fn. 10) grundsätzlich zulässig,
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Ob mit einer verjährten Forderung aufgerechnet werden kann, ist nicht geregelt und daher umstritten.18 Auch die Rechtsprechung ist bislang uneinheitlich.19 b) Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten Die Aufrechnung ist auf Verbindlichkeiten der Parteien beschränkt, die Gegenstände (Sachen) gleicher Art und Güte betreffen. Aufrechenbar sind Geldforderungen, aber auch gegenläufige Forderungen auf vertretbare Sachen der nämlichen Gattung.20 Die Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten ist also nicht auf Geldforderungen beschränkt.21 Allerdings ist die Aufrechnung einer Fremdwährungsschuld mit einer Verbindlichkeit in der chinesischen Währung (Renminbi) wohl ausgeschlossen.22 Die Aufrechnung wird nach Ansicht der Literatur nicht dadurch ausgeschlossen, dass für die Forderungen verschiedene Leistungs- oder Ablieferungsorte bestehen23; der aufrechnende Teil hat jedoch den Schaden zu ersetzen, den der
soweit die Forderungen des Gemeinschuldners vor der Annahme des Konkursantrags [在破产 申请受理前] entstanden sind. Der Konkursverwalter, gegenüber dem der Gläubiger die Aufrechnung zu erklären hat, darf nach § 43 OVG-Bestimmungen zum Konkursgesetz II (Fn. 10) gegen die Aufrechnung nicht einwenden, dass (1) die Forderung des Gläubigers im Zeitpunkt der Annahme des Konkursantrags noch nicht fällig sei, (2) die Forderung des Gemeinschuldners in diesem Zeitpunkt noch nicht fällig sei und (3) dass keine Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten bestehe. Ausführlich zur Aufrechnung in der Insolvenz Elske Fehl-Weileder, Ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einem vorhersehbaren und geordneten Konkursverfahren in China? Neue Anwendungsbestimmungen des Obersten Volksgerichts zum Unternehmenskonkursgesetz der VR China, ZChinR 2014, 321 ff. (333 ff.). 18 Für eine Unzulässigkeit der Aufrechnung Han Shiyuan (Fn. 11), 548; differenzierend im Sinne der deutschen Regelung in § 215 BGB (Aufrechenbarkeit, soweit der Anspruch in dem Zeitpunkt noch nicht verjährt war, in dem erstmals aufgerechnet werden konnte) Wang Sisi [王思思], Kann mit einer verjährten Forderung aufgerechnet werden? [探析超过诉讼时效期间的债 权能否抵销], Guide to Business [企业导报] 2016, Nr. 7, 67 ff. 19 Siehe hierzu Wang Sisi (Fn. 18), 67. 20 Han Shiyuan (Fn. 11), 548; Bing Ling (Fn. 12), 363. 21 Han Shiyuan (Fn. 11), 548. 22 Zu den Gründen, die gegen eine Aufrechenbarkeit sprechen, siehe Han Shiyuan, Entsteht bei Geldforderungen in unterschiedlichen Währungen ein Aufrechnungsrecht? [不同币种的金钱 之债是否发生抵销权], Zeitung der Volksgerichte [人民法院报] vom 24.4.2013, S. 7. Vgl. auch Bing Ling (Fn. 12), 363 mit Hinweis auf § 40 Devisenverwaltungsverordnung der Volksrepublik China [中华人民共和国外汇管理条例] vom 14.1.1997, der allerdings in der neuen Fassung der Verordnung vom 5.8.2008 nicht mehr enthalten ist. Teilweise befürwortet die Literatur aber eine grundsätzliche Aufrechenbarkeit unterschiedlicher Währungen; siehe Wang Sisi [王思思], Aufrechnung von Geldforderungen in unterschiedlichen Währungen [不同币种金钱之债的抵销], Volksjustiz [人民司法] 2016, Nr. 13, S. 94 ff. (Wang möchte die Aufrechenbarkeit bei Fremdwährungsschulden nur dann einschränken, wenn eine nicht frei konvertierbare Währung betroffen ist oder wenn die Parteien vereinbart haben, dass die Hauptforderung in einer bestimmten Währung zu erfüllen ist). 23 Han Shiyuan (Fn. 11), 548.
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andere Teil dadurch erleidet, dass er infolge der Aufrechnung die Leistung nicht an dem bestimmten Orte erhält oder bewirken kann.24 Betreffen wechselseitig fällige Verbindlichkeiten der Parteien nicht Gegenstände gleicher Art und Güte, können sie gemäß § 100 Vertragsgesetz nur dann aufrechnen, wenn sie darüber in Verhandlungen übereinkommen (协商一致). In der Insolvenz ist dem Gemeinschuldner die Einwendung abgeschnitten, es bestehe keine Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten, mit der Folge, dass in diesem Fall eine Aufrechnung auch dann zulässig ist, wenn die Verbindlichkeiten der Parteien nicht Gegenstände gleicher Art und Güte betreffen.25 c) Kein Ausschluss der Aufrechnung Schließlich darf eine Aufrechnung nicht durch Gesetz oder nach der Natur des Vertrags ausgeschlossen sein. Eine entsprechende Aufrechnung ist wirkungslos, so dass die wechselseitigen Forderungen weiter bestehen.26 Zunächst ist eine Vereinbarung der Parteien, dass eine Aufrechnung ausgeschlossen ist, zulässig, § 23 OVG-Interpretation Vertragsgesetz II. Dies gilt auch für allgemeine Geschäftsbedingungen.27 Unzulässig ist die Aufrechnung außerdem gegen die Forderungen, die einer Pfändung nicht unterworfen sind, also insbesondere Einkommen und Vermögen, die für den Lebensunterhalt des Schuldners und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen notwendig sind.28 Nach der Natur des Vertrags ausgeschlossen ist die Aufrechnung mit der Leistung von Diensten.29 Außerdem ist die Literatur der Ansicht, dass eine Forderung, der eine Einrede entgegensteht, nicht aufgerechnet werden kann.30 Diskutiert wird im Übrigen, ob eine Aufrechnung gegen Ansprüche wegen vorsätzlicher Schädigung erklärt werden darf.31 Das OVG hat bereits vor Inkrafttreten des Vertragsgesetzes festgestellt, dass die Aufrechnung von Einlageerbringungspflichten eines Aktionärs einer für Insolvent erklärten Gesellschaft mit Gegenforderungen dieses Gesellschafters nicht zulässig ist.32 In einer justiziellen Interpretation hat das Gericht außerdem aus24
Han Shiyuan (Fn. 11), 556 (mit rechtsvergleichenden Hinweisen); Bing Ling (Fn. 12), 363. Siehe oben Fn. 17. 26 Han Shiyuan (Fn. 11), 549. 27 Han Shiyuan (Fn. 11), 552. 28 Han Shiyuan (Fn. 11), 549; Bing Ling (Fn. 12), 364 (jeweils mit Verweis auf die §§ 243, 244 Zivilprozessgesetz). 29 Bing Ling (Fn. 12), 364; Han Shiyuan (Fn. 11), 549. Han führt außerdem als Beispiel Wettbewerbsverbote und ähnliche Pflichten an, deren Zweck erreicht erfüllt werden kann, wenn sie tatsächlich erfüllt werden. 30 Han Shiyuan (Fn. 11), 549 (mit Verweis auf § 390 BGB). 31 Han Shiyuan (Fn. 11), 549 f.; Bing Ling (Fn. 12), 364. 32 Antwortschreiben auf die Frage, ob Masseforderungen gegen nicht eingezahltes regis triertes Kapital aufgerechnet werden können [关于破产债权能否与未到位的注册资金抵销问题的复 函], Aktenzeichen: Fa Han [1995] Nr. 32 [法函(1995) 32 号] vom 10.4.1995. Welche gesetzliche 25
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geschlossen, dass der Gesellschafter gegen Hauptforderungen der Gesellschaft aufrechnet, die diese wegen Missbrauchs von Gesellschafterrechten hat.33 Der Gläubiger muss Einwände gegen die Wirksamkeit der Aufrechnung innerhalb einer vereinbarten Frist oder – bei Fehlen einer vereinbarten Frist – innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Aufrechnungserklärung geltend machen, § 24 OVG-Interpretation Vertragsgesetz II. Wird diese Frist nicht eingehalten, werden die Einwände des Gläubigers durch das Volksgericht nicht unterstützt, so dass die wechselseitigen Forderungen erlöschen. Der Gläubiger ist also gezwungen, innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Aufrechnungserklärung Klage gegen den Schuldner einzureichen. 2. Wirkungen der Aufrechnung Die Aufrechnung bewirkt gemäß § 91 Nr. 3 Vertragsgesetz, dass vertragliche Rechte und Pflichten erlöschen (终止, wörtlich: „enden“). Obwohl gesetzlich nicht angeordnet, geht die Literatur davon aus, dass die Forderungen rückwirkend zu dem Zeitpunkt erlöschen, in dem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergestanden haben.34 Sie wird wirksam, sobald die Aufrechnungserklärung der anderen Seite zugegangen ist, § 99 Abs. 2, S. 2 Vertragsgesetz.35 Ist die Hauptforderung größer als die Gegenforderung, bewirkt die Aufrechnung ein teilweises Erlöschen der Hauptforderung.36 3. Mehrpersonenverhältnisse Regelungen über eine Mehrheit von Schuldner und Gläubigern sind im chinesischen Zivilrecht nur vereinzelt vorhanden.37 Das Rechtsinstitut der Aufrechnung hat der Gesetzgeber in diesen Mehrpersonenverhältnissen allerdings nicht berücksichtigt. Grundlage diese Entscheidung des Obersten Volksgerichts hat, ist nicht ersichtlich. In § 46 Nr. 1 OVG-Bestimmungen zum Konkursgesetz II (Fn. 10) hat das Gericht diese Rechtsprechung bestätigt und auf Forderungen der Gesellschaft wegen Zurücknahme von Einlagen durch den Gesellschafter ausgeweitet. 33 § 46 Nr. 2 OVG-Bestimmungen zum Konkursgesetz II (Fn. 10). Ausführlicher hierzu Elske Fehl-Weileder (Fn. 10), 334 f. 34 Siehe nur Han Shiyuan (Fn. 11), 554 (m. w. N.). 35 Dies entspricht der h. M., vgl. Bing Ling (Fn. 12), 365 f. 36 Bing Ling (Fn. 12), 366. 37 § 87 AGZR regelt die Gesamtgläubigerschaft und die Gesamtschuldnerschaft sowie den Regress im Innenverhältnis der Gläubiger bzw. Schuldner. Im „Allgemeinen Teil des Zivilrechts“ [中华人民共和国民法总则], der am 15.3.2017 verabschiedet wurde und am 1.10.2017 in Kraft getreten ist (chinesisch-deutsch in: ZChinR 2017, S. 208 ff.), sind in den §§ 177, 178 die Teilschuld und die Gesamtschuld geregelt.
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Wegen des Erfordernisses der Wechselseitigkeit der Forderungen darf der Aufrechnende nur mit einer ihm zustehenden Gegenforderung gegen die Hauptforderung aufrechnen.38 Bei einer Gesamtschuld kann einer von mehreren Schuldnern wegen Fehlens der Wechselseitigkeit nicht mit der Forderung eines anderen Schuldners gegen den Gläubiger aufrechnen. Ob er sich in sonstiger Weise auf die Aufrechnungslage berufen kann, ist unklar.39 Einem Bürgen (保证人) stehen gemäß § 20 Sicherheitengesetz40 zwar die Einwendungsrechte (抗辩权) des Schuldners zur Verfügung. Diese Einwendungsrechte41 umfassen jedoch nach wohl herrschender Ansicht nicht die Aufrechnung.42 Auch eine Aufrechnung durch einen Dritten bzw. gegenüber einem Dritten ist wegen des Erfordernisses der Wechselseitigkeit der Verbindlichkeiten grundsätzlich unzulässig. Da die Parteien zwar die Aufrechenbarkeit bei Fehlen der Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten vereinbaren können (§ 100 Vertragsgesetz), ist zweifelhaft, ob durch Vereinbarung der Parteien auch auf das Erfordernis der Wechselseitigkeit verzichtet werden kann. Die Literatur geht davon aus, dass ein Schuldner, der sich zur Leistung an einen Dritten verpflichtet hat, diesem gegenüber nicht mit einer Gegenforderung aufrechnen darf, die er gegen den Gläubiger hat.43 Bei einer Abtretung einer Forderung, die im chinesischen Recht keiner Zustimmung des Schuldners bedarf44, kann der Schuldner mit seiner Gegenforderung gegenüber dem ursprünglichen Gläubiger auch gegenüber dem Zedenten (Dritten) aufrechnen, § 83 Vertragsgesetz.
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Han Shiyuan (Fn. 11), 548. Eine Regelung, nach der sich (wie etwa in § 422 Abs. 1 Satz 2 BGB) die anderen Schuldner auf die Gesamtwirkung berufen können, soweit einer der Schuldner wirksam aufgerechnet hat, fehlt im chinesischen Recht. Es ist jedoch davon auszugehen, dass eine solche Gesamtwirkung auch nach dem Regelungszweck des § 91 Nr. 3 Vertragsgesetz eintritt. 40 Gesetz der Volksrepublik China über Sicherheiten [中华人民共和国担保法] vom 30.6.1995. 41 § 20 Abs. 2 Sicherheitengesetz definiert das Einwendungsrecht als „ein Recht des Schuldners, der Ausübung des Forderungsrechts des Gläubigers vom Recht bestimmte Gründe entgegenzuhalten.“ 42 Das in dieser Frage vertretene Meinungsspektrum ist allerdings denkbar weit. Es reicht von einer direkten Aufrechenbarkeit mit der Gegenforderung des Hauptschuldners durch den Bürgen (Cao Shiquan / Tan Yi [曹诗权 / 覃怡], Zur Einwendung des Bürgen [论保证人的抗辩权], Peking University Law Journal [中外法学] 1998, Nr. 1, 70 ff.) über das Geltendmachen der Aufrechenbarkeit mit dieser Gegenforderung durch den Bürgen als Einwendung (Cui Jianyuan [崔建 远], Vertragsrecht [合同法], 4. Aufl. 2007, 178) bis zur Ablehnung dieser Rechte des Bürgen (Cheng Xiao [程啸], Untersuchung von Bürgschaftsverträgen [保证合同研究], 2006, 247). Ob und wie die Rechtsprechung diese Frage beantwortet hat, ist unklar. 43 Han Shiyuan (Fn. 11), 550 (mit Verweis auf § 341 des taiwanischen Zivilgesetzes). 44 Erforderlich ist nach § 80 S. 1 Vertragsgesetz nur eine Anzeige (通知) der Abtretung des Gläubigers gegenüber dem Schuldner. Ohne eine solche Anzeige bleibt die Übertragung § 80 S. 2 Vertragsgesetz gegenüber dem Schuldner wirkungslos. 39
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Eine Aufrechnung durch Dritte ist zulässig, wenn dem Dritten ein Ablösungs recht zusteht, der Dritte also für den Hauptschuldner eine Hypothek (抵押权) zur Verfügung stellt.45 Der Dritte sollte dann mit einer Gegenforderung gegen die gesicherte Forderung des Gläubigers aufrechnen können.46 Übt ein Gläubiger sein Surogationsrechts nach § 73 Vertragsgesetz aus und macht eine Forderung seines Schuldners (an dessen Stelle) gegen einen Dritten geltend, ist davon auszugehen, dass dieser Dritte nicht mit einer Gegenforderung aufrechnen kann, die er gegen den Gläubiger hat.47 Denn auch hier liegt keine Wechselseitigkeit der Forderungen vor: Die Forderung seines Schuldners gegen den Dritten verbleibt bei diesem Schuldner, wird aber im Rahmen einer Einziehungsermächtigung vom Gläubiger im eigenen Namen ausgeübt.48 Nach dem Treuhandgesetz ist die Aufrechnung mit Forderungen der Treuhand gegen Verbindlichkeiten des Treuhänders verboten.49 Außerdem darf der Treuhänder nicht Forderungen und Verbindlichkeiten unterschiedlicher Treugeber miteinander aufrechnen.50 Entsprechende Verbote sind auch für Investmentfonds im Hinblick auf Fondsverwalter und Fondsverwahrer normiert.51 Für einen Gläubiger von Partnerschaftsunternehmen besteht ein Verbot, seine Verbindlichkeiten gegenüber dem Partnerschaftsunternehmen mit Forderungen gegenüber einem Partner aufzurechnen.52 Zur Handhabung der Aufrechnung im Kommissionsgeschäft (§§ 414 ff. Vertragsgesetz) bestehen keine besonderen Regelungen. 4. Prozessuale Fragen Da die Aufrechnung nach § 99 Vertragsgesetz als materiell-rechtliches Gestaltungsrecht konzipiert ist, das durch Erklärung gegenüber der anderen Partei geltend gemacht wird, bedarf es keiner Einschaltung der Gerichte. In einem 45 Eine Hypothek kann (als besitzloses Pfandrecht) nach dem chinesischen Sachenrecht auch an beweglichen Sachen bestellt werden; siehe nur Yuanshi Bu, Einführung in das Recht Chinas, 2. Aufl. 2017, 173. 46 Dies ist daraus zu schließen, dass der Hypothekenschuldner gemäß § 191 Sachenrechtsgesetz die Hauptschuld (anstelle des Schuldners) erfüllen kann. 47 Dies wird zum japanischen Zivilrecht vertreten, das eine dem chinesischen Recht ähnliche Regelung kennt. Siehe Hiroyasu Nakata [中田裕康], Allgemeiner Teil des Schuldrechts, [债权总 论], Neuauflage 2011, 385. 48 Zum Surogationsrecht nach § 73 Vertragsgesetz ausführlich Knut Benjamin Pissler, Das Prinzip der relativen Wirkung von Parteivereinbarungen und dessen Durchbrechung – Die französische „Action directe“ im chinesischen Vertragsgesetz, Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaften 2007, 67 ff. 49 § 18 Abs. 1 Treuhandgesetz (Fn. 9). 50 § 18 Abs. 2 Treuhandgesetz (Fn. 9). 51 § 6 Wertpapierinvestmentfondsgesetz (Fn. 9). 52 § 41 Partnerschaftsunternehmensgesetz (Fn. 9).
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rechtshängigen Verfahren ist es allerdings zulässig, dass Gerichte eine Aufrechnungslage auch von Amts wegen berücksichtigen.53 Einer Beteiligung der Gerichte bedarf es aber für den Fall, dass der Gläubiger Einwände gegen die Wirksamkeit der durch den Schuldner geltend gemachten Aufrechnung hat: Er muss innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Aufrechnungserklärung Klage erheben, um diese Einwände geltend zu machen.54 Im Prozess wird die Aufrechnung nicht in Gestalt einer Widerklage erhoben, sondern als prozessuale Einwendung gegen die Klageforderung geltend gemacht.55 Im Hinblick auf die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Gerichte ergeben sich bei der Aufrechnung keine Besonderheiten. Das Gericht, das für die Hauptforderung zuständig ist, bleibt auch dann für die Aufrechnung mit der Gegenforderung zuständig, wenn es bei deren selbständiger Geltendmachung örtlich oder sachlich unzuständig wäre.56 Es ist davon auszugehen, dass dies auch bei einer internationalen Zuständigkeit chinesischer Gerichte gilt mit der Folge, dass das für die Hauptforderung zuständige Gericht über eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung entscheidet, für deren klageweise Geltendmachung es international nicht zuständig wäre. Ob eine Gerichtstandsvereinbarung (im Hinblick auf das Rechtsverhältnis, dem die Gegenforderung entstammt) in ein vertragliches Aufrechnungsverbot umgedeutet werden kann, lässt sich nicht abschließend klären. Da der objektive Geltungsbereich von Schiedsklauseln auf Streitigkeiten aus dem Rechtsverhältnis beschränkt ist, auf das sich die dem Schiedsverfahren zugrunde liegende Klausel bezieht57, kann im Schiedsverfahren nicht mit schiedsverfahrensfremden Forderungen aufgerechnet werden, soweit keine Konnexität von Haupt- und Gegenforderung besteht.58 Dementsprechend dürfte 53
Siehe oben Fn. 12. Siehe oben unter II 1 c. 55 Zhang Weiping [张卫平], Zivilprozessrecht [民事诉讼法], 4. Aufl., 2016, 323; Qiu Xinhua [邱新华], Die Aufrechnung im Prozess: Einwendung oder Widerklage? [诉讼上抵销:抗辩抑或反诉], Shandong Rechtsprechung [山东审判] 2007, Nr. 23, 72 ff. Die Literatur berichtet jedoch, dass die Gerichte teilweise verlangen, dass die Gegenforderung als Widerklage erhoben oder in einem anderen Verfahren geltend gemacht wird, Wang Jing [王静], Die vom Gericht bestätigte Einwendung der Aufrechnung besitzt Rechtskraft [法院对抵销抗辩的认定具有既判力], Volksjustiz [人民司 法] 2014, Nr. 2, 58 ff. (59). 56 So im Ergebnis Qiu Xinhua (Fn. 53), 74. 57 Zur Reichweite von Schiedsvereinbarungen siehe § 2 Erläuterungen des Obersten Volksgerichts zu einige Fragen der Anwendung des „Schiedsgesetzes der Volksrepublik China“ [最 高人民法院关于适用《中华人民共和国仲裁法》若干问题的解释] vom 8.9.2006 in der Fassung vom 16.12.2008. 58 Siehe das „Antwortschreiben des Obersten Volksgerichts auf das Ersuchen um Anweisung im Fall des Antrags der Huiying Medienvertriebsgesellschaft mit beschränkter Haftung, den Schiedsspruch [2003] Da Zhong Zi Nr. 083 aufzuheben“ [最高人民法院关于辉影媒体销售有限公司 申请撤销[2003]大仲字第083号仲裁裁决一案的请示的复函] vom 14.9.2004. Das Oberste Volksgericht 54
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auch ausgeschlossen sein, dass mit einer in die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts fallenden Forderung vor staatlichen (chinesischen) Gerichten aufgerechnet wird. Die Aufrechnungsforderung wird, da sie als Verteidigungsmittel geltend gemacht wird, nicht rechtshängig (chin: 诉讼系属).59 Inwiefern diese Gegenforderung der Rechtskraft fähig ist, ist nicht im chinesischen Recht geregelt.60 Die Literatur meint, dass eine Entscheidung über die Gegenforderung rechtkräftig wird.61 Auch die Gerichte gehen offenbar davon aus, dass eine Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, der Rechtskraft fähig ist.62
III. Vertragsstrafe 1. Allgemeines und Zulässigkeit Im chinesischen Recht ist ein Rechtsinstitut normiert, das in der wörtlichen Übersetzung mit „Vertragsverletzungsgeld“ (违约金) übersetzt werden kann.63 Bis zur Verabschiedung des Vertragsgesetzes in 1999 bestanden getrennte Regelungen zum Vertragsverletzungsgeld mit Strafcharakter (惩罚性违约金) und zum Vertragsverletzungsgeld mit Kompensationscharakter (赔偿性违约金). Das Vertragsverletzungsgeld mit Kompensationscharakter, das bei Außenwirtschaftsverträgen angewendet wurde, kam dabei einem pauschalisierten Schadenersatz nahe64, während das Vertragsverletzungsgeld mit Strafcharakter der Vertragsstrafe im deutschen Recht ähnelte.65 wies das Mittlere Volksgericht der Stadt Dalian an, den Schiedsspruch der Schiedskommission der Stadt Dalian aufzuheben, in dem der Antragsgegner des Schiedsverfahrens erfolgreich mit einer schiedsverfahrensfremden Forderung aufgerechnet hatte. 59 Siehe § 247 Abs. 1 Erläuterungen des Obersten Volksgerichts zur Anwendung des „Zivilprozessgesetzes der Volksrepublik China“ [最高人民法院关于适用〈中华人民共和国民事诉讼法〉的 解释] vom 30.1.2015, wonach eine Rechtshängigkeitssperre nur für Ansprüche gilt, die als Klageforderung [诉讼请求] geltend gemacht werden. So bereits vor dieser justiziellen Interpretation Qiu Xinhua, 75. Ohne Bezugnahme auf die justizielle Interpretation im Ergebnis auch Zhang Weiping (Fn. 53), 323. 60 Dies bedauert Qiu Xinhua (Fn. 53), 75, und fordert eine Regelung durch den Gesetzgeber. 61 Zhang Weiping (Fn. 53), 323. 62 Siehe die Besprechung einer entsprechenden Entscheidung des Oberen Volksgerichts der Provinz Henan [河南省高级人民法院], Aktenzeichen (2013) Yu Fa Min Yi Zhong Zi Nr. 55 [(2013) 豫法民一终字第55 号] bei Wang Jing (Fn. 53), 58 ff. 63 Ralf Widmer, Die Haftung für Vertragsverletzung im Außenwirtschaftsrecht der Volksrepublik China, 2000, 155. Die Übersetzung als „Vertragsstrafe“ ist aber ebenfalls nicht unüblich. Siehe etwa bei Münzel (Fn. 3 und 5). 64 Ralf Widmer (Fn. 63), 156. 65 Das Vertragsverletzungsgeld mit Strafcharakter diente in der sozialistischen Warenwirtschaft der Sicherung der Erfüllung von Verträgen und damit als Mittel zur Sicherung der Planerfüllung. Es war daher im innerchinesischen Zivilrecht normiert (§ 112 Abs. 2 AGZR, § 31 Wirtschaftsvertragsgesetz und § 17 Abs. 3 Technologievertragsgesetz), und fand Anwendung, soweit
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Dem Vertragsverletzungsgeld nach dem Vertragsgesetz66 kommt nach Ansicht des OVG hauptsächlich eine Kompensationsfunktion und nur ergänzend eine Straffunktion zu.67 Das Vertragsverletzungsgeld kann gemäß § 114 Abs. 1 Vertragsgesetz von den Parteien dahingehend vereinbart werden, dass die vertragsverletzende Partei der anderen Partei einen bestimmten Betrag zahlt, oder wie der Schadenersatz bei Vertragsverletzung berechnet wird.68 Eine Vereinbarung, die nicht zur Kompensation für eine Nichterfüllung gedacht ist, sondern den Schuldner zur Erfüllung anhält, ist zulässig, unterliegt aber einer Kontrolle69. Ein über das Vertragsverletzungsgeld hinausgehender Schadensersatz kann nicht gefordert werden.70 Neben der Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes kann weiterhin Erfüllung nur verlangt werden, wenn das Vertragsverletzungsgeld wegen Verzugs gezahlt wurde.71 Der Sicherung der Vertragserfüllung dient auch das so genannte „Festgeld“ (定金).72 Das Festgeld ähnelt in seiner Ausgestaltung dem Reugeld nach Art. 158 keine ausländischen Partner an den Verträgen beteiligt waren. Im Außenwirtschaftsvertragsgesetz, das Anwendung fand, soweit ein ausländischer Vertragspartner beteiligt war, war hingegen ein Vertragsverletzungsgeld mit Kompensationscharakter normiert (§ 20 Außenwirtschaftsvertragsgesetz). Allerdings war es auch hier zulässig, ein Vertragsverletzungsgeld mit Strafcharakter zu vereinbaren; die Forderung auf Zahlung der Strafe konnte aber unter Umständen nicht durchgesetzt werden, wenn die andere Partei eine Herabsetzung des Betrags verlangte. Siehe zum Ganzen Ralf Widmer (Fn. 63), 163 ff. 66 Das Vertragsgesetz, das (im Gegensatz zur bis dahin bestehenden Rechtslage [siehe Fn. 65]) nicht mehr danach unterscheidet, ob eine ausländische Vertragspartei vorhanden ist oder nicht, hat bei seinem Inkrafttreten im Jahr 1999 die Regelung des Außenwirtschaftsvertragsgesetzes übernommen. 67 Ziffer 6 Anleitungsansicht des Obersten Volksgerichts zu einigen Fragen der Behandlung von Streitfällen zu zivil- und handelsrechtlichen Verträgen in der gegenwärtigen Situation [最高人民法院关于当前形势下审理民商事合同纠纷案件若干问题的指导意见] vom 7.7.2009 (Anleitungsansicht 2009); chinesisch-deutsch in: ZChinR 2009, 296 ff. In der Lehre werden allerdings unterschiedliche Theorien über den Charakter des Vertragsverletzungsgeldes vertreten, siehe zusammenfassend Yanfei Zeng, Sonderkontrolle der Vertragsstrafe – Eine Untersuchung zu Begründungen der Kontrolle, Frankfurt am Main 2015, 21 ff. 68 Vereinbart werden kann also entweder ein Fixbetrag (also etwa RMB 10.000 Yuan) oder die Zahlung eines bestimmten Betrags pro Einheit (z. B. pro überfälligem Tag, pro nicht geliefertem Stück etc.) oder ein bestimmter Prozentsatz von einem bestimmten oder bestimmbaren Betrag. 69 Siehe hierzu unten unter III 3. 70 Bing Ling (Fn. 12), 454. 71 § 114 Abs. 3 Satz 2 Vertragsgesetz: „Wenn die Parteien ein Vertragsverletzungsgeld für verzögerte Erfüllung vereinbart haben, muss die Seite, welche den Vertrag verletzt hat, auch nach Bezahlung des Vertragsverletzungsgelds noch die Schuld erfüllen.“. Bei Dauerschuldverhältnissen kann der Erfüllungsanspruch nach der Rechtsprechung auch nach Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes geltend gemacht werden; siehe Bing Ling (Fn. 12), 454 (mit Verweis auf Rspr.). Nach § 31 Wirtschaftsvertragsgesetz bestand der Erfüllungsanspruch nach Zahlung des Vertragsverletzungsgeld (mit Strafcharakter) weiter. 72 § 115 Vertragsgesetz: „Die Parteien können gemäß dem ‚Gesetz der VR China über Sicherheiten‘ vereinbaren, dass eine Seite der anderen ein Festgeld als Sicherheit für die Forderung zahlt; nachdem der Schuldner die Schuld erfüllt hat, muss das Festgeld auf den Preis angerech-
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Abs. 3 Schweizer Obligationenrecht. Haben die Parteien sowohl Festgeld als auch ein Vertragsverletzungsgeld vereinbart, kann die geschädigte Partei wählen, ob das Vertragsverletzungsgeld oder das Festgeld fordert.73 Besondere Regelungen für Verbraucherverträge oder Verträge zwischen Unternehmern existieren nicht. 2. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Vertragsstrafe Die Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes setzt nur eine Pflichtverletzung voraus.74 Ein Verschulden ist (wie bei der Haftung für Vertragsverletzung im chinesischen Vertragsgesetz allgemein) nicht erforderlich.75 Auch ein Schadenseintritt wird nicht für erforderlich gehalten76; die Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes unterliegt aber freilich einem Kontrollmechanismus, so dass kein Anspruch besteht, wenn das Vertragsverletzungsgeld den tatsächlichen Schaden sehr übersteigt. Dem Vertragsverletzungsgeldes nach § 114 Vertragsgesetz kommt daher eine Bedeutung nur als Beweislastregelung zu77, da es hier (im Gegensatz zum Schadenersatzanspruch, wo der Schaden vom Gläubiger zu beweisen ist) zunächst dem Schuldner bzw. Beklagten obliegt, die Überhöhung des Vertragsverletzungsgeld zu beweisen.78 Die Auflösung (解除) des Vertrages, in dem das Vertragsverletzungsgeld vereinbart worden ist, hindert die vertragstreue Partei nicht daran, von der anderen Partei die Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes zu verlangen.79 net oder zurückerhalten werden. Wenn der, der das Festgeld gezahlt hat, die vereinbarte Schuld nicht erfüllt, ist er nicht berechtigt, das Festgeld zurückzuerhalten; wenn der, der das Festgeld erhalten hat, die vereinbarte Schuld nicht erfüllt, muss er das Doppelte des Festgelds erstatten.“ Regelungen hierzu fanden sich vor Inkrafttreten des Vertragsgesetzes bereits in § 14 Wirtschaftsvertragsgesetz und in § 89 Nr. 3 AGZR. 73 § 116 Vertragsgesetz: „Wenn die Parteien sowohl Festgeld als auch Vertragsstrafe vereinbart haben, und eine Seite den Vertrag verletzt, kann die andere wählen, ob sie die Vertragsverletzungsgeldklausel oder die Festgeldklausel anwendet.“ 74 Liang Huixing, Studium des Zivilrechts durch Lektüre der Normen [读条文学民法], 2014, S. 201. Welche Pflichtverletzung zu einem Anspruch auf Zahlung des Vertragsverletzungsgeldes führt, bleibt der Vereinbarung der Parteien überlassen. Siehe Han Shiyuan (Fn. 11), 656; Bing Ling (Fn. 12), 451. Die §§ 24, 44 OVG-Erläuterungen Kaufverträge enthält besondere Regelungen zur Zahlung eines Vertragsverletzungsgeldes durch den Käufer wegen Verzugs bei der Kaufpreiszahlung. 75 Yuanshi Bu (Fn. 45), 121. Differenzierend Han Shiyuan (Fn. 11), 659 (Han verlangt etwa für ein Vertragsverletzungsgeld mit Strafcharakter, dass ein Verschulden vorliegt). 76 Yuanshi Bu (Fn. 45), 121; Bing Ling (Fn. 12), 451; vgl. aber Han Shiyuan (Fn. 11), 660 (nach Han ist zwar erforderlich, dass ein Schaden überhaupt eingetreten ist; unerheblich sei dann aber die Höhe des Schadens). 77 So auch schon zum Außenwirtschaftsvertragsgesetz Joachim Glatter, Rechtsgrundlagen für Handel und wirtschaftliche Kooperation in der Volksrepublik China, 1989, 142. 78 Siehe hierzu sogleich unten unter III 3. 79 Siehe für Verträge allgemein Ziffer 8 Satz 3 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67). Für Kaufverträge siehe außerdem § 26 OVG-Erläuterungen Kaufverträge.
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3. Die Kontrolle der Vertragsstrafe und der Schutz des Schuldners Vereinbarungen über die Zahlung eines Vertragsverletzungsgeldes unterliegen dem Kontrollmechanismus des § 114 Abs. 2 Satz 1 Vertragsgesetz.80 Demnach kann eine Partei, vom Volksgericht oder Schiedsgericht eine Erhöhung verlangen, wenn das vereinbarte Vertragsverletzungsgeld niedriger als der verursachte Schaden ist.81 Die Erhöhung darf nicht dazu führen, dass das Vertragsverletzungsgeld den tatsächlichen Schaden übersteigt.82 Umgekehrt kann eine Partei gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. Vertragsgesetz auch verlangen, dass das Volksgericht oder Schiedsgericht das Vertragsverletzungsgeld angemessen verringert, wenn die vereinbarte Vertragsverletzungsgeld „allzu viel höher“ (过分高) als der verursachte Schaden ist. Anzupassen sind nach dem OVG auch Klauseln, in denen ein Vertragsverletzungsgeld mit extremem Strafcharakter (极具惩罚性的违约金条款) vereinbart worden ist.83 Ob ein vereinbartes Vertragsverletzungsgeld zu hoch ist, muss auf Grundlage des tatsächlichen Schadens gemäß den Prinzipen der Gerechtigkeit (公平原则) und von Treu und Glauben (诚实信用原则) unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien in einer Gesamtschau festgestellt werden84: – die Umstände der Vertragserfüllung, – der Grad des Verschuldens der Parteien und – die erwarteten Vorteile. Als weitere Kriterien sind – die Verhandlungsposition der Parteien bei Vertragsschluss und – die Verwendung von Musterverträgen oder Formularklauseln (格式合同或条款) zu berücksichtigen.85 Soweit das vereinbarte Vertragsverletzungsgeld den tatsächlichen Schaden um mehr als 30 % übersteigt, ist es grundsätzlich zu verringern.86 Laut OVG ist diese Grenze jedoch nicht mechanisch von den Volksgerichten anzuwenden, sondern auf den konkreten Einzelfall nach den genannten Prinzipien und Kriterien abzustellen.87 Dies dürfte den Untergerichten einen gewissen Spielraum geben, auch bei Überschreiten der 30 %-Grenze andere als Vermögensinteressen der vertragstreuen Partei zu berücksichtigen. 80 Darüber hinaus ergeben sich keine Besonderheiten und Einschränkungen in bestimmten Anwendungsgebieten. 81 § 114 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. Vertragsgesetz. 82 § 28 OVG-Erläuterungen zum Vertragsgesetz II. Eine über den tatsächlichen Schaden hinausgehende Klage wird vom Volksgericht abgewiesen. 83 Ziffer 5 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67). 84 § 29 Abs. 1 OVG-Erläuterungen zum Vertragsgesetz II. 85 Ziffer 7 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67). 86 § 29 Abs. 2 OVG-Erläuterungen zum Vertragsgesetz II. 87 Ziffer 7 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67).
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Im Hinblick auf die Beweislast gilt, dass die vertragsbrüchige Partei die Überhöhung des vereinbarten Vertragsverletzungsgeldes beweisen muss; die vertragstreue Partei hat dann dessen Angemessenheit zu beweisen.88 4. Prozessuale Fragen Eine Herabsetzung oder Erhöhung des vereinbarten Vertragsverletzungsgeldes durch ein Gericht ist nicht von Amts wegen zulässig. Sie kann nur als Einrede oder im Wege der Widerklage geltend gemacht werden.89 Allerdings hat das Gericht (erster und zweiter Instanz) die Pflicht, die vertragsbrüchige Partei auf die Geltendmachung einer Anpassung hinzuweisen, wenn diese nur behauptet, dass der Vertrag nicht errichtet oder unwirksam sei oder eine Vertragsverletzung nicht vorliege.90
IV. Fazit Die Aufrechnung und die Vertragsstrafe sind im Recht der Volksrepublik China erst seit 1999 allgemein normiert.91 Die Vertragsstrafe hat als „Vertragsverletzungsgeld“ seine Wurzeln allerdings in früheren Rechtssetzungsakten, die (wie im ehemals sozialistischen Rechtskreis üblich) streng danach unterschieden, ob ein ausländischer Partner an den Vertragsbeziehungen beteiligt war oder nicht.92 Der chinesische Gesetzgeber hat ausweislich der veröffentlichten Gesetzgebungsmaterialien beim Entwurf des Vertragsgesetzes entsprechende Regelungen zur Aufrechnung und Vertragsstrafe im deutschen, italienischen, japanischen und taiwanesischen Recht zu Rate gezogen.93 Der französische Code Civil (dort die Art. 1290 bis 1299) wurde nur im Hinblick auf die Aufrechnung berücksichtigt, während sich in den Gesetzgebungsmaterialien keine Hinweise auf einen Rückgriff auf die französischen Regelungen zur Vertragsstrafe fin88
Ziffer 8 Satz 2 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67). § 27 OVG-Erläuterungen zum Vertragsgesetz II. 90 Siehe für Verträge allgemein Ziffer 8 Satz 1 Anleitungsansicht 2009 (Fn. 67). Für Kaufverträge siehe außerdem § 27 OVG-Erläuterungen Kaufverträge (dort – in Abs. 2 – auch die Klarstellung, dass die Hinweispflicht auch für das Gericht zweiter Instanz gilt). 91 Siehe oben unter I. 92 Siehe oben unter III 1. 93 Siehe Yao Hong (Hg.) [姚红 主编], Gegenüberstellung der Vorschriften des „Vertragsgesetzes der Volksrepublik China“ und der betreffenden Vertragsvorschriften im In- und Ausland [《中华人民共和国合同》法与国内外有关合同规定条文对照], 1999, 81 ff. (Aufrechnung), 97 ff. (Vertragsverletzungsgeld). Die Herausgeberin des Buches, Yao Hong, war als Leiterin des Zivilrechtsbüros des Rechtsordnungsarbeitsausschusses des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses maßgeblich an den Entwurfsarbeiten beteiligt. 89
Materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung in der Volksrepublik China
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den.94 Allerdings sieht die chinesischen Literatur teilweise Art. 1152 Abs. 2 Code Civil (in der Fassung von 1985) als Vorbild für die gerichtliche Anpassung der Vertragsstrafe nach § 114 Abs. 2 Vertragsgesetz.95 Außerdem hatte der chinesische Gesetzgeber Kenntnis von der damals bereits vorliegenden einheitsrechtlichen Kodifikation der Vertragsstrafe (in Art. 7.4.13 der UNIDROIT-Grund regeln für Internationale Handelsverträge 1994).96 Von welchem Vorbild er sich hierbei letztlich hat tatsächlich leiten lassen, bedürfte freilich einer eingehenderen (rechtsvergleichenden) Untersuchung. Für die Aufrechnung im chinesischen Recht ist festzustellen, dass die Regelungen zumindest teilweise nicht ausreichend detailliert sind und Lücken aufweisen. Zwar folgen die Voraussetzungen für die Ausübung dieses Gestaltungsrechts offenbar dem international vorherrschenden Modell (Wechselseitigkeit, Fälligkeit und Gleichartigkeit der Verbindlichkeiten).97 Einige Fragen (Aufrechenbarkeit mit Fremdwährungsschulden und verjährten Verbindlichkeiten) bleiben allerdings ungelöst.98 Wann eine Aufrechnung ausgeschlossen ist, beantwortet das Vertragsgesetz nur vage, und überlässt es daher der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft die Antworten zu finden, wobei sich letztere ersichtlich am deutschen Recht zu orientieren sucht. Die Regelung, nach der die Geltendmachung von Einwänden gegen die Aufrechnung einer Frist unterliegt, verfolgt offenbar das Ziel, Rechtsunsicherheit über die Wirksamkeit der Aufrechnung und das Erlöschen der Forderungen zu vermeiden. Freilich erscheint es etwas untypisch für das chinesische Recht, eine Partei binnen drei Monaten zur Klage zu zwingen oder andernfalls mit materiellen Einwänden präkludiert zu sein.99 Im Hinblick auf die (von der Literatur angenommene) ex tunc-Wirkung der Aufrechnung ist ebenfalls eine Nähe zum deutschen Recht festzustellen.100 Lücken sind vor allem bei der Aufrechnung in Mehrpersonenverhältnissen festzustellen, die nicht zuletzt darauf zurückzuführen sind, dass ein allgemeines Schuldrecht in der Volksrepublik China derzeit nicht kodifiziert ist.101 Wegen der damit bestehenden Rechtsunsicherheit erscheint etwas überraschend, dass der chinesische Gesetzgeber insofern bei der geplanten Verabschiedung eines chinesischen Zivilgesetzbuches bis 2020 offenbar keinen Handlungsbedarf sieht.102 94
Yao Hong (Fn. 94), 82 f. Liang Huixing (Fn. 74), 203. 96 Yao Hong (Fn. 94), 100. 97 Siehe oben unter II 1. 98 Siehe oben unter II 1 a und II 1 b. 99 Siehe oben unter II 1 c. 100 Siehe oben unter II 2. 101 Siehe oben unter II 3. 102 So zumindest die Einschätzung von Yuanshi Bu, Die Kodifikation des chinesischen Zivilgesetzbuches – ausgewählte Fragen, in: Yuanshi Bu (Hg.), Die Kodifikation des Zivilgesetzbuches der VR China, 2017, 17 ff., 50. 95
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Auch prozessuale Fragen, die sich bei der Ausübung der Aufrechnung stellen, können zum Teil nur unbefriedigend gelöst werden.103 Dies betrifft die in der Praxis wichtigen Zuständigkeitsfragen (insbesondere für das Verhältnis von ordentlicher Gerichtsbarkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit). Zwar nicht im Gesetzestext selbst verankert, aber sowohl in Literatur als auch Rechtsprechung deutlich wird hingegen die Meinung zur Rechtskraft der Gegenforderung in Entscheidungen geäußert. Das Vertragsverletzungsgeld ist als Hybrid eines pauschalisierten Schadenersatzes und einer Vertragsstrafe konzipiert, dem insofern eine Kompensationsfunktion und (ergänzend) eine Straffunktion zukommt.104 Soweit es nicht zur Kompensation für eine Nichterfüllung vereinbart wird, sondern den Schuldner zur Erfüllung anhält, unterliegt es einer (gerichtlichen oder schiedsgerichtlichen) Kontrolle. Für diese Kontrolle der Höhe des Vertragsverletzungsgeldes hat das OVG nicht nur eine Reihe von abstrakten Kriterien aufgestellt, sondern den Untergerichten auch eine konkrete Grenze (30 %) gesetzt, ab der diese von einem „extremen Strafcharakter“ ausgehen können und das vereinbarte Vertragsverletzungsgeld (in der Regel) zu verringern haben.105 Freilich wird es in der Praxis der vertragsbrüchigen Partei ohne Mitwirkungspflicht des Geschädigten schwerfallen zu beweisen, wie hoch der tatsächlich verursachte Schaden ist, um eine Verringerung des vereinbarten Vertragsverletzungsgeldes geltend machen zu können. Die Gefahr, dass die Vereinbarung eines Vertragsverletzungsgeldes (etwa in allgemeinen Geschäftsbedingungen) genutzt wird, um zu einer Haftungsfreizeichnung zu gelangen, wird offenbar nicht gesehen bzw. spielt in der Praxis keine Rolle. Denn nach der gesetzlichen Regelung kann vom Gericht oder Schiedsgericht immer eine Erhöhung des Vertragsverletzungsgeldes verlangt werden, soweit dieses nur niedriger als der verursachte Schaden ist. Einen entsprechenden Beweis zu erbringen, dürfte für den Geschädigten regelmäßig nicht schwer sein.
103
Siehe oben unter II 4. Siehe oben unter III 1. 105 Siehe oben unter III 3. 104
Aufrechnung und Vertragsstrafe im polnischen Recht Piotr Tereszkiewicz I. Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliches Erscheinungsbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wechselseitige Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichartigkeit der beiderseitigen Leistungsgegenstände . . . . . . . . . . . . . c) Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen der Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ausschlussgründe für die Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzliche Ausschlussgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vertragliche Ausschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufrechnung in Mehrpersonenverhältnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zession . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesamtschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vertragliche Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzliches Bild der Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen des Anspruchs auf Zahlung der Vertragsstrafe . . . . . . . . . 4. Die Vereinbarung der Vertragsstrafe und der Schadensersatzanspruch . . . . 5. Vertragsstrafe und Schuldnerverzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vertragsstrafe und Rücktrittsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Herabsetzung der Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die beiden untersuchten Rechtsinstitute, die Aufrechnung und die Vertragsstrafe, sind im Wesentlichen im polnischen Zivilgesetzbuch v. 23 April 19641 geregelt. Was die Kernbereiche des Obligationenrechts angeht, stellt das Zivilgesetzbuch die Fortentwicklung des international hoch geschätzten und zu seiner Zeit durchaus innovativen Obligationengesetzbuches v. 27 Oktober 1933, aus der Feder Roman Longchamps de Bérier (1883 – 1941), eines eminenten Dogmatikers und Rechtsvergleichers, dar2. Das Obligationenrecht beruht auf einer kritischen 1
Einheitlicher Text im Gesetzesblatt der Republik Polen (Dziennik Ustaw) 2016, Pos. 380. Longchamps de Bérier, Zobowiązania [Obligationen], 1934; ders., Uzasadnienie projektu kodeksu zobowiązań z uwzględnieniem ostatecznego tekstu projektu [Begründung des Ent2
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und rechtsvergleichend aufgeklärten Reflexion. Die Untersuchung mehrerer Rechtsordnungen, die auf dem Staatsgebiet Polens zur Zeit der Teilungen, bis zum Jahr 1918, gegolten haben, d. h. des deutschen, des österreichischen, französischen und russischen Rechts, stellte den Ausgangspunkt für die Erarbeitung der Kodifikation dar. Das Zivilgesetzbuch v. 23 April 1964 baut auf dieser Arbeit auf.
I. Aufrechnung Nach verbreitetem Verständnis in der polnischen Rechtslehre bedeutet die Aufrechnung (pl. potrącenie) die Tilgung einer eigenen Schuld durch Preisgabe einer gleichartigen Gegenforderung3. Ihr Ergebnis ist die eine Effektivleistung ersparende, gegenseitige Ausgleichung zweier oder mehrerer sich gegenüberstehender, gleichartiger Forderungen. In der Rechtslehre werden zwei besonders wichtige Funktionen der Aufrechnung hervorgehoben. Zum einen erfüllt die Aufrechnung eine Tilgungsfunktion: Der Aufrechnende tilgt seine Verbindlichkeit gegenüber dem Aufrechnungsgegner; damit ist die Aufrechnung ein Erfüllungssurrogat4. Zum anderen kommt der Aufrechnung eine Vollstreckungsfunktion zu: Der Aufrechnende kann mithilfe der Aufrechnung seine eigene Forderung gegen den Aufrechnungsgegner durchsetzen5. Eine umfassende Regelung der Aufrechnung findet sich in den Art. 498 – 505 des polnischen Zivilgesetzbuches, im Titel VII des Allgemeinen Schuldrechts „Aufrechnung, Novation und Schulderlass“. Darüber hinaus enthält das Zivilverfahrensgesetzbuch6 die Regelung, dass eine der Voraussetzungen der Widerklage ist, dass die Forderung zur Aufrechnung geeignet ist (Art. 204 § 1 ZVGB). Ferner ist die Aufrechnung im vereinfachten Verfahren nur dann zulässig, wenn die beiden Forderungen Gegenstand des vereinfachten Verfahrens sein können (Art. 5054 § 2 ZVGB). 1. Gesetzliches Erscheinungsbild Die Aufrechnung im polnischen Recht wird als eine materiell-rechtliche Kons truktion betrachtet. Das gesetzliche Erscheinungsbild nach dem ZGB ist die wurfs des Obligationenrechtsgesetzbuches unter Berücksichtigung der endgültigen Fassung], 1934 – 1939; Zu Person und Werk Redzik, Kwartalnik Prawa Prywatnego [Vierteljahreszeitschrift des Privatrechts], 2006, H. 1, 5 ff. 3 Radwański / Olejniczak, Zobowiazania [Obligationen], 10. Aufl. 2012, 352; Pyziak-Szafnicka, Potrącenie w prawie cywilnym [Aufrechnung im polnischen Zivilrecht], 2002, 15. 4 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 32. 5 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 33. 6 Gesetz v. 17. November 1964 – Zivilverfahrensgesetzbuch, Einheitlicher Text im Gesetzesblatt der Republik Polen (Dziennik Ustaw) 2016, Pos. 1822.
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Aufrechnung per materiell-rechtlicher (außerprozessualer) Gestaltungserklärung. Nach Art. 499 ZGB vollzieht sich die Aufrechnung durch eine an den Aufrechnungsgegner gerichtete Erklärung. Damit stellt die Aufrechnung ein schuldrechtliches Verfügungsgeschäft dar7. Die Aufrechnung führt zum unmittelbaren Erlöschen der beiderseitigen Forderungen, soweit sie sich decken. Durch die Aufrechnungserklärung wird ein Gestaltungsrecht ausgeübt, dessen Folge das Erlöschen beider Verbindlichkeiten ist8. Im Hinblick auf ihre Rechtsnatur als eine Willenserklärung ist die Aufrechnungserklärung unwiderruflich (Art. 61 § 1 ZGB). Es wird einhellig angenommen, dass die Aufrechnungserklärung nicht unter einer Bedingung (etwa der Zustimmung eines Dritten) oder Frist abgegeben werden darf9. Die Gestaltungserklärung bedarf keiner besonderen Form10. Es ist allerdings umstritten, ob eine konkludente Aufrechnungserklärung zulässig ist11. 2. Voraussetzungen der Aufrechnung a) Wechselseitige Forderungen Eine Aufrechnung ist nur dann zulässig, wenn zwei Personen gegenseitig gleichzeitig Schuldner und Gläubiger sind (Art. 498 § 1 ZGB; Verbot der Aufrechnung ex iure tertii). Die Forderungen zwischen den Parteien müssen nicht unbedingt aus demselben oder einem „verbundenen“ Rechtsverhältnis stammen. Nach polnischem Recht gilt das Erfordernis einer Verbindung beider Forderungen etwa im Sinne der connexité des französischen Rechts nicht12. Daraus folgt unter anderem, dass eine Forderung, die einem der Ehegatten gegen einen Dritten zusteht, nicht gegen die Forderungen des Dritten gegen den anderen Ehegatten aufgerechnet werden kann13. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind im Hinblick auf eine besondere Lage des Drittschuldners gerechtfertigt: So darf der Bürge wegen der Akzessorietät seiner Haftungsverbindlichkeit gegenüber der Hauptverbindlichkeit die dem Hauptschuldner zustehende Einrede der Aufrechnung erheben (Art. 883 § 1 ZGB).
7
Radwański/ Olejniczak (Fn. 3), 355. Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 355; zurückhaltend Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 201, nach der die Bezeichnung „Gestaltungsrecht“ im Hinblick auf die Aufrechnungserklärung eine gedankliche Vereinfachung darstellt. 9 Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 355; Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 212. 10 Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 355. 11 Dagegen Stępniak, Potrącenie w systemie polskiego prawa cywilnego [Aufrechnung im System des polnischen Zivilrechts], 1975, 126: ausschließlich eine ausdrückliche Aufrechnungserklärung; dafür Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 217. 12 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 59: keine Verbindung zwischen beiden Forderungen. 13 S. SN v. 9.8.2005, Az. IV CK 79 / 05, OSNC 2006, H. 6, Pos. 108. 8
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b) Gleichartigkeit der beiderseitigen Leistungsgegenstände Zur Aufrechnung geeignet sind nach polnischem Recht Forderungen, deren Gegenstand Geld oder nur der Gattung nach bestimmte Sachen gleicher Güte sind (Art. 498 § 1 ZGB). In der Praxis bereitet diese Voraussetzung kaum Auslegungsschwierigkeiten14. Eventuelle Zweifel können sich im Hinblick auf Fremdwährungsverbindlichkeiten ergeben. Es war lange Zeit umstritten, ob Verbindlichkeiten in unterschiedlichen Währungen zur Aufrechnung geeignet sind. In letzter Zeit wird zunehmend vertreten, dass die Aufrechnung jedenfalls dann zulässig sein soll, wenn der Aufrechnende seine Verbindlichkeit in der Währung des ihm zustehenden Anspruchs nach den allgemeinen Regeln erfüllen darf. Diese Auffassung findet eine direkte Grundlage in Art. 358 § 1 KC, wonach eine in ausländischer Währung bestehende Geldschuld auf dem Gebiet der Republik Polen auch in polnischer Währung erfüllt werden darf, es sei denn, dass ein Gesetz, eine Gerichtsentscheidung oder ein Rechtsgeschäft eine Pflicht zur Leistung ausschließlich in der ausländischen Währung auferlegt. Im Hinblick auf diese Bestimmung wird mittlerweile einhellig vertreten, dass die Aufrechnung bei Verbindlichkeiten in unterschiedlichen Währungen zulässig ist15. Nach Art. 358 § 2 ZGB wird der Umrechnungskurs nach einem Durchschnittskurs der polnischen Notenbank bestimmt. Unterschiedliche Leistungsorte beider Verbindlichkeiten hindern die Aufrechnung nicht. Nach Art. 500 ZGB ist die aufrechnende Partei dazu verpflichtet, dem Aufrechnungsgegner den durch die Aufrechnung entstehenden Schaden zu ersetzen. c) Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Forderungen Nach dem Wortlaut von Art. 498 § 1 ZGB müssen beide Forderungen, die Aktivund die Passivforderung, fällig sein und vor Gericht oder einem anderen Staatsorgan geltend gemacht werden können. Die herrschende Ansicht differenziert zwischen der Aktiv- und Passivforderung im Hinblick auf den genauen Inhalt dieser Voraussetzungen. Die Aktivforderung muss einredefrei und fällig sein, da ihrer Durchsetzung keine rechtlichen Hindernisse im Wege stehen dürfen16. Die Passivforderung gegen den Aufrechnenden muss dagegen lediglich erfüllbar sein. Es steht dem Schuldner frei, noch nicht fällige bzw. einredebehaftete Forderungen zu erfüllen. Ferner wird das Erfordernis der Fälligkeit nach dem ZGB durchbrochen. Nach Art. 501 ZGB schließt eine durch ein Gericht oder unent14 Janiak, in: Kidyba (Hg.), Kodeks cywilny. Komentarz [Zivilgesetzbuch. Kommentar], Bd. III, Zobowiązania – część ogólna [Obligationen – Allgemeiner Teil], 2014, Art. 498 Rn. 21. 15 Janiak (Fn. 14), Art. 498 Rn. 23; ders., Anmerkung zu SN v. 23.2.2001, Az. II CKN 403 / 00, OSP 2002, H. 7 – 8, Pos. 104. 16 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 55.
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geltlich durch den Gläubiger bewilligte Stundung einer Verbindlichkeit die Aufrechnung nicht aus (Art. 501 ZGB). Nach der Lehre kommt hier ein allgemeines Prinzip des ZGB zum Ausdruck, wonach die infolge unentgeltlicher Rechtsgeschäfte entstandenen Rechtspositionen einem niedrigeren Schutzniveau unterliegen als der entgeltliche Rechtserwerb17. Die Voraussetzung der Durchsetzbarkeit unterliegt einer Einschränkung nach Art. 502 ZGB, wonach gegen verjährte Forderungen aufgerechnet werden darf, wenn die Voraussetzungen der Aufrechnung vor dem Eintritt der Verjährung vorlagen. Daraus ergibt sich eine wichtige Rechtsfolge: Gab es einen Zeitpunkt, zu dem beide Forderungen bereits entstanden waren und die Aktivforderung nicht verjährt war, so darf auch nach Ablauf der Verjährungsfrist aufgerechnet werden. Kraft Art. 502 ZGB wird die Aufrechnungslage „perpetuiert“18. Das polnische Recht setzt keine Voraussetzungen im Hinblick auf die Liquidität der sich zur Aufrechnung gegenüberstehenden Forderungen. Vor diesem Hintergrund ist allerdings auf die verfahrensrechtliche Bestimmung des Art. 317 ZVGB hinzuweisen, wonach ein Teilurteil über die Haupt- oder Gegenforderung zulässig ist, auch wenn nicht alle Forderungen oder eine Forderung nicht insgesamt entscheidungsreif sind19. 3. Folgen der Aufrechnung Das ZGB regelt ausführlich die Folgen der Aufrechnungserklärung: Sie wirkt ex tunc auf den Zeitpunkt zurück, an dem die Aufrechnung möglich geworden ist (Art. 499 ZGB). Dies entspricht den durchschnittlichen Erwartungen im Rechtsverkehr betreffend die Folgen und den Nutzen der Aufrechnung20. Infolge der Aufrechnung erlöschen die zwei Forderungen bis zur Höhe der niedrigeren Forderung (Art. 498 § 2 ZGB). Stehen einer oder beiden Parteien mehrere zur Aufrechnung geeignete Forderungen zu, finden die Vorschriften über die Anrechnung der Zahlung entsprechende Anwendung (Art. 503 ZGB). Diese erlauben grundsätzlichen dem Schuldner zu bestimmen, welche Forderung getilgt werden soll. Wird die Bestimmung nicht getroffen, wird die Zahlung als Tilgung der fälligen Forderung bzw. der Forderung, die am längsten fällig ist, betrachtet (vgl. Art. 451 ZGB). Die Rückwirkung der Aufrechnung hat zur Folge, dass bereits eingetretene Folgen von Nicht- oder Schlechterfüllung der Verbindlichkeiten (Art. 471 ff. 17
Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 354. Stępniak (Fn. 11), 76. 19 Es fehlt allerdings an einer etablierten Rechtsprechung betreffend die Anwendung dieser Bestimmung auf die Aufrechnung, s. Gudowski, in: Ereciński (Hg.), Kodeks postępowania cywilnego. Komentarz [Zivilverfahrensgesetzbuch. Kommentar], Bd. II, Postępowanie rozpoznawcze [Erkenntnisverfahren], 2016, Art. 317 Rn. 8. 20 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 223. 18
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ZGB) durch die Parteien grundsätzlich entfallen21. Es handelt sich vor allem um Ansprüche wegen Verzögerung der Leistung bzw. Verzugs (Art. 481, Art. 491 ff. KC). Ferner entfallen auch angefallene Vertragsstrafen. 4. Ausschlussgründe für die Aufrechnung a) Gesetzliche Ausschlussgründe Nach herrschender Meinung sind die ZGB-Bestimmungen über Aufrechnung im Grundsatz auf alle Arten von Forderungen anwendbar. Dies gilt für sowohl zivilrechtliche als auch öffentlich-rechtliche Forderungen vorbehaltlich spezialgesetzlicher Ausschlüsse22. Das gesetzliche Regelungsmodell des ZGB bestimmt die Ausschlussgründe für die Aufrechnung im Wege der Aufzählung derjenigen Forderungen, gegen die eine Aufrechnung unzulässig ist (Passivforderungen). Damit wird der Passivgläubiger geschützt. Nach Art. 505 ZGB dürfen vier Kategorien von Forderungen nicht im Wege der Aufrechnung zum Erlöschen gebracht werden: a) Unpfändbare Forderungen (Art. 505 Nr. 1 ZGB). Dieser Ausschluss rechtfertigt sich daraus, dass die Aufrechnung ein Vollstreckungssurrogat darstellt23. b) Unterhaltsforderungen (Art. 505 Nr. 2 ZGB). Diese umfassen vor allem Alimentationsforderungen und gesetzliche sowie vertragliche Renten24. c) Forderungen aus unerlaubten Handlungen (Art. 505 Nr. 3 ZGB). Dieser Ausschluss ist formell zu begreifen und umfasst sämtliche Forderungen aus unerlaubten Handlungen, darunter auch aus fährlässig begangenen Delikten oder aus deliktischer Haftung aus Billigkeitsgründen25. Die Breite des Ausschlusses wird als undifferenziert kritisiert26. d) Forderungen, gegen die kraft besonderer Vorschriften nicht aufgerechnet werden darf (Art. 505 Nr. 4 ZGB). Beispiele hierfür sind Art. 14 § 4 HGGB27 oder Art. 87 ff. des Arbeitsgesetzbuches28. In der Lehre umstritten ist, ob eine Bank 21
Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 224 f. Seit langem h. M., bereits Ohanowicz, Zobowiązania. Zarys według kodeksu cywilnego [Obligationen. Grundriss nach dem Zivilgesetzbuch], 1965, 223; Czachórski, Prawo zobowiązań w zarysie [Grundriss des Obligationenrechts], 1968, 374; zuletzt Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 53. 23 Diese Forderungsarten sind aufgeführt in Artt. 831 ff. ZBVG; Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 356. 24 Dieser Ausschluss ist funktionell zu verstehen und umfasst mehrere Arten von Ansprüchen, die der Existenzsicherung des Gläubigers dienen, i. E. Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 150. 25 Janiak (Fn. 14), Art. 505 Rn 7. 26 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 153. 27 Danach dürfen die Gesellschafter von Kapitalgesellschaften ihre Forderungen gegen die Gesellschaft gegen die Forderungen der Gesellschaft auf Einzahlung von Anteilen oder Aktien nicht aufrechnen. 28 Danach dürfen gegen die Forderung auf Arbeitslohn nur gesetzlich aufgezählte Kategorien von Forderungen aufgerechnet werden; zu einzelnen Bestimmungen Janiak (Fn. 14), Art. 505 Rn. 11 f. 22
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ihre Forderung gegen die Forderung eines Kunden auf Grundlage des Girokontovertrages aufrechnen darf.29 Nach aktuellem Stand der Rechtsprechung und Lehre ist es weitgehend offen, in wie weit die Kontrolle der Zulässigkeit der Aufrechnung über die ausdrücklichen Bestimmungen des ZGB hinausgeht. Die These, dass die Aufrechnungserklärung im Einzelfall eine missbräuchliche Ausübung des subjektiven Rechts nach Art. 5 ZGB darstellt, wird für vertretbar gehalten30. Allerdings bietet der aktuelle Rechtsprechungsstand in dieser Hinsicht keine Vorgaben, nach welchen Maßstäben die Missbräuchlichkeit zu beurteilen ist. Weitere allgemeine Ausschlussgründe für die Aufrechnung rechtfertigen sich aus dem Schutz Dritter. Nach Art. 504 ZGB schließt die Pfändung einer Forderung durch einen Dritten ihre Tilgung durch Aufrechnung nur dann aus, wenn der Schuldner erst nach Vornahme der Pfändung Gläubiger seines Gläubigers geworden ist, oder wenn seine Forderung nach diesem Zeitpunkt, aber erst später als die gepfändete Forderung fällig geworden ist31. b) Vertragliche Ausschlüsse Darüber hinaus können die Parteien selbst vertraglich bestimmten, dass Forderungen aus einem bestimmten Schuldverhältnis nicht Gegenstand der Aufrechnung sein können32. Es wird aber vertreten, dass der vertragliche Ausschluss einer Aufrechnung ausdrücklich erfolgen soll, da der aktuelle Entwicklungsstand der Vertragspraxis noch keinen ausreichenden Katalog typischer Vertragsklauseln hierzu kennt33. Vertragliche Abreden zum Ausschluss der Aufrechnung unterliegen – nach den allgemeinen Regeln – der Kontrolle im Lichte der Grundsätze des gesellschaftlichen Zusammenlebens (Art. 58 § 1 und Art. 3531 ZGB). 5. Aufrechnung in Mehrpersonenverhältnissen In Mehrpersonenverhältnissen ist vor allem die Behandlung der Aufrechnungsbefugnis in den Fällen der Forderungsabtretung und der gesamtschuldnerischen Haftung zu betrachten.
29
Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 183 ff. Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 144 f.; Janiak (Fn. 14), Art. 505 Rn. 16. 31 Näher dazu Bąk, Potrącenie z zajętego rachunku bankowego [Aufrechnung gegen die gepfändete Bankrechnung], Prawo bankowe 2004, H. 1, 46 ff. 32 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 164. 33 So noch 2002 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 166, die den Unterschied zur ausgereiften deutschen Vertragspraxis betonte. Es ist fraglich, ob diese Auffassung heute noch empirisch zutrifft. 30
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a) Zession Nach polnischem ZGB bedarf die Abtretung einer Forderung nicht der Einwilligung des Schuldners (Art. 509 ZGB). Die Frage, ob der Schuldner mit einer Gegenforderung gegenüber dem Zedenten nach der Abtretung aufrechnen darf, erfährt eine besondere Regelung in Art. 513 § 2 ZGB. Aus dieser Norm ergeben sich fünf Fälle, in denen der Schuldner aufrechnen kann: – wenn seine Forderung gegenüber dem Zedenten zum Zeitpunkt der Abtretung zur Aufrechnung geeignet war; – wenn seine Forderung vor der Abtretung erworben, aber erst danach, jedoch noch vor der Anzeige der Abtretung, fällig wurde; – wenn seine Forderung vor der Abtretung erworben wurde, aber erst nach der Anzeige der Abtretung, jedoch früher als die abgetretene Forderung, fällig wurde; – wenn seine Forderung nach der Abtretung erworben wurde, aber vor der Anzeige der Abtretung und bis zu diesem Zeitpunkt fällig wurde; – wenn seine Forderung nach der Abtretung, aber vor der Anzeige der Abtretung erworben wurde, und die Forderung erst nach der Anzeige der Abtretung fällig wurde, jedoch früher als die Gegenforderung34. Das Recht des Schuldners, mit einer Gegenforderung aufzurechnen, steht ihm so lange zu, wie die sonstigen Voraussetzungen der Aufrechnung erfüllt sind. Die Vorschrift des Art. 513 § 2 ZGB sieht hierzu keine Einschränkungen vor. Die Rechtslage nach dem ZGB erscheint im Hinblick auf das Niveau des Schuldnerschutzes sachgemäß35. b) Gesamtschuld Nach polnischem ZGB dürfen die Gesamtschuldner, neben den ihnen persönlich zustehenden Einwendungen, auch solche Einwendungen erheben, die mit Rücksicht auf die Art und Weise der Entstehung oder auf den Inhalt des Schuldverhältnisses allen Schuldnern gemeinschaftlich zustehen (Art. 375 § 1 ZGB). Die Aufrechnung wird in dieser Norm nicht explizit genannt. Allerdings wird die Einrede der Aufrechnung einhellig als eine persönliche Einrede betrachtet, die von den anderen Gesamtschuldnern gegenüber dem Gläubiger nicht erhoben werden darf36. Zu beachten ist dabei, dass der Gesamtschuldner, der das ihm zustehende Aufrechnungsrecht gegenüber dem Gläubiger nicht aus34 Zawada, Ochrona dłużnika przy przelewie wierzytelności [Schuldnerschutz bei der Forderungsübertragung], Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego, Bd. 142, 1992, 58. 35 Berek, Kwartalnik Prawa Prywatnego [Vierteljahreszeitschrift des Privatrechts], 2010, H. 3, 816. 36 Berek, Solidarność bierna w stosunkach dłużników z wierzycielami [Gesamtschuld im Verhältnis mehrerer Schuldner zum Gläubiger], 2016, 436.
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geübt hat, nicht vor dem Regressanspruch des leistenden Gesamtschuldners geschützt wird37. Dies kann man als eine Konsequenz des Art. 371 ZGB betrachten, wonach die Handlungen und Unterlassungen eines Gesamtschuldners den übrigen Gesamtschuldnern nicht zum Nachteil gereichen. Offen dagegen ist die Frage, ob ein Gesamtschuldner, dem die Aufrechnungseinrede gegenüber dem Gläubiger zusteht, diese Einrede gegenüber einem anderen Gesamtschuldner erheben darf, der den Gläubiger befriedigt hat. Es wurde vorgeschlagen, auf das Innenverhältnis zwischen den Gesamtschuldnern i. S. d. Art. 376 § 1 ZGB abzustellen, insbesondere im Hinblick auf die vertraglichen Schuldverhältnisse mit dem gemeinsamen Gläubiger38. Das Vorliegen der Aufrechnungslage zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit dem Gläubiger könnte auf einen entsprechenden Parteiwillen hindeuten. 6. Vertragliche Aufrechnung Die zweite wichtige Erscheinungsform der Aufrechnung ist die vertragliche Aufrechnung. Nach dem Leitbild des ZGB bleibt die vertragliche Aufrechnung ungeregelt. Ihre Zulässigkeit wird mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (Art. 3531 ZGB) begründet.39 Es handelt sich dabei um einen gegenseitigen Vertrag, kraft dessen die beiden Parteien über ihre Forderungen verfügen, indem sie mit ihrem Erlöschen einverstanden sind40. Im Hinblick auf ihren vertraglichen Rechtscharakter erfüllt sie vor allem die Tilgungsfunktion. Die Parteien haben es in der Hand, die Erfordernisse der Gleichartigkeit der Leistungsgegenstände sowie der Fälligkeit und Durchsetzbarkeit der Forderungen auszuschließen41. Nach herrschender Ansicht sind Aufrechnungsausschlüsse nach Art. 505 ZGB auf die vertragliche Aufrechnung nicht anwendbar42. Die Wirkung der vertraglichen Aufrechnung, sei es ex tunc oder ex nunc, wird von den Parteien selbst bestimmt.
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Berek (Fn. 36), 439. Tereszkiewicz, Kwartalnik Prawa Prywatnego [Vierteljahrszeitschrift des Privatrechts], 2014, H. 3, 601 f. 39 Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 357. 40 Ohanowicz (Fn. 22), 219; Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 343. 41 Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 346 f. 42 Bereits SN v. 21.12.1967, I CR 481 / 67, OSNC 1968, H. 11, Poz. 186; ähnlich Stępniak (Fn. 11), 82; einschränkend Pyziak-Szafnicka (Fn. 3), 349. 38
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II. Vertragsstrafe 1. Einführung Die Vertragsstrafe (kara umowna) gehört nach der polnischen Lehre zu den sog. zusätzlichen Vertragsvereinbarungen. Diese Kategorie umfasst auch das vertragliche Rücktrittsrecht (Art. 395 ZGB), das Reugeld und das Draufgeld43. Die genannten Vereinbarungen beeinflussen in unterschiedlichem Ausmaß die vertragliche Bindung zwischen den Parteien und damit auch die Erfüllung und Nichterfüllung von Verbindlichkeiten. Da die Vertragsstrafe im Folgenden ausführlich dargestellt wird, folgt zuerst ein kurzer Überblick über die sonstigen Institute. Die gesetzliche Regelung des vertraglichen Rücktrittsrechts nach Art. 395 ZGB ist knapp. Nach Art. 395 § 1 ZGB kann vereinbart werden, dass eine Partei oder beide Parteien innerhalb einer bestimmten Frist vom Vertrag zurücktreten kann bzw. können. Wird dieses Recht ausgeübt, gilt der Vertrag als nicht geschlossen (vgl. Art. 395 § 2 ZGB)44. Draufgeld (zadatek) bedeutet nach polnischem Recht eine Geldsumme oder eine Sache, die beim Vertragsschluss hingegeben wird45. Die Rechtsfolgen des Draufgelds sind in der Auslegungsregel des Art. 394 § 1 ZGB bestimmt: In Ermangelung einer abweichenden Vereinbarung oder abweichender Gebräuche bedeutet ein beim Vertragsschluss hingegebenes Draufgeld, dass im Falle der Nichterfüllung des Vertrags durch eine Partei die andere Partei ohne Setzung einer Nachfrist vom Vertrag zurücktreten, das Draufgeld behalten und, wenn sie das Draufgeld selbst hingegeben hat, die Zahlung eines doppelt so hohen Betrags verlangen kann. In der Lehre ist es umstritten, ob das Draufgeld den allgemeinen Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 471 ZGB ausschließt, und zwar in dem Ausmaß, in dem der Schaden nicht durch das Draufgeld (bzw. seine Doppelhöhe) ersetzt wird46. Einerseits kann man festhalten, dass die Bestimmungen über das Draufgeld die Frage der Nichterfüllung der Verbindlichkeit zwischen den Vertragsparteien abschließend regeln47. Andererseits fehlt es – im Gegensatz zur Regelung der Vertragsstrafe nach dem ZGB – an einer ausdrück43
Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 339. Das Rücktrittsrecht wirkt damit ex tunc, Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 343. 45 Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 340. 46 Gegen die Kumulation der Ansprüche Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 341 f.; Olejniczak, in: Łętowska (Hg.), System prawa prywatnego [System des Privatrechts], Bd. 5, 2006, 926 f. m. w. N.; für die Kumulation der Ansprüche Zoll, in: Olejniczak (Hg.), System prawa prywatnego [System des Privatrechts], Bd. 6, Supplement, 2010, 166; SN v. 25.6.2009, III CZP 39 / 09, OSNC 2010, H. 2, Pos. 25. 47 Art. 394 § 3 ZGB regelt die Frage der Rückgewährung des Draufgelds im Fall der Aufhebung des Vertrags oder seiner Nichterfüllung aufgrund solcher Umstände, für die entweder keine der Parteien oder beide verantwortlich sind. 44
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lichen Regelung des Verhältnisses zwischen dem Draufgeld und dem Schadensersatzanspruch. Es steht allerdings fest, dass die Vertragsparteien die betreffende Frage nach ihrem Ermessen gestalten können48. Der Ausschluss der Schadensersatzhaftung darf sich jedoch nicht auf den vorsätzlich zugefügten Schaden erstrecken (Art. 473 § 2 ZGB). Das Institut des Reugelds (odstępne) erfährt eine knappe Regelung im Art. 396 ZGB, der lautet: „Ist vereinbart worden, dass eine Partei oder beide vom Vertrag gegen Zahlung einer bestimmten Summe zurücktreten könne (Reugeld), so ist die Rücktrittserklärung nur dann wirksam, wenn sie gleichzeitig mit der Zahlung des Reugelds erfolgt ist.“ Da das Reugeld eine besondere Art des vertraglichen Rücktrittsrechts darstellt, ist Art. 395 ZGB auf das Reugeld anwendbar49. 2. Gesetzliches Bild der Vertragsstrafe Die Bestimmungen des ZGB über die Vertragsstrafe befinden sich im Abschnitt über die „Folgen der Nichterfüllung von Schuldverhältnissen“. Die geltende Regelung der Vertragsstrafe nach dem ZGB stellt eine Fortentwicklung der im Gesetzbuch der Obligationen enthaltenen Lösungen dar. Der Referent des Obligationengesetzbuches, Roman Longchamps de Bérier, verglich im Zuge der Erarbeitung des Gesetzesentwurfs die Regelungen der Vertragsstrafe nach dem französischen Code Civil, dem österreichischen ABGB und dem deutschen BGB miteinander. Die Auffassung der Vertragsstrafe als ein Surrogat des Schadensersatzes, wie etwa nach dem Code Civil, wurde als einfacher und praxisgerechter empfunden. Dementsprechend hat man auch den Begriff einer „vertraglichen Entschädigung“ (pl. odszkodowanie umowne) ins Gesetz eingeführt (Art. 82 Obligationengesetzbuch). Damit soll auch die Absage an die Straffunktion dieses Instituts zum Ausdruck gebracht werden50. Nach herrschender Ansicht waren auf die Haftung aus Vertragsstrafe die allgemeinen Voraussetzungen der Schadensersatzhaftung anwendbar, insbesondere das Erfordernis des Verschuldens51. Das ZGB hält an dieser Auffassung der Vertragsstrafe im Wesentlichen fest. Im polnischen Recht wird die Vertragsstrafe als ein objektives Maß des vertraglichen Risikos der Nichterfüllung der Verbindlichkeit durch den Schuldner betrachtet52. Die repressive Funktion der Vertragsstrafe wird abgelehnt. Die Vertragsstrafe ersetzt im Prinzip den Schadensersatz, der im Falle der Nicht- oder Schlechterfüllung der Verbindlichkeit dem Gläubiger zusteht (dommages et intérêts compensatoires). Ferner wirkt die Vertragsstrafe als Anreiz für den Schuld48
Zoll (Fn. 46), 167. Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 342. 50 Longchamps de Bérier (Fn. 2), 112. Dies betonen auch Bagińska / Ślufińska, European Review of Private Law 2017, 255 f. 51 Longchamps de Bérier (Fn. 2), 112. 52 Jastrzębski, Kara umowna [Vertragsstrafe], 2006, 265. 49
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ner, seiner Verpflichtung nachzukommen. Damit erfüllt die Vertragsstrafe auch eine präventive Funktion53. Die herrschende Lehre findet eine Stütze in Art. 483 § 2 ZGB, wonach sich der Schuldner durch die Bezahlung der Vertragsstrafe ohne Zustimmung des Gläubigers nicht von dem Schuldverhältnis befreien kann: Solange die Erfüllung der Verbindlichkeit möglich bleibt, ist der Gläubiger berechtigt, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zwischen der Vertragsstrafe und dem Reugeld. Die gesetzliche Begriffsbestimmung der Vertragsstrafe befindet sich in Art. 483 § 1 ZGB: „Durch Vertrag kann vereinbart werden, dass der Ersatz des Schadens, der durch die Nicht- oder Schlechterfüllung einer nicht in Geld bestehenden Verbindlichkeit entstanden ist, durch Bezahlung eines bestimmten Betrages erfolgt (Vertragsstrafe).“ Das ZGB unterscheidet damit nicht, zumindest nicht formell, zwischen einem pauschalisierten Schadensersatz (im Sinne der „liquidated damages“) und einer Vertragsstrafe (im Sinne einer „penalty clause“)54. Die Bestimmung des Art. 483 § 1 ZGB knüpft die Vertragsstrafe an die Nichtoder Schlechterfüllung einer nicht in Geld bestehenden Verbindlichkeit. Nach richtiger Auslegung konturiert Art. 483 § 1 ZGB lediglich den gesetzlichen Begriff einer Vertragsstrafe im Sinne des ZGB. Diese Bestimmung verbietet dagegen nicht die Vereinbarung einer Geldsumme für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung einer in Geld bestehenden Verbindlichkeit55. Eine solche Vereinbarung soll als eine Bestimmung der Verzugszinsen ausgelegt werden56. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll eine „nicht in Geld bestehende Verbindlichkeit“ weit verstanden werden und sämtliche materiellen und immate riellen Interessen umfassen, z. B. ein Wettbewerbsverbot57. 3. Voraussetzungen des Anspruchs auf Zahlung der Vertragsstrafe Die Haftung bei Vereinbarung einer Vertragsstrafe setzt grundsätzlich die allgemeinen Voraussetzungen der Schadensersatzhaftung nach der Generalklausel des Art. 471 ZGB voraus58. Das Verschulden des Schuldners wird vermutet; es obliegt dem Gläubiger die übrigen Haftungsvoraussetzungen nachzuweisen. 53
Drapała, in: Łętowska (Hg.), System prawa prywatnego [System des Privatrechts], 2. Aufl. 2012, 1136 ff. 54 So auch Bagińska / Ślufińska, ERPL 2017, 255, 256. 55 Anders Jastrzębski, Anmerkung zu SN v. 13.7.2005, Glosa 2006, H. 3, 60. 56 Nach Zoll (Fn. 46), 160, handelt es sich um ein Ergebnis der Auslegung nach dem falsa demonstratio-Grundsatz. Drapała, Państwo i Prawo [Recht und Staat], 2003, H. 6, 58, leitet das gleiche Ergebnis aus einer Umdeutung einer nichtigen Vereinbarung in eine wirksame Zinsbestimmung ab. 57 SN v. 6.11.2003, III CZP 61 / 03, OSNC 2004, H. 5, Pos. 69. 58 Jastrzębski (Fn. 52), 181 f.; Zoll (Fn. 46), 163; SN v. 9.5.2012, V CSK 196 / 11, Datenbank LEX Nr. 1232628.
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Umstritten ist nur das Erfordernis des Schadens (s. u.). Dies ermöglicht dem Schuldner, sich von der Haftung zu befreien, wenn die Nicht- oder Schlechterfüllung die Folge von Umständen ist, die der Schuldner nicht zu vertreten hat. Nach vorzugswürdiger Ansicht ist das Mitverschulden des Geschädigten (des Vertragspartners) beachtlich; die Höhe der Vertragsstrafe ist ggf. den Umständen des Einzelfalls entsprechend zu mindern59. Aus dogmatischer Sicht ist dies von der Herabsetzung der Vertragsstrafe nach Art. 484 § 2 ZGB zu unterscheiden, wenn auch das praktische Ergebnis in beiden Fällen gleich ist60. Umstritten ist, wie angedeutet, die Frage, ob dem Gläubiger der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe zusteht, wenn er keinen Schaden erlitten hat. Die wörtliche Auslegung des Art. 483 § 1 ZGB mag die Ansicht rechtfertigen, dass das Fehlen eines Schadens eine negative Voraussetzung der Geltendmachung einer Vertragsstrafe darstellt, wobei es dem Schuldner obliegt, dies nachzuweisen61. Dieses Auslegungsergebnis wäre auch weitgehend mit den Grundannahmen des Systems der Leistungsstörungen nach dem ZGB vereinbar62: Danach soll das Interesse des Gläubigers geschützt werden, das infolge einer Pflichtverletzung nicht befriedigt wurde. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung wird dagegen der Schaden nicht als eine Voraussetzung der Geltendmachung der Vertragsstrafe betrachtet. Nach einem höchstrichterlichen Beschluss v. 2003 ist der Gläubiger berechtigt, die Zahlung der Vertragsstrafe für den Fall der Nicht- oder Schlechterfüllung einer Verbindlichkeit zu verlangen, selbst wenn der Schuldner nachweist, dass der Gläubiger keinen Schaden erlitten hat63. Das Nichtvorliegen eines Schadens darf nur im Rahmen einer Herabsetzung der Vertragsstrafe berücksichtigt werden. Für diese Ansicht sprechen insbesondere der enge Schadensbegriff nach Art. 361 § 2 ZGB sowie die Schwierigkeiten mit der Darlegung, dass der Schaden aus der Pflichtverletzung durch den Schuldner folgt64. Die Vertragsstrafe soll demnach dazu dienen, materielle und immaterielle Nachteile des Gläubigers auszugleichen, wobei es nicht mehr notwendig ist, zu ermitteln, ob diese Nachteile als Schaden im Sinne des Art. 361 § 2 ZGB anzusehen sind65. Die Vereinba59 Für die Anwendbarkeit des Mitverschuldens des Geschädigten Borysiak, Przegląd Prawa Handlowego [Rundschau des Handelsrechts], 2008, H. 8, 37; Jastrzębski (Fn. 52), 318 ff.; Zoll (Fn. 46), 163; Drapała (Fn. 53), 1166; dagegen Granecki, Anmerkung zu SN v. 8.7.2004, OSP 2006, H. 1, Pos. 2. 60 Der dogmatische Streit, ob das Mitverschulden des Geschädigten nach der allgemeinen Regel des Art. 362 ZGB zum Mitverschulden zu subsumieren ist oder im Rahmen der gerichtlichen Herabsetzung berücksichtigt werden soll, ist aus praktischer Sicht unbeachtlich; zum Meinungsstand Jastrzębski (Fn. 52), 315 ff. 61 Drapała (Fn. 56), 59 f. 62 Treffend Zoll (Fn. 46), 160. 63 SN v. 6.11.2003, III CZP 61 / 03, OSNC 2004, H. 5, Pos. 69. 64 Näher Jastrzębski (Fn. 52), 170. 65 Jastrzębski (Fn. 52), 171.
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rung einer pauschalisierten Vertragsstrafe hat gerade den Zweck, die konkreten Folgen einer Pflichtverletzung zu kompensieren66. Mit Blick auf die herrschende Lehre und Rechtsprechung muss man feststellen, dass die Interessen des Gläubigers einer Vertragsstrafe besser geschützt werden als die des Schuldners. Folgt man der herrschenden Lehre, so gewinnt das Institut der Herabsetzung einer erheblich überhöhten Vertragsstrafe nach Art. 484 § 2 ZGB an Relevanz: Dem Gericht steht eine allgemeine Befugnis zur Kontrolle zu, in welchem Ausmaß die durch den Gläubiger erlittenen Nachteile die Höhe der Vertragsstrafe rechtfertigen. Die gerichtliche Befugnis soll als ein Mittel der Einschränkung der Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien betrachtet werden67. 4. Die Vereinbarung der Vertragsstrafe und der Schadensersatzanspruch Das alte Obligationengesetzbuch v. 1933 sah in Art. 84 § 2 vor, dass der Gläubiger einen über die Höhe der Vertragsstrafe hinausgehenden Schadensersatz nach allgemeinen Regeln nur dann verlangen durfte, wenn er auf die Vertragsstrafe verzichtete. Diese Regelung wurde im ZGB nicht übernommen. Nach Art. 484 § 1 S. 2 ZGB ist es unzulässig, einen die Höhe der vereinbarten Strafe überschreitenden Ersatz zu verlangen, es sei denn, dass die Parteien etwas anderes bestimmt haben. Daraus folgt, dass die Vertragsstrafe grundsätzlich nicht dem Schaden angerechnet wird (ausschließliche Vertragsstrafe, pl. kara umowna wyłączna)68. Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe schließt danach den Schadensersatzanspruch aus. Damit kommt die kompensatorische Funktion der Vertragsstrafe nach polnischem Recht zum Ausdruck69. Allerdings können nach Art. 484 § 1 S. 2 ZGB zumindest zwei Ausnahmen von diesem Grundsatz konstruiert werden. Erstens bleibt der Anspruch auf den aus der Nichterfüllung der Verbindlichkeit folgenden Schaden erhalten, wenn die Vertragsstrafe nur für den Fall einer besonderen Form der Pflichtverletzung vereinbart wird, z. B. für den Verzug70. Zweitens darf der Gläubiger den Schadensersatz trotz der Vereinbarung einer ausschließlichen Vertragsstrafe verlangen, wenn der Schuldner dem Gläubiger den Schaden vorsätzlich zugefügt hat71. Dies folgt aus Art. 473 § 2 ZGB, wonach der Ausschluss der Haftung für den dem Gläubiger vorsätzlich zugefügten Schaden unwirksam ist72. 66
So SN v. 7.2.1975, III CRN 406 / 74, OSNCP 1976, H. 2, Pos. 34. So auch SN v. 6.11.2003, III CZP 61 / 03, OSNC 2004, H. 5, Pos. 69. 68 So die herrschende Meinung: Jastrzębski (Fn. 52), 264; Drapała (Fn. 53), 1153; Zoll (Fn. 46), 164. 69 SN v. 9.5.2012, V CSK 196 / 11, Datenbank LEX Nr. 1232628. 70 So Jastrzębski (Fn. 52), 279. 71 Zoll (Fn. 46), 164. 72 Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe hätte die Wirkung einer in Art. 473 § 2 ZGB genannten Klausel, Jastrzębski (Fn. 52), 279. 67
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Die Vereinbarung einer kumulativen Vertragsstrafe, die dem Gläubiger losgelöst vom vollen Schadensersatzanspruch zustehen sollte, soll nach zutreffender Ansicht als unzulässig angesehen werden. Nach einer abweichenden Meinung wird die kumulative Vertragsstrafe, sofern frei ausgehandelt, als zulässig angesehen73. Nach dieser Auffassung wird die repressive Funktion der Vertragsstrafe in den Vordergrund gestellt. Diese Betrachtungsweise verdient bei näherem Hinsehen aber keine Zustimmung. Eine kumulative Vertragsstrafe lässt sich mit der kompensatorischen Funktion dieses Rechtsinstituts, das nach Art. 483 § 1 ZGB deutlich im Vordergrund steht, nicht vereinbaren74. Die Bestimmungen der Art. 483 – 484 ZGB über die Vertragsstrafe bilden den Rahmen, in dem die kompensatorische Geldleistung im Falle der Pflichtverletzung vereinbart werden darf. Die in Art. 484 § 1 S. 2 ZGB enthaltene Ermächtigung zur rechtsgeschäftlichen Gestaltung durch die Vertragsparteien bezieht sich nur auf die anrechenbare Vertragsstrafe und soll nicht erweiternd ausgelegt werden75. 5. Vertragsstrafe und Schuldnerverzug Die Komplexität des Regimes der Vertragsstrafe wird besonders in denjenigen Fällen deutlich, in denen eine Vertragsstrafe für den Fall des Verzugs vereinbart wurde. Der Gläubiger kann in diesen Fällen sowohl die Zahlung der Vertragsstrafe als auch Erfüllung verlangen. Da der Schadenseintritt – nach herrschender Auffassung – keine Voraussetzung für die Geltendmachung der Vertragsstrafe ist, kann die Rechtslage des Schuldners besonders ungünstig sein. Unter diesem Gesichtspunkt geht die Rechtsprechung davon aus, dass die Leistung durch den im Verzug befindlichen Schuldner bei der Bestimmung der Höhe der Vertragsstrafe zu berücksichtigen ist76. Die Vereinbarung einer Vertragsstrafe soll nicht die Überkompensation des Gläubigers zur Folge haben. Die Komplexität der Frage folgt daraus, dass zuerst der Anspruch auf Zahlung der Vertragsstrafe als Folge des Verzugs fällig wird und erst danach die Umstände auftreten, die infolge der Leistung durch den Schuldner eine Herabsetzung der Vertragsstrafe rechtfertigen können. Im Rahmen des Instituts der gerichtlichen Herabsetzung der Vertragsstrafe soll aus diesem Grund berücksichtigt werden, ob der Schuldner nicht absichtlich die Leistung mit Verzug erbracht hat, damit die Vertragsstrafe herabgesetzt wird77.
73 Jastrzębski (Fn. 52), 289 f.; Drapała (Fn. 53), 1153 ff. Eine kumulative Vertragsstrafe soll dem Ersatz derjenigen Nachteile dienen, die nach Art. 361 § 2 ZGB (Schadensbemessung) nicht ersatzfähig sind. 74 Zutreffend Zoll (Fn. 46), 165; Drapała (Fn. 53), 1153. 75 Zutreffend Zoll (Fn. 46), 165. 76 SN v. 21.9.2007, OSN-ZD 2008, H. 3, Pos. 72. 77 Jastrzębski (Fn. 52), 332; Zoll (Fn. 46), 162.
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6. Vertragsstrafe und Rücktrittsrecht Beachtlich ist die Frage nach den Wirkungen einer Vertragsstrafe, wenn der Gläubiger vom Vertrag infolge einer Pflichtverletzung durch den Schuldner nach Art. 491 ZGB zurücktritt. Nach herrschender Lehre und Rechtsprechung wird das Recht auf die Vertragsstrafe für den Fall der Nichterfüllung der Verbindlichkeit durch die Ausübung des Rücktrittsrechts, das die Reaktion des Gläubigers auf die Pflichtverletzung darstellt, nicht ausgeschlossen78. Das Hauptargument für diese Lösung ist in Art. 494 ZGB zu finden, wonach die Vertragspartei, die von einem Vertrag zurücktritt, auch Ersatz des durch die Nichterfüllung der Verbindlichkeit entstandenen Schadens verlangen kann79. Dieser Schadensersatz kann auch durch die Zahlung der Vertragsstrafe erfolgen. Zu beachten ist, dass der Rücktritt vom Vertrag die Vertragsbestimmungen, die die Folgen der Nichterfüllung durch den Schuldner regeln, nicht beeinträchtigen soll. Eine gegenteilige Lösung wäre eine gravierende Einschränkung der Privatautonomie der Vertragsparteien. 7. Herabsetzung der Vertragsstrafe Der Schuldnerschutz bei der Vereinbarung einer Vertragsstrafe wird hauptsächlich durch das bereits erwähnte Institut der Herabsetzung der Vertragsstrafe verwirklicht. Die Bestimmung des Art. 484 § 2 S. 2 ZGB nennt zwei Fälle, in denen der Schuldner die Herabsetzung der Vertragsstrafe verlangen kann: Zum einen wenn das Schuldverhältnis zu einem beträchtlichen Teil erfüllt wurde, zum anderen wenn die Vertragsstrafe erheblich überhöht ist. Zumindest eine von diesen beiden Voraussetzungen muss im Einzelfall erfüllt werden. Es ist zu beachten, dass sich die Möglichkeit der Herabsetzung ausschließlich auf die vereinbarte Vertragsstrafe bezieht. Eine Vereinbarung, wonach die Befugnis des Schuldners, die Herabsetzung der Vertragsstrafe zu verlangen, ausgeschlossen wird, ist nichtig80. Das Gesetz nennt explizit keine inhaltlichen Kriterien, nach denen die Beurteilung der Angemessenheit einer Vertragsstrafe zu erfolgen hat. Nach herrschender Lehre sollen alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden81. Das Verhältnis zwischen der Höhe der Vertragsstrafe und dem tatsächlich durch den Gläubiger erlittenen Schaden bietet die wichtigste Vorgabe für das Gericht. Der Schaden wird im polnischen Recht in der Regel nach der Differenzmethode bestimmt, es sei denn besondere Vorschriften oder rechtsgeschäftliche 78 Jastrzębski (Fn. 52), 234 ff.; Zoll (Fn. 46), 162 f.; SN v. 29.5.2005, Az. V CK 105 / 05, Datenbank LEX Nr. 395072. 79 Zoll (Fn. 46), 165. 80 Drapała (Fn. 53), 1161. 81 Drapała (Fn. 53), 1164 ff.
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Vereinbarungen sehen etwas anderes vor (Art. 361 § 2 ZGB)82. Danach ist dem hypothetischen Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis der tatsächliche Vermögensstand gegenüberzustellen. Nach mittlerweile herrschender Lehre soll die Vertragsstrafe sämtliche materielle und immaterielle Nachteile des Gläubigers kompensieren, auch wenn sie über den Schadensbegriff des Art. 361 § 2 ZGB hinausgehen83. Danach wird ein berechtigtes Interesse des Gläubigers an der vertragskonformen Erfüllung der Verbindlichkeit geschützt. Das Fehlen eines Schadens bzw. seine geringe Höhe dürften die Herabsetzung einer Vertragsstrafe rechtfertigen. Das Gericht hat insbesondere folgende Umstände zu berücksichtigen: Umfang und Dauer der Pflichtverletzung; die von den Parteien vereinbarte Funktion der Vertragsstrafe; Höhe des Verschuldens des Schuldners; das Mitverschulden des Gläubigers; das Verhältnis der Vertragsstrafe zum vertraglichen Entgelt; Ausmaß der Verletzung der Gläubigerinteressen84. Die Herabsetzung einer Vertragsstrafe ist insbesondere dann möglich, wenn sie deutlich höher ist als das Gläubigerinteresse, das sie sichern soll85. Allerdings wird die Vertragsstrafe mit Blick auf ihre präventive Funktion nicht herabgesetzt, wenn ihre Höhe dem vertraglichen Risiko des Gläubigers entspricht86. Schließlich begründet die fehlende Mitwirkung der Vertragsparteien eine Herabsetzung der Vertragsstrafe87. Nach der Regelung des ZGB ist das Gericht ausschließlich berechtigt, die Vertragsstrafe herabzusetzen. Es steht ihm keine Befugnis zu, diese zu erhöhen bzw. durch einen anderen Rechtsbehelf zu ersetzen88. Die Herabsetzung muss vom Schuldner verlangt werden; das Gericht darf eine Vertragsstrafe nicht von Amts wegen herabsetzen. Allerdings werden die Voraussetzungen der gerichtlichen Kontrolle der Vertragsstrafe in der Praxis weit verstanden. Das Gericht darf die Höhe der Vertragsstrafe schon dann kontrollieren, wenn der Beklagte die Abweisung der Klage allgemein verlangt89. Die Beweislast, dass die Gründe für die Herabsetzung der Vertragsstrafe im Einzelfall vorliegen, trifft nach der allgemeinen Regel (Art. 6 ZGB) den Schuldner.
82 Radwański / Olejniczak (Fn. 3), 92 ff.; Kaliński, Szkoda na mieniu i jej naprawienie [Sachschaden und sein Ersatz], 2011, 188 ff. 83 Jastrzębski (Fn. 52), 170; SN v. 14.4.2005, II CK 626 / 04, Datenbank LEX Nr. 189075. 84 SN v. 14.4.2005, II CK 626 / 04, Datenbank LEX Nr. 189075; SN v. 26.1.2011, II CSK 318 / 10, OSNC-ZD 2011, H. 4, 80; SN v. 22.1.2015, I CSK 690 / 13, Datenbank LEX Nr. 1659211. 85 SN v. 13.2.2014, V CSK 45 / 13, Monitor Prawniczy 2014, H. 19, 1026. 86 SN v. 14.4.2005, II CK 626 / 04, Datenbank LEX Nr. 189075. 87 Fn. 58. 88 Jastrzębski (Fn. 52), 311. 89 Zoll (Fn. 46), 164.
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Schlussbetrachtung Zum Abschluss dieses Rundgangs durch die der Aufrechnung und Vertragsstrafe zugehörigen Gebiete des polnischen Privatrechts empfiehlt sich eine kurze Gesamtbetrachtung. Die Regelung der Aufrechnung nach dem ZGB erscheint grundsätzlich gelungen und erfordert keine wesentlichen Änderungen. In einem akademischen Entwurf einer Neuregelung der ZGB-Bestimmungen über die Erfüllung der Verbindlichkeiten wird vertreten, dass sich die Regelung der Aufrechnung nach dem ZGB weiterhin, und zwar auch im Vergleich zur diesbezüglichen Position des Draft Common Frame of Reference (DCFR), behaupten kann90. Dagegen sind gewisse Korrekturen der Bestimmungen des ZVGB über das Eilverfahren, die die praktische Wirkung der Aufrechnung einschränken, angebracht91. Was die Vertragsstrafe anbelangt, fällt vor allem eines auf: Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Haftung aus der Vertragsstrafe nach dem ZGB, die nach der Wende von einer zentralgesteuerten Planwirtschaft zur freien Marktwirtschaft erfolgt ist, ist zwar fortgeschritten, aber noch nicht auf dem Stand, der in einigen anderen Rechtsordnungen über mehrere Jahrzehnte erreicht wurde. Einige höchstrichterliche Entscheidungen aus den letzten Jahren beweisen, dass in der Praxis noch weitere Klärungen der zentralen Fragen um die Vertragsstrafe erforderlich sind. Dies ist im Sinne einer behutsamen Entwicklung der generalklauselartigen Regeln des ZGB über die Erfüllung der Verbindlichkeiten zu begreifen.
90 Zoll, in: Pecyna / Pisuliński / Zoll (Hg.), Wykonanie i skutki naruszenia zobowiązań. Projekt z uzasadnieniem [Erfüllung und Nichterfüllung der Verbindlichkeiten. Ein Entwurf mit Begründung], 2009, 209 ff. 91 Zoll (Fn. 90), 210.
Materielle Gestaltungsmacht in der Rechtsdurchsetzung: Aufrechnung und Vertragsstrafe – Deutsches Recht Matthias Weller* I. Aufrechnung: Fünf prägende Züge des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Äußerlich-systematische Betonung der Tilgungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dezidiert materiellrechtliche Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufrechnung durch außerprozessuale Willenserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keinerlei materiellrechtliche Anforderungen an die Liquidität . . . . . . . . . . . 5. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dogmatische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reformbedarf? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
101 102 104 106 108 108 111 112 113 114 115
I. Aufrechnung: Fünf prägende Züge des deutschen Rechts Das deutsche Modell der Aufrechnung kann auf einen „Siegeszug durch Europa“ zurückblicken – so die Bilanz von Reinhard Zimmermann im historisch-kritischen Kommentar zum BGB.1 Rezipiert oder doch zumindest autonom reproduziert sieht er das deutsche Modell vor allem – zumindest in der praktischen Handhabung und zum Teil auch in Abkehr vom Normtext – in Österreich,2 der Schweiz,3 Griechenland4 und den Niederlanden.5 Auch Italien wird genannt,6
* Die Vortragsform ist weitgehend beibehalten. Der Fußnotenapparat beschränkt sich auf ein Minimum. Verf. dankt herzlich Herrn cand. iur. Sebastian Hitzel, EBS Law School Wiesbaden, für wertvolle Vorarbeiten. 1 Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 71. 2 Vgl. § 1438 ABGB, der allerdings der naturrechtlichen Lehre der ipso iure-Aufrechnung folgt. Dazu näher im historischen Teil. 3 Vgl. Art. 120 ff. OR, insbesondere Art. 124 (1) OR. 4 Vgl. Art. 441 Astikos Kodikas. 5 Vgl. Art. 6:127 ff. BW, insbesondere Art. 6:127 (1) BW und 6:129 BW. 6 Vgl. Art. 1241 ff. Codice civile, trotz Art. 1242 Codice civile. Nachweise bei Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 71.
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und Frankreich7 sowie England8 werden von je unterschiedlichen Ausgangspunkten als sich auf die deutsche Konzeption zubewegend beschrieben. Diese Konzeption zeichnen im Wesentlichen fünf Züge aus: 1. Äußerlich-systematische Betonung der Tilgungsfunktion Vorrangig dient die Aufrechnung zur Erfüllung der gegen den Aufrechnenden gerichteten Forderung, der Passivforderung. Insoweit kommt der Aufrechnung als Erfüllungssurrogat eine Tilgungsfunktion zu. Die Aufrechnung führt im Zuge der Tilgung der Passivforderung aber notwendig auch zur Selbstexekution der Aktivforderung.9 Natürlich hat die Aufrechnung damit ebenso eine Vereinfachungs- bzw. Befriedigungsfunktion. Denn der Schuldner kann seine eigene Forderung gegen den Gläubiger im Wege der Selbsthilfe durchsetzen, ohne dass er den Rechtsweg beschreiten müsste und so das Risiko eines Prozesses zu tragen hätte. Im Übrigen erzeugt die Aufrechnungslage eine Art Sicherung des jeweiligen Gläubigers.10 Die Aufrechnung gewährleistet nicht nur in Fällen zweifelhafter Bonität des Schuldners effektiven Rechtsschutz des Gläubigers. Die Aufrechnungslage wird dem Aufrechnenden im deutschen Recht zusätzlich durch verschiedene Einzelregelungen auch über das konstruktiv gebotene Mindestmaß erhalten. So ordnet § 215 BGB für den Fall der Verjährung der Aktivforderung eine Ausnahme von dem Grundsatz an, dass gemäß § 390 BGB einredebehaftete Ansprüche nicht aufgerechnet werden können.11 Der Schuldner kann nach § 406 BGB trotz bereits durch die Abtretung der Passivforderung verloren gegangener Gegenseitigkeit auch eine ihm gegen den bisherigen
7 Vgl. Art. 1290 Cc, der zwar einen naturrechtlich inspirierten Ausgangspunkt aufweist. Die Rechtsprechung räumt dem Willen des Aufrechnenden dennoch zunehmend Bedeutung ein, s. Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 71. 8 Das englische Recht werfe seine „prozessualen Eierschalen“ ab und entwickle ein einheitliches materielles Regelungskonzept mit der Möglichkeit außerprozessualer Aufrechnung durch Willenserklärung, vgl. Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 71. 9 Vgl. hierzu bereits Mot., Bd. II, S. 108 (Mugdan, Bd. II, S. 59) und Mot., Bd. II, S. 113 (Mugdan, Bd. II S. 62). 10 Bötticher, FS Schima, 1969, S. 95 (100 ff.); Larenz, SchuldR I, 14. Aufl. 1987, § 18 VI e; Gursky, in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2011, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 19. 11 Ausführlich zu den Diskussionen in der Zweiten Kommission s. Prot., Bd. II, S. 729 ff. (Mugdan, Bd. II, S. 560 f.). Der Schuldner der Hauptforderung, dem ein Gegenanspruch zusteht, kraft dessen er die Inanspruchnahme durch den Gläubiger erfolgreich abwehren kann, soll sich als hinreichend gesichert ansehen, zugleich durch die drohende Verjährung nicht zur frühzeitigen Durchsetzung seiner Forderung im Wege der Aufrechnung oder Klageerhebung gedrängt zu werden, vgl. nur Grothe, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2015, § 215 Rn. 1. Zu Recht kritisch gegenüber dieser Begründung Bydlinski, AcP 196 (1996), 276 (293 ff.). Demgegenüber ist nach Art. III.-7:503 DCFR die Aufrechnung zwar noch möglich, aber nachträglich unwirksam, sobald sich der Aufrechnungsgegner innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der empfangsbedürftigen „notice“ auf die Aufrechnung beruft.
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Gläubiger zustehende Forderung dem neuen Gläubiger gegenüber aufrechnen, soweit dies der Schutz des Vertrauens des Schuldners in die Aufrechnungsmöglichkeit nahelegt.12 Ferner berührt nach § 94 InsO die Eröffnung des Insolvenz verfahrens eine bestehende Aufrechnungslage nicht.13 Im Hinblick auf diese besondere Befriedigungsfunktion der Aufrechnung sprachen manche in der Anfangszeit des BGB ganz direkt von einem analogen Fall des Pfandrechts an der eigenen Schuld.14 Über das Verhältnis von Tilgungs- und Befriedigungsfunktion der Aufrechnung wurde bis zur Kodifikation lange Zeit mit Leidenschaft gestritten.15 Zugleich gelten heute alle Theorien, die die Aufrechnung aus einer einzigen Funktion heraus vollständig ableiten wollen, als gescheitert oder doch jedenfalls als überdehnt, und es wird mit breiter Zustimmung von einer „Kombinationstheorie“ gesprochen.16 Dennoch bleibt die Tilgungsfunktion zumindest äußerlich-systematisch das Zentrum.17 Schon damit nimmt eine Kodifikation einen Standpunkt ein. Der Draft Common Frame of Reference (DCFR) beispielsweise ist demgegenüber sehr viel weniger entschlossen. Dort ist die Aufrechnung zwar auch im Buch über die Schuldverhältnisse platziert, aber eben nicht im unmittelbaren systematischen Zusammenhang mit der Erfüllung.18 Erst recht ist die Aufrechnung nicht mit den im DCFR ohnehin nicht geschlossen geregelten Erfüllungssurrogaten, sondern davon losgelöst im 6. Kapitel des Dritten Buches innerhalb eines inhaltlich relativ lose verbundenen Themenreigens geregelt. Das entspricht aber natürlich auch insgesamt eher dem Stil des DCFR. Nimmt man demgegenüber mit dem BGB die Tilgungsfunktion als Fluchtpunkt und schafft damit ein Begründungsbedürfnis zur Verfolgung weiterer Zwecke – man mag von einem „Multifunktionsgerät“, freilich mit Kernfunktion einerseits, mit „add-ons“ andererseits sprechen –, lässt sich der Rechtsstoff einigermaßen klar ordnen. Dies scheint der deutschen Rechtsordnung insgesamt ganz gut gelun-
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Eine ähnliche Teleologie findet sich bei § 566d BGB. Dazu näher im Abschnitt zur Rückwirkung der Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit. 14 Weigelin, Das Recht der Aufrechnung als Pfandrecht an der eigenen Schuld, 1904, S. 44 ff.; auch Leonhard, ArchBürgR 21 (1902), 171 (210); an Weigelin anknüpfend Bötticher, FS Schima, 1969, S. 95 (100 ff.); auch Grüneberg, in: Palandt BGB, 77. Aufl. 2018, § 309 Rn. 20; hiergegen aber bereits Oertmann AcP 113 (1915), 376 (415 ff.). 15 Hierzu sogleich noch genauer im historischen Teil. 16 Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 12 I 3 a; Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 39; Gursky, in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2011, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 7; Schreiber, in: Soergel BGB, 13. Aufl. 2010, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 1. 17 Der Aspekt der Erfüllungswirkung der Aufrechnung hat die Verfasser des BGB maßgeblich geleitet, vgl. Oertmann AcP 113 (1915), 376, (415 ff.); Gursky, in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2011, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 8; Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 19. 18 Vgl. Art. III.-6:101 ff. DCFR. 13
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gen zu sein. Die Anzahl höchstrichterlicher Entscheidungen zur Aufrechnung war jedenfalls zuletzt nur noch gering und betraf spezielle Einzelfragen,19 diese ganz überwiegend im „add-on“-Bereich, insbesondere im Insolvenzrecht.20 2. Dezidiert materiellrechtliche Konstruktion Die Aufrechnung ist im deutschen Recht dezidiert materiellrechtlich konzipiert. Die Passivforderung wird ebenso wie die zur Aufrechnung eingesetzte Aktivforderung getilgt. Beide Forderungen sind nach der Aufrechnung erloschen. Mit dieser materiellrechtlichen Konstruktion der Aufrechnung hat sich das BGB radikal von historischen Wurzeln gelöst, für die grob gesprochen die folgenden fünf Entwicklungsstufen kennzeichnend sind. Im klassischen römischen Recht schien die Aufrechnung – für das Aktionenrecht geradezu typisch – punktuell in verschiedenen Prozessformeln, zum Beispiel bei besonders eng verknüpften gegenläufigen Forderungen wie etwa beim argentarius, dem römischen Bankier, gegenüber seinem Kunden21 oder auch in einem Auftragsverhältnis hinsichtlich Herausgabeanspruch und Aufwendungsersatzanspruch auf.22 In solchen speziellen Fällen erfolgte die Aufrechnung zwingend ipso iure, im Übrigen aber nur kraft richterlichen Ermessens in Entscheidung über den Einwand des Rechtsmissbrauchs (dolo agit) des Beklagten.23 Hierbei konnte der Richter entweder die Klage vollständig abweisen oder den Einwand insgesamt zurückweisen, so dass ein kluger Kläger schon von selbst versuchte, einem eventuellen Einwand von sich aus den Boden zu entziehen, indem er die Gegenforderung im gerichtlich geltend gemachten Betrag der Hauptforderung berücksichtigte.24 Dies tat der Kläger typischerweise nur bei liquiden Gegenforderungen, denn nur bei solchen drohte die Gefahr der exceptio doli.25 Anschließend wurden im nachklassischen, byzantinischen Recht die geschilderten Anfangspunkte zu einer allgemein-prozessualen Rechtsfigur der Auf-
19 Z. B. BGH NJW 2017, 2102 (Aufrechnung durch Klage „Zug um Zug“); BGH NJW 2014, 3156 (Aufrechnung mit inkonnexer Forderung nach italienischem Recht vor deutschen Gerichten); BGH NJW 2013, 2975 (Unzulässige Zwangsvollstreckung nach Aufrechnung mit Kostenerstattungsanspruch). 20 Z. B. BGH NJW 2014, 2045 (Aufrechnung einer Masseforderung gegen eine Insolvenzforderung im Nennbetrag); BGH NJW 2014, 624 (Insolvenzrechtliche Unwirksamkeit einer anfechtbar erlangten Aufrechnungslage); BGH NJW 2013, 452 (Aufrechnungsverbot gegen Freistellungsansprüche von Treugeber-Gesellschaftern einer OHG). 21 Dernburg, Pandekten, 5. Aufl. 1897, Band II § 62, S. 173; Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 6. 22 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 384. 23 Wenn er nicht schon nach der Klageformel direkt zur Verrechnung befugt war, vgl. Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 5 mit Verweis auf Gai. inst. IV, 61 – 63. 24 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 384. 25 Ibid.
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rechnung als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben abstrahiert.26 Voraussetzungen der Aufrechnung waren die Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen, aber auch die Liquidität der Gegenforderung zur Vermeidung von Prozessverschleppung.27 Damit erfuhr die Gegenforderung nicht mehr nur über die exceptio doli, sondern im justinianischen Recht schon „ipso iure“ Berücksichtigung.28 Teilweise wird in der zugrundeliegenden Textstelle nur der Übergang von einer allgemeinen, ermessensabhängigen prozessualen Einrede zu einer gleichsam von Rechts wegen angeordneten Berücksichtigung gesehen.29 In der Umdeutung dieser Textstelle durch Glossatoren und Kommentatoren in eine sich unmittelbar ex lege vollziehende Legalkompensation liegt dann in der Tat ein „produktives Missverständnis“, eine „(unbewusst) schöpferische Quellenanalyse“.30 Dem wird entgegengehalten, dass tatsächlich schon in dieser Textstelle selbst die Legalkompensation zumindest angelegt, wenn nicht gar bereits niedergelegt sei.31 Jedenfalls wird die Aufrechnung in der Naturrechtslehre zu einer solchen Legalkompensation entwickelt.32 Damit war im Grunde bereits das gesamte Spektrum an Konstruktionsmöglichkeiten zwischen Prozess- und materiellem Recht durchmessen – bis auf ein Element, nämlich jetzt auch noch den Eintritt der materiellrechtlich gedachten Kompensation von einer außerprozessualen Gestaltungserklärung abhängig zu machen. Diese Konstruktion hat ihre Anfänge bereits im Mittelalter33 und entfaltet sich in der Pandektistik des 19. Jahrhunderts, die in ihrer allgemeinen Wertschätzung der Willensherrschaft eben auch die Aufrechnung grundsätzlich willensabhängig sehen wollte.34 Die dogmatischen Konstruktionen der Aufrechnung im Übrigen schwankten allerdings, tiefgreifende Abhandlungen aus
26 Ausführlich Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 8 f. Ansatzpunkte zur Abstraktion zu einem einheitlichen Rechtsinstitut sind schon im klassischen Recht nachzuweisen, vgl. Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 7 a. E. mit weiterem Verweis u. a. auf Kaser, Römisches Privatrecht I, 2. Aufl. 1971, S. 644. 27 Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 8. 28 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 384 mit Verweis auf CJ 4.31.14 (a 531) und IJ 4.6.30. 29 So etwa Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 8 f.; vgl. bereits Dernburg, Die Compensation nach römischem Rechte, 1854, S. 281 ff.; gemeint soll danach (nur) sein, dass nicht der Richter über die Berücksichtigung entschied, sondern dass die Struktur der betreffenden Klageformel dem Kläger selbst aufnötigte, von vornherein die Gegenforderung in Abzug zu bringen, der Kläger musste also cum compensatione vorgehen. 30 Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 9. 31 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 384. 32 Grundlegend die Schriften von Grotius und Pothier, Nachweise bei Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 11, und Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 385. 33 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 385, mit Verweis auf Bartolus, Kommentar zu D 16.2.4 n. 1. 34 Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 12.
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bedeutender Feder erschienen.35 Vor allem wurde weiterhin „ein Labyrinth von Schwierigkeiten und Widersprüchen“ bei der Quellendeutung beklagt,36 und Windscheid verzeichnete in seinem Lehrbuch schließlich nicht weniger als sieben verschiedene Theorien, die er allerdings nur in einer Fußnote erwähnte, um seiner eigenen Theorie, der „Affektionstheorie,“37 Raum zu schaffen.38 Die Rechtsprechung vor Inkrafttreten des BGB operierte hingegen ganz pragmatisch mit einem einfachen, materiellrechtlichen, von einem Rechtswirkungsdenken getragenen, außerprozessual einseitig auszuübenden Gestaltungsrecht.39 Alles dies fängt von Kübel in seinem Entwurf ausführlich ein und votiert schließlich seinerseits, auch mit Blick auf bereits in den Partikularrechten entstandene ähnliche Ansätze, für das Modell der Rechtsprechung.40 Die Diskussionen verlagerten sich danach ins Internationale Privatrecht,41 ins Insolvenzrecht42 und später dann auch in einheitsrechtliche Regelwerke. 3. Aufrechnung durch außerprozessuale Willenserklärung Eine solche dezidiert materiellrechtliche Konzeption verlangt innerhalb einer vom Grundsatz der Privatautonomie getragenen Rechtsordnung, dass die Aufrechnung, die durch außerprozessuale, formfreie Willenserklärung gegenüber dem anderen Teil auszuüben ist, als Gestaltungsmacht anheimgestellt wird. Damit schließlich emanzipiert sich das deutsche Modell vollends vom Pro-
35 Brinz, Die Lehre von der Kompensation. Eine civilistische Abhandlung, 1849; Dernburg, Geschichte und Theorie der Kompensation nach römischem und neuerem Rechte mit besonderer Rücksicht auf die preußische und französische Gesetzgebung, 2. Aufl. 1868; Leonhard, Die Aufrechnung, 1896; Siber, Compensation und Aufrechnung. Ein Beitrag zur Lehre des deutschen bürgerlichen Rechts, 1899. 36 Leonhard, Die Aufrechnung, 1896, S. 94, zur fortgesetzt umstrittenen Deutung der Wendung „ipso iure“. 37 Die aufrechenbar sich gegenüber stehenden Forderungen sind bereits durch den Eintritt der Aufrechnungslage wechselseitig „affiziert“ in der Weise, dass jeweils eine Einrede entsteht, mit welcher der trotz der Aufrechnungsmöglichkeit fordernde Gläubiger abgewehrt werden könne, die aber zugleich das Forderungsrecht „nach der Seite seiner Wirksamkeit“ aufhebe, Windscheid / Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1906, Bd. II, S. 464 f. (§ 349). 38 Windscheid / Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, 1906, Bd. II, S. 467 (§ 349), Fn. 10. 39 Nachweise im Einzelnen bei Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 13, insbesondere mit Verweis auf RGZ 11, 114 (120): „Der Richter vollzieht nicht die Kompensation, sondern er stellt die eingetretene und zu Unrecht geleugnete fest“. 40 von Kübel, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Recht der Schuldverhältnisse, 1882, in: Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches. Recht der Schuldverhältnisse, Teil I: Allgemeiner Teil, 1980, S. 1073, 1075 ff. 41 Vgl. etwa Kegel, Probleme der Aufrechnung: Gegenseitigkeit und Liquidität, rechtsvergleichend dargestellt, 1936. 42 Hierzu näher im Abschnitt zur Rückwirkung der Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit.
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zess und vom Richter. Zugleich betont es nochmals die Tilgungsfunktion.43 So entfallen von vornherein gewundene Erklärungen, warum unter einer Legalkompensation dann doch ein nachträglicher Verzicht auf die bereits ex lege eingetretene Aufrechnung möglich sein soll.44 Außerdem lassen sich auch Aufrechnungsverbote präzise für die eine oder andere Seite anordnen.45 Prozessual ist eine solchermaßen ausgeübte Gestaltungsmacht als Verteidigungsvorbringen einzuführen, das als solches den dafür allgemein geltenden Präklusionsvorschriften in §§ 282, 296 ZPO und in der Berufung § 533 ZPO unterliegt. Hat die beklagte Partei die Aufrechnung prozesswirksam geltend gemacht, ist die Entscheidung darüber, dass die Gegenforderung nicht besteht und damit trotzdem zur Zahlung auf die Forderung des Klägers verurteilt wird, nach § 322 Abs. 2 ZPO bis zur Höhe der geltend gemachten Aufrechnung der Rechtkraft fähig. Entsprechendes gilt rechtsfortbildend für den umgekehrten Fall, dass die Verurteilung in Höhe der geltend gemachten Aufrechnung scheitert.46 Auf der Basis dieser Struktur ergibt sich natürlich dann die Frage, welche Wirkung die prozessuale Präklusion des Aufrechnungseinwands hat. Wird vorprozessual aufgerechnet, wird anschließend aber der Aufrechnungseinwand prozessual abgeschnitten, verliert der Beklagte nach allgemeinen Prozessgrundsätzen den Prozess, obwohl er materiellrechtlich durch die Aufrechnung gleichsam „im Recht“ ist und darüber hinaus unwiederbringlich seine Gegenforderung verloren hat. Prozessergebnis und materielle Rechtslage stimmen dann eben nicht überein. Innerprozessual erklärte Aufrechnungen hingegen kann man trotz der materiellen Bedingungsfeindlichkeit der Aufrechnungserklärung, § 388 S. 2 BGB, als innerprozessual bedingt, also als Eventualaufrechnung betrachten. Damit erfolgt die Prozessaufrechnung nur für den Fall, dass das Gericht die Hauptforderung als bestehend feststellt. Die materielle Wirkung entfällt aber mit Ausschluss des Verteidigungsmittels.47 43
Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 385 a. E. Knetsch, Vertragsstrafe und Aufrechnung im französischen Recht, Abschnitt II.2, in diesem Band, S. 5, 18 f. 45 Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 391. 46 Zum Ganzen z. B. Büscher, in: Wieczorek / Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2015, § 322 Rn. 252 ff. 47 Ausführlich zur Aufrechnung im Prozess Gursky, in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2011, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 26 ff.; Schreiber, in: Soergel BGB, 13. Aufl. 2010, Vorbemerkung zu den §§ 387 ff. Rn. 2 ff.; Schlüter, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, § 387 Rn. 39 ff. Die typische Prozessaufrechnung ist danach zweifach bedingt, zum einen durch die Prozesswirksamkeit des Verteidigungsmittels, zum anderen, in Gestalt der Eventualaufrechnung, bedingt durch die gerichtliche Feststellung der Hauptforderung als bestehend. Überwiegend wird hierin eine Rechtsbedingung gesehen bzw. schlicht der Verweis auf eine materielle Voraussetzung der Aufrechnung, nämlich eben den Bestand der Hauptforderung. Allerdings erschließt sich bei näherer Betrachtung, dass nicht etwa das materiellrechtliche Bestehen der Forderung Bezugspunkt der Bedingung ist, sondern die gerichtliche Feststellung ihres 44
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4. Keinerlei materiellrechtliche Anforderungen an die Liquidität Mit der vollständigen Herauslösung der Aufrechnung aus dem Prozess hängt ein weiterer Wesenszug des deutschen Modells zusammen. Es bestehen keinerlei Anforderungen an die Liquidität der Aktivforderung.48 Denn eine Kernfunktion des Liquiditätserfordernisses ist schließlich, dass durch den Aufrechnungseinwand der Prozess nicht verzögert wird. Diese Funktion übernimmt im deutschen Prozessrecht § 145 Abs. 3 ZPO. Macht der Beklagte die Aufrechnung einer Gegenforderung geltend, die mit der in der Klage geltend gemachten Forderung nicht in rechtlichem Zusammenhang steht, kann das Gericht anordnen, dass über die Klage und die Aufrechnung getrennt verhandelt wird. Gegebenenfalls kann dann nach § 302 ZPO ein Vorbehaltsurteil ergehen. Hierzu ordnet § 302 Abs. 4 S. 1 ZPO an, dass in Betreff der Aufrechnung der Rechtsstreit anhängig bleibt. Ist die Gegenforderung hingegen konnex zur eingeklagten Hauptforderung, kann im Verfahren ohne wesentliche Verzögerung über beide Forderungen entschieden werden. Ganz verschwunden ist die Idee der Liquidität aber auch im deutschen Recht nicht. Das Klauselverbot in § 309 Nr. 3 BGB beschränkt sich auf formularmäßig vereinbarte Aufrechnungsausschlüsse für unbestrittene und rechtskräftig festgestellte Forderungen49 und nach überwiegender Auffassung ist die Aufrechnung trotz § 17 Abs. 2 S. 1 GVG mit einer rechtswegefremden Forderung nur zulässig, wenn diese rechtskräftig festgestellt oder unbestritten ist.50 Ferner können auch Steuerpflichtige gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 226 Abs. 3 AO nur mit ebensolchen Forderungen aufrechnen. 5. Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit Die Rückwirkung der Aufrechnung auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit gemäß § 389 BGB scheint nicht so recht in die bisherige Strukturbildung passen zu wollen. Diese Regelung stammt im Kern bereits aus dem Vorentwurf von Kübels51 und entsprach den damals vorliegenden Kodifikationen und EntwürBestehens, die ein für den Beklagten ungewisses Ereignis ist. Damit lässt sich die praktisch anerkannte Prozessaufrechnung wohl am besten durch eine teleologische Reduktion des § 388 S. 2 BGB erklären, so etwa Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 386. 48 Vgl. schon Mot., Bd. II, S. 105 f. (Mugdan, Bd. II, S. 58). 49 Ganz deckungsgleich ist dies mit der französischen liquidité natürlich nicht, nach der nur die bestrittene, aber gleichwohl in ihrem Bestand unmittelbar beweisbare Forderung umfasst ist, vgl. Knetsch, Vertragsstrafe und Aufrechnung im französischen Recht, Abschnitt II.2, in diesem Band, S. 5, 17. 50 Etwa Wittschier, in: Musielak / Voit ZPO, 14. Aufl. 2017, § 17 GVG Rn. 10; Lückemann, in: Zöller ZPO, 32. Aufl. 2018, § 17 GVG Rn. 10, jeweils auch mit Nachweisen zu anderen Auffassungen. 51 v. Kübel, Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Recht der Schuldverhältnisse, 1882, a. a. O., S. 1073. Zugrunde lag dabei die konstruktive Vorstellung von
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fen.52 Windscheid53 und Planck54 hatten sich allerdings jeweils in der Ersten und Zweiten Kommission für die ex-nunc-Wirkung der Aufrechnung ausgesprochen. Die Rückbeziehung könne nämlich nicht willensgetragen begründet werden, sondern sei lediglich Fiktion. Gleichwohl setzte sich die durch das Gesetz angeordnete „positive Satzung [. . .], es solle die Rechtslage so angesehen und so behandelt werden, als ob die Wirkung der Aufrechnungserklärung schon in einem vor ihr liegenden Zeitpunkt, nämlich in dem Zeitpunkt, wo die beiden Forderungen einander aufrechnungsfähig gegenüberstanden, eingetreten sei“,55 durch. Hintergrund dieser Rückbeziehung der Rechtswirkungen der Aufrechnung ist zum einen, dass verwirkte Vertragsstrafen, Verzinslichkeit und Verzug bis zum Eintritt der Aufrechnungslage entfallen sollen, wenn später die Aufrechnung erklärt wird.56 Zur Rechtfertigung kann man vielleicht vortragen, dass mit Eintritt der Aufrechnungslage der Aufrechnung bereits so weit der Boden bereitet ist, dass gleichwohl auflaufende Verspätungssanktionen rechtsethisch nicht mehr überzeugen könnten.57 Dem kann man entgegenhalten, dass die Aufrechterhaltung dieser Sanktionen trotz des Eintritts der Aufrechnungslage den aufrechnungsberechtigten Schuldner gerade zur Bereinigung motivieren wird. Insoweit bestehen auch rechtspolitische Zweifel. Zum anderen sollte konstruktive Kompatibilität mit dem Konkursrecht erreicht werden.58 Dort wurde für selbstverständlich erachtet, dass auch nach Verfahrenseröffnung die Aufrechnung noch möglich sein muss, wenn die Aufrechnungslage bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens eingetreten war. Den Verfassern der Konkursordnung erschien dies so selbstverständlich, dass sie diesen Punkt gar nicht mehr unmittelbar im Normtext der Konkursordnung zum Ausdruck brachten.59 Eine entsprechende Vorschrift enthält heute aber ausdrücklich § 94 InsO. einer durch die Gestaltungserklärung aufschiebend bedingten Wirksamkeit der in Aufrechnungslage sich gegenüberstehenden Forderungen, vgl. S. 1081: „die gesamte Wirksamkeit der Forderungen [ist] durch die Erklärung des Kompensationswillens resolutiv bedingt“. 52 Nachweise bei Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 23. 53 Jakobs / Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Recht der Schuldverhältnisse I, §§ 241 – 432, 1978, S. 700 f. 54 Jakobs / Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Recht der Schuldverhältnisse I, §§ 241 – 432, 1978, S. 703. 55 So das Reichsgericht ganz präzise die neue Rechtslage erkennend, vgl. RGZ 66, 266 (273). 56 Vgl. ausführlich Mot., Bd. II, S. 109 (Mugdan, Bd. II, S. 60); Schreiber, in: Soergel BGB, 13. Aufl. 2010, § 389 Rn. 1. 57 Etwa Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 385. 58 S. schon Mot., Bd. II, S. 109 (Mugdan, Bd. II, S. 60). 59 Jakobs / Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen. Recht der Schuldverhältnisse I, §§ 241 – 432, 1978, S. 701.
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Interessanterweise ist diese Privilegierung heute gar nicht mehr so selbstverständlich. Immerhin bewirkt der Aufrechnende nach Verfahrenseröffnung eine Exekution gegen den Insolvenzschuldner, indem er durch Erfüllungssurrogat an ihn leistet.60 Dadurch befriedigt er sich vollständig und benachteiligt die anderen Gläubiger – nach § 95 InsO sogar auch dann, wenn die Voraussetzungen der Aufrechnungslage erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig eingetreten sind, solange nur die Hauptforderung des Insolvenzschuldners zuletzt fällig wird. Im Grunde ist dies alles nur zu rechtfertigen, wenn man dem aufrechnungsbefugten Gläubiger kraft der vor Eröffnung bereits angelegten Aufrechnungslage ein „Quasi-Absonderungsrecht“,61 eben eine Art „Pfandrecht“62 zubilligt. Hiergegen erheben sich immer wieder kritische Stimmen.63 Andererseits spricht sich der UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law ganz dezidiert für eine solche Privilegierung aus.64 Als Gründe führt die Empfehlung etwa „commercial predictability“, „availability of credit“ und „avoidance of strategic misuse“ aus – alles wiederum eher allgemeine und nicht wirklich zwingende Erwägungen. Damit dürfte die Empfehlung aber im Grunde davon ausgehen, dass andernfalls der Schuldner versucht sein könnte, eine Verfahrenseröffnung anzustreben, um sich der Aufrechnung durch die Gläubiger zu entziehen. Diese wären dann schließlich nur quotal zu befriedigen. Im Zweifel müssten die Gläubiger ihre Forderungen sogar in voller Höhe erfüllen, erhielten aber nur eine Quote, die Insolvenzmasse wäre also im Vergleich größer. Der Schuldner könnte sich wohl einfacher und schneller auf Kosten der aufrechnungsberechtigten Gläubiger sanieren. Denkbar wäre deshalb auch, dass die übrigen ungesicherten Gläubiger eine Verfahrenseröffnung anstreben, damit die Masse nicht weiter durch aufrechnungsberechtigte Gläubiger geschmälert wird. Jenseits solcher spezifischen Erwägungen zum Insolvenzrecht hielten die Verfasser des BGB es aber schlicht für unbillig, die beiderseitige Befriedigungswirkung nicht auf den Zeitpunkt der Aufrechenbarkeit zurückzubeziehen.65 Die UNIDROIT Principles for Commercial Contracts66 und der DCFR67 sehen dies ganz anders: „Set-off extinguishes the obligations, as far as they are 60 Hätte der Gläubiger hingegen vor Verfahrenseröffnung die Einzelzwangsvollstreckung begonnen, würde diese mit Verfahrenseröffnung unterbrochen, vgl. § 88 InsO. 61 In diesem Sinne vor allem Bötticher, FS Schima, 1969, S. 95 (98). 62 Hierzu bereits oben bei Fn. 14. 63 S. nur Windel, KTS 2000, 215 (224 ff.). 64 UNCITRAL Legislative Guide on Insolvency Law, Recommendation 100, S. 155 f. Tz. 204 begründet hierzu: „The enforcement under insolvency law of rights of set-off of mutual obligations arising out of pre-commencement transactions or activities of the debtor is important not only to commercial predictability and the availability of credit, but also because it avoids the strategic misuse of insolvency proceedings. For these reasons, it is highly desirable that an insolvency law afford protection to such set-off rights.“ 65 Ausführlich Prot., Bd. II, S. 735 ff. (Mugdan, Bd. II, S. 562 f.). 66 Art. 8.5 UPICC (Effect of set-off). 67 Art. III.-6:107 DCFR.
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coextensive, as from the time of notice“. Unter der jeweils rein materiellrechtlichen Konzeption mit außerprozessualer Aufrechnungserklärung beider einheitsrechtlicher Regelwerke – wie sonst sollten solche Regelwerke ohne Zugriff auf das jeweilige Prozessrecht auch regeln – wäre diese Deklaration eigentlich überflüssig. Die ex nunc-Wirkung ist schon unmittelbar im Wesen der notice angelegt. In der Tat kommentieren die Autoren des DCFR: „Prospectivity appears to be the more natural rule and leads to entirely satisfactory results“. Gegen das deutsche Erfolgsmodell wird angeführt, retrospectivitiy is „not based on convincing rational arguments but rather constitutes an unreflected continuation of a thinking pattern of the ius commune, based upon Justinian’s obscure pronouncements on the ipso iure effect of set-off“.68 Im deutschen Schrifttum wird deswegen de lege lata für eine restriktive Auslegung der Rückwirkung69 und de lege ferenda für die Aufgabe der Rückwirkung plädiert. Selbst wenn man dem grundsätzlich zustimmt, wird natürlich die Frage bleiben, in welchen Einzelpunkten gleichwohl aus der Entstehung der Aufrechnungslage Rechtswirkungen hervorgehen sollen.70 Zur Diskussion gestellt sind dann nicht nur die §§ 94 ff. InsO, sondern etwa auch die §§ 215, 352 oder 543 Abs. 2 S. 3 BGB.
II. Vertragsstrafe Zur Diskussion der Vertragsstrafe bietet sich ein Beispielsfall an: An einer jungen, aufstrebenden, privat getragenen Fakultät bewerben sich Privatdozenten und versichern im Berufungsverfahren auf Nachfrage mit Nachdruck, dass sie im Fall einer Berufung eine gewisse Zeit, etwa zwei Jahre, an dieser Fakultät bleiben würden. Hieran hat die Fakultät ein besonderes Interesse. Denn es 68 Vgl. Principles, Definitions and Model Rules of European Private Law, Draft Common Frame of Reference (DCFR), S. 1158. So auch etwa Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 385; kritisch auch Zimmermann, HKK, 2007, §§ 387 – 396, Rn. 72. Ähnliche Kritik findet sich im französischen Schrifttum, vgl. dazu Knetsch, Vertragsstrafe und Aufrechnung im französischen Recht, Abschnitt II.2, dort insbesondere Fußnote 63, in diesem Band, S. 19. 69 So soll etwa die Rückwirkung der Aufrechnung kraft teleologischer Reduktion nicht dazu führen, dass der Rechtsgrund für eine zwischenzeitliche Leistung auf die Passivforderung entfällt und ein Kondiktionsanspruch entsteht, Harke, Schuldrecht AT, 2010, Rn. 393 a. E.; Gursky, in: Staudinger BGB, 16. Aufl. 2011, § 389 Rn. 4. Entsprechend restriktiv hatte bereits das Reichsgericht entschieden für den Fall, dass der Aufrechnende erst nach seiner eigenen Leistung die frühere Aufrechnungsmöglichkeit erkennt, vgl. RGZ 120, 280 (282 f.). 70 Zum Beispiel für den Bürgen nach § 770 Abs. 2 BGB, für den Verpfänder nach § 1211 Abs. 2 BGB. Die Aufrechnungslage ist eben auch eine Rechtslage, aus der kraft Gesetzes bereits Wirkungen erwachsen können, selbst wenn diese Wirkungen nicht so weit gehen, die Aufrechnung insgesamt sofort ex lege zu vollziehen. In diesem Sinn etwa Joseph Kohler, ZZP 24 (1898), 1 (32 ff.); Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, 2. Aufl. 1994, § 12 I 4; dagegen ausdrücklich RGZ 120, 280 (282 f.).
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verunsichert die zahlenden Studierenden gerade in der Phase der Etablierung der Einrichtung in hohem Maße, wenn neu aufgenommene Hochschullehrer schon nach kurzer Zeit die Fakultät wieder verlassen. Der Träger der Fakultät entschließt sich deswegen dazu, künftig arbeitsvertraglich auf Probezeiten zu verzichten und stattdessen den Vertrag unter beiderseitigem Ausschluss der ordentlichen Kündigung auf zwei Jahre zu befristen.71 Materiellrechtlich ist damit klar, dass die Tätigkeitsdauer zwei Jahre betragen wird, solange keine außerordentlichen Kündigungsgründe vorliegen. Der Träger glaubt trotzdem nicht so recht an die Vertragstreue der neu einzustellenden Fakultätsmitglieder, trotz aller Beteuerungen in den Berufungsverfahren, und will deswegen seine Rechtsstellung mit einer Vertragsstrafe verstärken. Es stellt sich die Frage, wie er diese gestalten soll und darf. 1. Dogmatische Konstruktion Die Vertragsstrafe ist in konstruktiver Hinsicht nichts anderes als ein Zahlungsanspruch unter einer aufschiebenden Bedingung.72 Das BGB belässt es aber nicht dabei, das Gestaltungsinstrument der Bedingung allgemein in den §§ 158 ff. BGB zur Verfügung zu stellen, sondern es greift diese Konstruktion gleichsam unter anderer Flagge in den §§ 339 ff. BGB nochmals für einen etwas spezielleren, eben den hier interessierenden Bereich der vertraglichen Schuldverhältnisse auf. Dort verstärkt die Vertragsstrafe typischerweise eine bestehende Schuld und ist zu dieser auch akzessorisch in dem Sinne, dass die Vertragsstrafe gemäß § 344 BGB hinfällig ist, wenn die zu spannende Schuld nichtig ist. Daher ist auch von einer echten bzw. unselbständigen Vertragsstrafe die Rede. Die selbständige Vertragsstrafe bezieht sich demgegenüber auf ein nicht als Verbindlichkeit geschuldetes Verhalten, ist vor diesem Hintergrund aber auch nicht Regelungsgegenstand der §§ 339 ff. BGB. Eine einzige Ausnahme enthält die Vorschrift des § 343 Abs. 2 BGB, die die Herabsetzung der Vertragsstrafe auf Antrag des Schuldners durch Urteil auch für die selbständige Vertragsstrafe vorsieht.73 Alle anderen 71 Nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG ist die Befristung zur Erprobung gerechtfertigt. Für den Regelfall darf die Befristung des Arbeitsvertrags zur Erprobung allerdings nicht länger als sechs Monate betragen, arg. ex §§ 622 Abs. 3 BGB, 1 KSchG, vgl. hierzu BAG NZA 2010, 1293 (1294 f.). Nach § 14 Abs. 2 Hs. 1 TzBfG ist alternativ die kalendermäßige Befristung ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Befristete Arbeitsverhältnisse sind gemäß § 15 Abs. 3 TzBfG nur dann ordentlich kündbar, wenn dies einzelvertraglich oder im anwendbaren Tarifvertrag vereinbart ist. § 15 Abs. 4 TzBfG macht deutlich, dass sogar eine Bindung auf bis zu fünf Jahre ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit zulässig ist, vgl. BAG NZA 2009, 370 (372 ff.). Art. 12 Abs. 1 GG gebietet nicht, dass dem Arbeitnehmer ein jederzeitiger Berufs- bzw. Arbeitsplatzwechsel ermöglicht werden muss, vgl. BAG NZA 2009, 370 (372 f.). 72 Rieble, in: Staudinger BGB, Neubearbeitung 2015, Vorbemerkung zu §§ 339 ff. Rn. 1; Gottwald, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, Vorbemerkung zu den §§ 339 ff. Rn. 1. 73 Danach gilt die Vorschrift des Absatzes 1 zur Herabsetzung der Strafe auch, „wenn jemand eine Strafe für den Fall verspricht, dass er eine Handlung vornimmt oder unterlässt“.
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Vorschriften und dogmatischen Ableitungen dienen dem Schuldnerschutz vor einer „Überspannung“ der Schuld durch unselbständige, schuldakzessorische Vertragsstrafen. 2. Zulässigkeit Dieser Schuldnerschutz beginnt bei der Zulässigkeit unselbständiger, schuldakzessorischer Vertragsstrafen. Grundsätzlich ist von der Zulässigkeit solcher Strafversprechen in einer vom Grundsatz der Privatautonomie getragenen Rechtsordnung auszugehen. Trotzdem verbietet das Gesetz zuweilen unmittelbar das Versprechen einer Vertragsstrafe. So ist beispielsweise eine Vereinbarung, durch die sich der Vermieter von Wohnraum eine Vertragsstrafe vom Mieter versprechen lässt, nach § 555 BGB unwirksam. Vertragsstrafevereinbarungen beim Verlöbnis für den Fall, dass die Eingehung der Ehe unterbleibt, sind gemäß § 1297 Abs. 2 BGB nichtig. Im Arbeitsrecht erwächst aus § 888 Abs. 3 ZPO systematisch die Frage, ob eine Vertragsstrafe überhaupt zulässig sein kann, wenn doch die Naturalexekution der zugrunde liegenden Verbindlichkeit sogar durch nur mittelbaren hoheitlichen Beugezwang in Gestalt von Ordnungsgeld und Ordnungshaft mit Rücksicht auf die fehlende Geeignetheit und damit Verhältnismäßigkeit hoheitlichen Zwangs ausgeschlossen ist.74 Das Bundesarbeitsgericht entscheidet allerdings in ständiger Rechtsprechung,75 dass § 888 Abs. 3 ZPO der Vertragsstrafe im Arbeitsvertrag gerade nicht entgegensteht, sondern umgekehrt die dadurch gesetzlich geschaffene Schwäche in der Spannung der Schuld in besonderem Maße die privatautonome Vertragsstrafenvereinbarung legitimiert. Diesem Ziel kommt in Deutschland jedoch die AGB-Kontrolle in die Quere. Zwar stehen die speziellen Klauselverbote in § 309 Nr. 6 BGB und § 309 Nr. 5 BGB einer solchen Vertragsstrafevereinbarung grundsätzlich nicht im Wege. Aber die allgemeine Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB findet Anwendung, wenn auch natürlich hier unter Berücksichtigung arbeitsrechtlicher Besonderheiten nach § 310 Abs. 4 BGB, zu denen gerade auch die Wertungen des § 888 Abs. 3 ZPO gehören.76 Führt die AGB-Inhaltskontrolle dennoch zur Unwirksamkeit der Vertragsstrafe, so entfällt die Vertragsstrafe gänzlich, eine Reduktion entsprechend § 343 BGB ist AGB-rechtlich als geltungserhaltende Reduktion ausgeschlossen.77 74 Zur allgemein-dogmatischen Aussagekraft der Vorschrift M. Weller, Persönliche Leistungen, 2012, S. 216 ff. und 619 ff. 75 Vgl. nur BAG NJW 1984, 255 (255 ff.); BAG NZA 2004, 727 (731 f.); BAG NZA 2005, 1053 (1054 f.); a. A. vor allem Lindacher, Phänomenologie der „Vertragsstrafe“, 1972, S. 72 ff., der § 888 Abs. 3 ZPO ein Strafverbot entnimmt. 76 BAG NZA 2004, 727, (731 f.). 77 BAG NZA 2004, 727, (734); BAG NZA-RR 2009, 519 (525).
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3. Angemessenheit Damit stellt sich insbesondere die Frage der Angemessenheit einer vereinbarten Vertragsstrafe in Hinsicht auf die Höhe der Strafe. Die Rechtsprechung erkennt das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an einer effektiven Sicherung grundsätzlich an.78 Zugleich muss aber die Höhe auf den zu erwartenden typischen Schaden begrenzt bleiben.79 Gerät die Strafe außer Verhältnis zum möglichen Schaden, gilt sie als unangemessen. Hier schlägt sich die (Neben‑) Funktion der Vertragsstrafe als Schadenspauschalierung nieder.80 Auch die Vertragsstrafe ist also ein „Multifunktionsgerät“.81 Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung orientiert sich bei der Bemessung des Schadens nach dem Gedanken des Mindestschadens, aber auch unter dem Aspekt der Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer, am Bruttoverdienst des Arbeitnehmers, sodann an der Zeit bis zur ersten ordentlichen Kündigungsmöglichkeit.82 Unter diesen Maßgaben hat sich in der Rechtsprechung eine allgemeine Obergrenze von einem Bruttomonatsgehalt etabliert.83 Dies entspricht zugleich der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB.84 Nun betont das BAG immer, dass es Konstellationen geben kann, in denen das Sanktionsinteresse des Arbeitgebers das Bruttomonatsgehalt des Arbeitnehmers übersteigt.85 Entscheidungen, die auf diesem Satz beruhend, höhere Vertragsstrafen bestätigt hätten, gibt es aber – soweit ersichtlich – keine. Stattdessen beanstandet das BAG regelmäßig bereits drei Monatsgehälter.86 Erst recht wurde in Hinsicht auf den Beispielsfall bisher nicht versucht, eine zweijährige Befristung mit dem damit einhergehenden, beiderseitigen Ausschluss der ordentlichen Kündigung in eine Vertragsstrafe von zwei Jahresgehältern umzurechnen, obwohl dies spiegelbildlich der Rechtsprechung zur verkürzten Kündigungsfrist in der Probe78
BAG NZA 2004, 727 (732 f.); BAG NZA 2005, 1053 (1055). Vgl. BAG NZA-RR 2009, 519 (525). 80 Müller-Glöge, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, §§ 339 ff. BGB, Rn. 9; Gottwald, in: Münchener Kommentar BGB, 7. Aufl. 2016, Vorbemerkung zu den §§ 339 ff. Rn. 6. 81 Zur Aufrechnung insoweit schon oben sub I. 1. 82 Vgl. BAG NZA-RR 2009, 519 (524 f.). 83 BAG NZA 2004, 727 (733); BAG NZA 2009, 370 (374 ff.); BAG NZA-RR 2009, 519 (524 f.). 84 Stoffels, in: Wolf / Lindacher / Pfeiffer, AGB-Recht, 6. Aufl. 2013, Anhang zu § 310 (Arbeitsrecht), Rn. 208. In der Rechtsprechung geklärt ist darüber hinaus die Auswirkung kürzerer Kündigungsfristen, also beispielsweise in der Probezeit von lediglich zwei Wochen. Dann darf auch die Vertragsstrafe nur maximal der Bruttoverdiensthöhe von zwei Wochen entsprechen, vgl. BAG NZA 2004, 727 (734); BAG NZA 2011, 89 (91 ff.). Selbst wenn der Arbeitnehmer nach der Probezeit unter dann längeren Kündigungsfristen den Vertrag bricht und insofern rechnerisch für diesen Fall die Vertragsstrafe angemessen wäre, bleibt es nach allgemein AGB-rechtlichen Grundsätzen bei der vollständigen Kassierung der Klausel, es sei denn, diese trennt, wie dies mittlerweile häufiger zu sehen ist, zwischen den beiden Zeitabschnitten und bemisst die Strafe entsprechend unterschiedlich. 85 BAG NZA 2004, 727 (734); BAG NZA-RR 2009, 519 (524). 86 BAG NZA 2009, 370 (376 f.); BAG NZA-RR 2009, 519 (525 f.). 79
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zeit entspricht und man natürlich bei der Zweijahres-Strafe den Betrag je nach Zeitpunkt des Vertragsbruchs herunterbrechen oder ‑rechnen müsste. Denn es kann natürlich nicht für angemessen gehalten werden, dem Arbeitnehmer eine volle Zweijahres-Strafe aufzuerlegen, wenn er am letzten Tag der Bindungsfrist nicht mehr kommt. Im sicheren Bereich ist der Arbeitgeber trotz alledem nach allem nur bei einer Vertragsstrafenhöhe von einem Monatsgehalt. Dies wird aber vielleicht nicht ausreichen, um den wechselwilligen Arbeitnehmer zu halten, erst recht nicht den Privatdozenten an einer privaten Universität, den der Ruf einer staatlichen Universität ereilt. 4. Reformbedarf? Für den Privatdozenten im Beispielsfall ist dies natürlich vorteilhaft, zugleich ist vielleicht doch auch ein Fragezeichen erlaubt. Kann es sein, dass eine Rechtsordnung, die sich den Grundsatz der Naturalerfüllung und Naturalexekution gegeben hat, diesen Grundsatz selbst bei vereinbartem Erfüllungsdruck derart abschwächt wie im Beispielsfall? Schießt hier nicht das deutsche AGB-Recht durch das strikte Verbot der geltungserhaltenden Reduktion über das Ziel hinaus? Rechtspolitisch ist zu fordern, lediglich offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen zu invalidieren und im Übrigen die Regelung des § 343 BGB zur Vertragsstrafenanpassung auf Antrag des Schuldners – vielleicht verbunden mit einem Schriftformerfordernis und einem Hinweis auf diese Möglichkeit – durch Urteil auch bei formularmäßig vereinbarten Vertragsstrafen zur Geltung zu bringen. Mit einem solchen Schriftformerfordernis könnte man mit Blick auf die Angemessenheit schon de lege lata zur Aufrechterhaltung der Klausel gelangen. Freilich prüft das Bundesarbeitsgericht formularmäßige Vertragsstrafen in Arbeitsverträgen insgesamt „bemerkenswert streng“.87
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Müller-Glöge, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 18. Aufl. 2018, §§ 339 ff. BGB, Rn. 12a.
Anhang: Orientierungsfragen ausgearbeitet von Karin Arnold, Martin Gebauer, Stefan Huber und Gabriel Lipps Vorbemerkung Die im Folgenden abgedruckten Orientierungsfragen wurden den Berichterstattern im Vorfeld der Berichterstellung übersandt. Die Grundidee bestand nicht darin, die einzelnen Fragen in Form von isolierten Einzelantworten abzuarbeiten. Vielmehr erschien es sinnvoll, in den einzelnen Berichten dort die Schwerpunkte zu setzen, wo es aufgrund der jeweils untersuchten Rechtsordnung geboten erschien. Aktualität und Originalität waren zwei Auswahlkriterien. Überdies war es Anliegen der vergleichenden Gesamtbetrachtung, neben dem jeweiligen status quo auch die rechtskulturellen, rechtspolitischen und rechtshistorischen Hintergründe in die Analyse einzubeziehen.
A. Aufrechnung Ausgangslage: Partei A hat eine Forderung gegen Partei B, die ihrerseits eine Forderung gegen Partei A hat. Welche Möglichkeiten gibt es für die Parteien, ihre eigene Forderung einzusetzen, um die gegen sie gerichtete Forderung zum Erlöschen zu bringen? Diese Möglichkeiten sollen im Folgenden unter dem Schlagwort „Aufrechnung“ zusammengefasst werden. Hinweis zur Terminologie: Die Forderung, die an erster Stelle geltend gemacht wird, wird im Folgenden als Hauptforderung bezeichnet. Die Forderung, die herangezogen wird, um die Hauptforderung zum Erlöschen zu bringen, wird als Gegenforderung bezeichnet. Stehen sich zwei Forderungen so gegenüber, dass eine Aufrechnung möglich ist, bezeichnen wir dies im Folgenden als Aufrechnungslage. I. Allgemeines und Voraussetzungen – In welchen Bereichen finden sich schriftlich fixierte Regelungen zur Aufrechnung (im materiellen Recht, im Prozessrecht)? – In welchen Erscheinungsformen findet sich die Aufrechnung? – Aufrechnung per materiellrechtlicher Gestaltungserklärung, Legalaufrechnung, Aufrechnung per Gestaltungsurteil (dazu auch unten bei V: Prozessuale Fragen) etc. – Wird die Aufrechnung auf materiellrechtlicher oder prozessualer Ebene angesiedelt? – Welcher dieser Formen kommt in welcher Weise wahrhaft Gestaltungscharakter zu?
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– Welchen Zweck verfolgen die verschiedenen Erscheinungsformen – Was sind die Voraussetzungen der jeweiligen Erscheinungsformen? – Gleichartigkeit, Gegenseitigkeit, Fälligkeit, Durchsetzbarkeit, Liquiditätserfordernis (welche Rolle spielt die Streitigkeit bzw. Unstreitigkeit der Gegenforderung?) etc. – Besteht Gleichartigkeit bei Fremdwährungsschulden? – Ist die Gleichartigkeit auf Geldforderungen beschränkt? – Sonderproblem: Eventualaufrechnung – Ist es möglich, unter einer Bedingung die Aufrechnung zu erklären? II. Wirkungen der Aufrechnung – Inhalt der Aufrechnungswirkungen – Zeitpunkt der Aufrechnungswirkungen III. Ausschluss der Aufrechnung – Welche Ausschlussgründe gibt es? – Sind bestimmte Forderungen von der Aufrechnung ausgenommen, bspw. unpfändbare Forderungen, Forderungen aufgrund unerlaubter Handlungen, Unterhaltsforderungen etc.? – Führen derartige Aufrechnungshindernisse zu einem Aufrechnungsverbot für beide Seiten oder nur für eine der beiden? IV. Mehrpersonenverhältnisse – Ist eine Aufrechnung durch Dritte (etwa nach Einwilligung des Forderungsinhabers) bzw. gegenüber Dritten möglich? – Wie erfolgt die Aufrechnung in Treuhandverhältnissen? – Wie ist die Aufrechnung im Kommissionsgeschäft zu handhaben? – Kann der Schuldner mit einer Gegenforderung gegenüber dem Zedenten nach der Abtretung aufrechnen? – Kann einer von mehreren Schuldnern (Gesamtschuldner, Bürgschaftskonstellation etc.) mit der Forderung eines anderen Schuldners gegen den Gläubiger aufrechnen oder sich in sonstiger Weise auf die Aufrechnungslage berufen? V. Prozessuale Fragen – Allgemeine Rolle des Gerichts im Kontext der Aufrechnung – Zuständigkeit (sachlich und örtlich) – Allgemeines – Internationale Zuständigkeit – Kann das für die Hauptforderung zuständige Gericht über eine Aufrechnung mit einer Gegenforderung entscheiden, für deren klageweise Geltendmachung es international nicht zuständig wäre? – Kann es als vertragliches Aufrechnungsverbot vor einem nationalen Gericht ausgelegt werden, wenn für die Gegenforderung die ausschließliche Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts vereinbart ist? – Kann mit einer in die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts fallenden Forderung vor staatlichen Gerichten aufgerechnet werden?
Anhang: Orientierungsfragen
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– Kann im Schiedsverfahren mit einer schiedsverfahrensfremden Forderung aufgerechnet werden? – Welche Bedeutung kommt der Frage der Streitigkeit der Gegenforderung im prozessualen Kontext zu? – Rechtshängigkeit – Rechtskraft
B. Vertragsstrafe Ausgangssituation: Die Parteien eines Vertrags sehen die Zahlung einer pauschalen Summe für den Fall vor, dass eine Seite ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommt. I. Allgemeines und Zulässigkeit – Was sind Natur und Funktion der Vertragsstrafe? Druckfunktion, Kompensationsfunktion, Straffunktion etc. – In welchem Verhältnis steht die Vertragsstrafe zu Instituten wie: – Verfall‑ / Verwirkungsklauseln – Vorfälligkeitsklauseln – Reuegeld – Pauschalierter Schadensersatz – Garantieversprechen – Ist eine Vereinbarung, die nicht zur Kompensation für eine Nichterfüllung gedacht ist, sondern den Schuldner zur Erfüllung anhält, zulässig? – Wie ist das Verhältnis von privatrechtlichen Vertragsstrafen und Strafrecht? – Kann über die Strafsumme hinausgehend Schadensersatz gefordert werden? – Kann neben der Zahlung der Vertragsstrafe weiterhin Erfüllung gefordert werden? – Gibt es Unterschiede in der Behandlung von Vertragsstrafen im Kontext von B2CVerträgen, B2B-Verträgen und allgemeinem Vertragsrecht? II. Die Voraussetzungen für die Geltendmachung der Vertragsstrafe – Ist Verschulden erforderlich? – Wie wirkt sich Mitverschulden des Gläubigers aus? – Ist ein Schadenseintritt erforderlich? – Wie stellt sich das Verhältnis zwischen Vertragsstrafe und Verzugseintritt dar? III. Die Kontrolle der Vertragsstrafe und der Schutz des Schuldners – Welchen allgemeinen Kontrollmechanismen unterliegen Vereinbarungen über die Zahlung einer bestimmten Geldsumme im Falle einer Vertragspflichtverletzung – Sittenwidrigkeitsgrenze etc. – Welche Besonderheiten und Einschränkungen ergeben sich in bestimmten Anwendungsgebieten, insbesondere zum Schutz des Schuldners vor unbilligen Strafabreden – Vereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen – Mietrecht, insbesondere Wohnraummietrecht – Familien- und Erbrecht – Arbeitsrecht
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– Bauvertragsrecht – Wettbewerbsrecht, Urheberrecht, Kartellrecht (strafbewehrte Unterlassungserklärungen) – Verbraucherschutz IV. Prozessuale Fragen – Wie ist die Vertragsstrafe geltend zu machen? – Ist die Herabsetzung oder Erhöhung der vereinbarten Summe durch das Gericht zulässig? – Kann eine etwaige Anpassung der Vertragsstrafe von Amts wegen erfolgen, oder ist ein Antrag des Schuldners nötig?
Autorenverzeichnis Karin Arnold, Mitarbeiterin an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Helge Dedek, Professor an der McGill Universität Montreal Martin Gebauer, Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Shiyuan HAN, Professor an der Tsinghua-Universität Peking Stefan Huber, Professor an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Jonas Knetsch, Professor an der Universität Jean-Monnet Saint-Étienne Lyon Gabriel Lipps, Mitarbeiter an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen Knut Benjamin Pißler, Referent am Max Planck Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg sowie Professor an der Universität Göttingen Piotr Tereszkiewicz, Dozent an der Jagiellonen-Universität Krakau Matthias Weller, Professor an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn